AUSGABE 1 APRIL 2010

HERAUSGEBER: saiten institut für journalistik und kommunikatiOnsforschung, hochschule für musik UND theater Hannover

zeitschrift des studienganges Medien & musik

MUSIKWELT HANNOVER

Rol e f Zi lke bringt Händel zurück (S. 7) · Mord im Hörsaal (S. 18) · Duesenberg- Gitarren für die GroSSen STARS (S. 23) · Insolvenz und Neubeginn VOn SPV (S. 39)

1 INHALT | EDITORIAL | IMPRESSUM

EDITORIAL INHALT

Als Felix Mendelssohn Bartholdy klagte, es Rock ’N’ Roll forever – immer dienstags ...... 4 werde „so viel über Musik gesprochen und Zu Gast beim „Ruby Tuesday“ so wenig gesagt“, da kannte er natürlich noch nicht den Studiengang „Medien und 250 Jahre in den Charts ...... 7 Musik“. Denn seit anderthalb Jahren arbei- Rolf Zielke bringt Händel nach Hannover zurück ten Lehrende wie Lernende dieses neuen Ausbildungszweigs daran, musikalische Die Nordstadt-Braut ...... 10 und kommunikative Kompetenz zu verei- Kunst auf Platte nen. Auf höchstem Niveau. Anspruch: Intel- ligent über Musik zu sprechen und dabei Grand Prix à la HMTH ...... 13 allen etwas zu sagen. Beweis: Liegt gerade auf Ihrem Tisch und heißt „Saitensprung“. Musikwettbewerb Hören! 2010 Noch eine Musikzeitschrift also? Noch Unverwüstlich ...... 15 eine. Aber eine, die auskommen will ohne Die Schallplatte kommt wieder! das, was der Musikkritiker Hans Heinz Stu- ckenschmidt einmal das „Abrakadabra“ der UNTERIRDISCH ...... 16 Eingeweihten nannte. Ohne akademisches Glosse Brimborium. Ohne die Insiderphrasen des Popjargons. Eine, die journalistisch hin- Der ewigE Fünfte ...... 17 schaut und Musik als Teil der Gesellschaft Hannover Concerts begreift. Und die in ihrer ersten Ausgabe einen Streifzug durch die oft so verkannte, Mord im Hörsaal ...... 18 oft so unterschätzte Großstadt Hannover Interview zum Romandebut „Nachleben“ unternimmt. Vielleicht wird „Saitensprung“, das neue Platten-Kritik ...... 21 Magazin des Instituts für Journalistik und Whitebuzz · Planet Emily · Die Blumen · Tanner Kommunikationsforschung (IJK), in dieser Großstadt ja bald ein Begriff sein. Stammt Gitarren für die GroSSen �������������������������������������������������������������������� 23 es doch aus wahrhaft gutem Hause, einem Duesenberg stellt Instrumente her, die Stars entzücken Haus, das immer wieder bekannte Namen für Bühne, Konzertsäle und Medien hervor- LOVo Est ry ...... 26 gebracht hat. Einem Haus, dem auch die Die Sprungseite im „Saitensprung“ Redaktion sehr verpflichtet ist. Denn ohne die Hilfe des Präsidiums der Hochschule ICH WILL MIT EUCH DEN FLÜGEL AUSEINANDERNEHMEN! ...... 28 für Musik und Theater Hannover und ohne Die Pianistin Yu Kosuge führt Kinder an Musik heran die Hilfe des IJK-Fördervereins „Kommuni- kationsKultur e.V.“ wäre dieses Heft nicht Das Alte Lied mit der „Alten Liebe“...... 31 zustande gekommen. F ussballhymne ist nicht gleich Fangesang Wir danken herzlich dafür. Ruth Müller-Lindenberg/Gunter Reus Als Autodidakt in die „Champions League“...... 33 Zu Besuch bei Hilko Schomerus IMPRESSUM Fast eine Punktlandung ...... 37 Herausgeber: institut für Journalistik und Kommunikationsforschung, Hinter den Kulissen im Funkhaus Hannover Hochschule für Musik und Theater Hannover Redaktion: dorian Gorr, Birk Grüling, Pleiten, Pech und Power-Metal ...... 39 Claudia Hamburger, Insolvenz und Neubeginn von SPV Joachim Haupt, Matthias Holz, Antonia Klöpf, Swantje Ludwig, Annick Manoukian, Neue Männer braucht der Chor ...... 42 Dominique Mayr, Maria Mazo, Marc Möllmann, Christoph Reimann, Katharina Rupprich, „Man muss schon verdammt gut sein“...... 45 Alexander Schories, Sebastian Steinhardt, Maya Stockmann Das Orchestermusik-Studium birgt ein berufliches Risiko V.i.S.d.P.: Gunter Reus, Ruth Müller-Lindenberg Mit Niveau und sehr viel SpaSS ����������������������������������������������������������� 48 Herstellung: layout · Satz und Druck Michael Heiland Das Junge Schostakowitsch-Ensemble Lister Damm 5–7 30163 Hannover Auf der Durchreise — Frank Turner ...... 51

2 3 GO L Cksee GLOCKSEE

Der Weg zum Café Glocksee ist fins- den kleinen Club zwängen, um ihnen bis ter. Entlang einer unbeleuchteten Grün- dato zumeist unbekannten Bands zu lau- anlage am Ihme-Ufer führt er vorbei an schen. Viele von ihnen sind Stammpub- alten Fabrikhallen in einen leicht ranzig likum und kommen regelmäßig – wenn riechenden, mit aufgerissenem Kopfstein auch mit persönlichen Präferenzen: „Man gepflasterten Hinterhof. Aus dem Gebäu- merkt schon, dass die Leute auch gezielt dekomplex linkerhand dröhnt der dumpfe bestimmte Konzerte besuchen. Es kom- Zu Gast beim Sound der hier beherbergten Proberäu- men unterschiedliche Gäste, je nachdem „Ruby Tuesday“ me. Auf einem der zahlreichen Graffitis ob hier ein Singer/Songwriter-Duo auf- steht „Rock ’n’ Roll forever“ – befinden tritt oder eine Rockband spielt“, erklärt im hannoverschen wir uns an einem Ort für die Ewigkeit? Drecka. Während er das sagt, trinkt er mit In der hintersten Ecke des in der winter- Genugtuung einen Schluck Bier und lässt Szene-Treffpunkt lichen Dunkelheit trostlos wirkenden In- seinen Blick durch den Laden schweifen. nenhofs findet sich schließlich das Café Von der Decke hängen Deko-Elemente, Café Glocksee Glocksee. Jeden Dienstag treffen sich hauptsächlich Kleinzeugs wie alte Auto- hier Liebhaber von Rock- und Indieklän- teile, eine rostige Gießkanne oder eine gen, um den Ruby Tuesday zu feiern. Die Totenkopfkette. „Das Set ist immer noch Konzertreihe ist seit Jahren einer der Sze- so, wie es auch ursprünglich, als der Ruby netipps in Hannover. Tuesday 2003 konzipiert wurde, gedacht war. Rote Tischdecken, rote Möbel, rotes Das Prinzip der Veranstaltung ist Licht, so ein bisschen Loungeatmosphä- denkbar einfach: Woche für Woche steht re“, berichtet Drecka weiter. Im Moment, eine Band auf der Bühne des Cafés wir haben kurz nach 21 Uhr, wirkt es auch Glocksee, um die Zuschauer zu begeis- noch gemütlich und entspannt – von den tern. Das Spektrum reicht von regionalen angekündigten 200 Besuchern ist nicht Künstlern bis hin zu Gruppen aus ganz viel zu sehen. Europa. Da der Eintritt frei ist, kommen immer zahlreiche Besucher. 200 seien Backstage wartet währenddessen es jede Woche, sagt Drecka, der eigent- Norton, die Band des heutigen Abends, lich Matthias Kurek heißt und als Boo- gespannt auf ihren Auftritt. Sie zeigen ker für das musikalische Programm des sich etwas nervös. In ihrer Heimat Por- Ruby Tuesday zuständig ist. Wie jeden tugal sowie im benachbarten Spanien Dienstag werden sie sich auch heute in sind sie bereits in Szenekreisen bekannt,

RK’ OC N’ ROLL FOREVER Der m Stam gast-Check:

– immer dienstags Uli, 20: „Ich komme gern zum Ruby Tuesday, weil es mich hier an meine Lieblings-Location in Berlin, das Kassiopeia, erinnert.“

„Wenn du verschwitzte Körper und glückliche Gesichter sehen willst, Wunderheiler Dirk, 47: „Für mich ist das Besondere am Ruby Tuesday die kulturelle Begeg- dann geh dienstags ins Café Glocksee zum Ruby Tuesday.“ nung unserer lieben Mitbürger, in einer zauberhaften Welt von Herzen gerührt, und der An- So oder zumindest so ähnlich klingt die Antwort, die Zugezogene sporn, die Kultur zu halten und das gesprochene Wort sowie die Musik in Rhythmen zu genie- auf die Frage bekommen, was das hannoversche Nachtleben denn ßen in der vollen Auflösung unserer selbst, um Seelen wieder frei dem Himmel zuzuführen.“ unter der Woche zu bieten habe. Die seit 2003 stattfindende dienstägliche Konzertreihe ist eine Institution in Hannovers Musikszene geworden. Annick Manoukian Michelle und Tessi, 21: „Wir kommen gerne zum Ruby Tuesday, weil wir das Sofa und Marc Möllmann haben versucht, das Phänomen zu ergründen – hinten in der Ecke lieben und zuhause keins haben.“ und sich selbst vom Ruby-Tuesday-Fieber infizieren lassen.

4 5 GLOCKSEE HÄNDEL

in Deutschland spielen sie heute aber Gut 60 Minuten später, kurz nach Er hüpft auf und ab und wirbelt die Mit viel guter Laune und Charme mo- zum ersten Mal. „Seit einem Jahr haben Ende ihres Gigs, zeigt sich die Band im Beine in die Luft: mal nach links, mal deriert Rolf Zielke seine Händelinterpre- wir eine Bookingagentur in Deutschland, Backstageraum euphorisiert. Bassist Le- nach rechts. Springt immer wieder auf. tationen an, fast immer mit einem Augen- die hat uns die Auftritte hier organisiert“, onal Soares schwärmt: „Wahnsinn, dass Nein. Dieser Mann ist kein Hochleistungs- zwinkern. So seien die Handlungen von meint Rodolfo Matos, der Schlagzeuger so viele Leute da waren. Und es scheint sportler. Rolf Zielke tanzt mit dem Flügel Händels Opern ja im Prinzip alle gleich: von Norton. Vom Ruby Tuesday hatten sie ihnen ja wirklich gut gefallen zu haben, zum Rhythmus seiner Musik. Er ist Musi- ähnlich wie bei Dallas oder Denver Clan. zuvor noch nie etwas gehört, und dass schließlich haben sie entschlossen eine ker durch und durch. Ein Jazzpianist, der Auf Worte wie „Das war eine Arie“ folgt ihnen gleich 200 Leute vor der Bühne Zugabe gefordert. Wir kommen gerne in seiner Musik aufgeht und mit seinem nicht selten Gelächter. Das soll eine Arie zuhören werden, wollen sie auch nicht so wieder, auch wenn es nur eine niedrige Ensemble unglaublich viel Spaß hat an gewesen sein? Tatsächlich ist es bei den recht glauben. „Wenn tatsächlich so viele Gage gab.“ seinem neuen Projekt: „Händel Jazz“. Werken so, dass Händel nur noch zitiert kommen, dann müsst ihr nach dem Gig 250 wird, aber ansonsten ein völlig neues nochmal mit uns anstoßen“, sagt Rodolfo Mit dieser Reaktion kann Organisator Jahre Was Händel wohl zu diesem Projekt Stück zu hören ist. Bei „Opernschlagern“ Matos mit einem subtilen Grinsen. Drecka zufrieden sein: „Wir können den gesagt hätte? Vielleicht wäre er stolz dar- wie „Ombra mai fu“, „Lascia chio pian- Bands zwar nicht viel zahlen, dafür be- auf gewesen, dass es gut 250 Jahre nach ga“ oder dem „Halleluja“ aus Händels Gegen 22 Uhr ist der Club dann tat- kommen sie aber einen tollen Gig, eine in den Charts seinem Tod immer noch Menschen gibt, Oratorium fällt es natürlich nicht allzu sächlich gut gefüllt. Das Publikum ist sehr kostenlose Übernachtungsmöglichkeit in die sich mit seiner Musik intensiv ausein- schwer, die Melodiezitate im Soul- und heterogen, vom musikinteressierten Erst- unserer Künstlerwohnung und das beste andersetzen. Vielleicht hätte er sich auch Latingewand zu erkennen. Aufwendige semester bis hin zum Liebhaber jenseits Catering in Norddeutschland. Keiner gibt darüber gefreut, ausgerechnet in Hanno- Improvisationen verbinden die einzelnen der Vierzig ist alles vertreten. Es scheint sich so viel Mühe beim Kochen wie wir! ver gespielt zu werden. Wen freut es nicht, Zitate miteinander, und Stephan Abel (Sa- allerdings einen leichten Frauenüber- Auch deshalb ist der Ruby Tuesday bei noch einmal an einen vertrauten Ort zu- xophon), Guilherme Castro (Bass), Rolo schuss zu geben – ob das an den smar- Bands sehr beliebt.“ Für die nächsten rückzukehren. Denn nach seiner Zeit in Rodriguez (Percussion) und Tobias Bach- ten Portugiesen liegt? fünf Monate ist der Ruby Tuesday bereits Italien war Händel ungefähr zwei Jahre haus (Drums) bekommen immer wieder ausgebucht. Kein Wunder! am Hofe in Hannover angestellt. Wer die Möglichkeit, ihre Fähigkeiten unter Die beginnen jedenfalls kurze Zeit weiß, vielleicht war er selbst sogar einmal Beweis zu stellen. später ihr Set und begeistern das Pub- Der Blick ins Programmheft zeigt: Pünktlich zum Händeljahr 2009 in der Nähe des Jazzclubs unterwegs? likum mit sehr atmosphärischem Post- Nächste Woche wird die Stoner-Rock- hat Rolf Zielke den Komponisten Das Publikum ist nach dem Konzert rock, der stark an Tortoise und Mogwai Band H.O.R.E. aus Hannover spielen. Wer Georg Friedrich Händel wieder Ein bunt gemischtes Publikum drängt durchweg begeistert, und Rolf Zielke erinnert. Stellenweise schimmert auch weiß, vielleicht kommen wir da ja schon zurück nach Hannover gebracht: sich in den kleinen, verschachtelten oran- spielt mit seinen Kollegen natürlich gerne durch, dass die deutschen Indie-Pioniere wieder. Beim Verlassen des Cafés Glock- Mit seinem Projekt „Händel gefarbenen Saal des Jazzclubs Hannover. eine Zugabe. Händel sei schließlich 250 The Notwist ihre großen Vorbilder sind. see sticht erneut das Graffiti in der Nähe Jazz“ überschreitet er Genre- Stammgäste, Studenten und vor allem Jahre in den Charts gewesen, und er und Der Club bewegt sich in Trance und des Eingangs ins Auge: Rock ’n’ Roll fore- Neugierige. Wer nicht mindestens eine seine Band sorgten dafür, dass dies auch grenzen und vollführt einen schwingt bedächtig mit im Rhythmus der ver? Ja was denn sonst! Stunde früher gekommen ist, muss mit weiterhin so bleibe. Soundwände, die von fünf Portugiesen Seitensprung im wahrsten Sinne einem Platz an einem der Stehtische vor- aufgetürmt werden. Annick Manoukian/Marc Möllmann des Wortes… liebnehmen. Katharina Rupprich

Rolf Zielke wurde 1964 in Hameln geboren, begann mit sieben Jahren das Klavierspiel und studierte an der Musikhochschule in Hannover. Seit Mitte der achtziger Jahre ist Zielke mit eigenen Projekten und als Sideman renommierter Künstler in der internationalen Jazzszene präsent. Bis zum Jahr 2000 lebte er in dieser Stadt, von der er sagt, dass er die wirklich wichtigsten musikalischen Entwicklungen hier durchlebt habe. Elf Jahre lang hat er an der Hochschule für Musik- und Theater Hannover unterrichtet. Heute lebt Rolf Zielke in Berlin.

6 7 H ändel

„Man kann es als Seitensprung bezeichnen“ Rolf Zielke will alle musikalischen Genres zusammenführen INTERVIEW

Saitensprung: Wie bist du auf die Idee für Ich wusste ja immer, was ich machen Melodien von Händel 1 zu 1 übernom- das Projekt „Händel Jazz“ gekommen? will. Man weiß natürlich nicht, ob man viel, men, ich habe kaum einen Ton verän- wenig oder kaum Geld verdienen wird. Als dert. Um die Melodie herum ist aber alles Zielke: Ich hatte mit sieben Jahren ich mich dazu entschieden habe, war ich komplett neu. Wie im Jazz eben üblich, klassischen Klavierunterricht, und zwar Anfang zwanzig und in diesem Alter stellt gibt es dann große Teile, in denen Händel bei einer älteren Dame, die ein Opernfan man sich solche Fragen einfach nicht. gar nicht zitiert wird. Das sind Improvisa- war. Bei ihr habe ich dann als kleiner Jun- Für mich war es immer das Wichtigste, tionen. Die Stücke sind jetzt gespickt mit ge schon diese Melodien gehört, und das den nächsten Schritt zu machen, und der südamerikanischen Grooves, mit Harmo- hat sich irgendwie in mein Gedächtnis sah dann eben so aus, dann kommt der nien aus dem Contemporary Jazz... also eingegraben. Die Erfahrungen aus mei- nächste Schritt und so weiter... ganz andere Stücke als die von Händel. ner Kindheit haben lange nachgewirkt. Schon einige Jahre vor dem Händeljahr Gibt es Menschen, die deinem Cross- Kommen wir zur alles entscheidenden habe ich mir gedacht, dass ich das mu- over-Projekt kritisch gegenüberstehen? Frage: Wie stehst du zu Seitensprüngen? sikalisch ausarbeiten müsste, und habe mit ein paar Arrangements angefangen. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass Welche jetzt, die mit e oder die mit a ? Und dann war es schon so, dass dieses eigentlich nur die zum Konzert kommen, Händeljahr den Ausschlag gegeben hat, die auch daran Interesse haben. Ich habe Das darfst du selbst entscheiden … mich jetzt richtig reinzuhängen. wirklich eine superpositive Resonanz vom Publikum bekommen. Es ist aber mit Musik wird oft in Schubladen ge- Inwiefern kannst du dich auch mit Händel Sicherheit ein Projekt, das polarisiert. packt. Wenn der Jazzmusiker sich mit als Musiker identifizieren? Auf der klassischen Seite gibt es ent- klassischen Themen auseinandersetzt, weder die Leute, die nichts damit zu tun dann könnte man das als Seitensprung Ich kann mich mit Händel als frei- haben wollen, oder die, die neugierig in musikalischem Sinne bezeichnen. schaffendem Musiker identifizieren. Das sind. Beim Jazzpublikum gibt es einmal Mich hat mal jemand gefragt: „Sie sind muss man sich mal vorstellen zu einer die Leute, die uns kennen und die irgend- doch sicherlich über die Klassik zum Zeit, wo eigentlich alle Künstler, vor allen wie eine Idee davon haben, was wir wohl Jazz gekommen?“ Und da fiel mit nur ein: Dingen Musiker, entweder am Hofe an- daraus machen, und dann gibt’s auch „Nee, ich bin über die Musik zum Jazz gestellt waren oder eben an der Kirche. viele, die im Jazzbereich mit Opern gar gekommen.“ Ich sehe eigentlich die Mu- Händel war wohl so ziemlich der erste, nichts anfangen können. sik als großes Ganzes. Natürlich haben der das richtig durchgezogen hat. Nur sich Genres und Stile ausgebildet, die hier in Hannover war er bei Hofe ange- Die Händelzitate sind manchmal wirklich man auch pflegen sollte, auch so wie sie stellt. Ich denke, man kann sagen, dass sehr versteckt, und mit Sicherheit erkennt wirklich waren. Aber ich bin daran inter- Händel Hannover auch als Sprungbrett nicht jeder, dass gerade eine Arie aus der essiert, alle Genres zusammenzuführen. gesehen hat, um nach London zu kom- Oper „Rodelinda“ von euch gespielt wird. Natürlich nicht immer alle auf einmal. Ich men. Das war die Metropole. Das New Das „Halleluja“ hingegen müsste eigent- habe Spaß an so etwas. Man kann auch York des 18. Jahrhunderts. lich fast jeder erkennen. Ist das Erkennen sagen, dass ich mich immer zwischen die überhaupt notwendig? Stühle setze. Aber natürlich, man kann es Wo wir gerade bei dem Thema sind: Hat- als Seitensprung bezeichnen. test du nie Existenzängste als freischaf- Die Arrangements haben eine Eigen- fender Musiker? dynamik bekommen. Es sind zwar die Die Fragen stellte Katharina Rupprich

