SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen - Manuskriptdienst

Der – Der Berg, auf dem man niemals ankommt

Autor: Peter Jaeggi Redaktion: Detlef Clas Regie: Eigenproduktion des Autors Sendung: Donnerstag, 24.07.2008, 8.30 Uhr, SWR 2 Wissen Wiederholung: Montag, 20. Juli 2009, 8.30, SWR 2 Wissen ______

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Besetzung: Stimmen Erzählerin Voiceover männlich Lesungen Zitate

Musik Alphorn

Hans Kennel / Mytha /

O-Ton Daniel Anker Am Eiger fasziniert mich, dass man niemals ankommt.

Harrer Wie wir nach Grindel kamen, hat der Totengräber zu mir gesagt: ah, ihr seid auch Kandidaten, ich grab euch schon mal das Loch.

Musik Alphorn

O-Ton Heckmair Vor uns haben alle Versuche tragisch geendet.

Amstädter Ich weiß nur, dass sich Hitler während diesen vier Tagen der Erstbesteigung stündlich über den Fortgang der Erstbesteigung berichten hat lassen//

Musik Alphorn

O-Ton Ueli Steck Diese Geschichten, die das passiert sind, die hindern eigentlich viele überhaupt einzusteigen. Obwohl sie eigentlich klettern könnten.

Musik Alphorn

Moderation Der Eiger – der Berg, auf dem man niemals ankommt. Ein Feature von Peter Jaeggi.

Alphorn

Atmo Jungfraubahn

Erzählerin Da sitzt der Reisende also in diesem Zug. In wenigen Augenblicken, bei Kilometer 3,8 wird er aussteigen – in die Dunkelheit des engen Tunnels. Mitten im Berg. Für gewöhnliche Reisende in der Jungfraubahn verbotenes Niemandsland. Hier, beim Stollenloch, glaubt er, etwas von dem zu finden, was diesen Berg zum Mythos werden ließ.

Atmo Zug

Atmo Schneeschaufeln

Erzählerin Ein Bahnangestellter und ein erfahrener Bergführer begleiten den Reisenden. Bevor das Stollenloch den Blick in grausige Tiefen für ihn frei gibt, schaufeln die beiden den Schnee weg ... für ihn, der nicht schwindelfrei ist, aber unbedingt hierher musste ... Gleich steht der Bergführer in der Wand, so als ob er zu Hause auf dem Balkon wäre ... Der Reisende steigt ihm nach, klammert sich ans Mikrofon, bemüht, den Blick nach unten zu vermeiden.

Atmo Eiger (Stille)

Erzählerin Für den Reisenden bringt die Ruhe dieses Eigernordwand-Tages etwas Unheimliches .... Stollenloch, 21. Juli 1936. Seit drei Tagen schon sind vier Bergsteiger in der Wand: die Österreicher Edi Rainer und Willy Angerer und die Bayern und . Sie sind alle jung, der älteste, Angerer, siebenundzwanzig, Kurz, dreiundzwanzig ... Der Fels ist glasig, mit Eis überzogen ... Steine fliegen in freiem Fall hinunter, manche wie Geschosse, mit bösem Brummen ... Sturzbäche aus Schnee und Eis ....

Musik Glasharfe Ben Jeger

Erzählerin Man wird nie erfahren, was sich genau ereignet hat; wahrscheinlich ist Angerer von einem Stein getroffen worden, ist zur Umkehr gezwungen ... Ein Sturm kommt auf ... Der Eigerbuch-Autor und Bergsteiger Daniel Anker erzählt:

O-Ton Daniel Anker Voiceover Das Wetter hat umgeschlagen, sie haben eine Rückkehr versucht, sind schon fast da gewesen. Der Stollenwärter hat sie gehört, doch dann kam es trotzdem zum Unglück, sie haben den Hinterstoisser-Quergang nicht mehr zurückklettern können und am Schluss ist nur Toni Kurz übrig geblieben und man hat versucht, ihn zu retten. Am Schluss ist er unter dramatischen Umständen nur wenige Meter oberhalb der Retter gestorben. Und das ist, so habe ich das Gefühl, von allen Bergunglücken das traurigste und irgendwie auch das sinnloseste. Wenn man heute darüber liest, fährt es einem noch immer durch Mark und Bein – trotz Everest, trotz allem.

Musik Glasharfe, Ben Jeger

Erzählerin Einer, der dieses Drama hautnah miterlebte, war Arnold Glatthard. An jenem Julitag 1936 gehört er zu denen vier Bergführern, die das Unmögliche versuchen .... Toni Kurz steht auf einem schmalen Felsband unweit des Stollenlochs, von dem aus die Retter in die Wand steigen.

