Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH

Sabine Behn / Heinz J. de Vries

Der Kiez um den Traveplatz

Kiezbericht der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojektes „Kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention“

Im Auftrag der Landeskommission gegen Gewalt

Die wissenschaftliche Begleitung wird finanziert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Berlin 1999

Herausgeber: Camino Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH Scharnhorststr. 5 10115 Berlin e-mail: [email protected]

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Einleitung 4 Gebietskarten 6 Beschreibung der Untersuchungsbereiche 8

Historische Entwicklung des Modellgebietes 9

Die Infrastruktur im Friedrichshainer Modellkiez 12 Verkehr 12 Wohn(raum)situation 12 Frei- und Grünflächen 13 Kommerzielle Infrastruktur 14 Soziale Infrastruktur 14 Kinder- und Jugendeinrichtungen 16

Statistische Daten zum Modellgebiet (Lebensbereich 8 und 9) und zum Gebiet um den Traveplatz 18 Bevölkerungsentwicklung 18 Wohn- und Einkommensverhältnisse im Sanierungsgebiet Traveplatz/ 24

Der Kiez um den Traveplatz – Zum Lebens- und Sicherheitsgefühl 27 Kiez 27 Kiezgrenzen 27 Kiezbindung und -zufriedenheit 29 Kiezentwicklung 32 Sozialstruktur 36 Das subjektive Sicherheitsgefühl im Kiez 39 Kriminalitätsbelastung 41 Einschätzungen zur Kriminalität 43 Gewalt 45 Gewalt und Kriminalität als Unsicherheitsfaktoren 47 Verunsicherung durch „nichtkriminelle“ Faktoren 48 Probleme und Problemgruppen 52 Äußere Verwahrlosung: Verschmutzung und Müll und andere Probleme 52 Das Problem des Kiezes: Hunde und ihre Besitzer/innen 53 Die „Asis“, „Klebrigen“ und „Bunten“ 56 Die „Hausbesetzer/innen“ 57 Die „Alkoholiker/innen“ am Traveplatz 58 Jugendcliquen 59 Umgang mit Verunsicherungen im Sozialraum 61 Maßnahmen 63

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Anlage 66 Anlage und Methode der Untersuchung 66 Anlage der Untersuchung 66 Durchführung der Fragebogenerhebung 66 Durchführung der Interviews 66 Anlage des Fragebogens 67 Repräsentativität der Fragebogenerhebung 67 Fragebogen 69

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Einleitung

Das Modellprojekt „Kiezorientierte Gewalt- und Kriminalitätsprävention“ wird seit 1997 in je einem ausgewählten Kiez der Berliner Bezirke Neukölln und Friedrichshain umgesetzt. In Neukölln handelt es sich hierbei um die Rollbergsiedlung, in Friedrichshain um die Lebensbereiche 8 und 9. Initiiert und konzipiert wurde das Modell von der Landes- kommission Berlin gegen Gewalt. Seit Februar 1998 hat Camino – Werkstatt für Fortbil- dung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH – die wissenschaft- liche Begleitung des Modellprojektes übernommen, die vom Bundesministerium für Fa- milie, Senioren, Frauen und Jugend finanziert wird. Die Konzeption des Modellprojektes geht davon aus, daß auf Kiezebene gehandelt werden muß, um Gewalt und Kriminalität zu begegnen. Von daher erweist sich eine ge- naue Kenntnis des Sozialraumes als notwendig, um die drängenden lokalen Problem- lagen zu erfassen, die Bürger/innen vor Ort zu aktivieren sowie ein problemorientiertes Handeln von professionellen Mitarbeiter/innen und Bürger/innen zu unterstützen. Dementsprechend hat Camino im Herbst 1998 eine ausführliche Untersuchung und Be- schreibung der beiden Modellkieze vorgenommen. Sie umfaßt folgende Aspekte:  Geschichte der Modellgebiete,  die Analyse der soziodemograpischen Daten zu Bevölkerungsstruktur, Wanderungs- bewegungen und sozialer Situation,  die Analyse der polizeilichen Daten zur Kriminalitätsentwicklung,  eine Untersuchung zur Einschätzung von Lebensqualität und Sicherheitsgefühl, die aus einem quantitativen und einem qualitativen Teil besteht,  eine Darstellung der Infrastruktur der Modellgebiete,  Ergebnisse einer Befragung der Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit. Aufgrund der Größe des Modellgebietes in Friedrichshain wurde im Rahmen der Unter- suchung zu Lebens- und Sicherheitsgefühl eine Einschränkung auf den Kiez um den Traveplatz vorgenommen, da hier ein Schwerpunkt der lebensweltnahen Aktivitäten des Modellprojektes der kiezorientierten Gewalt- und Kriminalitätsprävention liegt. Kernstück der Soziaraumanalyse ist die Untersuchung zur Einschätzung der Lebensqua- lität und zum Sicherheitsgefühl, die mittels zweier sich ergänzenden Befragungen um- gesetzt wurde. Ihr Fokus liegt auf den Bereichen „Unordnung“/Störungen, Sicherheits- gefühl und Kriminalität. Darüber hinaus wurde die allgemeine Stimmungslage und Lebensqualität im Viertel erfaßt. Erst in diesem Kontext ist die Intensität der Störung durch Probleme und Kriminalität feststellbar. Die Ansichten und Bedürfnisse der Menschen vor Ort bilden die Grundlage der Analyse. In vielen Studien hat sich gezeigt, daß sich in der Perspektive der betroffenen Menschen erlittene und durch Bekannte oder Medien berichtete Kriminalität sowie nicht-kriminelle Belästigungen und das äußere Erscheinungsbild des eigenen Stadtviertels zu einem

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Konglomerat verdichten. Erst dieses Konglomerat führt zu einer Beeinträchtigung des Sicherheitsgefühls und zuletzt der Lebensqualität. Die Untersuchung bringt dabei deutlich zum Ausdruck, daß sowohl in dem Friedrichs- hainer als auch in dem Neuköllner Modellkiez den nicht-kriminellen Faktoren die größere Bedeutung in Hinblick auf das (Un-)Sicherheitsgefühl der Bewohner/innen zukommt. Der vorliegende Kiezbericht beruht auf der Zusammenfassung der Sozialraumanalyse des Friedrichshainer Modellgebietes. Er präsentiert die wichtigsten Ergebnisse der Unter- suchung, ergänzt um Karten und Fotos. Damit ergibt sich ein anschauliches und leben- diges Bilde des Kiezes um den Traveplatz.

Berlin, im Frühjahr 1999

Sabine Behn Heinz J. de Vries

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Gebietskarten

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Beschreibung der Untersuchungsbereiche

Es werden folgende Bereiche unterschieden1:  Travekiez (Wohnblöcke 116044 bis 116646, 116065 bis 116672);  Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz (Wohnblöcke 116066 bis 116070, 116071 und 116072, 116074, 116076, 116078 bis 116081 und 116083 bis 116085;  Modellgebiet Friedrichshain (Wohnblöcke 116013 bis 116602);  statistisches Gebiet Boxhagener Straße (statistisches Gebiet 116);  Bezirk Friedrichshain;  Land Berlin. Im Rahmen der Regionalisierung der Jugendhilfe in Friedrichshain wurde der Bezirk unter Lebensweltgesichtspunkten in Lebensbereiche aufgeteilt. Das Modellgebiet umfaßt die Lebensbereiche 8 und 9. Der Lebensbereich 8 ist im wesentlichen der Bereich nördlich der Boxhagener Straße bis zur Frankfurter Allee und der Lebensbereich 9 das Gebiet südlich der Boxhagener Straße bis zum S-Bahnring.

1 Die statistischen Daten stammen – soweit nichts anderes vermerkt wird – vom statistischen Landesamt.

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Historische Entwicklung des Modellgebietes

Das Modellgebiet in Friedrichshain, zwischen der Frankfurter Allee im Norden, der Re- valer Straße im Süden, der Gürtelstraße im Osten und der Warschauer Straße im Westen gelegen, war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend unbebautes Acker- und Gar- tenland. Das Gebiet lag unmittelbar außerhalb der 1732 errichteten Zollmauer (Ober- baumbrücke—Warschauer Straße—Marchlewskistraße—Frankfurter Tor), die bis 1862 bestand und bis dahin die Berliner Stadtgrenze bildete. Im 13. Jahrhundert besaß eine Familie Buch (auch Buck oder Bug) nordwestlich des heu- tigen Bahnhofs Ostkreuz das Dorf und Rittergut Buchshagen. 1358 erwarben die Städte Berlin und Cölln das Gelände. 1786 nahm der Stadtverordnete Sonntag das Vorwerk Boxhagen in Erbpacht, bis 1859 seine Erben das Terrain kauften, um dort Mietshäuser zu bauen. Entlang der Straße nach Frankfurt/Oder nördlich des Wismarplatzes wurde 1771 durch ein Dekret Friedrichs II. die böhmische Kolonie Friedrichsberg gegründet. Von dieser An- siedlung sind heute keine Gebäude mehr erhalten. Etwa 1850 begann im Zuge der Industrialisierung und des damit verbundenen sprung- haften Bevölkerungswachstums die Bebauung des Gebietes. Gemäß dem 1862 von Hobrecht aufgestellten Bebauungsplan entstanden in den folgenden Jahren Mietska- sernen mit lichtlosen Hinterhöfen als Wohnquartiere für die Arbeiter/innen der im Gebiet angesiedelten Industriebetriebe. Planung und Bau der Mietskasernen hatten sich dabei lediglich nach der „Baupolizeiordnung für Berlin und dessen Baupolizeibezirk“ von 1853 zu richten. In dieser Verordnung ging es vor allem um Feuerschutz. So mußten die Hin- terhöfe nur eine Breite und Tiefe von je 5,60 m haben – eine Mindestbreite, die zum Um- drehen der Feuerspritze erforderlich war. Die sanitären Vorschriften waren dürftig und unbestimmt. Eine Beschränkung der ausnutzbaren Baufläche gab es nicht. Neben den Wohngebäuden mit Vorderhaus, Seitenflügeln und Quergebäude wurden, meist auf den hinteren Flächen der Grundstücke, Gewerbegebäude errichtet. Wohnen und Arbeiten waren hier in einem der größten Arbeiterviertel des Berliner Raumes aufs engste mitein- ander verbunden. Für die Ansiedlung von größeren Industriebetrieben war die Eröffnung der Eisenbahnlinie nach Frankfurt/Oder mit dem Frankfurter Bahnhof (heute Ostbahnhof) in unmittelbarer Nähe von Bedeutung. Bis 1910 war die Bebauung weitgehend abge- schlossen. In der Bahnhofstraße 9–17 entstand zwischen 1913 und 1916 die Industrieanlage der Firma Knorr-Bremse, ein Industriebetrieb von internationaler Bedeutung, der bereits seit 1883 an der Ringbahnunterführung am Ostkreuz eine alte Produktionsstätte hatte. Sein damaliger Besitzer war der amerikanische Ingenieur Carpenter. Hier wurden Einkammer- schnellbremsen für Eisenbahnen hergestellt, die allen bisherigen Bremssystemen über- legen waren. Das Gebäude, ein bedeutendes Industriedenkmal, das in den letzten Jahren aufwendig saniert wurde, wird heute vor allem von Dienstleistungsunternehmen genutzt, u. a. ist hier die Berliner Berufsakademie untergebracht.

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Seit 1920 gehört das Gebiet zu Berlin, wobei der Bereich nordöstlich der Boxhagener Straße bis 1938 zum Bezirk Lichtenberg gehörte. 1930 wurde die U-Bahnlinie 5 in Betrieb genommen, neben der Stadtbahn eine weitere wichtige Verbindung in das Zentrum der Stadt. Im Zweiten Weltkrieg wurden über 65 Prozent aller Gebäude zerstört oder stark beschä- digt. Friedrichshain gehörte damit zu den am schwersten zerstörten Bezirken . Über die Hälfte der Wohnungen war unbenutzbar, viele der Schulen und Fabrikgebäude lagen in Trümmern. Die Frankfurter Allee war zu einem unpassierbaren Trümmerfeld ge- worden, und in der Warschauer Straße lagen die Trümmer bis zu 4 m hoch. Es war die Zeit der Trümmerfrauen. 25 km Schmalspurgleise für die Trümmerbahnen durchzogen die Straßen. Enttrümmern und Aufräumen wurden zur Alltagsarbeit. Die bis 1949 verkippten zweieinhalb Millionen Kubikmeter Trümmermassen wurden zum nahegelegenen Volks- park Friedrichshain gefahren. Im Rahmen des von der SED 1952 verkündeten „Nationalen Aufbauprogramms Berlin“ entstanden im Eiltempo die ersten Neubauten entlang der Frankfurter Allee (damals Sta- linallee). Bereits 1952 zogen die ersten Mieter/innen ein. In den folgenden Jahren wurden einzelne Baulücken geschlossen, und an einigen Gebäuden wurde mit der Modernisie- rung und Sanierung der Bausubstanz begonnen, ohne daß der zunehmende Verfall der Wohngebäude und die Monotonie des Straßenbildes wirksam aufgehalten werden konn- ten. Anfang der 80er Jahre entstanden 6- bis 8geschossige Häuser entlang der Frankfurter Allee zwischen Niederbarnimstraße und der Ringbahn mit einer für diese Zeit in Ostberlin typischen aufgelockerten Fassadengestaltung. Anfang der 90er Jahre wurden mehrere Häuser des Gebietes besetzt, u. a. in der Mainzer Straße, der Kinzigstraße und in der Kreutziger Straße. Die Hausbesetzungen machten die Probleme des Leerstands und des Verfalls der Häuser im Gebiet auch über die Bezirks- grenzen hinaus bekannt. Als im November 1990 der Berliner Senat die Räumung der besetzten Häuser durch die Polizei in der Mainzer Straße anordnete, kam es zwischen Hausbesetzern und der Polizei zu stundenlangen Häuserkämpfen, die schließlich mit der Verhaftung der Hausbesetzer endeten. Mit Senatsmitteln in Höhe von 40 Millionen Mark wurde die Straße von der „Kreuzberger Gesellschaft für Sozialen Wohnungsbau“ saniert. So entstanden die ersten 220 sanierten Wohnungen des Gebietes nach der Wende. Drei Bereiche des Bezirkes Friedrichshain wurden per Senatsbeschluß zu Sanierungs- gebieten erklärt. Der Bereich Traveplatz/Ostkreuz erhielt diesen Status im Oktober 1994. Ein größerer Teil des Modellgebietes und zwar die östliche und westliche Seite der Lebensbereiche 8 und 9 unterliegen somit einem gesetzlich geregelten Sanierungsver- fahren. Ziele der Sanierung sind – neben der Verbesserung der Wohnqualität –, die ge- wachsenen sozialen Strukturen des Gebietes und damit die Durchmischung von Wohnen und Kleingewerbe zu erhalten, den Frei- und Grünflächenanteil u. a. durch Schaffung größerer begrünter Innenhöfe deutlich zu verbessern und dabei das Mietniveau möglichst niedrig zu halten. Diesbezüglich wurde durch Beschluß des Bezirkes eine Mietobergrenze

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„zur Regelung der Miethöhe nach Modernisierungsmaßnahmen aufgestellt“2. Diese Regelung gilt allerdings nur für die Sanierungsgebiete. Das Gebiet um den Boxhagener Platz – der mittlere Bereich des Modellgebietes – ist davon ausgenommen. Hier gilt seit dem 16.4.1999 eine Millieuschutzverordnung. „Ihr Ziel ist es, auf Modernisierungsmaß- nahmen soweit steuernd Einfluß zu nehmen, daß die angestammte Wohnbevölkerung vor Verdrängung geschützt wird. Die notwendige Erneuerung der Altbausubstanz soll damit aber nicht verhindert werden.“3 Zentrales Steuerungselement dieser Verordnung ist die Koppelung der Sanierungsmaßnahmen an Mietobergrenzen. Die Wohnungsbauge- sellschaft Friedrichshain kritisiert diese Vorgehensweise als ein Investitionshemmnis, daß keine geeignete Entwicklungsperspektive für das Modellgebiet bietet.4 Ergebnisse einer Untersuchung im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zeigen, daß in den Altbauquartieren des Friedrichshainer Modellgebietes gegenwärtig ein gleichzeitiges und enges Nebeneinander von Aufwertungs- und Abwertungsprozessen stattfindet. Vor diesem Hintergrund warnt der Verantwortliche der Studie vor den Folgen angesichts fehlender öffentlicher Mittel für die Förderung der erforderlichen Sanierungs- prozesse: „Es entsteht die katastrophale Alternative zwischen Sanierung und Vertreibung der alten Mieter einerseits und Nichtsanieren und der daraus folgenden sozialen Ent- mischung andererseits.“5 Seit Frühjahr 1999 hat ein neues senatsgefördertes Projekt mit der Bezeichnung „Quar- tiersmanagement“ die Aufgabe, durch die Aktivierung und Vernetzung regionaler Res- sourcen im Gebiet um den Boxhagener Platz „der zunehmenden Spaltung Berlins in arme und reichere Stadtteile entgegenzuarbeiten“6. Seine Wirksamkeit angesichts der aufge- zeigten Problematik bleibt abzuwarten.

2 ASUM (Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung im Auftrag des Land Berlin), Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz zwischen 1991 und 1997, Berlin 1997, S. 5. 3 Bezirksamt Friedrichshain, Abtlg. Bau- und Wohnungswesen, Information zum Milieuschutz für das Gebiet „Boxhagener Platz“, Berlin 1999, S. 1. 4 Vgl.:Norden, P., Kein guter Stern für Friedrichshain!, in: Friedrichshain, 4. Jg., 4/1998, S. 6. 5 Yuppie-Viertel oder Ghetto der Verlierer? Zukunftsperspektiven für Friedrichshains Sanierungsquartiere, in: Friedrichshain, Zeitschrift für Stadterneuerung, 4. Jg., 3/1998, S. 12. 6 Quartiersmanagement. Erste Hilfe zweiter Klasse?, in: Friedrichshain, 5. Jg., 1/1999, S. 8.

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Die Infrastruktur im Friedrichshainer Modellkiez

Die folgende Analyse der Infrastruktur des Modellgebietes in Friedrichshain bezieht sich auf die Lebensbereiche 8 und 9.

Verkehr

Die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr ist als ausgesprochen gut zu bezeichnen.  Die berührt im Norden mit den drei Stationen Frankfurter Tor, Samariterstraße und Frankfurter Allee das Modellgebiet.  Sechs S-Bahnlinien führen im Süden vorbei (Bahnhöfe: Warschauer Straße und Ost- kreuz). Im Osten begrenzt die Ringbahn (, und S10) mit den Bahnhöfen Ostkreuz im Südosten und Frankfurter Allee im Nordosten das Modellgebiet.  Zwei Straßenbahnlinien durchqueren das Gebiet (Linie 21 und Linie 23). Zwei Stra- ßenbahnlinien tangieren es, die Linie 20 im Westen (Warschauer Straße) und die Linie 17 im Nordosten (Scharnweberstraße).  Die Buslinie 240, die durch die Grünberger Straße und die Boxhagener Straße geht, durchquert das Gebiet ebenfalls. Radwege gibt es im Modellgebiet nicht. Nach der Wende hat das Verkehrsaufkommen im Wohngebiet sehr stark zugenommen. Dies belastet die Lebensqualität, z. B. durch wachsende Umweltbelastungen, durch die Erschwerung der Fahrbahnüberquerung oder den Verlust des Straßenraums für andere Nutzungen.

