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Von Mantua nach Württemberg: Barbara Gonzaga und ihr Hof Da Mantova al Württemberg: Barbara Gonzaga e la sua corte

Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart Consolato Generale d’Italia, Stuttgart Istituto Italiano di Cultura, Stuttgart Soprintendenza per i Beni Storici, Artistici ed Etnoantropologici, Mantova Archivio di Stato di Mantova Institut für Geschichtliche Landeskunde und Historische Hilfswissenschaften der Universität Tübingen Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart 46438_Katalog_deutsch_Layout 1 28.11.11 13:59 Seite 2

Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart

30. März 2011 bis 29. Juli 2011

Weitere Stationen: Stadtmuseum »Kornhaus«, Kirchheim (7. September bis 6. November 2011) Museum Zehntscheuer, Böblingen (27. November 2011 bis 18. März 2012) Schloss Urach, Palmensaal (30. März bis 26. August 2012) Palazzo Ducale, Mantua (6. September 2012 bis 6. Januar 2013)

Herausgegeben vom Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Gedruckt mit Unterstützung von:

Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier.

Alle Rechte vorbehalten. Die Rechte an den Abbildungen liegen beim Landesarchiv Baden-Württemberg bzw. den verwahrenden Institutionen. © 2. durchgesehene Auflage 2012 by Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart Gestaltung: agil > Visuelle Kommunikation, Pforzheim CD-Produktion: Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart und Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart CD-Herstellung: Michael Siefert, CD-Produktion, Sindelfingen Herstellung: Offizin Scheufele, Stuttgart Kommissionsverlag: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Printed in Germany ISBN 978-3-17-022390-5 46438_Katalog_deutsch_Layout 1 14.03.11 08:08 Seite 3

Von Mantua nach Württemberg: Barbara Gonzaga und ihr Hof Da Mantova al Württemberg: Barbara Gonzaga e la sua corte

Begleitbuch und Katalog zur Ausstellung des Landesarchivs Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart

Bearbeitet von Peter Rückert

In Verbindung mit Daniela Ferrari Christina Antenhofer Annekathrin Miegel 46438_Katalog_deutsch_Layout 1 14.03.11 08:08 Seite 4

Mitarbeit an Ausstellung und Begleitbuch

Konzeption und Gesamtorganisation: Dr. Peter Rückert Redaktion des Begleitbuchs: Dr. Peter Rückert, Dr. Nicole Bickhoff Übersetzung des Begleitbuchs: Dr. Franca Janowski, Dr. Wolfgang Decker (Beitrag Rando), Dr. Martin Miller (Grußwort Ferrari) Bearbeitung des Katalogteils: Dr. Peter Rückert und genannte Autoren Konzeption der CD: Dr. Peter Rückert, Prof. Dr. Joachim Kremer, Prof. Dr. Andreas Traub

Technische und organisatorische Mitarbeit: – Fotografie, Reproduktion und digitale Reprografie: Martina Böhm, Judith Bolsinger, Gabriele Würth, Britt Moulien – Digitale Präsentation und audiovisuelle Station: Henrik Schühle, Johannes Renz, Rolf Lang – Konservatorische Betreuung und Montage der Exponate: Martin Ramsauer, Renata Müller – Ausstellungsaufbau und Gebäudetechnik: Andreas Sturitis, Simon Nobis – Sekretariat und Textverarbeitung: Anna-Maria Diener – Verwaltung: Kati Stein, Carmen Klein Grafische Beratung, Ausstellungsdesign und Gestaltung: agil > Visuelle Kommunikation, Pforzheim

Die Abbildung auf dem Umschlag zeigt Barbara Gonzaga auf dem Wandbild von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale in Mantua (um 1474).

Änderungen der Ausstellung gegenüber dem Katalog bleiben vorbehalten. 46438_Katalog_deutsch_Layout 1 14.03.11 08:08 Seite 5

Inhalt

7 Vorwort SÖNKE LORENZ 88 Eberhard im Bart entdeckt seine Ahnen: 9 Grußworte Heraldische Aufrüstung zur Uracher Hochzeit (1474) PETER RÜCKERT 14 Zur Einführung: Barbara Gonzaga und ihr Hof NICOLE BICKHOFF 104 Die Uracher Hochzeit von 1474 DANIELA RANDO 27 Frauen und Kleriker, von Mantua nach Rom KINGA OZSVÁTH über Trient und Brixen: Zur Problematik 113 Die höfische Gesellschaft bei Tisch. »Mobilität« und »Kulturtransfer« Essen und Trinken am württembergischen Hof

CHRISTINA ANTENHOFER FRANZ FUCHS 36 Eine Familie organisiert sich: 119 Barbara Gonzaga und Eberhard im Bart. Familien- und Hofstrukturen der Gonzaga Der württembergische Hof im Spiegel im 15. Jahrhundert mantuanischer Gesandtschaftsberichte

PHILIPP SAUTTER JÜRGEN HEROLD 49 Bildung und Erziehung am Hof der Gonzaga 132 Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua RODOLFO SIGNORINI 59 Barbarina Gonzaga und ihr Bildnis in ANNEKATHRIN MIEGEL der »Camera dipinta« 141 Barbara Gonzaga und der Stuttgarter Hof (1483 –1496) ANDREAS TRAUB 63 Barbara Gonzaga und die Musik am Hof CHRISTINE BÜHRLEN-GRABINGER in Mantua 148 Barbara Gonzaga, Waldenbuch und der Hasenhof CHRISTIAN KÜBLER 68 Der württembergische Hof in Urach CHRISTOPH FLORIAN 155 Barbara Gonzaga auf ihrem Witwensitz KARL HALBAUER UND TILMANN MARSTALLER in Böblingen 75 St. Amandus in Urach: Pfarr-, Residenz- und Stiftskirche

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Inhalt

ROLAND DEIGENDESCH 241 III. Das große Fest: Die Uracher Hochzeit 1474 161 Die »Frau von Mantua« und das Domini - 259 IV. Das junge Paar: Eberhard und kanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck Barbara am Uracher Hof

AXEL BEHNE 271 V. Herzogin von Württemberg: 168 Der Streit um das Erbe der Barbara Gonzaga Der Stuttgarter Hof der Barbara Gonzaga 285 VI. Ein trauriger Witwenhof? SILVIA HILDEBRANDT Barbara Gonzaga in Böblingen 178 Barbara Gonzaga: Memoria und Mythos 293 VII. Keine sanfte Ruhe: Barbara Gonzaga PATRICIA PESCHEL im Dominikanerinnenkloster Kirchheim 183 Barbara Gonzaga im Bild des 19. Jahrhunderts 305 VIII. Barbara Gonzaga: Memoria und Mythos

WOLFGANG MÄHRLE 191 Ein gescheitertes Frauenleben. Barbara Gonzaga aus der Sicht der Schriftstellerin Isolde Kurz Anhang * * * 314 Beilage (CD): Barbara Gonzaga und ihr Hof – PETER RÜCKERT Briefe und Musik 201 Einführung in die Ausstellung 318 Texteditionen Katalog 350 Stammtafeln 208 Zeittafel: Mantua und Württemberg 352 Quellen und Literatur im 15. Jahrhundert 361 Abkürzungen 211 I. Ein Glanzlicht der Renaissance: 362 Abbildungsnachweis Der Hof der Gonzaga in Mantua 363 Förderer und Leihgeber 229 II. In der Herrschaftskrise: Das Haus Württemberg im 15. Jahrhundert 364 Mitarbeiterverzeichnis

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Vorwort

Barbara Gonzaga (1455 –1503) ist als erste nimmt. Die Präsentation wurde als Wander - Herzogin von Württemberg und Gemahlin des ausstellung konzipiert und soll an Barbaras Resi- berühmten Eberhard im Bart im historischen denzen als ihren »Erinnerungsorten« zwischen Bewusstsein noch heute verankert. Doch weiß Stuttgart und Mantua zu sehen sein. Die Briefe man über diese prominente Fürstin, deren Barbaras kommen damit nach über 500 Jahren wechselhaftes Leben sich zwischen Mantua und erstmals wieder nach Stuttgart, Urach oder Württemberg, an der Schwelle zwischen Mittelal- Böblingen, wo sie entstanden sind, zurück. ter und Neuzeit, gestaltete, kaum etwas Näheres. Der kollegialen Zusammenarbeit mit dem Archi- Meist legendenartig ausgeschmückt, sind vor vio di Stato in Mantua und seiner Direktorin allem ihre Naturnähe und Dickleibigkeit oder Dr. Daniela Ferrari ist es zu verdanken, dass diese ihre berühmte »Uracher Hochzeit« von 1474 Zusammenführung von Schriftzeugnissen aus noch bekannt. Mantua und Württemberg gelang; gemeinsam Ist auch ein Teil der historischen Überlieferung vermitteln sie in neuer Qualität einen intensiven zwischenzeitlich verloren gegangen, so bieten die Eindruck vom familiären und höfischen Umfeld Schriftzeugnisse doch noch einen bemerkenswer- der Barbara Gonzaga. Ihre Ergänzung um ein- ten, unmittelbaren Zugang zu ihrer Geschichte: schlägige Kunstschätze aus dem Hause Gonzaga, Neben den einschlägigen Dokumenten, die heute heute verwahrt in den Sammlungen des Palazzo im Landesarchiv Baden-Württemberg, Haupt- Ducale in Mantua, ermöglichte die Unterstüt- staatsarchiv Stuttgart verwahrt werden, besitzt zung durch die Soprintendenza per i Beni Storici das Archivio di Stato in Mantua einen umfang- in Mantua, wofür ebenfalls herzlich gedankt sei. reichen Bestand an Korrespondenzen des Hauses Wesentliche Motoren bei der Vorbereitung und Gonzaga, darunter auch etwa 60 Briefe der Bar- Organisation der Ausstellung waren das Italie - bara. Nachdem sie 1474 in die Ehe mit Eberhard nische Generalkonsulat sowie das Italienische im Bart nach Württemberg zog, schrieb Barbara Kulturinstitut in Stuttgart. Ohne ihre fortwäh- aus ihren württembergischen Residenzen die renden Anregungen und Hilfestellungen wären meisten dieser Briefe an ihre Familie, um von Ausstellung und Begleitbuch nicht denkbar den Vorgängen und ihrem Befinden im fernen gewesen. Dafür darf ich meinen Dank an Herrn Schwabenland zu berichten. Generalkonsul Dr. Alessandro Giovine und Frau Auf der Grundlage dieser persönlichen Zeugnisse Vizekonsulin Dr. Miriam Altadonna ganz herz- wurde die Ausstellung um Barbara Gonzaga lich zum Ausdruck bringen, worin ich Herrn gestaltet, die sich an ihrer Biografie orientiert Dr. Francesco Acanfora und Herrn Dr. Michele und ihre wechselnden Residenzen wie auch Höfe Gialdroni als Leiter des Kulturinstituts gerne ein- als Lebensstationen differenziert in den Blick schließen möchte. Durch unsere deutsch-italieni-

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Robert Kretzschmar Vorwort

sche Kooperation war es möglich, Ausstellung Palmensaal des Uracher Schlosses – gezeigt wer- und Begleitbuch zweisprachig zu gestalten, wobei den; ein zeitgenössisches Modell der Stadt Urach, ich Frau Dr. Franca Janowski für die anspruchs- das für unsere Ausstellung angefertigt wurde, volle Übersetzung dankbar bin. wird sie als ein zentrales Exponat bereichern. Die beigefügte CD, die eine Auswahl der Briefe Der Abteilung Staatliche Schlösser und Gärten Barbara Gonzagas in italienischer und deutscher wie auch den Städtischen Museen in Böblingen Sprache vorstellt, lässt ihren originalen Wortlaut und Kirchheim unter Teck, bei denen die Ausstel- erklingen. Eingebettet in eigens eingespielte lung ebenfalls zu sehen sein wird, danke ich ganz Werke zeitgenössischer Renaissancemusik von herzlich für die gute Zusammenarbeit; es ist uns den Höfen in Mantua und Ferrara, sind Barbaras im Landesarchiv eine große Freude und Ehre, Briefe auch in der Ausstellung an Hörstationen uns in diesem deutsch-italienischen Ausstellungs- abrufbar. Diese Aufnahmen wurden durch die projekt gemeinsam verbunden zu wissen. Mein Zusammenarbeit mit der Staatlichen Hochschule besonderer Dank gilt ferner allen Leihgebern, aus für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart er- deren Reihe das Landesmuseum Württemberg, möglicht, wofür ich mich bei Herrn Rektor Prof. die Württembergischen Landesbibliothek in Werner Heinrichs herzlich bedanken möchte. Stuttgart, die Universitätsbibliothek Heidelberg Ein enges Zusammenwirken verbindet das Lan- und das Hauptstaatsarchiv München eigens ge- desarchiv Baden-Württemberg auch mit dem nannt seien. In gleicher Weise sei den zahlreichen Institut für Geschichtliche Landeskunde der Uni- Sponsoren, von denen die Präsentation großzügig versität Tübingen, dessen Direktor Prof. Dr. unterstützt wurde, ein Dankeschön gesagt. Und Sönke Lorenz wir für die gemeinsame wissen- nicht zuletzt gilt mein herzlicher Dank allen Mit- schaftliche Vorbereitung und Begleitung des The- arbeiterinnen und Mitarbeitern im Landesarchiv mas dankbar sind. Eine internationale Tagung Baden-Württemberg, die an diesem Projekt hatte bereits im November 2009 hierzu den For- mitgewirkt haben, und hier besonders Herrn Dr. schungsstand vorgestellt und die Ausstellungs- Peter Rückert als verantwortlichem Projektleiter. konzeption angeregt. Ihre Vorträge sind – ergänzt um zahlreiche weitere einschlägige Beiträge – in Der Ausstellung und dem Katalog wünsche ich diesen Begleitband eingegangen. viele Interessenten. In Kooperation mit der Abteilung Staatliche Schlösser und Gärten im Finanzministerium Stuttgart, im Februar 2011 Baden-Württemberg soll die Ausstellung auch am Prof. Dr. Robert Kretzschmar historischen Ort der »Uracher Hochzeit« – im Präsident des Landesarchivs Baden-Württemberg

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Grußwort

Die Persönlichkeit Barbara Gonzagas hat im den Adels maßgeblich für die Bindungen, die ein- Laufe der Zeit besondere Konturen angenom- gegangen wurden. Auch Barbara Gonzaga lebte men. Sie ist eine der frühen historischen Persön- als Kind ihrer Zeit nach dieser Denkweise. Ihre lichkeiten, die ein Bindeglied zwischen der latei- in Württemberg geschlossene Ehe mit dem Be- nischen und germanischen Welt darstellten, zwei gründer der Tübinger Universität war wohl eine Welten, die sich am Ende des Mittelalters gegen- der glücklicheren des Mittelalters. Der jungen über stehen und nach einem gemeinsamen Rah- Barbara als einer gebildeten Frau mit vielfachen men von Werten und Traditionen suchen. Heute, Interessen gelang es, in Schwaben eine seltene nach vielen Jahrhunderten, können wir sagen, Erinnerung zu hinterlassen. dass ein Treffen der beiden Kulturen kaum je Oft spricht man von Eberhard als dem Schwa- fruchtbarer war. ben und von Barbara als der Italienerin, ohne Noch immer ist dies in den verschiedensten daran zu denken, dass Eberhard aufgrund seiner Bereichen zu beobachten. Jenseits des geografi- Herkunft und der Sprache seiner Vorfahren schen Aspektes teilen Baden-Württemberg und auch starke mediterrane Wurzeln neben seinen die Lombardei einen Reichtum und eine kultu- schwäbischen hatte, wenn man es so sagen darf. relle Dynamik, welche in dem Gebiet unmittelbar Barbara, die Italienerin, hatte dagegen eine deut- nördlich und südlich der Alpen auch einen der sche Mutter und deutsche Verwandte, und auch wichtigsten und aktivsten Wirtschaftsräume des ihre Heirat nach Württemberg wurde unter Kontinents geschaffen hat. Es ist ein gemeinsames anderem wegen ihrer Verwandtschaft zum Hause Wertegefühl, das noch heute einen der wichtigs- Zollern vollzogen. Die kulturelle Bindung ist ten Pfeiler unserer besonderen Verbindung bildet. somit viel stärker als der bloße Geburtsort es In diesem Sinne sind unter anderem die gemein- vorzugeben scheint. same Präsenz in den Foren der »Vier Motoren Diese doppelte Essenz der Persönlichkeit für Europa«, die hervorragenden Wirtschafts - Barbara Gonzagas macht sie zu einer symboli- beziehungen und die Universitätsaustauschpro- schen Brücke zwischen zwei sich ergänzenden gramme sowie der touristische Anreiz offensicht- Kulturen und wie alle Symbole fähig, die Zeit zu liche Auswirkungen. überdauern. Dieses Buch, wozu ich die Ehre habe Für Baden-Württemberg und die Lombardei ein Grußwort zu schreiben, zeigt zurecht ihre zeigt uns das Leben der Barbara Gonzaga, dass symbolkräftige Natur und trägt dazu bei, sie diese beiden Regionen gemeinsame Wurzeln in einem Rahmen näher kennen zu lernen, haben, die über die Jahrhunderte zurückreichen. der sich den Gegebenheiten der Zeit und des Sicher waren Überlegungen politischer Natur, Lebens Barbara Gonzagas authentisch annähern Entscheidungen und Beziehungen des regieren- sollte.

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Alessandro Giovine Grußwort

Die Vermittlung Barbara Gonzagas zwischen hervorgegangen sind, können wir uns vorstellen, zwei Kulturen hat in vielerlei Hinsicht eindrucks- wie wertvoll und tief diese Bindung ist. Ich bin volle Anstöße gegeben, die von der Geschichte mir sicher, dass am Ende der Lektüre dieses gerne überliefert werden, wie zum Beispiel die tiefgreifenden Buches alle reicher sein und ein Aufmerksamkeit, die sie der humanistischen größeres Bewusstsein über unsere gemeinsame Kultur geschenkt habe, indem sie zu deren Ver- Wurzeln haben werden. breitung in Schwaben beitrug, über ihre ergebene Ich bedanke mich beim Präsidenten des Lan- und wohltätige Haltung, die aus der Wahl ihrer desarchivs Baden-Württemberg, Herrn Prof. Grabstätte, dem Kloster Kirchheim unter Teck, Dr. Robert Kretzschmar, sowie bei der Leiterin deutlich wird, bis hin zu Details des täglichen Le- des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, Frau Dr. Nicole bens wie ihre Vorliebe für schwäbische Speisen. Bickhoff, für ihre Unterstützung. Meinerseits Barbara gelang es somit, sich bekannt und kann ich die Entscheidung für diese Hommage beliebt zu machen – nicht nur als Ehefrau des an Barbara Gonzaga in Form einer glänzenden Herzogs Eberhard. Ihr Erbe, das sie der Nachwelt Ausstellung und der Präsentation dieses Begleit- hinterlassen hat, blieb auch über die nachfolgen- buches nur begrüßen. den Epochen hinaus bestehen und vereint noch Ein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Peter heute Stuttgart und Mantua in einer virtuosen Rückert vom Hauptstaatsarchiv, der sowohl den kulturellen Verbindung. Hof als auch die Zeit von Barbara Gonzaga bis Ich denke, dass dies das bedeutendste Erbe ist, ins Detail kennt, und dem ich mich über die tief das Barbara Gonzaga uns vermacht hat, quasi die empfundene professionelle Wertschätzung hinaus virtuelle Fortsetzung eines Pergamentregisters sehr verbunden fühle. von sehr hohem Wert, das im Hauptstaatsarchiv In diesem eindrucksvollen Rahmen begrüße Stuttgart am richtigen Platz ist und in Ehren ich besonders die Zusammenarbeit mit Frau aufbewahrt wird. Stuttgart, Württemberg und Dr. Daniela Ferrari und dem Staatsarchiv von Mantua wissen um ihre engen Bande, was auch Mantua, als Zeugnis dafür, dass die Lombardei immer die Kulturpolitik der jeweiligen Verwal- und Baden-Württemberg heute noch sehr ähn - tungen in der Zukunft mit sich bringen wird. liche fruchtbare Verbindungen teilen wie vor In Stuttgart wird Mantua stets einen Ehrenplatz 500 Jahren, zu Zeiten der Barbara Gonzaga. belegen und in Mantua Stuttgart ebenso. Wenn wir uns überlegen, wie viele Berufs- künstler, aber auch Geschichtsinteressierte, Touristen und Wissbegierige von den Initiativen Dr. Alessandro Giovine profitieren, die aus dieser historischen Heirat Italienischer Generalkonsul in Stuttgart

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Barbara Gonzaga in den Dokumenten des Staatsarchivs Mantua

Bisher gab es weder in Italien noch in Deutsch- Das Verhältnis zum Kaiserreich bestimmte land eine Ausstellung über Barbara Gonzaga, über Jahrhunderte die Außenpolitik der Gonzaga. die Herzogin von Württemberg, und ihren Hof. Der kleine Hof von Mantua sticht im Panorama Deshalb stellt die vom Landesarchiv Baden- der europäischen Geschichte nicht so sehr wegen Württemberg – Hauptstaatsarchiv Stuttgart – seines politischen Gewichts hervor, sondern in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen vielmehr durch die bedeutende Rolle, die ihm und dem Italienischen Kulturinstitut Stuttgart durch seine künstlerischen Leistungen zukam. vorbereitete Ausstellung ein – wie ich meine – Die Kulturpolitik der Gonzaga wurde immer notwendiges Pilotprojekt dar. Dieses internatio- unter dem Zeichen des Sammelns und des Mäze- nale Projekt muss von historischen und archiva- natentums betrieben, eine typische intellektuelle rischen Forschungen auf zwei Seiten ausgehen: Mode in den großen Zentren der italienischen der deutschen auf der einen und der italienischen Renaissance. Sie wurde in Mantua mit größerer auf der anderen. Beide Seiten verbinden und er- Kohärenz und Originalität sowie über einen gänzen sich gegenseitig. Das Staatsarchiv Mantua längeren Zeitraum befolgt als anderswo. Die 1627 hat deshalb mit großer Freude die Zusammen - nach England verkaufte Gemäldesammlung war arbeit an dieser Initiative zugesagt. damals die berühmteste in ganz Europa. Auf italienischer Seite ist die Hauptquelle Die Gonzaga waren also raffinierte Sammler für die Forschung das Gonzaga-Archiv, eines der und freigebige Protektoren von Literaten und vollständigsten und homogensten Familien - Künstlern. Die Langlebigkeit ihrer Herrschaft archive der Neuzeit, die in Europa bis heute er- ist jedoch auch einer erfolgreichen Heiratspolitik halten sind. Für über 1000 Jahre gab es zwischen geschuldet, welche zu Verwandtschaftsverhältnis- Mantua und dem Heiligen Römischen Reich sen mit allen großen Familien der Zeit führte. mehr oder weniger enge, jedoch niemals unter- Wegen der schon angesprochenen engen Verbin- brochene Verbindungen. Die Gonzaga erkannten dungen zum Reich waren darunter auch zahl - in ihrer langen Regierungszeit von 1328 bis 1707 reiche Herrscherhäuser im Norden Europas. immer die kaiserliche Vorherrschaft an, durch die Wenn man sich die Genealogien der Habs - sich ihre eigene Regierung legitimierte. Sie erhiel- burger auf der einen und die der Gonzaga auf ten ihre jeweiligen Titel zunächst als Reichsvikare der anderen Seite anschaut, ist zu bemerken, wie und Grafen (1328), dann als Markgrafen (1433) die Heiratsverbindungen zwischen den beiden und zuletzt als Herzöge (1530) vom Kaiser. Familien immer vorhanden waren und zwischen

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Daniela Ferrari Grußwort

der Mitte des 16. und dem Ende des 17. Jahrhun- die Verbindungen zwischen dem kleinen Staat in derts noch zunahmen. Auch andere italienische der Poebene mit dem deutschen Raum, indem sie Adelshäuser verfolgten eine ähnliche Heirats - drei ihrer Kinder mit deutschen Familien verhei- politik mit dem Reich, jedoch keines mit dersel- raten: Federico Gonzaga heiratet Margarete von ben Intensität wie die Gonzaga, welche die besten Wittelsbach, die so Markgräfin von Mantua wird, Leute ihres diplomatischen Corps entsandten, Paola heiratet Leonhard, den letzten Grafen von welche mit größerem Aufwand als anderswo sich Görz, und Barbara, welche nach der Mutter be- der delikaten Aufgabe der Heiratsverhandlungen nannt ist, heiratet schließlich Eberhard im Bart, widmeten. den Grafen und späteren Herzog von Württem- Die lokale Geschichtsschreibung hat sich, berg. wie auch die italienische Forschung insgesamt, Unter den in Mantua aufbewahrten Dokumen- bisher wenig mit diesem Thema beschäftigt. Die ten sticht ein umfangreiches Faszikel mit Akten Abteilung »Sponsali, maritaggi e doti – Ehever- hervor, aus denen sich die Geschichte der Bar - träge, Abgaben für die Hochzeit des Lehnsherren barina rekonstruieren lässt: Urkunden und Per- und Mitgiften« des Gonzaga Archivs ist umfang- gamente, beglaubigt von Notaren und mit Siegeln reich – sie umfasst fast 30 Bündel mit den Num- versehen, ausgestellt in Deutsch, Latein und Ita- mern 196 bis 224 – jedoch von unterschiedlicher lienisch, behandeln die Klauseln der Eheverträge Qualität, weshalb sich einige Geschehnisse besser und die Mitgift und listen riesige Geldsummen, verfolgen lassen als andere, wie eben bei Barba- Juwelen, Hausrat und wertvolle Einrichtungs - rina, wie wir sie zur Unterscheidung der gleich- gegenstände auf. Es fehlt auch nicht die Liste des namigen Mutter nennen wollen. Gefolges, das Barbara bei ihrer Abreise aus Man- Ihr Vater Ludovico II. Gonzaga, einer der tua am 10. Juni 1474 in Richtung Deutschland be- politisch und kulturell wichtigsten Fürsten des gleitete: Die Begleitung bestand aus 234 Perso- 15. Jahrhunderts in Italien, heiratete Barbara nen, darunter Musiker und Sänger, ein Kaplan, von Brandenburg-Hohenzollern, mit der er elf eine Zwergin und ein Maler. Des Weiteren wur- Kinder zeugte. Er umgab sich mit hervorragen- den 247 Pferde und vier Karren mit Hausrat und den Künstlern: Leon Battista Alberti, Donatello, Koffern mitgeführt. Bei jedem Halt schreibt Bar- Luca Fancelli und Andrea Mantegna prägen die bara ihrer Mutter über den Verlauf der Reise: Die Kunst und die humanistische Kultur Mantuas. Etappen sind Rovereto, Trient, Bozen, Innsbruck, Insbesondere Andrea Mantegna ist hier zu bis sie am 28. Juni von ihrem Bräutigam in der nennen, der zum Hofmaler ernannt den Fresken - Burg von Kempten empfangen wird. zyklus in der Camera degli Sposi – in dem auch Insbesondere die Korrespondenz beleuchtet Barbarina abgebildet ist – malt, ein Monument, die herzlichen familiären Beziehungen zwischen das par excellence die erreichte Macht der Familie Barbarina und ihrer Familie: mit dem Vater, repräsentiert. den Geschwistern und in besonderer Weise mit Ludovico Gonzaga und Barbara von Branden- der Mutter. Barbara von Brandenburg-Hohen - burg-Hohenzollern, eines der bekanntesten Paare zollern war eine starke, sehr präsente, besorgte in der Geschichte des Hofs in Mantua, verstärken und aufmerksame Mutter, die der Tochter in den

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Grußwort Daniela Ferrari

schmerzlichsten Augenblicken zur Seite steht. So Der Mutter ist Barbarina zeitlebens in einem spendet sie Trost beim Tode des Töchterchens, sie engen, ganz weiblichen Verhältnis verbunden; ermutigt sie, nicht zu verzweifeln und trotzdem ihre zahllosen Briefe sind teilweise von Nostalgie auf eine zukünftige Nachfolge zu vertrauen, so durchdrungen, sprechen aber auch von Politik wie es ihr Stand verlangt. Sie schickt ihrer Tochter und beweisen, dass sie es auf überzeugende Weise wertvolle Stoffe für Kleider, Möbel, Einrichtungs- verstand, ihre Rolle als Prinzessin, Ehefrau und gegenstände, Bücher sowie frische und konser- Witwe auszufüllen. vierte Lebensmittel. Barbara schickt ihrer Mutter Zur Rekonstruktion der aus der Verbindung als Gegengabe Handschuhe, Kunsthandwerk aus von Barbara Gonzaga mit Eberhard im Bart re- Silber und Pferde nach Mantua. Sie probiert mit sultierenden Geschehnisse muss man die zeitge- Freude die von der Mutter gesandten Leckerbis- nössische politische Dynamik und die komplexen sen: Bohnen, Lupinenkerne, Zitronen, Zitronat, kommunikativen Strategien im Kontext der gro- Oliven und Granatäpfel. Auch Marmeladen und ßen Herrscherdynastien des spätmittelalterlichen Kompott aus Früchten lassen sie an die Atmo- Europa analysieren. Dies bedeutet auch, dass sphäre des Hofes in Mantua zurückdenken und man darüber nachdenken sollte, auf welche Weise etwas Heimatluft schnuppern. Vielleicht erklären man die europäische Geschichte lesen will, bezie- diese Gaben ihre Leidenschaft für die Natur – hungsweise man neben der generellen Geschichte sichtbar auch in den mit Blumen gefüllten Kör- auch die Beweggründe berücksichtigen will, wel- ben, die man noch in den Glasfenstern des Chors che die Geschichte der Gemeinwesen und der In- der Tübinger Stiftskirche sehen kann. Die Natur- dividuen bestimmten und welche uns gleichzeitig verbundenheit Barbarinas zeigt sich darin, dass Hinweise auf die vielfältigen und komplexen sie sich in reiferem Alter selbst um die Anlage Verflechtungen der Geschichte geben können. von Parks und Nutzgärten in ihren Landgütern kümmert. Unter den Dokumenten des Gonzaga- Dr. Daniela Ferrari Archivs befinden sich auch ihre Anfragen nach Direktorin des Staatsarchivs Mantua Stecklingen von Bäumen. (Übersetzung Dr. Martin Miller)

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PETER RÜCKERT Zur Einführung: Barbara Gonzaga und ihr Hof

Barbara Gonzaga von Mantua (1455 –1503) im Mittelpunkt: Auch nach ihrer Heirat nach besitzt als erste Herzogin von Württemberg be- Württemberg 1474 hält sie den Kontakt zur sondere Bedeutung für die württembergische Familie in Mantua aufrecht, wir erleben ihre Per- Geschichte. Als Gemahlin Eberhards im Bart kam sönlichkeit und fassen ihr höfisches Umfeld sie von Mantua über die Alpen, feierte 1474 die besonders nah in diesen etwa 60 Texten, die eine berühmte Uracher Hochzeit und gestaltete hier italienische Fürstin aus der Fremde in die Heimat das höfische Leben in ihren Residenzen Urach, schreibt. Stuttgart und Böblingen. Freilich tritt ihre Per- Aber natürlich soll die kulturhistorische An - sönlichkeit aus württembergischer Perspektive näherung noch deutlich weiter gehen; der biogra- bisher kaum aus dem Schatten ihres berühmten fische Bezug verlangt nach individualisierten Mannes heraus, der in der Geschichtsschreibung Kontexten. Die familiäre, politische und kul turelle weithin als »Lichtgestalt« propagiert die frühe Situation an den verschiedenen Lebens stationen württembergische Geschichte überstrahlt. der Barbara Gonzaga gilt es jeweils differenziert Doch bieten sich mittlerweile zahlreiche neu- zu beleuchten: an der großartig ausgestalteten und wiederentdeckte Zeugnisse an, um das histo- Residenz der Gonzaga im Mantua ihrer Jugend, rische Profil der Barbara Gonzaga zu schärfen dem Inbegriff eines leuchtenden Hofes der Re- und sie gerade anhand ihrer persönlichen Texte naissance, an den demgegenüber zurückhaltend und Bilder als beeindruckende Gestalt ihrer Zeit schwäbisch-schlichten Höfen in Urach und Stutt- besser kennenzulernen. Ausgehend von der rei- gart, ihren Sitzen als Landesfürstin und Gattin chen zeitgenössischen Überlieferung in den Ar- Eberhards im Bart, und schließlich ihrem einsam- chiven in Stuttgart und Mantua, soll der Versuch traurigen Witwenhof in Böblingen – so zeichnet unternommen werden, die mit ihr personifizierte jedenfalls das herkömmliche Bild ihre Geschichte. italienisch-deutsche Geschichte aus beiden Per- Eigentlich sollte entsprechend von »Barbara spektiven zusammenzuführen. Vor allem die Gonzaga und ihren Höfen« die Rede sein, doch Briefe und Korrespondenzen sind es, die Kom- will der »Hof«-Begriff hier zunächst Barbaras munikation über die Alpen hinweg, die heute auf persönliches Umfeld ansprechen, das sie auch auf beide Seiten verteilt sind und vom je anderen be- ihrem Lebensweg begleiten konnte, unabhängig richten. Und hier steht gerade Barbara Gonzaga von dem Wechsel ihrer Residenz.

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Zur Einführung: Barbara Gonzaga und ihr Hof Peter Rückert

Damit betreten wir ein aktuelles Podium arbeit von Archivaren, Bibliothekaren und Kul- der internationalen Kulturgeschichte: Hof- und turhistorikern, die Kunst- und Baugeschichte ist Residenzenforschung, Frauen- und Kommunika- dabei ebenso gefragt wie die Literatur- und die tionsgeschichte boomen bereits seit etlichen Jah- Musikwissenschaft. ren und sind mit zahlreichen einschlägigen Publi- Eine wissenschaftliche Tagung, welche ein- kationen mittlerweile zu einem herausragend schlägige Experten zum Thema am 26. November bearbeiteten Feld bestellt. Der »cultural turn« ist 2009 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart zusammen- dabei auch in der Landesgeschichte angekom- führte, sollte das Arbeitsfeld bereiten und den men, die ausgehend von der konkreten regiona- Forschungsstand bestimmen. Die Tagungs - len Überlieferung den internationalen Vergleich konzeption war bereits international und fächer- nicht scheut. So standen auch hier im deutschen übergreifend angelegt; sie sollte auch für die Südwesten der württembergische Hof im 15. Jahr- daran anschließende Ausstellung strukturelle und hundert oder die Beziehungen zwischen dem inhaltliche Wegweiser aufzeigen. Ihre Beiträge Haus Württemberg und den Visconti in Mailand sind entsprechend auch in diesen Begleitband erst vor kurzem im Blickpunkt von Präsentatio- eingegangen, ergänzt um weitere Artikel, welche nen und wissenschaftlichen Diskussionen. Und die vielfältigen Aspekte moderner Hof- und auch diese gründeten bereits auf dem festen Fun- Familiengeschichte, von Kommunikations- und dament einer Ausstellung, die im Hauptstaats - Familienstrukturen, höfischer Repräsentation archiv Stuttgart unter dem Titel »Württemberg und Kulturtransfer am Beispiel der Barbara im Spätmittelalter« 1985 gezeigt wurde. Der von Gonzaga aufgreifen. In diesem Rahmen bietet Joachim Fischer, Wolfgang Irtenkauf und Peter ihre historische Figur die Leitlinie zur biografi- Amelung dazu vorgelegte Katalog darf nach wie schen Annäherung aus süddeutscher und ober - vor als Grundlage für unser Thema gelten. italienischer Perspektive und beispielhafter Freilich gehen die Anfänge der wissenschaftli- Beschreibung ihrer Handlungsspielräume. chen Beschäftigung mit der schillernden Gestalt der Barbara Gonzaga aus württembergischer Sicht noch viel weiter bis ins 19. Jahrhundert zu- Der Hof der Gonzaga in Mantua rück, und auch ihre Briefe im Mantuaner Archiv wurden damals bereits teilweise bekannt. Eine Unsere Geschichte setzt ein am Hof der Gonzaga umfassende Aufarbeitung der einschlägigen Kor- in Mantua, wo Barbara am 11. Dezember 1455 als respondenzen, Inventare, Urkunden und Bücher, achtes der elf ehelichen Kinder des Markgrafen ihre Auswertung und Einordnung in den Kontext Ludovico und seiner Frau Barbara geboren wird. der modernen Residenzen- bzw. Höfeforschung Diese Barbara stammte aus dem feinen Hause und Mentalitätsgeschichte steht allerdings noch Brandenburg-Hohenzollern, war allerdings schon aus, wie auch die letzte, breit angelegte Unter - als Mädchen an den Gonzaga-Hof gelangt und suchung zu den dynastischen Verbindungen der spielte dort nicht nur familiär, sondern auch Gonzaga von Ebba Severidt gezeigt hat. Hier politisch bald eine zentrale Rolle. Ihr Mann war öffnet sich ein brisantes Terrain zur Zusammen- als Condottiere meist bei den mächtigen Sforza,

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Peter Rückert Zur Einführung: Barbara Gonzaga und ihr Hof

den Herzögen von Mailand, unterwegs, und Andrea Mantegna oder Humanisten und Dichter Barbara hatte ihn auch als Fürstin zu vertreten. wie Vittorino da Feltre oder Francesco Filelfo, Ihre gleichnamige Tochter, Barbarina genannt, Literatur und Musik spielten auch im höfischen wuchs im wohlbehüteten Kreis der Geschwister, Alltag eine zentrale Rolle. Von besonderer Bedeu- erzogen und unterrichtet im humanistischen tung sollten die Bauprojekte des Fürsten werden, Geist gebildeter Lehrer heran, lernte früh lesen welche das Stadtbild Mantuas wie seinen Palazzo und schreiben, auch »lettere«, also Latein und gleichermaßen neu formierten. Hier ließ er sich die antike Literatur kennen. unter anderem ein Privatgemach von Mantegna Damals (1459) war es den Gonzaga gelungen, aufwändigst gestalten und mit großflächigen nicht nur einen bedeutenden Fürstentag nach Wandmalereien zieren, das bis heute seine einzig- Mantua einzuberufen, wo Papst Pius II. für einen artige Pracht erhalten hat: Die »Camera dipinta«, Türkenkreuzzug werben wollte, sie schafften es oder später »Camera degli Sposi« genannt, das auch, Barbaras Bruder Francesco im Jahr 1461 bereits während seiner Gestaltung die Bewunde- zum Kardinal erheben zu lassen. Damit war die rung der Besucher hervorrief. Bedeutung und das gesellschaftliche Prestige der Im Jahr 1470 berichten Mailänder Gesandte Familie nochmals stark gestiegen, die erst wenige beeindruckt von den großartigen Wandmale- Jahrzehnte davor (1433) von Kaiser Sigismund reien, die unter anderem die hübsche Tochter des in den Markgrafenstand erhoben worden war. Hauses, Barbarina Gonzaga, zeigen: una bella et Jetzt galt es, die bereits geknüpften dynastischen gentile Madonna et de bono aere et bone maynere. Bande auch mit den altadeligen Familien des Sie war damals kaum 15 Jahre alt und wurde Reiches im Norden zu verstärken: Der erstgebo- von Mantegna im Kreise ihrer Familie dargestellt: rene Federico wurde mit Margarete aus dem Wir sehen hier zunächst den Vater Ludovico im bayerischen Haus Wittelsbach verheiratet, die Gespräch mit seinem Sekretär, einen Brief in älteren Töchter Susanne und Cecilia wurden Händen, die Mutter Barbara von Brandenburg, Nonnen und Dorotea versuchte man vergeblich ihre Brüder Federico, Ludovico und Rodolfo als Braut bei den Sforza in Mailand unterzu - sowie ihre kleine Schwester Paola. Auch Vittorino bringen. da Feltre, der große Baumeister Alberti und die Für Barbarina war im jungen Markgrafen »Nana«, die Hofzwergin, sind neben einer Reihe Christoph von Baden auch bereits ein lukrativer weiterer Höflinge dargestellt (Abb. 1). Gemahl gefunden, doch das Heiratsprojekt zer- Diese großartige künstlerische Momentauf- schlug sich 1467 ebenfalls. Barbarina blieb also nahme vom Gonzagahof in Mantua vermittelt in noch einige Jahre am elterlichen Hof in Mantua, den dargestellten Details und ihrer meisterlichen wo die Kultur des Rinascimento, der program - Qualität einen ganz außergewöhnlichen Eindruck matischen Rückbesinnung auf die antike Kunst, von der fürstlichen Familie und ihrem nächsten großartige Formen fand – während ständig neue Umfeld. Sie wird ergänzt durch Mantegnas Dar- dynastische Verbindungen für sie ausgelotet stellung einer Begegnungsszene an der benach- wurden. Ihr Vater Ludovico beschäftigte Bau - barten Wand des Saales, in deren Mittelpunkt meister wie Leon Battista Alberti, Maler wie Markgraf Ludovico auf seinen Sohn Kardinal

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1 | Die Familie Gonzaga in der »Hofszene« auf dem Wandbild von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua (um 1474)

Francesco trifft (Abb.2). Dazwischen steht dessen eng verbundene Männer in die Szene: Kaiser Bruder Gianfrancesco und rechts sind die wei- Friedrich III. und König Christian I. von Däne- teren Brüder Federico und Ludovico sowie die mark, angeheirateter Schwager von Ludovico beiden Söhne Federicos zu sehen – wie der Vater Gonzaga. in blau-weiß-roten Beinkleidern, den heraldi- Die Identifizierung der dargestellten Persön- schen Farben der Eltern gekleidet: Wittelsbach lichkeiten hat vor allem Rodolfo Signorini grund- und Gonzaga. Im Hintergrund stellt Mantegna legend geleistet, auch die konkreten historischen zwei berühmte, mit dem Haus Gonzaga damals Begebenheiten, die hier ins Bild gesetzt werden,

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2 | Die »Begegnungsszene« auf dem Wandbild von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua (um 1474)

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sind mittlerweile deutlich: Sie drehen sich um die Erhebung Francescos zum Kardinal und halten dieses herausragende Schlaglicht der Familien- geschichte dauerhaft fest – dynastische Repräsen- tation und profane Memoria in ihrer feinsten Form. Dabei ist auffällig, dass es jeweils Briefe in den Händen der Protagonisten sind, auf die sich das Geschehen fokussiert. Eine gerade erhaltene Nachricht in den Händen des Markgrafen, ein ge- faltetes Schriftstück in den Fingern des Kardinals. Anders ausgedrückt: Die Kommunikation steht im Zentrum der gezeigten Geschichte, der Brief macht hier kunstgeschichtliche Karriere (Abb.3).

Die Uracher Hochzeit

Bleiben wir noch kurz in diesem wunderbaren Saal, dessen Ausstattung gegen Mitte des Jahres 1474 von Mantegna vollendet werden sollte. Im April dieses Jahres kommt am Hof in Mantua eine freudig erwartete schwäbische Delegation an, an ihrer Spitze ein Graf von Württemberg, später Eberhard im Bart genannt. Dieser hatte sein – im Übrigen von den Gonzaga schon länger angefragtes – Interesse an Barbarina bereits im 3 | Der Brief in den Händen von Markgraf Ludovico Gonzaga Vorjahr deutlich werden lassen und vorab eine (Ausschnitt aus Abb.1) Gesandtschaft zur Brautwerbung nach Mantua geschickt. nen. Markgraf Ludovico bot ihm anschließend Vermittlerin vor Ort spielte die Schwägerin einen glänzenden Einzug in die Stadt und bereits Margarete von Wittelsbach, die den einstigen wenige Tage später wurde das Paar im Dom von schwäbischen Nachbarn gegenüber anderen Mantua getraut, woran sich großartige Festlich- Bewerbern empfahl. Graf Eberhard, mit seinen keiten anschlossen. 28 Jahren bereits weit gereist und welterfahren, Auch die Formalitäten wurden gleich erledigt, kam mit stattlichem Gefolge von etwa 70 Pferden die vorsahen, dass Barbarina neben einer kostba- und traf zunächst die Markgräfin Barbara mit ren Aussteuer im Wert von 9000 fl. eine ansehn- ihrer 18jährigen Tochter, die ihm gleich überaus liche Mitgift von 20000 fl. erhalten sollte, die von gefiel, wie die italienischen Augenzeugen beto- Eberhard in gleicher Höhe zu widerlegen waren.

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Zur Unterzeichnung des Ehevertrages führte seiner Frau Margarete von Savoyen – Italienerin Ludovico den Schwiegersohn sicher auch in sein wie Barbarina – und seinen zänkischen Söhnen neues, feines Gemach, dessen künstlerische Eberhard dem Jüngeren und Heinrich im statt - Vollendung gerade vor ihrem Abschluss stand. lichen Stuttgarter Schloss; ihre Schwiegermutter In der camera cubicularis, dem Schlafzimmer des Mechthild hielt im nahen Rottenburg glanzvollen Fürsten, unterzeichnete Eberhard im Bart dann Hof, nachdem sie in zweiter Ehe Erzherzog die Heiratsurkunde am 14. April 1474 mit eigener Albrecht von Österreich geheiratet hatte – eine Hand. Der Bräutigam reist mit seiner Truppe neue, große Familie, die Barbara gespannt anschließend bald wieder ab, um zu Hause in erwartete. Urach seinen Hof herauszuputzen; die Braut Die gegenseitige Verständigung fiel freilich zu- sollte zwei Monate später con grande pompa über nächst noch schwer: Barbara sprach italienisch die Alpen folgen. Wir kennen nicht nur ihr Ge- und war natürlich auch im Lateinischen gebildet, folge genau, ihren Weg und den Reiseverlauf, ihre die deutsche Sprache, zumal in ihrem schweren fast täglichen Briefe lassen auch das persönliche schwäbischen Akzent, bereitete ihr noch große Befinden der Braut erfahren. In Urach wurde Schwierigkeiten. Hier mussten Dolmetscher hel- vom 3. bis 5. Juli eine großartige Hochzeit gefei- fen, zumal ihr Mann Eberhard bekanntlich über ert; diese »Uracher Hochzeit« ist als rauschendes das Schwäbische nicht hinauskam. Fest in die württembergische Geschichtsschrei- Aber welche Umstellung für Barbara: Ganz bung eingegangen; tatsächlich sind wir detailliert abgesehen von der Trennung von ihrer Familie über seinen Ablauf und sein Programm, seine und dem gewohnten kulturellen Umfeld war sie Organisation und Teilnehmer unterrichtet. Wir doch in einer anderen Welt gelandet. Auch das kennen die Unterbringung der Gäste ebenso wie prächtige Hochzeitsfest mit den Tausenden von die Sitzordnung, die Speisenfolge oder die Rei- Gästen und der stolze Gatte konnten nicht dar- henfolge der Tänze. Graf Eberhard von Württem- über hinwegtäuschen. Die Sänger für das Hoch- berg bot seiner Gemahlin, ihrem Gefolge und amt in der Kirche waren beim Pfalzgrafen in den Gästen eine Hochzeitsfeier auf fürstlichem Heidelberg ausgeliehen worden, die Organisten Niveau. stellte der Bischof von Augsburg. Hier standen noch die ritterlichen Turniere im Mittelpunkt der Festlichkeiten, und sogar ihr Bräutigam ließ sich Der Hof in Urach nicht davon abhalten, voller Begeisterung mit - zurennen. Die junge Barbara Gonzaga war nun also an Entsprechend schlicht war der äußere Rahmen einem neuen Hof gelandet, sie war jetzt keine des Schlosses wie der kleinen Stadt Urach. Natür- umworbene italienische Prinzessin mehr, sondern lich: Man hatte aufgeputzt, aber da war noch viel eine Gräfin in Württemberg, einem geteilten zu tun und an einen Vergleich mit dem Palazzo Land, dessen eine Hälfte sie nun gemeinsam mit ihres Vaters und Mantua nicht zu denken. Nur ihrem Mann von Urach aus regieren sollte. Der gut, dass ihr Bruder Rodolfo mit seiner Beglei- Onkel ihres Eberhard, Graf Ulrich, residierte mit tung noch einige Tage länger blieb, um den förm-

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lichen Verzicht Barbaras auf ihr väterliches Erbe Bilder von Familienangehörigen eingewirkt, sowie die Huldigung der ihr verschriebenen großartige Kunst aus den Mantuaner Hofwerk- Städte und Dörfer entgegenzunehmen. Und stätten im Umfeld des Mantegna, die im Schwa- natürlich war da noch ihre italienische Diener- benland beeindrucktes Erstaunen hervorrufen schaft, die bei ihr in Urach bleiben sollte, und musste. Leider hat kaum etwas davon überdauert, auch ihr Sekretär und Dolmetscher Konrad von aber die Inventare und Vergleichsstücke lassen Hertenstein mit seiner Frau sollten bald wieder doch noch immer die kostbare Pracht des per- zu ihr stoßen. Als Rodolfo Anfang August mit sönlichen Aufzugs der Barbara Gonzaga verge- seinem Gefolge wieder in Mantua eintraf – genwärtigen. alle in deutsche Tracht gekleidet – wurde der Barbara jedenfalls schien sich bald mit der Ruhm des württembergischen Schwiegersohns neuen Situation in der Fremde abgefunden zu und seines Hofes gleichwohl auch in Mantua haben, und da sie auch umgehend schwanger gefeiert. wurde und ein Jahr nach der Hochzeit, im August Barbara hatte soviel als möglich aus ihrem 1475, ihre Tochter, ihre »Barbarina« gebar, schien häuslichen Umfeld in ihren Brauttruhen und das Glück im Hause Württemberg-Urach zu Kästen mit nach Urach gebracht. Allein die Ein - leuchten. Das Töchterchen starb allerdings be- richtung, die Mode, die Tischsitten, der höfische reits nach wenigen Monaten, und weitere Kinder Umgang waren doch ganz anders, ganz abgesehen sollten ihr nicht beschieden sein. Die Kinder - von dem schlichten künstlerischen Ambiente, losigkeit der Ehe mit Eberhard im Bart hat sich dem dürftigen geistigen Austausch, den sie hier offenbar schwer auf Barbaras Gemüt gelegt und pflegen konnte. Leider ist ihr Aussteuerverzeich- sollte auch die politischen Aktionen ihres Man- nis weder in Mantua – wo ihre Mutter es wegen nes bestimmen, als er nicht mehr mit einem der hier aufgezeichneten Reichtümer verstecken leiblichen Nachfolger rechnen konnte. ließ – noch in Stuttgart erhalten geblieben, doch Barbara hielt sich nun auch im Kontakt mit können wir in späteren Inventaren einen Großteil ihrer Familie in Mantua sehr zurück. Sie schickte ihrer Preziosen wiederfinden. Zudem bietet das kaum mehr Briefe an Eltern und Geschwister, Verzeichnis ihrer Schwester Paola einen konkre- und als bald auch ihr Vater (1478) und ihre ten Vergleich. Hier wird zunächst ihr Silberschatz Mutter (1481) und wenig später (1483 bzw. 1484) greifbar: Schmuck und Tafelsilber, kostbare auch noch ihre älteren Brüder Francesco und Ketten und Ringe neben Essbesteck und Tisch- Federico starben, versiegte die Korrespondenz kredenzen, Gefäßen und Pokalen, Salzfässern, fast ganz, wie Peter Amelung bereits dargelegt Wasserbecken, Tellern. Fuß- und Wandteppiche hat. Sie fühlte sich damals zusehends misera bringt sie mit, Stoffbehänge für Tische, Bänke et deprezzata – elend und verachtet – und sprach und Wände, Bettzeug, Kissen und Decken. bald von ihrer persönlichen »miseria« (1484). Und so kunstvoll gearbeitet, in Goldbrokat mit In Urach hatte sich in den acht Jahren seit leuchtenden Farben gewirkt, mit Wappen und ihrer Hochzeit allerdings doch einiges getan: Der mit unter mit »welschen bilden« verziert, wie die Hof umfasste um 1480 etwa 120 Personen, und Kammerdiener staunen. Da finden sich sogar Barbara verfügte über eine eigene deutsch-italie-

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nische Dienerschaft mit einer Hofmeisterin, »Musenhof« in Rottenburg damals ebenso starke Knechten und Mägden. Einzelne von den Italie- Ausstrahlung besaß, wie ihre Mitwirkung bei der nern kehrten an den heimatlichen Hof nach Universitätsgründung deutlich wird. Barbara hat Mantua zurück, andere von den Deutschen sich jedenfalls gut mit ihr verstanden und wurde schickte sie zur Ausbildung dorthin. Darüber hi - dann auch in ihrem Testament (1481) reich be- naus wurden die unehelichen Kinder Eberhards, dacht. Auch das Verhältnis der Eheleute scheint die dieser gleichsam mit in die Ehe gebracht hatte, weiterhin ein enges und vertrautes gewesen zum Teil am Uracher Hof erzogen, wie auch der zu sein, wenn Eberhard auch dem von Barbara umliegende Adel seine Söhne damals vielfach dort gewünschten Besuch bei ihrer Familie in Mantua erzogen sehen wollte – ein vorbildlicher Hof, hartnäckig entgegentrat. der um das Fürstenpaar glänzte, wozu die italie - nischen Diener, die mit gereisten Musiker und Künstler wohl beitragen konnten, wenn wir auch Stuttgart nichts Genaueres davon erfahren. Gleichzeitig wurde vor Ort ständig gebaut, Eberhard im Bart sollte 1482 mit dem Münsinger vor allem an der prächtigen Amanduskirche, den Vertrag die Wiedervereinigung Württembergs Stiftsgebäuden für die neu angesiedelten Brüder unter seiner Herrschaft gelingen. Im Frühjahr vom gemeinsamen Leben, aber auch am Schloss darauf zog sein Hof von Urach nach Stuttgart und in der Stadt. Das Allianzwappen Würt - um, wo sich Barbara nun neben der Stuttgarter temberg-Gonzaga repräsentierte nun die stolze Grafenfamilie Eberhards des Jüngeren neu ein - Verbindung zwischen Eberhard und Barbara, in zurichten hatte. Auch die Druckerei und die der Bauplastik ebenso wie in der Wand- und anderen Hofwerkstätten gingen meist mit in die Buchmalerei. Mit Barbara war hier offenbar ein neue Residenz. Gerade hatte Eberhard bei einer neues literarisches Interesse eingezogen, auch die Romreise von Papst Sixtus IV., der bereits seine Schriftkultur hatte in Urach neue Dimensionen Universitätsgründung unterstützt hatte, die »Gol- angenommen: Für das fürstliche Skriptorium dene Rose« für seine Verdienste für die römische arbeitete unter anderem mit Stephan Schriber ein Kirche erhalten. Sein großer Förderer beim Papst Mann, der sich auch auf Miniaturmalerei und war sein Schwager, Kardinal Francesco Gonzaga, Buchschmuck verstand. Eberhard im Bart ließ der auch mit Barbara nach wie vor in herzlicher hier eine Papiermühle errichten und holte sich Verbundenheit stand – ein großer Literat mit Konrad Fyner aus Esslingen den Buchdruck und Büchersammler, der Eberhard und seinen in seine Residenz. Nur hinzuweisen ist auf die gebildeten Begleitern damals Kontakte zu den zeitgleich erfolgte Gründung der Universität berühmten italienischen Humanisten vermittelte. in Tübingen, wo nun ebenfalls der Buchkonsum Kardinal Francesco ließ offenbar nicht nur florierte. Kunst- und Textilprodukte aus den Mantuaner Barbara tritt bei diesen Aktivitäten ihres Man- Werkstätten zu Schwester und Schwager über die nes allerdings kaum hervor; deutlich mehr hinge- Alpen gehen, er versorgte sie auch mit Literatur gen ihre Schwiegermutter Mechthild, deren aus seinem humanistischen Umfeld.