O-Ton Arnold Glatthard Voiceover Ja, er hat nicht viel gesagt, er sagte: Ich bin hier, ich bin allein, alle andern sind tot // einer hängt da oben und einer ist da unten und ich bitte um Hilfe. Und wir sagten: sei ruhig, wir probieren, hinzukommen, du wirst gerettet von uns// Und er sagte fortwährend: Ach, es geht ja nicht. Ach es geht ja nicht.– Und so, mit diesen letzten Worten, ist er einfach gestorben ...

Musik Alphorn

Atmo Wind hinter dem Stollenloch

Lesung Zitat 24. Juli 1938. Es ist fünfzehn Uhr dreißig. Wir sind die ersten Menschen, die die Nordwand des Eiger durchstiegen haben. Freude? Erlösung? Taumel des Triumphs? Nichts von alledem. Die Befreiung kommt zu plötzlich, unsere Sinne und Nerven sind zu abgestumpft, unsere Körper zu müde, um einen Gefühlsrausch zu gestatten. Fünfundachtzig Stunden waren Fritz Kasparek und ich, einundsechzig Stunden Anderl Heckmair und Wiggerl Vörg in der Wand. .

O-Ton Harrer Und wie wir dann, aus den Schwierigkeiten des Abstieges niederkamen auf das große Eisfeld oberhalb der Station Eigergletscher, sahen wir unten in der Ferne eine riesige Menschenmenge stehen. Da kam uns ein Bub uns entgegen und fragt mich: kommt ihr aus der Eigernordwand? Das haben wir bejaht, und da lief er hin und schrie: Sie kommen! Sie kommen! – Da haben wir erst begriffen, dass uns die ganze Welt zugeschaut hatte durch diese Fernrohre und auch mitgelitten hatte. Da kam das Bewusstsein schon, das wir die Ersten waren, die die Eigernordwand bestiegen haben.

Erzählerin Heinrich Harrer. Damals vor 11 Jahren am Tisch seines Hauses hoch über dem Tal in Hüttenberg, Kärnten, hört der Reisende dem 86jährigen zu ... Vielleicht sind die Bilder, die dabei in seinem Kopf entstehen, die noch größeren Geschichten ... Heinrich Harrer ist später nochmals weltberühmt geworden mit seinem Buch und Hollywoodfilm «Sieben Jahre in Tibet» über seine Zeit mit dem jungen Dalei Lama ... Heinrich Harrer stieg 1938 zusammen mit Fritz Kasparek in die Wand, Kasparek, der später in den Anden abstürzte ... Vor 10 Jahren lebte auch noch Andreas alias Anderl Heckmair, der 2005 im 99. Altersjahr starb ... Er, der damals die Eigernordwand-Erstbegehung anführte, nachdem er mit Ludwig Vörg einen Tag nach dem Duo Harrer - Kasparek in die Wand stieg ... Ludwig Vörg starb als Soldat im Zweiten Weltkrieg ... Andreas Heckmair, damals 92 Jahre alt, traf der Reisende im Reiheneinfamilienhaus in Oberstorf ...

O-Ton Heckmair Die hab ich mir ein Jahr schon vorher schon angschaut und die ganze Wand war weiß.//Da hab ich gewusst, das ist keine reine Kletterei, sondern eine Eisgeherei.// Und darauf hab ich mich eingestellt und hab mir 12-Zacken-Steigeisen von einem befreundeten Schmied machen lassen /// Und das war mit ein Grund, warum ich so gut gehen hab können// Harrer hat sich in der Wand auch getäuscht, er hat gmeint, er gehe in Felssachen. Er hatte nicht einmal Steigeisen, das kann ich Ihnen ruhig sagen// Und Kasparak, das war alles mehr oder weniger ein Ehrgeiz für ihn// Die waren vor uns in der Wand drin, haben biwakiert und wir haben sie eingeholt.//Und ich hab sie auf ihre Unzuverlässigkeit ihrer Ausrüstung aufmerksam gemacht// Und mein Kamerad, Wiggerl Vörg, viel gutmütiger als ich, der hat das erlösende Wort gefunden: hängen wir halt zusammen und bilden eine Seilschaft.

O-Ton Harrer Das Gefährlichste war sicher, als wir in der Spinne waren und das schwere Gewitter kam und die Lawinen über uns drüber sind. Da hat man sich nur angeklammert an einen Haken, den man geschlagen hat im Eis und dann hab ich den Rucksack über meinen Kopf gestülpt, der hat dann riesige Löcher gehabt von den Steinschlägen. Mein Freund hatte den Handrücken zerschmettert, weil er sich den Kopf geschützt hat, die andern hatten Helme auf und waren etwas besser geschützt. Und ich erinnere mich ganz gut, wie wir nach Grindel kamen, hat der Totengräber zu mir gesagt: ah, ihr seid auch Kandidaten, ich grab euch schon mal das Loch. Mein Partner, der Kasparek, war ein verrückter Raucher, der hat sich also eine Zigarette angezündet und ich hab von der Mutter noch so ein riesiges doppeltes Butterbrot noch gehabt, das habe ich gegessen, das war eigentlich die einzige Nahrung in den vier Tagen in der Eiger Nordwand, weil man keine Zeit gehabt hat oder keinen Appetit, man ist ja nur durstig und man will ja nur trinken und deswegen hatte ich einen Spirituskocher mit.

