„Ich Habe Eine Menge Angestellt“ Rock-Star Mick Jagger, 58, Über Sein Leben, Models Und Sein Neues Album
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Kultur SPIEGEL-GESPRÄCH „Ich habe eine Menge angestellt“ Rock-Star Mick Jagger, 58, über sein Leben, Models und sein neues Album SPIEGEL: Die Texte des neuen Albums sind oft melancholisch. Lässt das Rückschlüsse auf Ihre Laune zu? Jagger: Wenn ich am Morgen aufwache, die Sonne scheint und der Himmel strah- lend blau ist, dann schreibe ich schon mal ein euphorisches Lied wie „God Gave Me Everything“, aber das reflektiert nur die Stimmung dieses Moments. Andere Songs wie „Brand New Set of Rules“ drücken keine Stimmung aus: Sie beschreiben ir- gend eine Phase meines Lebens. SPIEGEL: Ist ein Song vom Solo-Künstler Mick Jagger immer persönlicher als einer vom Rolling-Stones-Idol Mick Jagger? Jagger: Natürlich. Meine Solo-Stücke betref- fen immer nur mich. Aber die Rolling Sto- nes haben einen anderen Charakter als ich. SPIEGEL: Was für einen? Jagger: Die Stones sind wie eine Hydra, ein Raubtier mit vielen Köpfen. Oft ag- gressiv, aber auch mal sanft und verletzlich. SCOTT GRIES / IMAGE DIRECT DIRECT GRIES / IMAGE SCOTT SPIEGEL: Fällt es leichter, nur über und für Rolling-Stones-Legenden Richards, Jagger*: „Der Cop brach in Tränen aus“ Mick Jagger zu schreiben? Jagger: Es ist nur anders: SPIEGEL: Mr. Jagger, Sie sind bekannt dafür, Jagger: Angefangen und autobiografisch, aber mit dass Sie es nicht ausstehen können, zu Ih- längst wieder aufgehört. so vielen weiteren Per- rer Vergangenheit befragt zu werden. Auf Ich bin sogar recht weit ge- spektiven wie möglich. Ich Ihrem neuen Solo-Album „Goddess in the kommen. Aber mich bis zu kann diese Songwriter Doorway“, das in der kommenden Woche vier Tage pro Woche mit nicht ausstehen, die sich erscheint, singen Sie „I always hate nostal- der Vergangenheit ausein- eine endlose Platte lang gia, living in the past“. Was ist Ihr Problem? ander zu setzen war ein- ausschließlich in ihrem Jagger: Ach wissen Sie, ich bin es so leid, fach nicht zu ertragen. Ich Seelenmüll suhlen. immer wieder die gleichen Geschichten habe meinen Vorschuss SPIEGEL: Sie singen auch runterzuleiern. Andererseits mache ich es zurückgezahlt und die An- „Nenn mir die Namen dei- trotzdem dauernd. gelegenheit begraben. ner früheren Liebhaber“. SPIEGEL: Wie kann das passieren? SPIEGEL: Werden Sie die Können Sie das, und wür- Jagger: Man kann seiner Vergangenheit abgeschlossenen Passagen den Sie es auch tun? einfach nicht entkommen, sie ist zwangs- veröffentlichen? Jagger: Wer sich für meine läufig mit der Gegenwart verbunden. Jagger: Kaum vorstellbar. Affären und Liebschaften SPIEGEL: Haben Sie nie das Bedürfnis, die Eigentlich kann ich mit dem interessiert, braucht nur im zahllosen Mythen und Märchen, die Sie ganzen Genre der Promi- Internet nachzuschauen. und Ihre Band The Rolling Stones umran- nenten-Biografien nur we- Aber es ist nur gerecht, ken, zu korrigieren? nig anfangen. Das Problem wenn ich auch weiß, wor- Jagger: Gott bewahre, nein! Eines habe ich dieser Bücher ist doch: an ich bin, wenn ich je- kapiert: Je mehr man plaudert, desto mehr Man bekommt viel Geld manden kennen lerne. wird es einem im Munde herumgedreht. dafür, Unterhaltsames auf- Also sollte sie die Frage be- Aber die Wahrheit ist ja bekanntlich so- zuschreiben. Aber als