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Technische Universität Berlin Fakultät I – Geisteswissenschaften Institut für Sprache und Kommunikation Studiengang: Medienberatung Vertiefungsfach: Kunstgeschichte

Nam June Paik und die Zeit

Diplomarbeit

Vorgelegt von Birgitta Wolf

Erstgutachter: Prof. Dr. Friedrich Knilli

Zweitgutachterin: Prof. Dr. Barbara von der Lühe

Eingereicht am …………………………….. 1

INHALT

I. Einleitung

II. Kompositionen - Musik als „Zeitabfolge“:

Bewusste Wahrnehmung von Bewegung, Veränderung und verschiedenen Geschwindigkeiten

1. Symphony for 20 Rooms: Partizipation und Indeterminismus, Langeweile und Veränderung, Vielfalt und Intensität

2. DO IT YOURSELF – Antworten an

3. Eine Sonate – für Radio

4. Metro-Musik

5. Symphonie Nr. 5

III. Von der Musik zum elektronischen Fernsehen

1. Performance – „Aktionsmusik“:

Variabilität und Intensität; Zeitstrukturierung durch Geschwindigkeitswechsel

a. Hommage à b. Auftritt in Karlheinz Stockhausens Originale c. One for Violin Solo

2. Experimente mit Radios und Fernsehern - „Zeit-Kunst“

3. Fernsehtechnik in der bildenden Kunst - Vorläufer der Videokunst

a. Fritz Wilhelm Winckel: Vom Ton zum Bild

b. Oszillographenbilder von Ben F. Laposky: „Visuelle Musik“

c. Der Oszillograph im abstrakten Film - John und James Whitney: „Intensivierung und Verflüchtigung“

d. Karl Otto Götz: Kinetische Malerei - Fernsehen und Indeterminismus

2

4. Die Ausstellung Exposition of Music. Electronic TV

a. Musik: Partizipation, Zufall und Random Access

b. Fernsehen: Partizipation und Indeterminismus

c. Post-Music:: Das „WANN“ in der Musik – Zufall und Aufführungszeitpunkt

d. Indeterminismus, Überwindung des Dualismus und Langeweile (Text auf Ausstellungsflyer)

e. Indeterminismus und Aufführungspraxis: Partizipation, Variabilität und freie Gestaltung der Zeit des Rezipienten (Über die Ausstellung der Musik)

f. „Physikalische Musik“ : Simultaneität, Synchronizität und Verräumlichung des Zeitverlaufs (Nachspiel zur AUSSTELLUNG des EXPERIMENTEL- LEN FERNSEHENS)

IV. Video und Zeit

1. Immaterialität und Energietransformation - Das Videobild als „Zeit-Bild“

2. Audiovisuelle „Zeitmaschine“ Videorecorder: „Literarisierungsprozess“ und Erfahrung „verbrauchter“ Zeit

3. Idee, Prozess und „Ästhetik der Realzeit“

4. Prozessualität, Präsenz, Closed Circuit

V. Texte: Nam June Paik über Video und Zeit

1. Kommunikationskunst: Videozeit und Lebenszeit

2. Input-Zeit und Output-Zeit: Raumkunst und Zeitkunst, Dehnung und Verdichtung von Zeit

3. Random Access Information

a. Input und Output, Erinnern und Vergessen b. Farbe als Funktion der Zeit und Video als Modell des Lebens c. Videoband und Zeitwahrnehmung d. Reversible und irreversible Zeit e. Zeitgebundene Information und Random-Access-Information

4. Vom Pferd zu Christo: Geschwindigkeit und Zeit von Transport und Kommuni- kation

3

5. Helga Retzer in Memoriam – Tagtraum: Zeitstruktur bei Video und Traum

VI. Videoinstallationen

1. Minimal Video/Minimal Film:

Zen for Film: Ästhetik der Langeweile, Relation von Erlebniszeit und Verände- rungsdichte, Darstellung der Zeit in ihrem realen Verlauf

2. Sichtbarmachung der Zeit in ihrem Verlauf: Closed-Circuit-Installationen als Modelle des Zeitbegriffs der Dauer

a. „Zeit-Bild“ TV Buddha: Dauer und Augenblick; Zeit als Intervall und Zeit als Ganzes; Zeit als „Spiegel der Ewigkeit“

b. Real Plant/Live Plant und Real Fish/Live Fish: Zeitdifferenz von „real“ und „live“

3. Hydra Buddha: „temps“ und „durée“; „Spiegel der Erinnerung“; Essenz und Existenz

4. Candle TV: Irreversible Zeit

5. Multi Monitor Installationen

a. TV Clock: Statische Visualisierung der Erdrotation und des Vierund- zwanzig-Stunden-Zyklus

b. Moon Is The Oldest TV: Zeitwahrnehmung und Mitgestaltung der Wahr- nehmungs-Zeit; Verhältnis von Natur, Medien und Zeitempfinden

c. Video Fish, TV Garden und TV Sea: Zeit in der Natur und editierte „Videozeit“

d. Turtle – Flüchtigkeit und Konstanz; Chronos und Kairos

e. Fish Flies on Sky, Video Trichter, The More The Better, Laserinstallationen: Transformation der Zeit in den Raum – Visuelle Musik

VII. Satellitenübertragungen: Modelle der Gleichzeitigkeit

1. documenta VI 2. Konzert mit Joseph Beuys 3. Good Morning Mr. Orwell

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4. Wrap Around the World

VIII. Videobänder:

Strukturierung von Zeit durch Videoschnitt

1. „Tanzende Bilder“: Global Groove

2. Rolle des Zufalls und Aufbrechen des linearen Zeitverlaufs:

a. A Tribute to John Cage b. Guadalcanal Requiem

3. Merce by Merce

a. Blue Studio: Gleichzeitigkeit b. Merce and Marcel : Reversible und irreversible Zeit

4. Lake Placid ’80: Beschleunigung/Zeitraffung und Rückwärtsbewegung

5. Allan and Allen’s Complaint: Reversible und irreversible Zeit - Verdichtung und Aufhebung der Zeit

IX. Schlussbetrachtung

1. Bewusstmachen der Wahrnehmungszeit 2. Komponierte „Zeitbilder“ 3. „Recycling“ 4. Indeterminismus, Überwindung der Irreversibilität der Zeit und Interaktivität 5. „Maschinenzeit“ und Zeit im Leben; „Videozeit“ und „Matrixzeit“ 6. Kunstwerke als Zeit-Modelle 7. Interdisziplinäre Zeit-Raum-Konzeption 8. „Das JETZT ist Utopia […]“

X. Abbildungen

XI. Zitierte und verwendete Literatur

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I. Einleitung

Napoleon sagte: „Man kann immer verlorenen Raum zurückerobern, aber niemals verlorene Zeit zurückgewinnen.“ Zeit ist eine sehr begrenzt vorhan- dene Ware. (Öl ist gleichfalls eine begrenzt vorhandene Ware, weil man geo- logische Zeit braucht, um es zu produzieren, anders als bei Mais oder Reis.) […] Zeit ist Geld, heiß es im Volksmund, aber Zeit ist in Wirklichkeit das Gegenteil von Geld. Die moderne Konsumgesellschaft fand heraus, dass man umso weniger Zeit hat, je mehr Geld man besitzt. […] Edmund Husserl zitiert in seinen Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusst- seins (1928) den heiligen Augustinus […], der sagte „Was ist ZEIT?? Wenn niemand mich fragt, weiß ich es … wenn jemand mich fragt, weiß ich es nicht.“ […] Auf meiner letzten Reise nach Tokio kaufte ich Dutzende von Büchern über ZEIT von östlichen und westlichen Denkern. Nach meiner Rückkehr nach New York stellte ich fest, dass ich keine ZEIT habe, sie zu lesen. 1 Nam June Paik, 1976

Wir alle kennen die Erfahrung, die Augustinus im 10. Buch der Confessionen beschreibt, wenn er sagt, er verstehe genau, was Zeit sei, wenn er nicht darüber nachdenke. Sobald er aber seine Aufmerksamkeit darauf richte, wisse er es nicht mehr. Als „Prototyp aller echten philosophischen Verlegenheit“ gilt Augustins Analyse des Zeitproblems daher auch für Hans-Georg Gadamer: Dass sich die Zeit „im Gedankenlosen der Selbstverständlichkeit“ verberge, erscheint ihm als großer „Widerstand“, mit dem philosophisches Denken und Begreifenwollen ständig konfrontiert sei, der aber unbesiegbar sei, weil er keinen Wider- stand biete. 2 Die Schwierigkeit bei dem Versuch, „das Selbstverständliche zu denken“ sieht Gadamer darin, dass es gelte, „das zu stellen, das sich dadurch zu entziehen sucht, dass es ständig hinter einem ist.“ 3

Edmund Husserl thematisiert dieses Problem in der von Nam June Paik erwähnten Einlei- tung seiner Vorlesungen über das innere Zeitbewusstsein:

Natürlich, was Zeit ist, wissen wir alle. Sie ist das Allerbekannteste. Sobald wir aber den Versuch machen, uns über das Zeitbewusstsein Rechenschaft zu geben, objektive Zeit und subjektives Zeitbewusstsein in das rechte Ver- hältnis zu setzen und uns zum Verständnis zu bringen, wie sich zeitliche

1 Nam June Paik: Input-Zeit und Output-Zeit, aus: Ira Schneider und Beryl Korot (Hg.): Video Art. An Anthology. New York/London 1976, S. 98. In: Edith Decker (Hg.): Nam June Paik. Niederschriften eines Kulturnomaden: Aphorismen - Briefe - Texte, Köln 1992, S. 139 f. 2 Hans-Georg Gadamer: Über leere und erfüllte Zeit. In: Walther Ch. Zimmerli und Mike Sandbothe (Hg.): Klas- siker der modernen Zeitphilosophie, Darmstadt 1993, S. 281-297, hier: S. 281. 3 Ebd. 6

Objektivität, also individuelle Objektivität überhaupt, im subjektiven Zeit- bewusstsein konstituieren kann, ja sowie wir auch nur den Versuch machen, das rein subjektive Zeitbewusstsein, den phänomenologischen Gehalt der Zeiterlebnisse einer Analyse zu unterziehen, verwickeln wir uns in die son- derbarsten Schwierigkeiten, Widersprüche, Verworrenheiten. 4

Zur Verwirrung in unserem Nachdenken über Zeit tragen auch unsere Sprachgewohnhei- ten bei. Wilhelm Dupré zeigt 1813 den Zusammenhang von Zeit mit der Tätigkeit des Ar- tikulierens und Begreifens und erläutert das Prinzip, dem der Versuch, Zeit zu definieren, unterliegt:

Der Versuch, die Zeit, von der wir ständig reden, zu begreifen und eine Definition der Zeit zu geben, fällt auf sich selbst und sein eigenes Artiku- liertsein im hic et nunc des Artikulierens zurück. Es gibt keine eigentliche Definition der Zeit, weil das Bewusstsein der Zeit dem Begreifen wesentlich ist, darum Definieren ohne die Zeit weder denkbar noch möglich ist. Nur wo Gegenwart ist, gibt es den Gedanken des Vorher und Nachher, und nur wo es ein Bewusstsein des Vorher und Nachher gibt, sind Bestimmen und Begrenzen möglich. 5

Wir glauben zu wissen, was Zeit ist, doch es ist uns nicht möglich, sie zu definieren, denn außerhalb der Zeit gibt es nichts, worauf wir sie beziehen könnten. Was Zeit in einem ab- soluten Sinne ist, können wir daher weder denken noch darstellen oder in Worte fassen.

„Zeit ist der am schwersten zu definierende Begriff in unserem Leben, weil sie unser Leben selbst ist“ – so formuliert Nam June Paik dieses Problem. 6 Die Zeit zu zeigen oder auch nur über sie nachzudenken, bezeichnet er als „ein Paradoxum [sic!]“. 7 Und doch hat er sich während seines künstlerischen Schaffens immer wieder in diese „paradoxe“ Situation bege- ben. Die Auseinandersetzung mit Zeit und Zeitlichkeit als Grundkategorie menschlicher Erfahrung ist nicht nur immer wiederkehrendes Thema in seinen Texten, sondern sie zieht sich durch sein gesamtes Œuvre. Im Essay Comparative Aesthetics – Cybernetics of Arts stellt Paik 1965 unter Paragraph 7 die ihn interessierenden “conceptions of time“ zusammen:

4 Edmund Husserl: Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewusstseins, Tübingen 1980, 2. Aufl., S. 368. 5 Wilhelm Dupré: Zeit, in: Handbuch philosophischer Grundbegriffe, Bd. III, München 1974, S. 1813. 6 Nam June Paik am 20. Februar 1985 in einem Brief an Michel Baudson, Kurator der Brüsseler Ausstellung L’art et le temps (vom 22. November 1984 bis 20. Januar 1985 im Palais des Beaux-Arts, Brüssel). Paik beteiligte sich an der Ausstellung mit der Installation Hydra Buddha. Siehe Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel. In: Hannelore Paflik (Hg.): Das Phänomen Zeit in Kunst und Wissenschaft, Weinheim 1987, S. 125-136, hier: S. 131. 7 Ebd. – Paik hatte seine „eigene Sprache“, seine „eigene Grammatik“ („Paikisch“ (Wulf Herzogenrath)). Im folgenden wird hier bei den Zitaten nicht mehr gesondert auf wörtlich übernommene Abweichungen von der deutschen Rechtschreibung hingewiesen. Mit „Paikisch“ bezeichnet Herzogenrath Paiks „Sprachform, die mit klaren Vereinfachungen komplexe Sachverhalte darzustellen vermag“ (Wulf Herzogenrath: Ja, ja. Ich kenne Euch Brüder. In: Peter Moritz Pickshaus: Nam June Paik, Köln 2009, S. 72-84, hier: S.74). 7

„India – Greece – Bible – Newton – Bergson – Gibbs – Husserl – Heidegger – Sartre - Cage – Wiener – Stockhausen (time Series) and Norbert Wiener’s distinction of human time and machine time“. 8

Henri Bergson beschäftigte sich 1896 in Matière e Mémoire mit dem Unterschied von Raum und Zeit, die er als Antithesen versteht. 9 Während er den Raum, in dem man sich beliebig von einem Punkt zum anderen bewegen kann, als in sich homogen ansieht, ist die Zeit nicht homogen, denn in ihr kann man nicht beliebig von einem Punkt zum anderen gehen. Jeder Moment ist neu und unwiederholbar. Den Raum, dessen Gegenstand Materie sei, schreibt Bergson dem Verstand als Organ des handelnden Menschen zu. Die Zeit dagegen könne vom Verstand nicht erfasst werden, sondern sei nur durch die „Intuition“ begreifbar. Im Unterschied zum Raum, der mehrdimensional ist, läuft die Zeit in irreversiblen Linien ab. 10

Nachdem in der Bildenden Kunst die Zeit gegenüber dem Raum lange eine untergeordnete Rolle eingenommen hatte, änderte sich dies zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich mit Kubismus und Futurismus die Aufmerksamkeit auf Geschwindigkeit und Zeit richtete. An die Stelle der nur einen einzigen Zustand abbildenden Einheitlichkeit der Bildfläche trat nun die „Simultaneität“, indem mehrere zeitlich verschiedene Zustände und Erlebnispha- sen vereinigt wurden. 11 Das Realistische Manifest aus dem Jahr 1920 enthält Forderungen des konstruktivistischen Bildhauers Naum Gabo für eine zeitgemäße Kunst, mit denen er sich gegen jede mimetische Funktion von Linie, Form und Farbe wendet und stattdessen die Notwendigkeit der Integration von Bewegung und Rhythmus als Ausdruck von Zeit her- vorhebt: „Wir erkennen in der bildenden Kunst ein neues Element, die kinetischen Rhyth- men, als Grundformen unserer Wahrnehmung der realen Zeit.“ 12 Auch Laszlo Moholy- Nagy betonte 1927 „die alle bisherige Ästhetik umstürzende Wichtigkeit des Zeitproblems“. 13 Mit der kinetischen Kunst, die in den 1950er Jahren ihren Höhepunkt erreichte, rückte die Zeit in den Mittelpunkt des Interesses. Künstler wie Alexander Calder und Jean Tinguely

8 Nam June Paik: Comparative Aesthetics – Cybernetics of Arts, 1965. Manuskript im Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Geringfügig gekürzt erschienen in: Dick Higgins (Hg.), Manifestos, New York, 1966, S. 24. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 115. 9 Henri Bergson: Matière e mémoire, essai sur la relation du corps et l’ésprit, Paris 1896; deutsch: Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist, Jena 1914. 10 Vgl. Hannelore Paflik: Kunst und Zeit. Zeitmodelle in der Gegenwartskunst. München 1997, S. 20. 11 Johannes Jahn: Wörterbuch der Kunst, 10. erw. Aufl., Stuttgart 1983. 12 In: Kat. Naum Gabo. Kunstverein Hannover 1971, S. 46. 13 Laszlo Moholy-Nagy: Malerei Fotografie Film (= Neue Bauhausbücher. Hg. von Hans M. Wingler), zuerst 1927, fotomech. Nachdruck Mainz – Berlin 1967, S. 18 f., zit. nach Edith Decker: Paik Video. Köln 1988, S. 185. 8

stellten vor allem die Bewegung und den zeitlichen Ablauf in den Vordergrund ihres Schaf- fens. Nach Bergson beschreibt die Bewegung eine Dauer und zugleich einen Weg zur Wahr- nehmung des Raumes. Beim Action Painting rückt der Akt des Malens in den Mittelpunkt. Mit Jackson Pollocks Dripping-Methode wird die Kunst zur „vergänglichen Spur der eige- nen Existenz“. 14

In den 1960er Jahren begannen immer mehr Künstler, auf Grundlage der Erfahrungen der Kinetik, die Zeit zum zentralen Thema ihrer Arbeiten zu machen. Kunst und Leben sollten identisch werden – „weg vom Erstellen (von Ikonen) hin zu Prozessen aller Art.“ – so Allen Kaprow, der den Begriff des Happening prägte. 15 Mit Mitteln aus dem Theater und aus der Musik sowie unter Einbeziehung des Zufalls und der Beteiligung der Zuschauer sollte eine neue Kunstform entstehen, bei der „Zeit und Raum als Utensilien beim Entstehen einer lebendigen Assemblage genutzt“ wurden. 16 Bei Fluxus-Events wie dem spektakulären Hap- pening 24 Stunden am 5.6.1965 in der Wuppertaler Galerie Parnass, an dem sich auch Nam June Paik beteiligte, ging es darum, sich für verschiedene künstlerische Ausdrucksformen – wie Musik, Theater, Tanz und Film – zu öffnen. Die Zeit wurde dabei als konstitutives und strukturierendes Element eingesetzt. Wie die Spur in den Bildern Jackson Pollocks auf die reale Arbeitszeit verweist, ist bei dem Happening die Dauer der Aktion entscheidend, wie bereits ihr Titel zeigt. 17

It is only in the last second of its existence that Western culture has begun to relinquish its struggle with time, a struggle that had been reinforced in time past by a belief in an eternal universe, existing outside of time and space. Now we know that the universe is in constant molecular flux, that even the outer structure of the universe is oscillating, expanding here, retracting there, and that the universe itself is an event, not a constant, with a beginning and an end. (“Time! – Time! – Time!” wrote a geologist, one hundred years ago, calling it “the leading idea present in all our researches …”). 18 Douglas Davis, 1974

14 Vgl. Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 29. 15 Allen Kaprow in Projekt 74. Kunst bleibt Kunst. Ausstellungskatalog Köln 1974, S. 11; zit. nach Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 27. 16 Jürgen Schilling: Aktionskunst, Identität von Kunst und Leben?, Luzern, Frankfurt 1978, S. 56. 17 Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 30 f. 18 Douglas Davis: Time! Time! Time!, in: Douglas Davis, Allison Simmons (Hg.): The New Television, Cambridge, Massachusetts, London 1977, S. 74. 9

Als am 21. Juli 1969 um 3.56 Uhr MEZ Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betritt, werden alle Phasen des Unternehmens weltweit übertragen, so dass es möglich ist, auf der Erde gleichzeitig an einem Ereignis teilzuhaben, das auf dem 400.000 km entfernten Mond stattfindet. Das Phänomen der Gleichzeitigkeit ist ein Aspekt der Zeit, mit dem sich Nam June Paik auf vielfältige Weise und mit verschiedensten Mitteln auseinandergesetzt hat – sowohl in seinen Musikkompositionen als auch in den Videoinstallationen, -bändern und Satellitenprojekten.

Paik, der seine künstlerische Karriere im Bereich der Musik - der zeitbasierten Kunstgattung schlechthin - begonnen hatte, hatte durch seine Ausbildung als Musiker und durch sein Kompositions-Studium von Beginn an ein besonderes Gespür für den Ablauf von Zeit. Auch seine koreanische Herkunft und sein Studium in Japan könnten hierbei eine Rolle gespielt haben. Sein Studium der Musikgeschichte, Kunstgeschichte und Philosophie in To- kio hatte er 1956 mit einer Arbeit über Arnold Schönberg abgeschlossen. In den beiden darauffolgenden Jahren war er bei den „Internationalen Ferienkursen für Neue Musik“ in Darmstadt und John Cage begegnet, deren Kompositionen sein weiteres Schaffen maßgeblich beeinflussten. Wie Schönberg, Stockhausen und Cage be- schäftigte sich auch Paik in seinen Werken intensiv mit der Organisation von Zeit. Nicht nur in seinen musikalischen Kompositionen ging es ihm wesentlich darum, Zeit zu struk- turieren; auch nachdem er bei seinem Experimentieren mit elektronischem Gerät vom akustischen in den visuellen Bereich gewechselt hatte, blieb die Zeit ein zentrales Thema seiner Arbeit.

Zeit ist aus keiner unserer Erfahrungen wegzudenken, denn bei allem, was wir erfahren, wird die Zeit miterfahren. Die Fragestellung „Was ist Zeit“ führt jedoch zu keinem sinn- vollen Ergebnis. Was Zeit in einem absoluten Sinne ist, können wir weder denken, noch sagen oder darstellen. Erst innerhalb eines bestimmten Bezugsrahmens wird es möglich, zu sagen, wie Zeit erfasst ist. Auf Kunstwerke bezogen, können wir sagen, wie Zeit veran- schaulicht wird. 19

In vorliegender Arbeit wird der Versuch unternommen, anhand der Werke Nam June Paiks einzelne Aspekte des „Paradoxons“ Zeit aufzufächern und sich so dem sprachlich schwer fassbaren ontologischen Begriff zu nähern. Hierfür soll beleuchtet werden, welche Rolle die Zeit in den Werken Paiks spielt, in welcher Form und auf welche Weise er sich - sowohl in

19 Vgl. ebd., S. 16. 10

seinen künstlerischen Arbeiten als auch in den theoretischen Texten - mit der Zeit ausei- nandersetzt. Anders als in philosophischen Abhandlungen oder naturwissenschaftlichen Studien wird die Zeit hier nicht als „Phänomen“ oder „Problem“ angesehen, das es zu er- klären gälte, sondern es erscheint vielmehr sinnvoll, Zeit als einen sprachlichen Begriff auf- zufassen, mit dem bestimmte Erfahrungen beschrieben werden. 20 Das Ziel ist nicht eine Analyse der Zeit, sondern vielmehr eine Analyse von Paiks Beschreibung der Zeit in seinen Werken. Es soll gezeigt werden, wie Paik mit Zeit umgeht, wie er sie strukturiert, darstellt und sichtbar macht - in seinen Kompositionen (Kapitel II), Performances (III/1), Video- arbeiten (VI und VIII) und Satellitenprojekten (VII).

Hilfreiche Anhaltspunkte für das Verständnis der Werke finden sich in Paiks Texten, in denen er sich immer wieder auch auf theoretischer Ebene mit der Zeit auseinandersetzt. Hier wurden fünf Texte ausgewählt, in denen Paik das Verhältnis von Video und Zeit re- flektiert (V). Besonderes Interesse gilt Paiks Entwicklung vom Musiker zum visuellen Künstler, die die Art seines Umgangs mit Zeit entscheidend prägte (II und III), sowie der Frage, welche Rolle die technischen Besonderheiten des Mediums Video für die Auseinan- dersetzung mit Zeit spielen (IV und V).

II. Kompositionen – „Musik ist eine Zeitabfolge“: 21 Bewusste Wahrnehmung von Bewegung, Veränderung und verschiedenen Ge- schwindigkeiten

1. Symphony for 20 Rooms: Partizipation und Indeterminismus, Langeweile und Veränderung, Vielfalt und Intensität

„WANN gespielt wird ist ebenso wichtig wie / WAS gespielt wird.“, betont Paik gleich zu Beginn seiner 1965 entstandenen Symphonie Nr. 5 22 - und dies gilt auch für seine in den Jahren zuvor entstandenen Kompositionen.

20 Vgl. hierzu ebd., S.9. 21 Nam June Paik im Interview mit Gottfried Michael König, in: Wulf Herzogenrath (Hg.): Kat. Nam June Paik. Werke 1946-1976, Musik – Fluxus – Video. Köln 1976, S. 51. 22 Nam June Paik: Symphonie Nr. 5; a. a. O., aus: Jürgen Becker/Wolf Vostell (Hg.): Happenings, Fluxus, Pop Art, Nouveau Realisme, Hamburg 1965, S. 223-240. Übersetzung aus dem Englischen von Tomas Schmit. Die Ori- ginalpartitur befindet sich im Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Abgedruckt in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 28-45, hier: S. 28. 11

Die 1961 konzipierte, jedoch nie realisierte Symphony for 20 Rooms gilt als wichtigste Vorläu- ferarbeit zur „legendären“ Ausstellung Exposition of Music. Electronic TV, die im März 1963 in der Wuppertaler Galerie Parnass stattfand und als „Geburtsstunde der Videokunst“ an- gesehen werden kann. 23 Die Partitur zeigt 16 imaginäre Räume mit unterschiedlichen akus- tischen, visuellen, taktilen und olfaktorischen Ereignissen, die in beliebiger Reihenfolge be- treten werden sollen. 24 In einem Raum ist ein lebender Hahn in einem Käfig vorgesehen, in einem anderen sind die Wände mit Nationalflaggen und erotischer Unterwäsche bedeckt. In einem weiteren, komplett verdunkelten, Raum sollen parallel Lesungen von Texten Mi- chel de Montaignes, Detektivgeschichten, der Johannes-Apokalypse u. a. stattfinden. In ei- nem anderen Raum sollen sich zwei präparierte Klaviere befinden. In der Hälfte der Räume sind laut Skizze Tonbandgeräte vorgesehen, die verschiedene Klangcollagen abspielen (wie z. B. Zuggeräusche, Sinustöne in unangenehmen Höhen oder eine verlangsamte Version von Johann Sebastian Bachs Choral O Haupt voll Blut und Wunden). 25 Fernsehgeräte kommen in der Partitur noch nicht vor, doch indirekt ist das Fernsehen doch Bestandteil der Sym- phonie: Paiks Auflistung für die Tonbänder 1 und 10 enthält die Clips TV Commercial of Quick Cough Drop, German TV News Announcer’s Voice, Laughter from Quiz Show und TV News. Von Bedeutung für die Ausstellung Exposition of Music. Electronic TV sind auch die fünf Räume, für die Paik auf der Skizze „Audience Participation“ notiert hat. So sollen die Be- sucher in einem Raum Steine, Holz, Metallstücke und andere Objekte herumstoßen und sich der akustischen und taktilen Unterschiede bewusst werden. Ein Raum soll eine mit Kontaktmikrofonen versehene Bodenplatte aus Metall enthalten, auf der die Besucher „herumspringen oder kämpfen“ können. Publikumsbeteiligung ist auch vorgesehen bei prä- parierten Klavieren, Instrumenten, Pfeifen, Spielzeug und einem Grammofon mit Platten. 26 Neben der Nutzung des Fernsehens war auch die aktive Einbeziehung der Besucher in das Ausstellungsgeschehen ein Aspekt, den Paik 1963 in der Wupptertaler Ausstellung auf- griff (s. III/4).

23 Als Erster betonte 1982 der Komponist und Musikwissenschaftler Michael Nyman den Modellcharakter der Komposition für die Wuppertaler Ausstellung (Michael Nyman: Nam June Paik, Composer, in: Katalog Nam June Paik, New York 1982, S. 79-89, hier: S. 87. Zitiert nach Manuela Ammer: Bei der Technik gibt es stets das andere, den Anderen, in: Susanne Neuburger (Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Köln 2009, S. 44-58, hier: S. 45). 24 Eine Rekonstruktion der verloren geglaubten Skizze von 1961 ist abgedruckt in: John G. Hanhardt (Hg.): Nam June Paik, New York 1982, S. 41. 25 s. Manuela Ammer: Bei der Technik gibt es stets das andere, den Anderen, in: Susanne Neuburger (Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Köln 2009, S. 44-58, hier: S. 45. 26 Ebd., hier: S. 46. 12

Die Rolle des Publikums ist auch zentrales Thema im 1961 entstandenen Text Zur “Sympho- nie for 20 Rooms“, in dem Paik sich mit der Aufführungspraxis von Konzerten auseinander- setzt. 27 Er erwähnt darin Stockhausens Stück Paare, bei dem es weder einen fixierten Anfang noch ein Ende gibt und das Publikum frei in die Konzerthalle kommen und sie verlassen kann. Die Musik spielt dabei so lange, bis der letzte Zuhörer den Raum verlassen hat. Bis dahin war Paik davon ausgegangen, dass im Konzert eine fixierte Form beibehalten werden muss, weil ein Musikstück ein „Crescendo in eine Richtung“ haben muss und ein „Cre- scendo in viele Richtungen“ nicht vorstellbar sei. Von Stockhausen habe er gelernt, dass sich die Musik von ihrer festgelegten Form befreien muss, um eine „freie und ruhige Liebe“ zu ermöglichen, schreibt Paik hier. Diese Idee habe ihm zwar imponiert, ihn aber nicht überzeugt, weil er zu der Zeit auf der Suche nach der „der letzten vollendeten Sekunde“ gewesen sei. Beim Blick aus dem Fenster eines fahrenden Zuges habe er dann aber „die alte Zen-These von Cage“ begriffen: „Es ist schön, nicht, weil es sich schön verändert, sondern einfach - weil es sich verändert.“ 28 Den Grund für Schönheit in der Natur sieht Paik nicht in ihrer Intensität oder Komplexität, sondern in „ihrer Vielfalt, ihrer überreichen Fülle, ihrer unendlichen Quantität.“ 29

„Wie kann man Vielfalt erreichen, ohne die Intensität zu verlieren?“ – Diese Frage treibt Paik um. 30 Er deutet an, dass Symphony for 20 Rooms den Beginn einer neuen Schaffensphase markiert. Wie im Informationsblatt zur Ausstellung Exposition of Music. Electronic TV, in dem er die „zweieinhalb Typen des Nichts“ gegeneinander abgrenzt, unterscheidet er auch hier

27 Nam June Paik: Zur „Symphony for 20 Rooms“, in: La Monte Young/Jackson MacLow (Hg.): An Anthology, New York 1963; auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 90-92. 28 Ebd., S. 90. 29 Nam June Paik: Zur „Symphony for 20 Rooms“, in: La Monte Young/Jackson MacLow (Hg.): An Anthology, New York 1963; auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 90-92, hier: S. 90. Dabei unterscheidet Paik zwei verschiedene Bedeutungen des Begriffs „Qualität“: Während die erste („gut, besser, am besten“) die Möglichkeit des Vergleichs erlaubt, sei bei der zweiten („Charakter, Individualität, Eigenschaft“) die Möglichkeit des Vergleichs ausgeschlossen. Ein Bewusstsein von Qualität in der zweiten Bedeutung könne man erreichen durch ein religiöses Erlebnis oder durch ein extreme Situation, durch die „jeder einzelne Moment eigenständig“ werde. Paik betont in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit des Be- griffs „Moment“ bei Stockhausen. (s. Nam June Paik: Zur „Symphony for 20 Rooms“, ebd., S. 90-92, hier S. 90 f.) 30 Nam June Paik: Zur „Symphony for 20 Rooms“, ebd. S. 90-92, hier S. 91. - Die Vereinigung von Vielfalt und Intensität ist ein zentrales Anliegen Paiks. Er bezweifelt, dass „Intensität (Spannung, Starkstrom) für das Le- ben essentiell […]“ ist und schlägt vor, diese „physikalische Dimension“ durch eine „spirituelle oder ideolo- gische Dimension“ zu ersetzen, womit er „z. B. Ambiguität, Tiefe etc.“ meint. Diese Art des Bewusstseins könne erfahren werden durch Liebe oder von Zen-Priestern, die sich um Ausgeglichenheit und ruhige Ekstase bemühen – um eine „ewig ausgedehnte“ Ekstase, „ohne Crescendo, Höhepunkt, Läuterung“, in denen Paik die Ursachen für Wahnvorstellungen, Illusion, Irrtum, Täuschung und Selbsttäuschung sieht. Den Zen-Pries- tern gehe es darum, in hartem Training „die Amplituden und Frequenzen der Wellen ihrer Liebe, ihres Hasses und Lebens zu verringern, anzugleichen und auszugleichen“. Wer darin geübt sei, könne die Langeweile besser aushalten. Cages “Music of Changes“ bewundert Paik am meisten, weil es seine „langweiligste Komposition“ sei (s. ebd., S. 90-92, hier S. 91). 13

zwei „Serien“ von Kompositionen mit unterschiedlichen Intentionen: In seinen bisherigen Stücken habe er demonstrieren wollen, „dass es das Absolute gibt, und dass (= das Abso- lute) das Absolute IST.“ In seiner neuen, mit Symphony for 20 Rooms einsetzenden Phase geht es ihm dagegen um den Versuch, „zu demonstrieren, dass das Relative das Absolute IST.“ - „Muss ich auch demonstrieren, dass das Absolute das Relative IST?“, fragt Paik und be- tont den Einfluss von Stockhausen und Cage im Hinblick auf seine neue Sichtweise. Dabei verweist er auf Cages Stück Music Walk, bei dem sich die Zuhörer frei zwischen zwei Räu- men hin und her bewegen sollen. 31

2. DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young 32

Den Minimal-Komponisten La Monte Young nennt Paik 1989 in einem Interview als wich- tiges Vorbild, insbesondere für die Performance One for Violin Solo (III/1 c). La Monte Young verfolgt in seinen Kompositionen das Ziel, die festgeschriebene Rolle des Rezipien- ten aufzubrechen, das auch ein erklärtes Anliegen Paiks war. Wie dieser setzt sich Young in seinen Stücken intensiv mit der Strukturierung von Zeit und der Rolle verschiedener Ge- schwindigkeiten auseinander. 33

31 Ebd., S. 90-92, hier S. 91 f. - Das Verhältnis von Publikum und dargebotener Musik in verschiedenen Aufführungsformen reflektiert Paik auch in seinem 1963 erschienenen Essay Post-Musik, in dem er sein Ziel formuliert, „die ontologische Form der Musik (zu) erneuern“: Im Unterschied zum traditionellen Konzert, bei dem sich nur die Klänge bewegen, das Publikum sich aber setzt, bewegen sich in seiner Symphony for 20 Rooms nicht nur die Klänge, sondern auch die Zuhörer (s. Nam June Paik: Post-Musik. The Monthly Review of the University for Avant-garde Hinduism, Wiesbaden 1962; im Sogetzu Journal, Tokio 1963 erschienen; abgedruckt in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 93-95, hier: S. 93). 32 Nam June Paik: DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young, aus: Hans-Joachim Dietrich (Hg.): Kalender 63, Düsseldorf 1963. Das Manuskript befindet sich im Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart; abge- druckt in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 15-23. 33 Wie Paik nahm auch La Monte Young 1959 am Ferienkurs von Karlheinz Stockhausen in Darmstadt teil. Mit seiner Composition 6 wollte er die festgeschriebene Rolle des Rezipienten aufbrechen. (s. Susanne Neubur- ger: Terrific Exhibit. “Zeit-Kunst” alias Musik im Ausstellungsgenre, in: Dies. (Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, a. a. O., S. 11-23, hier: S. 17). Wie Paik interessiert sich La Monte Young in seinen Stücken vor allem für die Rolle verschiedener Geschwindigkeiten und für die Strukturierung von Zeit. Young wurde nachhaltig von klassischer indischer und von japanischer Gagaku-Musik beeinflusst und war (wie Paik) Mit- glied der Fluxus-Bewegung. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche minimalistische Stücke mit extrem lang an- haltenden oder sich oft wiederholenden Sequenzen und Bandschleifen mit ins Extreme gesteigerter Spiel- dauer. So besteht zum Beispiel Composition 1960 #7 nur aus zwei notierten Tönen mit der Interpretationsan- weisung „to be held for a long time“. Seit etwa 1964 arbeitet Young an den The Well-Tuned Piano-Komposi- tionen und entwickelt hierbei seinen zweiten Kompositionsschwerpunkt, der auf reinen Stimmungssystemen und einer komplexen mathematischen Berechnung basiert. Die Aufführungen des Stücks haben sich im Lauf der Jahre auf mehrere Stunden ausgedehnt. Young hat zahlreiche „Sound/Light-Environments“ entwickelt, bei denen er sich zunehmend mit der Fiktion ewig andauernder Musik beschäftigt. Ausgewählte Grundtöne, die permanent klingen, werden kontrastiert mit improvisierten, langanhaltenden Tönen. http://de.wikipedia.org/wiki/La_Monte_Young (4.3.2015). 14

In seiner 1961-62 entstandenen Komposition DO IT YOURSELF - Antworten an La Monte Young empfiehlt uns Paik die Lektüre leerer Seiten. 34 Die Bedeutung der Leere hat auch John Cage immer wieder hervorgehoben, der z. B. in der Lecture on Something die Gleichset- zung von Präsenz und Absenz verdeutlicht hat. 35 Gleich zu Beginn von DO IT YOURS- ELF … betont Paik, dass es darauf ankomme, die in der Komposition enthaltenen zahl- reichen weißen Seiten „sehr langsam“ zu lesen („mehr als 3 Sekunden“). 36 Die in der Par- titur beschriebenen Ereignisse sollen gemäß Paiks Anleitung nicht einfach „wie gewöhn- lich“ gelesen werden, sondern der Rezipient solle die Situationen „,wirklich erleben‘ oder versuchen, es zu erleben“ oder sich zumindest „vorstellen, all die Dinge selbst zu erleben.“ 37 Die Komposition enthält verschiedene Handlungsanweisungen für den Rezipienten. Von besonderer Bedeutung ist dabei jeweils die Zeit, zu der die Handlungen ausgeführt werden sollen: Die erste Schwalbe, die du im nächsten Frühling triffst, / - dies ist meine erste Performance. / Im Sommer, geh zum Schwimmbad der Kinder – und lausche. / Im Herbst – die Regentropfen in der Pfütze. / An einem sehr kalten Wintermorgen / verfolg die Spur des Fuchsschwanzes / im Schnee (Thoreau). – „ERSTER JANUAR / 3 UHR (nachmittags) / WARTE! 38

Neben dem Zeitpunkt spielt auch die Geschwindigkeit, in der bestimmte Tätigkeiten aus- geführt werden sollen, eine wesentliche Rolle, wenn es zum Beispiel heißt: „Lauf so schnell im Mondlicht, dass du / auf den Mondschatten deines Kopfes treten kannst.“ oder: „Die elektrischen Überlandleitungen in den Vorstädten / sind ein gutes Instrument, um Zen zu praktizieren / Bitte geh umher, vor und zurück, schnell, langsam – überkreuz […].“ 39 Die Wahrnehmung des Rezipienten wird auf Bewegungen und Veränderungen in der Umge- bung gelenkt, wenn er aufgefordert wird, sich die elektrischen Leitungen anzuschauen und dabei auf „den ewig sich verändernden Himmel“ zu achten. 40 Später wird der Rezipient aufgefordert, die Fuge Nr. 1 (C-Dur) des Wohltemperierten Klaviers von J. S. Bach zu spielen. Dabei soll die linke Hand in San Francisco und die rechte Hand

34 Nam June Paik: DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 15-23, hier: S. 15. 35 Vgl. Ina Blom: The Intermedia Dynamic. An Aspect of Fluxus. Magisterarbeit, Universität Oslo, 1993, S. 101. Zitiert nach Susanne Neuburger: „For a philosophical reason“ – Nam June Paik und der Text, in: Rennert, Susanne und Lee, Sook-Kyung (Hg.): Kat. Nam June Paik, Ostfildern 2010, S. 87-95, hier: S. 93. 36 Nam June Paik: DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 15-23, hier: S. 15. 37 Ebd. 38 Ebd., S. 15. 39 Ebd., S. 15 f. 40 Ebd., S. 16. 15

in Shanghai gespielt werden. Begonnen werden soll „exakt um 12 Uhr mittags, den 3. März / (Greenwich MEZ) mit Metronomtempo = 80 / – das kann zur selben Zeit / von beiden Seiten / des sogenannten ,pazifischen‘ Ozeans gesendet werden.“ 41 Mit seiner hier entwickelten Vision antizipiert Paik sein am 1. Januar 1984 realisiertes Satel- litenprojekt Good Morning Mr. Orwell (s. VIII/3). 23 Jahre nach der Komposition DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young waren durch Satellitentechnik die technischen Voraussetzungen geschaffen, Paiks Vorstellung eines Musikstücks, das zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten stattfindet, zu realisieren. Drei Jahre später war es dank digitaler Auf- zeichnungstechnik möglich geworden, eine CD herzustellen, ohne dass sich die Musiker in einem Studio zusammenfinden mussten: 1987 spielten Popstar Stevie Wonder und Gitarrist Nile Rodgers zusammen eine CD-Aufzeichnung ein, bei der sie sich an zwei verschiedenen, 5000 Kilometer voneinander entfernten Orten befanden. 42

Zurück zu DO IT YOURSELF …: Der Rezipient soll sich ein Klavier vorstellen, das zwar Tasten, aber keine Hämmer hat. „einer kommt – / spielt – (ohne Klänge) / und – geht – / Musik – / für den Geist / durch den Geist / von dem Geist“. Es handelt sich also um ein Musikstück, bei dem keine Klänge zu hören sind. Dies erinnert an das „stumme“ Klavier- stück (4‘33“) von John Cage, bei dem ebenfalls keine vom Instrument erzeugten Töne zu hören sind. 43 Wie bei diesem wird bei Paiks imaginärem Stück durch das Fehlen der Klänge das Bewusstsein auf den Ablauf von Zeit gelenkt. Derselbe Effekt wird durch die leeren Seiten in der Partitur erzielt: Da der Text fehlt, wird das Fortschreiten der Zeit zum Inhalt. Indem Paik ausdrücklich betont, dass die weißen Seiten sehr langsam „gelesen“ werden sollen, wird sein Ziel deutlich: Es geht ihm darum, dass der Rezipient sich der ablaufenden

41 Ebd., S. 18. 42 Wonder agierte aus seinem Studio in Los Angeles, während Rodgers gleichzeitig in einem Studio in New York den Gitarrenpart spielte. Ermöglicht wurde die quasisimultane Koproduktion durch ein digitales Auf- zeichnungsgerät mit 24 Kanälen. Die beiden Musiker konnten einander bei der Aufzeichnung akustisch in einer Qualität wahrnehmen, die mit der in einem gemeinsamen Studio vergleichbar war. Zusätzlich traten die beiden Musiker über eine Videokonferenzschaltung in visuellen Kontakt zueinander. (s. Siegfried Zielinski: Audiovisionen. Kino und Fernsehen als Zwischenspiele in der Geschichte, Reinbek 1989, S. 263). 43 John Cages Stück 4‘33“ wurde am 29. August 1952 in der Maverick Concert Hall in Woodstock, New York uraufgeführt. Anregung für die Partitur waren unter anderem die White Paintings von Robert Rauschenberg. Mit dem Titel ist eine Aufführungsdauer von vier Minuten und 33 Sekunden vorgegeben. Die Länge der drei Sätze ermittelte Cage jeweils mit dem I Ging, also durch Zufall. Die Anweisung für die Sätze lautet: Tacet, d. h. in dem Stück werden keine hörbaren Töne erzeugt (tacit = still, lautlos, stillschweigend). In der Urauffüh- rung zeigte der Pianist die drei Sätze durch Schließen und Öffnen des Klavierdeckels an. In der Uraufführung dauerte das Stück 4 Minuten 33 Sekunden. Obwohl der Titel die Dauer des Stückes genau angibt, ist die Dauer laut Partitur frei wählbar. Auch die Zahl der Ausführenden und die Zahl der Instrumente kann variieren. Durch die bei jeder Aufführung auftretenden Geräusche klingt jede Aufführung von 4'33“ anders (s. Wulf Herzogenrath: John Cage: Musik – Kunst–Leben. Gedanken zu Cage als bildender Künstler. In: Wulf Herzogenrath, Barbara Nierhoff-Wielk (Hg.): „John Cage und …“ Bildende Künstler – Einflüsse, Anregungen, Köln 2012, S. 32). 16

Zeit bewusst wird. Die Gegenwart und das Verfließen der Zeit sollen bewusst wahrgenom- men und erlebt werden. Später heißt es: Lieber John Cage / Magst Du das Geräusch einer / „Caravelle“ / oder das / einer „Boeing 707“ lieber? / Ich mag das Geräusch des / Schlafwagens des TEE am meisten. / John! / Jeder sieht, dass / der zweite Zeiger einer Uhr sich bewegt. / Jeder kann sehen, / der Minutenzeiger einer Uhr bewegt sich. / Du solltest sehen, dass / der / STUNDENZEIGER einer Uhr / SICH BEWEGT. 44

Auch hier wird das Bewusstsein des Rezipienten auf die Wahrnehmung verschiedener Ge- schwindigkeiten und damit auf den Ablauf von Zeit gelenkt. Die Komposition endet mit „1.000.000 weiße Seiten folgen – stell dir das vor“. Das wesentliche Thema der Komposition ist die Strukturierung von Zeit und die bewusste Wahrnehmung von Bewegung und Veränderung, von verschiedenen Geschwindigkeiten und damit von Zeit. Paik lenkt die Wahrnehmung auf den jeweiligen Zeitpunkt, zu dem bestimmte Ereignisse stattfinden sowie auf deren Dauer und Geschwindigkeit. Dadurch wird beim Rezipienten das Bewusstsein für den Ablauf von Zeit geschärft.

3. Eine Sonate – für Radio (1961-63) 45 enthält Anweisungen für die Strukturierung von Zeit in einem Radioprogramm. Die Partitur ist in fünf Sätze gegliedert, für die jeweils be- stimmte Aktionen genannt werden, die entweder nacheinander oder gleichzeitig stattfinden oder wiederholt werden. Dazwischen sieht die Partitur Pausen vor, deren Länge angegeben ist. Mit Beginn einer vollen Stunde sollen im ersten Satz 10-30 verschiedene Radios eingeschal- tet werden, die zur selben Zeit Nachrichten senden. Damit will Paik „demonstrieren, wie dieselbe Sprache oder unterschiedliche Sprachen unterschiedlich dasselbe Ereignis dessel- ben Tages vermitteln.“ 46 Alternativ kann eine aus verschiedenen Werbeclips zusammenge- setzte „Tonbandmusik“ komponiert werden. Im zweiten Satz sollen den Zuhörern „In- struktionen und Befehle“ erteilt werden wie z. B. das Licht auszuschalten, das Radio sehr laut („2mal wiederholen“) oder sehr leise („5mal wiederholen“) einzuschalten, das Radio

44 Nam June Paik: DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 15-23, hier: S. 20. 45 Nam June Paik: Eine Sonate – für Radio. Manuskript im Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart, abgedruckt in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 24 f. 46 Ebd., hier: S. 24. 17

fünf Mal ein- und auszuschalten („3mal wiederholen (längere Pause)“), und es soll die tele- fonische Zeitansage gesendet werden, bevor am Ende des Satzes das Radiogerät zerstört werden soll. Im dritten Satz werden viele Radioapparate ins Studio gebracht, die alle auf den Radiosender eingestellt sind, von dem gesprochen wird. Wenn gesprochen wird, wird das Gesprochene gleichzeitig aus allen Geräten im Studio gehört und sofort wieder gesen- det usw. Zuvor sollen die Radiohörer über den Rückkopplungseffekt informiert werden, „weil die metaphysische Imagination dieser grenzenlosen ,Rückkopplungen‘ interessanter sein kann als der eigentliche Effekt, der sie hervorbringt.“ 47 Im letzten Satz soll Paiks Ult- raschall-Symphonie gesendet werden, die „selbstverständlich […] nicht hörbar“ ist. 48 Wie das Klavier ohne Hämmer oder die weißen Seiten in DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young ist auch die Ultraschall-Symphonie eine Variation von Cages Stück 4‘33“: Da keine Töne zu hören sind bzw. kein Text zu lesen ist, wird die ablaufende Zeit zum Thema des Stücks.

4. Auch Metro-Musik (ca. 1962) 49 lässt sich als Aktionsanweisung lesen. Die Komposition ist nicht für eine Aufführung gedacht, sondern ein rein konzeptuelles Lesestück. Hier be- steht die Anweisung für den Rezipienten darin, im Pariser U-Bahntunnel von Franklin D. Roosevelt bis Stalingrad zu gehen und dabei an den Abwasserkanal in Warschau zu denken. 50 Wie das Musikstück aus DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young, bei dem der Part der linken Hand einer Bach-Fuge in San Francisco und der der rechten Hand in Shang- hai gespielt werden soll, kann auch Metro-Musik als Modell der Gleichzeitigkeit betrachtet werden. Beide Kompositionen beruhen auf der Idee, zwei Orte in einer Zeit zusammen zu bringen.

5. Die 1965 entstandene Symphonie Nr. 5 51 kann nicht aufgeführt werden, denn sie hat kein Ende – „the eternity-cult ist he longest disease of mankind.“, heißt es in der ersten Zeile. 52 Die Partitur enthält verschiedene Handlungsanweisungen mit jeweils genauer An- gabe von Datum und Uhrzeit, wann die Aktionen ausgeführt werden sollen („WANN ge- spielt wird ist ebenso wichtig wie / WAS gespielt wird.“ 53). Der Komposition liegt das

47 Nam June Paik: Eine Sonate – für Radio, a. a. O., hier: S. 25. 48 Ebd. 49 Nam June Paik: Metro-Musik. Manuskript im Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Abgedruckt in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 26. 50 Ebd. 51 Nam June Paik: Symphonie Nr. 5; in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 28-45. 52 Ebd., hier: S. 28. 53 Ebd. 18

Partizipationsprinzip zugrunde, das Paik bereits vier Jahre zuvor in seiner Symphony for 20 Rooms entwickelt hatte: Indem der Rezipient sich vorstellt, die beschriebenen Tätigkeiten auszuführen, wird er zum Aufführenden der Symphonie.

Wesentliches Thema ist auch hier die Strukturierung und bewusste Wahrnehmung des Zeit- verlaufs. Bei den auszuführenden Aktionen handelt es sich z. B. um das Spielen bestimmter Noten auf dem Klavier, das Hören bestimmter Musikstücke, das Lesen bestimmter Texte, das Zählen von Brückenpfeilern, das Betrachten vorüberziehender Wolken, das Hüpfen auf einem Bein und anderes – jeweils zu bestimmten, angegebenen Zeiten.

Am dritten Sonntag im Oktober des ersten Jahres um 16.45 Uhr sollen zum Beispiel welke Blätter im Garten verbrannt werden. Während sie brennen, soll man sein altes Tagebuch lesen. Wenn die welken Blätter (als Symbol der Vergänglichkeit) verbrannt werden, richtet sich das Bewusstsein auf den Ablauf der Zeit in der Gegenwart, während man sich beim Lesen des alten Tagebuchs gleichzeitig in eine bereits abgelaufene Zeit in der Vergangenheit begibt. Der Vorgang kann mithin als Metapher für das Verfließen von Zeit betrachtet wer- den.

Im zehnten Jahr sollen am dritten Januar von „14.68 bis 21.00.08 Uhr“ sieben Stunden lang auf dem „präparierten WC“ sitzend Baudelaires gesammelte Werke gelesen werden. Alter- nativ kann auch Dostojewskis „Die Brüder Karamasow“ gelesen werden. Das WC darf erst verlassen werden, wenn man das Werk zu Ende gelesen hat. Während der anschließenden Pause von 7777 Tagen soll man vergessen, dass man dabei ist, Paiks 5. Symphonie aufzu- führen. 54

Für das 133. Jahr sieht die Partitur die Aufführung der Großen Fuge (op. 133) von L. v. Beethoven vor. Dabei sollen einzelne Instrumente auf jeweils verschiedenen Planeten ge- spielt werden: Die erste Violine auf der Erde, die zweite Violine auf dem Mond, die Viola auf der Venus und das Violoncello auf dem Mars. Begonnen wird „exakt am 1. juli 12.10 Uhr (greenwichzeit der erde)“. 55 Dieses imaginäre Konzert ist eine Weiterentwicklung des Gedankens der Zusammenführung verschiedener Orte in einer Zeit, der bereits in früheren Kompositionen Paiks auftauchte und den er in seinen späteren Satellitenübertragungen in die Tat umsetzte. Im Unterschied zu den früheren Stücken handelt es sich hier jedoch nicht nur um Orte auf der Erde, die in einer Zeit miteinander verbunden werden, sondern das

54 Ebd., hier: S. 35 f. 55 Ebd., hier: S. 37. 19

„Modell der Gleichzeitigkeit“ wird auf das Weltall ausgedehnt. Nicht nur die Zeit ist un- endlich in diesem Stück, sondern auch der Raum. Nachdem bereits im hundertsten Jahr („JUBILÄUM!“) eine Hochzeitsreise in den Weltraum unternommen werden sollte, werden nun vier Planeten durch ein simultanes musikalisches Ereignis miteinander verbunden.

Im 365. Jahr soll der Rezipient – und zugleich Aufführende - der Symphonie alles wieder- holen, was er bisher gespielt hat, allerdings sollen die bisherigen Aktionen von 365 Jahren auf ein Jahr verkürzt werden. Reihenfolge und Zeitproportion soll dabei beibehalten wer- den: „ein jahr ist verkürzt – zu einem tag. / ein monat ist … eine stunde. / ein tag … eine minute. / eine minute … eine sekunde / eine sekunde … eine mikrosekunde / eine mikro- sekunde … eine picosekunde. / eine picosekunde … eine nanosekunde.“ 56 Auch hier lenkt Paik unser Bewusstsein auf die Wahrnehmung von Zeit und Dauer.