8 9 N ORdstadtbraut NORDSTADTBRAUT

Vinyl gilt eigentlich als veraltet, et- sammlungen, die sonst einfach in den fängen. Doch der Erfolg war riesengroß, rumgesprochen – so hat Renate Marek Die künstlerin DIE was angestaubt, nur für den Musiknerd Müll wandern würden. „Ich bekomme nach wenigen Stunden waren alle Platten zum Beispiel für eine Band aus Vietnam oder den DJ mit Anspruch an besonderen viele Schlagerplatten oder alte Scheiben, ausverkauft. 200 Plattencover gestaltet. Inzwischen renate marek Klang. Dennoch kann sich kaum jemand die nicht mehr verkauft werden können. musste sie sogar Aufträge aus Zeitmangel NORDSTADT- dem Zauber der Schallplatte entziehen, Manchmal tut es mir für große Musiker „Ich musste noch nicht einmal Wer- ablehnen, gerade vor Weihnachten. sprüHt pop-motive fast jeder hat eigene Erinnerungen an leid, aber irgendwie trage ich ja auch bung machen, es lief alles über Mund-zu- auf vinyl schöne Stunden mit Vinyl. Das merkt man dazu bei, ihr Werk zu erhalten“, schmun- Mund- Propaganda, und inzwischen kann V or einiger Zeit hat Marek zusam- BRAUT schnell, wenn man kurz am Flohmarkt- zelt Marek. ich davon sogar leben. Für mich ist mit der men mit Freunden eine Kneipe in der stand von Renate Marek stehen bleibt. Kunst ein Traum in Erfüllung gegangen“, Nordstadt eröffnet, sie trägt den passen- Jung und Alt fühlen sich angezogen von Die Idee für ihre Kunst ist der Nord- strahlt die freie Künstlerin. Ihr Atelier hat den Namen „Team Nordstadtbraut“. Der ihrer Idee, Popart auf alte Schallplatten stadtbraut auf einer Australienreise sie in einem Kellerraum unter ihrer WG in Teamgedanke wird auch künstlerisch wei- zu bannen. Während die einen begeistert gekommen. Dort entdeckte sie die der Nordstadt eingerichtet. Hier steht sie terentwickelt, denn in der Kneipe stellen sind, schütteln andere jedoch den Kopf Streetart-Kunstwerke der Künstlerin täglich rund acht Stunden und sprayt ihre junge Künstler aus Hannover aus. Wer – die „Kunst auf Platte“ polarisiert am „Syke“ in Sydney. Schon vorher hatte Ma- Motive auf Vinyl. Die Umrisse der Bilder also dachte, Künstlerkneipen wären seit Künstlerufer des Leineflohmarkts. -Ge rek in Holland und Südkorea verschiede- bereitet sie mit Photoshop vor und schnei- den 70er Jahren ausgestorben oder nach nau diese Reaktionen will Marek, die ihre ne Stile von Streetart fotografiert. Wieder det sie als Schablonen mit der Hand aus. Berlin gezogen, sollte mal einen Blick in Werke unter dem Künstlernamen „Nord- zuhause in Deutschland, fing sie sofort Mit der Graffitispraydose werden die Moti- den gemütlichen Laden in der Hahnen- stadtbraut“ vertreibt, hervorrufen. an Schablonen zu entwerfen und einfach ve dann auf das Vinyl gebannt. Die Platten straße werfen. mal ein paar Platten zu besprühen, eher verkauft sie jeden Samstag auf dem Lei- „Ich will Kunst für alle Liebhaber ma- aus Spaß. „Die Platten zu verkaufen war neflohmarkt und im Internet. Einen großen Traum hat die Nord- chen, deshalb können sich meine Käufer eigentlich gar nicht mein Ziel. Irgendwann stadtbraut noch: Einmal eine richtig große nicht nur das Motiv, sondern auch den hat mein Freund die Platten eingesteckt Inzwischen arbeitet sie aber auch Ausstellung entwerfen und vielleicht ein Preis für die Platte aussuchen“, erklärt und mit zu einem Flohmarkt nach Ham- für Auftragskunden, die zum Beispiel ihr Buch über ihre Kunst schreiben. Aber das die Nordstadtbraut ihre Philosophie. Ne- burg genommen. Allein hätte ich die Hochzeitsfoto oder ein Porträt ihres Kin- ist natürlich alles noch Zukunftsmusik. benbei hilft die 28-Jährige auch noch der Initiative wahrscheinlich nie ergriffen“, des auf Vinyl haben wollen. Ihre Idee und Umwelt. Bei ihr landen viele alte Platten- erzählt die Nordstadtbraut von ihren An- ihre Kreativität haben sich sehr weit he- Birk Grüling

10 11 HÖREN ! 2010

Grand Prix à la HMTH

Ein Gegenpol zu den üblichen Plastik- sich in Ruhe einzusingen. Andere besor- Pop-Castings soll er sein, der Song-Con- gen das Aufwärmen der Stimmbänder in test „Hören!“ der Hochschule für Musik geselliger Runde mit Gitarrenbegleitung und Theater Hannover (HMTH). Nach und genehmigen sich dazu ein letztes dem Vorbild des Eurovision Song Contest Entspannungs-Bier. Trotz der allgegen- gibt er den studentischen Bands die Mög- wärtigen Nervosität – für viele wird dies lichkeit, nicht nur ihre Bühnenpräsenz, der erste Auftritt vor mehr als 1.000 Studierende sondern auch ihre Songwriting-Qualitäten Leuten – überwiegt eine fröhliche, er- unter Beweis zu stellen – denn bewertet wartungsvolle Stimmung. Auch wenn die der Hochschule wird am Ende die Komposition, nicht die Preise – eine CD-Produktion für die Pu- für Musik und Performance. Doch wie die zweite Auflage blikumslieblinge und ein Festivalauftritt des Wettbewerbs, „Hören! 2010“, Ende für den Jury-Favoriten – sicherlich für alle Theater Hannover Januar eindrucksvoll bewiesen hat, bleibt Teilnehmer gleichermaßen attraktiv sind, bei allem künstlerischen Ehrgeiz auch merkt man, dass es sich eher um einen gestalten zum das Konzerterlebnis für die Zuschauer Wettstreit unter Freunden als um einen zweiten Mal den nicht auf der Strecke. erbitterten Konkurrenzkampf handelt. Musikwettbewerb Eine Schlange von Gästen aller Alters- Mindestens genauso aufgeregt wie gruppen durchzieht an diesem Januar- die Musiker sind die Studierenden des „Hören!“ abend das Foyer des Pavillons auf der Lis- Instituts für Journalistik und Kommuni- ter Meile. Wo sonst Weltmusik-Fans und kationsforschung der HMTH, die sich im Freunde innovativer Kleinkunst auf ihre Rahmen eines Seminars als Event-Mana- Kosten kommen, gibt es heute Massen- ger betätigt haben, um den Wettbewerb geschmack zu hören – diesen aber in al- auszurichten. Wird sich der enorme len Facetten und mit professionellem Hin- Arbeitsaufwand der vergangenen vier tergrund: Elf Bands der hannoverschen Monate auszahlen? Wird man an den Er- Hochschule für Musik und Theater, beste- folg von „Hören! 2009“ anknüpfen kön- hend aus Studierenden des Popinstituts nen? und des Studiengangs Jazz Rock Pop, treten bei „Hören! 2010“ mit ihren selbst Für Irving Wolther, den Initiator von geschriebenen Songs gegeneinander an. „Hören!“ und Leiter des Vorbereitungs- Dabei werden die unterschiedlichsten seminars, ist auch die zweite, deutlich Stilrichtungen bedient: Von Elektro-Pop aufwändigere Auflage des Wettbewerbs über Rock und Latin bis hin zu gefühlvol- wieder „ein Pilotprojekt“. Nicht nur, dass lem Soul ist alles dabei. Ähnlich bunt ge- diesmal der Pavillon statt des Musikzen- mischt präsentiert sich die Jury: Vertreter trums als Veranstaltungsort gewählt wur- von Medien, Rundfunk und Fernsehen de – neu ist auch die Kamerabegleitung mit ganz unterschiedlichen Biografien durch die Multimedia Berufsbildende sind angereist, um ihren Sieger zu küren. Schule. Das erfordert ein weit größeres Aber auch das Publikum darf per Stimm- Maß an Planung. „Die Erstveranstaltung zettel seinen Favoriten wählen. 2009 war letztlich die eigentliche Gene- ralprobe, weil wir vorher nicht die Gele- Während sich die Menge im Vorraum genheit hatten, alle Abläufe im Detail zu bereits auf eine große Party einstimmt, proben. Das ist im letzten Jahr wirklich er- treffen die Musiker hinter den Kulissen staunlich pannenfrei über die Bühne ge- die letzten Vorbereitungen. Uta Fricke, gangen, aber bei „Hören! 2010“ konnten Sängerin der Jazz-Band Uta’s Place, hat wir darauf natürlich nicht noch einmal die Backstage-Küche ausgewählt, um vertrauen.“

Utr a F icke 12 13 HÖREN ! 2010 SCHALLPLATTE

beslied „Island“ mit einer stilechten Jazz- Band-Besetzung inklusive Kontrabass UNVERWÜSTLICH und Saxophon untermalen. Melodischen Rock ohne Schnörkel gibt es dagegen von Noisome Paste und Phildog.

Der hannoversche Hip-Hop-Künstler DIE SCHALLplatte Spax führt als Moderator durch den Abend. Trotz eines grippalen Infekts kommt aus Hannover steuert er kurz vor der Verkündung der – und sie kommt Gewinner eine Rap-Einlage bei, um dem Publikum die Wartezeit zu verkürzen. wieder! Auch die anderen Elemente des Rahmen- programms, unter anderem eine Rock ’n’ Roll-Tanzgruppe, halten das Publikum während der Wertungspause im Saal. Da- vor gibt es natürlich – wie bei jedem Mu- sikwettbewerb – einen Schnelldurchlauf, der es sicherlich kaum leichter macht, Sie ist ein hartnäckiges Biest, ein aus den den vielen potenziellen Ohrwür- zähes Luder voller Kratzspuren – und mern einen Lieblingssong auszuwählen. einfach nicht totzukriegen. Während Beim Auszählen der Stimmzettel kristal- ihre digitalen, silbernen Kollegen schon lisiert sich aber dennoch schnell heraus, nach zwanzig, dreißig Jahren ihren geri- wer den größeren Teil der Zuhörer auf atrischen Lebensabend fristen, dreht sie seiner Seite hat: Sustar um die charis- noch immer ihre Runden, 33 bis 78 pro matische Sängerin Susann Thimm, die Minute. Ihr Papa: ein waschechter Han- bereits bei „Hören! 2009“ teilgenommen noveraner. haben, gewinnen mit ihrem Song „Radio“ die CD-Produktion. Die Jury dagegen ver- Eine Geschichte, für man weit aus- gibt wie im Vorjahr die meisten Punkte an holen muss, denn das war noch vor dem Valeria Piepenbrock, die in ihrer Ballade Krieg, noch vor dem Ersten Weltkrieg „Stay“ das Ende einer Beziehung verar- wohlgemerkt. Es ist das Jahr 1870, Emil beitet hat. Berliner ist 19 Jahre alt, und – wer kann es ihm verübeln – auf den drohenden Mi- Ein großer persönlicher Erfolg ist litärdienst könnte er gut verzichten. Drü- der Abend damit sicherlich für Sustar- ben überm großen Teich wartet das große Gitarrist Christopher Peyerl, der auch für Abenteuer, denn dort ist das Elektrizitäts- zu sein, und er lässt sich von der Konkur- Valeria in die Saiten gegriffen hat und fieber ausgebrochen, während im heimi- renz so schnell nicht entmutigen. Schon damit gleich eine doppelte Siegerehrung schen Hannover gerade einmal die Über- 1877 stellt Thomas Alva Edison seinen Jare na g ob alias „Goldkind“ erhält. nahme des elterlichen Textilgeschäfts in Phonographen vor, einen aus heutiger Aussicht steht. Kein Wunder, dass der Sicht monströsen Apparat zur Klangwie- Sogenannte klassische Musik, die Teenager Fernweh bekommt. dergabe, der allerdings einen großen eigentliche Königsdisziplin der HMTH, Nachteil in sich birgt: Die Tonkonservie- Auch in diesem Jahr scheint der mit der Latin-Pop-Nummer „Party In The gibt es von den regulären Wettbewerbs- Nach einiger Zeit in Washington rung auf Walzen ist ausgesprochen teuer Wettbewerb unter einem guten Stern zu Night“ sorgt für Aufsehen – nicht nur teilnehmern auch in diesem Jahr nicht zu kommt Emil Berliner schließlich in Phil- und somit für den Massenmarkt untaug- stehen: Abgesehen von einigen kleine- durch seine stimmlichen Qualitäten, son- hören. Irving Wolther möchte dies aber adelphia bei den Bell Laboratories unter, lich. ren Verzögerungen wird der Ablaufplan dern auch durch die beiden Tänzerinnen, künftig ändern: „Mein Traum ist, dass kurz nachdem deren Gründungsvater reibungslos umgesetzt. Ein Highlight ist die er sich als Verstärkung auf die Bühne auch klassische Interpreten eine solche Graham Bell der Öffentlichkeit das Tele- Berliner hingegen verwendet für sein sicherlich die extravagante Performance geholt hat. Veranstaltung nutzen, um sich Zuhörer- fon vorgestellt hatte. Hier tüftelt Berliner Grammophon einen scheibenförmigen, der Elektropop-Gruppe Goldkind: Sän- schichten zu erschließen, die ihnen in an verschiedenen Systemen der Tonüber- leicht reproduzierbaren Tonträger, an- gerin Jana Grobe trägt die ersten Takte Ruhiger geht es bei Tabea Elkarra den vergangenen Jahren abhanden ge- tragung. 1883 macht er sich selbststän- fangs aus Hartgummi, später aus Schel- ihres Songs „Kammerflimmern“ in einer zu, die ihren Song „Feel Like I‘m In Jail“ kommen sind.“ dig, seinen Vornamen hat er zu diesem lack. Die Schallplatte ist auf der Welt, die mit Luftballons gefüllten Badewanne vor. allein am Klavier vorträgt – ebenso wie Zeitpunkt schon mit einem anglophonen auf eine Art doch eine Scheibe ist, das Aber auch der Auftritt von Victor Visotsky bei Uta’s Place, die das romantische Lie- Swantje Ludwig „e“ verziert. Emile scheint ein eifriger Kerl hatte man ja früher schon geahnt. In Han-

