Goethes Selbstinszenierungen Und Ihre Funktion
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GUNTER E. GRIMM Goethes Selbstinszenierungen und ihre Funktion Vorblatt Publikation Erweiterte Fassung der Erstpublikation „‘Doch steif und kalt blieb der Minister…‘ Goethes Selbstinszenierungen und ihre Funktion.“ In: Matthias Karmasin/Carsten Winter (Hrsg.): Analyse, Theorie und Geschichte der Medien. Festschrift für Werner Faulstich. München: Fink-Verlag 2012, S. 13-30. Vorlage: Datei des Autors URL:<http://www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/goethe/selbstinszen ierung_grimm.pdf Eingestellt am Autor Prof. Dr. Gunter E. Grimm Universität Duisburg-Essen Universitätsstraße 12 D-45117 Essen Email: <[email protected]> Empfohlene Zitierweise Beim Zitieren empfehlen wir hinter den Titel das Datum der Einstellung oder des letzten Updates und nach der URL-Angabe das Datum Ihres letzten Besuchs die- ser Online-Adresse anzugeben: Gunter E. Grimm: Goethes Selbstinszenierungen (01.05.2012). In: Goethezeitportal. URL: http:// www.goethezeitportal.de/fileadmin/PDF/db/wiss/goethe/selbstinszenierung _grimm.pdf (Datum Ihres letzten Besuchs GRIMM: Goethes Selbstinszenierungen, Seite 2 von 34 Gunter E. Grimm GOETHES SELBSTINSZENIERUNGEN UND IHRE FUNKTION Dichter-Inszenierungen gab es bereits vor dem Einsatz von Fernsehen und Inter- net. Stefan George etwa hat mit dem Medium Fotografie seinen Anspruch als Dichter-Seher visuell untermauert. Doch gerade, wenn man George nennt, stellt sich die Assoziation „Pose“ oder bewusstes „In-Szene-Setzen“ ein. Aber passt dieser Begriff auf Goethe? Die meisten Zeitgenossen waren von Goethes Erschei- nung und Auftreten fasziniert, zum Teil sogar stärker von seiner Persönlichkeit als von seinen literarischen Werken. Freilich gab es auch zeitgenössische Besucher, die von Goethes förmlichem Auftreten enttäuscht waren. „Erbärmlich steif und zurückhaltend“ hat ihn ein Besucher in Erinnerung.1 Charlotte von Kalb stimmte 1796 den Besucher Jean Paul auf Goethes Kälte ein: „zumal gegen Fremde, die er selten vorlasse – er habe etwas steifes reichstädtisches Stolzes“.2 Auch andere Besucher berichten von Goethes steifem und zeremoniösem Verhalten.3 Noch 1811 beschreibt Karl Ludwig von Knebel seiner Schwester von Goethes „Kalt- sinn“.4 Anschaulich referiert Sulpiz Boisserée seinem Bruder im Mai 1811: Ich komme eben von Goethe, der mich recht steif und kalt empfing, ich ließ mich nicht irremachen und war wieder gebunden und nicht untertänig. Der alte Herr ließ mich eine Weile warten, dann kam er mit gepudertem Kopf, seine Ordensbänder am Rock; die Anrede war so steif vornehm als möglich.5 Als Paradebeispiel wird immer wieder Goethes Zusammentreffen mit Gottfried August Bürger im Jahr 1789 aufgeführt. Der frostige Empfang, den Goethe Bür- ger bereitet hat, veranlasste diesen zu einem bissigen Epigramm: Mich drängt’ es in ein Haus zu gehn, Drin wohnt’ ein Künstler und Minister. Den edlen Künstler wollt’ ich sehn Und nicht das Alltagsstück Minister. Doch steif und kalt blieb der Minister Vor meinem trauten Künstler stehn, Und vor dem hölzernen Minister Kriegt’ ich den Künstler nicht zu sehn. Hol ihn der Kuckuck und sein Küster!6 Wie kam es zu dieser merkwürdigen