An einem Freitag, den 13. im 401. Jahr sollen zwei bestimmte Noten auf dem Klavier an- geschlagen werden. Danach soll man sich drei Tage und drei Nächte nicht bewegen und dabei eine bestimmte Melodie singen. Für das 444. Jahr, 4. April, 4 Uhr, 4 Minuten, 44 Sekunden, 444444 Mikrosekunden lautet die Anweisung: „tu etwas sehr ruhiges.“ Dieselbe Anweisung gilt auch für das 555. Jahr, 5. Mai, 5 Minuten, 55 Sekunden, 555555 Mikrose- kunden und für das 666. Jahr, 6. Juni, 6 Minuten, 66 Sekunden, 666666 Mikrosekunden. Für den Winter des 1000. Jahres sieht die Partitur den Besuch eines Sonntagsgottesdienstes in einer christlichen Kirche vor, bei dem vor allem auf die Geräusche der Umgebung ge- achtet werden soll, wenn die Gemeinde die Kirche verlässt. Bei allen beschriebenen Tätig- keiten geht es um das bewusste Erleben der Gegenwart und des Ablaufs der Zeit.

Im „12121212121212121212121212121212………….12ten Jahr“ soll man an einem Sonn- tagmorgen im Bett Musik von Mozart hören. Danach endet die Partitur mit der Anweisung: „spiele weiter ……“. 57 Die Sinfonie hat kein Ende und kann damit als Modell für unend- liche Zeit verstanden werden. Damit geht Paiks Komposition noch weiter als das 22 Jahre später entstandene Orgelstück ORGAN²/ASLSP 58 von John Cage, das mit einer Gesamt- länge von 639 Jahren als langsamstes und am längsten andauerndes Musikstück der Welt gilt. Im Unterschied zur Symphony Nr. 5 existiert ORGAN²/ASLSP aber nicht nur als Idee und Vorstellung, sondern kann aufgeführt werden - seit dem Jahr 2001 in der Sankt- Burchardi-Kirche in Halberstadt. Bei der Symphony Nr. 5 dagegen handelt es sich um „nicht

56 Ebd., hier: S. 38. 57 Ebd., hier: S. 44 f. 58 Die Abkürzung ASLSP steht für „as slow as possible“, ist also die Anweisung, die achtseitige Partitur so langsam wie möglich zu spielen. 20

spielbare Musik“ – um „Kunst der reinen Idee“, über die Paik in seinem im selben Jahr entstandenen Text zum Happening 24 Stunden philosophiert. 59

III. Von der Musik zum elektronischen Fernsehen

1. Performance und „Aktionsmusik“: Variabilität und Intensität; Zeitstrukturierung durch abrupten Geschwindigkeitswechsel

a) Paiks 1959 entstandene Komposition Hommage à John Cage 60 soll in ihrem musika- lischen Teil aus einem präparierten und einem nicht präparierten Klavier sowie einer Ton- bandcollage bestehen, außerdem sollen Spielzeuge zum Einsatz kommen. Die Klaviere will Paik „nicht nur als Tasten-Zupf-Schlaginstrumente, sondern auch als Streichinstrumente“ behandeln. Ein Klavier soll umgeworfen und von der Bühne zum Saalboden herunterge- stürzt werden. Insbesondere betont Paik die Interaktion mit dem Publikum, das sich aktiv am Stück beteiligen soll: „Zuhörer werfen Feuerwerk an die Bühne, schiessen mit der Pis- tole, zerbrechen Glas. […]“. Den Hauptteil des Stückes soll aber die Tonbandmusik aus- machen. Die Aktionen bezeichnet Paik zwar als „wesentlich“, doch sie sollen nicht so gro- ßen Raum einnehmen. 61 In einem Brief an Dr. Steinecke vom Darmstädter Musikinstitut vom 2.5.1959 kündigt Paik die gerade entstehende „Antithese zum ‚Zwölftonmanierismus‘“ für die Ferienkurse des Jahres 1959 an. 62 Hier schreibt Paik ausdrücklich, dass er die Rhythmen „als Einheit mit Atmung, Aktion und Dynamik“ konzipieren will. Damit will er sein Prinzip abgrenzen von Verfahren anderer zeitgenössischer Komponisten, die „Rhyth- mus und Dynamik getrennt“ behandeln würden. Auf „alltägliche Ordnung […], Überra-

59 Text zu 24 Stunden, Happening am 5. Juni 1965 in der Galerie Parnass, Wuppertal (Dokumentation); Itzehoe 1965. Aus: Kat. Treffpunkt Parnass. Wuppertal 1949-1965, hrsg. von Will Baltzer/Alfons W. Biermann (=Schriften des Rheinischen Museumsamtes Nr. 11), Köln 1980, S. 287 und 289. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 112. 60 Paiks Konzeption von Zeit war maßgeblich beeinflusst von John Cage, dem er 1958 bei Karlheinz Stock- hausens Ferienkursen für Neue Musik in Darmstadt begegnet war. „Chance“ und „indeterminacy“, die zentralen Begriffe in Cages Werk, bekamen auch für Paik außerordentliche Bedeutung. 61 Brief Paiks an Dr. Wolfgang Steinecke vom 8. Dezember 1958. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 49 f., hier: S. 49. 62 Ebd., hier: S. 53. 21

schung und Enttäuschung“, durch die der erste Satz geprägt sein soll, folgt „extreme Laang- weiligkeit“ im zweiten Satz, den Paik als „Verwarnung“ des deutschen Wirtschaftswunders, bei dem „Fleißigkeit und Dummheit in Eins gebunden“ sei, versteht. 63

Mit dieser Performance hatte Paik die engeren Grenzen der Musik überschritten. Die theatralische Inszenierung seiner Kompositionen brachte ihn in die Nähe der Fluxuskünst- ler und damit ins Umfeld der bildenden Kunst. Während John Cage seine präparierten Kla- viere, die Radios, Tonbandgeräte und Schallplattenspieler lediglich als Musikinstrumente einsetzte, sah Paik sie auch als Objekte mit visuellen Qualitäten. Bereits Anfang 1960 er- wähnte Paik in einem Brief an Cage, dass er auch mit Fernsehgeräten arbeiten wollte. 64

b) Auftritt in Karlheinz Stockhausens Originale

1961 wirkte Paik bei den Aufführungen von Stockhausens Komposition Originale im Kölner Theater am Dom mit. Die Mitwirkenden stellten sich selbst in ihren Berufen dar. Nam June Paik verkörperte die Position „Actions“. Daneben gab es die „Sängerin“, den „Dichter“ und die „Malerin“. Im Unterschied zu den anderen Darstellern konnte Paik – für Stock- hausen ungewöhnlich – einen Teil seines Parts frei gestalten. Zu Paiks erstem Auftritt heißt es in der Partitur: „Paik stellt große Sanduhr allen sichtbar an: sie läuft ca. 4 Minuten. Paik stößt einen kurzen Schrei aus, setzt sich wieder“. 65 Entsprechend dem Motto des Stücks, „zeitlich und räumlich Getrenntes …“ zu vereinen – „[…] gerafft in einem Raum und einer Zeit: Theater“ 66 – verbindet der Zuschauer den Auftritt Paiks durch das Anstellen der Sanduhr mit dem realen Ablauf von Zeit. Für den zweiten Teil von Paiks Auftritt (7 Minu- ten) legte die Partitur lediglich fest, dass die ersten zwei Minuten stumm sein sollen, dann „führt Paik seine Kompositionen ganz frei auf. Paik ganz allein“. 67 Paik zeigte unterschied- liche kleine Stücke, bei denen er auf Publikumsreaktionen reagierte. Unter anderem führe er seine Performances Simple, Zen for Head und Etude Platonique No. 3 auf, die er bei den einzelnen Aufführungen variierte (s. Abb. 1-3 u. 5). Dabei kamen auch Klangcollagen zum Einsatz, die aus heterogenen Elementen wie Frauenschreien, Rundfunknachrichten, Kin- derlärm, klassischer Musik und elektronischen Klängen bestanden. Bei Zen for Head malte Paik mit dem Kopf einen Farbstrich auf eine Papierrolle. In seiner Anweisungen zu Simple

63 Brief Paiks an Dr. Wolfgang Steinecke vom 2.5.1959. In: Ebd., S. 51-53, hier: S. 51 f. 64 Der Brief befindet sich heute im Musikarchiv der Northwestern University in Evanston, Illinois. 65 s. Wulf Herzogenrath: Nam June Paik: Fluxus – Video, München 1983, S. 22. 66 Stockhausen, Karlheinz: Texte zu eigenen Werken. Zur Kunst Anderer. Aktuelles. Bd. 2. Köln 1964, S. 109; zitiert nach Decker, Edith (1988), S. 28. 67 s. Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 22. 22

heißt es: „Der Performer führt folgende Aktionen durch: 1. wirf Bohnen in den Zuschau- erraum, 2. schmier Rasiercreme auf Körper, 3. Tu Reis in die Rasiercreme, 4. wickle langsam eine Papierrolle ab, 5. geh in Wasserbecken, 6. komm zurück und spiele etwas Klavier mit Babyschnuller im Mund“. 68

Die Aktionen waren gekennzeichnet durch eine schon damals für Paik typische Abfolge von sehr langsamen Bewegungen, die abgelöst wurden von plötzlichen, „blitzartigen“ Handlungen. Der abrupte Wechsel der Geschwindigkeit ist ein Mittel, Zeit zu strukturieren.

Dass jede Aufführung anders verlief, war Teil des Konzepts: Die Aktionen sollten schockieren und Rezeptionsstrukturen des Publikums aufbrechen. Durch ständige Wieder- holung hätten sie an Glaubwürdigkeit verloren. Deshalb widerstrebte es Paik, bei den zwölf Originale-Aufführungen seine Beiträge in immer gleicher Form aufzuführen, und er baute jeden Abend eine unerwartete, ihn selbst ebenso wie das Publikum und auch Stockhausen überraschende Veränderung ein. 69

Variabilität und Intensität stellten für Paik keinen Gegensatz dar, sondern für ihn war Va- riabilität eine notwendige Folge von Intensität. 70 „How can one arrive at variability without losing intensity?” fragt sich Paik in seinem im selben Jahr entstandenen Essay Zur “Symnphony for 20 Rooms“. Vielfalt und Intensität zu vereinen ist für Paik ein zentrales Anlie- gen. Er hat seine Werke häufig variiert, von vielen Arbeiten sind verschiedene Versionen entstanden. Edith Decker weist allerdings darauf hin, dass das Prinzip der Variabilität sich auf die späteren Videoarbeiten nicht in dieser Weise anwenden lasse. Bei diesen verwendet Paik den Begriff Indeterminismus. 71 Die Methode, Zeit zu strukturieren durch das Auf- einandertreffen von sehr langsamen Bewegungen und plötzlichen Aktionen ist dagegen auch Kennzeichen von Videobändern Paiks c) In seiner 1962 uraufgeführten Performance One for Violin Solo strukturiert Paik die Zeit in ähnlicher Weise wie bei seinen Originale-Performances. In einem abgedunkelten Raum steht er auf der Bühne und hebt über einem Tisch ruhig seine Violine hoch - in langsamer, aber stetiger Bewegung. Plötzlich wird der Saal hell erleuchtet und zugleich die Violine innerhalb eines Sekundenbruchteils auf dem Tisch mit großem Lärm zerschmettert.

68 Ebd. 69 s. Michael Nyman: Nam June Paik, composer, in: John G. Hanhardt (Hg.): Kat. Whitney Museum of American Art, New York, 1982, S. 80. 70 Magnum: Die Fluxus-Leute. In: Magnum, 1963, H. 47, S. 64 71 Edith Decker (1988), S. 29. 23

Wie bei Paiks Perfomances in Originale wird hier die Zeit durch abrupten Geschwindigkeits- wechsel strukturiert: Zuerst „zerdehnte, langsame Aktion“, dann „blitzschnelle, kaum wahr- nehmbare, aber ‚seit langem befürchtete‘ Aktion.“ 72

Die Uraufführung wurde vom Fotografen Manfred Leve in zwei Fotos festgehalten. Das erste zeigt den Vorgang des Hochhebens, das zweite in verwischter Bewegung das Zer- schmettern. Wulf Herzogenrath weist darauf hin, dass das zweite Foto (von der Zerstörung) zwar dokumentarischen Informationswert hat, dass es aber die erste, ruhige, Aufnahme ist, die die Aktion eigentlich beschreibt – denn „sie lässt dem Zuschauer Zeit und die Entwick- lungsmöglichkeit, zu einer eigenen Vorstellung zu kommen.“ 73

In One for Violin Solo geht es nicht nur darum, wie Zeit vom Künstler gestaltet wird, sondern ebenso um die Wahrnehmungsprozesse beim Betrachter. Indem der Rezipient seine eigene Wahrnehmungserfahrung macht, vollendet er das Kunstwerk. Dieses Prinzip wird auch charakteristisch sein für Paiks späteren Videoinstallationen. 74

2. Experimente mit Radios und Fernsehern – „Zeit-Kunst“

Seit 1959 hatte Paik mit seinen Performances die engeren Grenzen der Musik überschritten. Seine Kompositionen wurden theatralisch inszeniert und brachten ihn ins Umfeld von Fluxus und damit zur bildenden Kunst. Entscheidende Impulse für seine weiteren Arbeiten kamen dabei von John Cage. Bei dessen Kompositon Imaginary Landscape Nr. 4 (1951) wer- den zwölf Radiogeräte von je zwei Spielern nach der Partitur bedient. 75 Im Unterschied zu Cage, der die Radios lediglich als Musikinstrumente einsetzte, waren die Geräte für Paik auch Objekte mit visuellen Qualitäten. Dies war ein entscheidender Schritt, der ihn zu den späteren Videoarbeiten führte. Paik benutzte die Geräte nicht mehr, wie bisher üblich, le- diglich als klangproduzierende bzw. -reproduzierende Instrumente, sondern er setzte sich nun mit deren einzelnen Funktionen auseinander mit dem Ziel, „von innen heraus neue

72 Wulf Herzogenrath: Zur Frage der Datierung und zum Thema ‚Zeit‘, in: Des. (1983), a. a. O., S. 13. 73 Ebd. 74 S. z. B. Moon is the oldest TV (VI/5 b). 75 In Cages Imaginary Landscape für zwölf Radios, 24 Ausführende und Dirigent verändern je zwei der Ausfüh- renden Sender, Lautstärke und Tonhöhe eines Radios. Damit entsteht das Stück immer in Realzeit. Es ist „live“ und zugleich ortsspezifisch, denn es hängt immer von den am jeweiligen Ort verfügbaren Radiosendern ab. Bereits die Partitur beruht auf den Zufallsfaktoren des I Ging, d. h.: Cage ist in zweifacher Hinsicht nicht der Autor einer konkreten Klangstruktur, sondern lediglich einer bestimmten Rezeptionskonfiguration. Ima- ginary Landscape war das erste Stück, bei dem Cage das I Ging sowie nicht vorherbestimmte Medieninformation verwendete. Bereits ein Jahr vor 4‘33“ hat er mit dem Stück die Stille als Kompositionselement eingeführt. - Vgl. Dieter Daniels: John Cage und Nam June Paik „Change your mind or change your receiver (your receiver is your mind)“, in: Susanne Rennert und Sook-Kyung Lee: Kat. Nam June Paik, Ostfildern 2010, S. 107-125, hier: S. 113. 24

Klang- und Gestaltqualitäten zu entwickeln.“ 76 Paik selbst beschreibt, wie die tägliche Ar- beit im Studio des WDR (wo auch Fernsehleute arbeiteten) sowie die Interaktion mit ver- schiedenen Arten klangerzeugender elektronischer Apparaturen ihn zu dem Gedanken in- spirierten, dieselben Verfahren auch auf das Fernsehen anzuwenden. 77

Er wollte die Grenzen der Musik überschreiten, sein Ziel war es, die Trennung zwischen Musik und der visuellen Kunst zu überwinden. „Kunstgeschichte und Musikwissenschaft litten zu lange unter der Trennung des Untrennbaren“, schrieb er 1967. „Die technologische Unterteilung der Werke, die Darwinsche (?) Konzeption der Entwicklung […], die Wölfflinsche Stilbesessenheit, endloses Zwiebelhäuten, um herauszufinden, wer wen beein- flusste … alle diese Schlingen töten den Gegenstand der Studie vor dem Studium.“ 78 Die „fruchtbarsten Gebiete für das Wachstum der Wissenschaften“ liegen nach Paiks Auffas- sung im „Niemandsland zwischen den verschiedenen etablierten Bereichen“, in den „Grenzregionen“ der Wissenschaften. 79

The boundary regions between various fields, and complex problems of in- terfacing these different media and elements, such as music and visual art, hardware and software, electronics and humanities in the classical sense. 80

So formuliert Paik sein Anliegen im Rückblick in einem 1974 veröffentlichten Text.

76 Vgl. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 31. - Paiks Interesse am Fernsehen als Instrument künstlerischen Ausdrucks lässt sich etwa fünf Jahre vor der Ausstellung Exposition of Music. Electronic Television zurückverfol- gen, bei der erstmals Fernseher ausgestellt waren. Mary Bauermeister erinnert sich an eine Episode aus dem Jahr 1958, als sie mit Paik eine Probe von Stockhausens Werk Gruppen besuchte: Drei Orchester spielten Maderna und Boulez – „ein Heidenspektakel“, für keinen im Publikum sei der chaotische Lärm als Musik wahrnehmbar gewesen. Plötzlich habe Stockhausen die Probe stoppen lassen und gesagt: „Hinten dritte Vi- oline GIS, nicht G“. Darauf habe Paik gesagt: „So ein guter Musiker werde ich nie. Ich wechsle das Medium. Ich gehe jetzt in die Kunst, in die TV-Kunst, das kann ich, da bin ich besser“. In: Mary Bauermeister: Cage – Stockhausen oder Stockhauesn – Cage. Endsieg ist sicher. Erinnerung an Nam June Paik, in: Wulf Herzogenrath, An- dreas Kreul (Hg.): Nam June Paik: There is no rewind button for life, S. 36-47, hier: S. 41. 77 nach einer Aussage Nam June Paiks, vgl. Douglas Davis: Nam June Paik: Die Kathodenstrahlen-Leinwand”, in: Ders.: Vom Experiment zur Idee. Die Kunst des 20. Jahrhunderts im Zeichen von Wissenschaft und Technologie, Köln 1975, S. 171-191, hier: S. 185. In einem Brief von 1959 an John Cage findet sich der erste dokumentierte Hinweis darauf, dass Paik ein Fernsehgerät in eine Komposition einzubinden plante: „Meine neue Komposition ist jetzt eine Minute (für Prof. Fortner). Als Titel dachte ich entweder ,Rondo Allegro‘ oder ,Allegro Moderato‘ oder nur ,Allegretto‘. […] Farbprojektor. Film 2-3 Leinwände. Strip tease. Boxer. Henne (lebend). 6 Jahre altes Mädchen. Motorrad und natürlich Geräusche. Einen TV.//,ganze Kunst’ im Sinne von Wagner …” – s. Manuela Ammer: Bei der Technik gibt es stets das andere, den Anderen, in: Susanne Neuburger (Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Köln 2009, S. 44-58, hier: S. 45. - Hier handelt es sich aber wohl noch um einen unveränderten Fernseher als Teil einer multimedialen Komposition. 78 Nam June Paik: Norbert Wiener und Marshall McLuhan, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 123-127. Hier: S. 125. 79 Ebd., hier: S. 123. 80 Paik, Nam June: New Projects 1972/73. In: Kat. Nam June Paik: Videa’n’Videology 1959-1973. . Everson Mu- seum of Art, Syracuse, N.Y. 1974, ohne Seitenangabe 25

An einem der Aufführungsabende von Stockhausens Originale (26. Oktober bis 6. Novem- ber 1961) lernte Paik den Architekten und Galeristen Rolf Jährling kennen, dessen Galerie Parnass in Wuppertal zu den wichtigsten Ausstellungsorten zeitgenössischer Kunst gehörte. 81 Jährling und Paik verhandelten über einen Konzertabend in der Galerie. 82 Später ent- schloss sich Paik, die Grenzen der Musik zu überschreiten und auch mit Fernsehgeräten zu arbeiten. Am 22.12.1962 erwähnte er in einem Brief an Jährling Fernseher. Als Titel für die Ausstellung schlug er vor: „ “Ausstellung der Musik„ – elektronische Fernsehen. (Synchro- nizität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge). – Instruments für Zen-übung. – objets sonores – ZEIT … etc. …“ Auf eine Gattung wollte er sich nicht festlegen, betonte aber, dass es sich bei seinen Exponaten weder um Malerei, noch um Skulptur, sondern um „Zeit- Kunst“ handele. 83

Nun experimentierte Paik - zeitweise mit Unterstützung eines Fernsehtechnikers – mit Fernsehgeräten. Eine Kamera hatte er noch nicht, stattdessen beschäftigte er sich mit den technischen Funktionen der Geräte und erforschte deren Innenleben. Die Resultate seiner Arbeit mit Fernsehern konnte er im März 1963 in der Galerie Parnass präsentieren (s. III/4).

3. Fernsehtechnik in der bildenden Kunst - Vorläufer der Videokunst

Bei seiner Arbeit mit Fernsehern übertrug Paik Prinzipien, die er im elektronischen Studio des WDR kennengelernt hatte, auf den visuellen Bereich. Von besonderer Bedeutung war dabei seine Ausbildung als Musiker, bei der er sich mit dem Ablauf und der Strukturierung von Zeit auseinandersetzte. 84

Auch lange vor der Erfindung der Braun‘schen Röhre interessierten sich Künstler für die Verbindung von Malerei und Musik und für synästhetische Phänomene wie die Analogie von Tönen und Farben. Es gab Versuche mit Farborgeln und abstrakte Filme, die Musik- stücke illustrierten. Im Unterschied dazu eröffnete die Fernsehtechnik neue Möglichkeiten:

81 Vgl. Will Balzer u. Alfons W. Biermann (Hg.): Kat. Treffpunkt Parnass. Wuppertal 1949 – 1965. Köln 1980, S. 131 f.; s. Edith Decker (1988), S. 31. 82 In einem Brief an Jährling vom 13. November 1961 kündigte Paik die Stücke an, die er spielen würde. Noch im März 1962 (in einem weiteren Brief an Jährling vom 12. März 1962) sprach Paik von einem Konzert (s. Edith Decker (1988), S. 31). 83 s. Manuskript in der Gilbert & Lila Silverman Collection, New York; in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 54 f. 84 s. Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 46. 26

Mit ihr waren die Voraussetzungen geschaffen, Schallschwingungen direkt zu visualisieren. Fritz Wilhelm Winckel, Ben F. Laposky, die Brüder Whitney und K. O. Götz bewegten sich wie Paik im Grenzbereich zwischen Musik und Bildender Kunst und experimentierten mit Fernsehtechnik. In technischer Hinsicht können die Arbeiten dieser Künstler als Vorläufer für Paiks frühe Fernsehmanipulationen angesehen werden.

a) Fritz Wilhelm Winckel: Vom Ton zum Bild

Bereits im Jahr 1930 publizierte Fritz Winckel seine ersten Versuche, Musik mittels eines Fernsehempfängers darzustellen. Statt in einen Lautsprecher speiste er die akustischen Sig- nale in ein Fernsehgerät ein. Es entstanden graphische Muster, die ihre Gestalt je nach Ei- genschaft des Klanges ständig veränderten. Winckels Ziel war es, klassische Musik in ihrem Verlauf sichtbar zu machen:

Vom künstlerischen Standpunkt aus ist es ein Genuss, etwa eine Arie oder eine Sinfonie auf der Bildscheibe zu verfolgen. Fanfarenstöße werfen halb- ovale Schlagschatten, ein folgendes Gegenspiel der Streicher löst den Kon- trast langsam zu einem verteilten Mosaik auf, das unablässig aus sich selbst herausquillt, bis ein Diminuendo das Melodienspiel unmerklich in ein Nichts auflöst. 85 Fritz Wilhelm Winckel, 1930

b) Oszillographenbilder von Ben F. Laposky: „Visuelle Musik“

Unabhängig von der Entwicklung des elektronischen Fernsehens wurde die Kathoden- strahlröhre seit ihrer Erfindung im Jahr 1897 auch zur Visualisierung von Vorgängen in der Schwachstromtechnik verwendet, z. B. für die Aufzeichnung von Schall. Der Oszillograph kann ein objektives Schallbild zeichnen, das fotographisch festgehalten werden kann. Es entstehen verschlungene, lineare Figuren, nach ihrem ersten Erforscher Lissajous-Figuren benannt. 86

85 Fritz Wilhelm Winckel: Vergleichende Analyse der Ton- und Bildmodulation. In: Fernsehen, Bd. 1, 1930, Heft 4, S. 172. 86 Vgl. Heinrich Barkhausen: Einführung in die Schwingungslehre. Leipzig 1950. – Ferdinand Trendelenburg: Ein- führung in die Akustik. Berlin 1939. 2. Aufl. 1950, zit. nach Edith Decker (1988), S. 53. 27

Ben F. Laposky war einer der ersten, die dieses Phänomen zu rein ästhetischen Zwecken nutzten und aus den Lissajous-Figuren komplexe elektronische Bilder entwickelten. 87 Die frühesten elektronischen Abstraktionen (Oscillons) entstanden 1950. Die Bilder werden durch eingespeiste Schwingungsarten hervorgerufen, die Laposky fotographiert. Da die Bil- der ursprünglich durch Schallwellen erzeugt wurden, bezeichnete er sie als „visuelle Musik“. Obwohl technisch unterschiedlich entstanden, ähneln die Oscillons in Struktur und Form den Bildern früher Fernsehmanipulationen Paiks, wie Magnet TV oder Dancing Patterns.

c) Der Oszillograph im abstrakten Film - John und James Whitney: „Intensivierung und Verflüchtigung“

In den frühen 1950er Jahren arbeiteten experimentelle amerikanische Filmemacher mit Os- zillographen. Der wohl früheste Film, bei dem ein Oszillograph verwendet wurde, entstand 1950: Around is Around von Norman McLaren. 88

In den abstrakten Filmen von John und James Whitney wurden seit 1939 geometrische Formmetamorphosen nach Kompositionsprinzipien Neuer Musik in rhythmische Abläufe gebracht. In den Jahren 1941-1945 entstanden Filme, für die sie den Ton mit einem selbst- gebauten Infraschallinstrument synthetisch herstellten. Die Tonspur des Films wurde mit ausschließlich optischen Mitteln belichtet, nach Entwicklung des Films wurde sie akustisch wahrnehmbar. 89 John Whitney hatte wie Paik Musikkomposition studiert und war ebenfalls von Arnold Schönberg beeinflusst. Einsichten, die er aus der Beschäftigung mit Zwölftonmusik ge- wann, übertrug er auf seine Filmkonzepte. Die Form- und Farbmetamorphosen seiner abstrakten Filme führten ihn zu elektronischen Bildmedien, bei denen „Intensivierung und Verflüchtigung konstante Bedingungen sind; entstehende und sich auflösende Form, das ist die Grundidee unserer gegenwärtigen Filmarbeit. Hier findet man eine Verwandtschaft zu den Prinzipien der elektronischen Bilderzeugung.“ (John Whitney) 90

87 Ben F. Laposky: Oscillons: Electronic Abstractions. In: Leonardo, B. 2, 1969, S. 345 ff., zit. nach Edith Decker (1988), S. 19. 88 Vgl. Decker (1988), a. a. O., S. 20. 89 Ebd. 90 John Whitney: Bewegungsbilder und elektronische Musik. In: Die Reihe. Information über serielle Musik, 1960, H. 7, S. 69. Zit. nach Edith Decker (1988), a. a. O., S. 21. 28

d) Karl Otto Götz: Kinetische Malerei - Fernsehen und Indeterminismus

In seinem Text auf dem Flugblatt, das zur Ausstellung Exposition of Music. Electronic Televi- sion“ erschien, nennt Paik K. O. Götz als zentrale Inspirationsquelle für seine künstlerische Auseinandersetzung mit dem Fernsehen. Gesichert ist, dass Paik Götz‘ 1959 publizierten Aufsatz „Abstrakter Film und Elektronenmalerei“ kannte, in dem dieser Theorien und Konzepte zu computerprogrammierter Malerei und elektronischer Bilderzeugung disku- tiert. 91 Paik bedankt sich in dem Text gleich zu Beginn bei Götz und schreibt, sein Interesse für das Fernsehen sei wesentlich von diesem angeregt worden. Götz hatte über seine Ex- perimente mit Braun‘schen Röhren geschrieben, dass dabei zwar „tolle Bilder“ entstanden seien, man diese aber leider weder kontrollieren noch festlegen könne. Was für Götz ein Manko war, genau das interessierte Paik: Gerade weil sie sich nicht festlegen lassen, erschie- nen ihm die Fernsehbilder als am besten geeignetes Mittel, um sich mit dem Indeterminis- mus auseinanderzusetzen. 92

Götz war 1959 bis 1979 Professor an der Düsseldorfer Akademie und entwickelte neben seiner gestisch-abstrakten Informel-Malerei Konzepte für kinetische Bilderzeugung mit Hilfe elektronischer Bildaufzeichnung des Fernsehens. Bereits 1935 experimentierte Götz mit abstraktem Film. Dabei interessierte ihn vor allem, „die Möglichkeiten der Filmaufnah- metechnik und der Projektion zu verwenden, um Formmetamorphosen und Strukturver- läufe (aus der Malerei) in ihrem kinetischen Ablauf zu fixieren.“ 93 Durch seinen Dienst in der Radarüberwachung während des Krieges in Norwegen war er auf die Möglichkeiten elektronischer Bilderzeugung aufmerksam geworden. Störbilder hat- ten ihn dazu inspiriert, auf dem Leuchtschirm optische Phänomene willkürlich hervorzuru- fen. Er begann, „Form- und Strukturelemente, die ein oder mehrere Elektronenstrahlen auf dem Leuchtschirm der Braunschen Röhre hervorriefen, in Bewegung zu bringen und zu verformen […]“ 94 Bei seinen Versuchen störte ihn, dass die Ergebnisse nicht vorhersehbar waren und sich nicht wiederholen ließen. Sein Ziel war, ein kinetisches Bild im Voraus exakt berechnen zu können 95

91 Siehe Manuela Ammer: Bei der Technik gibt es stets das andere, den Anderen, a. a. O., hier: S. 45. 92 Vgl. Paiks Text, der auf einem Flugblatt zur Wuppertaler Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television abgedruckt war. Wiederabdruck im Kat. Happening & Fluxus. Kölnischer Kunstverein, Köln 1970, ohne Sei- tenangabe, und in: Wulf Herzogenrath (Hg.): Kat. Nam June Paik. Werke 1946-1976. Musik-Fluxus-Video, Köl- nischer Kunstverein, Köln 1976, S. 79 und in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 96. 93 Karl Otto Götz: Abstrakter Film und Elektronenmalerei. In: Kat. K. O. Götz. Galerie Hennemann. Bonn 1978, S. 153, zit. nach Edith Decker (1988), S. 21. 94 Ebd. 95 Karl Otto Götz: Elektronische Malerei und ihre Programmierung. In: Das Kunstwerk, Bd. 16, H. 12, S. 14. 29

Paik hatte durch Götz entscheidende Anregungen bekommen, obwohl dieser geradezu ent- gegengesetzte Ziele hatte. Dass sich die Bilder nicht im Voraus festlegen und kontrollieren lassen, erschien Götz als Problem; für Paik dagegen war dies der eigentliche Impuls, sich mit Fernsehtechnik zu beschäftigen.

4. Die Ausstellung Exposition of Music. Electronic Television

Die erste Einzelausstellung Paiks fand vom 11. – 20. März 1963 in der Wuppertaler Galerie Parnass statt. Nachdem bereits ein Jahr zuvor der französische Bildhauer César einen funk- tionstüchtigen Fernseher auf einen Sockel gestellt hatte, 96 war Exposition of Music. Electronic TV die erste Ausstellung in Deutschland, in der veränderte Fernseher als Kunstobjekte zu sehen waren. Schon im Titel markiert sie Paiks Schritt von der Musik zur visuellen und elektronischen Kunst. In den Texten und Kommentaren zu der Ausstellung fallen Begriffe wie „Stunde null“ oder von der „Geburtsstunde der Videokunst“, es ist die Rede von einem „Meilenstein“, von einer „legendären“ Ausstellung, einer „Jahrhundertausstellung“, einem „Mythos“, einem „Markstein in der Entwicklung einer neuen Kunstrichtung“. „Allein der Titel“ war, wie der Fotograf Manfred Leve betont, „etwas völlig Neues“. 97 Bezogen auf das Werk Paiks stellt Exposition of Music. Electronic TV den Abschluss der entscheidenden Ent- wicklung in seinem Schaffen dar: von der Musik über die Aktion und Fluxus hin zu seiner Arbeit mit Fernsehern. 98

Galerist Jährling hatte Paik für das multisensorische, partizipatorische Environment sein ganzes Haus zur Verfügung gestellt, alle Räume der Villa, einschließlich des Gartens, konn- ten genutzt werden. Den Grundgedanken dieses raumgreifenden Ausstellungskonzepts hatte Paik bereits 1961 in der Partitur der Symphony for 20 Rooms entwickelt, die als Modell

96 in der Ausstellung Antagonismes II – l’objet. Bei dem Fernseher war das ursprüngliche Gehäuse des Geräts durch ein transparentes ersetzt worden. 97 Kat. Leve sieht Paik. Manfred Leves Fotografien von Nam June Paiks Ausstellung “Exposition of Musik – Electronic Television”, Wuppertal 1963. Nurnberg 2005, S. 10. Zitiert nach Susanne Neuburger: Terrific Exhibit. “Zeit-Kunst” alias Musik im Ausstellungsgenre, in: Dies. (Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Köln 2009, S. 11-23, hier: S. 21. 98 Einen Katalog zur Ausstellung gab es nicht, doch es sind Beschreibungen von Mitarbeitern und Besuchern dokumentiert. Der Künstler Tomas Schmit, der beim Aufbau beteiligt war, verfasste anlässlich von Paiks Einzelausstellung im Kölner Kunstverein 1976 die wohl umfassendste schriftliche Rekonstruktion des Aus- stellungsgeschehens (Tomas Schmit: Exposition of Music, in: Susanne Neuburger (Hg.), a. a. O., S. 124-130). - Im Jahr 2009 fand im Museum Moderner Kunst in Wien die Ausstellung Nam June Paik: Exposition of Music. Electronic Television – Revisited statt, eine Dokumentation der Wuppertaler Ausstellung. Zu dieser Ausstellung ist ein Katalog mit Dokumenten und Berichten von Zeitzeugen erschienen: Kat. Expositon of Music – Electronic Television Revisited (Hg.: Susanne Neuburger), Köln 2009. 30

für die Wuppertaler Ausstellung angesehen werden kann. 99 Auch in dieser Komposition war jeder Raum für unterschiedliche akustische und visuelle Ereignisse konzipiert. Es ka- men präparierte Klaviere, ein Schallplattenspieler, Radios und Tonbandgeräte vor. Die Ton- bänder enthielten Klangcollagen mit Fernsehprogrammen aus verschiedenen Ländern. Fünf Räume waren für Zuschauerbeteiligung vorgesehen. Die Einbeziehung der Besucher – „participation“ - war auch ein Grundgedanke bei der Ausstellung Exposition of Music. Electronic TV. Die Ausstellung hatte zwei Bereiche: Musik und Fernseher.

a) Musik: Partizipation, Zufall und Random Access

Im Bereich „Musik“ waren unter anderem vier präparierte Klaviere ausgestellt (Abb. 6 u. 35-37), zwei doppelte „Schallplattenschaschliks“ (Abb. 9 u. 10) und drei Tonbandarrange- ments (Random Access (Abb. 7, 8)). Daneben waren Rauminstallationen zu sehen (wie z. B. eine Schaufensterpuppe in einer mit Wasser gefüllten Badewanne und großflächige Spiegel- folien, in denen sich die Besucher verzerrt sehen konnten). Die Gehäuse und die Tastaturen der Klaviere waren mit Spielzeugen und kleinen Gegenständen besetzt. Zum Teil lösten die Tasten Funktionen aus, wie etwa das Anschalten von Heizlüftern, Radios, Filmprojektoren und anderen Geräten. Durch die Veränderungen an den Objekten sollten ganzheitliche Er- fahrungen ermöglicht werden, die nicht nur alle Sinne ansprachen, sondern auch unvorher- sehbare Dinge geschehen ließen. Die veränderten Klaviere erinnern an die Idee des präpa- rierten Pianos von John Cage.

Bei den umgebauten Plattenspielern und Tonbandgeräten steht die Konzeption von Zufall und Beliebigkeit im Vordergrund: Random Access. 100 Paik hat die Geräte so in ihrer Funktion verändert, dass beliebiger und zufälliger Zugang auf eine bestimmte Stelle des Tonträgers möglich wird. Die Mitlaufachsen der Plattenspieler hatte Paik verlängert und daran die „auf- gespießten“ Schallplatten in unregelmäßigen Abständen befestigt. Mit einem vom Gehäuse abmontierten und verlängerten Tonarm ließen sich die verschiedenen Musikstücke abhö- ren. (Abb. 9 u. 10). Dieter Daniels versteht die Schallplattenschaschliks als Antizipation der „DJ-Techniken des ‚Turntablism‘ […]“. 101

99 s. John G. Hanhardt (Hg.): Kat. Nam June Paik, Whitney Museum of American Art, New York 1982, S. 87. 100 Der Begriff Random Access (Speicher mit wahlfreiem/direktem Zugriff) entstand in der Anfangszeit der modernen Computer, bei denen alle Daten auf sequentiell zu lesenden Speicherformen wie Lochkarten oder Magnetbändern vorlagen, die zur Verarbeitung in schnelle Rechenregister geladen wurden. Um Zwischener- gebnisse schneller bereitzuhalten, wurden zeitweise Verzögerungsleitungen für Zwischenwerte eingesetzt. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Random-Access_Memory (22. Februar 2015). 101 Vgl. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 116. 31

Die Tonbänder waren zu Schleifen zusammengeklebt und auf zwei Stoffbahnen gespannt, die über Rollen bewegt werden konnten, und unterschiedlich lange Bandabschnitte waren kreuz und quer an der Wand befestigt. Mit einem beweglichen Tonkopf konnten die Bänder nach Belieben abgetastet werden (Abb. 7 u. 8). So war Zugang zu allen Abschnitten des Bandes möglich, ohne es vor- oder zurückspulen zu müssen. 102

Im Jahr 1980 beschäftigt sich Paik in einem Essay mit der „Audio- und Videoband-Proble- matik“, die darin bestehe, dass es „bestimmte Längen gibt, die nicht verändert werden kön- nen.“ Bis 1958 sei die elektronische Musik strikt zeitgebunden gewesen. Paik erwähnt ein neues Konzept von elektronischer Musik, über das John Cage 1958 bei den Darmstädter Sommerkursen für Neue Musik gesprochen habe: Einer Musik, die in drei Sekunden oder 30 Sekunden zu spielen sei, ohne eine bestimmte Abspielzeit (ähnlich wie eine Enzyklopä- die). Paik spricht in diesem Text über das Problem, die Idee von Random Access mit Video zu kombinieren und über die Aussicht, dass mit digitaler Aufzeichnungstechnik dieses Problem bald gelöst werden könne. 103 Im Unterschied zur Schallplatte, bei der prinzipiell sofortiger Zugriff auf eine bestimmte Stelle möglich ist, besteht diese Möglichkeit beim Ton- oder Videoband nicht.

Die dramatischste Aktion in Exposition of Music. Electronic Television war ungeplant: Beuys‘ Zerstörung eines der (unpräparierten) Klaviere. Damit hatte Beuys nicht auf den Paik der Exposition of Music. Electronic Television, sondern auf den der vergangenen „action music“ re- agiert. 104

b) Fernsehen: Partizipation und Indeterminismus

102 Die Verwendung des Tonbandes erinnert an John Cage: Auch er hatte in Williams Mix aus dem Repro- duktionsmedium ein Produktionsinstrument gemacht, indem er das Bandmaterial direkt geschnitten und montiert hatte. Hierbei blieb jedoch der Tonbandapparat als solcher in seiner linearen Reproduktionsfunktion unverändert, während Paik einen Schritt weiter ging, wenn er das Bandmaterial auf die Wand klebte und den Tonkopf aus dem Apparat löste und damit den Besuchern ermöglichte, verschiedene Klänge zu erkunden. Während Cage also nur die „Software“ veränderte, baute Paik auch „die Hardware der Medienapparate“ um und kombinierte so „optische, haptische und akustische Erfahrungen.“ - Vgl. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 115 f. 103 Nam June Paik: Random-Access-Information. Bei diesem Aufsatz handelte es sich ursprünglich um einen Vor- trag, den Paik am 25. März 1980 im Museum of Modern Art, New York, hielt. Die Veranstaltung fand inner- halb der von Barbara London organisierten Reihe „Video View-points“ statt. Aus: Artforum, September 1980, S. 46-49. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145-152. 104 Vgl. Susanne Neuburger: Terrific Exhibit. “Zeit-Kunst” alias Musik im Ausstellungsgenre, in: Dies. (Hg.): Ex- positon of Music – Electronic Television Revisited, Köln 2009, S. 11-23, hier: S. 19 f. 32

Von den zwölf 105 ausgestellten Schwarzweißfernsehern standen elf Geräte in zufällig wir- kender Anordnung auf dem Fußboden in einem Raum. Das Ausgangsmaterial war – man- gels Videotechnik – das tagesaktuelle Fernsehprogramm. Alle Geräte waren auf das erste Programm eingestellt, jedoch waren ihre Bilder gestört (Abb. 12 u. 15-20). Einen von zwei Fernsehern, die beim Transport beschädigt worden waren, platzierte Paik mit dem Bild- schirm nach unten zwischen die übrigen. Das zweite defekte Gerät, bei dem das Bild auf eine horizontale Linie reduziert war, drehte Paik um 90 Grad und betitelte es mit Zen for TV (Abb. 34). Intuitiv hatte Paik das Potential des Defekts erkannt und durch den später gewählten Titel den senkrecht leuchtenden Strich mit der augenblicklichen, „vertikalen“ Erkenntnis durch Zazen verglichen. 106 Die Linie, auf die das ganze Bild zusammengezogen ist, ist Ausdruck äußerster Konzentration.

Bei den übrigen Geräten hatte Paik durch innere Eingriffe das Bild auf eine jeweils spezifi- sche Weise gestört, indem er die Bildsignale durch individuell ausgetüftelte elektronische Modifikationen jeweils anders manipulierte. Die Bilder erschienen in negativer Umkehrung, rollten sich um die vertikale bzw. horizontale Mittelachse zusammen oder wurden von Si- nusschwingungen gestört. Bei allen Geräten waren die ausgestrahlten Bilder aufgelöst und zeigten stattdessen überwiegend abstrakte „Formereignisse“. 107 Andere waren zusätzlich verändert. Bei Point of Light war als zusätzlicher Impulsgeber ein Radio angeschlossen. In der Mitte des Bildschirms erschien ein heller Punkt, der – abhängig von der Lautstärke des Radios – seine Größe veränderte. Kuba TV war mit einem Tonbandgerät gekoppelt, das das Bild je nach Amplitude größer oder kleiner werden ließ (Abb. 12). Zwei Geräte zeigten gestreifte Bilder, die ebenfalls von Radios beeinflusst wurden. Die Variationsbreite seiner elektronischen Modifikationen der Fernsehbilder erkundete Paik mit „kulinarischer Hingabe“108: „Es gibt so viele Arten von TV-Stromkreisen, wie es französische Käsesorten gibt. Zum Beispiel erzeugen alte Modelle von 1952 eine bestimmte Art der Variation, die neue Modelle mit automatischer Frequenzkontrolle nicht hervorbringen können.“ 109

Durch die Art des technischen Eingriffs war – im Unterschied zu „normalen“ Bildstörun- gen – eine bestimmte Struktur der Bildstörung vorgegeben. Bei seiner Untersuchung des

105 Möglicherweise ist die Anzahl der Geräte kein Zufall – John Cage hatte in Imaginery Landscape Nr. 4 ebenfalls zwölf Radiogeräte verwendet (s. III/2). 106 Vgl. Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 13. 107 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 35. 108 Von „kulinarischer Hingabe“ spricht Dieter Daniels in diesem Zusammenhang in seinem Aufsatz John Cage und Nam June Paik „Change your mind or change your receiver (your receiver is your mind)“, a. a. O., hier: S. 115. 109 zitiert nach Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 115. 33

Mediums ging es Paik auch darum, dessen Einwegcharakter aufzuheben, indem er Ein- griffsmöglichkeiten für den Rezipienten schuf. Wie für die anderen Exponate sollte auch für die Fernseher das Konzept der Besucherbeteiligung gelten. So konnte bei einigen Ge- räten das Bild von den Besuchern durch Drehen der Knöpfe modifiziert werden. An andere Geräte war ein Fußschalter bzw. ein Mikrophon angeschlossen, deren Impulse ein konti- nuierliches „Punktefeuerwerk“ 110 auf dem Bildschirm erzeugten (Abb. 9). Die Besucher waren eingeladen, den Fußschalter zu betätigen oder in das Mikrophon zu sprechen und sich so am künstlerischen Entstehungsprozess zu beteiligen und diesen zu beeinflussen. Die Fernsehbilder waren also nicht nur durch die vorherige Manipulationen an den Geräten verändert, sondern konnten zusätzlich durch Eingriffe der Besucher noch einmal verändert werden. Damit war der Rezipient nicht mehr bloßer Betrachter, sondern wurde Teil der Installation. Dies bedeutet zum einen: Was auf dem Bildschirm erscheint, ist nicht vorher- bestimmt. In welcher Weise sich die Bilder verändern, ist nicht allein vom Künstler vorge- geben, sondern hängt auch von der Interaktion des Rezipienten ab, wird also vom Zufall mit bestimmt. Zugleich wirkt sich die Partizipation auch auf den Entstehungszeitpunkt des Werkes aus, denn durch die Möglichkeit der Interaktion wird das Werk jeweils in dem Au- genblick vollendet, in dem der Rezipient ihm gegenübertritt, mit ihm kommuniziert und interagiert. Das Kunstwerk entsteht im Moment des Erlebens.