14 15 SCHALPL L ATTE HANNVR O E CONCERTS

nover errichten Emiles Brüder Jacob und Und heute? Heute erlebt die Schall- Museum jedoch versteht Besitzer Chris- Eigentlich bietet Hannover die besten Voraussetzungen, zu den Joseph nicht nur eine Telefonfabrik als platte ein kleines Comeback, obgleich sie toph Stadtmüller seinen Laden nicht, als wirklich bedeutenden Konzertstandorten Deutschlands zu gehören: Ableger der Bell-Gesellschaft, sondern nie wirklich weg war. Und derjenige, der Liebhaberobjekt aber allemal. „25 Music“ Landeshauptstadt von Niedersachsen, unzählige Clubs und Hallen, auch ein Presswerk zur Verbreitung der auf das „schwarze Gold“ setzte, ist immer im Norden der Stadt versammelt Obskuri- eine lebendige Musikszene... Schallaufzeichnung. gut gefahren. Seit Jahren schwächelt der täten des konservierten Klanguniversums. Doch oft genug fehlt der Name der Stadt, wenn eine Band CD-Verkauf, und das digitale Datenformat Viele Platten sind für wenige Cent zu ha- In den USA kündigt sich ein Patent- MP3 reduziert nicht nur den Speicherbe- ben – eine echte Emile-Berliner-Pressung oder ein Solo-Künstler aus dem Rock/Pop-Bereich neue Tour-Termine streit um den Phonographen an. Letztlich darf, sondern auch den Hörgenuss. Re- wird man hier aber sicher nicht finden. bekanntgibt. Oder bildet sich unser Autor das nur ein? unterliegt Berliner dem Industrieunter- levante Neuveröffentlichungen erschei- nehmen Seaman’s National Grammopho- nen fast wie selbstverständlich auch als Ohnehin erinnert in der niedersäch- ne, das zuvor den Vertrieb des Phonogra- Vinylausgabe. Das ist nicht nur etwas für sischen Landeshauptstadt nicht viel an phen übernahm. Entweder Berliner tritt übernächtigte DJs und verkopfte Hornbril- Emile Berliner und seine Brüder. Eine Re- Im Schatten der AWD-Arena, in der hiesige Markt nicht überfrachtet wird. Für den Markennamen Phonograph an den lenträger; die Platte ist in Mode. alschule trägt seinen Namen. Eine Straße alle zwei Wochen Hannover 96 oftmals mehr als eine Handvoll Großveranstal- DER EWIge New Yorker Vertrieb ab, oder er produ- ist nach dem Erfinder benannt, wohlge- erfolglos um Punkte in der Fußball-Bun- tungen pro Jahr sei einfach kein Publi- ziert im Ausland. Also kehrt Berliner den Und der einmal produzierte Platten- merkt in ursprünglicher Schreibweise. In desliga kämpft, finden sich die Büroräu- kum vorhanden. Wer das ignoriert, muss Vereinigten Staaten den Rücken und emi- fundus scheint unerschöpflich. So doku- ihr sind die Emil-Berliner-Studios unterge- me von Hannover Concerts. Seit mehr als mit finanziellen Verlusten rechnen – eine FÜNFTE griert nach Kanada. Aber eine berühmte mentiert der Second-Hand-Plattenladen bracht, deren Belegschaft aber derzeit die 30 Jahren sorgen die Mitarbeiter um die Erfahrung, die auch schon bei Hannover Kleinigkeit gibt er nicht auf: das Marken- „Rockers“ in Hannover-Linden ganze Sub- Koffer packt – um nach Berlin zu ziehen. beiden Geschäftsführer Wolfgang Bese- Concerts gemacht wurde. logo, den Foxterrier Nipper vor einem kulturen vergangener Jahrzehnte. Punk, mer und Michael Lohmann dafür, dass in Grammophon. Soweit die Legende. Metal, Reggae, New Wave und HipHop. Als Christoph Reimann dem nur wenige Meter entfernten Rund Während Hannover also zumindest zumindest ab und zu ein Volltreffer ge- bei den ganz großen Namen durchaus lingt: , oder die Rolling mit den vier großen Konzertstädten mit- Stones – nur eine ganz kleine Auswahl halten kann, gestaltet sich die Situation Dies ist die Geschichte eines wahren sche Schutzpatron der Stadt. Eine Art derer, die ihr Können bereits unter freiem in der Indie- und Alternative-Szene deut- Helden aus Hannover. Eines Kämpfers Quasimodo von Hannover. Entstellt und Himmel und vor Tausenden Zuschauern lich schwieriger. Trotz zahlreicher guter taktlos aus dem Underground, der täglich ver- schüchtern lebt er da unten. Er will sich präsentieren konnten. Auftrittsorte ist es teilweise fast unmög- sucht, den Menschen unserer Stadt mit nicht der Öffentlichkeit zeigen – aus lich, aktuell angesagte Bands in die Stadt Musik ein Lächeln auf die Lippen zu zau- Angst vor dem Unmut und dem Unver- Doch trotz dieser durchaus imposan- zu locken, wie HC-Pressesprecher Kars- bern. Dies ist die Geschichte des einzig- ständnis der Hannoveraner ob dieser ten Liste kann man sich nicht des Ein- ten Seifert bedauert. Schuld daran sei vor UNTERIRDISCH artigen DJ Gullyman. kulturellen Innovation –, aber er liebt drucks erwehren, dass Hannover eher in allem eine Stadt wie Hamburg, in der vie- Underground – dieser Begriff steht es dennoch, sie mit angesagter Musik der zweiten Liga spielt, wenn es darum le Labels und PR-Agenturen sitzen. Diese für Kultur abseits des Mainstreams. Viele zu versorgen. geht, Weltstars in die Stadt zu holen. Und würden von Anfang an dafür sorgen, dass Hannoveraner denken, ihr stadteigener Eigentlich wollte DJ Gullyman nach tatsächlich bestätigt auch Besemer die- neue Künstler erst einmal direkt vor der kultureller Underground befände sich im Berlin oder Hamburg gehen, doch dort se Vermutung: „Es gibt die vier großen eigenen Haustür spielen. „Das wird uns Kellergeschoss des Vergnügungstempels waren die meisten Kanaldeckel schon Konzertstandorte in Deutschland: Das ist gar nicht erst angeboten“, nickt Bese- am Raschplatz. Falsch! Genau auf der belegt – von hippen Techno-DJs oder Hamburg als Medienmetropole, Berlin als mer. „Die Hamburger verstehen das dann anderen Seite des Hauptbahnhofs, am alten Beatles-Fans, die in den Kata- Hauptstadt, München, weil es im Süden wirklich fast schon als Demütigung, wenn Eingang zur Fußgängerzone, findet man komben unterhalb des ehemaligen ziemlich alleine dasteht, und Köln, weil sie nach Hannover kommen müssten, um Hannovers wahren Kultur-Untergrund: Starclubs früheren Zeiten nachtrauern. in der Region einfach unglaublich viele eine ihrer neuen Bands live zu sehen.“ Die Musik aus dem Kanaldeckel. Meh- So muss unser Held weiter sein Dasein Menschen leben.“ rere Stunden täglich erklingt dort der in Hannovers Untergrund fristen. Besemer findet einen Wettstreit mit Sound angesagter Musik aus einem Gulli. Lieber DJ Gullyman, ich glaube fest Dies sei jedoch noch lange kein Grund, Hamburg aber ohnehin unsinnig, denn Verantwortlich für den Mix: DJ Gullyman. an dich und an deinen Einfluss im Un- den Stellenwert Hannovers zu schmälern. „den kann man ja nur verlieren“. Und Redlich und unermüdlich bemüht er sich tergrund unserer Stadt. Deswegen er- Allein in diesem Jahr werden mit und solange es für den Standort Hannover in den Katakomben unterhalb des Bahn- freue uns bitte auch weiterhin mit Mu- AC/DC zwei Bands in der Stadt gastie- weiterlaufe wie bisher, gebe es auch kei- hofsplatzes um eine abwechslungsreiche sik aus dem Gullideckel. Und wenn du ren, die zu den großen Musikern der Welt nen Grund, neidisch auf den nördlichen musikalische Beschallung. Zu Gesicht es einrichten kannst, lasse doch bitte zählen. Das ist laut Besemer ohnehin ein Nachbarn zu sein. Nur auf einen, der bekommen hat ihn bisher allerdings nie- deine Beziehungen spielen und hole Faktor, der oft übersehen wird: Es gibt schon beinahe der gesamten Republik mand. Böse Zungen behaupten, es gäbe einige weitere öffentliche Veranstaltun- eben kaum mehr als ein Dutzend Künst- mal einen Besuch abgestattet hat, war- ihn gar nicht und unterhalb des Gullide- gen zu dir nach unten. Zum Beispiel die ler, die in der Lage sind, Stadien zu fül- tet man bei Hannover Concerts bis heute ckels befände sich nur ein automatisier- Bundesligapartien von Hannover 96 – len, ganz davon abgesehen, dass diese vergebens: . Aber das ter CD-Player. die sind ja eh schon unterirdisch. höchstens alle zwei bis drei Jahre über- kann ja auch noch werden... Die Wahrheit lautet allerdings wie haupt auf Tour kommen. Zudem müsse folgt: DJ Gullyman ist der soundästheti- arc öllmann M M auch darauf geachtet werden, dass der Matthias Holz

16 17 H MT-KriMI HMT-KRIMI

In den Schlagzeilen des Feuille- mir. Die Figur ist ein bisschen so, wie ich Hochschule zum ersten Mal gesehen tons stand die Musikhochschule MORD IM HÖRSAAL im öffentlichen Partyleben gern gesehen habe. Das Einzige, was vielleicht eine am Emmichplatz schon oft. werde. Aber so toll und so elegant und so morbide Magie hat, ist dieser hardcore- weltmännisch wie der Beck im Roman bin hässliche Protestantismus, so dass man Noch nie aber hat sie es ich gar nicht. Ich wollte, ich wär’s. sagt: Das ist so grau und so betoniert geschafft, zum Schauplatz EIN INterview und so lichtarm, es hat schon wieder et- Im Mittelpunkt von „Nachleben“ eines Romans zu werden. Jetzt In dem Roman wird das Studentenleben was Düster-Interessantes. Das ist jetzt steht Artur, ein polnisch-jüdischer ist es passiert. zum romandebut auf sehr exzessive Art geschildert. Es sehr hart, aber so habe ich das empfun- Pianist, der fünfzig Jahre nach Fredun Kianpour, 1973 geboren, „nachleben“ geht immer wieder um ausschweifende den. Das passte gut zu einem Toten und wählte sie zum Handlungsort Partys. Wie haben Sie das Studentenle- einer etwas düsteren Atmosphäre. Und seinem Tod unvermittelt im Jahr ben damals wahrgenommen, und wie ansonsten fand ich auch einfach den seines Erzähldebüts von Fredun Kianpour 1999 erwacht. Ein Geschenk des spiegelt sich das in dem Roman wider? Kontrast witzig: Dass einer, der in Berlin „Nachleben“. und Paris gelebt hat, gerade in Hannover Schicksals? Nicht ganz. Schon Faszination für die klassische Beck: Ich fand die Musikhochschu- aufersteht. (lacht) bald erkennt Artur, dass seine Musik bestimmt den Roman, le sehr unsinnlich, und es war eine Art geheimnisvolle Auferstehung kein eine Verbindung von Krimi Kontramilieu, das wir im Frankonenhaus Beck: Ich erinnere mich auch noch und Geistergeschichte bildeten… Es gab am Emmichplatz so an meinen ersten Eindruck von der han- Zufall ist. Weitere Personen aus (siehe rechte Spalte). viele Menschen, die nur von Metronom- noverschen Musikhochschule. In Däne- Arturs früherem Leben tauchen in zahlen reden konnten und nie feierten, mark ist das Niveau an den Hochschulen Sei es in den mondänen Salons der Gegenwart auf. Als rätselhafte aber wer feiern konnte, kam zu uns. Wie längst nicht so hoch wie in Deutschland, der 30er Jahre, sei es im ich mich an Hannover erinnere, war auch und ich war von der hohen Disziplin be- Morde an der Musikhochschule Studentenmilieu des ausgehen- das Nachtleben nicht so aufregend. Da eindruckt. Aber es war so lieblos, so lust- Arturs neues Umfeld erschüttern, den Jahrtausends – stets ist haben wir dieses Milieu gebildet. Es war los! Es war sehr exotisch für mich, weil muss dieser erkennen, dass sein Musik das zentrale Motiv. exzessiv. Also im Buch – ich weiß nicht ob das Musikstudentenleben in Dänemark Vorleben nicht so abgeschlossen Kianpour studierte Klavier an es karikiert ist… Nein, es war schon ziem- viel bohèmehafter ist. Ich wusste, viele in lich wild (lacht). meiner Klasse würden Karriere machen, der Musikhochschule Hannover, ist, wie er geglaubt hatte; die Jagd aber sie sind blass, sie ziehen sich furcht- anschließend arbeitete er als nach dem Mörder wird für Artur Saitensprung: Herr Kianpour, Sie haben le Seiten, in denen er mir völlig unähnlich Kianpour: Eigentlich war das Franko- bar an, sie üben immer und sind völlig freischaffender Pianist mit in den 90er Jahren an der Hochschule ist. Ich habe beim Schreiben bemerkt, nenhaus eine Insel in Hannover. Das Stu- unerotisch, das war so merkwürdig. Wie zur Auseinandersetzung mit der Auftritten in der Berliner Klavier studiert. Wie sind Sie zu dem Ent- dass in sehr vielen Figuren ein Aspekt dentenleben in Hannover war nicht wild kann man sich mit Schumann beschäfti- eigenen Vergangenheit. Philharmonie, der Hamburger schluss gekommen, Autor zu werden und von mir selbst steckt – auch in Frauenfi- und exzessiv, aber die Leute, die einen gen, wenn man sich nicht auch mit sei- Musikhalle sowie auf diversen einen eigenen Verlag zu gründen? guren. Das hatte ich nicht erwartet. Sinn für dieses exzessive Bohème-Leben nen Zigarren, seinem Champagner, sei- Bühnen im europäischen Aus- haben, die suchen sich einen Ort dafür, ner Syphilis beschäftigt? Ich fand mich Kianpour: Das waren zwei unterschied- Wussten Sie, Herr Beck, dass Sie in dem und das war zu dieser Zeit das Franko- da nicht zurecht. land. liche Entschlüsse. Ich habe ohne großen Roman vorkommen? nenhaus. Von 2001 bis 2008 war Kianpour Plan angefangen zu schreiben, immer Würden Sie, Herr Kianpour, in der heuti- in der Strategieberatung tätig, weiter geschrieben, und irgendwann war Beck: Fredun hat mich angerufen Beck: Ich war da so Anfang bis Mitte gen Situation wieder ein Klavierstudium parallel schrieb er „Nachleben“ es ein fertiges Buch. Aber ich hatte noch und gesagt, dass er an einem Roman meiner Zwanziger, und das ist eine Zeit, aufnehmen? und gründete den Ruge-Verlag. keinen konkreten Plan, wo und ob ich es schreibt. Er hat mir dann sehr schnell von wo man nach Identität sucht und ein biss- Heute lebt er in Frankfurt. Alex- verlege. Die Idee einen Verlag zu grün- der Hauptidee erzählt, also von Artur, der chen Theater spielt. Ich glaube, wir ha- Kianpour: Ja, klar. Auf jeden Fall. Es ben versucht, extrem zu sein. Und dieses ist ganz toll! Ich glaube, wenn man in ein ander Schories und Maria Mazo den, kam mir zum ersten Mal, als ich mit wieder aufersteht, und dass ich sozusa- einem Literaturagenten zu tun hatte, dem gen der „Sidekick“ bin. Ich wusste, dass Frankonenmilieu hatte soviel Retro- und paar Fallen nicht reintappt, kann man sprachen mit dem Autor und mit ich mein Manuskript zu lesen gegeben ich nicht die Hauptperson bin, aber eine soviel Outsidertum an sich. Wir waren wahnsinnig viel aus einem Klavierstudi- Jacob Beck, einem „real exis- hatte und der meinte, ich solle die Rückbli- tragende Nebenperson – wie im richtigen nicht besonders „mainstream“, oder? um mitnehmen. tierenden“ Protagonisten des cke weglassen. Das fand ich hinreichend Leben (beide lachen). Romans. absurd. Ich glaube, dass das ein Vorge- Kianpour: Nein, gar nicht! Was wären die Fallen? Beck studierte mit Kianpour in schmack von dem war, was die Verlage Erkennen Sie sich in dieser Person wie- Hannover und lebt heute als heute mit einem Erstlingsroman machen. der? Das Buch vermittelt eine gewisse Magie Kianpour: Die Fallen sind eine eng- des Ortes HMTH. Wie kommt es dazu? stirnige Fokussierung auf die Hochschu- Pianist in Kopenhagen. Gab es Prototypen für die Figur des Artur? Beck: Ja! (lacht) Ich habe den Ein- le, das Pianistenleben und alles, was da druck, ich und Antoinette sind moderne Kianpour: Ich empfinde die HMTH so dranhängt. Und nicht den Blick offen Kianpour: Ich habe natürlich viel von Commedia dell’Arte-Figuren. So bin ich eigentlich als einen der unmagischsten zu halten für die bunte Welt da draußen. meiner eigenen Person in Artur verarbei- sicher nicht, aber ich glaube, ich bin im Orte, den man sich vorstellen kann. Ich Aber ich glaube, wenn man in diese Falle tet, aber Artur hat interessanterweise vie- Buch eine leicht karikierte Version von konnte es nicht fassen, als ich diese nicht tappt, dann ist es ein gutes Training

18 19 H MT-KriMI PL Attenkritik

in einer bestimmten Art von extremer heute weniger radikal und idealistisch finde es aber interessant: Früher dachte Whitebuzz – Die Blumen – Arbeitsweise. Man ist ja wahnsinnig viel sind, als sie es möglicherweise in der ich, dass Osteuropa sozusagen eine Insel Book Of Whyte Römisch Drei allein, muss sehr gute Nerven haben, Jahrhundertmitte waren. ist, wo noch ein paar ernsthafte Spinner muss intrinsisch motiviert sein über lan- unterwegs sind. Das ist jetzt positiv ge- Im Schneckentempo kämpfen sich Der Legende nach haben sie sich ge Zeit. Ich habe danach in der Beratung F ehlt heute der Idealismus? meint. Aber dann habe ich Becks Künst- Whitebuzz durch ein Dickicht aus Doom- auf einer Streuobstwiese in Amsterdam mit sehr vielen Leuten zu tun gehabt, die lerkreis in Kopenhagen kennengelernt, Metal-Riffs. Konventionelle Songstruk- gegründet. Ja, die Blumen sind ein Hau- aus anderen Ausbildungsgängen kamen, Beck: Ich glaube, der idealistische und da gibt es jede Menge ernsthafte turen hat das junge Trio schon lange fen kleiner Scherzkekse. Nicht umsonst und ich hatte das Gefühl, die haben auch Künstler, der – verzeihen Sie das Spinne- Spinner. Und dann habe ich eher anders- hinter sich gelassen. Refrain und Bridge nennen sie ihren Stil „Indie-Comedy-Pol- sehr interessante Sachen gesehen, aber rische – wirklich ein Herzklopfen für sein herum angefangen zu denken: Deutsch- scheinen hier bedeutungslos konstruier- ka-Punk-Rock“. Eine Mischung verschie- sie haben weniger extreme Erfahrungen Klavierspielen hat, entwirft sich auch ein land ist vielleicht eher ein Land, das in te Vokabeln zu sein, und selbst Gesang denster Stile also, so bunt wie ein Strauß gemacht. Musikerleben, in dem man tatsächlich dieser Hinsicht ein bisschen verarmt. erscheint in diesem Wirrwarr überflüssig. Tulpen. Genau hier liegt aber auch das Konzerte bekommt, weil man ans Pub- Beck, dein Zirkel ist ja voll von Leuten, die Die Passagen, in denen sich ein beinahe Problem: Die mangelnde klangliche Ho- Die Situation von Künstlern wird in Ihrem likum will, man gehört werden will. Und am Rande des Nervenzusammenbruchs apathischer Singsang durchkämpft, las- mogenität, der stilistische Crossover, das Buch als existenziell geschildert. Ist Ihr ich glaube, viele von meinen damaligen und am Rande von diversen ernsthaften sen sich an einer Hand abzählen. Keine ist streckenweise äußerst anstrengend Buch auch als Kritik des Konzertlebens Kommilitonen hatten nicht den Herzens- Krisen ein extrem ernsthaftes Künstlerle- Frage: Whitebuzz schweben in fremden für den Hörer. Außerdem zündet der Witz zu verstehen? ruf „Ich muss Schubert in die Welt brin- ben führen. Und das soll kein Plädoyer für Sphären. Aber wer sich auf diesen Trip nicht immer so hervorragend wie in der gen“, sondern dachten: „Ich muss diesen Nervenzusammenbrüche sein, das sollte einlassen kann, wird in einer düsteren punkigen Hommage an alle „Tiefbauar- Kianpour: Teilweise. Es gibt eine Ex- Wettbewerb gewinnen“. ich dazusagen. Das sind keine Leute, die Klangcollage versinken. beiter“. Aber Humor ist ja bekanntlich Ge- tremposition in dem Buch, die Andrej den Nervenzusammenbruch zelebrieren, schmacksache. vertritt. Der sagt – sehr verkürzt: Die Finden Sie nicht, dass Idealismus der sondern es sind Leute, die wirklich in Label: MeteorCity / PlasticHead Künstler heute leiden nicht, sie sind nicht Kunst gegenüber mehr zu bestimmten Kauf nehmen, dass sie im Leben ernst- Mehr davon: Label: Fastball Music bereit, für die Kunst Opfer zu bringen, sie Kulturen gehört, zum Beispiel zur russi- hafte Krisen durchlaufen, nur dafür, dass http://www.myspace.com/whitebuzz Mehr davon: nehmen die Kunst nicht ernst. Ich teile schen Kultur? sie wirklich ihre künstlerische Integrität www.die-blumen.com diese Position nicht hundertprozentig. Ich wahren können. Dorian Gorr glaube, es gibt heute bedeutende Kunst, Kianpour: Auf jeden Fall, zumindest Marc Möllmann denke aber auch, dass man von einer in der heutigen Zeit. Ich glaube, dass Die Fragen stellten PLATTEN Tendenz sprechen kann, dass Künstler das in anderen Epochen anders war. Ich Alexander Schories / Maria Mazo