un- antworten. wieso ein relativer Begriff. Einen Autoun- terhaltsam gelten Biografi- SPIEGEL: Im selben Lied fall werden drei Zeugen aus vollkommen en doch nur, wenn sie viel singen Sie: „Es mag eine unterschiedlichen Perspektiven beschrei- Dreck aufwirbeln. Weil man Zeit kommen, in der du ben. Und so ist es auch mit der Geschich- gehässige Anekdoten er- mich nicht mehr sehen te der Rolling Stones. zählt und Freunde und Kol- willst, also baue deine Welt SPIEGEL: Aber Sie haben immerhin begon- legen in den Dreck zieht. lieber nicht um mich her- nen, Ihre Autobiografie zu schreiben. Das ist nicht mein Stil. um.“ Ist das als Warnung zu verstehen? Ex-Ehefrau Hall Jagger: Ja, sie besagt: Auch * Am 20. Oktober beim „Konzert für New York City“ zu Gunsten der Opfer des Terroranschlags auf das World „Je anstrengender die Liebe, wenn du mich sehr magst, Trade Center. desto mehr Songs“ PRESS / EXPRESS NEWSPAPERS BULLS solltest du vorsichtig sein. 234 der spiegel 46/2001 Kultur SPIEGEL: Ihr Stück „Don’t auch Belege: Zum Beispiel Jagger: Weil die Rolling Stones plötzlich Call Me Up“ haben Sie nennen sie ein Stück „Bal- zu erfolgreich waren. So einfach ist das. nach der Trennung von lade“, das in Wahrheit ein SPIEGEL: Vielleicht hat das kurze Wirt- Jerry Hall geschrieben. Es Rock-Song ist. Da wollen schaftsstudium trotzdem seine Spuren hin- ist ein sehr trauriges Lied. sich ein paar Leute wichtig terlassen: Sie gelten als pingeliger Finanz- Jagger: Verdammt traurig. machen. Jeder will eben chef der Stones. Beleidigt Sie das? Aber so was zu schreiben vorne dran sein. Jagger: Gar nicht. Mein Standpunkt ist: hat etwas Therapeutisches. SPIEGEL: Sind Sie eigentlich Warum soll man sich auf eine Sache be- Und je anstrengender die der Rockstar geworden, schränken? Mir gefällt es, unterschiedlichs- Liebe oder ihr Ende, desto der Sie werden wollten? te Dinge zu tun. Und wenn man sich nicht mehr Lieder muss man Jagger: Ich habe anfangs in selbst ums Geschäft kümmert, wird man darüber schreiben. Wenn einer Blues-Band gespielt, sowieso nur über den Tisch gezogen. man die Stücke singt, wird wir sind in kleinen Clubs SPIEGEL: Heute sind es die Fans, die die man aber leider wieder an aufgetreten, und mit dieser Künstler beklauen. Ärgert Sie Internet-Pi- die traurigen Geschichten Musik konnte man damals, raterie und CD-Schwarzbrennerei? erinnert. Anfang der sechziger Jahre, Jagger: Interessiert mich überhaupt nicht. SPIEGEL: Wird das Song- überhaupt nichts werden. SPIEGEL: Nutzen Ihre Kinder denn auch das schreiben nach fast vierzig Egal, ob ich berühmt wer- Internet, um sich kostenlos Musik zu be- Jahren im Geschäft einfa- den wollte oder nicht: Ich sorgen? cher oder langweiliger? sah gar keine Chance, Rock- Jagger: Die gehen brav CDs kaufen. Das Jagger: Weder noch. Es ist star zu werden. Erst als sich können sie sich leisten. nicht das Ziel, das Genre PRESS / EXPRESS NEWSPAPERS BULLS plötzlich, und natürlich oh- SPIEGEL: Wie rebelliert man als Kind gegen immer wieder neu zu er- Jagger-Tochter Elizabeth ne unser Zutun, der Musik- einen Rocker-Vater wie Mick Jagger? finden. Sondern es geht „Sie liest jetzt Bücher“ geschmack insgesamt än- Jagger: Immer schön Anzug und Krawatte darum, sich möglichst ele- derte, kam unsere Zeit. tragen. Fleißig sein und Musik hassen. Das gant innerhalb einer etablierten Form zu SPIEGEL: Das heißt, Sie hatten