Bereits 1927 hatte László Moholy-Nagy gefordert, „die bisher nur für Reproduktions- zwecke angewandten Apparate (Mittel) zu produktiven Zwecken zu erweitern“ und neben Fotografie und Grammofon auch den Fernseher genannt. 111

Auch John Cage hatte sich in seinen Stücken für Radio mit diesem Thema auseinanderge- setzt. 112 Während Cages Stücke aber dieser Forderung nur in Bezug auf die Rezeptionssi- tuation entsprechen, geht Paik noch einen Schritt weiter, denn er verändert in seinen Ton- band-Arbeiten die Konstruktion der Medien, um sie auch technisch von Rezeptions- und Produktions- in Partizipations-Instrumente zu verwandeln. 113

110 Tomas Schmit: Exposition of Music, in: Susanne Neuburger (Hg., 2009), a. a. O., hier: S. 126. 111 László Moholy-Nagy: Produktion Reproduktion, in: Malerei Fotografie Film, 1927, s. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 115. 112 z. B. in Imaginary Landscape Nr. 4, s. III/2. 113 Dieser Unterschied zeigt sich schon bei den veränderten Klavieren: Die Eingriffe bei Cages Prepared Piano sind temporär und reversibel. Paik dagegen geht einen Schritt weiter, indem er das Klavier zu einem „multi- sensorischen interaktiven Instrument“ aufrüstet, bei dem „die Bedienung der Tasten unterschiedliche Über- raschungen auslöst: Ein Quietschbalg ertönt, ein Transistorradio beginnt zu spielen, ein Fön bläst dem Besu- cher heiße Luft auf die Beine, eine Taste schaltet das Raumlicht aus.“ – s. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 115. Ebenso wie die Klaviere sind auch die Fernseher bei Paik „keine Instrumente für eine vorab festgelegte Par- titur“, sondern „das Material für ein ‚offenes Kunstwerk‘“, bei dem das Publikum der „Hauptdarsteller“ ist. Dabei sind die Geräte von Paik so weit modifiziert worden, dass sie „ihre ursprüngliche Funktion verlieren 34

c) Post-Music: Das „WANN“ in der Musik - Zufall und Aufführungszeitpunkt

In der Symphonie Nr. 5 betont Paik 1965 die Bedeutung des Faktors Zeit für musikalische Kompositionen, wenn er sagt: „WANN gespielt wird ist ebenso wichtig wie / WAS gespielt wird.“ (s. II/5). Dies ist auch der methodische Ansatz seines 1962 verfassten Essays Post- Musik – Eine neue Ontologie der Musik, in dem er die Rolle des Publikums, des Zufalls und des Aufführungszeitpunkts bei Musikdarbietungen reflektiert. Der Text entstand im Zusam- menhang mit dem „Mail-Art-Projekt“ The Monthly Review of the University of Avant-garde Hin- duism, bei dem die wichtigsten Zuschauer und Kritiker auf dem Postweg auf einmal erreicht werden konnten. Paik interessierte daran vor allem die Gleichzeitigkeit, die dann erreicht war, wenn alle Adressaten gleichzeitig einen Gegenstand erhielten. 114

Hinsichtlich der Rolle, die das Publikum spielt, unterscheidet Paik verschiedene Arten des Verhältnisses zwischen Publikum und Musik bei verschiedenen Aufführungsformen:

Im normalen Konzert / bewegen sich die Klänge, das Publikum setzt sich. / In meiner sogenannten Aktionsmusik / bewegen sich die Klänge etc., das Publikum wird von mir attackiert. / In der „Symphony for 20 Rooms“ / bewegen sich die Klänge etc., das Publikum bewegt sich ebenfalls. / In mei- ner „Omnibus Music Nr. 1 (1961) / lassen sich die Klänge nieder, das Pub- likum besucht sie. / In der Musik-Ausstellung / sitzen die Klänge, das Pub- likum spielt oder attackiert sie. / Beim „Moving Theatre“ auf der Straße / bewegen sich die Klänge auf der Straße, das Publikum trifft sie oder begeg- net ihnen „unerwartet“ auf der Straße. 115

Die Schönheit von Moving Theatre liegt für Paik in der Zufälligkeit, „in der Überraschung a priori“, weil das Publikum nicht eingeladen wird und nicht weiß, warum die Veranstaltung stattfindet und wer der Komponist und die Darsteller sind. Wenn Kritiker eingeladen wer- den und Eintrittskarten verkauft werden, handelt es sich nach Paiks Definition nicht mehr

und […] den kreativen Spieltrieb der Besucher herausfordern, um neue, ungesehene Bilder aus ihnen hervor- zulocken.“ (s. ebd.) 114 Das „Mail-Art-Projekt“ The Monthly Review of the University of Avant-garde Hinduism war von George Maciunas im Namen von Fluxus lanciert worden. Dabei sollten einzelne banale Alltagsgegenstände, die Maciunas aus Armeebeständen rekrutierte und auflistete, in unregelmäßigen Abständen an die Abonnenten verschickt wer- den. Entscheidend war der Zeitpunkt des Erhalts der Gegenstände. - Vgl. Susanne Neuburger: Terrific Exhibit. “Zeit-Kunst” alias Musik im Ausstellungsgenre, in: Susanne Neuburger (Hg., 2009), a. a. O., : Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Köln 2009, S. 11-23, hier: S. 13 und Susanne Neuburger: „For a philosophical reason“ – Nam June Paik und der Text, in: Rennert, Susanne und Lee, Sook-Kyung (Hg.): Kat. Nam June Paik, Ostfildern 2010, S. 87-95, hier: S. 93 f. 115 Nam June Paik: Post-Musik. The Monthly Review of the University for Avant-garde Hinduism. Erschienen als “Flu- xus-a-Publikation”, Wiesbaden 1962 im Sogetzu Journal, Tokio 1963. Abgedruckt in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 93-95, hier: S. 93 f. 35

um ein Happening, sondern um ein Konzert, weshalb er für seine eigenen Veranstaltungen nicht das „heilige Wort“ Happening verwende. Diese sind nach seiner Einschätzung ebenso „snobistisch“ wie ein Konzert von Franz Liszt – und er selbst daher „derselbe Clown wie Goethe und Beethoven“. 116

In seinem Konzept einer „neue[n] ontologische[n] Form der Musik“ misst Paik nicht nur dem Inhalt der Komposition, sondern auch dem Zeitpunkt der Aufführung wesentliche Bedeutung bei. Er illustriert dies mit dem Beispiel der Gregorianischen Gesänge, bei denen es entscheidend gewesen sei, zu welcher Tageszeit sie gespielt wurden: Auch wenn die Musik, die gespielt wurde, dieselbe war, habe sie beim Frühgottesdienst am Morgen völlig anders geklungen als beim Vespergottesdienst am Abend. Die Zeit, zu der sie gespielt wurde, war von entscheidender Bedeutung. Erst als die Musik im 18. Jahrhundert den Be- reich der Kirche verlassen hatte, veränderte sich dies. Das Projekt The Monthly Review of the University of Avant-garde Hinduism, das Paik als Resultat seiner Suche nach einer „neuen On- tologie der Musik“ bezeichnet, erfüllt die von ihm aufgestellten Kriterien der „Post-Musik“, bei der das „WANN“ (Tag und Uhrzeit der Aufführung) von entscheidender Bedeutung ist. Ebenso wie seine früheren Fernsehexperimente charakterisiert Paik seine Konzeption von Post-Musik mit den Attributen „langweilig“, „ruhig“, ‚“kühl“, „trocken“, „nichtexpres- sionistisch“. Die „Langeweile“, die diesen „neue[n] Stil“ kennzeichnet, betrachtet Paik als Reaktion auf „zu spannende Hollywood-Filme.“ 117

Auch in seinen Texten zur Exposition of Music. Electronic TV, in denen Paik die der Ausstel- lung zugrunde liegende theoretische Konzeption erläutert, ist der zentrale Gedanke seine Vorstellung von Gestaltung der Zeit bei Musikaufführungen, die geprägt ist von der Idee des Indeterminismus, der Partizipation und Variabilität.

d) Indeterminismus, Überwindung des Dualismus und Langeweile (Text auf Aus- stellungsflyer)

Auf dem Informationsblatt, das in der Ausstellung auslag, war neben einer Einführung von Jean-Pierre Wilhelm ein Text von Paik abgedruckt. 118 Aus der Einführung Wilhelms geht

116 Ebd. 117 Ebd., hier: S. 95. 118 Text, der auf einem Flugblatt zur Wuppertaler Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television abge- druckt war. Wiederabdruck im Kat. Happening & Fluxus. Kölnischer Kunstverein, Köln 1970, ohne Seitenan- gabe, und im Kat. Nam June Paik. Werke 1946-1976. Musik-Fluxus-Video, hg. von Wulf Herzogenrath, Kölni- scher Kunstverein, Köln 1976, S. 79, und in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 96-99. Der Text wurde von Carlheinz Caspari ins Deutsche übertragen. 36

hervor, dass dieser Paik noch immer als reinen Komponisten begriff: Die Fernseher wurden von ihm nicht als eine von der Musik unabhängige Werkgruppe wahrgenommen. 119 Paik dagegen lässt den von ihm gesetzten Schwerpunkt umso deutlicher erkennen, wenn die erste Hälfte seines Textes sich ausschließlich den Fernsehexperimenten widmet. Gleich zu Beginn bedankt sich Paik darin „mit großem Respekt“ bei K. O. Götz, den er als maßgeb- lichen Impulsgeber für seine Fernsehexperimente nennt. Insbesondere Götz‘ Aussage, dass man die Experimente mit Braun‘schen Röhren “leider […] weder kontrollieren noch fest- legen“ könne, hatte Paik angeregt, mit Fernsehern zu arbeiten: „FESTLEGEN! … dieses Wort traf mich wie ein Blitz.“, schreibt Paik. Was Götz als Problem formulierte – die Un- möglichkeit der Kontrolle – war für Paik der eigentliche Anreiz zur künstlerischen Ausei- nandersetzung mit Fernsehern. Er folgert, dass Fernsehexperimente – gerade weil sie sich der Kontrolle entziehen - das für ihn am besten geeignete Mittel seien, um sich mit dem Indeterminismus auseinanderzusetzen, der für ihn das „Zentralproblem von heute“ dar- stellt – nicht nur im Bereich der Ästhetik, sondern auch in Ethik, Physik und Wirtschaft. Im Indeterminismus sieht Paik das Grundkonzept seiner Fernsehexperimente. Götz sei be- reits 1959 zu dem Ergebnis gekommen, dass „ein elektronisches Bild, welches produktiv (nicht reproduktiv) erzeugt werden soll, […] indeterministisch definiert werden muss.“ 120 Was Götz an den Fernsehbildern störte, genau das interessiert Paik: Ihre Unvorhersehbar- keit und Unberechenbarkeit. Elektronisches Fernsehen versteht er nicht als „bloße Anwen- dung und Ausweitung der elektronischen Musik auf dem Gebiet der Optik“, sondern viel- mehr als Kontrast zur elektronischen Musik, die durch eine „festgelegte, determinierte Ten- denz“ gekennzeichnet sei - sowohl in ihrer seriellen Kompositionsmethode als auch in ihrer „ontologischen Form“ (als zur Wiederholung vorgesehener Tonband-Aufzeichnung). 121

Physikalischen Beobachtungen, die er bei seinen Fernsehexperimenten gemacht hat, führen Paik zu der Erkenntnis, dass beim Elektron der Dualismus von „Wesen UND Erschei- nung“ aufgehoben ist: „EXISTENTIA IST ESSENTIA“. 122

119 s. Einführungstext von Jean-Pierre Wilhelm auf dem Einladungsfaltblatt zur Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television, abgedruckt in: Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 38. 120 Paiks Text auf dem Flugblatt zur Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 96-99, hier: S. 96. 121 Ebd. 122 Ebd. 37

Die elektronische Bewegung festlegen zu wollen, ist nach Paiks Erfahrung ein „Wider- spruch in sich selbst“. Neben der „natürlichen Unstabilität“ gebe es noch eine weitere „Di- mension von Indeterminismus des Elektrons“. Als Beispiel hierfür nennt Paik nicht nur Fernseh-Live-Sendungen, Radio und Funk, sondern auch Kaffeemaschinen, Elektrobohrer und Satelliten-Ausstrahlungen – und kommt zu dem Schluss: „Das Elektron ist überall.“ Bereits durch kleine Veränderungen wie das Vorbeifahren eines Autos entstehe „eine neue Bewegung und Konstellation“. 123

Paik unterscheidet „zwei oder zweieinhalb Typen des Nichts“. Während er seine bisherige Tätigkeit („Action music etc.“) der ersten Kategorie zuordnet („humanistisch, dynamisch, appassionato, oft grausam“), gehöre Exposition of Music. Electronic TV zur zweiten „Art des Nichts“, zu der er auch Cage zählt: „statisch, kosmologisch, transhumanistisch, ontologisch […]“ 124 Paik äußert die Vermutung, dass die Ausstellung für die Besucher anfangs wahr- scheinlich interessant sein werde, später langweilig. Er empfiehlt, die Langeweile auszuhal- ten, dann werde es wieder interessant, dann wieder langweilig – „aushalten!“ – dann werde es wieder interessant - usw. Langeweile thematisiert Paik auch in seinem Videoband Nam June Paik Edited for Television (1975), in dem er über ein Konzert von Cage berichtet, bei dem er begriffen habe, dass die Langeweile, die er bei Cages Musik empfindet, ihre Entsprechung im Zen-Buddhismus hat. Bereits 1961 hatte Paik geschrieben, Cages Music of Changes be- wundere er vor allem deshalb, weil es dessen „langweiligste Komposition“ sei. 125 Dass Lan- geweile nach seinem Verständnis nichts Negatives ist, betont Paik auch 1976 in einem Es- say, in dem er erläutert, dass es die „Verwechslung von INPUT-Zeit und OUTPUT-Zeit“ sei, die zur negativen Bewertung von Langeweile führe. 126

e) Indeterminismus und Aufführungspraxis: Partizipation, Variabilität und freie Ge- staltung der Zeit des Rezipienten (Über die Ausstellung der Musik)

Die dritte Auflage von Dé-collage (Ende 1962 oder 1963 erschienen), 127 enthält den ersten von Paiks drei programmatischen Texten zu seiner Wuppertaler Ausstellung mit dem Titel Über die Ausstellung der Musik. 128 Paik erläutert darin seine Konzeption von Musik in

123 Ebd., hier S. 97. 124 Ebd., hier: S. 97 f. 125 Nam June Paik: Zur „Symnphony for 20 Rooms“; in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 90 ff. 126 in Input-Zeit und Output-Zeit, s. IV/6. 127 In der Literatur finden sich unterschiedliche Angaben zum Erscheinungstermin. 128 Nam June Paik: About the exhibition of the music. Erschienen in: Wolf Vostell (Hrsg.): Décollage Nr,. 3, Köln 1963. Auch in Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 100. 38

Zusammenhang mit der Rolle des Publikums. Bei seinem Partizipationskonzept beruft er sich auf Cage und Stockhausen. In dem Text knüpft Paik genau da wieder an, wo die Kon- zepte zu Symphony for 20 Rooms aufhören. Bereits dort hatte Paik Stockhausens Paare und Cages Music Walk erwähnt. 129 An indeterministischen Musikstücken kritisiert er, dass der Komponist zwar dem Interpreten Entscheidungsfreiheit einräume, nicht jedoch dem Pub- likum. Die Freiheit der Zuhörer bestehe lediglich darin, zuzuhören oder nicht zuzuhören. Für das Publikum sei das Resultat indeterministischer Musik mithin nicht mehr als eine „normale Zeitspanne“ - „ein Zeitfluss, der nur in eine Richtung weist wie in der traditionel- len Musik oder im Leben eines Menschen, das ganz sicher durch die Zeit, die wie in einer Einbahnstraße in Richtung Tod verläuft, beendet wird“. 130 Paiks Vision ist eine Komposi- tion, die eine Freiheit besitzt, die „mehr als zwei Wege, Richtungen, Vektoren, Möglichkei- ten in bezug auf die Zeit“ 131 hat. Er interessiert sich nicht nur für die freie Zeitgestaltung des Interpreten, sein Ziel ist es, auch dem Rezipienten mehr Freiheit in der Gestaltung der Zeit zu ermöglichen. Es stellt für ihn ein Problem dar, wenn „das Publikum „[…] die indeterminierte Zeit von den vorgegebenen Klängen oder Zeitmodulationen des Interpre- ten nicht unterscheiden“ kann, denn es hat dann nicht die Möglichkeit, sich einzufühlen

[…] in das Warten, das Überraschtwerden, die Enttäuschung, das Zögern, Stocken, das Erwarten, das Überspringen, Fliehen des Interpreten […], in seine Abschweifung, das Vorwärtseilen, Riskieren, ins Auswählen, Stoßen, Zurückgestoßenwerden, Bestimmen, Entscheiden, Eintauchen, in den lee- ren Raum, den gequälten Raum, gewöhnlichen Raum, vollen Raum, voll lee- ren Raum und/oder […] mit Leere gefüllten Raumverbrauch, in seine Läu- terung, Geworfensein, Stoppen, sein Zertrümmertwerden etc. […]. 132

In all diesem sieht Paik jedoch die eigentliche Substanz, „das Wesentliche […] der Konzep- tion […] der sogenannten Freiheit […]“. 133 Wenn der Interpret eine Probe hat oder mehr- mals sein Repertoire spielt, bedeutet das nach Paiks Auffassung die „Prostitution der Frei- heit“. Ein Stück vor der Aufführung zu proben, bedeute, dass „der Grad und die Art der

129 Nam June Paik: Zur Symphony for 20 Rooms, in: la Monte Young/Jackson MacLow (Hrsg.): An Anthologie, New York 1963, 2. Auflage 1970, o. S., auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 90-92, hier: S. 90 und S. 92. 130 Nam June Paik: Über die Ausstellung der Musik. Erschienen in: Wolf Vostell (Hrsg.): Dé-collage Nr. 3. Köln 1963, Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 100-102, und in: Susanne Neuburger (Hg., 2009), a. a. O., S. 25. 131 Ebd. 132 Ebd. 133 Ebd. 39

Unbestimmtheit derselbe sein“ wird „wie bei klassischer, ja sogar barocker, Renaissance- oder mittelalterlicher Musik“. 134

In Stockhausens Idee von 1960, bei der der Komponist dem Publikum die Freiheit gibt, die Konzerthalle zu verlassen und wiederzukommen (in Paare) sieht Paik eine Möglichkeit, um diese „Selbsttäuschung zu überwinden“. Er erwähnt seine Skizze für die Symphony for 20 Rooms, bei der das Publikum unter 20 verschiedenen Klangquellen frei wählen kann. Da „die freie Zeit mehr als zwei Vektoren (Richtungen) erfordert und zwei Vektoren […] not- wendigerweise den Raum“ konstituieren, macht „die freie Zeit […] die Musik notwendiger- weise zur Space-Music (Raummusik)“. Der Raum sei dann „nicht mehr nur eine Bereiche- rung des Klanges“, sondern sein „unentbehrliche(r) Partner […]“. 135

Paik will die Aufführungspraxis im traditionellen Musikbetrieb auf den Kopf stellen, wenn er einem Opernbesucher empfiehlt, in einem bestimmten Moment von der Mitte der ersten Reihe aufzustehen und zu gehen. Dies bedeutet für ihn „keine Störung der Aufführung, sondern ein wohlwollendes Supplement.“ 136 Mit der Ausstellung Exposition of Music. Electro- nic Television unternimmt er einen weiteren Schritt in Richtung von mehr Indetermination, indem er die Freiheit der Zeitgestaltung vom Interpreten auf die Rezipienten ausweitet Sein Ziel ist es, das Publikum „selbst auftreten und musizieren [zu] lassen“. Damit hat er „die Aufführung von Musik aufgegeben.“ 137 Er hat seine Rolle als Performer abgelegt und stellt nun die Musik aus. Seine veränderte Rolle von „Koch (Komponist)“ zu „Feinkosthändler“ beschreibt Paik als Selbstdegradierung, die ihm „einige unerwartete Freude“ bereitete. Da die Aufführungen „Musik ruhiger [machen] als jede frühere ruhige Musik und „den Raum mobiler [machen] als jeden früheren mobilen Raum“ bilden sie „eine neue Kategorie zwi- schen Musik und Architektur (…)“. 138 Dies erinnert an Goethe, der Architektur als „ge- baute Musik“ bezeichnet hatte. 139

134 Ebd. 135 Ebd. 136 In: Décollage 1 (1962), zitiert nach Susanne Neuburger: Terrific Exhibit. “Zeit-Kunst” alias Musik im Ausstel- lungsgenre, in: Dies. (Hg., 1992), a. a. O., S. 11-23, hier: S. 16. 137 Nam June Paik: Über die Ausstellung von Musik. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 100-102, hier: S. 101. 138 Ebd. - Auch George Maciunas, der „Spiritus rector“ von Fluxus, nimmt in seinem Text „Neo-Dada in den Vereinigten Staaten“ zur traditionellen Rollenaufteilung im Konzertsaal Stellung, wenn er eine gattungsüber- greifende Konzeption einer Raum-Zeit-Kunst propagiert und sich gegen eine Trennung von Ausübenden und Ausführenden, Hervorbringenden und Zuschauern ausspricht (s. Jürgen Becker, Wolf Vostell: Happenings. Fluxus. Pop Art. Nouveau Réalisme. Reinbek bei Hamburg 1965, S. 192 ff.). 139 s. Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 11. 40

f) „Physikalische Musik“: Simultaneität, Synchronizität und Verräumlichung des Zeitverlaufs Im Aufsatz Post-Musik (1962) hatte Paik sein Anliegen formuliert, die „ontologische Form der Musik“ zu erneuern. 140 Seine Fernseharbeiten betrachtet er als Teil der Musik, wenn er im Resümee der Ausstellung schreibt: „Mein TV ist […] eine ‚PHYSIKALISCHE MUSIK‘ […] mehr (?) als die Kunst oder weniger (?) als die Kunst […]“ 141 Die Frage “Was ist Musik” ist für Paik nicht befriedigend zu beantworten. “Musik ist eine Zeitabfolge”, sagt er in einem Interview, bezeichnet diese (auf Cage fußende) Definition aber als Kompromiss. 142 Den Musiker interessiere vor allem die Frage: „Wie kann ich mit Zeit umgehen?“, so Paik. 143 Auf dem Ausstellungsplakat von Exposition of Music. Electronic Television stellt er die rhetorische Frage: „Is TIME without content possible?“ 144

Zentrale Gedanken in Paiks Resümee der Ausstellung (Nachspiel zur AUSSTELLUNG des EXPERIMENTELLEN FERNSEHENS) sind Indeterminismus und Variabilität. 145 Bei seiner Reflexion über den Dualismus unseres Bewusstseins unterscheidet Paik hin- sichtlich der Zeitwahrnehmung zwei Modelle: Anders als beim ersten, das er mit dem Be- griff „Einbahnstraßenzeit“ kennzeichnet, könnten beim zweiten „parallele Ströme“ simul- tan erlebt werden. 146

„Schock, Expressionismus, Romantik, Klimax, Überraschung, etc. …“ seien Merkmale sei- ner früheren Kompositionen gewesen, schreibt Paik. Von seinen TV-Arbeiten dürfe man dies nicht erwarten, mit ihnen habe er einen neuen Weg eingeschlagen. 147 Bereits im Falt- blatt zur Ausstellung hatte er erläutert, dass seine jetzigen Arbeiten der Kategorie der „zwei- ten Art des Nichts“ angehören („statisch, kosmologisch, transhumanistisch, ontologisch […])“ 148 Paik beruft sich auf Hegel und Schiller, wenn er schreibt: „KUNST IST DIE

140 Nam June Paik: Post-Musik. In: Wulf Herzogenrath (Hg.): Kat. Nam June Paik. Werke 1946-1976. Musik- Fluxus-Video, Kölnischer Kunstverein, Köln 1976, S.119. Auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 93- 95; hier: S. 93. 141 Nam June Paik: afterlude to the EXPOSITION of EXPERIMENTAL TELEVISION. IN. fluxus cc fiVe ThReE, 4 (1964). Auch in: Nam June Paik: Global Groove 2004, Ostfildern-Ruit 2004, o. S.; auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 103-109, hier: S. 104. 142 Vgl. Interview mit Gottfried Michael König, in: Katalog Nam June Paik, Werke 1946-1976, Musik – Fluxus – Video. Köln 1976, S. 51. 143 Ebd., S. 52. 144 Susanne Neuburger: Terrific Exhibit. “Zeit-Kunst” alias Musik im Ausstellungsgenre, a. a. O., hier: S. 18. 145 Nam June Paik: afterlude to the EXPOSITION of EXPERIMENTAL TELEVISION, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 103-109, hier: S. 105 f. 146 Ebd., hier: S. 106. 147 Ebd., hier: S. 109. 148 Paiks Text auf dem Flugblatt zur Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television. In : Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 96-99, hier: S. 97 f. 41

ERSCHEINUNG EINER IDEE“ 149 Den „Fetischismus der Idee” erachtet er als das „wichtigste Kriterium der zeitgenössischen Kunst […].” 150

Wie schon seine früheren Arbeiten und Objekte stellt er seine TV-Experimente in einen intermediären Zusammenhang und betont die Wichtigkeit der in der Musik geläufigen, in der „optischen Kunst“ aber „extrem unterentwickelten“ Parameter „INDETERMINIS- MUS und VARIABILITÄT“. Die Live-Übertragungen des normalen Fernsehprogramms nutzt Paik, weil sie „das variabelste optische und semantische Ereignis in den 60er Jahren“ seien. Die Fernsehgeräte gehören für ihn zur „zweite[n] Dimension der Variabilität“. Er betont, dass alle 13 Geräte „13 Arten der Variation in ihren HORIZONTALEN-VERTI- KALEN-VIDEO-Einheiten“ erfahren haben und ist stolz darauf, dass alle ausgestellten Geräte „wirklich ihre inneren Kreisläufe änderten“ und jedes Gerät nach einem eigenen Prinzip funktionierte. 151

Auf philosophisch-spirituelle Weise nähert sich Paik der Zeit-Raum-Frage: Viele Mystiker seien „daran interessiert, aus der EINREIHIGEN ZEIT, der EINBAHNSTRASSEN- ZEIT herauszutreten, um die Ewigkeit zu ERFASSEN.“ Dies ließe sich erzielen, indem man „am vollendeten oder absoluten Nullpunkt“ anhalte. Eine andere Methode, die Ewig- keit zu erfassen, sei, „die parallelen Ströme vieler unabhängiger Bewegungen SIMULTAN zu beobachten“. James Joyce, so Paik weiter, habe zur Erzählung seiner sich parallel entwi- ckelnden Geschichten 152 nur das auf eine (Lese-)Richtung beschränkte Medium des Buches zur Verfügung gestanden. Aufgrund der „Ontologie des Buches“ sei Joyce also gezwungen gewesen, „die sich parallel entwickelnden Geschichten in einem einzigen Buch in Einbahn- straßenrichtung zu schreiben“, wohingegen „die simultane Wahrnehmung der parallelen Ströme von 13 unabhängigen TV-Bewegungen vielleicht diesen alten Traum der Mystik realisieren“ könne. Ungelöst sei allerdings das Problem, ob diese Art der Wahrnehmung „mit unserer normalen Physiognomie ohne etwas mystisches Training möglich ist.“ 153

In seinen Überlegungen zum Dualismus unseres Bewusstseins unterscheidet Paik „zwei Gebrauchsweisen des Wortes ‚EXTASE‘ [sic!]“: Mit der ersten Gebrauchsweise des Be- griffs („xx“) meint er:

149 s. Nam June Paik: afterlude to the EXPOSITION of EXPERIMENTAL TELEVISION, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 103-109, hier: S. 105. 150 Ebd. 151 Ebd. 152 Gemeint ist vermutlich Joyces Hauptwerk Ulysses, das exemplarisch für die Zeitbehandlung im modernen Roman steht. 153 Ebd., S. 106. 42

Verzückung durch poetische Eingebung oder das geistige Außer-sich- Sein oder das Entrücktsein durch die Kontemplation über göttliche Dinge. […] vollkommen erfüllte Zeit – die Gegenwart ewiger Gegenwart – eine Art abnormer Situation des Bewusstseins – Unbewusstheit – oder Überbewusstheit – extreme Konzentration – einige Mystiker vergessen sich selbst – ich vereine mich mit mir selbst – Die Welt hält für 3 Minuten an!!! die ewigen 3 Minuten!!! […] 154

Mit der zweiten Gebrauchsweise des Wortes Ekstase („zz“) meint Paik das Sartresche „l’ètre pour soi“ (Für-sich-Sein) unseres Bewusstseins – „eine Art des Bewusstseins, das sich nicht mit sich selbst vereinen kann“. Weil wir verurteilt seien zu denken, seien wir auch verurteilt zu fragen. Das bedeute: „ICH BIN IMMER, WAS ICH NICHT BIN und ICH BIN IMMER NICHT, WAS ICH BIN.“ Diese “unaufhörliche EX-TASE (aus sich selbst herausgehen)“ sei „der ‚NORMALE‘ Wesenszug im normalen Zustand unseren Bewusst- seins.“ In der ersten Gebrauchsweise des Wortes sei „unser Bewusstsein mit sich selbst VEREINT“ und habe „den Dualismus unseres Bewusstseins synthetisiert“, während in der zweiten Gebrauchsweise der „Dualismus oder die dialektische Evolution unseres Geistes als Beweis unserer Freiheit für kostbar gehalten“ werde. Paik kommt zu dem Schluss, dass beide Gebrauchsweisen des Begriffs („am vollendeten oder absoluten Nullpunkt anzuhal- ten, um die Ewigkeit zu erfassen … und […] die Extase [sic!] im Sinne von ‚geistigem Außer-sich-Sein oder Entrücktsein durch die Kontemplation über göttliche Dinge‘) iden- tisch seien. Als weitere Bedeutung nennt Paik „die gleichzeitige Wahrnehmung paralleler Ströme vieler unabhängiger Bewegungen“. Obwohl diese und die Ekstase im Sinne von Sartre vollkommen unterschiedlich zu sein scheinen, gebe es wichtige Gemeinsamkeiten zwischen diesen beiden Formen der Wahrnehmung: Beide „kennen nicht die Endstation, Lösung, den angehaltenen absoluten Moment, Höhepunkt, Aufstieg.“ Sie sind also „relativ, relativ ausschließend, einfach verständlich, weit verbreitet, beweglich, veränderlich, hängen in der Luft“ und damit vergleichbar mit seinem experimentellen TV („nicht immer interes- sant, aber nicht immer uninteressant“). 155

Dies führt Paik zu Reflexionen über den Zen-Buddhismus. Ob er auch demonstrieren müsse, wie das Absolute das Relative sei, fragte er bereits im Text für die Symphony for 20 Rooms. Nun erklärt er die „zwei Negationen des Zen“: „Das Absolute IST das Relative“ (erste Negation) und „Das Relative IST das Absolute“ (zweite Negation). 156 Mit der „ersten

154 Ebd., S. 107. 155 Ebd., S. 106-108. 156 Ebd., S. 108. 43

Negation“ meint Paik die Alltagserfahrung der Vergänglichkeit alles Seienden. In der „zweite Negation“ sieht er den „zentrale[n] Punkt des Zen“, sie bedeute:

Das JETZT ist Utopia, was es auch sein mag. Das JETZT in 10 Minuten ist ebenso Utopia, was es auch sein mag. Das JETZT in 20 Minuten ist ebenso Utopia, was es auch sein mag. Das JETZT in 20 Stunden ist ebenso Utopia, was es auch sein mag. Das JETZT in 30 Monaten ist ebenso Utopia, was es auch sein mag. Das JETZT in 40 Millionen Jahren ist ebenso Utopia, was es auch sein mag. 157

Zwanzig Jahre später erläutert Paik in einem Interview den Zusammenhang von der Auf- fassung des gegenwärtigen Augenblicks als Utopie mit der Zeitkonzeption des Zen- Buddhismus. Anders als in der christlichen oder jüdischen Religion und auch anders als bei der kommunistischen Philosophie gehe es bei Zen nicht darum, ein in weiter Ferne liegen- des Ziel anzustreben, sondern die Utopie liege in der Gegenwart. 158

Die ebenfalls in der Ausstellung gezeigten „Zen-Objekte“ können als Verweis auf die Er- fahrung im gegenwärtigen Augenblick gesehen werden, auf ein Nichtfesthalten, Nichtwäh- len, Nichthandeln, das bei Paik einen ephemeren Werkstatus bedingt, der sich dem eines kompakten Objekts ständig widersetzt. 159 „EXISTENTIA IST ESSENTIA“, sagt Paik. 160 Dualistisches Denken lehnt er ab, sein Ziel ist es, die Trennung zwischen Außen und Innen, Subjekt und Objekt, Werk und Betrachter zu überwinden.

Die Auseinandersetzung mit Zeitlichkeit als Grundbegriff menschlicher Erfahrung, von der Paiks gesamtes Werk geprägt ist, steht auch im Zentrum von Exposition of Music. Electronic Television. Dabei wird auch die Präsenz des Besuchers und der Moment der Wahrnehmung mit einbezogen. 161 In seinem Brief an den Galeristen Jährling während der Vorbereitung

157 Ebd. 158 „Dieses Absolute ist relativ. Das ist leicht. Dass wir sehen, dass alles geht. Aber JETZT …, dass das sehr relative und unglückliche JETZT gerade eine Utopie ist, das ist eine Zen-Entdeckung. Marx hat nie …, für Marx und Christentum und Judentum das Utopie war immer sehr weit, man muss streben sich, ja? Aber Zen hat immer: Jetzt ist so genau Utopie. Das ist doch eine buddhistische Entdeckung. Und das hat John Cage sehr gereizt. Daisetz Suzuki hat immer daran gedacht. […] Jetzt ist: Utopie. Das ist wichtig. […] Alle Religio- nen haben solche Elemente gehabt. Daher Marx hat gesagt, Religion ist ein Opium für die Masse, ja? […]“ (Nam June Paik im Interview mit Barbara Wien). In: Barbara Wien: Jetzt ist: Utopie. Das ist wichtig. Interview mit Nam June Paik am 23. Januar 1983 anlässlich der Ausstellung 70-50=20. Eine kleine Geschichte von Fluxus in drei Teilen – 1. John Cage – Nam June Paik in der daadgalerie, Berlin (Ausstellungsdauer 22.1.-20.2.1983). In: Peter Moritz Pickshaus, a. a. O., hier: S. 68. 159 Susanne Neuburger: Terrific Exhibit. “Zeit-Kunst” alias Musik im Ausstellungsgenre, a. a. O., hier: S. 17. 160 in Paiks Text auf dem Flugblatt zur Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television. In : Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 96-99, hier: S. 97. 161 s. Manuela Ammer: Bei der Technik gibt es stets das andere, den Anderen, in: Susanne Neuburger (Hg., 2009), a. a. O., S. 44-58, hier: S. 53. 44

der Ausstellung hatte Paik geschrieben, es gehe ihm bei seinem Vorhaben um „Synchroni- zität als ein Prinzip akausaler Zusammenhänge“. Im selben Brief hatte er auch betont, dass es sich bei seinen Ausstellungsstücken um „Zeit-Kunst“ handelt. („Ich liebe keine Gat- tung“). 162 Die Aufgabe dieser „Zeit-Kunst“ besteht nach Paiks Auffassung darin, dem Pub- likum die Freiheit zu geben, die es in konventionellen Aufführungssituationen nicht hat. Aus seiner Bemerkung, dass der nur in eine Richtung weisende Zeitfluss im Leben eines Menschen in Richtung Tod verläuft und deshalb das Leben durch die Zeit beendet wird lässt sich ableiten, dass nach Paiks Vorstellung auch auf die „Lebendigkeit“ des Publikums bezogen der eindimensionale Zeitverlauf in den Tod mündet. Daher fordert er „mehr als zwei Wege, Richtungen, Vektoren, Möglichkeiten in bezug auf die Zeit […]“ 163 Dies be- deutet, der Ausbruch aus der zeitlichen Gerichtetheit hat nach Paiks Verständnis eine räum- liche Dimension. So spricht er hinsichtlich seiner Skizze zur Symphony for 20 Rooms, die das Konzept der Wuppertaler Ausstellung prägte und bei der die Besucher zwischen verschie- denen Klangquellen wechseln konnten, auch davon, dass „die freie Zeit mehr als zwei Vek- toren (Richtungen) erfordert, und zwei Vektoren […] notwendigerweise den Raum“ kon- stituieren und schließt daraus, dass „die freie Zeit […] die Musik notwendigerweise zur Space-Music (Raummusik)“ macht. 164 Im Fernsehraum der Ausstellung realisiert Paik diese Befreiung durch „Verräumlichung“ des Zeitverlaufs, indem durch „die Multiplikation des Fernsehens als Objekt in Form des TV-Gerätes und seine Variation als Bild in Form des übertragenen Programms“ die Besucher ihre „physische Position und damit die Chronolo- gie der wahrgenommen Ereignisse selbst […] bestimmen“ konnten. 165 Auch in seinem Re- sümée der Ausstellung spricht Paik davon, dass das „Heraustreten“ aus der „EIN- BAHNSTRASSENZEIT“ durch die simultane Wahrnehmung der „parallelen Flüsse vieler unabhängiger Bewegungen“ erreicht werden kann. 166

Der Kunsthistoriker David Joselit versteht das Apparateensemble in Paiks Wuppertaler Fernsehraum als alternative Form von Fernsehnetzwerk, das die Umerziehung der Wahr- nehmung zum Ziel hat:

162 s. Manuskript in der Gilbert & Lila Silverman Collection, New York; in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 54 f. 163 Nam June Paik: Über die Ausstellung von Musik. Erschienen in: Wolf Vostell (Hg.): Dé-collage Nr. 3. Köln 1963, Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 100-102, hier: S. 100. Siehe Manuela Ammer, a. a. O., hier: S. 52. 164 Ebd., S. 53. 165 Manuela Ammer, a. a. O., hier: S. 53. 166 Nam June Paik: afterlude to the EXPOSITION of EXPERIMENTAL TELEVISION. IN. fluxus cc fiVe ThReE, 4 (1964). Auch in: Kat. Nam June Paik. Werke 1946-1976. Musik-Fluxus-Video, hrsg. von Wulf Herzo- genrath, Kölnischer Kunstverein, Köln 1976, S. 87-92. Auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 103- 109, hier: S. 106. 45

In contrast to the standard structure of the network as a centralized source of information that is uniformly broadcast to a multitude of individual re- ceivers, Paik customized a microcosmic network in which each TV receiver would decode the signal in its own way. 167

Die “materiell nicht greifbare Mobilität“ des Fernsehnetzwerks sei auf diese Weise “zu einem Objekt häuslicher Anschauung verfestigt” worden. 168 Neben dem Netzwerkgedan- ken spricht Joselit damit einen weiteren Aspekt an: Paiks „TV-Environment“ erweckte den Eindruck, die Inhalte eines Sendetages verbleiben nicht „innerhalb ihrer jeweiligen Zeit- fenster“, sondern wären „räumlich zueinander in Beziehung gesetzt“. Der Fernsehkreislauf war somit nicht mehr geschlossen und selbstbezüglich, sondern wurde „unterschiedlichen Bewegungen und Richtungen geöffnet.“ 169 So wird die „Vielzahl von Informationsflüssen“ („flows“) 170 geschaffen, von der Paik in seinem Resümée der Ausstellung spricht.

IV. Video und Zeit

In a manyfold sense music uses time. It uses my time. It uses your time. It uses its own time. It would be most annoying, if it did not aim to save the most important things in the most concentrated manner in every fraction of this time. This is why, when composers have inquired the technique of filling one direction with content to the utmost capacity, they must do the same in the next direction. And finally in all directions, in which music expands. 171 Arnold Schönberg

167 David Joselit: Feedback. Television against Democracy. Cambridge/MA 2007, S. 11 f., zitiert nach Manuela Ammer, a. a. O., hier: S. 54. 168 Ebd. 169 Ebd. 170 In Paiks Verwendung des Begriffs „flow“ sieht Manuela Ammer die Antizipation einer Theorie von Ray- mond Williams, der 1974 in einem Essay über die Programmstruktur des Fernsehens den Begriff „flow“ als das „Ersetzen der Programmreihung in Form zeitlich abgestimmter und aufeinander folgender Einheiten durch eine flow-Reihung unterschiedlich verbundener Einheiten“ definierte. Die „zeitliche Struktur“ dieser Reihung bleibt dabei nach Williams „obgleich sie real ist – unbestimmt […]“ und ihre „tatsächliche interne Organisation“ unterscheide sich „von der behaupteten Organisation […]“. - Raymond Williams: Pro- grammstruktur als Sequenz oder „flow“, in: Ralf Adelmann u. a.: Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse. Konstanz 2001, S. 33-43, hier: S. 40. - Beim Fernsehzuschauer macht sich dies dadurch bemerkbar, dass er von einer in die nächste Sendung „hinübergleitet“ - s. Manuela Ammer, a. a. O., hier: S. 54. 171 Arnold Schönberg, zitiert nach Nam June Paik im Interview mit Barbara Wien: Barbara Wien: Jetzt ist: Utopie. Das ist wichtig, In: Peter Moritz Pickshaus, a. a. O., S. 58-69, a. a. O., hier: S. 63. 46

Mit diesem Zitat antwortet Paik 1983 im Interview mit Barbara Wien 172 auf die Frage nach dem Zusammenhang von Musik und Zeit und betont die besondere Bedeutung dieser Worte Schönbergs für seine Arbeit mit Video. Was Schönberg über die Musik sagt, bezieht Paik auf Video:

Das ist sehr wichtig für Video […] Das ist Video mit viel komplizierter Zeit- frage […] die meisten sogenannten konzeptionellen Videos sind langweilig, weil das eindimensional ist, ja? So, dieses Zitat habe ich immer im Kopf gehabt. Das Zeitbewusstsein … wir haben nur Zeit und Raum. Gibt es kein anderes. Zeit ist die Hälfte unseres Lebens. Auch das ist sehr wichtig. Ja, sehr kompliziert. […] Zeit ist wichtig. I mean, that’s sehr kompliziert. Das kann direkt Videokunst … wir lernen nicht nur Videokunst, sondern unser Leben selbst. Ich lebe viel besser, jetzt, I mean, wiser, klüger, nachdem ich Video-editing gelernt hab. [Lacht:] True, ja? 173

„Video ist ein Modell des Lebens“, hatte Paik bereits drei Jahre zuvor geschrieben und dies damit begründet, dass Video aufgrund seiner technischen Eigenschaften eine Imitation der Zeit darstelle. 174 Die Relation von Video und Zeit ist immer wieder Thema in Paiks Texten (s. V).

„Kleinste Partikel einer zerhackten Zeit in kontinuierlicher Addition, die unablässige Transformation des laufenden Bildes: Video ist die Unruhe selbst.“ - So beschreibt Nico- letta Torcelli das Verhältnis von Video und Zeit in ihrer Dissertation, die zeigen soll, dass Video als „‚Zeitmedium‘ par excellence“ die Herausforderung der Konzentration auf den Faktor Zeit selbst stellt. 175

Im Unterschied zum Filmstreifen, der Diapositive aneinander reiht, ist das auf Magnetband gespeicherte Videobild ohne die zeitliche Dimension nicht erfahrbar. Zeit wird auf dem Videoband materiell fixiert und damit zugleich manipulierbar. Im Film wird Zeit verdichtet, wenn uns Zeiträume suggeriert werden, die technisch durch Schnitt, Überblendungen Auf- und Abblenden vermittelt werden. Radio und Fernsehen dagegen erwecken den Eindruck,

172 Ebd., S. 58-69. 173 Ebd., hier: S. 64. 174 In: Nam June Paik: Random Access Information. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145-152, hier: S. 146. - Bei dem Essay handelt es sich ursprünglich um einen Vortrag, den Paik am 25. März 1980 im Museum of Modern Art in New York hielt. 175 Nicoletta Torcelli: Video Kunst Zeit. Von Acconci bis Viola, Weimar 1996, S. 9. 47

reale Zeitabläufe zu erleben. Bei Live-Übertragungen nehmen wir die unmittelbare Gegen- wart, die Gleichzeitigkeit von Ereignissen wahr. Anders als bei der „komprimierten“ Zeit im Film können bei Radio und Fernsehen Zeitabläufe als „Realzeit“ dargestellt werden. 176

1. Immaterialität und Energietransformation - Das Videobild als „Zeit-Bild“

„At its aesthetic core video is art dematerialized.“ 177 (Douglas Davis). Les Levine charak- terisiert Video als “non-physical medium“. 178 Kim Levin beschreibt das Videobild als „im- material image – with pure light and empty space“. 179

Das elektronische Medium Video ist reflexiv, d. h. ein elektronisches erzeugtes Bild strahlt am Ort des Betrachters unmittelbare Präsenz aus. Die Technik der Signalübertragung ge- neriert einen fließenden Bildtyp und bestimmt so die Syntax des ausstrahlenden Bildschirm- bildes. Das von der Kamera übertragene Videosignal ist in seiner „Oberflächenpräsenz“ in ständiger Bewegung und stellt den Elektronenfluss dar. 180 Eine weitere technisch-appara- tive Eigenschaft, die Video mit dem Fernsehen gemeinsam hat, ist die Definition des „Bil- des“ durch zwei ineinander geschobene Halbbilder. Die vollständige Bildinformation setzt sich also aus zeitlich versetzten Zeilenbildern zusammen. Wie die Signalübertragung be- gründet auch die zusammengesetzte Bildinformation die prinzipielle Inkonstanz des audio- visuellen Mediums. Das Ergebnis zweier miteinander verzahnter Bildfelder, die zweifach die vertikale Auflösung des elektronischen Scans bilden, wird im Video als „Frame“ be- zeichnet. 181 Indem nacheinander zwei Felder innerhalb eines frames gescannt werden (un- gerade Zeilen von oben nach unten und danach gerade Zeilen von oben nach unten), wird

176 Davidson Gigliotti verwendet in diesem Zusammenhang bei seinen Betrachtungen über Zeit die Begriffe „real time“ und „compressed time“ (Davidson Gigliotti: Observations on the Scope of Multi-Channel Video Work. In: Video Art, S. 214 ff.), s. Edith Decker (1988), S. 168. 177 Douglas Davis: The End of Video: White Vapor, in: Gregory Battock (Hg.): New Artists’ Video. A Critical Anthology, New York 1978, S. 24-35, hier: S. 29. 178 Les Levine: One-Gun Video Art, in: Ebd., S. 87. 179 Kim Levin: Video Art in the TV Landscape: Notes on Southern California, in: Ebd., S. 65-75, hier: S. 66. 180 s. Yvonne Spielmann: Video – Das reflexive Medium, Frankfurt am Main 2005, S. 78. 181 Es sind zwei verschiedene Standards gebräuchlich: Während im nordamerikanischen und japanischen System (NTSC) das vertikale Feld aus 262,5 Halbzeilen besteht, wird im europäischen PAL-System das verti- kale Feld aus 312,5 Halbzeilen aufgebaut. Ein Frame bezieht sich auf ein Bildformat aus 525 Zeilen, 30 Bildern pro Sekunde (60 Halbbildern pro Sekunde) mit 60 Hz in NTSC bzw. 625 Zeilen, 25 Bildern pro Sekunde (50 Halbbilder pro Sekunde) mit 50 Hz in PAL (s. Yvonne Spielmann, a. a. O., S. 79). 48

der „Flicker“ 182 vermieden. Die beiden ineinander gesetzten Zeilen/“Halbbilder“ lassen das „Bild“ auf dem Bildschirm konstant erscheinen. 183

In seinem Video How TV Works (USA, 1977) vergleicht Videopionier Dan Sandin den technischen Aufbau des elektronischen Mediums Video mit dem Film:

The simplest video system to understand is a camera that produces an elec- tronic signal, sends it along a cable to a monitor, which reconstructs the image […] Now, light that hits the front surface of the lens is focused into an image down in the camera itself. In the case of a film camera, that image is projected onto a sensitive chemical surface, the film itself. In the case of a video camera, it is projected on the front surface of a vidicon and an elec- tron beam inside the vidicon scans the front surface, scans the pattern of light and dark projected onto the front surface, and creates the video image […] The reflection yoke magnetically positions the electron beam that scans the image and creates the video signal. 184

Am Ende der untersten Zeile kehrt das Signal an den Anfang zurück und die Kamera er- zeugt selbst die Information, die sie zur Synchronisation benötigt, um das Signal horizontal zurücklaufen zu lassen. Nach dieser Beschreibung kommt Sandin zu dem Schluss: „The actual video information is encoded only in the scanning lines from left to right.“ 185

Weder im Scanningverfahren im Inneren der Kamera noch auf der Bildschirmoberfläche existiert ein kohärentes Bild. Im Unterschied zum Film, wo das fixierte Bewegtbild bei Auf- nahme und Projektion von der vertikalen Anordnung der einzelnen Bildkader auf dem Filmstreifen vorgegeben ist, führt der elektronische Bildfluss bei Video – wie der Filmstrei- fen – eine vertikale Bewegung aus, kann sich aber zugleich in horizontaler Richtung bewe- gen. Der Frame entsteht durch von außen kommende Lichtinformation, die in elektronische Signale umgewandelt wird, indem der Kathodenstrahl Lichtinformation intern abtastet (Scan-Verfahren). Dabei werden die elektronischen Signale ohne Unterbrechung in Scan- Zeilen übertragen, die auf dem Bildschirm von links nach rechts und von oben nach unten

182 „Unter Flicker versteht man laut Internationalem Elektrotechnischen Wörterbuch den subjektiven Ein- druck einer Instabilität der visuellen Wahrnehmung, hervorgerufen durch einen Lichtreiz, dessen Leucht- dichte oder Spektralverteilung mit der Zeit schwankt. Flicker ist also der subjektive Eindruck von Leucht- dichteänderungen, das, was man umgangssprachlich als Flackern oder Flimmern des Lichtes bezeichnet.“ - http://de.wikipedia.org/wiki/Flicker (4.2.2015). 183 s. Yvonne Spielmann, a. a. O., S. 79. 184 Transkription des Kommentars von Dan Sandin auf dem Videoband How TV Works, USA 1977, 27:48, color, Ton (Electronic Arts Intermix). Zit. nach Yvonne Spielmann, a. a. O., S. 79 f. 185 Ebd. 49

verlaufen und damit in ihrer Ordnung dem Beschreiben einer Papierseite in der westlichen Kultur entsprechen. 186

Im Unterschied zum Film, bei dem die bewegten Bilder durch die Projektion des Lichts durch den sich bewegenden Zelluloidstreifen entstehen, ist das Videobild immateriell: Es entsteht durch einen elektromagnetischen Speicherungsprozess, bei dem die Information verschlüsselt und für menschliche Sinne nicht zugänglich ist. Um die gespeicherten Codes abzurufen und in lesbare Informationen umzuwandeln, ist notwendige Voraussetzung der Strom, mit dem die Magneten den Kathodenstrahl in einem Magnetfeld aufspannen. Der Prozess des Abbildens ist eine Signalübermittlung, bei der sich das Pixel als kleinstes vari- ables Element „innerhalb der Matrix des Bildrasters bewegt und Zeile für Zeile abtastet.“ 187 Anders als das Filmbild ist das Videobild gekennzeichnet durch ständige Transformation, denn es entsteht durch eine „kontinuierliche innere Bewegung des Bildaufbaus“. 188 Nico- letta Torcelli bezeichnet das Videobild daher als „Zeit-Bild“. 189 Während der Film „Ob- jektstatus“ 190 hat, ist der elektronische Impuls bei Video „reines, leeres Potential“. 191 Indem sich der Kathodenstrahl über die Matrix bewegt, wird die Energie (in Form von Strom) in Information umgewandelt. 192 Bei Video findet eine Transformation von Energie statt: Das Bild wird übertragen in elektronische Energie und dann zurückübersetzt in ein leuchtendes Bild. Diese „Energieorganisation in der Zeit“ stellt für Woody Vasulka den „Schlüssel für alle Veränderungen im Leben“ dar. 193 In ihrer Immaterialität entsprechen die technischen Eigenschaften des Mediums Video Paiks Konzept einer „Kunst der reinen Idee“, mit dem er sich 1965 in seinem Text zum Happening 24 Stunden auseinandersetzt. 194

186 Die Richtung des Scan-Verlaufs ist nicht technisch bedingt. Wären Fernsehen und Video nicht in den westlichen Industrienationen, sondern im asiatischen Kulturraum als Standard eingeführt worden, könnte die Ausrichtung des Zeilenaufbaus anders verlaufen sein (s. Yvonne Spielmann, a. a. O., S. 80). 187 Nicoletta Torcelli: Video Kunst Zeit. Von Acconci bis Viola, Weimar 1996, S. 45. 188 Ebd. 189 Ebd. 190 “That is, the notion of a medium contains the concept of an object-state, separate from the artist’s own being, through which his intention must pass.” (Rosalind E. Krauss: Video: The Aesthetic of Narcissism, in: Gregory Battock (Hg.): New Artists’ Video. A Critical Anthology, New York, 1978, S. 43-64, hier: S. 44) 191 Nicoletta Torcelli: a. a. O., S. 45. 192 Ebd., S. 45 f. 193 „[…] heute bekommen wir durch die Radio-Astronomie einen ganz anderen Begriff von unserem Univer- sum. Vor allem erhalten wir Informationen, die nicht sichtbar sind. Da gibt es keine punkt- oder kugelförmi- gen Körper mehr. Es ist Energie, die sich nicht in einem statischen Zustand befindet; tatsächlich verändert sie sich ununterbrochen. So daß wir plötzlich das Universum mit unseren Instrumenten gewissermaßen op- tisch rekonstruieren, da wir schließlich Radiowellen in sichtbare Modelle umsetzen. Wir versuchen jetzt, den Raum, der nur als elektromagnetische Kraft existiert, zu visualisieren.“. In: Steina und Woody Vasulka, State- ment aus: Bettina Gruber/Maria Vedder (Hg.): Kunst und Video. Internationale Entwicklung und Künstler, Köln 1983, S. 203 f. 194 s. Paiks Text zu 24 Stunden, Happening am 5. Juni 1965 in der Galerie Parnass, Wuppertal (Dokumentation); Itzehoe 1965. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 112. 50

Während der Film auf mechanische Weise Bewegung vortäuscht, zeichnet der Elektronen- strahl der Fernsehröhre Bewegung kontinuierlich nach. Wie das Auge beim Lesen eines Textes wandert der Elektronenstrahl, ohne abzusetzen, von Zeile zu Zeile. Das elektroni- sche Verfahren ist aber nicht anthropogen, denn das menschliche Auge verfährt bei der optischen Wahrnehmung nicht wie die Videokamera, sondern wie die Filmkamera: Einzel- bilder addieren sich zu einer Bewegung. Zwar ist der ununterbrochene Elektronenfluss des Videobildes, aus dem sich durch die Trägheit des Auges das Bild konstituiert, im Prinzip der menschlichen Physis und dem ständigen sich Wandeln biologischer Prozesse analog, doch das Denken in Begriffen und Worten fragmentiert den Fluss der Wahrnehmung und Erfahrung in gleicher mechanischer Weise wie das filmische Prinzip. 195 „Der Mechanismus unseres gewöhnlichen Denkens ist kinematographischen Wesens.“ (Henri Bergson) 196

2. Audiovisuelle „Zeitmaschine“ Videorecorder: „Literarisierungsprozess“ und Er- fahrung „verbrauchter“ Zeit

Der Videorecorder wandelt Bildsignale in elektrische Impulse um und „schreibt“ diese auf ein Magnetband. 197 Siegfried Zielinski verweist auf die etymologische Analogie des Begriffs „Schreibkopf“, 198 den er als (unbewussten) Hinweis auf die „Literarisierung“ der Materia- lität audiovisueller Medien begreift. 199

Mit der Einführung der Videocassette lag audiovisuelles Material nicht mehr nur in den Händen von Produzenten oder Verleihern, sondern war nun auch in den Wohnzimmern der Privathaushalte verfügbar. Zum ersten Mal in der Geschichte der bewegten Bilder konnten die Zuschauer nun in deren Syntax eingreifen: Ihr Ablauf konnte beschleunigt oder verlangsamt werden und es war möglich, einzelne Images einzufrieren oder sie farblich zu verändern. Der Videorecorder ermöglichte stroboskopische Effekte, das Abrufen einzelner

195 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 179. 196 Henri Bergson: Schöpferische Entwicklung. Zürich 1967, S. 302. Zit. nach Edith Decker (1988), a. a. O., S., 179. 197 “Prinzipielle technische Funktion des Videorecorders ist es, Fernsehsignale zu speichern, indem er deren Frequenzen in elektromagnetische Impulse umwandelt, diese vermittels eines oder mehrerer Magnetköpfe auf ein Magnetband aufschreibt, sie für die Reproduktion abliest und wiederum in Form von Frequenzen zum Empfangsgerät weiterleitet.“ - s. Siegfried Zielinski: Audiovisuelle Zeitmaschine. Thesen zur Kulturtechnik des Video- recorders, in: Ders. (Hg.): Video – Apparat/Medium, Kunst, Kultur, Frankfurt/M. 1992, S. 91. 198 Der Magnetkopf des Videorecorders, durch den die Impulse geleitet werden, wird als „Schreibkopf“ be- zeichnet. 199 Siegfried Zielinski (1989), a. a. O., S. 236 f. 51

Bilder, das Überspringen oder beliebige Wiederholen einzelner Sequenzen oder die Verän- derung der Bausteine eines „Textes“. 200 Zum Gegenstand der Veränderung wird dabei nicht nur die Zeit des Inhalts, sondern ebenso die Zeit des Ausdrucks. 201 Da die auf dem Vi- deoband vergegenständlichte Zeit manipuliert werden kann, wird sie als verbrauchte Zeit er- fahrbar. 202

Gegenüber den bewegten Bildern im Film hatte die Schrift lange den Vorteil, dass im ge- schriebenen Text geblättert werden konnte, dass Textstellen unterstrichen oder markiert werden konnten für beschleunigte oder selektive weitere Lektüren. Mit dem Videorecorder sind diese Privilegien der Schrift an die bewegten Bilder weitergereicht worden. 203

Die Möglichkeit, die Zeit zu manipulieren, war es auch, die Paik bei seiner Arbeit mit Video besonders interessierte. 204 Darüber hinaus faszinierte ihn die Idee, dass Videotechnik in den Händen privater Fernsehnutzer das Fernsehgerät „umwandeln“ könne, so dass dieses nicht mehr nur „passivem Zeitvertreib“ dient, sondern zur aktiven und kreativen Zeitge- staltung genutzt werden kann. 205 Den „Einwegcharakter“ des Fernsehens aufzuheben, war seit seinen ersten Fernsehexperimenten ein Anliegen Paiks (s. III/4b).

Der Videorecorder hat zwar eine Vor- und Rückspultaste, bietet allerdings nicht die Mög- lichkeit von Random Access. Anders als beim geschriebenen Text, bei Schallplatten oder bei digitalen Medien ist es beim Videoband nicht möglich, direkt auf eine bestimmte Stelle zu- zugreifen. Paik trieb die Frage um, wie Random Access auch für die bewegten Bilder erreicht werden kann (III/4a).

3. Idee, Prozess und „Ästhetik der Realzeit“

Andy Warhol hatte in seiner Doppelprojektion Outer and Inner Space analysiert, wie die Me- dien Film und Video miteinander interagieren können, indem er Aufzeichnungs- und Wie- dergabefunktionen einander gegenüberstellte. 206 Dies ist aufschlussreich in Bezug auf die

200 Ebd. 201 Als Zeit des Ausdrucks und Zeit des Inhalts definiert Umberto Eco die beiden Komponenten von „Kunst- Zeit“ (s. Umberto Eco: Die Zeit in der Kunst. In: Michel Baudson: Zeit – Die vierte Dimension in der Kunst, Wein- heim 1985, S. 73). 202 Zielinski (1989), a. a. O. S. 237. 203 Ebd. 204 s. hierzu auch Paiks Aufsatz Random Access Infomation (IV/7). 205 z. B. im Aufsatz Projekte für elektronisches Fernsehen (1965), in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 113 f. 206 Zwei Monate bevor Paik die Portapak-Kamera gekauft und sein Band (nach Rückspulung auf einem an- deren Gerät) im Café au Gogo der Öffentlichkeit präsentiert hat, hatte Andy Warhol im August 1965 mit dem Norelco Video-Equipment sein erstes Videoband hergestellt, das Bestandteil seiner ersten Double-Screen- Filmvorführung war: In Outer and Inner Space (1965) wurde das zuerst aufgenommene Videoband auf eine 52

Frage der videospezifischen Möglichkeit der Wiedergabe: Indem das Bild derselben Person im gleichen Bild verdoppelt werden kann, zeigt sich der besondere „Live-Charakter“ von Video. 207

Im Unterschied zum Film, bei dem wir gewöhnt sind, dass Zeit komprimiert wird, können bei Fernsehen und Video Zeitabläufe als „Realzeit“ dargestellt werden. Bereits in den frü- hen 1960er Jahren war Realzeit auch Thema des Films geworden. In Andy Warhols frühen Filmen Sleep (1963) oder Empire (1964) ist der Zeitverlauf völlig unstrukturiert und es ge- schieht nichts anderes als dass jemand schläft oder acht Stunden lang das Empire State Building im Wechsel des Lichts zu sehen ist. Da wir mit Film die Verdichtung von Zeit verbinden, erfahren wir in solchen Filmen die Zeit als gedehnt. In Warhols Realzeit-Film Eat, in dem Robert Indiana 45 Minuten lang einen Pilz isst, wird der Eindruck der Zeitdeh- nung noch dadurch verstärkt, dass durch den Verzicht auf Ton die Handlung auf das Visu- elle reduziert ist. 208

Mit der Video-Aufzeichnungstechnik für zeitliche Abläufe gewinnt das scheinbar objektive Wiedererkennen realitätsanaloger Zeitstrukturen an Bedeutung. 209 Betrachtungszeit und medial vermittelte Zeit gleichen sich einander an, so dass Zeitabläufe außerhalb des Bildes und ihre auf Echtzeit basierte Simulation im Bild synchronisiert erscheinen. 210 Wenn Kunst sich auf die Unmittelbarkeit der Gegenwart konzentriert, wird zwangsläufig auch die Flüch- tigkeit der Zeit zum Thema. In prozessualer Kunst wird daher der Grundsatz der Einma- ligkeit und Unwiederholbarkeit, also der Irreversibilität der Zeit betont.

Die extrem geringe Veränderungsdichte bei Realzeit-Videos bedeutet für das subjektive Zeitempfinden, dass die Zeit sich zu dehnen scheint. „The time spent looking at an ‚empty‘ work, or one with a minimum of action, seems infinitely longer than action-and-detail-filled

Leinwand projiziert, auf der das Portrait von Edie Sedgwick in Lebensgröße wiedergegeben wird. Vor dieser Leinwand wird Sedgwick ein zweites Mal mit Film aufgenommen. Es ist zu sehen, wie Edie Sedgwick sich zu dem zuvor aufgenommenen Videobild von sich selbst in Beziehung setzt. So wird ein Dialog zwischen Edie Sedgwicks Bild im Video und ihrem Bild im Film aufgebaut. Interessant ist hier der Übergang von Film zu Video. Für die Herstellung eines Mediendialogs hatte Warhol Video als inneres Bild einer frame-within-frame- Struktur in einer Double-Screen-Filminstallation integriert. Das Resultat war „der Effekt eines Doppelpor- traits, in dem Edie Sedgwick im Film zu sehen ist, wie sie live mit ihrem zuvor aufgenommenen und wieder- gegebenen Portrait kommuniziert, als ob beide Bildebenen der gleichen Realität angehörten.“ Die Filminstal- lation verstärkt diesen Eindruck, indem sie im gleichen Bild Sedgwick und ihr Videobild zeigt. - s. Yvonne Spielmann, a. a. O., S. 129 f. 207 Ebd., S. 132. 208 s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 168. 209 s. Christian Spies: Die Trägheit des Bildes. Bildlichkeit und Zeit zwischen Malerei und Video, München 2007, S. 146. 210 Mit der mit der medientechnischen Entwicklung einhergehenden Synchronisierung befasst sich Knut Hickethier in: Ders.: Synchron. Gleichzeitigkeit, Vertaktung und Synchronisation der Medien, in: Werner Faulstich und Christian Steiniger (Hg.): Zeit in den Medien. Medien in der Zeit, München 2002, S. 111-129. 53

time.” 211 Wenn das Zeiterleben unmittelbar auf sich selbst fixiert ist und seine ständige Entstehung festhält, wird die Zeit als langweilig empfunden. Während es bei der Minimal Art um den Aspekt der Temporalität des Wahrnehmungsprozesses in Bezug auf das Raumerlebnis geht, steht bei der Ästhetik der „Realzeit“ die bewusste Wahrnehmung mini- maler Veränderungen innerhalb des zeitlichen Prozesses im Vordergrund. Sowohl für die Form- als auch für die Prozess-Wahrnehmung gilt: Wenn eine Situation zum Kunstwerk erklärt wird und das Werk im Akt der Rezeption entsteht, wird das Erleben der gegenwär- tigen Zeit „auf sich selbst zurückverwiesen – als ein sich des Prozesses bewusst werdender Prozess.“ 212

Indem sich Realzeit-Filme jeglicher Muster verweigern, die das zeitliche Erleben von Span- nung erzeugen, wird bewusst eine langsame Situationen geschaffen. Der konservierte Zeit- abschnitt wird dabei zwar in seiner realen Dauer abgebildet, ist aber nicht identisch mit der real abgelaufen Zeit, weil er mit dieser zeitlich auseinanderfällt.

If the image time is recorded, the taped aspect of the work becomes some- thing else, one of the fragments. This fragment can signify real time be- cause the temporal duration of the work is marched exactly with the tem- poral duration of the event, but it is no longer real time art because of temporal delay between occurrence and viewing.” 213

Nam June Paik war es 1964 auf geniale Weise gelungen, mit minimalem Einsatz diese zeit- liche Diskrepanz aufzuheben, als er bei der Filminstallation Zen for Film den Filmstreifen durch einen Streifen Rohfilm ersetzte (s. IV/1).

4. Prozessualität, Präsenz und Closed Circuit

Nicht nur bei Video, sondern auch beim Film ist es möglich, einen Zeitabschnitt in Realzeit zu konservieren. Im Unterschied zum Film ermöglicht Video aber darüber hinaus eine „Gleichzeitigkeit“ von Aufnahme und Wiedergabe. Das bei Video vertikal und horizontal laufende elektronische Signal konstruiert und rekonstruiert synchron elektronische Bilder in Kamera und Bildschirm. Diese Gleichzeitigkeit von Konstruktion (Aufzeichnung) und

211 Lucy R, Lippard/John Chandler: The Dematerialization of Art, in: Art International, Bd. 12, Nr. 2, Februar 1968, S. 31-36, zit. nach Nicoletta Torcelli: Video Kunst Zeit. Von Acconci bis Viola, Weimar 1996, S. 36. 212 Nicoletta Torcelli, a. a. O., S. 36. 213 Christy Sophia Park: Towards a Theory of Video Art, Diss. Columbus, Ohio, 1980, S. 107. Zit. nach ebd., S. 37. 54

Rekonstruktion (Ausstrahlung) begründet die videospezifische Prozessualität. Anders als die zeitlich vertikale Abfolge von Bild auf Bild im Film, spielt beim Bewegungsbild von Video zeitliche und räumliche Differenz für den Präsentationsmodus des Mediums keine notwendige Rolle. Darin ist Video den simultanen Möglichkeiten der in Echtzeit gerechne- ten und dargestellten digitalen Bilderzeugung verwandt. Anders als der Film, der „eine zeit- liche Differenz zwischen den Kadern benötigt (Intervall) und auch eine räumliche Diffe- renz zwischen Projektor und Projektionsfläche schafft (das Dispositiv, in dem auch der Betrachter situiert ist)“, haben elektronische Bewegtbilder keine zeitlich-räumliche Ausdeh- nung. 214 Die lineare Zeilenstruktur bei Video wird unterbrochen und synchronisiert und stellt „fließende Diskontinuität“ her. 215

Technische Voraussetzung für den Präsenzcharakter von Video ist der transformative Pro- zess in der Fließbewegung elektronischer Signale. Unmittelbar am Ort des Betrachters wer- den zeitbasierte Medienbilder ausgestrahlt, die durch Flexibilität und Inkonsistenz gekenn- zeichnet sind und das Medium Video mit dem Fernsehen verbinden, dem die gleiche Tech- nologie zugrunde liegt. Fernsehübertragungen beruhen auf demselben Präsenzcharakter und derselben unabgeschlossene Bildlichkeit wie Video. 216

Im Unterschied zum transitorischen Filmbild „präsentiert“ das elektronische Bild in unmit- telbarer Präsenz die Information der geschriebenen Zeilenbilder. An die Stelle der sukzes- siven Abfolge von Bildern tritt das Bilderschreiben, bei dem das festgelegte Format von links oben nach rechts unten ständig aufs Neue gescannt wird. 217

Die videospezifische Gleichzeitigkeit von Aufnahme und Wiedergabe bedeutet, das künst- lerische Agieren vor der Videokamera beinhaltet eine Aktualität, die bei Filmaufnahmen nicht möglich ist. Die Möglichkeit, die Aktion vor der Videokamera direkt zu kontrollieren, hat auch Auswirkungen auf die Aktion selbst. 218

In Les Levines Installation Slipover (1966) 219 wurde erstmals im künstlerischen Kontext das Video-Rückkopplungsverfahren (Closed Circuit) eingesetzt und damit die Möglichkeit der unmittelbaren Wiedergabe der elektromagnetisch aufgezeichneten Bilder genutzt. Durch Umleitung auf ein zweites Abspielgerät verzögerte Levine die Wiedergabe der Bilder, so

214 Yvonne Spielmann, a. a. O., S. 81. 215 Ebd. 216 Ebd., S. 83. 217 Ebd., S. 50 f. 218 Nicoletta Torcelli, a. a. O., S. 36 f. 219 Les Levine: Slipover (1966), ausgestellt in der Art Gallery of Ontario in Toronto. 55

dass die Ausstellungsbesucher ihr Verhalten in der unmittelbaren Vergangenheit (fünf Se- kunden zuvor) beobachten konnten. Das Closed-Circuit-Verfahren nutzt das videospezifi- sche Charakteristikum, mittels Rückkopplung eine Aufnahme simultan wiederzugeben und integriert die Augenblicklichkeit einer Situation in das Kunstwerk. Der Körper des Rezipi- enten wird bei solchen Installation mit einbezogen. Der Künstler gibt eine Situation vor, das konkrete Kunstwerk entsteht erst durch die aktive Teilnahme der Betrachter und ver- ändert sich ständig. 220

Anders als bei der „aufgehobenen Präsenz“ des Films oder des Videobandes, die nur die Gegenwart der Vergangenheit zeigen können, eröffnet die Closed-Circuit-Technik die Möglichkeit, die Präsenz zum Ausdruck zu bringen. Beim Rückkopplungsverfahren zeigt das Videobild den Körper – wie ein Spiegelbild - „von außen“, doch im Unterschied zum Spiegelbild kann sich der Mensch nun erstmals in Bewegung sehen, ohne sich anzuschauen. Während das Abbild im Spiegel als Gegenüber wahrgenommen wird, da der Blick auf die eigene Figur gerichtet sein muss und das Spiegelbild deshalb statisch bleibt, wird dieses Schema durch das Closed-Circuit-Verfahren durchbrochen. 221

V. Texte: Nam June Paik über Video und Zeit

„Video ist ein Modell des Lebens“, sagt Paik 1980 in einem Vortrag im Museum of Modern Art in New York, in dem er den Zusammenhang von Video und Leben am Beispiel der Farb- und Zeitwahrnehmung erläutert und erklärt, warum bei Video Farbe eine Funktion der Zeit ist (s. V/3). 222 Da Video Zeit imitiere, habe er durch seine Arbeit mit Video viel über das Leben gelernt, sagt Paik hier. 223 Um das Verhältnis von Video und Zeit geht es auch in einem Brief Paiks an die Zeitschrift Radical Software (1972), in dem er über die Ver- änderung unseres Zeitbewusstseins durch Video schreibt (s. VI/3). 224 Die Diskrepanz von

220 Nicoletta Torcelli, a. a. O., S. 38. 221 Ebd., S. 38 f. 222 Nam June Paik: Random-Access-Information. Vortrag von Nam June Paik am 25. März 1980 im Museum of Modern Art, New York. Die Veranstaltung fand innerhalb der von Barbara London organisierten Reihe „Vi- deo View-points“ statt. Aus: Artforum, September 1980, S. 46-49. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145-152. 223 Ebd., hier: 146 f. 224 Brief von Paik an die Herausgeber und Redaktionsmitglieder der Zeitschrift Radical Software. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O.., S. 80 ff. 56

„Input-Zeit“ und „Output-Zeit“, mit dem sich Paik im selben Jahr im Text Kommunikati- onskunst 225 (V/1) beschäftigt, ist auch Thema im vier Jahre danach entstandenen Aufsatz Input-Zeit und Output-Zeit 226 (V/2), der sich mit der Relation von „Maschinenzeit“ zu „Men- schenzeit“, also von Eingangssignalen zur menschlichen Wahrnehmung, auseinandersetzt. Die nichtlineare Zeitstruktur von Videobändern vergleicht Paik mit der von Träumen (im 1985 erschienenen Text Helga Retzer in Memoriam – Tagtraum (V/5)). 227

1. Videozeit und Lebenszeit

„Mensch = Medien = Selektion“ – Diese Gleichung des Physikers Erwin Schrödinger cha- rakterisiert nach Paik die „Input-Überlastungssituation“ seiner Zeit. 228 In seinem 1972 er- schienenen Text Kommunikationskunst, in dem er sich mit der Diskrepanz von Input- Zeit und Output-Zeit auseinandersetzt, diagnostiziert er in Bezug auf das „Verhältnis von Eingangssignalen zur menschlichen Wahrnehmung“ sowie in der Relation von „Maschi- nenzeit“ und „Menschenzeit“ einen „negativen Logarithmus“. 229 Damit meint er, dass im Amerika der beginnenden 1970er Jahre die Lebensdauer bzw. die Zeit im Wachzustand nicht so schnell wächst wie der „Exponentialsprung“ der Eingangssignale, mit dem die Menschen konfrontiert sind. Es fehlt also Zeit, diese Impulse „verdauen“ bzw. verarbeiten zu können. In diesem Zusammenhang erwähnt Paik den Versuch einiger „Abenteurer in der ZEIT“, mit Hilfe von Aufputschmitteln mit weniger Schlaf auszukommen und so die Zeit im Wachzustand zu vergrößern, um mit der Entwicklung der vermehrten Eingangs- signale mitzuhalten. 230 „Viele parallel laufende Schichten von ‚Maschinenzeit‘ verschlingen meine Identität“, hatte Paik bereits zwei Jahre zuvor geschrieben. 231 In der Diskrepanz im Verhältnis von Input und Output sieht Paik das fundamentale Problem seiner Zeit. Die

225 Nam June Paik: Kommunikationskunst. Exzerpt aus dem Aufsatz Aimez-vous Baudelaire? für eine Ausstellung von Douglas Davis, Events Drawings Objects Videotapes im Everson Museum of Art, Syracuse, New York 1972. Aus: Kat. Nam June Paik: Videa’n’Videology 1959-1973, Everson Museum of Art, Syracuse, N. Y. 1974, o. S.; in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 136-138. 226 Nam June Paik: Input-Zeit und Output-Zeit, aus: Ira Schneider und Beryl Korot (Hg.): Video Art. An Anthology. New York/London 1976, S. 98. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 139 f. 227 Nam June Paik: Helga Retzer in Memoriam – Tagtraum. Aus: Kat. Wirken und Wirkung. Ein Salut von 80 Künstlern für Helga Retzer, hg. vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD, Berlin 1985, o. S., in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 174 f. 228 Nam June Paik: Kommunikationskunst, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 136-138, hier: S. 136. 229 Ebd. 230 Ebd. 231 Nam June Paik: Video Synthesizer Plus, erschienen in: Radical Software Nr. 2, 1970, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 130 f., hier: S. 130. 57

Folge sei die Schaffung einer „künstlichen Output-Einheit“, z. B. in Form einer Gesprächs- therapie beim Psychiater, deren Ziel es nach Paiks Verständnis ist, durch Reden das beste- hende Missverhältnis von In- und Output auszugleichen. 232

In der Elektronik führt eine Verstärkung der Signale dazu, dass am Ende der Geräuschanteil des Zielsignals stärker ist als die nützliche Information. Paik veranschaulicht dieses Problem mit einem Beispiel aus dem Bereich der Printmedien: Bei einer Zeitschrift führe die Ver- größerung der Auflage zu einer Verminderung der Qualität. Dies führt Paik zur Erweite- rung der obigen Schrödingerschen Gleichung zu: „Mensch = Medien = Selektion = Elimi- nation“. 233

Die Antwort auf die Frage, wie Künstler mit dem veränderten Verhältnis von Maschinen- zeit und Menschenzeit umgehen sollten, findet Paik in einem Gedicht aus Charles Baudelaires Blumen des Bösen: 234

Die Natur ist ein Tempel, wo aus lebendigen Pfeilern zuweilen / wirre Worte dringen; der Mensch geht dort durch Wälder von / Symbolen, die mit vertrauten Blicken ihn beobachten. 235

Für Paik stellt sich in diesem Gedicht das Verhältnis von Kunst und Kommunikation dar. Ersetze man Baudelaires Begriff „Natur“ durch die „pankybernetisierte ‚Video-Sphäre‘“, so ließe sich aus allen Worte und Anspielungen des Gedichtes eine klare Definition der Auf- gaben eines Künstlers als „Antenne der Gesellschaft“ ableiten. 236 Paiks im darauffolgenden Jahr entstandenes Videoband Global Groove vermittelt eine Vorstellung davon, wie er diese

232 Da er selbst sich dieses „Hobby“ nicht leisten könne, so Paik, verbringe er täglich zwei Stunden auf der Toilette und lese dabei acht Wochenzeitungen, vier Monatszeitungen und drei Tageszeitungen. Auf diese Weise erreiche er eine Vergrößerung seiner Output-Einheit bzw. eine Absenkung der „Impedanz des Out- puts“. Dies erinnert Paik an ein von George Maciunas für Ben Vautier organisiertes Fluxus-Ereignis, bei dem an die Teilnehmer ohne Vorwarnung Abführschokolade verteilt worden war. Paik bezeichnet diese Veran- staltung als seine Interpretation eines Stückes von Douglas Davis, in dem die Betrachter nur die Rückseite eines Fernsehers anschauen sollten. Hier habe eine „übernatürliche Transfiguration“ stattgefunden, denn es sei nur noch „das mystische Glühen einer 60-Hertz-Schwingung“ zu sehen gewesen - s. Nam June Paik: Kommunikationskunst, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 136-138, hier: S. 138. 233 Ebd., hier: S. 137. 234 Charles Baudelaire: Les Fleurs du Mal (erschienen 1857). Das Werk enthält eine Sammlung von 100 Gedich- ten, die ab 1840 entstanden sind und die durch Desillusion, Pessimismus und Melancholie gekennzeichnet sind. Anders als bei den Romantikern erscheint die Realität darin als überwiegend hässlich und morbide, der Mensch als hin- und hergerissen zwischen den Mächten des Hellen und Guten und denen des Dunklen und Bösen. Neu war die Integration der Welt der Großstadt in die Lyrik, die als abstoßend und düster beschrieben wurde – entsprechend der Realität im übervölkerten, explosionsartig wachsenden und schmutzigen Paris der Zeit. Sechs der Gedichte wurden von einem Pariser Kritiker als obszön oder blasphemisch denunziert und führten zu einem Strafprozess wegen „Beleidigung der öffentlichen Moral“ und zur Verurteilung Baudelaires. Aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_Baudelaire (25.2.2015). 235 Nam June Paik: Kommunikationskunst, a. a. O., hier: S. 137. 236 Ebd. 58

Aufgabe verstanden hat. Das Band erscheint als Realisation seiner hier entwickelten Theorie - als Methode, mit den Mitteln der Videotechnik seine hier aufgestellten Forderungen an den Künstler zu erfüllen (s. VIII/1).

Seine Vorstellung von zeitgenössischer Kunst, die auf die veränderte Situation des Verhält- nisses von In- und Output reagiert, beschreibt Paik als „Mystik der Kommunikationskunst auf der Ebene Charles Baudelaires und Ray Johnsons“. Zur Illustration beendet er den Text mit einem weiteren Gedicht aus Die Blumen des Bösen, das verschiedene Sinneswahrnehmun- gen (wie Düfte, Geschmäcker, Farben und Klänge) mit der Wahrnehmung von Zeit ver- bindet:

Düfte gibt es, frisch wie das Fleisch von Kindern, süß wie Hoboen, grün wie Wiesen, - und andere, zersetzt, üppig und triumphierend, / Ausdehnend sich Unendlichkeiten gleich, so Ambra, Moschus, Benzoe und Weihrauch, die die Verzückungen des Geistes und der Sinne singen. 237

2. Raumkunst und Zeitkunst, Dehnung und Verdichtung von Zeit

Vier Jahre später greift Paik im Aufsatz Input-Zeit und Output-Zeit 238 Gedanken aus Kommunikationskunst auf und präzisiert seine Überlegungen zum Verhältnis von „Maschi- nenzeit“ zur „Menschenzeit“, also zur Relation von Eingangssignalen zur menschlichen Wahrnehmung. Bei seiner Reflexion über das Verhältnis von Zeit in der Videokunst zu Zeit im Leben stellt Paik nun die Zeitmodelle von Isaac Newton und Henri Bergson gegenüber: Nach der Vorstellung Newtons sei Zeit reversibel, bei Bergson dagegen irreversibel, schreibt Paik – ohne dies näher zu erläutern. 239

237 Ebd., hier: S.138. 238 Nam June Paik: Input-Zeit und Output-Zeit, aus: Ira Schneider und Beryl Korot (Hrsg.): Video Art. An An- thology. New York/London 1976, S. 98. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 139 f. 239 Norbert Wiener hat 1948 die unterschiedlichen Zeitbegriffe von Isaac Newton und Henri Bergson analy- siert (im Aufsatz Newtonscher und Bergsonscher Zeitbegriff, in: Pias, Claus u. a.: (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard, Stuttgart 1999, 4. Aufl. 2002, S. 432-445). - Nach dem Satz von Newton (1687) fließt „die absolute, wahre und mathematische Zeit […] von sich aus und vermöge ihrer eige- nen Natur gleichmäßig und ohne Beziehung zu irgend etwas Äußerem.“ - Zitiert nach Rudolf Wendorff: Zur Erfahrung und Erforschung von Zeit im 20. Jahrhundert. In: Hannelore Paflik (Hg., 1987), a. a. O., hier: S. 76 f. - Anfang des 20. Jahrhunderts trat an die Stelle einer solchen allgemein verbindlichen Zeitautorität für den uns einschließenden Kosmos ein System von Relationen, bei dem es weder eine absolute Vergangenheit und Zu- kunft noch eine absolute Gegenwart gibt, die sich im gleichen Augenblick überall durch den Raum erstreckt (s. ebd., S. 76 f.). - Bergson stellte zwei Zeitbegriffe einander gegenüber: „temps“ und „durée“. Unter „temps“ versteht er „die abstrakte und verräumlichte, gegliederte Uhrenzeit“, die er sich als „eine Summe statischer Momente“ vorstellt. Mit „durée“ meint er „die lebendige, im Strömen übergreifende Dauer im menschlichen Bewußtsein“. - s. ebd., S. 76 f. 59

Ausgangspunkt von Paiks Überlegungen ist Lessings Unterscheidung von Raumkunst und Zeitkunst im 18. Jahrhundert. 240 Paik erfährt diesen Unterschied bei seiner Arbeit mit dem zeitbasierten Medium Video: „Video bedeutet Ausschluss“, denn es ist nicht möglich, zur selben Zeit zwei Fernsehprogramme oder zwei Videofilme anzuschauen. 241

In seiner Auseinandersetzung mit der Irreversibilität und Begrenztheit von Zeit zitiert Paik Napoleons Satz über die Unmöglichkeit, verlorene Zeit zurück zu gewinnen. Wie Öl sei Zeit eine sehr begrenzte Ressource. Der Grund für die Begrenztheit von Öl sei, dass für seine Produktion – im Unterschied zum Anbau von Getreide – „geologische Zeit“ erfor- derlich ist. Ein Kunstsammler könne zwar einen großen Raum kaufen für seine Gemälde, doch er könne sich keine Zeit kaufen, um sein Leben zu verlängern. Zeit sei das Gegenteil von Geld, denn man habe umso weniger Zeit, je mehr Geld man besitze. 242 Paik vergleicht die unterschiedliche Rezeption von „Raumkunst“ und „Zeitkunst“ und schreibt über seine Beobachtung, dass es Kunstliebhabern zwar nichts ausmache, in einem Museum „Hunderte von mittelmäßigen Gemälden“ anzusehen, sie aber nicht bereit seien, sich auch nur einen Teil eines nur mäßig interessanten Filmes oder Bühnenstücks anzu- schauen. Den Grund für die „Verwirrung“ in der Beurteilung von Videokunst sieht Paik im Mangel an Kategorien zur Unterscheidung von „gute[r] und langweilige[r] Kunst“ und „schlechter und langweiliger Kunst“. Langeweile ist nach seinem Verständnis nichts Nega- tives, in Asien sei sie vielmehr ein „Zeichen von Aristokratie“. Die negative Bewertung von Langeweile hält Paik für ein Missverständnis, das auf der „Verwechslung von INPUT-Zeit und OUTPUT-Zeit“ beruhe. 243 Die Weigerung einiger Videokünstler, zu schneiden oder die Zeitstruktur von Performances oder den zufälligen Zeitablauf zu verändern interpretiert Paik als „Übereifer“, sich von der kommerziellen Fernsehunterhaltung abzugrenzen bzw. als das Bestreben, „die Reinheit der Information oder der Erfahrung zu bewahren“. Das bedeute, dass diese Videokünstler da- rauf bestehen, dass „Input-Zeit“ und „Output-Zeit“ gleich sind. In unserem wirklichen Le- ben („live life“) sei das Verhältnis von „Input-Zeit“ und „Output-Zeit“ jedoch wesentlich komplexer: So könne z. B. in Extremsituationen oder im Traum „unser gesamtes Leben,

240 In seiner 1766 erschienenen kunsttheoretischen Schrift Laokoon hatte Lessing die grundlegenden Unter- schiede zwischen bildender Kunst und Literatur herausgearbeitet und damit entscheidend in die ästhetischen Diskussionen seiner Zeit eingegriffen (Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei und Poesie, Berlin 1766). 241 Nam June Paik: Input-Zeit und Output-Zeit, aus: Ira Schneider und Beryl Korot (Hrsg.): Video Art. An An- thology. New York/London 1976, S. 98. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 139 f., hier: S. 139. 242 Ebd., hier: S. 139 f. 243 Ebd., hier: S. 139. 60

komprimiert zu einem Sekundenbruchteil, im Rückblick erfahren werden“, wie z. B. Über- lebende von Flugzeugabstürzen oder Unfällen berichten. Oder man könne wie Marcel Proust „über ein kurzes Kindheitserlebnis praktisch ein ganzes Leben in der Isoliertheit eines schalldichten Raumes brüten.“ Das heißt, es ist möglich, eine gewisse „Input-Zeit“ bewusst in „Output-Zeit“ zu dehnen oder zu verdichten. In dieser „Metamorphose“ (die nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität betreffe) sieht Paik ein charakteristisches Merkmal unserer Gehirnfunktion. Daher fasst er den Vorgang des Schneidens von Video- bändern als „Simulation dieser Gehirnfunktion“ auf. 244

3. Random Access Information (1980) 245 a) Input und Output, Erinnern und Vergessen

Vier Jahre zuvor hatte Paik sich (im Aufsatz Input-Zeit und Output-Zeit) mit dem Problem bei der Rezeption von Videokunst beschäftigt, das für ihn darin liegt, dass sie aufgrund ihrer Zeitgebundenheit erheblich mehr Zeit in Anspruch nimmt als die anderer Kunstgattungen wie Malerei oder Skulptur. Nun verdeutlicht Paik dieses Ungleichgewicht, indem er die Si- tuation eines Videokurators beschreibt, der sich in seiner Arbeit mit dem Problem konfron- tiert sieht, dass das Ansehen von Videobändern mit viel größerem Zeitaufwand verbunden ist als das Ansehen von Gemälden. 246 Da wir über das „elektronische Gedächtnis“ verfü- gen, sei es nicht mehr möglich, zu vergessen, schreibt Paik. Sich an alles oder an zu viel zu erinnern, führe jedoch zu Paranoia. 247

b) Farbe als Funktion der Zeit und Video als Modell des Lebens

In seinen mehrere Denkebenen verschränkenden Reflexionen über den Zusammenhang von Farbwahrnehmung und Video und kommt Paik zu dem Schluss: „Video ist ein Modell des Lebens.“ 248 Paik geht aus von einer Theorie des Paläoanthropologen Richard Leakey249,

244 Ebd., hier: S. 140. 245 Nam June Paik: Random Access Information. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145-152, hier: S. 145. 246 Ebd. 247 Ebd. 248 Ebd., hier: S. 146. 249 Richard Leakey (geboren 1944) gehört zu einer weltweit bekannten Familie bedeutender Paläoanthropo- logen. Seine Funde verschafften ihm in den USA zeitweise eine so große Popularität, dass ein Foto von ihm 61

die besagt, dass die Menschen seit 50 Millionen Jahren Farben wahrnehmen können, davor aber die Affen Nachttiere gewesen seien, die während des Tages schliefen und in der Nacht im Wald herumliefen. Als sie (vor 50 Millionen Jahren) aus dem Wald hinaus wanderten und Tagtiere wurden, begannen sie, farbige Bilder wahrzunehmen. Der Grund für die Far- bigkeit der Blumen ist, dass Honigbienen angelockt werden sollen. Hätten Honigbienen keine Farbwahrnehmung, müssten die Blumen die Bienen allein durch ihre Form anlocken. Dann wären alle Blumen schwarz-weiß, doch ihre Formen wären „sehr viel exquisiter […] als jetzt“. 250

Da man mit Video „seine eigene Anthropologie erarbeiten“ und damit etwas über das Le- ben erfahren könne, stelle Video ein „Modell des Lebens“ dar, sagt Paik. 1969 hatte er begonnen, zusammen mit dem japanischen Ingenieur Shuya Abe einen Video-Synthesizer zu entwickeln – ein Gerät, mit dem alle Formen, Farben und Bewegungsabläufe künstlich hergestellt werden konnten (s. VIII/1). Dabei beschäftigte er sich intensiv mit den techni- schen Grundlagen farbiger Fernsehbilder. Erst durch seine Arbeit mit Video, so sagt er, habe er gelernt, dass „Farbe eine Funktion der Zeit“ ist. 251 Er illustriert dies wiederum mit Beispielen aus der Natur. Farben seien nie zufällig, jede Jahreszeit hat ihre eigenen Farben. Nach demselben Prinzip funktioniere auch das Videofarbsystem: Jede Zeit hat ihre Farbe. 252

Das Aufbauen der Zeilen beim Fernsehbild vergleicht Paik mit Weben. Der Unterschied zwischen Weben und Fernsehen liege jedoch in der viel größeren Geschwindigkeit sowie darin, dass „Fernsehen unaufhörlich webt und das Bild nach neuen Mustern stets aufs Neue gewebt und wieder gewebt werden kann“. 253 Die Technik des Farbfernsehens be- schreibt Paik so: „In den 50er Jahren sind Fernseher mit nur einer Zeile entwickelt worden.

1977 als Titelbild auf einer Ausgabe der Zeitschrift Time erschien. 1989 endete seine paläoanthropologische Tätigkeit, nachdem er zum Leiter des Kenya Wildlife Service ernannt worden war. Seine Restrukturierungs- maßnahmen führten innerhalb kurzer Zeit zu einem erheblichen Rückgang der Wilderei in den Nationalparks. Bei einem Flugzeugabsturz verlor Richard Leakey 1993 beide Beine unterhalb des Knies, weshalb er 1994 von diesem Posten zurücktrat. 1995 beteiligte er sich aktiv an der Gründung der oppositionellen Partei Safina. Er engagierte sich gegen die verbreitete Korruption in Kenia, wodurch er in den folgenden Jahren das Opfer politisch motivierter Beschuldigungen wegen angeblichen Missmanagements, Rassismus und Kolonialismus wurde. Leakey wurde wiederholt mit dem Tode bedroht und von der Regierung politisch überwacht, gilt aber noch immer als eine der angesehensten Persönlichkeiten des Landes und als Autorität auf dem Gebiet des Umwelt- und Naturschutzes. Seit seinem erzwungenen Rückzug aus der offiziellen Politik hat er sich auf eine Art Guerilla-Taktik verlegt: Er hält Reden, um die Menschen politisch aufzurütteln, und setzt sich dann wieder an einen sicheren Ort ab. - http://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Leakey (12.2.2015). - Anfang 2015 wurden Pläne von Angelina Jolie für einen Film über Leakeys Leben bekannt. 250 Nam June Paik: Random Access Information. Aus: Artforum, September 1980, S. 46-49. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145-152, hier: S. 146. 251 Ebd. 252 Ebd., hier: S. 146 f. 253 Ebd., hier: S. 146. 62

Weil Fernsehraum nicht existiert, musste alle räumliche Information in Linien und Punkte ohne Ausdehnung übersetzt werden, damit das Signal ohne Kabel auf einem einzigen Kanal übermittelt werden konnte. Sie mussten auch alle Farben in diese eine Linie bringen.“ 254 Deshalb sei „eine Art Sozialkontrakt“ entwickelt worden. Die Sub-Carrier-Welle hat eine Länge von einer Sekunde geteilt durch dreieinhalb Millionen. Diese Wellen werden wie- derum in viele Phasen unterteilt. Es gebe z. b. sieben Phasen, die Regenbogenfarben reprä- sentieren. „Das erste Siebtel dieser kurzen Strecke wird Blau genannt; das nächste Siebtel dieser Welle wird Gelb genannt; das nächste Orange; dann Magenta etc.“ 255 Der Stromkreis öffnet und schließt sich 21 Millionen Mal pro Sekunde, dabei werden die Farben in der Folge abgerufen. „Wie in der Natur generiert beim Fernsehen die Abfolge von sehr, sehr schneller Zeit die Farbe.“ 256 Dieser Prozess beruhe auf einem „Gesellschaftsvertrag“: „Wenn man Filme macht, färbt man die Chemie mit der Natur durch die Linse. Aber beim Fernsehen gibt es keine direkte Beziehung zwischen der Wirklichkeit und den Bildern, nur Codierungssysteme. Also müssen wir uns mit der Zeit auseinandersetzen.“ 257

c) Videoband und Zeitwahrnehmung

Wie (nach Platon) die bildenden Künste die Natur imitieren sollen und die Musik das Lied eines Vogels oder den Arbeitsrhythmus imitieren, so imitiere Video die Zeitkomponente und den realen Vorgang des Alterns, sagt Paik. Video- oder Tonband wickelt sich am An- fang sehr langsam ab und zum Ende des Bandes immer schneller. Diesen Vorgang ver- gleicht Paik mit der Art, wie wir Zeit erleben: Blickt man auf sein eigenes Leben zurück, erscheinen einem die Tage der Kindheit sehr lang. Je älter man wird, umso schneller schei- nen die Tage zu verstreichen. Unser Bewusstsein von Zeit und davon, wie wir das Vergehen von Zeit erfahren, verhalte sich also genauso wie ein Videoband. Zeitbewusstsein imitiere Bandspulen. Dies sei nicht ungewöhnlich, denn das Band besitze dieselbe Struktur wie die Bäume. „Also imitiert das Band die Bäume, und wir imitieren Bandrollen“. 258

d) Reversible und irreversible Zeit

254 Ebd. 255 Ebd., hier: S. 146 f. 256 Ebd., hier: S. 147. 257 Ebd., hier: S. 146 f. 258 Ebd., hier: S. 147. 63

„Mit dem Videoband imitieren wir Gott nur in etwa, indem wir alles aufzeichnen“, schreibt Paik. 259 Während wir aber Videoband zurück spulen können, ist das im realen Leben nicht möglich: Unser Leben können wir nicht zurückdrehen. „Der Videorecorder hat ‚schnellen Vorlauf‘, ‚Rückspul-‘ ‚Lauf-‘ und ‚Stop‘-Knöpfe. In unserem Leben dagegen gibt es „nur einen Knopf [….] – ‚Lauf‘“. 260 Mit der „Gott herausfordernde[n] Apparatur“ Betamax 261 sei es möglich geworden, die Anfangszeiten von Fernsehsendungen zu verschieben. Im menschlichen Leben dagegen ist eine vergleichbare Manipulation von Zeit nicht möglich. Könnten wir in die Zukunft schauen, würden wir unser Leben oft anders planen. Doch diese Möglichkeit gibt es nicht, denn das Leben hat keinen „schnellen Vorlauf-“ oder „Rückspul-Knopf“. „So bewegt man sich Schritt für Schritt vorwärts, und wenn man einen Fehler macht, versucht man, ihn mit einem anderen Fehler zu korrigieren.“ 262 Lehrer ver- gleicht Paik mit Betamax, denn sie seien in der Lage, ihrem Schüler „‘schnellen Vorlauf‘ [zu] geben“. 263 Damit meint er vermutlich, dass ein Lehrer eher in der Lage ist, die Folgen unserer gegenwärtigen Entscheidungen in der Zukunft vorauszusehen als wir selbst. In ei- nem fünf Jahre später erschienenen Text bezeichnet Paik Lehrer daher auch als „Zeitver- schiebungsmaschinen“. 264

e) Zeitgebundene Information und Random-Access-Information

Der Unterschied zwischen zeitgebundener Information und Random-Access-Information liegt im Prozess des Abrufens. Die älteste Form von Random-Access-Information ist das Buch. Videobänder sind dagegen zeitgebundene Information. Darin sieht Paik den „Grund, weshalb Videobänder so langweilig und Fernsehen so schlecht ist. […]“. 265 Da zeitgebun- dene Information noch neu sei, hätten die Menschen noch nicht gelernt, diese beim Auf- nehmen und Abspielen gut zu strukturieren. Er erläutert dies am Beispiel der Encyclopedia Britannica. Diese sei deshalb nicht langweilig, weil man Zugang zu jeder Seite und jedem

259 Ebd., hier: S. 149. 260 Ebd. 261 Betamax ist der Markenname eines von Sony in den 1970er Jahren entwickelten Halbzoll-Magnetband- systems zur Aufzeichnung von analogen Video- und Audiosignalen. Betamax wurde für den Endverbraucher- markt entwickelt und kam zuerst in den USA und Japan auf dem Markt. Die Einführung in der Bundesrepub- lik Deutschland erfolgte 1978. Im „Formatkrieg“ konnte sich Betamax nicht gegenüber VHS von JVC durch- setzen (http://de.wikipedia.org/wiki/Betamax (7.2.2015)). 262 Nam June Paik: Random Access Information, a. a. O., hier: S. 149. 263 Ebd. 264 Nam June Paik: Helga Retzer in Memoriam – Tagtraum. Aus: Kat. Wirken und Wirkung. Ein Salut von 80 Künstlern für Helga Retzer, hg. vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD, Berlin 1985, o. S., in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 174 f., hier: S. 174. 265 Nam June Paik: Random Access Information, a. a. O., hier: S. 149. 64

Buchstaben der Enzyklopädie hat. Videobänder oder Fernsehen dagegen müsse man in der Abfolge A, B, C, D, E … sehen. „Deshalb ist das Buch lebendig und wird es bleiben, bis die elektronische Information das Problem von Random Access überwunden haben wird.“ 266 Wie so oft hat Paik auch hier eine Entwicklung antizipiert, die in der nahen Zukunft einsetzte. Was im Jahr 1980 noch Vision war, ist wenig später durch zunehmende Verbrei- tung digitaler Medien in allen Bereichen unseres Alltags selbstverständlich geworden.

Dass die zeitgebundenen Künste Musik und Tanz erfolgreicher sind als die Malerei, erklärt Paik mit ihrer viel älteren Geschichte. Er bezieht sich wiederum auf Leakey, der gesagt habe: Der Grund für die Entstehung der Malerei vor 20.000 Jahren sei gewesen, dass Ackerbau- gesellschaften entstanden und die Menschen sesshaft geworden sind. Davor hätten die Menschen 2000 Meilen im Jahr zurückgelegt und deshalb keine Gemälde transportieren können. Musik, orale Dichtung und Tanz seien die einzigen Künste gewesen, die Menschen mit sich nehmen konnten („Kunstformen ohne Gewicht, die im Gehirn aufbewahrt werden konnten“). 267 In seiner charakteristischen Weise, mehrere Themenbereiche miteinander zu verschränken, leitet Paik aus diesem „Gewichtsproblem“ auch die Öl- und Energiekrise ab: Für Millionen von Jahren haben wir, um einen 60 Kilogramm schweren Körper zu bewe- gen, nur diesen 60 Kilogramm schweren Körper bewegt. Wenn wir nun aber einen Körper von 60 kg bewegen wollen, bewegen wir ein 300 kg schweres Auto. 268 Hierin sieht die Paik die Ursache für das Problem mit der knappen Ressource Öl. Die einzige Möglichkeit, die Situation zu meistern, sieht Paik darin, das Öl überflüssig zu machen, indem wir „unsere Ideen […] bewegen, ohne unsere Körper überhaupt von der Stelle zu bewegen“. 269 Hierfür habe er den Begriff „sesshafter Nomade“ geprägt. Da wir aber noch nicht so weit seien, sondern – statt die gegenwärtige Situation zu verstehen - Ruinen ausgraben, um die Ver- gangenheit zu verstehen, führt er als neuen Begriff „Archäologie des JETZT“ ein. 270

Zum Random-Access-Problem beim Videoband greift Paik eine Idee von John Cage auf, der 1958 über eine Komposition gesprochen hatte, die, wie eine Enzyklopädie, keine Ab- spielzeit haben sollte – elektronische Musik, „die in drei Sekunden oder 30 Stunden zu spielen sei“. Damit habe Cage das Problem der unveränderbaren Längen von Audio- und Videoband erkannt. Die Lösung dieses Problems sieht Paik in der Kombination von Video und Random Access. Er äußert seine Hoffnung, dass es bald möglich sein wird, sich bei

266 Ebd., hier: S. 149 f. 267 Ebd., hier: S. 150. 268 Ebd. 269 Ebd. 270 Ebd. 65

Video bald vollständig vom Bandformat zu lösen – durch digitale Aufzeichnungsverfahren. 271

Von der bald zu erwartenden Digitaltechnik verspricht sich Paik auch die Lösung des zuvor beschriebenen Transportproblems in der bildenden Kunst. Künftig werde nur das Kunst- werk überleben, das kein Gewicht hat. In naher Zukunft, so prophezeit Paik, seien Gemälde programmierte „elektronische Tapeten“, die per „Programmkarte“ einfach verschickt wer- den können. 272 Bei allem Optimismus weist er aber auch auf die Grenzen technischen Fort- schritts hin, wenn er im „Postscriptum“ betont, dass sich John Cages Arbeit mit Medien der Aufzeichnung widersetzt. Cages „elektronische Musik LIVE“ könne „niemals auf Au- dio- oder Videodisc gepresst werden […]“, denn bei ihr handle es sich um eine „komplette ZEIT-RAUM-Kunst“. 273

4. Geschwindigkeit und Zeit von Transport und Kommunikation

„Gründliches Video-Studium muss mit dem Pferd beginnen“, schreibt Paik zu Beginn sei- nes 1981 entstandenen Essays Vom Pferd zu Christo, in dem er sich mit dem Verhältnis der Geschwindigkeit von Transport- und Kommunikationsmedien beschäftigt. 274 Aus- gangspunkt der Überlegungen ist die Erfindung des Telefons im Jahr 1863, die – wie auch der im selben Jahr erfundene Impressionismus – das Newtonsche Weltbild ins Wanken gebracht habe. Denn seit die Affen vor 30 Millionen Jahren begonnen hätten herumzurei- sen sei - bis zur Erfindung des Telefons - das schnellste Kommunikationsmedium nie schneller als das schnellste Transportmedium gewesen. Dies sei vor allem deshalb bedeut- sam, weil 90 Prozent unserer Entscheidungen ohne direkten Kontakt getroffen würden und die Trennung von Transport und Kommunikation die rasant anwachsende Menge von Ent- scheidungen überhaupt erst ermöglicht. Dadurch habe sich das Tempo von Veränderungen und „Fortschritt“ progressiv beschleunigt. Als Beispiel nennt Paik Transatlantik-Kabel, die die Zeit der Nachrichtenübertragung zwischen Europa und Amerika von sechs Monaten auf zwei Sekunden verkürzt haben. 275

271 Ebd., hier. S. 150 f. 272 Ebd., hier: S. 151. 273 Ebd., hier: S. 152. 274 Nam June Paik: Vom Pferd zu Christo (1981), in: Gruber, Bettina und Vedder, Maria: Kunst und Video. Inter- nationale Entwicklung und Künstler, Köln 1983, S. 66-69, hier: S. 66. 275 Die Ursache für die ökonomischen Probleme der Sowjetunion dieser Zeit sieht Paik entsprechend seiner Theorie darin, dass Karl Marx in Paris nicht die Möglichkeit hatte, mit Friedrich Engels in Wuppertal zu telefonieren. Ebenso habe die „Tragödie der Linken“ ihren Ursprung in einem Kommunikationsproblem: Das Problem sei, dass „Adorno […] die Bedeutung des Telefons nicht erkannt“ habe. - Vgl. Nam June Paik: 66

Allerdings wirkt sich nach Paiks Auffassung die Erhöhung der Geschwindigkeit negativ auf die Qualität aus: Wie sich seit Einführung des Papiers die Qualität des Geschriebenen ver- mindert habe, so habe die Fotografie – verglichen mit Radierung oder Ölmalerei - die Qua- lität des Bildes „verschlechtert“. Analog hierzu habe die Verbreitung des Fernsehens - im Vergleich zum Film - die Qualität des bewegten Bildes verringert. 276

Paik beendet seine Betrachtungen mit der optimistisch-euphorischen Feststellung, dass nun „die ‚glorreiche‘ Zeit der Video-Vida-Videologie und Vidioten“ angebrochen sei. Das ent- scheidende Kriterium für Macht in der Zukunft ist nach Paiks Einschätzung „PSI-Bega- bung“, womit er Kommunikationsfähigkeit meint. „PSI“ als „höchste Kommunikations- kraft“ hat nach seiner Überzeugung für das 22. Jahrhundert dieselbe Bedeutung, die das Uran für das 20. und die Braunkohle für das 19. Jahrhundert hatten. 277

5. Zeitstruktur bei Video und im Traum

Während seiner Arbeit des Videoedierens sei ihm die Ähnlichkeit von Videoschnitt und Freudscher Traumanalyse bewusst geworden, schreibt Paik im 1985 erschienenen Text Helga Retzer in Memoriam – Tagtraum. 278 Wie im Traum, so würde sich auch beim Videoschnitt die Zeitachse ausdehnen oder zusammen ziehen. Beim Schneiden von Video- bändern gehe es um Expansion und Kompression von Zeit. Auch in ihrer Nichtlinearität ist die Zeitstruktur von Videobändern vergleichbar mit der von Träumen. 279 Im Unter- schied zu unserer Zeitwahrnehmung im Wachzustand erscheint im Traum die Reihenfolge der Zeitsequenzen nicht linear. Wie im Traum, so kann auch beim Videoschnitt die Abfolge einzelner Sequenzen variiert werden, können „die Sequenzen ABCD beliebig zu ADCB oder BADC oder CDAB verändert werden.“ 280 Die Ursache für den Erfolg von Videore- cordern sieht Paik in dieser Möglichkeit der „Zeitverschiebung“: Da auf Video aufgezeich- nete Fernsehsendungen in veränderter Reihenfolge angeschaut werden können, ermöglicht

Vom Pferd zu Christo (1981), in: Gruber, Bettina und Vedder, Maria: Kunst und Video. Internationale Entwicklung und Künstler, Köln 1983, S. 66-69, hier: S. 66. 276 Nam June Paik: Vom Pferd zu Christo (1981), a. a. O., hier: S. 69. 277 Aus diesem Grund ist nach Paiks Einschätzung das Land, das die besten Voraussetzungen hat, das mäch- tigste Land des 22. Jahrhunderts zu werden, Bulgarien. Denn Bulgarien verfüge über den größten Bevölke- rungsanteil an Roma, die eine besondere „PSI-Begabung“ hätten. Daher seien wissenschaftliche PSI-Studien in Bulgarien am weitesten fortgeschritten, und deshalb werde Christo als einziger weltberühmter Bulgare der einflussreichste Künstler des 22. Jahrhunderts sein. – Vgl. ebd. 278 Nam June Paik: Helga Retzer in Memoriam – Tagtraum. Aus: Kat. Wirken und Wirkung. Ein Salut von 80 Künstlern für Helga Retzer, hg. vom Berliner Künstlerprogramm des DAAD, Berlin 1985, o. S., in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 174 f., hier: S. 174. 279 Ebd. 280 Ebd. 67

der Videorecorder das Aufbrechen der linearen Zeitstruktur. 281 Wie „der Traum ein Er- satzleben“ sei, so sei „Video ein Ersatztraum“, schreibt Paik hier - und beendet seine Be- trachtungen mit dem Hinweis, dass diese Überlegung so alt sei wie Greta Garbo, die gesagt habe, „dass ihre funkelnden Auge ein östliches Erbe seien … von den LAPPEN, die zu den am weitesten verbreiteten Menschen der Neueren Steinzeit gehören, dem Zeitalter der ‚ZEITGEBUNDENEN‘ Kultur?“ 282

VI. Videoinstallationen

1. Minimal Video/Minimal Film:

Zen for Film – Ästhetik der Langeweile, Relation von Erlebniszeit und Verände- rungsdichte, Darstellung der Zeit in ihrem realen Verlauf

Einige Monate nach Zen for TV entstand 1964 Zen for Film. Dabei handelt es sich nicht um eine Video-, sondern eine Filminstallation, bei der der Filmstreifen durch einen Streifen 16mm-Rohfilm mit 20 Minuten Laufzeit ersetzt ist, so dass bei der Projektion die bei der Zen-Meditation übliche leere weiße Wand erscheint. 283 Zuvor hatte es bereits Experimente in der Kunst gegeben, bei denen Rohfilm bemalt, zerkratzt oder in anderer Weise bearbeitet wurde. Doch normalerweise wird unbeschichteter, also unbelichteter Film nicht projiziert. Für die Aufführung von Zen for Film hatte Paik das technische Material in seiner rohen Form belassen, in einen Kino-Projektor gespannt und abgespult. Der Filmstreifen erzeugte ein nahezu leeres Bild auf der Leinwand, zu sehen war nichts außer der Verschmutzung des Films. Das bedeutet, die Zeitlichkeit des auf der Leinwand erscheinenden Bildes artikuliert sich ausschließlich durch die im Licht als winzige Schatten auf der Leinwand „tanzenden“ Staubkörner. 284

Die visuelle Idee, auf der Zen for Film beruht, war im Jahr seiner Entstehung nicht völlig neu. Bereits zwölf Jahre zuvor wurde 1952 - im Umfeld der Internationalen Filmfestspiele in Cannes - Guy Debords Film Hurlements en faveur de Sade gezeigt, der ausschließlich aus

281 Ebd. 282 Ebd., S. 175. 283 Decker, Edith (1988), a. a. O., S. 149. 284 s. Siegfried Zielinski: [… nach den Medien] – Nachrichten vom ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert, Berlin 2011, S. 140. 68

schwarzen und weißen Projektionsbildern besteht. Doch anders als Debord, der bei der Premiere das Visuelle mit einem Soundtrack aus vorbereiteten Textfragmenten und den Protestrufen des Publikums ergänzt hat, verzichtet Paik gänzlich auf solch zusätzliche akustische Inszenierung. Bei Zen for Film wird die Stille lediglich durch das Geräusch des Projektors strukturiert, so dass sich die „Zeit der Maschine […] ungefiltert, in ihrer rhyth- mischen Eigenzeit“ ausdrückt (Siegfried Zielinski). 285

Zugleich artikuliert sich in Zen for Film Paiks Theorie über die Relation von Wahrscheinlich- keit und Informationsgehalt von Botschaften, die er drei Jahre später im Aufsatz Norbert Wiener und Marshall McLuhan entwickelt. Nach Wiener ist die Information, die von einer Botschaft getragen wird, „das Negative ihrer Entropie“ und „negative[r] Logarithmus seiner Probabilität“. Dies bedeutet, die Wahrscheinlichkeit einer Botschaft erhöht sich, je weniger Informationen sie enthält. Daraus leitet Paik ab, dass die größtmögliche Informationsmenge in weißem Rauschen enthalten ist. 286

Ein Jahr vor Entstehung von Zen for Film hatte Andy Warhol das Medium Film für die Darstellung von Realzeit verwendet. In Kiss, Eat, Blow Job, Haircut hielt er 1963 mit der Kamera einfache alltägliche Ereignisse fest, bevor er 1964 in Empire acht Stunden lang das New Yorker Empire State Building filmte. 1965 kombinierte Warhol bei seiner Reflexion über Realzeit in Outer and Inner Space Film mit Video, als er ein zuvor aufgenommenes Videoband auf eine Leinwand projizierte, das das Portrait von Edie Sedgwick in Lebens- größe zeigte und dann ein zweites Mal Sedgwick vor dieser Leinwand stehend mit Film aufnahm (s. IV/3). Die minimale Handlung der Realzeitfilme Andy Warhols ist in Zen for Film noch weiter reduziert. Von Filmen sind wir an die Verdichtung von Zeit gewohnt. Durch unsere Re- zeptionsgewohnheiten erleben wir in einem Film, in dem Zeit nicht verdichtet ist, sondern nichts geschieht, die Zeit als gedehnt.

Karlheinz Stockhausen beschreibt „Erlebniszeit“ in der Musik als Kategorie, die von der Veränderungsdichte abhängt: Je mehr überraschende Ereignisse ein Stück enthält, umso „kurzweiliger“ wird die Zeit erlebt und je mehr Wiederholungen vorkommen, umso „lang- weiliger“ erscheint die Zeit. 287 Durch die extrem geringe Veränderungsdichte in Zen for Film

285 Ebd. 286 s. Nam June Paik: Norbert Wiener und Marshall McLuhan, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 123-127. 287 Karlheinz Stockhausen: Struktur und Erlebniszeit (Juni 1955), in: Texte zur elektronischen und instrumentel- len Musik, Köln 1963, S. 86, zit. nach Nicoletta Torcelli: Video Kunst Zeit. Von Acconci bis Viola, Weimar 1996, S. 36. 69

scheint sich die Zeit zu dehnen. Einen Gegenpol in Paiks Werk bildet das Videoband Global Groove, bei dem wir durch hohe Geschwindigkeit und eine hohe Anzahl von Ereignissen und Veränderungen in schnellem Wechsel die Zeit als „kurzweilig“ und damit als gerafft erleben. Im Rückblick dagegen ergibt sich der umgekehrte Effekt: Da die „Handlung“ von Zen for Film in einem Satz erzählt ist, entsteht im Rückblick der Eindruck, die abgelaufene Zeitspanne war kurz, wohingegen uns aufgrund der Vielzahl der Ereignisse, mit denen wir in Global Groove konfrontiert werden, die Zeit im Nachhinein als lang erscheint. Dies ent- spricht unserem subjektiven Zeitempfinden im Leben: Eine als kurzweilig erlebte Zeit- spanne, in der eine Vielzahl von Ereignissen stattfindet, erscheint uns im Nachhinein als lang, während uns eine ereignisarme und damit als langweilig empfundene Zeitspanne im Rückblick – aufgrund der geringen Veränderungsdichte – als lang erscheint.