Planet Emily – TANNER – KRITIK 10.000 Volt Sie nennen es TromPop

„Im Raume deutschsprachigen Rocks Man könnte meinen, sie wohnen im dürfte es schwierig werden, Planet Emily Reihenhaus. Tür an Tür mit Madsen und das Wasser zu reichen.“ An Selbstver- Astra Kid. Sind vielleicht Untermieter von trauen mangelt es der hannoverschen Virginia Jetzt! und teilen sich das Schreib- Band nicht, wenn man ihrem Pressetext papier mit Bosse. Nur, wenn in der gan- Glauben schenken darf. Die Wahrheit ist zen Stadt die gleichen Häuser stehen, jedoch: So viel Wasser, wie man ihnen langweilt es irgendwann. Die fünf Jungs reichen könnte – die vier jungen Musi- von TANNER (übrigens produziert von ker würden hoffnungslos in den Fluten Wir-sind-Helden-Keyboarder Jean-Michel untergehen. Teenietexte zu Mainstream- Tourette) tun was dagegen, schaffen mit rock, das ist nicht wirklich neu! Die Songs Trompete, Posaune und Glockenspiel (!) sind zwar technisch einwandfrei gespielt den Unterschied. Man könnte es „Trom- und satt produziert, vom kreativen Stand- Pop“ nennen – haben sie ja auch ge- punkt aus gesehen aber langweilig. „Ist macht… es wirklich nur ein One-Night-Stand?“, fragt Sängerin Carolin Schmieding im Label: Waldhorn gleichnamigen Song. Ich fürchte, es Mehr davon: reicht nicht mal für einen Abend. www.myspace.com/tanner Fredun Kianpour: „Nachleben“. Label: Coconut Music Claudia Hamburger Ruge Verlag, Mehr davon: www.planet-emily.de 301 Seiten, 7,95€ www.ruge-verlag.de Marc Möllmann

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GITARREN FÜR DIE GROSSEN

Ein Hinterhof mitten in Hannover, ser zu machen, müssen viele Schrauben eingezäunt vom biederen Charme der gelöst und die Saiten runter- und wieder Südstadt. Was nur wenige wissen: Hier, aufgezogen werden. Wie oft er das schon zwischen Waschsalon und Bäcker, wer- gemacht hat? „Viele tausend Mal.“ Das den Gitarren gebaut. Gitarren für die Leben als Gitarrendesigner hat eben ganz Großen. Bob Dylan, David Gilmour, auch seine Tücken, liest sich aber trotz- die Rolling Stones – auf der ganzen Welt dem spannend. spielen sie und viele andere namhafte „Duesenberg“ Musiker die Instrumente, die hier unter Alles beginnt in Hannover. Dieter Göls- dem Label „Duesenberg“ entwickelt, de- dorf wächst in der Oststadt auf, wo seine in hannover stellt signt und gefertigt werden. Klingt nach Eltern eine kleine Möbelfabrik betreiben. instrumente her, dem Traum eines jeden Gitarrenbauers, In seiner Jugend wächst die Liebe zur doch dahinter steckt der lange, nicht im- Musik und ganz besonders zu den elek- die selbst stars mer unbeschwerliche Weg einer kleinen tronischen Saiteninstrumenten. Schnell hannoverschen Firma, deren Erfolgsge- entsteht eine stattliche Sammlung. Doch in verzückung schichte nicht ohne den Namen ihres während andere üben und an der Spiel- geraten lassen Gründers und heutigen Gesellschafters technik feilen, macht Gölsdorf die unaus- erzählt werden kann. gereiften Instrumente für sein anfänglich schlechtes Spiel verantwortlich. Damit Zigarette und Kaffee. Dieter Gölsdorf, es besser wird, müssen also zuerst die Jahrgang 1952, bis auf die weißen Haare Gitarren besser werden. Sie müssen von gänzlich in Schwarz, hat sich früh gegen Grund auf erforscht werden. Gölsdorf das Leben als Musiker entschieden. Zu zerlegt sie in ihre Einzelteile, untersucht beschwerlich. Warum er dann überhaupt jede Schraube, jedes Gewinde, jeden mit dem Gitarrespielen angefangen hat? Draht und jede Mechanik, bis er auch die Natürlich wegen der Frauen. Routiniert kleinsten Details durchschaut hat. Die Vi- führt der Chef-Designer durch die Räu- sion vom perfekten Instrument ist gebo- me, die er ganz bewusst gegen die Bühne ren, doch zunächst kommt alles anders. getauscht hat und in denen er arbeitet. Eine Mischung aus Atelier und Schreiner- Gölsdorf verlässt die niedersächsi- werkstatt, eine Stimmung zwischen Mu- sche Heimat, nicht etwa um Ingenieur, seum und Forschungsabteilung. An den Handwerker oder gar Musiker zu werden, Wänden hängen unzählige Gitarren: alte sondern um in Würzburg ein Jura-Studi- und neue, teils vollständig, teils vollstän- um zu beginnen. 14 Semester später: dig zerlegt, alle Farben und Formen sind Es kommt wieder anders. Kurz vor dem hier vertreten. Eine Tischtennisplatte Examen schmeißt er das Studium und steht in der Mitte der Werkstatt. Sie ist gründet 1978, zurück in Hannover, die übersät mit Gitarrenteilen, Werkzeug Firma „Rockinger Guitars“ und mit ihr und Metallstücken, Sägespänen und den ersten Vertrieb für Elektrogitarren- Schräubchen. Es ist bemerkenswert still Bausätze weltweit. Das Hobby wird zum hier, denn Gölsdorf arbeitet zumeist al- Beruf, die perfekte Gitarre zur Berufung. lein. Heute bastelt er an einem neuen Immer wieder entstehen andere Innova- Prototyp. Das „Sorgenkind“ – trotz eines tionen, Patente werden angemeldet, es ganzen Monats Arbeit noch nicht fertig wird geschraubt und gefeilt. Gölsdorf hat – ist unter all den Gegenständen kaum es immer noch auf die kleinsten techni- auszumachen. Für jeden neuen Versuch, schen Details abgesehen, ist sich jedoch Dr iete Gölsdorf wieder ein klitzekleines Detail etwas bes- bis heute ziemlich sicher: Die Künstler

22 23 GITARRENBAUER GITARRENBAUER

Künstlern. So kommt es 2002 für Dieter Gölsdorf und sein Team zu einem vorläufi- gen Höhepunkt. Niemand Geringeres als Rolling-Stones-Gitarrist Ron Wood bekun- det sein Interesse. Eine Signature-Gitarre wird eigens für ihn designt und geht in Serie. Ein Ritterschlag für den bekennen- den Stones-Fan Gölsdorf und ein echtes Aushängeschild für seine Firma, die fort- an immer mehr bekannte Künstler in ihre Kundenkartei aufnehmen kann. Für 2010 ist eine weitere Signature-Gitarre geplant. Diesmal für Bob Dylan, der die Duesen- berg gern für sich allein hätte. Angeblich hat er seinen Bandmitgliedern verboten, ebenfalls auf einer so coolen Gitarre zu spielen, erzählt Gölsdorf. 25.000 Dollar soll sein stark limitiertes Modell kosten.

Heimat. All diese großen Namen und die weltweite Bekanntheit mögen nicht so recht passen zum beschaulichen Han- nover. Und trotzdem sind Gölsdorf und seine Firma immer noch hier. Von der Musikszene in der niedersächsischen Landeshauptstadt bekommt der Desi- gner allerdings wenig mit. Nach all den Jahren im Dunstkreis der Musiker hat er keine Lust mehr, mit den Gitarristen die immergleichen Gespräche zu führen, und auch die Scorpions konnte er nie wirklich leiden. Musik macht Gölsdorf trotzdem noch, jedoch überwiegend in seinem zweiten Wohnort Madrid, wo er die Hälf- te seiner Zeit verbringt. Auch dort gibt es eine Werkstatt, der in Hannover nicht un- ähnlich. Tüfteln kann man eben überall. Und offenbar kann man auch als Tüftler das Leben eines Künstlers führen: Göls- dorf designt nicht nur Gitarren, sondern kaufen die Gitarren vor allem, weil sie gut Das Sprungbrett ist Japan. Dort sieht schreibt auch Bücher, betreibt einen ei- aussehen, weniger wegen ihrer techni- eine wenig bekannte Sängerin eine „Due- genen Verlag namens „Panama Publica- schen Eigenschaften. So beginnt auch die senberg“ im Laden stehen, ist begeistert, tions“ und fotografiert. Marke Duesenberg im Jahr 1986 ihre Kar- kauft sie und wird, wie der Zufall es will, riere als begehrtes Design-Objekt in der wenig später zur nationalen Berühmtheit. Dieter Gölsdorf wirkt zufrieden. Die Heavy-Metal-Szene. Während der umtrie- Gitarren wurden und werden immer bes- bige Entwickler auf der spanischen Insel Mit dem Erfolg von Shiina Ringo, so ser, die Liebe zur Musik ist dabei stets Formentera Ferienkurse im Gitarrenbau ihr Name, wachsen auch die Aufträge geblieben. Einen großen Wunsch hat er leitet, gerät die Firma im heimischen Han- aus Fernost, und alles geht seinen Gang: aber noch, ein Name fehlt noch in seiner nover ins Straucheln, steht kurz vor der Die Produktionszahlen steigen, im Jahr langen Liste: Neil Young. Das wäre schön. Insolvenz. Gölsdorf trennt sich von seinen 2000 werden allein 850 Instrumente in Anteilen und startet mit der neuen Firma das Land der aufgehenden Sonne ausge- Joachim Haupt „Göldo Music“ die eigentliche Erfolgsge- liefert. Schnell werden die Gitarren aus schichte der Duesenberg-Gitarren. Hannover weltweit zum Geheimtipp unter

24 25 S PRungseite SPRUNGSEITE

Hoffentlich ist das Konzert noch nicht DIE „SAITENSPRUNG“- Tim und Julia sind gerade für ihr ausverkauft. 6 Ich freue mich Musikstudium nach Hannover total drauf. gezogen. Noch kennen sie sich LOVESTORY nicht gut aus in der Stadt, und der Winter war sehr hart. Die hat ja schöne Augen! Viel haben sie geprobt und Warum ist sie mir nicht Zeit mit ihren Instrumenten schon vorher aufgefallen? So, jetzt gehen wir in den Ich mich auch. Du bist sicher, dass die verbracht. Aber nur Notenlesen Plattenladen, und ich spiel dir Hoffentlich wird Band toll ist? macht auf Dauer nicht glücklich. die Musik vor. es so gut wie „Hören 2010“.

Ja, klar, und dank der Krise W ow, so ein hübscher in der Musikindustrie sind die Glücklich halten die beiden Junge studiert mit mir. Karten total billig; ich lade Zusammen eilen ihre Karten in dich ein... die beiden zur den Händen. 7 8 Konzertkasse. Zusammen gehen Tim Er hat schöne Finger und spielt und Julia Es sollte eigentlich einer dieser alten und grauen Tage in der so gefühlvoll. Hat bestimmt eine große in den 1 Musikhochschule werden... Bis da plötzlich... Karriere als Musiker vor sich. Andererseits – Plattenladen. die Berufsaussichten...

Nach dem Üben nimmt Tim all seinen Mut zusammen und fragt Julia, ob sie nicht zusammen in ein Café gehen könnten. Also treffen sie sich Sie singt so wunderschön wie die Chöre nur wenige Stunden später in Hannover, ich habe schon ganz weiche Knie. unter dem Schwanz wieder.

Hui, das fühlt sich aber In der Hochschule stellt sich heraus, dass nur noch ein Zusammen hören sie die Lieblings- Proberaum frei ist, also müssen Tim und Julia zusammen üben. 2 Das ist meine Lieblingsplatte. gut an. Als wären wir in Wusstest du eigentlich, dass die der Fotolovestory!! platte von Julia. Tim nimmt seinen ganzen Mut zusammen und gibt Schallplatte aus Hannover kommt? 9 ihr einen Kuss auf die Wange. 4 Schön, Ich freu mich auch, dass du da bist. Nee, aber das Cover mit der 10 dich wiederzusehen. Sonne gefällt mir. Wo gehen wir hin? Fast so schön wie die Motive der Nordstadtbraut... 3 Da kommt Fast wie ein Konzert Musik raus! in der Innenstadt. Das ist ja eine Hat darüber nicht auch lustige Idee. Mit einer neuen Platte und zwei Konzertkarten Marc im „Saitensprung“ Guck mal, meine Lieblingsband in der Tasche geht’s weiter ins Café. geschrieben? spielt bald hier… Ja... ich liebe Konzerte. Unter der Frühlingssonne und mit einem Kaffee Hannover ist leider da in der Hand geben sich die beiden den ersten etwas mau. Große Bands Kuss. Ab sofort müssen sie nicht mehr alleine Musik machen. kommen doch nur nach Ich weiß nicht, K urz hinter dem Hamburg, Berlin ich kenn die gar nicht Bahnhof bleiben die und Köln. Die intimen Szenen auf so wirklich. Ich würde lieber beiden am Musik- Foto 11-17 wurden leider zum Fußball, da gibt’s auch gulli stehen. viel Gesang und Musik. vom Fotografen an die „Bravo“ verkauft... Nichts da! Guck mal, da drüben kann man Karten kaufen. 5 Julia kommt eine Idee. Zusammen mit Tim läuft sie zu einer Idee, Text und Fotos: Plakatsäule mit Konzertankündigungen. Birk Grüling

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„ICH WILL MIT EUCH DEN FLÜGEL AUSEINANDERNEHmEN!“

Gespannte Stille im Musiksaal. 25 der hannoverschen Musikhochschule, Augenpaare sind auf den schwarzen Flü- erkannte vor vielen anderen in dieser gel in der Mitte des Raumes gerichtet, Branche, „dass in den Schulen der emo- an dem eine zierliche Japanerin sitzt, die tionale Erstkontakt mit Musik hergestellt Hände auf die Knie gestützt. Seit vielen werden muss, da dies von Familien und Wochen freuen sich die Schülerinnen der Praxis der Hausmusik immer weni- und Schüler der Klasse 5a des Werner- ger erwartet werden kann“. Er und seine von-Siemens- Gymnasiums in Bad Harz- Musiker-Kollegen wollen deshalb bundes- Die Pianistin burg auf den Besuch der jungen Pianistin weit an Schulen und Kindergärten gehen, Yu Kosuge. Nun sind sie gespannt, wie es um zu zeigen, was „klassische“ Musik Yu Kosuge führt sich anhört, wenn ein echter Star der klas- alles zu bieten hat, und um die Kinder gemeinsam mit sischen Szene in die Tasten greift. Doch und Jugendlichen zu motivieren, ein Ins- zunächst widmet sich der Star einmal der trument zu erlernen oder einfach mal ein dem Projekt Technik. „Ich will mit euch den Flügel aus- Konzert zu besuchen. einandernehmen“, erklärt Yu Kosuge den „Rhapsody in School“ Schülern. „Dann könnt ihr mal schauen, Keine Vorgaben, wie es da drinnen aussieht und wie ei- kein Standardprogramm Schüler auf andere gentlich ein Ton zustande kommt.“ Die Art an Musik heran Kinder sind erstaunt, müssen sie doch F reude an dieser Musik kann nur normalerweise einen großen Bogen um entstehen, wenn man aktiv an sie heran- das wertvolle, imposante Instrument ma- geführt wird. Seit der Gründung des Pro- chen. Nur zögernd stehen einige auf und jekts sind namhafte Künstlerinnen und schauen der Musikerin mit sicherem Ab- Künstler wie Daniel Hope (Geige), Daniel stand über die Schulter. Diese baut ohne Müller-Schott (Cello), Julia Fischer (Gei- falsche Vorsicht zunächst den Deckel des ge), Sabine Meyer (Klarinette) und viele Instruments ab und wendet sich an eine andere hinzugekommen und besuchen Gruppe Jungs, die staunend hinter ihr regelmäßig Schulklassen, um von ihrem stehen: „Ihr könntet mir ja mal schleppen Leben als Musiker/in, ihrem Instrument helfen.“ Eifrig packen die Kinder mit an. und anderen Interessen zu sprechen. Orchester, wäre am liebsten Dirigentin Eine Schülerin möchte wissen, wie an, und die Schüler sollen ihre Emotio- Yu Kosuge zeigt der Klasse die Hämmer Jede Künstlerin und jeder Künstler wird geworden, merkte dann aber, dass man man Pianistin wird. Anstatt spröde den nen erraten. „Traurig, müde, emotional“, und Schlägel und erklärt die Funktion der von „Rhapsody“-Mitarbeitern beim je- auf dem Klavier jedes Instrument imitie- Ausbildungsweg zu erläutern, setzt Yu wird nach dem ersten Stück in den Raum Pedale. weiligen Schulbesuch betreut. Wie die ren kann, und fing an zu spielen. Mit Mo- Kosuge ganz anders an: „Klavierspielen gerufen. „Lustig, fröhlich, frech“, nach Interpreten dann mit den Kindern ins Ge- zarts „Rondo alla turca“ demonstriert sie ist etwas, das man lernen muss. Ja, die dem zweiten. Auch etwas Romantisches Musikvermittlung bedeutet spräch kommen, liegt in ihrer Hand – es den Schülerinnen und Schülern sogleich, Technik muss man lernen, aber alles an- erklingt. Die Faszination, die von der jun- Nähe schaffen gibt keine Vorgaben, kein standardisier- wie sich das anhört. Im Alter von zehn dere hat gar nichts mit dem Instrument gen Pianistin ausgeht, steigt von Minute tes Programm. Und so kommt es eben Jahren kam die kleine Yu nach Hannover. an sich zu tun. Es geht darum, ob man zu Minute, und Laura, die auch Klavier Y u Kosuge gelingt in den ersten Mi- auch einmal vor, dass ein Flügel ausein- Ihre Mitschüler mieden sie anfangs, denn mal traurig oder verliebt ist. Diese Emo- spielt, nimmt sich schon jetzt vor, ein nuten ihres Schulbesuches, was viele andergebaut wird. sie konnte kein Deutsch und fühlte sich tionen muss man kennen, um Stücke wenig mehr zu üben. Ganz wichtig ist Yu Musikvermittlungsprogramme erreichen fremd in diesem Land. Doch über das verstehen und vermitteln zu können. So Kosuge aber vor allem eines: Es gibt kein wollen: Sie bezieht die Kinder in den mu- „Vielleicht wollt ihr ja wissen, warum Klavierspiel konnte sie Gefühle zeigen, wird man langsam zu einer Pianistin.“ Richtig oder Falsch in der Musik. Jeder sikalischen Schaffensprozess ein und ich angefangen habe, Klavier zu spielen. und die Mitschüler fanden einen Weg, Wenngleich der Ausdruck von Gefühlen empfindet die Sprache Musik anders, führt sie spielerisch an ihr Instrument Ich war zwei Jahre alt und hörte so ger- sich Yu anzunähern. Noch heute geht es nicht die einzige Art des Umgangs mit und das ist auch gut so. heran. Der Besuch wurde von „Rhapsody ne Schallplatten. Wisst ihr noch, was das der Musikerin so: „Mit der Musik kann Musik ist, scheint dies für Yu Kosuge am in School“ organisiert, einem Programm, ist?“ So beginnt die etwas schüchtern ich mich viel besser ausdrücken als mit wichtigsten zu sein. Gleich will sie den Nun spielt Yu Kosuge ein paar Stücke, das 2005 von dem Musiker Lars Vogt ins wirkende Yu Kosuge über ihre Kindheit Worten. Es ist schön zu merken, dass die Kindern zeigen, dass sie Musik gut ver- damit die Schüler noch mehr Kontras- Leben gerufen wurde. Vogt, Absolvent zu sprechen. Sie war beeindruckt vom Menschen mich dann verstehen.“ stehen können. Sie spielt kleine Stücke te kennenlernen. Die Sonate 17 d-Moll

28 29 RHAY PSOD IN SCHOOL FUSSBALL-HYMNEN

op. 31/2 von Beethoven beispielsweise, gewidmet. Auch hiervon präsentiert sie Ob Hannover 96, in der ein Sturm aufzieht und die Ruhe der 5a eine Hörprobe, was einem Mäd- das alte lied Borussia Dortmund oder davor musikalisch ausgemalt wird. Ohne chen ganz besonders gut gefällt. Es klingt der Hamburger SV: Aufforderung erzählen die Schüler von ganz anders als westliche Musik, aber Fast jeder deutsche ihren Empfindungen bei diesem Stück. das macht gerade den Reiz aus, der auch mit der „alten liebe“ Und stellen gleich noch ein paar Fragen. Yu Kosuge immer wieder packt. Oft spielt Fußballverein hat eine offizielle „Spielst du lieber für dich alleine oder auf sie auch Tango und Jazz, hört Popsongs Vereinshymne, die im der Bühne?“ oder „Wie lange dauert es, im Radio und tanzt zu Hip-Hop. Zum Ab- FUSSBALLHYMNE IST NICHT GLEICH FANGESANG Rahmenprogramm der Spiele bis Sie ein Stück können?“ Eindeutige schluss spielt sie noch Chopins Revolu- gesungen, auf CDs gepresst Antworten hierauf gibt es nicht. Mal spielt tionsetüde, und die jungen Zuhörer sind und verkauft wird. die junge Künstlerin gerne für sich, um vollends beeindruckt. So viel Virtuosität ihre Emotionen zu leben, oder eben für und Spannung werden dazu führen, dass „96 – Alte Liebe“ heißt sie, die offi- Dass eine offizielle Vereinshymne Doch während die Mannschaften das Publikum, um sich mitzuteilen. Sie die Musik und die damit verbundenen zielle Vereinshymne von Hannover 96. von Fußballfans so angenommen wird, auf dem Feld gegeneinander kann ein Stück innerhalb von ein paar Emotionen nicht so schnell aus den Her- Komponiert von Martin Hylla und Kai ist eher selten. Klickt man sich durch die antreten, werden in den Tagen technisch perfekt spielen, doch bis zen der Kinder schwinden werden. Tosen- Hoffmann, erklingt sie bereits seit elf Jah- Fan-Foren von Hannover 96, stellt man Fankurven meist ganz andere man es wirklich verstanden hat, können der Applaus erklingt, und mit einer leich- ren vor und nach den Spielen der „Roten“ auch bald fest, dass die „Alte Liebe“ nicht Lieder gesungen. Jahre vergehen. Schnell wird klar: Das ten Verbeugung beendet die Pianistin und erfreut sich auf diversen Volksfesten von allen geteilt wird: Da wird die Hymne Klavierspiel ist eine komplexe Sache. die Schulstunde. Nein, halt – eine Frage in und um Hannover als Stimmungslied von jeher für „gruselig“ befunden, man Wie kommt es, dass sich so Doch das überfordert die Kinder nicht – interessiert zwei Mädchen aus der ersten einer gewissen Beliebtheit. Auch bei der stuft sie als „nicht emotional genug“ ein, genannte Fußballhymnen nicht eher weckt es ihren Ehrgeiz und vor allem Reihe noch brennend: „Was ist dein Lieb- Trauerfeier für Torwart Robert Enke am man thematisiert die schlechte Singbar- als Fangesänge durchsetzen? ihre Neugier. lingstier?“ Da muss Yu Kosuge lachen. 15. November 2009 wurde die Hymne keit und stürzt sich in angeregte Diskus- vorgetragen – die Schülerin Alina Schmidt sionen darüber, welcher Pop-, Rock- oder rührte viele der 35.000 Anwesenden da- Hip-Hop-Song besser geeignet sein könn- JAPANISCHE MUSIK Nun versammeln sich alle noch ein- mit zu Tränen. te. Von Scooter über Metallica bis hin zu AUF DEM KLAVIER mal für ein Gruppenfoto um den Flügel. Ein Geschenk, das die Klasse eigens als Am liebsten mag Yu Kosuge die deut- Erinnerung gekauft hat, wird überreicht, schen Komponisten wie Schubert und und Yu Kosuge hat schöne Autogramm- Mozart. Beethoven wird sie am Abend karten mitgebracht, die sie nun signiert. in Bad Harzburg bei den Harzburger Einige Kinder werden am Abend das Kon- Musiktagen spielen. Mit der NDR-Radio- zert besuchen und mit einigem Stolz be- philharmonie aus Hannover. Allerdings richten können, dass sie das Lieblingstier interpretiert sie auch gerne japanische der Solistin kennen. Den Pandabären. Musik. Der Komponist Akira Nishimura (geb. 1953) hat ihr sogar schon ein Werk Antonia Klöpf

30 31 FUSSBAL- L HYMNEN

F ettes Brot ist alles dabei. Einige User ein Hinweis darauf, dass das Konzept Zu BESUCH BEI dem „96 - Alte Liebe“ sprechen sich sogar dafür aus, „junge „Songwriting“ für Fangesänge nicht funk- Musiker dazu zu animieren, eine neue tionieren kann: „Der größte Teil der Lie- percussionisten Hymne für den Verein zu schreiben“. der wird ja gar nicht erfunden, die Lieder Niemals allein, Dass solche Versuche selten von dau- werden gefunden. Das bedeutet, man be- hilko schomerus wir gehen Hand in Hand, erhaftem Erfolg gekrönt sind, haben Ex- nutzt Melodien, die schon existieren, und zusammen sind wir groß Fury-in-the-Slaughterhouse-Drummer baut darauf einen neuen Text, der mög- Rainer Schumann und der britische Sän- lichst kurz, prägnant und vielleicht auch und stark wie eine Wand. ger Phil Barnes bereits 2007 mit ihrer noch witzig ist.“ Spuren im Schnee führen zu Wir danken dir, Komposition „Shalala“ demonstriert. Bei einer alten Eisfabrik. du hast uns viel gegeben, seiner Veröffentlichung wurde der Song Auch wenn die Melodie bereits be- Das mittlerweile von diversen zunächst recht gut angenommen; die kannt ist, handelt es sich nach der Defini- du bist der Mittelpunkt Künstlern genutzte Gelände in „Alte Liebe“ konnte er jedoch nicht er- tion der Fußballfans um ein „neues Lied“, der Südstadt von Hannover ist in unserem Leben. setzen. In der Tat scheinen die meisten sobald der Text neu ist. Dieses Prinzip auch das Domizil von Hilko „Fußball-Songs“ nur eine recht kurze Rei- gab es laut Kopiez bereits im Mittelalter: „Eigentlich knüpfen die Fans damit auch Schomerus, der es vom Refrain: fephase zu haben, in der sie tatsächlich in den Stadien zu hören sind, bevor sie an eine lange Tradition an, so wie es die Autodidakten zum Dozenten 96 – alte Liebe, dann zu einem sang- und klanglosen Da- Minnesänger getan haben. Man nimmt an verschiedenen Musikhoch- rot steht dir sehr viel besser sein auf kommerziellen Vereinssamplern Dinge, die schon da sind. Das hat ja den schulen gebracht hat. als gelb-blau; verdammt werden. Laut Reinhard Kopiez, Vorteil, dass die Menschen diese Melo- Wenn man versuchen würde, Professor für Musikpsychologie an der dien schon kennen und auch mit- und seine Geschichte auf den lass die andern alle reden Hochschule für Musik und Theater Han- nachsingen können.“ von Bayern oder Bremen, nover und Spezialist für Fangesänge, sin- Profifußball zu übertragen, so müsste man sich einen wir sind immer bei dir, 96, HSV! gen Fußballfans unter anderem deshalb, Als „mündliche Kultur“, in der nichts weil sie Einfluss auf das Spielgeschehen schriftlich festgehalten wird, können die Nationalspieler vorstellen, nehmen wollen. Die eigene Mannschaft Lieder nur durch Wiederholung bewahrt der zuvor nie einen Trainer, Schon lange Zeit bist du uns soll angefeuert und unterstützt, der Geg- werden. Das macht die Gesänge natür- geschweige denn einen Verein so vertraut, ner geschmäht und verspottet werden. lich konservativ: Viele, die man heute hatte. Das Schlüsselerlebnis Die meisten durchkomponierten Fußball- noch bundesweit in den Stadien hört, mit dir haben wir nie nur auf für Schomerus war sein Musik- hymnen seien jedoch viel zu textlastig, gab es bereits in den Siebzigern. Bis eine Sand gebaut. um sie spontan im Stadion anstimmen neue Melodie ins Repertoire aufgenom- unterricht in der Schule, wo er Wir sind dabei, egal, zu können: „In der Regel widerspricht das men wird, kann es oft Jahre dauern. Als der Einzige war, der den „Bolero“ Beispiel wäre hier „Seven Nation Army“ ob’s regnet oder schneit, dem Grundgedanken des Fan-Gesangs, von Ravel richtig klopfen konnte. den man nämlich nach einmaligem Sin- von den White Stripes zu nennen. Veröf- Ein halbes Jahr besuchte er nach nicht nur an guten Tagen, gen auswendig nachsingen können soll- fentlicht wurde der Song bereits 2003; dem Abitur die Percussionschule wenn die Sonne scheint. te. Das ist so ein K.O.-Kriterium für ge- sein einprägsames Gitarrenriff hielt aber von Freddy Santiago in Hannover eignete Fangesänge.“ Kopiez bezweifelt erst 2006 während der Fußball-WM als auch, ob man die offiziellen Vereinshym- textloser Gesang Einzug in die Fankurven. – doch zum Musikstudium kam Refrain nen überhaupt in diese Kategorie einord- Da sich solche Entwicklungen allem es nie. nen sollte, „denn sie gehören ja eigent- Anschein nach nicht planen lassen und Manchmal geht es nicht so lich zum so genannten verordneten Lied, der offizielle Teil von der Vereinsleitung Saitensprung: Bei wie vielen Aufnahme- das die Fans nicht selbst hervorgebracht vorgegeben wird, ist es fragwürdig, wie prüfungen warst du? wie man will, haben“. viel die 96-Fans mit ihren Online-Debat- aber unsere Liebe steht ten erreichen werden. Doch es gibt ja Schomerus: Bei einer. Ich saß nur da, deswegen noch nicht still. Der Wunsch, Einfluss auf die Musik im auch immer noch genug von ihnen, die während die anderen um mich herum Als Autodidakt in die Stadion zu nehmen, spiegelt sich auch in die „Alte Liebe“ bei jedem Spiel aufs Tränen können fließen, geschrieben haben. Ich wollte noch Vib- den Fan-Foren wider: Die User schlagen Neue aus vollem Herzen mitsingen. raphon vorspielen, und da konnte ich nur doch in der größten Not beispielsweise vor, bekannte Pop-Songs zwei leichte Einsteigerstücke in „Slow Mo- „Champions League“ rudern wir gemeinsam im wie „Alles neu“ von Peter Fox mit neuen, Swantje Ludwig tion“. Dann aber hörte ich draußen durch roten Fußballboot. thematisch passenden Texten zu verse- die Tür, wie jemand mit vier Schlägeln hen und damit die bisherigen Hymnen in „High Motion“ spielte, und da dachte und Torgesänge zu ersetzen. Dass die ich mir, da gehe ich lieber nach Hause. Refrain Fans also selbst nach geeignetem musi- Das war die Aufnahmeprüfung. Seitdem kalischem Material suchen, ist für Kopiez wurschtel ich mich so durch.

32 33 SCHM O Erus SCHOMERUS

W as haben deine Eltern dazu gesagt? deckt – eher ein Zufall oder eine bewusste oder Afrospieler, sondern denke mir gerne haben können. Wenn man unterrichtet, Entscheidung? Sachen aus. Dadurch bin ich ein ganz gu- sollte man wissen, was man unterrichtet. Denen habe ich erzählt, dass es super ter Pop-Spieler. Aber wenn ich versuchen Und wenn man das weiß, dann wird einem gelaufen ist (lacht) und dass ich nächstes Ich fand Schlagzeugspielen blöd, weil würde, wie Brasilianer oder Kubaner zu vieles selber auch klarer, weil man es er- Jahr unbedingt wieder kommen soll. man so abgeschirmt ist! Bei den Percus- spielen, mit der Technik und dem Gefühl, klären können muss und für manche Leu- sion hast du das Instrument direkt vor dir dann wäre das sehr schwer für mich. te auf fünf verschiedene Arten und Weisen Was bedeutet für dich „Üben“? oder sitzt drüber, und beim Schlagzeug erklären muss. Ich hoffe, dass ich mich nie hast du eine Burg vor dir und die Band ist Du hast in der Pop-Welt mit Größen wie entscheiden muss, einen Weg aufzuge- Ich glaube, es gibt zwei Arten: ein kon- irgendwo dahinter. Ich hatte das Gefühl, Randy Crawford, DJ Bobo, Soullounge und ben. Unterrichten ist eine sehr viel siche- zentriertes Üben und ein Üben „neben- dass die Musik nicht nahe genug an mich vielen anderen gespielt. Gibt es Auftritte, rere Angelegenheit – allein deshalb würde bei“. Ich habe ganz viel nebenbei geübt, rankommt beim Spielen und ich vom Rest die dir besonders in Erinnerung geblieben ich jedem raten zu unterrichten. weil mir keiner gesagt hat, wie man richtig der Band nicht genug höre – wir hatten da- sind? übt. Ich habe immer CDs aufgelegt und an- mals noch keine Monitore (lacht). Vor gut Privat kann ja heute jeder ein Schild an gefangen, dazu zu spielen. Zunächst nur zehn Jahren habe ich mir dann ein Drum- Es gab natürlich unheimliche Ehren- die Tür hängen und draufschreiben, dass mit Congas. Dann habe ich immer mehr set gekauft, weil ich dachte, das muss momente, z.B. mit Randy Crawford! Wel- er Schlagzeuglehrer ist. Nun bist du aber Percussion-Instrumente hinzugenommen, man irgendwie auch können. Ein paar cher deutsche, vor sich hin trommelnde auch Dozent an staatlichen Musikhoch- und irgendwann habe ich mich auch mal Jahre habe ich das in meiner Wohnung Percussionist bekommt schon solch eine schulen, u.a. in Köln und in Hannover, ans Schlagzeug gesetzt und einfach drauf- gespielt – mit einem ganz netten Vermie- Chance? Auch die Zusammenarbeit mit die zu den führenden Musikhochschulen aufgreifen kannst, oder kann das für dich Ja, es ist ein Traum, das aufzuschrei- los gespielt, bis es gepasst hat. Erst später ter (lacht). Ich habe mir dann von Stunde Lamont Dozier, der 69 Nummer-Eins-Hits Deutschlands zählen. Wie kam es dazu? sogar ein Vorteil sein? ben, nicht das zu veröffentlichen, weil da ja habe ich angefangen, auf meine Technik zu Stunde überlegt, was für einen Schlag- hatte, war wirklich sehr beeindruckend. auch eine Menge Sachen drinstehen, von Ich habe über viel Glück eine Einla- Also es ist für mich generell kein Nach- zu achten: wie man ausholt, wie man kraft- zeuger wichtig ist, und habe versucht es Ein total bescheidener älterer Herr aus der denen ich noch nicht mal weiß, ob sie rich- dung zur Bundesakademie nach Rem- teil, weil Musik für mich in erster Linie über sparend und energiesparend übt. Man meinem ersten Schüler beizubringen und Motown-Ära. tig oder falsch sind. Vielleicht stehen da scheid bekommen. Dort habe ich Jürgen das Ohr und nicht über das Auge funktio- kann, glaube ich, ganz gezielt üben, wenn mir so ein Konzept für das Unterrichten zu- ja auch nur Sachen drin, die jeder schon Terhag kennengelernt, der inzwischen niert. Es ist sicher ein Nachteil, wenn man man sich mit Büchern und Lehrern ausein- rechtgelegt. Wie bist du überhaupt zu diesen Kontak- kennt – keine Ahnung. Aber wenn ich un- Professor in Köln ist. Mit ihm zusammen nicht schreiben und lesen kann, aber auch andersetzt. Ich glaube aber auch, dass das ten gelangt – was war dein erster Schritt? terrichte stelle ich fest, dass das, was ich habe ich Kurse gemacht. Über Empfehlun- dann kann man ein Poet sein. Nicht dass Üben für sich allein genauso wichtig, wenn Und wie ist heute das Verhältnis bei dei- als „normal“ voraussetze, offensichtlich gen bin ich dann an die Hochschule nach ich jetzt ein Poet wäre… (lacht). Ich kann ja nicht sogar noch wichtiger ist! Wenn es ei- nem Unterricht? Mehr Schlagzeuger oder Einer der ersten Schritte waren meine nicht normal ist. Da bin ich immer ganz er- Hannover gekommen, wo gerade eine pas- inzwischen ein bisschen Noten lesen, weil nem gelingt, beim Üben auf eigene Ideen mehr Percussionisten? ersten Bandauftritte in Hannover, die ich staunt, dass nur wenige solche Standards sende Stelle vakant war. Einige Jahre spä- ich irgendwann die Notwendigkeit erkannt und Variationen zu kommen, dann ist man mit Mousse T. gespielt habe. So bin ich der Rhythmik richtig gut spielen können, ter wurde auch in Köln an der Hochschule habe. Ich würde gerne mehr können. ganz weit vorn. Wenn man achtsam beim Also an den Hochschulen mehr Per- in die Peppermint Park Studio-Szene rein- wie z.B. Beat und Off-Beat, Triolen, Triolen jemand für Percussion gesucht. Über die Üben ist, dann kann man auf fast alles sel- cussion-Unterricht, gerade für die Lehr- gekommen. Dadurch habe ich Jens Krause in der Beat und Off-Beat Position, Punktier- Hochschule bin ich dann beim PreCollege Mittlerweile hast du deine zweite gedruck- ber kommen. Es ist nur die Frage, ob man amtsstudierenden, und privat zurzeit mehr kennengelernt, und der hat wiederum die te oder Punktierte und Triolen im Vergleich, in Köln gelandet und mit Jürgen zusam- te Percussion-Schule veröffentlicht. Was dahin schnell genug kommt. Schlagzeug. Es ist nach wie vor in Deutsch- Furys (Anm. d. Red. „Fury in the Slaught- metrische Verschiebungen, zwei gegen men auch in der Bundesakademie in Tros- hat dich dazu bewogen? land so, dass Schlagzeug eine Priorität erhouse“) produziert und hat mich gefragt, drei oder drei gegen vier. singen. Wenn man da erst einmal drin ist Hast du im Nachhinein in deiner Anfangs- besitzt, keine Ahnung warum. Vielleicht ob ich auf dem „Mono“-Album spielen will. Das erste „Modern Percussion“-Heft und seinen Job anständig macht, geht es Was sagen die Eltern zu deinem Lebens- zeit einen Lehrer vermisst? ist es „cooler“, Schlagzeug zu spielen, wo- Und dann habe ich einen ganzen Haufen wollte ich herausbringen, um zu zeigen, irgendwie immer so weiter. lauf? bei Percussion eine Marktlücke ist. Es ist Jobs für die Peppermint-Park-Studios ge- dass man mal weg muss von den ganzen Nein. Ich war ja gerade aus der Schule viel kreativer, man hat viel mehr Möglich- macht. Ich habe einfach wahnsinnig viel Ist das nicht ein mulmiges Gefühl, wenn traditionellen „Du darfst und du darfst Inzwischen finden sie das ganz gut. Am raus, und wenn man ein sehr fauler Schü- keiten, es gibt viel mehr Instrumente, viel Glück gehabt und durch diesen Kontakt man als Dozent das erste Mal an eine nicht“-Methoden. Das zweite Buch war Anfang war das natürlich eine Katastrophe. ler war, dann ist man erst einmal froh, kei- mehr Klangfarben. Aber es gibt eben auch sehr viele Leute kennengelernt, und das Hochschule geht? Oder ist das nichts an- eine Anfrage von einem Verlag, der wis- Wenn ich Geige oder Klavier gespielt hätte, nen Lehrer mehr zu sehen (lacht). Manch- viel mehr Einzelinstrumente, die man üben ohne „Arschkriecherei“ – das ist für mich deres gewesen als der Privatunterricht? sen wollte, ob ich Lust hätte, eine Anfän- hätten sie wahrscheinlich gesagt „super“. mal würde es mich freuen, einen Lehrer muss. Vielleicht schreckt das auch ab. ganz wichtig, denn das kann ich nicht aus- gerschule zu schreiben. Beides stützt sich Aber Trommeln in Afrika war schwer für sie zu haben – jemanden, der mir nicht tech- stehen! Es ist jedes Mal ein besonderes Gefühl zunächst nur auf Achtel, Sechzehntel, Trio- zu begreifen. Als ich meine erste feste Stel- nisch etwas beibringt, sondern der mich Ist die Vielseitigkeit, die du abbildest, eher – alles andere wäre gelogen! Jedes Se- len und deren Pausen – also nichts, wofür le an der Hochschule angenommen hatte, metaphorisch weiterbildet. Er soll mir z.B. Last oder Vorteil für dich? Es gibt Musiker, die sagen, dass sie unter- mester habe ich neue Studierende, bei de- man großartig Noten lesen können müss- dachte mein Vater, dass ich da als Haus- sagen: Wenn du diesen Song spielst, denk richten, um zu überleben. nen ich nicht weiß, auf welchem Niveau sie te. Jetzt sitze ich aber an einem Buch, da meister arbeiten würde (lacht). nicht an die Wiese, sondern an die Kühe Das kommt darauf an, wo man hin will. ankommen und die Dinge wissen wollen, weiß ich auch nicht genau, wie das werden darauf, und ich denke dann: Mann, was für Wenn man z.B. weiß, dass man motorisch Ja, das gibt es mit Sicherheit sehr oft. die ich auch nicht so einfach beantworten soll: über „Polyrhythmik und Rhythmik im Wo siehst du dich in zehn Jahren? eine geile Idee. Ich habe immer nur an die nicht ganz so fit ist, und dann noch- ver Aber für mich kommt es immer auf die die kann. Ich muss mich also jedes Mal neu Allgemeinen“. Das ist so hochkomplex, Wiese gedacht, aber man muss bei dieser sucht, das Ganze musikalisch zu füllen, ist Mischung an. Wenn ich mich so umgucke, vorbereiten und immer wieder neue Lösun- und deshalb hänge ich zurzeit ein wenig in In zehn Jahren sehe ich mich schön in Nummer an die Kühe denken. es eine Last. Es ist dann so, als wenn sich stelle ich fest, dass alle – egal in welcher gen zu einzelnen Problemen finden. der Luft. Aber das wäre ein richtiges Baby! Hannover (lacht und denkt kurz nach) und jemand eine Sportart beibringen will, für Liga sie spielen – früher oder später un- eigentlich genau da, wo ich jetzt bin. Du hast angefangen mit Latin-Percussion, die er nicht geschaffen ist. Ich selber spie- terrichten und dass alle, die nicht gerne Hast du das Gefühl, dass du einen Nach- Das ist also ein Traum, den du dir noch er- später aber auch das Drumset für dich ent- le z.B. sehr eigen. Ich bin kein super Latin- unterrichten, später ein großes Problem teil hast, weil du Noten nicht so schnell füllen willst? Die Fragen stellte Dominique Mayr

34 35 RADIPI O H LHARMONIE RADIOPHILHARMONIE

Fast eine Punktlandung

Einmal im Monat spielt die NDR-Radiophilharmonie Hannover ein Konzert, das im Hörfunk übertragen wird. Damit im Radio die Instrumente so klingen, wie sie klingen sollen, sind Toningenieure, -meister und -techniker besonders gefordert. „Saitensprung“ schaute hinter die Kulissen einer Liveübertragung.

Eine Stimme kommt gedämpft aus In der Mitte des Fensters steht eine Box, Hinter den Kulissen: der kleinen Box am Ende eines ausladen- neben dem Fenster zwei weitere und wie- den Mischpultes: „So sitze ich gut.“ Dann derum zwei hinter dem Mischpult. „Die bei einer etwas lauter: „Wie ist die Mikrofonlaut- ermöglichen den Dolby Surround Sound, Liveübertragung stärke?“ Ein Mann um die vierzig, dunkel damit es sich hier im Studio so anhört wie gekleidet, rollt auf seinem Stuhl hinüber im Konzertsaal“, so Lohmann. aus dem Funkhaus zur Box, vorbei an hundert verschiedenen Knöpfen, etlichen Reglern und sieben Die Tür geht auf. Ein Mann in schwar- Hannover kleinen Bildschirmen. Gezielt drückt er zem Anzug und weißem Hemd betritt das einen der Knöpfe und spricht in ein Mik- Studio. Es ist Radiomoderator Philipp rofon: „Sehr gut. Bitte noch zwei, drei Sät- Cavert. „Ich habe im Nebenraum den ze.“ Und schon formuliert die Box munter Tisch und den Stuhl noch ein wenig um- drauflos: „Julia Fischer kann heute aus gestellt“, sagt er, und Lohmann dreht wie- Krankheitsgründen leider nicht spielen, der an einem der Regler. „In Ordnung“, wird aber von der ebenfalls sehr begab- meint er. Dann prüft er die Signalwerke ten Alina Pogostkina vertreten.“ und hört in den Anfang der vorproduzier- ten Pausenbeiträge hinein, kontrolliert Es ist kurz nach halb sieben im Regie- den Computer. „Das ist wie beim Flug- raum des Großen Sendesaals der NDR- zeugfliegen. Start und Landung sind Radiophilharmonie. In eineinhalb Stun- am kniffligsten. Da kann einiges schief- den wird die Philharmonie zusammen mit gehen, und ich gehe lieber mit einem or- Solistin Alina Pogostkina auf der großen dentlichen Gefühl an die Arbeit.“ Deswe- Bühne im Saal spielen. Franck, Prokof- gen hat er auch schon um 15 Uhr mit den jew, Schostakowitsch. Zuhören werden Vorbereitungen begonnen. 56 Mikrofone, ihnen rund 200 Menschen im Saal. Und die an und über der Bühne aufgebaut einige Tausend zu Hause an ihren Radios. sind, mussten überprüft werden. Im Ne- Denn das Konzert soll live auf „NDR Kul- benraum, dem Studio, von wo Modera- tur“ übertragen werden. Und damit das in tor Cavert später den Abend präsentiert, bester Klangqualität geschehen kann, hat musste ein weiteres Mikro angeschlos- Toningenieur Martin Lohmann schon jetzt sen werden. Und sämtliche Leitungsver- einiges zu tun. Um die Stimme aus der bindungen mussten kontrolliert werden. Box, die Moderator Philipp Cavert gehört, Auch die Tontechniker Martina Frank und einzupegeln, drückt er mal auf den einen Wolfgang Hermann sind schon seit dem Knopf, dreht dann am nächsten. Wäh- Nachmittag beschäftigt. Jetzt sitzen sie rendessen sitzen die ersten Musikerinnen schräg hinter dem Mischpult und richten und Musiker auf der Bühne, stimmen die auf ihren Computern alles für die Aufnah- Geigen und spielen ein paar Flötensätze. me des Konzerts ein. Denn das soll nicht Lohmann kann sie vom Mischpult aus nur live übertragen, sondern später auch durch ein breites Fenster beobachten. auf CD gepresst werden.

36 37 RADIPI O H LHARMONIE SPV

PLEITEN, PECH UND POWER-METAL

Es ist ein beinahe schon trostloses tenordner nebeneinander. SPV ist im INSOLVENZ UND MArtin Lohmann Bild: Ein weißes Banner flattert leicht im Wandel. Und das schon seit Mai des ver- Morgenwind. „Zu vermieten/verkaufen“ gangenen Jahres. Es war der 27.5.2009, NEUBEGINN DES 19:30 Uhr. „Hallo, hier ist Hannover.“ was gerade auf der Bühne passiert. Und 21:05 Uhr. Ein Pausenbrot später sit- steht dort in schwarzen Lettern. Das Ban- als SPV-Pressesprecher Olly Hahn eine INDEPENDENT-LABELS Lohmann hat eine Verbindung zum NDR- es für die Radiohörer sichtbar machen: zen alle vier wieder an ihren Plätzen. Mar- ner hängt an der aus hellen Backsteinen Pressemitteilung verschickte, in der die Studio in Hamburg hergestellt. Die letzten „…auch Dirigent Michael Sanderling be- tin Lohmann spricht über das Telefon mit erbauten Hauswand, dicht unter einem Hiobsbotschaft verkündet wurde: SPV SPV STEHEN Dinge für die Liveschaltung werden abge- tritt jetzt die Bühne…“ jemandem hinter der Bühne. „Es kann der vielen grünen Fensterrahmen des meldete Insolvenz an und wurde damit zu sprochen. Dann sieht der Toningenieur weitergehen.“ Das Orchester wird wieder flachen Gebäudes. An das Geländer der einem Beispiel für den Wandel der Musik- EXEMPLARISCH FÜR durch die Glasscheibe, wie die ersten „Der hat eine schöne Sprecherstim- auf die Bühne geschickt und fängt an zu Treppe, die am Ende der mit Schnee be- industrie. DEN WANDEL DER Gäste den Saal betreten. Er löscht alles me“, merkt Tonmeisterin Rita Hermeyer spielen. Lohmann wippt mit dem Fuß im deckten Einfahrt in das Gebäude hinein- überflüssige Licht im Regieraum. Nur im benachbarten Regieraum an. „Endlich Takt der Musik. Die Finger der Tonmeis- führt, steht eine Schneeschaufel, die of- Ungewissheit war wohl das vorherr- MUSIKINDUSTRIE noch das Mischpult und der Schreibtisch mal einer mit Druck.“ Dann ist es still, für terin zucken ein wenig. Sie greifen wieder fensichtlich schon eine Weile nicht mehr schende Gefühl, das für alle SPV-Mitar- dahinter sind beleuchtet. Dort sitzt mitt- einen kurzen Moment. Cavert hat seine zum Bleistift, markieren ein paar unsau- zum Einsatz gekommen ist. Man mag es beiter das Jahr 2009 bestimmte, denn lerweile Tonmeisterin Rita Hermeyer und Anmoderation beendet, die Musiker ha- ber gespielte Stellen in den Partiturseiten. kaum glauben, doch in diesen Mauern die Zukunft der Firma war trotz des guten legt sich die Partitur der Konzertstücke ben ihre Positionen auf der Bühne einge- Dann noch mal ein Anruf in Hamburg: wurde Musikgeschichte geschrieben. Willens von Insolvenzverwalter Manuel sowie das Moderationsskript zurecht. nommen. Hermeyer setzt ihre Kopfhörer „Wir schaffen es, bis zu den Nachrichten Vor der Einfahrt prangt in großen, roten Sack keinesfalls zu jedem Zeitpunkt gesi- auf, Lohmann schiebt die Ärmel seines fertig zu sein“, teilt Lohmann den Kolle- Buchstaben der Name der Firma: SPV. chert. Mittlerweile hat sich das Unterneh- 19:50 Uhr. Hinter der Bühne machen dunklen Pullovers nach oben. Aus den gen in der Hafenstadt mit. Neben der Klingel starrt einen auf einem men – so scheint es zumindest – wieder sich die Musikerinnen und Musiker bereit. Boxen kommen die ersten Töne. Hermey- Aufkleber verheißungsvoll ein silberner gefangen. Von Umstrukturierungspro- In Anzügen und Abendkleidern stehen sie er schaut konzentriert in die Partitur des „Kannst du einmal die Hornspieler Monsterkopf mit gigantischen Stoßzäh- zessen war die Rede und dass Sony den da, warten auf ihren Auftritt. Und auf den ersten Stückes. „Gleich kommt ein lauter ein bisschen näher zeigen?“, fragt Her- nen, Nasenpiercing und Stachelhaube ewigen Independent-Kollegen SPV auf- Start der Live-Übertragung. Was passiert Harfeneinsatz“, sagt sie. Lohmann wartet meyer danach. Lohmann dreht an einem an. Der Kopf ist das Markenzeichen der gekauft hätte – Gerüchte, die sich bei ei- eigentlich, wenn das Computersystem kurz, drückt dann im richtigen Moment ein Regler, und auf den beiden Bildschirmen, Heavy-Metal-Band Motörhead, einer von nem Besuch in der SPV-Zentrale teils als abstürzt oder das Mischpult streikt? „Für paar Knöpfe. Dann ist außer den Klängen die neben dem Fenster hängen, tauchen vielen Bands, die bei SPV unter Vertrag wahr, teils als falsch herausstellen. Das den Fall X haben wir immer noch eine aus den Boxen wieder nichts zu hören. die Hornspieler in Großaufnahme auf. stehen. eine Umstrukturierung stattgefunden CD mit verschiedenen Beiträgen, die wir Etwas seitlich neben Hermeyer sitzen die Die Musik wird immer dramatischer. hat, darauf weist jedoch schon die Tatsa- abspielen können“, sagt Lohmann. Und beiden Tontechniker Martina Frank und Lohmann soll die Lautstärke der Hör- Im Vorzimmer des Gebäudes gewinnt che hin, dass es nicht SPV-Gründer Man- fügt lächelnd hinzu: „Aber hoffen wir mal, Wolfgang Hermann. Genau wie ihre Kolle- ner ein wenig verringern. Er macht eine man schon eher den Eindruck, dass man fred Schütz ist, der im Büro des Chefs dass wir sie nicht benötigen werden.“ gen sind sie komplett schwarz gekleidet. ausladende Handbewegung und drückt sich hier im Inneren eines wichtigen Un- sitzt, sondern Frank Uhle. Mit gefüllter Frank hat den „Spiegel“ aufgeschlagen, mit dem Zeigefinger schwungvoll auf die ternehmens der unabhängigen Musik- Kaffeetasse, Augenringen, die auf die Dann geht es los. „Es ist 20 Uhr. Hier blättert behutsam die Seiten um. Her- Knöpfe des Mischpultes, als wären es industrie befindet. Die Wände schillern ein oder andere Überstunde hinweisen, ist NDR Kultur“, kommt es aus den gro- mann nimmt vorsichtig das Programm- Klaviertasten. und glänzen. Gold- und Platinauszeich- und im zerknautschten grauen Pulli sitzt ßen Boxen im Regieraum. Auf den Bild- heft in die Hand. Dann flüstern sie kurz. nungen begrüßen Besucher der Firma der 46-Jährige hinter seinem Schreib- schirmen sieht man Orchester und Diri- Applaus. Cavert sitzt im winzigen Ne- SPV. Dieter Nuhr lächelt von einem ein- tisch und wirkt gleichermaßen gelassen genten auf die Bühne schreiten. „Was für Auf den kleinen Bildschirmen am benraum und moderiert ab. „Hannover gerahmten DVD-Cover herab, Helloween, wie nervös. Er ist das Fleisch geworde- ein Glück“, beginnt Cavert dann seine Mo- Mischpult tanzen grüne Fäden zu den kommt zum Ende.“ Die rot leuchtenden die Power-Metal-Legende aus Hamburg, ne Symbol des Wandels bei SPV. Ein in deration. „Was für ein Glück, dass noch Klängen. Ein Husten im Saal lässt sie Ziffern der Digitaluhr über dem Fenster ist gleich mit drei glänzenden Scheiben Wirtschaftseinheiten denkender Mensch, Ersatz gefunden wurde für die erkrankte kurzzeitig erzittern. Hermeyer zückt den im Studio zeigen genau 22:01 Uhr. Die in einem Bilderrahmen vertreten, und der davon spricht, ein „Produkt einzukau- Julia Fischer.“ Er sitzt im Nebenzimmer. Bleistift und vermerkt in der Partitur, an Live-Schaltung wird beendet. „Fast eine die Ruhrpott-Metal-Band Sodom wirkt fen“, wenn es um die Verpflichtung einer Die Wände des kleinen Zimmers sind mit welcher Stelle des Stückes gehustet wur- Punktlandung“, bemerkt Cavert. Dann mit ihrem Soldaten auf dem Cover umso neuen Band geht. Der von Umstruktu- Holz vertäfelt, die grauen Vorhänge zuge- de. Am nächsten Tag wird sie diese Stelle packen sie alle ihre Sachen, fahren die bedrohlicher, als daneben ein relaxter rierungsprozessen, Outsourcing und Ge- zogen. In der Mitte steht ein Tischchen, in der Aufnahme bearbeiten. Computer herunter. Lohmeyer zieht sei- Xavier Naidoo auf den Besucher blickt. winnmargen redet und damit vermutlich darauf ein Mikro. Eine Schreibtischlampe nen Mantel an, nimmt sein Köfferchen. genau der Mann ist, den SPV in der aktu- beleuchtet Caverts Moderationsskript. Dann ist der erste Satz vorbei. Tonin- Der Pilot hat endlich Feierabend. Doch es herrscht Aufbruchstimmung. ellen Verfassung benötigt, um sich weit- Links oben im Raum hängen zwei Bild- genieur Lohmann startet das Pausenpro- Im Konferenzraum stehen Umzugskar- gehend selbstständig aus der Krise zu Fra nk UHLE schirme. Nur dort kann Cavert sehen, gramm auf dem Rechner. Claudia Hamburger tons, leere Getränkekisten und alte Ak- befördern, in die sich die Firma innerhalb