Diskrepanz in der Wirkung des berühmten Autors? Mit dieser Frage werde ich mich im Folgenden beschäftigen. Goethe hatte bereits in jungen Jahren mit dem Drama Götz von Berlichingen und dem Briefroman Die Leiden des jungen Werthers zwei Bestseller-Erfolge. Wie sollte ein solcher Dichter in der Öffentlichkeit auftreten? GRIMM: Goethes Selbstinszenierungen, Seite 3 von 34 Die abendländische Dichtertradition kennt verschiedene Typen solcher Inszenie- rungen. Wenn die Dichter des Humanismus sich als Gelehrte verstanden, so ge- schah das auch aus sozialen Gründen. Die Insignien des poeta laureatus waren, wie beim Doktortitel, Ring und Barett. Dichterspezifisch sind das mit dem kaiser- lichen Adler oder dem kurfürstlichen Wappen gezierte Szepter, ein Siegel mit dem Emblem des Merkur und des Apollo und schließlich, als Hauptsymbol, der Lorbeerkranz mit dem Doppeladler. Petrarca war bekanntlich der erste, dem am Ostertag des Jahres 1341 diese Ehrung zuteil wurde. Der Titel des poeta laureatus war dem Doktortitel gleichgestellt und verschaffte seinem Träger eine Reihe von Privilegien. Zu Goethes Zeit war die rechtliche Dimension dieses Titels zwar schon längst abhandengekommen, doch zeigt immerhin das Gebaren des jungen Grafen Platen eine Generation später, dass die Tradition des poeta laureatus durchaus noch nicht total vergessen war: Platen wandelte nämlich durch die Stra- ßen Ansbachs, mit einen Lorbeerkränzchen auf dem Kopf. Ließen sich diese ge- lehrten Dichter abbilden, so geschah dies meist mit Lorbeerkranz und einem Buch in der Hand, als Hinweis auf eben ihren gelehrten Beruf. Neben der humanisti- schen Tradition des poeta doctus bzw. poeta laureatus, also des lorbeergekrönten gelehrten Dichters, gab es noch andere Inszenierungstraditionen: den frommen Dichter, den Moralisten und Verfasser christlicher Gesänge (Beispiel Christian Fürchtegott Gellert); den rationalistischen Dichter-Kritiker, der sein Schreiben als Handwerk im Dienste der Vernunft und Moral verstand und ausübte (Beispiel Gotthold Ephraim Lessing); den visionären Seherdichter, der mit geradezu pro- phetischen Eigenschaften ausgestattet war (Beispiel Friedrich Gottlieb Klopstock); und schließlich noch den von Plato beschriebenen, vom poetischen Furor ergriffenen und zuweilen vom Wahnsinn geschüttelten ‚Schöpfergeist‘. Shakespeare hat sein von der Alltagsnorm abgehobenes Auftreten eindrucksvoll geschildert: Des Dichters Aug, in schönem Wahnsinn rollend, Blitzt auf zum Himmel, blitzt zur Erd hinab, Und wie die schwangre Phantasie Gebilde Von unbekannten Dingen ausgebiert, Gestaltet sie des Dichters Kiel, benennt Das luftge Nichts und gibt ihm festen Wohnsitz.7 Die jungen rebellischen Dichter des ‚Sturm und Drangʼ bezogen sich auf dieses Dichterverständnis, wonach nicht die Gelehrsamkeit, sondern der dichterische Naturtrieb, der furor poeticus, ihr eigentliches Movens war. Vor allem Herder hatte der toten Buchgelehrsamkeit den Kampf angesagt und unter dieses Verdikt fielen auch die traditionellen Insignien des poeta doctus: Lorbeerkranz und Buch. Die ‚Stürmer und Dränger‘ bevorzugten eine Präsentation, die den Dichter frei von gesellschaftlichen und bildungsmäßigen Zwängen zeigte, etwa mit gelöstem Haar (statt der