Durch die Verwendung von Klarsichtband anstelle von Film- oder Videoband provoziert Paik die Überlegung, welche Rolle das verwendete Medium für die Darstellung von Zeit spielt. In diesem Falle scheint das Medium keine wesentliche Rolle zu spielen. Jedoch würde bei einem leeren Film- oder Videoband die Vorstellung entstehen, es handelt sich um ein noch nicht bespieltes Band, das in Zukunft bespielt werden könnte. Außerdem könnte ein leeres Videoband einmal Aufnahmen enthalten haben, die gelöscht wurden. Beim Klar- sichtband sind diese Möglichkeiten prinzipiell ausgeschlossen. Es ist nicht nur leer, sondern es war immer leer und wird auch immer leer bleiben. Wie Zen for TV entspricht Zen for Film Paiks Konzept einer „Kunst der reinen Idee“, das er im darauffolgenden Jahr in seinem Text zum Happening 24 Stunden theoretisch entwickelt.

John Cage vergleicht 1982 Zen for Film mit seinem eigenen („stummen“) Stück 4’33’’. 288 „Unser Verstand ist wie ein Spiegel; er sammelt Staub an; das Problem ist, den Staub weg- zubekommen. […] Wo ist der Spiegel? Wo ist der Staub? […] In diesem Falle war der Staub auf der Linse des Projektors und auf dem transparenten Zelluloid-Streifen des Films ohne Bilder. Aber es gibt niemals nichts zu sehen.“ Cage schätzt an Zen for Film besonders, dass dieses Werk keine Emotionen hervorruft – dass es seine „Gefühle dort [lässt], wo sie sind“, nämlich in ihm. Allerdings hätte er es vorgezogen, bei der Vorführung statt der Geräusche des Projektors die Geräusche von der Straße zu hören, die er mit dem Staub auf dem Film

288 In einer Panel-Diskussion während der Paik-Retrospektive im Whitney Museum in New York am 21.5.1982, in der Cage die Kunst von Paik charakterisiert. In: Herzogenrath, Wulf (1983), a. a. O., S. 50. 70

vergleicht und die zu hören gewesen wären, wenn der Projektor wie üblich verkleidet ge- wesen wäre. 289 Eine Entsprechung in der bildenden Kunst sieht Cage in Robert Rauschen- bergs kurz vor 4‘33“ entstandenen White Paintings, die nichts anderes zeigen als das Licht und den Schatten ihrer Umgebung und damit belegen: „Eine Leinwand ist niemals leer.“ (Robert Rauschenberg) 290

Wie bei Cage, stehen auch bei Paik den künstlerischen Inszenierungen der Stille und Leere komplementär Arbeiten gegenüber, die durch große Informationsdichte und Verwendung komplexer Technik gekennzeichnet sind (z. B. seine späteren Videobänder oder die auf- wendigen Multimonitor-Installationen). In seiner Beschreibung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen 4’33“ und Zen for Film kommt Cage zu dem Schluss, dass bei Paik nicht - wie bei ihm selbst - das Hören, sondern das Sehen im Vordergrund steht. Paiks Leben sei weniger auf Klänge, sondern mehr auf Objekte ausgerichtet. „Paik aktiviert Skulpturen mit Video und bezieht den Bereich Zeit ein.“ – so beschreibt Cage Paiks Arbeit. 291

John Cages Stück Music of Changes bewundere er vor allem deshalb, weil es „Cages langwei- ligste Komposition“ sei, schreibt Paik im 1961 erschienenen Text Zur „Symnphony for 20 Rooms, in dem er den Zusammenhang von Zen-Buddhismus und Langeweile reflektiert (s. II/1). 292 Im Videoband Nam June Paik Edited for Television (1975) berichtet Paik über ein Konzert von John Cage, bei dem er begriffen habe, dass die Langeweile, die er bei Cages Musik empfand, ihre Entsprechung im Zen-Buddhismus hat. Auch bei der Konzeption von Exposition of Music. Electronic TV setzt Paik sich mit dem Begriff der Langeweile aus- einander (s. III/4d). Langeweile war auch ein Merkmal von Paiks „Post-Musik“ (s. III/4c). Paik unterscheidet „gute und langweilige Kunst“ und „schlechte und langweilige Kunst“. Langeweile ist für ihn nichts Negatives. Die negative Bewertung von Langeweile ist nach seiner Ansicht eine Folge der Verwechslung von „Input-Zeit“ und „Output-Zeit“ (s. IV/6). 293

289 In: Ebd. 290 Robert Rauschenberg laut John Cage: On Robert Rauschenberg. Artist and his work, in: Ders.: Silence, Cambridge (MA) 1966, S. 99. Zitiert nach Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 110. 291 In: Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 50. 292 Nam June Paik: Zur „Symnphony for 20 Rooms“; in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 90 ff. 293 Ders.: Input-Zeit und Output-Zeit, aus: Ira Schneider und Beryl Korot (Hrsg.): Video Art. An Anthology. New York/London 1976, S. 98. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 139 f., hier: S. 139. 71

Im Unterschied zu Realzeitfilmen, bei denen der konservierte Zeitabschnitt zwar in seiner realen Dauer abgebildet wird, aber mit der real abgelaufenen Zeit auseinanderfällt, 294 ist bei Zen for Film diese Diskrepanz aufgehoben, denn der auf der Leinwand zu sehende Zeitab- schnitt ist identisch mit dem realen Zeitablauf. Obwohl keine Videokamera zum Einsatz kommt, sind die Staubkörner auf der Leinwand in Echtzeit zu sehen. Insofern entspricht das Zen for Film zugrunde liegende Zeitkonzept nicht dem eines Realzeitfilms, sondern viel- mehr dem einer Closed-Circuit-Installation.

2. Sichtbarmachung der Zeit in ihrem Verlauf: Closed-Circuit-Installationen 295 als Modelle des Zeitbegriffs der Dauer

a) „Zeit-Bild“ TV Buddha: Dauer und Augenblick; Zeit als Intervall und Zeit als Ganzes; Zeit als „Spiegel der Ewigkeit“ (Abb. 21, 39, 40)

TV Buddha, die wohl bekannteste Videoskulptur Paiks, wurde erstmals im Jahr 1974 ausge- stellt, bei Paiks vierter Einzelausstellung in der Galeria Bonino. Paik entwarf verschiedene Varianten dieser Closed-Circuit-Installation. Bei allen Versionen sitzt eine antike Buddhastatue einem Monitor gegenüber. Hinter dem Monitor ist eine Videokamera aufge- stellt, die das Kultobjekt frontal elektronisch aufnimmt und sein elektronisches Abbild als Kopf oder als Brustbild auf dem Fernsehschirm erscheinen lässt. Im Unterschied zur klas- sischen „Tele-Vision“ handelt es sich hier um „videografische Nahsicht“. 296

Der Buddha meditiert vor seinem Abbild. Anders als das Spiegelbild, wird dieses aber nicht seitenverkehrt wiedergegeben. Das Abgebildete wird mit seinem Abbild konfrontiert. Eine antike Buddhastatue, Sinnbild der asiatisch-östlichen Weltanschauung, sitzt einem Monitor gegenüber und betrachtet sich in diesem selbst. Die Frage von Bild und Abbild, von Ver- senkung nach innen und Öffnung nach außen erhält so gleichnishafte Züge. Auf geniale Weise sind in der Installation Einfachheit und Komplexität aufeinander bezogen: In einer Endlosschleife sieht sich der Buddha, wie er sich selbst sieht. Die Schleife ist unendlich

294 Zur Diskrepanz des konservierten Zeitabschnitts mit der real abgelaufenen Zeit bei Realzeitfilmen vgl. IV/3. 295 Bei einer Closed-Circuit-Installation handelt es sich um einen geschlossenen Regelkreis, bei dem die von einer Videokamera erzeugten Signale über ein Kabel direkt zu einem Monitor gelangen und von diesem in ein Bild zurückverwandelt werden. Dabei kann die Aufnahme gleichzeitig auf dem Monitor überprüft werden (s. IV/4). Außer bei Kunst-Performances wird diese Möglichkeit der Videotechnik vor allem zur Überwachung oder zur psychologischen Selbsterfahrung genutzt. 296 Siegfried Zielinski (2011), a. a. O., S. 142. 72

wiederholbar, denn zwischen Objekt und Abbild ist ein technisches Medium geschaltet. Siegfried Zielinski verweist in diesem Zusammenhang auf die Analogie von Videokamera und Aion297, der „Zeitdimension aus der griechischen Mythologie, die Lebenszeit ins Uner- messliche hinein überschreitet.“ Aion entspreche damit der „Zeit der Maschine“, einer „prinzipiell leere[n] Zeit“. 298 Den ikonischen Stellenwert des TV-Buddhas für die zeitba- sierten Künste vergleicht Zielinski mit dem von Andy Warhols Farbdrucken des Fotos von Marilyn Monroe für die Bildende Kunst. 299

Wie bei Zen for TV wurde auch die Idee zum TV-Buddha ursprünglich aus einer „Not“ heraus geboren: Beim Aufbau der Ausstellung in der Galeria Bonino stellte sich heraus, dass die vorhandenen Exponate nicht ausreichten, um den Galerieraum zu füllen, es blieb eine leere Wand übrig. Paik kam zunächst auf die Idee, seinen antiken Buddha, den er als Kapi- talanlage erworben hatte, als Fernsehzuschauer einem Gerät gegenüber zu stellen und machte dann eine Closed-Circuit-Installation daraus, indem er hinter dem Monitor eine Ka- mera aufbaute. Wie bei Zen for TV und zahlreichen anderen Arbeiten Paiks spielt also auch bei der Entstehung von TV-Buddha der Zufall eine entscheidende Rolle. 300 Im Zusammen- hang mit den Videoaufnahmen von 1977 auf Guadalcanal, als er gemeinsam mit Charlotte Moorman das Stück Infiltration to Cello von Joseph Beuys aufnahm, zitiert Paik den Aus- spruch Louis Pasteurs „Chance only favors the prepared mind“. 301 Bei vielen seiner Ideen und Entwürfe empfand Paik den Zufall als entscheidenen Enstehungsfaktor, doch hatte der Zufall in seinem Werk eine prinzipiell andere Bedeutung als bei John Cage, der den Zufall als Schöpfer benutzte, um seinen eigenen Willen bei der Komposition auszuschalten. 302

Wie Zen for TV (1963) und Hydra Buddha (1984), spielt auch TV Buddha schon in seinem Titel auf Buddhismus und östliche Philosophie an. Östliche Religion und westliche Tech- nologie werden hier miteinander in Verbindung gebracht. Da die Meditation nicht, wie bei der Zazen-Meditation üblich, vor einer weißen Wand stattfindet, sondern der TV-Buddha

297 Aion bezeichnet in der antiken Philosophie die personifizierte Weltzeit oder Ewigkeit. Im Unterschied zur Verwendung bei Heraklit, der mit dem Begriff einen Zyklus bezeichnet, versteht Platon Aion als Gegensatz zur zyklisch fortschreitenden Zeit, die er mit dem Gott Chronos identifiziert. Der Himmel mit den Bewe- gungszyklen der Himmelskörper und Sphären ist ein Sinnbild der Ewigkeit, aber nicht die Ewigkeit (Aion) selbst. – https://de.wikipedia.org/wiki/Äon (3.7.2015). 298 Ebd. 299 Ebd., S. 141. 300 Zur Rolle des Zufalls s. auch III/4 a und VIII/2. 301 Nam June Paik: Beuys Vox: 1961-86, Ausst.-Kat. Won Gallery und Hyundai Gallery, Seoul, 1990. 302 Vgl. hierzu: Edith Decker-Phillips: Nam June Paik – Idee und Zufall, in: Rennert, Susanne und Lee, Sook- Kyung (Hg.): Kat. Nam June Paik, Ostfildern 2010, S.199-205, hier: S. 199 f. 73

sich selbst (bzw. seinem Abbild) gegenüber sitzt, interpretiert Edith Decker ihn als „mo- dernen Narziss“:

Das Ziel seiner Meditation war die absolute Leere jenseits von Zeit und Raum, das Kamerabild auf dem Monitor warf ihn jedoch zurück auf seine Leiblichkeit, der er nicht entrinnen konnte. Buddha, das Symbol morgen- ländischer Weisheit, wurde so gezwungenermaßen zu einem modernen Narziss. 303

Der Buddha sitzt seinem Abbild gegenüber, das wie ein Spiegelbild wirkt, aber keines ist, denn es erscheint nicht seitenverkehrt. Die Komplexität der Installation zeigt sich bereits im Spiegelmotiv, das hier nicht aus der Perspektive der europäischen Kunstgeschichte zu verstehen ist, wo der Spiegel als Vanitassymbol auf die verwerfliche Eitelkeit des Menschen hinweist. Nach asiatischem Verständnis gilt der Spiegel als Instrument, das dazu dient, die Wahrheit zu erkennen. Der Spiegel, der im buddhistischen Tempel über dem Altar hängt, symbolisiert den „reinen, ursprünglichen Geist“. 304

Der uralte Spiegel und die Buddhas sind eine Einheit: außerhalb des Spiegels gibt es keine Buddhas, und außerhalb der Buddhas gibt es keinen Spiegel. Der Sehende und das Gesehene, der Reflektierende und das Reflektierte sind eins: Praxis und Erweckung sind eins. (Dogen Zenji) 305

Was würde sich verändern, wenn der Buddha statt seines Abbildes auf dem Monitor eine Fotografie von sich betrachten würde? Zunächst könnte man annehmen, dass das keinen Unterschied macht, da sich das Bild des Monitors, wie bei einer Fotografie, ebenfalls nicht verändert. Doch handelt es sich bei der Fotografie um eine Darstellung des Buddhas aus der Vergangenheit. Das Monitorbild dagegen zeigt uns in jedem Moment das Abbild in der gegenwärtigen Zeit.

Wir sind gewohnt, auf Fernsehbildschirmen bewegte Bilder zu sehen. Stellen wir uns vor, was sich verändern würde, wenn statt des regungslosen Buddhas ein Mensch in Bewegung auf dem Bildschirm zu sehen wäre, wird deutlich, was mit dem TV-Buddha dargestellt wird. In diesem Falle würden wir das Abbild auf dem Bildschirm als Wiedergabe der Bewegung wahrnehmen. Da sich beim TV-Buddha das abgefilmte Objekt nicht bewegt, wird uns vor Augen geführt, dass das einzige, das sich hier verändert, das Vergehen der Zeit ist. Es ist

303 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 73 304 Ebd., S. 13. 305 zitiert nach: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 8. 74

also nicht nur das Abbild des Buddhas, das wir auf dem Bildschirm sehen, sondern der Buddha in seiner Zeitlichkeit. Indem uns dies bewusst wird, erleben wir die Installation als Darstellung des Verfließens der Zeit.

Das auf dem Monitor erscheinende Abbild des Buddhas entspricht der Vorstellung eines „unmittelbaren Zeit-Bilds“ im Sinne von Gilles Deleuze, der Zeit-Bild und Bewegungs-Bild voneinander abgrenzt: Das Zeit-Bild hebt nach Deleuze das Bewegungs-Bild nicht auf, doch es „befreit […] die Zeit aus ihrer Abhängigkeit von der Bewegung.“ Die Zeit ist damit nicht mehr bloßes Derivat der Bewegung, sondern sie wird vielmehr unmittelbar dargestellt. „Die Akteure agieren nicht mehr, die Handlung bleibt in der Schwebe, und in das Intervall bricht die Zeit ein […]“. 306 Im Unterschied zum „indirekten Zeit-Bild“ rührt das „unmittelbare Zeit-Bild“ nicht von der Bewegung her und „abstrahiert nicht von der Zeit“, sondern „es kehrt vielmehr ihre Unterordnung unter die Bewegung um.“ 307

In seiner Konfrontation des Buddhas mit seinem Abbild auf dem Monitor erinnert die In- stallation auch an die Philosophie Henri Bergsons, die sich mit der Frage des Verhältnisses von aktuellem Bild zum virtuellen Bild beschäftigt und die Antwort im Bereich der Zeit sucht. 308 Das aktuelle Bild ist nach Bergson das Gegenwärtige. Doch die Gegenwart ändert sich oder geht vorüber. Sie wird dann zur Vergangenheit, wenn sie nicht mehr ist, weil eine neue Gegenwart an ihre Stelle tritt. Das Vergehen der Gegenwart ist notwendig, damit „die Ankunft einer neuen Gegenwart sich ereignen kann.“ Die Gegenwart muss im selben Au- genblick vergehen, in dem sie gegenwärtig ist. Das Bild ist also zur gleichen Zeit noch ge- genwärtig und bereits vergangen.

Wenn das gegenwärtige Bild nicht gleichzeitig schon vergangen wäre, dann würde die Gegenwart niemals vergehen. Die Vergangenheit folgt nicht auf die Gegenwart, die sie nicht mehr ist, sie koexistiert mit der Gegenwart, die sie gewesen ist. Die Gegenwart ist das aktuelle Bild, und seine zeitgleiche Vergangenheit ist das virtuelle Bild, das Spiegelbild. 309 Henri Bergson

Der Buddha symbolisiert die Ewigkeit, die „angehaltene, stromlose Zeit“. Michel Baudson versteht ihn darüber hinaus als „Symbol der Dauer“, der „immanenten und vollendeten Weisheit“, als „Endpunkt des Seins ohne Verbindung zur Entropie und zum westlichen

306 Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt 1997, S. 2 307 Ebd., S. 132. 308 Paik hat sich in seinen Texten immer wieder auf Bergson bezogen. 309 Ebd., S. 108 f. 75

Konflikt zwischen Reversibilität und Irreversibilität.“ 310 Dem Buddha geht es nicht um Entstehung, Werden oder die die Möglichkeit von Fortschritt und Entwicklung, sondern um das Sein in Hier und jetzt – „ER IST.“ 311 Zugleich repräsentiert er den „Zustand abso- luter Ewigkeit, […] außerhalb der Bewegung der Lebewesen, der Ideen, der ‚Vehikel‘ selbst, […] die in Phasen, Rhythmen und aufeinanderfolgenden Leben seinem Ende vorausge- hen.“ 312 Hieraus folgt für Baudson: Der Buddha wird konfrontiert mit dem „Spiegel der Ewigkeit“, der „ohne Handlung keine Handlung erzeugt“. 313 Was er betrachtet, ist die Zeit. Bei dieser Widerspiegelung der Zeit handelt es sich nicht um das unbewegliche Bild eines klassischen, starren Spiegels, sondern es entsteht vielmehr ein „Bild in endloser Wiederher- stellung, die nur dank ihres retinischen Gedächtnisses vorhanden ist“. 314 Das Bild auf dem Fernsehschirm verdankt seine Existenz seiner Zeitlichkeit, denn es ist entstanden durch eine Folge elektronischer Bits, die im Nanosekunden-Rhythmus in Punkten und Linien auf- einander folgen. Den so entstehenden „Spiegel der Ewigkeit“ begreift Baudson als „Maß der Dauer“, als „zeitlichen Schnitt“, der dem „unendlichen Kleinen“ entspricht. 315

Das europäische Fernsehbild setzt sich aus 625 horizontalen Linien zusammen, die aus je- weils 500 Punkten bestehen. Je nach den Phasen des Wechselstroms erhalten die Linien durch eine Elektronenkanone elektromagnetische Impulse. So erhalten alle fünfzigstel Se- kunde die ungeradzahligen Linien einen Impuls, dann die geradzahligen Linien. Auf diese Weise wird alle fünfundzwanzigstel Sekunden ein vollständiges Bild erzeugt. Aufgrund der 25 Bilder pro Sekunde sehen wir auf dem Bildschirm die Bewegung und die Zeit. Als ent- scheidend für die Beziehung von Spiegel und Zeit hebt Baudson die Zahl der Bits hervor, die Zahl der „elektronischen Impulse, die die sensiblen Punkte in dem Raum/der Zeit des Bildschirmes anregen“: Alle fünfundzwanzigstel Sekunden mehr als 300.000 Bits und jede Sekunde mehr als 7,5 Millionen Bits (s. IV/1). 316 Jeder dieser Impulse ist sukzessiv und repräsentiert einen „Schnitt in der Zeit“. Indem diese zeitlichen Schnitte addiert werden, entsteht das Fernsehbild, das wir zunächst mit der Retina wahrnehmen, bevor es sich in unserem visuellen Gedächtnis einprägt. Die Prozesse bei der Entstehung des Fernsehbildes

310 Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel. In: Hannelore Paflik (Hg., 1987), a. a. O., hier: S. 126-128. 311 Ebd., hier: S. 128. 312 Ebd. 313 Ebd. 314 Ebd. 315 Ebd. 316 Ebd., hier: S. 128 f. 76

bewegen sich im Nanosekundenbereich 317 und nähern sich so dem Bereich des unendlich Kleinen. 318

Baudson interpretiert den TV-Buddha als „Spiegel der Ewigkeit“, der „das unendlich Kleine des Augenblicks“ repräsentiert und seiner „atomare[n] Reduktion im Sinne der griechischen Philosophie“ entspricht. 319 Er enthält die philosophischen Fragestellungen zum Unter- schied zwischen Dauer und Augenblick, zwischen Zeit als Intervall und Zeit als Ganzem, mit denen sich Gilles Deleuze in L’image-movement auseinandersetzt:

Jedesmal, wenn man die Zeit hinsichtlich der Bewegung betrachtet, jedes- mal, wenn man sie als Maß der Bewegung definiert hat, hat man zwei Zeit- aspekte entdeckt, die die Kennzeichen der messbaren Zeit sind: einerseits die Zeit als Ganzes, als großer Kreis oder große Spirale, die die Gesamtheit der Bewegung im Universum sammelt; andererseits die Zeit als Intervall, das die kleinste Einheit der Bewegung oder der Aktion bezeichnet. 320

Die „Zeit als Ganzes, als Gesamtheit der Bewegung im Universum“ vergleicht Deleuze mit dem „Vogel, der gleitet und ständig seinen Kreis vergrößert.“ Die „numerische Einheit der Bewegung“ dagegen entspreche dem „Flügelschlag“, dem „Intervall zwischen zwei Bewe- gungen oder zwei Handlungen, das ständig kleiner wird.“ Während die „Zeit als Intervall“ für die „veränderliche, beschleunigte Gegenwart“ stehe, entspreche die „Zeit als Ganzes“ der „an zwei Enden offene[n] Spirale“, der „Unendlichkeit von Vergangenheit und Zu- kunft.“ Würde man die Gegenwart unendlich ausdehnen, würde sie „das Ganze selbst wer- den; unendlich zusammengezogen, würde das Ganze im Intervall verstreichen.“ 321

Die Gegenüberstellung des Buddhas mit dem Ablaufen des Videobildes in TV Buddha be- trachtet Baudson als symbolischen Ausdruck dieser Beziehung zwischen dem unendlich Ausgedehnten und dem unendlich Zusammengezogenen: Beim TV-Buddha wird die Ge- genwart das Ganze. Das Videobild wird in Bewegung gesetzt, indem winzige zeitliche Kon- traktionen addiert werden, so dass „das Ganze in das Intervall übergeht.“ 322

Deleuzes Doppelbild des gleitenden Vogels und des Flügelschlages repräsentiert nach Baudson das Bild der Dauer und das des Augenblicks, von dem Bergson spricht, wenn er

317 Eine Nanosekunde entspricht einer millionstel Sekunde. 318 Ebd., hier: S. 129. 319 Ebd. 320 Gilles Deleuze: L’image-mouvement. Zitiert nach Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel. In: Hannelore Paflik (Hg., 1987), a. a. O., hier S. 129 (genaue Quellenangabe fehlt). 321 Ebd. 322 Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel. In: Hannelore Paflik (Hg., 1987), a. a. O., hier: S. 129. 77

in Durée et Simultanéité drei Modelle des Fließens beschreibt: das Modell des Bewusstseins, das des fließenden Wassers und das des fliegenden Vogels. 323 In diesem Zusammenhang erinnert Baudson auch an zwei parallel laufende Forschungen von Etienne Marey und Ead- weard Muybridge, die Ende des 19. Jahrhunderts die Bewegung anhand des Vogelfluges studierten. 324 Während Marey aber an der Kontinuität festhielt, an der „Dauer der Abfolge des Fluges“, gab Muybridge die „Abfolge von Augenblicken“ wieder. Im Unterschied zu Marey, der den Flug gemäß seiner linearen Abfolge darzustellen suchte, geht es bei Muybridge um die „systematische Abfolge von zeitlichen Schnitten, von Augenblicken, die gleich und daher unabhängig von jeder Idealisierung der Darstellung“ sind. 325

In den 1980er Jahren entstanden zahlreiche verschiedene abgewandelte Versionen des TV Buddha. Ein Thema immer wieder neu zu variieren ist charakteristisch für die Arbeitsweise Paiks. Bei einer Variante war das Monitorgehäuse in einen Hügel aus Kohle eingebettet (1982), ein anderes Mal war der Buddha in Erde eingegraben (1997). 1996 setzte sich Paik in einem performativen Akt selbst vor die Kamera (1976 im Kölner Kunstverein (Abb. 21)).

1983 wurde in der Berliner daadgalerie eine Variante des TV-Buddhas ausgestellt: Beim Stein-Buddha war der Fernseher in einen Berg aus runden Natursteinen eingebettet. Auf dem Bildschirm ist Paiks Videoband A Tribute to John Cage (VIII/2a) zu sehen und gegen- über dem Fernseher ist die Buddhastatue angeordnet. Im Unterschied zu TV-Buddha sitzt der Buddha hier nicht seinem eigenen Abbild gegenüber, sondern wird zum Zuschauer des Videobandes. Da auf die Videokamera verzichtet wird, handelt es sich bei dieser Variante nicht um eine Closed-Circuit-Installation. Wie verändert sich das Werk, wenn auf die Videokamera verzichtet wird? Der Buddha betrachtet hier nicht das eigene unbewegte Ab- bild im Hier und Jetzt, sondern bewegte Bilder, die in der Vergangenheit aufgenommen wurden. Nicht die gegenwärtige Zeit in ihrem Verlauf wird dargestellt, sondern durch be- wegte Bilder strukturierte Zeit in der Vergangenheit. Die Unbewegtheit des Buddhas steht

323 Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel. In: Ebd., hier: S. 130. 324 Der britische Fotograf und Pionier der Fototechnik Eadweard Muybridge (1830-1904) und der französi- sche Physiologe und Fotopionier Etienne-Jules Marey (1830-1904) gelten aufgrund ihrer Reihenfotografien und Serienaufnahmen mit Studien des menschlichen und des tierischen Bewegungsablaufs als bedeutendste frühe Vertreter der Chronofotografie. 1872 begründete Muybridge – bei seinem Versuch, die exakte Beinstel- lung eines galoppierenden Pferdes zu bestimmen die Serienfotografie mit komplexen Aufbauten, bestehend aus 12, 24 und schließlich 36 sukzessive auslösenden Fotoapparaten. So wurde erstmals der sichtbare Beweis erbracht, dass sich beim galoppierenden Pferd zeitweise alle vier Beine in der Luft befinden. Ab 1890 konnte die Technik, Einzelbilder in Bewegung zu zeigen, soweit fortentwickelt werden, dass immer mehr bildende Künstler ihren Zeichenstil radikal veränderten. So malte Marcel Duchamp 1912 - inspiriert von dem Buch Le Mouvement von Etienne-Jules Marey - das Gemälde Akt, eine Treppe herabsteigend. http://de.wikipedia.org/wiki/Eadweard_Muybridge (30.4.2015) und http://de.wikipedia.org/wiki/Ètienne- Jules_Marey (30.04.2015)). 325 Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel, a. a. O., hier: S. 130. 78

in Kontrast zur gezeigten Bewegung auf dem Bildschirm, und das Geschehen in der Ge- genwart hat keinen Einfluss auf die auf dem Monitor zu sehenden Bilder.

Bei TV Buddha wird die Verkörperung bestimmter Ideen mit ihrem Abbild konfrontiert. Das Bild, das auf dem Monitor erscheint, wird zu einem Spiegel. Stellt man sich vor, was sich verändern würde, würde man Monitor und Kamera durch einen Spiegel ersetzen, wer- den drei wesentliche Merkmale der Installation deutlich: Zum einen gibt der Monitor, im Unterschied zum Spiegel, das Abgebildete nicht spiegelverkehrt, sondern seitenrichtig wie- der. Zweitens würde der Spiegel das Abbild ohne Zeitverzögerung wiedergeben, während das Bild auf dem Monitor mit geringer, kaum wahrnehmbarer, Verzögerung erscheint. Das Monitorbild, das der Buddha betrachtet, ist also ein objektiviertes Bild seiner selbst, das aber schon „von der Zeit überholt ist“. 326 Es handelt sich mithin um eine zwangsläufig der Vergangenheit zugewandte Selbstbespiegelung.

Der dritte Unterschied resultiert aus einer weiteren technischen Eigenschaft des Fernseh- bildes: Anders als das Spiegelbild ist das Bild, das auf dem Bildschirm erscheint, in ständiger Bewegung, denn die Zeilen des Fernsehbildes werden unablässig aufgebaut und fortge- schrieben. Ihre Spannung beziehen die TV-Buddha-Installationen auch aus diesem Kontrast von völliger Ruhe und Bewegungslosigkeit der Buddha-Skulptur einerseits und der unab- lässigen Bewegtheit und Unruhe ihres Abbilds auf dem Bildschirm. Die Konstanz der Skulptur wird konfrontiert mit der Flüchtigkeit des fortwährend sich verändernden Video- bildes. Hierin erinnert TV-Buddha an den Spruch eines Zen-Meisters: „Der Geist verweilt, wo es keinen Ruheplatz gibt.“ 327 So zitiert der japanische Philosoph Daisetz T. Suzuki328 einen Zen-Meister, der dies wie folgt erläutert: „Wenn der Geist nicht bei einem einzelnen Gegenstand verweilt, so sagen wir, er verweilt, wo es keinen Ruheplatz gibt […]“. Dies bedeute

nicht verweilen bei der Zweiheit von gut und böse, Sein und Nichtsein, Geist und Stoff; […] nicht Verweilen bei Leerheit oder Nichtleerheit, noch bei Ruhe oder Nichtruhe. Wo es keinen Ruheplatz gibt, da ist in Wahrheit der Ruheplatz für den Geist. 329

326 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 78. 327 Daisetz Taitaro Suzuki: Die große Befreiung. Einführung in den Zen-Buddhismus, Zürich 1958, 17. Auflage 1999, S. 120. 328 Durch Daisetz Taitaro Suzuki, der damals an der Columbia University in New York lehrte, hatte John Cage 1947 den Buddhismus kennengelernt. 329 Daisetz Taitaro Suzuki, a. a. O., S. 120. 79

b) Zeitdifferenz von „real“ und „live“

Real Plant/Live Plant und Real Fish/Live Fish enthalten die Intention bereits als Wort- spiel im Titel: Es geht um die Konfrontation von „real“ und „live“, wobei bereits die dop- pelte Bedeutung des Wortes „live“ (als Fernseh-Direktübertragung oder „lebendig“) auf das Verhältnis zwischen unmittelbar erlebter und im Fernsehen dargestellter Realität anspielt.

Bei Real Plant/Live Plant (1978-1982, Abb. 41, 42) wurde die Bildröhre eines alten Philco-Gerätes aus dem Jahre 1957 ohne umschließendes Gehäuse auf eine Konsole auf- gesetzt und mit Erde gefüllt. Aus einer oberen Öffnung ragt ein Blumenstrauß empor, der von einer Kamera aufgenommen wird. Ein winziger - von Erde umgebener - Farbmonitor im unteren rechten Teil der Bildröhre gibt die Aufnahme der Blumen wieder. Die Blumen und deren Abbild auf dem Monitor gehen dabei eine enge Verbindung ein. Die Installation ist ein Versuch, die Struktur des Abbildens zu veranschaulichen, bei dem deutlich wird, wie austauschbar die Begriffe „real“ und „live“ für uns geworden sind. 330

Real Fish/Live Fish (1982, Abb. 43) beruht auf demselben Prinzip wie Real Plant/Live Plant. Bei einem von zwei gehäuselosen Fernsehapparaten ist in die Bildröhre ein Aquarium eingesetzt. Der Bildschirm des daneben stehenden Schwarzweißgeräts ist etwa so groß wie das Aquarium. Das von einer Kamera in fixierter Einstellung aufgenommene Abbild des Aquariums wird auf dem daneben stehenden Gerät formatfüllend wiedergegeben, so dass der Eindruck entsteht, auch hinter diesem Gerät stehe ein Aquarium. Das „wirkliche“ Le- ben der Fische im Aquarium spielt sich für uns ebenso hinter Glas ab wie die Aufnahmen hinter dem Bildschirm. 331

Die Installation ist aufschlussreich in Bezug auf das zeitliche Verhältnis von Bild und Abbild bei Closed-Circuit-Installationen, bei denen das Bild auf dem Monitor nicht gleichzeitig, sondern - aufgrund der Signalübermittlung über ein Kabel - minimal verzögert erscheint, so dass eine geringfügige Zeitdifferenz zwischen Bild und Abbild besteht. Das Abbild liegt gegenüber dem Abgebildeten also generell in der Vergangenheit. Bei Real Fish/Live Fish wird dieser zeitliche Unterschied wahrnehmbar. 332

Gemeinsames Kennzeichen aller hier beschriebenen Closed Circuit Installationen ist die bildhafte Verdopplung eines gezeigten Gegenstands. Dabei ist die Verdopplung nicht nur

330 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 84. 331 Ebd. 332 Ebd., S. 84 f. 80

ein zwangsläufiges Ergebnis der Closed-Circuit-Installation, sondern auch für andere Ar- beiten Paiks charakteristisch. 333 Das Abbild kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass virtuelle Medienbilder zunehmend die Bilder unserer Wirklichkeit überlagern.

Die perfekte optische Mimesis in Closed-Circuit-Installationen wirft die Frage nach dem Prozess des Abbildens auf, der eine Signalübermittlung in der Zeit ist. „Bei Video ist der Raum eine Funktion der Zeit“, schreibt Paik. 334 Im kontinuierlichen Fluss der die Bildin- formation transportierenden Elektronen wird das Bild unaufhörlich fortgeschrieben. Da bei Videoaufnahmen Zeit konstituierende Funktion in der Signalübermittlung hat und das Bild zeilenweise aufgebaut wird, ist es mit der Closed-Circuit-Installation möglich, die Zeit in ihrem Verlauf sichtbar zu machen. In ihrem Prozesscharakter decken sich die Funktionen einer Closed-Circuit-Installation mit dem Bergsonschen Begriff der „Dauer“. 335

Christian Kellerer definiert seinen von Bergson abgeleiteten Zeitbegriff als das „Merkzei- chen der Kontinuität des ununterbrochenen Zusammenhangs des individuellen Gesamter- lebnisses, des sogenannten Erlebnisstromes“, der seinerseits gedacht werden könne als „die lückenlos erlebte Folge sinnlicher Einzelwahrnehmungen.“ Was sich Kellerer unter Zeit- begriff vorstellt, gehört

nicht mehr zur Kategorie der sinnlichen Wahrnehmungserlebnisse, sondern bereits zu einer ‚darüber liegenden‘ Kategorie, die von der der sinnlichen Wahrnehmungserlebnisse abgezogen (abstrahiert) ist als ein Oberbegriff, der die sinnlichen Wahrnehmungserlebnisse aller Art mit ihrem gemeinsamen Merkzeichen der ‚Dauer‘ übergreift. 336

Da der Bergsonsche Begriff der Dauer durch seinen Prozesscharakter mit den Funktionen einer Closed-Circuit-Installation vergleichbar ist, kann durch diese der Zeitbegriff der Dauer anschaulich und sinnlich erfahren werden. 337 Closed-Circuit-Installationen können daher als Modelle des Zeitbegriffs der Dauer aufgefasst werden.

333 Insbesondere bei Paiks Videobändern ist die Verdopplung ein vorherrschendes Stilprinzip (s. Allan and Allen’s Complaint (VIII/5)). 334 Nam June Paik im Kat. documenta 6, Bd. 2, S. 316. Zit. nach Decker, Edith (1988), a. a. O., S. 87. 335 s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 87 f. 336 Christian Kellerer: Der Sprung ins Leere. Objet trouvé, Surrealismus, Zen. Köln 1982, S. 147. 337 Vgl. Decker (1988), a. a. O., S. 87 f. 81

3. Hydra Buddha: „temps“ und „durée“; „Spiegel der Erinnerung“; Essenz und Existenz

Hydra Buddha (Abb. 22) war Paiks Beitrag zur Brüsseler Ausstellung L’art et le temps, die die Visualisierung der Zeit in der Kunst des 20. Jahrhunderts historisch dokumentierte. 338 Es handelt sich nicht um eine Closed-Circuit-Installation, denn es kommt keine Videokamera zum Einsatz. Doch – vergleichbar mit dem TV Buddha - findet auch hier eine Konfronta- tion von Bild und Abbild statt. 339 Paik verstand die Installation als Reflexion über Zeit. 340

Aus einer auf einem großen Sockel ausgebreiteten Sandfläche tauchen zwei kleinformatige, würfelförmige Video-Monitore auf. Den Monitoren steht jeweils eine Bronzemaske gegen- über. Die Masken sind auf in den Sand eingegrabenen Sockeln befestigt und betrachten die auf den Bildschirmen flimmernden Videofilme. Anders als beim TV Buddha wird hier nicht in geschlossenem Kreislauf das aufgenommene Bild einer Kamera wiedergegeben, sondern die Monitore sind an Videorecorder angeschlossen. Zwischen den beiden Monitoren und den beiden Masken liegt auf dem Sand jeweils eine Hälfte einer längs in zwei Teile zersägten Violine. Am Hals der beiden Violinenhälften ist jeweils eine Schnur befestigt. Die beiden Masken sind Abgüsse von Paiks Gesicht und spiegeln zwei unterschiedliche, gegensätzliche psychische Verfassungen wider. Der Gesichtsausdruck der linken Maske wirkt verschlos- sen, wie eine starken Widerwillen ausdrückende Grimasse. Augen und Mund sind zusam- mengepresst, um Augen und Mund bilden sich Hautfalten. Die rechte Maske zeigt ruhige, entspannte Züge, zwischen den Lippen befindet sich eine fast aufgerauchte Zigarette. 341

Auf den Monitoren laufen kontinuierlich verschiedene Programme. Das Videoband auf dem linken Bildschirm zeigt in sehr kurzen Sequenzen Stationen aus fast zwanzig Jahren, in denen der Weg Paiks nachvollzogen wird. Zu sehen sind 1965 entstandene Aufnahmen einer Aufführung von Cages Komposition 26‘1.1499 for a String Player, bei der Charlotte

338 L’art et le temps, im Palais des Beaux-Arts, Brüssel, vom 22. November 1984 bis 20. Januar 1985. Der Untertitel der Ausstellung, regards sur la quatrième dimension, verweist auf den zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Physik durch die Maxwell-Einsteinschen Theorien eingeführten Begriff der Zeit als vierter Dimension, der dem theoretischen Konzept der Schau zugrunde liegt. 339 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 88. 340 „Zeit ist der am schwersten zu definierende Begriff in unserem Leben, weil sie unser Leben selbst ist. Sie zu zeigen oder über sie nachzudenken ist bereits ein Paradoxum.“, hatte Paik am 20. Februar 1985 in einem Brief an Ausstellungskurator Michel Baudson geschrieben. - s. Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel. In: Hannelore Paflik (Hg., 1987), a. a. O., hier: S. 131. 341 Beschreibung s. Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel. In: Ebd., hier: S. 126 ff. 82

Moorman assistierte, sowie Ausschnitte aus den Videobändern A Tribute to John Cage (1973) und Nam June Paik Edited for Television (1975). Der Bildschirm zeigt

zuckende Bilder, Schnitte in der Zeit, die ebenso Erinnerungen darstel- len, Abschnitte des Lebens von Nam June Paik, des FLUXUS-Künstlers, des Video-Schöpfers in Verbindung mit seinen Freunden John Cage, Al- len Ginsberg etc., Nam June Paik in Aktion, Nam June Paik mit seinen Maschinen, Nam June Paik in Beziehung zu anderen. 342 Michel Baudson

Das Band lässt die künstlerische Laufbahn Paiks Revue passieren. Dabei werden die einzel- nen Sequenzen nicht in chronologischer Abfolge aneinander gereiht, sondern die gezeigten Zeitabschnitte sind ineinander verschachtelt. Die von technischen Störungen durchzoge- nen, ohne logische Folge aneinandergereihten „Existenzblitze“ beschreibt Baudson als “Er- innerungen eines Lebens, die in buntem Durcheinander an die Oberfläche kommen, in die Gegenwart einfallen und Übelkeit erzeugen.“ 343 In einer Folge von vereinzelten Augenbli- cken überlagern sie einander, wiederholen sich manchmal und wirken „wie zufällig einge- sammelt“. Es entsteht der Eindruck, es handle sich um „Erinnerungen einer zerrissenen Vergangenheit, deren Einzelteile wieder zusammengeklebt worden sind, wie sie in der zu- fälligen Unordnung ihrer Zerstreuung angehäuft waren.“ (Baudson). 344

Das dokumentierende Bildmaterial wechselt sich ab mit neuen Aufnahmen, auf denen Paiks Gesicht in Großaufnahme zu sehen ist. „Seine hier buddhaähnlich wirkende Physiognomie korrespondiert mit der Bronzemaske. Das Grimassieren der Maske wiederholt sich im be- wegten Bild, und wie Verwunderung ausdrückend, reibt der Buddha/Paik sich die Augen und schüttelt den Kopf.“ – so beschreibt Edith Decker das Wechselspiel von Maske und Videofilm, von Betrachter und Betrachtetem. 345

Auf dem rechten Bildschirm, den die Maske mit entspanntem Ausdruck betrachtet, läuft ein anderes Videoband. Es zeigt Paik bei einem langen Spaziergang, zuerst auf Straßen, dann in sandigem Gelände. Während er die öde Landschaft in ruhigem Schrittrhythmus durchquert, zieht er eine an einer Schnur befestigte Violine hinter sich her. Dieses Video- band entstand 1975 während des Twelfth Annual Avantgarde Festival of New York auf dem Floyd Bennett Airfield in Brooklyn. Die Aktion ist eine frühe Komposition Paiks aus dem Jahr 1961. Wir sehen Paik in immer neuen Einstellungen, meist in der Totalen. Da er meist

342 Ebd., hier: S. 132. 343 Ebd. 344 Ebd. 345 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 89. 83

mit dem Rücken zur Kamera und aus großer Entfernung zu sehen ist, lässt sich die Auf- nahme zeitlich nicht einordnen. Vielmehr entsteht „der Eindruck einer immerwährenden Wanderschaft außerhalb der Zeit an einem unbestimmten Ort.“ - so Edith Decker, die das Band als „existentialistische Interpretation des Künstlerdaseins“ deutet. 346

Die Violine, die von Anfang an eine bedeutende Rolle in Paiks Arbeit spielte, interpretiert Decker als Repräsentation traditioneller Musik, gegen die er ankämpft. Die Aktion kann als parabelhaftes Symbol für den Konflikt Paiks verstanden werden: Als Komponist ausgebil- det, verweigerte er sich früh der Tradition, kann ihr aber doch nicht entrinnen. Dass Paik die Violine hinter sich her schleift, kann bedeuten, dass er zwar ihre eigentliche Bestimmung ignoriert, sich aber doch nicht von ihr trennen kann und sie „auf ewig mit sich führen“ muss. 347

Die in der Installation zwischen Monitoren und Masken auf dem Sand liegenden Violinen- hälften verweisen zum einen auf das rechte Videoband. Zugleich wirken sie wie ein Relikt einer Aufführung der Komposition One for Violin Solo (1962), in der Paik eine Violine zer- schmetterte. 348 Baudson sieht die Violine, die als Musikinstrument nicht Träger von Dar- stellungen, sondern Träger von Klängen („Vibrationen“) ist, als Hinweis auf die Dualität Paiks, auf seine Entwicklung vom Musiker zum visuellen Künstler. 349

Der Titel der Arbeit, Hydra Buddha, verweist auf das vielköpfige schlangenähnliche Unge- heuer der griechischen Mythologie. Wenn es einen Kopf verliert, wachsen an dessen Stelle zwei neue, zudem war der Kopf in der Mitte unsterblich. 350 Die Hydra gilt als „Gleichnis für Situationen, wo jeder Versuch einer Eindämmung oder Unterdrückung nur zu Auswei- tung einer Eskalation führt. Die Hydra steht also für das, was man nur 'kleinhalten' kann, indem man es unberührt lässt.“ 351

In Paiks Installation ist die Hydra ein Symbol für Vergangenheit und Erinnerung. Hydra Buddha steht für die Unmöglichkeit, Erinnerungen auszulöschen und zeigt uns: Der Kampf

346 Ebd., S. 90. 347 Ebd. 348 Ebd. 349 Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel, a. a. O., hier: S. 135. 350 Die Hydra zu erlegen, war die zweite der insgesamt 12 sagenhaften Aufgaben, die Herakles vollbrachte, um zu sühnen, dass er seine Frau und Kinder in einem wütenden Wahnsinnsanfall ermordet hatte. Immer wenn er im Kampf mit dem neunköpfigen Ungeheuer einen seiner Köpfe mit einer Keule zerschmettert hatte, wuchsen anstatt des einen Kopfes zwei neue nach. - http://de.wikipedia.org/wiki/Hydra_(Mythologie); 28.4.2015. 351 Ebd. 84

gegen die Erinnerung ist aussichtslos, denn er führt zu deren Ausweitung. „There’s no re- wind button on the betamax of life“, hat Paik geschrieben. 352 Im Unterschied zum Video- recorder gibt es im Leben keinen Rückspulknopf. In der Vergangenheit liegende Ereignisse lassen sich nicht mehr ändern, denn die Vergangenheit ist Teil von Gegenwart und Zukunft. Die Hydra ist hier verkörpert durch die Violine, die auch die traditionelle Musik repräsen- tiert, gegen die Paik ankämpfte. Er hat die Violine zertrümmert, doch konnte er sie dadurch nicht vernichten. Vielmehr hat sie – wie das Videoband des linken Monitors zeigt – eine Fülle neuer Formen angenommen und den Künstler in vielerlei Gestalt weiterhin in seiner Arbeit begleitet. Die Violine hat zeitlebens sein Werk maßgeblich beeinflusst. Der Titel unterstreicht also den Konflikt Paiks, der in der Aktion auf dem rechten Monitor zum Aus- druck kommt. Die Bilderflut auf dem linken Bildschirm zeigt die neuen Köpfe der Hydra. Paik hat die Violine als Symbol traditioneller Musik zertrümmert, Als „ironische Selbstver- sicherung“ Paiks versteht dagegen Edith Decker den Titel der Installation: Nur zwei seiner neuen Köpfe habe der Buddha „der Öffentlichkeit preisgegeben.“ 353

Hydra Buddha ist ein Rückblick Paiks auf sein Werk. Eigentliches Thema der Installation ist jedoch nicht Selbstdarstellung, sondern die Zeit: Paik blickt zurück auf das Geschaffene und macht so die persönlich erlebte Zeit zum Thema. Wie TV Buddha beruht auch Hydra Buddha auf dem Prinzip der Verdoppelung. Auf der einen Seite werden Stationen der künst- lerischen Arbeit dargestellt, die vor allem von äußeren Faktoren bestimmt werden. Auf der anderen Seite sehen wir die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den selbstgestellten Aufgaben, die durch die Violine repräsentiert wird. Die Installation kann mithin als Gegen- überstellung des Erlebens von äußerer und innerer Zeit gesehen werden. 354 Der Sand hat dabei die Funktion einer „verbindende[n] Grundlage des Ganzen“, denn als Füllstoff des Stundenglases bildet er das „unstrukturierte Ausgangsmaterial jeder Zeitmessung […]“ (Decker). 355 Sand war eines der ersten Mittel, die Zeit zu messen. Bei seinem Auftritt in Stockhausens Originale (1961) hatte Paik eine Sanduhr zur Strukturierung von Zeit verwen- det (s. III/1b). Wenn in Hydra Buddha Monitore und Masken auf einer Sandunterlage ruhen, kann dies bedeuten, dass sie durch den Sand „in der Ewigkeit der mineralischen Welt ver- einigt“ sind (Baudson). 356

352 Nam June Paik: Random Access Information. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145-152, hier: S.149. 353 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 92. 354 Ebd. 355 Ebd. 356 Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel, a. a. O., hier: S. 135. 85

Die Bronzemasken als metallische, dünne „Häute“ vergleicht Baudson mit einer „zweite[n] transsubstantielle[n] Haut“. 357 Auch das Fernsehbild kann als dünne Haut betrachtet wer- den, denn - im Unterschied zum Kinobild, das nur einen auf die Leinwand projizierten „Reflex“ darstellt, ist es „Folge des ständigen Flusses der Projektion magnetischer Ionen auf das feine metallisierte Raster des Fernsehschirms.“ Dadurch entsteht zwischen Maske und Bildschirm ein „Dialog der Identität“. 358 Als lediglich „unterschiedliche Interpretatio- nen desselben, des Identischen“ betrachtet Baudson Maske und Bildschirm. 359

Die beiden gleichzeitig laufenden Videobänder verdeutlichen die von Stockhausen formu- lierte Abhängigkeit des subjektiven Zeitempfindens von der Veränderungsdichte (s. VI/1). Objektiv nehmen die beiden Filme die gleiche Zeitspanne in Anspruch, doch erscheint uns - aufgrund der hohen Geschwindigkeit, der schnellen Schnitte und der Fülle unterschiedli- cher Ereignisse beim Betrachten des linken Bandes die ablaufende Zeit wesentlich kürzer.