Wohn(raum)situation

Die Wohngebäude stammen überwiegend aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Fünf- geschossige Häuser in Blockrandbebauung mit engen, lichtlosen Höfen prägen das Bild. Feststellbar ist ein überproportionaler Anteil an Ein- und Zweizimmerwohnungen. Cha- rakteristisch für diese Altbaustruktur sind eine schlechte (sanitäre) Ausstattung der Woh- nungen und eine hohe Dichte und damit verbunden ungünstige hygienische Verhältnisse, häufig einhergehend mit einer maroden Bausubstanz, da über viele Jahrzehnte hinweg keine gründliche Instandsetzung vorgenommen wurde. Vor diesem Hintergrund besteht ein hoher Leerstand an Wohnraum im Altbaubereich, in manchen Wohnblöcken liegt dieser zum Teil über 30 Prozent. Eine Ausnahme hierzu bieten die entlang der Frankfurter Allee und den südlich abzweigenden Seitenstraßen in den 80er Jahren entstandenen 5- bis 8geschossige Häusern in Plattenbauweise. Insbesondere seit Mitte der neunziger Jahre entwickelt sich in diesem Gebiet eine um- fangreiche Sanierungstätigkeit, die gegenwärtig das äußere Erscheinungsbild prägt.

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(Omas auf der Bank)

Frei- und Grünflächen An Frei- und Grünflächen herrscht im Gebiet extremer Mangel. Kleinere Grünflächen, die durch „Übernutzung“ ständig verschmutzt und außerdem von Verkehrslärm umgeben sind, finden sich lediglich auf dem Boxhagener Platz, dem Trave- und dem Wühlischplatz. Spielplätze gibt es mangels freier Flächen ebenfalls kaum, und die wenigen vorhandenen sind sehr beengt, wie z. B. die Plätze in der Simplonstraße 4, der Wühlischstraße 4 und der Jessnerstraße 13, die auch nur für Kinder unter 6 Jahren geeignet sind. Attraktiv ist besonders der Abenteuerspielplatz an der Boxhagener/Ecke Kreutziger Straße. Die Spiel- plätze auf dem Trave- und dem Boxhagener Platz sind für Kinder durch Schmutz und Hundekot nur mit Einschränkungen benutzbar. Fast alle anderen Spielplätze gehören zu Kindertagesstätten, so auch der große Spielplatz an der Gryphiusstraße. Ein beliebter Treff zum Spielen ist die Freifläche in der Nähe des Bahnhofs Ostkreuz zwischen Lenbach- und Sonntagstraße. Besonders für Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren gibt es im Gebiet wenig Möglich- keiten der Freizeitgestaltung im Freien. Die Schulen verfügen meist über nur sehr enge Schulhöfe, auf denen kaum der Sportunterricht durchgeführt werden kann. Der größte Sportplatz des Bezirks, der Kurt-Ritter-Sportplatz an der Gürtelstraße, ist durch Aktivitäten der Sportvereine mehr als ausgelastet. Im Gebiet nördlich der Boxhagener Straße fehlen Jugendeinrichtungen für die über 15jährigen.

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Kommerzielle Infrastruktur (Peru kämpft) Die Einkaufsmöglichkeiten für die Bewohner/innen sind gut. In der Frankfurter Allee bietet neben den Rathaus- Passagen und dem „Plaza“ vor allem das Ring-Center I und II am U- und S-Bahnhof Frankfurter Allee vielfältige Einkaufsmöglichkeiten, sowohl in dortigen Einzel- handelsläden als auch in Filialen von größeren La- denketten. Entlang der War- schauer Straße finden sich zahlreiche Einzelhandels- geschäfte. Innerhalb des Gebietes be- finden sich Läden vor allem zur Deckung des täglichen Bedarfs, mehrere Kneipen, Imbißstuben und Cafés sowie kleinere Handwerks- betriebe. Die Existenz dieser kleineren Betriebe ist aller- dings durch die naheliegenden Einkaufszentren bedroht: Vor allem in den Sanierungs- gebieten stehen schon viele Ladengeschäfte leer.

Soziale Infrastruktur Die meisten zentralen Ämter und Einrichtungen des Bezirks befinden sich in der Frank- furter Allee 35/37, am nördlichen Rand des Gebietes, und sind somit für die Bewoh- ner/innen gut zu erreichen. Im Modellgebiet befinden sich 14 Kindertagesstätten, davon werden neun vom Bezirks- amt, eine von der evangelischen Kirche und vier von Eltern-Initiativ-Gruppen geführt. Die sieben Schulen des Gebietes teilen sich auf in vier Grundschulen, eine Realschule, eine Gesamtschule und ein Gymnasium. Die Schülerzahl in den Grundschulen ist rück- läufig, so soll eine der Grundschulen in absehbarer Zeit geschlossen werden. Der Schwerpunkt der Zille-Grundschule in der Boxhagener Straße ist die besondere För- derung und Integration von lernschwachen und lernbehinderten Kindern. Die Modersohn- Grundschule hat Vorbereitungsklassen für Kinder eingerichtet, die kein Deutsch sprechen.

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Die ABS Brücke GmbH hat im Gewerbehof in der Warschauer Straße 58a/59a ein Zen- trum zur Hilfe und Beratung für alle Altersgruppen aufgebaut. Hier wird den Bewoh- ner/innen des Kiezes Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, Lebens- und Problembewäl- tigung sowie Hilfe bei Behinderungen u. v. m. angeboten. Im Selbsthilfetreffpunkt in der Boxhagener Straße 62a befinden sich vielfältige Beratungs- und Selbsthilfeeinrichtungen für alle Bewohner/innen des Gebietes. Das Themenspektrum reicht von Ausgesiedelt – angekommen über Lebensmut und No Mobbing hin zum Voll- wertstammtisch. FUN – Familie und Nachbarschaft der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familien- fragen (EAF) in der Gabriel-Max-Straße 15a berät Jugendliche, Familien und Alleiner- ziehende und entwickelt für diese Zielgruppen Bildungs- und Freizeitangebote. Die Volkssolidarität und das Unionhilfswerk haben in der Boxhagener Straße 93 bzw. in der Grünberger Straße 49 Sozialstationen eingerichtet. In der Boxhagener Straße 93 befindet sich außerdem eine Seniorenfreizeitstätte. Neben den bereits erwähnten Einrichtungen der Volkssolidarität und der ABS-Brücke GmbH, die u. a. Angebote für Senioren und Seniorinnen machen, unterstützen zwei wei- tere private Vereine die Senior/innen in diesem Gebiet. Der Verein Jahresringe in der Boxhagener Straße 18 leistet mit seinem Projekt Handwerker-mobil Haushalts- und handwerkliche Hilfen für Senior/innen. Der Motor-Club Mitte e. V. in der Dirschauer Straße 1 organisiert Hol-, Bring- und Begleitdienste sowie Gruppenausflüge für Senior/innen. Für Hilfe und Beratung von Behinderten gibt es im Gebiet mehrere Einrichtungen, in Trä- gerschaft sowohl des Bezirksamtes als auch von freien Trägern. Die Beratungsstelle für Hör- und Sprachbehinderte in der Finowstraße 39 ist eine Einrichtung des Bezirksamtes. Die Betreuungshilfe e.V. in der Kreutziger Straße 5 leistet Hilfe in vielfältigen Lebens- situationen für Behinderte. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die Ferienbetreuung behinderter Kinder und Jugendlicher. Die Integral Bürgerinitiative für Menschen mit Behinderung in der Grünberger Straße 86 unterstützt behinderte Menschen und hat zudem in der Gärt- nerstraße 5 eine Werkstatt für Behinderte eingerichtet. Die Sozialberatungsstelle der Treberhilfe e.V. in der Niederbarnimstraße 21 bietet jungen Menschen des Gebietes Beratung in Fragen der Sozialhilfe, Hilfe bei Miet- und Energie- schulden und bei der Vermittlung Obdachloser von 18-25 Jahren an. Eine Mietschuld- nerberatung hat die Arbeiterwohlfahrt in der Boxhagener Straße 113 eingerichtet. Die Begegnungsstätte BOX 66 des Vereins für Gleichstellungsfragen und sozialen Schutz in der Boxhagener Straße 66 bietet soziale Dienste für ausländische Bewohner/innen an. Die Selbsthilfegruppe Alkoholfreies Leben e. V. in der Scharnweberstraße10 organisiert Hilfe durch Selbsthilfe von Betroffenen für Betroffene. In der Scharnweberstraße 49 führt das Sozialpädagogische Institut Berlin (SPI) eine Suchtberatungsstelle. Mit diversen the- rapeutischen Maßnahmen, Hilfen, Informationen und Beratungen wird hier versucht, drogen-, alkohol- und medikamentenabhängigen Menschen zu helfen.

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(skandal)

Kinder- und Jugendeinrichtungen Von den 15 Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen des Gebietes werden sechs vom Bezirksamt und neun von freien Trägern geführt. Die Einrichtungen des Bezirksamtes sind:  Der Glatzkasten in der Boxhagener Straße 86-87: Hier wird für Kita- und Schulgruppen Gelegenheit zu kreativem Gestalten in den Bereichen Malerei, Keramik, Grafik u.ä. geboten.  In der Kinderfreizeiteinrichtung in der Konitzer Straße 2 stehen für Kinder ab 9 Jahren neben offenen Angeboten eine Ton- und Holzwerkstatt sowie schulbezogene Angebote zur Verfügung.  Im Studio Otto Nagel in der Simplonstraße 27 können Kinder zwischen 8 und 10 Jah- ren malen, zeichnen und drucken.  Der Jugendclub Skandal in der Gryphiusstraße 29-31 bietet für 14- bis 24jährige Jugendliche neben dem Offenen Bereich sportliche Betätigungen, Theater-, Video- und Fotoarbeit, Projekte im Tonstudio, eine Disco und einen „Mädchentalk“ an.  Außerdem gibt es zwei Kinderbibliotheken, in der Boxhagener Straße 89 und in der Seumestraße 31.

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Die Einrichtungen der freien Träger sind:  Der Jugendtreff nimmerland in der Kreutziger Straße 19, geführt vom „Abenteuer- spielplatz Friedrichshain e. V.“, bietet Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren Kino, Kochen, Workshops sowie Wäschewaschen und Duschen an.  In der Warschauer Straße 58a/59a bietet die ABS Brücke GmbH in ihrer Jugendein- richtung Guckkasten eine Fülle von Freizeitaktivitäten für Kitas und Schulen und damit die Möglichkeit, das Miteinander von deutschen, ausländischen und behinderten Kin- dern zu erleben.  In der Travestraße 3 befindet sich die Kinderoase. Hier werden umwelt- und kiezbe- zogene Projekte, Sport, Bildungs- und Kulturangebote für Kinder und Jugendliche im Alter von 8 bis 15 Jahren angeboten.  Der Schülerladen East Side des Vereins Berlin Cult e. V. befindet sich in der Gabriel- Max-Straße 3. Hier können Jugendliche von 14 bis 21 Jahren den Offenen Bereich nutzen und bei Foto- und Videokursen, Gitarrenspiel, Sportprojekten und weiteren kulturellen Angeboten ihre Freizeit gestalten. Diese Einrichtung wird besonders von Jugendlichen ausländischer Herkunft frequentiert.  Das Kontakt- und Beratungszentrum in der Krossener Straße 34 des Fördervereins Heureka e. V. hilft Jugendlichen beim Umgang mit Behörden und bei Bewerbungen.  Der Schülertreff bö 9 des Vereins päd e. V. in der Böcklinstraße 9 bietet Jugendlichen von 9 bis 20 Jahren vielfältige Freizeitangebote sowie die Organisation von Wochen- end- und Ferienreisen. Die beiden Kirchengemeinden des Gebietes, die evangelische Offenbarungsgemeinde in der Simplonstraße 29–31 und die katholische Dreifaltigkeitsgemeinde in der Böck- linstraße 7–8, geben Jugendlichen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung bei Sport und Spiel sowie bei Bildungs- und Kulturveranstaltungen.

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Statistische Daten zum Modellgebiet (Lebensbereich 8 und 9) und zum Gebiet um den Traveplatz

Bevölkerungsentwicklung

Friedrichshain ist flächenmäßig der kleinste Berliner Bezirk. Die Bevölkerungsdichte beträgt allerdings knapp das Dreifache des Berliner Durchschnittes. Laut Sozialstruktur- atlas Berlin 1997 nimmt der Sozialindex des Bezirkes, der soziale Daten wie Einkommen, Arbeitslosigkeit und Sozialhilfedaten spiegelt, im Vergleich der 23 Berliner Bezirke den sehr schlechten Rang 20 ein. Gleiches gilt auch für das statistische Gebiet Boxhagener Straße, das den 163. Rang von 193 Rängen einnimmt.

Tabelle 1: Einwohner am 31.12.1992 und 30.6.1998

Gebiet 31.12.1992 30.6.1998 Differenz in Prozent Statistisches Gebiet Boxhagener Straße 36.202 33.406 -7,72 Modellgebiet Friedrichshain 30.652 28.041 -8,52 Travekiez 4.103 3.693 -10,00 Bezirk Friedrichshain 106.749 98.786 -7,46 Berlin gesamt 3.456.891 3.377.611 -2,29

Auffällig ist der überdurchschnittliche Bevölkerungsverlust im Gebiet um den Traveplatz. Während der Abbau der Bevölkerung in absoluten Zahlen von 1992 bis 1995 nur 138 Personen ausmachte, verdoppelte sich dieser Wanderungsverlust von 1995 bis Mitte 1998 auf 272 Personen. Da 1995 auch die Sanierungstätigkeiten im Gebiet des Trave- platzes einsetzten, kann hier ein enger Zusammenhang vermutet werden. Eine vergleich- bare Entwicklung läßt sich auch für das gesamte Modellgebiet annehmen, wie die fol- gende Tabelle belegt.

Tabelle 2: Vergleich der Bevölkerungsentwicklung im Travekiez und im Modell- gebiet

Jahr7 Travekiez Prozent Modellgebiet Prozent

1992 4.103 100,0 30.652 100,0 1993 3.972 96,8 30.667 100,0 1994 3.966 96,7 30.726 100,2 1995 3.965 96,6 30.486 99,5 1996 3.854 93,9 29.881 97,5 1997 3.777 92,1 28.647 93,5 30.06.1998 3.693 90,0 28.041 91,5

7 Datenstand bis auf 1998 jeweils zum 31.12. des genannten Jahres.

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Im Modellgebiet gab es sogar bis 1994 eine leichte Zunahme der Bevölkerung, während sich die Bevölkerungszahl in der Gegend um den Traveplatz kontinuierlich verminderte. Während dabei der Travekiez 1996 den größten Bevölkerungsverlust erlebte, ergab sich im Modellgebiet der größte Einbruch 1997 und voraussichtlich setzt sich dieser Trend auch 1998 fort. Dies ist unter Umständen Resultat eines forcierten Investitionsprozesses vor Ablauf der besonderen Abschreibungsmöglichkeiten in den neuen Bundesländern zum 1.1.1999.8 Der Bevölkerungsverlust im Travekiez geht einher mit einem überdurchschnittlichen Leer- stand in den Wohnblocks um den Traveplatz. Die folgende Tabelle zeigt nach den von ASUM durchgeführten Untersuchungen9 einen durchschnittlichen Leerstand von 25 Prozent.

Tabelle 3: Wohnungsleerstand im Travekiez (1997)

Block Wohnungs- Leerstand Leerstand in sanierungsbedingt bestand Prozent (absolut) 116044 289 101 34,9 26 116045 414 145 35,0 42 116046 474 110 23,2 26 116065 386 90 23,3 50 116066 202 27 13,4 0 116067 214 33 15,4 1 116069 645 196 30,4 85 116070 317 66 20,8 0 116071 211 21 10,0 0 116072 58 18 31,0 0 Travekiez 3.210 807 25,1 230

Der Vergleich mit der folgenden Tabelle ergibt, daß sich aus dem Umfang der Bevölke- rungsentwicklung zwischen 1992 und 1997 das Ausmaß des Leerstandes im Jahre 1997 nicht erklärt. Das läßt die Vermutung zu, daß auch schon vor 1992 ein Leerstand an Wohnungen in diesen Blöcken bestand.

8 Vgl. Investitionen, Subventionen, Spekulationen. Schluß mit lustig?, in: Friedrichshain, 4. Jg., 4/1998, S. 8 ff. 9 ASUM, a. .a. .O. Berlin 1997, 20 und ASUM, Boxhagener Platz. Überprüfung der Voraussetzungen zum Erlaß einer sozialen Erhal- tungsverordnung nach § 172 BauGB, Berlin 1998, S. 34. Die Daten in Tabelle 3 wurden aus beiden Untersuchungen entnommen.

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Tabelle 4: Bevölkerungsentwicklung im Travekiez nach Wohnblocks

Block 1992 1993 1994 1995 1996 1997 absolut in Prozent von 1992 116044 301 284 315 315 289 257 85,4 116045 371 376 374 400 360 314 84,6 116046 537 496 489 476 467 423 78,8 116065 515 482 498 458 411 410 79,6 116066 205 209 210 202 207 193 94,1 116067 345 327 312 314 318 296 85,8 116069 784 763 733 714 756 686 87,5 116070 535 538 547 580 545 472 88,2 116071 449 447 422 430 432 374 83,3 116072 61 50 66 76 69 352 577,0 Travekiez 4.103 3.972 3.966 3.965 3.854 3.777 92,1

In der folgenden nach Altersgruppen differenzierten Tabelle wird deutlich, daß sich der Bevölkerungsverlust bei ganz bestimmten Altersgruppen vollzogen hat, während der An- teil anderer Altersgruppen größer geworden ist.

Tabelle 5: Bevölkerungsentwicklung im Travekiez nach Altersgruppen

Alter 1992 1993 1994 1995 1996 1997 absolut in Prozent von 1992 unter 6 Jahre 250 212 184 151 132 139 55,6 6 bis 14 Jahre 282 252 285 275 264 290 102,8 15 bis 17 Jahre 52 67 63 60 52 68 130,8 18 bis 26 Jahre 872 803 737 760 767 715 82,0 27 bis 44 Jahre 1.261 1.314 1.476 1.560 1.584 1.602 127,0 45 bis 54 Jahre 401 383 354 334 306 291 72,6 55 bis 64 Jahre 367 357 326 310 301 275 74,9 älter als 65 Jahre 618 584 541 515 448 397 64,2 Gesamt 4.103 3.972 3.966 3.965 3.854 3.777 92,1

Die Altersgruppen, die erheblich abgenommen haben, sind also die bis zu 6jährigen, die über 65jährigen und die 18- bis 26jährigen. Die Erkenntnisse über die Wanderungsbe- wegungen im statistischen Gebiet Boxhagener Straße lassen den Schluß zu, daß diese Veränderungen im wesentlichen durch Fortzüge bedingt sind. Bei der Abnahme der bis zu 6jährigen ist dabei davon auszugehen, daß es sich um einen Fortzug von jungen Familien handelt, was mit dem Bevölkerungsverlust bei den 18- bis 26jährigen korrespondiert. Nach Daten von ASUM ging im Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz seit 1991/92 der Anteil von Haushalten mit Kindern (allgemein) von 22 Prozent auf 16 Prozent zurück und

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(Mütter und Kinder auf der Bank)

der Anteil von Haushalten mit Kindern unter sechs Jahren von 8 Prozent auf 5 Prozent zurück.10 Vermutlich fällen diese Familien ihrer Entscheidung besonders im Hinblick darauf, daß sie die Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Kinde in der Umgebung des Traveplatzes als nicht vorteilhaft und kindgerecht einstufen. Neben den Wohnbedingungen in einem Sanie- rungsviertel kommen dabei auch die Freizeitbedingungen und Bildungsmöglichkeiten in den Blick. Dieser Trend ist allerdings in allen Innenstadtbezirken zu verfolgen. Ziel der fortziehenden Familien ist dabei in der Regel der Stadtrand oder das Umland Berlins. Bei den älteren Menschen, die fortziehen, liegt der Grund neben den Wohnbedingungen in einem Sanierungsgebiet, möglicherweise auch in der aus ihrer Sicht, durch subkultu- relle Lebensweisen verursachten, wachsenden „sozialen Unordnung“ im Kiez nach der Wende. Der Fortzug von Familien und Rentnerhaushalten kann als Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt im Kiez interpretiert werden. „Sie sind es […] in erster Linie, die Nachbar- schaftskontakte pflegen, etwa durch gegenseitige Hilfeleistungen, Kinderbetreuung und ähnliches, und sie sind es auch, die Waren, Dienstleistungen, soziale Angebote und Frei- zeitaktivitäten eher nachfragen. Die verstärkt in den Sanierungsgebieten auftretenden jüngeren Einpersonenhaushalte (‚Singles‘) sind dagegen viel mobiler, nehmen Freizeit- aktivitäten und andere Angebote auch außerhalb des Wohngebietes wahr und haben

10 Vgl. Daten, Fakten, Resultate ’98. Die Sanierungsgebiete in den Augen ihrer Bewohner, in: Friedrichshain, Zeitschrift für Stadter- neuerung, 4. Jg., 1/1998, S. 13.

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einen deutlich geringeren Bezug zum Gebiet wie auch weniger nachbarschaftlichen Kon- takt.“11 Bezüglich der Herkunfts- und Zielorte der Fort- und Zuziehenden gibt es nur Erkenntnisse auf Ebene des statistischen Gebietes. Demnach sind die Wanderungsverluste im statisti- schen Gebiet Boxhagener Straße zuerst durch Abwanderung in andere Berliner Bezirke verursacht. Dagegen gewinnt das Gebiet an Einwohnern durch Zuzüge von Orten außer- halb der Stadt. Zudem ist ein Wanderungsgewinn aus dem Westteil der Stadt zu ver- zeichnen. Auffällig sind auch die Wanderungsverluste in den engen Verflechtungsraum von Berlin, der insbesondere seit 1995 stark anwächst. Vergleichbar zum Travekiez verändert sich ebenso die Altersstruktur im Modellgebiet, wie sich aus der folgenden Tabelle entnehmen läßt.

Tabelle 6: Bevölkerungsentwicklung im Travekiez und im Modellgebiet

Altersgruppe Modellgebiet Modellgebiet Travekiez Travekiez Friedrichshain Friedrichshain 31.12.1992 30.6.1998 31.12.1992 30.6.1998 absolut Prozent absolut Prozent absolut Prozent absolut Prozent bis 6 Jahre 2.254 7,35 1212 4,32 250 6,09 136 3,68 6 bis 15 Jahre 2.905 9,48 2349 8,38 282 6,86 291 7,88 15 bis 18 Jahre 599 1,82 693 2,47 52 1,28 72 1,95 18 bis 20 Jahre 430 1,40 547 1,96 48 1,17 52 1,41 20 bis 30 Jahre 8.722 28,45 7.723 27,54 1.211 29,51 1.045 28,30 30 bis 40 Jahre 5.788 18,88 7.271 29,93 692 16,87 971 26,30 40 bis 50 Jahre 2.788 9,11 3.162 11,28 356 8,68 391 10,58 50 bis 65 Jahre 3.776 12,32 2.814 10,04 594 14,48 380 10,29 ab 65 Jahre 3.430 11,19 2.270 8,10 618 15,06 355 9,61

Gesamt 30.652 100,00 28.041 100,00 4.103 100,00 3.693 100,00

Aus dieser Tabelle läßt sich ablesen, welche Altersgruppen zugenommen haben. Dies sind sowohl im Travekiez als auch im Modellgebiet an erster Stelle die 30- bis 50jährigen und an zweiter Stelle die 15- bis 20jährigen. Allerdings ist die absolute Zunahme bei den 15- bis 20jährigen im Travekiez absolut nicht sehr hoch und auch im relativen Vergleich zum Modellgebiet geringer. Die Tabelle legt auch dar, daß jüngere Haushalte (20 bis 40 Jahre) im Travekiez domi- nieren. Während diese Situation allerdings bei den 20- bis 30jährigen schon länger be- steht, kann dies bei den über 30jährigen als eine neue Entwicklung angesehen werden. Die Altersstruktur im Modellgebiet verändert sich dementsprechend. Der Anteil der Jün- geren und Älteren geht zurück, während die Altersgruppe der 30 bis 50jährigen zunimmt. Im Vergleich der Alterstruktur zum Bezirk Friedrichshain und zum Land Berlin ergibt sich dadurch folgendes Bild:

11 Ebenda, S. 10 f.

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Abbildung 1: Altersstruktur am 30.6.1998 (in Prozent)

% 18 Modellgebiet 16 Friedrichshain 14 Bezirk Friedrichshain 12 10 Berlin gesamt 8 6 4 2 0

ab85

3bis6

unter3

6bis10

10bis 15 15bis 18 18bis 20 20bis 25 25bis 30 30bis 35 35bis 40 40bis 45 45bis 50 50bis 55 55bis 60 60bis 65 65bis 70 70bis 75 75bis 80 80bis 85

Das Modellgebiet und entsprechend der Travekiez hat also einen weit über dem Berliner Durchschnitt liegenden Anteil der 30- bis 40jährigen in der Bevölkerung. Demgegenüber bewegt sich der Anteil der unter 20jährigen im Berliner Durchschnitt, während die Älteren vergleichsweise unterdurchschnittlich im Modellgebiet repräsentiert sind.

Tabelle 7: Nichtdeutsche Bevölkerung im Travekiez und im Modellgebiet

1992 1993 1994 1995 1996 1997 30.6.1998 absolut Prozent der Bevölkerung

Travekiez 67 102 134 199 274 271 258 7,0 Modellgebiet 793 1.449 1.874 2.305 2.719 2.798 2.658 9,5

Der Zahl der nichtdeutschen Bevölkerung ist seit 1992 kontinuierlich gestiegen. Im Kiez um den Traveplatz, wo der Anteil immer niedriger als im Modellgebiet lag, ist der Umfang der ausländischen Bevölkerung seit 1997 rückläufig. Bemerkenswert ist in diesem Zu- sammenhang ein Wohnblock südlich der Boxhagener Straße, in dem ein Ausländer- wohnheim untergebracht ist. Hier hat die nichtdeutsche Bevölkerung einen über 50prozentigem Anteil an der Wohnbevölkerung des Blockes.12 Eine Aufstellung über die Herkunft der nichtdeutschen Bevölkerung liegt nur auf der Ebene des Bezirkes Friedrichshain vor.

12 Das Flüchtlingsheim ist mittlerweile geschlossen. Dies ist Folge eines Senatsbeschlusses, demzufolge Flüchtlingsunterkünfte nicht mehr in den Innenstadtsbezirken unterzubringen, wo von einer Konzentration sozialer Probleme auszugehen ist.

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Tabelle 8: Ausländer nach relevanten Staatsangehörigkeiten im Bezirk Friedrichs- hain

30.06.1991 30.06.1998 absolut in Prozent absolut in Prozent Türkei 27 1,51 715 8,50 Jugoslawien 96 5,36 1.378 16,38 Polen 281 15,69 481 5,72 EU 62 3,46 1.618 19,23 übrige 1.325 73,98 4.221 50,17 insgesamt 1.791 100,00 8.413 100,00

Die Bürger türkischer Herkunft stellen in Friedrichshain mit 8,5 Prozent nur eine Minder- heit unter den Ausländern. Die meisten Bewohner mit ausländischem Paß stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien oder aus der Europäischen Union. Rund die Hälfte der Ausländer in Friedrichshain kommt aus Staaten außerhalb der klassischen Zuwande- rungsländer wie der Türkei, Polen, dem ehemaligen Jugoslawien und der EU.

Wohn- und Einkommensverhältnisse im Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz13

1997 wurde von ASUM eine Untersuchung im Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz durchgeführt. Hierbei handelt es sich um die Wohnblöcke 116066 bis 116070, 116071 und 116072, 116074, 116076, 116078 bis 116081 und 1160883 bis 116085. Das Sanie- rungsgebiet überschneidet sich also nur teilweise mit dem dieser Untersuchung zugrun- deliegenden Gebiet "Travekiez".14 Trotz dieser Einschränkung ergibt die Darstellung einzelner Datenkomplexe aus der Untersuchung von ASUM aufgrund einer augenscheinlich sehr ähnlichen Wohnstruktur des Gesamtgebietes zusätzliche wichtige Informationen für diesen Kiezbericht. Die mittlere Wohndauer der Haushalte im Gebiet Traveplatz/Ostkreuz beträgt 10 Jahre und liegt damit über der Wohndauer in anderen Kiezen des Modellgebietes.

Tabelle 9: Wohndauer

Wohndauer der Haus- unter 2 Jahre 2 bis 5 6 bis 10 11 bis 19 20 und mehr halte in Prozent Jahre Jahre Jahre Jahre Traveplatz/Ostkreuz 23 30 23 8 16 Boxhagener Platz 33 34 14 7 12 Warschauer Straße 22 34 19 10 15

Das Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz verfügt mit 25 Prozent der Haushalte über einen signifikanten Anteil von Bewohnern, die länger als 10 Jahre hier wohnen. Vor dem

13 Die Daten in diesem Abschnitt sind vollständig entnommen aus: ASUM, a.a.O, Berlin 1997 und aus der Anlage 2 in der öffentlichen Ausschreibung zum Quartiersmanagement im Januar und Februar 1999 im Internet. 14 Vgl. S. 7 dieses Berichtes.

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Hintergrund der oben dargestellten Bevölkerungsentwicklung ist davon auszugehen, daß der Anteil kürzerer Wohnzeiten im Gebiet weiter zunehmen wird. Es überwiegen Wohnungsgrößen mit 1½ bis 2 Zimmern (51 Prozent) und Einzimmer- haushalten (29 Prozent). Dabei dominieren Einpersonenhaushalte (67 Prozent) vor Zwei- personenhaushalten (21 Prozent). Der geringe Bestand an familiengerechten Wohnungen setzt also auch Grenzen für die Nutzung durch Familien mit Kindern und wird vermutlich ebenfalls ein Grund für den festgestellten verstärkten Fortzug von Familien mit Klein- kindern sein. Das kann allerdings – wie oben schon beschrieben – nicht der einzige Grund sein, denn es bestehen laut Auskunft einer Mitarbeiterin aus der Sanierungsarbeit auch Schwierigkeiten, familiengerechte Wohnungen in sanierten Häusen im Modellgebiet zu vermieten. Der Wohnkomfort der Wohnungen im Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz nördlich der Boxhagener Straße ist günstiger als südlich davon. Immerhin sind aber auch hier noch 4 Prozent der Wohnung mit Außentoilette und 14 Prozent mit Innentoilette ohne Bad und Zentralheizung. Bei fast einem Viertel der Wohnungen wurden Bädereinbau oder ander- weitige Verbesserungen des Wohnkomforts von den Mietern selbst vorgenommen. „Ins- gesamt liegen alle Mieten unterhalb der allgemeinen Werte für den Ostteil Berlins. Die einfach ausgestatteten Wohnungen im Gebiet ohne Bad und ohne Sammelheizung sind jedoch teurer als vergleichbare Wohnungen im Westteil der Stadt.“15 Vergleichbar zu anderen Kiezen im Modellgebiet verfügt nur die Hälfte der Haushalte über Erwerbseinkommen. Der größte Teil der Erwerbstätigen sind als Arbeiter und Angestellte im Dienstleistungssektor tätig sind.

Tabelle 10: Erwerbssituation

Erwerbssituation der Haushalte Traveplatz/Ostkreuz Boxhagener Platz Warschauer Straße (in Prozent aller Haushalte) Erwerbshaushalte (Mind. ein Erwerbstätiger) 48 45 49 Reine Arbeitslosenhaushalte 10 9 7 Reine Sozialhilfe-Haushalte 3 2 1 Prekäre Erwerbslagen 2 6 4 Reine Studenten- und Ausbil- dungshaushalte 21 23 26 Reine Rentnerhaushalte 16 15 13

Die Zahl der Studenten- und Ausbildungshaushalte ist von 8 Prozent im Jahre 199116 auf 21 Prozent im Jahre 1997 angestiegen. Dieser hohe Anteil an reinen Studenten- und Ausbildungshaushalten fördert vermutlich auch eine kontinuierliche Fluktuation im Gebiet, da die Lebenssituation dieser Gruppe in der Regel langfristige Bindungen an einen Kiez ausschließt. Nach Meinung des schon

15 ASUM, a.a.O, S. 29. 16 Vgl. Daten, Fakten, Resultate ’98, a. .a. .O., S. 13.

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zitierten Soziologen Häusermann kommen aber mit ihnen auch unangepaßte Potentiale in die Kiez, die neue Ideen für die Weiterentwicklung des Gebietes mit sich bringen.17 Die folgende Tabelle macht das geringe Haushaltseinkommen deutlich, über das die Be- wohner/innen im Sanierungsgebiet verfügen können. Dabei gilt es allerdings im Vergleich zu berücksichtigen, daß, aufgrund der hohen Zahl an Single-Haushalten im Unter- suchungsgebiet, das Haushaltseinkommen vielfach nur von einer Person aufgebracht wird.

Tabelle 11: Nettohaushaltseinkommen in Prozent

Durchschnitts- weniger als 1000 bis 1800 bis 2500 bis 3000 bis 4000 bis mehr als einkommen 1000 DM 1800 DM 2500 DM 3000 DM 4000 DM 5000 DM 5000 DM

Traveplatz 1.800 13 35 25 5 11 6 5 Boxhagener Platz 1.880 14 31 24 10 10 6 5 Warschauer Straße 1.800 13 32 24 8 12 5 6 Friedrichs- 2.150 13 24 22 9 15 10 6 hain Berlin Ost 2.750 7 18 20 11 18 12 14 Berlin 2.800 6 18 19 11 17 12 16

17 Vgl. „Aufwertung und Verfall dich beieinander“, a. .a. .O., S. 13

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Der Kiez um den Traveplatz – Zum Lebens- und Sicherheitsgefühl

Kiez

Der Kiez ist im Berliner Sprachgebrauch ein Teilbereich eines Bezirkes, der aus Sicht seiner Bewohner/innen mehr oder weniger als Einheit wahrgenommen wird.18 Ausgangs- punkt einer solchen Sichtweise ist der Wohnbereich, von dem aus seine Bewohner/innen den sie umgebenen Sozialraum je nach Alter, Geschlecht, sozialer Lage und beruflicher Aufgabe in sehr unterschiedlicher Weise wahrnehmen. Für jüngere oder ältere Menschen bestimmt sich ihr Kiezverhältnis aufgrund ihrer Lebenslage beispielsweise maßgeblich über die Nutzungsmöglichkeiten öffentlicher Orte wie Grünflächen, Spielplätze und Treff- punkte. Für Erwerbstätige, die ihren Arbeitsplatz außerhalb des Kiezes haben, ist dies eher der Raum, den sie von ihrer Wohnung aus durchqueren und den sie häufig allenfalls für Einkäufe oder Kneipenbesuch nutzen. Diese beiden Bespiele deuten die Spannbreite unterschiedlicher Bezüge zum Kiez an. Generell leitet sich das Kiezgefühl allerdings nicht nur aus der faktischen Nutzung ab, sondern vor allem auch aus dem Umfang gewach- sener sozialer Bezüge, die Zugehörigkeit und Identifikation an einem solchen Ort ent- stehen lassen können. Der Sinn, derartige Überlegungen anzustellen, erschließt sich, wenn Kiezbewohner/innen für die Belange in ihrer Wohnumgebung aktiviert werden sollen. Die Ermittlung ihrer Sichtweisen, ihrer Problembestimmungen, aber auch ihrer Bedürfnisbenennungen stellt dafür eine wesentliche Grundlage dar. Dazu bedarf es einer sehr kleinräumigen Betrachtungsweise.

Kiezgrenzen Aufgrund der angedeuteten verschiedenartigen räumlichen Orientierungen der Bewoh- ner/innen eines Kiezes lassen sich seine Grenzen nicht eindeutig fixieren. Je nach Wohnlage und sozialen Bezügen verschieben sich die Kiezstrukturen in den Köpfen seiner Bevölkerung. Generell stellen natürliche Barrieren wie Hauptstraßen oder Bahn- trassen eine häufig benannte Begrenzung dar, so auch im Kiez um den Traveplatz. Als quasi natürliche Grenzen wurden die großen Straßen genannt. Dies sind im Norden die Frankfurter Allee und im Süden die Boxhagener Straße. Von den meisten Befragten wird die nähere Umgebung der eigenen Wohnung als Kiez bezeichnet, das Gebiet, in dem sich der Alltag abspielt. „Mein Kiez, hmmm. Wissen Sie, wenn man arbeitet, hat man eigentlich sehr wenig Zeit. Ich war mal nach der Wende eine kurze Zeit arbeitslos. Da ist das anders. Da kennt man die Läden. Ich habe eigentlich wenige Zeit, mich da umzutun. Die Wege sind immer gleich. Ansonsten fahre ich mit dem Auto, und das war‘s. Oder wenn man kleinere Kinder hat, dann ist es auch anders, wenn

18 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres (Hrsg.), Endbericht der Unabhängigen Kommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt in Berlin, Berlin 1994, S. 374.

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man zum Spielplatz und dies und das. Im Moment ist es eigentlich nur meine Wohnung und der Weg bis zum nächsten Kaufladen. Das war‘s.“ Die Interviewpartnerin spricht im zitierten Ausschnitt zentrale Aspekte für das Erleben von Kiez an: Diese sind abhängig von der Person selbst, von den verschiedenen Tageszeiten, vom Lebensalter, von der familiären Situation, vom sozialen Status und eben davon, ob man arbeitslos ist oder nicht.

(Kinder)

Für Kinder und Jugendliche dehnt sich beispielsweise mit zunehmenden Alter der räum- liche Erfahrungshorizont aus. Dabei verläuft die Aneignung öffentlichen Raumes nicht breitflächig. sondern entlang von Funktionen wie Spieleignung, Schutzraum, aber auch unbeobachtet sein, werden einzelne Inseln und Wege im öffentlichen Raum ausgewählt. Nach Eindruck der befragten Experten stellt die Gegend um den Traveplatz für Kinder einen zentralen Bereich dar. Neben dem Traveplatz wurden als weitere wichtige Treff- punkte die schutzbietenden Höfe nahe der Frankfurter Allee, der Boxhagener Platz, der Kurt-Ritter-Sportplatz und der neue Spielplatz in der Jessnerstraße genannt. Dabei stellen Boxhagener Straße und Frankfurter Allee eine wichtige Grenze für sie dar, die sie aller- dings gelegentlich überschreiten. So strahlen beispielsweise die Ring-Center an der Frankfurter Allee eine gewisse Attraktivität aus: Dort wird mit den Kindern gebastelt, oder es werden kleine Werbegeschenke verteilt, wofür Kinder grundsätzlich sehr empfänglich sind. Auch für die älteren Kinder und Jugendlichen ist der Traveplatz eine zentrale Anlaufstelle, vor allem dann, wenn sich Gruppen bilden. Die Älteren haben aber insgesamt einen größeren Aktionsradius. Obwohl diese altersspezifische Ausdehnung des Handlungs-

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raumes angemessen erscheint, so spiegelt sich darin aber auch ein Mangel an Freizeit- angeboten für Jugendliche in der unmittelbaren Umgebung des Traveplatzes.

Kiezbindung und -zufriedenheit19 Bei der schriftlichen Befragung gaben 56 Prozent der Befragten an, „fast die ganze Zeit“ oder den „überwiegenden“ Teil ihrer Zeit im Kiez zu verbringen. Die Gründe hierfür können sehr verschiedenartig sein, aber ob nun gewollt oder durch die Umstände gezwungen – für die meisten stellt der Kiez den Lebensmittelpunkt dar. Daß es sich dabei nicht ausschließlich um disponierbare Freizeit handele, zeigt das Ergebnis der Frage nach dem Wohnort der Freunde und nach dem Umfang der Berufstätigkeit. 70,3 Prozent gaben an, daß ihre Freunde überwiegend außerhalb des Kiezes wohnen. 42 Pr7ozent der Antwortenden waren zum Zeitpunkt der Befragung nicht berufstätig, und 15 Prozent gingen einer Teilzeitbeschäftigung nach.

Abbildung 2: Wieviel Zeit des Tages verbringen Sie innerhalb des Kiezes?

35 31 29 30 25 25

20

15 9 10 6 5

Prozent 0 fast die ganze Zeit überw iegend hier teils, teils mehr außerhalb fast die ganze Zeit innerhalb außerhalb

Die Bindung an den Kiez hat für einige der interviewten Personen etwas mit der Qualität der eigenen Wohnung und deren unmittelbarem Umfeld, z. B. dem Ausblick auf einen begrünten Hof, zu tun. „Wieso ich gerne hier wohne, hat mit meiner Wohnlage zu tun: vorne grün, hinten grün, das macht es schon.“ Alle mündlich Befragten, die im Kiez wohnen, äußerten sich, sofern dies thematisiert wurde, mit der Qualität der eigenen Wohnung zufrieden. Auch in der schriftlichen Befra- gung zeigte sich die Mehrheit zufrieden mit der eigenen Wohnung. Nimmt man die Indiffe- renten hinzu, kann man sagen, daß 84,6 Prozent der Befragten relativ zufrieden damit sind.

19 Bei der Beurteilung der folgenden Einschätzungen gilt es zu berücksichtigen, daß ca. 40 Prozent der schriftlich Antwortenden länger als zehn Jahre im Kiez wohnen. Laut den Daten der Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung im Auftrag des Landes Berlin (ASUM) beträgt der Anteil der Haushalte mit einer Wohndauer von mehr als 10 Jahren 24 Prozent. Dieser Unterschied läßt den Rückschluß zu, daß die Mehrzahl der Antwortenden ein besonderes Interesse an der Kiezentwicklung haben.

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Tabelle 12: Zufriedenheit mit Wohnung und Zustand des Hauses

Zustand der Wohnung Zustand des Hauses Anzahl Spalten% Anzahl Spalten% sehr zufrieden 20 18,2 10 9,1 zufrieden 40 36,4 32 29,1 geht so 33 30,0 32 29,1 unzufrieden 11 10,0 27 24,5 sehr unzufrieden 6 5,5 9 8,2 Gesamt 110 100,0 110 100,0

Dies erscheint zunächst ein erstaunliches Ergebnis zu sein für ein Sanierungsgebiet. Der Vergleich mit dem wesentlich schlechter beurteilten Zustand der Häuser legt allerdings die Vermutung nahe, daß sich diese Zufriedenheit mit den eigenen Anstrengungen koppelt. Mehrfach wurde in den mündlichen Befragungen angegeben, daß in den letzten Jahren viel an Arbeitszeit und Geld in die Wohnung investiert wurde und daß dies ein wichtiger Grund für die Bindung an das Wohnviertel sei. Das war – wie oben schon zitiert – auch ein Ergebnis der von der Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung 1997 durchgeführten Untersuchung im Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz. Über ein Viertel der Mietparteien hatte „über Schönheitsreperaturen hinaus Maßnahmen in der Wohnung durchgeführt, die den Wohnkomfort um mindestens eine Stufe“20 erhöhten. Derartige An- strengungen werden sicherlich nur unternommen, wenn eine enge Bindung mit einem Wohngebiet vorliegt. In der schriftlichen Befragung wurde ohne Antwortvorgabe auch gefragt, was das Ange- nehmste im Kiez sei. Dabei ergab sich folgendes Verteilungsbild:

Tabelle 13: Was ist für Sie das Angenehmste an Ihrem Kiez? Was finden Sie wirklich gut?

Das Angenehmste im Kiez Nennungen Einkaufsmöglichkeiten 62 gute Verkehrsanbindung 60 zentrale Lage/Citynähe 13 gute Wohnqualität 12 Kontaktmöglichkeiten 9 Freizeit-/Unterhaltungsmöglichkeiten 5 Grünflächen 5 dörflicher Charakter/schöne Aussicht 4 günstige Mieten 4 Spiel-/Kontaktmöglichkeiten für Kinder 4 Sonstiges 19

20 ASUM – Arbeitsgruppe für Sozialplanung und Mieterberatung im Auftrag des Land Berlin, Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz zwischen 1991 und 1997, Berlin 1997, S. 25).

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Deutlich wird die große Zufriedenheit mit den Einkaufsmöglichkeiten und mit der Ver- kehrsanbindung. Diese Zufriedenheit mit den Einkaufsmöglichkeiten, die sich vor allem auf die in den letzten Jahren geschaffenen Gelegenheiten in der nahe gelegenen Frank- furter Allee beziehen, spiegelt auch die folgende Tabelle wider.

Tabelle 14: Wie zufrieden sind Sie …?

Sehr Zufrieden Geht so Unzufrieden Sehr zufrieden unzufrieden Mit den Einkaufsmög- 55,5 31,8 10,0 1,8 0,9 lichkeiten Nachbarschaft 10,0 38,2 37,3 10,0 4,5

Auch die Zufriedenheit mit der Nachbarschaft erreicht mit knapp 50 Prozent einen relativ hohen Wert. Dies wird in den Interviews mehrfach unter verschiedenen Aspekten thema- tisiert. Tenor der Aussagen war: Es gibt – u. a. aufgrund der Altbaustruktur des Kiezes – gute nachbarschaftliche Beziehungen und Kiezkontakte. Dafür spricht beispielsweise die Darstellung einer Schulleiterin, die seit über 20 Jahren in dieser Gegend als Lehrerin wirkt. „Es bestehen in den Hausgemeinschaften sehr schöne Beziehungen, also man kann Oma sowieso den Schlüssel geben ..., man kennt sich halt.“ Ähnlich äußert sich eine alleinerziehende Mutter: „Ich finde – aber das liegt an jedem persönlich –, daß wir eine gute Nachbar- schaftsarbeit haben. Ich habe schon viele Nachbarn auf dem Spielplatz ken- nengelernt. Wir teilen uns Arbeit, mit den Kindern, überhaupt halt. Viele Mütter im Kiez, wo wir uns gegenseitig helfen. Miteinander aufpassen. Kind mit zum Kindergarten nehmen.“ Diese Gruppe ist in besonderem Maße auf nachbarschaftliche Hilfe angewiesen und knüpft entsprechende Kontakte auf den Spielplätzen und Grünflächen der näheren Um- gebung. Die Einbindung in eine solidarische Hausgemeinschaft wird als besonders wichtig angesehen. „Als ich in mein Haus kam, da habe ich gedacht, daß es sehr eingefahren ist – eingefahren hört sich so negativ an, meine ich aber gar nicht. Die kennen sich schon sehr lange. Die fingen gleich an, mit mir zu reden. Ach, Sie sind die Neue. Wir kennen uns alle sehr gut, und wir halten auch zusammen. Ich wurde gleich eingeweiht, daß ich nicht aus der Reihe tanze und so [lacht]. Also wirklich nette Leute. Die haben mir auch einen Kuchen gebracht, als ich beim Renovieren war.“ Auch ein befragter Zugezogener aus dem Westteil der Stadt teilt diese Einschätzungen. Die Beziehungen innerhalb des Kiezes seien im Vergleich zu West-Berlin persönlicher, die Leute interessierten sich füreinander.

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Mit dieser positiven Einschätzung nachbarschaftlicher Beziehungen verbindet sich eine anscheinend noch weit verbreitete Ortsverbundenheit vieler Bewohner/innen mit dem Kiez um den Traveplatz, „… denn es ist irgendwie Heimat geworden“, so eine 73jährige Anwohnerin, die seit 1957 in dieser Gegend wohnt. Daß dies kein Ein- zelfall zeigt die oben vorgestellte Tabelle über die Wohndauer, nach der 16 Prozent der Bevölkerung im Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz seit über 20 Jahre hier wohnen

Kiezentwicklung Fast alle Interviewpartner/innen bekunden, daß sie sich auf die eine oder andere Art im Kiez wohl fühlen und meinen, daß die allgemeine Stimmung eher gut ist.

Abbildung 3: Verändert sich der Kiez zur Zeit?

Fehlend 3,7% Nein 30,6% Ja, zum Guten 45,9%

Ja, zum Schlechten 19,8%

In der schriftlichen Befragung meinen also immerhin 45,9 Prozent der Befragten, der Kiez würde sich zum Positiven entwickeln. Die sich in diesen Zahlen abzeichnende Einschät- zung zur Entwicklung des Kiezes läßt sich auch an den Antworten auf die Frage nach dem Wegzugwunsch wegzuziehen ablesen: 38 Prozent der Befragten wollen nicht weg- ziehen, und für 39 Prozent stellt sich diese Frage nicht. Immerhin wollen dagegen 22,5 Prozent der schriftlich Antwortenden gerne fortziehen, was ambivalente Interpretationsmöglichkeiten andeutet. Die Kiezentwicklung wird insofern durchaus auch kritisch gesehen. So beurteilen die Personen, die der Nachbarschaft für das eigene Leben eine wichtige Rolle zuweisen, die Entwicklung von Nachbarschaft als Charakteristikum des Kiezes eher skeptisch. „Generell würde ich sagen, daß es (Nachbarschaft – d. V.) abnimmt. Aber nicht in meinem Leben.“ Dies gilt – so die Meinung mehrerer Interviewpartner/innen – besonders für die Kontakte auf den Straßen und Plätzen, aber auch für die Nachbarschaftsbeziehungen unter den Hausbewohnern.

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Dabei vermischen sich Einschätzungen, die auf die Gesamtgesellschaft bezogen sind, mit solchen, die lokal verortet werden. Insgesamt wird eine zunehmende Anonymisierung der Beziehungen festgestellt. Auf die Frage nach Nachbarschaft und Solidarität antwortet einer der Interviewpartner „Ich glaube, das war alles schon mal besser. Das Verständnis, Nachbarn zu- einander, war schon mal besser, und auch an den Arbeitsplätzen [...] Man hört das, daß alles viel anonymer abläuft, viel ichbezogener.“ Vor allem die „Wende“ habe diese Entwicklung vorangetrieben. „Als es nach der Wende alles zu kaufen gab und man nicht mehr den Trabi- auspuff irgendwo besorgen mußte, da war das nicht mehr nötig in dem Maße. Das ist wirklich so. Also die nachbarschaftliche Hilfe, die Freundlichkeit unter- einander. Heute hilft man sich, wenn ein Paket vom Otto-Versand kommt. Früher haben wir uns um das Haus gekümmert, mal die Wände abgeschrubbt. Das gibt es nicht mehr, das ist nicht mehr in, das ist nicht mehr interessant.“ Mit dem Sanierungsgeschehen werden weitere negative Entwicklungsmöglichkeiten des Kiezes angesprochen. „Die Mietstruktur muß bleiben, das halte ich für wichtig. Wenn die Mieten ins Horrende gehen. Hier das schöne gelbe Haus gegenüber, da wohnt nur der Besitzer drin. Damit macht man den Kiez tot. Und das ist eine Gefahr. Wenn die Mieten explodieren mit der Sanierung, dann hauen die Leute ab, dann schauen die nach preisgünstigeren Angeboten. Da sollte man vom Bezirk her auch darauf gucken. [...] Die wollen gerne hier bleiben. Viele mögen so einen Kiez, und der hat ja auch was. Kann man ja individueller gestalten als so einen Betonblock, aber er muß bezahlbar sein, es muß in erreichbarer Nähe Einkaufsmöglichkeiten geben, und es muß eine Kulturlandschaft be- stehen.“ Auch der Einfluß der guten Einkaufsmöglichkeiten in der Frankfurter Allee für die Ent- wicklung im Kiez wird kritisch gesehen. Da ist ja hier [Müggelstraße, Nähe Traveplatz] unmittelbar, da ist ja da wenig. Früher, zu DDR-Zeiten, waren ja da auch schon wenig Geschäfte, und die sind weg inzwischen. Und es konzentriert sich jetzt sehr stark auf die Frank- furter Allee: Aldi, Kaiser usw. Eine Zeitlang war es wirklich schwierig, hier ein- zukaufen, und jetzt weiß man [lacht] nicht wohin, was brauchen wir. Und die kleineren Geschäfte sind alle weg, was da war.“ Hier wird eine Ausdünnung des Gewerbes in den kleineren Straßen angesprochen, was eine Gefahr für die Entwicklung des gesamten Viertels bedeutet: Die Folgen sind bei- spielsweise eine Verschlechterung des äußeren Erscheinungsbildes und damit eng ver- bunden eine Zunahme von Vandalismus. „Ja, von den Einzelhändlern weiß ich, seit die Ring-Center aufgemacht haben, sind die Umsätze denn doch zurückgegangen, und es haben einige in- zwischen auch geschlossen.“

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„Das ist ein Problem, weil die, die wegziehen und ihre Läden zumachen, die werden nicht neu aufgemacht, und damit haben wir eine ganze Reihe von leerstehenden Ladenwohnungen, die dann auch zerkloppt werden. Das äußere Bild verschlechtert sich.“ Kleine Läden haben neben Plätzen, Spielflächen usw. außerdem eine wichtige Funktion für eine lebende Kiezkommunikation. „Das Wohlfühlen im Kiez erfordert ein ausgewogenes Angebot an Einkaufs- möglichkeiten. Da wird ja vorne – was weiß ich – mit den großen Häusern [mit den Ring-Centern an der Frankfurter Allee] der ganze Kleinhandel kaputt ge- macht. Das ist richtig schade. Das muß in so einem Kiez eine Struktur ent- stehen, was können wir an diese Stelle setzen. Handwerk, vom Korbflechter bis sonst was. So etwas würde in den Kiez passen. Daß da Angebote und Zentren entstehen, wo man sich treffen kann. Viele kleine Läden, vom Kin- derladen, viele kleine Plätze, Sportplätze, wo man was organisieren kann.“ Das Fehlen öffentlicher Orte der Begegnungen und der Gelegenheiten zur Kommuni- kation verbindet sich mit einer durchgehenden Kritik an den Freizeit- und Erholungsmög- lichkeiten im Kiez. Der oben benannte Verlust von Kleingewerbe und der Mangel an Frei- zeit- und Erholungsangeboten treibe dabei auch die wachsende Beziehungslosigkeit unter den Bewohner/innen voran.. Verglichen mit den oben dargestellten Zufriedenheitswerten mit den Einkaufsmöglichkei- ten und der Nachbarschaft kommt die benannte Unzufriedenheit mit dem Angebot an Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten in der folgenden Tabelle zum Ausdruck.

Tabelle 15: Zufriedenheit mit Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten im Kiez

Anzahl Prozent sehr zufrieden 2 1,8 zufrieden 12 11,0 geht so 39 35,8 unzufrieden 41 37,6 sehr unzufrieden 15 13,8 Gesamt 109 100,0

Vermißt werden vor allem Angebote im Sport und allgemeinen Freizeitbereich und Grün- flächen.

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Tabelle 16: Welche Angebote vermissen Sie im Kiez?

Angebote Befragte Prozent Sport- und Freizeitstätten 38 45,8 Grünflächen 20 24,1 Schwimmbad 16 19,3 Lebensmittel/Spätverkauf 11 13,3 Cafés/Restaurants 10 12,0 Kulturelles Angebot 6 7,2 Parkmöglichkeiten 4 4,8 Sonstiges 29 34,9

Befragte insgesamt 83 161,4

Als besonders gravierend wird dieses Problem für Jugendliche eingeschätzt. So bemän- gelt eine Expertin nach dem Wegfall des Jugendclubs „Die Abfahrt“ das Angebot für Ju- gendliche im Kiez um den Traveplatz. „... so ein Anlaufpunkt wäre schon wichtig. Das ist ein Defizit.“ Ein Interviewpartner, der unweit vom ehemaligen Jugendklub wohnt, verweist auf die möglichen Konsequenzen dieser Situation: „Die Kinder hängen auf der Straße, seit dem der Jugendklub weg ist. Das waren echt Kids aus dem Kiez. Und in dem sozialen Milieu kannst du dir auch gut vorstellen, was dann da alles vor der Tür abgeht.“ Er befürchtet wegen dieses Mangels die Möglichkeit eines verstärkten Einflusses von Neonazis auf Jugendliche. Für ältere Kinder wäre ein möglicher Wegfall der „Kinderoase“ infolge von Kürzungen im Kinder- und Jugendhilfebereich „tragisch“. Dann gäbe es im unmittelbaren Kiez um den Traveplatz kein Anbot mehr für die Altersgruppe der sogenannten „Lückekinder“. Werden die für Kinder oben benannten Kiezgrenzen auch als Mobilitätsgrenzen zu Grunde gelegt, so könnte dies zu einem verschärften Konfliktpotential im öffentlichen Bereich um den Traveplatz führen. Die Kiezentwicklung wird verständlicherweise von unterschiedlichen Entwicklungen ab- hängig gesehen. Gerade bei Alteingesessenen dominiert dabei anscheinend ein eher skeptischer Blick auf die Veränderungen im Kiez seit der Wende. „Man weiß nicht, ob man auf Dauer hier leben kann. Einerseits diese Asis, die sich hier rumtreiben, die nach der Wende auch massiv zugezogen sind. Und andererseits: die Häuser werden saniert, es werden Einkaufsmöglichkeiten geschaffen. Die Infrastruktur wird eigentlich besser. Man weiß nicht, wie sich das entwickelt. [...] Dann weiß man auch nicht, wird das so teuer, ob man sich das noch leisten kann auf die Dauer, eine schöne große Wohnung zu haben. [...] Oder entwickelt sich das zu einem Asibezirk wie Kreuzberg, wo nur noch Ausländer wohnen.“

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(Jugendclub)

Sozialstruktur Seit der „Wende“ verändert sich die Sozialstruktur des Kiezes in hohem Maße: Es ziehen überwiegend junge und ärmere Menschen zu, während sozial besser Gestellte das Viertel verlassen. Diese Entwicklung wird praktisch von allen mündlich befragten Personen dia- gnostiziert. Für Jüngere, so wird angegeben, ist das Viertel wegen der sich „entwickeln- den Szene“ attraktiv, und die Mieten sind im Vergleich zu anderen Quartieren noch recht günstig. Ein Umstand, der ärmere Bevölkerungsgruppen anzieht, so eine befragte Schul- leiterin. „Man hat z. B. auch Kinder, die zum Lügen angehalten werden, bei irgend- welchen Festlichkeiten in der Schule oder wenn die Klasse in das Theater geht oder wenn eine Schulfahrt ist, dann können zunehmend weniger mit- fahren. […] Auch wenn die Kinder sagen, wir können nicht mehr in den Hort gehen, die Kosten sind zu hoch. […] Also die gewisse neue Armut, die zieht schon ein.“ Der Kiez verarmt. Dabei ist das Gebiet nach Einschätzung der Interviewpartner/innen schon immer von Arbeitern und Angestellten mit einem vergleichsweise niedrigem Ein- kommensstand geprägt. Gerade aufgrund der Sanierungssituation, fehlender Grün- flächen, niedrigen Wohnkomforts und der im Verhältnis dazu verlangten Mieten ziehen die Mieter, die es sich leisten können, fort. Hierbei handelt es sich nach Einschätzung der Befragten, aber auch nach den vorliegenden statistischen Daten besonders um Familien mit Kindern und alte Menschen. Das führt zu einem Prozeß sozialer Entmischung, denn gegenüber dem Wegzug von vergleichsweise besser gestellten Gruppen findet ein „stär-

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kerer Zuzug von finanziell und sozial in schwierigen Lebenssituationen befindlichen Haushalten statt.“21 Mit dieser Entwicklung verbinden die Expert/innen und Anwohner/innen Probleme und Chancen. Da ist einmal die Verringerung der sozialen Kontakte. Wie schon thematisiert, folgt aus der Fluktuation im Wohngebiet ein spürbares Nachlassen der Intensität und Bedeutung von sozialen Kontakten im Kiez und somit ein vermehrt anzutreffendes isoliertes Neben- einander. Und mit dem Zuzug ärmerer Bevölkerungsschichten würden, so sehen es die meisten Befragten, gewissermaßen auch Probleme importiert. „Aufgrund dessen, daß so viele sozial schwach sind oder in Arbeitslosigkeit zu Hause verharren, entstehen natürlich auch Spannungen in den Familien, die die Kinder auch mitbringen, und es entsteht auch ein gewisser Neid.“(19) „Wie soll ich sagen, der Bodensatz der Gesellschaft ist nicht allzu knapp hier vertreten. Sozial Schwache oder so.“ Weitergehender läßt sich vor dem Hintergrund dieser Äußerung vermuten, daß diese Veränderungen in der Sozialstruktur für die Alteingesessenen selber zu einer bedroh- lichen Entwicklung der sozialen Abwertung werden. Die Neuzugezogenen, vornehmlich jüngere Bevölkerungsgruppen, mit häufig subkultu- rellen Lebensweisen, stellen nämlich die „bürgerliche Integrität“ des Kiezes in Frage. Aus der Sicht des Bewohners eines ehemalig besetzten Hauses wurde diese Entwicklung fol- gendermaßen dargestellt. „Man mußte sich erst einmal dran gewöhnen, in West-Berlin konntest du rumlaufen, wie du wolltest, und das geht hier nicht. Wenn du hier ein bißchen bunter rumgelaufen bist, dann hast du entweder ein paar Glatzen am Arsch gehabt oder bist hier von den Normalos angepöbelt worden.“ „Die ersten Jahre war schlimmer, kann sein, daß man sich erst dran gewöhnt hat. Ja, hat sich viel geändert, ich glaube, man hat jetzt nicht mehr so viel Schiß, beim Rumrennen. Entweder hast du dich daran gewöhnt, daß du die Augen aufhältst, oder so.“ Diese Situation überfordert vor allem ältere Menschen und könnte ein wesentlicher Grund für ihren überproportionalen Wegzug sein. Die Probleme, die vorkommen, „die Älteren schieben es meistens auf andere Lebensformen. Bunte Häuser oder Ausländer“. Aber auch andere Interviewpartner sind der Auffassung, daß mit „den Leuten aus den bunten Häusern schwer zu reden ist, weil sie eine eigene Auffassung von der Lebensweise“

21 ASUM, a. .a. .O., S. 15.

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haben. Bei dieser Ent- wicklung spielt der Zuzug (ausländer) von Bürgern und Bürge- rinnen nichtdeutscher Her- kunft nach Meinung der Mehrzahl der Befragten eine untergeordnete Rolle. „Ausländer, die hier leben, kannste an einer Hand ab- zählen.“ Im Vergleich zu Kreuzberg und Neukölln sei der Aus- länderanteil „noch ganz ange- nehm“, so eine befragte 17jährige Anwohnerin. Dies wird auch von den schriftlich Be- fragten so gesehen. Auf die Frage: „Wenn Sie Bürger- meisterin bzw. Bürger- meister ihres Kiezes wären, was würden sie als wichtigste Aufgaben sofort anpacken“22 wurde nur bei vier von insgesamt 239 Nennungen der Ausländerzuzug thematisiert. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang sicherlich der geringe quantitative Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Gegend um den Traveplatz. Dieses Problem stellt sich nach der Meinung einer Interviewpartnerin eher südlich der Boxhagener Straße, „mehr diese Niemannstraße, Modersohnstraße, da ist die nächste Schule, da ist schon ein höherer Anteil. Da ziehen auch mehr Bürger weg, weil sie sagen, da tritt eine Überfremdung ein. […] Aber das ist hier in der Ecke kein Thema.“ Trotz des relativ geringen Anteils Nichtdeutscher an der Gesamtbevölkerung bringen diese Äußerungen aber auch eine mögliche Problematik im Umgang von deutscher und nichtdeutscher Bevölkerung zum Ausdruck. Vorsichtig formuliert ein deutscher Inter- viewpartner, daß Zusammenleben sei zumindest „… gewöhnungsbedürftig. Man muß mit den Leuten erst in Kontakt kommen.“

22 Mehrfachnennungen waren möglich.

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Insgesamt verdichtet sich mit dieser Beschreibung der Sozialstruktur der Eindruck eines Kiezbildes, demnach vormalig gewachsene integrative soziale Bezüge im Kiez in Auf- lösung begriffen sind. Dies wird zudem als Reaktion auf die Nachwendedynamik gesehen. „Wir hatten nach der Wende so ein Loch, wo jeder sich in seiner Wohnung und seinem Privatleben eingeigelt hat.“ Trotzdem werden auch Ansätze für neue Bindekräfte gesehen. „Sie werden jetzt wieder offen. So in den letzten zwei Jahren. […] Unsere Elternschaft, also auch die jetzt heranwächst, die aus den ersten und zweiten Klassen sind sehr engagierte Leute. Da sind wir froh darüber.“ Mehrfach fiel in den Interviews in diesem Zusammenhang sinngemäß die Äußerung, daß die Familien, welche geblieben sind und jene, die neu zugezogen sind, sich bewußt für den Kiez entschieden haben.

Das subjektive Sicherheitsgefühl im Kiez

In den Interviews zeichnet sich ab, daß das Sicherheitsgefühl der Menschen im Kiez im großen und ganzen gut ist. Für jeden einzelnen konnte dies aber, weitgehend unabhängig von den tatsächlichen Erfahrungen, recht unterschiedlich ausfallen. Die Spannbreite reichte von „eigentlich fühle ich mich nirgendwo sicher, so richtig“ (8) bis „ein Kiez, wo man Angst haben muß, ist das bestimmt nicht.“ Auch in der schriftlichen Befragung wurden die Kiezbewohner/innen nach ihrem subjek- tiven Sicherheitsgefühl befragt. Gewählt wurden drei Fragen, die eine Vergleichbarkeit mit ähnlichen Untersuchungen ermöglichen, und zwar: Wie sicher fühlen Sie sich in Ihrem Kiez tagsüber außerhalb Ihrer Wohnung, wie sicher fühlen Sie sich in Ihrem Kiez nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb Ihrer Wohnung und wie sicher fühlen Sie sich in Ihner Wohnung? Bei den Antworten ergab sich folgendes Bild:

Tabelle 17: Sicherheitsgefühl

Sicherheitsgefühl im Sicherheitsgefühl im Sicherheitsgefühl in Kiez tagsüber Kiez bei Dunkelheit der Wohnung sehr sicher 27 5 36 eher sicher 58 36 54 eher nicht sicher 13 44 9 überhaupt nicht sicher 2 15 1

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Bei einem Vergleich der Zahl derjenigen, die sich eher nicht so sicher bzw. überhaupt nicht so sicher fühlen, entsteht folgende Verteilung.

Abbildung 4: Unsicherheitsgefühl tagsüber, bei Dunkelheit, in der Wohnung

70 58,1 60

50

40

30

20 15,3 9,9 10

Prozent 0 Tagsüber Dunkelheit Wohnung

Deutlich fällt auf, daß das Sicherheitsgefühl besonders nach Einbruch der Dunkelheit be- einträchtigt ist. „Es ist eigentlich ruhig im Kiez, nur nachts muß man mal ein bißchen auf- passen, wer einem entgegenkommt.“ Auch wenn die Zahl der Verunsicherten mit einem Anteil von über 58 Prozent hoch er- scheint, so liegt er doch in vergleichbarer Höhe mit anderen Untersuchungen. Generell ergeben Befragungen in Großstädten gegenüber kleinstädtischen und ländlichen Verhalt- nissen und Untersuchungen in Ostdeutschland gegenüber Westdeutschland höhere Un- sicherheitsbelastungen. Letzteres ist sicherlich den unterschiedlichen Lebensverhält- nissen vor und nach der Wende in Ostdeutschland geschuldet.23 Auch bei den geschlechtlichen Unterschieden, wonach sich Frauen (in der Dunkelheit) eher fürchten als Männer, liegen die Ergebnisse im Trend ähnlicher Untersuchungen. Hier ist allerdings ein Verzerrungseffekt nicht auszuschließen, da der Anteil der antwortenden Frauen gegenüber den antwortenden Männern höher liegt als im Geschlechterverhältnis der Kiezbevölkerung. Aufgrund der überrepräsentativen Beteiligung von Frauen und der unterrepresentativen Beteiligung von Männern bei Befragung kann angenommen werden, daß der angegebene Verunsicherungswert von 58 Prozent nach unten zu korrigieren ist. Allgemein zeigt der Kiez um den Traveplatz also, was die Beeinträchtigung des Sicher- heitsgefühles betrifft, keine besonderen Auffälligkeiten. Gleichfalls erreichen auch die in der Untersuchung ermittelten Verunsicherungswerte im Kiez um den Traveplatz einen Umfang, der nicht zu vernachlässigen ist. Schließlich schränkt Verunsicherungen und daraus resultierende Ängste die Bewegungsfreiheit ein und mindern dadurch erheblich die Lebensqualität in einem Kiez. Eine ehemalige Elternvertreterin an einer Schule im Kiez bringt dies mit Blick auf die Sorgen von Eltern zum Ausdruck.

23 Vgl. hierzu Kury, Helmut/Obergfell-Fuchs, Joachim, Kriminalitätsfurcht in Deutschland, in: Kriminalstatistik 1/1998, S. 27.

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„Die Eltern hier haben sicher Bedenken. Also eine Nachbarin von mir, die hat schon Probleme, die hat nur eine Tochter und ist sicher auch besonders be- sorgt. Die hat Angst, die Tochter irgendwo alleine hinzuschicken. Die hat‘s lieber, wenn jemand mitgeht oder geht auch selber mit. Zum Einkaufen, zur Schule. Sie durfte lange nicht alleine zur Schule gehen.“ So stellt sich die Frage nach den Gründen für die hier zum Ausdruck gebrachten Un- sicherheiten. In der öffentlichen Diskussion wird die Angst der Menschen in ihrem Wohn- umfeld immer wieder in Beziehung gesetzt zum ansteigenden Kriminalitäts- und Gewalt- aufkommen.

(Staatsfeinde)

Kriminalitätsbelastung 1997 wurden von einem Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Berlins für die Landes- kommission Berlin gegen Gewalt polizeiliche Daten aus den Jahren 1995 und 1996 für die Lebensbereiche 8 und 9 in Friedrichshain aufbereitet.24 Bei den untersuchten Gruppen von Straftaten handelt es sich um ausgewählte Delikte der sogenannten Straßenkrimina- lität, also um Delikte, die auf der Straße oder direkt von der Straße aus geschehen. Auffälliges Ergebnis der Untersuchung war, daß der Bezirk Friedrichshain und der zu- ständige polizeiliche Abschnittsbereich im Berliner Vergleich eine sehr hohe Zahl an an- gezeigten Straftaten im Bereich der Straßenkriminalität aufweisen. Die Untersuchung für die Lebensbereiche 8 und 9 ergab ein ähnliches Bild.

24 Landeskommission Berlin gegen Gewalt, Versuch der Situationsbeschreibung des Modellkiezes Friedrichshain aus polizeilicher und sozialstruktureller Sicht, Berlin 1997.

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Den höchsten Anteil machen Diebstähle (einfacher Diebstahl, Wohnungseinbruch, son- stiger Einbruch, Zweiraddiebstahl und Diebstahl von und aus Kraftfahrzeugen) mit über 50 Prozent aus. Unter den einzelnen Positionen treten vor allem der sonstige Einbruch (aus Geschäften, Kellern etc.), die KFZ-Kriminalität und die Körperverletzung hervor. Ins- gesamt ist ein Rückgang der hier registrierten Straftaten von 1995 auf 1996 in Höhe von knapp 9 Prozent festzustellen. Wobei die Zahlen der angezeigten Straftaten im nördlichen Bereich des Modellgebietes(Lebensbereich 8) mit über 11 Prozent zurückgegangen sind, während dies im Süden der Boxhagener Straße (Lebensbereich) nur ca. 7,5 Prozent waren. Statistisch ergibt sich folgendes Verteilungsbild:

Tabelle 18: Polizeiliche Kriminalitätsstatistik für das Modellgebiet

Delikt/Tat- und Nord Nord Gesamt Süd Süd Gesamt Total Anteil an der Zeitraum 1995 1996 Nord 1995 1996 Süd Kiezkriminalität in Prozent Einfacher Diebstahl 385 266 651 441 330 771 1.422 12,33 Wohnungs- einbruch 112 106 218 90 102 192 410 3,55 Sonstiger Einbruch 501 509 1.010 434 544 978 1.968 17,23 Zweirad- diebstahl 217 171 388 234 206 440 828 7,18 KFZ- Kriminalität 432 315 747 551 465 1.015 1.762 15,27 Sachbe- schädigung 462 441 903 430 387 817 1.720 14,91 Körperver- letzung 287 283 570 251 227 478 1.048 9,08

Raubtaten 55 66 121 39 37 76 197 1,71 Erpressung/ Nötigung/ 93 71 164 69 67 136 71 0,62 Bedrohung Sexualdelikte und Miß- 20 22 42 16 22 38 80 0,69 handllungen Kleinkriminalität 152 161 313 140 135 275 588 5,21 25 + 3 + 3 + 6 + 4 + 3 + 7 + 13

Dem Autor zufolge geben diese Daten Aufschluß darüber, daß „in Anbetracht der kiez- spezifisch relativ geringen Größe des Untersuchungsgebietes und unter Berücksichtigung einer sehr hohen Bebauung des Gebietes […] die hier zu verzeichnenden Zahlen als überproportional hoch zu bewerten“26 sind.

25 Die bei der Kleinkriminalität mit + angehangenen Werte geben „Beleidigungen auf sexueller Grundlage“ wieder. 26 Ebenda, S 14.

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Die Daten der Jugendgerichtshilfe vermitteln für das Modellgebiet eine im Vergleich zu den anderen Lebensbereichen durchschnittliche Zahl an jugendlichen und heranwach- senden Tätern. 1998 ist die Zahl der Täter gegenüber 1997 zurückgegangen. Die Jugendkriminalität im Modellgebiet hat sich aus Sicht der Polizei (Operative Gruppe Jugendgewalt – OGJ) verändert. Straftaten werden seit ca. zwei Jahren von sich eher spontan zusammenfindenden Jugendgruppen verübt, ein Phänomen, was allgemein in Berlin beobachtet werden kann. Feste Gruppenstrukturen, die vorher bestanden, bei- spielsweise mit Treffpunkten am Boxhagener Platz, sind nach Einschätzung der OGJ durch ihre intensive Arbeit vor Ort aufgelöst bzw. verdrängt worden. Generell läßt sich im Bereich der Jugendgruppengewalt in diesem Gebiet eine Abnahme bei Körperverlet- zungen gegenüber einer Zunahme von Raubdelikten feststellen. Dies bestätigen die Zahlen der Jugendgerichtshilfe von 1997 und 1998 allerdings nicht.

Einschätzungen zur Kriminalität Die relativ hohe Zahl an angezeigten Straftaten im Modellgebiet wird – so zumindest die Ergebnisse dieser Untersuchung – im Kiez um den Traveplatz nicht als besonderes Problem gesehen. Übereinstimmend wurde die Kriminalitätslage im Kiez von den Ge- sprächspartner/innen als nicht gravierend eingeschätzt. Die meisten meinten, das Thema Kriminalität würde allgemein überschätzt. „Es sind sporadisch mal einzelne Sachen von denen man hört. Da werden nachts mal ein paar Autoscheiben zerstört. Aber daß es ein richtiges Thema ist, mit dem man sich beschäftigen muß, das glaube ich nicht.“ Laut Auskunft eines Beamten der Polizei wurden 1998 direkt am Traveplatz nur vier Straftaten schwerer Straßenkriminalität (Körperverletzung, Erpressung, Nötigung, Be- drohung) angezeigt, und zwar zwei im Juni und zwei im August 1998. Bei den restlichen Anzeigen handelte es sich um Fälle wie Verletzung des Postgeheimnisses oder Steuer- betrug wegen Hinterziehung der Hundesteuer. Seiner Einschätzung nach kann dieser Kiez um den Traveplatz „aus kriminalistischer Sicht als ausgesprochen ruhig“ eingeschätzt werden. Sicherlich werden Fälle von Kriminalität wahrgenommen, in vielen Fällen auch durch die Opferwerdung von Verwandten und Bekannten. Feststellbar sind in diesem Zusammen- hang allerdings unterschiedliche Auffassungen zum Begriff der Kriminalität. Während die einen darunter nur schwere Straftaten zählen, ist für andere auch schon Beleidigung eine Form der Kriminalität. Ein Viertel der schriftlich Befragten befürchten, in den kommenden Wochen und Monaten Opfer einer Straftat zu werden. Ebenfalls ein Viertel der schriftlich Befragten gab an, in den letzten zwölf Monaten Opfer einer Straftat geworden zu sein. Auf die Frage nach der Art ihrer Opferwerdung werden an erster Stelle mit fast 46 Prozent Pöbeleien und Beleidi- gungen benannt, an zweiter Stelle folgen Diebstahldelikte mit 34 Prozent der Nennungen. Auch dies läßt sich als Indiz dafür interpretieren, daß der Kriminalität im Kiez nicht unbe- dingt eine zentrale Bedeutung zukommt. Schließlich werden von den Opfern Faktoren an

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erster Stelle der Befürchtungen genannt, deren strafrechtliche Relevanz in vielen Fällen zumindest als umstritten gelten kann. Zudem gaben mehr als 50 Prozent der Gruppe an, die befürchten Opfer einer Straftat zu werden, in den vergangenen zwölf Monaten selber Opfer einer oder mehrerer Straftaten geworden zu sein. Es ist also davon auszugehen, daß sie als Opfer in besonderem Maße für dieses Thema sensibilisiert sind. Auch die Antworten zur Frage nach der Entwicklung von Kriminalität im Rahmen der schriftlichen Befragung geben Hinweise auf die Einschätzung von Kriminalität im Kiez. Die eine Hälfte der Befragten (51,4 Prozent) meinte, die Kriminalitätslage sei gleich geblieben oder hätte abgenommen (5,5 Prozent). 43,1 Prozent vermuten demgegenüber, Kriminali- tät habe zugenommen. Auf die Frage, welche Straftaten im Kiez zugenommen haben, antworteten nur 40 von 111 Personen. Auch dies ist sicherlich ein weiterer Indikator für den geringen Stellenwert von Kriminalität aus Sicht der Kiezbewohner.

Tabelle 19: Welche Straftaten haben im Kiez zugenommen

Deliktart Nennungen Wohnungseinbrüche/Sonstige Diebstahldelikte 27 Zerstörung/Vandalismus 22 Belästigung 12 Raub/Überfälle 8 Schießereien 5 Körperverletzung 3 Sonstige Einzelnennungen 11

Diese Tabelle zeigt im Vergleich mit der oben dargestellten Tabelle über die Verteilung der angezeigten Straftaten im Modellgebiet eine durchaus realistische Einschätzung. Diebstahldelikte (Wohnungseinbrüche, sonstige Diebstahldelikte) erreichen mit 27 Nen- nungen die größte Häufigkeit. An zweiter Stelle stehen mit 22 Nennungen (Zerstörung und Vandalismus) Sachbeschädigungen. Materielle Schädigungen werden also – ver- gleichbar zur Anzeigenverteilung im Modellgebiet – in der eingeschätzten Kiezkriminalität mit großem Abstand als das Hauptproblem angesehen. Auffällig ist allerdings auch hier, daß Belästigung einen vorderen Rang einnimmt. Wie schon bei den beschriebenen Auswirkungen der Veränderungen in der Sozialstruktur geben Belästigungen, die schon benannten Pöbeleien und Beleidigungen, aber auch Zerstörung und Vandalismus mit ihrer häufigen Nennung einen weiteren Hinweis darauf, daß sich die Bewohner/innen des Kiezes in ihrer Lebenswelt in besonderer Weise durch die Verlet- zung von „bürgerlichen Verhaltensregeln“ beeinträchtigt sehen. Was die Kriminalitätsbelastung betrifft, wird die Situation außerhalb des Kiezes als pro- blematischer angesehen, denn 76,6 Prozent der Befragten sind der Meinung, daß die Kriminalität in Deutschland zugenommen habe. Dies gilt wohl auch für benachbarte Kieze. Obwohl die oben angeführte Kriminalitätssta- tistik keine signifikanten quantitaitven Unterschiede beim Umfang der angezeigten Straf- taten aufweist, finden sich hierfür Belege aus den Expertengesprächen. Interviews, die mit

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Mitarbeiter/innen aus sozialen Einrichtungen südlich der Boxhagener Straße und dort ver- antwortlichen Beamten der Polizei geführt wurden, verdeutlichen ein Meinungsbild, daß der Lebensbereich 9 einer erheblich stärkeren Belastung durch Straftaten unterliegen soll. So äußert sich die Sozialarbeiterin aus einem Selbsthilfetreffpunkt, in dem hauptsächlich ältere Menschen verkehren, daß die Besucher/innen ihres Treffpunktes fast täglich über Diebstähle und Einbrüche berichten. Ihrer Meinung nach ist das größte Problem des dor- tigen Kiezes die Kleinkriminalität, und zwar schwerpunktmäßig am Boxhagener Platz, der ein zentraler Treffpunkt für Kriminelle, Dealer, Obdachlose und Alkoholiker sei. Ein wach- sender Anteil an dieser Problematik wird dabei Menschen ausländischer Herkunft zuge- sprochen. Thematisiert werden in diesem Zusammenhang auch immer wieder laut Aus- kunft der Polizei so benannte türkische Jugendgruppen aus Kreuzberg, die in Friedrichs- hain Straftaten begehen. Täterbeschreibungen sprechen beispielsweise von „Menschen mit südländischem Aussehen, die nach Begehung der Straftat Richtung Warschauer Brücke flüchteten.“ Derartige Vorkommnisse, insbesondere auch im Hinblick auf Täter ausländischer Her- kunft, bilden in der Gegend um den Traveplatz eher die Ausnahme. Soweit Ereignisse vorkommen, beispielsweise Fälle von Nötigung und Raub auf dem Traveplatz, bei denen den Tätern ein „ausländisches Aussehen“ zugeschrieben wird, kommt im Gebiet um den Traveplatz eher ein nahegelegenes Aus- länderwohnheim für Flüchtlinge in Verdacht. Laut Auskunft von Beamten der Polizei sind jugendliche Bewohner dieses Heimes schon mehrfach aus polizeilicher Sicht auffällig ge- worden. Daß hier eine besondere Auffälligkeit vorliegt, wurde aber eher als Vorurteil be- wertet. Auch nach Einschätzung der Heimleitung verüben die Heimbewohner/innen nur sehr wenige Straftaten und verhalten sich den Kiezbewohner/innen gegenüber nicht auf- dringlich oder gewalttätig. Auf Bitte der Heimleitung wurden beispielsweise die Fahrräder im Hof des Wohnheimes von der Polizei kontrolliert, da immer wieder behauptet wurde, sie wären gestohlen. Bei der Überprüfung konnte dies nicht bestätigt werden.

Gewalt Auch bei der Einschätzung zum Vorkommen von Gewalt im Kiez gab es bei den Ex- pert/innen und Schlüsselpersonen große Übereinstimmung: Gewalt, so hieß es, sei kein Problem. Obwohl auch zu diesem Bereich eine ganze Reihe von Vorkommnissen berich- tet werden. Am unmittelbarsten beschreibt – wahrscheinlich nicht zufällig – die jüngste der Gesprächspartner/innen Gewalterlebnisse. Zunächst schätzt sie die Lage im Kiez im Ver- gleich zu Neukölln als relativ harmlos ein: „Gewalt, das ist in Neukölln extremer. Das krieg‘ ich auch so mit, daß Mäd- chen von ihren Freunden geschlagen werden, daß das da normal ist. Das hab‘ ich hier so noch nicht erlebt.“ (8) Die Art und Weise, wie sie dann aber über bestimmte Vorfälle berichtet, scheint auf die Alltäglichkeit von Gewalt in der Lebenswelt von Jugendlichen hinzuweisen.

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„Ein Bekannter war besoffen und hat sich gestritten. [Der Streit] ist ausge- artet, und er hat den anderen abgestochen. [...]. Ich war auch ein bißchen über mich selber erschüttert gewesen, weil es mir so egal war; aber ich kannte den nicht.“ [...] Also letzten Endes auch wieder mal, so ein Beispiel. Da hat einer von uns mal ein paar Jugendliche nach einer Zigarette gefragt. Die haben so komisch ge- guckt und meinten, sie hätten keine. Dann sind wir ein Stückchen weiterge- gangen, weil wir mit der Straßenbahn fahren wollten. Und als wir dann so fünf Meter von den Jugendlichen entfernt waren, haben sie die Schachtel rausge- holt und haben sich eine Zigarette angesteckt. Da ist mein Kumpel hinge- gangen und hat allen dreien in die Schnauze gehauen. Das fand ich korrekt. Warum lügen sie uns auch an und sagen, sie hätten keine. Sie hätten ja auch sagen können, es wäre ihre letzte gewesen.“ Von Messerstechereien auf Schulhöfen berichtete eine Expertin aus dem Bildungs- bereich, allerdings habe sie davon nur durch Erzählungen von Kindern gehört, die die Einrichtung, in der sie arbeitet, besuchen. Als eher harmlos werden wahrgenommene Auseinandersetzungen unter Jugendlichen und Kindern von einem Anwohner dargestellt. „Kommt weniger vor. Ich erlebe es ja, daß am Traveplatz sich die eine oder andere Clique, nicht mal Clique, Gruppe Jugendlicher, von Heranwachsenden so zwischen 12 und 15 Jahren, so artikuliert. Manchmal auch, wie Bedrohung von Jüngeren, aber das sind, klar, immer Einzelfälle.“ An den Schulen sei Gewalt unter den Schüler/innen kein Problem, meint eine andere Ex- pertin. Ip: „Also Schubsereien, Rangeleien und sowas gibt‘s bei Kindern immer. Aber sowas, was ich als Gewalt bezeichnen würde, haben wir nicht. […] So sporadisch passiert vielleicht etwas. Aber das ist kein Thema. Und da, wo ich wohne in Lichtenberg, da haben wir in der Dunkelheit genauso Angst, auch wenn nichts passiert.“ (19) Dieselbe Expertin berichtet darüber hinaus von einem Fall, in dem ein Kind von seiner Mutter „massiv verprügelt“ wurde. Und als weitere Einzelfälle seien ihr in der Zeit ihrer Tätigkeit an der Schule, etwa in neun Jahren, zwei Fälle von sexuellem Mißbrauch von Kindern bekannt geworden. Int: „Ich erlebe halt manchmal auf‘m Spielplatz so ‚ne Mutti, die ihren Schuh auszieht und droht, na ja, weiß man nicht, was da so abläuft.“ Eine andere Form der Gewalt, die Vernachlässigung von Kindern, wird von derselben Gesprächspartnerin angesprochen. „... Oder Kinder, die in den Kindergarten kommen und krank sind. Und die Er- zieher rufen die Eltern an im Betrieb und sagen, die müssen kommen, ihr Kind hat Fieber, und dann sagt der Arbeitgeber halt: „Was, die Mutti ist schon eine Woche auf das Kind krank geschrieben, und die ist gar nicht hier.“

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In ähnlicher Weise berichtet eine weitere Expertin von „kleineren“ sexuellen Belästigun- gen von Kindern. Neben der Gewalt unter Jugendlichen und Kindern und der von Erwachsenen an Kindern wird als weitere Gewaltform im öffentlichen Raum die Gewalt von „Rechten“ thematisiert. „Ach so, ja, Gewalt, da habe ich mich etwas unsicher gefühlt. Das war im vorigen Winter, da war hier drüben, wo das Ringcenter 2 ist, da war ‚ne Eis- fläche, und das war Treffpunkt der Rechten. Ja, da war dann schon... […] Ja, ein Freund von mir, der wurde hier Anfang der 90er in der Silvesternacht von mehreren Nazis zusammengeschlagen.“ Die Bedrohung durch „rechte Gewalt“ sei aber in den letzten zwei Jahren zurückge- gangen.

(WBF – Plakatwand)

Gewalt und Kriminalität als Unsicherheitsfaktoren Zusammenfassend läßt sich also interpretieren, obwohl Kriminalität und Gewalt nicht als bedrohliches Phänomen innerhalb des Kiezes wahrgenommen werden, gibt es doch eine gewisse Furcht davor. Diese wird zunächst einmal als Teil einer großstädtischen Norma- lität gesehen. „Man ist hier nicht weniger sicher oder sicherer wie in jedem anderen Bezirk von Berlin.“ Die Verunsicherung geht dabei – so vermuten viele Interviewpartner/innen – häufig weni- ger von konkreten Erfahrungen als vielmehr von der Berichterstattung in den Medien aus.

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„Sicherlich spielt für die Stimmung der Leute auch die Medienberichterstattung eine Rolle. Aber wenn man es an konkreten Fällen festmachen will, wo Kinder unserer Schule involviert waren, brauche ich nicht meine zehn Finger.“ Verantwortlich für diese Verunsicherung sei der Teil der Medien, der besonders sensa- tionslüstern über Kriminalität berichtet: „Wenn ich jeden Tag den Kurier lesen würde, da würde ich wahrscheinlich auch mehr Angst haben.“ Hinzu kommt, daß auch im weiteren Umfeld gelegentlich spektakuläre Straftaten – wie beispielsweise Schießereien – vorkommen. Diese sind zwar in spezifischen Milieus ange- siedelt, die in der Regel keinen Kontakt mit der normalen Bevölkerung haben, sie können sich aber trotzdem negativ auf das Sicherheitsgefühl auswirken. Eine Gruppe, die sich häufig verunsichert fühlt, ist die der älteren Menschen. Auch hier muß unterschieden werden zwischen tatsächlicher und vermuteter Bedrohung und einer daraus resultierenden emotionalen Betroffenheit, die ganz reale Konsequenzen hat. So wird von einer älteren Gesprächspartnerin berichtet, daß sie nach Einbruch der Dun- kelheit praktisch nicht mehr die Wohnung verläßt. Sie verzichtet aus diesem Grund auf die Teilnahme an verschiedenen Freizeitaktivitäten. Selbst das Klingeln an der Wohnungstür würde sie erschrecken. Ihre Unsicherheit kann sie sich selbst nicht so richtig erklären, obwohl sie bereits einmal Opfer einer Straftat geworden ist. Am ehesten hätte ihre Un- sicherheit mit der „Flüsterpropaganda“, mit dem, „was man so hört“, und der Bericht- erstattung in den Medien zu tun. Kriminalitätsfurcht verbindet sich also nicht notwendiger- weise mit erlebbarer Kiezkriminalität. „Ihr subjektives Sicherheitsgefühl, gegenüber der DDR-Zeit, das artikulieren sie (die Alten – d. V.) als schlechter, obwohl es kaum richtig nachvollziehbare Gründe gibt. Natürlich kommt es immer wieder vor, daß mal ein Handtaschen- raub war, ob in der Frankfurter Allee oder am Boxhagener Platz, das ist völlig egal. Das spricht sich ja rum. Aber eigentlich ist es nicht faßbar. Es gibt ei- gentlich keinen Grund dafür. Die Dinge, die vorkommen, Handtaschenraub hier oder ‚ne Schießerei in der Wühlischstraße Das hört man, aber selten hat man damit etwas zu tun oder. All diese Dinge mindern natürlich das Gefühl von Sicherheit, aber viele richtig schlechte Erfahrungen sind mir nicht bekannt. Eigentlich ist es ein relativ sicheres Gebiet.“ Was führt also dazu, daß es in einem „relativ sicheren Gebiet“ trotzdem zu Beeinträchti- gungen des subjektiven Sicherheitsgefühles kommt.

Verunsicherung durch „nichtkriminelle“ Faktoren In der schriftlichen Befragung wurden die Kiezbewohner/innen danach befragt, ob es ab- gesehen von Kriminalität weitere Dinge gibt, die ihr Sicherheitsgefühl oder die Zufrieden- heit mit ihrem Kiez beeinflussen. Für die Antwort gab es sowohl Vorgaben als auch die Möglichkeit eigene Punkte zu benennen.

Tabelle 20: Sonstige Ärgernisse und Probleme im Kiez

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Kein oder großes oder sehr Gesamt geringes Ärgernis großes Ärgernis Schmutz und Müll 13 98 111 beschädigte öffentliche Einrichtungen 26 74 100 undisziplinierte Autofahrer 35 65 100 Betrunkene 39 63 102 besprühte Wände 46 62 108 sichtbar Drogenabhängige 50 41 91 Jugendliche auf der Straße 64 37 101

Offenkundig handelt es sich bei den meist genannten Faktoren (Schmutz und Müll, be- schädigte öffentliche Einrichtungen, Besprühte Wände) die zu Irritationen führen, um Um- stände, die das öffentliche Erscheinungsbild des Kiezes beeinträchtigen. Die besondere Rolle dieser Problematik erschließt sich auch aus den Antworten auf die Frage nach den wichtigsten Aufgaben eines Bürgermeisters in der schriftlichen Befragung. Hier wird an erster Stelle die Durchsetzung von Sauberkeit und Ordnung und die Sanierung und Pflege von Häusern und Außenanlagen verlangt. An zweiter Stelle werden in der oben vorgestellten Tabelle Personengruppen benannt, die durch ihr rücksichtsloses (Autofahrer) oder anstößiges (Betrunkene) Verhalten die Nut- zungsmöglichkeiten des öffentlichen Raumes beeinträchtigen. Verunsicherung und abnehmende Zufriedenheit im Kiez um den Traveplatz resultiert also deutlich aus wahrgenommen Verwahrlosungstendenzen im öffentlichen Raum. In der schriftlichen Umfrage wurde außerdem ohne Antwortvorgaben nach den unan- genehmsten Dingen im Kiez gefragt.

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Tabelle 21: Das Unangenehmste am Kiez Das Unangenehmste im Kiez Befragte in Prozent der Befragten Hunde/Hundekot 54 54,0 Schmutz 28 28,0 zu wenig Grünflächen 11 11,0 zu viele Baustellen 10 10,0 Betrunkene 8 8,0 Kriminalität 8 8,0 Lärm 4 4,0 schlechte Straßenbeleuchtung 4 4,0 zu viele Ausländer 4 4,0 fehlende/nicht beachtete Verkehrsberuhigung 3 3,0 Klima/Nachbarschaft 3 3,0 Sonstiges 46 46,0 Befragte insgesamt 100 187,0

Diese Tabelle zeigt eine deutliche Parallität zur vorangehenden Tabelle und belegt da- durch, daß die zunehmende Verschmutzung des Kiezes und hier insbesondere durch die Folgen der Hundehaltung als das größte Ärgernis angesehen wird. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die 1997 durchgeführte Untersuchung von ASUM, deren Ergeb- nisse in der folgenden Tabelle vorgestellt werden.

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Tabelle 22: Negative Merkmale im Sanierungsgebiet Traveplatz/Ostkreuz27 negative Merkmale der Nennungen Nennungen Haushalte Wohngegend insgesamt in Prozent in Prozent Straßenbild 333 45 82 davon Hundekot 191 26 Schmutz, Dreck 142 19 Soziale Struktur 138 20 34 davon Soziales Milieu 47 7 Rechtsradikale 7 1 Penner 15 2 Ausländer/Asylsuchende 20 3 Hausbesetzer, Autonome 21 3 Kriminalität/Unsicherheit 28 4 Umweltfaktoren 128 16 32 davon Verkehrsbelastung 30 4 Lärm 76 10 Luft 11 1 Freiraumgestaltung 11 1 Sanierung, Bebauung 97 13 24 davon Erg. Mod. Neubauten 10 1 Eng, marode, trist 87 12 Verkehrsanbindung 20 3 5 Sonstiges 29 4 7

Gesamt 745 100

An beiden vorangegangenen Tabellen fällt auf, daß Kriminalität aus Sicht der Bewoh- ner/innen nur eine sehr nachgeordnete negative Bedeutung mit jeweils ca. 4 Prozent aller Nennungen zukommt. Daß Kriminalität und strafrechtlich relevante Gewalt nicht unbedingt den hauptsächlichen Grund für Verunsicherung ausmachen muß, verdeutlichen auch andere Untersuchungen aus Österreich, Großbritannien und den USA. 28 Das Auftreten von Subkulturen, Belästi- gungen, Beleidigungen, Pöbeleien, Vandalismus, Schmutz als Alltagsprobleme, von denen sich die Bewohner/innen des Kiezes in wachsendem Maße seit der Wende be- lästigt sehen, sind ein „Indiz für Unordnung im Sinn sozialer Desorganisation, als Zeichen für das Nichtfunktionieren und den Niedergang der Stadtregion. Unordnung, in sozialer oder baulich-physischer Hinsicht – ‚social and physical disorder‘ […] oder ‚incivility‘ -, signalisiert den Zusammenbruch allgemein geteilter Normen und bewirkt bei den Bewoh- nern erhöhte Unsicherheit“29. Der Kiez, ein subjektiv gebildeter Sozialraum, der von seinen Bewohner/innen mehr oder weniger als Einheit wahrgenommen wird; der Ort, an dem sie sich zu Hause fühlen, löst sich in ihren Augen als soziale Einheit auf.

27 ASUM, a. .a. .O., Berlin 1997, S. 34. 28 Vgl. Hammerschick, W. u. a. (Hrsg.), Die sichere Stadt. Prävention und kommunale Sicherheitspolitik, Baden-Baden 1996, S. 34 f. 29 Ebenda.

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Dies kann nach der „Broken-Windows-Theorie“ als Vorform erhöhter Kriminalität begriffen werden, und begründet damit unter Umständen wachsende Kriminalitätsfurcht. Im Kern handelt es sich jedoch zunächst einmal nur um eine zunehmende sozialräumliche Unwirt- lichkeit, die wesentlich durch die gesellschaftlichen Umstrukturierungsprozesse nach der Wende mit bestimmt ist.

(Mülltonnen, spielende Kinder)

Probleme und Problemgruppen Friedrichshain ist „eher mehr so downtown, ein bißchen dreckig, ein bißchen dunkel, ein bißchen asozial, kaputte Häuser und alkoholisiert“.

Äußere Verwahrlosung: Verschmutzung und Müll und andere Probleme Die zentrale Bedeutung dieser Thematik wurde im vorangegangenen Abschnitt schon eingeführt. Verschmutzung ist allerdings ein weit gefaßter Begriff. Darunter fallen Schmie- rereien, die von anderen als Graffiti bezeichnet und mit der Kommentierung versehen wurden, Berlin sei ohnehin zu sauber. Mit Verschmutzung ist auch gemeint, wenn das Herbstlaub zu lange auf den Straßen liegen bleibt, „aber vielleicht war es auch ein besonders laubreicher Herbst“, oder die Hausreinigung das Treppenhaus nur mangelhaft reinigt. Unter Verschmutzung wäre auch die Belästigung durch die mit den Sanierungsmaßnahmen verbundenen Bau- arbeiten zu fassen, die immerhin ein Ausmaß haben, daß sich eine Gesprächspartnerin überlegt, deswegen wegzuziehen.

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Gemeint ist aber wohl hauptsächlich der Müll, der sich auf den Straßen ansammelt. Und Kernpunkt des Problem scheint ohnehin eher die Mentalität zu sein, die den Dreck ver- ursacht, als der Müll selbst. „Da wird eher weggeguckt. Als auch im unbeobachteten Moment das eigene dazu gestellt. Also die Erfahrungen sind eher leidvoll. Wenn sich irgendwo eine Müllecke entwickelt, dann wächst sie schnell.“ Neben Schmutz und Müll wird noch eine Vielzahl weiterer Probleme und Belästigungen angesprochen Es werden erwähnt: Lärmbelästigung im Zusammenhang mit dem Auto- verkehr, durch Gaststättenbetrieb bzw. eine Techno-Disco. Störender Lärm werde auch durch die Vielzahl von Baustellen verursacht, die ebenso für Belästigungen durch Schmutz verantwortlich sind. Neben dem Lärm stört der starke Kraftverkehr durch zu ge- parkte Gehwege und Luftverschmutzung. Als angstmachende Plätze, gerade im Dunkeln, werden die Jessnerstraße und der hintere Teil der Weichselstraße genannt. Verunsichernd wirkt dabei – vor allem natürlich abends und nachts – eine gewisse Leere auf den Straßen, die durch Wohnungsleerstand, feh- lende oder ungenügende Straßenbeleuchtung und das Fehlen einer lebendigen Kneipen- und Gewerbekultur entsteht. Dies wird verstärkt durch die Sanierungsmaßnahmen, wenn die Häuser mit Gerüsten bedeckt sind: „da möchte man da wirklich nicht langgehen“. Mehrfach wurde eine bestimmte Gruppe von Menschen als Verursacher/innen der Ver- schmutzung angesehen bzw. gesagt, daß dies eine weitverbreitete Ansicht in der Bevöl- kerung sei. „Es ist erst so massiv dreckig seit der Wende. Ich möchte behaupten, es sind nicht alle Friedrichshainer, die hier den Dreck bringen. Es ist massiver Zuzug von Leuten, die Asis sind.“

Das Problem des Kiezes: Hunde und ihre Besitzer/innen Der Überblick in der oben dargestellten Tabelle (Was ist das Unangenehmste am Kiez?) zeigt, daß ein zentrales Thema des Viertels Hunde bzw. die damit verknüpften Folgen sind. Dies wird nicht nur von den mündlich, sondern auch von den schriftlich Befragten so gesehen. Mit 54 Nennungen steht „Hunde/Hundekot“ mit weitem Vorsprung vor allen anderen Unannehmlichkeiten des Kiezes an erster Stelle. „Problem Nr. 1 stellen die Hunde dar bzw. das, was sie hinterlassen, noch mehr als die Hunde selbst.“ (25) „Die Gehwege sind ja, wie das in einem Altbauviertel so ist, recht eng. Und wenn man, unsere Kinder haben es neulich gezählt, von der Scharnweber Straße bis zur Schule (ca. 100 Meter – d. V.) 111 Hundehaufen hat, dann kann man sich vorstellen, daß ein Erstklässler bei jedem Schritt in der Scheiße steht.“

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(Hundebesitzerin)

Neben dem Problem des Hineintretens in den Hundekot, das für Kindern und allem für die oft etwas schlechter sehenden älteren Menschen ein besonderes Risiko darstellt, gibt es eine ganze Reihe weiterer Belästigungen und Gefahren. Hunde, so wurde angegeben, sind eine Lärmbelästigung. „Nein, so ein Wohngebietsfest, das ist nun nicht so mein Ding. Was mir positiv aufgefallen ist, daß die um 22 Uhr eingepackt haben. [lacht] Das war sehr an- genehm, daß die mal nicht bis um 3 Uhr morgens gemacht haben. Wenn das mal passiert, ist das auch nicht so schlimm. Schlimmer ist, wenn die im Sommer mitternachts ihre Hunde hier spazieren führen und die Hunde dann aufeinander losgehen. Das stört, das Hundegebell. Und die Tretminen natür- lich.“ Eine Gefahr, insbesondere für Kinder und ältere Menschen, würden auch die von Hunden gegrabenen Löcher auf den Grünflächen darstellen. Es bestehe die Möglichkeit, sich beim Hineintreten zu verletzen. Auch Angriffe von Hunden werden ebenfalls als Gefahr – auch hier vor allem für Kinder – gesehen. Konkrete Ereignisse werden aber von keinem der Befragten berichtet. „Man würde sich schon mal freuen, wenn man mit Kind über eine Wiese laufen kann, ohne irgendwo reinzutreten. Wo man einfach mal spielen kann. Man muß schon in den Treptower Park fahren oder ganz raus aus Berlin, wenn ich mit [meinem Sohn] mal Ball spielen will. […] „Am meisten wünsche ich mir einen hundefreien Platz.“

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Das Hundeproblem hat sich in den letzten Jahren verschärft. Hier wird eine Verbindung des Hundeproblemes zu den oben dargestellten sozialstrukturellen Veränderungen her- gestellt. „Die Leute haben sich mehr Hunde angeschafft, auch große Hunde, und es sind auch junge Leute, die Hunde haben. Und am Traveplatz, da treffen sich die. Das sind nicht mehr Oma und Opa, die mit ihrem Wauwau da ankommen, sondern das sind richtig große Teile.“ Es sind vor allem junge Leute mit ihren Hunden, die das Problem ausmachen, und diese Altersgruppe macht einen überproportionalen Anteil an der Bevölkerung im Kiez aus. Augenscheinlich haben diese Hunde – so läßt sich vermuten – für ihre (jungen) Be- sitzer/innen eine besondere Bedeutung. Sie bedeuten für viele von ihnen eine Orientie- rungs- und Selbstdarstellungsfunktion, mit der eine allgemeine subkulturelle oder auch eine spezifische soziale Gruppenzugehörigkeit symbolisiert werden soll. Gleichzeitig läßt der hohe Anteil an Single-Haushalten im Kiez die Schlußfolgerung zu, daß eine weitere wichtige Rolle der Hunde in der Kompensation von Einsamkeit liegen könnte. Damit er- geben sich also gewichtige sozialstrukturelle Deutungsmuster, welche eine Erklärung für die Herausstellung der Hundeproblematik im Kiez begründen. Mithin müssen Strategien die auf diese Situation abzielen, immer auch den sozialkulturellen Hintergrund mit in Be- tracht ziehen. Es sind die Hundebesitzer/innen – so wird es von den meisten Befragten gesehen –, die mit ihrem Verhalten die Situation zuspitzen. Sie würden nach dem Motto „Ich zahle Steuern, und dann kann mein Hund alles machen“ handeln. Als Kerngruppe des Konflikts wird, wie auch bei der Frage der Verschmutzung des Gebietes, eine Minderheit von Hun- dehalter/innen ausgemacht: „Außer Frage. Wir haben schon öfters mal einen Funkwagen holen müssen, wenn die da Bierbüchsen saufend auf dem Traveplatz die Freizeitflächen da belegen und ihre Köter da nicht an der Leine haben, dann kriegen unsere Kinder Angst, schon am Tage, geschweige denn abends.“ Die Kommunikation mit den Besitzern gestaltet sich schwierig: „... die haben ja auch recht große Hunde, und da sich mit so einem Besitzer anzulegen, wenn der Hund hier genau vor die Schule geschissen hat, ist schon eine vage Sache.“ Es geht dabei nicht ausschließlich um punktuelle Gefahren und Belästigungen. Von den Befragten wird vielmehr eine Rivalität um öffentlichen Raum, vor allem um die knappen Grün- und Freiflächen, diagnostiziert. Ein Hundebesitzer, Bewohner eines ehemaligen besetzten Hauses, versucht bei aller Anerkenntnis der Probleme, die es gibt, zu differenzieren und zu relativieren: „Tierisch viel Leute hier in der Ecke haben halt Hunde. Das sind nicht nur die Besetzerhunde, wie es immer so schön heißt. Die Punks z. B., die haben sie ziemlich eklig da vertrieben. Bei denen kam immer der KOB an mit Steuer- marken von Hunden feststellen; Platzverweisen, die haben da abends mal ein

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bißchen gefeiert, da sind die, dann gleich mit Wannen angerückt und haben die fast zusammengeschlagen und so‘n Kram.“

(Jugendliche auf Kinderspielplatz)

Die „Asis“, „Klebrigen“ und „Bunten“ Auffälligerweise dominieren im Bewußtsein der Kiezbewohner/innen unter den Hunde- haltern Gruppen „oft arbeitslos und mit Bierflaschen miteinander unterhaltend“ (7), die mit großen, angsteinflößenden Hunden den öffentlichen Raum besetzen. Auf dem Traveplatz „..trifft sich halt auch so’n bißchen, ja komisches Gesindel, […] denen man vielleicht nicht so gerne begegnen würde“. „Bunte“, „Klebrige“, „Glatzen“, „Alkis“ oder „Asoziale“, um hier einige Bezeichnungen wiederzugeben, die in diesem Zusammenhang gefallen sind. „Solche, die nicht arbeiten gehen und sich auf Kosten anderer durchschla- gen. Sich auch wenig waschen. Mein Mann sagt immer, die Bunten und die Klebrigen.“ Asis, Klebrige und Bunte setzen sich überwiegend zusammen aus Sozialhilfeempfän- ger/innen, Betrunkenen, die sich in der Öffentlichkeit anstößig benehmen, Punks und Menschen, die in den ehemals besetzten Häusern wohnen. Mit hinzuzählen ist auch ein

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Teil der in der Öffentlichkeit präsenten Jugendlichen, vor allem dann, wenn sie sich zu Gruppen zusammenschließen. Eine sehr heterogene Gruppe unterschiedlicher Subkul- turen also, deren Mitglieder sich durchaus nicht grundsätzlich miteinander verbunden fühlen. Entsprechend äußert sich einer der sogenannten „Bunten“: „Bei den Alkies auf dem Platz muß man aufpassen, was man sagt.“ Der Zusammenhang entsteht, wenn man so will, erst in den Augen der Betrachter/innen, spielt dabei aber im realen sozialen Leben des Kiezes eine wichtige Rolle. In den Gesprä- chen mit den Expert/innen und Schlüsselpersonen nimmt sie breiten Raum ein. Von diesen Menschen geht eine diffuse Verunsicherung oder Bedrohung aus, ohne daß sich dies anscheinend in konkreten aggressiven Akten dieser Gruppe gegenüber „normalen Bürger/innen“ niederschlagen würde. Reale Bedrohung oder Projektion von – auch medial vermittelten – Ängsten läßt sich an dieser Stelle kaum noch unterscheiden.

Die „Hausbesetzer/innen“ Gerade die Bewohner/innnen der ehemals besetzten Häuser werden als latente Gefahr wahrgenommen. „Daß ein eher negatives Gefühl vorherrscht, liegt sicherlich mit daran, daß wir Anfang der neunziger Jahre die Situation mit den besetzten Häusern hatten. Das wir bis heute nach. Das erlebe ich bei meinen Kindern, und bei anderen Kindern ist es ähnlich. Die Erinnerung an brennende Reifen und massives Polizeiaufgebot ist einfach da. […] Die besetzten Häuser haben aber auch ge- stört: Es war laut, es roch unangenehm, und die da wohnten hatten ein nega- tives Image weg.“ Durch sie und durch den Zuzug von jüngeren Menschen hätte sich eine „alternative Szene“ gebildet, die durch ihr „buntes, nichtnormales“ Auftreten insbesondere ältere Bür- ger/innen abschrecken und verunsichern würde, meint eine bei der Polizei tätige Ge- sprächspartnerin. Aber auch den „Besetzer/innen“ selbst ist klar, daß sie nicht immer wohlgelitten sind, obwohl es auch eine gewisse Neugierde ihnen gegenüber gebe. „Mmhh, am Anfang war das mehr. Aber immer noch. Wenn du Leute triffst, kommt die Frage, schlaft ihr in einem Raum. Wie ist das. Am Anfang dachten sie wirklich, da drin ist Sodom und Gomorrha, aber jetzt nicht mehr.“ Direkt verantwortlich wird diese Gruppe beispielsweise für den Müll in der Jessnerstraße gemacht. Darüber hinaus wird das Verhältnis eher ambivalent beschrieben. „Obwohl die Besetzer – was heißt Besetzer, das wurde ja irgendwann dann ja mal rechtens -, die ja eigentlich ziemlich o.k. waren. Man hat sich mit denen verständigt. Man hat sich unterhalten, wenn die draußen auf der Straße Auto repariert haben. Aber die haben auch Veranstaltungen gemacht und die Kneipe, und was da dann allerdings wieder ankam, das war wirklich das letzte.“ Als Verursacher/innen von schwerer Kriminalität oder Gewalt werden sie nicht gesehen.

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„Die Bunten sind eigentlich friedlich, die werden nur dann aggressiv, wenn Polizei auftaucht hier im Kiez.“ Unmittelbare Bedrohung durch (körperliche) Gewalt – so scheint es hier durch – ist etwas, wovon weniger der „normale Bürger“ betroffen ist, sondern sie vermittelt sich eher als Problem zwischen subkulturellen Millieus. Tatsächliche physische Gewalt gegen Men- schen im öffentlichen Raum findet also offenbar vorrangig unter subkulturellen und jugendlichen Gruppen statt. Entsprechend äußert sich der Bewohner eines ehemaligen besetzten Hauses. Er geht „nicht überall lang. […] Es gibt schon ein paar Punkte, die weiß du einfach, daß da etwas passiert ist und da gehst du dann einfach nachts, wenn du allein bist nicht lang, oder so“. Er hat nicht die Angst ausgeraubt zu werden. Die Vorsicht rührt eher daher, daß man ihn vom Äußeren her schon für einen ‚Linken‘ halten kann und er deswegen „von der rechten Ecke her“ Probleme bekommen könnte. „Neulich standen da drei Mantas so in einer Reihe, da habe ich halt eine andere Runde gedreht. Ich glaube, da habe ich auch ganz gut mit getan, weil da ein paar Kurzhaarige drin saßen. Also die Schweinereien lauern immer (Alkoholiker) noch in irgendeiner Ecke.“

Die „Alkoholiker/innen“ am Traveplatz Die Menschen, die am Traveplatz sichtbar Al- kohol trinken, stellen zusammen mit den sich dort aufhaltenden Hundehalter/innen allein durch ihre Anwesenheit eine Belastung, wenn nicht Bedrohung dar. In der schriftlichen Befra- gung gaben 61,7 Prozent an, Betrunkene würden für sie ein „großes“ bzw. „sehr großes Ärgernis“ darstellen. Für 30,4 Prozent sind sie ein „geringes“ und für 9 Prozent „kein Ärgernis“. Die Bedrohung durch „Alkoholiker/innen“ wird nicht von aggressivem Handeln, sondern von der Art ihres Auftretens hervorgerufen. „Die Alkoholiker sind schon durch ihre Anwesenheit eine Gefahr. Die motzen nicht unbedingt ’rum. Also wenn die da nachmittags spielen, an der Tischtennisplatte oder da, wo man Fußball oder Basketball spielen kann, blockieren sie eine Strecke, und dann gehen die Kinder da weg. Und ziehen sich dann woandershin zurück. Aber die sind nicht unbedingt aggressiv, daß die das ausstrahlen. Auch nicht unbedingt, daß sie die Hunde auf die Kinder hetzen. Sondern nur durch ihre Präsenz sind sie so, daß man sagt, hier halte ich lieber Abstand.“

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Alkoholismus, der öffentlich das Erscheinungsbild des Kiezes um den Traveplatz mit prägt, ist eine Kernthematik, die sich durch viele Äußerungen hindurch zieht. Auch hier wird ein enger Zusammenhang zu einer befürchteten negativen sozialen Entwicklung des Kiezes hergestellt. So seien laut Aussage einer Gewerbetreibenden aus der Sicht ihrer Kunden vor allem Sozialhilfeempfänger neu zugezogen, „aber welche eben, die nicht wollen, […] welche, die eben wirklich nur auf Nassauer machen und ihre Sozialhilfe in die nächste Kneipe schaffen“. Den Ergebnissen der Suchforschung zufolge, manifestiert sich Alkoholismus besonders bei Männern zwischen 30 und 50 Jahren. Verglichen mit der Altersstruktur und der Geschlechterverteilung der Neuzugezogenen läßt sich – wenn auch spekulativ – ein Zusammenhang herstellen. Diese Altersgruppe hat im Kiez mit ca. 30 Prozent den stärksten Zuwachs, wobei der Anteil der männlichen Bevölkerung in dieser Gruppe im Verhältnis zum Kiezdurchschnitt überproportional hoch ist.

Jugendcliquen Ein weiteres Segment der „Klebrigen und Bunten“ sind Gruppen von Jugendlichen im öf- fentlichen Raum. Auch zu diesem Punkt wird im Fragebogen um eine Einschätzung ge- beten. Im Vergleich zu den Betrunkenen stellen die Jugendlichen allerdings ein nachran- giges Ärgernis dar. Für 33,6 Prozent sind Jugendliche auf der Straße ein „sehr großes“ bzw. „großes Ärgernis“. Für 36,6 Prozent sind sie ein geringes und für 26,7 Prozent kein Ärgernis. Die reale Bedrohung, die von Jugendlichen ausgeht, spielt eine untergeordnete Rolle. Kinder- und Jugendkriminalität sei, so eine Expertin, kein besonderes Problem innerhalb des Kiezes. Daß Kinder und Jugendliche auf Erwachsene und speziell auf ältere Menschen verunsichernd wirken, liegt ihrer Meinung nach an der Art und Weise ihres Auftretens in der Öffentlichkeit – besonders als Gruppen – und nicht an der tatsächlichen Zahl begangener Straftaten. Opfer von Straftaten (männlicher) Jugendlicher und dies ins- besondere bei Körperverletzungsdelikten sind zu dem vor allem Jugendliche, und zwar in der überwiegenden Mehrzahl männliche Jugendliche. Ähnlich wie im oben angedeuteten gewaltförmigen Verhältnis unterschiedlicher Subkulturen vollzieht sich also praktizierte körperliche Gewalt und Bedrohung vorrangig unter (männlichen) Jugendlichen. Erwach- sene sind nur selten hiervon betroffen. Gleichfalls stehen Jugendgruppen vielfach unter einem generellen Verdacht und werden entsprechend mißtrauisch beobachtet. „Das sind halt so Zusammenrottungen. Vor allem im Sommer ist das, daß sie draußen halt so auch ihr Lager machen auf dem Traveplatz, wenn sie 'ne Ecke finden, oder auch im Hinterland der Allee kann man das beobachten. Die ziehen dann so durch die Gegend. Es ist ja auch nicht immer, wenn man so was sieht, was Bösartiges dabei. Aber man muß es schon beobachten. […] Die Sprache so, daß sie mir nicht gefällt, na [lacht], aber die ist heute sowieso anders geworden. Ich selber habe hier noch keine Bandenkriege beobachtet, ich glaube, so ’ne Szene spielt sich doch vielmehr auf Schulhöfen ab, was die

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(Kinder mit Hund)

Kinder so erzählen. Daß durch die Ballung von vielen Kindern, jetzt nicht an Grundschulen, sondern an Hauptschulen oder Realschulen, daß da schon eher die Gefahr besteht.“ Grundsätzlich, so meint eine andere Expertin, würden sich die Umgangsformen der Kinder und Jugendlichen verschlechtern: „Wissen Sie, Kinder heutzutage untereinander, die sind eh gewaltsamer, rabiater. Also wirklich. In den Gruppen, die von mir betreut werden, [ist es so,] daß die Kinder überdreht sind. Wenn die Kinder schon Unterricht hatten, dann sind die, ich will nicht sagen gewalttätig, aber aggressiv gegeneinander. […] Ich denke schon, das liegt daran, was die ständig konsumieren. Machen Sie mal so einen Trickfilm an: Die hauen sich nur. Es geht hoch und runter. Die treten sich gegenseitig in den Hintern. Das ist heute normal. Sowas kenne ich nicht aus meiner Kindheit. Da, denke ich, haben die Medien schon einen ziemlich negativen Anteil dran. Es gibt ja Kinder, die den ganzen Tag vor der Röhre sitzen und wirklich nichts anderes kennen. Genauso geht‘s dann los in der Schule. Der eine knufft mal, der andere haut zurück. Das ist noch nicht mal bösartig. Das würde ich noch nicht mal unter Gewalt einstufen heute. Das ist einfach schon der normale Umgangston, und das finde ich traurig.“ Eine Anwohnerin berichtet aus persönlicher Erfahrung von Zwischenfällen, bei denen etwas von der Art und Weise des anstößigen Verhaltens von Jugendlichen gegenüber Erwachsenen ansichtig wird.

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„Mir ist es schon einige Male passiert, abends wenn man auf der Straße geht, man wird einfach angepöbelt. […] Witze halt, auf Blondinen bezogen. Und das war’n auch immer irgendwelche jungschen Glatzköpfe halt. Ob das nun irgendwelche Skins, ich weiß auch nicht, wie man die alle nennt, aber man wird halt angepöbelt. […] auch am Traveplatz und in der Gegend.“ Bei der Jugendgang handelte es sich dem Erscheinungsbild nach um Skins, und der Vorfall selbst liegt in einem Übergangsbereich zwischen irritierender Jugendkultur und Gewalt.

Umgang mit Verunsicherungen im Sozialraum Obwohl Jugendliche generell anscheinend wenig Probleme bereiten, werden sie mit anderen subkulturellen Gruppen zu einer Einheit, die durch ihre wahrnehmbare Präsenz und die Verletzung von (impliziten) Verhaltensregeln im öffentlichen Raum verunsichert und abschreckt. „Früher war der Traveplatz ja für die Kinder und für die Älteren, jetzt haben wir, ja ich sage mal, die die Nacht da mit Bier verbringen, dann kommen die Leute aus den bunten Häusern mit den Hunden. Die Hunde sind nicht ange- leint. Die Älteren fühlen sich da zurückgedrängt. […] Dann sind die Hunde da ..., die Kinder, die Hunde laufen einem Ball hinterher. Das alles summiert sich zu einer Atmosphäre, wo die Älteren sagen, da gehe ich nicht mehr hin.“ Ähnlich äußert sich eine Befragte, die die Situation aus der Perspektive der Kinder darstellt: „Also, das ist schon da. Gerade diese größeren Plätze sind Treffpunkt von Gruppen, die irgendwo rumhängen, also auch älteren Schülern, die müssen nicht einmal aus der alternativen Szene sein. Und die Frage, nehmen die mir mein Basecab weg oder zocken die mir meine Jacke ab, ist bestimmt schon von Aktualität bei den Kindern.“ In den beiden Gesprächsausschnitten zeigt sich sehr gut, was das eigentliche Problem zu sein scheint: Es geht, wie bereits im Zusammenhang mit dem Konflikt um die Hunde an- gesprochen, um eine Art Verdrängungswettbewerb um Grünflächen und Straßenland, und wenn man so will, um Grenzziehungen und -verletzungen innerhalb des öffentlichen Raumes. „Gegenspieler“ der „Alkoholiker/innen“ und „Asis“ sind Kinder und alte Men- schen. Wobei der Eindruck entsteht, daß letztere lediglich eine Art Speerspitze der bür- gerlichen Mehrheit darstellen. Es handelt sich um eine Art Grenzstreitigkeit und den An- spruch an Dominanz in der Öffentlichkeit. Und die Klage richtet sich auf den rapiden Ver- fall geteilter Verhaltensnormen im öffentlichen Raum und die abnehmende Fähigkeit sozialer Konfliktbewältigung im Zusammenleben der Bewohner/innen.

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Daraus entstehen Belastungen, denen sich viele und vor allem ältere Menschen nicht mehr gewachsen sehen. Eine Reaktion auf diese Entwicklung ist der Ruf nach Integration und sozialer Kontrolle im traditionellen Sinne. „Und das war in der DDR nicht so, und die hatten Ordnung in dem Land.“ Das verweist aber direkt auf eine andere Seite dieser Problematik. Für viele der hier auf den vorangegangenen Seiten benannten zentralen Störungen im Kiez gibt es keine In- stitutionen, die bereit oder in der Lage sind einzugreifen.30 „Ich denke, man hat auch wenige Handhabe, wenn noch nicht mal die Polizei oder wer sonst verantwortlich ist – es gibt ja eine Stadtordnung in Berlin, wo drin steht, Hundekot auf der Straße muß beseitigt werden vom Hundebesitzer, wird aber nirgendwo – ich weiß nicht, in den Außenbezirken oder im Westen, da sieht es ja top aus und da funktioniert‘s ja vielleicht, die Omi nimmt ihr Schippchen mit und schüttet es in den nächsten Papierkorn. Das funktioniert hier aber nicht, vor allem deshalb, weil es in keinster Weise überprüft wird. Wenn jemand 5 Mark bezahlen müßte für jeden Hundehaufen, dann würde das sicher nicht mehr passieren. [...] Die Polizei oder wer immer verantwortlich ist, die sind ja da überhaupt nicht hinter her. [...] Warum sollte ich da je- manden ansprechen, da werde ich doch nur angepöbelt.“ Entsprechend eher negativ fällt auch die Bewertung der Arbeit der Polizei bei der Be- kämpfung der Kriminalität im Kiez aus, was folgendes Diagramm veranschaulicht.

Abbildung 5: Beurteilung der Arbeit der Polizei

sehr schlecht sehr gut gut 11,7% 1,0% 11,7% schlecht 18,0%

geht so fehlend 43,2% 14,4%

Die Reaktionsformen, welche die Bewohner/innen für sich sehen, haben eher defensiven Charakter, wie die folgende Tabelle am Beispiel der abgefragten Schutzmaßnahmen ge- gen Belästigung und Kriminalität zeigt.

30 Vgl. Stangl, W., Die Unwirtlichkeit der Stadt als Bedrohung, in: Hammerschick, W. u. a. (Hrsg.), a. .a. .O., S. 49.

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Tabelle 23: Schutzmaßnahmen gegen Belästigung und Kriminalität Schutzmaßnahmen gegen Kriminalität Anzahl Spalten% Straßenseitenwechsel 72 72,7 Im Dunkeln wenig Bargeld/Wertsachen dabei 67 67,7 gehe Umwege 45 45,5 Im Dunkeln kein ÖPNV 31 31,3 besondere Sicherung der Wohnung 26 26,3 Im Dunkeln nicht rausgehen 24 24,2 Waffe zugelegt 13 13,1

Gesamt 99 100,0

Schutz, das legt auch die Fragestellung nahe, impliziert ein Vermeidungsverhalten und eine Einschränkung der Bewegungsräume. Aus den Antworten läßt sich aber auch eine persönliche Hilflosigkeit und das Alleingelassensein bei der Bewältigung von Konflikten folgern, was diese um so größer werden läßt.31 „Negative Veränderungen der Umwelt, von denen man überrollt wird, chronische Unlösbarkeit von Problemen, die sich entweder aufgrund des Unwillens von ‚Zuständigen‘ […] oder aufgrund ihrer komplexen Natur […] der Bearbeitung des Einzelnen entziehen, aber auch nicht gemeinschaftlich bearbeitet werden, machen unsicher. So konnte festgestellt werden, daß umgekehrt bürgernahe Formen von politischer Partizipation im Viertel erhöhte Sicherheit und Sicherheitsgefühle der Bewohner bewirken: als Folge der eigenaktiven Einflußnahme auf die Umgebung und der Intensivierung der sozialen Kontakte […], sowie des Gefühls der Bewohner, daß, auf welcher Ebene auch immer, gegen die Probleme in ihrem Viertel etwas getan wird.“32

Maßnahmen

Die Mehrheit der Befragten ist der Meinung, daß zur Kriminalitätsbekämpfung im Kiez in erster Linie sozialpädagogische Projekte gefordert sind. Auch die Forderung nach mehr Polizei wurde neben der besseren Sicherung von Wohnungen von dem größten Teil der Befragten unterstützt. Die Größenordnung entspricht ungefähr der nach der besseren Sicherung der Wohnungen. Weit weniger Zustimmung fanden die Forderungen nach privaten Wachdiensten, Videoüberwachung gefährlicher Plätze, Übernahme von Polizei- aufgaben durch Bürger/innen oder nach bürgerlicher Mobilisierung.

31 Vgl. Ebenda, S. 49. 32 Vgl. Karazman-Morawetz, I., Was macht Stadtbewohner unsicher?, in: Hammerschick, W., a. .a. O., S. 36.

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Tabelle 20: Was halten Sie von folgenden Maßnahmen zur Kriminalitätsbe- kämpfung in Ihrem Kiez?

Maßnahme bin dafür finde ich nutzlos weiß nicht bin dagegen gesamt Anzahl Spalten Anzahl Spalten Anzahl Spalten Anzahl Spalten Anzahl Spalten % % % % % mehr Polizei- präsenz 76 71,0 15 14,0 3 2,8 13 12,1 107 100,0 mehr sozialpäd. Angebote 95 88,8 8 7,5 3 2,8 1 0,9 107 100,0 private Wach- dienste 39 39,0 15 15,0 12 12,0 34 34,0 100 100,0 Videoüberwa- chung gefähr- 34 35,1 20 20,6 16 16,5 27 27,8 97 100,0 licher Plätze Bürger mobili- sieren 27 28,4 20 21,1 20 21,1 28 29,5 95 100,0 Bürger über- nehmen Po- 12 12,5 12 12,5 11 11,5 61 63,5 96 100,0 lizeiaufgaben bessere Woh- nungssicherung 76 77,6 8 8,2 13 13,3 1 1,0 98 100,0

Die Wirkung von sozialen Projekten wird von einigen Interviewpartner/innen aber auch skeptisch bewertet. Sie könnten die Probleme nur abfedern, deren Ursachen könnten sie nicht beheben. Ein ganze Palette an Vorschlägen machte eine Expertin des Bereichs Schule zur Einrichtung bürger- und kieznaher Institutionen, wobei sie die Möglichkeiten der Schule gleich mit einbezog. „Das muß in so einem Kiez eine Struktur entstehen, was können wir an diese Stelle setzen. Handwerk, vom Korbflechter bis sonst was. So etwas würde in den Kiez passen, Angebote und Zentren, wo man sich treffen kann. Viele kleine Läden, vom Kinderladen ..., viele kleine Plätze, Sport, wo man was or- ganisieren kann. Also die freien Träger könnten hier viel machen. Und da könnte Schule ein zentraler Punkt sein. Ich bin offen für alles. Und das Miteinander halte ich für wichtig. [...] Da kann sich Schule mit ein- bringen.“ In die Richtung ging auch der Vorschlag, durch Straßencafés mehr Licht und Leben auf die Plätze und Straßen des Kiezes zu bringen. Bereits eine bessere Straßenbeleuchtung werde das Sicherheitsgefühl der Menschen verbessern, meinte der Experte der Polizei. Das Modellprojekt zur kiezorientierten Kriminalitäts- und Gewaltprävention wurde von den Gesprächspartner/innen, die es näher kannten, als sehr positiv eingeschätzt. Dies bezog sich konkret auf die positive Wirkung, die vom Modellprojekt auf die Vernetzung und Akti- vierung von Einrichtungen und Multiplikatoren/innen aus dem Kiez ausging. „Die Kiezrunde Traveplatz, das ist, denke ich, der größte Verdienst des Modellprojekts. Das mit dieser Unterstützung so ’ne Kiezrunde sich bilden konnte, die, glaube ich, über den Bestand des Modellprojektes hinaus be-

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stehen wird, weil engagierte Leute miteingebunden sind. [ ...] Das ist ’ne ganz positive Entwicklung durch das Engagement des Modellprojektes. Ich glaube sowieso, daß sich so kleine Kiezrunden bilden müssen, weil dieses anonyme Wohnen hier in der Großstadt sehr schädigend ist. Während man in den kleinen Kiezrunden, da findet man mehr ehrenamtliches Engagement, was sonst in der Anonymität der Großstadt sonst verloren gegangen ist.“ Das Engagement der einzelnen Bürger/innen war ein weiterer Aspekt, der in den Ge- sprächen zum Thema Maßnahmen gegen Kriminalität angesprochen wurde. Das sofortige und gemeinsame Reagieren auf Kriminalität und Gewalt sei wichtig. Eltern würden dies durchaus praktizieren, wenn Kinder belästigt werden. „Also toi, toi, auf dem Schulweg früh haben wir schon Väter gehabt, die dann denen hinterher gerannt sind. Es wurde dann auch Anzeige gemacht. Ähnlich sieht dies auch ein anderer Gesprächspartner: „Meistens waren sie beherrschbar, weil Eltern von Kindern reagiert haben. Also sich dem gestellt haben, durch Präsenz auf dem Traveplatz. […], daß sie klar gemacht haben, da sind Grenzen, das wollen wir nicht erleben. Wir haben immer gleich reagiert, entweder als Personen, als Eltern, als Schule oder der Kinderladen. […] Das ist nicht die Ausnahme. Natürlich ist es die eigene Be- troffenheit, die motiviert. Wenn ich mein Kind nicht mehr runterlassen kann, weil da ein oder die zwei da terrorisieren, dann verlier nicht nur ich an Lebensqualität, weil ich die ständig am Hals habe, sondern auch die, weil die ja mit ihren Freunden nicht mehr sein können. Das ist eher die Motivation, aktiv zu werden, als weil die Kinder dann nichts haben. [...] Also eher eigene Betroffenheit, aber partizipieren tun eben alle davon.“ Wie verbreitet tatsächlich derartige Verhaltensmuster sind, konnte auch von den Ge- sprächspartner/innen nicht eingeschätzt werden. Das Beklagen einer allgemein eher zu- nehmenden „Wegschaumentalität“ und das Aufzählen von Beispielen, die das Gegenteil bewiesen, stehen eng beisammen. Immerhin bekunden im Rahmen dieser Untersuchung knapp ein Drittel der schriftlich Be- fragten die Bereitschaft zur Aktivität und 9 Prozent geben an, daß sie schon etwas tun.

Abbildung 6: Bereitschaft zu Aktivitäten

Fehlend 5,4% Ja 32,4%

Nein 53,2% Ja, tue bereits etwas 9,0%

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Anlage

Anlage und Methode der Untersuchung

Anlage der Untersuchung Eine Darstellung eines Gemeinwesens, die mehr als eine Perspektive umfaßt, kann nicht mit der Anwendung nur einer Methode erreicht werden. Aus diesem Grund ist die Unter- suchung zweigleisig angelegt. Durch eine Befragung mit Hilfe eines weitgehend standar- disierten Fragebogens wird die Beschreibung des Kiezes auf einer quantitativen Ebene möglich. Darüber hinaus wird der Wichtigkeit der Binnensicht mit der Durchführung leit- fadenorientierter Interviews Rechnung getragen. In der Darstellung werden die Ergeb- nisse beider Teile zu einem Ganzen zusammengeführt. Auf diese Weise werden die un- terschiedlich gewonnen Daten gegenseitig überprüft und ergänzt und gewinnen so an Plausibilität. Ergänzt wird diese Untersuchung durch die Aufarbeitung relevanter stati- stischer Informationen zur Infrastruktur, zur sozio-demographischen Entwicklung und zur Kriminalitätsbelastung im Modellgebiet. Auf der Hintergrundfolie dieser „objektiven“ Daten gewinnt die abgefragte Lebenswelt- perspektive der Kiezbewohner/innen eine verallgemeinerbare Bedeutung.

Durchführung der Fragebogenerhebung 1250 Fragebögen wurden im Gebiet um den Traveplatz mit freundlicher Unterstützung durch die jungen Besucher/innen einer am Traveplatz ansässigen Kindereinrichtung an alle Haushalte zwischen Dosse-, Weser-, Jung- und Scharnweberstraße verteilt. Als An- reiz, den Fragebogen auszufüllen, nahmen die sich an der Befragung beteiligenden Per- sonen an einer Verlosung teil. Der Rücklauf erfolgte postalisch über beigefügte frankierte und adressierte Briefumschläge.

Durchführung der Interviews Befragt wurden in erster Linie „Schlüsselpersonen“ für den Kiez um den Traveplatz, also Personen, die sich im Kiez gut auskennen. Die Auswahl der Interviewpartner/innen er- folgte in der Art eines Quotaverfahrens, d. h. für alle der als relevant erachteten Bevölke- rungsgruppen sollte ein Repräsentant bzw. eine Repräsentantin befragt werden. Befragt wurden 15 Personen:  „Aktive Anwohner/innen ohne Funktion“, die aufgrund ihrer Aktivitäten im Kiez über relevantes Wissen verfügen,  „Anwohner/innen mit Funktion“, also Anwohner/innen, die eine ehrenamtliche Tätigkeit ausüben,  Professionelle aus dem Sozial- und Bildungsbereich,  Gewerbetreibende,  Zuständige Vertreter/innen der Polizei.

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Die Interviewpartner/innen wurden primär als Expert/innen für den Kiez befragt, also nicht nur zu ihren eigenen persönlichen Erfahrungen, sondern speziell auch zu den Erfahrun- gen der Personengruppen Personengruppen (Kinder, Jugendliche, Schüler, Eltern, alte Menschen, Kunden), mit denen sie zu tun haben und die sie einschätzen können. Es wurde weiterhin darauf geachtet, daß das Verhältnis zwischen Männern und Frauen einigermaßen ausgewogen war. Die Situation ausländischer Bewohner/innen konnte nur indirekt über die Verantwortlichen eines Flüchtlingheimes angesprochen werden.

Anlage des Fragebogens Sowohl der Fragebogen für die schriftliche Befragung (s. Anlage) als auch der Leitfaden für die qualitativen Interviews haben einen vergleichbaren Aufbau, der sich in vier Schwerpunkten zusammenfassen läßt. Im Unterschied zum festgelegten Aufbau des schriftlichen Fragebogens stellt der Leitfaden allerdings nur eine Strukturierungshilfe für die Interviews dar. Den Gesprächspartner/inen sollte es möglich sein, Schwerpunkte zu setzen und im weitgehend ungestörten Redefluß eigene Ansichten und Einschätzungen zu den Themen der Befragung entwickeln zu können. Folgende Themenstellungen gliedern die Befragung: 1. Einschätzung der Lebensqualität im Kiez und der Konsequenzen, die der Befragte für sich daraus zieht, 2. Beschreibung und Beurteilung des Kriminalitäts- und Gewaltaufkommens im Kiez und der individuellen Betroffenheit, 3. geforderte Maßnahmen im Hinblick auf die aufgeworfenen Problemstellungen und die Bereitschaft zur Mitwirkung und 4. und persönliche Daten zum Vergleich und zur Einordnung der Ergebnisse.

Repräsentativität der Fragebogenerhebung Insgesamt ergab sich ein nicht zufriedenstellender Rücklauf von 111 Fragebögen. Die Höhe des Rücklaufs der Stichprobe hätte zwischen 300 und 400 liegen müssen, damit man von einem erfolgreichen Umfang des Rücklaufs nach den in den Sozialwissen- schaften üblichen Regeln hätte sprechen können. Damit ist allerdings nicht gesagt, daß die im folgenden entwickelten Ergebnisse nicht auf die Gesamtheit übertragbar wären. Lediglich die punktgenaue Vorhersage bestimmter Werte hat abgenommen. Geht man von den „groben“ Verhältnissen aus, rechnet man also nicht mit den Stellen hinter dem Komma, kann man durchaus mit einer gewissen Berechtigung von einer aussagekräftigen Befragung sprechen. Die Fehlerquellen mit den stärksten verfälschenden Wirkungen liegen ohnehin nicht in der Anzahl der Antworten begründet, sondern darin, ob sich die Gruppe der Menschen, die sich an der Befragung beteiligt haben, in einigen wichtigen Merkmalen von der Gesamtheit der Bevölkerung unterscheidet. In dieser Hinsicht gibt es einige Abweichungen, die für die Bewertung der Ergebnisse benannt werden müssen. Hinsichtlich des Merkmals Geschlecht weist der Rücklauf eine Abweichung von der Struktur in der Kiezbevölkerung auf. Es antworten gegenüber dem fast ausgeglichenen

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Geschlechterverhältnis unter den Bewohner/innen relativ mehr Frauen als Männer. Gerade im Hinblick auf die Angaben zum subjektiven Sicherheitsgefühl kann hieraus ein Verzerrungseffekt entstehen, da Frauen allen bekannten Untersuchungen zufolge häu- figer Angaben zu ihrer Verunsicherung machen als Männer. Der Aufbau der Altersstruktur in der Stichprobe entspricht weitgehend der der Gesamt- bevölkerung, allerdings ist die Gruppe der 16- bis 21jährigen überrepräsentiert. Auffällig ist die Verteilung des Merkmals „Wohndauer im Kiez“. Die seit über 10 Jahren im Kiez ansässigen Personen machen einen Anteil von 40 Prozent aus. Denkbar ist, daß sich gerade langjährige Anwohner/innen verstärkt an der Befragung beteiligt haben, weil sie sich in besonderem Maße für ihren Kiez interessieren. Trotz dieser Abweichungen kann von einer hohen Plausibilität der erhobenen Daten aus- gegangen werden, da sie weitestgehend mit den Ergebnissen aus den qualitativen Inter- views und aus der 1997 von ASUM durchgeführten Untersuchung übereinstimmen. Es läßt sich insofern annehmen, daß die hier vorgelegte Studie begründete Ergebnisse für Kiez um den Traveplatz gibt. Es können damit aber keine Aussagen über sogenannte „harte Daten“, wie z. B. das tatsächliche Ausmaß der Kriminalität, vorgenommen werden.

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Fragebogen

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