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teuer war, dass das Geld durch Verkäufe konnte, und da liegt es nahe, dass man nichts mehr zu tun haben.“ Für SPV ist nicht wieder hereingeholt werden konnte. sich anderweitig umschaut. Ich bin auch der Verlust von Gamma Ray mit Sicher- Uhle verweist damit fast unfreiwillig auf nach einer Weile echt ungeduldig gewor- heit nicht angenehm, da die Band als den ehemaligen Geschäftsführer Man- den, denn so eine Stagnation nagt an eines der internationalen Aushängeschil- fred Schütz. Der 59-jährige Gründer von Motivation und Energie, die man sich als der der deutschen Heavy-Metal-Szene SPV ist mittlerweile kein Teil der von ihm Musiker unbedingt erhalten muss. Aber gilt. Allerdings bleibt für Uhle und sein aufgebauten Firma mehr, sondern hat in bis zum Schluss habe ich meinem Bauch- neu strukturiertes Team keine Zeit, um Hannover eine neue Firma namens MIG gefühl vertraut.“ Und der Bauch sagte: über diesen Verlust nachzudenken. Zwi- gegründet, die er gemeinsam mit einigen Durchstehen. Immerhin hatte die Band schen 40 und 50 Veröffentlichungen sind ehemaligen SPV-Mitarbeitern betreibt. zehn Jahre mit SPV zusammengearbeitet. für das Jahr 2010 geplant, darunter vor Zum Insolvenzverfahren von SPV möchte allem auch Alben neuer, aufstrebender sich Schütz nicht öffentlich äußern. Auf Freedom Call gehören zu einer gan- und regional verankerter Bands. „Wir Nachfrage beteuert er lediglich, dass es zen Reihe von Künstlern, die SPV die suchen den Schulterschluss mit lokalen ihn als Gründer natürlich schmerze, sich Treue hielten. Doch es gibt auch andere Veranstaltern und Musikern. Wir wollen von der Firma lösen zu müssen. Beispiele, wie Gamma Ray, deren neues auch zunehmend Newcomer unter Ver- Album „To The Metal“ Ende Januar bei trag nehmen und damit mit der klassi- Welche konkreten Entscheidungen Edel, einem der größten unabhängigen schen A&R-Strategie, nur etablierte Acts der Geschäftsführung es waren, die zur Musikunternehmen Europas, erschie- zu verpflichten, brechen. Bei diesen Acts Krise führten, welche Produkte, respekti- nen ist. Der Vertrag mit Gamma Ray war ist Vermarktung und Einkauf sehr teuer“, Chra is b y (FREEDOM CALL) ve Bands, sich im Einkauf nicht rentiert ausgelaufen und musste neu verhandelt erklärt Uhle. Zukünftig wolle man bes- hätten, dazu äußert sich auch Uhle nicht. werden. Und im Zuge dieser Verhandlun- ser mit dem vorhandenen Geld arbeiten. Es wirkt jedoch beinahe schon paradox, gen boten Mitbewerber Summen, die SPV Dazu gehöre dann weniger, dass man Vi- dass rund 85 Prozent aller verpflichteten nicht bieten wollte. „In der Vergangen- deos für 50.000 Euro drehe, sondern eng der vergangenen fünf Jahre manövriert stehen, herrschte natürlich eine große einer Firma, die solche Bands unter Ver- Bands nach wie vor bei SPV unter Vertrag heit hätten wir mit Sicherheit auf Teufel an der Zielgruppe arbeite. hat. Und seine Beförderung zum Chef von Unsicherheit – vor allem bei den auslän- trag hat, hatten es Szenekenner schein- stehen. Offensichtlich haben Uhle und komm raus versucht, mitzuhalten, aber SPV ist nicht die einzige personelle Ände- dischen Bands. Das Insolvenzrecht ist in bar am wenigsten erwartet. der Insolvenzverwalter Manuel Sack mit diese Zeiten sind jetzt vorbei. Wenn ein Damit bricht der 46-Jährige, der seit rung bei einem Betrieb, der in Glanztagen jedem Land etwas anders geregelt, wes- ihrer Aufklärungsarbeit viel erreicht, so- anderes Unternehmen meint, mit den 2005 bei SPV arbeitet, mit den bisheri- rund 125 Menschen beschäftigte. Heute wegen viele Musiker nicht wussten, ob Die Meldung war Wasser auf den dass Anfang Januar schon wieder die ers- Einkaufssummen rentabel mit der Band gen Gepflogenheiten seiner Firma. Kein arbeiten keine zwanzig Mitarbeiter in den ihre Verträge nach wie vor gültig sind oder Mühlen der Gegner neuer Medien. Allzu ten Alben veröffentlicht werden konnten. arbeiten zu können, dann ist es für mich Zweifel: Uhle hat ein Geschäftsmodell, Büroräumen am Rande Hannovers. nicht. Hier mussten wir viel vermitteln und schnell war der gemeinsame Sünden- vollkommen okay, dass sie sich gegen er hat einen Plan. Ob das Bild von SPV den Bands klar machen, dass es sinnvoll bock gefunden: das Internet. Doch Frank Eine der Bands, die durchweg hin- eine weitere Zusammenarbeit mit SPV als Fels in der Brandung, als Antithese „Natürlich mussten wir im Rahmen ist, bei SPV zu bleiben, dass unsere Zah- Uhle widerspricht diesen Mutmaßungen. ter SPV standen, sind Freedom Call. Die entschieden haben“, versichert Uhle. zu den Major-Labels bestehen bleibt, der Umstrukturierung und des Wiederauf- lungen nach wir vor pünktlich eintreffen SPV sei von Downloads nie übermäßig Power-Metal-Band aus Süddeutschland das steht auf einem anderen Blatt, denn baus massiv Stellen abbauen“, gesteht und wir alles korrekt abwickeln werden.“ betroffen gewesen. Illegale Downloads gehört zu den ersten, die nun unter Frank Dass sich Gamma Ray mit der Insol- mittlerweile streckt Major-Konkurrent Uhle. „Dabei haben wir versucht, dass schädigten eher die Major-Labels, wie Uhle ein neues Album veröffentlichen venzsituation ihres Arbeitgebers nicht so Sony seine Finger aus und versucht, SPV möglichst keine kompletten Abteilungen Eine dauerhafte Rufschädigung soll EMI und Warner, die ja derzeit auch ins konnten. „Die Nachricht, dass das eige- ganz wohl fühlten und diese Tatsache ein unter die Fittiche zu nehmen – zum Teil wegbrechen.“ Komplett unter das Mes- damit auch bei Kunden vermieden wor- Stolpern kämen. Natürlich lasse sich der ne Label scheinbar vor dem Aus steht, zusätzlicher Beweggrund war, sich einem mit Erfolg. Schon jetzt wird ein Groß- ser fielen die Abteilungen Außendienst, den sein. „Für Fans von Rock und Metal Rückgang bei den CD-Verkäufen nicht hat uns natürlich hart getroffen“, erinnert anderen Unternehmen zu verpflichten, teil des SPV-Repertoires als Folge des das Lager und die Vertriebsabteilung, ist SPV nach wie vor eine Institution. Und wegdiskutieren, aber bei SPV sei er nicht sich Sänger und Gitarrist Chris Bay. „Wir ließ Gamma-Ray-Chef Kai Hansen in ei- Insolvenzverfahrens über Sony vertrie- von wo aus man früher nicht nur eigene unsere Geschäftskunden können sich der Auslöser der Krise, da es um Verluste haben das Glück, dass wir als Band ein nem Interview mit dem RockHard-Maga- ben. Was für die Hannoveraner auf der Veröffentlichungen verschickte, sondern ebenfalls nicht leisten, SPV einfach zu von nur zwei oder drei Prozent pro Jahr eigenes Tonstudio besitzen, also muss zin unmissverständlich durchblicken: „Die einen Seite eine enorme Hilfe ist und das diese Leistung auch anderen Labels an- vernachlässigen, denn dafür haben wir gegangen sei. Die Gründe sieht Uhle wo- nicht jeder Tag Studioarbeit sofort be- SPV-Insolvenz hat uns etwas den Wind derzeitige Überleben der Firma und eini- bot. „Wir müssen diese Herausforderung, einen zu starken Katalog“, ist sich Uhle anders: „Als sich die Branche zu wandeln zahlt werden. Natürlich kostet auch das aus den Segeln genommen. Wir hatten ge Arbeitsplätze sichert, hat auch eine SPV wieder aufzubauen, mit den wenigen sicher. Und Recht hat er: Die Namen der begann, hätte man rechtzeitig eingreifen eigene Studio Geld, aber man hat so im- ja schon im Mai mit der neuen Scheibe Schattenseite: Die auf Langfristigkeit an- Leuten stemmen, die wir uns noch leisten Bands, die bei der Firma unter Vertrag müssen. Wenn wir vor zwei oder drei Jah- merhin die Möglichkeit, im Vorfeld, also angefangen, mussten dann aber erst ein- gelegte Kooperation ermöglicht Sony Mu- können“, stellt Uhle fest. stehen oder standen, lesen sich wie das ren betriebswirtschaftlich etwas geändert ohne die Finanzierung der Plattenfirma, mal abwarten, bei welcher Plattenfirma sic einen späteren Erwerb von SPV. Noch Einmaleins der Heavy-Metal-Geschichte. hätten, hätte der Super-GAU vermutlich eine entsprechende Produktion zu ver- wir letztendlich landen würden. SPV hät- steht die Firma also lange nicht wieder Derzeit lasse sich die Arbeit mit dem Motörhead, Alice Cooper und Whitesna- verhindert werden können. Schon früher wirklichen.“ Sich bei einem anderen La- te eine neue Option ziehen können, aber auf eigenen Beinen, sondern läuft nach stark reduzierten Team problemlos bewäl- ke fanden hier ebenso ihre Labelheimat hätten wir uns personell an die Begeben- bel zu verpflichten, das stand für Chris dann wäre auch ein neuer Vorschuss für wie vor Gefahr, als Mahnmal zu enden: tigen, denn immerhin habe man im Mo- wie diverse Szene-Tipps namens Kreator, heiten des Marktes anpassen müssen.“ Bay und seine Bandkollegen zu keinem uns fällig gewesen. Wir verhandelten ein Der Rebell, der sich selbst in die Krise ment kaum Veröffentlichungen, sondern Sodom und Helloween. Die Summe die- SPV sei aber immer mit voller Kraft weiter- Zeitpunkt wirklich zur Diskussion. „Wir paar Monate lang, aber letztendlich wur- stürzte und trotz Gegenwehr geschluckt kümmere sich vorrangig um den Wieder- ser großen Namen war es, die für einen gefahren, wie zu den goldenen Zeiten der haben durch das finanzielle Desaster von de diese Option nicht ausgesprochen, so wird. aufbau und um Aufklärungsarbeit. „Bei umso größeren Schock sorgten, als die Branche. Manch ein Produkt hätte man SPV rund zehn Monate verstreichen las- dass wir wieder frei waren. Gott sei Dank. den Künstlern, die bei uns unter Vertrag Insolvenz bekannt gegeben wurde. Von besser nicht einkaufen sollen, weil es so sen, ehe nun das neue Album erscheinen Ich will mit diesem Insolvenz-Kram auch Dorian Gorr

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NEUE MÄNNER BRAUCHT DER CHOR

ABER IN HANNOVER Chöre haben Hochkonjunktur, und Chöre sind für viele Menschen ein Ort der Kommunikation, sagt Klaus-Jürgen SCHEUEN DIE HERREN das nicht nur in Hannover, das schon seit geraumer Zeit als „Stadt der Chöre“ Etzold, Leiter des Jungen Vokalensemb- DER SCHÖPFUNG DAS bezeichnet wird. Neben professionellen les Hannover und Honorarprofessor für gibt es eine Vielzahl an semiprofessio- Musikpädagogik an der Hochschule für GEMEINSAME SINGEN. nellen und Laien-Chören, wie sie in an- Musik und Theater Hannover. Chorge- deren Städten in der Qualität wohl selten meinschaften geben menschlichen Halt, DIE URSACHEN DAFÜR zu finden sind. Hervorzuheben sind der vermitteln das Gefühl, aufgehoben zu SIND VIELFÄLTIG. Norddeutsche Figuralchor, das Junge sein, bieten Möglichkeiten zu gemeinsa- Vokalensemble Hannover, Capella St. men Aktivitäten wie Konzerten und orga- Crucis, der Johannes-Brahms-Chor oder nisatorischer Arbeit. Und vor allem: Sie auch der Kammerchor Hannover, die sich lassen Freundschaften entstehen. Ein fast alle erfolgreich bei nationalen und künstlerischer Reiz besteht sicher in der internationalen Wettbewerben hervorge- Möglichkeit, Meisterwerke selbst zu ge- tan haben. Hervorragende Singschulen stalten, auch wenn man kein exzellenter wie der Mädchen- und der Knabenchor Einzelkünstler ist. Und die verschiedenen Hannover, ebenfalls Preisträger großer Ensembles in Hannover decken nahezu Wettbewerbe, runden dieses Bild ab. Was jeden Geschmack ab: klassisch, volks- aber macht das Singen im Chor so at- tümlich, poppig, jazzig – oder eine bunte traktiv? Und warum ziehen Chöre beson- Mischung aus allem. Einige Chöre sind ders Frauen an? regelrecht überlaufen und können keine

weiteren Mitglieder mehr aufnehmen, Denn auffällig ist: Viel mehr Frauen wie das Junge Vokalensemble Hannover. als Männer wollen in Gemeinschaft mit Es ist mittlerweile in der Lage, sich seine anderen singen. In professionellen oder Mitglieder nach Qualität auszusuchen. semiprofessionellen Chören, deren Mit- Allerdings gilt dies immer noch eher für glieder meist eine gesangliche Ausbil- die Besetzung der Frauenstimmen. Die dung besitzen, wirkt sich dies häufig nicht Suche nach geeigneten Männerstimmen so dramatisch aus. Hier kommen zwar hingegen ist oft auch bei solch renom- nicht selten zwei Sängerinnen auf einen mierten und erfolgreichen Ensembles Sänger. Bei Laienchören ist das Verhält- ein nicht ganz einfaches Unterfangen. nis auch schon einmal vier oder fünf zu Gerade in einer Stadt wie Hannover, in eins, so Rainer Klugkist, Leiter des Ge- der es ein Überangebot an Chören gibt, mischten Chores Döhren e.V. Allerdings sind gute Sänger meist schon mit guten singen Männer stimmtechnisch gesehen Angeboten versorgt. Hier müsse man den mit einem höheren Bruststimmenanteil Sängern ein gewisses Programm bieten, als Frauen und kommen so im Chor meist seien es Chorreisen oder auch große mu- besser zur Geltung. Dies bedeutet, dass sikalische Projekte, um sich von anderen nicht zwingend genauso viele Männer wie Ensembles abzusetzen, meint Klaus-Jür- Frauen gebraucht werden, um einen aus- gen Etzold. Selbst in den Ensembles der geglichenen Chorklang zu erreichen. Musikhochschule ist es immer wieder jes ung vokalensemble hannover nicht leicht, die Männerstimmen zu be- Aber warum finden Männer seltener setzen. zum gemeinsamen Singen? Sind sie we-

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niger gemeinschaftlich veranlagt? Haben die Mädchen. Man muss da selbst durch bessere Zusammenarbeit der Musikstu- sie Vorbehalte gegenüber dem Singen? die Klassen gehen und heraushören, wer dierenden mit dem Niedersächsischen „Man muss schon Ist Singen etwa eine „weibliche Angele- für den Schulchor in Frage kommt“, so Chorverband plädiert. genheit“? Selbst der traditionelle deut- Etzold. Wichtig ist auch, sich stimmbild- sche „Männerchor“ ist heute schon eine nerisch um die Jungen zu kümmern. Hier „brave chorknaben“ Rarität in der Chorlandschaft geworden. sind die Lehrer mit all ihrer sängerischen verdammt gut sein“ Und auch Martin Dietterle, Kantor der Kompetenz gefragt. Gerade in der 5. und sind nicht erstrebenswert Markuskirche und Leiter des Markus- 6. Klasse kann ein guter Grundstock für Chores – eines fast hundertköpfigen die chorische Arbeit gelegt werden. Das Aber so lobenswert die Absicht auch Ensembles –, kennt das Problem des lässt sich dann nach der Stimmbruchpha- ist, Jungen mehr zu fördern – ist das Männermangels, wenn auch nicht in der se gut aufgreifen. Frank Löhr ist der Mei- Chorsingen heute nicht doch mit gerade- Der ENTschluss, beschriebenen Dramatik. In seinem Chor nung, dass Schulen sich nicht mit chori- zu weiblichen Stereotypen besetzt, wie singen zurzeit 15 Tenöre und 17 Bässe, schen Halbherzigkeiten zufriedengeben Einfühlungsvermögen, Team- und Anpas- Orchestermusik zu studieren, was an sich eine gute Zahl ist, aber in sollten. Der singende Lehrer sollte den sungsfähigkeit, dem Zeigen von Gefüh- birgt immer Relation zur Chorgröße immer noch zu Schülern die ganze Breite stimmlicher len? Zugegeben: Männliche Stereotypen wenig, wie er meint. Ihnen stehen 35 Alti Herausforderungen erlebbar machen. wie Durchsetzungsfähigkeit, Stärke, Hart- ein berufliches Risiko und genau so viele Soprane gegenüber. In der heutigen Praxis wolle man den näckigkeit, mangelnde Rücksichtnahme Woran also liegt das? Schülern vieles allzu schnell erleichtern – oder geringes Einfühlungsvermögen sind und mache es so für sie eher uninteres- nicht gerade die Eigenschaften, die das IN der Schule beginnen sant. Singen im Chor ausmachen. Es mögen also tatsächlich eher die „typisch weib- die Probleme Auch Prof. Gudrun Schröfel, Leiterin lichen“ Eigenschaften sein, die im Chor- des Mädchenchores Hannover und Pro- gesang gefordert werden. Hinzu kommt, Über die vermutlich vielfältigen Grün- fessorin für Elementare Musikpädagogik dass gerade bei Jugendlichen das Kli- de kann man nur spekulieren. Eine der und Kinder- und Jugendchorleitung an schee des „braven Chorknaben“ nicht un- Ursachen sehen Experten in den päda- der Hochschule für Musik und Theater bedingt als erstrebenswert gilt. Mädchen gogischen Konzepten der Schulen. Auch Hannover, betont, dass die ausgewählte mögen es da leichter haben, mit einem gibt es noch deutlichen Verbesserungs- Literatur mehr kompositorische Substanz herkömmlichen Rollenverständnis ihren bedarf in der musikalischen Früherzie- haben müsse, da viele Kinder durchaus Frieden zu schließen, wenn es z.B. um Wenn Mikael Rudolfsson von seinem mester 2004/05 waren an deutschen hung. Schon im Kindergarten sollte das harmonisch und rhythmisch komplexere größere Kommunikationsfreude in der Studium an der hannoverschen Hoch- Musikhochschulen fast 8.000 Studie- Singen stimmgerecht integriert werden; Musik bevorzugen, die sie herausfordert. Gruppe geht, meint Frank Löhr. schule für Musik und Theater (HMTH) rende in Orchestermusik-Studiengängen Erzieher sollten wissen, wie man mit ei- Gerade die rhythmischen Elemente seien spricht, kommt er sofort ins Schwärmen. immatrikuliert – an der HMT Hannover ner Kinderstimme umgeht, sie fördern wichtig für die Jungen. Oft werde der An- Alexander Schories Der Schwede studiert im vierten Semes- sind es aktuell rund 300. Die Absolven- und entwickeln, fordert Frank Löhr, Pro- spruch aber heruntergesetzt, um schnel- ter im Studiengang „Künstlerische Aus- tenzahlen übersteigen bei weitem die fessor für Chor- und Orchesterleitung an lere Erfolge zu erzielen. Und das könne bildung“, sein Hauptfach ist Posaune. Kapazitäten des Arbeitsmarktes. Noch der Musikhochschule Hannover. schnell zu Demotivation führen. Nach dem Studium eine Stelle in einem dazu wurden in den vergangenen Jahren Orchester zu bekommen hält er für realis- viele ohnehin staatlich subventionierte Spätestens in der Schule aber begin- ERFORDERT CHORGESAng tisch, auch wenn er um die kritische Lage Ensembles fusioniert oder geschlossen. nen die Probleme, Jungen zum Singen auf dem Arbeitsmarkt für Musiker weiß. Manchmal werden vakante Stellen aus „weibliche“ eigenschaften? zu motivieren. Stehen dort verschiedene „Ich bin in der besten Klasse der Welt! Geldmangel auch einfach nicht neu be- Musik-AG’s zur Auswahl, wie z.B. in der Für Posaune liegt Hannover vorne, wir setzt. „Man muss sich den Arbeitsmarkt 5. Klasse der Lutherschule, so entschei- Spätestens während des Stimm- gewinnen die meisten Stellen und Wett- für Musiker wie einen Kuchen vorstel- den sich Jungen eher für instrumentale bruchs kommen ohnehin viele Jungen bewerbe.“ Das liege nicht nur an seinem len“, sagt Erdmuthe Pirlich, Senior Artist Kurse. An erster Stelle stehen Blasin- von dem Gedanken an das eigene Singen Professor Jonas Bylund, sondern auch an Manager in der Konzertagentur Schmid. strumente und Percussion. Im Chor sin- ab, wenn Sie nicht ausreichend von El- seinen Kommilitonen: „Die ziehen einen „Seit einer Weile schrumpft der Kuchen, gen lediglich 16 Prozent der Jungen. Al- tern und Erziehern motiviert werden. Der mit, wir spornen uns gegenseitig an, sind nur wollen immer mehr Künstler etwas lerdings ist das oft auch eine Frage der Musikunterricht generell dürfe nicht als aber natürlich gleichzeitig Konkurrenten.“ davon abhaben.“ Sie beobachtet, dass Überzeugungsarbeit und der Animation, erstes von Stundenstreichungen betrof- eine große Zahl sehr guter junger Musi- weiß Klaus-Jürgen Etzold. Er leitet selbst fen sein. Außerdem gebe es nicht genü- Nicht nur die Instrumentalisten aus ker nachrückt und daher der Verteilungs- auch einen Schulchor am Matthias-Clau- gend männliche Vorbilder, da es zu wenig Hannover, sondern alle Orchestermusik- kampf umso härter wird. In der obersten dius Gymnasium in Gehrden, der immer- männliche Erzieher und Grundschulleh- studenten von deutschen und ausländi- Liga des Musikmarkts, die Erdmuthe hin zu einem Drittel von Jungen besetzt rer gebe, so Gudrun Schröfel, die auch für schen Musikhochschulen konkurrieren Pirlich mitbetreut, laufe es trotz der ins- ist. „Mir war es ein Anliegen, die Jungen den Ausbau des bestehenden Chorklas- um die immer dünner gesäten Stellen gesamt schlechten Arbeitsmarktsituati- genauso zum Singen zu motivieren wie sensystems an den Schulen und für eine in deutschen Orchestern. Im Winterse- on dennoch nach wie vor gut. Künstler MIKE A L RUDOLFSSON