Die beiden Videofilme repräsentieren Henri Bergsons Zeitbegriffe „temps“ und „durée“. Das linke Band steht für „temps“, die „abstrakte und verräumlichte, gegliederte Uhrenzeit“ als „Summe statischer Momente“. 360 Das Band auf dem rechten Monitor entspricht dem Zeitbegriff der „durée“, die sich Bergson als „die lebendige, im Strömen übergreifende Dauer im menschlichen Bewußtsein“ vorstellte. 361

Zugleich kann die Installation insgesamt als symbolhafte Darstellung von Bergsons Begriff der Dauer aufgefasst werden, indem sie den Doppelcharakter der Dauer anschaulich und unmittelbar erlebbar macht. In Zeit und Freiheit beschreibt Bergson Dauer als psychologi- sche Erfahrung: Sie ist „ein ‚Übergang‘ und ein ‚Wandel‘; ein Werden, aber ein Werden, das dauert, und ein Wandel, der selbst Substanz ist.“ 362 So verstanden ist Dauer wesentlich „Bewusstsein und Freiheit […], weil sie in erster Linie Gedächtnis ist. Dabei besitzt diese Identität von Gedächtnis und Dauer immer zwei Gesichter: Zum einen wird die Vergan- genheit in der Gegenwart „aufbewahrt“ und „angehäuft“. 363 Zugleich schließt „die Gegen- wart das unaufhörlich wachsende Bild der Vergangenheit deutlich in sich ein […]“ oder sie

357 Ebd. 358 Ebd. 359 Ebd. 360 Rudolf Wendorff: Zur Erfahrung und Erforschung von Zeit im 20. Jahrhundert. In: Hannelore Paflik (Hg., 1987), a. a. O., S. 65-84, hier: S. 74. 361 Ebd. 362 Gilles Deleuze: Henri Bergson zur Einführung, Hamburg 1966; 2. überarb. Aufl., Hamburg 1997, S. 53. 363 Henri Bergson: Die seelische Energie. Aufsätze und Vorträge, Jena 1928, S. 5. 86

„bezeugt durch die fortgesetzte Änderung in der Qualität die immer schwerere Last […], die man hinter sich herschleppt in dem Maße, wie man älter wird.“ 364

Auch Baudson sieht Hydra Buddha als Symbol für „die Dualität zwischen dem Zeitschnitt oder dem Zeitbruch“ einerseits und „der Konstanz des Fließens, der Linearität, der Konti- nuität eines Ganzen der Dauer“ andererseits. Während der Zeitschnitt, die „Winzigkeit des immer kleiner werdenden Augenblicks“, dem Fortschritt in der naturwissenschaftlichen Forschung entspricht, wird die unmittelbare Folge der „Konstanz des Fließens“ in der kon- stanten Ausdehnung des Universums sichtbar. 365

Wie den TV Buddha deutet Baudson auch Hydra Buddha als Darstellung der „Zeit als Spie- gel“. Doch im Unterschied zu jenem handle es sich bei Hydra Buddha nicht nur um einen „Spiegel der Ewigkeit“, sondern zugleich um einen „Spiegel der Erinnerung“, der auch historische Bedeutung enthält. Während die Ewigkeit im TV Buddha transzendiert sei, handle es sich beim Hydra Buddha um die Ewigkeit der vom Gesicht abgenommenen Maske. Sie ist hier also Erinnerung und zugleich „Ende des gelebten Augenblicks“. 366

In diesem Zusammenhang vergleicht Baudson die beiden Bronzemasken mit einer Toten- maske: Wie diese halten die Paiks Gesicht abgenommenen Bronzemasken seine Gesichts- züge für die Ewigkeit fest und erhalten sie der Nachwelt zur Erinnerung. Indem die Maske an einen Augenblick des Gesichtsausdrucks erinnere, verewige sie diesen „über die Konti- nuität seines Lebens und über seinen zukünftigen Tod hinaus.“ (Baudson). 367 Hierin sei die Maske vergleichbar einer Skulptur oder einer Fotografie. Da die Maske Paiks Lebensäuße- rungen symbolisiere, habe sie den Gesichtsausdruck auch getötet. Stattdessen erinnern nun die Videobilder (als Blick auf die Erinnerungen) an die Lebensäußerungen. Die Maske kann also als Symbol der getöteten Erinnerung verstanden werden. Die Vergangenheit der Maske entspricht nach Baudsons Sichtweise der „Verinnerlichung der eigenen Vergangenheit“. 368

Mit dem Verweis auf zwei Beispiele aus der Literatur, die ebenfalls die Symbolik der getö- teten Erinnerung behandeln, erläutert Baudson seine Sichtweise: In Bio Casarès‘ Roman L’invention de Morel nimmt eine Maschine die Gesamtheit der Lebenswahrnehmungen auf, also nicht nur – wie der Kinofilm - Bilder und Töne, sondern alle fünf Sinne. Sie tötet das Gelebte und trägt damit „die Erinnerung daran in sich als seine Auslöschung“. In Michel

364 Ders.: Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge, Meisenheim 1948, S. 201. 365 Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel, a. a. O., hier: S. 130. 366 Ebd., hier: S. 133 f. 367 Ebd., hier: S. 134. 368 Ebd. 87

Tourniers Novelle Les suaires de Véronique tötet eine Fotografin ihr Modell durch die chemi- schen Substanzen, mit denen sie es fotografisch festhält. Tournier hat seine Novelle später für das Fernsehen verfilmt. Auch Casarès‘ Roman ist in bewegte Bilder umgesetzt worden: Er diente Emidio Greco als Vorlage für einen Kinofilm. In beiden Geschichten nährt sich die veranschaulichte Erinnerung vom Lebenden, indem sie es tötet. Auch Hydra Buddha enthält diese Symbolik vom „Tod des Augenblicks in der Dauer der Erinnerung“. 369

Anders als die Masken, die einen Dialog mit den Bildschirmen herstellen, nehmen die auf die Sandfläche gelegten Violinenhälften keine Beziehung zu den Videobändern auf. Da sie in zwei Teile zersägt wurde, ist die Geige stumm und nimmt nicht mehr teil an „der Welt der Dauer, des produktiven Flusses, der musikalischen Linearität“. Stattdessen ist sie Teil des – wie die Masken erstarrten – visuellen Gedächtnisses. Während sich die Maske als Bild der Zeit in ihrem Spiegel betrachten kann, der sie im Elektronenfluss der Videobilder fest- hält, hat die Musik keinen Spiegel, denn die Filme sind ohne Ton. 370

Wie TV Buddha stellt auch Hydra Buddha die Frage nach der Anwesenheit der Zeit in der Kunst. Baudson unterscheidet hierbei „Zeit als Spiegel idealer Begriffe“ und „Zeit als Spie- gel der Existenz“. In beiden Werken manifestieren sich die Begriffe Essenz und Existenz. 371 Damit greift Paik Gedanken auf, die ihn bereits zu Beginn seiner Arbeit mit Fernsehtechnik beschäftigt hatten. In seinem Text zur Wuppertaler Ausstellung im Jahr 1963 hatte er den Unterschied zwischen elektronischen Fernsehbildern und elektronischer Musik betont. Denn anders als das Fernsehen sei elektronische Musik durch eine „festgelegte, determi- nierte Tendenz“ gekennzeichnet. Dies betreffe nicht nur ihre Methode der Komposition, sondern auch ihre „ontologische Form“ als Tonbandaufzeichnung. 372 Die elektronische Bewegung beim Fernsehbild dagegen kann nicht festgelegt werden. Der „Indeterminismus des Elektrons“ war der eigentliche Anreiz für Paik, sich mit dem Fernsehen zu beschäftigen. Physikalische Beobachtungen, die er bei seinen Fernsehexperimenten gemacht hatte, führ- ten Paik zu der Erkenntnis, dass beim Elektron der Dualismus von „Wesen UND Erschei- nung“ aufgehoben ist: „EXISTENTIA IST ESSENTIA“. 373

TV Buddha und Hydra Buddha thematisieren die Frage nach der Dauer und dem Augenblick, die Frage nach Leben und Tod, nach Erstarrtem und Fließendem, nach „der Mobilisierung

369 Ebd., hier: S. 134 f. 370 Ebd., hier: S. 135 f. 371 Ebd., hier: S. 136. 372 Paiks Text auf dem Flugblatt zur Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 96-99, hier: S. 96. 373 Ebd. 88

und der Blockierung der Erinnerung“ sowie die Frage nach der „Trägheit der Materie und der Lebendigkeit der Energie“. 374

Mit Hydra Buddha führt uns Paik vor, dass sowohl Vergangenheit als auch Zukunft in der Gegenwart enthalten sind. Das zugrunde liegende Zeitkonzept erinnert an Deleuzes Diffe- renzierung der Zeit in „zwei “: den der „vorübergehenden Gegenwarten und den der sich bewahrenden Vergangenheiten. Die Zeit läßt die Gegenwart vorübergehen und bewahrt zugleich die Vergangenheit in sich.“ 375 Hieraus leitet Deleuze zwei mögliche Zeit- Bilder ab: „das eine gründet in der Vergangenheit, das andere in der Gegenwart. Jedes ist komplex und gilt als das Ganze der Zeit.“ 376 Nach Deleuzes Vorstellung ist es die Zeit, in der sich die Vergangenheit bewahrt. Die Gegenwart existiert selbst nur als eine „unendlich zusammengezogene Vergangenheit, die sich auf der äußersten Spitze des Schon-da konsti- tuiert.“ 377 Die Vergangenheit sieht Deleuze als „Koexistenz“ mehr oder weniger erweiterter oder zusammengezogener „Kreise, von denen jeder alles zur gleichen Zeit enthält und von denen die Gegenwart die äußerste Grenze ist“. 378 Deleuze beruft sich bei seiner Zeitkon- zeption auf Bergson und illustriert sie mit einem Zitat von Fellini: „Was wir geworden sind, sind wir im Gedächtnis, wir sind gleichzeitig Kindheit, Jugend, Alter und Reife.“ 379

Hydra Buddha ist auch eine Reflexion über den Zusammenhang von „Maschinenzeit“ und „menschlicher Zeit“, über die Beziehung von Video, Zeitbewusstsein und Erinnerung, mit der sich Paik 1972 in einem Brief an die Zeitschrift Radical Software befasst:

Heute verändert Video unser ZEITbewusstsein radikal. Zwischen den 20er und den 30er Jahren gibt es eine Kluft, eine tiefe Demarkationslinie, die gra- vierender als ein Jahrhundertwechsel ist. Sie entspricht eher n. Chr. und v. Chr. im christlichen Kalender. Die 1930er Jahre werden jeden Tag als Spät- programm auf unserem heimischen Bildschirm lebendig, und das wird so für Jahrhunderte bleiben. … wohingegen die 1920er Jahre für immer ver- weht sind … vom Wind, aber ohne dass es ein Video gibt. 380

Das Wort „Geschichte“ sei entstanden, weil unsere Erlebnisse hinterher erzählt und nie- dergeschrieben worden seien. Da Geschichte nun als Bild oder Video erfasst werde, gebe

374 Michel Baudson: Die Zeit – Ein Spiegel, a. a. O., hier: S. 136. 375 Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2, Frankfurt 1997, S. 132. 376 Ebd. 377 Ebd. 378 Ebd., S. 133. 379 Ebd. 380 Brief von Nam June Paik an die Herausgeber und Redaktionsmitglieder der Zeitschrift Radical Software vom 8. Januar 1972 In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 80 ff., hier: S. 80. 89

es nun keine „Historie“ mehr, sondern nur noch „Bildorie“ oder „Videorie“. 381 Was nicht auf Video festgehalten wird, wird nach Paiks Überzeugung aus Erinnerung und Geschichte verschwinden.

4. Candle-TV: Irreversible Zeit

In den 1990er Jahren realisierte Paik verschiedene Varianten des TV-Buddhas als Candle-TV- Buddha, bei denen der Monitor von aller Technik entkernt und auf sein Gehäuse reduziert war (Abb. 40, 44). Anstelle der flimmernden Fernsehröhre brennt in seinem Rahmen nun schlicht eine Kerze. Bei den meisten dieser Gehäuse handelte es sich um Fernseher, die zum Teil seit Jahrzehnten nicht mehr gebräuchlich waren und deshalb als „antik“ empfun- den wurden. Ihre ästhetische Spannung beziehen diese Objekte nicht zuletzt aus dem Ge- gensatz zwischen alt und neu, aus dem Zusammentreffen verschiedener Zeiten. Die ab- brennende Kerze in Candle TV symbolisiert die in der Gegenwart ablaufende Zeit. Paik hat die Fernsehtechnik entfernt und durch eine brennende Kerze ersetzt, mit der er uns das Zerrinnen der Zeit „live“ im Hier und Jetzt präsentiert - in einem Fernsehgehäuse aus längst vergangener Zeit. Eine irritierende Wirkung entsteht dadurch, dass hier das archaische Mo- tiv der Kerze Aktualität repräsentiert, während der Rahmen des technischen Geräts der Vergangenheit entstammt.

Was die Buddhas vor diesen Objekten sehen, sei eine Art „Ur-Film“, schreibt Siegfried Zielinski, der die flackernde Kerze als Symbol für das Feuer (als einem der ersten von Men- schen geschaffenen „zeitbasierten Artefakte“) interpretiert. 382 Bereits in den frühen 1960er Jahren hat Paik Fernsehbilder entleert und das flimmernde elektronische Bild durch Kerzen ersetzt. Mit dem besonders eindrucksvollen, radikalen Zeitkonzept der späten Varianten des TV-Buddhas kehrte Paik zu seinen frühen Installationen zurück. Hinsichtlich der ar- chaischen Ausdruckskraft in der Inszenierung des Zeitbegriffs sind die Realisationen von Candle TV vergleichbar mit der 1965 entstandenen Installation Moon is the Oldest TV (Abb. 23). 383

Indem er in Candle TV Videotechnik durch eine Kerze ersetzt, demonstriert Paik den fun- damentalen Unterschied von „Videozeit“ und Zeit in der Natur: Anders als beim Video-

381 Ebd., hier: S. 81. 382 Siegfried Zielinski (2011), a. a. O., S. 142. 383 Ebd., S. 143; s. VI/5 b. 90

band, ist der Vorgang der abbrennenden Kerze nicht umkehrbar - „There’s no rewind but- ton on the Betamax of life.“ 384 Mit der Installation können wir diesen Unterschied unmit- telbar erfahren: Candle TV repräsentiert die irreversible Zeit im Leben.

5. Multi-Monitor-Installationen

a) TV Clock: Statische Visualisierung des Vierundzwanzig-Stunden-Zyklus der Er- drotation

Zusammen mit Moon is the Oldest TV nimmt die Installation TV Clock (1963-1981, Abb. 45) eine Sonderstellung innerhalb Paiks Videoskulpturen ein, denn bei ihr kommt weder eine Kamera noch ein Videoband zum Einsatz. Wie bei Paiks frühen Fernsehexperimenten ent- stehen die Bilder durch Manipulation der Geräte. Die bei Zen for TV zufällig entstandene Bildstörung führt Paik hier absichtlich herbei und variiert mit den unterschiedlichen Aus- richtungen der Linie dasselbe Prinzip. TV Clock besteht aus zwölf Schwarzweiß- und zwölf Farbfernsehern, die jeweils die Stun- den einer Nacht bzw. eines Tages repräsentieren. Bei der Realisation in der Retrospektive des New Yorker Whitney Museums (1982) waren die Geräte auf in einem Halbkreis ange- ordnete Sockel gestellt. Im Unterschied zur malerischen Qualität der bunten und schnellen Bildfolgen der späteren Videobänder sind die Bilder hier statisch und graphisch. Die Bild- schirme zeigen unterschiedlich geneigte Linien. Die abstrakte Linie aus Zen for TV hat hier eine gegenständliche Bedeutung angenommen: Sie erinnert an die Zeiger einer Uhr, wenn sie sich in einer Achse befinden. 385 Mit TV Clock visualisiert Paik den Vierundzwanzig- Stunden-Zyklus, indem er das sich aus der Frequenz der Erdumdrehung ergebende Zeit- konzept in eine statische Form bringt. 386 Aus den 24 Monitoren, von denen jeder eine andere statische Repräsentation von Zeit zeigt, ergibt sich die Darstellung des 24-Stunden- Rhythums bzw. der Erdrotation.

384 So formuliert es Paik im Aufsatz Random Access Information. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145- 152, hier: S.149 (s. V/3). 385 Technisch entsteht die Linie durch Entfernen der vertikalen Ablenkvorrichtung am äußeren Röhrenhals. Der Elektronenstrahl bewegt sich nur noch in der Horizontalen. Der vertikale Bildaufbau ist unterbunden, so dass das Bild auf eine Linie beschränkt bleibt, die vom Zeilenschreiber ständig wiederholt wird. Durch ent- sprechende Ausrichtung des Zeilenschreibers entsteht die Neigung der Linie (s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 66). 386 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 66 f. 91

Das „Zeit-Medium“ Video wird hier zu einem Kommentar über die Zeit – „as a frozen image that is compressed into a single beam of electronic light. The installation conceives of sequence as the unfolding of time.“ 387 TV Clock kann als abstrakter Vorläufer von Ira Schneiders Time Zones 388 angesehen werden.

b) Moon Is The Oldest TV: Zeitwahrnehmung und Mitgestaltung der Wahrneh- mungs-Zeit - Verhältnis von Natur, Medien und Zeitempfinden

Wie bei TV Clock erforscht Paik auch bei Moon Is the Oldest TV (1965-1992) die Darstellung von Zeit, indem er eine Reihe von Fernsehgeräten nebeneinander stellt (Abb. 23). Der „Fernsehmond“ war zuerst 1965 in der Galeria Bonino zu sehen (in Paiks Einzelausstellung Electronic Art). Anfangs waren jeweils nur Einzelgeräte ausgestellt. Seit 1976 bestanden die Installationen aus mehreren Monitoren. Bei den Versionen mit 12 Fernsehern verweist die Progression von der Dunkelheit bis zum vollen Kreis auf den Zyklus eines Monats, die Zahl der zwölf Geräte auf das Jahr. 389

Bei der 1982 in der Retrospektive des Whitney Museums gezeigten Variante sind in einem dunklen Raum zwölf Monitore auf hohe, in offenem Bogen angeordnete, schwarze Säulen gestellt. Auf den Bildschirmen wird jeweils mit einem Standbild eine Mondphase als Licht- feld nachgebildet, so dass in der Reihe der Monitore der Eindruck eines aufgehenden Mon- des entsteht. Bei den Bildern handelt es sich jedoch nicht, wie man erwarten würde, um eine abgefilmte Mondphase, sondern um ein statisches Bild. Paik hat die Bildröhren mani- puliert: Die Kreis- und Kreissegmentformen entstehen durch Versetzen des Zeilenschrei- bers, wodurch sich der Abstand zum Bildschirm vergrößert, so dass dieser nicht mehr aus- gefüllt werden kann. Durch einen Magneten am Röhrenhals wird die so entstandene Fläche jeweils so geformt, dass sie die Gestalt verschiedener Mondphasen annimmt. Der „mime- tische Charakter“ des Bildes wird verstärkt durch das bläulich-weiße Licht der Bildröhre, so dass der Eindruck einer Videoaufnahme des realen Mondes entsteht. 390 Es wird also nicht

387 John Hanhardt (Hg.): Kat. The Worlds of Nam June Paik, Solomon R. Guggenheim Museum, New York (11. Februar bis 26. April 2000), S. 130. 388 Bei Time Zones (1980) sind 24 Videomonitore kreisförmig aufgestellt, die gleichzeitig 24 verschiedene, je 30 Minuten lange Bänder zeigen. Diese enthalten Aufnahmen aus den 24 Zeitzonen der Erde. Zu sehen sind jeweils für den Ort typische Landschaften, Architektur, Marktplätze, Häuser, Nahrung, Gegenstände und Menschen. Im Zentrum des Monitorkreises stehend, erhält der Betrachter einen Überblick über die Verschie- denheiten der Umgebungen. - s. Gruber, Bettina/Vedder, Maria: Kunst und Video. Internationale Entwicklung und Künstler, Köln 1983). 389 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 69. 390 s. ebd. 92

die Aufnahme eines realen Mondes gezeigt, sondern Lichtfelder auf den Monitoren. Da der Betrachter aber gewohnt ist, auf Fernsehbildschirmen bewegte Bilder zu sehen, erwartet er auch hier ein sich veränderndes Bild. Da er aber zugleich weiß, dass sich der Mond nur langsam verändert, vollzieht er die Wandlungen selbst nach, so dass sich das statische Bild für das Auge langsam zu verändern scheint. Unterstützt wird diese Wahrnehmung durch die Reihung der Monde in ihren unterschiedlichen Phasen. Die einzelnen Monitore zeigen zwar eingefrorene Bilder sind zwar eingefroren, doch insgesamt ergibt sich in der Installa- tion als Ganzem die Darstellung des Ablaufs der Zeit. In der Art, wie Paik hier die Monitore behandelt, zeigt sich, dass er die Fernsehgeräte als Bausteine eines Gesamtkonzepts auf- fasst. 391

Wie TV Clock bezieht Moon is The Oldest TV seine Ausdruckskraft aus „Paik’s attention to the minimal image as a static element in the unfolding expression of time“ 392, so John Hanhardt, der Moon is The Oldest TV als reduzierende Rekonstruktion des Fernsehens inter- pretiert, die zu einem Element einer konzeptuellen Installation des Mediums werde, indem sie die Eigenschaften hervorhebe, die das Fernsehen ausmachen: „temporality and changing image“. 393

Darüber hinaus reflektiert Moon is the Oldest TV das Verhältnis von Natur und Medien in Bezug auf das Zeitempfinden. Dieter Daniels kommt in seiner Gegenüberstellung des Ver- hältnisses von Natur und Medien bei Paik und John Cage zu dem Schluss, dass bei Paik die Medien die Rolle einnehmen, die bei Cage die Natur spielt. Bei John Cages Kompositionen geht es darum, die Natur so, wie sie ist, zu lassen, damit durch Einfühlung in das „Jetzt“ die teleologische Sinnsuche der europäischen Kultur überwunden werden kann. Dabei wird die Sensibilisierung der Wahrnehmung auf die Medien übertragen. 394 Daher ist die Qualität von Cages Arbeiten nur live erfahrbar, worauf auch Paik ausdrücklich hinweist, wenn er Cages Musik als „komplette ZEIT-RAUM-Kunst“ charakterisiert, „die niemals auf eine Audio- oder Videodisc gepresst werden kann.“ 395 Die Rolle der Natur bei Cage nehmen bei Paik die Medien ein, in denen er eine Art „zweite Natur“ sieht. Sein „experimentelles TV“ beschreibt Paik als „nicht immer interessant, / jedoch / nicht immer uninteressant, /

391 John Hanhardt (Hg.): Kat. The Worlds of Nam June Paik, Solomon R. Guggenheim Museum, New York (11. Februar bis 26. April 2000), S. 130. 392 Kat. The Worlds of Nam June Paik. Hg. von John G. Hanhardt. Solomon R. Guggenheim Museum, New York 2000, S. 130. 393 Ebd. 394 s. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 123. 395 Paik im „Postscriptum“ seines Vortrags Random-Access-Information vom 25. März 1980 im New Yorker Mu- seum of Modern Art. Aus: Artforum, September 1980, S. 46-49; auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145 – 152; S. hier; 152. 93

wie die Natur, die schön ist, / nicht, weil sie sich s c h ö n verändert, / sondern einfach, weil sie sich v e r ä n d e r t.“ Den „Kern der Schönheit der Natur“ sieht Paik darin, „dass die unbegrenzte QUANTITÄT der Natur die Kategorie QUALITÄT entschärft, die unbe- wusst mit Doppelbedeutungen vermischt und verun-klärt benutzt wird. / 1) Charakter / 2) Wert./ Bei meinem experimentellen TV zielt das Wort ‘QUALITÄT‘ nur / auf den CHA- RAKTER, aber nicht auf den WERT.“ 396 Daniels betrachtet Moon is the oldest TV als Bei- spiel dafür, dass die Ersetzung der Natur durch Medien auch umgekehrt funktioniert. 397

Die Installation kann auch als Beleg dafür angesehen werden, dass Paik sich nicht nur mit Fragen der Gestaltung von Zeit auseinandersetzt, sondern sich auch für die Rezeption, für Wahrnehmungsprozesse beim Betrachter seiner Werke interessiert. Dieser muss seine ei- gene Erfahrung bei der Wahrnehmung machen, er selbst muss das Kunstwerk vollenden. Damit greift Paik Gedanken Marcel Duchamps auf, geht dabei aber, wie Wulf Herzogen- rath zeigt, „noch einen Schritt weiter“ als dieser, denn „er will die Wahrnehmungs-Zeit mitgestalten oder zumindest gestaltet bewusst machen“. 398 Dieses Prinzip zeigte sich bereits in Paiks Performances, 399 und es liegt auch auch Moon is the Oldest TV zugrunde. Paik befragt hier unsere Zeitwahrnehmung und bezieht das Bewusstsein des Betrachters in das Kunst- werk mit ein, ebenso wie die Frage nach dem Verhältnis von Realität und ihrer Darstellung in den Medien. 400 Dabei wird der Rezipient nicht nur intellektuell, sondern auch direkt sinnlich angesprochen.

In der „archaischen Ausdruckskraft“, in der Paik die Zeitthematik in Moon is the oldest TV in Szene setzt, vergleicht Siegfried Zielinski die Installation mit TV Buddha. Als „natürli- che[s] Dispositiv der Tele-Vision“ bezeichnet Zielinski das Betrachten des Mondes, denn seit Jahrtausenden ist in den verschiedensten Kulturen das Sehen in die Ferne mit dem Mond verbunden, auf den die Menschen ihre Sehnsüchte und Utopien projizieren. 401 Für Zielinski bedeutet Moon is the Oldest TV eine „Entweihung“ des für die Zeitwahrnehmung auf der Erde bis dahin „sakralen“ Mondes – vier Jahre, bevor der erste Mensch den Planeten betrat, was einer „Profanisierung“ des heiligen Ortes gleichgekommen sei. 402

396 Nam June Paik: afterlude to the EXPOSITION of EXPERIMENTAL TELEVISION. IN. fluxus cc fiVe ThReE, 4 (1964). Auch in: Kat. Nam June Paik. Werke 1946-1976. Musik-Fluxus-Video, hrsg. von Wulf Herzo- genrath, Kölnischer Kunstverein, Köln 1976, S. 87-92. Auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 103- 109, hier: S. 103. 397 s. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 123. 398 Wulf Herzogenrath: Zur Frage der Datierung und zum Thema ‚Zeit‘, in: Wulf Herzogenrath: Nam June Paik: Fluxus – Video, München 1983, S. 13. 399 s. z. B. One for violin solo (s. III/1c). 400 Ebd. 401 Siegfried Zielinski (2011), a. a. O., S. 143. 402 Ebd. 94

c) Video Fish, TV Garden und TV Sea: Zeit in der Natur und editierte „Videozeit“

Bei Video Fish (1975; Abb. 46, 47) ist den Fernsehern jeweils ein Aquarium mit Fischen zugeordnet. Bei der Variante im Whitney Museum besteht die Installation aus 15 Aquarien, die eine Reihe bilden und hinter denen jeweils ein Fernsehgerät aufgestellt ist, dessen Bild- schirm etwa dieselbe Größe wie das Aquarium hat. Die beiden mit dem Videoband gezeig- ten Motive - tropische Fische und Flugzeuge am Himmel – sind verbunden durch die scheinbare Schwerelosigkeit, mit der sie sich im Wasser bzw. in der Luft bewegen. Seit 1978 sind dem Band auch Teile aus Merce by Merce by Paik 403 eingefügt, die den Tänzer Merce Cunningham zeigen, dessen fließenden Bewegungen sich in die Bewegungsstrukturen der übrigen Bilder einfügen. Hauptmotiv des Videobandes bilden die Fische, die durch die Fi- sche im Aquarium verdoppelt werden. Damit wird „reales Leben im natürlichen Zeitablauf“ mit dem „konservierten Leben in rhythmisierter Zeit“ konfrontiert. 404

Um einen Bildschirm zu betrachten, schaut man durch ein Aquarium. Durch die visuelle Ähnlichkeit von Fernsehbildschirmen und Aquarien entsteht der Eindruck einer „gegensei- tigen Durchdringung“, 405 so dass es zu einer Vertauschung und Umwandlung der Bilder kommt: Der Fernseher wird zu einem Aquarium, und das Aquarium wird zu einem Fern- seher. Dabei wird die editierte und gespeicherte Zeit auf dem Videoband der „natürlichen Zeit“ in den Bewegungen der Fische gegenübergestellt.

Paik achieved this remarkable conversion of images by playing on the depth of the video space, which he manipulated through the editing of the videotape. Here again, Paik treats time as a two-plane coordinate: through the stored and edited time of the videotape and the unfolding and changing action of the fish. At random points on the looped videotape, a fish that is collaged into the image appears to fly or swim in its own space, further abstracting the Cunningham’s choreography with the swimming fish in the tanks creates a dynamic, intertextual expansion of the video image. The sequence of monitors creates a visually changing but conceptually linked horizon of moving images and water. 406

John Hanhardt

403 Merce by Merce by Paik (1975; s. VIII/3). 404 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 99. 405 Eine ähnliche Durchdringung zweier Elemente ist auch zu beobachten bei der Closed-Circuit-Installation Real Fish/Live Fish (s. IV/2b). Zu Ende geführt wird der Gedanke einer solchen ununterscheidbaren Durch- dringung im Videoobjekt Sonatine for Goldfish (1975), bei dem die Bildröhre eines alten Fernsehers durch ein Aquarium ersetzt ist (s. ebd.). 406 Kat. The Worlds of Nam June Paik. Hg. von John G. Hanhardt. Solomon R. Guggenheim Museum, New York 2000, S. 148. 95

TV Garden (1974; Abb. 40) besteht aus zwanzig bis dreißig Farbmonitoren und verschie- denen tropischen Pflanzen. Die Fernsehgeräte werden in beliebiger Anordnung mit den Bildschirmen nach oben in einen dunklen Raum gestellt, so dass der Eindruck eines tropi- schen Gartens entsteht. Auf allen Bildschirmen ist gleichzeitig Paiks Videoband Global Groove 407 zu sehen. Die Fernseher bilden mit den Pflanzen einen Dschungel aus Natur, Kultur und Technik, in dem die Zeit der Natur mit „Videozeit“ konfrontiert wird. 1982 war der TV Garden im Whitney Museum in einem separaten, verdunkelten Raum untergebracht. Die Installation war hier von einer L-förmigen Plattform aus zu betrachten, die gleich vom Eingang aus zu betreten war. Zwischen ca. 100 tropischen Pflanzen standen 28 Farbfern- seher, deren Bildschirme – trotz des erhöhten Standpunkts – meist nicht vollständig zu sehen waren. Ausstellungskurator John Hanhardt betont, dass hier die Gegensätzlichkeit von Natur und Technik aufgehoben war: „Here the television sets function as organic forms.“ 408 Auch die synthetisierten Bilder fügten sich nahtlos in die Wirklichkeit ein. In ihrer fortwährenden Veränderung entsprachen die Farben und Formen auf den Bildschir- men der sich ständig wandelnden Natur. 409

Die erste Realisation von TV Garden wurde im Januar 1974 als TV Sea in der Einzelaus- stellung Electronic Art IV in der Galeria Bonino ausgestellt. Hier lagen siebzehn Farb- und drei Schwarzweißgeräte mit den Bildschirmen nach oben auf dem Fußboden. Eines der Farbgeräte war zusätzlich mit einem Magneten verzerrt. Von einer winkelförmigen Empore aus konnten die Besucher auf die Bildschirme herab blicken. Der Verzicht auf Pflanzen hatte hier rein ökonomische Gründe, da Paik für sämtliche Ausgaben selbst aufkommen musste.410

The pictures shift every few seconds, producing a roomwide flash; several color sets show greenish background, or purple, when most show orange. Nam June Paik has twisted the controls to make a series of nonstraight, varied lines, a setup of electronic waves, a TV sea. 411

407 Global Groove (1973; s. VIII/1). 408 Kat. Nam June Paik, hg. v. John G. Hanhardt, Whitney Museum of American Art, New York 1982, S. 97. 409 s. Decker (1988), a. a. O., S. 96. 410 Interview von Edith Decker am 10. August 1983, s. ebd., S. 94. 411 Jonathan Price, „Video Visions. A Medium Discovers Itself.“, New York 1977, S. 146 f. 96

So beschreibt der Künstler und Kritiker Jonathan Price seinen Eindruck von TV Sea. Seine Ausführungen machen deutlich, dass er die Installation nur in ihrer Gesamtwirkung wahr- nahm; er ordnet die Einzelbilder dem Gesamteindruck unter. Gemäß ihrem Titel beschrieb Price die Installation auch als „elektronische Wellenbewegung“. Auch ohne Pflanzen wird hier – indem die elektronischen Wellen an die Wellen des Meeres und die Gezeiten erinnern - eine Verbindung von natürlicher Zeit und Videozeit geschaffen.

d) Turtle – Flüchtigkeit und Konstanz; Chronos und Kairos

In allen bisher besprochenen Multi-Monitor-Installationen erforscht Paik die Darstellung der Zeit, indem er Natur mit Videotechnik konfrontiert. So auch bei Turtle, wo sich aus 166 Farbmonitoren die Form einer 10 Meter langen, 6 Meter breiten und 1,50 Meter hohen Schildkröte ergibt (Abb. 49). Die Bildschirme unterschiedlicher Größe, die verschiedene Bänder wiedergeben, hat Paik so angeordnet, dass sich in der Draufsicht ein symmetrisches Muster ergibt. Die Installation war zuerst 1993 auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin zu sehen (vom 27.8. bis 5.9.).

Auch hier stellt Paik die Zeit in der Natur der “Maschinenzeit“ der Videofilme gegenüber. In buddhistischen Legenden verkörpert die Schildkröte die Weisheit. Sie soll bei stürmi- schem Wetter den Buddha über einen Fluss getragen haben.

Buddha wollte einen Fluß überqueren. Viele ihm ergebene Menschen hatten sich mit ihren Laternen dort versammelt, aber der Sturm hatte die Lichter ausgeblasen. Nur die Kerze einer Witwe brannte noch. Da kam der Kranich, nahm ihr die Kerze aus der Hand und flog damit zur Mitte des Stromes, dort aber hatte sich eine Schildkröte zur Hilfe eingefunden. Der Kranich landete mit der Kerze auf ihrem breiten Rücken, und so konnte Buddha mitten im Sturm den reißenden Fluß sicher überqueren. 412

In Paiks Videoskulptur verharrt die Schildkröte regungslos in einem Bilderfluss. Kunstkri- tiker Nils Röller interpretiert die elektronische Schildkröte als Symbol für Paiks Versuch, Übergänge zu schaffen zwischen verschiedenen Zeitauffassungen, zwischen „Maschinen- zeit“ und „menschlicher Zeit“. 413

412 zitiert nach: Helmut Friedel: Nam June Paik: Turtle. Reprint aus: Electronic Art/Philipos. Sonderausstellung von Philips Consumer Electronics zur Internationalen Funkausstellung, 27.8.-5.9.1993, Berlin. In: Kat. Nam June Paik - Fluxus/Video, hg, von Wulf Herzogenrath, Kunsthalle Bremen 1999. 413 Nils Röller: Der liebe Gott mag keine Perfektion; Artikel in Die Welt, 17.12.1999; erschienen anlässlich der Paik- Ausstellung in der Bremer Kunsthalle, bei der auch Turtle zu sehen war (http://www.welt.de/print-welt/ar- ticle593098/Der-liebe-Gott-mag-keine-Perfektion.html; 7.5.2015). 97

Die permanente Bewegung, die hohe Geschwindigkeit und Veränderlichkeit der Videobil- der auf den Bildschirmen stehen in Kontrast zur Beständigkeit und Langsamkeit, bis zu scheinbarer Bewegungslosigkeit, der Schildkröte. Der Flüchtigkeit der elektronischen Bilder steht die Konstanz des skulpturalen Gesamtgefüges gegenüber, begrenzte zeitliche Präsenz und Fortbestand treffen aufeinander. Die Gegenüberstellung der hohen Geschwindigkeit der laufenden Bilder und der erstarrten Form der Gesamtskulptur entspricht einem Arbeits- prinzip, das Paiks gesamtes Werk mit bestimmt. Es ist Gestaltungsmerkmal seiner Video- filme, kennzeichnet aber auch seine frühen musikalischen Kompositionen sowie den Hand- lungsablauf der Performances. 414 Bereits in One for Violin Solo (1962) geht der blitzschnellen Aktion, in der Paik die Violine zertrümmert, eine langgezogene Phase der Vorbereitung und Konzentration voraus, in der er zum Schlag ausholt (s. III/1c). Diesem Verhältnis von Ruhe und Bewegung entspricht auch die Videoskulptur Turtle. Während die Videobilder die ste- tige, nervöse Aufmerksamkeit des Betrachters erfordern, bietet die geschlossene Form der gesamten Skulptur seinem Auge einen Ruherahmen.

Im Verhältnis der einzelnen Bildschirme zur Gesamtskulptur erinnert Turtle an das Berg- sonsche Begriffspaar „temps“ und „durée“: Die Videofilme drücken die Summe der einzel- nen Augenblicke aus. Die Schildkröte, die sich ihrerseits aus der Summe des elektronischen Bilderflusses auf den Bildschirmen ergibt, entspricht der übergreifenden Dauer im mensch- lichen Bewusstsein.

Zugleich kann die Installation als symbolische Darstellung der Begriffe Chronos und Kairos gesehen werden. Die Schildkröte repräsentiert Chronos, die Personifikation der Lebenszeit. Die Monitore stehen für Kairos, den rechten Moment und den schicksalhaften Augenblick. Mit Turtle erinnert uns Paik auch an den Zusammenhang von Zeit und der Endlichkeit unserer Existenz. Zeit hat für uns nur deshalb Bedeutung, weil unser Leben endlich ist. Die Schildkröte steht für ein langes Leben – im Gegensatz zur Kurzlebigkeit der Videobilder.

e) Fish Flies on Sky, Video Trichter, The More The Better, Laserinstallationen: Transformation der Zeit in den Raum – Visuelle Musik

In den 1980er Jahren entstanden zahlreiche, immer größere Multi-Monitor-Installationen. Bereits TV Garden (1974; Abb. 24, 48) bestand aus 20 bis 30 Fernsehmonitoren, die mit

414 Hans-Werner Schmidt: Anti-These und Sandwich – Zur Werkstruktur bei Nam June Paik. In: Kat. Video Time – Video Space. Hg. von Toni Stooss und Thomas Kellein, Ostfildern-Ruit 1991, S. 85-93, hier: S. 91. 98

dem Bildschirm nach oben auf dem Boden standen. Für den 1984 entstandenen TV Trich- ter (Abb. 51, 52) verwendete Paik 99 Fernseher.

Für Fish Flies on Sky (1985, Abb. 50) hängte Paik (in Umkehrung zum TV Garden) 88 Fernseher mit den Bildschirmen nach unten unter die Decke. Die Installation verweist auf die technischen Bedingungen von Video: Ein Fernsehbild setzt sich zusammen aus den vom Elektronenstrahl geschriebenen Zeilen, ist also unabhängig von der Schwerkraft. Da- mit grenzt Paik seine Videoarbeiten von der Kinetischen Kunst ab. 415 Fish Flies on Sky sollte liegend vom Boden aus betrachtet werden. Bei der Retrospektive im Whitney-Museum war dazu leises Meeresrauschen zu hören. Die Besucher, bei denen sich ein Gefühl der Beruhi- gung einstellte, wurden in einen meditativen Zustand versetzt. 416

1988 installierte Paik für die Olympiade in Seoul aus 1003 Monitoren einen Turm aus elektronischen Bildern und Tönen: The More The Better (Abb. 53). Seit 1980 kombinierte er Multi-Monitor-Installationen mit Lasertechnik (Abb. 54-59). Im Jahr 2000 entstanden für eine Ausstellung im New Yorker Guggenheim Museum raumgreifende Laser-Environ- ments (Abb. 57-59). 417 Bei all diesen Installationen, die durch ihre großflächige Ausdeh- nung Räume aus Licht schaffen und eher architektonischen als skulpturalen Charakter ha- ben, wird die Zeitlichkeit der flüchtigen Aktionen in den Raum transformiert. Von einer „Monumentalisierung“ der künstlerischen Tätigkeit spricht in diesem Zusammenhang Zielinski, der diese Installationen als „aktuell erscheinende Kunst der Erinnerung“ be- schreibt, „durchsetzt mit Aperçus nervöser Zeitlichkeit“ 418 - als „letzte große Analogien vor dem Digitalen des durch telematische Technik vernetzten Imaginären räumlicher Er- fahrung“. 419 Diese „Entwicklung zur Dekoration des Übergangs in die Informationsgesell- schaft“ 420 antizipiert Peter Weibel bereits 1977, wenn er schreibt:

so ist zu vermuten, dass in den nächsten jahren die entwicklung von der pro- duktion von video-tapes weg und zur produktion von spatialien, architekto- nischen, plastischen, skulpturalen video-lösungen übergehen wird, weil hier für den augenblick das geheimnis von video, seine kunst, vermutet wird. 421

415 In den 1960er Jahren wurde die Videokunst der Kinetischen Kunst zugerechnet. Vgl. Decker (1988), a .a. O., S. 99. 416 Vgl. Decker (1988), a. a. O., S. 99. 417 s. Kat. The Worlds of Nam June Paik (Hg.: John G. Hanhardt), New York 2000. 418 Zielinski, Siegfried (2011), a. a. O., S. 152. 419 Ebd., S. 153. 420 Ebd., S. 152. 421 Peter Weibel: video als raumkunst, arbeitsnotizen, in: Siegfried Zielinski (Hg.): Video – Apparat/Medium, Kunst, Kultur. Ein internationaler Reader, Frankfurt a. M. u. a., 1992. 99

Dabei entspricht Paiks Arbeitsweise der eines Komponisten: Die Einzelbilder ordnen sich der Gesamtwirkung unter, dem Zusammenspiel der schnell wechselnden Informationen. Die formale Anordnung der Monitore ist einer skulpturalen Gesamtform unterworfen. Die Videobänder als Inhalt der äußeren Form lassen immer weniger semantische Strukturen erkennen und werden zunehmend zu einem „Spiel der Formen und Farben“. 422 In hoher Geschwindigkeit wechselnde Bildinformationen erzeugen eine Flut heterogener Bildmo- tive. Das so entstehende Seherlebnis, das nicht durch einzelne Motive, sondern durch den Rhythmus des Bildschnitts bestimmt wird, kann mit dem Begriff „Visuelle Musik“ beschrie- ben werden, den bereits Laposky für seine Oscillons verwendete (s. III/3b). Die Wirkung entspricht der Vorstellung einer „mood art“, von der Paik 1968/69 in einem utopischen Programmentwurf spricht. 423

VII. Satellitenübertragungen: 424 Modelle der Gleichzeitigkeit

Seit es Fernsehsatelliten gibt, nutzen auch Künstler diese technische Möglichkeit. 1982 wur- den in der Ausstellung „Video + Satellites“ im Museum of Modern Art in New York Satel- litenprojekte präsentiert. Da die Zeitspanne zwischen Senden und Empfangen eines Signals über Satellit vier Sekunden beträgt, wird die Übertragung nicht als Nacheinander, sondern als Gleichzeitigkeit wahrgenommen. Dieser „Live-Effekt“ ist wesentlicher Aspekt künstle- rischer Satellitenprojekte. 425

Der Gedanke, unterschiedliche Orte zur selben Zeit zusammenzuführen, hat Paik schon früh beschäftigt. Lange bevor die Realisation durch Satellitenübertragung und Videotechnik möglich wurde, hat er in seinen Anfang der 1960er Jahre entstandenen Kompositionen

422 s. Decker (1988), a. a. O., S. 188. 423 “[…] in future a great part of color TV will become to ‘mood art’ as a great part of radio has become to ‘mood-music’ from the semantic entertainment”. - Nam June Paik: Silent TV Station, in: Youngblood, Gene: Expanded Cinema. New York, 2. Aufl. 1970, S. 308. 424 1957 wurde mit dem sowjetischen „Sputnik 1“ der erste Satellit in die Erdumlaufbahn geschickt, im da- rauffolgenden Jahr folgte der amerikanische Satellit „Explorer 1“. Zum Empfang von Übertragungen dienen Bodenstationen oder Parabolantennen (für Direktempfang). Die „geostationären“ Fernsehsatelliten befinden sich immer über demselben Punkt des Äquators, d. h. die Geschwindigkeit, in der sie die Erde umlaufen, entspricht nahezu der der Erdrotation. Daher erscheinen die Satelliten als Fixpunkte. Die Reibung, die durch die Bewegung in der äußeren Atmosphäre entsteht, verursacht dabei eine minimale Verlangsamung. Bei einer Satellitenübertragung werden zuerst in kurze Mikrowellen chiffrierte audiovisuelle Signale direkt von einem Sender zum Satelliten gesendet. Die dort aufgenommenen Signale werden in Frequenzen umgewandelt, durch einen „Transpondor“ verstärkt und dann zur Erde zurückgesandt. - Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 164 f.) 425 Ebd., S. 164. 100

„Modelle der Gleichzeitigkeit“ konzipiert. Bereits 1961 hatte er die Idee für ein Konzert entworfen, das zur gleichen Zeit an zwei verschiedenen Orten stattfindet: Ein Pianist sollte in San Francisco den linkshändigen Part der ersten Fuge in C-Dur aus Johann Sebastian Bachs Wohltemperierten Klavier spielen. Den rechtshändigen Part des Stücks sollte ein Pianist in Shanghai spielen. Die Telekommunikation sollte die getrennten Aufführungen auf den beiden Seiten des Pazifiks zusammenführen: An einem bestimmten Tag sollten die beiden Teile zusammen über Rundfunk ausgestrahlt werden. Den Takt sollte ein auf Tempo 80 eingestelltes Metronom geben. 426

In ähnlicher Weise thematisierte Paik die Gleichzeitigkeit in seiner Symphonie Nr. 5, in der er für das 133. Jahr notierte: „führe die Große Fuge (op. 133) von L. v. Beethoven auf: erste Violine auf der Erde – zweite violine auf dem Mond – Viola auf der Venus – Violoncello auf dem Mars. Lass exakt am 1. Juli, 12.10 Uhr (Greenwichzeit der Erde) mittags beginnen […]“ (s. II/5). 427 Wie beim Klavierstück aus DO IT YOURSELF … lässt hier erst die Gleichzeitigkeit und Realisierung des Konzeptes Bachs Musik entstehen.

In der Komposition Metro Musik 428 soll der Rezipient im Pariser U-Bahntunnel von Fran- klin D. Roosevelt bis Stalingrad gehen und dabei an den Abwasserkanal in Warschau den- ken (s. II/4). Dies erinnert an eine andere frühe Arbeit Paiks, die er in music history (dedicated to Mary Bauermeister) niederschrieb: „Everytime, really everytime, when you get on the sub- way, think of Warzawa resistence in the suffocating drainage tunnel 1943. Every time, really everytime”. 429

Paik interessierte sich auch für die durch moderne Elektronik technisch möglich geworde- nen „Annäherungen an die hör- und sichtbare Gleichzeitigkeit von Realität und Reproduk- tion in Ton und Bild.“ 430 In der Sonate - für Radio sollten die empfangenden Radioapparate im Senderaum mit ihrem Feedback gleichzeitig als Sender benutzt werden (s. II/3).

Auch in Paiks Videoarbeiten ist Gleichzeitigkeit ein zentrales Thema. Immer wieder geht es darum, Geschehnisse aus verschiedenen Zeiten zu verbinden. Bei den Closed-Circuit- Installationen faszinierte Paik die Möglichkeit der gleichzeitigen Aufnahme und Wieder- gabe. In den Multi-Monitor-Installationen konnten verschiedene Videobänder gleichzeitig

426 in der Komposition DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young (s. II/2). 427 Nam June Paik: Symphonie Nr. 5; in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 28-45, hier: S. 37. 428 Nam June Paik: Metro-Musik. Manuskript im Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Abgedruckt in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S.26. 429 Nam June Paik: music history (dedicated to Mary Mary Bauermeister); in: Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 11. 430 Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 11. 101

gezeigt werden, oder es konnten unterschiedliche Wahrnehmungsweisen von Zeit darge- stellt werden, indem diese zur selben Zeit nebeneinander gestellt wurden. In seinen Video- bändern nutzte Paik verschiedene Collage- und Montagetechniken zur Visualisierung von Gleichzeitigkeit. Mit dem Split-Screen-Verfahren (s. VII/3) war es möglich, Ereignisse, die an verschiedenen Orten stattfanden, gleichzeitig auf dem Bildschirm darzustellen. Die Sa- tellitentechnik eröffnete Paik neue Möglichkeiten, sich mit dem Motiv der Gleichzeitigkeit auseinanderzusetzen.

1. Bei Paiks erster Satellitenübertragung während der sechsten documenta im Jahr 1977 fanden Performances mit Joseph Beuys, Douglas Davis, Nam June Paik und Charlotte Moorman statt, die live per Satellit übertragen wurden.

2. Für den 15.5.1982 hatte Paik eine 30-minütige Satellitenübertragung mit Joseph Beuys geplant, bei der vorgesehen war, dass Beuys in Berlin oder Köln einen Klavierpart spielt und Paik den anderen Part in Amerika übernimmt. 431 Wäre das Projekt nicht an der Finanzierung gescheitert, hätte Paik hier eine Idee realisieren können, die er 21 Jahre zuvor in der Komposition DO IT YOURSELF – Antworten an La Monte Young entworfen hatte (s. II/2).

3. Good Morning Mr. Orwell: Gleichzeitigkeit und Zufall

Statt sich dem Konzept der totalen Kontrolle, das Orwell mit seinem Roman 1984 entwor- fen hatte, in Kulturpessimismus zu unterwerfen, stellte sich Paik dieser Herausforderung auf seine Weise: Mit der Satellitenübertragung Good Morning Mr. Orwell, einem spektakulären „Happening“432, das in verschiedenen Kontinenten gleichzeitig stattfand und von mehreren Fernsehsendern in Asien, Europa und den USA übertragen wurde, begrüßte Paik gemein- sam mit befreundeten Künstlern wie Joseph Beuys, John Cage, Merce Cunningham und Laurie Anderson am 1.1.1984 das neue Jahr (s. Abb. 53-59).

Die Übertragung dauerte eine Stunde und fand in der WNET-Fernsehstation in New York und im Centre Pompidou in Paris statt. Good Morning Mr. Orwell war eines der größten und

431 Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 166. 432 Siegfried Zielinski vergleicht die Satellitenübertragung mit einem Happening (s. Zielinski, Siegfried (2011), a. a. O., S. 93). 102

teuersten Satellitenprojekte, die Gesamtkosten betrugen 400.000 Dollar. 433 Neben den ge- nannten konnte Paik zahlreiche weitere Künstler für das gigantische Projekt gewinnen. 434 Zur gleichen Zeit wurde das einstündige Programm auch in Korea, Dänemark, den Nieder- landen und in der BRD im Fernsehen übertragen. 435 Das Programm bestand aus einer Mischung aus Popmusik und Performances von Avantgarde-Künstlern. 436

Am Schnittpult in New York saß Emil Ardolino, in Paris Paik. Seine Schnitttechnik in Good Morning Mr. Orwell entspricht der seiner Videobänder. Indem er eine schnelle Abfolge von Bildern mit elektronischen Collagen kombinierte, erreichte er die Darstellung einer hetero- genen Abfolge verschiedener Ereignisse, die an unterschiedlichen Orten stattfanden. 437

Um Gleichzeitigkeit auf dem Monitor zu veranschaulichen, benutzte Paik verschiedene Techniken, z. B. das Blue-Box-Verfahren438, das Split-Screen-Verfahren 439 sowie Ein- und Überblendungen.

Das Blue-Box-Verfahren ermöglicht das Nebeneinanderstellen verschiedener Ereignisse: Zur selben Zeit an verschiedenen Orten stattfindende Ereignisse können auf dem Bild- schirm vereint werden. In Paris und New York wurde zur selben Zeit eine Show live auf- genommen und durch einen Satelliten wechselseitig übertragen. Indem die eigenen Aufnah- men mit den empfangenen Bildern der Satellitenübertragung gemischt wurden, konnten die Zuschauer am Bildschirm das Geschehen weit auseinanderliegender Orte gleichzeitig se- hen. Die formale Aufteilung des Bildschirms variierte Paik ständig. Häufig waren mehrere Ereignisse synchron geschaltet.

433 Der Katalog Nam June Paik, Art for 25 Million People. bon Jour Monsieur Orwell (hg. vom Berliner Künstler- programm des DAAD, Berlin 1984) dokumentiert Vorbereitungen und Ablauf dieses Projekts. Ein Teil der Kosten wurde durch Verkauf von Graphiken Paiks und Beuys‘ nachträglich finanziert. - s. Hannelore Paflik (1997), S. 164 f. 434 In New York beteiligten auch Peter Gabriel, Allen Ginsberg und Charlotte Moorman. Als Moderator hatte Paik ursprünglich Robert Rauschenberg vorgesehen. Da dieser sich aber zu der Zeit nicht in New York auf- hielt, übernahm George Plimpton diesen Part. In Paris traten neben Joseph Beuys auch Yves Montand, Ben Vautier u. a. auf, Moderator war Jacques Villers (s. Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 165). 435 In der BRD wurde das Programm durch den Film Impressions de la Haute Mongoli – Hommage a Raymond Roussel (von 1975) erweitert, bei dem José Montes Bacque und Salvador Dali Regie führten. – Ebd., S. 165 f. 436 Mit der Hinzunahme von populärer Unterhaltung entsprach Paik der Vorgabe der Fernsehveranstalter, die ein reines Avantgarde-Programm nicht finanziert hätten. - s. ebd., S. 166. 437 Ebd. 438 „Mit dem Bluebox-Verfahren können verschiedene Hintergründe elektronisch in ein Fernsehbild einge- stanzt werden. Flächen einer bestimmten Farbe, in den meisten Fällen blau, werden ausgestanzt und durch den gewünschten Hintergrund ersetzt. Auch Bluescreen, Chromakey oder Blauwand genannt.“ Aus: Bettina Gruber und Maria Vedder: DuMont’s kleines Handbuch der Videopraxis. Technik, Theorie, Tips. Köln 1990, S. 218. 439 Beim „Split-Screen-Verfahren“ wird der Monitor elektronisch in verschiedene Felder aufgeteilt, so dass mehrere Filme gleichzeitig abgespielt werden können. 103

Mit dem Split-Screen-Verfahren konnten die gleichzeitig in New York und Paris stattfin- denden Aufführungen dem Fernsehpublikum gezeigt werden. So konnten z. B. die Auftritte von John Cage und Joseph Beuys gleichzeitig vorgeführt werden, indem das Fernsehbild in der Vertikalen geteilt war - links war Cage zu sehen und in der rechten Hälfte erschien Beuys. Anders als bei der Split-Screen-Technik entsteht bei Ein- und Überblendungen nicht der Eindruck räumlicher Trennung. Stattdessen erwecken sie den Anschein eines fließen- den „Übereinandergreifen[s] von Raum und Zeit.“ 440 - „Du siehst, mein Freund, zum Raum wird hier die Zeit“ (Richard Wagner, Parsifal 1). Dieses Zitat steht zu Beginn des zum Projekt erschienenen Kataloges neben einem Zitat von Paik: „There’s no rewind but- ton on the Betamax of Life.“ 441

Mit Good Morning Mr. Orwell demonstriert Paik, dass es – dank Satellitentechnik und Video- übertragung - möglich geworden ist, die räumliche Distanz zwischen New York und Paris simultan zu überbrücken. Einem breiten Publikum konnten die Ereignisse in den beiden Städten präsentiert werden. Es war Paiks Anliegen, am Neujahrstag des Orwelljahres mög- lichst viele Menschen auf der Welt zu erreichen. Bei der Auswahl der Tageszeit musste er daher die unterschiedlichen Ortszeiten der Sendeorte berücksichtigen. In Paris wurde um 18 Uhr gesendet, in Seoul um zwei Uhr nachts. Trotz der ungünstigen Sendezeit gab es in Korea die meisten Fernsehzuschauer (6,8 Mio.). 442 Im zum Projekt erschienenen Katalog des DAAD schreibt Paik über seine Überlegungen hinsichtlich der günstigsten Sendezeit:

Due to international timezones differences, the ONLY possible time for the broadcast is a WINTER SUNDAY noon N.Y. time (West Coast time is 9 a. m., West Europe 6 p. m.). In any other season, people will be outdoors. An even better day is January first, in the same time shot. However, by far the best date is 1984 January First, when we will FINALLY reach this OR- WELLIAN year. 443

Auch im Aufsatz Art & Satellite (1984) beschäftigt sich Paik mit der Frage des Sendezeit- punkts: First at all, there was a difference in time. There is a six-hour time difference between New York and Paris. It was impossible for it to be prime time in both countries, so I chose a cold winter sunday. 444

440 Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 166. 441 Ebd. 442 Ebd., S. 167. 443 Katalog Nam June Paik, Art for 25 Million People. Bon Jour, Monsieur Orwell, hg. vom Berliner Künstler- programm des DAAD, Berlin 1984, Appendix 1, o. S.; zitiert nach Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 170. 444 Nam June Paik: Art & Satellite. Erschienen zuerst im Kat. Nam June Paik – Mostly Video, Tokyo Metro- politan Art Museum, Tokio 1984, S. 12-14. Auch in: John G. Hanhardt (Hg.), Video Culture, Rochester, N.Y. 1986, S. 29-222.; und in: Kat. The Luminous Image, Amsterdam 1984, S. 68. Zitiert nach ebd., S. 170. 104

In diesem Aufsatz erwähnt Paik auch das Split-Screen-Verfahren als Mittel, um Gleichzei- tigkeit zu veranschaulichen, da diese Technik die Möglichkeit bietet, zwei gleichzeitig statt- findende, aber räumlich voneinander entfernte Ereignisse einem Zuschauer simultan vor- zuführen. 445 Paik geht es um die „Mysterien“, die in den Begegnungen mit anderen Men- schen liegen. 446 Er bedauert, „dass die grossen Genies ihren Zenit überschreiten, ohne sich je zu sehen“ und bezeichnet es als großen „Verlust für die Geschichte der menschlichen Zivilisation“, dass die Begegnungen von John Cage und Marshall McLuhan oder die von Cage und Buckminster Fuller nicht von einer Kamera aufgenommen wurden. 447 Bei Good Morning, Mr. Orwell ist es Paiks Anliegen, solche Begegnungen verschiedener Künstler aus verschiedenen Bereichen herzustellen. 448 Mit Hilfe von Satellitentechnik können, durch Überwindung räumlicher und zeitlicher Grenzen, solche Begegnungen realisiert werden.