kein Kar- wäre eine angemessene Rebellion im Hau- bewegen. Aber ich bemühe mich immer riereziel? se Jagger. Oder? mehr um Melodien als um Grooves und Jagger: Nein, ich wollte auftreten und SPIEGEL: Und? Rhythmen. Blues-Stücke singen, weil das ein Hobby Jagger: Wir sind ein sehr harmonischer SPIEGEL: Viele Ihrer Songs sind Klassiker. war, das mir Spaß machte. Eine Karriere Clan. Glauben Sie Britney Spears, wenn sie den habe ich mir davon nicht versprochen. SPIEGEL: Nerven Ihre Kinder Sie manch- mehr als 25 Jahre alten Rolling-Stones-Hit SPIEGEL: Was hat Ihnen denn besser gefal- mal mit Ihrer Vergangenheit? „(I Can’t Get No) Satisfaction“ nachsingt? len: Musik zu machen oder im Mittelpunkt Jagger: Sie ahnen natürlich, dass ich eine Jagger: Ob ich ihr glaube? Keine Ahnung, der Aufmerksamkeit zu stehen? Menge angestellt habe, und fragen danach. ist mir aber auch egal. Ich fand, dass ihre Jagger: Aufmerksamkeit? Schön wär’s ge- SPIEGEL: Und denen antworten Sie? Version ziemlich nett anfing, weil es da ein wesen. Erst konnten wir nirgendwo auf- Jagger: Na logisch. Sie sagen, immer wenn paar Anspielungen an das Stones-Stück treten, weil kein Club uns haben wollte, ich etwas verbiete, aber Daddy, das hast du „Lady Jane“ gibt. und dann gab es keine Zuhörer. Als ich auch getan. Und ich antworte, genau, und SPIEGEL: Ist Ihre Tochter Elizabeth Britney- ein paar Jahre zuvor, da war ich 16 Jahre deshalb weiß ich auch, dass es schlecht ist. Fan? alt, mit Rock’n’Roll-Shows aufgetreten war, Ich weiß, worüber ich rede, wenn ich sie Jagger: Oh, nein, Elizabeth mag die Musik da habe ich Erfolg gehabt. Aber diese Art warne. überhaupt nicht. Georgia ist im besten Brit- Musik wollte ich nicht mehr machen. SPIEGEL: So wie im Fall Ihrer Tochter ney-Alter, sie ist acht. Aber in ihrem Zim- SPIEGEL: Und dann haben Sie eine bürger- Elizabeth, der Sie eine Karriere als Model mer hängen keine Britney-Poster. liche Karriere angestrebt und die London untersagt haben? SPIEGEL: Warum haben Sie nicht mit dem School of Economics besucht. Wieso haben Jagger: Genau. Denn es ist dumm, Model amerikanischen Erfolgsproduzenten Rod- Sie das Studium schließlich abgebrochen? werden zu wollen, bevor man seine Schu- ney Jerkins, einem der Hitschreiber von Spears und Jackson, zusammengearbeitet? Jagger: Ich habe mit ihm gesprochen, aber am Ende habe ich mich gegen ihn ent- schieden. Die Art von Musik, die er pro- duziert, gefällt mir in Wahrheit nicht. SPIEGEL: Ihre Fans haben an Ihrem Album aber auch einiges auszusetzen. Auf Ihrer Website kritisieren einige der Fans Ihr Al- bum, und zwar Wochen, bevor es erschie- nen ist. Verfolgen Sie die Diskussion? Jagger: Na klar. Gerade gestern habe ich mich eingeloggt. Im Übrigen ist die Site noch gar nicht fertig. SPIEGEL: Dort ziehen die Fans über den von Lenny Kravitz mitkomponierten Song „God Gave Me Everything“ her und über den „miserablen Text“, der von Ihnen stammt. Jagger: Ach, die kennen das Album doch nur vom Hörensagen. Und dafür habe ich * Charlie Watts, Ron Wood, Keith Richards, Mick Jagger AP (1997). Pop-Veteranen-Band Rolling Stones*: „Man sollte es mit der Nostalgie nicht übertreiben“ 236 der spiegel 46/2001 Kultur le abgeschlossen hat. Das ist doch das Dra- SPIEGEL: Die Rolling Stones feiern im ma dieser ganzen Model- und Showbiz- nächsten Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum.