SWR2 Musikstunde
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1 SWR2 MANUSKRIPT SWR2 Musikstunde „Claudio Monteverdi! Zum 450. Geburtstag!“ „Il Divino Claudio!“ Mit Sabine Weber Sendung: 17. Mai 2017 Redaktion: Dr. Bettina Winkler Produktion: SWR 2017 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Service: SWR2 Musikstunde können Sie auch als Live-Stream hören im SWR2 Webradio unter www.swr2.de Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 SWR2 Musikstunde mit Sabine Weber 15. Mai – 19. Mai 2017 MONTEVERDI 3 Il Divino Claudio! Il Divino Claudio! Heute über den Opernvisionär Claudio Monteverdi! Ich bin Sabine Weber. Herzlich Willkommen! Titelmusik kurz (10.sec) MODERATION Stechend schwarze Augen blicken herausfordernd aus einem kantigen Gesicht mit Gesichtsfurchen, die von einem Bart nur wenig gemildert werden. Relativ spät ist das einzige gesicherte Portrait von Claudio Monteverdi entstanden (das Tiroler Landesmuseum in Innsbruck, wo es hängt, datiert es auf 1630). Und zeigt ein erschreckend gealtertes Gesicht. Zweifellos auch von alchimistischen Selbstversuchen gezeichnet. Zu erkennen sind aber vor allem die ausgemergelten Züge eines ruhelos Suchenden, der sich bis zur Selbstaufgabe kasteit hat, wenn es um seine Obsession ging: Die Wahrhaftigkeit des Ausdrucks hinter dem Wort in der Musik! Der Affekt, der zu Tränen rührt! Und von diesem Affekt lassen sich zum Auftakt heute … Nicht-Barock-Spezialisten anstecken... Musik 3.1 Claudio Monteverdi/ bearbeitet Danilo Rea Lasciate mi morire Flavio Boltro, Trompete, Danilo Reo, Klavier ACT 9838-2 3'02 Monteverdi in the spirit of Jazz! Auch die Jazzmusiker haben sich Claudio Monteverdi angeeignet. Und das Act-Label gratuliert sogar mit einer Geburtstags-CD 3 und namhaften Jazzgrößen, die sich mit Monteverdi beschäftigten. Für uns haben der italienische Jazzpianist Danilo Rea und sein Landsmann Flavio Boltro, Trompete, die Hauptmelodie des berühmten Lamento d'Arianna aufgegriffen. Ihr Respekt scheint so enorm, dass sie sich gar nicht weit entfernt haben vom großartigen Original ... Zugegeben, ein etwas ungewöhnlicher Auftakt heute. Aber da ist sie, die Power von Monteverdis Musik. Sein Material, das auch noch nach 450 Jahren zündet...! In unserer gestrigen Folge sind wir in Monteverdis Madrigallabor eingestiegen und sind bei seinem 5. Madrigalbuch angekommen. Damit hat Monteverdi den Zenit seiner Madrigalarbeit erreicht. Ab jetzt beginnt er mit der Dekonstruktion. Hat er bis jetzt bewiesen, dass polyphoner Satz und Wort-bezogener Musikausdruck kein Widerspruch sind, so ab jetzt, dass am solistischen Gesang mit harmonischer Stütze im Bass und Instrumentalbegleitung kein Weg vorbei führt. Das Madrigal wird umgebaut zu Generalbass-begleiteten einstimmigen Sologesängen, zum Kammerduett oder -terzett mit und ohne Instrumente … Und unerbittlich verfolgt Monteverdi weiterhin seine dramatischen Absichten! Das Recitar cantando, das Cantar rappresentativo. Und daaa ist es wieder, das strenge Gesicht, das aus seinem Portrait ... herausfordernd durch das Gegenüber hindurch schaut. Den thrakischen Sängerhelden Orpheus hat er im Visier, der bis in die Unterwelt geht, um für seine Liebe zu kämpfen! Und die Vision einer Tragödie in Musik vollendet! Musik 3.2 Sinfonia 3. Akt/ Orfeo Concerto vocale, René Jacobs LTG WDR PROD 5018246 1'44 Ein edler Kreis in Florenz hatte sich bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu diesem Zweck formiert. Vision einer Tragödie in Musik Die Florentiner Camerata. So etwas wie ein Thinktank aus Fürsten, Dichtern und Musikern. Der Polyphonie erklärten sie den Krieg. Eine Affektmusik aus dem Geist der Antike schrieben sie auf das Banner. Bloß diese Musik war ein Phantom. 4 Niemand hatte sie je gehört. Die perfekte Wort-Musik aus der antiken Musiktragödie, die musste erst erfunden werden. Theorien wurden entwickelt. Arkadien, das mythologische Land der Hirten und Schäfer, zur Spielwiese erklärt. Antik eben. Jacopo Peri prescht in Florenz mit der ersten gesungenen Tragödie vor. 1598 Dafne. Leider verloren. Aber seine Euridice-Oper, die zwei Jahre später eine hochadlige Hochzeitsgesellschaft im Palazzo Pitti unterhält, ist erhalten. Sie ist heute unsere Referenz. Hier der Prolog, der gehört sich für eine antike Tragödie. Er gehört in Peris Euridice der „personifizierten Tragödie“. Jacopo Peri und sein Librettist Ottavio Rinuccini schicken sie als Botschafterin ihrer Idee voran. Musik 3.3 Jacopo Peri Prologo: La Tragedia Ensemble Arpeggio ARTS 47276-2 5'02 Der Prolog aus Jacopo Peris Euridice. Mit Gloria Banditelli, begleitet vom Ensemble Arpeggio unter Roberto De Caron. Und so gestaltet Claudio Monteverdi seinen Prolog in seinem Opernerstling Orfeo. Ebenfalls strophisch wie Jacopo Peri. Aber Monteverdi und sein Librettist Alessandro Striggio schicken in ihrer Favola in musica nicht die personifizierte Tragödie voraus. Ihre Botschafterin ist die personifizierte Musik! La Musica hält alle Fäden in der Hand und mit Macht! An Instrumentaleinlagen hat Monteverdi auch gedacht. Sie rollen La Musica den roten Teppich aus. Und sie nutzt ihren Auftritt! Musik 3.4 Claudio Monteverdi Prologo: La Musica Concerto Vocale WDR PROD 5018246 6'33 5 „Io la Musica son!“ Ich bin die Musik! Tönt es selbstbewusst im Prolog zu Monteverdis Orfeo. Diese Musik verspricht, mit Klängen aufgewühlte Herzen zu trösten, noblen Zorn oder auch Liebe in eisigen Herzen zu entfachen. Hier spricht der Affektkünstler Monteverdi! Und die Versprechungen lassen das Strophenlied fast explodieren. Als Musica ankündigt, von Orfeo erzählen zu wollen, fährt sie schreckenerregend quasi ins Publikum hinein. Orfeo muss ja in die Unterwelt! Am Ende gebietet La Musica sogar zu schweigen ... Will sagen: gewaltig ist ihre Kraft! Und diese Kraft ließ eben spüren: Efrat Ben-Nun, begleitet vom Concerto Vocale unter René Jacobs. Bei der Uraufführung wurde die Rolle der Musica von einem Soprankastraten übernommen. Die Aufführung der Favola in musica Orfeo am 24. Februar 1607 im herzoglichen Palast in Mantua ist natürlich eine Gegenveranstaltung zu Florenz und zu der Euridice-Aufführung von Jacopo Peri vor 7 Jahren. Schon allein die Oper nicht Euridice, sondern Orfeo zu nennen, dokumentiert das Sich-abheben-wollen. Die Gonzagas setzen auf Monteverdi. Er soll den Florentinern die wahre „tragedia in musica“ vormachen. Und mit einem untrüglichen Instinkt bringt Monteverdi Klänge zu Wort, Szene zu Drama, alles in ein funktionierendes Ganzes und in eine abendfüllend Form. Der Hofmusiker in Mantua klotzt - im Gegenzug zu Peri - mit allen damals bekannten Instrumente und Klangfarben, die bereits in den Intermedien zum Einsatz kamen. Schalmeien, Dulziane, Naturtrompeten, Hakenharfen, Erzlauten, Chitarronen, Regale... So steht es jedenfalls in seiner ein Jahr später gedruckten Partitur. Aber er klotzt nicht nur, die Instrumente malen die Kulissen atmosphärisch aus. Streicher, Schalmeien, Dulziane für das Sehnsuchtsland Arkadien. Blechbläser für die bedrohliche Unterwelt. Und dann ein Arsenal von Continuo-Instrumenten. Die Sala degli specchi, die Sala dei Fiumi oder die Sala del Pisanello – es ist inzwischen nicht mehr sicher, wo tatsächlich der Orfeo das Licht der Welt im Palazzo Ducale erblickt hat, aber der Raum hatte sicherlich keine Operntheaterdimension. Er müsste vor Instrumentalisten geplatzt sein. Und Monteverdi vergisst auch nicht, den Chor dramaturgisch geschickt einzusetzen! 6 Musik 3.5 Lasciate i monti Concerto Vocale WDR PROD 5018246 Dieser fröhliche Nymphen-Hirtenchor - hier gesungen von Concerto Vocale unter René Jacobs - spielt eine zentrale Rolle beim Spannungsaufbau von scheinbar sorglos bis zum dramatischen Höhepunkt, den Monteverdi im ersten Akt genauestens kalkuliert. Erst heile Welt mit freundlichen Hirten und Nymphen, die zu Orfeo herbeigerufen werden, damit der Kontrast zum Unglück größtmöglich wird: Lasciate i monti – Verlasst die Berge, kommt zu uns! Hier spielt natürlich Monteverdis Madrigal-Erfahrung in die Oper hinein. Orpheus ist jedenfalls erfüllt von kosmischer Liebe. Er freut sich auf seine Hochzeit! Bis die Unglücksbotin ihren Auftritt hat. Und Monteverdi lässt mir ihrem Auftritt die Welt musikalisch schwarz und schmerzvoll aufschreien. Uns interessiert jetzt aber, wie reagiert Orpheus auf die Todesbotschaft? Kobie van Rensburg hat die Reaktionen von Peris und Monteverdis Orfeo unvoreingenommen gegeneinander aufgenommen. Wir gönnen uns den spannenden Vergleich. Erst die Reaktion von Peris Orfeo... Paralysiert steht er da: „Ich weine, ich atme nicht, meine liebe Eurydike, ich bin unfähig zu seufzen und zu weinen … Non piango e non sospiro. Musik 3.6 Jacopo Peri Non piango e non sospiro Lautten Compagney NEW CLASSICAL ADVENTURE NCA 60142 1'53 Jacopo Peris Orfeo ist unüberhörbar verzweifelt. Höhepunkt ist, wenn er sich in Wut singt, „wer hat dich mir weggenommen...!“ Aber am Ende ist er schon wieder locker und verspricht: „Ich komme, Geliebte!“ 7 Schwenkt Monteverdis Orfeo auch so unbedingt von Schock zu Tatkraft? Wie gestaltet er den Sologesang seines schockierten Helden? Er macht, was er in seinen Madrigalen auch immer gemacht hat, er arbeitet