üblichen Perücke). Das poetische ‚Genie‘ stellte sich mitten in die Natur, als ihr Sohn und ihr Verkünder, und pfiff auf gesellschaftliche Konventio- nen. Auch der junge Goethe hat sich an diesem Rollenmuster orientiert.8 Nach GRIMM: Goethes Selbstinszenierungen, Seite 4 von 34 Richard Friedenthal war Goethe geradezu der „Prophet“ dieser Geniezeit.9 Hinzu- kommt jedoch ein Signal für innere Unbehaustheit. Wie Goethe selbst in Dichtung und Wahrheit beschrieben hat, ging er die Straßen zwischen Frankfurt, Homburg und Darmstadt zu Fuß, bei jedem Wetter, und man nannte ihn deshalb den „Wan- derer“. 10 Verschiedene seiner damals entstandenen Gedichte, in denen die Gestalt des Wanderers im Zentrum steht, spiegeln dieses Gefühl der Nichtzugehörigkeit, des Noch-nicht-Angekommenseins. Wanderers Sturmlied ist das extremste dieser hymnischen Produkte. Es ist ein Anruf an Pindar und den eigenen „götterglei- chen“ Genius. Die verschiedenen Zeugnisse stimmen alle überein in der Beurtei- lung von Goethes Geistesgaben, sie rühmen seine Einfälle, seinen Witz, seine lebhafte ja feurige Einbildungskraft, seinen mitreißenden Schwung, kurz: sein unvergleichliches Genie.11 Was sein gesellschaftliches Betragen angeht, so mischt sich in die Bewunderung seiner Geistesgaben auch ein gewisser Vorbehalt gegen die Sorglosigkeit, die Unbekümmertheit und die Verachtung aller Konventionen und Zwänge. So berichtet im Herbst 1772 Johann Georg Christian Kestner, dass Goethe „in seinen Affekten heftig“ sei, ja „bizarre“ und „in seinem Betragen, sei- nem Äußerlichen Verschiedenes“ habe, „das ihn unangenehm machen könnte“. „Er tut, was ihm einfällt, ohne sich darum zu bekümmern, ob es anderen gefällt, ob es Mode ist, ob es die Lebensart erlaubt. Aller Zwang ist ihm verhaßt.“12 Johann Georg Jacobi vertraute Ende Juli 1774 seinem Tagebuch an: „Ich sah ei- nen der außerordentlichsten Männer, voll hohen Genies, glühender Einbildungs- kraft, tiefer Empfindung, rascher Laune, dessen starker, dann und wann riesenmä- ßiger Geist einen ganz eignen Gang nimmt.“13 Und während sein jüngerer Bruder Friedrich Heinrich Jacobi vor der Begegnung mit Goethe noch unkte, Goethe sei und bleibe „ein zügelloser unbändiger Mensch“,14 so berichtete er Ende August in einem Brief an Wieland, Goethe sei „Genie vom Scheitel bis zur Fußsohle; ein Besessener, füge ich hinzu, dem fast in keinem Falle gestattet ist, willkürlich zu handeln.“15 Johann Georg Sulzer hält in seinem Tagebuch den Eindruck einer Begegnung in Frankfurt fest: „Dieser junge Gelehrte ist ein wahres Originalgenie von ungebundener Freiheit im Denken […]. Er besitzt bei wirklich scharfer Beur- teilungskraft eine sehr feurige Einbildungskraft und sehr lebhafte Empfindsam- keit.“16 Vielleicht trifft Karl von Knebels Einschätzung diese ungeheure Ge- spanntheit in Goethes Denken am besten, wenn er sein geniales Wesen als „inner- lichen Krieg und Aufruhr“ charakterisiert, in dem Goethe mit sich selbst lebe. Auch sein opponierendes Verhalten, sein Mutwillen kämen nicht aus böser Ge- sinnung, sondern „aus der Üppigkeit seines Genies“.17 Als Goethe am 7. November 1775 in Weimar eintraf, wusste er nicht, dass er hier sein restliches Leben bleiben würde. Der Wechsel aus der bürgerlichen