Musik / Alphorn

O-Ton Harrer Wir hatten, nachdem wir die Spinne hinter uns gebracht hatten, allen Ballast abgeworfen, ich hab einen ganzen Brotlaib hinuntergeworfen, auch die Serviceseile, die wir mitgeschleppt hatten. Das war so quasi der Point of no Return. Da gab es kein Zurück mehr. //// Da gab es nur noch ein Hinauf///Und da hat man natürlich versucht, den Ballast anzuwerfen, das war der Grund, weshalb einige sagten, man hat sie runterfliegen gesehen.

O-Ton Heckmair Wie wir raufgekommen sind, ich bin weiter raus, auf eine Wächte und habe auf der Südseite die Felsen gsehn und mein Kamerad hat gschrien: zurück! Du stehst auf einer Wächte! und hat mich da zurückgerissen. Es wäre Pech gewesen, auf der Nordseite durchzukommen und die Südseite hinunterzufliegen.

O-Ton Harrer Es war ein furchtbarer Schneesturm, wir haben uns kaum die Hände gereicht und sind sofort abgestiegen. Es war noch heller Tag, aber es war schon ein Schneesturm, schon ziemlich dunkel und wir haben nur darauf geachtet, möglichst hinunterzukommen, dass wir da eine Hitlerfahne errichtet hätten, das wurde ja alles erfunden später, aber wir sind dann sofort abgestiegen. Da war etwas, ein Gutes: der Kasparek und ich hatten sämtliche Routen zum Eiger auf dem Mittellegigrat, die Westwand oder die Südwand alle vorher bestiegen, weil wir gelernt hatten von den Unglücken, die vorher dort passiert waren, das dies Unkenntnisse am Berg waren///Dass einige davon sterben mussten. Daher hatten wir den Abstieg schon gekannt und haben ihn ja dann auch gut gemacht. Das Schwerste am letzten Tag hat sicher Anderl Heckmair gemacht, und es war interessant zu sehen: Ich hatte die Route also gekannt und hab ihn am Seil gehabt und dann ließ er sich einfach so hinunterrutschen am Hintern, die Hänge dort von der Westflanke. Da riss ihm der Gummizug seiner Überhose, seiner Windhose, und er hat sich dann einfach rutschen lassen. Es war interessant, der hat alle Überhänge gemeistert, tagelang vorher. Und da hat ihn völlig aus der Fassung gebracht, dass ihm der Gummizug von der Hose gerissen war. Es war natürlich so: Er hatte da seine Leistung vollbracht am letzten Tag und jetzt hat er gesagt, jetzt sollen die andern mal dafür sorgen, wie ich wieder gesund hinunter komme. Also das war beim Heckmair schon interessant zu beobachten, die ja an und für sich sehr gut ausgerüstet waren, während wir ja arme Schlucker waren. Der Kasparek und ich waren ja ganz arme Schlucker. Ich hatte einen zerrissenen Anorak an von meinen Schitouren und so weiter.

Musik / Alphorn

Lesung Zitat Heute traf um 10.35 Uhr mit dem flugplanmäßigen Flugzeug aus Wien der Grazer SS- Mann Heini Harrer, einer der vier kühnen Bezwinger der Eigernordwand, auf dem Flugfeld Thalerhof ein. Heini Harrer (...) war (...) mit seinen drei Kameraden vom Führer und Reichskanzler und vom Reichssportführer von Tschammer und Osten empfangen worden. Eine weitere besondere Ehrung wurde Harrer durch den Empfang von Reichsführer-SS Himmler zuteil.

Lesung Zitat Der Führer gibt jedem die Hand. Der Reichssportführer nennt unsere Namen. (....) Dann überreicht der Führer jedem von uns sein Bild ... (...) Wir haben die Eigernordwand durchklettert über den Gipfel hinaus bis zu unserem Führer.

Heinrich Harrer im Buch «Um die Eiger-Nordwand, NSDAP, München 1938

O-Ton Heckmair Hitler war ned dumm. Aber vom Bergsteigen hatte er null Erfahrung, aber er hat sich sehr interessiert. Er hat vernünftige Fragen gestellt, so dass man auch vernünftig antworten kann. Wie ich auf ein solches Risiko eingehen kann. Da habe ich ihm geantwortet: Es gibt auch im normalen Leben Risiko, wie der Krieg und so weiter grad gnug. Aber in den Bergen muss man sich eben selbst kennen und die Gefahr erkennen.//Nur dann kommt man durch//Das habe ich ihm erklärt und das hat er auch aufgefasst.