My favorite parts of the show were those that showed the essence of Nam June, like when George Plimpton couldn’t get the transcontinental jodel and then he could, when you least expected it. The sound for Charlotte’s cello wouldn’t work. I love that stuff. It made us all look so inept and I appreciate it. 449

So beschreibt Laurie Anderson ihre Erfahrung bei Good Morning Mr. Orwell. Hannelore Paf- lik zitiert diese Schilderung als Beispiel für die „unkritischen“ Äußerungen der beteiligten Künstler über das Projekt, die lediglich ihre Empfindungen geäußert oder ihre Lieblings- stücke aufgezählt hätten. 450 Jedoch erscheinen diese „Empfindungen“ Laurie Andersons als äußerst aufschlussreich im Hinblick auf einen weiteren wesentlichen Aspekt der Zeit, der neben der Gleichzeitigkeit kennzeichnend ist für das Satellitenprojekt und der auch Paiks gesamtes Werk mit konstituiert. Denn Anderson thematisiert mit ihrer Darstellung des Ereignisses die Rolle, die der Zufall bei Live-Übertragungen spielt. Die Unvorherseh- barkeit von Fernsehbildern war für Paik der eigentliche Anreiz gewesen, sich mit Fernseh- technik zu beschäftigen (s. III/4d). Die Auseinandersetzung mit dem Zufall stellt einen entscheidenden Aspekt in seiner gesamten Arbeit dar. 451 Im Unterschied zu aufgezeichne-

445 Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 170. 446 Nam June Paik: Art & Satellite. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 156-160. 447 Ebd., hier: S. 158. 448 Ebd., hier: S. 157 f. 449 Laurie Anderson in: Artcom, 1984, o. S.; zitiert nach: Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 167. 450 Ebd., S. 167. 451 Zur Rolle des Zufalls im Werk von Paik s. z. B. III/4a-e, VI/2a und VII/2. 105

ten Sendungen ist eine Live-Sendung nicht vorhersehbar oder kontrollierbar. Diese Bedeu- tung des Zufalls ist es vermutlich, die Laurie Anderson meint, wenn sie von „the essence of Nam June“ spricht. Wie im Leben, so können auch bei einer Live-Sendung zufällige, unvorhergesehene Ereignisse (z. B. in Form technischer Pannen) nicht rückgängig gemacht oder korrigiert werden. Mit ihrer Charakterisierung von Good Morning Mr. Orwell äußert Laurie Anderson nicht nur ihre subjektiven Empfindungen, sondern sie spricht damit auch einen wesentlichen Aspekt des Ereignisses an. Ihre Beschreibung entspricht dem im Kata- log abgedruckten Zitat Paiks: „There’s no rewind button on the Betamax of Life.“

Zugleich entziehen die Darsteller in Good Morning Mr. Orwell „in ihrer anarchischen Insze- nierung [… ] dem Anspruch der völligen Kontrollierbarkeit kultureller Prozesse den Boden. Sie spielen mit dem Zufall, dem Bruch, dem plötzlichen Ereignis, der Abweichung, den grammatikalisch nicht erfassbaren Tränen und dem Gelächter.“ (Siegfried Zielinski). 452

Mit Good Morning Mr. Orwell demonstriert uns Paik: Die jeweils neueste Technik als Kom- munikationsmittel zu nutzen, als Instrument, um räumlich getrennte Ideen in einer Zeit zu verbinden und dabei das Potential des Zufalls zu erkennen, ihn zuzulassen und ihm Raum zu geben – Dies ist seine Antwort auf Orwells Entwurf einer völligen, zentralen Kontrolle.

4. Am 10. September 1988 wird anlässlich der Olympischen Spiele in Seoul Paiks Wrap Around the World per Satellitenübertragung weltweit gesendet. 14 Länder sind an dem globalen Projekt beteiligt und via Satellit verbunden. Hier geht es Paik vor allem um die zeitlichen Verzögerungen und Effekte, die durch die von Kontinent zu Kontinent geschick- ten Fernsehsignale entstehen. Im Zentrum steht die Asynchronität von Bild und Ton. Das Programm ist eine kollektive Mediencollage, bestehend aus Bildern und Fernsehbeiträgen, die aus vielen Ländern eingesandt wurden: Übertragungen von Konzerten von David Bo- wie und den Toten Hosen, ein Autorennen in Irland, Bilder vom Karneval in Rio, Fußball spielende Elefanten aus Asien, kurze Auftritte von Merce Cunningham, einer sowjetischen Jazzgruppe und einer chinesischen Pop-Band. In Deutschland wurde die Fernsehsendung von 16.30 bis 18 Uhr in allen dritten Programmen der ARD übertragen. 453

Good Morning Mr. Orwell und Wrap Around the World sind Weiterentwicklungen der „Simula- tion eines globalen Zapping“454 in Global Groove und vermitteln eine ähnliche Erfahrung der

452 Zielinski, Siegfried (2011), a. a. O., S. 93. 453 Kat. Nam June Paik - Fluxus/Video, hg, von Wulf Herzogenrath, Kunsthalle Bremen 1999, S. 286. 454 Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 124. 106

Simultaneität wie John Cages Imaginary Landscape Nr. 4 von 1951 (s. III/2). Im Unterschied zu Cages Komposition, bei der die Rezeption lediglich passiv erweitert wird, wird in Paiks Satellitenprojekten das Massenmedium aktiv künstlerisch geformt als „multitemporale, multispatiale Symphonie“ 455. Damit überträgt Paik seine in Symphony for 20 Rooms konzi- pierte Raum-Zeit-Komposition auf eine globale Ebene. Indem aus der räumlichen Vertei- lung der Komposition eine neue, nichtlineare Zeitkonstruktion hervorgeht, wird Wagners Parsifal-Sentenz „Zum Raum wird hier die Zeit“ gewissermaßen umgekehrt. 456

VIII. Videobänder Strukturierung von Zeit durch Videoschnitt

1. „Tanzende Bilder“: Global Groove 457

„This is a glimpse of a new world when you will be able to switch on every TV channel in the world and TV guides will be as thick as the Manhattan telephone book.“ So lautet die aus dem Off gespro- chene Eingangssequenz von Paiks 1973 entstandenem Videoband Global Groove (Abb. 60- 72). Damit werden gleich zu Beginn die beiden Pole abgesteckt, zwischen denen sich das Band bewegt: Es geht um die Utopie einer technologischen Zukunft, um eine offensiv eu- phorische und zugleich kritische Haltung gegenüber dem noch jungen Massenmedium Fernsehen. Der von Russel Connor gesprochene Satz ist für das Band programmatisch, denn die schnellen Schnitte und die rasche Abfolge verschiedener kurzer Filmsequenzen erinnern an das Zappen durch verschiedene Fernsehkanäle und entsprechen damit dem vorangestellten Motto. Inzwischen durch Satellitenübertragungen, Kabelfernsehen und In- ternet längst Realität geworden, muss diese Prognose im Jahr 1973 utopisch geklungen ha- ben.

455 Diesen Begriff verwendet John Cage in: Ders.: Zum Werk von Nam June Paik (Beitrag zu einem Panel im Whitney Museum New York aus Anlass der Paik-Retrospektive, am 21.5.1982), in: Nam June Paik. Video Time – Video Space, hg. von Toni Stooss und Thomas Kellein, Ausst.-Kat. Kunsthalle Basel u. a., Ostfildern-Ruit 1991, S. 36. 456 Vgl. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 124. - In einem Brief an John Cage hatte Paik sich 1960 explizit auf „,whole art‘ in the meaning of Mr. R. Wagner” bezogen. S. John Cage: A Year From Monday, London 1968. In: Nam June Paik, Electronic Art, Exhibition Nr. 16, Galeria Bonino, New York 1965, S. 90. 457 30 Minuten, Farbe, Ton. Global Groove war das zweite Videoband, das bei WNET-TV produziert wurde, am 30. Januar 1974 wurde es erstmals ausgestrahlt. – Das Band kann im Video-Forum des Neuen Berliner Kunstvereins e. V. angeschaut werden (Chausseestr. 128-129, 10115 Berlin). 107

Auffällig sind häufige Wechsel zwischen kurzen Einzelsequenzen, schnelle Schnitte und Motivwechsel. Die motivische Bandbreite der einzelnen Versatzstücke ist äußerst vielfältig: Wir sehen ein Gogo tanzendes Paar, traditionelle japanische und koreanische Tänze, eine singende und trommelnde Indianerin, einen Faustkampf von Afrikanern. Dazwischen taucht in der Mitte des Bandes ein Werbespot für Pepsi-Cola auf sowie Einblendungen aus Reden des damaligen US-Präsidenten Richard Nixon. Das meist schnelle Tempo wird un- terbrochen durch ruhigere Sequenzen, in denen John Cage Anekdoten erzählt. Enthalten sind auch Ausschnitte von Performances von Paik und Charlotte Moorman, wie z. B. die Aufführung der Cage-Komposition 26’1.1499’’ for a String Player, in der Paik als menschli- ches Cello fungiert oder Charlotte Moorman, die ihrem TV Cello 458 Klänge und Bilder entlockt. Es wird ein Interview eingeblendet, in dem Moorman sagt, dass Paiks TV Cello die erste Neuerung in der Geschichte des Cellos seit 1600 darstelle, dann sehen wir den Cellisten Alan Shulman auf einem traditionellen Cello spielen. Global Groove enthält wenig eigenes Material, die Filmsequenzen stammen größtenteils von Paiks Freunden wie Jud Yal- kut oder Robert Breer. Es sind darin auch frühe Experimente wie der deformierte Richard Nixon und Teile aus der Electronic Opera Nr. 1 und aus Video Commune enthalten. Es werden Avantgardekünstler gezeigt, die Paik wichtig sind (wie John Cage, Allen Ginsberg oder Charlotte Moorman). 459

Ebenso vielfältig sind die akustischen Elemente: Zu hören sind zeitgenössische Rock- und Popmusik, Teile aus Beethovens Mondscheinsonate, indianische Trommelrhythmen, tradi- tionelle koreanische Melodien, Teile aus Kompositionen Stockhausens sowie die Klänge von Charlotte Moormans Spiel auf Paiks TV-Cello. 460

Drei zentrale Motivgruppen lassen sich ausmachen: Tanzsequenzen, bestehendes Bildma- terial, das verfremdet wurde und Zitate von befreundeten Künstlern. Diese Motive kehren regelmäßig wieder. Angesichts der Vielfalt der Motive erweist sich eine Gliederung des Ban- des als schwierig. Christian Spies unternimmt in seiner Dissertation den Versuch einer de- taillierten Beschreibung des Bandes und kommt dabei am Ende der fünften Sequenz (in der achten Minute) zu dem Schluss, dass diese „unweigerlich an Grenzen stößt und schließlich

458 Das TV-Cello (1971) war eines der Videoobjekte, die Paik für Charlotte Moorman entwickelte. In der Form ist es einem traditionellen Cello nachempfunden und besteht aus drei übereinander angeordneten Bildröhren – zwei großen, horizontalen mit einer kleineren, vertikalen dazwischen. Umschlossen werden die Bildröhren von einem Plexiglasgehäuse. Auch der Hals des Instruments ist aus Plexiglas. An den Saiten angebrachte Tonabnehmer erlauben es, beim Spielen die Schwingungen elektrisch zu verstärken. – s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 125. 459 s. Schnittprotokoll von Anja Oßwald, erschienen in: Wulf Herzogenrath (Hg.): Nam June Paik. Fluxus/Vi- deo. Ausst.-Kat., Kunsthalle Bremen, München 1999, S. 168-171. 460 Ebd. 108

in der Nicht-Beschreibbarkeit von Paiks Bildüberflutung enden“ müsse, so dass eine Ana- lyse des Bandes „die Irritation und die fehlende Strukturierbarkeit […] nur einmal mehr auf sprachlicher Ebene wiederholen“ könne. 461

Scheinbar wahllos werden die heterogenen Versatzstücke aneinandergereiht, ohne dass da- bei eine Erzählstruktur erkennbar wird. Vielmehr wird das Zappen durch eine große, inter- nationale Auswahl von Fernsehprogrammen imitiert. Bestimmt ist das Band durch ein Spannungsverhältnis vieler einzelner Gegensatzpaare: Schnell und langsam, Ost und West, klassisch und modern/zeitgenössisch, Kunst und Massenmedium. Das theoretische Kon- zept des Videos hat Paik im 1970 verfassten und 1973 erschienenen Aufsatz Global Groove and Video Common Market entwickelt, in dem er seine Idee eines freien und globalen Video- marktes beschreibt. 462 Hier spricht Paik von solchen Oppositionen, die durch die Musik überbrückt werden könnten: „Jazz was the first tie between Blacks and Whites. Mozart was the first tie between Europeans and Asians. Beethoven was the last tie between Germans and Americans during World War II. Currently rock music is the only channel between young and old.” 463 In der willkürlichen Reihung der verschiedenen Elemente führt Paik den visuellen und akustischen Informationsüberfluss vor, in dem ein solch globaler Video- markt unvermeidlich enden muss. Im permanenten Wechsel unterschiedlicher Sequenzen prallen die unterschiedlichsten visuellen und akustischen Informationsteile aufeinander und führen in ihrer Vielzahl, Kurzlebigkeit und Wechselhaftigkeit zu einer Art „Rauscherfah- rung“. 464 Vorherrschend ist ein schneller Rhythmus und schnelle Schnitte. Dabei wird die hohe Geschwindigkeit der bewegten Bilder und der Musik immer wieder von langsamen Sequenzen unterbrochen.

„Ihm [Paik] geht es um das Medium selbst“, schreibt Wulf Herzogenrath, „um die Macht des Bildes, die Rauschzustände des Zuviel und die Freude am Zuwenig – und der Identität von der Überfülle farbiger Konsumbilder und dem weißen Rauschen leerer Bilder, dem

461 Christian Spies (2007), a. a. O., S. 250-259. 462 Dieser freie, globale Videomarkt soll nach dem Vorbild der 1957 im Vertrag von Rom zusammengeschlos- senen europäischen Staaten funktionieren. Sämtliche Fernsehanstalten sollen ihr gesamtes Programm weltweit für einen gegenseitigen Austausch zur Verfügung stellen. Denn ein nationalistischer und protektionistischer Videomarkt birgt nach Paiks Überzeugung dasselbe Potential in sich „wie die Blockwirtschaft in den 30er Jahren, die die Weltwirtschaftskrise verstärkte, den Faschismus mit verursachte und dem Zweiten Weltkrieg Vorschub leistete.“ Paik fragt sich, ob „diese ungeheure Informationslücke zu den jüngsten Tragödien in Vietnam“ beigetragen hat. Der globale Videomarkt dagegen könne den „freien Fluß von Videoinformationen durch ein kostengünstiges Tauschsystem und einen zweckmäßigen freien Markt fördern“. – s. Nam June Paik: Global Groove and Video Common Market, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 132-135. 463 Nam June Paik: Global Groove and Video Common Market, in: WNET-TV Lab News, Issue Nr. 2, 1973 (geschrieben 1970). In: Kat. Global Groove 2004, Deutsche Guggenheim, Ostfildern-Ruit 2004, S. 58 f. 464 Vgl. David Ross: Nam June Paik: Overkill als Ideologie, in: Nam June Paik. Werke 1946-1976. Musik – Fluxus – Video, Ausstellungskatalog Kölnischer Kunstverein, 1977, S. 108-116. 109

Leerlauf der Informationsbilderflut.“ 465 Die Vielfalt der Motive und die schnellen Wechsel der Bildsequenzen in Global Groove führen, wie Christian Spies zutreffenderweise beobach- tet, zu einer Umkehrung des Informationsüberschusses, so dass das „Zuviel an visueller Information“ sich teilweise sogleich wieder aufhebt und ein „entleertes Bild“ entsteht. 466

In diesem Zusammenhang spricht Spies auch von einer „paradoxalen Struktur“ des Bandes und meint damit, dass sowohl motivische und narrative als auch irritierende und störende Elemente wahrgenommen werden. Narration und das Aufbrechen von Narration stehen in der Abfolge der bewegten Sequenzen in einem „Wechselverhältnis“, so dass es sich um das „Paradox einer zugleich gelenkten wie gestörten Wahrnehmung“ handelt. 467 So sieht man z. B. in der zweiten Sequenz ein zu Mitch Ryders Devil with a Blue Dress on tanzendes Paar, das zunächst das volle Format des Bildschirms ausfüllt. Wenn bei anschließenden schnellen Wechseln von Perspektiven und Ausschnitten der Fokus auf Füße und Beine gerichtet wird, steht die hohe Geschwindigkeit der Tanzbewegungen in Kontrast zum statischen Rahmen des Monitors (s. Abb. 66). Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch Verwendung des Blue-Box-Verfahrens, da nun der Bildhintergrund als dunkle und räumlich unbestimmte Fläche erscheint. Danach ist das tanzende Paar auf einem weiteren Monitorausschnitt im Hintergrund in einer Feedbackschleife zu sehen, wobei zwischen den beiden Ebenen wi- dersprüchliche und irritierende Relationen entstehen. Hierauf werden einzelne Körpersil- houetten vervielfältigt und in rhythmischen Wiederholungen diagonal gestaffelt, so dass der Eindruck räumlicher Tiefe entsteht, die jedoch aufgrund der sich verändernden Größen- verhältnisse zwischen den beiden Ebenen widersprüchlich erscheint. 468

Einen Zusammenhang in der Flut an Bildinformationen schafft Paik, indem er die hetero- genen Bilder durch die mit dem Synthesizer erzeugten Farb- und Formeffekte formal mit- einander verbindet. Im Video-Synthesizer, den Paik 1969 zusammen mit dem japanischen Fernsehtechniker Shuya Abe konstruiert hatte, hatte apparative Gestalt gefunden, was in der Wuppertaler Ausstellung nur durch vorhergehenden manuellen Eingriff in die Endge- räte möglich war: das simultane Verwalten und Manipulieren einer Vielzahl von Bilder- und Informationsflüssen. Mit dem Synthesizer stand Paik ein Gerät zur Verfügung, mit dem er seine Vision realisieren konnte, verschiedenste Quellen in eine unendliche Anzahl von

465 Wulf Herzogenrath: Nam June Paik. Die subversive Spiele der Doppelbödigkeit, in: Lothar Romain und Detlef Bluemer (Hg.): Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, München 1988, S. 7 ff. 466 Christian Spies (2007), a. a. O., S. 250. 467 Ebd., S. 251. 468 Christian Spies bezeichnet die gestaffelten Körpersilhouetten als „Raumvektoren“, mit denen „das Modell eines zentralperspektivischen Bildes aufgerufen wird.“ Vgl. ebd., S. 252. 110

Mustern und Konfigurationen zu übersetzen, deren Helligkeit, Farben und Kontraste über ein Schaltpult gesteuert werden konnten. Von besonderer Bedeutung war dabei die Mög- lichkeit, Bildquellen in Realzeit zu editieren, so dass der Videosynthesizer auch live einge- setzt werden konnte. 469

Auch in der oben beschriebenen zweiten Sequenz von Global Groove wird die Irritation, die die Vervielfältigung derselben Körpersilhouette hervorruft, noch verstärkt, indem die ver- trauten Bilder durch den Video-Synthesizer weiter verfremdet werden. Es kommt zu Feed- backs zwischen den beiden übereinander gelagerten Bildebenen. Zusätzlich werden ein- zelne Farben teilweise verändert, so dass immer weniger verständlich erscheint, wo einzelne Bildebenen zu verorten sind. In ruckartigen Schnitten wechseln Perspektiven und Bildaus- schnitte, dabei werden die Bildwechsel zunehmend beschleunigt. Im Vordergrund erschei- nen mit dem Video-Synthesizer erzeugte grelle Farben, im Wechsel erscheint die zweidi- mensionale Bildschirmfläche und der sich dahinter für die Tänzer öffnende Raum. Solari- sationseffekte sorgen im weiteren Verlauf für zusätzliche Verfremdung: Die tanzenden Körper erscheinen dann nur noch als helle Konturen vor dunkler Hintergrundfläche oder umgekehrt (Abb. 64 u. 68).

Später sind die Körper in einzelne und nicht mehr rekonstruierbare Fragmente zerlegt, die verschiedenen Ebenen werden vervielfacht und überlagern sich, so dass sich permanent neue Formationen ergeben, während die Bewegungsgeschwindigkeit – entsprechend der Musik – konstant bleibt. Wenn danach drei weißgekleidete Stepptänzerinnen auftreten, wird der dunkle Hintergrund im Blue-Box-Verfahren durch einen mehrfarbigen, synthetisch ge- nerierten, Hintergrund ersetzt, der in sich bewegt erscheint. Die anhaltend hohe Geschwin- digkeit der Bewegungen macht es nun unmöglich, zwischen Hintergrund und tanzenden Körpern zu differenzieren.

In der darauf folgenden Sequenz erscheint das Gesicht Allen Ginsbergs in Großformat, dabei wird fernsehtypisch sein Name eingeblendet. Es handelt sich um frühere Videoauf- nahmen Paiks, die Ginsberg bei einer Meditation zeigen. Zu hören ist neben Ginsbergs Meditationsgesang ein Zimbelschlag in gleichmäßigem Rhythmus. Die stark verlangsamte Geschwindigkeit bildet einen deutlichen Kontrast zur vorangegangenen Sequenz. Im wei- teren Verlauf wird das farblich veränderte Gesicht Ginsbergs von einer zweiten Bildebene

469 1970 kam der Videosynthesizer im Rahmen einer Sendung des öffentlichen TV-Senders WGBH in Boston erstmals live zum Einsatz (s. Manuela Ammer, a. a. O., hier: S. 54). 111

überlagert, die aus abstrakten Farbmustern besteht, welche sich zunehmend mit dem Ge- sicht zu einer Bildebene verbinden. Dabei kommt es an den Schnittstellen zwischen Gesicht und umgebenden Farbflächen zu „Interferenzphänomenen“, die an die Solarisationseffekte der vorangegangenen Sequenz erinnern. Nach einiger Zeit der langsam fließenden Bild- transformation setzt ein Wahrnehmungsprozess ein, den Spies als „gelenktes Zeitsehen“ bezeichnet: Die Störung des Wiedererkennens führt zu einem Eindruck, „den scheinbar willkürlichen“ Verformungen des Bildes „ausgesetzt“ zu sein. Bei weiterer Störung des ver- trauten Fernsehbildes beabsichtigt der Betrachter nicht mehr, dieses zu erkennen und nimmt die Bildtransformation nicht mehr als Störung wahr, sondern sieht stattdessen die abstrakten Ornamente und konzentriert sich auf Merkmale ihrer Struktur. 470 Spies bezeich- net diesen Prozess als ein „,Entleeren‘ des Mediums von seiner Message“ im Sinne Marshall McLuhans. 471 „Nach einem Paikschen Eingriff bleibt als Message nicht viel mehr übrig als das Medium.“, schreibt auch Edith Decker. 472 Ebenso sieht es auch Wulf Herzogenrath, wenn er schreibt, dass es Paik um das Medium und um die Macht der Bilder als solche gehe und sich die Flut bunter Informationsbilder schließlich im weißen Rauschen auflöse. 473 Wenn mit zunehmender Verfremdung vertraute Wahrnehmungskonventionen der Fern- sehbilder schrittweise außer Kraft gesetzt werden, richtet sich der Blick des Betrachters auf die formale Struktur der bunten, schnell bewegten Bilder. Die Wahrnehmung ist dann los- gelöst von der Erwartung, vertraute Gegenstände wiederzuerkennen, so dass sich „ein Di- alog zwischen den Bildbewegungen und einem vom Betrachter ausgehenden Blick“ entwi- ckeln kann. 474

In der darauf folgenden Sequenz wird dieser Prozess abermals umgekehrt, wenn der Be- trachter wieder „zurückversetzt“ wird in die Wahrnehmung wiedererkennbarer bewegter Bilder, zumal hier bereits aus dem Video bekannte Motive wieder aufgegriffen werden. Wenn diese im weiteren Verlauf durch Schichtungen und Farbverfremdungen verändert werden, werden auch diese Transformationen als bereits vertraute Verfahren wahrgenom- men. Neu hinzugekommene Verfremdungsformen werden als konsequente Steigerung er- lebt. Die Geschwindigkeit der Einstellungswechsel und Schnitte erhöht sich. Schließlich erfolgen die Wechsel im Sekundentakt und es sind nicht mehr nur die Tänzerinnen, die sich

470 Vgl. Christian Spies (2007), a. a. O., S. 254 f. 471 Ebd., S. 255. 472 Edith Decker: Hardware, in: Nam June Paik. Video Time – Video Space, Ausstellungskatalog Kunsthalle Basel und Kunstmuseum Zürich, 1991, S. 67-75, hier: S. 67. 473 Wulf Herzogenrath: Nam June Paik. Die subversive Spiele der Doppelbödigkeit, in: Lothar Romain und Detlef Bluemer (Hg.): Künstler. Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, München 1988, S. 7 ff. 474 Vgl. Christian Spies (2007), a. a. O., S. 255. 112

im Rhythmus der Musik bewegen, sondern auch die Schichtungen und abstrakten Farb- spiele synchronisieren sich mit dem Rhythmus der Musik, so dass der Eindruck von „tan- zenden Bildern“ 475 entsteht. Bereits aus vorherigen Sequenzen bekannte Solarisationsef- fekte verbinden sich mit Positiv-Negativ-Verfremdungen, und die Flächen der tanzenden Körper füllen sich mit bewegten, abstrakten Farbornamenten, während der Hintergrund als monochrome Fläche in wechselnden Farben erscheint. Wenn die auf reine Silhouetten re- duzierten tanzenden Körper „mit dem bewegten Farbspiel ausgefüllt“ werden, werden sie „zu Bildern, die wieder selbst zu tanzen beginnen“ (Spies).476

Im weiteren Verlauf erscheint in der Bildmitte regelmäßig ein bereits aus vorangegangenen Sequenzen bekanntes spiralförmiges Element, das nun den Eindruck einer graphischen Spur der Tanzbewegung evoziert. Damit kommt der Tanz in dieser Sequenz auf drei Ebe- nen zum Ausdruck: Erstens „indirekt in Form von wiedererkennbaren tanzenden Kör- pern“, zweitens „direkt in Form von tanzenden Bildern“ und drittens „als Spuren auf der Bildfläche.“ 477 Die Spiralform erinnert an die „dripping“-Spuren in der Malerei Jackson Pollocks, die Resultate seiner Bewegungen sind. 478 Die Körperbewegungen sind mit den Bewegungen der synthetischen Verfremdungeffekte verschränkt. 479 Der Wechsel zwischen wiedererkennbaren und abstrakten Sequenzen bestimmt das gesamte Band. Dabei werden rhythmische Formen auf verschiedenen Ebenen (als Ton, Tanzmotive, Schnittfolgen oder in Form wechselnder Geschwindigkeiten) miteinander in Beziehung gesetzt. 480

In einer weiteren Sequenz spricht Charlotte Moorman im Interview mit dem Videokünstler Jud Yalkut über das TV-Cello, das Paik 1971 für sie entwickelt hat. Gleichzeitig ist das In- strument, dessen Klangkörper aus drei Fernsehmonitoren unterschiedlicher Größe besteht, zu sehen. Nach einem Schnitt sieht man den Cellisten Alan Schulman in einem Konzert, die Bilder sind wieder mit dem Blue-Box-Verfahren verfremdet. Danach erscheint der Cel- list verdoppelt: sitzend im Raum und zugleich ein zweites Mal auf einem Monitor dahinter. Gleichzeitig ist die Fortsetzung des Gesprächs zwischen Yalkut und Moorman zu hören. Nach einem weiteren Schnitt ist Schulmans Spiel weiterhin zu hören, er ist nun jedoch auf einem der Monitore des TV-Cello zu sehen. Wenn sich danach der Bildausschnitt wieder vergrößert, ist Charlotte Moorman mit dem gesamten TV-Cello auf einer Konzertbühne zu

475 s. ebd., S. 256. 476 Ebd. 477 Ebd. 478 Ebd. 479 Ebd., S. 256 f. 480 Ebd., S. 257. 113

sehen. Auf jedem der drei Monitore erscheint Alan Schulman, so dass sich die Gesamtsitu- ation nun als Duett mit herkömmlichem Cello und TV-Cello erschließt. Bei dem TV-Cello handelt es sich um eine Closed-Circuit-Videoinstallation, bei der die Videoaufnahmen auf den drei Monitoren des Instruments in Realzeit präsentiert werden. In der vervielfachten Konzertsituation können die beiden Musiker auf die Bilder reagieren. Hier finden Rück- kopplungseffekte nicht auf technischer Ebene statt, sondern „zwischen Bild und Betrach- ter, der damit auch zugleich zum Akteur wird.“ 481 Durch die nochmalige Präsentation der Closed-Circuit-Aufnahmen im Video entsteht für den Betrachter des Videos eine komplexe Situation, in der sich verschiedene Realitäts-, Zeit- und Bildebenen verbinden. Zugleich werden unterschiedliche Bild- und Tonebenen verschränkt. Die hieraus resultierende Irri- tation wird noch dadurch verstärkt, dass die einzelnen Ausschnitte den vertrauten doku- mentarischen „Strategien“ des Fernsehbildes folgen. 482

Eine im Jahr 1973 noch eher an der Überschaubarkeit des Tafelbildes orientierte Betrach- tungsweise wird durch Videobänder wie Global Groove irritiert. Anja Oßwald beschreibt die Verunsicherung, die entsteht, wenn an die Stelle des statischen Bildes eine Reihung beweg- ter Bilder tritt, die sich in der Zeit entwickeln und immer nur für einen begrenzten Zeitraum sichtbar sind - Bilder, „deren Geschwindigkeit […] durchaus Schwindeln machen kann. […]“. 483 Wir nehmen in Global Groove eine Flut bunter Bilder wahr, ohne auf ihre Bedeutung zu achten. Paik wendet damit ein Prinzip an, das uns seit den frühen 1980er Jahren in der Werbung, in Musik-Videoclips und auf YouTube begegnet und seitdem Bestandteil unserer alltäglichen Medienerfahrung geworden ist. Der Überschuss sich gegenseitig überlagernder Bildimpulse, der das Band kennzeichnet, ist heute eher aus einem massenmedialen Kontext bekannt. Anders als viele Künstlervideos der frühen Jahre grenzt sich Global Groove nicht von vornherein von der gängigen „Fernsehästhetik“ ab. „Umarme Deinen Feind und gehe sicher, dass es in Farbe kommt.“ 484 – So beschreibt Davis Ross Paiks Strategie.

Zunächst mag die zeitliche Strukturierung von Global Groove wie eine Antizipation des Be- griffs „flow“ erscheinen, den Raymond Williams ein Jahr nach Entstehung des Bandes prägte (s. III/4f). Nach der Eingangssequenz jedoch verweigert sich das Band den Erwar- tungshaltungen der Zuschauer. Global Groove kam zwar im Fernsehen zur Ausstrahlung,

481 Ebd., S. 258. 482 Ebd. 483 Anja Oßwald: “Elecronic Collages”: Paiks Videobänder, in: Nam June Paik. Fluxus/Video, Ausstellungskatalog Kunsthalle Bremen, 1999, S. 160-171. 484 David Ross: Nam June Paik: Overkill als Ideologie, in: Nam June Paik. Werke 1946-1976. Musik – Fluxus – Video, Ausstellungskatalog Kölnischer Kunstverein, 1977, S. 108-116. 114

doch es führt die vertrauten Konventionen des Mediums systematisch ad absurdum. Chris- tian Spies spricht in diesem Zusammenhang von einer „Aussöhnung“ mit dem Fernsehen, von einer „Anverwandlung“, ja „Vereinnahmung“ der Fernsehästhetik und sieht in dem Band das „Paradox einer medientechnischen Zukunftsvision, die permanent von sich selbst durchkreuzt wird.“ 485 Mit allen ihm zur Verfügung stehenden videotechnischen Mitteln versetzt Paik hier die beiden Pole Medieneuphorie und Medienkritik, zwischen denen sich das Band bewegt, in ein Wechselspiel und macht dieses für den Betrachter wahrnehmbar.

Im Hinblick auf die Zeiterfahrung liegt dem Band ein Arbeitsprinzip zugrunde, das Paiks Werk mitkonstituiert: Sequenzen mit gegensätzlicher Struktur und unterschiedlicher Ge- schwindigkeit stehen einander gegenüber. Verlangsamung und Statik wird kontrastiert mit Beschleunigung und staccato-artiger Abfolge, die sich aus den Körper- und Gegenstands- bewegungen ergibt. Dieses Gestaltungsmerkmal, das auch die Bildfolge anderer Videobän- der Paiks kennzeichnet, bestimmte bereits seine frühen musikalischen Kompositionen und auch den Handlungsablauf der Performances. So wurde z. B. der plötzliche, blitzartige Akt der Zertrümmerung der Violine in One for Violin Solo vorbereitet durch eine gedehnte Phase der Konzentration, in der Paik zum Schlag ausholt (s. III/1c). 486

Anja Oßwald vergleicht die synthetische Bearbeitung der Bildsequenzen in Paiks Videocol- lagen mit einem „[…] Klebstoff, der die einzelnen Fragmente zusammenbindet.“ 487 Von „Klebestreifentechnologie“ spricht auch David Ross. 488 Christian Spies zeigt, wie sich der Video-Synthesizer auch gerade in Bezug auf die Zeitwahrnehmung als „elektronischer Klebstoff“ erweist: Indem er der ursprünglichen Bewegung und dem damit verbundenen Zeitfluss einen Widerstand entgegensetzt, lösen sich einzelne Bildbewegungen auf und tre- ten in ein „Wechselverhältnis“, das den Eindruck einer Zeitverzögerung bewirkt. Es ent- steht eine „zähe Masse aus Bildern“, „träge Bilder“. Wenn bei der Montage durch schnelle Bildwechsel die Bewegung der Bilder nochmals beschleunigt wird, verstärkt sich dieser Ein- druck einer Geschwindigkeitsverminderung. Die konkreten Einzelbewegungen betrachtet Spies als Zeitimpulse, die sich dann neutralisieren. Hierin sieht er eine Bestätigung seiner These einer „Kontinuität von Bildlichkeit und Zeit im künstlerischen Bild“, die auch nach

485 Christian Spies (2007), a. a. O., S. 244 f. 486 Hans-Werner Schmidt: Anti-These und Sandwich – Zur Werkstruktur bei Nam June Paik. In: Kat. Video Time – Video Space. Hg. von Toni Stooss und Thomas Kellein, Ostfildern-Ruit 1991, S. 85-93, hier: S. 91. 487 Anja Oßwald: “Elecronic Collages”: Paiks Videobänder, in: Nam June Paik. Fluxus/Video, Ausstellungskatalog Kunsthalle Bremen, 1999, S. 160-171, hier: S. 167. 488 Im Unterschied zu Oßwald bezieht sich Ross mit „Klebestreifentechnolgie“ aber auf Paiks frühen techni- schen Experimente in der Wuppertaler Ausstellung, bei denen dieser das Fernsehbild mit Magneten verfrem- dete. - Vgl. David Ross: Nam June Paik: Overkill als Ideologie, in: Nam June Paik. Werke 1946-1976. Musik – Fluxus – Video, Ausstellungskatalog Kölnischer Kunstverein, 1977, S. 108-116, hier: S. 114. 115

dem „vermeintlichen Bruch zwischen Tafel- und Videobild“ Bestand habe: Die Bilder wür- den dann – wie bei herkömmlichen Verfahren – wieder „frei verfügbar“ und „formbar“, bis hin zu einer „bildliche[n] in der Zeit.“ Eine verstärkte Beschleunigung der Videobilder führe so zu einer Transformation in „träge Bilder“, die sich den Erwartungen an das Massenmedium Fernsehen entziehen. 489 In dieser „Trägheit des Bildes“ trifft sich also – bei allen Differenzen zwischen den beiden Medien – das vermeintliche Gegensatz- paar Malerei und Video. Mit „Trägheit“ meint Spies eine „Flexibilität des Mediums Bild in seinem Vollzug“, in der sich nicht nur „die Verzeitlichung der vermeintlich statischen und objekthaften Flächenbilder zugunsten eines prozessualen Dialogs“ wieder finden, sondern auch „der dynamische Fluss der Videobilder, der selbst ins ‚Stocken‘ gerät.“ Auf diese Weise vereinen sich in Spies‘ Begriff der Trägheit des Bildes „Stillstand und ‚rasender Stillstand‘“ unmittelbar – allerdings nur, „um sich von da ausgehend wieder in der Vielzahl einzelner Bilder zu multiplizieren.“ 490

„The feeling man shoots, the thinking man edits.“, sagt Paik. 491 Obwohl er einer der Ersten war, die eine Videokamera verwendeten, war es nicht in erster Linie das Aufnehmen von Bildern, das in interessierte, sondern vielmehr deren elektronische Bearbeitung und zeitliche Strukturierung.

Zu Beginn seiner Arbeit mit Video hat er das ausgestrahlte Fernsehprogramm als Ausgangs- material verwendet und an diesem seine Verfremdungstechniken entwickelt. Dies war nicht nur formal, sondern auch inhaltlich von Bedeutung, denn Paik setzte sich kritisch mit der Rolle des Fernsehens als mächtigstem Informationsmedium auseinander. Auch nachdem er mit seiner Videokamera eigene Aufnahmen machen konnte, verwendete er weiterhin auch Mitschnitte des Fernsehprogramms. Wenn er Reproduktionen von Marshall McLuhan oder Richard Nixon deformierte, stellte er das durch das Fernsehen verbreitete Bild in Frage. Spätere Bänder wie Global Groove können in ihrer Struktur als Extrakt des Fernsehens angesehen werden. Dieter Daniels spricht in diesem Zusammenhang von einer „Simulation von Zapping“. 492 In vielerlei Hinsicht ist Global Groove exemplarisch für Paiks Videobänder. Einen Plot, eine linear sich entwickelnde Geschichte gibt es nicht, vorherr- schendes Thema ist Kommunikation. Paik verstand seine Bänder nicht als Kommentar des

489 Vgl. Christian Spies (2007), a. a. O., S. 278 f. 490 Vgl. ebd., S. 280 f. 491 Während einer Podiumsdiskussion zum Thema Editing Video: Esthetics & Economics in den Anthology Film Archives in New York am 1. Mai 1982 zitierte die Videokünstlerin Kit Fitzgerald diesen Ausspruch Paiks. - s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 180. 492 Vgl. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 124. 116

Fernsehens, sondern als dessen Variante. Sie entsprechen der collageartigen Gesamtstruk- tur der Fernsehprogramme. Die Collagetechnik seiner Videobänder hatte Paik strukturell aus seinen frühen Tondbandcollagen entwickelt.

Die zeitliche Dimension ist in Paiks Videocollagen immer strukturiert. Die Zeit wird in ihnen gestaltet durch Verdichten, d. h. vergleichbar einem Spielfilm ist der in den Video- bändern gemeinte Zeitraum länger als die Spieldauer. Dabei werden einzelne Sequenzen miteinander in Beziehung gesetzt. Paik behandelt das Bildmaterial in Global Groove wie Klänge. Der zeitliche Rhythmus der Bilder ist für ihn ebenso wichtig wie deren optische Qualität. 493 Im Essay Random Access Information schreibt Paik: „When you make films, you dye the chemicals with nature, through the lens. But in television, there is no direct rela- tionship between reality and the picture, just code systems. So we got into time.” 494 Paik vergleicht hier die Videokamera mit der Filmkamera: Anders als die Filmkamera, die eine unmittelbar abbildende Funktion hat, bildet die Videokamera die empfangenen Lichtstrah- len nicht ab, sondern codiert sie in abstrakte Werte, die beim Abspielen wieder entschlüsselt werden. Durch diesen Abstraktionsprozess ergibt sich aus den Videobildern Bildmaterial, das von der Natur unabhängig ist und zeitlich strukturiert werden kann. Damit sind die Videobänder vergleichbar mit musikalischen Kompositionen, bei denen sich aus einzelnen Noten das Musikstück ergibt. 495

Die Videotechnik bietet verschiedene Möglichkeiten, die Zeit formal zu strukturieren. Die Gliederung in Global Groove ist für Paiks Videobänder charakteristisch: Unterschiedlich lange Bildsequenzen werden aneinandergereiht, wobei sich langsame und sehr schnelle Passagen abwechseln. Die schnellen Sequenzen bestehen häufig aus abstraktem Bildmate- rial. In Global Groove werden schnell bewegte Abschnitte unterbrochen von Passagen, in den John Cage mit ruhiger Stimme spricht oder Alan Ginsberg ein „Om“ anstimmt.

Eine andere Form, die Zeitstruktur zu gestalten, ist das Blue-Box-Verfahren, bei dem ein zweites oder mehrere weitere Bilder eingesetzt werden. Dies ermöglicht die Darstellung von Simultaneität, indem verschiedene Ereignisse nebeneinander gestellt werden. Begebenhei- ten, die gleichzeitig, aber an verschiedenen Orten stattfinden, können so auf dem Bild- schirm vereint werden. 496 Oder Geschehnisse, die sich zu verschiedenen Zeiten ereignen, sind zur gleichen Zeit zu sehen.

493 Vgl. Decker (1988), a. a. O., S. 169. 494 Nam June Paik: Random Access Information (1980), in: Artforum, Bd. 9, 1980, H. 11, S. 46-49, hier: S. 47. 495 Vgl. Decker (1988), a. a. O., S. 169. 496 s. Good Morning Mr. Orwell (VII/3). 117

In einem Interview mit Jean-Paul Fargier sagt Paik, die Farbe sei in der Natur eine Funktion des Geschlechts, in der Malerei eine des Raumes und bei Video eine Funktion der Zeit. 497 Die Farbe des Videobildes entfaltet sich sukzessive in der Zeit. An die Stelle von Pigmenten tritt Licht. 498 Hilmar Mehnert untersuchte an Fernsehsendungen die Abhängigkeit des sub- jektiven Zeitempfindens von der Farbgebung und kam zu dem Ergebnis, dass gedämpfte, kontrastarme Farben die subjektiv erfahrene Zeit zu dehnen scheinen. 499 Entsprechend dieser Beobachtung wird in Global Groove das hohe Tempo des Schnittes durch das leuch- tende Kolorit des Bildmaterials subjektiv nochmals beschleunigt.

Neben der formalen ist auch die inhaltliche Struktur von Paiks Videobändern bereits in seinen frühen Kompositionen angelegt. So enthält z. B. die 1961 entstandene Symphony for 20 Rooms Nachrichten, Nationalhymnen und Folklore verschiedener Nationen sowie auch philosophische Texte (s. II/1). Auch das Prinzip des „Recycling“ kennzeichnete bereits Paiks Tonbandcollagen, in denen vorhandenes - nach Zeitlängen geordnetes - Klangmate- rial für die Komposition verwendet wurde. Nach dieser musikalischen Kompositionsme- thode gestaltete Paik auch seine Videobänder, in denen er ebenso vorwiegend mit bereits vorhandenem Bildmaterial arbeitete und auch Ausschnitte aus Arbeiten anderer Künstler verwendete. Mehr als die Ästhetik des Einzelbildes interessierte Paik dabei die formale Ge- staltung des Gesamten. Videocassetten für den Vertrieb produzierte er daher erst, als ihm professionelle Schneidetechnik zur Verfügung stand. Paiks Schnitttechnik ist von vielen Videokünstlern der jüngeren Generation übernommen worden und inspirierte auch das amerikanische Werbefernsehen. 500

2. Die Rolle des Zufalls und das Aufbrechen des linearen Zeitverlaufs a) A Tribute to John Cage 501 (Abb. 32) entstand 1973 anlässlich des sechzigsten Ge- burtstags von John Cage im Jahr 1972. Es handelt sich um eine Würdigung, in der weniger über den Komponisten Cage berichtet wird, sondern vielmehr Cage selbst agiert.

497 Vgl. Jean-Paul Fargier: L’arche de Nam June, in: Art Press, 1981, H. 47, S. 7. Zit. nach Decker (1988), a. a. O., S. 171. 498 Vgl. Decker (1988), a. a. O., S. 171. 499 Hilmar Mehnert: Die Farbe in Film und Fernsehen. Leipzig 1974, S. 269 und 362. 500 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 167 f. 501 60 Min., Farbe, Ton. - Das Band kann im Video-Forum des Neuen Berliner Kunstvereins e. V. angeschaut werden.

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In seiner inhaltlichen Struktur ist A Tribute to John Cage vergleichbar mit Global Groove. Wie jenes besteht es aus einer collagehaften Ansammlung unterschiedlichsten Materials. Auf Sequenzen, die Cage und sein Werk vorstellen, folgen Teile, die zu diesen in direkter Bezie- hung stehen. Sequenzen, in denen John Cage am Tisch sitzt und Anekdoten erzählt, wech- seln sich ab mit Ausschnitten aus anderen Videobändern Paiks.

Zu Beginn sehen wir Paiks Robot K 456 beim Spaziergang durch die Stadt. Darauf folgt ein Interview von Russel Connor mit dem Musiker Alvin Lucier, der erklärt, warum er sein Stottern nicht mehr unterdrücke. Er könne seine Art zu sprechen nun als gegeben hinneh- men, da er von Cage gelernt habe, dass alle Erscheinungen gleichwertig seien. So bestehe auch kein Wertunterschied zwischen seinem Sprach-„Fehler“ und „normalem“ Sprechen. Luciers Stottern klingt dabei bisweilen wie eine - auch von Paik häufig eingesetzte - elektronische Verfremdung der Tonspur durch Anhalten, Verdoppeln oder Veränderung der Geschwindigkeit. Die Uraufführung von Tacet in Woodstock sei „sehr viel bedeutender gewesen [...] als die Massen von im Schlamm sitzenden Hippies während des legendären Rockfestivals in Woodstock“, sagt Lucier. 502 Auf diese Äußerung folgt ein Ausschnitt aus dem Film „Woodstock“.

Danach wird eine Performance auf dem Harvard Square in Woodstock gezeigt, bei der die Uraufführung der Komposition 4‘33‘’ (Tacet, Tacet, Tacet) vom 29. August 1952 nachgestellt wird. Diesmal sitzt nicht David Tudor am Piano, sondern Cage hat selbst den Part des Pianisten übernommen. Anschließend wird dasselbe Stück in anderer Form wiederholt: Durch den Wurf von I-Ging-Stäben ermittelt Cage sein Zahlensystem, nach dem im Stadt- plan die Aufführungsorte der drei Sätze der Komposition festgelegt werden. Durch Zufall wurden zwei Plätze in Harlem und einer auf dem Times Square ermittelt, wo das Stück aufgeführt werden soll. Nicht nur der Inhalt der Komposition, deren Musik ausschließlich aus vorhandenen Umweltgeräuschen besteht, sondern auch ihre Aufführungsorte werden also durch den Zufall bestimmt.

An dieser Szene wird Paiks Versuch, den linearen Verlauf der Zeit aufzubrechen, deutlich: Die Abfolge der Bilder ist zerlegt in sehr kurze Fragmente, die vorwärts und zurück laufen, und erscheint dadurch als wiederholtes „Schütteln und Zittern“. 503 Dieser Eingriff in den zeitlichen Ablauf einer Bewegung zerstört die Illusion des Zuschauers, Abbild und Wirk-

502 Ebd., S. 157. 503 Ebd., S. 170. 119

lichkeit seien identisch. Auf dem Bildschirm wird nicht die vertraute Wirklichkeit abgebil- det, sondern eine eigene Wirklichkeit kreiert, deren nichtlineare Zeitstruktur Paik mit der von Träumen vergleicht (s. IV/9). Paik hat in das Band Teile aus verschiedenen älteren Bändern eingebracht. 504 In einer Se- quenz, die Violence Sonata von Stan Vanderbeek aus dem Jahr 1969 entstammt, sehen wir einen Mann, der mit einer Axt ein Klavier zerstört. 505 Für Edith Decker liegt die besondere Bedeutung dieser Szene vor allem in der Betonung des Stellenwertes, den John Cage im Werk Paiks einnimmt. Hier komme zum Ausdruck, welch „einschneidendes Erlebnis“ Paiks Begegnung mit Cage gewesen ist. Es zeige sich: Durch die Begegnung mit Cage hat Paik die Freiheit erlangt, ein Stück wie Hommage à John Cage zu komponieren, dessen Schluss vorsieht, ein Klavier umzuwerfen. 506 Mindestens ebenso nahe liegend erscheint eine Inter- pretation des zerstörerischen Aktes als Illustration der Irritation in Bezug auf das vertraute Verhältnis von Bild und Abbild, die die Zerstörung des linearen Zeitverlaufs bewirkt.

b) Guadalcanal Requiem (Abb. 73-76) 507

Die Insel Guadalcanal, die zu den nordöstlich von Australien gelegenen Solomon-Inseln gehört, wurde im Jahr 1944 Schauplatz einer der Schlachten zwischen Japan und den USA. In dem Video nehmen Paik und Moorman mit Performances an signifikanten Plätzen Stel- lung zu den Kriegsereignissen. Am Anfang hören wir einen von Russel Connor aus dem Off gesprochenen Kommentar, in dem er auf die politischen Hintergründe des Krieges zwischen USA und Japan anspielt. Die eigentliche Ursache des Krieges, so Connor, sei das im Jahr 1940 gegen Japan verhängte Ölembargo gewesen. Hierdurch seien die Japaner z. B. zum Bau von mit Holzkohle angetriebenen Fahrzeugen gezwungen worden. Dieser Kon- flikt, der später zur Schlacht von Pearl Harbor führte, sei somit der erste Ölkrieg gewesen. 508

504 Es handelt sich u. a. um Paiks Bänder Chroma Key Bra, Video Commune, The Selling of New York und Variation Nr. 5 (s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 157). 505 Diese Szene nimmt zum einen Bezug auf das von Paik komponierte Stück Hommage à John Cage, an dessen Ende vorgesehen ist, ein Klavier umzuwerfen. Zum anderen kann diese Sequenz auch als Anspielung betrach- tet werden auf eine - nicht geplante - Destruktion eines von Paiks Exponaten bei der Ausstellung in der Wuppertaler Galerie Parnass im Jahr 1963, bei der Paik seine vier präparierten Klaviere ausstellte und Joseph Beuys eines der Klaviere vollkommen zerstörte. 506 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 157. 507 1977-79, 29 Min., Farbe, Ton. Die erste - 45-minütige - Fassung wurde erstmals im Februar 1977 gesendet. – Guadalcanal Requiem kann im Video-Forum des Neuen Berliner Kunstvereins e. V. angeschaut werden. 508 s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 162. 120

Auf einem Flugzeugwrack im Urwald führt Charlotte Moorman Infiltration  Homogen für Cello von Joseph Beuys auf. In einer weiteren Sequenz sehen wir das Stück Peace Sonata von Paik: Charlotte Moorman trägt eine Uniform und kriecht in glühender Hitze mit einem auf den Rücken gebundenen Cello über den steinigen Strand, während Paik eine Violine an einem Band hinter sich herzieht. Hierbei handelt es sich um eine Realisation seiner Kom- position Violin with String (Abb. 4). Kontrastiert werden diese Performances von alten Kriegs-Dokumentarfilmen. Es werden makabre Kriegsbilder gezeigt, die ergänzt werden durch Berichte von Insulanern und ehemaligen Angehörigen der Marine. Wir sehen Inter- views mit dem US-Marine Bob Edwards und Gespräche mit einheimischen Augenzeugen. Auch der junge John F. Kennedy, der zu den auf amerikanischer Seite kämpfenden Soldaten gehörte, taucht auf. Dabei fügen sich die Dokumentarfilme bruchlos in das übrige Bildma- terial ein.

Bei der komplizierten Struktur des Bandes überlagern sich verschiedene Erzähl- und Be- deutungsebenen, wobei sich aus der Art, in der die einzelnen Teile miteinander verbunden sind, eine komplexe Aufarbeitung der kriegerischen Auseinandersetzung ergibt. 509 Signifi- kantes Merkmal des Bandes ist seine nichtlineare Zeitstruktur mit zwei zueinander gegen- läufigen zeitlichen Ebenen. 510 Wenn die Performances von Moorman und Paik an Plätzen mit Relikten des Krieges stattfinden, kommt es zu einer Vermischung der Zeitebenen, die einer Begegnung von Vergangenheit und Gegenwart gleichkommt. Durch die eingefügten Ausschnitte aus Dokumentarfilmen wird die Vergangenheit im Bild präsent. Während die Kriegsereignisse zeitlich rückläufig sind, verlaufen die entsprechenden Kommentare, Inter- views und Performances in der Realzeit. Die Gegenwart erscheint in Fragmenten durch wechselnde Szenen. Die in der Zeit rückläufigen Kriegsdokumente sind „kontrapunktisch“ in die fortschreitende Realzeit dieser Gegenwart eingearbeitet. Verdeutlicht wird dies durch den eingeblendeten digitalen Zeitmesser verdeutlicht. Edith Decker interpretiert die zeitli- che Umkehrung als Aufhebung der Kampfhandlungen. 511

„[...] the main Charakter of the Guadalcanal is neither Charlotte Moorman nor Bob Edwards [...] Main character of this show is time.“, sagt Paik über dieses Band. 512

509 s. ebd. 510 s. ebd., S. 163 511 Ebd., S. 170. 512 Intermedia, hg. von Hans Breder/Stephen C. Foster. School of Art and Art History. The University of Iowa. De Moines, Iowa, 1978, S. 135. 121

3. Merce by Merce by Paik (Abb. 77-81) 513 a) Blue Studio: Gleichzeitigkeit

Der erste Teil des Bandes, Blue Studio: Five Segments, wurde produziert von Merce Cunning- ham 514 und seinem Videodirektor Charles Atlas. Bei den gezeigten fünf Tanzszenen Cun- ninghams wird häufig der Blue-Box- oder Chroma-Key-Effekt eingesetzt, durch den völlig neue Räume entstehen und der Eindruck erweckt wird, Cunningham tanze in verschiede- nen Umgebungen. Durch das Prinzip der Verdoppelung und Vervielfachung wird der Ef- fekt erzeugt, dass Cunningham mit sich selbst im Duett oder als Gruppe tanzt. Am Ende dieses Teils sehen wir Cunningham gleichzeitig fünfmal in den verschiedenen Kostümen der fünf vorangegangenen Tanzszenen.

b) Merce and Marcel : Reversible und irreversible Zeit

In diesem Teil, einer Gemeinschaftsproduktion von Paik und Shigeko Kubota, werden un- ter anderem Sequenzen aus dem ersten Teil wieder verwendet und mit Ausschnitten aus einem Gespräch, das Russel Connor 1964 mit Marcel Duchamp führte, kombiniert. Es wird die Beziehung Cunninghams zu Duchamp geschildert. Beginnend mit den tastenden Ver- suchen eines Babies, das verschiedene Bewegungsformen ausprobiert, werden unterschied- liche Arten des Tanzes und der Bewegung gezeigt. Zu jeder Szene erscheint die Einblen- dung: „Is this dance?“. Dies kann als „Plädoyer für die Erweiterung des Begriffes Tanz“ ver- standen werden.515

513 1975, 30 Min., Farbe, Ton. – Merce by Merce by Paik kann im Video-Forum des Neuen Berliner Kunstvereins e. V. angeschaut werden. 514 Der Tänzer und Choreograph Merce Cunningham (1919-2009) gehörte zu den Erneuerern des amerikani- schen Tanzes. Zu Anfang seiner Laufbahn war er Solotänzer bei der Martha Graham Company, bevor er in den frühen 1940er Jahren eine eigene Tanzgruppe gründete. Seine Choreographie ist von natürlichen Bewe- gungen wie Gehen, Laufen usw. geprägt und hat sich damit weit vom Klassischen Ballett entfernt. Cun- ningham folgte in seinen Choreografien den Methoden seines Arbeits- und Lebenspartners John Cage, die dieser für seine Kompositionen verwendete. Jede Bewegung konnte jeder anderen folgen und jede Bewegung war erlaubt. In der Anordnung setzte Cunningham wie Cage Zufallsprozesse ein. Der Gebrauch des Zufalls befreite Cunningham von den Einschränkungen der Gewohnheit und Intuition und eröffnete Bewegungs- möglichkeiten, die er anders nicht gefunden hätte. Seit 1943 arbeitet John Cage als Komponist und musikali- scher Direktor mit der Cunningham Company zusammen. Cunningham war der erste, der Video mit Tanz verband. – Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Merce_Cunningham und: Edith Decker (1988), a. a. O., S. 160 f. - Cunningham entwickelte eine differenzierte Körpersprache, in der er den Ausdruck von Emotion vermied. - „In reference to the current idea that dance must be expressive of something and that it must be involved with the images deep in our conscious and unconscious, it is my impression that there is no need to push for them.“, schreibt Cunningham in einem 1978 in der Zeitschrift Esthetics Contemporary veröffentlichten Artikel (Merce Cunningham: „The Impermanent Art“, in: Richard Kostelanetz (Hg.): Esthetics Contemporary, Buffalo, New York, 1978, S. 186-190). 515 Edith Decker (1988), a. a. O., S. 160 f. 122

Am Ende sehen wir aus der Vogelperspektive aufgenommene Autos, die in schlingernder Bewegung eine Straße Manhattans entlang fahren. 516 Erneut wird wiederholt die Frage „is this dance?“ eingeblendet – und schließlich von einer weiteren Einblendung beantwortet: „it’s taxi dance.“. Cunningham löste den Begriff des Tanzes aus seiner historisch definierten Bin- dung an die Kunst und weitete ihn auf das alltägliche Leben aus. Jede Bewegung kann damit als Tanz verstanden werden. 517

Eigentlicher Handlungsträger des Bandes ist das Spiel mit der Zeit. Während es in Guadal- canal Requiem zwei zueinander gegenläufige Zeitebenen gibt, werden hier verschiedene zeit- liche Ebenen ineinander verschachtelt. 518 Der zweite Teil variiert das Porträt des Tänzers im ersten Teil, indem Sequenzen ergänzt und kommentiert werden. Insbesondere wird die Beziehung Merce Cunninghams zu Marcel Duchamp thematisiert. Auf den Ausschnitt aus einem Interview Russel Connors mit Duchamp aus dem Jahr 1964 folgt ein Interview Con- nors mit Cunningham zehn Jahre später. Ein Monitor zwischen Connor und Cunningham zeigt währenddessen das frühere Interview. Durch Einblendung der Schrift: „Dance of time. Time reversible and irreversible“ wird zusätzlich auf das Spiel mit den unterschiedli- chen Zeitebenen verwiesen. Duchamp spricht den Satz: „There is no problem, there is only a solution.“ Dies kann als Kommentar dazu verstanden werden, dass das, was in der Realität nicht möglich ist, nämlich die Zeit zurücklaufen zu lassen, hier, im Videoband, spielerisch leicht erscheint. 519

Einen Brief an die Herausgeber und Redaktionsmitglieder der Zeitschrift Radical Software beendet Paik 1972 mit dem Ausruf: „Lasst uns lange leben … so wie Marcel Duchamp.“ 520 Neben Stockhausen und Cage war Paiks Konzeption von Zeit auch maßgeblich von Duchamp beeinflusst, der sich bereits 1913 (in Erratum Musical) mit Zufallsoperationen aus- einandergesetzt hatte. 521 „Marcel Duchamp hat schon alles gemacht, außer Video […] Nur durch die Videokunst können wir über Marcel Duchamp hinausgehen“, sagt Paik 1975 in einem Interview. 522

516 Hierbei handelt es sich um einen Ausschnitt, der Bill Gwins Videoband Sweet Verticality von 1974 entnom- men wurde (s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 170). 517 s. ebd., S. 160 f. 518 s. ebd., S. 170. 519 s. ebd. 520 Brief von Nam June Paik an die Herausgeber und Redaktionsmitglieder der Zeitschrift Radical Software. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 80 ff. 521 Von Erratum Musical, Duchamps einziger Musikkomposition, gibt es zwei Versionen: Bei der ersten werden die Noten aus einem Hut gezogen. Bei der zweiten Variante fallen nummerierte Kugeln durch einen Trichter in die Waggons einer Modelleisenbahn. – s. Dieter Daniels, a. a. O., S. 108. 522 Nam June Paik in einem Interview mit Irmeline Lebeer, in Chronique de l’art vivant, Paris, 55, Februar 1975, S. 35. Zitiert nach: Ebd. 123

4. Lake Placid ’80 523 (Abb. 82, 83): Beschleunigung/Zeitraffung und Rückwärtsbe- wegung

Das anlässlich der Olympischen Winterspiele 1980 in Lake Placid entstandene Videoband enthält einen Zusammenschnitt von Aufnahmen, die sich auf Bewegungssequenzen ver- schiedener Sportarten konzentrieren. Neben Motiven aus Eislauf, Eishockey, Skilauf und Skisprung sind auch Flugzeuge am Himmel zu sehen sowie Beatgeneration-Dichter Allen Ginsberg. Die zum Teil stark beschleunigten Bewegungen sind zusätzlich durch Effekte wie Rückwärtsbewegungen verfremdet. Die Musik (Mitch Riders Devil with a blue Dress On) bestimmt das Tempo des Bandes. Unterbrochen wird die hohe Geschwindigkeit der Bewe- gungsfolgen durch die ruhigen Meditationsgesänge Ginsbergs. 524

5. Allan and Allen’s Complaint 525 (Abb. 33): Reversible und irreversible Zeit - Ver- dichtung und Aufhebung der Zeit

Wie Merce and Marcel entstand dieses Band in Zusammenarbeit Paiks mit seiner Frau Shigeko Kubota. Das enthaltene ältere Bildmaterial wird hier einem neuen Kontext untergeordnet. Allen Ginsberg und Allan Kaprow, der Erfinder des Happenings, werden mit ihren Vätern konfrontiert. Zu sehen sind in Israel entstandene Aufnahmen, die Allan Kaprow bei seinem Stone Happening zeigen, bei dem er am Tempel König Salomons in Jerusalem eine zweite Klagemauer aus Eisblöcken errichtet. Ein zentrales Thema des Bandes ist die Verdoppe- lung: 526 Durch ihre fast gleichen Vornamen erscheinen Ginsberg und Kaprow doppelt, wir sehen die beiden Väter sowie den doppelt erscheinenden Freund Ginsbergs, Peter Orlo- vsky. 527 Verdoppelt wird auch die Klagemauer durch Kaprows Eisblöcke.

Allen Ginsberg liest gemeinsam mit seinem Vater Gedichte vor. Wir sehen das Gesicht von Ginsberg, der ein bis dahin unbekannt gebliebenes Videoband von seinem drei Jahre zuvor gestorbenen Vater betrachtet. Wie ein „drittes Auge“ ist dieses Band auf der Stirn von Gins-

523 1980, 4 Min., Farbe, Ton. 524 s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 164. 525 1982, 30 Min., Farbe, Ton. 526 Verdoppelung ist in zahlreichen Arbeiten Paiks ein zentrales Motiv, z. B. im Videoband Merce by Merce by Paik (VIII/3) und in den Closed-Circuit-Installationen (VI/2). Nach Ansicht des Videoproduzenten Jean- Paul Fargier ist die Verdoppelung Paiks generelles Arbeitsprinzip (s. Jean-Paul Fargier: Dernière analogie avant le digital, in: Cahiers du cinéma, 1982, H. 341, S. 28-34, hier: S. 28 ff.). 527 s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 166. 124

berg jun. auch für den Zuschauer sichtbar, der damit nicht nur Ginsbergs Emotionen, son- dern zugleich seine diese auslösenden visuellen Eindrücke sehen kann. Indem Vergangenes und die Erinnerung an das Vergangene gegenwärtig werden, wird Zeit verdichtet. Ein- drucksvoll und berührend wird hier Zeit gestaltet und sichtbar gemacht - und zugleich aufgehoben durch die Möglichkeiten der Videotechnik. 528

„There is no problem, there is only a solution“, sagt Duchamp (1964). 529 “There’s no re- wind button on the Betamax of life”, sagt Paik (1980) 530 und fasst damit wie in einer Formel die Theorien zeitbasierter Medien zusammen. Die Zeit, die wir erleben, können wir nicht wiederholen. Nur wenn wir das Leben technisch mit einer Speichermaschine aufzeichnen, ist es reversibel. Auf dem Videoband objektivierte Zeit können wir vor- und zurücklaufen lassen. Die „Vergangenheits- und Zukunftstasten“ des Videorecorders machen es möglich, die Zeit anzuhalten, sie zu verlangsamen oder zu beschleunigen. Mit Video hat sich die Möglichkeit eröffnet, den Verlauf der Zeit zu manipulieren. Das „außertechnische Sein“ hingegen ist „gnadenlos irreversibel“ 531 (s. IV/7e).

„Einmal auf einem Videoband, ist es einem gewissermaßen nicht mehr erlaubt zu sterben …“, schreibt Paik dagegen vier Jahre zuvor im Essay Input-Zeit und Output-Zeit, 532 in dem er die Künstler Paul Ryan und Maxi Cohen erwähnt, die ihre Väter vor deren Tod auf Video aufgenommen haben. Dadurch habe sich ihr Verhältnis zum Tod verändert. Videokunst imitiere Natur, schreibt Paik hier, „nicht in ihrer Erscheinung oder Substanz, sondern in ihrer vertrauten ‚Zeitstruktur’“, die dem Prozess des Alterns entspreche – einer „gewisse[n] Art von Irreversibilität“. 533

528 Vgl. Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 13. 529 zu sehen in Paiks Band Merce and Marcel (s. VIII/3b). 530 Nam June Paik: Random-Access-Information (1980), a. a. O. 531 Siegfried Zielinski (2011), a. a. O., S. 139. - Im Vortrag Random Access Information spricht Paik 1980 über den Unterschied von Zeit bei Video und Zeit im Leben: Anders als in unserem Leben, in dem wir die Zeit nicht zurück drehen können, bietet der Videorecorder mit seinen Vorlauf-, Rückspul- und Stop-Tasten die Möglichkeit, die Zeit zu verschieben. - Nam June Paik: Random Access Information, a. a. O., hier: S. 149. 532 Nam June Paik: Input-Zeit und Output-Zeit, aus: Ira Schneider und Beryl Korot (Hrsg.): Video Art. An An- thology. New York/London 1976, S. 98. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 139 f., hier: S. 140. 533 Ebd. 125

IX. Schlussbetrachtung

1. Bewusstmachen der Wahrnehmungszeit

Paiks Interesse galt „Kunstwerken, die in der Zeit entstehen und wieder vergehen.“ 534 Die Auseinandersetzung mit Zeit als Voraussetzung menschlicher Erfahrung ist überall in sei- nem Werk anzutreffen. Wie in seinen Kompositionen und Performances, setzte Paik auch in seinen Videoarbeiten die Strukturierung von Zeit als wesentliches Gestaltungsmerkmal ein. Auch bei der Rezeption der Werke spielt die Erfahrung von Zeit, das Erleben des Verfließens von Zeit eine wesentliche Rolle, denn Paik beschäftigte sich nicht nur mit Fra- gen der künstlerischen Gestaltung der Zeit, sondern er interessierte sich insbesondere auch für die Wahrnehmungsprozesse beim Betrachter, der Teil des Werkes wird und seine eigene Erfahrung bei der Wahrnehmung macht.

Indem er dem Rezipienten die Vollendung des Kunstwerkes überließ, griff Paik Gedanken Marcel Duchamps auf - und ging zugleich über diese hinaus, denn es ging ihm auch darum, die Wahrnehmungszeit des Betrachters mitzugestalten und bewusst zu machen (s. z. B. III/1c und VI/5b). Paiks Werke implizieren unser Bewusstsein und befragen unsere Wahr- nehmung des Zeitverlaufs. 535

2. Komponierte „Zeitbilder“

Als Komponist behandelte Paik das Bildmaterial seiner Videocollagen wie Klänge, der zeit- liche Rhythmus der Bilder war für ihn ebenso wichtig wie deren optische Qualität. Frühe abstrakte Filme wie Hans Richters Rhythmus-Filme oder Berlin, die Sinfonie der Großstadt von Walther Ruttmann sind häufig mit der Musik verglichen worden. Seine ersten, 1969 und 1970 entstandenen, Fernsehproduktionen nannte Paik „elektronische Opern“. Die zeitba- sierte Kunstgattung Musik ist in seinem gesamten Werk wichtigster künstlerischer Bezugs- rahmen. Auch bei seinen Videoinstallationen und -bändern ist Paiks Arbeitsweise die eines Komponisten geblieben, die Strukturierung der Zeit ist auch bei den Videoarbeiten sein wichtigstes Thema. Bei den Multi-Monitor-Installationen entsteht aus einer Flut heteroge- ner Bildmotive ein vom Rhythmus des Bildschnitts bestimmtes Seherlebnis, das Laposkys

534 s. Wulf Herzogenrath: Zur Frage der Datierung und zum Thema ‚Zeit‘, in: Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S. 11. 535 s. ebd., S. 13. 126

Begriff der „visuellen Musik“ entspricht (vgl. III/3b). „My computer programme is like a piano“, hat John Withney, Pionier des expanded cinema, festgestellt (vgl. III/3c). 536 Paiks Werke sind Zeitbilder, die nicht gemalt, sondern komponiert werden.

3. „Recycling“

Teil dieses an der Musik orientierten Arbeitsprinzips ist auch das „Recycling“, das Wieder- verwenden von vorhandenem Material und das Variieren formaler Konzepte (s. VIII/1). Es gibt kaum eine Arbeit, die Paik nicht später wieder aufgegriffen und in modifizierter Weise realisiert hat. Immer wieder hat er ein Werk der veränderten Zeit, dem veränderten Raum oder Zusammenhang entsprechend umgestaltet. Auch seine Videobänder hat er im- mer wieder in neuedierten Fassungen gezeigt. Mit dieser Haltung, seine Werke als explizit zeitgebunden aufzufassen, stand Paik in Widerspruch zur Position von Museumsleuten und Kunsthistorikern, deren traditionelles Bestreben es ist, diese Zeitbezogenheit zu konservie- ren. Charakteristisch für Paiks Werk ist eine „organische Lebendigkeit“ 537, bei der alles stän- digem Wandel unterworfen ist.

4. Indeterminismus, Überwindung der Irreversibilität der Zeit und Interaktivität

Der eigentliche Anreiz für Paiks Beschäftigung mit Fernsehtechnik war, dass ihm diese – anders als Musik - als am besten geeignetes Mittel erschien, sich mit dem Indeterminismus auseinanderzusetzen (s. III/4d). 538 Bei seiner Arbeit mit Video faszinierte ihn die Möglich- keit, die Zeit zu manipulieren, ihre lineare Struktur aufzubrechen und ihre Irreversibilität zu überwinden. 539

Bereits 1963, in seinem Text zur Wuppertaler Ausstellung, kritisierte Paik an indetermi- nistischer Musik, dass diese für das Publikum ein „Zeitfluss“ sei, „der nur in eine Richtung weist wie in der traditionellen Musik oder im Leben eines Menschen, das ganz sicher durch die Zeit, die wie in einer Einbahnstraße in Richtung Tod verläuft, beendet wird“ (s. III/4e). 540 Paiks Vision war eine Komposition mit „mehr als zwei Wege[n], Richtungen, Vektoren,

536 Gene Youngblood: Expanded Cinema, London 1970, S. 207. 537 s. Edith Decker (1988), a. a. O., S. 187. 538 Vgl. Paiks Text auf dem Flugblatt zur Wuppertaler Ausstellung „Exposition of Music – Electronic Televi- sion“. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a . O., S. 96. 539 Nam June Paik: Random Access Information, a. a. O., hier: S. 149. 540 Ders.: About the exhibition of the music. Erschienen in: Wolf Vostell (Hrsg.): Décollage Nr,. 3, Köln 1963. Auch in Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 100-102, hier: S. 100. 127

Möglichkeiten in bezug auf die Zeit“. 541 Video ist nach Paiks Verständnis eher vergleichbar mit Telefon oder Radar als mit Kino, also mit einer „den Wunsch nach Erwiderung“ integ- rierenden Technologie. 542 Bei seiner Arbeit mit Videotechnik interessierte ihn vor allem auch ihr kommunikatives Potential und die Möglichkeit der Interaktion, die die Distanz zwischen Kunstwerk und Betrachter verringert oder aufhebt (vgl. III/4 a, b).

Dabei entspricht das Prinzip, nach dem Paik seit seinen Experimenten für die Wuppertaler Ausstellung (1963) in die innere Struktur der Medien Fernsehen und Video eingreift und die Art, in der er die Technik von innen heraus verändert und so die Bilder umgestaltet, einer Forderung - und Hoffnung - Vilém Flussers, der 1985 in seinem Essay Ins Universum der technischen Bilder einen Verfall der Gesellschaft in Entropie und die Erschöpfung aller Geschichte als Folge des Feedbacks zwischen technischen Bildern und ihren Empfängern konstatiert. 543 Einen Ausweg aus der „von den Sendern zentral kontrollierte[n] Gesell- schaft“, in der hergebrachte Strukturen zerfallen und technische Bilder der „Zerstreuung“ der Menschen zu „amorpher Masse“ dienen, 544 sieht Flusser in einem dialogischen „Umbau des Schaltplans der Bilder“, durch den „die Streuung der Gesellschaft […] in den Dienst der menschlichen Freiheit und Würde“ gestellt werden könnte, 545 so dass nicht mehr der „Verkehr zwischen Bild und Mensch“, sondern „der Verkehr zwischen Mensch und Mensch durch Bilder“ im Zentrum der Gesellschaft stehen würde und die Medien dieser Verbindung von Menschen mit Menschen – und damit der Erzeugung neuer Informationen – dienen würden. 546

Paiks Umgang mit technischen Medien entspricht dem der „revolutionären Einbildner“ im Flusserschen Sinne, deren „Engagement am Dialog“ sich gegen den Schaltplan der „tech- nischen Bilder“ richtet 547 und denen es dadurch – so Flussers Hoffnung - gelingen könnte, „den Feedback-Verkehr zwischen Bild und Mensch zu brechen und einen neuen dialogi- schen Konsensus herzustellen“, weil „die zerstreuenden Bilder die Leute zu langweilen be- ginnen und ein dialogisches Spiel durch Bilder hindurch mit anderen Menschen spannend und aufregend sein kann […]“ 548 Diese „Revolutionäre“, von denen Flusser spricht,

541 Ebd., S. 101. 542 Vgl. Maurizio Lazzarato, a. a. O., S. 90 f. 543 Vilém Flusser: Ins Universum der technischen Bilder, Göttingen 1985, 5. Aufl. (1996), S. 57-67. 544 Ebd., S. 68-76 u. S. 183. 545 Ebd., S. 72 546 Ebd., S. 75. 547 Ebd. 548 Ebd., S. 74. 128

[…] manipulieren die Bilder, damit den Leuten zu dämmern beginnt, dass sie sie zu Sprungbrettern in vorher ungekannte zwischenmenschliche Beziehun- gen umbiegen können. Dass sie sie für Dialoge, für Informationsaustausch und für die Erzeugung neuer Informationen verwenden können. 549

5. „Maschinenzeit“ und Zeit im Leben; „Videozeit“ und „Matrixzeit“

Bei seiner Arbeit mit Fernseh- und Videotechnik war sich Paik der besonderen Zeitlichkeit dieser Medien bewusst. Video, das ihm aufgrund seiner technischen Eigenschaften als am besten geeignetes Mittel erschien, um sich mit der Zeit auseinander zu setzen, verstand Paik einerseits als „ein Modell des Lebens“, als Nachahmung von Zeit im menschlichen Leben. 550 Zugleich beschäftigte er sich auch immer wieder mit den Unterschieden von „Maschi- nenzeit“ und „menschlicher Zeit“. 551 Seine Definitionen für die unterschiedliche Zeit sind die produzierte, gesendete, künstliche Zeit und die rezipierte, erlebte Zeit, d. h. die kompri- mierte Zeit der Darstellung und die unterschiedlichen Möglichkeiten, Zeit zu erleben. 552 Beim Videoeditieren beobachtete er die Ähnlichkeit der Zeitstruktur von Videobändern und Träumen: Wie im Traum, so kann sich auf dem Videoband zum einen die Zeitachse ausdehnen oder zusammen ziehen, zum anderen ist die Zeitstruktur nicht linear. 553

Die hier besprochenen Videoarbeiten entstanden kurze Zeit, bevor die technischen Vo- raussetzungen geschaffen waren, die es möglich machten, Bilder digital zu generieren und aus dem Raster der Punkte, die vom Kathodenstrahl unaufhörlich neu verwoben werden, die Matrix der Pixel wurde, deren Träger weder Materie noch Licht sind, sondern Algorith- men, numerische Werte. Nachdem bereits bei Video die Zeitlichkeit nicht linear-chronolo- gisch war, handelt es sich bei der „Matrix-Zeit“ digitaler Medien um eine „offene“ Zeit ohne Anfang und Ende, um eine „virtuelle Zeitlichkeit“, die verschiedene, jederzeit erneu- erbare, aktualisierbare Augenblicke simuliert. 554 Die Frage, in welcher Weise sich die Zeit- lichkeit bei Video von der digitaler Bildmedien unterscheidet, konnte hier nur kurz ange- sprochen werden und könnte Gegenstand weiterer Analysen sein.

549 Ebd. 550 s. Nam June Paik: Random Access Information. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145-152, hier: 146 f. 551 Ders.: Input-Zeit und Output-Zeit, in: Ebd., 139 f. 552 Vgl. Wulf Herzogenrath (1983), a. a. O., S, 12. 553 s. Nam June Paik: Helga Retzer in Memoriam – Tagtraum, in: Ebd., hier: S. 174. 554 Vgl. Maurizio Lazzarato: Videophilosophie. Zeitwahrnehmung im Postfordismus, Berlin 2002, S. 90 f. 129

6. Kunstwerke als Zeit-Modelle

Die Reflexion über die Zeit bezeichnet Nam June Paik als paradox, denn er versteht die Zeit als Synonym für unser Leben. Edmund Husserl spricht im eingangs erwähnten Zitat davon, dass wir uns beim Versuch, das subjektive Zeitbewusstsein und das Zeiterlebnis zu analysieren, in die „sonderbarsten […] Verworrenheiten“ verwickeln. Da es außerhalb der Zeit nichts gibt, worauf wir sie beziehen könnten, sind wir nicht in der Lage, die Zeit zu definieren. Was Zeit in einem absoluten Sinn ist, können wir deshalb nicht sagen oder dar- stellen. Doch innerhalb eines Beschreibungssystems wird es möglich zu begreifen, wie Zeit dargestellt ist. Paiks Werke können einen solchen Bezugsrahmen bilden, innerhalb dessen wir verstehen können, wie Zeit erfasst und veranschaulicht ist. Die Werke erklären uns nicht die Zeit, doch indem sie verschiedene Aspekte der Zeit darstellen und beschreiben, sichtbar und sinnlich erfahrbar machen, ermöglichen sie eine Annäherung an den komplexen Be- griff.

Hannelore Paflik versteht die Satellitenübertragung Good Morning Mr. Orwell als „Modell der Gleichzeitigkeit“. 555 Analog hierzu können auch die anderen hier besprochenen Werke als künstlerische Modelle für jeweils bestimmte Aspekte der Zeit aufgefasst werden. Paik hat Videotechnik als „ein Modell des Lebens“ bezeichnet, da sie Zeit im menschlichen Leben imitiere. 556 Anders als der schwer fassbare sprachliche Begriff von „Zeit“, der zu Parado- xien und Verwirrungen führt, erlauben es Modelle, den Begriff der Zeit zur Anschauung zu bringen. Mit einem Modell können wir z. B. den nur abstrakt vorstellbaren Begriff der Si- multaneität sinnlich miterleben, indem es Gleichzeitigkeit, die nicht beobachtet, sondern nur gedacht werden kann, simuliert. In den „Simulationen von Simultaneität“ kann also das ontologische Abstraktum Gleichzeitigkeit sinnlich erlebbar gemacht werden. 557 Mit Hilfe eines Modelles können wir Erkenntnisse gewinnen und Erfahrungen machen, die beim Be- zugsgegenstand des Modells, dem abstrakten Begriff der Zeit, nicht möglich sind. Das Mo- dell verweist auf etwas anderes, es ermöglicht Erkenntnisse durch Veranschaulichung.

Das künstlerische Modell, von dem Paflik spricht, ist jedoch kein Modell im Sinne der phi- losophischen Definition, das sich auf ein Original bezieht oder ein solches abbildet. 558 Eher ist es vergleichbar mit einem Architekturmodell, das sich weder auf ein Original noch auf ein Abbild bezieht, sondern auf eine Konzeption, eine Idee. Wie dem Architekturmodell

555 Vgl. Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 134 ff. 556 Nam June Paik: Random Access Information. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 145-152, hier: 146 f. 557 Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 32. 558 Vgl. Georgi Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch, 21. Aufl., Stuttgart 1982, S. 460 f. 130

liegen dem künstlerischen Modell komplexe Gedanken zugrunde, die von der Sprache nicht veranschaulicht, von einem Modell aber visualisiert werden können. Anders als jenes hat das künstlerische Modell aber nicht die Funktion einer Vorlage. Wenn Paiks Werke als künstlerische Modelle aufgefasst werden, ist damit gemeint: Sie beziehen sich auf einen As- pekt der Zeit, der aufgrund seiner Komplexität nur durch ein Modell begreifbar ist. Die Werke sind Modelle, in denen Paik seine Gedanken zum Begriff der Zeit visuell formuliert.

Nach Bergson kann die Zeit – im Unterschied zum Raum – vom Verstand nicht erfasst werden, sondern ist nur durch die „Intuition“ begreifbar. 559 Paik zeigt uns mit seinen Wer- ken ein Modell seiner Gedanken zum Begriff der Zeit, indem er die Zeit aus verschiedenen Perspektiven darstellt und verschiedene Betrachtungsweisen der Zeit visualisiert und sinn- lich erfahrbar macht. 560 Auf diese Weise ermöglichen die Werke ein intuitives Verständnis der Zeit. Im Unterschied zu den diskursiven Wissenschaften zeigen Paiks Werke die Zeit nicht als Rätsel oder Problem, sondern als etwas Selbstverständliches, das sinnlich und äs- thetisch wahrgenommen und erlebt werden kann.

Als visuelle Modelle beschreiben die Werke bestimmte Zusammenhänge von Zeit und ver- weisen jeweils auf eine bestimmte Begriffskonzeption, indem sie jeweils einen bestimmten Aspekt des Begriffs Zeit konkret zur Anschauung bringen. Sie lenken unsere Aufmerksam- keit auf den Ablauf und das Verfließen von Zeit und auf das Erleben der Gegenwart, sie machen abstrakte ontologische Begriffe wie Gleichzeitigkeit, Linearität/Nichtlinearität, Re- versibilität/Nichtreversibilität der Zeit oder selbst die Unendlichkeit anschaulich, oder sie visualisieren abstrakte Begriffe wie Bergsons Gegensatzpaar „temps“ und „durée“ und ma- chen diese damit sinnlich wahrnehmbar. Auch der Unterschied von „Maschinenzeit“ und Zeit im Leben kann mit Paiks Werken unmittelbar erfahren werden. Als künstlerische Mo- delle müssen sich die hier besprochenen Arbeiten nicht auf eine Formel oder ein Axiom beziehen, um allgemeingültige Aussagen zu treffen. Vielmehr steht jedes Werk mit einer bestimmten zeitlichen Begriffskonzeption in Verbindung.

559 Vgl. Hannelore Paflik (1997), a. a. O., S. 20. 560 Vgl. hierzu ebd., S. 33. 131

7. Interdisziplinäre Zeit-Raum-Konzeption

Im Unterschied zum wissenschaftlichen Begriff haben die Kunstwerke nicht nur den Vor- teil sinnlicher Anschaulichkeit, sondern es wird in ihnen darüber hinaus auch eine interdis- ziplinäre Konzeption von Zeit formuliert. Die Grenzen zwischen einzelnen Wissenschafts- disziplinen aufzubrechen, war ein zentrales Anliegen Paiks. In den Grenzregionen zwischen den verschiedenen etablierten Bereichen lag nach seiner Überzeugung das größte Potential der Wissenschaften. 561 Indem er die Ideen von Norbert Wiener und Marshall McLuhan kombinierte, also die elektrophysischen Grundlagen der Technik und ihre sozialen und kul- turellen Auswirkungen, entwickelte Paik seinen eigenen Ansatz: Elektronische Medien sah er nicht nur als Erweiterung menschlicher Sinne, sondern er verstand ihre Funktionsprin- zipien als neue Kulturtechnik, deren Gesetze über die auf Newtons Physik basierende Na- turwahrnehmung hinausgehen. 562

Paiks Raum-Zeit-Kunst bewegt sich daher in einem Zwischenbereich von Physik, Techno- logie und Wahrnehmung. Sie verweist einerseits auf das Wagnersche Gesamtkunstwerk und richtet zugleich den Blick in die Zukunft auf die Simultaneität aller Daten in der auf der Elektrophysik basierenden globalen Informationsgesellschaft. 563 Dies zeigt sich am deut- lichsten in Paiks jahrzehntelanger Arbeit zum Satellitenfernsehen – vom Videoband Global Groove bis zur „multitemporale[n], multispatiale[n] Symphonie“564 Wrap Around the World, in der Paik seine in Symphony for 20 Rooms konzipierte Raum-Zeit-Komposition auf eine globale Ebene überträgt, aus der räumlichen Verteilung eine neue, nichtlineare Zeitkon- struktion entwickelt und damit die Parsifal-Sentenz „Zum Raum wird hier die Zeit“ um- kehrt. 565

561 Nam June Paik: Norbert Wiener und Marshall McLuhan, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 123-127. Hier: S. 123. 562 „Newtons Physik ist die der Mechanik der Macht und des unversöhnlichen Zweiparteiensystems“, deren Dualismus durch die Elektronenröhre überwunden wird. - Vgl. Nam June Paik: Kybernetische Kunst (1965). Manuskript im Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Geringfügig gekürzt erschienen in: Dick Higgins (Hg.): Manifestos, New York 1966, S. 24. Auch in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 115. 563 In einem Brief an John Cage bezieht sich Paik explizit auf „,whole art‘ in the meaning of Mr. R. Wagner“. Vgl. Brief an John Cage von 1960, in: John Cage: A Year From Monday, London 1968. In: Nam June Paik, Electronic Art, Exhibition Nr. 16, Galeria Bonino, New York 1965, S. 90. 564 Diesen Begriff verwendet John Cage in seinem Beitrag zu einem Panel im Whitney Museum New York aus Anlass der Paik-Retrospektive (am 21.5.1982). – s. John Cage: Zum Werk von Nam June Paik. In: Nam June Paik. Video Time – Video Space, hg. von Toni Stooss u. Thomas Kellein, Ausst.-Kat. Kunsthalle Basel u. a., Ostfildern-Ruit 1991, S. 36. 565 Vgl. Dieter Daniels, a. a. O., hier: S. 124. - In einem Brief an John Cage hatte Paik sich 1960 explizit auf „,whole art‘ in the meaning of Mr. R. Wagner” bezogen. S. John Cage: A Year From Monday, London 1968. In: Nam June Paik, Electronic Art, Exhibition Nr. 16, Galeria Bonino, New York 1965, S. 90. 132

Bei den großen Multi-Monitor-Installationen ist dagegen eine entgegengesetzte Tendenz zu beobachten, die sich bereits 1974 mit TV Garden (Abb. 24) andeutet und sich in den 1980er Jahren fortsetzt. 1988 installierte Paik für die Olympiade in Seoul aus 1003 Monitoren einen Turm aus elektronischen Bildern und Tönen: The More The Better (Abb. 53). Zwei Jahre später entstanden gigantische Laser-Installationen für das New Yorker Guggenheim Mu- seum (Abb. 59). Bei diesen raumgreifenden Environments, die durch ihre großflächige Aus- dehnung Räume aus Licht schaffen, wird die Zeit in den Raum transformiert.

Das Verhältnis von Zeit und Raum in Paiks Werken erinnert an Henri Bergson, in dessen Analyse sich das, was wir in unserer Alltagssprache mit dem Begriff „Zeit“ bezeichnen, zwar als räumliches Konstrukt erweist, dessen Zeitphilosophie aber zugleich zeigt, dass der Raum seinerseits die Zeit als „wahre Dauer“ voraussetzt. 566 In seinen Texten hat sich Paik immer wieder auf Bergson bezogen - jedoch ohne dies näher zu erläutern. 567 Inwieweit Paiks Videoarbeiten tatsächlich als visuelle Darstellung und Veranschaulichung von Berg- sons Raum-Zeit-Theorie gelten können, wäre eine Fragestellung für weitere Untersuchun- gen.

8. „Das JETZT ist Utopia […]“ 568

Anlässlich seines 60. Geburtstags stellte Paik 1992 eine Auswahl von Anekdoten aus der chinesischen Geschichte (aus dem Buch Shiji 569) zusammen und verknüpfte diese mit der Gegenwart. In einer dieser Erzählungen (Zhen-Zhu), in der die Frage nach der Kürze menschlichen Lebens gestellt wird, wird die Geschwindigkeit, in der unser Leben „davon läuft“ mit der eines schnell vorbei galoppierenden Pferdes verglichen, das man durch einen Riss in der Mauer sieht. 570

566 Zum Verhältnis von Zeit und Raum bei Bergson vgl. Mike Sandbothe: Die Verzeitlichung der Zeit. Grundten- denzen der modernen Zeitdebatte in Philosophie und Wissenschaft. Darmstadt, 1998, S. 87-92. 567 Bergson ist z. B. – neben Cage, Stockhausen, Newton, Husserl, Heidegger u. a. - Teil von Paiks Auflistung der ihn interessierenden Zeitkonzeptionen in: Nam June Paik: Comparative Aesthetics – Cybernetics of Arts, 1965. Manuskript im Archiv Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Geringfügig gekürzt erschienen in: Dick Higgins (Hg.), Manifestos, New York, 1966, S. 24. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 115. 568 Nam June Paik in: Ders.: afterlude to the EXPOSITION of EXPERIMENTAL TELEVISION, in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 103-109, hier: S. 105. 569 Das ca. 100 v. Chr. entstandene Buch Shiji des Historikers Sima Qian (145-86 v. Chr.) enthält eine Samm- lung von Anekdoten aus der chinesischen Geschichte. Dieses häufig zitierte Quellenwerk zur Geschichte Chinas habe ihm geholfen, „in der byzantinischen Welt der Kunstzirkel in Manhattan zu überleben“, sagt Paik, der seit dieser Zeit versucht hat, „als Fachmann der Kommunikation“ das Werk westlichen Lesern zu- gänglich zu machen. - Vgl. Paiks einleitende Bemerkungen zu Shiji in: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 193. - Paiks Auswahl von Anekdoten aus Shiji ist erschienen in: Ebd., S. 193-250. 570 Die Anekdote Zhen-Zhu ist enthalten im Buch Shiji. In: Ebd., S. 202. 133

„EXISTENTIA IST ESSENTIA“, sagt Paik (s. III/4d). 571 Und: „Das JETZT ist Utopia […]“. 572 Die Utopie versteht er nicht als ein in weiter Ferne liegendes, anzustrebendes Ziel, sondern sie liegt nach seiner Überzeugung im gegenwärtigen Augenblick (s. III/4f). 573

In einer anderen von Paik aus Shiji ausgewählten Anekdote, Sheyiji (Utopia), unterbricht ein Holzfäller seine Arbeit im Wald, um dem Schachspiel zweier Jungen zuzuschauen. Dabei vergisst er die Zeit, so dass ihm eine lange Zeitspanne wie eine Sekunde erscheint und er nach der Rückkehr in sein Dorf feststellt, dass keiner seiner Bekannten mehr lebt. 574

Paiks Kommentar zu dieser Geschichte zeigt nicht nur ein weiteres Mal, welch enge Ver- bindung für ihn besteht zwischen Videoschnitt und Zeiterfahrung in unserem Leben, son- dern es wird darin auch deutlich, welch utopisches Potential in Bezug auf die Zeit er in der Videokunst sieht:

Utopia bedeutet, die Zeit zu vergessen. Zeit kann sich ausdehnen oder zu- sammenziehen – darin besteht das Geheimnis des Videobandedierens und wie man den Zustand der Ekstase erreicht. 575 Nam June Paik, 1992

571 im Text auf dem Flugblatt zur Ausstellung Exposition of Music – Electronic Television. In : Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 96-99, hier: S. 97. 572 In: Nam June Paik: afterlude to the EXPOSITION of EXPERIMENTAL TELEVISION, in: Ebd.,, S. 103- 109, hier: S. 105. 573 Im Interview mit Barbara Wien betont Paik 1983 die zentrale Bedeutung dieses Gedankens für sein Werk: „[…] Aber JETZT …, dass das sehr relative und unglückliche JETZT gerade eine Utopie ist, das ist eine Zen- Entdeckung. […] für Marx und Christentum und Judentum das Utopie war immer sehr weit, man muss stre- ben sich, ja? Aber Zen hat immer: Jetzt ist so genau Utopie […]. Jetzt ist: Utopie. Das ist wichtig. […]“ In: Barbara Wien: Jetzt ist: Utopie. Das ist wichtig, a. a. O., hier: S. 68. 574 Sheyiji, Anekdote aus Shiji. In: Edith Decker (Hg., 1992), a. a. O., S. 96-99, hier: S. 250. - Diese Anekdote hatte Paik der Herausgeberin als Abschluss der Sammlung vorgeschlagen (s. Paiks handschriftliche Notiz in: Ebd., S. 251). 575 In: Ebd., S. 250. 134

X. Abbildungen

Abb. 1: Nam June Paik bei „Originale“ Abb. 2: Simple(1961)

Abb. 3: Simple (1961)

Abb. 4: Aktion mit Violine an Schnur Abb. 5: Zen for Head

135

Abb. 6: Prepaired Pianos Abb. 7: Random Access

Abb. 8: Random Access Abb. 9: Schallplattenschaschlik

Abb. 10: Schallplattenschaschlik

136

Abb. 11: Participation TV Abb. 12: Kuba TV

Abb. 13 u. 14: Nam June Paik bei Exposition of Music – Electronic TV

Abb. 15: Manipulierter Fernseher Abb. 16: Manipulierter Fernseher

137

Abb. 17: Manipulierter Fernseher Abb.18: Manipulierter Fernseher

Abb. 19: Manipulierter Fernseher Abb. 20: Manipulierter Fernseher

Abb. 21: TV-Buddha (Performance)

Abb. 22: Hydra Buddha Abb. 23: Moon is the Oldest TV

138

Abb. 24: TV Garden (1974; Detail) Abb. 25: Good Morning Mr. Orwell

Abb. 26: Good Morning, Mr. Orwell Abb. 27: Good Morning, Mr. Orwell

Abb. 28: Good Morning, Mr. Orwell Abb. 29: Good Morning, Mr. Orwell

Abb. 30: Good Morning, Mr. Orwell Abb. 31: Good Morning, Mr. Orwell

139

Abb. 32: A Tribute to John Cage Abb.33: Allan and Allen’s Complaint

Abb. 34: Zen for TV Abb. 35: Prepaired Piano

Abb. 36: Prepared Piano Abb.37: Prepaired Piano

140

Abb: 38: Zen for Film Abb. 39: TV-Buddha

Abb. 20: Candle TV-Buddha

Abb. 41: Real Plant/Live Plant Abb. 42: Real Plant/Live Plant

141

Abb.43: Real Fish/Live Fish Abb. 44: Candle TV

Abb. 45: TV Clock

Abb. 46: Video Fish (Detail)

Abb: 47: Video Fish (Detail) Abb. 48: TV Garden (Version 2000)

142

Abb. 49: Turtle Abb. 50: Fish Flies On Sky

Abb. 51: TV Trichter Abb. 52: TV Trichter

Abb. 53: The More The Better Abb. 54: Baroque Laser

143

Abb. 55: Baroque Laser Abb. 56: Baroque Laser

Abb. 57 und 58: Three Elements (1997-2000)

Abb: 59: Sweet and Sublime (2000) Abb. 60: Global Groove

144

Abb. 61-68: Global Groove

145

Abb. 69: Global Groove Abb. 70: Global Groove

Abb. 71: Global Groove Abb: 72: Global Groove (Version 2004)

Abb. 73: Guadalcanal Requiem Abb. 74: Guadalcanal Requiem

Abb. 75: Guadalcanal Requiem Abb. 76: Guadalcanal Requiem

146

Abb. 77: Merce by Merce by Paik Abb. 78: Merce by Merce by Paik

Abb. 79: Merce by Merce by Paik Abb. 80: Merce by Merce by Paik

Abb. 81: Merce by Merce by Paik

Abb. 82: Lake Placid Abb: 83: Lake Placid

147

Abbildungsverzeichnis

1. Nam June Paik bei Stockhausens Originale (1961). http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (25.7.2015).

2. u. 3. Simple (1961). http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (25.7.2015).

4. Aktion mit Violine an Schnur. Foto: Manfred Montwé. Aus: Neuburger, Susanne (Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Ausst.-Kat., Köln 2009, S. 203.

5. Zen for Head (1961). http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (25.7.2015).

6. Prepaired Pianos (bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963). http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (25.7.2015).

7. Random Access Music (bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963). http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (25.7.2015).

8. Peter Brötzmann demonstriert Random Access, bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963. Foto: Manfred Montwé. Aus: Herzogenrath, Wulf: Nam June Paik: Fluxus – Video, München 1983, S. 39.

9. Besucher am Schallplattenschaschlik, bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963. Foto: Manfred Montwé. Aus: Neuburger, Susanne (Hg.): Expositon of Music – Elec- tronic Television Revisited, Ausst.-Kat., Köln 2009, S. 193.

10. Wolf Vostell am Schallplattenschaschlik, bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963. Foto: Manfred Leve. Aus: Neuburger, Susanne (Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Ausst.-Kat., Köln 2009, S. 194.

11. Participation TV, bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963. http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (25.7.2015).

12. Kuba TV, bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963. Aus: Edith Decker: Paik Video, Köln 1988, S. 35. Foto: Manfred Montwé.

13. Nam June Paik bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963. http://media.mutualart.com/Images (7.8.2015).

14. Nam June Paik demonstriert Listening to the Music through the Mouth bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963. Foto: Manfred Montwé. Aus: Neuburger, Susanne

148

(Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Ausst.-Kat., Köln 2009, S. 182.

15. bis 20. Manipulierte Fernseher bei Exposition of Music – Electronic TV, 1963. Fotos: Peter Brötzmann. http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (25.7.2015).

21. TV-Buddha (Performance im Kölner Kunstverein, 1976), aus: Kat. Nam June Paik - Fluxus/Video, hg, von Wulf Herzogenrath, Kunsthalle Bremen 1999, S. 186.

22. Hydra Buddha. In der Ausstellung L’art et le temps, im Palais des Beaux-Arts, Brüssel, vom 22. November 1984 bis 20. Januar 1985. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 88.

23. Moon Is The Oldest TV, 1965/1992. Centre Pompidou, Paris. Aus: Rennert, Susanne und Lee, Sook-Kyung (Hg.): Kat. Nam June Paik, Ostfildern 2010, S. 37.

24. TV Garden (1974, Detail). Foto: Edith Decker. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 97.

25. Good Morning Mr. Orwell. Die Standbilder zeigen Merce Cunningham und die Mo- denschau von Studio Berçot. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 117.

26. Good Morning, Mr. Orwell. Die Moderatoren George Plimpton in New York und Jacques Villers in Paris. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 174.

27. Good Morning, Mr. Orwell. Die Einblendung unten links zeigt den Autor des Romans 1984, George Orwell. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 174.

28. Good Morning, Mr. Orwell. Joseph Beuys (rechts) während seiner Performance im Centre Pompidou, Paris. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 175.

29. Good Morning, Mr. Orwell. John Cage während seiner Performance in New York. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 175.

30. Good Morning, Mr. Orwell. Das Bild zeigt oben Cage, in der Mitte und unten Beuys. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 175).

31. Good Morning, Mr. Orwell. In die Pupille des Auges ist der Kopf Laurie Andersons eingeblendet. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 175.

32. A Tribute to John Cage. John Cage während der Aufführung von 4’33” (Tacet, Tacet, Tacet) auf dem Harvard Square in Woodstock, New York, 1972. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 157.

33. Allan and Allen’s Complaint. Aus: Herzogenrath, Wulf: Nam June Paik: Fluxus – Video, München 1983, S. 12.

34. Zen for TV.

149

https://img.washingtonpost.com/rf/image_1484w/2010-2019/Washington- Post/2012/12/06/Style/Images/Paik_ZenForTV_Odenbach.jpg (7.8.2015).

35. bis 37: Prepaired Pianos. http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (25.7.2015).

38. Zen for Film (1964). http://theb-roll.com/wp-content/uploads/2011/03/Old-Sony.jpg (7.8.2015).

39. TV Buddha (1974). https://charlesharropgriffiths.files.wordpress.com/2015/03/tvbuddha-1974.jpg (7.8.2015).

40. Candle-TV-Buddha, 1989. ZKM, Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe. Aus: Rennert, Susanne und Lee, Sook-Kyung (Hg.), a. a. O., S. 17.

41. u. 42. Real Plant/Live Plant, 1978-1982. Tokyo Meropolitan Art Museum, Tokio. http://artgallery.yale.edu/collections/objects/157248 (31.7.2015).

43. Real Fih/Live Fish, 1982. Tokyo Metropolitan Art Museum, Tokio. Aus: Decker (1988), a. a. O., S. 132.

44. Candle TV, 1975. Sammlung Barbara und Peter Moore, New York. Aus: Herzo- genrath, Wulf: Nam June Paik: Fluxus – Video, München 1983, S. 101).

45. TV Clock, 1963-1981. In der Retrospektive des Whitney Museum of American Art, New York, 1982. Foto: Peter Moore, New York. http://www.arthistoryarchive.com/arthistory/videoart/images/NamJunePaik- TV-Clock-1963.gif (7.8.2015).

46. u. 47: Video Fish, 1975 (Details). Musée National d’Art Moderne, Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, Paris. Aus: Hanhardt, John (Hg.): Kat. The Worlds of Nam June Paik, Solomon R. Guggenheim Museum, New York (11.2. bis 26.4.2000), S. 140.

48. TV Garden (Version 2000). http://www.guggenheim.org/new-york/collections/collection-online/art- ists/bios/422 (21.7.2015).

49. Turtle (1993). Aus: Wulf Herzogenrath (Hg.): Kat. Nam June Paik - Fluxus/Video, Kunsthalle Bremen 1999, Abb. auf Titelseite.

50. Fish Flies on Sky, 1975. Seit 1985 in der Sammlung des Kunstmuseums Düsseldorf. Aus: Rennert u. Lee, a. a. O., S. 40.

51. u. 52. TV Trichter, 1984. Ausstellung von hier aus, Düsseldorf 1984. Aus: Hanhardt, John (Hg.): Kat. The Worlds of Nam June Paik, Solomon R. Guggenheim Museum, New York, S. 168 u. 169.

150

53. The More The Better, 1988. National Museum of Modern Art, Seoul. Aus: Hanhardt, John (Hg.), a. a. O., S. 170.

54. bis 56. Baroque Laser, 1995, in der Kirche Mariae Himmelfahrt-Dyckburg, Münster St. Mauritz (26.6.-6.8.1995). http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (21.7.2015).

57. u. 58. Three Elements, Laser-Installation (1997-2000). Aus: Hanhardt, John (Hg.), a. a. O., S. 238 f.

59. Sweet and Sublime (2000), Laserprojektion. Test für die Ausstellung Modulation in Sync. im Solomon R. Guggenheim Museum, New York. Foto: David Heald. Aus: Hanhardt, John (Hg.), a. a. O., S. 245.

60. bis 71. Global Groove (1973). Standbilder aus dem Videoband.

60. Global Groove (1973). Aus: Wulf Herzogenrath (1999), a. a. O., S. 170 f.

61. u. 62.: Global Groove (1973). http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (21.7.2015).

62. bis 70: Global Groove (1973). Aus: Wulf Herzogenrath (1999), a. a. O., S. 170 f.

71. Global Groove (1973). http://www.medienkunstnetz.de/kuenstler/paik/biografie (21.7.2015).

72. Global Groove als Multi-Monitor-Installation (2004). http://www.guggenheim.org/new-york/collections/collection-online/art- ists/bios/422 (21.7.2015).

73. u. 74. Guadalcanal Requiem, 1977-1979. Aus: Hanhardt, John (Hg.), a. a. O., S. 215.

75. u. 76. Guadalcanal Requiem, 1977-1979. Aus: Ebd., S. 217.

77. bis 81. Merce by Merce by Paik, 1975. Aus: Ebd., S. 210 f.

82. und 83. Lake Placid, 1980. Aus: Ebd., S. 207 u. 204.

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XI. Zitierte und verwendete Literatur

Ammer, Manuela: Bei der Technik gibt es stets das andere, den Anderen, in: Susanne Neubur- ger (Hg.): Expositon of Music – Electronic Television Revisited, Köln 2009, S. 44-58.

Balzer, Will u. Biermann, Alfons W. (Hg.): Kat. Treffpunkt Parnass. Wuppertal 1949 – 1965. Köln 1980.

Baudson, Michel: Die Zeit – Ein Spiegel. In: Hannelore Paflik (Hg.): Das Phänomen Zeit in Kunst und Wissenschaft, Weinheim 1987, S. 125-136.

Bauermeister, Mary: Cage – Stockhausen oder Stockhauesn – Cage. Endsieg ist sicher. Erinnerung an Nam June Paik, in: Wulf Herzogenrath, Andreas Kreul (Hg.): Nam June Paik: There is no rewind button for life, S. 36-47.

Becker, Jürgen und Vostell, Wolf: Happenings. Fluxus. Pop Art. Nouveau Réalisme. Reinbek bei Hamburg 1965.

Bergson, Henri: Denken und schöpferisches Werden. Aufsätze und Vorträge, Meisenheim 1948.

Ders.: Die seelische Energie. Aufsätze und Vorträge, Jena 1928.

Ders.: Materie und Gedächtnis. Eine Abhandlung über die Beziehung zwischen Körper und Geist, Jena 1914.

Ders.: Schöpferische Entwicklung. Zürich 1967.

Breder, Hans /Foster, Stephen C. (Hg.): Intermedia. School of Art and Art History. The University of Iowa. De Moines, Iowa, 1978, S. 135.

Cage, John: A Year From Monday, London 1968. In: Nam June Paik, Electronic Art, Exhi- bition Nr. 16, Galeria Bonino, New York 1965, S. 90.

Ders.: Zum Werk von Nam June Paik (Beitrag zu einem Panel im Whitney Museum New York aus Anlass der Paik-Retrospektive, 21.5.1982), in: Nam June Paik. Video Time – Video Space, hg. von Toni Stooss und Thomas Kellein, Ausst.-Kat. Kunsthalle Basel u. a., Ostfildern-Ruit 1991, S.36.

Cunningham, Merce: The Impermanent Art, in: Richard Kostelanetz (Hg.): „Esthetics Contemporary“. Buffalo, New York, 1978, S. 186.

Daniels, Dieter: John Cage und Nam June Paik „Change your mind or change your receiver (your receiver is your mind)“, in: Susanne Rennert und Sook-Kyung Lee: Kat. Nam June Paik, Ostfildern 2010, S. 106-125.

Davis, Douglas: Nam June Paik: Die Kathodenstrahlen-Leinwand”, in: Ders.: Vom Experiment zur Idee. Die Kunst des 20. Jahrhunderts im Zeichen von Wissenschaft und Technologie, Köln 1975, S. 171-191.

152

Ders.: The End of Video: White Vapor, in: Gregory Battock (Hg.): New Artists’ Video. A Critical Anthology, New York 1978, S. 24-35.

Ders.: Time! Time! Time!, in: Douglas Davis, Allison Simmons (Hg.): The New Television, Cambridge, Massachusetts, London 1977, S. 74.

Decker, Edith: Hardware, in: Nam June Paik. Video Time – Video Space, Ausstellungskata- log Kunsthalle Basel und Kunstmuseum Zürich, 1991, S. 67-75.

Dies. (Hg.): Nam June Paik. Niederschriften eines Kulturnomaden: Aphorismen, Briefe, Texte. Köln 1992.

Dies.: Paik Video. Köln 1988.

Decker-Phillips, Edith: Nam June Paik – Idee und Zufall. In: Rennert, Susanne und Lee, Sook-Kyung (Hg.): Kat. Nam June Paik, Ostfildern 2010, S. 199-205.

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Die Videobänder A Tribute to John Cage, Global Groove, Merce by Merce by Paik und Guadalcanal Requiem können im Video-Forum des Neuen Berliner Kunstvereins e. V. angeschaut werden (Chausseestr. 128-129, 10115 Berlin).

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Eidesstattliche Erklärung

Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig sowie ohne unerlaubte fremde Hilfe und ausschließlich unter Verwendung der aufgeführten Quellen und Hilfsmittel angefertigt habe.

Berlin, den …………………… ………………………………………………. Birgitta Wolf

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