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Angriff der Melancholie Malen, Anti-Kriegs-Demos, Fußball: Für Musik haben die einst so coolen Futuristen von nur noch wenig Zeit.

VON CHRISTOPH DALLACH Dummerweise hat das neue jede nur mögliche Werbung nötig. Denn so hoch die Erwartungen an das einstige Pop-Avantgarde-Genie wa- rfolg im Pop ist auch immer eine Frage des ren, so bitter werden sie nun enttäuscht: neun Moll-Electro-Hop-Balladen, Timings. Und was das betrifft, hat das pa- die grau und bedeutungsschwanger ohne jeden Pep dahinwummern. Auch Ezifistische britische Musiker-Kollektiv, das die üblichen Gastsänger wie -Veteran und die kurz- sich ganz martialisch Massive Attack nennt, kei- haarige Heulsuse Sinéad O’Connor helfen da nichts mehr. ne glückliche Hand. Als Anfang der neunziger Der Aussetzer der Bristoler Elektro-Stars zeigt, wie schwierig es ist, im Mu- Jahre die erste Single seines Debüt- „Blue sikgeschäft über mehrere Jahre innovativ zu bleiben. Das ist umso trauri- Lines“ erschien, verscheuchten die Amerikaner ger, als es der ganzen Branche derzeit an Innovationen mangelt. Dabei gerade Saddam Hussein aus Kuweit. Die Musiker waren Massive Attack mal eine Institution, die Maßstäbe für die moderne beschlossen, zeitweilig die Attacke aus ihrem Na- Popmusik gesetzt hat. Ende der achtziger Jahre, hervorgegangen aus der men zu streichen. HipHop-DJ-Künstler-Gang Wild Bunch in der britischen Hafenstadt , In diesem Monat erscheint mit „“ hatten Massive Attack prägenden Anteil an der Entstehung des so genann- (Virgin) das vierte Werk von Massive Attack, wie- ten TripHop. Einem Sound, der von gebremsten HipHop-Beats und ge- der gibt’s Krach zwischen dem Chef der Iraker pflegter Melancholie bestimmt wurde und bis heute in Cafés, Clubs und und den Vereinigten Staaten von Amerika, und Boutiquen nachhallt. Massive Attack hatten einen großen Hit mit „Un- erneut hat Massive-Attack-Mann , finished Sympathy“, kollaborierten mit und galten gemeinhin als der sich 3D nennt, erwogen, den Bandnamen die coolen Futuristen im Popgeschäft. einzudampfen: „Aus Protest würde ich das sofort Für Del Naja ist das alles eine Ewigkeit her. Vom harten Kern der Grup- tun, aber ich habe Angst, dass sich dann ein Hau- pe, die sich vor allem über ihre Gäste definiert hatte, ist nur noch er selbst fen Zyniker meldet und mir eine böse Werbe- übrig. Nach dem Abgang von (Mushroom) und der Baby- kampagne für die neue Platte unterstellt“, sagt pause von Grant Marshall (), führt 3D vorerst allein den Marken-

er und lässt alles beim Alten. namen weiter. MASSIVE ATTACK FOTO:

10 2/2003 KulturSPIEGEL Dass ihm das nicht so leicht fiel, belegt die Ent- er gegen einen Irak-Krieg auf eigene Kosten ganzseitige Zeitungsanzeigen stehungsgeschichte des Albums. Fünf Jahre sind („No War on Iraq“) geschaltet, ist auf Demonstrationen mitgelaufen – al- seit dem letzten Massive-Attack-Werk „Mezza- les, um Fans und Kollegen gegen den Krieg zu mobilisieren. nine“ vergangen. Del Naja produzierte mit aller- Zurück blieb die Desillusionierung: „Irgendwie ging ich davon aus, dass lei Gästen etwas planlos Musik, die ihn selber un- es nicht so schwierig sein dürfte, eine Menge gleichgesinnter Künstler zu- glücklich machte: „Es entstand eine deprimie- sammenzutrommeln – aber das war ein Irrtum!“ Stattdessen empörte sich rende Masse Musik, in der richtige Songs so Oasis-Boss Noel Gallagher sogar: „Ich verstehe all diese Popstars nicht, die schwer zu finden waren wie eine Nadel im Heu- meinen, wir sollten eine demokratische Debatte über den Krieg führen. Ich haufen“, sagt er. Anfang vergangenen Jahres ent- spiele Gitarre in einer Band. Der Rest geht mir am Arsch vorbei!“ sorgte er das meiste und begann noch mal bei Während der Jahre der Labour-Regierung seien viele politisch Interessier- null. Dass das nun vorliegende Album auch nicht te leider abgestumpft, meint Del Naja. Mit Tony Blair und seiner New-La- so toll ist, weiß er wahrscheinlich selbst. bour-Inszenierung schien ein Polit-Popstar das vermeintliche Cool Britan- Vielleicht ist ihm das zurzeit gleichgültig, weil nia aufzumöbeln. Brit-Pop-Größen ließen sich auf Wahlkampf-Veranstal- sich seine Interessen einfach zu weit von der Mu- tungen bejubeln. Umso größer fiel die Ernüchterung aus: „Ich fühle mich sik entfernt haben. Die Massive-Attack-Jungs wa- als Engländer unwohl, wenn ich mir vorstelle, dass einer wie Tony Blair mein ren ohnehin nie Musiker im traditionellen Sinn, Land repräsentiert“, sagt Del Naja. sondern eher Allround-Künstler und Szene-Akti- Aber dass Pop und Politik nur schwer zusammenzubringen sind, wissen auch visten, die sich für Musik so sehr interessierten Massive Attack, und deshalb wird es in diesem Frühjahr bei ihrer Tournee wie für Turnschuhe, Graffiti und Fußball. Del auch keine Botschaften von der Bühne geben: „Wenn ich auf ein Konzert Naja hat gemalt, einen Kunstband publiziert und gehe, will ich auch keine Predigten, sondern Unterhaltung.“ sich in letzter Zeit vor allem in der Friedens- Mal sehen, ob er sich daran hält, denn im schlimmsten Fall tobt gerade der bewegung stark gemacht. Gemeinsam mit Da- Irak-Krieg, wenn Massive Attack auf Tour sind. Aber Timing war ja noch mon Albarn, dem Boss der Brit-Popper Blur, hat nie ihre Sache.

KulturSPIEGEL 2/2003 11