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wie die Klarinettistin Sabine Meyer oder weil es in Großbritannien keine derart fessoren, ob und wie sie mit Blick auf den der Geiger Joshua Bell sind in ihrer Rol- etablierte Orchesterlandschaft gibt. Dort Arbeitsmarkt ihre Ausbildung gestalten. le als Klassik-Stars weiterhin gefragt. Bei lernt man den Musikerberuf inklusive Vorschriften in der Studienordnung gibt Musikhochschulabsolventen, die später Selbstvermarktung, Konzertorganisati- es dazu nicht. Auch muss keine Profes- nicht unbedingt Solisten werden wollen, on und Musikergesundheit. Das Spielen sorin und kein Professor Zeugnis davon stellt Pirlich aber oft Unwissen über die in allen möglichen Besetzungen kommt ablegen, wie viele Studenten sie zu einer Marktsituation fest. „Die kommen aus ih- auch nicht zu kurz. In Deutschland liegt erfolgreichen Musikerexistenz geführt rem Elfenbeinturm und fallen erst einmal der Schwerpunkt auf der Vorbereitung haben. Ihr Erfolg ist aber relativ leicht an auf die Nase.“ Ihrer Meinung nach sollten auf ein Probespiel. Daher will Fabian, dem Zulauf in ihre Instrumentalklassen die Musikhochschulen sich mehr in die wenn er mit Probespielen beginnt, auch abzulesen – auch an der hannoverschen Niederungen des Alltags begeben und noch einmal in Deutschland studieren: Musikhochschule: „Innerhalb der HMTH ihre Studenten auf die Konkurrenz auf „Auf so was bereitet man sich eben am und in der Szene gibt es schon eine Quali- dem Markt vorbereiten. besten – weil ausschließlich – an einer tätsverschiebung. Und jeder Lehrer muss deutschen Musikhochschule vor.“ schauen, dass er das Qualitätsziel der Studien haben gezeigt, dass die Stu- Hochschule, nämlich Orchesterkompe- denten zwar von der angespannten Lage Unklar ist, ob es angesichts des Stel- tenz, in irgendeiner Weise erreicht.“ wissen, für sich selbst aber trotzdem gute lenabbaus und der Orchesterschließun- Chancen sehen. Die unbekannten Ande- gen so sinnvoll ist, nur auf ein Pferd – die Dennoch ist die Verantwortung für ren sind diejenigen, die versagen. Man Orchesterausbildung – zu setzen. Die eine gelungene Karriere nach dem Studi- selbst komme schon irgendwo unter. HMTH tut dies ganz bewusst, so Andreas um nicht allein bei den Lehrenden zu su- Boettger, Professor für Schlagzeug und chen. Der Entschluss, Orchestermusik zu Der Direktor des Niedersächsischen Pauken sowie derzeitiger Vizepräsident. studieren, birgt immer ein Risiko und ist Staatsorchesters Hannover, Joachim Hannover sei bekannt für seine Orches- eine freie Entscheidung des Einzelnen. Schwarz, ist bei allen Probespielen für terkompetenz. Wohin es die eigenen Stu- Für Mikael Rudolfsson gab es eigentlich offene Stellen in seinem Orchester dabei denten verschlägt und ob die zum Dienst keine Alternative: „Mit meiner Entschei- und kennt die Lage genau. „Wer heute im Orchester ausgebildeten Musiker dung für den Studiengang ‚Künstlerische im Orchester landen will, der muss ver- auch tatsächlich als Orchestermusiker Ausbildung’ und meinen Professor Jo- dammt gut sein. Allein schon, um den arbeiten, ist allerdings nicht zentral er- nas Bylund habe ich mich ganz klar für Bewerbungsprozess zu überstehen.“ fasst. „Inoffiziell ist das natürlich in der das Ziel entschieden, in ein Orchester Erste Hürde beim Kampf um die Stellen Szene der Flötisten, der Szene der Strei- zu kommen. Und wenn man sich dazu ist bereits, überhaupt eine Einladung cher oder eben auch bei uns Schlagzeu- entschließt, dann geht‘s eben auch um zum Vorspiel zu bekommen. Die Instru- gern bekannt. Man weiß, wie viele Perso- einen Job.“ In Göteborg, wo er vor Han- mentengruppe, die einen neuen Musi- nen erfolgreich ihren Beruf im Orchester nover studiert hat, wurden die Studenten ker braucht, sichtet die Bewerbungen. gefunden haben, wie viele unterrichten breiter ausgebildet, ähnlich wie an der So kennen beispielsweise Cellisten ihre oder einfach zufrieden sind mit ihrem Guildhall School of Music. „Dafür war das Szene und bevorzugen eventuell Bewer- Berufsleben.“ Andreas Boettger gestaltet Niveau aber auch niedriger. In Deutsch- ber, die die Spielweise eines bestimmten den Unterricht mit seinen Studenten so, land herrscht ein extrem hohes Niveau, Cello-Professors übernommen haben. dass sie auch in der Lage sind, ohne fes- ich glaube, das nehmen viele Deutsche Insofern lassen sie sich weniger vom Ruf te Orchesterstelle zurechtzukommen. Sie gar nicht so wahr. Letztendlich muss man einer Hochschule, als vom Ruf der Dozen- können dann eine Art Patchwork-Karriere abwägen, wie wichtig es einem ist, sein ten leiten. verfolgen, also unterrichten, in Orches- Instrument zu beherrschen.“ Mikael ver- tern als Aushilfe spielen und mit Ensem- sucht, sein Studium in Hannover nicht Genauso orientieren sich aber auch bles oder solistisch Konzerte geben. „Ich allein als Vorbereitung auf ein Probespiel Studienanfänger nicht an der Stadt oder halte im Grunde genommen jeden Aus- zu sehen, sondern die Möglichkeiten, die dem Image der Hochschule, sondern al- gang dieses Studiums, der in Richtung sich ihm an der Hochschule bieten, opti- lein an dem, was in der jeweiligen Szene Musikerexistenz führt, für eine gelungene mal zu nutzen. Gerade hat er das Quintett über den Professor oder die Professorin Ausbildung.“ „Schwerpunkt“ mitgegründet, das viel bekannt ist. Fabian Schmidt, ebenfalls Neue Musik spielt. „Für so etwas habe Posaunist, verschlug es so nach London Innerhalb der jeweiligen Szene, aber ich jetzt die Zeit. Die Spieltechniken für an die Guildhall School of Music and Dra- auch innerhalb der Musikhochschule ist Neue Musik würde ich jedenfalls nicht ma. Dort stehen ganz andere Dinge auf der Anteil derjenigen, die ihre Studenten lernen können, wenn ich schon im Or- dem Lehrplan eines Orchestermusik-Stu- gezielt auf eine freiberufliche Tätigkeit chester säße.“ denten als in Deutschland. Englische Mu- vorbereiten, sehr unterschiedlich. Noch siker arbeiten in der Regel freiberuflich, liegt es im Ermessen der einzelnen Pro- Maya Stockmann

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einem Konzert am vorherigen Abend, viel- W ahrscheinlich gebe es auf der gan- leicht auch von beidem zusammen. Doch zen Welt kaum eine andere „Arbeit“, die jetzt, Schlag zehn Uhr, sind alle für den so erfüllend, angenehm und gleichzeitig Probenanfang bereit. Solch eine Disziplin herausfordernd sei, wie Konzertmeisterin ist man von Studentenorchestern wirklich in einem von Freunden gegründeten Or- nicht gewohnt. chester zu sein, sagt Min-Ah Lee, Studen- tin an der HMT Hannover und JSE-Kon- „Das JSE ist wie ein erweiterter Freun- zertmeisterin. Man empfinde für jeden deskreis“, erzählt der Cellist Nico Treut- einzelnen Mitspieler Stolz und Dankbar- ler, der an der Hochschule für Musik in keit, wodurch eine gewissenhafte, aber Leipzig studiert. Seinem Eindruck nach auch entspannt humorvolle Probenat- setzt sich jedes Orchestermitglied in ganz mosphäre entstehe. „Meine bisherigen Im Jungen besonderer Weise für das Gelingen und Konzerte mit dem JSE zählen eindeutig den Erfolg eines Projektes ein. Wie unter zu den ehrlichsten und emotionalsten“, Schostakowitsch- Freunden fühle sich jeder für jeden ver- unterstreicht sie. Ensemble fühlt antwortlich. „Im Jungen Schostakowitsch Ensemble sind wir tatsächlich gut mitein- „Das Mitwirken beim JSE ist für sich jeder für jeden ander befreundet, wenn wir aber zusam- mich etwas Besonderes“, meint auch men Musik machen, steht disziplinierte Solo-Kontrabassist Hermann Stützer, der und für das Probenarbeit im Vordergrund“, betonen sonst Mitglied der Karajan-Akademie der gemeinsame Projekt die Gründer des Orchesters, Fagottist Ha- Berliner Philharmoniker ist. In diesem Or- kan Isiklilar und Peter Leipold, der sonst chester machten junge Studenten Musik VERantwortlich am Dirigierpult steht. Die beiden studie- auf hohem Niveau und hätten dabei sehr ren im fünften Semester an der Musik- viel Spaß. Das sei eine sehr wertvolle hochschule in Hannover. Im Mai 2008 Kombination, die man in Profi-Orchestern haben sie für einen Auftritt im kleinen nicht häufig finde. Spaß beim Musizieren Sendesaal des NDR-Landesfunkhauses im JSE empfinden offensichtlich viele selbstständig ein Ensemble aus Studen- Mitglieder des Orchesters, auch Robert ten mehrerer Musikhochschulen zusam- Stepp, Cellist der Freiburger Musikhoch- mengesucht. Peter Leipold hebt hervor, schule, der nicht müde wird, die sehr an- dass die Motivation der Orchestermitglie- genehme Probenatmosphäre im Orches- der, die Atmosphäre während der Proben ter zu loben. und auf der Bühne bereits beim ersten Projekt absolut einmalig gewesen seien. Verbringt man einen Vormittag mit Da bei diesem Auftritt die Publikums- und dem JSE, erhält man den Eindruck, dass mit nIveau und sehr viel spass die Presseresonanz alle positiven Erwar- sich hier viele Musiker eines speziellen tungen überstiegen, war für die beiden Typs zusammengefunden haben: Musik- Ein Samstagmorgen. Hannoversche eines sich einspielenden Orchesters. Je- Musiker klar, dass dieses Orchesterpro- begeisterte, die ausgezeichnet auf ihrem Musikhochschule. Obwohl Musiker ei- der der rund 60 Musikerinnen und Musi- jekt eine Fortsetzung brauchte. Instrument sind und dabei ein sehr gro- gentlich keine freien Wochenenden ken- ker übt etwas anderes oder stimmt sein ßes Interesse am gemeinsamen Musi- nen, ist es merkwürdig still. Das Foyer ist Instrument – ein voll aufgebautes Sinfo- Inzwischen hat die Probe begonnen. zieren haben. Außerdem sollten sie noch leer, der Pförtner kann in Ruhe seinen nieorchester, dessen Durchschnittsalter Erster Satz der 1. Sinfonie von Dmitri von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) Kaffee trinken und liest Zeitung. Nicht knapp über 20 Jahren liegen dürfte. Das Schostakowitsch. Ein Ruf der Trompe- begeistert sein. Voraussetzung für die einmal die sonst so fleißig übenden Pia- ist das Junge Schostakowitsch Ensemble te „con sordino“, dann die Repliken des Aufnahme in das Orchester ist das natür- nisten sind zu hören. Es ist kurz vor 10 (JSE). Fagotts. Antwort der Klarinette, kommen- lich nicht. Allerdings scheint der russische Uhr. In wenigen Minuten soll im großen tiert von zwei Flöten. Der Bläserklang Komponist mit seinem breiten Schaffen Ballettsaal die Orchesterprobe starten. Die Orchestermitglieder sortieren ihre verdichtet sich, immer mehr Instrumente und seiner beeindruckenden Biografie Ob da schon jemand ist? Noten, machen morgendliche Dehnun- sind im Spiel. Der Satz wird erst kom- gerade in den letzten Jahren viele junge gen, trinken Kaffee, versuchen in einer plett durchgespielt, dann bespricht der Musiker zu faszinieren und zu bewegen, „Leer ist es jedenfalls nicht“, antwor- halben Minute noch zu frühstücken, fra- Dirigent von vorn die Details. Er erläutert weswegen er auch zum Namensgeber tet der Pförtner mit schelmischem Lä- gen den Nachbarn nach Bogenstrichen sein Konzept, löst das eine oder andere für das Orchester wurde und seine Werke cheln. Und wirklich – hinter der vierten oder schwatzen einfach. Manche sehen Problem im Zusammenspiel, äußert Wün- einen Schwerpunkt in dessen Programm- Glastür des engen Hochschulflures bro- noch etwas verschlafen oder müde aus, sche zu Klang und Artikulation. auswahl bilden. delt die voluminöse „Chaosklangmasse“ vielleicht von einer gemeinsamen Party,

48 49 SCH OStakOWITSCH AUF Der DURCHREISE

„Hier ist ein kurzer Ausflug zu Wag- JSE das Vertrauen der hannoverschen anspruchsvolle Musik zu erarbeiten und ner“, ruft der Dirigent jetzt gegen Ende Musikhochschule. Sie unterstützt das auf sehr hohem Niveau gemeinsam auf- FRANK des letzten Satzes der Sinfonie dem Or- junge Orchester auf vielfältige Weise, zuführen. chester zu. Ein weicher, aber voller Tutti- ohne künstlerische Vorschriften zu ma- Orchesterklang und romantische Har- chen. Proberaum und Konzertsaal wur- „Es hat immer wieder solche studen- monien sind bei dieser Musik eher eine den kostenlos zu Verfügung gestellt, Rei- tischen Projekte gegeben, aber was uns TURNER Seltenheit. Umso mehr genießt sie jeder sekosten der nicht in Hannover lebenden auszeichnet, sind Nachhaltigkeit, das Mitspieler. „Wenn wir aber auf einen Orchestermitglieder übernommen, Pres- Niveau, das Engagement der Orchester- Schlag zu Schostakowitsch zurückkeh- searbeit geleistet. Die ganze mit dem Or- mitglieder für ein anspruchsvolles Musi- Welchen Eindruck haben ren, bitte wieder absolute rhythmische chester verbundene Organisation scheint zieren und die steigende Begeisterung auswärtige Musiker Präzision“, fügt er dazu. Die Sinfonie das Studium von Hakan Isiklilar und Pe- für die Orchesterarbeit“, meint Peter Lei- eigentlich von der steigert sich weiter bis zum fulminanten ter Leipold trotz des Zeitaufwands zu be- pold, der leider nicht das Programm des „Provinzmetropole“ Hannover? Schlussakkord. reichern. Beide Musiker sind offensicht- nächsten JSE-Auftritts im NDR verraten Wir begeben uns in jeder lich sehr motiviert, ein eigenes Projekt möchte. Also bleibt nichts anderes übrig, Vor allem durch die Gestaltung der auf die Beine zu stellen. Einerseits kon- als bis zum 8. Mai 2010 zu warten und ab Ausgabe auf die musikalischen Programme, aber auch zeptionell, um eigene Ideen umsetzen und zu auf www.schostakowitsch-ensem- Suche nach Antworten ... durch die organisatorische Zuverlässig- und eine Strategie für das Orchester und ble.de zu klicken… keit und das Niveau der Musiker gewan- den angeschlossenen Verein entwickeln nen die beiden 22-jährigen Gründer des zu können, andererseits künstlerisch, um Maria Mazo

2009 war ein ereignisreiches Jahr „Ich muss zugeben, dass ich nicht viel für den Singer-Songwriter Frank Turner: von Hannover gesehen habe, obwohl ich Sein zweites Album „Love Ire & Song“ zum ersten Mal hier bin. Aber der Club erschien mit einiger Verspätung endlich sieht ziemlich cool aus. Außerdem haben auch außerhalb seines englischen Hei- wir viel zu essen bekommen, und deswe- matlandes, sein drittes Album „Poetry gen schlägt Hannover sich eigentlich bis- of the Deed“ dann gleich weltweit, und her ganz gut! (lacht) die Kollegen von The Gaslight Anthem Bildnachweis nahmen ihn im Frühjahr zum ersten Mal Ich sehe allerdings meistens nicht viel Titel, S. 4, 5, 6, 10, 11, 17, 22, mit nach Deutschland. Nach einer aus- von den Städten, in denen ich bin. Es ist 24, 25, 26, 27, giebigen Herbst-Tour durch die USA und ein Klischee, aber es stimmt: Man reist 35, 36, 51: Birk Grüling S. 9: Pressefoto Ralf Zielke Großbritannien, wo Turner mittlerweile um die ganze Welt und sieht dabei Um- S. 12: matthieu Bell Tausender-Hallen füllt, ging es am 1. De- kleideräume und Parkplätze. Die gute Sa- S. 14: Stefan Gerding S. 15, 31: creative Commons zember dann in das etwas beschauliche- che ist jedoch, dass man an jedem Ort zu- S. 18: Pressefoto Fredun Kianpour S. 29, 30: Antonia Klöpf re Chéz Heinz. Wir baten Frank Turner vor mindest neue Leute trifft, mit denen man S. 33: Pressefoto Hilko Schomerus dem Konzert um eine Einschätzung Han- abhängen und Spaß haben kann. Ob das S. 38: claudia Hamburger S. 39: dorian Gorr novers, die er dann kurzerhand zu einer nun in Hannover oder New Orleans ist... “ S. 40: copyrights SPV allgemeinen Abhandlung über das Touren S. 42, 43: junges Vokalensemble Hannover Preete L ipold S. 45: Elias Gammelhard ausweitete: Protokolliert von Matthias Holz S. 47,48, 50: privat

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