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Die Verbindung von humanistischer Bildung, In einer gerade in der Universitätsbibliothek die Eberhard besonders mit Übersetzungen der Heidelberg wiederentdeckten Handschrift Eber- lateinischen Texte in seinem schwäbischen Um- hards im Bart mit Gebeten findet sich im Vor- feld, gerade in ihren theologischen, historischen spann die Übersetzung einer Urkunde Papst In- und naturwissenschaftlichen Aspekten anregte, nozenz’ VIII. von 1490, der hier »seinem lieben mit der Reform der Kirche lagen ihm vor allem Sohn«, Graf Eberhard, dessen »Husfrowen« und am Herzen und spiegeln sich auch in den re- ihren Dienern einen kompletten Ablass ent- konstruierbaren Resten seiner Bibliothek. Seine sprechend dem der Stationskirchen in Rom für intensiv gelebte Frömmigkeit teilte er mit seiner ihre vor Ort gesprochenen Gebete verleiht, als ob Frau, ihre gemeinsamen frommen Werke und sie persönlich dort gewesen wären. Der Gnaden- Stiftungen, zunächst vor allem für die Amandus- schatz der römischen Kirche sollte damit dem kirche in Urach, aber auch die Stiftskirchen in ganzen Stuttgarter Hof zu jeder Zeit teilhaftig Tübingen und Stuttgart sowie zuletzt zur Grün- sein, wie Barbara selbst auch mit päpstlicher dung des Stifts St. Peter für die Brüder vom ge- Erlaubnis württembergische Frauenklöster be- meinsamen Leben auf dem Einsiedel im Schön- suchte, um sie bei ihrer Reform zu unterstützen, buch, stehen für sich (Abb.4). im besonderen das Dominikanerinnenkloster Kirchheim. Neben ihren frommen Werken treten bislang das profane literarische Interesse wie die künstle- rischen Ambitionen der Barbara Gonzaga kaum hervor. Barbara hatte sicher Gebetbücher bereits aus Mantua mitgebracht und wurde von dort aus auch weiterhin mit Andachtsliteratur versorgt. Aber auch Wissensliteratur regte sie an, so ein selbstgemaltes »Kräuter- und Pflanzenbuch«, das sie zur Hochzeit von dem Bebenhäuser Mönch Johannes Grabisgadius erhielt. Oder eine von dem Tübinger Medizinprofessor Bartholomäus Scherenmüller übersetzte Schrift »Wie sich die kindenden Frawenn in dem geberen der kind hal- ten soellent« – wir denken an Barbaras Kinder- losigkeit. Beide Bücher sind leider nicht mehr er- halten. Doch Barbaras Wappen ziert noch häufig in Allianz mit dem württembergischen die Wid- mungsseiten von dem Fürstenpaar zugeeigneten bzw. in Auftrag gegebenen Werken (Abb.5). 4 | Stift St. Peter auf dem Einsiedel. Aquarell aus dem Skizzenbuch des Nikolaus Ochsenbach (1562–1626) Zum 20jährigen Hochzeitsjubiläum 1494 lässt der (WLB Stuttgart HB XV 5) Fürst sogar eine Medaille mit beider Emblemen

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5 | Wappen von Eberhard im Bart und Barbara Gonzaga in Columella, De re rustica (1491)

prägen; sein Stolz auf ihre Verbindung war jeden- Gleichzeitig lässt die »planmäßig betriebene falls von repräsentativer Dauer. Kulturpolitik« Eberhards im Bart damals mit Barbara findet man damals häufig auf dem Stuttgart und Tübingen bedeutende Stätten kul- Land. Vielfach besucht sie das Schloss in Walden- tureller Anziehungskraft entstehen. Dabei hat er buch, wo sie auch einen Teil ihres Silbergeschirrs im Zeichen einer gelehrten und praxisorientier- untergebracht hatte, und wohl auch den nahen ten Bildung Hof, Regierung, Universität und reli- Hasenhof. Ihre Naturnähe und Verbundenheit giöse Reformbewegung miteinander verbunden. mit Pflanzen- und Tierwelt, wie sie auch aus Als Eberhard 1495 mit der Erhebung Württem- ihren Briefen spricht, findet hier einen beson- bergs zum Herzogtum sein politisches Lebens- deren Platz. werk krönt, steht er – hochgeehrt mit der Golde-

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nen Rose und als Mitglied des Ordens vom Gol- Isabella d’Este, die damals Mantua zu einem denen Vlies – im Zenit seines gesellschaftlichen der bedeutendsten kulturellen Zentren Italiens Ansehens. Im Jahr darauf stirbt er, in der Gewiss- machte, drückt die Freude ihrer Familie über heit, sein politisches und privates Erbe einem Barbaras beabsichtigte Rückkehr aus, doch Bar- problematischen Nachfolger, seinem Cousin bara zögert und will auf Anraten ihrer deutschen Eberhard II., und dessen diffusem Umfeld über- Freunde erst noch abwarten. Denn die Verhält- lassen zu müssen. nisse in Württemberg überstürzen sich: 1498 wird Herzog Eberhard II. von den Landständen und Kaiser Maximilian abgesetzt, und die Böblingen Bedrängungen gegen sie erledigen sich. Auch hat Barbara die Freude, ihre Nichte Eleonora Gon- Barbara übersiedelt nun auf ihren Witwensitz zaga, die Tochter ihres kurz zuvor verstorbenen in Böblingen, wo sich auch schon ihre Schwieger- Bruders Gianfrancesco, bei sich zu haben. Bar- mutter Mechthild nach dem Tod ihres ersten bara vermittelt gerade Eleonoras Vermählung mit Mannes für einige Jahre aufgehalten hatte. Hier dem befreundeten Grafen von Werdenberg und regiert sie ihren eigenen kleinen Hofstaat und ver- übernimmt sogar ihre Mitgift. Im Böblinger Hof, sieht auch selbst das dortige Hofgericht, das für beschreibt jetzt der Habsburger Chronist Ladis- die Rechtsfälle der Amtsorte um Böblingen und laus Suntheim, da hellt die fraw Barbara von Sindelfingen zuständig ist. Großen Ärger bereiten Mantaw Hof vnnd ist die grösst fraw als sy in teut- ihr die ständigen Streitereien mit dem neuen Her- schen lannden ist von leib vnnd kainer hett nye zog Eberhard II., wofür sie sogar rechtliche Hilfe kain grösser gesehen. – Die schon länger offen- aus Mantua kommen lässt. Ähnlich wie in Stutt- sichtliche Dickleibigkeit der Barbara Gonzaga gart, wo Barbara von der Gattin Eberhards II. sollte damals bereits legendäre Züge annehmen. einen großen Garten am Alten Schloss gekauft Am 30. Mai 1503 stirbt Barbara 47jährig im hatte und neu anlegen ließ, beschäftigt sie sich Böblinger Schloss. Sie wird wohl auf ihren auch in Böblingen intensiv mit der Gartenpflege. eigenen Wunsch im Frauenkloster Kirchheim Von ihren Geschwistern lebt damals nur begraben, dem sie noch in ihren letzten Jahren noch ihr Bruder Ludovico, der mittlerweile ge- besonders eng verbunden war. Der junge Herzog wählter Bischof (Elekt) von Mantua ist. Mit ihm Ulrich teilt Barbaras Tod ihrem Bruder Ludovico wie mit ihrem Neffen Francesco, dem jetzt regie- nach Mantua mit, der umgehend die Ansprüche renden Markgrafen, steht Barbara nun wieder in der Familie Gonzaga auf Barbaras Vermögen engerem Kontakt. Auch mit dessen berühmter anmeldet. Der Streit um das Erbe der Barbara Gemahlin Isabella d’Este wechselt sie ihre Briefe, Gonzaga entbrennt und bezeichnet auch das vor- die von starkem Heimweh nach ihrer Geburts- läufige Ende unserer Geschichte. Die von Barbara stadt geprägt sind. Dorthin will sie gerne zurück- so aufwändig vorbereitete Memoria und Gebets- kehren, um den Rest ihres Lebens im Schoße der fürsorge sollte nicht lange überdauern. Familie zu verbringen – vivere e morire quel puoco Als Herzog Ulrich 1534 die Reformation in che ce resta cum el sangue mio et fra li mei. Württemberg einführt, wird bald auch das

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Peter Rückert Zur Einführung: Barbara Gonzaga und ihr Hof

Kloster Kirchheim aufgehoben. Die Kirche mit neuen, grenzüberschreitenden wissenschaftlichen Barbaras Grab wird 1539 abgebrochen, und be- Bemühungen hat sie hier quasi ihre Präsenz zu- reits als man 1551 danach suchen lässt, um Bar- rückerhalten. Aus der kontrastreichen Spannung bara an der Seite ihres Mannes in die Stiftskirche ihrer Biografie und ihres Nachlebens, aus der nach Tübingen umzubetten, ist es nicht mehr besonderen Qualität ihres familiären und künst- zu finden. Die übrigen Klostergebäude werden lerischen Umfeldes und nicht zuletzt aus ihren schließlich 1626 vom Blitzschlag getroffen und persönlichen Höhenflügen und Depressionen ist damit sollten auch die letzten Reste ihrer Ruhe- sicher ein anregender Einblick in ein großartiges stätte den Weg alles Irdischen gegangen sein. Stück italienisch-deutscher Geschichte zu ge - Ein fast tragisches Ende einer persönlichen winnen. Geschichte, die so glänzend begann: Aber wenn auch das fromme Gebetsgedenken an die Wohltä- terin in Urach, Stuttgart oder Kirchheim keine Literatur: Fortsetzung finden sollte, die Erinnerung an Bar- Antenhofer, Der Fürst; Cermann, Die Bibliothek; bara Gonzaga blieb im Umfeld der württember- Circa 1500; Paravicini, Höfe und Residenzen; gischen Hofchronistik lebendig und wurde auch Rückert, Antonia Visconti; Rückert, Der bald schon verklärt. Bis auf die Schriftzeugnisse, württembergische Hof; Rückert/Lorenz, Die das mancherorts noch präsente Gonzaga-Wappen Visconti; Severidt, Familie; Signorini, Opus; und wenige bildliche Darstellungen ist von ihrem Signorini, La più bella camera; Stälin, Die einstigen Reichtum kaum etwas geblieben. Dafür Heirath; Württemberg im Spätmittelalter; finden wir sie in ihren Briefen und ihrer groß - Zeilinger, Die Uracher Hochzeit artigen Darstellung in Mantua wieder; mit den

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DANIELA RANDO Frauen und Kleriker, von Mantua nach Rom über Trient und Brixen: Zur Problematik ›Mobilität‹ und ›Kulturtransfer‹

Herbert Schneider zum 65. Geburtstag

ùDrei Frauen und zwei Geistliche stehen im Mit- zessen« (K.-H. Spieß) unterworfen, durch die telpunkt meines Beitrags: Barbara Gonzaga, Eingewöhnung – auch ihres Gefolges – in eine Eleonore von Schottland, Eleonore von Portugal neue Umgebung, bei der Rückbindung an Hei- auf der einen, Francesco Gonzaga und Johannes mat und Herkunft, in der Art ihrer Kommunika- Hinderbach auf der anderen Seite. Diese fünf tionswege und -möglichkeiten. Auch ihr gemein- Personen treten in der zweiten Hälfte des 15. Jahr- sames Aktionsfeld erscheint bemerkenswert: hunderts durch vielerlei Aktivitäten um die Be- über politische, sprachliche und kirchliche Gren- setzung zweier vakanter Bistümer in Verbindung, zen hinweg – dabei waren gut vier Metropolitan- nämlich Brixen/Bressanone und Trient/Trento kirchen im Spiel, nämlich Aquileja mit Trient, im Eisack-/Etschtal südlich des Brennerpasses. Salzburg mit Brixen, Mainz mit Chur und Mai- Die Vorgänge selbst sind so ungewöhnlich nicht: land mit Brescia als Suffragane; ein »in-between Jede Sedisvakanz bot Möglichkeit zu politischer space« wie geschaffen für Mobilität, Transkultu- Macht- und wirtschaftlicher Einkommensver- ration, Hybridisierung, also der ideale Ort zur schiebung, die zusammen die Begehrlichkeit von Untersuchung über die konkreten Möglichkeiten Laien und Klerikern erweckten. In beiden Fällen und Grenzen von »Kulturtransfer«. liegt das besondere Interesse in der Persönlichkeit Diese drei Frauen waren an einem Prozess von der Hauptbeteiligten, vor allem der drei Frauen: Integration und/oder Ablehnung mit verschiede- einer Markgräfin/Marchesa, Barbara Gonzaga; ner Intensität und Zeitspanne beteiligt: Barbara, einer Königstochter, Eleonore von Schottland; Tochter Johanns von Brandenburg und Nichte einer Kaiserin, Eleonore von Portugal. Sie Albrechts Achilles, reiste zehnjährig zu ihrem elf stammten aus drei verschiedenen Ecken Europas, Jahre älteren Gatten nach Mantua – eine Kinder- sahen sich durch Heirat »Umorientierungspro- ehe und »Beispiel einer hervorragenden Integra-

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Daniela Rando Frauen und Kleriker, von Mantua nach Rom über Trient und Brixen: Zur Problematik ›Mobilität‹ und ›Kulturtransfer‹

dem späteren XI. dieses Namens, verlobt worden. Auch nach deren vorzeitigem Tod blieben beide Schwestern weiter am Hof Karls VII., wo ver- schiedene Möglichkeiten einer Heirat ventiliert wurden, bis schließlich eine Übereinkunft mit Sigismund, dem Habsburger-Herzog und Grafen von Tirol, zu Stande kam. Nach der Heirat vertrat Eleonore ihren Gemahl als Regentin bei Abwe- senheit; 1467 war sie in der Administration der sogenannten »Vorlande« tätig – auch kam sie in Berührung mit dem kniffeligen Streit zwischen Nikolaus von Kues und den Nonnen von Sonnen- burg. Wie hier versuchte sie auch im Konflikt zwischen Ludwig XI. und den Schweizer Eid- genossen zu vermitteln. Schließlich Eleonore, Tochter König Eduards von Portugal, heiratete jung Friedrich III. auf seinem Rom- und Kaiserkrönungszug (Abb.2). Im Unterschied zu ihrer Namensvetterin aus Schottland, die kinderlos blieb, bekam sie sieben Kinder, von denen allerdings nur zwei überleb- ten: der Thronerbe Maximilian und ein Mäd- chen, Kunigunde. Sie selbst verstarb schon gerade über dreißig Jahre, fünfzehn nach ihrer Ankunft am Kaiserhof. Für Eleonore war in ihrem Ehever- 1 | Markgräfin Barbara Gonzaga auf dem Wandbild von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des trag eine eigene Hofhaltung ausbedungen wor- Palazzo Ducale von Mantua (um 1474) den, darunter ein Kanzler, eben Johannes Hinder- bach: 1418 geboren, rund 30 Jahre später am Hof Friedrichs III. als secretarius und consiliarius, 1452 Doktor an der Universität Padua, später tion« für eine »Erfolgsbilanz« mit elf Kindern, Fortsetzer der Historia Australis seines Freundes darunter eines frühzeitig Kardinal, eben jener Enea Silvio Piccolomini (Papst Pius II.). noch zu besprechende Francesco, und eine er- Nach diesem gerafften Überblick zu den Pro- folgreiche Heirats- und Bündnispolitik (Abb.1). tagonisten nun ihr Zusammentreffen. Am Eleonore, Tochter König Jakobs von Schott- 28. Oktober 1461 ersuchte Barbara Gonzaga die land, siedelte mit ihrer Schwester Johanna drei- Kaiserin Eleonore schriftlich um einen Empfeh- zehnjährig nach Frankreich über, eine andere lungsbrief für ihren Sohn Francesco bei der Er- Schwester, Margarete, war dem Dauphin Ludwig, langung der Kardinalswürde; einen Tag später

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Frauen und Kleriker, von Mantua nach Rom über Trient und Brixen: Zur Problematik ›Mobilität‹ und ›Kulturtransfer‹ Daniela Rando

2 | Eleonore von Portugal trifft ihren Bräutigam Friedrich III. vor Siena 1452. Fresko im Dom von Siena (1502–1507) (Aufnahme: Erich Lessing)

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Daniela Rando Frauen und Kleriker, von Mantua nach Rom über Trient und Brixen: Zur Problematik ›Mobilität‹ und ›Kulturtransfer‹

richtete sie ein Schreiben desselben Inhalts an selbst geschrieben. Dazu kam noch eine Gesandt- Hinderbach – wieso gerade an ihn? Einmal war schaft von Hinderbachs Bruder Konrad an die Johannes in Mantua bekannt, wenigstens seitdem Marchesa mit einer Empfehlung der Kaiserin für er zwei Jahre vorher als kaiserlicher Gesandter an Johannes und dem Auftrag, eine weitere, nun jenem Kongress teilgenommen hatte, von Pius II. Barbaras, für den Kandidaten zu erlangen. Hin- zur Vorbereitung eines Türkenkreuzzuges ein - derbach war sowieso als Gesandter Friedrichs III. berufen. Hinderbach bewahrte eine lebhafte schon in Rom, um dem neugewählten Papst Erinnerung an die Festlichkeiten, auch an die den kaiserlichen Obödienzeid zu leisten und die Marchesa Barbara, die er als animo et virtute eigene Sache in Brixen an der Kurie voranzutrei- prestantissima feiert – eine Anspielung auf die ben – das alles in direkter Konkurrenz mit Kardi- Charakterisierung Ciceros für Lucius Cornelius nal Gonzaga, persönliche Konfrontation nicht Balbus. ausgeschlossen. Die paradoxe Situation erinnert Offensichtlich wusste Barbara um die Möglich- an die klassische Komödie: Die Kaiserin förderte keiten Hinderbachs am Kaiserhof und ging ihn ihren Kandidaten Hinderbach, die Marchesa um Einflussnahme an, gerade Hinderbach, der ihren, den eigenen Sohn (Abb. 3); beide bauten dann der Rivale ihres Sohnes Francesco in Brixen auf die Unterstützung der anderen (und Eleo - und Trient werden sollte. Und wirklich wurde der nores von Schottland), standen aber im gegen - junge Marchese zum Kardinal kreiert und machte seitigen Wettbewerb. sich auf die Pfründenjagd: Schon 1462, also ein Beide gingen schließlich leer aus; denn die Jahr später, schlug er seinem Vater einen aben - Lage in Brixen wurde noch zusätzlich durch die teuerlichen Plan zur Privation und Absetzung Wahl des Domkapitels und das Eigeninteresse des Trienter Bischofs Georg Hack vor, der die Sigismunds verkompliziert: Einige Monate später Zustimmung des Nachbarbischofs in Brixen, Kar- wirkte Eleonore von Schottland auf Barbara ein, dinal Nikolaus von Kues, finden sollte – wohl in den Verzicht Kardinal Gonzagas und die Zustim- Anbetracht der engen Verbindung Hacks mit Si- mung für den eigenen, dritten Kandidaten Gol- gismund, der ja auf Konfrontationskurs mit dem ser, zu erreichen. Darüber hinaus verwickelte Cusaner stand. Doch das Vorhaben wurde nicht sich im Spätsommer 1465 die Brixener Angele- umgesetzt, dafür richtete sich die Ambition des genheit mit der neuen Situation in Trient: Dort jungen Gonzaga nach dem Tod des älteren Kar - verstarb am 22. August der bisherige Inhaber dinals zwei Jahre später auf dessen Sitz Brixen. Georg Hack – damit stand die Neubesetzung Wiederum verwendete sich die Marchesa Barbara von zwei Nachbarbistümern an. für ihren Sohn bei der Kaiserin, doch dieses Mal Schon am Tag nach Hacks Tod schickte der war die Konstellation eine andere. Hinderbach Graf von Tirol, Herzog Sigismund von Habsburg, selbst zielte auf die Unterstützung Eleonores für seinen Rat Laurentius Blumenau nach Trient. Er die Nachfolge in Brixen. Die Kaiserin hatte in sollte seine Interessen als Vogt bei der Neuwahl dieser Sache bereits nicht nur an den Papst, son- vertreten, während zwei andere Räte die weltliche dern auch an Eleonore von Schottland, die Frau Verwaltung übernahmen. Auf Blumenaus Ladung des Habsburger-Herzogs, und sogar an Barbara hin schritten die Kanoniker des Trienter Kapitels

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musste aber fast ein Jahr auf die päpstliche Bestä- tigung warten. Paul II. wollte offensichtlich einen »italicus« favorisieren, zwei Kandidaten standen schon bereit: Teodoro Lelli, Bischof von Treviso und Hinderbachs Studienkollege in Padua, aber vor allem der junge Kardinal Gonzaga, der auf seine Familienverbindungen nach Italien und ins Reich vertraute. Hinderbach sah sich so gezwun- gen, erneut »seine« Kaiserin und Friedrich III. anzugehen, dazu noch Herzog Sigismund. Kar- dinal Gonzaga wurde schließlich Bischof von Mantua, Hinderbach von Trient, nachdem er sich mit seinem fürstlichen Konkurrenten auf eine Pensionsabfindung geeinigt hatte. Damit war in Brixen der Weg für Golser frei, wegen dem die Kaiserin im November 1466 noch einmal ein wei- teres Empfehlungsschreiben verfassen musste. Um die beiden angrenzenden Bistümer des Eisack-/Etschtales wetteiferten also die Höfe von Mantua, Innsbruck und Wiener Neustadt. Aus dem Besitz Francesco Gonzagas ist eine Hand- schrift erhalten mit einer Übersicht von Bis- tümern und ihrer Einkunftsmöglichkeiten, ein Hinweis auf sein ›finanzielles‹ Interesse an einer Bischofserhebung ganz allgemein. Dazu scheint er nicht nur sein Augenmerk auf die beiden vakanten Bistümer gerichtet zu haben – er zielte auch nach einer reicheren Pfründe, etwa die Abtei S. Lorenzo in Trient, die schon Hinderbach zuge- 3 | Kardinal Francesco Gonzaga auf dem Wandbild von wiesen war. Nach Meinung von David Chambers Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des Palazzo und Ebba Severidt strebte der junge Adelige nach Ducale von Mantua (um 1474) einer Art Vermittlerrolle für Reichsangelegenhei- ten an der Kurie, also ein »Kardinalsprotektorat«: Die einzigartige Position des Hofes von Mantua zur Wahl und entschieden sich einstimmig für Jo- dank der geographischen Lage und der Ehe seiner hannes Hinderbach, nachdem sie einen formalen Mutter bestärkten Francesco offensichtlich in Protest gegen eine päpstliche Reservierung aufge- diese Richtung, und der Pfründenbesitz nach setzt hatten. Hinderbach nahm die Wahl an, Norden war vor diesem Hintergrund nur konse-

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quent. Also: Mit der Anwesenheit des Kardinals latina«: »Wir haben Euch entschuldigt und ihm an der Kurie war nicht nur die Heirats-, sondern alla bella latina geantwortet, dass wir nicht entge- auch die Kirchen- und Pfründenpolitik der genkommen wollen, was uns große Mühe bereitet Gonzaga in den transalpinen Raum ausgerichtet. und er uns verzeihen möge«. Eine wichtige Station in diesem Beziehungsge- Neben Lateinisch ging die Kommunikation flecht blieb der Draht zu Eleonore von Schottland auch auf Deutsch von statten. Auf diese Weise in Innsbruck: »Am besten gehen wir über die schrieb Eleonore von Schottland an Kaiserin und Herzogin, Ehefrau des erwähnten Herzogs Sigis- Marchesa. Sie tauschte sich daneben fließend munds, die für uns ist und uns schon früher ihre französisch aus, z. B. mit ihrer Schwester in der Gunst bewiesen hat«, so Barbara an ihren Sohn Bretagne und anderen Verwandten, ein Druck September 1464. von 1483 schrieb ihr sogar die deutsche Überset- Ähnlich war die Einschätzung weiter nördlich, zung des französischen Romans »Pontus et am Rand der Ostalpen, wo die Kaiserin auf Bar- Sidonia« zu – allerdings sind keine lateinischen bara und Eleonore für ihren Kanzler Hinderbach Schriftstücke erhalten. Auch die Kaiserin schrieb zählte – in gewisser »weiblicher Solidarität«. auf Deutsch an Eleonore von Schottland, in einer So bestand ein Kommunikationskanal über die Sprache, die beide Frauen so gerade beherrsch- Alpen hinweg, ein informelles Netz, das auch Per- ten, also in einer Art »lingua franca« – wie die sönliches zuließ, z. B. tauschten sich die beiden Empfehlung für Hinderbach. Sie war für beide Eleonore über die Schwangerschaft der Kaiserin Frauen praktikabel, vielleicht um eine größere aus. Boten und Gesandte gingen hin und her, Ita- Nähe zur Kommunikationspartnerin zu signali- liener und Deutsche (auch Francesco besaß einen sieren. deutschen Sekretär), beide Sprachen überlappten Bei der Korrespondenz Barbaras hat Christina sich. Vor allem Lateinisch fungierte als »Sprache Antenhofer feinfühlig den differenzierten Ge- der Diplomatie« zwischen den Höfen – neben der brauch je nach diplomatischer Absicht festge- Korrespondenz mit dem Papst –, das Lateinische stellt: Die Marchesa schrieb laufend »in volgare« war »Spezialsprache« der Kurie. So ist wenigstens an die Kinder, gebrauchte aber Deutsch z. B. im ein Schreiben Barbaras an die Kaiserin auf Latein Umgang mit ihrem Schwiegersohn, dem Grafen erhalten, wahrscheinlich durch einen Sekretär von Görz. Alle drei Frauen versuchten also, über verfasst. Es bekundet bei größtem Respekt das die jeweilige Muttersprache hinauszugehen – Unvermögen, dem kaiserlichen Ansinnen einer ein »identitätsstiftendes« Moment, um einen ge- Empfehlung zu entsprechen. Dabei ermöglichte meinsamen Nenner für die politische Kommuni- das Lateinische »einen hohen Grad an Verbind- kation herzustellen. Im Frühjahr 1465 schlug der lichkeit und minimierte das Risiko von Miss - Sekretär Francescos, Wilhelm Molitor (Müller), verständnissen« (Antenhofer). Lateinisch war vor, einen »sollicitator« am Kaiserhof zu bezah- auch eine »Prunksprache«: Beim Bericht an Fran- len, zur Förderung von »favores et amicitia« cesco über die Konrad Hinderbach gewährte unter den anwesenden Adeligen und zur Infor- Audienz in der Angelegenheit seines Bruders cha- mation über wichtige Vorgänge im Reich – eine rakterisiert die Marchesa ihre Antwort »alla bella weitere Figur in der »Frühzeit der europäischen

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Diplomatie«: nach Molitors Meinung sollte dieser schen‹ Kirche: ecclesie quidem Almanie aliter se Informant »alamannus« sein, um »de verbo ad habent quam Ytalie. Die deutschen Bischöfe, so verbum« schriftlich Bericht erstatten zu können. auch in Brixen, besäßen die temporale Gewalt, Zur Sprache kam noch ein Zugehörigkeitsge- damit Jurisdiktion, die durch persönliche Amts- fühl, das an manchen Stellen der Schriftzeugnisse führung ausgeübt werden müsste; sie wären hervortritt. Im Schreiben an die Kaiserin betonte nicht gewöhnt an die Zahlung für »absentiae seu Barbara das »deutsche Blut« ihres Sohnes: ipse pensiones«; falls der Kardinal nicht persönlich quidem cardinalis meus, quamquam pater italicus residierte, würden viele adelige Feudalherren des sit, a teutonico tamen sanguine non degenerat, eine Bischofs ohne persönliches »homagium« kaum suggestive rhetorische Formel mit einer doppel- nach Anweisung eines Stellvertreters ihre Juris- ten Negation; sie erlaubt, den mütterlichen Bei- diktion ausüben – so würden die »superioritates« trag in der Geschlechtsdefinition in Geltung zu ausgehöhlt werden; auch wäre »in Almania« bringen – möglicherweise eine Reaktion auf die Gewohnheit, dass der Adel beim Besuch der Betonung der »qualità teutonica« für Hinderbach bischöflichen Kurien und Städte mit allen Ehren im kaiserlichen Schreiben (das nicht erhalten ist). empfangen, seine Nachkommenschaft dort erzo- Offensichtlich lag die Thematik in der Luft: Als gen und damit die Bischofswürde erhöht würde – ein Jahr später die Neubesetzung in Trient an- bei gleichzeitigem Schutz der Kirchen gegen stand, sollte Paul II. Hinderbach mit der Begrün- Raub und Gefahren: Diese Verpflichtungen dung Schwierigkeiten machen, dass ein »italicus« könnte Francesco bei Abwesenheit nicht erfüllen. erwünscht sei. Schließlich hätte die »Landschaft« der Grafschaft Vor allem das Kapitel in Brixen nutzte das Tirol beschlossen, Francesco abzulehnen, und Sprach- und Herkunftsargument in Hinblick da - es wäre »höchst gefährlich und schwerwiegend«, rauf, dass diese Vorgaben für Visitationen und die einen Bischof zu erheben, qui populo gratus non Reform von Klöstern und Pfarreien unerlässlich foret. Der Papst möge bedenken, welche Gefahr seien. Francesco wäre des Deutschen nicht ausrei- entstehen könnte, falls er gegen den Willen des chend mächtig und könnte so beiden Aufgaben Vogts (= Sigismund) und der Tiroler »Land- nicht voll nachkommen – damit spielte das Kapi- schaft« einen Bischof ernennen würde exterum tel ganz diskret auf die »regulae cancel lariae« an, alterius nacionis et lingue; daraus könnten unvor- wonach Bischof und Pfarrer als Hirten die Spra- hersehbare Übel entstehen. che ihrer »Schäfchen« beherrschen sollten. In Die Einzelpunkte in dieser »Verteidigung« des einem weiteren Schreiben an den Hl. Stuhl be- Brixener Kapitels sind mit einer offensichtlichen kräftigten die Kapitulare, dass der Gonzaga mores polemischen Zuspitzung formuliert: Das Problem patriae et linguagium nicht kenne und so seine war eher ein politisches. Zur Lösung wurden die Erhebung incauta et periculosa sein würde. verschiedensten Argumente herangezogen, Verständigungsprobleme zwischen Vorstehern wie lokale Abweichungen und die Absenz des und Gläubigen waren nach der Argumentation Kandidaten; aus ihnen lässt sich ein Kern der Brixener nur ein Element der unterschiedli- zur Ablehnung eines »landfremden« Geistlichen chen Strukturen der ›deutschen‹ und ›italieni- erkennen und damit werden einige »markers«

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von Identität – mores patrie et linguagium – be- war nach Selbsteinschätzung ein »Ultramonta- rührt, die in der neueren Forschung aber kritisch nus«, zumindest in der Liturgie, bestimmt durch diskutiert werden. Textvorlagen wie der böhmischen »Laus Marie« – Das Phänomen des »landfremden« Klerus ist als Bischof »importierte« er sie nach Trient und eng mit dem der Mobilität verbunden, bisher ließ sie in optima litera et forma abschreiben, aber nur im Ansatz unter dem Aspekt des Kultur- zu seinem persönlichen und zum allgemeinen transfers analysiert worden. Am Beginn stand Gebrauch der Kathedralkirche. Auch seine beiden der kuriale Zentralismus, der bei Dispenz- und Amtsvorgänger wollten in der Diözese den Kult Aspektanzgesuchen nach Rom führte, dazu ihrer »Heimatpatrone« einführen. Alexander von kamen noch Karriere- und Benefizienambitio- Masowien (1423 – 44) ließ auf einer Synode die nen, die Entstehung von Klientelnetzwerken und Verehrung der Heiligen Adalbert und Stanislaus die Zunahme der Klerikerbildung an den Univer- verfügen, während der Schlesier Georg Hack sitäten. Ein herausragender Beleg für Mobilität (1445 – 65) auf eine Vita der hl. Hedwig hin die auf unterem Niveau – Vikare, Kapläne, Koadju - Feier ihres Festes und den Gesang ihres Offiziums toren, Lohnpriester – im hier behandelten geo- anordnete: Beide Bischöfe brachten so nicht nur graphischen Raum geht auf eine Initiative von ihre »familiares«, Priester und Laien, mit nach Hinderbach selbst zurück: Er ließ 1478 eine Trient – bei Alexander führte das zum Protest der Zählung von Mönchen und »Fremdpriestern« in Einheimischen –, sondern auch ihre »eigenen« der Diözese Trient durchführen, eine Art Na- Heiligen; so auch Hinderbach: Er liess nicht nur mensregister zur Überprüfung, vergleichbar mit die »officia« der Patrone seiner beiden Vorgänger den »Libri di presentazione dei forestieri« des in einen Codex zusammen transkribieren, son- »Ufficio delle bollette« in Bologna aus der ersten dern fügte noch die Vita der hl. Elisabeth hinzu. Hälfte des Quattrocento. Hinderbachs Register ist Die Hassie principissa war für ihn eine compa- bis 1493 fortgeschrieben und verzeichnet über triota – vielleicht eine Reaktion auf das Gefühl 700 Priester und Mönche, die in der Diözese der »Entortung«, des »De-plazierens«, mit der Trient ihren Dienst versehen wollten, mit Namen Rückgriffsmöglichkeit auf vertraute, »identitäts- und Überprüfung ihrer Zeugnisse zur Idoneität. stiftende« Frömmigkeitselemente, gleichzeitig ein Bei einigen Schwankungen der Registrierungsart Zeichen produktiver Dynamik der »kulturellen werden die Herkunft, der Kirchenort für die Differenz«. Seelsorge und die Art der Zulassungszeugnisse Schon im 14. Jahrhundert speisten Anwesenheit (Dimissorien, Kommendatizien, Testimonialen und Tätigkeit der Trienter Bischöfe als »go- und Formate) notiert. So lässt sich quasi in Serie betweens« diese Dynamik: Heinrich von Metz, das Phänomen des nicht-heimischen Klerus in Kanzler Heinrichs VII., und die Böhmen Niko- Trient verfolgen, also eine Möglichkeit, »Kultur- laus von Brünn und Georg von Liechtenstein transfer« an der Basis zu untersuchen. waren Vorreiter für kulturelle Begegnungen. Als Wie viele Geistliche seiner Diözese stammte »kontextuelle Benutzer kultureller Repertoires« Hinderbach nicht aus Trient: Er hatte seine pries - beteiligten sich die transalpinen Bischöfe an den terliche Praxis in der Diözese Passau angetreten, komplexen Prozessen der Übertragung und An-

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eignung, De- und Rekontextualisierung von anime che sono tanto longique de diverso idioma, Praktiken; es genügt der Hinweis auf den wohingegen in Mantua seria el governo più facile programmatischen Freskenzyklus im Torre tra persone cognite. Die kulturelle Differenz als dell’ Aquila des Trienter Kastells, den Georg von vermeintliches Gefühl der Entortung und des Lichtenstein bei einem böhmischen Maler in »Un-heimlichen« rechtfertigte so seine Begehr- Auftrag gab und der in seiner Monumentalität zu lichkeit auf das Bistum Mantua: Die Begegnung den berühmtesten Beispielen internationaler mit dem Unbekannten, wie Barbara und den bei- Gotik zählt. den Eleonore wiederfahren (sowie auch Hinder- Gerade an dieser Nahtstelle zwischen Italien bach und seinen Priestern), erforderte »animo« – und Deutschland (in sul confine d’Italia et Ala - so Francesco, also Mut und Standfestigkeit: magna) hatten sich die Gonzaga eingerichtet, Eigenschaften, die Hinderbach Barbara zugestan- mit der Rangerhöhung zu Markgrafen durch den hatte, und die »Kulturtransfer« überhaupt Sigismund von Luxemburg auf seinem Romzug erst wirklich ermöglichen. 1432/3, der Integration in den europäischen Hochadel, mit Barbara von Hohenzollern als Ver- bindung nach Norden und Osten, als einer der Bezugspunkte in der »Verdichtung« des Reiches. Literatur: Dabei konnte sich lokaler Widerstand formieren, Antenhofer, Briefe; Chambers, Mantua and Trent; wie der Vorgang um Brixen veranschaulicht – Chambers, A Renaissance cardinal; Köfler/ ecclesie quidem Almanie aliter se habent quam Caramelle, Die beiden Frauen; Piccolrovazzi, Ytalie – und der Gesamtkomplex der »markers« La contrastata; Rando, Dai margini; Rando, von Identität zeigt: mores, nacio, lingua. Diese Religiosi; Rasmo, Documenti mantovani; Se- Schwierigkeiten wurden durchaus wahrgenom- veridt, Familie und Politik; Spieß, Medien der men: 1466 nahm Francesco Gonzaga gegenüber Kommunikation; Zey/Märtl, Aus der Frühzeit dem Vater das Verdienst in Anspruch, sich schon in Brixen gekümmert haben zu wollen, um quelle (Übersetzung: Dr. Wolfgang Decker)

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CHRISTINA ANTENHOFER Eine Familie organisiert sich: Familien- und Hofstrukturen der Gonzaga im 15. Jahrhundert

Am 1. Mai 1487 schrieb Barbara Gonzaga einen Deutlich spricht aus diesen Zeilen eine Frau, Brief an ihre Schwester Paola, in dem sie aus- die wie ihre Schwester offensichtlich kein leichtes führte, dass die Behandlung, die man Paola Los in ihrer Ehe hatte, unter der Ägide eines angedeihen lasse, sie mit Kummer erfülle und strengen Ehemannes stand und sich in ihren Frei- dem Wunsch, Partei für Paola zu ergreifen heiten stark eingeschränkt sah. Sowohl Barbara (s. u. S. 340 f.). Bedenkend, dass sie eine Frau sei, als auch Paola teilten das Schicksal »unglücklich« der es nicht anders ergehe, sie sich selbst jedoch bzw. nicht »erfolgreich« verheiratet gewesen nicht helfen könne, wünschte sie dennoch, Paola zu sein, da beide keine (überlebenden) Erben ge- zu unterstützen. Deshalb habe sie an ihre Brüder bären konnten, ein Problem für Frauen – noch geschrieben, und diese an die Schande erinnert, dazu, wenn diese über eine große Entfernung die aus der Erduldung einer so schlechten Be- verheiratet worden waren. Darüber hinaus hatten handlung der Schwester erwachse. Sie sei nun beide Frauen, die vom italienischen Renaissance- guter Hoffnung, dass die Brüder Paola helfen hof der Gonzaga in Mantua an den Württember- werden. Auch habe sie ihren Gatten gebeten, er ger bzw. Görzer Hof heirateten, Schwierigkeiten, möge ihr erlauben, Paola zu besuchen. Dieser sich in ihrer neuen Umgebung einzugewöhnen, habe ihr jedoch auf eine Art und Weise geantwor- obwohl ihre Gatten sie in der Anfangsphase sehr tet, wie sie es gar nicht wage, Paola zu schreiben. umsorgten. Sie litten an Heimweh und speziell Wenn sie nach ihrem eigenen Willen entscheiden Barbarina klagte über den Usus, dass das Frauen- könnte, so würde sie keinen größeren Trost fin- zimmer ab einer gewissen Uhrzeit abgesperrt den, als zu ihr zu kommen, um ihre Pflicht Paola wurde, eine Situation, die Barbara von den italie- gegenüber zu erfüllen. So empfehle sie nun Paola, nischen Höfen nicht kannte. sie solle guten Mutes sein und ihre Hoffnung auf Wenn nun mittlerweile auch die Forschung er- den barmherzigen Gott setzen. Er sei derjenige, wiesen hat, dass die frühe Phase der Verheiratung der ihr helfen könne, wenn sie ihn aus gutem für Frauen immer mit großen Schwierigkeiten Herzen anrufe. der Loslösung von ihrer heimatlichen Familie

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verbunden war, so fallen doch gerade für die dass es an den italienischen Höfen nicht zu einer deutsch-italienischen Hochzeiten die Klagen derart rigiden architektonischen Separierung von der Italienerinnen auf, die sich an ihren neuen Männer- und Frauenräumen gekommen war wie deutschen Höfen eingesperrt fühlten bzw. über an den deutschen Höfen, wo sich die Struktur des Langeweile und fehlende Kurzweil klagten. Frauenzimmers, der Kemenate, herausbildete. Dieses Szenario vor Augen, möchte ich die Im Folgenden möchte ich diese Entwicklungs - These aufstellen, dass die italienischen Fürstin- linien anhand der Familien- und Hofstrukturen nen größere Freiheiten und auch größere politi- der Gonzaga im 15. Jahrhundert nachzeichnen, sche Handlungssphären inne hatten als die deut- wohl wissend, dass wir immer noch erst am Be- schen. Der Hauptgrund für die hervorgehobene ginn einer Erforschung der Handlungs-, Lebens- Rolle der Frauen in den italienischen Fürsten - und Wohnräume von Frauen in der Renaissance familien ist wohl insbesondere darin zu sehen, stehen. Am Beispiel der Barbarina Gonzaga und dass die (ober)italienischen Fürsten erst im Lauf ihres familiären Hintergrundes taste ich einen des 14. bis 16. Jahrhunderts zu bedeutenden Horizont ab und stelle Hypothesen zur Diskus- Adelsgeschlechtern aufstiegen; ihr Prestige und sion, die die grundsätzlich unterschiedlichen ihren Aufstieg in den europäischen Hochadel ver- Handlungsräume von Frauen nördlich und süd- dankten sie zu einem wesentlichen Teil den fürst- lich der Alpen verdeutlichen. lichen Frauen, die sie heirateten und die den auf- steigenden Signori beachtliches Prestige brachten. Dies wird gestützt durch die Beobachtung, die Die Gonzaga von Mantua: jüngst David Sabean u. a. überzeugend darlegte: Eine Familie organisiert sich Erst an der Schwelle zur Neuzeit kam es zu einer immer stärkeren dynastischen Verdichtung; in Die Gonzaga, ursprünglich Corradi genannt, dem Maße, wie sich das europäische Adelssystem waren ein adeliges Geschlecht mit ländlichen und entsprechend die Heiratskreise stabilisierten, Wurzeln jedoch ungewisser Herkunft; um ihren verfestigte sich erst das patriarchale Familien - adeligen Charakter nach außen zu dokumen - modell. Frauen wurden nun erst ebenso wie tieren, benannten sie sich schließlich nach dem nachgeborene Söhne stark in ihrer Bedeutung kleinen Ort Gonzaga in der Nähe von Mantua. und in ihren Handlungsspielräumen zurückge- Im 13. Jahrhundert stiegen die Buonacolsi zu drängt, während sich die dynastische Macht zuse- Herren der Stadt Mantua auf. Die Gonzaga hends auf den Familienpatriarch konzentrierte. dienten nunmehr als ihre Vasallen, ehe völlig Ein weiterer Grund für die prominente Rolle überraschend 1328 Luigi I. Gonzaga, unterstützt der Frauen südlich der Alpen ist darin zu sehen, von seinen drei Söhnen, putschte und die Herr- dass die italienischen Adeligen in einem städti- schaft an sich riss. Damit begann die ununterbro- schen Kontext angesiedelt waren, wo Frauen und chene Herrschaft der Gonzaga über Mantua, die Männer vielfach arbeitsteilig interagierten. Diese bis 1627 andauerte, um dann von der Seitenlinie stärkere Vernetzung weiblicher und männlicher der Gonzaga-Nevers noch bis 1708 ausgeübt zu Handlungsräume zeigt sich nicht zuletzt darin, werden.

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Die erste Phase der Regierung der Gonzaga war Folgen dieses Vater-Sohn Konflikts genannt: Zum von schweren internen Gewaltsamkeiten geprägt, einen die Tatsache, dass fortan der zweitgeborene wie sie typisch für diese italienischen fürstlichen Sohn stets für eine geistliche Karriere bestimmt Familien des 14. und auch noch des 15. Jahrhun- wurde (dies ist jedoch ein Phänomen, das ganz derts waren. Filippino verstarb früh, Feltrino allgemein in dieser Zeit zu beobachten und nicht scherte aus dem gemeinsamen Regiment aus und typisch für die Gonzaga ist); zum anderen der versuchte eine eigene Signoria in Reggio zu eta- Sonderfall der Erbteilung unter den Brüdern von blieren, was ihm jedoch letztlich nicht gelang. Barbarina: Bei Ludovicos Tod 1478 wurde das 1362 ermordeten schließlich zwei von Guidos Territorium zwischen allen Brüdern geteilt; die Söhnen ihren Bruder Ugolino. 1368/89 starben Seitenlinie der Gonzaga von Sabbioneta und Guido und sein zweiter Sohn Francesco unter un- Bozzolo sowie jene der Gonzaga von Castiglione klaren Umständen, sodass nunmehr Ludovico II. delle Stiviere gehen auf diese Erbteilung zurück. (1369 – 82) als alleiniger Herrscher der Stadt Diese an sich bereits ungewöhnliche Herrschafts- übrig geblieben war. Ab dieser Zeit sollte es keine teilung wird noch dadurch interessanter, dass gemeinsame Form der Regierung mehr geben, sie ohne Testament erfolgte. Ludovicos Witwe, was wiederum zu Spannungen zwischen den Barbara von Brandenburg, hatte verkündet, dass ältesten Söhnen führte. Es gelang ihnen, die Herr- dies Ludovicos Wille gewesen sei und sie diesen schaft weiter zu vererben, ein nicht unwesent - mündlich vernommen habe. Dass die Herr- licher Schritt hin zur Entwicklung Mantuas zu schaftsteilung allein auf diese Aussage Barbaras einem eigenen Fürstentum, allerdings fehlte gestützt wurde, zeigt unzweifelhaft die bedeu- ihnen noch die Erhebung in den Reichsfürsten- tende Rolle auf, die Barbara im Inneren der stand, um ihrer Herrschaft auch den entspre- Gonzaga-Familie eingenommen hatte und die chenden Glanz eines Fürstentitels zu verleihen. sich an vielen anderen Beispielen ablesen lässt. Wie allgemein bekannt, gelang dies in der Dies war die letzte Erbteilung in der Gonzaga Generation von Ludovicos Enkel Gianfrancesco Hauptlinie – fortan erbte nur mehr der erstge - (1407 – 44), der 1433 in den Stand eines Mark - borene Bruder, während die nachgeborenen sich grafen erhoben wurde anlässlich der Verlobung mit condotte, der Führung militärischer Aufge- seines Sohnes Ludovico (III.) I. (1444 –1478) mit bote, ihren Unterhalt verdienen mussten und von Barbara von Brandenburg. Dass die Spannungen ihrem amtierenden Bruder nur finanziell unter- in der Gonzaga-Familie um die Herrschaft damit stützt wurden. Es bietet sich an dieser Stelle an jedoch nicht gelöst waren, zeigt sich in dem Kon- darüber nachzudenken, ob ein anderer Erbstreit flikt, der zwischen Ludovico und seinem Vater diese Neuordnung der Erbangelegenheiten im Gianfrancesco entbrannte. Der Konflikt brach Haus Gonzaga mit bedingt haben mag, jener um 1436 offen aus, als Ludovico sich als condottiere Paolas und Barbarinas Erbe. Die Töchter mussten für Mailand verdingte, während sein Vater für bei ihrer Verheiratung einen Erbverzicht leisten Venedig kämpfte. 1440 söhnten sich Ludovico und erhielten stattdessen ihren Erbanteil als und sein Vater wiederum aus. In der Forschung Mitgift und Brautschatz ausbezahlt. Im Fall von werden gängiger Weise zwei weit reichende Paola wurde die Mitgift nie zur Gänze aus gezahlt;

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nach ihrem Tod belangte Antonia del Balzo, die eine Erneuerung der Belehnung mit dem Reichs- Witwe von Paolas Bruder Gianfrancesco, der von vikariat für alle Gonzaga-Brüder zu erhalten. Die der kinderlosen Paola als Erbe eingesetzt worden Bindungen an das Reich wurden dabei gleichzei- war, den nunmehr amtierenden Markgrafen tig durch eine Doppelhochzeit gefestigt: Filippino Francesco, Paolas und Barbarinas Neffen, sowohl selbst ehelichte in zweiter Ehe Varena (Verena) das nicht ausbezahlte Geld von Paolas Mitgift Gräfin von Habsburg-Laufenburg, eine Tochter als auch die Güter des Brautschatzes der beiden Johanns II. und der Verena von Neufchâtel, Gonzagatöchter, die mangels Erben nun an die während ihr Onkel, Rudolf IV., Filippinos zweite Herkunftsfamilie fallen mussten, unter den noch Tochter Elisabetta heiratete. Die nächste gon - lebenden Brüdern und deren Erben aufzuteilen. zagisch-habsburgische Hochzeit sollte danach Antonia argumentierte, dass diese nicht zum erst wieder im 16. Jahrhundert stattfinden, dann Erbe des amtierenden Markgrafen alleine gehör- allerdings mit einer ins Auge stechenden Regel- ten, sondern allen männlichen Brüdern zustan- mäßigkeit. den – so wie es die Herrschafts teilung von 1478 Während diese Eheschließung im Zusammen- vorgesehen hatte. Nach einer langen Auseinan- hang mit der Legitimierung der usurpierten dersetzung, in die sich vermittelnd Herzog Al- Herrschaftsposition durch den Kaiser und damit brecht IV. von Bayern-München einschaltete, zugleich auch dem Versuch einer Nobilitierung wurde in einem Instrument vom 22. Februar 1503 über Blutsverwandtschaft mit dem Reichsadel zu festgelegt, dass Paolas und Barbaras Erbe inklu- sehen ist, folgten die anderen Gonzaga-Ehen die- sive Brautschatz, Mitgift und Morgengabe unter ses ersten Jahrhunderts der Gonzaga-Herrschaft allen Brüdern und deren Erben aufzuteilen sei. anderen Prinzipien, nämlich jenen, sich mit den angrenzenden italienischen signorilen Geschlech- tern zu verbinden. Auch hierin ist ein deutlicher Hochzeitsstrategien im Haus Gonzaga Zweck zu sehen, nämlich die Festigung der Herr- schaft vor Ort durch das Schaffen von lokalen Die Hochzeiten der Gonzaga gliedern sich ein in Bündnispartnern. die Organisation der Familie und stützen deren Nach der erfolgreichen Etablierung der Herr- Interessen und deren Struktur. Es ist besonders schaft in der Stadt und im Mantovano strebten reizvoll, die transalpinen Hochzeiten in den Blick die Gonzaga im fortschreitenden 15. Jahrhundert zu nehmen, doch auch hier macht es Sinn, eine die Erhöhung ihres adeligen Status an – dies ist etwas systematischere Betrachtung der Ehever- der Moment, wo sie mit Barbara von Branden- bindungen vorzunehmen. Die erste transalpine burg eine nächste transalpine Verbindung einge- Hochzeit ist nicht jene von Ludovico und Bar- hen. Barbara wurde ohne Mitgift nach Mantua bara von Brandenburg, wie in der Forschung verheiratet, was den Preis dokumentiert, den die häufig zu lesen ist, sondern vielmehr fand eine Gonzaga für diesen Aufstieg in den Reichsadel erste bereits im 14. Jahrhundert in Form einer zu zahlen bereit waren. Mit Barbara beginnt nun Doppelhochzeit statt: 1354 reiste Filippino, der die Phase einer aktiven Anbindung an die Reichs- zweitgeborene Sohn Luigis I., zu Karl IV., um fürsten, die ihren deutlichsten Niederschlag in

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der Kardinalserhebung ihres Sohnes Francesco Nach dem schmachvollen Scheitern des Ehepro- fand, anlässlich derer sie dezidiert mit ihrer deut- jekts kam eine weitere Eheanbindung der beiden schen Abstammung argumentierte: Ipse quidam Häuser nicht mehr in Frage. cardinalis meus, quamquam pater italicus sit, a Zudem oblagen Eheschließungen und Vermitt- teutonico sanguine non degenerat. (»Auch wenn lungen den Frauen der Familie. Neben den aus sein Vater italienisch ist, so weicht doch dieser heutiger Sicht postulierten »nationalen« politi- mein Kardinal nicht vom deutschen Blut ab«, schen Gründen sind es also wohl familiäre Netz- nach Severidt, S. 41.) werke, die sich zuallererst in den Eheschließun- Ein weiterer konkreter Einflussbereich war der gen abbilden. Die transalpinen Eheschließungen Ausbau und die Festigung der Kontakte ins Reich der Gonzaga des 15. Jahrhunderts gingen darüber durch weitere Eheschließungen. Um diese Pro- hinaus auf Netzwerke und Vermittlungen der jekte beurteilen zu können, ist es allerdings wich- »deutschen« Gonzaga-Ehefrauen zurück, Barbara tig, auch die gescheiterten Eheprojekte sowie die von Brandenburg und Margarete von Wittels- nur angedachten in den Blick zu nehmen. Wie bach. Dies führte zu drei Ehen, die die Gonzaga Severidt in ihrer Untersuchung zu den Eheschlie- mit fürstlichen Familien des Reichs eingingen: ßungen der Gonzaga festhielt, wurde in einem 1463 ehelichte Federico Margarete von Bayern- Gespräch von Barbaras Onkel Albrecht Achilles München, 1474 heirateten Barbarina und Eber- mit Tristano, einem der Hauptgesandten der hard im Bart von Württemberg, 1476 wurde der Mantuaner in »deutschen« Angelegenheiten, Hochzeitsvertrag von Paola und Leonhard von Ende 1459 bereits das gesamte deutsche Heirats- Görz unterzeichnet (Abb.1). Die letzten beiden karussell in den Blick genommen, das für die Ehen wurden durch Margarete während eines Gonzaga in Frage kam. Wenngleich somit klar Besuches in München 1473 arrangiert. war, dass die Gonzaga dieser Generation nun Die Brüchigkeit dieser Verbindungen ins Reich direkt Ehen mit Familien des Reichs eingingen, manifestiert sich nicht zuletzt darin, dass in den so muss dies jedoch unter zwei Gesichtspunkten folgenden Generationen keine solche Verbindung eine Differenzierung erfahren. mehr geknüpft wurde. Die nächste transalpine Zunächst war bereits 1450 ein Eheabkommen Ehe der Gonzaga mit einer Reichsfürstin wurde der Gonzaga mit den Sforza für ihre erstgeborene erst wieder 1549 zelebriert, als Francesco Gon- Tochter Susanna abgeschlossen worden. Wegen zaga Katharina von Habsburg heiratete. Diese körperlicher Deformierung der Braut ging das Eheschließung kann man in die Reihe jener Hei- Eheabkommen zunächst an die zweite Tochter raten stellen, die die Gonzaga mit Reichsfürsten Dorotea über, wurde schließlich gelöst und im Zuge von Titelerhöhungen oder -bestätigun- endete definitiv mit dem frühen Tod der Braut. gen eingegangen waren: Varena von Habsburg Was hier interessiert, ist die Tatsache, dass die besiegelte die Stellung der Gonzaga als Reichs - Gonzaga in erster Linie ihre Beziehung zu ihrem vikare; Barbara von Brandenburg verhalf ihnen mächtigsten Nachbarn sichern wollten, den zum Markgrafentitel und Katharina von Habs- Sforza, und diese Eheschließung zunächst oberste burg besiegelte den Aufstieg der Gonzaga zu Priorität in der Familienplanung gehabt hatte. Herzögen und die Bindung an das Kaiserhaus:

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hierin ein Grund für die schlechte Behandlung und unglücklichen Ehen von Barbarina und Paola gesehen werden. Die Verhandlungen um die Eheschließung Barbarinas mit Eberhard zogen sich über sechs Jahre hin; Paola musste nach Unterzeichnung des Hochzeitsvertrags mit Leonhard von Görz noch ganze zwei Jahre warten, ehe der Graf sie zu sich holte und die Hochzeit vollzog. Die Grafen von Görz hatten bereits 1461 um eine Gonzaga-Tochter geworben, waren jedoch abgelehnt worden, und es stellte wohl letztlich eher eine Notlösung dar, dass man Paola mit dem nicht sonderlich begehrenswerten Graf Leonhard verheiratete. Nach den vielen Verzögerungen um die Verehelichung von Barbarina wurde die Eheschließung mit Eberhard im Bart letztlich als Glücksgriff bezeichnet, wie aus einem Brief Kardinal Francescos Gonzaga an seine Mutter Barbara von Brandenburg hervorgeht. Deutlich wird aus diesem Brief die Sorge um die Verhei- ratung der Paola, die nicht so schön sei wie ihre Schwester Barbarina, ebenso wie ein leiser 1 Paola Gonzaga auf dem Wandbild von Andrea Mantegna | Anklang, dass man sich für die schöne Barbara in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua (um 1474) eigentlich eine prestigeträchtigere Hochzeit erhofft hatte (ASMn AG b. 845 c. 230).

Diese »deutschen« Ehen dokumentieren somit die Orientierung der Gonzaga am Kaiser, am Der Hof der Gonzaga Reich und ihren Aufstieg in den Reichsfürsten- stand. Ähnlich weitläufig wie die Gemächer des Palazzo Dass die Gonzaga des 15. Jahrhunderts noch Ducale in Mantua war auch der Personalbestand nicht als ebenbürtige Reichsfürsten angesehen des Hofes: weniger als von einem »Hof« muss wurden, verdeutlichen nicht zuletzt die Schwie- man von einer Vielzahl von Höfen sprechen bzw. rigkeiten und Verzögerungen bei der Verheira- von »la corte e le corti« (Guerzoni). Der Vergleich tung ihrer Töchter. Nachdem das Prestige und die mit dem, was im deutschsprachigen Raum als Stellung der Gattin wesentlich von der Stellung »Hof« angesehen wird – ein Gebilde an Personen, ihrer Herkunftsfamilie abhingen, mag auch kreisend um die zentralen Hofämter, das im

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Wesentlichen aus der Reiseherrschaft resultiert zaga des 15. Jahrhunderts nachzeichnet, zeigt sich und sich erst im späten Mittelalter dauerhaft nie- darin, dass Inhaber der öffentlichen Ämter durch derlässt und zu einer Raumstruktur verdichtet – öffentliche Patente ernannt und nach einem fe- ist nur bedingt zu ziehen. sten Gehaltsschema entlohnt wurden, während Südlich der Alpen ist die räumliche Struktur in die cortigiani allein durch Fürst und Fürstin be- der Form des Familienpalazzo der adeligen corte stimmt wurden und keine regelmäßige Bezahlung vorgeordnet, diese entwickelt sich geradezu aus erhielten. dem städtischen Haushalt, den die Familien zu- Der Hof war somit von Anfang an kein homo- nächst als Patrizier unterhielten. In dem Maße, genes Gebilde. Er setzte sich aus einer Vielzahl wie sie zu Herrschern über die Stadt aufstiegen, von Personen zusammen, die in sehr unter- explodierte der Hof und integrierte auch politi- schiedlichem Maße an Fürst und Fürstin gebun- sche Ämter. Dennoch umfassen die Begriffe, wel- den waren. Ihre Behandlung hing stark von che im Italienischen für den »Hof« zur Verfügung persönlichen Bindungen ab. Im engeren Sinn als stehen – corte, seguito, familia – eher Personen, Hof zu betrachten und zu analysieren sind jene die dauerhaft durch ein Dienstverhältnis mit Individuen, die das ganze Jahr über ausschließ- einem Prinzen, einem Signore verbunden waren. lich für den Hof tätig waren, dort wohnten und Dieser an die Person und Familie der Fürsten für ihre Dienste bezahlt wurden. Mit Lazzarini gebundene Hof, stülpte sich – wie gerade das Bei- kann man zusätzlich einschränken, dass es jene spiel Mantua aufzeigt, wo das Herrschaftsgebiet Personen waren, die nicht durch öffentliche eine einzige Stadt umfasste – über die städtischen Patente ernannt wurden. Strukturen, die allmählich zu Verwaltungsstruk- Auffällig ist im System der Gonzaga besonders turen des Fürstentums umgeformt wurden. Hof- das enge Verhältnis, das sich zwischen den Signori und Stadtämter lassen sich nicht sauber trennen, und Teilen des Hofes entwickelte. Der Hof in vielmehr ergeben sich unklare Zwischenbereiche. Mantua nahm seine Anfänge mit einem System Lazzarini versucht das Problem insofern zu lösen, von ein- und absetzbaren Dienern, die sich als sie zwischen offiziellen Ämtern (officia) als aus lokalen Mantuaner Familien aber auch aus Extremposition auf der einen und reinen Hof - »Fremden« rekrutierten (wobei die Fremde ämtern (cortigiani) auf der anderen Seite diffe- bereits in der Nachbarstadt begann). Mit der renziert. Dazwischen siedelt sie die vermischten Machtzunahme der Gonzaga änderte sich das Strukturen an, etwa die Kanzlei. Bereits dieses System jedoch und begann Strukturen anzuneh- Beispiel verdeutlicht die eklatanten Unterschiede men, wie sie an den Höfen des Reichsadels zum Begriff der »Hofstrukturen«, der nördlich herrschten: Insbesondere im Bereich der Kanzlei der Alpen gilt, wo die einstigen Hofämter des gelang es verschiedenen Mantuaner Familien, Truchsess’, Marschalls, Kanzlers und Kämmerers sich dermaßen in die Gunst der Fürsten einzu - sich zu reinen politischen und Ehrenämtern arbeiten, dass sie allmählich zu festen Rekrutie- weiterentwickelt hatten. Die Scheidung zwischen rungskreisen für Hofbedienstete wurden. Die an öffentlichen politischen Ämtern und fürstlichen und für sich völlig freien Ämter am Hofe began- Hofämtern, die Lazzarini für den Hof der Gon- nen allmählich innerhalb bestimmter Familien

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weitervererbt zu werden. Die Verfügungsgewalt definiert als Raum der Frau. Das Wort Zimmer über die Besetzung der Ämter lag gänzlich in ist irre führend, da es sich in der Regel nicht um den Händen des Marchese und der Marchesana. einen Raum, sondern um eine Raumfolge im Es hing von den einzelnen Persönlichkeiten ab, Sinne eines »Appartements« handelte. Die enge wie sehr sie sich um eine unparteiische Haltung Verquickung von Raum und Person zeigt sich bemühten. Zusehends empfanden die Städter die wieder darin, dass Frauenzimmer bald zur meto - Besetzung der Ämter (im Vergleich zu den alten nymischen Bezeichnung auf die Frauen im Sinne Usancen der Comune) als Willkürakt, da die des Frauenhofstaates übertragen wurde und Ämter nicht mehr zwischen den führenden Fami- schließlich allgemein edle Frauen meinte. lien kreisten, wie dies noch in der kommunalen Es lässt sich zunächst festhalten, dass im deut- Verwaltung der Fall gewesen war. schen Sprachgebrauch zwei im Wesentlichen So wie sich das Castello San Giorgio als Nukleus architektonische Begriffe zur Bezeichnung des des Familiensitzes vom Palazzo Ducale abhebt, weiblichen Hofes herangezogen wurden. Die Ver- so stellt der Hof im engsten Sinn, als Domus von festigung, wie sie beim Frauenzimmer erfolgte, Fürst und Fürstin, eine Welt für sich dar. Seit war eine derart radikale, dass sie zu einer völligen Anfang des Quattrocento hatten sich eigene Höfe Erstarrung führte: Der um die Fürstin gruppierte jeweils um Marchese und Marchesana gebildet. Personenverband wurde in abgesonderte Bereiche Beide lebten in getrennten Raumbereichen des des Palastes zurückgedrängt und schließlich vom Hofes und führten weitgehend ein autonomes Resthof regelrecht weggesperrt. Mitunter werden Leben. Vielfach äußerte sich dies auch in ihrem in der Forschung Parallelen zur Haremsorgani - verstreuten Aufenthalt im Mantovano, wo sie sation gezogen: Die Frauen wurden in die Räume jeweils ihre bevorzugten Residenzen hatten. des Frauenzimmers zurückgedrängt, die Räume Bei aller Verlockung, hier eine Parallele zur waren verschlossen und nur zu bestimmten Organisation der weiblichen Sphäre an den deut- Besuchszeiten tagsüber zugänglich. Beinahe klos - schen Höfen sehen zu wollen, sind doch die terartig scheint das Leben der Hofdamen, das Unterschiede herauszustreichen. Die Trennung zudem durch strenge Ordnungen geregelt war. eines weiblichen und eines männlichen Hofes Nicht zu vergessen ist, dass diese Separierung und führte an den italienischen Palazzi nicht zur Aus- Abschottung der Frauen an den deutschen Höfen bildung einer eigenen Raumstruktur, wie sie sich im Übrigen eine relativ späte Erscheinung dar- im deutschsprachigen Bereich durch die Prägung stellt, die erst mit der Sesshaftwerdung des Hofes eigener Begriffe abzeichnete: Frauenzimmer und zu dokumentieren ist, eine Entwicklung des Kemenate. Beide Begriffe bezeichneten ursprüng- 15. Jahrhunderts. lich Räumlichkeiten. Die Kemenate meinte Das italienische Pendant zum Frauenzimmer zunächst allgemein einen beheizbaren Raum, war die Corte Femminile, die jedoch weniger der dann in der Folge als herrschaftlicher Raum eine separierte Sonderstruktur innerhalb eines konnotiert und schließlich auf den Raum bzw. männlich geprägten Hofs darstellt als vielmehr die Räume der Frauen bezogen wurde. Das eine Parallelstruktur zum Pendant der Corte Frauenzimmer war demgegenüber schon klar Maschile. Leon Battista Alberti, der berühmte

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Renaissancearchitekt, empfahl 1452 in seinem wie prunkvoll dieser ausgestattet war, wie viel Architekturtraktat »De Re Aedificatoria« eine Personal man sich leisten konnte. Dabei gilt es er- Trennung von weiblichen und männlichen neut zu unterstreichen, dass das Hofpersonal kein Schlafräumen aus folgenden »praktischen« statisches Gebilde, sondern ein vielschichtiges Gründen: Organ war, in dem Personen in sehr unterschied- lichen Verhältnissen von den Fürsten abhingen. »Mann und Gattin brauchen jeder ein getrenn- Wie viele dieser Ämter besetzt waren, hing vom tes Schlafzimmer, und zwar nicht nur deshalb, Status der Fürstin und den finanziellen Ressour- damit die Frau beim Gebären oder sonstigen cen des Hofes ab. Übelbefinden dem Manne nicht lästig sei, Zu wichtigen Anlässen traten Marchese und sondern man wird auch im Sommer nach Marchesana sowie ihre jeweiligen Höfe gemein- Belieben ungestörter schlafen können. Jedes sam auf, im Großteil aber agierten sie getrennt. Gemach wird seine Tür haben und außerdem Der Hof war somit in ständiger Bewegung, war wird auch noch ein gemeinsames Hintertür- kein statisches, sondern tatsächlich ein äußerst chen vorhanden sein, durch das sie sich gegen- mobiles Gebilde, schwer fassbar, dauernd neue seitig ohne Zeugen besuchen können. An das Formen annehmend, sich teils verdichtend, teils Zimmer der Frau wird man den Ankleideraum, an den Rändern ausfransend. an das des Mannes die Bibliothek anschließen.« Neben diesen beiden Haupthöfen bildeten (Alberti nach Kress, S. 91) sich oft noch weitere Sonderhöfe heraus, so der So lassen sich in den Palazzi im späten Quattro- Prinzenhof: Prinzen und Prinzessinnen wurden cento und zu Beginn des Cinquecento in aller zunächst im Frauenzimmer untergebracht und Regel getrennte Räume für Mann und Frau nach- dort wohl auch erzogen. Schon früh erhielten die vollziehen. Während der Mann in der Regel das Prinzen jedoch eigene Erzieher und mit elf bis Cubiculum oder Hauptschlafzimmer für sich zwölf Jahren auch einen eigenen Hofmeister – beanspruchte, erhielt die Frau die so genannte damit bildeten sie den Nukleus eines eigenen Anticamera zu ihrer Verfügung. Die Erforschung kleinen Hofes, der zusehends mit wachsendem der Höfe als Räume, als Wohn- und Lebensstruk- Alter des Prinzen erweitert wurde. Die Prinzes- turen steht noch an den Anfängen. In erster Linie sinnen waren bis zur Verheiratung in der Corte sind es Inventare, die wertvolle Auskünfte liefern. Femminile integriert, um dann als Bräute einen Zentrale Quellen sind daneben die Hofordnun- eigenen Hof aus »dame e cortigiane mantovani« gen, die im 15. Jahrhundert einsetzten; dabei han- zu erhalten. Ebenso kamen die Bräute der Gon- delt es sich um Auflistungen der Hofämter sowie zaga-Prinzen mit ihrer eigenen Dienerschaft nach der Reglementierungen, denen diese unterworfen Mantua. Es bildeten sich damit »fremde« Enkla- waren. ven auswärtiger Höflinge am Gonzagahof, die Frauen- und Herrenhof waren prinzipiell pa - ihrerseits zum kosmopolitischen Klima beitru- rallel strukturiert, wenngleich der Hof des Fürs - gen. Für Barbarina hat sich eine Liste ihres italie- ten zahlenmäßig besser ausgestattet war. Es hing nischen Gefolges erhalten, das sie nach Württem- von den finanziellen Ressourcen eines Hofes ab, berg begleitete. Einige davon kehrten nach

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Mantua zurück, andere jedoch verblieben am Württemberger Hof. Die Liste gibt einen Einblick in die Zusammenstellung eines weiblichen Segui- tos am Beispiel des Gefolges. Insbesondere lässt sich die Differenzierung einzelner Gruppen nach- zeichnen, die am Original hervorgehoben ist (Vgl. S. 322 ff.). »Fremdlinge« am Hof fanden sich aber nicht nur durch die »Zuheiratung« ausländischer Frauen ein, vielmehr ergab sich die »Internatio- nalisierung« auch durch eine höchst ausgeprägte Spezialisierung innerhalb des Hofes. Da gewisse Berufszweige in manchen Ländern besonders flo- rierten, holte man sich ausländische Spezialisten nach Mantua: Köche aus Frankreich, flämische Maler, Schweizer Uhrmacher, deutsche Falkner, albanische Reiter, spanische Höflinge, hebräische Ärzte … Dieselbe Vielfalt zeigte sich auch bei der regionalen Herkunft der Italiener/innen am Hof – sie deckten alle Regionen Italiens ab. Allein aus diesen Ausführungen ergibt sich bereits der Eindruck der Dimension dieses enormen Hofes. Die Entwicklung ist bezeichnend: Gab es 1385 etwa 196 Höflinge im engeren Sinn, so waren es Anfang 1500 schon über 800 Münder, die vom 2 | Die Zwergin auf dem Wandbild von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua (um 1474) Fürsten abhängig waren. Eine interessante Reflexion der Rolle der Fami- liaren am Hof der Gonzaga ergibt sich aus der Betrachtung des berühmten Freskenzyklus von eine namenlose Zwergin, die den Betrachter in Andrea Mantegna in der Camera degli Sposi. Im das Bild hineinführt, ihn gleichsam einlädt, Teil zentralen Fresco der Nordwand, das den Titel La zu werden dieser familiären Corte (Abb.2). Rich- Corte trägt, finden sich bedeutende Persönlich- tet der Betrachter seinen Blick zur Decke, so wird keiten abgebildet, die Teil dieser Familia sind: ein sein Blick von anderen Höflingen aufgenommen, Sekretär, der vielfach mit Marsilio de Andreasi die durch die Rotunde, das Oculo della Volta, identifiziert wird, aber auch Leon Battista Alberti hinunter blicken auf ihre Fürsten, spielerisch und Vittorino da Feltre, die als Gelehrte ebenfalls einen Apfel zu werfen scheinen, der sowohl den Teil der Familia und der Corte waren, sollen hier Betrachter als auch die abgebildeten Fürsten abgebildet sein. Im Vordergrund des Frescos steht treffen könnte (Abb.3) – es darf nicht vergessen

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3 | »Oculo della volta« im Deckengemälde von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua (um 1474)

werden, dass der Künstler Mantegna Teil der halb geschlossenen Augen findet sich im Hinter- fürstlichen Familia war und ein stets kritisches grund Paola Malatesta, die Großmutter Barbari- Verhältnis zu seinem Fürsten unterhielt (Abb.4). nas, eine Förderin des Humanismus und Begrün- Wenn wir zurückkehren zu den Ausgangsfra- derin der humanistischen Schule Casa Giocosa, gen dieses kurzen Beitrags, so ist noch ein weite- an der fortan Söhne wie Töchter der Gonzaga rer Aspekt in diesem Freskenzyklus herauszu- ihre Ausbildung genossen. Die große Bedeutung streichen: die zentrale Rolle, die die Frauen der der Bildung auch für die Töchter zeigt sich nicht Gonzaga-Familie darin einnehmen. Es dominiert zuletzt in der Tatsache, dass ihr Brautschatz eine Barbara von Brandenburg in der Mitte, jene Frau, kleine Bibliothek umfasste, die neben den übli- mit der die Gonzaga den Aufstieg in den Reichs- chen religiösen erbaulichen Werken Klassiker der adel schafften. Als Verstorbene dargestellt mit lateinischen und italienischen Literatur enthielt,

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Gonzaga und seiner Gattin Barbara von Bran- denburg, die Francesco Sforza in einem Brief an Ludovico ca. 1453 wie folgt beschreibt: ben che son certo ch’el non bisogna io ve conforto che de questo non ne parlate con persona, io non digo chon madonna la marchesana, perché quando digo voi io intendo de dire voi e lei, per che so che siti dui chorpi et un’anima. (»Auch wenn ich sicher bin, dass es nicht nötig ist, Euch zu bestärken, darüber mit keiner Person zu sprechen, ich sage nicht mit Madonna der Marchesana, denn wenn ich Euch sage, dann will ich damit sagen Ihr und sie, denn ich weiß, dass ihr zwei Körper und eine Seele seid.« ASMn AG b. 1607, 1– 65). In der Generation ihrer Enkel sollte dann die glanzvollste aller Renaissancefürstinnen, Isabella d’Este, ihren Mann regelrecht in den Schatten drängen. Ihr Prestige gründete vor allem in ihrer Überzeugung, als Este zum ältesten italienischen Adel zu gehören und damit von Geburt an ihrem Mann überlegen zu sein.

4 | Andrea Mantegna, Selbstporträt in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua (um 1474) Fazit

So stellt sich in kurzen Zügen der Erfahrungs- horizont dar, mit dem Barbarina Gonzaga aufge- philosophische Schriften, Grammatiken und wachsen war und der mit Sicherheit auch ihr Wörterbücher ebenso wie Rechnungshilfen. Dies Selbstverständnis als Fürstin und Frau geprägt lässt sich an Paolas Brautschatzinventar ablesen, hatte. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtun- welches nach dem Muster jenes von Barbarina gen lässt sich durchaus begreifen und verstehen, angelegt wurde, sodass hier Rückschlüsse auch warum sich Barbarina ebenso wie ihre Schwester auf Barbarina gezogen werden können. Die Paola über ihr Los in der Fremde beklagte und Markgräfinnen verfügten über ein eigenes Bud- dies als Schmach und Schande empfand. Die get, wie bereits bei Paola Malatesta am Beginn schlechte Behandlung, das harte Schicksal kön- des 15. Jahrhunderts nachgewiesen wurde. Die nen somit auf den Verlust von Freiräumen und Zusammenarbeit zwischen Mann und Frau gip- Handlungsspielraum hinweisen, aber auch auf felte in der tiefen Verbundenheit von Ludovico ihre finanzielle Schlechterstellung, auf das deut-

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lich geringere Angebot an Unterhaltung und Ver- nach einer gewissen Zeit wieder an ihren heimat- gnügungen, als sie es aus ihrer Heimat gewöhnt lichen Hof zurückkehrten. waren. Wenn man gemeinhin den Grund für das Unglück der beiden Fürstinnen darin sieht, dass sie keine (überlebenden) Erben gebaren, so ist Quellen: nicht zu vergessen, dass sie mit dem strukturellen ASMn AG, b. 218 c. 11; b. 845 c. 230; b. 1607, Problem konfrontiert waren, dass die Stellung der 1–65; TLA, Sigmundiana 4 a.029.022 Frau an den Höfen nördlich der Alpen mit der Wertschätzung, die die Frauen in der Gonzaga- Familie erfuhren, nicht zu vergleichen ist. Mit ein Literatur: Wermutstropfen mag gewesen sein, dass die Gon- Antenhofer, Briefe; Antenhofer, Der Fürst; zaga im Reichsadel als Emporkömmlinge galten Antenhofer, From Local Signori; Circa 1500; und nicht auf alten Adel verweisen konnten; dies Guerzoni, La corte; Hohkamp, Sisters; Hirsch- änderte sich erst im 16. Jahrhundert. Im 15. Jahr- biegel/Paravicini, Das Frauenzimmer; Klapisch- hundert wurden die Gonzaga-Töchter wie andere Zuber, Das Haus; Kress, Frauenzimmer; Lazza- italienische Fürstinnen vor allem wegen der rini, Fra un principe; Nolte/Spieß/Werlich, reichen Mitgiften geehelicht. Barbarina sollte ihre Principes; Nolte, Familie; Romani, Una città; alte Heimat nicht mehr wieder sehen – es ist in Sabean/Teuscher/Mathieu, Kinship; Schuster, der Forschung immer noch unklar, warum Eber- Familien- und Geschlechterbewusstsein; hart seiner Frau diesen Wunsch verwehrte, da es Seve ridt, Familie; Signorini, Opus; Stälin, ansonsten durchaus üblich war, dass die Frauen Die Heirath

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PHILIPP SAUTTER Bildung und Erziehung am Hof der Gonzaga

Im Sommer des Jahres 1435 war der Kamaldulen- Gelehrter ein: So hatten Giovanni Conversino da sergeneral Ambrogio Traversari als Legat Papst Ravenna und Pietro Paolo Vergerio bei der Fami- Eugens IV. auf der Reise zum Basler Konzil durch lie der Carrara in Padua Anstellung gefunden; die kleine Markgrafschaft Mantua gekommen. In Gasparino Barzizza gab 1421 nach einer Einla- einem an Cosimo de Medici adressierten Brief dung von Filippo Maria Visconti seinen Lehr- vom 30. August schilderte er das Zusammentref- stuhl für Rhetorik an der Universität Padua zu- fen mit dem bedeutenden Humanisten Vittorino gunsten einer Stelle als Erzieher der Prinzen am Rambaldoni da Feltre (1376 –1446) sowie den Mailänder Hofe auf; Guarino da Verona wurde Fürstenkindern der Gonzaga in Goito (gedruckt 1436 von Leonello d’Este als Griechischprofessor bei Traversari). In anmutigem Vortrag habe an die Universität in Ferrara berufen, an der seit der vierzehnjährige Markgrafensohn Gianlucido 1446 auch Theodorus Gaza lehrte. zweihundert Verse vorgetragen, die von ihm Vor diesem Hintergrund bemühte sich auch eigenhändig anlässlich des feierlichen Einzuges Gianfrancesco Gonzaga, dessen Familie seit dem Kaiser Sigismunds in Mantua verfasst worden Sturz der Bonacolsi-Herrschaft um dynastische seien, und darüber hinaus habe er der Geometrie und reichsrechtliche Legitimation rang, um die des Euklides zwei Sätze mitsamt einer figürlichen Anstellung eines namhaften Gelehrten, welcher Darstellung beigefügt. Auch von den Griechisch- den damals sechs Kindern des Signore Ludovico, kenntnissen der gerade zehnjährigen Fürsten- Carlo, Margherita, Gianlucido, Cecilia und Ales- tochter Cecilia zeigte er sich tief beeindruckt. sandro eine standesgemäße Bildung angedeihen Der Schülerkreis Vittorinos, die Casa gioiosa, lassen sollte. Dies galt umso mehr, als gerade ist zweifellos das herausragende Beispiel humani- Gianfrancesco sich anderweitig nicht nur intensiv stischer Lehr- und Erziehungstätigkeit in der als Kunstmäzen profilierte, sondern ebenso früh- Mantuaner Bildungslandschaft des Quattrocento. zeitig an der humanistischen Bildungsbewegung Die Berufung Vittorinos im Jahre 1423 und damit Anteil nahm, indem er mit erheblichem finan- der Beginn planvoller humanistischer Prinzener- ziellen Aufwand die Privatbibliothek der Gonzaga ziehung am Mantuaner Hof reihte sich nahtlos in um griechische Codices zu erweitern suchte. Der das allgemeine Werben benachbarter Fürstenhöfe Grundstock dieser bereits um die Mitte des Tre- um prestigeträchtige Berufungen renommierter cento angelegten Bibliothek bestand bei seinem

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Philipp Sautter Bildung und Erziehung am Hof der Gonzaga

Regierungsantritt 1407 aus 122 lateinischen und zeugend erscheint der Einwand freilich nicht, 32 vulgärsprachlichen Büchern. können das schwarze Gewand und die halb ge- Überhaupt vermochte die Bildungspatronage schlossenen Augen des Mannes doch auf einen der Gonzaga an eine Tradition durchaus lebhafter zur Entstehungszeit des Kunstwerkes bereits Beschäftigung mit antiker Literatur in Mantua Verstorbenen hindeuten und damit gerade gegen anzuknüpfen. Diese manifestierte sich in einer Prendilacqua sprechen. Gewisse Ähnlichkeiten seit 1398 bestehenden öffentlichen Schulinstitu- mit der nachweislich authentischen Darstellung tion, welche die gelehrte Auseinandersetzung mit Vittorinos auf dem bekannten Medaillon Anto- den Werken des Mantuaner Stadtsohnes Vergil nio Pisanos, genannt Pisanello, die Mantegna als um ein Grammatik- und Logikstudium ergänzte, Vorlage gedient haben könnte, sind nicht von der sowie in den Studien der Mantuaner Kongrega- Hand zu weisen(vgl. S. 216). Schließlich hat Vitto- tion des Karmeliterordens, die 1466 sogar das rino dem vom eigenen Vater verstoßenen und Bologneser Studium generale übernehmen sollte. zum Tode verurteilten Ludovico Rückkehr und Das fürstliche Bemühen um humanistische Bil- Herrschaft in der Markgrafschaft durch seinen dung ist mithin als Baustein im Gefüge dynasti- Appell an Gianfrancescos Versöhnungsbereit- scher Überlebensstrategie zu sehen. Dessen pres- schaft erst ermöglicht. Dass ein Gefühl der Dank- tigeträchtige Strahlkraft hat mit der Aufnahme barkeit und engen persönlichen Verbundenheit eines Hoflehrers, vielleicht sogar Vittorinos ausschlaggebend für ein Portrait Vittorinos auch selbst, in das repräsentative Bildprogramm der nach dessen Tod mitten im engsten Familienkreis Gonzagafamilie in der Camera degli Sposi wohl des Marchese gewesen ist, darf jedenfalls nicht ihren sinnfälligsten Ausdruck gefunden: Die ausgeschlossen werden. Überlegungen, ob Vittorino da Feltre in Andrea Mantegnas Darstellung des Fürstenhofes Ludo - vicos II. Gonzaga portraitiert ist, beziehen sich Erziehung der Söhne mittlerweile meist auf die hinter Markgraf Ludo- vico postierte, schwarz gekleidete Person (Abb. 1). Die Stationen im Bildungs- und Erziehungs - Die weitere, schwarz gekleidete Gestalt mit wei- gefüge des Mantuaner Hofes lassen sich recht ßem Haar daneben wird als Leon Battista Alberti zuverlässig bestimmen. Ein Elementarunterricht (1404 –1472) gedeutet. Allerdings wird an Stelle durch Privatlehrer sollte die Fürstenkinder Vittorinos auch eine Darstellung Francesco Pren- zunächst zum Besuch der höheren Schule befähi- dilacquas oder eines Hofgeistlichen mit dem Ar- gen. Das Alter der Kinder beim Eintritt in den gument angenommen, dass es wahrscheinlicher Unterricht sowie dessen Dauer kann aus einem sei, eine zur Entstehungszeit des Freskos noch Brief vom 15. Mai 1483 erschlossen werden, in lebende Person abzubilden als den bereits 1446 dem Markgraf Federico einem Gesuch Battista verstorbenen Vittorino. Prendilacqua, ein Schüler Guarinos nach einer Anstellung in Mantua mit Vittorinos, fungierte wohl bis 1466 als Sekretär der Begründung eine Absage erteilte, dass keines Alessandro Gonzagas, bis zum Tode Ludovicos II. seiner Kinder derzeit einen so bedeutenden 1478 dann als Erzieher der Fürstensöhne. Über- Lehrer benötige. Mit gerade siebzehn Jahren hatte

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Bildung und Erziehung am Hof der Gonzaga Philipp Sautter

1 | Vittorino da Feltre (?) und Leon Battista Alberti im Hintergrund auf dem Wandbild von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua (um 1474)

damals Francesco seine Schulzeit abgeschlossen, bildung der Fürstensöhne wurde jedoch regel- der neunjährige Giovanni war offenkundig noch mäßig von einem Privatlehrer ergänzt, sodass die zu jung für einen höheren Unterricht. Eine Aus- elterliche Kontrolle in Erziehungsfragen während nahme stellte der spätere Kardinal Sigismondo des Studiums in der Ferne gesichert blieb. Der dar, welcher mit vierzehn Jahren für eine geist- höhere Unterricht dauerte somit etwa vom zehn- liche Karriere vorgesehen war und dement- ten bis zum siebzehnten Lebensjahr. sprechend das Studium der Kanonistik an einer Die Ausbildung in der Casa gioiosa war bei Universität beginnen sollte; die universitäre Aus- weitem nicht allein den Fürstenkindern der Gon-

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Philipp Sautter Bildung und Erziehung am Hof der Gonzaga

zaga und den von Vittorino sorgfältig ausge - sowie die philosophischen Fächer Dialektik und wählten, nichtadeligen, ja teilweise aus verarmten Ethik wurden später nach der Lektüre diverser Familien stammenden Schülern vorbehalten. historiographischer (Sallust, Livius, Caesar, Vale- Mit der Tätigkeit da Feltres stieg Mantua viel- rius Maximus) und poetischer Werke (insbeson- mehr zu einem bedeutenden Zentrum höfischer dere Vergil und Homer) gelehrt. Möglicherweise Erziehung in Oberitalien auf, deren überregio- war im Lehrplan der Casa gioiosa auch Raum nale Wirksamkeit sich an den Namen des adligen für die Auseinandersetzung mit patristischer Schülerkreises ablesen lässt, dem Prendilacqua Literatur reserviert. So notiert Prendilacqua, dass zufolge nobiles discipuli Mantuani, Veronenses, sich der jüngste Sohn des Marchese, Alessandro, Veneti, Bergomates, Florentini sowie adlige Söhne als Knabe dem Griechischen, im Jugendalter dem etwa der Migliorati di Fermo, der Manfredi Lateinischen und als reiferer Schüler theologi- d’Imola und der Herren von Correggio ange - schem Stoff erfolgreich gewidmet habe. Zur all- hörten. täglichen Unterrichtspraxis gehörte jedenfalls die Neben einem generellen Mangel an Fürsten- Teilnahme am Morgengebet und der Besuch der schulen vergleichbaren Niveaus liegen die heiligen Messe, die im Dom San Anselmo gefeiert Ursachen des Mantuaner Erfolges im Bereich wurde. Im Gegensatz zu den artes sermonicales fürstlicher Bildung und Erziehung zweifelsohne des Triviums ist der Wert der quadrivialen Dis - im pädagogischen Konzept Vittorinos begründet, ziplinen Arithmetik, Geometrie, Musik und bei dem sich zwei Erziehungstraditionen in einer Astronomie von den italienischen Humanisten Synthese zusammenfanden, die auf die Bedürf- des 14. und 15. Jahrhunderts bekanntlich kontro- nisse der erstarkten oberitalienischen Renais- vers diskutiert worden. Es darf mithin als Spezi - sancefürstenhöfe zugeschnitten war. Einerseits ist fikum des Mantuaner Bildungsplanes gelten, die Pflege des vergleichsweise jungen humanisti- wenn alle vier realwissenschaftlichen Fächer in schen Bildungsideals hervorzuheben, welche ihrer vollen Breite Teil des Lehrstoffs waren. an Vittorinos Casa gioiosa in besonders breiter Mag die zweifellos rege Vermittlung humanis - Fächerung ermöglicht wurde. Fundament der tischer Bildungsinhalte an die Fürstensöhne höheren Mantuaner Schule war die Beherrschung im Mantuaner Bildungsplan auch einen hohen der artes sermonicales. Neben eine Unterrichtung Stellenwert gehabt haben, so ist doch darauf zu in Elementargrammatik, die sich erst auf das sehen, dass sich der grundlegende Erziehungs - spätantike Lehrwerk der »Institutiones gramma- anspruch der Gonzaga nicht wesentlich von den ticae« des Priscian, später auf die Grammatik üblichen Bildungseinstellungen des Adels unter- Guarinos und die »Rudimenta grammatices« schied. Dies kommt sowohl in den Vorbehalten Niccolò Perottis stützte, trat für die fortgeschrit- einer universitären Ausbildung gegenüber zum tenen Schüler nach dem Vorbild Quintilians ein Ausdruck, von denen nur dann zugunsten des vierjähriges Lektürestudium der Autoren Cicero, Kirchenrechtsstudiums abgesehen wurde, wenn Vergil, Demosthenes und Homer, welches zum ein nachgeborener Sohn zur geistlichen Laufbahn Erwerb genauer Kenntnisse der lateinischen und bestimmt war, als auch im »praktischen« Teil der griechischen Grammatik führen sollte. Rhetorik Ausbildung zukünftiger weltlicher Fürsten und

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Condottiere, welcher den Besuch an fremden Ringen, Bogenschießen, Speerwurf. Bisweilen lie- Höfen und die Einsichtnahme in die Alltags - ferten sich die Schüler regelrechte Feldschlachten geschäfte des dortigen Regenten umfasste und oder kämpften im Kriegsgeheul um selbst erbaute damit den rein gelehrten Unterricht ergänzen Schlösser. Hinzu traten soziale Zucht- und Höf- sollte. lichkeitsformen in Gestalt ritterlicher Tugenden Ihren pädagogischen Anknüpfungspunkt fand wie der Ehre (honor), Maßhaltung (temperantia), die Mantuaner Fürstenschule deshalb ebenso Treue (fides), Großmut (magnanimitas) und wesentlich in einer ritterlich-höfischen Bildungs- Minne (amor) als Grundbedingungen würdevoll kultur, deren Ursprung letztlich in die Blütezeit gepflegter Geselligkeit sowie Dichtung, Gesang des staufischen Hochmittelalters zurückreicht. und Tanzkunst als Elemente musisch-ästhetischer Diese illiterate, adlige Ausbildung umfasste zu- Erziehung. Diese sollten die bloß literate Bildung nächst in Gestalt der bekannten septem probitates, der septem artes liberales zu einem ganzheitlichen der sieben ritterlichen Fähigkeiten, das Reiten, pädagogischen Konzept vervollständigen, an Schwimmen, Bogenschießen, Fechten, Jagen dessen Spitze jener weltmännische, universell be- sowie das Schachspiel und Verseschmieden: gabte und primär humanistisch gebildete Gentil - Vor dem Hintergrund eines florierenden Condot- uomo stand, dessen Idealtypus im 1528 erstmals tierewesens darf eine dezidiert zur Vermittlung gedruckten »Il Libro del Cortegiano« des aus militärisch-waffentechnischer Fähigkeiten ver- Casatico bei Mantua stammenden Baldassore standene Pflege körperlicher Ertüchtigungsübun- Castiglione für den englischen gentlemen oder gen als Charakteristikum der höheren Mantuaner den französischen honnête homme aufscheint. Schule gelten. Sie griff damit die pädagogische Der zweifellos bekannteste Schüler, in dem sich Forderung nach einer Wiederbelebung der dieses Bild vom Renaissancehöfling zu verwirkli- Leibes erziehung an den Fürstenhöfen auf, die chen schien, ist der 1433 mit zwölf Jahren an den erstmals Vergerios pädagogische, an der Schwelle Hof der Gonzaga gelangte und zwei Jahre lang in zum Quattrocento entstandene Programmschrift der Mantuaner Fürstenschule unterrichtete Fede- »De ingenuis moribus et liberalibus adolescentiae rico da Montefeltro, der als späterer Herzog studiis«, vielleicht im Rückgriff auf die hochmit- von Urbino nicht nur als begnadeter Heerführer, telalterlichen Fürstenspiegel des Vinzenz von sondern auch als Liebhaber der Künste von Beauvais und das Vorbild des antiken Griechen- beeindruckender Belesenheit hervortrat. land, formuliert hatte. Den praktischen Ablauf der täglichen Leibes- übungen an der Mantuaner Fürstenschule haben Erziehung der Töchter wiederum Platina und Prendilacqua in einigen lebhaften Berichten festgehalten. Die Übungen Als prominenteste Vertreterinnen humanistisch reichten von Ballspiel, Schwimmübungen und gebildeter Frauen am Hofe der Gonzaga gelten Wettläufen über typisch adlige Betätigungsfelder Barbara von Brandenburg-Hohenzollern sowie wie die Jagd, den Fischfang oder die Reitkunst bis deren Töchter Cecilia und Margherita. An ihrem zu Disziplinen der arte della milizia hin: Fechten, Beispiel können Grundmotive für eine an der

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Heimschule Vittorinos bestehende humanistische derungen einer lediglich repräsentativen Stell - Mädchenbildung sowie das Idealbild einer donna vertreterrolle bei Abwesenheit des Fürsten er- nobile nachvollzogen werden. So hebt Albrecht schöpfte, sondern ein nach außen hin sichtbar von Eyb im letzten Kapitel des zweiten Hauptteils aktives Eingreifen in die Regierungsgeschäfte mit seines erstmals 1472 in Nürnberg gedruckten eigenen Entscheidungskompetenzen und die Ab- Traktates über die Ehe »Ub einem manne sey wicklung des diplomatischen Verkehrs umfasste, zunemen ein eelichs weyb oder nicht« zu einem liegt die Notwendigkeit einer überdurchschnitt - lob der frawen an. In der Reihe illustrer Frauen - lichen sprachlichen und rhetorischen Ausbildung figuren der Antike, die sich um Rhetorik, Dicht- als Grundvoraussetzung sicheren und gewandten kunst, die alten Sprachen Ägyptisch, Griechisch Auftretens auf der Hand: In den höfischen und Latein sowie Recht, Medizin und Mathema- Umfeldern Oberitaliens konnte vor dem Hinter- tik verdient gemacht hatten, steht in Vertretung grund einer »Arbeitsteilung« zwischen dem in für die gebildeten Frauen des 15. Jahrhunderts Condotte stehenden oder direkt vor Ort die Ver- die Markgräfin Barbara von Mantua. Barbara war waltung des Territoriums regelnden Fürsten und bekanntlich als älteste Tochter Markgraf Johanns dessen an einer festen Residenz weilenden Gattin von Brandenburg schon als zehnjähriges Mäd- literate Bildung neben der selbstverständlichen chen 1433 mit Ludovico Gonzaga verlobt und Erziehung zu höfischen Manieren zu einem Aus- nach Mantua geschickt worden, wo auch sie in wahlkriterium bei der Brautwahl geraten. der Casa gioiosa bei Vittorino da Feltre eine Die generelle Ablehnung einer höheren Bil- äußerst gründliche Erziehung in den klassischen dung adliger Mädchen, ja selbst der Vermittlung Sprachen erhalten hatte. Wenngleich von Eyb elementarer Fähigkeiten wie Lesen und Schrei- ihre Kenntnis poetischer und naturkundlicher ben, ist im pädagogischen Diskurs der Zeit Autoren bezeugt, so werden doch in erster Linie freilich weitverbreitet geblieben. Dass die nach ihre sprachlichen Fähigkeiten gepriesen, welche Württemberg verheiratete Barbarina Gonzaga in ihre Muttersprache Deutsch sowie Italienisch, Kindheit und Jugendzeit gleichwohl wie selbst- Latein und Griechisch umfassten. Zwar ist sein verständlich am Erziehungsstandard des Mantua- Frauenlob entschieden auf derlei intellektuelle ner Hofes partizipiert hatte, dokumentieren nicht Leistungen zugeschnitten, in einer Andeutung zuletzt etliche Briefe der Fürstenkinder in den zum Kapitelende hin entsinnt er sich jedoch noch Beständen des Mantuaner Archivs in einzigartig weiterer Tugenden, deren Erwerb im höfischen lebensnaher Weise. Durchaus als Kontrollmög- Erziehungsprinzip angestrebt wurde: Die frawen lichkeit zu verstehen, belegen sie ein reges Inte - mugen auch gelobt werden durch die keuscheit resse des Fürstenpaares nicht nur am Wohlerge- durch die lieb vnd getreu gen iren mannen durch hen, sondern gerade auch am Bildungsfortschritt die gutigkeit miltikeit durch die stercke vnd groß- des Nachwuchses – der elterliche Appell an den mutigkeit vnd durch ander tugenden. Nachwuchs zur Gelehrsamkeit ist in der reich - Vergegenwärtigt man sich des umfangreichen haltigen familieninternen Korrespondenz der Aufgabenkataloges einer Fürstin wie der Mark- Gonzaga ausgesprochen häufig nachweisbar. gräfin Barbara, der sich mitnichten in den Anfor- Die streng formalisierten lateinischen sowie ita-

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Bildung und Erziehung am Hof der Gonzaga Philipp Sautter

lienischen Anreden und Unterschriften der Briefe Barbarinas, Cecilia, mitbeteiligt war, ist der Hand fallen keineswegs aus dem üblichen Rahmen der damals zwölfjährigen Cecilia zuzuordnen hierarchischer Untertänigkeits- und Gehorsams- (s. S. 319). bezeugungen der sonstigen Korrespondenzen mit Insgesamt unterschied sich auch die höhere den Untergebenen des Hofes heraus, die nicht Bildung adliger Mädchen in der Stoffvermittlung zum unmittelbaren Familienkreis zählten; der grundsätzlich nicht vom Bildungsplan der Jun- erwähnte Anspruch nach höfischer Anstands - gen, wobei selbstverständlich die auf den ritter - erziehung hat sich konsequent bis in den alltäg - lichen Höfling zugeschnittene Leibeserziehung lichen Briefkontakt hinein fortgesetzt. Die Briefe aus dem Bildungsangebot für die Mädchen wurden überwiegend nicht in Mantua selber, ausgeklammert wurde. Der Schulbesuch erfolgte sondern an kleineren Residenzorten im Herr- öffentlich; ein getrennter Unterricht für beide schaftsbereich der Gonzaga verfasst. Die im länd- Geschlechter ist nicht anzunehmen. Im Einzelfall lichen Umfeld gelegenen Paläste der Markgrafen konnte die Dauer des Unterrichts um maximal wurden offenkundig für die Kindererziehung als drei Jahre kürzer ausfallen, was schlicht daran geeigneter empfunden als der ständige Aufenthalt lag, dass Mädchen in aller Regel mit 14 Jahren als in der unter mangelnder Hygiene und schlechtem nubilis angesehen und mit der Verheiratung auch Klima leidenden Stadt. Das galt auch für die aus der elterlichen Erziehungsfürsorge entlassen Kinder, die bereits am höheren Unterricht teil- wurden – so etwa im Fall Paolas, der Schwester nahmen; so entflohen die Schüler der Casa gio- Barbarinas, die 1478, mit 15 Jahren, den Grafen iosa der sommerlichen Stadtschwüle etwa auf das Leonhard von Götz ehelichte. Die Verheiratung Landgut der Gonzaga in Borgoforte, auf dem der Töchter scheint jedoch normalerweise erst auch Barbarina einen Brief verfasste. Auch län- ab 17 Jahren stattgefunden zu haben, sodass sich gere Trennungen selbst der kleinsten Fürsten - hinsichtlich der faktischen Ausbildungsdauer kinder von ihren Eltern waren deshalb nicht un- keine besonderen Unterschiede ergaben. üblich. Die Betreuung übernahmen hier Ammen und ältere Geschwister, für die älteren Kinder waren eigene Hoflehrer angestellt. Rezeption im Ausland Exemplarisch mögen im Anschluss sieben Briefe an Vater und Mutter vorgestellt sein, die Nach dem Tode Vittorinos mangelte es der Barbarina im Alter zwischen sieben und neun Casa gioiosa an Kontinuität. Innerhalb von zehn Jahren verfasste, d. h. noch vor Beginn eines Jahren leiteten der Kanoniker Jacopo da San höheren Unterrichts. Wie das zunächst unsichere, Cassiano, Ognibene da Longi sowie Platina die gegen Ende des Jahres 1463 aber stark verbesserte Schule. Mit Platina verließ 1456 der letzte Ge- Schriftbild zeigt, sind hiervon fünf propria manu lehrte die Akademie, der noch in der Schultra - geschrieben (s. Katalogteil). Den Brief vom dition Vittorinos gestanden hatte. Ihm folgten 23. August 1463 wird sie einem Sekretär diktiert einige weniger bedeutsame Lehrer nach; das haben. Ein nicht genau datierter Brief aus dem Schulgebäude wurde 1480 abgerissen. Die nach Jahre 1463, an dessen Abfassung eine Schwester dem Tode Vittorinos stagnierende Entwicklung

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Philipp Sautter Bildung und Erziehung am Hof der Gonzaga

der Bildungseinrichtung mag auch damit zu tion von Vittorinos Schulkonzept freilich nicht erklären sein, dass sich Mantua zunächst nicht in zu. Desweiteren erwähnt Vittorinos Biograph die Reihe oberitalienischer Universitätsstädte wie Prendi lacqua zwar, dass Antonio Beccaria, Bologna, Ferrara, Padua oder Pavia eingefügt hat, ein Schüler Vittorinos, in Britannien gelebt habe, obschon mit der Erhebung Gianfrancesco Gon - berichtet jedoch nichts über ein humanistisches zagas in den erblichen Markgrafen- und Reichs- Wirken dort. fürstenstand durch Kaiser Sigismund das Recht Konkreter lassen sich Spuren humanistischer zur Gründung einer Universität verbunden gewe- Einflüsse im Umfeld verwandtschaftlicher Ver- sen war. Die älteste Mantuaner Universität mit bindungen der Gonzagafamilie an die Fürsten- den drei Fakultäten Theologie, Jurisprudenz und höfe nördlich der Alpen nachweisen. So ist der Medizin sollte dann erst 1625 aus einer seit 1585 italienische Lehrer im Zentrum des sogenannten bestehenden Jesuitenschule hervorgehen. »Plassenburger Humanistenkreises« am Hofe Wenngleich Vittorinos Casa gioiosa demzu- Johanns von Brandenburg, des Vaters eben jener folge eine singuläre Institution geblieben ist, an Barbara von Brandenburg, die 1433 Ludovico deren Konzeption nachfolgende Bildungseinrich- Gonzaga ehelichte, als Arrighino de Busseto iden- tungen in der Markgrafschaft hinsichtlich ihrer tifiziert worden: Arrighino, der Privatlehrer und Lehrpraxis nicht anknüpften, so ist doch ver- Erzieher Gianfrancesco Gonzagas am Mantuaner schiedentlich die Frage aufgeworfen worden, in- Hof, hatte auf Wunsch Barbaras den jungen wiefern eine Rezeption der Lehrkonzepte Vittori- Markgrafensohn 1455 auf die Burg des Großva- nos stattgefunden hat. Von besonderem Interesse ters begleitet und dort bis 1459 gelehrt. Matthias sind in diesem Zusammenhang Überlegungen zu von Kemnath, ein Schüler Arrighinos auf der einem möglichen Fortwirken Vittorinos außer- Plassenburg, gelangte nach dem Weggang Arri - halb Italiens. Anknüpfungspunkte diesbezüglich ghinos nach Heidelberg, wo er als Hofhistorio- sind Auslandsaufenthalte von Vittorinos Schü- graph Friedrichs des Siegreichen von der Pfalz lern, Aufzeichnungen deutscher Humanisten- fungierte. Arrighino selbst dürfte seinen Schüler kreise und verwandtschaftliche Beziehungen Gianfrancesco 1459 wieder zurück nach Mantua der Gonzaga, die einen Transfer humanistischer begleitet haben, doch verschwindet sein Name Bildungsideale in höfische Umfelder nördlich der nun aus den Mantuaner Quellen. Auch woher Alpen ermöglichten. So hat die Abschrift eines er seine Ausbildung bezogen hatte, ist unbekannt; der lediglich neun bekannten Briefe Vittorino da Kontakte mit der Casa gioiosa in Mantua sind Feltres in eine humanistische Anthologie Eingang nicht belegt. Wenn also auch im Falle des »Plas- gefunden (UB München Ms. 4° 768). Verfasser senburger Humanistenkreises« wohl nicht von der Blütensammlung war der Freisinger Domherr einer unmittelbaren Rezeption pädagogischer Johannes Heller, der 1437 als Magister artium Konzepte der Mantuaner Schule ausgegangen der Wiener Universität und 1438 als Prokurator werden kann, so veranschaulicht das Beispiel der Rheinischen Nation ebendort erwähnt doch, wie sich ein Transfer humanistischer wird. Der kurze Brief eher belanglosen Inhalts Bildung von einem oberitalienischen zu einem lässt den Schluss auf eine systematische Rezep- deutschen Hof, vermittelt über das fürstliche

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Bildung und Erziehung am Hof der Gonzaga Philipp Sautter

Verwandtschaftsverhältnis der Gonzaga, konkret geworden. Freilich berichten weder die Württem- ausgestalten konnte. berger noch die Mantuaner Archivbestände etwas Fraglich ist, ob sich der Mantuaner Einfluss auf von humanistischen Lehrern in der Begleitung kaum institutionalisierte Gelehrtenkreise wie bzw. am Hofe Barbarinas, sodass Rombachs Ver- im Plassenburger Fall beschränkte oder darüber mutung in ihrem romantischen Charme verhaftet hinaus auch bei der Gründung deutscher Univer- bleibt. sitäten eine Rolle spielte. In zwei Fällen steht eine fürstliche Universitätsgründung zumindest in zeitlichem Zusammenhang mit einer verwandt- Quellen: schaftlichen Beziehung zur Gonzagafamilie: Zum ASMn AG b. 2097, 2098; Castiglione, Der Hof- einen bei der Gründung der humanistischen mann; Von Eyb, Ub einem manne; Traversari, Universität Viadrina im Jahre 1506 in Frankfurt Generalis Camaldulensium an der Oder, dem Sitz der Hohenzollern, zum anderen erscheint zwischen der Heirat Barbarina Gonzagas und Graf Eberhards von Württemberg Literatur: 1474 sowie der Gründung der Universität Tübin- Antenhofer, Der Fürst kommuniziert; Bertalot, gen 1477 ein naher zeitlicher Bezug. Tatsächlich Eine humanistische Anthologie; Davari, verleitete diese Nähe den Bietigheimer Schrift- Notizie Storiche; Dolch, Lehrplan; Elwert, Due steller Otto Rombach in seiner Romanbiographie testimonianze; Fuchs, Arriginus von Busseto; über da Feltre mit dem Titel »Vittorino oder Göing, Die Lebensbilder; Hill, A corpus; Klue- Die Schleier der Welt« aus dem Jahre 1947 zu ting, Monasteria; Luzio/Renier, I Filelfo; Ma- der Vermutung, Vorstellungen aus Vittorino da riani Canova, La Personalità; Müller, Mensch Feltres Schulkonzept seien – vermittelt über die und Bildung; Severidt, Familie; Signorini, Uracher Hochzeit – in Württemberg wirksam Scritti e voci; Woodward, Vittorino da Feltre

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1 | Brief von Pietro da Pusterla und Tommaso Tebaldi da Bologna an Herzog Galeazzo Maria Sforza von Mailand vom 10. April 1470 (AS Milano, Archivio Sforzesco b. 395, c. 65r)

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RODOLFO SIGNORINI Barbarina Gonzaga und ihr Bildnis in der »Camera dipinta«

Bislang verbindet nur ein einziges Dokument Ehebund zu vereinen, die anfäng liche Heirats - Barbarina Gonzaga mit der »Camera dipinta« des orientierung des Herzogs von Mailand geändert. Palazzo Ducale in Mantua, dem Hauptwerk von Francesco Sforza, der Vater von Galeazzo Maria, Andrea Mantegna, das er zwischen dem 16. Juni befand sich damals in einer politisch schwachen 1465 und etwa Ende Mai 1474 ausgeführt hat. Es Position: Er hatte von Kaiser Friedrich III. von ist der Brief, der von Pietro da Pusterla und Tom- Habsburg die Anerkennung seines Status als maso Tebaldi da Bologna am 10. April 1470 von neuer Herzog von Mailand nicht erhalten (und Mantua aus an den Herzog von Mailand, Galeazzo sollte sie auch nicht bekommen). Und er war Maria Sforza, verschickt worden ist (Abb. 1). Die sich dessen wohl bewusst, dass Valentina Visconti beiden Mailänder Botschafter waren nach Mantua (die Tochter von Gian Galeazzo Visconti und eingeladen worden, um die schwere Krise zu be- Isabella von Valois) durch ihre Heirat mit Ludwig heben, die sich zwischen den Gonzaga und den von Valois, dem Herzog von Orléans, im Jahre Sforza zur Zeit der gescheiterten Verheiratung 1387 der regierenden Familie Frankreichs als Mit- von Dorotea Gonzaga (1449 –1467) und Galeazzo gift die Grafschaften Asti und Vertus sowie die Maria Sforza (1444 –1476) entwickelt hatte (Abb.2). Rechtsansprüche auf die Nachfolge des Herzog- Eine schmerzhafte Angelegenheit, die entstanden tums Mailand eingebracht hatte. war durch die Ablehnung von Markgraf Ludovico Weil es also politisch gefährlich und zumindest II. Gonzaga, seine Tochter einer medizinischen unvorsichtig gewesen wäre, dem König von Untersuchung nach den Vorgaben der Mailänder Frankreich zu widerstehen, fügte er sich dessen Ärzte auszusetzen, um deren physische Gesund- Willen und nahm Zuflucht zu dem Vorwand der heit festzustellen. Der Gonzaga hielt die Forde- Verwachsung, die tatsächlich die Familie Gonzaga rungen der Ärzte für demütigend und also un - belastete; sie war dem Mantuaner Geblüt von annehmbar, und im Übrigen für vorgeschoben. Paola Malatesta, der Frau von Gianfrancesco In Wirklichkeit hatte der politische Druck von Gonzaga und väterlicherseits Großmutter von Ludwig XI. von Frankreich, Galeazzo Maria Dorotea, übertragen worden. So hat Francesco Sforza mit seiner Schwägerin Bona von Savoyen Sforza das Projekt der Heirat zwischen dem eige- (1449 –1503), der elften Tochter von Ludwig von nen Erstgeborenen und der Zweitgeborenen der Savoyen und dessen Frau Anna von Lusignan, im Gonzaga in die Krise gestürzt.

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Rodolfo Signorini Barbarina Gonzaga und ihr Bildnis in der »Camera dipinta«

»Mitte März [richtig: am 9. April] kamen in Mantua zwei Notabeln, Botschafter des Herzogs von Mailand, mit großer Begleitung an. Der erste hieß Messer Pedro da Pusterla und der andere Messer Mateo [richtig: Tommaso Tebaldi] da Bo- logna und er verließ Mantua erst, als er es fertig gebracht hatte, ein Einvernehmen zwischen dem Herrn Markgrafen und dem Herzog von Mailand herzustellen. Jener Herzog hieß Graf Galeazzo Sforza, und diese Verständigung betraf eine große Affäre, denn der genannte Graf Galeazzo hatte sich verlobt mit einer Tochter [Dorotea] des Herrn Markgrafen von Mantua und dann nahm er sie nicht mehr zur Frau, so dass diese Bot- schafter Mantua erst verließen, als sie einen fried- lichen Konsens erreicht hatten. Dann verständig- ten sich der Markgraf und Messer Fedrigo durch diese Vereinbarung mit dem Herzog und blieben Freunde …« (Schivenoglia, c. 65v). Bei dieser Gelegenheit zeigte der Markgraf von Mantua den beiden Sforza-Botschaftern jenen Raum des Palazzo, den Andrea Mantegna gerade ausmalte. Darin sahen sie bereits darge- stellt den Gonzaga, seine Frau Barbara von Bran- denburg, ihren Erstgeborenen Federico und »alle 2 | Herzog Galeazzo Maria Sforza von Mailand. Gemälde von die anderen Söhne und Töchter«: »Und als sie Antonio del Pollaiuolo (Florenz, Galleria degli Uffizi) über diese Gestalten sprachen, ließ er die Töchter alle beide kommen, also Madonna Paola, die Dorotea starb ledig am 21. April 1467, und jüngere, und Madonna Barbara, die ältere; diese Galeazzo Maria wurde dadurch freier, um Bona erschien uns unseres Erachtens als eine schöne von Savoyen am 10. Mai 1468 zu heiraten. Die und vornehme junge Frau von gutem Wesen und erwähnte Mailänder Gesandtschaft hatte sich guten Manieren« (AS Milano, Archivio Sforzesco nach Mantua verfügt, um diese Wunde zu heilen b. 395, c. 65r). und die politische und militärische Allianz zwi- Der Ausdruck »alle die anderen Söhne und schen den Sforza und den Gonzaga zu bestärken. Töchter« und die Tatsache, dass der Markgraf die Schivenoglia hat in der Chronik von Mantua von beiden Töchter in das Zimmer gerufen hat, geben der Ankunft der Mailänder Gesandten in Mantua Anlass, in den beiden einzigen jungen weiblichen folgendes Zeugnis hinterlassen: Figuren der höfischen Szene diese zu erkennen:

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Barbarina Gonzaga und ihr Bildnis in der »Camera dipinta« Rodolfo Signorini

Paolina (geboren im Oktober 1463), in dem Mäd- chen im Profil, mit einem Apfel in der Hand zur Seite der Markgräfin Barbara kniend, Barbarina in der schönen Blonden in einem Kleid mit Gold- brokat zur Linken von Rodolfo Gonzaga, dem viertgeborenen Sohn der Markgrafen (Abb. 3). Barbarina, geboren am 11. Dezember 1455, war am 10. April 1470 14 Jahre und vier Monate alt. Das hübsche blonde Mädchen, als welches sie hier dargestellt wird, scheint noch nicht von der Dickleibigkeit gewesen zu sein, die Barbarina offenbar schon in wenigen Jahren überaus kor- pulent machte – so hat sie Eberhard von Würt- temberg gesehen, als er sie zum ersten Mal am 1. April 1474 in Révere (bei Mantua) traf (Schive- noglia, c.78v): »… Frau Barbarina war 18 Jahre alt [richtig: 17 und etwa 4 Monate] und schön, sehr dick, und sie gefiel diesem Grafen Eberhard wohl.« Bevor dieser Brief der beiden Mailänder Bot- schafter wieder aufgefunden wurde, war gestützt auf das Porträt von Margarete von Wittelsbach (1445 –1479) aus der Kollektion von Ambras im Wiener Kunsthistorischen Museum die Hypo- these bevorzugt worden, dass die Figur, in 3 | Barbara Gonzaga auf dem Wandbild von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua der man heute Barbarina zu erkennen meint, (vollendet 1474) Margarete darstellen würde, die dritte Markgräfin von Mantua und Frau von Federico Gonzaga (1441–1484), dem erstgeborenen Sohn von Ludo- ben als schön, Gianfrancesco Soardi zufolge sogar vico II. und Barbara von Brandenburg und zu- als sehr schön, von heller und schöner Hautfarbe, künftigen dritten Markgrafen, Mutter von Fran- mit wunderschönen Augen, das Gesicht ein wenig cesco und Sigismondo (Abb. 4). Ehemann und voll und breit, mit hoher Stirn. Söhne sind in der Camera dargestellt in der Szene Man kann es also als ein historisches und der Begegnung des Markgrafen Ludovico II. künstlerisches Privileg betrachten, dass es ein Gonzaga mit dem zweitältesten Sohn Kardinal Porträt Barbarina Gonzagas von Andrea Man- Francesco (s. S.218). Margarete war in Mantua tegna gibt, sicher wesentlich glaubwürdiger und am 6. Juni 1463 angekommen, als sie 18 Jahre alt authentischer als die Darstellungen in den Fens- war, und wurde von den Zeitgenossen beschrie- tern der Tübinger Stiftskirche oder auf der spä-

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Rodolfo Signorini Barbarina Gonzaga und ihr Bildnis in der »Camera dipinta«

burg bis zum dänischen König Christian I. von Oldenburg, dem Gatten von Dorothea von Bran- denburg, Witwe Christophs III. von Bayern, von der Markgräfin Barbara, der Schwester von Doro- thea, bis zu Barbarina Gonzaga, der Frau von Eberhard im Bart, von Paola Gonzaga, Ehefrau von Graf Leonhard von Görz und Stadthalter von Lienz, von Federico Gonzaga bis zu seinen Söh- nen Francesco und Sigismondo, die Strümpfe mit den heraldischen Farben rot und weiß des Hauses Gonzaga tragen; und das Weiß ist wiederum meisterhaft kombiniert mit Blau, um so die Far- ben Bayerns, des Herkunftslandes der Margarete von Wittelsbach, zuordnen zu können. Sie war die Ehefrau des einen, die Mutter der anderen.

Quellen: Archivio di Stato di Milano, Archivio Sforzesco, b. 395, c. 65r; Schivenoglia, Cronaca di Mantova (Biblioteca Comunale Teresiana di 4 | Margarete von Wittelsbach, Markgräfin von Mantua, um Mantova, ms 1019 [I. I.2]) 1580 (Wien, Kunsthistorisches Museum, Sammlung Ambras)

teren Zeichnung von Nikolaus Ochsenbach. In Literatur: der »Camera dipinta« wird mit ihr gemeinsam Amadei/Marani, I ritratti gonzagheschi; ein großer Teil der Herrschaftsspitze des Reiches Mostra iconografica gonzaghesca; Signorini, dargestellt, von Kaiser Friedrich III. von Habs- Opus hoc tenue

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ANDREAS TRAUB Barbara Gonzaga und die Musik am Hof in Mantua

Fragt man nach Barbara Gonzaga und der Musik, Magistro Feltrensi musicam Boetii diligenter audis- so sind zwei Fragerichtungen zu unterscheiden, sem, qui me prius musicum estimabam, vidi nec- die nach dem Musikverständnis und die nach der dum veram huius artis attigisse practicam (Aber musikalischen Erfahrung, die sie in ihrer näheren als ich nach Italien kam und zu Füßen des großen oder ferneren Umgebung erlebt haben könnte. Meisters aus Feltre sorgfältig den Boethius hörte, Da direkte Zeugnisse fehlen, bleibt alles im sah ich, der ich mich für einen Musiker gehalten Ungefähren; einige Konturen lassen sich jedoch hatte, dass ich keine Ahnung von der Praxis die- erkennen. ser Kunst hatte). Für das Musikverständnis am Hof der Gonzaga Die Lektüre der Musica des Boethius unter gibt es einen indirekten Zeugen, Johannes Galli- der Anleitung von Vittorino da Feltre eröffnet cus, der, um 1415 in Namur geboren, um 1440 in also das Verständnis für Musik; dies wird auch Mantua bei Vittorino da Feltre Vorlesungen über Barbara Gonzaga gelernt haben. Da sie sich wohl die Musica des Boethius hörte, die ihn tief be - weniger für die Einzelheiten des Tonsystems in- eindruckten: Gallia namque me genuit et fecit can- teressiert haben dürfte, die dann für Johannes torem, Ytalia vero qualemcumque sub Victorino Gallicus wichtig waren, ist nach anderen Dimen- Feltrensi, viro tam litteris grecis quam latinis affa- sionen dieser Lehre zu fragen. Dabei rückt das tim imbuto, grammaticum et musicum (Frank- erste Kapitel des ersten Buches von Boethius in reich hat mich geboren und zum Sänger gemacht, den Vordergrund. Musik ist nicht nur sinnliche Italien aber durch Vittorino da Feltre, den Kenner Erfahrung (perceptio sensuum) oder Erkenntnis der griechischen und lateinischen Literatur, zum von Wahrheit (investigatio veritatis); vielmehr: Grammatiker und Musiker). Er unterscheidet Nihil est enim tam proprium humanitatis quam genau: Sänger ist der Virtuose, der alle techni- remitti dulcibus modis, adstringi contrariis (Nichts schen Raffinessen beherrscht: Haec omnia Na- gehört so tief zum Menschsein als gelöst werden murci didiceram a cunabulis, quod est oppidum in durch süße Melodien, angespannt durch ent - Gallia (das alles habe ich von der Wiege an in der gegengesetzte); (alle Menschen) ita naturaliter französischen Stadt Namur gelernt); Musiker ist, affectu spontaneo modis musicis adiunguntur, ut wer die Grundlagen der Musik erkannt hat: nulla omnino sit aetas, quae a cantilenae dulcis de- Sed cum ad Ytaliam venissem ac sub optimo viro lectatione seiuncta sit. Hinc enim internosci potest,

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Andreas Traub Barbara Gonzaga und die Musik am Hof in Mantua

quod non frustra a Platone dictum sit, mundi ani- mam musica convenientia fuisse coniunctam (wer- den derart natürlich in spontanem Affekt von musikalischen Weisen gefesselt, dass kein Lebens- alter von der Freude an einer süßen Melodie ge- schieden ist. Da kann man erkennen, dass Plato nicht vergeblich gesagt hat, die Weltseele sei nach musikalischen Verhältnissen gefügt). Hier ist auf engstem Raum alles versammelt: Das Berührtwerden durch Musik gehört zum Kern des Menschseins; es ist aber keine indivi - duelle Befindlichkeit, sondern ein Sich-Einfügen in die Weltordnung, denn in den »süßen« Melo- dien kommt die Struktur der Weltseele, wie Plato sie gelehrt hat, zur klingenden Erscheinung. Die Bezeichnung »süß« deutet keineswegs auf »ver- zuckert«, sondern auf eine ontologische Qualität; das könnte eine Anthologie von Stellen, an denen die dulcis cantilena genannt wird, zeigen. Kern des Menschseins und zahlhaft geordnete Struktur der Weltseele – wenn die Medaille, die Pisanello für Vittorino da Feltre prägte, die Umschrift hat: Victorinus Feltrensis. Summus Mathematicus et omnis humanitatis pater, so ist genau diese Konstellation benannt (vgl. S. 215 f.). Dies wird 1 | Titelbild der »Musica Practica« von Franchino Gafori, Barbara Gonzaga aufgenommen haben. gedruckt 1496 in Mailand bei Guillaume Le Signerre. Johannes Gallicus demonstrierte übrigens die Tonabstände in traditioneller Weise am Mono- chord. Er benutzte jedoch, wie sein Schüler Nico- druckten Practica Musica veranschaulicht sein laus Burtius überliefert, eine damals moderne umfassendes Musikdenken, das 1473 vielleicht Form dieses Instruments, die mit Tasten versehen noch nicht in aller Breite entfaltet, dessen Kapazi- war. Das Instrument ist eine frühe Form des tät aber zweifellos vorhanden war (Abb. 1). Unter Clavichords. dem Hexameter Mentis Apollineae vis has movet 1473 kam Franchino Gafori an den Hof in undique Musas (Die Geistesmacht Apolls bewegt Mantua, der 1451 in Lodi geboren wurde und allseits die Musen) sitzt Apoll mit einer Laute 1484 als Domkapellmeister nach Mailand ging. in der Hand. Zu seiner Rechten tanzen die drei Er war der bedeutendste Musiktheoretiker seiner Grazien; zu seiner Linken steht eine Blumenvase. Zeit. Das Titelbild seiner 1496 in Mailand ge- Seine Füße setzt er auf den eingeringelten

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Barbara Gonzaga und die Musik am Hof in Mantua Andreas Traub

2 | Notenbeispiele 1 –3. Entwurf: Andreas Traub; Umzeichnung: Christian Kiss

Schwanz einer Schlange, das Sinnbild der Ewig- tönen vergleichen kann (von unten: II., IV., VI., keit. Die Schlange fällt durch die Himmels - I., III., V. und VII. Kirchenton; Notenbeispiel 2). sphären hinunter zu der von Luft und Feuer um- In der rechten Kolumne sind noch die konstituti- ringten Erde, über der sie das Dreigesicht Wolf – ven Tondistanzen Tonus und Semitonium (Ganz- Löwe – Hund entfaltet, das Bild von Vergangen- und Halbton) eingetragen. Diese Hinweise auf heit – Gegenwart – Zukunft. In der linken Ko- die ein konkretes Erklingen ermöglichenden Ton- lumne erscheinen die neun Musen, von denen ordnungen sind entscheidend: Abgebildet wird eine, Thalia, in die Erde versetzt werden muss, nicht eine phantastische Spekulation, sondern und in der rechten Kolumne die sieben Planeten Musik. Man kann von einer konkreten Melodie Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und aus den Weg zu diesem Titelbild finden. Es Saturn sowie der Sternhimmel. Zu den acht kommt nicht so sehr darauf an, ob Barbara Gon- Musen der linken Kolumne führen die acht Töne zaga diesen Weg in allen Einzelschritten gehen der unteren Hälfte des Systema teleion nach Boe - konnte; es genügt, dass sie in einer geistigen Um- thius (Buch I, Cap. XX, Notenbeispiel 1). Zu den gebung lebte, in der so gedacht wurde. Planeten und dem Sternhimmel der rechten Fragt man danach, welche Musik Barbara Kolumne führen die acht boethianischen Oktav- Gonzaga wohl gehört haben könnte, so sind vier leitern, von denen man sieben mit den Kirchen- Bereiche zu umschreiben, wobei man jedoch

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Andreas Traub Barbara Gonzaga und die Musik am Hof in Mantua

über die Vermutung, dass Barbara sie irgendwie zur Kenntnis genommen haben wird, bei der gegebenen Quellenlage nicht hinauskommen kann. Zuerst ist die zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Oberitalien gepflegte Musik zu nennen, die in der Tradition der hohen Kunst des 14. Jahrhunderts steht, sowohl der italienischen Trecentomusik wie der französischen ars subtilior. Komponisten wie Paolo da Firenze (um 1355 –1436), 1401 bis 1434 Abt von San Martino al Pino bei Arezzo, Barto- lino da Padua (Abb. 3), dessen Madrigale in Gio- vanni Gherardis Paradiso degli Alberti erwähnt werden, Antonius dictus Zacarias de Teramo, 1391 bis 1407 scriptor litterarum apostolicarum und Sänger in der päpstlichen Kapelle und später in Bologna tätig, oder Johannes Ciconia (um 1370 –1412), aus Lüttich stammend und seit 1401 Cantor an der Kathedrale in Padua, waren weithin berühmt. Neben diese hohe Kunst trat die anfangs im- provisierte Frottola, deren erster Meister der venezianische Staatsmann Leonardo Giustiniani 3 | Bartolino da Padua, Porträt im Codex Squarcialupi, 1410–1415 (Florenz, Biblioteca Medicea Laurenziana, (um 1383 –1446) war. 1460 wird dem Hof in Ms. Mediceo Palatino 87, fol.101v) Mantua ein Gesangslehrer empfohlen, weil er im Vortrag dieser arie veneziane besonders versiert sei. Gegen Ende des Jahrhunderts wird aus der In der Person von Isabella d’Este stand Mantua kunstvollen Improvisation, wie sie Serafino wiederum in unmittelbarer Verbindung zu dem dell’ Aquila (1466 –1500) mit höchstem virtuo- wichtigsten musikalischen Zentrum in Ober- sem Anspruch vorgeführt hat, die schriftlich kon- italien, dem Hof von Ferrara. Herzog Ercole I. zipierte Komposition. Die beiden bedeutendsten (1431–1505) war einer der kenntnisreichsten För- Frottola-Komponisten, die beide aus Verona derer der Musik in seiner Zeit. 1487 versuchte er, stammten, wirkten am Hof in Mantua und den etwa 30jährigen Jacob Obrecht, der in standen dort in besonderem Dienstverhältnis Cambrai und Brügge tätig war, an seinen Hof zu zu Isabella d’Este (1474 –1539), Bartolomeo ziehen, weil er dessen Kompositionen schätzte: Tromboncino (1470 –1535) in den Jahren 1489 compositionem musicalem dicti Mgr. Jacobi preter bis 1513 und Marchetto Cara (ca. 1465 –1525) ceteras compositiones magnipendat. 1503 bestellte seit 1494. er Josquin des Prez zum Hofkapellmeister, obwohl

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Barbara Gonzaga und die Musik am Hof in Mantua Andreas Traub

der kaiserliche Hofkomponist Heinrich Isaak, der zelheiten des Rahmens, der für Musikaufführun- sich auch für die Stellung in Ferrara interessierte, gen gegeben war. Am Stift gab es im 15. Jahrhun- 80 Dukaten weniger verlangte und im Unter- dert ein paedagogium, so dass pueri chorales für schied zu Josquin als umgänglich galt. Ercole I. die Kirchenmusik zur Verfügung standen. Auch wollte aber das Außerordentliche in der Kunst, werden etwa 1449 in Bern pfiffer des württember- und das konnte nach seiner Überzeugung nur gischen Hofes erwähnt, 1476/77 finden sich ein Josquin bieten. Dieser ehrte den Herzog mit der Trompeter und ein Lautenist am Uracher Hof Messe Hercules dux Ferrariae (Notenbeispiel 3). und 1485 in Augsburg luttenschlaher und zinken- Dieser Anspruch spiegelt sich auch im Chan- plaser. Damals traten natürlich besonders bei sonnier der Isabella d’Este (vgl. S. 223 f.). Unter Hoffesten Musiker und Sänger auf, so etwa auch den 26 Komponisten, die in der Sammlung ent- drei Sänger bei der Uracher Hochzeit von 1474. halten sind, erscheinen neben Josquin und 1495 umfasste die Hofkapelle fünf Sänger, sechs Obrecht etwa noch Johannes Ockeghem, Antoine Kapellknaben, fünf Trompeter, einen Lautenisten, Busnois und Alexander Agricola. Es ist ein Spek- einen Beckenschläger und einen Organisten – trum der repräsentativen höfischen Musik der die Hofmusik war nun auch hier angekommen. Zeit, das den höchsten Ansprüchen genügt. Die Kompositionen, vor allem dreistimmige Chan- Quellen: sons, sind ohne Texte, abgesehen von den Inci- Gafori, Practica Musica; Gallicus, Ritus canendi pits, aufgezeichnet; das lässt darauf schließen, vetustissimus; Friedlein, Anicii Manlii Torquati dass sie für eine rein instrumentale Aufführung Severini Boetii; Rom, Biblioteca Casanatense, eingerichtet wurden. Die Notiz un libro da canto Ms. 2856 figurato che scripse e notó Don Alessandro Signo- rello a la pifaresca auf einem Dokument im Ar- chivio di Stato in Modena könnte sich auf diese Literatur: Handschrift beziehen. Andrea Mantegna; Baumann, Italien; Chastel / Zuletzt ist auch die ganz andere Musik zu nen- Klein, Die Welt des Humanismus; Fenlon, nen, die Barbara Gonzaga an den württembergi- The Gonzaga and Music; Gallico / Rubsamen, schen Höfen in Urach und Stuttgart erlebt haben Frottola; Gallo, Die Kenntnis; Gottwald, kann. Von dort sind zwar keine bedeutenden Stuttgart; Wegman, Born for the Muses; Wind, Komponisten zu nennen, aber doch einige Ein- Heidnische Mysterien

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CHRISTIAN KÜBLER Der württembergische Hof in Urach

Nach dem frühen Tod Graf Eberhards IV. von drei Etagen, wovon die beiden unteren aus Stein, Württemberg im Jahr 1419 begann für das Haus die oberste aus Fachwerk entstanden. Des Weite- Württemberg eine Periode dynastischer Krisen, ren wurden ein neuer Torturm sowie eine eigene die in der Landesteilung zwischen den Grafen- Kanzlei errichtet. 1460 ließ Eberhard V. die brüdern Ludwig I. und Ulrich V. 1441/42 gipfeln Dürnitz im Erdgeschoss mit einem Kreuzrippen- sollte. Diese anhaltende Krisensituation wurde gewölbe ausstatten (Abb. 2). Anlässlich seiner erst mit Graf Eberhard V., genannt im Bart Hochzeit mit Barbara Gonzaga wurde der heutige (1445 –1496), durch die Wiedervereinigung des »Palmensaal« im ersten Stock mit einer Ahnen- Landes 1482 und die anschließende Erhebung probe Eberhards ausgeschmückt. Auch die Ge- Württembergs zum Herzogtum im Jahre 1495 staltung des so genannten »Goldenen Saals« im überwunden. zweiten Stock lässt sich wohl auf Eberhard zu- Mit der Erhebung Urachs zur Residenz eines rückführen. Der Saal wurde dann jedoch um 1610 eigenen württembergischen Landesteils im Jahr vom damaligen Herzog Johann Friedrich im 1442 benötigte Graf Ludwig mit seinem Hof vor Renaissance-Stil umgestaltet. Ursprünglich waren Ort zunächst eine eigene Verwaltung. Auch sollte die einzelnen Etagen des Schlosses über eine die neue Residenz einen repräsentativen Ein- Reitertreppe verbunden, die heute jedoch nicht druck vermitteln, um Glanz und Ansehen des mehr vorhanden ist. Herrschers und seines Hofes zu verdeutlichen. Als Grablege für seine neue Linie des Hauses Stuttgart als Herrschaftssitz Graf Ulrichs V. besaß Württemberg wählte Ludwig die unweit westlich zum Zeitpunkt der Landesteilung bereits ein re- von Urach gelegene Kartause Güterstein. Doch präsentatives Schloss, dort befand sich auch die bereits sein Sohn Eberhard sollte sich von Güter- Grablege der Grafenfamilie in der benachbarten stein abwenden und das von ihm 1492 gegrün- Stiftskirche. dete Stift St. Peter auf dem Einsiedel zu seiner Graf Ludwig begann in Urach den Bau eines Ruhestätte bestimmen. Als die Kartause Güter- neuen Schlosses, direkt neben der alten Wasser- stein im Zuge der Reformation aufgehoben burg (Abb. 1). Seine Kosten sollten die gewaltige wurde, wurden die dortigen Grabstellen dann in Summe von 5000 Pfund betragen; der Neubau die Tübinger Stiftskirche transferiert. wurde dann erst unter seinem Sohn Eberhard V. Als Graf Ludwig I. 1450 mit nur 38 Jahren früh fertiggestellt. Die Gebäudearchitektur orientierte verstorben war, hatte er zwei Söhne, Ludwig II. sich – wenn auch in deutlich kleinerem Maß- und Eberhard V., hinterlassen, die beide noch stab – am Stuttgarter Schloss und bestand aus unmündig waren. Ludwig II. war zudem schwer

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Der württembergische Hof in Urach Christian Kübler

1 | Das Uracher Schloss (Aufnahme: Christian Kübler)

krank; er starb bereits sieben Jahre später. Die Streit eskalierte 1452 mit der Abwanderung Vormundschaft über die Brüder wurde zunächst Speths und der Kanzlei nach Tübingen. Die Gra- von Ludwigs Bruder Ulrich V., dem Herrn des fenkinder wurden alleine zurückgelassen, und für Stuttgarter Landesteils, übernommen. Doch den nun verwaisten Hof in Urach wurde ein eige- schon bald drängten sich Ludwigs Frau Mecht- ner Haushofmeister eingesetzt. Somit versank der hild und der Uracher Landhofmeister Albrecht Uracher Hof für die nächsten Jahre in einer le- Speth mit den Uracher Räten in die Vormund- thargischen Bedeutungslosigkeit, die erst mit schaftsregierung. Speth übernahm dann auch mit dem Regierungsantritt Eberhards V. 1459 beendet vier weiteren adeligen Räten die täglichen Hof- werden konnte. und Regierungsgeschäfte. Doch die Zusammen- Wichtige Informationen über den Uracher arbeit zwischen den Uracher Räten und Ulrich V. Hof, seine Organisation und Ausstattung, bietet stellte sich zunehmend als schwierig heraus. Der die Überlieferung dann besonders im Umfeld der

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Christian Kübler Der württembergische Hof in Urach

2 | Die Dürnitz des Uracher Schlosses (Aufnahme: Christian Kübler)

Pilgerfahrt Eberhards, die diesen 1468 ins Heilige Mit Hans von Bubenhofen und Georg von Land führte. Im Zuge der Reisevorbereitungen Ehingen begegnen uns hier zwei Personen, die erließ Eberhard eine Regimentsordnung, die die nicht nur schon lange im Dienste des Grafen Verwaltung des Landes und Hofes während seiner standen, sondern unter ihm auch eine exponierte Abwesenheit regeln sollte. Dazu wurden Hans Stellung am Hof eingenommen haben. Buben- von Bubenhofen, Georg von Ehingen, Wolf von hofen war zwischen 1461 und 1481, von einer Neuhausen, Hans Truchsess von Bichishausen kurzen Unterbrechung abgesehen, also fast und Hans Harscher zu Regimentsräten ernannt, 20 Jahre lang, Landhofmeister unter Eberhard. die die täglichen Regierungsgeschäfte wahrneh- Die zeitgenössischen Chronisten beschreiben men sollten. Bei besonders wichtigen Entschei- sein prächtiges Auftreten am Uracher Hof, das er dungen sollten zusätzlich Johann von Udenheim, seiner Stellung als Landhofmeister schuldig zu Abt des Klosters Herrenalb, sowie der Prior der sein glaubte, sowie sein beträchtliches Vermögen. Kartause Güterstein, Konrad von Münchingen, Über seine persönliche Nähe zu Graf Eberhard hinzugezogen werden. hinaus erscheint er auch mehrmals im Umkreis

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Der württembergische Hof in Urach Christian Kübler

von Markgraf Albrecht Achilles von Branden- sich aufgelistet. Die edlen Hofleute, wozu auch burg. die vorhin bereits erwähnten Landhofmeister Georg von Ehingen, ein weit gereister Mann, Hans von Bubenhofen und Haushofmeister war lange Zeit Haushofmeister am Uracher Hof Georg von Ehingen zu zählen sind, erhielten ins- und Vogt im Amt Tübingen. Er sollte dann 1474 gesamt 538 Gulden, das unedle Hofgesinde ca. als Brautwerber nach Mantua reisen, um die 450 Gulden. Die darauf folgenden Diener und Heiratsverhandlungen zwischen Eberhard und Räte, die einzeln genannt werden, bekamen Barbara Gonzaga zu Ende zu führen. zwischen 25 und 100 Gulden. Herausragende Per- Für die Zeit der Abwesenheit Eberhards ist sonen wie Wilhelm von Rappoltstein und Graf uns ein Kostenüberschlag der Hof- und Landes - Friedrich von Helfenstein erhielten sogar 150 verwaltung für die Jahre 1467 bis 1469 erhalten bzw. 200 Gulden. Doch ist die Auflistung nicht geblieben. Für 1467/68 sind leider nur die Geld- vollständig, da abschließend vermerkt ist, dass und Naturalausgaben für die Hofhaltung (Hof- diejenigen Räte, die beim Grafen verschuldet bruch) sowie die Besoldung der Amtsträger in waren oder deren Dienstgeld verschrieben war, den einzelnen Amtsbezirken als Endsumme auf- hier nicht aufgenommen worden sind. gelistet. Sie belief sich insgesamt auf über 35 000 So bleibt das Bild, das durch die Kostenüber- Gulden. Für das darauffolgende Rechnungsjahr schläge für die Jahre 1467 bis 1469 vom Uracher ist die Auflistung genauer. Neben dem Hofbruch Hof gezeichnet wird, etwas diffus. Über den und der Besoldung der Amtsträger in den Amts- Alltag am Hof erfahren wir daraus kaum etwas, bezirken sind nun auch die Ausgaben des Land- doch immerhin ermöglicht es der Vergleich mit schreibers, der Räte am Hof, der Waffenknechte späteren Dokumenten, hierfür neue Einsichten und einiger Handwerker festgehalten. Die Ausga- zu gewinnen; eine Besoldungsliste von 1476/77 ben für dieses Rechnungsjahr betrugen insgesamt nennt an der Spitze 19 Edelleute, womit wohl die 41 709 Gulden. Davon entfielen allein 8855 auf adeligen Räte des Grafen gemeint sind. Auch den Hofbruch, wobei die Kosten für die Hofküche hierunter finden wir wieder Georg von Ehingen, mit rund 2000 Gulden und den Hofschneider mit sein Sold beträgt 100 Gulden. Der Arzt Dr. Tho- rund 1600 Gulden die höchsten Rechnungsposten mas Ruß bezieht die stolze Summe von 150 Gul- darstellten. den als Gehalt. Beides, der hohe Sold und die Neben den Handwerkern, die nur pauschal Auflistung unter den Edelleuten, deutet auf die genannt werden, tauchen in der Abrechnung Bedeutung hin, die Eberhard der medizinischen auch Goldschmiede und Maler aus Tübingen als Versorgung an seinem Hof beigemessen haben gesonderte Posten auf. Diese waren wohl im Zuge mag. der Ausbaumaßnahmen, die Eberhard in Urach Danach folgt die Auflistung des Hofgesindes, vornehmen ließ, an seine Residenz gekommen. darunter auch der bereits genannte Landhof - Auch erfahren wir etwas über den Sold des Hof- meister Hans von Bubenhofen sowie Haushof- gesindes und des Rates. Das Hofgesinde wird meister Dietrich Speth. Bubenhofen erhält vom hier in edles und unedles Hofgesinde unterteilt, Grafen 200 Gulden Sold, der Haushofmeister die einzelnen Personen sind zunächst nicht für hingegen nur 80 Gulden und 80 Scheffel Ge-

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Christian Kübler Der württembergische Hof in Urach

treide. Anschließend folgt eine detaillierte Auf- einer Stiftskirche erheben und übergab sie den zählung des gemeinen Hofgesindes, das die ganze »Brüdern vom gemeinsamen Leben«, die sich der Palette höfischer Personalentfaltung widerspie- »devotio moderna« verschrieben hatten. Gleich- gelt. Exemplarisch seien genannt: diverse Kam- zeitig erfolgte der Um- und Ausbau des alten mer- und Hausknechte, ein Küchenmeister mit romanischen Kirchbaus in eine Stiftskirche mit mehreren Untergebenen und einem Weinbüttel, den dazugehörigen Konventsgebäuden (1474 bis der Kanzler mit seinen Schreibern, ein Fischer, 1499). Tiergärtner, Brotträger, mehrere Jäger und Jagd- Weitere prominente Neubauten in der Stadt knechte, ein Trompeter und ein Lautenspieler, ein gehen auf Eberhards Stiftungen bzw. Initiativen Pferde-, Stuten- und Schweineknecht sowie ei- zurück (Abb. 3): das sogenannte herrschaftliche nige bewaffnete Knechte als Leibgarde. Zur Leib- »Haus am Gorisbrunnen« (1476/79), der Markt- garde kamen noch 22 Leichtbewaffnete hinzu, die brunnen (vor 1500) sowie das 1480 gegründete dem Schutz des Hofes dienten. Für Gräfin Barba- Spital. Mit der Gründung einer Apotheke wurde ras Frauenzimmer waren eine eigene Hofmeiste- 1474 der Arzt Albrecht Münsinger beauftragt. rin, ein Knecht, eine Magd und eine Wäscherin Eberhard war es auch, der um 1478 den Esslinger zuständig. Drucker Konrad Fyner nach Urach holte; da - Somit dürfte der Uracher Hof zu dieser Zeit neben hatte er damals an der Erms eine Papier- zwischen 120 und 130 Personen umfasst haben. mühle errichten lassen. Sowohl der Drucker Vergleicht man diese Zahl mit den Angaben für Fyner als auch die Papiermühle zeigen deutlich 1467 bis 1469, ergibt sich eine Steigerung von ca. Eberhards Interesse an Büchern und seine 20 %. Damit lag der Uracher Hof Graf Eberhards bewusste Förderung der Schriftkultur. Da er im Bart in Hinblick auf seine personelle Ausstat- bekanntlich kein Latein verstand, war Eberhard tung in etwa auf einer Höhe mit dem Stuttgarter auf deutsche Übersetzungen angewiesen, die er Hof seines Onkels Ulrich. Der höfische Alltag, entsprechend intensiv anregte. Einige bemerkens- gerade aus der Sicht des Herrschers, tritt aus den werte Werke aus seiner Bibliothek sind erhalten zeitgenössischen Dokumenten freilich nur spora- geblieben, so das »Buch der Beispiele«, ein ur- disch entgegen. Hier sind es nun vor allem die sprünglich indisches Fabelbuch, oder auch sein Briefe der Gräfin Barbara an ihre Familie nach Gebetbuch, das er später in deutscher Sprache Mantua, die einen Eindruck von ihrem höfischen nach seinen Vorstellungen anlegen ließ. Eber- Leben vermitteln können, wie auch die italie - hards Frau Barbara dürfte durch ihr breites kul- nischen Gesandtenberichte über die Alpen, die turelles Wissen, das ihr bereits in ihrer Kindheit eigens zu behandeln sind. am heimischen Hof in Mantua vermittelt wurde, Blicken wir zunächst noch auf die Aktivitäten zu dieser Aufgeschlossenheit und Förderung Graf Eberhards, die uns im Umfeld seines Ura- nicht unwesentlich beigetragen haben. cher Hofes gerade im religiösen und kulturellen Mit Blick auf die Entwicklung Urachs als Resi- Bereich entgegentreten: 1477, wenige Jahre nach denzstadt Graf Eberhards im Bart wird deutlich, seiner Hochzeit mit Barbara Gonzaga, ließ Eber- wie stark Eberhard der Stadt in dieser Zeit seinen hard die Uracher Pfarrkirche St. Amandus zu Stempel aufgedrückt hat und wie sehr Urach von

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Der württembergische Hof in Urach Christian Kübler

3 | Ansicht von Urach von Hans Salb. Ausschnitt aus dem Epitaph von Bernhard Brendlin in der Uracher Amanduskirche, um 1568

der Entfaltung als Residenz profitierte, anderer- Dadurch wird deutlich, wie sehr der wirtschaft- seits aber auch davon abhängig war. Als nach der liche Wohlstand der Stadt von der Präsenz des Wiedervereinigung des Landes 1482 auch die Grafen und seines Hofes abhängig war. Inwieweit Residenz wieder vereinigt und nach Stuttgart zu- die Bevölkerung unmittelbar von diesem wirt- rückverlegt wurde, brach die Wirtschaft Urachs schaftlichen Aufschwung profitieren konnte, merklich ein. Dies ging sogar so weit, dass die bleibt freilich fragwürdig: Die Schatzung aus dem Uracher Bürger noch im selben Jahr finanziell für Jahr 1470 zeigt deutlich, dass die Uracher Bürger den Verlust der Residenz entschädigt werden damals nicht sehr wohlhabend waren und offen- mussten. 1484 und 1486 wurde die Stadt von bar den höfischen Aufschwung dieser Jahre nur Schatzung (außerordentliche Steuer), Landscha- verzögert mitnehmen konnten. den (allgemeine Steuer) und Diensten befreit.

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Christian Kübler Der württembergische Hof in Urach

Literatur: schaft Württemberg; Mertens, Die württember- Auge, Kongruenz und Konkurrenz; Cermann, Die gischen Höfe; Mertens, Württemberg; Para - Bibliothek Herzog Eberhards im Bart; Deigen- vicini, Höfe und Residenzen, Bd. 1; Rückert, desch, Urach; Kühnle, Zwischen Landesteilung Der württembergische Hof; Württemberg im und Wiedervereinigung; Lorenz, Die Herr- Spätmittelalter; Zeilinger, Dienst und Gunst

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KA R L HA L B AU E R U N D TI L M A N N MA R S TA L L E R St. Amandus in Urach: Pfarr-, Residenz- und Stiftskirche

Am 12. April 1474 waren Graf Eberhard und Barbara Gonzaga im Dom von Mantua feierlich vermählt worden. Unmittelbar nach dem Einzug der Braut in Urach am 3. Juli desselben Jahres wurde die Zeremonie in der Amanduskirche wiederholt. Unter Gesang und Orgelspiel begab sich das Brautpaar in die Kirche, wo es vor dem Bischof von Konstanz die »Gemahlschaft«, das Ehegelöbnis, einging. Doch die eigentliche kirch- liche Eheschließung erfolgte erst am Morgen des nächsten Tages. Gemäß dem Brauch empfing der Bischof das Paar am Kirchenportal, wohl am Brauttor auf der Südseite des Langhauses. Hier wurde der Vermählungsritus mit dem Anstecken der Ringe vollzogen, und anschließend fand sich eine kleine, ausgesuchte Hochzeitsgesellschaft zur Brautmesse in der Kirche ein. Schauplatz dieser Ereignisse war nach unserer Erkenntnis der Vorgängerbau der bestehenden Kirche. Dabei handelte es sich nicht um ein klei- nes romanisches Gebäude, wie bis zu den Gra- bungen von 1988 im Kircheninnern allgemein angenommen wurde, sondern – die Grund- mauern zeigen es – um eine ansehnliche Anlage mit gotischem Chor (Abb. 2). Der polygonale Schluss des Chors deutet auf eine frühestmögli- che Entstehung um 1300. Seine Strebepfeiler wei- 1 | Amanduskirche in Urach sen darauf hin, dass er eingewölbt oder zumin-

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Karl Halbauer und St. Amandus in Urach: Pfarr-, Residenz- und Stiftskirche Tilmann Marstaller

2 | Rekonstruktion des Grundrisses der Amanduskirche im Jahr 1474 (auf der Grundlage des Grabungsplans von Erhard Schmidt, 1988)

dest zur Einwölbung vorgesehen war. Unklar ist, wie das im Grundriss fast identische, wohl gleich- ob das Langhaus einen basilikalen Querschnitt zeitig entstandene Langhaus der Pfarrkirche im besaß: ein hohes, durch eigene Fenster belichtetes nahegelegenen Münsingen. Es könnte aber auch Mittelschiff und zwei niedrigere Seitenschiffe, so einschiffig gewesen sein, wie beispielsweise das

3 | Grundriss der heutigen, nach 1477 errichteten Amanduskirche (Ermittlung der Baudaten: a = archivalisch; d = dendrochronologisch; i = inschriftlich). Die Gewölbe sind jeweils der frühestmöglichen Bauzeit zugeordnet

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St. Amandus in Urach: Pfarr-, Residenz- und Stiftskirche Karl Halbauer und Tilmann Marstaller

bepfeiler sind nach innen verlängert und schaffen so Raum für Einsatzkapellen. Den westlichen Abschluss bildet ein Turm mit quadratischem Grundriss von der Breite des Mittelschiffs. In die Winkel zwischen Langhaus und Chor ist auf der Nordseite der große, zweigeschossige Sakristeibau eingefügt, auf der Südseite eine Kapelle mit dem württembergischen Wappen im Schlussstein (Abb. 5). Diese Kapelle (seit 1865 »Taufkapelle«) ist durch ein Sterngewölbe ausgezeichnet, ebenso das anschließende östliche Joch des Südseiten- schiffs, dessen Schlusssteine eine »Ahnenprobe« Graf Eberhards vorweisen. Durch ihre besondere

4 | Blick in das Langhaus nach Osten

etwa gleichbreite, im Grundriss ebenfalls eng ver- wandte Langhaus der Friedhofskirche in Balingen aus dem 14. Jahrhundert. Mit Sicherheit war auch ein Turm vorhanden, aus dem die beiden älteren, 1439 (seit 1956 in Münsingen-Hundersingen) und 1462 datierten Glocken stammen. Der nachfolgende Neubau, die jetzige Kirche, 3 besitzt einen geräumigen Chor mit /8-Schluss (Abb. 3). Etwas schmaler als der Chor ist das Mit- telschiff des dreischiffigen, basilikalen Langhau- ses, was aber durch den eingezogenen Chorbogen 5 | Gewölbe der »Taufkapelle« mit dem württembergischen verschleiert wird (Abb. 4). Die Langhaus-Stre- Wappen im Schlussstein

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Karl Halbauer und St. Amandus in Urach: Pfarr-, Residenz- und Stiftskirche Tilmann Marstaller

fertiggestellt wurden. Bei den Abmessungen des Gebäudes orientierte man sich offenbar an der Stiftskirche in Stuttgart, der Residenzkirche der anderen württembergischen Landeshälfte. Wie es scheint, wollte man keinesfalls hinter ihr zurückbleiben.

6 | Brauttor mit dem württembergischen Wappen über dem Portal

Rippenfiguration heben sie sich von den übrigen Raumteilen der durchgängig gewölbten Kirche ab (Abb. S.98). Als Schauseite wurde die dem Schloss zuge- wandte Südseite ausgebildet. Hier befindet sich das einzige repräsentative Portal der Kirche, das Brauttor (Abb. 6), an dem der Patronatsherr Graf Eberhard sein Wappen anbringen ließ. Zudem erhielten die Langhaus-Strebepfeiler an dieser Seite schmückende Figurentabernakel, die zur Bauzeit angelegt, aber vermutlich nicht mehr 7 | Betstuhl des Grafen Eberhard im Bart, datiert 1472

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St. Amandus in Urach: Pfarr-, Residenz- und Stiftskirche Karl Halbauer und Tilmann Marstaller

8 | Wappenschild Eberhards im Bart mit Rankenwerk und 9 | Wappenschild Barbara Gonzagas mit Rankenwerk und Löwe im linken Zwickel der Sediliennische Hundekopf im rechten Zwickel der Sediliennische

Umstritten ist der Zeitpunkt, zu dem der Neu- allerdings auch auf eine nachträgliche Änderung bau der heutigen Kirche in Angriff genommen zurückgehen, denn der obere Abschluss der Ni- wurde. Da schriftliche Zeugnisse über den Bau- sche mit den plastisch gestalteten Wappen in den beginn und -verlauf fehlen, war man bislang auf Eckzwickeln besteht aus einem feinkörnigeren Jahreszahlen am Gebäude und seiner Ausstattung Stein und die Profilanschlüsse sind leicht versetzt. und auf Daten historischer Begebenheiten an- Von einer Fensterstiftung blieben drei Scheiben gewiesen. Die früheste zur Erschließung des Bau- erhalten. Die Inschrift unter der Darstellung des beginns herangezogene Jahreszahl findet sich an knienden Stifters lautet: Hans vo(n) bube(n)- dem aufwendigen einsitzigen Kirchenstuhl, der hofe(n) lant hoff maister 1475 (Abb. 10). Er war durch die Inschrift EBERHARDVS COMES DE der oberste Bedienstete in der Grafschaft und der WIRTEMBERG ET DE MONTE PELLIGARDO Vorsitzende des Regentschaftsrats während der 1472 und die Devise attempto als »Betstuhl« Graf Pilgerreise des Grafen ins Heilige Land. Vor 1896 Eberhards ausgewiesen ist (Abb. 7). befanden sich die Scheiben im Fenster der west- 1474 feierten der Graf und Barbara Gonzaga lich an das Brauttor grenzenden Einsatzkapelle, noch in der alten Kirche ihre Vermählung. In die durch das Bubenhofen-Wappen im Schluss- den ausführlichen schriftlichen Quellen über stein als dessen Kapelle gekennzeichnet ist. dieses Ereignis findet sich kein Hinweis auf eine Wie sein erhaltener Totenschild nahelegt, wird Bautätigkeit. Die beiden Wappen der Eheleute sich der 1481 verstorbene Landhofmeister in zieren die in den Bau integrierte steinerne seiner Kapelle bestattet lassen haben. Sediliennische in der Chorsüdwand, die folglich Besonders bedeutsam war das Jahr 1477: erst nach der Hochzeit ausgeführt worden sein Auf Bitten Graf Eberhards hatte Papst Sixtus IV. kann (Abb. 8, 9). Der jetzige Zustand könnte die Pfarrkirche St. Amandus zum Kollegiatstift

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10 | Drei erhaltene Scheiben, datiert 1475, von einem Straßburger Glasmaler mit dem Notnamen »Freiburger Meister«

erhoben, und am 16. August erfolgte die feierliche so weit vollendet waren, dass die Feierlichkeiten Übergabe des Stifts an die Brüder vom gemein- darin stattfinden konnten. Die neuesten Untersu- samen Leben, die aus der Reformbewegung der chungsergebnisse widersprechen dieser Ansicht. devotio moderna hervorgegangen waren. Zur Doch zuvor zu weiteren Baumaßnahmen und zur Übergabe erschienen Graf Eberhard, Johannes Ausstattung der Kirche unter den Fratres. Vergenhans, der Rektor der im gleichen Jahr Gleich nach ihrem Aufzug in Urach begannen gegründeten Universität Tübingen, sowie einige sie mit der Errichtung ihres Wohngebäudes, des Vertreter der Brüder vom gemeinsamen Leben Mönchshofes. Dessen dreiflügelige, einen weiten im Chor der Amanduskirche. Nach dem Verlesen Innenhof umschließende Anlage stößt an die der päpstlichen Bulle und der förmlichen Über- Nordseite der Kirche. Die Jahreszahlen 1477 und nahme des Stifts begaben sich die Fratres in die 1498 über einer Tür, die Anfang und Ende der Sakristei (armarium), um einen aus ihrer Mitte Bauzeit mitteilten, sind verlorengegangen, aber zum Propst zu wählen. Bisher ist man davon aus- der an die Sakristei grenzende Torbogen zum gegangen, dass bei der Übergabe der Kirche im Innenhof trägt noch immer die Inschrift: ANNO Jahr 1477 Chor und Sakristei des Neubaus schon D[OMI]NI 1478 11 JVLY. Vom selben Tag datiert

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eine zugunsten des Uracher Kirchbaus vom Papst Kirche als Gutachter nach Urach gerufen. Zwar ausgestellte Ablassurkunde. Zuvor schon wurden fehlt eine Angabe der strittigen Punkte, doch am 7. Dezember 1476 und am 15. Oktober 1477 da ausdrücklich der Kirchturm erwähnt wird, Ablassbriefe für die Amanduskirche ausgestellt. könnte es um die statischen Probleme gegangen Von den reichlich fließenden Spendengeldern aus sein, die beim Bau des nördlichen Seitenschiffs diesen und weiteren Ablässen konnten die Bau- und verstärkt beim Bau des Turms aufgetreten maßnahmen problemlos finanziert werden. 1479 waren und Sicherungsmaßnahmen erforderlich wurde der allgemeine Begräbnisplatz, der sich gemacht hatten. neben der alten Kirche befunden hatte, verlegt. Obwohl nun das Gebäude mit Ausnahme des Man benötigte den Platz für den größeren Neu- Turms vollendet war, kamen zur Ausstattung bau und für den Mönchshof. In einen Eckquader weitere Stücke hinzu und andere wurden aus - des Westturms außen auf der Südseite ist in getauscht. 1507 erhielt die Sakristei einen monu- etwa zwei Metern Höhe die Jahreszahl 1481 ein- mentalen, mit Flachschnitzereien verzierten gemeißelt. Ab 1481 wird der Architekt Peter von Schrank. Zehn Jahre später, 1517, ließ Herzog Koblenz in den württembergischen Diener - Ulrich mit päpstlicher Erlaubnis die Stifte und büchern unter den gräflichen Handwerksleuten Häuser der Brüder vom gemeinsamen Leben in geführt. Spätestens damals hat er die Leitung des Württemberg auflösen (mit Ausnahme der Grab- Kirchbaus in Urach übernommen, wo er nun lege Eberhards im Bart, des Stifts St. Peter zum auch ein Haus besaß. Einsiedel im Schönbuch). St. Amandus wurde Ein erheblicher Einschnitt in die württember- in ein weltliches Stift umgewandelt. Den 1518 gische und die Uracher Geschichte erfolgte 1482, datierten, künstlerisch hochrangigen Taufstein als im Münsinger Vertrag die Wiedervereinigung haben wohl noch die Fratres bei dem jungen, be- der beiden Landeshälften beschlossen und Stutt- gabten Bildhauer Christoph von Urach in Auftrag gart zur alleinigen Residenz bestimmt wurde. Im gegeben. Derselbe Künstler hat 1520 auch die folgenden Jahr übersiedelte Graf Eberhard mit beiden Konsolen an den östlichen Arkadenpfei- seinem Hof nach Stuttgart, und wie es scheint lern ausgeführt, die einst die Statuen der Mutter- hatte er seinen Werkmeister Peter von Koblenz gottes und des hl. Amandus trugen (1905 er - schon vorausgeschickt. hielten die längst leeren Konsolen neue Statuen Die Fertigstellung des Kirchbaus lässt sich aus der Herzöge Eberhard im Bart und Christoph). einer Urkunde von 1499 erschließen, in welcher Aus den angeführten Daten und Fakten lassen geregelt wird, wie die jährlich anfallenden Zinsen sich Beginn und Abfolge der Neubaumaßnahmen für das übriggebliebene Baugeld zwischen Stift nur bedingt erschließen. Es ist daher nicht ver- und Stadt aufzuteilen sind. Außerdem soll dem wunderlich, dass man sich bisher auf kein Ergeb- Architekten Peter von Koblenz sein noch aus - nis einigen konnte. Nun werden erstmals neu stehendes Gehalt bezahlt werden. 1501 wird der gewonnene dendrochronologische Daten von den Esslinger Werkmeister Matthäus Böblinger in Hölzern der Dachwerke in die Diskussion mit - einem Streitfall zwischen dem Architekten und einbezogen. Wie stellt sich uns die Baugeschichte den Baupflegern wegen des Kirchturms und der der Amanduskirche unter Berücksichtigung die-

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Jahr 1477, nach der Übernahme der Kirche durch die Brüder vom gemeinsamen Leben, zu rechnen. In jenem Jahr setzte auch der Bau des Mönchs- hofs ein, der als dringend benötigtes Wohnge- bäude der Fratres keinen Aufschub duldete. Am 11. Juli 1478, als der Torbogen zum Innenhof gegen den nordöstlichen Strebepfeiler der Sakris- tei gesetzt wurde, mussten deren Außenmauern mindestens Geschosshöhe erreicht haben. Noch während der Errichtung der Sakristei wurde auch der Chorbau in Angriff genommen, denn er kam bereits 1482 unter Dach, wofür zwei saftfrisch verbaute Eichenhölzer, die im Winter 1481/82 eingeschlagen wurden, den Nachweis liefern (Abb. 12). Dabei ist zu bedenken, dass zuerst Pläne angefertigt, der vorhandene Chor abge- tragen, Baugruben ausgehoben und Fundamente gelegt werden mussten. Die Bauarbeiten kamen rasch voran, wie die dendrochronologisch auf 1483 datierten Pult- dächer der Seitenschiffe zu erkennen geben. Da- nach vergingen mindestens sechs Jahre, bis das Mittelschiff sein heutiges Dachwerk erhielt. Das dafür verwendete Holz wurde im Winter 1488/89 11 | Dachwerk des Sakristeibaus: Blick nach Südost auf gefällt. Möglicherweise ist für diese Unterbre- den Anschluss des Dachwerks an die Chornordwand chung die Übersiedlung des Hofes nach Stuttgart verantwortlich, von der auch die beiden am Bau der Amanduskirche beteiligten fürstlichen Werk- ser zusätzlichen, objektiven Informationen dar? meister betroffen waren. Ob damals sämtliche Die Untersuchung der Dachhölzer des Sakris- Arbeiten eingestellt wurden oder ob man in jenen teibaus erbrachte Fälldaten im Sommer 1478 und Jahren etwa die vorbereitenden Steinmetzarbei- im Winter 1478/79 (Abb. 11). Somit ist von der ten und die Einwölbung des Chors, der Seiten- Abzimmerung des Dachwerks und damit von der schiffe und Einsatzkapellen vorantrieb, ist nicht Fertigstellung des Rohbaus frühestens im Laufe zu entscheiden. des Jahres 1479 auszugehen. Angesichts der gerin- Der zunächst als freistehender Baukörper gen Dimension dieses Bauteils und der Verwen- begonnene Westturm ragte 1483 bereits drei Ge- dung von leicht zu bearbeitendem Tuff als Werk- schosse in die Höhe, als der Baugrund nachgab stein ist am ehesten mit einem Baubeginn im und der Turm sich nach Norden neigte. Mit

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einem kräftigen Sockelmauerwerk an der Nord- seite versuchte man schlimmeren Schaden zu ver- hindern. Offenbar traute man aber der statischen Belastbarkeit des Turmes auch nach den Siche- rungsarbeiten so wenig, dass man auf den Weiter- bau und die Errichtung eines Glockengeschosses vorerst verzichtete. Jedenfalls ist die Anlage eines auffallend geräumigen Chordachreiters im Jahre 1482 kaum anders zu deuten, als dass er proviso- risch die Glocken aufnehmen sollte (Abb. 13). Die teils mit einem Sprengwerk versehene, teils auf der Chorbogenmauer ruhende Substruktion des Dachreiters ist in Teilen bis heute erhalten. Da der Dachreiter vermutlich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts erneuert wurde, dürfte die pro- visorische Lösung der Glockenstube noch weiter bestanden haben. Vielleicht wollte man auch ab- warten, wie sich die Schäden am Turm weiterent- wickeln würden. Um 1489/90 wagte man schließ- lich die bauliche Anbindung des Hochschiffs an den Turm. Es ist durchaus denkbar, dass dieser unbefriedigende Zustand zu dem Zwist des Jahres 1501 zwischen den Kirchenpflegern und dem Architekten geführt oder wenigstens dazu bei- getragen hat. Erst später, wie es scheint in den 12 | Das Chordachwerk, vermutlich 1480/81 begonnen, aber erst dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts, erhielt 1482 vollends aufgeschlagen, besitzt eine aufwendige, liegende Stuhlkonstruktion mit Hängewerk, das die Durchbiegung des der Turm doch noch eine Glockenstube, die sich Dachgebälks verhindern soll über einem von vier geschwungenen Giebeln gesäumten Zwischengeschoss erhob. Dabei trägt der wuchtige, aus kräftigen Eichenhölzern gezim- merte Einbau mit der Doppelfunktion als Glo- über zwei Geschosse reichende Konstruktion ckenstuhl und als Unterbau für die Türmerstube behielt man auch bei, als 1896 – 98 der obere Teil der statischen Unsicherheit des Turms Rechnung: des Turmes, ab dem vierten Geschoss, neu aufge- Er setzt bereits im Zwischengeschoss auf den führt wurde. Ein weiteres Indiz für die Verlegung spätmittelalterlichen Teilen des Turms an, um die der Glockenstube vom Chordachreiter in den Schwingungen und Erschütterungen beim Läuten Westturm ist die nachträglich in das Chordach- und die Lasten der darüber liegenden Bauteile werk eingebaute Aufzugsvorrichtung, wie sie möglichst weit nach unten zu verlagern. Seine zum Herablassen von Glocken benötigt wird. Am

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Dachreiter, der auf der Stadtansicht des Brendlin- lich war Meister Hans bereits zuvor in Urach Epitaphs von 1568 abgebildet ist (Abb. S. 73), tätig, an dem 1476 erbauten »Haus am Goris- nahm man auch später keinen Anstoß. Im Ge- brunnen«, einem von dem aus Urach stammen- genteil: 1666 wurde beschlossen, ihn bis auf den Kaplan Christoph Vetter in Auftrag gegebe- weiteres stehenzulassen. nen, zwischen 1481 und 1490 an Graf Eberhard Wer war für den Holzbau verantwortlich? Am übergegangenen Stadtpalais mit der damals 29. September 1478 verpflichtete Graf Eberhard zimmermannstechnisch innovativsten Fachwerk- den Zimmermann Hans von Zweibrücken zu sei- fassade in der ganzen Grafschaft. Seine Verpflich- nem Werkmeister mit Sitz in Urach. Zuvor hatte tung erfolgte sicher im Hinblick auf die umfang- der Zimmermann dieselbe Stellung bei Eberhards reichen Aufgaben, die für einen erfahrenen Stuttgarter Onkel, Graf Ulrich V., inne. Vermut- Meister dieses Faches gerade jetzt anfielen. Paral- lel zu den Arbeiten an der Amanduskirche und dem Fachwerkbau des Mönchshofs galt es, in Tübingen die gräflichen Bauprojekte im Zusam- menhang mit der neugegründeten Universität zu planen und ihren Bau zu beaufsichtigen. Ein Großteil der Universitätsbauten entstand zwi- schen 1477 und 1480. Das Langhaus der dortigen Stiftskirche wurde 1478 begonnen. Sein Dach- werk (Fälldaten: Winter 1487/88, 1488/89 und Sommer 1489) erhielt es 1490, zur selben Zeit wie das Uracher Mittelschiff, und hier wie dort wurden ausschließlich geflößte Nadelhölzer verwendet. In jenen Jahren scheint es aufgrund der vielen aktuell anstehenden Bauvorhaben zu einem Engpass bei der Versorgung mit Bauholz aus dem Schwarzwald gekommen zu sein. Denn um 1488 sandte der Graf seinen Werkmeister Hans von Zweibrücken zusammen mit Floß - meistern von der Enz an den oberen Neckar, um den Unterlauf der Glatt mit den Zuflüssen Lauter und Heimbach zur Bauholzflößerei auszubauen. Nach Ausweis zahlreicher »Wiedlöcher« oder »Floßaugen« stammen sämtliche in der Aman- 13 | Querschnitt durch das Langhaus mit Blick auf den duskirche verbauten Nadelhölzer aus dem Westgiebel des Chors (auf der Grundlage einer Zeichnung von G. Loesti, 1897): teilweise hypothetische Rekonstruktion Schwarzwald, wo sie in Flöße eingebunden und des Bauzustands um 1483 bis 1489 mit der damaligen auf dem Neckar bis nach Neckartenzlingen ge- provisorischen Ausführung des Langhausdachwerks flößt wurden. Von dort transportierte man die

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Flut von Kirchenneubauten mit geräumigen Langhäusern. Die neu gewonnenen Daten zur Baugeschichte zeigen, dass der Neubau der Amanduskirche erst nach der Übernahme durch die Brüder vom ge- meinsamen Leben begonnen wurde. Die Fratres als Bauherren dürften daher, vermutlich zusam- men mit dem Stifter und Patronatsherrn Graf Eberhard, den entscheidenden Einfluss auf die Baugestalt der Kirche genommen haben. Auffällig ist die Ausführung des Langhauses als Basilika anstatt – wie im ausgehenden Mittelalter üblich – als Halle mit gleichhohen Schiffen oder als Staffelhalle mit erhöhtem Mittelschiff, das aber ohne direkte Belichtung bleibt. Die basili- kale Bauform wird im 15. Jahrhundert, zumin- dest im süddeutschen Raum, nur noch äußerst selten gebraucht. Zu den wenigen Beispielen zählt 14 | Hl. Petrus mit Palmbaum, dem Zeichen des Grafen Eberhard im Bart – Schlussstein am Chorgewölbe die 1428 geweihte Stadtpfarrkirche von Geislin- gen an der Steige. Ob dieser Bautyp in Urach zur ursprünglichen Planung gehörte, ist nicht zu ent- bereits vor dem Verflößen vierkant zugerichteten scheiden. Sicher ist nur, dass die Anbindung der Stämme mit Fuhrwerken das Ermstal hinauf südlichen Hochschiffwand an den Chor durch bis nach Urach. Die geflößten Hölzer in den Tuffsteinquader, die aus der Chorbogenmauer Dachwerken über dem Sakristeibau (Fälldaten ragen, vorbereitet wurde. Die Lage dieser Verzah- der Floßhölzer im Sommer 1478 und Winter nung weit oberhalb der Arkadenscheitel des 1478/79) und Chor (Fälldaten der Floßhölzer im Langhauses schließt aus, dass hier eine Halle mit Winter 1479/80) zählen zu den frühesten Belegen gleichhohen Schiffen geplant war. Zudem belegt für die Langholzflößerei am oberen Neckar. Erst die aufwendige, den übrigen Chorstrebepfeilern kurz zuvor, 1476, war der seit 1458 bestehende entsprechende Gestaltung des Strebepfeilers, der Flößereivertrag für den Oberlauf des Flusses er- südlich in der Flucht der Chorbogenwand ange- neuert worden, offensichtlich in Zusammenhang legt wurde, dass der Anschluss des Seitenschiffs mit der unmittelbar bevorstehenden Gründung nicht höher vorgesehen war als ausgeführt. Zu- der Universität Tübingen im Jahr 1477. Die ab nächst hat man das Langhaus als Staffelhalle aus- diesem Zeitpunkt intensivierte Flößerei schuf gebildet, wobei das Mittelschiff anfangs vermut- im mittleren Neckarraum die Voraussetzung für lich eine flache Holzdecke erhielt (Abb. 13). Der die Fertigung größerer Dachkonstruktionen und basilikale Querschnitt entstand erst in einem führte so in den folgenden Jahrzehnten zu einer zweiten Bauabschnitt durch die Erhöhung der

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Mittelschiffwände über den Arkaden. Dies lässt und ihre figürlichen Darstellungen verweisen sich an nachträglichen Änderungen der 1482 in auf die Bauskulptur der ebenfalls von Peter von Sichtfachwerk ausgeführten westlichen Chorgie- Koblenz erbauten Blaubeurer Klosterkirche. belwand ablesen, die aufgrund der späteren, um Vom Lettner zeugen nur noch die Bogenan- 1489 vorgenommenen Erhöhung des Mittel- fänge an den beiden östlichen Arkadenpfeilern schiffs erforderlich wurden. des Langhauses. Ihre Ausrichtung zeigt, dass Die ursprüngliche Bestimmung des gewölbten der Lettner das Mittelschiff und das nördliche Raums im Sakristeiobergeschoss ist nicht über - Seitenschiff des ersten Langhausjochs einnahm, liefert und lässt sich aus seiner Anlage auch nicht also asymmetrisch angelegt war, so dass der Blick eindeutig erschließen. Die grundsätzlich mögli- auf die Ahnenprobe im ersten Gewölbefeld des che Verwendung als Schatz- und Heiltumskam- südlichen Seitenschiffs und der Zugang in die mer oder als Archiv kommt wegen der großen östlich anschließende, um 1483 unter Dach ge- Fensteröffnungen in der gemeinsamen Wand mit kommene Kapelle frei blieben. Bemerkenswert dem Chor, die den gebotenen Sicherheitsanforde- ist ferner, dass der Lettner an die Arkadenpfeiler rungen gegen Diebstahl entgegenstehen, nicht in angebunden war und somit die gesamte Jochtiefe Frage. Auch für den Gebrauch als Bibliothek sind umfasste. Da sich in den Schriftquellen keine die Öffnungen zum Chor unnötig und störend. Nachricht über seinen Abbruch findet, hält man Und gegen die Funktion als Herrschaftsloge es für zweifelhaft, ob er überhaupt ausgeführt spricht die umständliche und beschwerliche wurde. Jedenfalls hatte er gerade in einer Stifts- Zugangssituation, denn der Raum ist nur über kirche eine Reihe von Funktionen zu erfüllen, ein Treppentürmchen in der Nordwestecke des deren wichtigste wohl die Abschrankung des Chors und durch eine Verbindungstür mit dem Chors als Raum der Kleriker gegen das allgemein Mönchshof zu erreichen. Für die Fratres war dies zugängliche Langhaus war. der einzige direkte Weg von ihrer Behausung in Zu den frühen Ausstattungsstücken des Chors den Chor, um hier mehrmals am Tag die Stun- gehört das im 19. Jahrhundert veränderte und dengebete zu verrichten. Neben dieser Aufgabe stark erneuerte, ursprünglich 28-sitzige, eichene als Durchgangsraum könnte das Sakristeioberge- Chorgestühl. Formale und stilistische Merkmale schoss den Fratres als Kapelle gedient haben. seiner Skulpturen, wie etwa die winzigen Hände Die Datierung des Sakristeibaus, in dem sich der unbeholfenen Halbfiguren an den Pult - das für Peter von Koblenz charakteristische Motiv wangen, stimmen mit jenen mancher Propheten- der überkreuzten Rippenanfänger findet, legt halbfiguren an den Gewölbekonsolen der vor nahe, dass Peter von Anfang an die Bauleitung 1483 erstellten Langhaus-Seitenschiffe überein. innehatte. Gleichsam als Signatur ließ er sein Der größte Teil der Ausstattung ist als Folge Meisterzeichen mit einem Engel als Schildträger der Reformation zugrunde gegangen. Nach dem an dem nach 1482 eingezogenen Chorgewölbe Uracher »Götzentag« im Jahr 1537, einem theolo- anbringen. Seine Mitarbeiter errichteten an gischen Gespräch für und wider die Abschaffung einem der vor 1483 aufgemauerten Langhauspfei- der Bilder in den Kirchen, entschied Herzog ler die reich verzierte Kanzel. Ihre Ornamentik Ulrich gegen die Bilder. Zwar wurde sein Befehl

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anfangs nur zögerlich befolgt, so dass er ihn wie- andere Stück aus der Heimat Barbara Gonzagas. derholen musste, aber schließlich zog er doch Es ist immerhin erstaunlich, dass die zu jener Zeit verheerende Auswirkungen für die kirchlichen in Mantua blühende Renaissancekunst – man Kunstwerke nach sich. Als besonderen künstleri- denke nur an die Kirche S. Andrea von Leon Bat- schen Verlust für die Amanduskirche empfindet tista Alberti oder die Fresken im Palazzo Ducale man heute die Beseitigung des Sakramentshäus- von Andrea Mantegna – in der Amanduskirche chens und der Altarretabel. keine Spur hinterlassen hat. An Barbara Gonzaga, die von 1474 bis 1483 in Urach lebte, erinnert in der Kirche allein noch ihr Dendrochronologische Untersuchung (Dach- Familienwappen als Gegenstück des Wappens werke der Uracher Amanduskirche): Hans-Jürgen ihres Gatten in einem Zwickel der Sediliennische Bleyer, Tübingen (Sakristeibau und nördliches (Abb. 8, 9), einer ungewöhnlichen Stelle, um Stif- Seitenschiff des Langhauses) und Tilmann ter- und Patronatswappen anzubringen. Eher Marstaller, Rottenburg (Chor, Mittelschiff und würde man die Wappen, wie in der Tübinger südliches Seitenschiff des Langhauses). Die Aus- Stiftskirche, an den Schlusssteinen des Chors er- wertung der Proben erfolgte durch Hans-Jürgen warten. In der Amanduskirche findet sich dort Bleyer. nur ein eher versteckter Hinweis auf Eberhard: die Wiedergabe seines Symbols, des Palmbaums, auf dem Schlussstein mit dem Apostel Petrus – Literatur: eine singuläre Kombination zwischen einem Hei- Corpus Vitrearum, Schwaben 2; Beschreibung ligen und dem Eberhard-Symbol, ohne dass eine des Oberamts Urach; Deutscher Glockenatlas, Darstellung des Grafen oder seines Wappens Bd. 1; Ehrlich, Die Stiftskirche St. Amandi; hinzutritt (Abb. 14). Auf die Verbindung Graf Gratianus, Die Pfarrkirche St. Amandi; Gratia- Eberhards mit seiner Residenzkirche weisen nus, Der Mönchshof zu Urach; Halbauer, pre- außerdem sein Betstuhl, die Ahnenprobe im Sei- digstül; Kolb, Beschreibung von Urach; Laier- tenschiffgewölbe sowie die Wappen in der »Tauf- Beifuss, Spätgotik in Württemberg; Marstaller, kapelle« und am »Brauttor« hin (Abb. 5 – 7). Herrschaftliche Großbauprojekte; Marstaller, Bestimmt hatten sich der Graf und seine Gattin Der Wald im Haus; Mettler, Zur Baugeschichte mit einer Stiftung an der Errichtung des Hoch - der Amanduskirche; Pfeilsticker, Neues Würt- altarretabels beteiligt. Vielleicht war das Paar tembergisches Dienerbuch; Pohl, Peter von Ko- daran auch abgebildet, so wie sich der Graf am blenz; Schmidt, Die Amanduskirche; Schöntag, Hochaltar der Blaubeurer Klosterkirche als Mit- Die Anfänge der Brüder vom gemeinsamen stifter darstellen ließ (Abb. S. 206). Mit Sicherheit Leben; Strähle / Halbauer, Neues zu Peter ist manche Stiftung des Grafenpaares verloren von Koblenz; Württemberg im Spätmittelalter; gegangen, darunter vielleicht sogar das eine oder Zeilinger, Die Uracher Hochzeit

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SÖ N K E LO R E N Z Eberhard im Bart entdeckt seine Ahnen: Heraldische Aufrüstung zur Uracher Hochzeit (1474)

Am 3. Juli 1474 trafen auf halbem Weg zwischen Blaubeuren und Urach der Mantuaner Brautzug und das von Eberhard im Bart angeführte Emp- fangskommittee zusammen. Man begrüßte sich in standeshierarchischer Reihenfolge und holte die Braut in einem prächtigen Zug in die Stadt Urach ein. Zuerst ging es in die Amandus-Kirche, wo der Bischof von Konstanz eine gemahlschaft zelebrierte, also ein kirchlich eingebundenes Ehegelöbnis der beiden Brautleute. Dann ging es hinüber ins Schloss, durch die frisch ausgemalte Toreinfahrt (Abb. 1). Der riesige Palmbaum in der Toreinfahrt, der dort kurz zuvor zusammen mit der »Attempto«- Devise an die Decke gemalt worden war, gilt »als frühester gesicherter Beleg für Graf Eberhards persönliches Zeichen«. Beim Hauptbankett am 4. Juli wurden noch Überraschungen geboten, so zeigte ein Schaugericht eine Stellage, in der drei Sänger saßen und auf der silbernes Geschirr gruppiert war, geschmückt mit einem Dattel- baum (»ain dattlen bom«) und lebendigen Vö- geln. Auf die Frage, »wann und wo Eberhard die Palme zu seinem persönlichen Zeichen wählte«, hat Ingrid Gamer-Wallert statt ins Heilige Land, 1 | Die Palme in der Uracher Toreinfahrt

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Eberhard im Bart entdeckt seine Ahnen: Heraldische Aufrüstung zur Uracher Hochzeit (1474) Sönke Lorenz

so zumeist die bisherige Forschung, mit der gebo- (1917 –1992), den Rang dieses im Laufe der Jahr- tenen Vorsicht nach Italien verwiesen, »wo die hunderte völlig verunstalteten Raumes erkannt, Bildersprache der Renaissance in Literatur und gedeutet und vor weiteren Zerstörungen bewahrt Kunst gerade einen ersten Höhepunkt im Sinne zu haben, so dass schließlich der Palmensaal nach der Wiederkehr der Antike erlebte«. Diese plau - seinen Vorgaben sogar ansprechend restauriert sible Vermutung findet eine Stütze auch in Eber- werden konnte (Abb. 2, 3). hards Reise nach Mantua, wo – als er im April Hier nahm die Hochzeitsgesellschaft ein Fest- 1474 dort um die Hand von Barbara Gonzaga mahl ein, um danach zum Tanz überzugehen. anhielt – Andrea Mantegna den Palast der Mark- Nach diesem höfischen Amusement wurde der grafen mit neun Gemälden zum Triumphzug zivilrechtliche Teil der Eheschließung vollzogen, Caesars ausschmückte und den von der Victoria das Beilager im Brautgemach; dabei firmierten bekränzten Triumphator im Wagen mit der Sie- nur die Fürsten als Zeugen. Der Chronist ver- gespalme in der Hand versah. Auch war es zu der merkte für den Abschluss des Tages noch, dass Zeit beim Adel romanischer Zunge üblich ge - der Bräutigam an diesem Abend nicht mehr worden, »zusätzlich zum ererbten Wappen gesehen wurde. persönliche Impresen zu wählen, die in Bild (pic- Bei der Uracher Hochzeit, dem »glanzvollsten tura) und – in der Regel ein antikes Zitat aufgrei- Fest, das Eberhard im Bart zeit seines Lebens fender – Wortdevise (inscriptio) sich persönlich veranstaltete« (Amelung), konnte sich die Braut auf den Träger oder ein wichtiges von ihm ge- auch bereits ein Bild von der Qualität und dem plantes Unternehmen bezogen«. Gamer-Wallert Rang der Ahnen ihres Mannes machen. So waren konnte als zwei Beispiele Cosimo I. de Medici im Palmensaal des Uracher Schlosses als Eber- und Francesco Maria della Rovere, Herzog von hards Ahnenprobe die jeweils in die Attempto- Urbino, anführen. Eine solche Interpretation Palme eingebundenen Schilde (Tartschen) jener schließt gleichwohl einen Zusammenhang Familien an die Wände gemalt, aus denen sich zwischen Eberhards Jerusalemfahrt von 1468 seine Vorfahren rekrutierten. Laut Decker-Hauff und der Attempto-Palme keinesfalls aus, wurden handelt es sich bei den Malereien »um die älteste doch die Jerusalempilger schon zur Zeit Dantes monumentale heraldische Ahnenprobe im profa- (1265 –1321) als palmieri bezeichnet, im Gegen- nen, nicht sepulkralen Bereich, die nördlich der satz zu den Rompilgern, den romei, und den Alpen erhalten ist«. Bei dieser Acht-Ahnen-Probe Wallfahrern nach Santiago, den peregrini. »stehen gewissermaßen in einem doppelten Aber wie dem auch sei, seit 1474 begegnet man Aufmarsch an der Nordwand vier Männer, an der im heraldischen Umfeld des Grafen auf Schritt Südwand vier Frauen einander gegenüber«. und Tritt seiner Palme und seiner Devise: Am Der Reigen an der Nordwand beginnt mit dem eindringlichsten und augenfälligsten im soge- Schilde von Württemberg, dem auf der Südwand nannten Palmensaal im ersten Obergeschoss des das Visconti-Wappen gegenübersteht. Damit Uracher Schlosses, den er extra für seine Hoch- ist das Großelternpaar väterlicherseits von Eber- zeitsfeier hatte ausmalen lassen. Es ist das groß - hards Vater Graf Ludwig I. von Württemberg artige Verdienst von Hansmartin Decker-Hauff († 1450) gekennzeichnet: Graf Eberhard III.,

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Sönke Lorenz Eberhard im Bart entdeckt seine Ahnen: Heraldische Aufrüstung zur Uracher Hochzeit (1474)

2 | Gesamtansicht der Nordseite des Palmensaals in Urach

genannt der Milde, von Württemberg († 1417) tern väterlicherseits von Eberhards Mutter und dessen erste Frau Antonia Visconti († 1405) Mechthild von der Pfalz: Kurfürst Ruprecht III. (Abb. 4, 5). Es folgt auf der Nordwand das von der Pfalz († 1410), König von 1400 bis 1410, Wappen von Mömpelgard, dem auf der Südwand und Elisabeth von Zollern-Nürnberg († 1411) der Schild von Châtillon gegenübersteht. Dieses (Abb. 8, 9). Das vierte Paar schließlich wird ge- Paar steht für die Großeltern mütterlicherseits kennzeichnet durch die Wappen der Großeltern von Graf Ludwig I.: Graf Heinrich von Orbe, mütterlicherseits von Mechthild von der Pfalz: Erbe von Mömpelgard († 1396), und Maria von Graf Amadeus von Savoyen und Piemont, (Titu- Châtillon († 1393) (Abb. 6, 7). lar-)Fürst von Achaia († 1402) und Katharina von Das dritte Paar bilden die Tartschen der Kur- Genf († 1407), einer Schwester des Gegenpapstes pfalz und von Zollern. Sie stehen für die Großel- Clemens (VII.) (Abb. 10, 11).

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Eberhard im Bart entdeckt seine Ahnen: Heraldische Aufrüstung zur Uracher Hochzeit (1474) Sönke Lorenz

3 | Gesamtansicht der Südseite des Palmensaals in Urach

Diese Ahnenprobe zeigte Barbara Gonzaga zu- Das heraldische Bildprogramm im Palmensaal erst den hohen Anteil fürstlicher Häuser unter vom Uracher Stadtschloss steht nun aber nicht al- den Vorfahren ihres Gatten und die häufigen Ver- leine. So findet es sich in einer durchaus zutref- bindungen mit Familien des romanischen fend als »Mömpelgarder Genealogie« bezeichne- Sprach- und Kulturraumes auf. Acht Wappen ten Pergamenthandschrift. Seite 2 dieser Quelle markieren bei einer Ahnenprobe in der Regel die verweist auf 1474, das Jahr der Uracher Hochzeit acht Urgroßeltern, über die ein jeder Mensch (Abb. 13). Jahreszahl und die Attempto-Devise wissentlich oder nicht im dritten Glied der Vor- legen den Schluss nahe, dass Eberhard im Bart das fahren verfügt. Dies geben auch die acht Wappen Werk in Auftrag gegebenen hat, vermutlich sogar im Palmensaal zu erkennen, wie die genealogi- im direkten Zusammenhang mit der geplanten sche Tafel zu den Vorfahren Eberhards im Barte Hochzeit. Man wird kaum fehlgehen, wenn man aufzeigt (Abb. 12). die Ausmalung des Palmsaals in engem Zusam-

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4 | Württemberg, drei übereinander liegende schwarze 5 | Visconti, eine blaue, einen roten Menschen verspeisende Hirschstangen in goldenem Feld Schlange in silbernem Feld

6 | Mömpelgard, zwei pfahlweise abgewendete goldene Barben 7 | Châtillon, dreigeteilter Schild, oben in Gold ein roter in rotem Feld (hier nicht mit drei silbernen Adlern belegter) Schrägbalken (Lothringen), in der Mitte in Gold ein schreitender schwarzer Löwe und unten in Rot drei blaue Pfähle (hier nicht in blau-weißem Eisenhutfeh – Eisenhütlein – ausgeführt)

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8 | Kurpfalz, ein quadrierter Schild mit 1–4 blau und silber 9 | Zollern-Nürnberg, quadrierter Schild mit 1–4: steigender schrägrechtsgeweckt und 2–3 ein goldener Löwe mit roter Krone schwarzer Löwe mit rotem Kurhut in goldenem Feld mit in schwarzem Feld. Da die Tartsche nach heraldisch links zeigt, rot-schwarzem Bort, 2–3: gevierter Schild mit 1–4 silber und entsprechen die Felder der gängigen Darstellung 2–3 schwarz

10 | Savoyen-Achaia, silbernes durchgehendes, gemeines Kreuz 11 | Genf, von Gold und Blau zweimal gespalten und zweimal in rotem Feld mit blauem Schrägfaden geteilt (neungeschacht)

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12 | Tafel von Eberhards Ahnenprobe im Uracher Palmensaal

menhang mit der Handschrift sieht, die womög- lich sogar die Vorlage abgegeben hat. Wer aber dieses gleich in mehreren Handschriften über- kommene Geschichtswerk verfasst und welche Quellen er dabei benutzt hat, das gehört noch immer zu den vielen Geheimnissen und offenen Fragen einer heute stärker denn je am Vergleich orientierten Landesgeschichtsschreibung. So be- darf das kleine Werk doch noch einer gründlichen Untersuchung und Interpretation. Festzuhalten ist jedoch schon, dass die Mömpelgarder Genea- logie ziemlich ausführlich den Erwerb von Möm- pelgard durch Württemberg und dessen Vorge- schichte beschreibt. Dabei stehen vornehmlich Herkommen und Verwandtschaftsverhältnisse des Hauses der Grafen von Mömpelgard im Blick- punkt. Auf Württemberg wird nur insoweit einge- gangen, als Henriettes Sohn Ludwig I. von Würt- temberg und dessen Frau Mechthild von der Pfalz († 1482) sowie ihr Sohn Eberhard im Bart kurz in die Mömpelgarder Genealogie eingepasst wer- den – so, wie sie in der bekannten heraldischen Darstellung, mit der das Werk endet (Seite 13), 13 | Mömpelgarder Genealogie (HStAS A 266 U 1, S. 2) anschaulich aufscheint (Abb. 14).

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(† 1419) und Henriette von Mömpelgard († 1444). Nach oben folgen die Wappen von Hen- riettes Eltern Heinrich von Orbe († 1396) und Maria von Châtillon († 1393): der rote Schild Heinrichs mit den goldenen Barben ist mit einem Beizeichen belegt, einem blauen Stern, während der Schild seiner Frau das Allianzwappen Möm- pelgard-Châtillon abbildet (auch hier sind die drei Pfähle in rot nicht mit blau-weißem Eisen- hutfeh belegt, wie üblich, sondern anscheinend mit Glockenfeh: in blau drei goldene Glocken). Darüber stehen die Schilde von Henriettes Großeltern väterlicherseits: Graf Stephan von Mömpelgard († 1397) und Margaretha von Cha- lon-Arlay († 1392), ein Allianzwappen Mömpel- gard-Arlay (Arlay: in Rot ein goldener, mit einem blauen Stern belegter Schrägrechtsbalken, hier nach heraldisch links gekehrt), und schließlich Graf Heinrich I. von Mömpelgard († 1367) und Agnes von Burgund († 1369), Urgroßeltern väter- licherseits der Henriette – Agnes’ Schild zeigt in Rot einen weißen Adler. In dieser, wie gesagt, fast ausschließlich auf 14 | Mömpelgarder Genealogie (HStAS A 266 U 1, S. 13) die Genealogie des Mömpelgarder Grafenhauses ausgerichteten Darstellung bricht plötzlich und unvermittelt auf Seite 10 ein ganz anderes Bild Graf Eberhard im Bart steht zwischen den hinein, das nunmehr in einem kurzen Blitzlicht, Schilden seiner Eltern: Graf Ludwig I. von Würt- das sofort wieder abbricht, die Familien der temberg, repräsentiert mit dem seit 1446 ge- väterlichen und mütterlichen Vorfahren Graf führten quadrierten Wappen 1– 4 Württemberg Eberhards bis ins dritte Glied heraldisch auffängt. und 2 – 3 Mömpelgard, sowie Mechthild von Es ist genau jene, nun schon bekannte Acht- der Pfalz, gekennzeichnet mit dem Wappen der Ahnen-Probe, wie sie der Uracher Palmensaal Kurpfalz, wobei die obere rechte Ecke des Schild- widerspiegelt (Abb. 15). rands nach außen ausgezogen ist und damit Die linke Leiste mit den Wappen von Würt- spiegelverkehrt den vornehmeren Löwen die temberg, Mömpelgard, Visconti und Châtillon – Felder 1– 4 zuweist, während die Rauten die Fel- die linken Ecken der Schildränder sind nach der 2 – 3 markieren. Darüber die Wappen seiner außen ausgezogen – steht für Eberhards Urgroß- Großeltern väterlicherseits: Graf Eberhard IV. eltern väterlicherseits, wobei die Männer vor den

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Eberhards Mutter Mechthild von der Pfalz unter- legt ist. Die zweite Reihe zeigt links das Wappen Henriettes von Mömpelgard, der Großmutter väterlicherseits, und rechts das der Mathilde/ Mechthild von Savoyen-Achaia († 1438), der Großmutter von der mütterlichen Seite. In der dritten Reihe finden wir Antonia Visconti, Urgroßmutter väterlicherseits, und Elisabeth von Zollern-Nürnberg, Urgroßmutter mütterlicher- seits, darunter Maria von Châtillon, Urgroß- mutter väterlicherseits, und Katharina von Genf, Urgroßmutter mütterlicherseits. Diese Darstel-

15 | Mömpelgarder Genealogie (HStAS A 266 U 1, S. 10)

Frauen rangieren. Die rechte Leiste zeigt die Wappen der Urgroßeltern mütterlicherseits, wieder die Männer vor den Frauen. Zudem sind hier die rechten Ecken der Schildränder nach außen ausgezogen und bilden folglich die Wap- pen spiegelverkehrt ab. Eine andere Zuordnung der Wappen bietet eine ebenfalls in Pergament ausgeführte Abschrift der Mömpelgarder Genealogie. Sie unterlegt die Wappen mit Namen (Abb. 16). Danach steht das Wappen von Württemberg für Graf Ludwig I., während das der Kurpfalz mit dem Namen von 16 | Mömpelgarder Genealogie (HStAS G 400 Bü 14, fol. 5r)

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17 | Tafel von Eberhards Ahnenprobe in der Mömpelgarder Genealogie

lung hat den Nachteil, dass Graf Ludwig I. hier schiffs der Amandus-Kirche von Urach, zum nicht den quadrierten Schild führt, sondern das andern in der Verglasung der Fenster im Chor der alte württembergische Wappen mit den drei Tübinger Stiftskirche, wo sich seinerzeit nicht Hirschstangen. Letzten Endes läuft der Befund nur die Chorherren versammelten, sondern die auf das Ergebnis hinaus, dass auch hier die acht Universität ihre älteste Aula fand, bevor nach der Wappen die vier Urgroßelternpaare symbolisie- Reformation der Chor zur Grablege des Hauses ren (Abb. 17). Württemberg umfunktioniert wurde. Eberhard hat seine Acht-Ahnen-Probe nicht Am Neubau der Amanduskirche in Urach, seit nur im Palmensaal der Hochzeitsgesellschaft und 1477 Stiftskirche, wurde seit der Mitte der siebzi- damit der Öffentlichkeit präsentiert, sondern die ger Jahre des 15. Jahrhunderts gebaut. Das südli- Ahnen noch ein drittes und viertes Mal seinen che Seitenschiff soll bereits 1481 benutzbar gewe- Zeitgenossen vor Augen gestellt – und zwar an sen sein. In seinem Gewölbe versammeln sich um weit sichtbaren Plätzen in den beiden Hauptkir- einen großen Schlussstein mit der Darstellung chen seiner Herrschaft, in Urach und Tübingen, des heiligen Georg jene acht Wappen von Eber- also an jedermann zugänglichen Örtlichkeiten. hards Ahnenprobe (Abb. 18). Der Tartschenschild Zum einen im Gewölbe des südlichen Seiten- von Württemberg zeigt auf den der Visconti, von

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Mömpelgard auf das Wappen von Württemberg zeigt. Alle acht Schilde sind bei der Restauration wohl völlig neu gestaltet worden. Ob und wie weit ein älterer Zustand das Ergebnis beeinflusst hat, muss offenbleiben. Gefragt wurde auch schon, ob die Schlusssteine die ursprüngliche Anordnung besitzen. Derzeit bilden die Wappen der Vorfahren väterlicherseits einen Halbkreis (Châtillon, Mömpelgard, Württemberg, Vis- conti), dem ein Halbkreis mit den Schilden der mütterlichen Ahnen gegenüberliegt (Savoyen- Achaia, Zollern, Genf, Kurpfalz) (Abb. 19). Die Glasfenster im Chor der Tübinger Stifts- kirche haben nicht alle den Lauf der Zeiten unge- fährdet und unbeschädigt überstanden. Während die Fenster in den Seitenschiffen fast alle vernich- tet worden sind, halten sich die Verluste im Chor jedoch in Grenzen. An die in Glas festgehaltenen Herrscher aus dem Hause Württemberg, unter ihnen Graf Eberhard und Barbara Gonzaga, wagten sich vermutlich auch in Zeiten des Bilder- 18 | Gesamtansicht der Ahnenprobe im südlichen Seitenschiff der sturms die Untertanen nicht heran. Die Vergla- Amanduskirche Urach sung um 1480 von einer Straßburger Werkstatt- gemeinschaft unter Führung von Peter von Andlau vollendet, war eine Auftragsarbeit des dort weisen die Tartschen über Savoyen-Achaia Grafen. Eberhard hat sich und Barbara Gonzaga (mit blauem Schräglinks-Faden), Zollern und gleich zweimal farbig ins Glas setzen lassen Genf zur Kurpfalz. Die folgende Tartsche mit (Abb. 20). dem zweigeteilten Schild von Châtillon (aller- Unsere Abbildung zeigt die kleinere der beiden dings ohne das Wappen der Herzöge von Loth- Darstellungen des Ehepaars in einer Zusammen- ringen im Schildhaupt, wie es die Nachkommen schau der beiden Fenster. Zu beachten ist: Hier von Guido de Châtillon, gest. 1362, führten, der liegt kein heraldischer Fehler vor, da der Glasma- mit Maria von Lothringen, Tochter Herzog Theo- ler die Felder 1– 4 Württemberg nicht mit 2 –3 balds II., verheiratet war; ihr Sohn Gaucher de Mömpelgard vertauscht hat, sondern lediglich Châtillon, gest. 1404, war mit Jeanne de Coucy den Schild Eberhards mit seiner »besseren« verheiratet – dieser Ehe entstammte Maria von Seite – also oben Württemberg und unten Möm- Châtillon) weist hingegen zurück auf den Pfälzer pelgard – dem Schild Barbaras zugeneigt sein Schild, während – achtens – die Tartsche von lässt. Dieser Vorgang wiederholt sich im Übrigen

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19 | Zusammenstellung der acht Wappen in den Schlusssteinen im südlichen Seitenschiff der Amanduskirche Urach

bei den Fenstern im Chor der Stiftskirche mit pelgarder Genealogie. Der andere Teil mit den Graf Ludwig I. von Württemberg und Mechthild Wappen der mütterlichen Seite, also Pfalz, von der Pfalz, den Eltern Eberhards. Savoyen-Achaia, Zollern und Genf, ist dem Zahn Auch in der Stiftskirche hat Eberhard großen der Zeit anheim gefallen und nicht mehr Wert auf die Darstellung seiner Ahnenprobe ge- vorhanden. legt (Abb. 21). Erhalten hat sich jedoch nur der Abschließend ist noch auf das sogenannte Teil mit den Wappen Württemberg, Mömpel- Eberhardgebetbuch einzugehen. Diese in der gard, Visconti und Châtillon (Schildhaupt und Württembergischen Landesbibliothek verwahrte Balkenstelle sind vertauscht, die drei Pfähle Handschrift entstand laut Wolfgang Irtenkauf im Schildfuß sind in blau ausgeführt und mit zwischen 1492 und 1496. Das Gebetbuch, es blieb Glockenfeh besetzt) – also die Ahnenprobe der wohl bedingt durch den Tod des Herzogs 1496 väterlichen Seite. Der Glasmaler hat die Visconti- unvollendet, »muß als das persönliche Lebensdo- Schlange nach heraldisch links ausgerichtet, dem kument Eberhards hinsichtlich seiner Frömmig- Schild von Châtillon zugewandt. In diesem keit angesehen werden« (Irtenkauf). Das Werk, Wappen sind das obere mit dem mittleren Feld auf dessen Anfertigung Eberhard Einfluss nahm, vertauscht worden. Insgesamt entspricht das lässt überdies erkennen, dass dem Herzog noch Glasfenster der linken Ahnenleiste in der Möm- immer die Ahnenprobe vor Augen stand, die man

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20 | Glasfenster im Chor der Stiftskirche Tübingen mit Eberhard im Bart und Barbara Gonzaga

1474 in der Mömpelgarder Genealogie und im also wieder die vier Wappen der Mutterseite von Uracher Palmensaal fixiert hatte (Abb. 22). Eberhard im Bart, wie sie die Mömpelgarder Ge- Die Miniatur zu Anfang des Lukas-Evangeliums nealogie in der rechten Leiste festgehalten hat. (fol.2v) ist umrahmt von einer Randleiste mit Das Gegenstück, allerdings in nicht genauer Be- den Wappen der Kurpfalz, Savoyen-Achaia (ohne achtung der Vorlage, scheint sich in der Randleiste den blauen Schrägfaden), Zollern (in vertauschter zu den Miniaturen zum Johannesevangelium wi- Reihenfolge der Felder) und Genf. Wir sehen hier derzuspiegeln (Abb. 23). Die beiden Miniaturen

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und von Mömpelgard, ganz unten in der Mitte den quadrierten Schild Württemberg-Mömpel- gard mit Helm und Helmschmuck (Jagdhorn) im Oberwappen und umhängt vom Orden vom Gol- denen Vlies, den Eberhard 1492 erhalten hatte. Eberhards Wappen wird links unten umrahmt vom Wappen Châtillon, rechts unten vom Wappen der Agnes von Burgund (einen silbernen Adler auf rotem Grund) – und nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, vom Visconti-Schild. Agnes von Burgund war, wie erwähnt, die Frau von Graf Heinrich von Mömpelgard – die Eltern von Henriettes Großvater Stephan von Mömpel- gard. Hier scheint der Maler der Handschrift, aus welchem Grund auch immer, von seiner Vorlage, der Mömpelgarder Genealogie, abgewichen zu sein, am ehesten ist noch an ein Versehen zu denken, dergestalt, dass er Agnes von Burgund irrtümlich aus der heraldischen Darstellung von Eberhards Mömpelgarder Vorfahren übernom- men hat (s. Abb. 14). Aber wie dem auch sei, wir dürfen abschlie- ßend festhalten, dass erstmals in der Geschichte des Hauses Württemberg eine Ahnenprobe mit acht Wappen aufscheint, eindeutig Eberhard im Bart zuweisbar und über die Datierung der Mömpelgarder Genealogie und den Palmensaal doch wohl zweifelsfrei auf die Uracher Hochzeit von 1474 als Anlass verweisend. Zwar wird berichtet, dass bereits 1468 bei Eberhards Ritter- schlag in Jerusalem eine Ahnenprobe gefordert 21 | Glasfenster im Chor der Stiftskirche Tübingen mit den war, da wir aber keine näheren Kenntnisse von Wappen von Württemberg, Mömpelgard, Visconti und Châtillon ihrem Umfang und Aussehen besitzen, sind hier kaum weiterführende Überlegungen möglich. Insgesamt konnte die Forschung beobachten, zeigen den Evangelisten Johannes bei der Arbeit dass im südwestdeutschen Raum seit der Mitte und auf Patmos. In der Randleiste sieht man links des 15. Jahrhunderts die Verwendung von Wap- und rechts oben die Wappen von Württemberg pen auf Kleidern, Teppichen, Wandbehängen,

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22 | Eberhardgebetbuch, Beginn des Lukas-Evangeliums 23 | Eberhardgebetbuch, Beginn des Johannes-Evangeliums (WLB Stuttgart, Cod. brev. 1, fol.2v) (WLB Stuttgart, Cod. brev. 1, fol.1v)

Ess- und Trinkgeschirr und sonstigen Gebrauchs- weist, zeitlich gefolgt vom Stammbaum Philipps und Schmuckstücken rapide zunahm. Dies gilt des Aufrichtigen († 1508). Das Lehensbuch des auch für die Ahnenproben, die um dieselbe Zeit Kurfürsten wird auf 1471 datiert – Graf Eberhard statt des überkommenen Rückgriffs auf ein oder liegt also nicht nur im Trend, sondern gehört zwei Wappen auf einmal vier Ahnen zu berück- zweifellos mit zu den ersten Hochadligen im sichtigen beginnen. So zum Beispiel auf dem deutschen Südwesten, die sich einer Ahnenprobe Grabstein der Katharina von Lothringen, der mit acht Wappen bedienten – und zwar erstmals 1439 gestorbenen Frau Markgraf Jakobs I. von im deutschsprachigen Südwesten des Alten Baden. Und erstmals am Heidelberger Hof erfolgt Reiches nicht nur auf Pergament und Papier, dann die Darstellung einer acht Wappen umfas- sondern zudem und überdies als großflächige senden Ahnenprobe, wie sie das Lehensbuch Wandmalerei im Uracher Palmensaal, als allen Pfalzgraf Friedrichs des Siegreichen († 1476) auf- sichtbare Schlusssteine in der Uracher Amandus-

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kirche und als den Augen der Öffentlichkeit Quellen: zugewandte Glasfenster im Chor der Tübinger HStAS A 266 U 1; G 400 Bü 14; Konrad Stiftskirche. von Mure, Clipearius Teutonicorum; Wenn Eberhards Ahnenprobe einerseits als WLB Cod. Brev. 4o Nr. 1 bewusster Rückgriff auf die Vergangenheit er- scheint, als Ausdruck von Kontinuität, so ist gleichwohl, bedingt durch die Neuartigkeit seines Literatur: Vorgehens, noch ein anderes Moment zu beden- Decker-Hauff, Gutachten; Deigendesch, Urach; ken, das die Darstellung der Herrschaft nicht nur Der Griff nach der Krone; Dokumente würt- als Ausdruck gesteigerter ritterlich-höfischer tembergischer Geschichte; Ehrlich, Die Stifts- Kultur betrachtet, sondern ebenso als sichtbarer kirche; Faix, Eberhard im Bart; Gamer-Wallert, und auf das hier und heute zielender Anspruch Graf Eberhards Palme; Geschichte Württem- einer sich verstetigenden Landesherrschaft von bergs in Bildern; Rückert, Antonia Visconti; zukunftsweisendem Zuschnitt. Slanicˇka, Krieg der Zeichen; Spieß, Höfische Feste; Württemberg und Mömpelgard; Württemberg im Spätmittelalter; Zeilinger, Die Uracher Hochzeit

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NICOLE BICKHOFF Die Uracher Hochzeit von 1474

Anfang Juli des Jahres 1474 erstrahlte die kleine von Mantua auf der Suche nach einer standesge - Residenzstadt Urach in höfischem Glanz: Sie war mäßen Verbindung für die 1455 geborene Tochter Schauplatz einer außergewöhnlichen Grafen- Barbara war. Im November 1473 erschien zum hochzeit – der Vermählung Graf Eberhards V. ersten Mal ein württembergischer Gesandter im von Württemberg mit der Markgräfin Barbara Palazzo di San Giorgo in Mantua, um um die Gonzaga von Mantua. Vier Tage lang währte das Gonzaga-Tochter zu werben. Die Gespräche, über großartige Fest, zu dem weit mehr als tausend die nichts weiter bekannt ist, nahmen offensicht- Gäste nach Urach gereist waren. Über die Hoch- lich einen erfolgreichen Verlauf, denn Ende März zeit sind wir vergleichsweise gut unterrichtet, 1474 machte sich Graf Eberhard selbst auf den da verschiedene aussagekräftige Quellen über die Weg nach Italien, um seine zukünftige Braut ken- Vorbereitung und Durchführung des Festes über- nenzulernen und die weiteren Absprachen zu liefert sind. Insbesondere eine Kompilation von treffen. Quellen, die auch in einer Version als Prachtband Am 1. April 1474 erreichte Eberhard mit einem zusammengefasst wurde, gibt nicht nur hervor - großen Gefolge den mantuanischen Ort Révere; ragende Einblicke in verschiedene Aspekte des dort wurde er das erste Mal von Barbara und Festes, sondern umfasst auch eine chronikalische ihrer gleichnamigen Mutter empfangen. Das Zu- Schilderung der Festtage. sammentreffen fiel zu beider Wohlgefallen aus, und drei Tage später reiste die Gesellschaft mit dem inzwischen eingetroffenen Vater Barbaras, I. Markgraf Ludovico, und ihrem Bruder Federico nach Mantua. Dort legten die Brautleute noch in Seit seiner Rückkehr von der Pilgerreise in das der Karwoche das Ehegelöbnis ab. Die Hauptfeier Heilige Land im Jahr 1468 war Graf Eberhard auf der Hochzeit mit allen kirchen- und zivilrechtli- Brautschau. Nachdem verschiedene Eheprojekte chen Elementen sollte zwar in Urach erfolgen, gescheitert waren, fiel sein Blick – wohl durch doch offensichtlich wollte man auch am Heimat- Vermittlung des Markgrafen Albrecht Achilles ort der Braut die Eheverbindung öffentlich de- von Brandenburg, der mit beiden Häusern ver- monstrieren. So fand am 12. April, dem Dienstag wandt war – erneut auf das Fürstenhaus Gonzaga nach Ostern, im Dom zu Mantua eine feierliche in Mantua, südlich der Alpen. Es traf sich gut, Vermählungszeremonie statt, der prächtige Fest- dass man zu der Zeit am Hofe der Markgrafen umzüge durch die Stadt folgten. Zwei Tage später

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Die Uracher Hochzeit von 1474 Nicole Bickhoff

wurde der Ehevertrag besiegelt. Darin wurde die einen prestigeträchtigen Aufzug nicht entgehen Mitgift Barbaras auf 20 000 Gulden festgelegt. lassen: Die Stuttgarter Verwandtschaft, Graf Außerdem wurde vereinbart, dass Barbara mit Ulrich V. und sein Sohn Eberhard VI. mit ihren einem Gefolge am 28. Juni nach Kempten reisen Gemahlinnen, wurde von drei Grafen und 68 sollte, wo ein Geleit Graf Eberhards sie in Emp- Niederadligen begleitet, dazu kamen 50 Pferde. fang nehmen und nach Urach begleiten würde. Der Bräutigam selber bot die enorme Zahl von 20 Nachdem alle Verabredungen in Mantua ge - Grafen, 13 Freiherren und weiteren 321 Nieder- troffen waren, machte sich Graf Eberhard am adligen auf. Die Anzahl der Gäste lässt sich daher 15. April wieder auf den Rückweg. Ihm blieben auf rund 1500 bis 2000 Personen schätzen, dar- nur mehr knapp drei Monate Zeit, um die not- unter etwa 650 Adlige; die Zahl der Pferde wird wendigen organisatorischen Vorbereitungen für in den Quellen mit 4280 beziffert. Es ist leicht das Hochzeitsfest zu treffen. Vieles war zu beden- vorstellbar, welche logistischen und organisatori- ken: Gästelisten mussten erstellt und Einladungen schen Herausforderungen die adäquate Unter- versandt werden, die Räumlichkeiten mussten be- bringung der Gäste und ihres Gefolges für die reitgestellt und hergerichtet werden, für die Un- kleine Residenzstadt Urach bedeutete, war doch terbringung der vielen Gäste und ihrer Pferde war ein Mehrfaches der Einwohnerzahl an Gästen zu sorgen, und natürlich bedurften auch die auf- zu beherbergen. Die Unterkunft der Gäste war wändigen Festmähler einer sorgfältigen Planung. nach üblicher Sitte vom Gastgeber zu stellen und Die Formulare zu den Einladungsschreiben der zu bezahlen. Zudem wurden Edelmänner und Uracher Hochzeit liegen nicht mehr vor, aber Re- Knechte zu ihrer Begleitung und Bedienung ab- gister zu den Antwortschreiben informieren über gestellt. die Eingeladenen und ihre Gefolge. Außer dem Die vielen Menschen mussten auch verköstigt Gefolge der Braut kündigten sich zehn Fürsten werden – Küche und Keller waren daher auf und sieben Fürstinnen an, des Weiteren 17 Grafen den großen Bedarf an Essen und Getränken ein- und zehn Edelfreie, in der Regel mit ihren Gattin- zurichten. Das Küchenpersonal wurde stark nen. Dazu kamen Prälaten und Vertreter der Ka- aufgestockt; in den verschiedenen Küchen – für pitel und Stifte aus dem südwestdeutschen Raum, die Fürsten, die Herren und Knechte sowie das eine große Zahl Niederadliger, ebenso Vertreter Gesinde – waren 52 Köche tätig. Auch für die benachbarter Reichstädte, der württembergischen eigentlichen Festlichkeiten waren bauliche Vor- Landstädte und Ämter. Umfangreich war das Ge- kehrungen zu treffen: Beim Schloss wurde ein folge insbesondere der hohen Herren: Markgraf Tanzhaus aufgebaut, und auf dem Marktplatz Albrecht Achilles von Brandenburg – der letztlich wurde eine Stechbahn für die Turnierveranstal- persönlich aber verhindert war – kündigte sich tungen eingerichtet. mit 200 Pferden an. Das größte Gefolge stellte Graf Eberhard V. unternahm enorme Anstren- der Vetter Eberhards, Pfalzgraf Philipp, der damit gungen zur Vorbereitung seiner Hochzeit. Sie seinen Anspruch als ranghöchster Fürst in Urach dokumentieren, dass er sich nicht mit einer unterstrich. Er reiste mit 59 Adligen und 300 bescheidenen Grafenhochzeit zufrieden geben Pferden an. Auch die Württemberger wollten sich wollte, sondern sich an fürstlichen Hochzeiten

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Nicole Bickhoff Die Uracher Hochzeit von 1474

wie der seines Vetters Philipp, die wenige Monate dass sie ihre Heimatstadt nie mehr wiedersehen zuvor im Februar 1474 in Amberg gefeiert wor- sollte. Der Zug unter Führung ihres Bruders Ro- den war, orientierte. Auch wenn Eberhard – dolfo umfasste 70 Personen, 217 Pferde, 30 Maul- noch – kein Fürst war, wollte er doch wie ein tiere und sechs Wagen. Barbara wurde von sieben Fürst feiern. Darin mag sich sein Anspruch auf Hofdamen und zwei Edelfrauen begleitet, auch eine exponierte Stellung des Hauses Württem- ein Domherr (canonicus), ein Kaplan, ein Arzt, berg und eine zukünftige Standeserhöhung ein Schneider, ein Koch und weiteres Personal manifestieren, aber auch sein Bestreben, seiner reisten mit ihr über die Alpen. Der fürstliche fürstlichen Partnerin eine standesgemäße Hoch- Brautzug kam nach 18-tägiger Reise, die über Ve- zeit zu bieten. rona, Trient, den Brenner und Innsbruck geführt hatte, termingerecht am 28. Juni in Kempten an. Eberhard hatte bereits ein Geleit unter Führung II. von fünf schwäbischen Grafen dorthin beordert, die den Zug sicher nach Urach führen sollten. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts hatte sich ein In Kempten wurde die italienische Braut vom festes Programm für Fürstenhochzeiten heraus- dortigen Rat mit zwei Silberpokalen beschenkt, gebildet. In der Regel dauerte das Fest vier Tage und auch auf den weiteren Etappenorten Ulm und begann mit der feierlichen Einholung der und Memmingen wurden ihr großzügige Ver - Braut durch den versammelten Adel. Darauf ehrungen zuteil. Kurz nach Ulm wurde das folgte der Kirchgang, bei dem das Ehegelöbnis Gefolge noch größer, als Graf Eberhard VI. der abgelegt wurde; ihm schlossen sich Festmahl und Junge der Markgräfin mit 200 Pferden entgegen- Hochzeitstanz an. Der erste Tag endete gewöhn- ritt und sie nach Blaubeuren, dem ersten würt- lich mit dem Beilager. Am zweiten Tag fand nach tembergischen Ort, begleitete, wo man die Nacht der Überreichung der Morgengabe durch den verbrachte. Bräutigam und der Geschenke durch die Gäste In der Residenzstadt Urach waren inzwischen der Festgottesdienst statt, gefolgt vom Festmahl die Gäste eingetroffen. Graf Eberhard im Bart und dem Turnier. Auch am dritten und vierten machte sich am Sonntag, dem 3. Juli 1474, zu- Tag gehörten Ritterspiele, Rennen und Stechen sammen mit dem Markgrafen von Baden, Graf zum Programm, abgeschlossen durch den abend- Ulrich V., den Bischöfen von Augsburg und lichen Tanz. Spätestens am fünften Tag traten die Speyer und vielen weiteren Rittern und Knechten Gäste ihre Heimreise an. – Dieser »Ablaufplan« sowie 2000 Pferden auf den Weg, um der Braut lag auch der Uracher Hochzeit zugrunde. entgegenzureiten. Zwischen Blaubeuren und Während Eberhard in Urach alle notwendigen Urach traf man auf den Brautzug. Markgräfin Vorbereitungen zum Fest traf, waren Barbara und Barbara kam aus dem Wagen, ihr Bruder Rodolfo ihre Familie ihrerseits mit den Vorkehrungen für stieg vom Pferd. Graf Eberhard und die ihn be- die Abreise der Braut in ihre neue Heimat be- gleitenden Fürsten stiegen ebenfalls vom Pferd, schäftigt. Am 10. Juni 1474 verließ Barbara mit unnd ir ainer nach dem andern mein gnedig fra- ihrem Gefolge Mantua; sie konnte nicht ahnen, wen unnd irnn brueder empfangen (Zitate nach

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Die Uracher Hochzeit von 1474 Nicole Bickhoff

Zeilinger). Der Begrüßungszeremonie folgte ein graf Rodolfo. Sie tanzten auf »welsche« Weise, Schaukampf mit Spießen zwischen Wilhelm von die aber nicht näher beschrieben wird. Den zwei- Wernau und Jakob von Landau, dann zog man ten Tanz führte sie dann mit ihrem Bräutigam weiter nach Urach. Eberhard aus; ihnen folgten die weiteren Gäste. Graf Eberhard war inzwischen schon voraus - Für die Reihenfolge des Tanzes galt ein strenges geritten, um mit seiner Mutter Mechthild von der Zeremoniell, maßgeblich war die Rangordnung Pfalz und den anderen nach Urach gereisten der Gäste. Über die Einhaltung der Tanzordnung Fürstinnen sowie dem Bischof von Konstanz und wachten die Tanzmeister. allen anwesenden Äbten an der Kirche St. Aman- Als der Tanz schon weiter fortgeschritten war, dus auf die Braut und ihr Gefolge zu warten. Als ging Eberhard mit seinem Vetter Pfalzgraf Phi - der Zug die Stadt erreichte, wurde der Wagen, lipp in das für die Braut vorgesehene Gemach, in dem Barbara saß, von drei schwäbischen Edel- da dann sein gnad beyschlafen wollt. Kurz darauf leuten an jeder Seite eskortiert; ihnen folgten führten Markgraf Rodolfo von Mantua und die Gäste in sozial abgestufter Reihenfolge. Nach Markgraf Karl von Baden, begleitet von einigen einem kurzen Aufenthalt im Schloss zog die anderen Fürsten und Fürstinnen, Barbara in die Braut mit gesamtem Gefolge zur Kirche, wo sie vorbereitete Kammer unnd legten sy zu meinem von ihrer zukünftigen Schwiegermutter und den gnedigen herrn. anderen Fürstinnen begrüßt wurde. Anschlie- Neben den kirchlichen Elementen wie Kirch- ßend wurden Braut und Bräutigam in die Kirche gang mit Ehegelöbnis, Brautsegen und Ringgabe geführt, wo der Bischof von Konstanz stund unnd bildete das Beilager die »zivilrechtliche« Kom - inen ain gemahelschafft macht. Item als dz ge- ponente der Eheschließungszeremonie. Das Bei- schach, furth man sie in die kirchen da gesungen lager bedeutete den Vollzug der Ehe, der mit unnd uff der orgel gemacht ward Te deum lauda- einem symbolischen Zudecken des Brautpaares mus. Mit diesem Ehegelöbnis war der feierliche als durchgeführt galt. Die anwesenden Fürsten Adventus der Braut in Urach abgeschlossen – firmierten dabei als Zeugen. Nach Angabe des und Barbara war zum ersten Mal die Macht und Chronisten ließ sich Eberhard an diesem Abend das Ansehen ihres Bräutigams vor Augen geführt nicht mehr sehen – über Barbara schweigen die worden. Quellen. Der Tanz, der für die Mehrzahl der Dem Kirchgang folgte das Festmahl im Schloss, Gäste weitergegangen war, wurde bald beendet danach wurde getanzt. Der Festbericht der Ura- und yederman gieng an sein herberg. cher Hochzeit erwähnt nur den Tanz am Sonn- Auch wenn die Hochzeitsbeschreibung darüber tagabend, es ist aber davon auszugehen, dass auch schweigt, ist davon auszugehen, dass am Morgen an allen anderen Festtagen ein abendlicher Tanz des nächsten Tages – Montag, dem 4. Juli 1474 – stattfand, wie es auch bei anderen Hochzeiten der die Morgengabe für die Braut vom Bräutigam in Fall war. Dafür ging man in das eigens errichtete die Brautkammer gebracht wurde, wie es üblich Tanzhaus, wo eine große Zahl von »Knaben« und und auch im Ehevertrag vereinbart war. Dann Knechten mit Kerzen den Raum erhellten. Bar- folgte der festliche Kirchgang: Markgraf Rodolfo bara eröffnete den Tanz mit ihrem Bruder Mark- Gonzaga sowie Karl von Baden geleiteten die

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1 | Vermählung Eberhards im Bart mit Barbara Gonzaga. Ölstudie zum zerstörten Fresko im Neuen Schloss Stuttgart von Joseph Anton von Gegenbaur, 1844 (Staatsgalerie Stuttgart Inv. Nr.787h)

Braut in einer feierlichen Prozession in die Kir- ihren Platz eingenommen hatten, begann unter che. Vor und neben Barbara gingen 24 Mann mit Leitung des Bischofs Hermann von Konstanz großen Straußenlichtern; hinter ihr und den bei- das feierliche Hochamt. Zur musikalischen Aus- den Fürsten schritten die anwesenden Fürstinnen gestaltung trugen die pfalzgräfliche Hofkapelle und württembergischen Gräfinnen, die alle von und der Organist des Bischofs von Augsburg zwei Adligen geführt wurden. Der Zug bewegte bei. Als dann auch Graf Eberhard die Kirche sich bis an die Kirche, wo schließlich auch Graf betrat, stund aldo Hermann bischoff zu Costenz Eberhard im Bart, eskortiert von Philipp von der unnd thett die ehe machen, wie sich dann gepurt, Pfalz und Ulrich von Württemberg, im Gefolge unnd alls das geschach, stieß er meiner gnedigen der übrigen Hochadligen eintraf. Die drei Bi- frowen ainen ring an fur hundert guldenn unnd schöfe von Konstanz, Speyer und Augsburg be- meinem gnedigen herrnn ain fur dreyssig guldn fanden sich bereits in der Kirche. Als die Gäste (Abb. 1).

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Nachdem der Gottesdienst beendet war, wurde Rodolfo Gonzaga, Markgraf Karl von Baden und die Festgesellschaft in den Schlosshof geleitet, wo der Bischof von Konstanz. Auch Graf Ulrich sogleich ein Schaukampf mit Spießen stattfand. von Württemberg saß an einem der insgesamt Anschließend begab man sich zum Festmahl – drei Fürstentische, zusammen mit Markgraf dem »Morgenessen« – in die oberen Stockwerke Christoph von Baden, dem Bischof von Speyer, des Schlosses. dem italienischen Grafen Antonio della Miran- Das Festmahl spielte bei der Festgestaltung eine dola und dem Botschafter Friedrichs von der besondere Rolle: Es bot einen hervorragenden Pfalz. An den übrigen vier Tischen verteilten sich Rahmen für Repräsentation und Kommunika- die anderen Grafen und Freiherren. tion. Reichliches und hochwertiges Essen und die Nach dem Festbankett folgte die Übergabe Art und Weise seiner Präsentation waren bedeut- der Hochzeitsgeschenke. Dazu wurde die frisch- same Statussymbole, und in der Sitzordnung vermählte Barbara mit anderen Fürstinnen und beim Festmahl spiegelte sich die Gliederung der Frauen ins Tanzhaus geführt. Graf Eberhard Festgesellschaft und die Rangordnung der Gäste wurde durch den Bischof von Augsburg vertre- (Abb. 2). ten, der an der Seite der Braut die Geschenke ent- Für die Uracher Hochzeit ist in der Hochzeits- gegennahm. Strikt geregelt war auch die Reihen- beschreibung die genaue Speisenfolge von vier folge der Schenkenden: Zuerst überreichten die Festmählern überliefert, wie an anderer Stelle Fürsten und Fürstinnen ihre Geschenke, dann die beschrieben. Auch die Sitzordnung wird detail- Prälaten, die Vertreter der Städte, der Kapitel und liert festgehalten. Danach fand das Essen für der Landschaft. Der Uracher Dekan sowie der die Frauen und Männer von Adel in separaten Uracher Landhofmeister Hans von Bubenhofen Räumen statt. Die Platzierung der Gäste an den hielten jeweils Ansprachen. Das überreichte Sil- einzelnen Tischen erfolgte in genauer hierarchi- bergeschirr kam auf zwei Gabentische, an denen scher Rangabstufung. Im »Frauenzimmer« saßen Schreiber saßen, welche die Geschenke der Gäste am ersten Tisch die Braut, deren Schwiegermutter aufzeichneten. Die Hochzeitsgeschenke werden in Mechthild von der Pfalz und die Gattinnen der Festbeschreibung nicht weiter ausgeführt. Al- der beiden Stuttgarter Grafen Ulrich und Eber- lerdings lässt sich anhand späterer Verzeichnisse hard VI. Am zweiten Tisch nahmen die Schwes - über das im Besitz des Grafen Eberhard im Bart tern Eberhards, die Landgräfin Mechthild von befindliche Silbergeschirr nachweisen, welche Hessen und die Gräfin Elisabeth von Nassau, Kannen, Pokale und andere Silberwaren ihm sowie Contessa Paola Torelli, Katharina von Ba - anlässlich seiner Hochzeit vermacht wurden. Als den und eine Tochter des Grafen Ulrich V. Platz, Schenkende werden vor allem Niederadlige, und an den dritten und vierten Tisch wurden die Landstädte, Kapitel und württembergische Ämter übrigen Gräfinnen und Edelfrauen gesetzt. genannt. Was die Fürsten dem Brautpaar verehr- Die Herrentische waren vermutlich im so ge- ten, wissen wir nicht; vielleicht waren es Edel- nannten Palmensaal des Neuen Schlosses aufge- steine, Schmuck oder Pferde. baut. Am ersten Tisch speisten neben dem Bräu- Zum festen Bestandteil eines Adelsfestes im tigam Pfalzgraf Philipp, sein Schwager Markgraf späten Mittelalter gehörte auch das Turnier.

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2 | Festmahl Herzog Karls des Kühnen von Burgund zu Ehren Kaiser Friedrichs III. im Jahr 1474. Buchmalerei von 1485/85 aus der Chronik Diebold Schillings (Burgerbibliothek Bern, Ms. Hist. helv. I 3, fol.170)

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Ursprünglich als Übung für den Krieg bestimmt, von Emershofen. Auch Graf Eberhard selber entwickelte sich das Turnier im Hoch- und Spät- nahm am Rennen teil – er maß sich mit Kunz mittelalter zu einer sportlich-militärischen Ver- Kübarn, dem Hofmeister des Bischofs von anstaltung mit festem Reglement und eigener Eichstätt. Nach dem Gastgeber rannten Markgraf Theatralik. Gewöhnlich begegneten damals zwei Christoph von Baden und Burkhard von Arten des Turnierkampfs: zum einen ein Massen- Reischach, und den Abschluss bildeten Philipp kampf zweier gegnerischer Mannschaften, das Wetzel und Zorn von Straßburg. eigentliche Turnier, das entweder mit Turnier- Am Dienstag, dem 5. Juli, war das Gesellen - Kolben oder mit stumpfen Schwertern ausgetra- stechen angesetzt, offensichtlich ein Massen - gen wurde. Zum anderen praktizierte man einen turnier, an dem sich Eberhard im Bart mit Zweikampf in der Bahn mit Lanzen, die so ge- 15 Leuten, Philipp von der Pfalz mit 18 »Gesel- nannte Tjost, die entweder mit scharfen Lanzen- len«, Chris toph von Baden mit nur fünf und spitzen, »Rennen« genannt, oder mit entschärften Eberhard VI. mit zwölf Reitern beteiligten. Waffen, als »Stechen« bezeichnet, bestritten Wahrscheinlich traten je zwei Mannschaften wurde. Auch bei den Hochzeitsfesten durften gegeneinander an, auch wenn diese recht un- diese Ritterspiele nicht fehlen, und so wurde auch gleichgewichtig waren. in Urach gekämpft, gerannt und gestoßen. Auch am Mittwoch, dem 6. Juli, fand nach dem Nach der Geschenkzeremonie ging die Festge- Essen ein Rennen statt. Dieses Mal traten Pfalz- sellschaft auf den Marktplatz, um das erste Tur- graf Philipp und der Graf von Hohenlohe gegen- nier zu verfolgen. Der Marktplatz war zu diesem einander an, des Weiteren Wilhelm von Henne- Zweck zu einer Stechbahn umgebaut worden; berg und Wilhelm von Velberg. Außerdem maßen wahrscheinlich wurde er dazu freigeräumt und sich Graf Wilhelm von Kirchberg und Jakob mit Sand aufgeschüttet. Vor Beginn des Kampfes von Landau, Erkinger von Rothenburg und Jörg wurden bestimmte Sicherheitsmaßnahmen ge- von Ehenheim sowie Graf Eitelfritz von Zollern troffen: Der Kampfbereich wurde mit Schranken mit Hans von Sachsenheim im Zweikampf mit abgegrenzt, die von 60 Gewappneten gesichert Lanzen. Die beiden Letztgenannten führten wurden. Zudem wurde jedem Fürsten ein Edel- unmittelbar im Anschluss an das Rennen noch knecht zur Seite gestellt, dadurch romor oder ein Stechen durch, und am Abend stachen im ufflauff dester bass verhut werden mocht. Barbara Tanzhaus Graf Endris von Sonnenberg und Jörg und die anderen Fürstinnen und Gräfinnen von Rechberg. wurden in das Rathaus geführt, um von dort aus dem Rennen zuzuschauen. Die anderen adligen Frauen verfolgten von den Häusern am Markt III. aus das Geschehen. Auch die übrigen Gäste wer- den Publikum gewesen sein. Mit der Pracht des Festes war es nach vier Tagen Der erste Zweikampf wurde von Albrecht Göler vorbei. Am Donnerstag, dem 7. Juli, traten die von Ravensburg und Hans Kübarn ausgetragen, meisten Gäste ihre zum Teil weite Heimreise an. gefolgt von Ludwig von Schechingen und Hans Die italienische Begleitung Barbaras verlängerte

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auf Bitten Eberhards ihren Aufenthalt in Würt- Gepräge empfangen worden, das ihr vielleicht temberg um einige Tage, um die Versicherung den Übergang vom prächtigen Palast ihres Vaters Barbaras wegen ihres Heiratsguts noch in Anwe- in Mantua in das Grafenschloss in der kleinen senheit ihres Bruders Rodolfo zu bewerkstelligen. württembergischen Residenzstadt erleichterte. Am 9. Juli verzichtete Barbara im Uracher Schloss Mit dem Ende der Festtage und der Abreise ihres offiziell vor ihrem Bruder sowie mehreren Zeu- Bruders und seiner italienischen Begleiter begann gen auf ihr väterliches und mütterliches Erbe. nun für sie der Ehealltag und das Leben in der Für Heimsteuer und Widerlegung verwies Graf fremden Umgebung, in der sie nie ganz heimisch Eberhard seine Gattin auf Schloss, Stadt und Amt werden sollte. Herrenberg, und für die Morgengabe auf Schloss und Dorf Entringen. Zwei Tage später nahm Rodolfo in Vertretung seiner Schwester die Hul- Quellen: digung der Ver treter von Stadt und Amt Herren- HStAS A 602 Nr. 365 – 368, 373 a –f, 374 – 378 berg und Entringen an. Nachdem diese beiden wichtigen Rechtsakte vollzogen waren, machte sich Rodolfo Gonzaga mit seinem Gefolge auf Literatur: den Heimweg nach Mantua, wo er am 7. August Spieß, Höfische Feste; Stälin, Die Heirath; 1474 wieder eintraf. Württemberg im Spätmittelalter; Zeilinger, Barbara Gonzaga war in ihrer neuen Heimat Die Uracher Hochzeit; Zeilinger, Dienst und mit einem glänzenden Fest von fürstlichem Gunst

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KI N G A OZ S V Á T H Die höfische Gesellschaft bei Tisch. Essen und Trinken am württembergischen Hof

Das Kochbuch des Meisters Hans

Im 15. Jahrhundert nahm die schriftliche Über- lieferung auch in den privaten Bereichen der spätmittelalterlichen Gesellschaft rasch zu. Nun begegnet unter anderem eine Vielfalt an neuen Kochbüchern, die Auskünfte geben über Rezepte, Zutaten und Zubereitungsweisen verschiedener Mahlzeiten. Diese Kochbücher entstanden meist im zeitgenössischen höfischen Umfeld und lassen einen bedeutenden Teil der dortigen Alltags- und Festkultur zum Vorschein kommen. Aus dem Jahr 1460 ist ein Kochbuch des Meis- ters Hans erhalten geblieben. Im Kolophon der Handschrift wird er genauer bezeichnet als des von wirtenberg koch (Abb. 1). Meister Hans stand also im Dienst eines Grafen von Württemberg, zur damaligen Zeit entweder Graf Ulrich V., der in Stuttgart residierte, oder Graf Eberhard V. in Urach. Die zeitgenössischen württembergischen Dienerbücher mit Einträgen zu den Jahren 1479 bis 1483 bieten weitere Informationen: Hanns koch zer kamer, der als persönlicher Koch des Grafen Ulrich V. jährlich zu Martini (11. Novem- 1 | Eintrag am Ende des Kochbuchs von Meister Hans ber) einen Lohn von 20 Pfund und Kleidung (UB Basel Cod. A. N. V. 12, 108v)

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erhält, sowie Hanns von wirtemberg ein koch, die sie als Empfehlung für professionelle Köche der am Margarethen-Tag (13. Juli) 12 Gulden verstehen lässt. und Kleidung bekommt, werden hier genannt In Hinblick auf die konkrete Anwendung der (HStAS A 17 Bü 7, fol. 106, 110). Rezepte aus dem Kochbuch des Meisters Hans Man darf annehmen, dass die beiden Erwäh- bieten sich die großen Festlichkeiten der Uracher nungen denselben Koch meinen, der offenbar Hochzeit von Eberhard im Bart und Barbara eine besondere Position innehatte, denn er wird Gonzaga im Jahr 1474 an, die ausführlich doku- als von wirtemberg ein koch bezeichnet. Diese Be- mentiert sind. Sie vermitteln einen beispielhaften zeichnung stimmt mit dem Eintrag im genannten Eindruck der Zusammenstellung der Speisen und Kochbuch überein, sodass wir den Koch Hans im Getränke, ihrer Reihenfolge sowie des Ambientes Dienst des Grafen Ulrich V. (1433 –1480) wahr- während des Mahls. scheinlich machen können. Damit zum Inhalt seines Kochbuchs, dessen Handschrift heute in der Universitätsbibliothek Die Festmahle der Uracher Hochzeit Basel aufbewahrt wird: Da die hier beschriebenen Zutaten der Speisen vor allem aus hochwertigem In der Beschreibung der Uracher Hochzeit ist Fleisch (Wild, Wildgeflügel etc.), aus verschiede- auch die Speisenfolge für die drei Festtage vom nen Fischsorten (Lachs, Hecht etc.) und aus selte- 3. bis 5. Juli 1474 aufgelistet, damit dz furehin zu nen und teuren Gewürzen (Safran, Pfeffer, Anis, ewiger gedechtnis ingeschriben werden möcht Ingwer etc.) aufgeführt werden, ist bereits davon (HStAS A 602 Nr. 373 d): Ein abendliches Fest- auszugehen, dass die Rezepte für die Herstellung essen am Sonntag (3. Juli 1474), am darauffolgen- von Speisen einer elitären Oberschicht gebraucht den Tag das morgen essen und das Abendessen, wurden. Auch findet man hier neben den Re - und am letzten Hochzeitstag, am Dienstag, der zepten Ratschläge, wie man etwa verschiedene imbis. Die Zusammenstellung dieser Festmahle Zutaten länger haltbar macht, wie man das Essen differierte nach dem sozialen Stand der Gäste, färbt, wie man prüfen kann, ob dem Weinbrand sodass unterschiedliche Menüs für die fursten, für oder dem Most bereits Wasser hinzugefügt wurde die frauen, graven, ritter und edelleut und für das oder wie man das Brot vor dem Verschimmeln gmaine gsynd serviert wurden. Die Gerichte un- schützt. terschieden sich dabei nicht nur in ihrer Qualität, Auch über die Gestaltung der Speisen in ver- sondern auch in der Menge. schiedenen Formen handelt der Text: So liest Verfolgen wir den Festablauf: Am Sonntag- man von einem schwarzen Igel, der aus Ingwer, abend gab es am Fürstentisch: gekochtes und Gewürznelken, Muskatnüssen herzustellen ist, gebratenes Geflügel (versotne hüner, gebrattenn oder einem Gericht, geformt wie ein Hufeisen, vegel), Wild (wildtpreth), Fisch (gesottenn vorhen- wozu man geriebenen Käse, Mehl und Eier zu- nen), Krebse und Sülze (lebersultz), daneben sammenfügt und zu einem Hufeisen geformt im wurden »Beiessen« wie aiermuss, braunes Mus Fett ausbackt. Die Rezepte und Anweisungen (brunmuss) oder Fischroggen aufgetragen. Die entbehren also nicht einer gewissen Raffinesse, Frauen, Grafen, Ritter und Edelleute bekamen

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acht Trachten (Gänge), die ähnliche Qualität wie neun für die Herrentische und vier Speisefolgen die Speisen der Fürsten hatten, darunter haiss für das Gesinde. Bei jedem Mahl wurde den be- gsottenn höcht (Hecht), ain furbrattes von hassen reits bekannten Speisen etwas Neues hinzugefügt, (Hasen), gsottenn kropps (Krebse) etc. Dem so bekamen die Fürsten jetzt ein modelbaches gmainen gsynd wurden fünf einfache Gerichte (Bild-Gebäck) oder eine Hecht-Sülze angeboten, serviert, darunter findet man auch »wildes die anderen adeligen Herren eine Fischsülze Fleisch«, was für die einfache Dienerschaft bereits und einen besonderen Kuchen, und das Gesinde außergewöhnlich genug gewesen sein dürfte. durfte »Lungenmus« mit Fleisch und Reis Das eigentliche Hochzeitsfest begann am genießen. nächsten Tag, dem Montag. Nach dem Festgottes- Der kulinarisch-künstlerische Höhepunkt dienst und Brautsegen trafen sich Adel, Klerus wurde bei der Uracher Hochzeit allerdings durch und Volk zur »Hauptmahlzeit« der Hochzeit uf zwei Schaugerichte am Montag vor dem Morgen- Montag zu dem morgen essen. Die Menge der essen gesetzt. Dabei wurde eine großartige In - Speisen war überwältigend: Die Fürsten und szenierung geboten: Fürstinnen bekamen 22 Trachten, darüber hinaus Item ain werckh darin drey singer sassen, darauff verschiedene Saucen und Senfvariationen: Zu- ist gestannden ain ess silber und darinen ain datt- nächst Hühner in einer weißen Brühe, Bratwurst len bom unnd darunder gross lebendig vogel. Unnd mit Grünkraut, gebratenes Milchschwein, heiß mer uff dem selbigen werckh vier silber, da in dem gesottene Forellen, gebackenes Fleisch, danach ainen ist gewesen Samson mitt dem lewen, inn dem »wildes Fleisch« mit Pfeffer, ein zagellbain andern zween, die den druben trugen, inn dem (Schwanzstück), heiß gesottenen Hecht, dazu dritten ain hirsch unnd dabey ain hünd unnd inn Pasteten und weiße Soße, gefüllte Bratvögel, dem vierten ain pfaw. Hühner in einer süßen Brühe, gebratene Forellen, Item mer ain essen ist gewesen ain burg darauff dazu Gebackenes wie gefüllte Oblaten, braunes ain springenden prun unnd umb die burg ain Mus, Fleischsülze, Wild in einer grünen Brühe, wasergraben unnd darin lewenndig visch. ein Soufflé, darauf folgten weißes Mus, gebratene In der ersten Etage des »Schauwerks« saßen Hühner und zum Schluss Krebse. drei Sänger. Es war mit einem Dattelbaum und Für die Grafen und Ritter wurden 12 Speisen- lebendigen Vögeln dekoriert; darüber wurde gänge und ein Beiessen serviert, für das gmain Silbergeschirr präsentiert. Auf weiteren Silber- gsind sechs Trachten. Das Abendessen am Montag platten zeigte man die biblische Szene von Sam- war etwas weniger opulent, vergleichbar dem son mit dem Löwen, einen Hirsch mit einem Festmahl am Sonntagabend. Unter den 12 Trach- Hund sowie einen Pfau – kunstvoll zubereitete ten für die Fürsten und Fürstinnen fand sich nun Szenen und Figuren, die das Erstaunen und den etwa eine Fischsülze oder Gänsefleisch für die Beifall der Gäste hervorrufen sollten. Grafen und Herren. Das zweite Schaugericht zeigte eine Burg mit Am letzten Tag der Hochzeit kredenzte man Springbrunnen und einem Wassergraben mit den sogenannten »Imbiss« vor dem Turnier. lebendigen Fischen. Die Gestaltung dieses Schau- Dieser bestand aus 15 Trachten für die Fürsten, gerichts erinnert an ein Rezept aus dem Koch-

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buch des Meisters Hans: Item also soltu den tier- Festkultur auch über ihre elitären Grenzen garten machen … Aussen vmb den garten sol ein hinweg und forderten zu ihrer Teilnahme auf graben gen, da süllen lebendig visch jinnen sten … (Abb. 2). Ansonsten waren Fleisch und Fisch Über die Menge der Speisen für die Uracher bekanntlich Luxusartikel, welche hauptsächlich Hochzeit gibt es keine genauen Angaben, die etwa die Menüs der höheren Schichten schmückten. vergleichbar mit denen für die ungleich bekann- Im Kochbuch des Meisters Hans bieten 37 % der tere Landshuter Hochzeit von 1475 wären. Von Rezepte Fleischgerichte und 15 % Fischgerichte. diesem Hochzeitsfest Herzog Georgs des Reichen Im Menüplan der Uracher Hochzeit ist der von Bayern-Landshut mit der Polenprinzessin Fleisch- und Fischanteil der Gerichte noch deut- Jadwiga heißt es, dass die 146 eingestellten Köche lich höher, so waren 11 der 18 Gerichte bei dem 40000 Hühner, 11500 Gänse, 1537 Lämmer, Morgenessen Fleisch- und vier Fischgerichte, was 1133 ungarische Schafe, 285 Brühschweine, die Exklusivität des Festes nochmals deutlich 232 Ochsen und 200000 Eier zubereitet hätten. hervorhebt. Die übliche Nahrung der einfachen Immerhin wissen wir, wie viel Wein an der Leute im »deutschen Land« war nach Sebastian Uracher Hochzeit getrunken wurde. Von den Münster damals eine andere: Ihr Speis ist schwarz ca. 150000 Litern Wein (= 516 Esslinger Eimer), rucken brod, Haberbrei oder gekocht erbsen und der in den gräflichen Weinkellern gelagert wurde, linsen. Fast nur Wasser und Molke ist ihr Tranck war ein kleiner Teil edelsüßer Malvasierwein (ca. 4 Esslinger Eimer), etwa 3500 Liter Wein (12 Esslinger Eimer) kamen aus dem Elsass. Die große Menge war roter und weißer Neckarwein, der qualitativ niedriger eingestuft wurde. 12 Eimer Wein wurden zusätzlich für den zur Hochzeit aufgebauten Weinbrunnen benötigt: Zwei Rohre für Rotwein und zwei für Weißwein liefen während der gesamten Feierlichkeiten, Tag und Nacht. Graf Eberhard demonstrierte damit neben seinem Wohlstand und seiner festlichen Freude auch seine Freigiebigkeit gegenüber sei- nen Untertanen: »Der für die gemeine Bevölke- rung paradiesische Zustand, dass Speis und Trank ständig und unbegrenzt frei zur Verfügung standen, sollte hier für einen kurzen Augenblick auf Erden verwirklicht werden, was dem Herr- scher bzw. Landesherrn, dem Garant des Glücks, zur Ehre gereichte.« (Zeilinger) 2 | Tafelszene. Ausschnitt aus der Handschrift des Wein für das Volk, Fleisch und Fisch auch für »Tacuinum Sanitatis« im Besitz Eberhards im Bart die Dienerschaft repräsentierten die höfische (heute: Paris BN, Fonds lat. 9333, fol.51r)

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(Sebastian Münster 1543). – Dunkles Roggenbrot, Haferbrei, Erbsen und Linsen standen hier neben Wasser und Milch normalerweise auf dem Tisch.

Die Küche der Renaissance in Italien

Ein abschließender Seitenblick auf die Essge- wohnheiten im Oberitalien der Renaissance mag vor allem Unterschiede verdeutlichen. 1474 wurde hier bereits das erste »Kochbuch« in gedruckter Form veröffentlicht: »De honesta voluptate et valitudine«. Es sollte dann erst einige Jahrzehnte später unter dem Titel: »Von der eehlichen, zimlichen, auch erlaubten Wollust des Leibs« ins Deutsche übersetzt werden. Sein Autor war der Humanist und Bibliothekar Rodolfo Bar- tolomeo de Sacchi di Piadena, genannt Platina. Platina hatte in Mantua studiert und anschlie- ßend bis 1457 auch die Kinder der markgräfli- chen Familie Gonzaga unterrichtet. Das Leben am Hof der Gonzaga ging in seine Darstellung mit ein, die er als eine humanistische Abhand- lung über die richtige Lebensführung verstand. Die hier aufgenommenen Rezepte verdankte Pla- 3 | Rosinenverkauf. Ausschnitt aus der Handschrift des tina einem Fachmann, Martino di Rossi, dessen »Tacuinum Sanitatis« im Besitz Eberhards im Bart (heute: Paris BN, Fonds lat. 9333, fol.54r) Kochbuch, »Libro de arte coquinaria«, ebenfalls bekannt war. Platina führt aus, wie das Essen der körperli- chen und geistigen Harmonie dienen sollte, daher Platina bringt also seinen Lesern die Rezepte solle man seine Ernährung nach den jahreszeit- Martinos nahe, »womit man sich bei Gesundheit lichen Bedingungen ausrichten: Im Sommer sei halten kann, ohne eines Arztes zu bedürfen, wenn Kaltes und Feuchtes, wie etwa Fisch, im Herbst man ein Mann von Verstand sei«. Besonders Saueres und Scharfes, im Winter etwa heißes empfiehlt er Salat im Sommer – als eine kalte Kochfleisch und im Frühling eher Gemüse zu Speise –, der auf den höfischen Tafeln nördlich empfehlen, denn »wer ist so töricht, nicht nach der Alpen damals überhaupt keine Rolle spielte. dem Vergnügen des Geistes und des Körpers Am Hof in Mantua scheinen Platinas Anregun- durch maßvolles Essen zu streben?« gen jedenfalls aufgegriffen worden zu sein: Auch

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Kinga Ozsváth Die höfische Gesellschaft bei Tisch. Essen und Trinken am württembergischen Hof

Barbaras Vater, Markgraf Ludovico Gonzaga, der Koch- und Essgewohnheiten im Württemberg legte entsprechend Wert auf gesunde Ernährung des ausgehenden Mittelalters zumindest ansatz- und empfahl, um schlank zu bleiben, überhaupt weise deutlich. Barbara Gonzaga hat hierfür ihren wenig zu essen und genügend Wasser zu trinken. persönlichen Einfluss im neuen höfischen Umfeld Mit Barbaras Heirat an den württembergischen markant zur Geltung gebracht und zumindest Hof sollten italienische Koch- und Essgewohn- zeitweilig für die Übernahme italienischer Ess - heiten hier bald Eingang finden. Ihre Briefe und kultur gesorgt. die Berichte der italienischen Gesandten be- schreiben, wie Barbara nach ihrer Hochzeit Spar- gel, Basilikum, Nelken und Rosmarin aus Italien Quellen: schicken ließ, da man solche Gewürze in Urach Maister Hannsen (Universitätsbibliothek Basel nicht kannte. Auch werden ihre gärtnerischen Cod. A. N. V. 12); Fabian, Bartolomeo Platina; Leistungen betont, baute Barbara doch selbst HStAS A 17 Bü 7; HStAS A 602 Nr. 373 d Salat, zucce (Kürbis), rabanelli (Radieschen) und verse (Wirsing) an. Als die Gräfin dann 1475 schwanger wurde, stellte man den ganzen Speise- Literatur: plan um: Im »Frauenzimmer« wurde für das Fouquet, Das Festmahl; Keupp, Ob fraszheit; Wohlbefinden der Gräfin ab diesem Zeitpunkt Peter, Kulturgeschichte der deutschen Küche; »italienisch« gekocht. Peter, Kulturgeschichte der italienischen Küche; Mit diesem kurzen Blick auf die höfische Ge- Württemberg im Spätmittelalter; Zeilinger, sellschaft bei Tisch im Umfeld der Uracher Hoch- Die Uracher Hochzeit; Zeilinger, Dienst und zeit werden schließlich auch die Entwicklungen Gunst

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FRANZ FUCHS Barbara Gonzaga und Eberhard im Bart. Der württembergische Hof im Spiegel mantuanischer Ge sandtschaftsberichte

»Schön oder dick?«, unter dieser mit einem Frage- die 18jährige madona Barbarina …bela, grasis- zeichen versehenen Überschrift erschien vor sima et piásite molto a questo conte Iverando (sie einigen Jahren im Lokalteil des Schwäbischen war schön, sehr dick und gefiel dem Grafen Eber- Tagblattes (vom 14. April 1997) ein Artikel über hard gar sehr). In der Tat ist Barbaras Korpulenz Barbara, die Gemahlin des ersten Herzogs von durch eine ganze Reihe von Quellen gut bezeugt, Württemberg, Eberhard im Bart. »Bierernste und und sie selbst machte sich wiederholt voller saublöde Fragen« – so heißt es hier wörtlich – Ironie in ihren Briefen über den eigenen Leibes- »ranken sich seit eh und je um das Leben der umfang lustig. Ein gewisser Hang zur Fettleibig- feschen Mantuanerin«, die als »First Lady« im keit dürfte im Hause Gonzaga erblich gewesen Staate Eberhards zu spüren bekommen hätte, dass sein. Vor allem Barbaras älterer Bruder Gian sie nur eine »Reig’schmeckte« sei, und die darob Francesco war davon betroffen – seine Prunkrüs - aus lauter Trauer »Unmengen von Spätzle und tung von erstaunlicher Fülle ist übrigens heute Maultaschen« vertilgt habe, so dass sie im Laufe in der Waffensammlung des Wiener Kunsthistori- weniger Jahre unermesslich in die Breite gegangen schen Museums zu besichtigen – und vor weni- und schließlich sogar bewegungs unfähig gewor- gen Jahren hat Rodolfo Signorini ein auf Vitto- den sei; um sie von einem Bett ins andere zu tra- rino da Feltre zurückgehendes diätetisches Rezept gen, hätte es 16 starker Männer bedurft. An ihrer veröffentlicht, das ihm sein Vater Ludovico 1473 Fettleibigkeit sei Barbara schließlich im Jahre 1503 als Schlankheitskur verordnete: Manzare poco, im Alter von 47 Jahren eines allzu frühen Todes bevere aqua asai et dormire manco. gestorben. Soweit der Zeitungsbericht. Fragwürdig ist auch das »Reigschmeckt«; die »Schön oder dick?«, die Frage ist falsch gestellt, Gonzagas waren durch Kaiser Sigismund im denn nach der Überzeugung des mantuanischen Jahre 1433 zu Markgrafen erhoben und somit in Geschichtsschreibers Andrea Schivenoglia, der den Reichsfürstenstand aufgenommen worden, die erste Begegnung Eberhards mit seiner Braut während die Grafen von Württemberg bis zur am 1. April 1474 in Révere beschreibt, war bereits Herzogserhebung Eberhards im Jahre 1495 nur

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Franz Fuchs Barbara Gonzaga und Eberhard im Bart. Der württembergische Hof im Spiegel mantuanischer Gesandtschaftsberichte

als »Fürstengenossen« galten; als 1459 il marchese vico gewesen ist, der seine noch keine sieben Alberto (Markgraf Albrecht Achilles von Bran- Jahre alte Tochter in einem am 23. Oktober 1462 denburg) in Mantua durch seinen Gesandten abgeschickten Brief scherzhaft als nostra moglie- eine Heiratsverbindung sondieren ließ, euren rina und als cocha titulierte und sich auch sonst gnad (nämlich seiner Nichte, der Markgräfin Bar- molto affezionato zeigte gerade gegenüber Bar- bara) tochter eine verheiraten aim vom Wirtem- bara. purg, da wurde dieses Ansinnen brüsk abgelehnt: Schon früh waren Heiratspläne für sie ge- ewr gnad wolt nicht zu greffen heiraten, und es schmiedet, und – wir haben es bereits gehört – bedurfte einiger Überredungskunst des Branden- schon 1458 war von Albrecht Achilles ein Graf burgers, um zu zeigen, dass das Haus Württem- von Württemberg als Heiratskandidat vorge- berg dem Hause Gonzaga ebenbürtig sei. schlagen worden; man wollte damals nicht un- Barbara Gonzaga war die quintagenita filia, die standesgemäß zu »Grafen hinabheiraten«, und »fünftgeborene« Tochter, insgesamt das achte von Albrecht Achilles brachte daraufhin einen badi- zehn das Erwachsenenalter erreichenden Kindern schen Prinzen ins Spiel, nicht ohne anzumerken, aus der Ehe des marchese Ludovico Gonzaga und dass die Aussteuer für diesen reichlicher ausfallen seiner Gemahlin Barbara von Brandenburg, einer müsse. Als der Markgraf während des großen Tochter des auf der fränkischen Plassenburg bei Fürstenkongresses 1459/60 persönlich in Mantua Kulmbach residierenden Markgrafen Johann des anwesend war, scheint es dann tatsächlich zu Alchimisten und somit eine Enkelin des ersten einer auch vom Reichsoberhaupt, Kaiser Fried- hohenzollerschen Kurfürsten von Brandenburg. rich III., persönlich geförderten Heiratsabsprache Sie wurde am 11. Dezember 1455 in Mantua ge- zwischen der fünfjährigen Barbara und dem boren und bereits eine Woche später, am 18. De- badischen Thronfolger, einem Neffen des Kaisers, zember, teilte die Mutter ihrem damals am Hofe gekommen zu sein. des deutschen Großvaters weilenden dritten Sohn Wenige Jahre später wurde dieses Projekt auch Gianfrancesco das freudige Ereignis mit: siamo vertraglich festgelegt, es scheiterte aber letztlich venuto al parto et te nata un altra nova sorella, an den zu hohen Geldforderungen der badischen la quala, perche sapi il nome suo si chiamara Bar- Seite, sehr zum Ärger des Kaisers. Als dieser näm- bara. lich auf seinem zweiten Italienzug am 31. Januar Aus der Kindheit dieser Gonzaga-Tochter 1469 dem mantuanischen Gesandten Konrad haben sich einige Briefe erhalten, die sie im Alter Hertenstein in Ferrara eine Audienz gab, wurde von sieben bis neun Jahren an ihre Eltern schrieb, über das Scheitern dieses Projektes gesprochen; so dass sich die Entwicklung ihrer Schrift und Hertenstein schrieb noch am gleichen Tag dar- ihrer Schreibfähigkeit daraus ablesen lässt – auch über an seine Dienstherrin, dass der Kaiser ge - hier wäre wieder auf Rodolfo Signorini zu ver- äußert habe, sein kaiserlich genade haben vormals weisen, der in einem 1985 erschienenen Aufsatz nicht vil eren gehabt, marggraf Karls von Baden die »scritti e voci« der Gonzaga-Kinder unter- halb und sein kaiserlich genade heten die freunt- sucht hat. Es gibt einige Indizien dafür, dass Bar- schaft (d. h. die Heirat zwischen Barbara und bara der besondere Liebling ihres Vaters Ludo- Chris toph, dem Sohn Markgraf Karls von Baden)

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zu mal gern gesehen, ich verste, es hab sein kaiser- sorgt haben, als Hertenstein in einer am 5. Januar lich genade sehr verdrossen; also antwort ich, sein 1473 in Danzig aufgegebenen Eildepesche melden kaiserlich genaden zu gefallen weren mein herr der ließ, mir wurd gesagt, der kunig von Polen welt ewr freundtschaft willig gewest, aber es war marggraf genad tochter, fraw Barbara, lassen besehen durch Karls halb abgangen; do sprach sein kaiserlich etlich Pollacken, di dan zu disser zeit im hoff zu genad, das heiratsgelt war zu wenig gewest; also Rom soln sein, besorg ich, si komen heimlich gen hab ich mein herren genad nach dem besten ver- Manta, man müsse darauf vorbereitet sein, um antwort, sein genad sey ein armer furst und hab die Heiratskandidatin in möglichst günstigem nach sein vermugen tun. Licht erscheinen zu lassen. Doch auch dieser Plan Als im weiteren Verlauf des Gesprächs der Kai- sollte sich zerschlagen, wie auch ein weiteres ser um seine Vermittlung bezüglich einer Heirat Projekt mit dem Wittelsbacher Otto von Pfalz- Barbaras mit Eberhard von Württemberg gebeten Neumarkt. wurde, lehnte dieser schroff ab: der von Wirttem- Überhaupt dürfte die Verheiratung der Töchter berg desselben geleichen mein junge fraw, eur ge- dem Mantuaner Markgrafenpaar große Sorgen naden tochter, seyen seyner kaiserlich genad nicht bereitet haben: zwei der ältesten Schwestern pekannt, darumb wiss er keinen rat darzu geben. Barbaras, Susanna und Cecilia, waren bucklig Kein Wunder, dass der Kaiser eine solche Verbin- und wurden Nonnen, eine dritte, Dorotea, war dung damals ungern sah, da doch Eberhard als mit dem Herzog Galeazzo Maria Sforza verlobt, enger Verbündeter seines Gegners Friedrichs des wurde aber nach jahrelangem Aufenthalt am Siegreichen von der Pfalz galt; aber wir erfahren Mailänder Hof wegen eines angeblich zu befürch- daraus auch, dass man am Mantuaner Hof nach tenden Buckels in geradezu skandalöser Weise dem Scheitern des Badener Projektes erneut eine zurückgeschickt, als Galeazzo durch französische Heirat mit dem Hause Württemberg erwog, Vermittlung in Bona von Savoyen eine bessere zumal diese auch kostengünstiger zu sein schien. Partie sah. Man dürfte also insgesamt zufrieden Jedoch sollten, bevor Eberhard und Barbara am gewesen sein, als die Heirat mit Eberhard unter 12. April 1474 im Dom zu Mantua getraut und Dach und Fach war. bevor die Ehe am 4. Juli 1474 in Urach vollzogen Seit langem ist in der Forschung bekannt, dass wurde, noch andere Heiratsmöglichkeiten für die im »Fondo Gonzaga« des Archivio di Stato in Gonzaga-Tochter ventiliert werden. Wieder war Mantua eine nicht unerhebliche Anzahl von es der vertraute mantuanische Rat Konrad Her- Aktenstücken zur württembergischen Heirat Bar- tenstein (italienisch: Tristano de Sasso duro), der baras erhalten geblieben ist. Schon im Jahre 1874 in den Jahren 1472/73 durch halb Europa reiste, hat Paul Friedrich Stälin über Eberhards mantua- um einen passenden Partner zu finden; vor allem nische Heirat gehandelt und dabei auch Archi - durch dänische Vermittlung – Königin Dorothea valien des Gonzaga-Archivs herangezogen, wobei war eine Schwester der mantuanischen Mark - er allerdings dieses Archiv nicht selbst besucht gräfin – nahmen die Verhandlungen mit König hatte, sondern auf die Mitteilungen des Kunst - Kasimir von Polen schon konkretere Formen an, historikers Ernst Steinmann angewiesen war. und es dürfte für einige Aufregung in Mantua ge- Peter Amelung gebührt das Verdienst, im Zusam-

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menhang mit der Stuttgarter Ausstellung des Schirmvogt des Kölner Erzstiftes war Karl der Jahres 1985 »Württemberg im Spätmittelalter« Kühne im Juli 1474 mit einem großen Heer in das erneut auf dieses reiche Material hingewiesen Reich eingefallen und belagerte fast ein ganzes und einige besonders interessante Stücke erstmals Jahr (bis Juni 1475) die Stadt Neuß. Jetzt ent - ausgehoben zu haben; seine seit langem vorberei- faltete Kaiser Friedrich III., der lange fälschlich tete Edition der Briefe Barbaras an ihre Eltern als des »hl. römischen Reiches Erzschlafmütze« und Geschwister wird nicht nur Proben ihres bezeichnet wurde, eine ungewöhnliche Aktivität bisweilen etwas galligen Humors liefern, sondern und Agilität; es gelang ihm innerhalb von weni- das Persönlichkeitsbild der ersten Württemberger gen Monaten, fast alle Reichstände zur Stellung Herzogin insgesamt in neuem Lichte erscheinen von Truppenkontingenten zu veranlassen. Der lassen. 63jährige Habsburger erschien persönlich an der Von den über 50 erhaltenen Schreiben Barba- Spitze des mächtigsten Heeres, das man seit Men- ras, die sie während ihres 29jährigen Aufenthaltes schengedenken gesehen zu haben glaubte, zum in Württemberg an ihre Verwandten in Italien Entsatz von Neuß; Graf Eberhard von Württem- abschickte, stammt mehr als die Hälfte aus dem berg weilte seit Januar 1475 als Feldhauptmann ersten Jahr ihrer Ehe, und dies ist kein Zufall. im kaiserlichen Heer. Der Entscheidungskampf Denn die Tatsache, dass der Botenverkehr zwi- um Neuß wurde von ganz Europa mit höchster schen Urach und Mantua sich gerade in den Jah- Spannung verfolgt, zumal während dieser Zeit ren 1474/75 besonders intensiv gestaltete, dürfte Herzog Karls Schwager, König Eduard IV. von nicht zuletzt durch die bedrohliche politische England, mit seinen Truppen in Frankreich Lage im Reich verursacht worden sein, die auch gelandet war. Auch der kleinen Markgrafschaft für die Herrschaft der Gonzaga in Mantua ge- der Gonzaga konnte der Ausgang des Neußer fährlich werden konnte. Denn gerade zu der Zeit, Krieges Gefahren bringen, hatte doch Karl der als Eberhard zu seiner Braut nach Italien reiste, Kühne verkünden lassen, nach seinem Sieg ge- hatte Herzog Sigmund von Tirol in der ewigen meinsam mit Venedig in Tirol einzufallen und Richtung von Konstanz mit den Eidgenossen an Herzog Sigmund Rache zu nehmen; wie leicht Frieden und wenig später ein Bündnis gegen Karl konnte dabei auch das stets zwischen Venedig den Kühnen von Burgund geschlossen, was zum und Mailand lavierende, unmittelbar benach- Aufstand gegen die burgundische Herrschaft im barte Mantua in einen Krieg verwickelt werden, Elsass geführt hatte. Genau am Tag seiner Ehe- obgleich man zu beiden Gegnern die besten Be- schließung in Mantua wurde die burgundische ziehungen unterhielt. Ein Bruder Barbaras, Ro- Besatzung aus Breisach vertrieben, wenig später dolfo Gonzaga, stand anderthalb Jahre in bur- der Landvogt Peter von Hagenbach auf dem gundischen Diens ten, aus der Zeltstadt Karls des Markplatz dieser Stadt geköpft. Kühnen vor Neuß trafen Berichte in Mantua ein, Gleichzeitig war die Kölner Stiftsfehde, der und natürlich erwartete man auch vom Schwie- Kampf Erzbischofs Ruprecht gegen sein Dom - gersohn im kaiserlichen Lager und von dessen kapitel und die meisten Städte seines Hochstifts Hof in Urach genaue Informationen über den in seine entscheidende Phase gekommen. Als Stand der Dinge.

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Neben den Briefen Barbaras, die angehalten gesellschaft gehörenden Arztes Giovanni Santi war, ihren Vater ständig über die politischen Zaita, der fast täglich Bulletins über die Gesund- Ereignisse auf dem Laufenden zu halten, sind es heit von Rodolfo und Barbara nach Mantua vor allem Berichte der mantuanischen Gesand- schickte. ten, die mehrmals wöchentlich Rapporte über die Ärztliche Betreuung auf der Reise war notwen- Alpen schickten und dabei auch viele Details aus dig, da Rodolfo am Fieber litt und auch einige dem höfischen Alltag für berichtenswert hielten. Damen der Gesellschaft mehrfach unwohl waren. Diese Nachrichten zeichnen sich durch unmittel- Wir erfahren aus seinen Berichten etwa, dass Bar- bare Frische aus, wobei mitunter auch das Ge- bara am fünften Reisetag in Trient gesund, fröh- wöhnliche und Triviale zu seinem Recht kommt. lich und zu Späßen aufgelegt war, als das Gepäck, Wenn die große Politik nichts hergab, mussten das bislang getragen werden musste, auf die die Seiten anderweitig gefüllt werden, um die Wagen verladen wurde. Drei Tage später wird Auftraggeber zumindest zu unterhalten, notfalls berichtet, wie schwierig der Weg von Bozen nach mit dem Wetterbericht; es sind gerade die Brixen gewesen sei; bei der Überquerung des Rit- ›Details‹, die ›Nebensächlichkeiten‹, die den be- tens haben Rodolfo und die über Kopfschmerzen sonderen Reiz dieser Quellen ausmachen. klagende Barbara auf dem Berg gespeist, nach Diese Gesandtschaftsberichte sollen im Folgen- dem Essen sei es der Braut besser gegangen. den weniger nach großen historischen Ereig - Auf dem Weg zwischen Brixen und Sterzing sei nissen befragt werden, sondern es soll lediglich man zuerst bei großer Hitze sechs Meilen gerit- versucht werden, einige mitunter auch recht ten, dann aber kam ein starker kalter Wind und überraschende Einzelheiten aus dem ersten Jahr es regnete in Strömen. Rodolfo musste sich in der der Ehe Barbaras und Eberhards zu vermitteln. Herberge zu Sterzing – dicendo sentirse freddo – Beginnen wir mit der Brautfahrt. Unter der sofort niederlegen, der Arzt habe ihm dann – Führung von Barbaras Bruder Rodolfo war der mitten im Sommer – Decken und Tücher am Brautzug, bestehend aus 234 Personen, 217 Pfer- Feuer anwärmen lassen und seine Hände und den, 30 Maultieren, zwei Reisewagen für die Füße damit eingewickelt; nur ein wenig Hühner- Damen und vier weiteren Wägen für das Gepäck, brühe (prodo di pullo) habe er zu sich genom- am 10. Juni 1474 in Mantua aufgebrochen und men. am 28. Juni in Kempten von einem Geleitzug Kalt und windig blieb es auch beim Ritt über Eberhards empfangen worden. Die Briefe, die den Brenner, und wir hören, dass ob dieses Wet- die Gonzaga-Kinder während dieser Reise an ihre ters am 22. Juni in der Osteria am Brenner die Eltern richteten, hat schon Paul Friedrich Stälin Gaststube geheizt werden musste, als die Gonzaga ausgewertet; danach hat Peter Amelung im schon dort gekochtes Huhn und capretto verzehrten. erwähnten Ausstellungskatalog eine konzise Be- Über Matrei ging es nach Innsbruck, wo sie als schreibung der Reisegesellschaft geliefert, jüngst Gäste Erzherzog Sigmunds einen Rasttag einlegte, erst hat Karl-Heinz Spieß erneut über diese um den Festtag des heiligen Johannes des Täufers Hochzeitsgesellschaft gehandelt. Wenig Beach- zu feiern; beim Kirchgang habe die Herzogin tung fanden aber bislang die Briefe des zur Reise- Eleonore von Schottland Barbara bei der Hand in

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die Kirche geführt, und zu Fuß seien die beiden die Männer schön und gesetzt (belli e gravi), die Damen von der Kirche in die Herberge zurückge- Herberge ausgezeichnet. gangen. In Innsbruck stieß man auch auf einen Die Uracher Hochzeit, die neben der Lands - Sohn des Markgrafen von Baden; vielleicht den huter Fürstenhochzeit zu Recht berühmt ist, ist »Ex«-Bräutigam Christoph. Giovanni Santi liefert schon wiederholt dargestellt worden; ich kann eine ungewöhnlich genaue Beschreibung dieses also kurz darüber hinweggehen. Die Feierlichkei- Herrn und seiner Kleidung: asai polito, er habe ten dauerten vier Tage, vom 4. bis 7. Juli, und die blonde, gelockte Haare, die bis auf die Schultern württembergischen Akten ermöglichen eine Re- herabhängen, und er trage einen Perlenkranz am konstruktion des Festes bis hin zum Speisezettel Hut (uno ritorto di perle in capo), bekleidet sei er und der genauen Beschreibung der Tänze. Erst mit einem rotgemusterten Gewand, doch scheine nach den Hochzeitsfeierlichkeiten – am 9. Juli – er, nach der Gesichtsfarbe zu urteilen, nicht be- musste Barbara den üblichen Erbschaftsverzicht sonders gesund zu sein. Zum Abschied wurde der leisten, darauf wurde ihr die Morgengabe über- Reisegesellschaft noch ein Unterhaltungsspek - tragen. Dazu gehörten Schloss und Amt Herren- takel geboten: Einige Hirschjäger jagten drei berg; die Einwohner dieses Ortes mussten ihrem Hirsche auf, ohne sie aber zu fangen. Bruder Rodolfo am 11. Juli den Huldigungseid Die Herberge in Zirl, der nächsten Station, leisten. Bald darauf reiste die mantuanische wird vom Arzt ausdrücklich gelobt (boni loza- Hochzeits gesellschaft heimwärts; am 7. August menti), um so schlimmer aber war es um die Un- trafen sie wieder in Mantua ein. In Urach zurück terkunft in Nassereith bestellt. Barbara war auf blieben Konrad Hertenstein »Tristano de Saxo dem Weg dorthin, obwohl sie in der Zwischenzeit duro«, der meist als Dolmetscher fungierte, gut reiten gelernt habe, wegen der großen Som- mit seiner Frau, die ebenfalls Barbara hieß, und merhitze auf den Reisewagen umgestiegen, was einige wenige andere Italiener, darunter ein aber ihrem Magen schlecht bekommen sei; ihre gewisser frate Epiphanio, der zum Gärtner der Begleiterin Paola habe sich sogar erbrechen müs- Gräfin von Württemberg avancieren sollte. sen. Am nächsten Tag, auf dem Weg nach Vils, sei Konrad Hertenstein hauptsächlich oblag es Barbara deshalb wieder auf einem Maultier gerit- nun, seine Mantuaner Dienstherren über das ten; zwar sei der Weg schlecht und steinig gewe- Wohlergehen ihrer Tochter zu informieren. Er sen, aber sehr schöne Tannenwälder (bellissimi schrieb stets getrennt an Ludovico in italienischer boschi d’abedi) hätten den Weg gesäumt und und an dessen Gemahlin Barbara von Branden- Schatten verbreitet. Nach einer weiteren Tagesrast burg in deutscher Sprache; um es vorweg zu in Vils wurde unsere Hochzeitsgesellschaft drei sagen, die deutschen Briefe an die Mutter sind Meilen vor Kempten von dem württembergi- ausführlicher und interessanter. So weiß er etwa schen Empfangskomitee – mit insgesamt 200 am 9. August 1474, also wenige Wochen nach der Pferden – eingeholt, wobei die üblichen Höflich- Heimkehr Rodolfos, zu melden, dass die Hoch- keiten boni paroli ausgetauscht wurden. Kempten zeitsgeschenke des jetzigen Kurfürsten Albrecht und überhaupt das Allgäu gefielen unserem Arzt: Achilles von Brandenburg eingetroffen seien: Er la terra e bellissima, populata molto e richa, hätte zwei gulden heftlein überreichen lassen und

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er habe sich mit irn gnaden gefrewt der frewnt- und nur vier Tage später meldet der Bericht - schaft halb. Barbara selbst fühle sich ausgezeich- erstatter, dass beide Eheleute gesund und wohlauf net: sie helt sich außtermaßen wol, wan, wo sy reit sind: und sein ser frolich; si peyde essen all tag oder fert, so lauft das folck als zu, ir gnad zu sehen, miteinander und er helt stet ir hant in seiner hant, und sprechen al gemainlich, das sy nie kain schoner so sneit man in das prot und die speis auf welisch frawen gesehen haben; meiner frawen gnad Bar- fur und si leben also in grosen freuden, auch haben bara, ewr tochter, reit nast umb im land zu Wirten- si ainander austerdermaßen lieb. berg, da wurd ein hantbergkman di stat Tubing Den händchenhaltenden Eberhard findet also versagt, der ruft meiner frawen gnad Barbara an auch der Tristano ungewöhnlich, der auch über und sprach: »O heilige fraw, ich bit ewr gottlich eine erste Verstimmung zwischen beiden Ehe - gnad, mir von mein herrn von Wirttenberg gnad leuten am 4. Oktober 1474 genaue Nachricht gibt. zu erwerben«; der von Wirttenberg reit ewr gnad Was war geschehen? Eberhard hatte aufgedeckt, tochter an der seiten und lachet des einfeltigen dass der Kaplan Sixtus und andere Männer zu mans und waren ser frölich; fur war, die leut im später Stunde noch in der Jungfrauen-Kammer land zu Wirrtenberg haben meiner frawen gnad waren, und strikte Anweisung gegeben, dass der Barbara als lib als wer si heillig. Wir sehen, auch Hofmeister derartiges künftig unterbinden im Tübingen des 15. Jahrhunderts scheint »dick müsse: wann der hofmeister »Gute nacht« nem, so und schön« kein Gegensatz gewesen zu sein. sol kein knecht nach im frawenzimmer oder in fraw Viele Einträge betreffen die für den Bericht - Barbara camer bleiben. Das aber hat die Gräfin, erstatter außergewöhnlichen Liebesbezeugungen, die aus Italien andere Sitten gewohnt war, gar ser die Eberhard für Barbara an den Tag legte, und verdrossen und versmat. Hertenstein versucht per- das vorzügliche Verhältnis zu ihrer Schwieger- sönlich zu intervenieren und zu beschwichtigen: mutter, der in Rottenberg residierenden Erzher- ich hab gesprochen, ir gnad sol sich irs herrn und zogin Mechthild von Österreich, die kurz nach gemahels wiln und gefalen befleißigen, so wird die der Hochzeit in eine Korrespondenz mit der lib lang zwischen in paiden; auch ein jede person Markgräfin Barbara von Mantua trat. Das gute mus sich nach eins lantz siten richten, das lant Verhältnis wird nicht zuletzt durch häufigen Ge- richt sich nach dem menschen nicht. schenkaustausch unterstrichen: Schickt die Man- Doch scheint sich die junge Gräfin nicht so tuaner Barbara an Mechthild einen Spiegel mit- leicht beruhigt zu haben; Hertenstein bittet die samt einen sumerschleyer, einen gürtel und einen Mutter, einen Brief in dieser Sache an die Tochter schlüsselriemen, so bedankt sich Mechthild dafür zu richten, damit nur kain ungnad daraus werd. mit zwen schlayer, nemlich einen behemischen und Drei Tage später, am 8. Oktober, scheint die Sache einen swebischen, und bittet sie, die von unseren immer noch nicht bereinigt zu sein: ir gnad – wegen zu tragen. so heißt es jetzt – let sich ein itliche kleine sach Doch zurück zu den Liebenden: Am 12. August bekumern, vermein ich, es sey nit gut, das sy sulich 1474 meldet Hertenstein nach Mantua: ew tochter gering dingh zu herezen nem; zweifelt mir nicht ist gesund, der luft und die speiß pekomen ir e. g. wissen das wol zu unterkomen und pin an austermassen wol, ir her und gemahel hat si ser lib; zweifel, alle sach wird in ein recht wesen kommen.

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Und das tut es dann auch: Vom 14. Oktober Die Lage wird für sie äußerst unangenehm, als stammt die versöhnliche Nachricht: ewr tochter Eberhard im Januar 1475 sich ins kaiserliche Heer ist wol ein mit irm herrn und gemahel und mit begibt und bis Ende Juli dem Uracher Hof fern- ir muter der hertzogin von Österreich, si sein ser bleibt, und sie gleichzeitig die bis ins Detail frolich mit ainander, alle ding sten wol. beschriebenen Schwangerschaftsbeschwerden Und sehr gut stehen die Dinge auch noch am durchmachen muss. Dabei wird aber sowohl von 21. Oktober. Jetzt kann ebenfalls Fröhliches be- den Gesandten als auch von ihr selbst immer richtet werden: Eberhards Schwester, Elisabeth, wieder bekräftigt, dass der Hauptgrund für das eine verwitwete Gräfin von Nassau, habe in zwei- Unwohlsein die Abwesenheit Eberhards sei, ter Ehe Graf Heinrich von Stolberg-Wernigerode obwohl der Gemahl in vielen Briefen seiner Frau geheiratet, der hat des jars bei 20 000 fl. aufzuhe- große Liebe bekunde, dimostra grandissimo ben und wird morgen peyschlaffen zu Rottenberg in amore, süß und honigtriefend seien seine Trost- der von Österreich haus; Eberhard und Barbara, schreiben: sono confortata molto con lettere e con die wieder wol ayns sind und austermassen lieb belle e dolce parole. Zerstreuung und Vergnügen aneinander haben, werden an dieser Zeremonie bereiten ihr aber ihre Haustiere: Voll Freude teilnehmen. Schlimmer aber ist es jetzt um schrieb sie am 27. April 1475 an ihre Mutter, dass Hertensteins eigene Ehe bestellt, hier hängt der ihr ein kleiner Bär geschenkt worden sei, mit dem Haussegen schief; denn seine (des Berichterstat- sie großen Spaß habe und häufig spiele. Im glei- ters) Frau habe in Erfahrung gebracht, dass ein chen Brief flocht sie erstmals deutsche Wörter in gewisser Artus sein, Hertensteins, außerehelicher den italienischen Text ein. Eigentlich, so heißt es Sohn sei; darumb sie austermaßen zornig ist. Er hier, habe sie der Mutter eigenhändig schreiben bittet deshalb seine Dienstherrin, sie möge diesen wollen, aber sie sei müde gewesen, die finstere Knaben in den Dienst ihrer jüngsten Tochter Nacht sei gekommen che andasse a sloffen. Paola geben, damit er – wen ich haim gen Mantua Eine kuriose Tiergeschichte ganz anderer Art kommen sol, mir nit mer ins haus kom, anders ich berichtet Hertenstein am 14. Mai 1475 an die alte mocht mit meim weib kain fried haben. Barbara. Die junge Fürstin habe sich unterstanden Diese Proben aus dem Eheleben des Grafen- lernen haus zu haben und het neun jung gens kauft paares und unseres Berichterstatters mögen vor- zu czyhen, so het ich iren gnaden ein jungen fuchs erst genügen; die Beispiele für die Zärtlichkeit geben. Also hat ir gnad ein nerin, di solt der gens und außergewöhnliche Liebesbezeugung zwi- warten, da het die nerrin die gens und den fuchs schen Eberhard und Barbara ließen sich beliebig zusammen ton, und als sie am morgen aufston, do vermehren. Aber es gibt immer wieder Zeugnisse het der fuchs die gens all erwurgt und het sich selbst für das Heimweh der 19jährigen Gräfin; ver- in das nest gesetzt; schrie die nerin schrier das mort stärkt lässt diese Stimmung sich in Barbaras eige- uber den fusch (Abb. 1). nen Briefen belegen. Zwar betont auch sie wie- Von den vielen Geschichten um Barbara sei derholt, dass ihr Gatte ihr jeden Tag größere noch eine andere herausgegriffen, diesmal eine Liebe bezeuge (me mostra ogni di mazor amore), durchaus ernsthafte, die wir der Feder des Don trotzdem aber ist sie nicht selten mal contenta. Marino verdanken. Dieser weiß am 27. April 1475

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1 | Gänsezucht. Ausschnitt aus der Handschrift des »Tacuinum Sanitatis« im Besitz Eberhards im Bart (heute: Paris BN, Fonds lat. 9333, fol. 64r)

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2 | Gezogenes Basilikum. Ausschnitt aus der Handschrift des »Tacuinum Sanitatis« im Besitz Eberhards im Bart (heute: Paris BN, Fonds lat. 9333, fol.36v)

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zu berichten, dass eine arme junge Frau in Urach Als man kurz nach dem Aufbruch Eberhards ucise el marito suo; sie habe ihren Mann, der sehr zum kayser in die rais feststellen konnte, dass Bar- gewalttätig gewesen sei und vor ihr schon zwei bara von den Gnaden des almechtigen gots sbanger Frauen gehabt hätte, aus Notwehr getötet, aber ist, wird diese Schwangerschaft zum beherrschen- die Richter hätten dieses Entlastungsargument den Thema schlechthin; jedes Unwohlsein ist eine nicht anerkannt. Da hätten sich die Frauen von eigene Mitteilung wert. Bereits im Januar wird Urach und Umgebung (le donne dela terra der Speiseplan umgestellt, da si nicht lustig ist zu d’Urach) versammelt und ein »Capitulo« ge- essen und ir der hausskoch nicht gefelt, wird jetzt macht. 30 Frauen, darunter 12 Schwangere, hät- im Frauenzimmer italienisch gekocht. Herten- ten sich an Barbara gewandt und um Hilfe für stein schrieb am 24. Januar 1475: mein weib ist die inhaftierte Frau gebeten. Barbara sei von Mit- köchin worden und kocht im frauenczimer … leid ergriffen worden und habe die Richter zur si (nämlich Barbara) iset gar wenig. Am 9. März Freilassung der Armen bewegen wollen. Als sie kommt dann die tröstliche Nachricht: was fraw damit nichts erreichte, habe sie einen geheimen Barbara nu iset oder trinckt, das peleibt zu guter Boten an Eberhard geschickt, der auf ihren Brief maß pey ir und wer frolich, wo ir herr nicht zw feld hin die Frau sofort begnadigt habe. Eine erstaun- leg ... ein tag bedunck sie tussent jar lanck, und sie liche Aktion weiblicher Solidarität, ein capitulo habe ausgerechnet, wie viele Stunden ir herr und delle donne, das sich sozusagen mit der schwange- gemahel sey aussen gewest, sie pesorg die krieg ren Landesherrin an der Spitze für die ihrer An- nemen also pald kein end. sicht nach unschuldige Delinquentin einsetzt – Am 8. Mai wird gemeldet, dass Barbara von die Mörderin als »Opfer« bezeichnet und Erfolg Tag zu Tag lustiger … werde zu essen; was sie nu hat. isset oder trinckt, das verdeut sie und wricht sich Barbara als Gärtnerin: Es gibt keinen Spargel in nicht als vor. Und immer wieder Anspielungen Urach, man möge doch Spargelsamen aus Man- auf den venter benedictus: molto grossa, sehr dick tua schicken; aber sie brauche auch Basilikum, sei sie geworden, schreibt Gianfrancesco Gon- Nelken und Rosmarin (Abb. 2); als am 10. Mai zaga, der ältere Bruder, der am 4. Juni in Urach 1475 dann anstatt des verlangten Samens eine zu Besuch weilt; es wächst der pauch zu guter maß Portion echten Spargels aus Italien eintrifft, woll, so Hertenstein am 3. Juni 1475, und ganz wird dieser noch am gleichen Tag verzehrt. Mit ähnlich am 1. Juli: der pauch wechst ihren gnaden Frate Epiphanio beschäftigt sie sich häufig im gar ser und sie muß sich alnteilen gar aufschnuren, Garten: zucce (Kürbisse), rabanelli (Radieschen), sy lest ein plab seiden parament machen, auch verse (Wirsing) und Salat hatte man angebaut, ander dinck, das einer kindlpetterin zu gehort; um so schreibt Don Marino am 27. April 1475 an Hebammen und um saigamen kümmere sich die die Mutter. Darüber hinaus aber würde jetzt Schwiegermutter, die in diesen Dingen erfahren Barbara versuchen, gemeinsam mit Epiphanio sei (Abb. 3). gute, gesunde und wohlriechende Wässerchen zu Über die Niederkunft selbst besitzen wir zwei destillieren, ja sie sei von diesem Frate zu einer voneinander unabhängige Berichte, die sich vor- medica und Kräuterkennerin ausgebildet worden. züglich ergänzen; kurz vor dem Ereignis war

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3 | Glück: ein Paar, die Frau schwanger. Ausschnitt aus der Handschrift des »Tacuinum Sanitatis« im Besitz Eberhards im Bart (heute: Paris BN, Fonds lat. 9333, fol.102v)

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Barbara Gonzaga und Eberhard im Bart. Der württembergische Hof im Spiegel mantuanischer Gesandtschaftsberichte Franz Fuchs

Eberhard endlich nach Hause zurückgekehrt und kommen rechnen. Wie sehr er sich damit er hat seiner Frau in ihrer schweren Stunde per- täuschte, sollte die Zukunft zeigen: die bella Bar- sönlich beigestanden. Hertenstein berichtet am barina hat das erste Lebensjahr nicht überstan- 3. August an die Großmutter: 2 des augost hat der den, und zu einer zweiten Niederkunft Barbaras almechtig got fraw Barbara ewr gnaden tochter, ain sollte es nicht kommen. hübsche tochter geben. Die wetagen werten ir von »Schön oder dick?« Barbara war – so meine 23 pis ain halb stund nach miternacht, sie gedacht ich – ein Glück für das Haus Württemberg, auch vil an ewr gnad. Der von Wirtenberg was stetcz pey ohne Nachkommenschaft oder vielleicht gerade fraw Barbara und trost si als lang, pis si des kinds deswegen. Hansmartin Decker-Hauff hat die wolt gepern, ich pin tulmetcz gebest, ich hab hoff- Verbindung von Eberhard im Bart mit Barbara nung, es wird noch ein gute hebam aus mir; sobald Gonzaga als eine der »wenigen glücklichen die Wehen einsetzten, habe er einen Boten zur Fürs ten ehen des Mittelalters« bezeichnet. Ob die Erzherzogin Mechthild geschickt; diese wäre aber, Gonzaga-Tochter in Urach wirklich »glücklich« obwohl sie sich beeilt habe, erst nach der Geburt wurde, nachdem sie ihre Hauptaufgabe – das Ge- eingetroffen. bären von gesundem männlichem Nachwuchs – Der zweite Bericht stammt vom mantuani- nicht erfüllen konnte, ist allerdings sehr zu be- schen Kleriker Stephanio Guidotis: Er berichtet zweifeln. am 28. August, dass die Tochter, eine bella Bar- barina, nach Meinung der glücklichen Mutter Eberhard ähnlich sehe, und dass sie sie deshalb Quellen: mit besonders zärtlicher Liebe umhege; ein Sohn ASMn AG, buste diverse; Schivenoglia, Cronaca wäre natürlich besser gewesen, aber man müsse di Mantova nehmen, was Gott gibt. Am gleichen Tag schreibt Barbara an ihre Mutter, dass der eben erwähnte Stephanio aus Mantua angekommen sei; immer Literatur: wenn Besuch von der Mutter aus Mantua käme, Antenhofer, Briefe; Becker, Gonzaga; Cham- würde es ihr scheinen, wie wenn sie einen Engel bers/Martineau, Splendours of the Gonzaga; vom Himmel erblicke; wie gerne würde sie auch Chambers, Individuals and Institutions; Coni- nur eine Stunde die Mutter sehen und ihre glio, I Gonzaga; Coniglio, Mantova; Decker- Ratschläge hören. Auch der des Lateinischen un- Hauff, Frauen; Ernst, Eberhard im Bart; Fuchs, kundige Eberhard ließ am gleichen Tag an seine Arriginus von Busseto; Lazzarini, Fra un prin- hochgeliebte Schwiegermutter, der ebenfalls ein cipe; Malacarne, I Gonzaga; Oesterle, Schön Sohn lieber gewesen wäre, in lateinischer Sprache oder dick; Signorini, Opus hoc tenue; Signo- schreiben, dass er sich sehr über die Geburt der rini, La più bella camera; Signorini, Scritti e Tochter gefreut habe, habe er doch dadurch die voci; Spieß, Unterwegs; Stälin, Die Heirath; Gewissheit bekommen: dilectissimam conthora- Württemberg im Spätmittelalter; Zeilinger, lem nostram fertilem esse; in ihrer beider Jugend Die Uracher Hochzeit könnten sie noch mit vielen männlichen Nach-

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JÜRGEN HEROLD Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua

Als Barbara Gonzaga im Sommer 1474, begleitet lungen aus dieser Zeit, Barbarinas Eingewöhnung von einem beeindruckenden Gefolge – zusam- und bald einsetzende Schwangerschaft sowie der men waren sie 234 Personen, die sich mit 217 Neußer Krieg. Pferden und 30 Maultieren, zwei Karren und vier Der Neußer Krieg war wohl auch die Hauptur- Gepäckwagen bewegten – unter Leitung ihres sache dafür, dass der jungen Gräfin zunächst Bruders Rodolfo den Weg über die Alpen in ihre noch eine recht umfangreiche italienische Die- künftige Heimat Württemberg antrat, konnte nerschaft verblieb, die sich an der Berichterstat- sie sich wohl nicht vorstellen und ist auch nicht tung nach Mantua eifrig beteiligte. Graf Eberhard davon ausgegangen, dass sie ihr Geburtshaus, wollte die Schwangerschaft seiner durch kultu- ihre Eltern und Geschwister nie wieder sehen relle Anpassungsprobleme ohnehin stark belaste- würde. Wie »Barbarinas« Briefwechsel zeigt, ten jungen Frau nicht gefährden. Nur deshalb hegte sie noch viele Jahre, sogar noch einmal kurz duldete er für die Zeit seiner Abwesenheit infolge vor dem Ende ihres Lebens, den Wunsch, ihre der Teilnahme am Kriegsgeschehen so viele Italie- Familie in Mantua zu besuchen. Und doch sind ner an seinem Hofe. Nach seiner Rückkehr aus die Briefe, die hiervon sprechen, die Boten, dem Felde und der unmittelbar darauf folgenden die sie überbrachten, der einzige Kontakt mit Niederkunft Barbaras wurden diese unverzüglich ihren Angehörigen geblieben. nach Hause entlassen. Nur noch wenige verblie- Der Briefwechsel Barbarinas mit ihren Eltern ben, wie der Kaplan Sixtus, der Barbara in den und Geschwistern setzte bereits zu Beginn der folgenden Jahren als Beichtvater und als Sekretär Brautfahrt nach Urach ein. Sie und ihre Mitrei- diente. senden berichten von den Beschwerlichkeiten der Die Bemühungen der jungen Gräfin, Genevra, Fahrt, dem Wetter und den durchquerten Land- eine ihrer Kammerjungfrauen, mit einem Würt- schaften, von Barbarinas Heimweh, den Konflik- temberger zu verheiraten und dadurch in ihrer ten mit und unter den Begleitern, von Empfän- Nähe zu halten, scheiterten am Widerstand ihres gen, Begegnungen und vielerlei Erlebnissen. Aber Gatten. Der Graf stand dieser Sache von vorn - auch nach der Ankunft in Urach blieb der Brief- herein ablehnend gegenüber, ließ Barbara bei der verkehr mit Mantua noch ein Jahr lang erstaun- Suche nach einem geeigneten Ehemann für lich dicht. Zwei Themen bestimmen die Mittei- Genevra zunächst jedoch gewähren. Selbst ihre

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Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua Jürgen Herold

Schwiegermutter Mechthild beteiligte sich daran. Aber als Eberhard im Sommer 1475 aus dem Kriegslager zurückkam, schickte er Genevra mit den anderen Italienern sofort nach Hause. Er wollte die Zahl der Ausländer an seinem Hof möglichst gering halten. Gleichzeitig zum Verhallen der letzten fremden Stimmen am Uracher Hofe zeigt sich ein merkli- cher Rückgang in der Überlieferung der zwischen Württemberg und Mantua getauschten Briefe. Die tatsächliche Dichte der Korrespondenz war aber deutlich höher als es die Zahl der in den Ar- chiven erhaltenen Schreiben zunächst vermuten lässt. Viele Briefe aus dieser Zeit sind – worauf zahlreiche Andeutungen in den noch erhaltenen hinweisen – heute verloren. Trägt man alle Hin- weise zusammen, ergibt sich das Bild eines unun- 1 | Siegel der Barbara Gonzaga als Gräfin von Württemberg terbrochenen, regelmäßigen Briefkontakts mit auf einem Brief von 1475 (ASMn AG b. 514, 79v) den engen Verwandten, der bis an Barbaras Le- bensende Bestand hatte. Sie hielt auf diese Weise Verbindung zu ihren Eltern und sämtlichen Ge- schwistern sowie deren Ehepartnern, später auch Briefen nach Württemberg gelangten im 19. Jahr- zu den Neffen und Nichten (Abb. 1). hundert in das Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Die meisten Briefe Barbaras an ihre Angehöri- Die Briefe Barbaras zeigen nur selten ihre gen findet man Staatsarchiv zu Mantua, einige an Handschrift. Die meisten wurden von den sie ge- ihre Schwester Paola auch im Tiroler Landesar- rade betreuenden Geistlichen verfasst: während chiv in Innsbruck. An die württembergische Grä- der Brautfahrt von Stefanino Guidotti, dem fin und spätere Herzogin gerichtete Schreiben Kaplan ihrer Mutter und späteren Erzpriester von haben sich überwiegend als Einträge in das seit Mantua, nach der Ankunft in Urach nacheinan- der Mitte des 15. Jahrhunderts weitgehend lü- der von den Kaplänen Leonardo Barbaro und ckenlos erhaltene markgräfliche Briefregister im Marino, nach 1475 von ihrem Kaplan Sixtus, Archivio Gonzaga im Staatsarchiv Mantua erhal- der als Beichtvater bei ihr geblieben war. Die ten. Dort existieren auch noch einige Fragmente Schreiber nahmen jedoch keineswegs nur das vom Briefregister des Kardinals Francesco Gon- Diktat auf, sondern waren zweifellos auch an der zaga, mit Briefeinträgen an Barbara und Eber- gedanklichen Konzeption und den Formulierun- hard. Bruchstücke des Briefregisters von Barbaras gen beteiligt. Dies zeigt der eher unbeholfene Stil Bruder Ludovico bewahrt heute das Staatsarchiv der wenigen ohne fremde Hilfe von Barbarina Parma auf. Daraus genommene Abschriften von selbst niedergeschriebenen Briefe.

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Jürgen Herold Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua

Der Kontakt Barbaras zu ihrer Herkunftsfami- Zeitpunkt aber für verfrüht und wollten mit lie wurde durch die Lage Mantuas am Romweg Chiaras Verheiratung noch mindestens vier Jahre der Deutschen über den Brennerpass begünstigt. warten. Hinter Barbaras Engagement stand wo- Der dichte Personenverkehr in die Heilige Stadt möglich das Anliegen, nach dem Verlust des ers - verschaffte einen willkommenen Mitnahmeeffekt ten und, wie sich zeigen sollte, einzigen Kindes für den Brieftransport. Darüber hinaus nutzten durch die räumliche Nähe zu einer Angehörigen die Württemberger die Möglichkeit, ihre Interes- die Rückbindung an die eigene Familie zu sen gegenüber der Römischen Kurie durch Kardi- festigen. nal Francesco, den Bruder Barbaras, vertreten zu Grenzübergreifende Kontakte gab es in dieser lassen. Dass sie sich dazu gern der Vermittlung Zeit auch innerhalb der Elterngeneration Barba- durch Markgräfin Barbara bedienten, sorgte für ras. Im Herbst bedankt sich ihr Vater Markgraf zusätzliche Kontakte nach Mantua. Der frühe Tod Ludovico Gonzaga bei Mechthild, der Mutter Francescos 1483 brachte diese Einflussmöglich- Eberhards, für ein Pferd. Im Mai 1478 machte keit bald zum Erliegen, woraufhin das würt - Markgräfin Barbara ihrer Tochter in Württem- tembergische Grafenpaar die Bemühungen des berg eine traurige Mitteilung, nämlich vom Tod jüngsten der Gonzagabrüder, des apostolischen Cecilias, Barbaras älterer Schwester, wusste aber Protonotars Ludovico, den Kardinalsrang zu er- auch von einem freudigen Ereignis zu berichten, langen, auch im eigenen Interesse unterstützte. der bevorstehenden Hochzeit Gianfrancescos, Aus der Zeit nach der Geburt ihrer Tochter bis jenes Bruders, der einige Jahre in Franken ver- zum Tode ihres Vaters Ludovico im Sommer 1478 bracht hatte, mit Antonia di Balzo, wozu sie die sind nur wenige Korrespondenzzeugnisse erhal- württembergische Gräfin einlud. ten. Fünf Monate nach der Rückkehr der letzten Es verwundert kaum, dass der Tod des Mark- Italiener aus Württemberg, Ende März 1476, grafen Ludovico Gonzaga am 12. Juni desselben schickte Markgräfin Barbara von Mantua ein Jahres eine Reihe von Interaktionen zwischen Kondolenzschreiben an ihre Tochter, in dem sie Mantua und Württemberg in Gang setzte. Bereits den Tod ihrer Enkelin, der Tochter der württem- am Tag nach dem Dahinscheiden wurden die To- bergischen Gräfin, deren Geburt im Vorjahr für desnachrichten gen Norden, unter anderem auch soviel Aufsehen, Freude und Zuversicht gesorgt an den Hof in Urach, verfasst. Nach einem sofort hatte, betrauert. nach Erhalt der Nachricht aufgesetzten Kondo- Vom Sommer desselben Jahres ist ein Brief- lenzschreiben schickten Eberhard und Barbara wechsel mit Federico Gonzaga und seiner im Oktober eine Kondolenzgesandtschaft nach Ehefrau Margarete von Bayern – Bruder und Mantua. An deren Spitze stand der württember- Schwägerin Barbaras – bekannt. Barbara hatte ein gische Rat Balthasar Mesnang, der anschließend Eheprojekt zwischen einem Sohn des hessischen nach Rom weiter ritt. Landgrafen und ihrer ältesten, damals zwölfjäh - Mit dem Regierungsantritt Federicos begann rigen Nichte Chiara, Tochter Federicos und Mar- die am dichtesten belegte Phase des Kontakts garete, ins Spiel gebracht. Die Eltern zeigten sich zwischen dem württembergischen Grafenpaar zwar nicht grundsätzlich abgeneigt, hielten den und den Gonzaga. Sie hätte gewiss noch mehr

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Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua Jürgen Herold

Material hinterlassen, wenn Federicos Ehefrau Gonzaga, den ältesten Sohn Federicos, mit Isa- Margarete nicht schon 1479 gestorben wäre. Auch bella d’Este, der damals sechsjährigen Tochter des dieser Todesfall wurde natürlich wieder durch Herzogs Ercole von Ferrara, zusammenbringen Briefe bekannt gemacht. Von einer erneuten Kon- sollte. Die Vermählung Chiaras fand bereits 1481, dolenzgesandtschaft erfährt man allerdings die Francescos erst 1490 statt. nichts. Dass uns solche Informationen fehlen, Im Herbst 1479 erhielt Barbarina von ihrem mag auch daran liegen, dass mit dem Tod Marga- Bruder Kardinal Francesco die Aufforderung, retes das Prinzip der täglichen brieflichen Mittei- nach Mantua zum Karneval zu kommen. Dies lungen zwischen dem Markgrafen und der Mark- war bereits die zweite Einladung (nach derjenigen gräfin, wie es zwischen Barbaras Eltern, Ludovico zur Hochzeit Gianfrancescos 1478), die Barbara Gonzaga und Barbara von Brandenburg, bestan- nicht wahrnahm, weil, wie sich zeigen sollte, ihr den und von Federico und Margarete zunächst Gatte Eberhard solch einem Vorhaben grundsätz- fortgesetzt worden war, abrupt aufhörte und lich entgegenstand. Dieser Umstand fällt umso durch den etwas später einsetzenden regelmäßi- mehr ins Gewicht, als – nach den Forschungen gen Briefwechsel zwischen Federico und seinem von Ebba Severidt über die Familienstruktur der ältesten Sohn und künftigen Nachfolger Fran- Gonzaga – bei den Markgrafen von Mantua der- cesco nicht völlig ersetzt wurde. Diese interne artige Besuche wohl als selbstverständlich galten. Kommunikationsachse, die uns wertvolle Hin- Neben den eigenen Töchtern durften auch die weise auch auf Kontakte mit Württemberg hin- eingeheirateten Schwiegertöchter, also Barbara terlassen hat und weiterhin hätten hinterlassen von Brandenburg und Margarete von Bayern, können, zerbrach also erst einmal und bildete einige Jahre nach der Hochzeit ihre Verwandten sich nur allmählich durch den Briefwechsel zwi- noch einmal besuchen. Die württembergische schen Vater und Sohn wieder aus. Gräfin und spätere Herzogin blieb die einzige aus Indes hielt die Folge der Schicksalsschläge in ihrer Familie in dieser Zeit, der dies versagt Mantua an. Nach Cecilia, Ludovico und Mar - wurde. garete starben 1481 Markgräfin Barbara, 1483 Im April 1481 schickte Federico je einen Brief Kardinal Francesco Gonzaga und schließlich 1484 an seine Schwester Barbara und deren Ehemann auch Federico. Zur selben Zeit wurden aber auch Eberhard. Nur gegenüber Eberhard sprach er eine mehrere Eheprojekte in Gang gesetzt oder in Einladung aus, für den Fall, dass er nicht kom- Gang gehalten, über die man Barbara in Würt- men könne, sollte er aber wenigsten seine Gattin temberg informierte oder zu denen sie sogar schicken. Als Anlass gab er die bevorstehende Einladungen erhielt. Abreise seiner Tochter Chiara nach Frankreich Nach der Hochzeit Gianfrancescos waren dies an. Zum eigentlichen Anlass kam zwar keiner der die Vermählung von Barbaras Schwester Paola beiden, dennoch scheint es auch positive Signale mit dem Grafen Leonhard von Görz 1479, ihrer von württembergischer Seite gegeben zu haben. bereits erwähnten Nichte Chiara mit dem Grafen Jedenfalls drückte Federico im Sommer desselben Gilbert de Montpensier aus einer Seitenlinie der Jahres in einem weiteren Schreiben an Barbara Bourbonen, sowie ein Ehevertrag, der Francesco seine Freude darüber aus, dass sie zusammen mit

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Jürgen Herold Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua

Eberhard zum nächsten folgenden Karneval nach Federico durch einen Vertrauten um eine Kopie Mantua kommen würde. Noch im Januar des ihres Ehekontraktes. Obwohl Federicos Antwort folgenden Jahres (1482) wiederholt er dies gegen- keine Einzelheiten preisgibt, geht aus ihr hervor, über beiden in zwei weiteren Briefen. Erscheinen dass es sich um eine sehr ernste Angelegenheit sollte jedoch nur Eberhard, der auf einer Reise handelte. So ernst, dass Barbara ihrem Bruder nach Rom in Mantua anhielt, während Barbara anscheinend keinen Brief geschrieben, sondern zuhause bleiben musste. ihren Abgesandten Sixto nur mündlich instruiert Eberhard reiste in den Jahren 1484 und 1485 hatte. Nicht einmal eine Kredenz wird erwähnt. viermal nach Innsbruck, u. a. zur Hochzeit Her- Der Markgraf ließ seiner Schwester das ge- zog Sigmunds mit Katharina von Sachsen, ohne wünschte Dokument umgehend anfertigen und dass seine Gattin nur einmal dabei gewesen wäre. lobte sie in seinem Begleitschreiben für ihr kluges Auch späterhin sollte es ihr, obwohl sie die Hoff- Vorgehen. nung nicht aufgab, nicht gelingen, eines ihrer Ge- Die Korrespondenz zwischen Württemberg schwister wieder zusehen. Das letzte, was wir aus und Mantua bietet auch etliche Beispiele dafür, der überlieferten Korrespondenz hierzu erfahren, dass Nachrichten keineswegs immer ihre Adres- findet sich in einem Schreiben Barbaras an ihre saten erreichten. Besonders brisant war dies, als Schwester Paola von Görz vom 1. Mai 1487: An- Kardinal Francesco Gonzaga am 21. Oktober chora ho pregato el signor mio che’l me dia licentia 1483 starb. Gräfin Barbara zeigte sich irritiert de vegnire a uisitarue, el me ha risposto per forma und bestürzt, als sie Ende Dezember von ihrem che non ho ardimento de scriuerue. – »Noch ein- jüngeren Bruder Ludovico, der bereits wenige mal habe ich meinen Herrn gebeten, dass er Tage nach Francesco Tod die päpstliche Bestäti- mir die Erlaubnis gibt, zu kommen um Euch zu gung als dessen Nachfolger im Amt des Bischofs besuchen. Er hat mir in einer Weise geantwortet, von Mantua erlangt hatte, einen Brief erhielt. die Euch zu beschreiben mir der Mut fehlt.« Darin bat er die württembergische Gräfin Deutlicher konnte und durfte sie ihre Misere und ihren Gatten um Unterstützung bei der wohl nicht ausdrücken. Erlangung der Kardinalswürde, in der Ludovico Das Reiseverbot war aber nicht die einzige nun ebenfalls dem Verstorbenen nachfolgen Schwierigkeit, mit der Barbara zu Beginn der wollte. 80er Jahre zu kämpfen hatte. Nach dem Tode Die Mitteilung vom Tod ihres Bruders hatte sie seiner Mutter Mechthild regelte Eberhard 1483 bis dahin noch gar nicht erreicht. Denn der Bote die finanziellen Verhältnisse seiner Gattin neu, war verschollen. Er hatte sich unmittelbar nach indem er Heiratsgut, Widerlegung und Morgen- dem Tod des Kardinals mit den entsprechenden gabe auf ihren künftigen Witwensitz Böblingen Notifikationen auf den Weg über die Alpen bege- sowie auf Sindelfingen und den Zoll von Vaihin- ben. Die Briefe, die er bei sich trug, waren aber gen versicherte. Diese Überschreibung scheint nicht an ihr Ziel gelangt. Die Gonzaga begannen nicht unbedingt den Wünschen Barbaras ent- sich bald nach seinem Verbleib zu erkundigen sprochen zu haben. Vielleicht befürchtete sie und befürchteten, dass er unterwegs sein Leben finanzielle Einbußen, denn sie bat ihren Bruder verloren hätte.

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Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua Jürgen Herold

Fataler Weise berichtete etwa zur selben Zeit, Jahre hin mit nicht unbeträchtlichem Aufwand. als der Brief Ludovicos in die Hände Barbaras ge- Immer wenn es wahrscheinlich wurde oder nur langte, ein Bote Eberhards, der aus Rom zurück- möglich schien, dass neue Kardinäle promoviert gekommen war, vom Tod Francescos, sodass diese würden, richtete Ludovico an seine württember- Nachricht die Gräfin zunächst nur indirekt über gischen Verwandten die Bitte, ihm entsprechende diesen Umweg erreichte und sie ihr keinen Unterstützungsschreiben, d. h. Empfehlungs- Glauben schenken wollte. Sie konnte sich nicht briefe deutscher Fürsten, des Kaisers und des vorstellen, dass die Angehörigen ihr nicht sofort Römischen Königs, einmal auch des Böhmischen davon Mitteilung gemacht hätten. Dass der Bote Königs zu beschaffen. Denn Ludo vicos Strategie vermisst wurde, konnte sie ja nicht ahnen, bis zielte darauf ab, wie schon sein Bruder als Vertre- ihre Brüder Ludovico und Federico sie schließlich ter der deutschen Nation in das Kardinalskolle- über dieses zusätzliche Unglück aufklärten. gium aufgenommen zu werden – dies zum einen, Nach dem Tod des Markgrafen Federico Gon- zum anderen aber auch als Vertreter des Hauses zaga im Sommer 1484 verlor Barbarina einen Gonzaga, und beides in Nachfolge seines Bruders. weiteren Bruder und wichtigen Korrespondenz- Nach dem Tod des Kardinals Francesco fanden partner. Wie nicht anders zu erwarten, zeigt sich unter Papst Sixtus IV. noch zwei Promotionen nun auch in der Briefüberlieferung ein erneuter statt, die erste im November desselben Jahres, was Einschnitt, da die verbliebenen Geschwister kei- aber für Ludovico noch zu früh war, die zweite nen Zugang zur zentralen Kanzlei in Mantua im März des Folgejahres, bei der allerdings nur hatten und deshalb von ihren Korrespondenzen einer, Ascanio Maria Sforza aus Mailand, kreiert nur zufällig etwas überliefert ist. Doch genügt das wurde. In beiden Fällen reichte Ludovico wohl wenige, um festzustellen, dass Barbara in regel- nicht die Zeit zur Vorbereitung. mäßigem und wohl auch dichtem Kontakt zu Unter Innozenz VIII., der im Herbst 1484 den ihrer Schwester, ihren Brüdern und deren Fami- Papstthron bestieg, wurden nur einmal, im März lien stand. 1489, Kardinäle promoviert. Diese Promotions- Von der Korrespondenz mit den Geschwistern runde kündigte sich bereits ein Jahr zuvor an. haben sich nach Federicos Tod nur einige Briefe Ludovico schätzte wohl sein Verhältnis zum Papst an Barbaras Schwester Paola Gräfin von Görz und zu den Kardinälen als gut ein und rechnete sowie von ihrem Bruder Ludovico, dem Elekt von sich daher Chancen aus. Im Frühjahr 1488 sandte Mantua, erhalten. Die letzteren pendeln inhalt- er seinen Kanzler Gabriele Bossi nach Württem- lich zwischen zwei Themenkreisen: Familienan- berg. Barbara und Eberhard beschafften Unter- gelegenheiten und Ludovicos Ziel, die Kardinals- stützungsschreiben deutscher Fürsten und des würde zu erlangen. Dieses Ziel zu erreichen sollte Königs von Böhmen und wandten sich sogar ihm nicht gelingen, wofür verschiedene äußere selbst an den Papstnepoten Francesco Cibo. Auch und innerfamiliäre Faktoren ursächlich waren. Königin Dorothea von Dänemark, Ludovicos Allerdings unterstützten ihn Barbara und auch und Barbaras Tante, trat bei ihrem Besuch in Eberhard – trotz des, wie schon geschildert, etwas Rom im Sommer 1488 gegenüber Innozenz VIII. unglücklichen Starts – in diesem Anliegen über für das Anliegen ihres Neffen ein. Als aber im

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Jürgen Herold Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua

2 | Beizjagd. Ausschnitt aus der Handschrift des »Tacuinum Sanitatis« im Besitz Eberhards im Bart (heute: Paris BN, Fonds lat. 9333, fol.65v)

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Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua Jürgen Herold

März 1489 acht neue Kardinäle kreiert wurden, entschied sich aber schließlich doch, in Württem- blieb Ludovico unberücksichtigt. berg zu bleiben. Dieser Misserfolg hatte seine Ursachen auch Insgesamt vermittelt der Briefwechsel Barbaras darin, dass es im Hause Gonzaga inzwischen zu den Eindruck, dass sie mit allen Mitgliedern ihrer schweren inneren Verstimmungen gekommen Herkunftsfamilie ununterbrochen in Kontakt war. Der regierende Markgraf Francesco bezich- war. Dies wird nicht zuletzt auch an den zahlrei- tigte seine drei Onkel der Verschwörung gegen chen Geschenken deutlich, die sie sowie Eberhard ihn (ein Vorwurf, den übrigens auch sein verstor- über all die Jahre aus Italien erhielten. Neben bener Vater, auf sich bezogen, bereits erhoben Pferden, Hunden und Beizvögeln ist von modi- hatte). Der Konflikt spitzte sich soweit zu, dass schen Stoffen, von Seife und Puder, Lebensmit- die drei Brüder um ihr Leben fürchteten und sich teln und Naschereien die Rede (Abb. 2). Und von der Residenzstadt des Markgrafen fernhiel- nicht zuletzt versorgte ihr Bruder Ludovico sie ten. Francescos Kandidat für den Kardinalshut mit Büchern in italienischer Sprache. war aber fortan nicht mehr sein Onkel, sondern Von der Korrespondenz Barbaras mit ihren sein eigener Bruder Sigismondo, der nach Brüdern Gianfrancesco und Rodolfo sind zwar vielen vergeblichen Versuchen 1505 unter Papst keine Briefe erhalten. Es gibt aber etliche Indizien Julius II. tatsächlich diese Würde erlangte. dafür, dass sie auch mit ihnen und ihren Familien Dennoch hielt Ludovico zunächst an seinem Vor- in regelmäßigem Kontakt stand. Gianfrancesco haben fest. Als noch 1489 ein erneuter Promo - hatte 1490 seinen Sekretär Giorgio Rainer nach tionstermin in Aussicht stand, beschafften ihm Stuttgart geschickt. Der Zweck seiner Mission die Württem berger auch wieder Unterstützungs- ist nicht bekannt. Darüber hinaus wird in den schreiben, sowie ein drittes Mal im Jahr 1491. Briefen Ludovicos, die sich nicht ausschließlich Das Zerwürfnis mit den Brüdern seines Vaters mit der Kardinalsfrage beschäftigen, über den hat dem Verhältnis Francescos zu seiner Tante gesamten Korrespondenzzeitraum hinweg regel- und zu Eberhard von Württemberg allem An- mäßig auf die beiden anderen Brüder und deren schein nach keinen Abbruch getan. Nach den in Familien Bezug genommen. lockerer Folge überlieferten Briefen informierte Zeit ihres Lebens hat Barbara ihre Geschwister man sich gegenseitig über familiäre Ereignisse, nicht wieder gesehen, konnte sich aber einige tauschte Geschenke aus und unterstützte Jahre nach dem Tod Eberhards im Bart wenigs - einander in verschiedenen Angelegenheiten. tens damit trösten, dass eine der Nichten, Eleo- Als Barbara nach dem Tod Eberhards im Bart im nora, Tochter ihres Bruders Gianfrancesco – auch Konflikt mit Eberhard II., dem Nachfolger ihres auf ihre Vermittlung hin – einen Sohn des Grafen Gatten als Herzog, um ihr Wittum fürchten von Werdenberg, Christoph, heiratete und in die musste, wurde ihr nicht nur durch ihren Bruder Nähe ihre Tante nach Württemberg übersiedelte. Ludovico Hilfe zuteil, sondern auch durch Fran- Als Herzogin Barbara von Württemberg am cesco und seine Ehefrau Isabella d’Este, die sie 30. Mai 1503 starb, kamen die Beziehungen sogar ermunterten, nach Mantua zurückzukeh- zwischen Württemberg und Mantua nicht sofort ren. Barbara zog dies eine Zeit lang in Erwägung, zum Erliegen. Die Auseinandersetzung um ihr

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Jürgen Herold Der Briefwechsel Barbara Gonzagas mit ihrer Familie in Mantua

Erbe zog sich über einige Jahre hin. In diesem Quellen: Zusammenhang brachten Gesandte des Markgra- ASMn AG, buste 218, 439, 514, 1595, 2102, 2103, fen Francesco 1505 zwei türkische Pferde aus der 2106, 2187, 2188, 2192, 2891– 2907, 2911, 2913, berühmten Zucht der Gonzaga zu Herzog Ulrich 2961; HStAS H 14 Bd. 357 (= WR 291); A 602 von Württemberg. Dieses Geschenk ging noch Nr. 379; TLA, Sigmundiana 4 a, f. 20 – 26 auf die Vermittlung Barbaras zurück, die einige Monate vor ihrem Tod mit dem Markgrafen darüber korrespondiert hatte. Literatur: Das letzte bekannte Scheiben zwischen Mantua Antenhofer, Briefe zwischen Süd und Nord; und Württemberg, das im Zusammenhang mit Coniglio, I Gonzaga; Herold, Fürstenkorres - Barbara steht, ist eine Quittung ihres Bruders pondenz; Severidt, Familie; Stälin, Die Heirath Ludovico vom 26. September 1506, worin er gegenüber Herzog Ulrich von Württemberg die vollständige Auszahlung des ihm zustehenden Betrages vom Erbe seiner Schwester bestätigt (vgl. S. 297 f.).

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ANNEKATHRIN MIEGEL Barbara Gonzaga und der Stuttgarter Hof (1483–1496)

Der Abschluss des Münsinger Vertrags beendete denzstadt Urach entfiel mit dem Weggang des 1482 die 40jährige Teilung der Grafschaft Hofes eine wesentliche Existenzgrundlage. Die Württemberg. Die Vertreter der beiden württem- Stadt erhielt wohl in diesem Zusammenhang bergischen Linien, Eberhard V. der Ältere und 1484 und erneut 1486 eine Befreiung von Schat- Eberhard VI. der Jüngere, vereinbarten, in Stutt- zung, Landschaden und Diensten als wirtschaftli- gart einen gemeinsamen Hof und eine gemein- che Entschädigung. So scheint mit dem Hof etwa same Regierung einzurichten: Wir baid solln vnd auch die seit 1478 in Urach ansässige Druckerei wollen auch in vnnser baider lannd an ainem Conrad Fyners nach Stuttgart übergesiedelt zu bequemen ennd, alls wir yetzo Stuttgartten achten, sein. In einem Stuttgarter Steuerbuch aus dem bequem sein mitsampt vnsern baiden gemaheln, Jahr 1483 ist ein nicht zu identifizierender buch- bey ainander ainen hof vnnd ain frowenzimmer, trucker vermerkt. Der einzige aus dieser Zeit für auch ain canntzly vnnd ainen lannthofmaister Stuttgart firmierte Druck aus dem Jahr 1486 haben vnnd halten […]. weist in Verzierung und Schrift auf den Uracher Die vereinbarte Verlegung des Hofs Eberhards Drucker hin. d. Ä. und seiner Gemahlin Barbara Gonzaga von Die Wasserburg, das heutige »Alte Schloss«, Urach nach Stuttgart dürfte im Frühjahr 1483 wurde mit der Zusammenlegung der Hofhaltung erfolgt sein. So wurde am 3. Februar – wahr- zum gemeinsamen Aufenthaltsort beider Grafen scheinlich anlässlich der bevorstehenden Über- und ihrer Gemahlinnen. Sie bestand im 15. Jahr- siedlung des Hofes – ein neues Verzeichnis über hundert aus einer dreistöckigen Wohnanlage: Im Barbaras Silberschatz angelegt. Am 27. August Erdgeschoss befanden sich die ca. 1090 m2 große 1483 schrieb sie bereits aus Stuttgart einen Brief Dürnitz, ein beheizbarer Versammlungs- und an ihren Bruder Federico nach Mantua, in wel- Speisesaal, und im Obergeschoss die gräflichen chem sie ihn zu einem auf den 7. und 8. Januar Wohnräume, deren genaue Rekonstruktion 1484 angesetzten Turnier einlud. jedoch nicht mehr möglich ist (Abb. 1). Stuttgart wurde damit wieder zum Zentrum Das Leben der Gräfin spielte sich in einem Württembergs, das als Herrschaftsmittelpunkt weitgehend abgeschlossenen Bereich des Hofes der Grafen seit dem frühen 14. Jahrhundert eine ab, der nicht ohne weiteres für Außenstehende lange Tradition aufwies. Für die vormalige Resi- zugänglich war: Das Frauenzimmer diente als

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Annekathrin Miegel Barbara Gonzaga und der Stuttgarter Hof (1483–1496)

1 | Das Alte Schloss in Stuttgart. Radierung von Jonathan Sautter, 1592 (Ausschnitt)

Speisesaal und Aufenthaltsort der weiblichen Den Damen sollte die Dienerschaft inn glycher Hofangehörigen – hier wurde musiziert, der zal ongeverde zugewiesen werden. Vereinzelte Lektüre oder der Arbeit mit Textilien nachgegan- Hinweise auf die Dienerschaft Barbara Gonzagas gen. Doch auch für den Fürsten und seine Gäste finden sich etwa in den für die Jahre 1483 –1486 war das Frauenzimmer ein Ort des Rückzugs erhaltenen Rechnungsbüchern des Landschrei- vom Alltag und bot Raum für Spiel und Ent- bers, der mit der Verwaltung der landesherrlichen spannung. Finanzen betraut war und u.a. die Dienstgelder Der Münsinger Vertrag sah die gemeinsame festhielt. Im Rechnungsjahr 1484/85 sind so Hofhaltung der Grafenfamilie vor, und damit der Hofmeister unser gnedigen frow von Mantow, auch ein gemeinsames Frauenzimmer der Gräfin- Herr Wilhelm von Wernau, sowie ihre Kammer- nen Barbara und Elisabeth von Württemberg. magd Appolonia Böschin nachgewiesen.

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Barbara Gonzaga und der Stuttgarter Hof ( 1483–1496) Annekathrin Miegel

Hinweise auf Größe und Zusammensetzung des Herrschers und dessen Wohlstand vor Augen ihres Gefolges finden sich im Stuttgarter Vertrag zu führen. Eberhards Bemühen um eine Hof - vom 22. April 1485, der nach zahlreichen Mei- haltung mit fürstlicher Qualität zeigt sich ein- nungsverschiedenheiten zwischen den beiden drucksvoll in den großen höfischen Festen wie Grafen die gemeinsame Hofhaltung wieder auf - der Uracher Hochzeit und dem kurz nach der löste. Eberhard der Ältere wies Elisabeth von Wiedervereinigung 1484 in Stuttgart angesetzten Württemberg die Dienerschaft wie unser gema- Turnier. chel – also Barbara Gonzagas – zu, namlich ain Es war das erste überregionale Turnier der hofmaisterin vnnd vier edel junckfrowen, ain cam- württembergischen Grafschaft zu Lebzeiten Graf mermagt, der hoffmaisterin ain magt, ain junck- Eberhards V. Mit dem wohl 1445 anlässlich der frow magd, ain hoffmaister mit dryen pferdten, zweiten Hochzeit Ulrichs V. angelegten »Turnier - ein dischdiener mit einem pferidt, vier edelknaben, acker« in der Oberen Vorstadt stand in Stuttgart ain schnider, ain cammerknecht vnd ain junckfrow ein ideales Gelände zur Verfügung. Das Turnier knecht. Ferner bekam Barbara – entsprechend war von der Turniergesellschaft Schwabens be- den Ausgabenachweisen des Landschreibers – reits auf August 1482 angesetzt worden, musste eine jährliche Pension von 600 Gulden, über die jedoch – vermutlich durch die angespannte poli- sie, neben weiteren Einnahmen, frei verfügen tische Lage – verschoben werden. Auf den 7. und konnte, jedoch davon auch alle Ausgaben, die 8. Januar 1484 lud der neue Schirmherr Eberhard ihr entstanden, zu bestreiten hatte. Neben ihrer d. Ä. dann nach Stuttgart ein. eigenen Kleidung zählten dazu etwa auch die Bereits in Barbaras schon erwähntem ersten Bekleidung ihrer Jungfrauen und Edelknaben. Stuttgarter Brief an ihren Bruder Federico im Sommer 1483 werden die Vorbereitungen für * * * dieses große Ereignis greifbar, zu welchem sie ihren Bruder nach Stuttgart einlud. Dieser Rangierte der Uracher Hof Eberhards d. Ä. mit musste zwar die Einladung wegen des Winters 120 bis 130 zu verpflegenden Personen noch und aus gesundheitlichen Gründen ausschlagen, deutlich unterhalb der reichsfürstlichen Dimen- doch informierte sie ihn weiter über das Turnier sion, erwies sich die Stuttgarter Hofhaltung nach und berichtete etwa, dass alle Herren des Landes der Wiedervereinigung der Landesteile als deut- kommen werden. Auf ihre Bitte, ihr Stoffe für ein lich aufwändiger. Sie dürfte den Festlegungen von Kleid zu schicken, das sie zum Turnier tragen 1478 für den gemeinsamen Hof Ulrichs V. und wolle, wurde ihr ein »löwenfarbener« Samtstoff seinem Sohn Eberhard VI. mit 262 zu verpflegen- aus ihrer Heimat eigens für das Turnier über- den Personen entsprochen haben – vergleichbar bracht. etwa mit der Ansbacher Hofhaltung des Mark- Und tatsächlich wies das Stuttgarter Turnier grafen Albrecht Achilles, die 1483 um die 300 zu neben dem im Jahr darauf, wozu der Markgraf verpflegende Personen zählte. von Brandenburg-Ansbach einlud, die stärkste Vor allem Feste boten Gelegenheit, durch höfi- Besetzung unter allen Turnieren jener Jahre auf. sche Prachtentfaltung die herausragende Position Ranghöchster Teilnehmer in Stuttgart war der

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Annekathrin Miegel Barbara Gonzaga und der Stuttgarter Hof (1483–1496)

Markgraf Friedrich von Brandenburg, der mit lichkeit nicht. Trompeter und andere Spielleute seinem Sohn Sigmund und einem Gefolge von waren nach der Schilderung Ruexners an fünf 100 Rittern und Edelleuten anreiste. weiteren Tischen im Saal der Herren unterge- Eine eindrucksvolle Auflistung aller Teilnehmer bracht und sorgten für Geselligkeit. sowie den Verlauf des Turniers verzeichnet der Sehr eindrucksvoll muss das in beiden Sälen Herold Georg Ruexner in seinem 1530 erstmals auf Kredenztischen zur Schau gestellte Silberge- erschienenen Turnierbuch, das ausführlich 36 schirr gewesen sein. Georg Ruexner berichtet von Turniere zwischen 938 und 1487 schildert. Zwar 192 Stücken allein im Herrenzimmer, dazu drei scheinen die weit zurückliegenden Turniere koestlicher jegerhorn / vier silberin leuchter und weitgehend seiner Fantasie entsprungen, die Mit- ander silber. Auf dem Kredenztisch im Frauen- teilungen über die Turniere des ausgehenden zimmer sollen 117 Stück fleschen / koepff Mittelalters erweisen sich jedoch als recht zuver- [Trinkgeschirr] / becher vnnd schaln / vnd alles lässig. So geht aus der Namensliste etwa hervor, ander silbergeschirr aufgebaut gewesen sein. dass Eberhard der Jüngere dem Turnier fernblieb. Wohl zahlreiche Stücke aus Barbaras umfang - Turniere waren im 15. Jahrhundert vor allem reicher Mitgift aus Mantua und Ehrengeschenke sportliche Wettkämpfe, die nicht zuletzt um die anlässlich ihrer Hochzeit dürften sich darunter Aufmerksamkeit und Gunst der Frauen werben befunden haben. Dabei fanden sich auch Beson - sollten. Und so werden in Ruexners Aufzählung der heiten wie eckige silberne Teller oder Gabeln, auch die Damen genannt, die seind vff diesen die an den italienischen Höfen gebräuchlich thurnierhove gewesen: Neben Barbara Gonzaga waren. Zwar hat sich offenbar keines dieser wohnten die Gemahlin Eberhards d. J., Elisabeth, Stücke erhalten, doch geben die zum Teil auf - die Gemahlin Graf Krafts von Hohenlohe, Helene wändigen Beschreibungen in den Besitzverzeich - Gräfin von Württemberg, sowie insgesamt über nissen des Grafenpaares zumindest eine grobe 100 geschmueckte frawen und junckfrawen dem Vorstellung von der zur Schau gestellten Pracht. Spektakel bei (Abb. 2). Eine fast schon anekdotisch anmutende Epi- Ausführlich schildert Ruexner in seinem Tur- sode des Turniers, die vor allem an den Tischen nierbuch das Festessen mit anschließendem Tanz, der Damen für Amüsement gesorgt haben dürfte, zu dem Eberhard d. Ä. im Anschluss an das ist durch die Schilderung eines Teilnehmers über- Turnier geladen hatte. Die Herren tafelten an liefert. Die »Geschichten und taten des teuern 41 Tischen. Im Frauenzimmer saßen die Damen und lobwerden edlen ritters hern Wilwoltn von an 19 Tischen. Die Dekoration wird sich, wie an Schaumburg«, die 1507 von einem Anonymus deutschen Höfen üblich, in erster Linie auf niedergeschrieben wurden, berichten von einem Tücher beschränkt haben, mit denen die Wände Vorhaben Markgraf Friedrichs von Brandenburg, behängt wurden, und bemalten Wandschilden dem berüchtigten Ritter Jörg von Rosenberg der Teilnehmer. Aufwändig gemalte Szenerien während des Turniers eine Lektion zu erteilen. oder gar literarisch-theatralische Darbietungen, Diesem gelang es jedoch dank der Unterstützung wie sie an den italienischen Renaissancehöfen seiner Rittergesellschaft »im Einhorn« mittels anzutreffen waren, gab es mit hoher Wahrschein- einer List, das Vorhaben nicht nur zu vereiteln,

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Barbara Gonzaga und der Stuttgarter Hof ( 1483–1496) Annekathrin Miegel

2 | Turnierszene. Holzschnitt aus dem Turnierbuch Georg Ruexners, 1530 (Ausschnitt)

sondern den Grafen sogar vorzuführen – offen- stölzlich, ritterlich, menlich und brechtlich sichtlich sehr zur Belustigung der anwesenden gehalten. Damen. Denn die Gesellschaft im Einhorn wurde, so wird weiter berichtet, tags darauf an * * * der Tafel der Damen wegen ihrer ritterlichen Taten hoch gerühmt: die schwabischen frauen mit Neben den chronikalischen Darstellungen solcher schönen, hübschen und subtillen worten redreich, herausragender gesellschaftlicher Ereignisse bie- berüembten sie die hoch und sagten, das sie sich ten Quellen zur Verwaltung des Stuttgarter Hofs

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Annekathrin Miegel Barbara Gonzaga und der Stuttgarter Hof (1483–1496)

Einblick in dessen Organisation und Zusammen- tausch von Neuigkeiten und diplomatischen setzung; sie liefern jedoch nur ein statisches Bild Vermittlungen finden sich auch persönliche vom höfischen Alltag. Berichte zu Festlichkeiten Geschenke: So schickte ihr Bruder Ludovico vermögen immerhin bis zu einem gewissen Grad Gonzaga 1488 einige italienische Bücher und das Leben am Hof zu veranschaulichen. Der Fest- Leckereien zusammen mit dem entsprechenden tag bildete eine nicht vom Alltag zu trennende Kochrezept nach Stuttgart. Sphäre adligen und höfischen Lebens, indem er Sehr deutlich spricht aus den Briefen der Lebensformen und Strukturen, die auch den All- Wunsch sowohl Barbaras als auch ihrer Familie tag prägten, in überhöhter Form wiedergab. Vom nach einem Wiedersehen in Mantua. Schon 1480 Alltag der Barbara Gonzaga am Stuttgarter Hof hatte ihr Bruder Francesco sie nach Mantua ein- und ihrem Befinden geben diese Berichte jedoch geladen, doch der Versuch scheiterte. Im Sommer nur eingeschränkt Zeugnis. Der vor allem in 1481 wurde dann ein Besuch auf den nächsten Mantua überlieferte Briefwechsel Barbaras und Karneval angesetzt, doch nachdem Barbaras auch Eberhards mit der Familie Gonzaga stellt in Mutter gestorben war, scheiterte auch dieser Plan. dieser Hinsicht einen Schatz der Überlieferung Als Eberhard schließlich 1482 zu seiner Reise dar. Über 50 Briefe allein aus der Stuttgarter Zeit nach Mantua und Rom aufbrach, wollte er seine von 1483 bis zum Tode Eberhards 1496 geben in Gattin auf Grund der weiten Entfernung und zum Teil sehr persönlich gehaltenen Passagen »der Lage der Dinge« nicht mehr mitbringen. unmittelbare Einblicke in den Gemütszustand Zu einem Besuch Barbaras in ihrer italienischen einer Persönlichkeit, deren Leben an der Seite Heimat kam es auch in der folgenden Zeit nicht. Eberhards von der württembergischen Ge- Dass der Wunsch all die Jahre vorhanden war, schichtsschreibung in Unkenntnis dieser Briefe zeigen ihre Reisepläne noch direkt nach dem Tod lange Zeit in ein verklärtes Licht getaucht wurde. Eberhards 1496, die sich jedoch aufgrund der Schon im ersten Ehejahr finden sich Nachrich- Auseinandersetzungen um ihr Wittum ebenfalls ten, dass Barbara mit ihren neuen Lebensumstän- zerstreuten. den nicht glücklich gewesen ist. Diese depressive Es ist nicht einfach, die Ehe Barbaras und Eber- Grundstimmung zieht sich durch viele Briefe an hards zu bewerten. Eine große Last stellte mit ihre Familie in Mantua. So bezeichnete sie sich Sicherheit ihre Kinderlosigkeit dar, die die Würt- selbst etwa in einem Brief aus dem Jahr 1484 als temberger in dynastische Schwierigkeiten stürzte. misera et deprezzata, als elend und verachtet, und Doch lassen sich ansonsten keine schwerwiegen- sprach von ihrer miseria. Auch in einem Brief den Probleme in der Ehe fassen. So sicherte an ihre an den Grafen von Görz verheiratete Eberhard, so gut er konnte, das Wittum seiner Schwester Paola aus dem Jahr 1487, in welchem Gemahlin ab und ließ anlässlich des Hochzeits - sie versuchte, diese über ihre schlechte Behand- jubiläums 1494 auch noch eine Medaille beider lung durch ihren Ehemann zu trösten, schrieb sie prägen (vgl. S. 277). ihr, dass es ihr ebenso erginge. Doch im Gegensatz zu ihrer Mutter in Mantua Barbara hielt den Kontakt zu ihrer Familie ihr trat Barbara als politisch agierende Fürstin am ganzes Leben lang aufrecht. Neben dem Aus- Stuttgarter Hof nicht in Erscheinung. Ihre Funk-

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Barbara Gonzaga und der Stuttgarter Hof ( 1483–1496) Annekathrin Miegel

tion beschränkte sich hier im Wesentlichen auf regelmäßig, auch über längere Zeiträume, in Wal- die Vermittlerrolle zu ihrer Familie nach Mantua denbuch im Schönbuch auf. Mit der Erhebung sowie auf repräsentative Aufgaben. Als sich etwa Württembergs zum Herzogtum 1495 war Barbara ein Besuch des Kaisers Friedrich III. 1488 in zur ersten Herzogin des Landes aufgestiegen. Stuttgart ankündigte und Barbara sich im Kloster Nach dem Tod ihres Mannes 1496 sollte sie sich Kirchheim aufhielt, wurde sie schnell zurückge- dann auf ihren Witwensitz nach Böblingen zu- holt, um den Kaiser gebührend zu empfangen. So rückziehen. berichtet die Kirchheimer Klosterfrau Magdalena Kremer: Und warum sy [Barbara] uff den kar- frytag hinweg must das was die sach: Der keyser Quellen: kam uff den heylgen oster abent gan stuckart, da ASMn AG, b. 514, b. 2106; HStAS A 17 Bü 8 – 9, schycket unser gnediger herr nach ir […] Von einer A 201 Bü 1, A 265 Bd. 1– 3, A 602 Nr. 379, 380; politischen Tätigkeit oder gar der Übernahme TLA, Sigmundiana 4 a Nr. 29; Ruexner, Anfang, der Regentschaft in Abwesenheit ihres Mannes ursprung unnd herkommen; von Keller, hört man nichts. Umso bemerkenswerter er- Die Geschichten und Taten Wilwolts von scheint daher ihr Engagement für die damals Schaumburg; Sattler, Geschichte des Herzog - auch von ihrem Mann intensiv betriebene Klos - thums Würtenberg, Bd. 3, Beilage Nr. 100, terreform, insbesondere für das Dominikanerin- Nr. 106; Bd. 4, Beilage Nr. 42 nenkloster Kirchheim. So berichtet die dortige Nonne Magdalena Kremer weiter, dass Barbara eynen brieff von unsrem heylgen vatter dem bapst Literatur: gehabt habe, der ihr die Visitation in alle clöster, Auge, Kongruenz und Konkurrenz; Bütterlin, die do sint in irs herren lant, erlaubte. Leider sind Der Württembergische Staatshaushalt; Fleisch- dazu keine weiteren Informationen bekannt. hauer, Der Silberschatz; Hofacker, Kanzlei und Ob als Fluchtpunkt vom Stuttgarter Hof oder Regiment; Kühnle, Zwischen Landesteilung ihrer Freude an der Gartenwelt geschuldet, kaufte und Wiedervereinigung; Lang, »Der frowen Barbara 1491 von ihrer Schwägerin Elisabeth von Mailandt garten«; von Lyncker, Die Edi- einen Garten neben dem Alten Schloss, den sie tion; Mertens, Die württembergischen Höfe; offenbar auch selbst gestaltete. Er wurde später Miegel, Der »Münsinger Vertrag«; Paravicini, noch als »Herzogingarten« bezeichnet. Seit ihrem Höfe und Residenzen; Seve ridt, Familie; Umzug nach Stuttgart 1483 hielt sich Barbara Württemberg im Spätmittelalter

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CHRISTINE BÜHRLEN -GRABINGER Barbara Gonzaga, Waldenbuch und der Hasenhof

Die Erinnerung an Barbara Gonzaga wird in Braut, die Widerlegung des Bräutigams und der Stadt Waldenbuch und in seinem Stadtteil damit die wirtschaftliche Absicherung der Braut Hasenhof heute noch hochgehalten. Seit 1980 im Falle einer vorzeitigen Witwenschaft regelte. wird im Stadtteil Hasenhof jedes Jahr im Mai zu Es wurde eine sogenannte »Wittumsehe« verein- ihrem Gedenken ein Fest abgehalten, das vom bart, wonach entsprechend der Mitgift Barbaras Musikverein Stadtkapelle Waldenbuch organisiert in Höhe von 20 000 rheinischen Gulden die Wi- und von jungen Waldenbucherinnen in histori- derlegung Eberhards in derselben Höhe zu erfol- schen Kostümen begleitet wird. Zudem wurde gen hatte. Zur Sicherung der gesamten Summe 2009 am Ortseingang ein Gedenkstein errichtet, von 40 000 Gulden überschrieb Eberhard an Bar- der folgende Inschrift trägt: »Hier auf dem bara zunächst Schloss, Stadt und Amt Herrenberg Hasenhof besaß Barbara Gonzaga von Mantua mit allen dazu gehörigen Einkünften. Nach Voll- (1455 –1503), Ehefrau von Herzog Eberhard im zug der Hochzeit hatte Eberhard eine standes- Bart, eine Meierei. Trotz mancherlei Beschwer- gemäße Morgengabe übergeben, mit jährlichen nisse [!] blieb sie eine warmherzige und sozial Einkünften aus Burg und Dorf Entringen sowie denkende Frau, die Menschen, Tiere und Pflan- dem Dorf Breitenholz bei Tübingen. 1483 wurde zen liebte. Bis heute unvergessen ist ihr Wort, sie das Wittum Barbaras auf Einkünfte aus dem Amt wolle in Notzeiten nur wie die Landleute essen. Böblingen, dem Zoll zu Vaihingen sowie Vogtei Der Musikverein Stadtkapelle Waldenbuch 1888 und Kellerei Tübingen abgesichert. e.V. erinnert mit dem Gräfin-von-Mantua-Fest Nach Sattlers Ausführungen in seiner »Ge- seit 1980 an diese Fürstin und lädt dabei zu Boh- schichte des Herzogthums Würtenberg unter der nen mit Speck ein. Mai 2009« (s. S. 310 f.). Regierung der Graven« von 1768 überließ Eber- Wie kamen die Beziehungen zwischen Barbara hard seiner Gemahlin damit auch den Hasenhof Gonzaga zu Waldenbuch und seinem heutigen bei Waldenbuch. Da wichtige Quellen heute nicht Stadtteil Hasenhof zustande? Zwischen Graf mehr existieren, können zu Qualität und Zeit- Eberhard dem Älteren von Württemberg und den punkt dieser »Einräumung« keine weiteren Aus- Bevollmächtigten von Barbara Gonzaga wurde sagen gemacht werden. Sattler bezeichnet den am 14. April 1474 in Mantua ein Heiratsvertrag Hasenhof als »Melkerei«, woraus »Milch, Butter abgeschlossen, der vor allem die Mitgift der und Schmalz« zur gräflichen Küche und zum

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Barbara Gonzaga, Waldenbuch und der Hasenhof Christine Bührlen-Grabinger

fürstlichen Hof gebracht wurden. Diese Angaben Geschichtsschreiber meinen? Bereits Sebastian Sattlers werden dann von den Geschichtsschrei- Küng berichtet um die Mitte des 16. Jahrhun- bern des 19. Jahrhunderts verschiedentlich derts, dass Barbara Gonzaga »zu Waldenbuch bei wiedergegeben, wobei der Hof nun als »Meierei« ihrem Vieh hausgehalten«, ohne allerdings den bezeichnet wird. Hasenhof namentlich zu nennen. Sattler meint Dass sowohl Eberhard als auch Barbara Inte - dann jedenfalls nur, sie habe den Hof »öfters resse an der Landwirtschaft hatten, wird auch besucht«. Allerdings ist bekannt, dass Barbara durch eine Handschrift dokumentiert, die auf nachweislich zwischen 1483 und 1488 immer Veranlassung Eberhards 1491 angefertigt wurde. wieder nach Waldenbuch gefahren ist. Dabei handelt es sich um den damals gerade Betrachten wir die damalige Stadt Waldenbuch wieder verbreiteten »Agrarklassiker« Columellas genauer (Abb. 1): Waldenbuch gehörte seit 1363 »De re rustica« (»Über die Landwirtschaft«), zur Grafschaft Württemberg. Siedlungs- und dessen umfangreichen lateinischen Text Eberhard Herrschaftszentrum vor Ort bildete die dortige durch Abt Heinrich Österreicher vom Kloster Burg der Grafen von Württemberg, später Sitz Schussenried ins Deutsche übersetzen ließ. Die des für den Schönbuch zuständigen Waldvogts. Rückseite des ersten Blattes ließ Eberhard mit Bei dieser Burg handelte es sich um eine Burg - dem Allianzwappen Württemberg-Gonzaga anlage aus staufischer Zeit, die bis zum beginnen- und seinem Wahlspruch »Attempto« schmücken den 18. Jahrhundert Bestand hatte und genutzt (vgl. S. 280). wurde, bevor das Herrenhaus samt Scheuern und Die erste schriftliche Nennung des Hasenhofs Ställen dem Südflügel des heutigen Schlosses ist bereits für 1383 nachweisbar: Im ältesten weichen musste. überlieferten württembergischen »Urbar der Auf dieser württembergischen Burg als stan- Schönbuchämter« wird der Umfang der zum Hof desgemäßem Wohnort dürfte sich Barbara bei gehörigen Feldflur mit »20 Morgen Ackers« ihren Besuchen in Waldenbuch bevorzugt aufge- angegeben. Daraus waren von jedem Morgen halten haben. In einer Abrechnungsliste von drei Simri Korn und ein Huhn abzugeben. Der Fuhrleuten aus dem Jahr 1483 heißt es beispiels- Hasenhof gehörte damals zur »Waldvogtei weise: Item 1 Tag mit 3 Rossen mine Frowen von Tübingen« und zum dortigen »Unteren Amt« des Mantow gen Waltenbuch gefurt … Gemäß dieser Schönbuchs. Entsprechend ist damit zu rechnen, Liste war Barbara im selben Jahr mindestens dass mit dem Übergang der Vogtei Tübingen in vier Mal in Waldenbuch. Dorthin wurden von die Wittumsansprüche Barbaras 1483 auch den Fuhrleuten an 15 Tagen »Küchenspeise«, Besitzrechte am Hasenhof an sie übergingen. Im Brot, Wein und Fische sowie auch Baumaterial selben Jahr 1483 übernahm jedenfalls Graf Eber- wie Sand geführt. Ein bemerkenswerter Eintrag hard die persönliche Nutzung der benachbarten berichtet darüber hinaus: Item 1 Tag mit 3 Rossen Stadt Waldenbuch als sein Kammergut, das er Schwein gen Waltenbuch gefürt und mit 1 Roß über offenbar bald ebenfalls seiner Frau überließ. die Steig fürgesetzt. Der Hasenhof wird zwar in Inwieweit hat sich nun Barbara überhaupt diesem Eintrag nicht ausdrücklich erwähnt, doch auf dem Hasenhof aufgehalten, wie die älteren dürfte es sich bei der genannten »Steig« um die

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Christine Bührlen-Grabinger Barbara Gonzaga, Waldenbuch und der Hasenhof

1 | Ansicht der Stadt Waldenbuch aus dem Tübinger Forstlagerbuch von Andreas Kieser von 1683 (HStAS H 107/18 Bd.52 Bl.17)

heutige Echterdinger Straße handeln, die sich als chern, 13 weiteren Trinkgefäßen, einem Kännlein, Steige noch immer steil den Waldenbucher einem Becherlein, einem Glas mit Silberdeckel »Mühlberg« hochzieht und über einen Abzweig und einer Holzschale mit Silberfuß. Es ist davon direkt zum Hasenhof führt. auszugehen, dass Barbaras Silbergeschirr an Im Jahr 1488 hat sich Barbara nachweislich drei ihrem zeitweiligen Aufenthaltsort in der Walden- Mal, und zwar vor dem 3. Juni, zwischen dem bucher Burg verwahrt worden war, um dort auch 8. und dem 22. Juli und vom 8. bis 21. Dezember für die höfischen Gesellschaften eingesetzt zu in Waldenbuch aufgehalten. Weitere Belege für werden. Die bislang gängigen Vermutungen, es ihre dortigen Aufenthalte und für Fahrten über könnte sich auf dem Hasenhof, einem unge- die »Steige« sind nicht bekannt. schützten bäuerlichen Anwesen, befunden haben, Erhalten ist hingegen eine Liste über ihr »Sil- erscheinen doch ganz unwahrscheinlich, zumal bergeschirr zu Waldenbuch« aus dem Jahr 1491. Barbaras Aufenthalte nur für Waldenbuch selbst Dieser Silberschatz, der im Wesentlichen aus belegt sind, ohne dass der Hasenhof dabei expli- ihrer Mitgift herrührte, bestand aus 18 Trinkbe- zit hervortritt.

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Barbara Gonzaga, Waldenbuch und der Hasenhof Christine Bührlen-Grabinger

2 | Ansicht des Hasenhofs aus dem Tübinger Forstlagerbuch von Andreas Kieser von 1683 (HStAS H 107/18 Bd.52 Bl.22)

Als Eberhard 1492 sein Testament neuerlich Bestätigungsurkunde des Käufers vom Böblinger niederlegen ließ, bestimmte er ausdrücklich, dass Vogt Jörg Gerlach. seine Gemahlin »in ihrem Wittum nicht zu irren Eberhard verstarb bereits im Jahr darauf, Barbara sei«. Doch ist der Hasenhof bemerkenswerter- sollte ihm dann 1503 in den Tod nachfolgen. Auch weise noch vor dem Tod Eberhards durch Bar- für die Zeit ihrer Witwenschaft, die sie auf dem bara selbst in andere Hände übergegangen: Am Böblinger Schloss verbrachte, ist eine Beziehung 25. August 1495 verkaufte sie den Hof an Hans Barbaras nach Waldenbuch oder zum Hasenhof Eberwein den Älteren von Steinenbronn für die nicht mehr greifbar. Barbara hatte ihre häufigen stolze Summe von über 200 rheinischen Gulden. Besuche in Waldenbuch, die sie von ihrer Stuttgar- Als Bürge fungierte dessen Sohn Hans Eberwein ter Residenz aus unternahm, offenbar eingestellt. der Jüngere zusammen mit drei weiteren Ein- Einen markanten, zeitnahen Eindruck von der wohnern von Steinenbronn. Besiegelt wurde die Stadt Waldenbuch mit der herrschaftlichen Burg

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Christine Bührlen-Grabinger Barbara Gonzaga, Waldenbuch und der Hasenhof

3 | Der Hasenhof mit seiner Hofmark aus dem Forstkartenwerk von Andreas Kieser von ca. 1683 (Ausschnitt, Landesbildstelle Baden- Württemberg; Vorlage: HStAS J 381 Nr. 52, Mappe 7, Bl. 66 a)

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Barbara Gonzaga, Waldenbuch und der Hasenhof Christine Bührlen-Grabinger

4 | Das ehemalige Meierhaus, heute »Gasthaus Hasenhof« (Aufnahme: Andreas Bührlen)

(bzw. dem Schloss) und dem Hasenhof mit seiner damals – wie auch aus seinem etwa gleichzeitig Hofmark vermitteln die Ortsansichten des würt- gefertigten Forstkartenwerk ersichtlich ist – aus tembergischen Oberforstrats Andreas Kieser aus mindestens vier Gebäuden, darunter zwei Häu- dem Jahr 1683 (Abb. 2). Der Hasenhof bestand sern und zwei Scheuern (Abb. 3). Schon Ende des

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Christine Bührlen-Grabinger Barbara Gonzaga, Waldenbuch und der Hasenhof

16. Jahrhunderts hatte der herzogliche Oberrat 14812, 14829; H 101, Bd. 1586; H 107/18, Bd. 1, Georg Gadner auf seinem Kartenblatt vom Tü- 2, 52; J 381 Nr. 52; N 3 Nr. 1; WLB Cod. cam. et binger Forst mit dem Schönbuch den Hasenhof oec. 2o 1; Müller, Altwürttembergische Urbare; auf entsprechende Art dargestellt – er dürfte wohl Sommer, Die Stuttgarter Chronik auch schon zu Barbaras Zeit vergleichbar ausge- sehen haben. Noch heute ist der alte Hofbestand im »Gasthaus Hasenhof« wieder zu erkennen und Literatur: hebt sich aus den Neubauten des nach ihm be- Das Haus Württemberg; Fleischhauer, Der Silber- nannten Stadtteils »Hasenhof« heraus (Abb. 4). schatz; Pfaff, Geschichte des Fürstenhauses; Pfister, Eberhard im Bart; Sattler, Geschichte des Herzogthums Würtenberg, Bd. 4; Stälin, Quellen: Die Heirath; Winter, Die Baugeschichte; HStAS A 54 a, Bd. 214 –218; A 256, Bd. 1; A 602, Württemberg im Spätmittelalter; 1495: Würt- Nr. 292, 337, 363, 380, 2187, 12482, 14804, temberg wird Herzogtum

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CHRISTOPH FLORIAN Barbara Gonzaga auf ihrem Witwensitz in Böblingen

Als am 25. Februar 1496 Herzog Eberhard im Witwenversorgung eine Rente bekommen, welche Bart in Tübingen verstorben war, begann für als Reallast auf Schloss, Stadt und Amt Herren- Barbara Gonzaga nach der Kindheit und Jugend berg mit allen Ortschaften, Untertanen, Ein - in Mantua sowie der in Urach und Stuttgart ver- künften und Zugehörden ruhen sollte. Mit einge- brachten Zeit der Ehe ein dritter, letzter Lebens- schlossen in dieses Geschäft waren auch die abschnitt. Diesen sollte sie vor allem auf ihrem herrschaftlichen Rechte im Amt Herrenberg. Witwensitz Böblingen verbringen. Waren die Herrenberger Einnahmen zu niedrig, Die Wahl Böblingens zum Witwensitz war sollten Einnahmen der Stadt Tübingen herange- mittelbar das Ergebnis der am 14. April 1474 in zogen werden. Der Renten- oder Zinsertrag aus Mantua getroffenen vertraglichen Regelung der dieser Summe wurde auf fünf Prozent festgelegt, Ehe zwischen Eberhard im Bart und Barbara was den damals üblichen Standards entsprach. Gonzaga. Die Mitgift Barbaras (auch Zugeld oder Zugleich musste Eberhard eine Summe in glei- Heimsteuer genannt) war hier auf 20 000 Gulden cher Höhe in das eheliche Vermögen einbringen festgelegt worden. Es handelte sich dabei um eine (Widerlage). Dies geschah dadurch, dass die vorausgezogene Erbauszahlung, denn Barbara Höhe der auf Stadt und Amt Herrenberg ver- verzichtete am 9. Juli 1474 auf ihr Erbe. Das Geld schriebenen Summe um 20 000 Gulden auf insge- der Mitgift sollte nach dem Eheschluss in den samt 40 000 Gulden erhöht wurde. Im Falle einer Finanzhaushalt des Ehemanns übergehen. Die Witwenschaft hatte Barbara also 2000 Gulden Erträge aus dieser Summe waren als finanzielle jährlich an Einnahmen zu erwarten. Die Stadt Absicherung für Barbara gedacht, sollte sie Witwe und das Amt Herrenberg bildeten so das Wittum werden. Die Erträge aus dem Witwengut (Wit- für Barbara Gonzaga. Zugleich konnte das Her- tum) gingen dabei zunächst an den Ehemann, renberger Schloss im Fall der Witwenschaft Bar- da sie als Ausgleich für dessen Aufwendungen für baras als ihr repräsentativer Wohnsitz dienen. die Ehefrau betrachtet wurden. Wie damals üblich, wurde Barbara eine Mor- Bei dieser Form der ehelichen Finanzregelung gengabe eingeräumt: Dabei handelte es sich um handelte es sich im Grunde um eine Form des eine Geldsumme, die der Ehemann nach der Rentenkaufs. Für Hingabe des Kapitals, also die Eheschließung seiner Frau zusätzlich gewährte genannten 20 000 Gulden, sollte Barbara als und deren Höhe er selbst bestimmte. Auch dabei

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Christoph Florian Barbara Gonzaga auf ihrem Witwensitz in Böblingen

wurde die Form des Rentenkaufs angewandt. So hingegen hätte damals mit allen damit verbun - legte Eberhard am 9. Juli die Morgengabe auf denen zusätzlichen Aufwendungen wohl neu ein- 7000 Gulden fest und verschrieb die Verzinsung gerichtet werden müssen. in Höhe von fünf Prozent als Reallast auf die Barbaras Lebensphase als Witwe war zu Beginn Burg Entringen und, wenn dieses nicht aus- nicht einfach, musste sie doch die Begehrlich - reichte, den Ort Breitenholz. Der Erträge aus der keiten des nun regierenden Vetters ihres Mannes, Morgengabe wurden jeweils sofort an Barbara Herzog Eberhards des Jüngeren, auf ihre Ein - ausgezahlt. Schließlich hatte Barbara noch kost- nahmen abwehren. Diese Begehrlichkeiten waren bare Kleider, Schmuck und Silbergeschirr mit in schon zu Lebzeiten ihres Mannes deutlich gewor- die Ehe gebracht. den. Denn bereits im Jahr 1492 traf sie Vorkeh- Sogleich nach der Hochzeit wurde in den be- rungen für den Ernstfall und hinterlegte die troffenen Gebieten der neuen Herrin gehuldigt. Dokumente, welche ihr Wittum sicherten, bei der Da Barbara dafür einen männlichen Vertreter Reichsstadt Ulm, versehen mit der Auflage, diese benötigte, beauftragte sie ihren Bruder Rodolfo nur ihr oder einem von ihr ernannten Vertreter († 1495), am 9. Juli die Huldigungen in ihrem zu übergeben. Ende gleichen Jahres schärfte Eber- Namen entgegenzunehmen. Rodolfo ließ dann hard im Bart in seinem Testament seinen Erben am 11. Juli die Vertreter und den größeren Teil ein, die Rechte Barbaras auf ihr Wittum zu der männlichen Bevölkerung von Stadt und Amt achten. Herrenberg, von Entringen sowie die Amtsvor- Der offene Ausbruch des Konflikts zwischen stände von Tübingen, diese zugleich auch für Eberhard dem Jüngeren und Barbara wurde dann Breitenholz, auf offenem Markt in Herrenberg bald nach dem Tod ihres Mannes sichtbar, als huldigen. Donatus Guizardi, der Sekretär ihres Bruders Als die Grafenmutter Mechthild 1482 gestor- Bischof Lodovico († 1511), am 26. August 1496 an ben war, fiel ihr Wittum, nämlich das Amt Böb- Herzog Eberhard II. schrieb und die Vermittlung lingen, an ihren Sohn Eberhard zurück. Dieser in der nicht näher beschriebenen Auseinander - verschrieb dann 1483 das Wittum seiner Frau auf setzung zwischen dem Herzog und Barbara vor- das frei gewordene Amt Böblingen sowie den Zoll schlug. Barbara griff in diesem Konflikt also auf von Vaihingen und – wenn diese nicht ausreichen die Unterstützung ihrer Familie zurück. So bat sie sollten – auf Vogtei und Kellerei von Tübingen. dann bereits wenige Monate später ihren in Bemerkenswerterweise wurde die Morgengabe Mantua regierenden Neffen Francesco brieflich nun auf 6000 Gulden gekürzt; Gründe dafür sind um Hilfe. In dem Schreiben werden die Ansprü- nicht bekannt. Die Verschreibung von Heim- che Eberhards II. auf das Vermögen als Ursache steuer und Widerlage auf Herrenberg musste des Konflikts deutlich erwähnt. Die Auseinander- dann in der Folge für nichtig erklärt worden sein. setzung war dann auch so brisant, dass sie sich Der Grund für die Umschreibung des Wittums auf den Rat guter Freunde und Verwandte (con - könnte darin gelegen haben, dass Mechthild in scilio da certi mei boni amicii et parenti) hin ent- Böblingen ein schon wohnlich eingerichtetes schloss, ihre Rückkehrpläne nach Mantua fallen Schloss hinterließ. Das Herrenberger Schloss zu lassen. Mit »amici« waren hier wohl Verbün-

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Barbara Gonzaga auf ihrem Witwensitz in Böblingen Christoph Florian

dete und Unterstützer gemeint, während es sich In ihrem Wittum hatte Barbara mir der hohen bei den »parenti« um Verwandte im weiteren und niederen Gerichtsbarkeit die Gerichtshoheit Sinne handelte. Zudem drohte Eberhard II. das inne. Sie verfügte dort sogar über ein 1499 und von Eberhard im Bart und Barbara gemeinsam 1502 nachweisbares Hofgericht. Dieses diente als gegründete Stift St. Peter auf dem Einsiedel im Berufungsinstanz für die Gerichte ihres Wittums. Schönbuch aufzuheben. Kraft ihrer Gerichtshoheit begnadigte Barbara Trotz eines vertraglichen Übereinkommens mit auch Verurteilte, die von Gerichten ihres Wittums dem Herzog im darauffolgenden Jahr schwelte der vorverurteilt worden waren. Sie hatte in ihrem Konflikt weiter. Barbara baute nun verstärkt auch Territorium auch die Verwaltungshoheit inne, auf reichsstädtische Unterstützung und brachte weil Gericht und Verwaltung damals eine Einheit 1498 das Dokument dieses Abkommens, dazu bildeten. Hingegen wurden ihre Rechte dadurch 5000 Gulden sowie Silbergeschirr in der Reichs- geschmälert, dass sie offenbar nicht über die Le- stadt Ulm in Sicherheit. Sie bewarb sich damals henshoheit verfügte und so keine Lehen vergeben auch um das Pfalbürgerrecht der Stadt Esslingen, konnte. also um das Bürgerrecht der Reichsstadt, auch Was die finanzielle Hoheit betrifft, so dürften wenn sie außerhalb des städtischen Territoriums die Einnahmen des Böblinger Amts ausschließ- wohnte. Für viele Adlige bot das Pfalbürgerrecht lich als Witwenversorgung Barbara zugeflossen so eine Möglichkeit, die politische Unterstützung sein. Bei der Umschreibung des Wittums auf mächtiger Reichsstädte zu erhalten. Böblingen war bestimmt worden, dass zur Erfül- Die Entmachtung Herzog Eberhards II. durch lung dieser Ansprüche auch die Einnahmen aus die württembergischen Landstände und Kaiser dem Vaihinger Zoll herangezogen wurden sowie Maximilian noch im gleichen Jahr 1498 sollte Einnahmen aus Tübingen eingebracht werden dann die Lage entspannen. Die neue vormund- konnten. Das deutet darauf hin, dass die Ein - schaftliche Regierung in Württemberg respek- nahmen aus dem Amt Böblingen die zu leistende tierte offenbar Barbaras Rechte an ihrem Wittum. Witwenversorgung von 2300 Gulden nicht Der Konflikt war überstanden. Ungehindert decken konnten. konnte sie nun auf ihrem Witwensitz in Böblin- Welche Räte und Diener Barbara damals, ab - gen residieren. gesehen von den Amtsleuten, in ihren Diensten Als Barbara 1496 das Böblinger Schloss bezog, beschäftigte, ist kaum überliefert. Hier wäre z. B. hatte sich ihre Lebenssituation in zwei Punkten auch an Adlige aus ihrem Herrschaftsbereich zu entscheidend verändert (Abb. 1). Zum einen denken. Die oben erwähnten »Freunde« zeigen, stand sie nicht mehr unter der Gewalt ihres Man- dass Barbara als Witwe nicht allein stand. Sie nes (Ehevogtei) und war damit in ihren Entschei- suchte ihre finanzielle Basis auch durch den dungen freier. Zum anderen war Böblingen nicht Erwerb von Renteneinnahmen abzusichern. Zwi- nur Sitz einer Hofhaltung, sondern auch Zen- schen 1498 und 1503 kaufte sie für die Gesamt- trum einer kleinen Herrschaft, in der sie nun in- summe von 190 Pfund Heller nachweislich drei nerhalb eines freilich etwas eingeschränkten Rah- Renten in der Gesamthöhe von neuneinhalb mens regieren konnte. Pfund Heller jährlicher Einkünfte.

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Christoph Florian Barbara Gonzaga auf ihrem Witwensitz in Böblingen

1 | Das Böblinger Schloss auf einer Zeichnung von 1827 (Vorlage: Heimatmuseum Ludwigsburg)

Böblingen war also zum höfischen Mittelpunkt Böblingen ain stat unnd slos im gey am schönpuch ihrer kleinen Herrschaft geworden. Ladislaus gelegenn; da sind weyer unnd kain namhafft was- Suntheim, ein bekannter Chronist im Umfeld ser, da hellt die fraw Barbara vonn Manntaw Hoff. Kaiser Maximilians, schrieb über diese Episode: Ansonsten ist über das Wirken und Leben Barba-

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Barbara Gonzaga auf ihrem Witwensitz in Böblingen Christoph Florian

2 | Böblingen mit Schloss und Stadtkirche vor der Zerstörung von 1943 (Vorlage: Stadtarchiv Böblingen)

ras in Böblingen kaum etwas bekannt. Mit ihrer dass sie sich nach ihrer alten Heimat sehnte und Hofhaltung war sicher ihr persönliches Interesse dorthin zurückkehren möchte. Aus dem folgen- an Pflanzen und Gartenkultur verbunden. So den Briefwechsel geht hervor, dass es innerhalb kaufte sie etwa 1501 einen Garten am Oberen See der Familie Gonzaga durchaus die Bereitschaft in Böblingen (Abb. 2). gab, Barbara wieder in Mantua aufzunehmen. Dass Barbara sich auch in Böblingen nicht auf Weitere Rückkehrgedanken sind nicht über- Dauer wohl fühlte, wird durch ihren schon oben liefert. Eine Rückkehr nach Mantua wäre auch genannten Brief an ihren Neffen Francesco vom mit einem Risiko für ihre wirtschaftliche Lebens- Oktober 1496 deutlich. Darin schrieb sie auch, grundlage, das Wittum, verbunden gewesen.

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Christoph Florian Barbara Gonzaga auf ihrem Witwensitz in Böblingen

Sie musste persönlich vor Ort ihre Interessen lich. Jetzt konnte Barbara als Witwe eigenständig verteidigen. Ihre Unterstützer und Verwandten handeln bzw. musste dies auch tun, was ihr – haben sie wohl auf diesen Umstand hingewiesen, schon in Anbetracht ihrer Herkunft – durchaus als sie Barbara von einer Rückkehr nach Italien vertraut war. Sie ging dabei offenbar geschickt abrieten. Auf ihr Erbe hatte sie ja bei der Ehe- mit ihrer neuen Position um, indem sie neben schließung verzichtet. Sicher wird bei Barbaras dem üblichen familiären Schutz, der angesichts Überlegungen eine Rolle gespielt haben, dass der räumlichen Distanz nur begrenzt einsetzbar außer ihrem Bruder Ludovico mittlerweile sämt- war, auch auf benachbarte reichsstädtische Un- liche Geschwister gestorben waren und die poli - terstützung zugriff. Letztendlich hatte sie persön- tische Zukunft ihres in Mantua herrschenden lichen Erfolg und konnte ihre herrschaftliche und Neffen Francesco damals gefährdet war. Bei einer wirtschaftliche Position sichern, zumal sich durch Rückkehr hätte sie sicher nicht mehr das ver- die Absetzung Herzog Eberhards II. die politische traute Mantua ihrer Kindheit und Jugend vorge- Lage im Herzogtum Württemberg dann zu ihren funden. Zudem hatte sich durch die Absetzung Gunsten gewendet hatte. Herzog Eberhards II. ihre Lage in Württemberg entscheidend verbessert. In Böblingen starb Barbara dann wohl am Quellen: 30. Mai des Jahres 1503. Ihr Leichnam wurde HStAS Bestände A 44, A 400, A 602 nach Kirchheim unter Teck geführt und im dorti- gen Frauenkloster bestattet. Die Rechte Barbaras an Böblingen fielen in der Folge an das Haus Literatur: Württemberg zurück. Amelung, Herzogin Barbaras Böblinger Briefe; In der Forschung werden Barbaras Böblinger Cleß, Versuch einer Landes- und Culturge- Jahre bislang als eine Zeit der persönlichen Resig - schichte; Dautel, »Kain Stain oder Tafel«; Raff, nation und des Ausklangs skizziert. Doch werden Hie gut Wirtemberg; Severidt, Familie; Stälin, aus den spärlich überlieferten Nachrichten wei- Die Heirath; Steinhofer, Neue Wirtenbergische tere Facetten von Barbaras Persönlichkeit deut- Chronik 3; Württemberg im Spätmittelalter

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RO L A N D DE I G E N D E S C H Die »Frau von Mantua« und das Dominikanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck

Mit Kirchheim unter Teck verbindet sich nicht einer Niederlassung religiös lebender Frauen vor nur die letzte, heute verschwundene Ruhestätte den Mauern der Stadt, die nach nur schemenhaft Barbara Gonzagas, sondern auch eine bemerkens- nachvollziehbaren Anfängen in den 1240er Jahren werte Episode, die über ihre persönliche Fröm- dem weiblichen Zweig des Dominikanerordens migkeit und ihr Engagement bei der Reform der zugewiesen werden kann. Nachdem die Frauen Frauenklöster in Württemberg Auskunft gibt zwischenzeitlich im Kloster Sirnau bei Esslingen (Abb. 1). lebten, ist eine kontinuierliche Geschichte des Im Kontext der Stadtgründung Kirchheims Kirchheimer Hauses seit den ausgehenden 1240er durch die Herzöge von Teck im ersten Drittel des Jahren nachweisbar. Das Johannes dem Täufer 13. Jahrhunderts erfolgte auch die Förderung geweihte Kloster war Grablege der Herzöge von

1 | Ansicht von Kirchheim unter Teck von Andreas Kieser, um 1683/85 (HStAS H 107/7 Bd.5 Bl.5)

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Roland Deigendesch Die »Frau von Mantua« und das Dominikanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck

Teck und erfuhr durch mannigfache Stiftungen sowie aus Winnenden zu erwirtschaften war. im 14. bis 15. Jahrhundert einen merklichen Auf- Neun Jahre später wird Eberhard VI. in einem schwung. Schiedsspruch das Kirchheimer Schloss als Resi- Kirchheim, das ab der Mitte des 14. Jahrhun- denz zugewiesen. Dies blieb jedoch angesichts des derts sukzessive in die Grafschaft Württemberg baldigen Todes des Stuttgarter Regenten im Jahr eingegliedert wurde, war ein beliebter Aufent- 1496 Episode. Mit Kirchheim jedoch verband haltsort der Landesherren und mehrfach Schau- Eberhard den Jüngeren zuvor schon eine denkbar platz durchaus bedeutsamer politischer Zusam- ungute Erfahrung, und hier nun kommt auch menkünfte. Die Gebrüder Ludwig I. und Ulrich V. Barbara Gonzaga ins Spiel. einigten sich in Kirchheim nach der Teilung der Voraussetzung war die durch Graf Ulrich V. Grafschaft 1442 im Konflikt mit ihrer im nahen angestoßene Reform des Kirch heimer Konvents. Nürtingen residierenden Mutter Henriette in Dieser gravierende Einschnitt in der Geschichte einem Vergleich, zeitgleich erfolgte in Kirchheim des Frauenklosters begann wie in einer Reihe die Aufnahme langwieriger Einungsverhandlun- vergleichbarer Fälle mit der Einführung neuer, gen beider Grafen mit Vertretern schwäbischer observant lebender Schwestern. Im Mai 1478 Reichsstädte. Die Landesteilung 1442 hatte zur kamen Nonnen aus dem elsässischen Silo bei Folge, dass Kirchheim mit dem gesamten Amt in Schlettstadt nach Kirchheim, darunter die ein- den Neuffen/Stuttgarter Teil Graf Ulrichs des stige Kirchheimer Nonne Barbara Bernheimerin, Vielgeliebten fiel. Zahlreiche Aufenthalte des Gra- die als neue Priorin eingesetzt wurde. Bis 1488 fen sind in der Stadt belegt. Voraussetzung dafür wuchs der geschrumpfte Konvent wieder auf 48 war das Vorhandensein entsprechender Einrich- Schwestern an. Verschiedentlich wurde darauf tungen zur Versorgung des Hofes. Mehrfach hingewiesen, dass diese Reformmaßnahme dem wird in den Schriftquellen das gräfliche Schloss eindrücklichen und in der württembergischen erwähnt, das an der Stelle des 1541 unter Herzog Geschichte jener Zeit einmaligen Schreiben des Ulrich errichteten Bauwerks an der Südwestecke Landesherrn an seinen Sohn Eberhard VI., wohl der Stadtbefestigung vermutet wird. von 1477, auf dem Fuß folgte, in dem er ihm Der vom Kirchheimer Vogt stellvertretend für kräftig die Leviten las und insbesondere auf des- Stadt und Amt mitbesiegelte Münsinger Landes- sen empörendes Verhalten im Kirchheimer Frau- einungsvertrag vom 14. 12. 1482 musste bekannt- enkloster abhob: In ainer kurzen zit bist gen kir- lich in langwierigen Verhandlungen zwischen den chen komen und hast ain danntz angefanngen inn beiden Vertragspartnern, Eberhard V. (im Bart) dem clouster zw[e]n stund nach mitternacht, das und seinem Vetter Eberhard VI., sowie mit aus- dann wider pott unnd grosse sund ist. Damit nicht wärtigen Fürsten und den Landständen erst genug hatte sich din frommer canntzler inn ain zell auf Dauer gesichert werden. Eine wichtige Etappe gelegt inn ain bett unnd ist on dz selben clouster bildete der 1485 abgeschlossene Stuttgarter frowen wissen unnd willen. Allerdings muss man Vertrag, der Eberhard VI. eine Jahresrente von sich vor Augen führen, dass mehr oder minder 8000 fl zubilligte, die aus Einkünften von Stadt zur selben Zeit eine ganze Reihe von Nonnenklö- und Amt Kirchheim mit Owen, Weilheim/Teck stern des Dominikanerordens zum Teil gegen er-

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Die »Frau von Mantua« und das Dominikanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck Roland Deigendesch

hebliche interne Widerstände der Observanz Anlass war zunächst, dass der stets klamme zugeführt wurden. Im Auftrag des Ordensprovin- Graf Eberhard VI. sein aus dem Stuttgarter zials Jakob von Stubach wirkten der Stuttgarter Vertrag abgeleitetes Schirmrecht über das Kirch- Dominikaner Johannes Pruser (auch Prauser), heimer Klos ter exzessiv zur Heranziehung dessel- der Beichtvater der Liebenau, Johannes Meyer, ben zu allen möglichen Leistungen nutzte. Zur sowie Jakob Dienstlin, ein Vertrauter Stubachs Eska lation trug weiter bei, dass Eberhard über aus Wien, bei der Reform der Klöster Reutin, seinen Kaplan und zeitweiligen Rat und Kanzler Weiler bei Esslingen, Steinheim und Offenhau- Dr. Conrad Holzinger eine Rechnungslegung der sen/Gnadenzell. Der Reformschritt in Kirchheim Klosterwirtschaft einforderte, die die Priorin erscheint so eher Teil einer eng mit der Führung Barbara Bernheimerin allerdings verweigerte. In des observanten Zweiges des Dominikanerordens dem anschließenden Versuch, seine Forderungen abgestimmten Politik gewesen zu sein als Ausfluss durchzusetzen, erwies sich der so düpierte Graf einer spontanen Regung des Landesherrn auf- als wenig zimperlich – er verhängte über die grund eines Fehlverhaltens, das ja überdies ein- Kirchheimer Nonnen eine Blockade, so dass deutig seinem Sohn und nicht den Schwestern weder Nahrungsmittel noch Brennholz in das zuzuschreiben war. Johanneskloster gelangen konnten. Lediglich mit Über die Vorgänge in Kirchheim sind wir des- List gelang es den Frauen, sich über Wasser zu hal- halb so gut unterrichtet, da eine der observanten ten. In dieser Situation wandte sich die Priorin an Schwestern, die Schreiberin, Obersängerin und den Landesherrn, Graf Eberhard V., der die Prio- Küsterin Magdalena Kremer, eine Chronik der rin in der Haltung bestärkte, eine Rechnungsle- Reform und deren Folgen verfasste, die sich als gung zu verweigern. Am selben Tag (2. Mai 1487) Autograph über den Archivar und Historiker sandte auch Barbara Gonzaga dem Kloster ein Christian Friedrich Sattler im Hauptstaatsarchiv Schreiben aus Stuttgart zu. Während im Brief - Stuttgart erhalten hat (vgl. S. 281 f.). Eine zweite verkehr Eberhards rechtlich-politischer Beistand Handschrift ist auf unbekanntem Wege in das zugesichert wurde, ging es hier um die Solidarität Schottenkloster in Wien gelangt. Die Chronik der Fürstin mit dem Konvent, denn: So ist doch zu entstand erst deutlich später – um 1490 – unter zyten und gemeinlich der trost eyns geliepten men- dem Eindruck eines Konflikts zwischen der Frak- schen, der Wir hoffent eines zu syn, in sonderlicher tion des alten Konvents und den neu hinzuge- uwer andacht uch yngebyldt, gegen einem andern kommenen observanten Nonnen um die Lebens- bekümmerten menschen ganz tröstlich und ergötz- weise im Hause. Die Vorgänge spitzten sich durch lich. Wortwahl und Bilder des Schreibens nahmen das Eingreifen Eberhards des Jüngeren 1486/88 den Lebenshorizont des Nonnenkonvents auf. Die bis an den Rand einer militärischen Auseinander- Schwestern wurden getröstet und in ihrer Erge- setzung zu, so dass nach Ansicht von Heike Uff- benheit in ihr Leid gestärkt. Als »Bräute Christi« mann die Chronik als Rechtfertigungsschrift der sollten sie auf ihrem Weg trotz aller Anfechtungen observanten Partei innerhalb des Kirchheimer unbeirrt verbleiben. Dominikanerinnenklosters gesehen werden kann Eine zwischenzeitlich durch Vermittlung Her- (Abb. 2). zog Georgs von Bayern zu Stande gekommene

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Roland Deigendesch Die »Frau von Mantua« und das Dominikanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck

2 | Wappen des Dominikanerinnenklosters Kirchheim unter Teck, Zeichnung des 16. Jahrhunderts (HStAS A 493 Bü 6)

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Einigung des Konvents mit Eberhard VI. schei- Karsamstag 1488 in Stuttgart erforderlich, den terte daran, dass man sich über die Modalitäten sie dort gemeinsam mit ihrem Landesherrn be- nicht einigen konnte. So weigerte sich die Prio- grüßen sollte. In der Erzählung der Kirchheimer rin, die dem alten Konvent zugehörige Nonne Chronistin galten Eberhard und Barbara als die Anna Dürr mit einzubeziehen. Als nunmehr zum eigentlichen Erretter des Klosters, ja sie erwiesen dritten Mal eine Hungerblockade gegen das sich als dyß closters getruwer vatter und muter, Kloster durch Eberhard den Jüngeren veranlasst Barbara auf zweifache Weise: Einmal, indem sie wurde, reagierte der zuständige Diözesanbischof in der Zeit höchster Bedrängnis durch ein Schrei- in Konstanz mit der Verhängung des Kirchen- ben den Nonnen Mut zusprach, dann durch banns über die Stadt. Überdies intervenierte ihren Besuch, zu dem vorher der nötige Dispens nun Eberhard V. direkt und erzwang zu Anfang eingeholt worden war, mit dem sie ihre Anteil- Februar 1488 durch die Entsendung eines militä- nahme direkt ausdrückte. rischen Aufgebotes die Aufhebung der Blockade. Der Nachvollzug des Klosterlebens durch die Nach der kampflos geglückten Befreiung des Fürstin ist augenfällig und erscheint im Erzähl- Klosters kam auch der regierende Graf nach strang der Chronik als Erfüllung des Wunsches Kirchheim. Er besuchte die Messe in der Johan- Graf Eberhards nach geistlicher Unterweisung neskirche und schied nach dem Bericht von seiner Gattin. Welche Rolle die Zuwendung des Magdalena Kremer mit den Worten: Ich will Grafenpaares an den Konvent in der Geschichts- üch schier min hußfrow schycken, machen mir schreibung des Hauses spielt, zeigt sich schon sy wol geystlichen. Tatsächlich kam Barbara in darin, dass das letzte, einem umfangreichen Teil der Fastenzeit gleich zwei Mal nach Kirchheim. mit Briefabschriften folgende Kapitel der Chro- Hier zeigte sie sich nicht nur als Wohltäterin der nik dem zweiten Aufenthalt Barbaras im Kloster standhaften Klosterfrauen, die zu essen eyn kost - 1489 gewidmet ist. Eindrücklich werden die liches mal manigerley guter fisch mitbrachte, Andachtsübungen der Fürstin während der Kar- sondern auch als überaus fromme, geistlichen und Ostertage geschildert: Und im selben iar (…) Übungen zugewandte Fürstin, die anders als ihr derselben vasten kam aber unser gnedige frow von Mann auch Latein verstand: Sy blybent von an- mantöw zu uns uff den samstag als anfacht passio- dacht wegen, so die Kremerin in ihrer Chronik, by nem domini und sy blybe by uns biß uff den oster uns die selbe woch byß uff den karfrytag nach mit- mendag, in semlicher andath (!) und guter übung temtag, und sye hielt sych vast andechticlich und wie vor geschriben stott. Besunder so hett sy grosse dem convent zu allen ziten im chor glychförmiclich. andacht zu unsrem vinien [vermutlich Kniefall], Also so wir unser zit sungent, so las sy ir zit ouch also wenn die swestren venien nomen so sach sy letin. Ouch wolt sy nye keynen trit hinuß tun, ouch uff zu gott mit andechtiger erzeygung. Auch habe von der bycht wegen nit, sy und ire juncfrowen en- sich Barbara im Chor einschließen lassen, wo sie pfiengent das heylig würdig sacrament am herrgott anscheinend diese Übungen selbst nachvollzog. venster da wir es nement. Schließlich folgte sie der Osternachtsmesse, für Die Abreise der »Frau von Mantua« am Kar- die sie selbst – überraschend – ein Bildnis des freitag wurde durch die Ankunft des Kaisers am Auferstandenen beisteuerte: (…) nach der elevie-

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Roland Deigendesch Die »Frau von Mantua« und das Dominikanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck

3 | Klosterhofmeisterei (links) und Fruchtkasten (rechts) des ehemaligen Dominikanerinnenklosters Kirchheim (heute Finanzamt). Beide Gebäude wurden an Stelle von 1626 abgebrannten Vorgängerbauten auf dem alten Klosterareal errichtet (Aufnahme: K. Hirtreiter, Kirchheim u.T.)

rung oder uff habung unsers herren lychnams da und ir daby zu gedencken als sy selber darnach hett sy dasselbe bylde byß dar verholen, da trög ir sprach zu uns: Diß byld söllent ir haben von minen juncfrowen ein das bylde mit dem samenten mantel wegen und myn daby zu gedencken. von dem hergott venster durch den chor byß uff Nach diesem Höhepunkt sind weitere Kontakte unsren altar, und giengent ir zwo juncfrowen vor zum Kirchheimer Konvent zumindest nicht mit schenck liechtren. Also wart dasselbe bylde da durch Quellen verbürgt. Allerdings legt der geopferet gott dem herren zu lob uns zu andacht schiere Tatbestand, dass Barbara wohl auf eige-

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Die »Frau von Mantua« und das Dominikanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck Roland Deigendesch

nen Wunsch im Chor der Kirchheimer Kloster- heimer Nonnen zogen 1567 in das Dominikane- kirche beigesetzt wurde, den Gedanken nahe, dass rinnenkloster Kirchberg bei Sulz. Wenn berichtet die Unterstützung der observanten Kirchheimer wird, dass damals zwei große »Heiltumstafeln« Nonnen eine Herzensangelegenheit der nunmeh- den Weg von Kirchheim nach Kirchberg fanden, rigen Herzoginwitwe war. Dabei war Kirchheim so kann man vielleicht daran denken, dass dazu keineswegs das einzige Haus, um das sie sich auch die Schenkung Barbaras von 1489 gehörte. kümmerte. Barbara trat ebenso im Kloster Gna- Dass Barbara Gonzaga in Kirchheim heute denzell (Offenhausen) bei der dortigen Reform augenfällig präsent ist, geht auf eine Stiftung von 1480 in Erscheinung. Sabine Thomsen zurück. 2003 wurde eine von In Kirchheim indes kam es, abgesehen von Markus Wolf geschaffene Stele am Platz der einem Eintrag Barbaras im Nekrolog des Klos - vormaligen Klosterkirche enthüllt »(…) zum ters, zu keiner nachhaltigen, entsprechende Zeug- 500. Todestag der 1. Herzogin von Württemberg, nisse hinterlassenden Memoria für Barbara Gon- deren Grab hier im Bereich der ehemaligen zaga. Noch 1514 musste der Konvent mit der – Klos terkirche seit 1537 verschollen ist«, so die nach allem vergeblichen – Bitte an Herzog Ulrich Inschrift (vgl. S. 311 f.). herantreten, Mittel für einen Grabstein zur Verfü- gung zu stellen. Die Grabstätte im Chor der Klos - terkirche selbst verschwand mit dem Kirchenge- Quellen: bäude nach der Reformation des Landes, im Zuge HStAS Bestände A 493, A 602; Sattler, des Ausbaus Kirchheims zur Landesfestung ab Geschichte des Herzogthums Würtenberg, 1538. Der Kirchheimer Obervogt Hans von Rem- Bd. 3, Beilage 111; Bd. 4, Beilage 42 chingen musste 1551 an Herzog Christoph be- richten, dass die Grablege, die beim Abbruch der Kirche verlegt worden sein musste, schon nicht mehr bekannt war, ja dass kain stein oder tafel an Literatur: Württembergs erste Herzogin erinnerte. Das er- Aderbauer, Kirchheim/Teck; Dautel, »Kain Stain scheint umso bemerkenswerter, als sich damals oder Tafel«; Götz, Von der ersten urkundlichen noch Klosterfrauen in den verbliebenen Gebäu- Nennung; Stievermann, Der Augustinermönch den halten konnten (Abb. 3). Die letzten Kirch- Dr. Conrad Holzinger

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AXEL BEHNE Der Streit um das Erbe der Barbara Gonzaga

Barbara Gonzaga zieht bis heute die Blicke auf war eine für beide Brautleute durchaus standes- sich und zugleich lenkt sie, damals wie heute, gemäße Summe, die in ihrer damaligen Kaufkraft den Blick in die Ferne. Über die Jahrhunderte etwa dem Wert von 1500 bis 2000 guten Reit - hinweg schaut ihr überzeitlich schönes Mädchen- pferden entsprach. 15 000 Gulden quittierte Graf antlitz, so wie Andrea Mantegna es gemalt hat, Eberhard durch seine Unterschrift unter den an seinen Bewunderern vorbei und sinnend in Ehevertrag als bereits erhalten, die dann noch eine Ferne, in der sich ihr Lebensweg andeutet: fehlenden 5000 Gulden sollten ihm am 28. Juni »Von Mantua nach Württemberg« (Abb. 1). desselben Jahres 1474 bei Abholung seiner Braut Mantegnas raumfüllendes Fresco der familia des in Kempten verabfolgt werden. Tags darauf, am Markgrafen Ludovico in der Camera dipinta des 15. April, trat Eberhard die Heimreise an, um die Castel San Giorgio in Mantua hat eine zentrale Vorbereitungen der Ankunft seiner Braut zu tref- Bedeutung bei der Betrachtung der historischen fen, die Anfang Juli mit dem legendären Uracher Persönlichkeit der ersten württembergischen Fest gefeiert werden sollte. Herzogin. Denn Barbaras Weg nach Württem- Die Ausfertigungen dieses Ehevertrages galten berg beginnt kurz vor der Vollendung des be- lange Zeit als verschollen. So auch noch im Jahre rühmten Gemäldes. 1985, als man bei einer Ausstellung über »Würt- Nachdem Graf Eberhard V. von Württemberg- temberg im Spätmittelalter« in Stuttgart nur eine Urach am 1. April 1474 von Mailand kommend in aus Mantua entliehene Abschrift dieses Vertrages der Markgrafschaft Mantua eingetroffen war, ausstellen konnte. Im Zuge einer eingehenden wurde er am 12. April 1474 mit der 18jährigen Studie über die Archivgeschichte der Gonzaga Barbara Gonzaga im Mantuaner Dom getraut. fanden sie sich jedoch 1989 wieder (Abb. 2). Zwei Tage später wird Barbarinas Schicksal be - Die Niederschrift und vermutlich auch der siegelt, indem ihre Eltern, Markgraf Ludovico Entwurf des Ehevertrages stammt, wie die Be- Gonzaga und seine Gattin Barbara von Branden- glaubigungszeile mit dem Notarssignet am Fuß burg, mit dem Grafen Eberhard einen Ehevertrag des Dokumentes ausweist, von einem Mann na- schließen. Darin wird der Tochter bzw. dem mens Marsilio Andreasi. Als Prothocancellarius, künftigen Schwiegersohn eine Mitgift im Wert Sekretär und engster Vertrauter des Markgrafen von 20 000 rheinischen Gulden versprochen. Das Ludwig war Marsilius die prominenteste Figur

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Der Streit um das Erbe der Barbara Gonzaga Axel Behne

Beziehungen standen. Bis zu seinem Tode im Ja- nuar 1480 war er dauerhaft in der nächsten Um- gebung der fürstlichen Familie zu finden, und die ihm anvertrauten Geschäfte waren umfassend. Von daher glaubte man lange Zeit, Mantegna habe ihn auf eben jenem erwähnten Fresco in der Camera dipinta, auf dem auch Barbara dargestellt ist, mit verewigt, in Gestalt nämlich des ins Bild tretenden Höflings, der ein leises Wort mit sei- nem Fürsten wechselt (Abb. 3). Auf Grund der Forschungen Rodolfo Signori- nis wird heute jedoch allgemein davon ausgegan- gen, dass es sich bei der bezeichneten Figur am linken Bildrand nicht um Marsilio, sondern um den markgräflichen Rat Raimondo Lupi handelt. Doch auch dieser Raimund spielte im Zusam- menhang des Eheschlusses zwischen Barbarina und Eberhard eine tragende Rolle. Er war es nämlich, der am 4. Juni 1474 gemeinsam mit Bar- baras jüngstem Bruder Rodolfo eine Vollmacht des Markgrafen Ludovico erhielt, die Prinzessin zu ihrem Bräutigam nach Kempten zu geleiten. Und ferner hatten Rudolf und Raimund den Auf- trag, sich unterwegs von dem Augsburger Kauf- mann Heinrich Müller eben jene 5000 rheinische Gulden auszahlen zu lassen, die an der vereinbar- ten Mitgift von 20000 Gulden noch fehlten. Der genannte Marsilio Andreasi führte offen- bar ein frühbürgerliches Eheleben, das mit meh- reren Kindern gesegnet war. Das älteste dieser 1 | Barbara Gonzaga auf dem Wandbild von Andrea Mantegna Kinder war der Sohn Giacomo, der es seinem in der »Camera degli Sposi« des Palazzo Ducale von Mantua Großvater und seinem Vater nachtat, indem er in (um 1474) die Dienste der Gonzaga trat. In der Nachfolge seines Vaters Marsilio, der 1456 das Kanzleiarchiv der Mantuaner Verwaltung im 15. Jahrhundert. der Gonzaga inventarisiert hatte, wurde dem Gia- Er gelangte zu seiner Zeit bereits zu hohem como 1480 die Sichtung und Ordnung der Haus- Ansehen, auch bei den Fürsten und Mächten, mit urkunden der Gonzaga anvertraut. Das Ergebnis denen Mantua und die Gonzaga in vertraglichen seiner Arbeit war ein im Jahr darauf fertig gestell-

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2 | Ehevertrag für Barbara Gonzaga und Eberhard im Bart. Ausschnitt mit Beglaubigung des Notars Marsilio Andreasi sowie den Unterfertigungen; 1474 April 14 Mantua (BHStA München, Geheimes Hausarchiv, HU 801) (vgl. S.242ff.)

tes Inventar der Familienurkunden, das Inventa- nämlich in den Guardaroba von Barbarinas rio de le scripture in el Cassono dali Signi, das bis Mutter. Daran wird sichtbar, dass die Gonzaga heute unter den alten Findmitteln des Archivio zu eben jener Zeit zwischen Kanzleiarchiv und Gonzaga in Mantua überliefert ist. Hausarchiv zu unterscheiden beginnen, zum Am Anfang dieses Inventars verzeichnete Gia- anderen verdeutlicht der Aufbewahrungsort der como neun Originaldokumente im Zusammen- Hausurkunden die hervorragende, praktisch hang des Eheschlusses von Barbarina und Eber- gleichrangige Rolle, die die Brandenburgerin in hard, die in der ersten Lade eben dieses Cassono der Familienpolitik der Gonzaga neben ihrem dali Signi, einer großen, wappenverzierten Truhe, Gatten innehatte. verwahrt wurden. Diese Truhe mit kostbarstem Drei von diesen neun Urkunden, die Giacomo Inhalt befand sich nicht in dem zur Kanzlei gehö- auf dem ersten Blatt auflistete, diejenigen näm- rigen unteren Briefgewölbe, sondern zu Beginn lich, die den finanziellen Kern der Verbindlich- des 15. Jahrhunderts zunächst im oberen Schatz- keiten zwischen Württemberg und Mantua ver- gewölbe. Von dort gelangte sie später an einen briefen, fehlen heute unter den Beständen des noch geschützteren Ort im unmittelbarsten Herr- Archivio Gonzaga und des Altwürttembergischen schaftsbereich der Chefin des Hauses Gonzaga, Archivs. In Stuttgart ist nicht einmal eine Kopie

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überliefert, weshalb man 1985, wie erwähnt, nur eine aus Mantua entliehene unbesiegelte Kopie des Ehevertrages zwischen Barbarina und Eber- hard zeigen konnte. Die drei fehlenden Stücke sind: – der Ehevertrag vom 14. April 1474, – Graf Eberhards Verschreibung der Burg Her- renberg und anderer Burgen und Güter vom 9. Juli 1474 als Kaution der Mitgift (Abb. 4) und – Graf Eberhards Quittung vom 9. Juli 1474 über den vollständigen Erhalt der Mitgift und der versprochenen Juwelen (vgl. S. 244f.). Für die Frage nach dem Verbleib dieser drei Ori- ginale gibt eben dieses Inventar der Mantuaner Hausurkunden des Giacomo Andreasi bereits einen ersten Anhaltspunkt. Am Anfang und ins- besondere am Ende desselben finden sich näm- lich über mehrere Seiten hinweg Vermerke über die Entnahme und die Rückgabe einzelner Doku- mente. Einer dieser Vermerke belegt, dass exakt diese drei genannten, heute fehlenden Urkunden am 20. Mai 1496 dem markgräflichen Rat Bene- detto Tosabeso ausgehändigt wurden. Grund dieser Entnahme der Urkunden war ein Streit, der sich nach dem Tode Eberhards im Februar 1496 um das Wittum Barbarinas ent- sponnen hatte. Doch diese Entnahme war nur vorübergehend. Sie diente nur erst der juristi- schen Zurüstung des Mantuaner Gesandten Donato Guizardi, den man einige Wochen später nach Böblingen sandte. Nach sechs Tagen in der 3 | Höfling, vermutlich Raimondo de’Lupi, auf dem Kanzlei kehrten die drei Originalurkunden am Wandbild von Andrea Mantegna in der »Camera degli Sposi« 26. Mai wieder an den Ort zurück, wohin sie ge- des Palazzo Ducale von Mantua (um 1474) hörten, nämlich, wie gesagt, in die Gemächer der Fürstin. Das war 1496. Sieben Jahre später folgte Barbarina ihrem Gat- ten. Ihr Lebensweg endete auf Schloss Böblingen

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am 30. Mai 1503. Das einzige Kind von Barbara merkte, den Fortgang der Verhandlungen unter- und Eberhard, ein Töchterchen, war lange vor brach. Mutter und Vater im Kindesalter verstorben. Bar- Stälin schildert den Fortgang der Dinge nun so, bara hinterlässt somit keinen natürlichen Erben dass Herzog Ulrich von Württemberg am 4. Sep- und auch kein Testament. Schon bald wird be- tember 1505 eine Vermittlung durch seinen zweifelt, dass die Frau Barbara ir verlassen hab künftigen Schwiegervater Herzog Albrecht IV. und gut gar oder ainstails durch ain genugsam von Bayern angeregt habe. Das ist aber wenig testament, geschäfft oder lesten willen, so herfur plausibel. Der gerade achtzehnjährige Herzog käme, iemannt verschafft oder vergeben haben von Württemberg wusste, dass ihn die Sache könnte. teuer zu stehen kommen würde. Von daher war Demnach geht es im Jahr 1503, im Gegensatz ihm an einer raschen Klärung nur wenig gelegen zu 1496, nicht mehr um eine strittige Versor- und sein Handeln im September 1505 nur eine gungsfrage, sondern buchstäblich »ums Ganze«, Reaktion. d. h. um Barbaras vollständiges Erbe, das in Er- Es war im Gegenteil Francesco Gonzaga, der mangelung eines natürlichen Erben, eines Ehe- den ersten Anstoß zu einer Vermittlung am mannes und einer letztwilligen Verfügung ihren Münchner Hof gegeben hatte. Angesichts der Mantuaner Verwandten zusteht. Markgraf Fran- Position seines Herrschaftsgebietes zwischen cesco Gonzaga, ihr Neffe, sendet als regierender Mailand im Westen und Venedig im Osten, dem Fürst und Chef des Hauses Gonzaga zwei Unter- Reich im Norden und dem Kirchenstaat im händler nach Deutschland. Einer ist eben jener Süden, war das Gesandtschaftswesen der Gon- Donato Guizardi, der schon 1496 die Verhand- zaga hoch entwickelt, wobei sie gerade nach lungen führte. Der Markgraf ermächtigt ihn und München von Alters her die besten Kontakte den Orator Gianfrancesco Pescheria am 3. Juli pflegten: Die Diplomatiegeschichte lehrt, dass der 1503, »die Herausgabe der Mitgift der weiland erste ständige Repräsentant an einem auswärti- Gräfin von Württemberg von den Erben des wei- gen Hof ein Mantuaner Resident am Hofe Kaiser land Grafen Eberhard zu verlangen«. Die drei Ludwigs des Bayern war. zentralen Dokumente bleiben aber im Archiv. Zudem bestanden nach München sehr enge Man braucht sie nicht noch einmal hervorzu - Familienbande, denn Herzog Albrecht der Weise holen, geschweige denn nach Deutschland mitzu- war Francescos Onkel, der jüngere Bruder seiner nehmen, weil die beiden Unterhändler auf Gui- Mutter Margarete von Bayern. Die Intensität des zardis Papiere von 1496 zurückgreifen können. Kontakts zwischen dem Mantuaner Neffen und Damit reisen die Mantuaner Gesandten im dem Münchner Oheim belegt auch die hohe Zahl Sommer 1503 – Herzog Ulrich von Württemberg der in Mantua überlieferten Briefe aus München ist soeben für volljährig erklärt worden – zu einer und der Konzepte und Registereintragungen ersten Zusammenkunft nach Augsburg. Eine von Schreiben in umgekehrter Richtung. – Der Einigung kommt jedoch nicht zu Stande, auch Herzog von Württemberg konnte demgegenüber wegen des Ausbruchs des bayerischen Erbfolge- in München nur den Rang eines wenig verliebten kriegs, der, wie schon Paul Friedrich Stälin be- Schwiegersohnes in spe beanspruchen. Seit 1498

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4 | Graf Eberhard V. von Württemberg verschreibt seiner Gattin Barbara Gonzaga die Burg Herrenberg und weiteres Gut als Kaution ihrer Mitgift; Instrument des Notars Matthias Horn von Eltingen, 1474 Juli 9 Urach (BHStA München, Geheimes Hausarchiv, HU 802)

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war ihm Albrechts Tochter Sabina versprochen, Warum? – Der Rückgriff auf die Originale doch sein geringes Interesse, wenn nicht gar seine geschah, weil sich Donato de’Preti kurz darauf Abneigung gegen die Verlobte waren, schon bevor vermutlich mit sämtlichen vier Ausfertigungen diese nach Albrechts Tod (1508) eskalierte, all- auf eine erste Winterreise nach Bayern begab. gemein bekannt, natürlich auch bei den Gonzaga Dort wollte er im Rahmen eines Vermittlungser- in Mantua. suchens seines Herrn, des Markgrafen Francesco, Dass die Gonzaga aktiv wurden, belegt ferner die Originalurkunden vorweisen, weil die ge- die Tatsache, dass man in Mantua nach den er- naueren Umstände von Barbaras Erbschaftsange- folglosen Bemühungen des Sommers 1503 im legenheit in München bislang unbekannt waren. Herbst desselben Jahres neuerlich die Originalur- Nach Vorlage dieser Dokumente wurde den kunden zu Barbaras Eheangelegenheiten hervor- Gonzaga offenbar bereits im Winter 1503/1504 in holte. Am Ende von Giacomo Andreasis Inventar Aussicht gestellt, die Angelegenheit in ihrem der Hausurkunden findet sich nämlich eine Ent- Sinne schiedsrichterlich zu regeln. Diese An- nahmenotiz des markgräflichen Rates Donato nahme wird erhärtet durch einen Vertrag, den de’Preti, derzufolge er am 29. November 1503 Francesco Gonzaga zur gemeinsamen Wahrneh- vier zentrale Dokumente um Barbaras Ehe und mung der Erbansprüche mit seinen Miterben Erbschaft dem Cassono dali Signi entnahm. Diese schloss. Er kam, vermutlich wegen und nach der waren: Rückkehr Donatos aus Bayern, am 22. Februar 1504 zu Stande. Dem Zeitumstand entsprechend 1. der Ehevertrag vom 14. April 1474, sowie haben wir diese Einigung somit als eine unmittel- 2. Graf Eberhards Quittung, bare Reaktion auf Donatos Mission nach Mün- 3. Graf Eberhards Verschreibung von Herrenberg chen anzusehen. Anzunehmen ist nämlich, dass und die Münchner Räte dem Mantuaner Gesandten 4. Gräfin Barbaras Verzicht auf ihr väterliches zur Vermeidung künftiger Einreden zahlreicher und mütterliches Erbe; die drei letzteren Anspruchsberechtigter empfohlen hatten, einen Urkunden sämtlich ausgefertigt am 9. Juli 1474 Mantuaner Generalbevollmächtigten zu konsti - in Urach. tuieren. Und das war naturgemäß Markgraf Die drei ersten Urkunden fehlen, wie bemerkt, Francesco, der Chef des Hauses Gonzaga. Ausge- bis heute, d. h. sie kehrten genauer gesagt nie nommen von dieser Generalvertretung war nur wieder nach Mantua zurück. Nur neben dem Francescos Onkels Ludovico, der Elekt von Man- Regest der vierten Urkunde, neben Barbaras Ver- tua, auf Grund des völlig zerrütteten Verhältnis- zicht, findet sich der Vermerk »restituit« (zurück- ses zu seinem Neffen. Er ging später eine eigene gegeben), und sie ist in der Tat noch heute im Einung mit Herzog Ulrich von Württemberg ein. Archivio Gonzaga vorhanden. Bemerkenswert ist Doch während man in Mantua noch Vorkeh- ferner, dass die Mantuaner Kanzlei am 5. Dezem- rungen für Donatos Reise traf, war am 1. Dezem- ber 1503, sechs Tage nach dieser Entnahme, ber 1503 in Ingolstadt Georg der Reiche, Herzog eine papierene Kopie des Ehevertrags anfertigt, von Bayern-Landshut, gestorben. Von daher war eben jene, die 1985 in Stuttgart zu sehen war. man in München, als Donato eintraf, schon voll-

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auf mit der Verfolgung der eigenen Erbansprüche im Inhalt, doch dem Tenor nach ein Vergleich. auf Georgs Herzogtum beschäftigt. Als diese Be- Maßgeblich ist für diesen Vertrag nicht ein eta- mühungen dann zum Ausbruch des Landshuter bliertes Verfahren, sondern allein der Wille des Erbfolgekrieges führten, konnte man der Erb- Schiedsrichters. Dieser wird im Tenor des Ver- schaftssache Barbara Gonzaga keinerlei Aufmerk- trags sehr deutlich: Herzog Albrecht will Frieden samkeit mehr schenken. Sie blieb erst einmal stiften zwischen den Kontrahenten, und das heißt liegen. Nach der Beilegung der Auseinanderset- in diesem Fall zugleich auch Eintracht in der zungen im Sommer 1505 wurde das Mantuaner Verwandtschaft. Karl Siegfried Bader hat sich Anliegen allerdings ziemlich rasch wieder aufge- ausführlich mit dem Schiedsverfahren in Schwa- griffen – vielleicht weil Herzog Ulrich, wie Stälin ben im Spätmittelalter befasst und kam dabei zu schreibt, im September in der Angelegenheit dem Schluss, dass man gemeinhin »die Erhaltung nachfragte. In jedem Falle schrieb Albrecht IV. des Friedens innerhalb des Standes als eine vor- am 8. September 1505 nach Mantua, dass er einen nehme Verpflichtung jedes Standesgenossen Schiedstag für den 30. November in München betrachtete«. angesetzt habe, weshalb Francesco umgehend Ein bezeichnendes Licht auf diesen zentralen seine Bevollmächtigten senden möge. Die An - Zweck der Friedensstiftung wirft auch ein Brief hörungen und Verhandlungen endeten Anfang des erwähnten Mantuaner Unterhändlers Donato Dezember 1505 mit einem umfassenden Ver- de’Preti an Herzog Albrecht, in dem er dessen gleich. Vertrag als concordia bezeichnet. Im Spätherbst Im Archivio Gonzaga liegt heute an der Stelle 1505 war Donato nämlich zur Führung der Ver- der drei fehlenden Originale die besiegelte Aus- handlungen um Barbaras und zugleich auch um fertigung eines durch Herzog Albrecht am 7. De- Paola Gonzagas Erbe ein weiteres Mal über die zember 1505 zu München errichteten Vertrags, Alpen gereist. Zur Verfolgung der Ansprüche auf drei fadengeheftete Bögen Papier in Folio mit die Hinterlassenschaft der jüngeren Schwester aufgedrücktem Oblatsiegel, ohne Unterfertigung. Barbaras, die 1495 ebenfalls kinderlos als Gattin Ob dieser Handel nun als Vergleich oder als des Grafen Leonhard von Görz verstorben war, Schiedsspruch anzusehen ist? Albrecht macht ließ er sich sogar am 14. Dezember 1505 die ein- deutlich, dass er die Angelegenheit mit der von schlägigen Dokumente aus Mantua »in Alema- Wirtennberg und Monntua genannten oratorn und niam« nachsenden. Nach der Verkündung des potschafften hinreichend erörtert und mit ihrem Schiedsspruches in Sachen Barbara Gonzaga und wissen einen vertrag herbeigeführt habe. Eingangs nach seiner Rückkehr nach Mantua schrieb er am erklärt er, er handle den tailen zu lieb und freunt- 23. Januar 1506 an Herzog Albrecht: Desweiteren schaft; gegen Ende des Briefes spricht er von wollen Euer Liebden vernehmen, dass vorgenannter seinem vertrag und enntschaid. Mit dieser Formel erlauchter Herr Markgraf [Francesco] sehr zufrie- wird deutlich, dass das in Mantua überlieferte den war mit der von Euer Liebden zu Stande ge- Libell iusticia und compositio verbindet – es ist brachten Einung. ein »Spruchbrief« und ein »Vertragsbrief« zu- Wichtiger und deutlicher als die verfahrens- gleich, oder anders ausgedrückt: Schiedsspruch rechtlichen Feinheiten war die Rechtslage: In

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Betracht der Umstände und nach Ausweis der halben ausganngen, dergleich die gewaltsbrief und vorgelegten Urkunden schuldete Ulrich von all annder brieflich urkundt in obvermeltem Württemberg den Gonzaga eine erhebliche hanndl vor unnser durch sy gebracht, … zu unn- Summe Geldes für die Mitgift der Barbara sern handen und gewaltsam anntworten. Gonzaga. Und Ulrichs Problem war, dass er das Weil die Aushändigung der anspruchsbegrün- Geld nicht hatte. denen Originale künftige Einreden ausschließt, In Betracht der ursprünglichen Ausstattung der ist sie – gleichsam als Ablieferung der juristischen Braut erkannte Herzog Albrecht nämlich auf Waffen – der letzte Schritt zum Friedensschluss. Zahlung von 13 000 rheinischen Gulden in drei Entsprechend stellte Albrecht die Rückgabe dieser gleichen, jährlich in Augsburg am St. Georgstag Dokumente nur für den Fall in Aussicht, dass der (24. April) von Herzog Ulrich bzw. seinen Erben von Wirtenberg disen unnsern vertrag … nit anne- zu entrichtenden Raten. Zur wechselseitigen men wolle. Sicherung sollte Herzog Ulrich dem Markgrafen Doch es lief alles nach Plan. Herzog Ulrich Francesco binnen vierzehn Tagen einen notdürfti- nahm den Vergleich an. Und das tat er vermutlich gen Schuldbrief ausstellen, wofür jener ihm einen um so lieber, als sein künftiger Schwiegervater vorläufigen Verzicht zu leisten hatte. Nach Ein- nicht nur den Erbstreit beilegte, sondern zugleich gang der zweiten Rate sollte Mantua den Ver- auch bei der Abtragung der württembergischen gleich bekräftigen und den Eingang der bisher Schulden half, die er mit Ulrichs Forderungen eingegangenen Gelder provisorisch quittieren. für dessen Kriegsdienste als Truppenführer im Für Ansprüche etwaiger testamentarischer Erben, Landshuter Erbstreit verrechnete. so eventuell doch noch herfur kämen, sollte Man- Dementsprechend finden wir im Inventar der tua Württemberg schadlos halten, wofür Herzog Mantuaner Fürstenlade, des Cassono dali Signi, zu Ulrich im Gegenzug alle nach Abschluss des Ver- dem Entnahmevermerk des Donato de’Preti vom gleichs eventuell sich noch ergebenden Verbind- 29. Dezember 1503 eine Ergänzung. In ihr heißt lichkeiten Barbaras zu bedienen hatte. es, von den vier entnommenen Urkunden seien Und schließlich hatten die Gonzaga, womit die drei verblieben bei Herzog Albrecht von Bayern. Geschichte der vermeintlich verschollenen Doku- Und weiter: Selbiger Herr Donatus überreichte mente endet, noch eine weitere Bedingung gegen- eine papierene Kopie in einem Kästchen mit ande- über dem Schiedsrichter zu erfüllen. Diese seine ren dazugehörigen Schriften. Diese Kopie in Papier Bedingung formulierte Herzog Albrecht am Ende ist eben jene Abschrift, die sich heute noch im seines Spruchs, indem er das Verbum ›tädingen‹ Archivio Gonzaga befindet. Die drei in Mantua verwendet, mit dem alle Arten gütlicher Streitbei- fehlenden Originalurkunden hingegen gingen legung angesprochen werden: Weiter haben wir nicht verloren, sondern blieben um des lieben abgeredt und betädingt, das des von Montua mer- Friedens Willen vor 500 Jahren in München. Dort berurt oratores und potschafft die heirat verweis werden sie bis heute als Hausurkunden Nummer und quitbrief zwischen weilennt hertzog Eberhar- 801 bis 803 in der Abteilung III des Hauptstaats- ten von Wirtenberg und frauen Barbara … und archivs, dem Geheimen Hausarchiv der Wittels- den vertrag, zwischen den von Montua diß erbfalls bacher, verwahrt.

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Der Streit um das Erbe der Barbara Gonzaga Axel Behne

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Für die Gonzaga hingegen war die Verheiratung ephemere Verbindung zwischen Württemberg der Barbarina ein Musterbeispiel kluger Ehepoli- und Mantua sehr anschaulich die Funktion der tik: Barbaras Person und Barbaras Mitgift waren Fürstenehe zu Beginn der Neuzeit zeigt: Für die ein Wechsel auf die Zukunft, eine sehr aussichts- Frau ist die Ehe, sofern sie nicht das Glück hat, reiche Anlage von Familienkapital. Hätte Barbara an einen liebevollen Mann zu geraten, ein Opfer- Kinder gehabt, so hätten die Gonzaga – wie die gang – für ihre Sippe hingegen ist das indivi - Verbindung nach München beweist – spätestens duelle Opfer eine sichere Aussicht auf Gewinn. durch die Rangerhöhung Eberhards im Jahre 1495 Für den Mann ist die Sache auf der individuel- einen weiteren guten Fürsprecher unter den len Ebene ähnlich riskant, für seine Familie aber Reichsfürsten gewonnen. Für den gegenteiligen noch ungleich riskanter. Die Ehe Eberhards im Fall aber, der dann auch eintrat, hatten sie die Bart zeigt schlaglichtartig dieses Risiko der vor- nicht minder reizvolle Aussicht auf einen weitge- teilhaften Heirat einer reichen Braut: Wäre sein henden Rückgewinn ihres Kapitals, verzinst durch Ehebund mit Barbara Gonzaga durch Kinder ge- einen erheblichen Gewinn an Prestige. segnet gewesen, so wäre das mütterliche Erbgut, sowohl das materielle wie das immaterielle, Quellen: selbstverständlich den folgenden Generationen ASMn AG, A II, busta U; D III, 19, busta 218; württembergischer Fürsten zu Gute gekommen. BHStA München, HU 801, 802, 803 Da dieses aber nicht der Fall war, die Ehe kinder- los blieb und zudem noch die Frau den Mann überlebte, so hatte das Haus Württemberg nach Literatur: dem Tod des ersten Herzogspaares ein ansehn - Bader, Das Schiedsverfahren in Schwaben; Behne, liches finanzielles Problem. Ein Vergleich; Stälin, Die Heirath

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SI LV I A HI L D E B R A N D T Barbara Gonzaga: Memoria und Mythos

Im Jahre 2003 jährte sich der Todestag Barbara Gonzagas von Mantua zum fünfhundertsten Male. Aus diesem Anlass widmete ihr auch die Stadt Böblingen, Barbaras ehemaliger Witwen- sitz, eine Gedenkstele (Abb. 1). Neben der Stele ihrer Schwiegermutter, Mechthild von der Pfalz, wurde das von dem Stuttgarter Bildhauer Markus Wolf geschaffene Denkmal auf dem Marktplatz in Böblingen im Rahmen eines kleinen Festes aufgestellt und eingeweiht. Neben ihren Lebens- daten und den Wappen findet sich auch ein Text- ausschnitt aus der Chronik des Stuttgarter Rats- herrn Sebastian Küng auf der Stele: Sie ist das allerhauslichst weib gewesen so man zu ierer zeit hatt finden megen. Mitt vichziehen iern ainigen lust und fröd gehapt darum sie auch das mererthail zu Waltenbuch bei ierem vich hausgehalten. Und in ierem alter zu ungewonlicher grosse geratten deshalb sie auch zu Beblingen uff ier morgengab gestorben und gen Kirchen in das frauwencloster begraben worden (Abb. 2). Wer in Böblingen auf Barbaras Spuren wan- delt, lernt sie als Markgräfin von Mantua, Gräfin und erste Herzogin Württembergs kennen. Der erste beschreibende Satz aus Küngs Chronik, die in die Mitte des 16. Jahrhunderts datiert, gilt dann schon ihrem Ruf als »Hausmutter.« Dem- 1 | Gedenkstele für Barbara Gonzaga in Böblingen, Vorderseite nach fühlte sie sich besonders beim einfachen (Vorlage: Christoph Florian)

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Barbara Gonzaga: Memoria und Mythos Silvia Hildebrandt

Volk wohl, weshalb sie sich oft in ihrem Hof bei Waldenbuch aufgehalten habe. Im Alter neigte sie zu ungewöhnlicher Leibesfülle. So ergibt sich hier das Bild einer braven Hausfrau, den einfachen Bauern zugetan, im Alter zu ungewöhnlicher Dickleibigkeit aufgegangen – eine eigentümliche Reputation, welche die Stele der Öffentlichkeit darbietet. Sucht man nach anderen aktualisierten Spuren der Legende um Württembergs erste Herzogin Barbara vor Ort, stößt man ziemlich schnell an seine Grenzen. Das Böblinger Schloss, in dem sie die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte, steht nicht mehr. Ihr aus historischen Zeugnissen be- kannter Garten in Böblingen ist einer Parkanlage mit Spielplatz und Biergarten gewichen. Die Stadt Kirchheim unter Teck widmete ihr 2003 eine Ausstellung unter dem Titel »Spuren- suche – Barbara Gonzaga in Kirchheim«. Hier wurde die Veranstaltung auf der Website sehr zurückhaltend beschrieben: »Vor 500 Jahren starb Barbara Gonzaga, die Gemahlin Eberhards im Barte in Böblingen. Die Erinnerung an sie ist nach ihrem Tod rasch verblasst. Im Jahr 2003 wird mit einer kleinen Ausstellung von Fund- stücken an diese bemerkenswerte Frau erinnert.« So viel Glanz Barbara Gonzaga von Mantua – in Anbetracht ihrer prominenten Herkunft – auch an den Hof Eberhards im Barte gebracht haben konnte, ihre Spuren verblassen nach ihrem Tode zusehends. Obwohl als Todestag der 30. Mai 1503 genannt wird, ist man sich auch dessen nicht einmal ganz sicher, da ein Grabstein von ihr nicht mehr vorhanden ist und offenbar auch nie existiert hat. Ihr Leichnam galt schon drei Jahrzehnte nach ihrem Tod als verschollen. 2 | Gedenkstele für Barbara Gonzaga in Böblingen, Gehen wir fünf Jahrhunderte zurück: Begraben Rückseite (Vorlage: Christoph Florian) wurde Barbara nicht neben ihrem Mann im Stift

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Silvia Hildebrandt Barbara Gonzaga: Memoria und Mythos

St. Peter auf dem Einsiedel, sondern im Domini- nicht mehr zuweisbar, meint der Obervogt, kanerinnenkloster in Kirchheim unter Teck. Die und hält entsprechende weitere Maßnahmen für Gründe, warum sie hier begraben liegt und nicht überflüssig. an der Seite ihres Mannes, sind unklar. Offenbar Dieser Bericht des Obervogts von Remchingen war dies ihr eigener Wunsch, geprägt von ihrer an Herzog Christoph betreffend die begrebnus der persönlichen Nähe zu den Dominikanerinnen, hertzog von teckh vnd annderen herren, auch vom möglicherweise aber auch eine Folge der Aversion Adel Jn dem Closter daßselbst vnd zu Owen vom des damaligen Herzogs Ulrich von Württemberg 27. November 1551 lautet wie folgt: vf E.f.g. gnedi- gegenüber Barbara. 1514 hatten die Kirchheimer gem bevelch, vonn wegen ettlicher begrebnus, dero Klosterfrauen ihn um Unterstützung zur Einrich- vorältern hochloblicher gedachtnus seligen, so allhie tung einer würdigen Grablege für Barbara gebe- Jm closter begrabenn sein sollten, vnd mich dessenn ten, doch konnte der Vorschlag offenbar nicht zuerkundigen, an welchen orten, vnd Endenn, umgesetzt werden. Denkbar wäre vielleicht noch, dieselibigenn gelegen weren, damit die vßgegraben dass ihr Grabstein beim Brand des Klosters im vnnd an anndere ordt gefurt werden mochten. Das Jahre 1626 zerstört wurde. hab ich also gehorsamlich erstatt, Anfanngs den 1551 verlegte Herzog Christoph von Württem- Platz, daruf der khor gestannden, dar Jnnen dann berg die Grablege der Herzogsfamilie in die die begrebnussen gewessen, erkhundigt, auch was Stiftskirche Tübingen und ließ auch nach dem vonn noten sein, was zugraben, vnnd zusuchen Leichnam Barbaras forschen, um sie neben ihrem were, ich bin aber Jn erfarung khomen, durch mar- Mann beizusetzen. Er beauftragte den Kirchhei- tin pfauten das zween herzogen vnnd zwei frowlin, mer Obervogt Hans von Remchingen mit den Jn der kirchen Jm closter begraben gelegen syen, so Nachforschungen, doch dieser konnte nur closterfrowen gewesst, vnnd die frow vonn mantua, von einem Fehlen der Leiche berichten. Seine die Jm khor Jn dryen gewelben gelegen, vnnd Jn Informationen ergaben, dass Barbara im Chor abbrechung der kirchen all dry vßgegraben, vnd des Kirchheimer Klosters gelegen habe und ihre geofnet. Das gebein was nit verwesen, denn closter- Leiche zusammen mit den sterblichen Überresten frowen vberantwurt wordn, also das zubesorgen, vier anderer Verstorbener – zweier Herzöge von obgleich wyter gegrabn vnnd gebain gefunden wer- Teck und zweier Klosterfrauen – im Zuge von denn sollten, wurde doch niemannds beweiss sein, Umbau- oder Abrissarbeiten 1537 ausgegraben von weem das were, E.f.g. wollte dann zum vber- und ihr Sarg geöffnet worden sei. Ihre Gebeine fluß, denn platz daruf der khor gestannden, durch- sollen nicht verwest gewesen sein, da sie anschei- grabenn lassenn. (wiewol die closterfrowen dess nit nend gut einbalsamiert waren. Der Platz, auf dem gestendig sein wolln) (zitiert nach Raff). der Chor stand, wo die Toten in drei Gewölben Damit verlieren sich Barbaras Spuren in Kirch- bestattet waren, war damals umgegraben worden, heim. Spätestens ab diesem Zeitpunkt gilt ihre derweil ihre Leichname den Nonnen übergeben Leiche – zumindest in der amtlichen Dar stellung worden seien, was die Nonnen allerdings nicht – als verschollen, und mit dem Fehlen eines zugeben wollten. Auch wenn man weitergraben Grabes war auch kein liturgisches Gedenken für und noch Gebeine finden sollte, wären diese Barbara durch den Kirchheimer Nonnenkonvent

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Barbara Gonzaga: Memoria und Mythos Silvia Hildebrandt

3 | Gräfin Barbara beim »Gräfin von Mantua-Fest« der Schlepperfreunde in Waldenbuch (Vorlage: Tina Sauerwald)

mehr zu erwarten. Ihre Memoria war gebrochen. eine gute Haußhälterin, hatte große Lust zur Vieh- Bald schon nahm sich die württembergische zucht, darumb wohnt sie vihl zu Waltenbuch, da sie Geschichtsschreibung der Gestalt der ersten schön weiß Vieh hatte, weiß Jakob Frischlin noch württembergischen Herzogin und Gemahlin der um 1600 zu berichten (Zitat nach Raff). Die leuchtenden Fürstenpersönlichkeit Eberhards im württembergischen Chronisten hatten sie damit Bart an. Wie auf der eingangs angesprochenen offensichtlich profiliert. Gedächtnisstele in Kirchheim zitiert, wird Bar- Barbaras Bild sollte dann im 19. Jahrhundert bara hier vor allem als »häuslich« und naturver- weiter romantisiert werden, wobei vor allem ihre bunden dargestellt. In Hinblick auf ihr Äußeres Volksnähe ausgeschmückt wurde. So habe sie lie- wird neben ihrer jugendlichen Schönheit die ber mit ihren Untertanen Speck und Erbsen ge- ungewöhnliche Leibesfülle im Alter betont. Und gessen, als diese hungern zu sehen: »Als einst das darüber hinaus: Sie war eine verständige Fürstin, Land von Theuerung gedrückt war, hörte man sie

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Silvia Hildebrandt Barbara Gonzaga: Memoria und Mythos

auf der Weinsteig (bei Stuttgart) sagen: ›sie wolle das besonders von ihrer Volkstümlichkeit geprägt gern (mit den Landleuten) Speck und Erbsen ist. Ihre verschüttete historische Persönlichkeit essen‹; welche Rede lange zu ihrem Andenken als freilich gilt es erst wieder zu entdecken. Sprüchwort geblieben (sei)« (Pfister 1820). Diese besondere Volksnähe sollte den »Mythos« um Barbara Gonzaga im Besonderen gestalten. Quellen: Wo und in welcher Form ist die Erinnerung HStAS A 364 Bü 3; WLB Cod. hist. 2° 73 an Barbara Gonzaga heute noch präsent? Neben (Jakob Frischlin); Pfister, Grav Eberhart; der Gedächtnisstele in Böblingen erinnert eine Sommer, Die Stuttgarter Chronik weitere in Kirchheim an den Ort ihres Grabes in der ehemaligen Dominikanerinnenkirche, die ebenfalls zu ihrem 500. Todestag im Jahr 2003 Literatur: aufgestellt wurde. Auch im Waldenbucher Orts- teil Hasenhof wurde noch 2009 ein Gedenkstein Decker-Hauff, Frauen; Raff, Hie gut Wirtemberg; für sie errichtet, der mit ihrer dortigen »Meierei« Severidt, Barbara an ihre Volksnähe und Naturverbundenheit erin- nert (vgl. S. 310 f.). In Waldenbuch findet auch seit 1980 alljährlich Internetseiten: das »Gräfin-von-Mantua-Fest« statt. Hier wird Stuttgarter Zeitung vom 13. 6. 2009 über das sie als die volksnahe und warmherzige »Haus- Gräfin-von-Mantua-Fest in Waldenbuch mutter« verkörpert. Der Musikverein Stadtka- (Claudia Barner): http://www.stuttgarter-zei- pelle Waldenbuch 1888 e.V. organisiert das Fest tung.de/stz/page/2053429_0_8659_-einmal- immer im Mai, die Studentin Tina Sauerwald im-jahr-tauscht-sie-jeans-gegen-samtrock.html schlüpfte über Jahre in die Rolle der Gräfin Bar- (Rev. 07.01.2010) bara (Abb. 3). In ein goldenes Brokatgewand Schlepperfreunde Waldenbuch, Gräfin-von- gekleidet zog sie so zu Beginn des Festes mit Mantua-Fest: http://www.schlepperfreunde- ihrem mittelalterlich gewandeten Gefolge ein und waldenbuch.de/feste.htm (Rev. 07.01.2010) begab sich dann so schnell wie möglich unters Barbara Gonzaga in Böblingen: http://www.zeit- Volk. Mittlerweile hat sie ihre Rolle der Gräfin reise-bb.de/boebl/boebl/gesch/barbara.html von Mantua weitergegeben. Weiterhin machen (Rev. 07. 01. 2010) auch Volkmusik und deftiges Essen den Großteil Kreiszeitung Böblinger Bote über die Gedenkstele des Festes aus, daneben wird eine Ausstellung mit auf dem Böblinger Marktplatz: historischen landwirtschaftlichen Fahrzeugen http://www.adv-boeblingen.de/zrbb/pdf/ präsentiert. Für die »Gräfin Barbara« wird damit barbara.pdf (Rev. 07. 01. 2010) in Waldenbuch ein »gutes Andenken« gepflegt,

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