Erzählerin So ist denn der Reisende mitten im dunkelsten Kapitel Geschichte, das dieser Wand widerfahren ist ... Dass es Nazis waren, oder zumindest einige davon, die das so genannte «letzte Problem» lösten, das hört in Grindelwald auch heute noch keiner gerne ... Und auch jener nicht, der diesbezüglich im Zentrum steht, der Grazer Heinrich Harrer ... Erst, als ihm 1997 die Beweise auf den Tisch gelegt werden, gibt er zu, doch einer von ihnen gewesen zu sein.

O-Ton Heckmair Also es stimmt schon etwas. Er war ein nationaler Idealist. Nicht fanatisch, wie man sonst sagen kann, und er hat tatsächlich ein Hakenkreuz mitgeführt. Das wollte er symbolisch auf den Gipfel einpflanzen. Ich hätte es ihm sofort runtergschmissen. Wir sind ja gar nicht dazu gekommen.

O-Ton Rainer Amstädter In einem Sonderbericht des Völkischen Beobachters, dem offiziellen NS-Ideologieblatt des Dritten Reiches, schreibt Heckmair 1938, dass Harrer diesen Hakenkreuzwimpel sehr wohl aufgepflanzt habe // Man kann beide Aussagen gegenüberstellen. Wahrscheinlich ist die zweite. Sie zeigt ((---ebenfalls---)), dass es im Gegensatz zu Heckmair, der vielleicht ein sehr opportunistischer, kluger Mitläufer war, Harrer ein überzeugter, ideologisierter Nazi gewesen ist.

O-Ton Rainer Amstädter Der Wiener Sporthistoriker und Bergführer Rainer Amstädter ... Auch er machte sich auf zu einer Reise und kam der braunen Vergangenheit der Erstbesteiger auf die Spur ... «Hitler kletterte mit» lautet der Titel einer seiner Arbeiten. Ob Harrer auf dem Eigergipfel den Hakenkreuzwimpel tatsächlich gezückt hatte oder nicht, bleibt im Dunkeln. Bewiesen ist hingegen, dass Heinrich Harrer 1938 am Fuße des Eigers einen Wimpel mit dem Nazi-Emblem an seinem Zelt befestigte. Den endgültigen Beweis dafür liefert der Autor Rainer Rettner. In seinem 2008 erschienen Buch "Eiger – Triumphe und Tragödien" zeigt er eine Fotografie davon. Und laut einem Artikel von Rainer Amstädter soll Harrer in der Reichspogromnacht 1938, knapp vier Monate nach der Eigererstbegehung, die Grazer Synagoge angezündet haben. – Vor 11 Jahren beklagte sich Harrer beim Reisenden über die späten Anfechtungen. Heinrich Harrer starb 2006, ohne dass er sein damaliges Verhalten je vollständig offengelegt hätte. Die Deutschen – vor allem die Münchner Alpinisten – haben dann den Eiger quasi gepachtet und an ihm versucht den Sieg über das Unmögliche zu beweisen und möglich zu machen und dadurch ihre Herrenmenschenstärke, ihr Übermenschentum unter Beweis zu stellen// 1936 hat ja Hitler denjenigen Deutschen, die die Eigernordwand als erste durchsteigen sollten, eine Goldmedaille für die Olympiade in Berlin versprochen. Ich weiß nur, dass Hitler sich während diesen vier Tagen der Erstbesteigung stündlich über den Fortgang der Erstbesteigung berichten hat lassen//um ihnen dann auf dem großen Sportfest in Breslau als Beweis für den Todesmut und die Unbesiegbarkeit der deutschen Herrenrasse auszuschlachten.

Musik Alphorn

Erzählerin Es gibt viele spektakuläre Premieren in dieser Wand. ... Der Hauptdarsteller der bisher letzten heißt Ueli Steck. Der 31-jährige Schweizer durchkletterte - oder muss man sagen: durchraste die Eigernordwand am 13. Februar 2008 in 2 Stunden 47 Minuten und 33 Sekunden. Auf der Heckmair-Route; jener Route also, auf der 70 Jahre zuvor die Erstbesteigung gelang. Weshalb jetzt so schnell? – In seinem Heim in Ringgenberg im Berner Oberland hört der Reisende Ueli Steck zu:

O-Ton Ueli Steck Das erste Mal habe ich ja drei Stunde 54 gehabt und dann war ich eigentlich schon recht zufrieden. Aber ich bin eigentlich ein ziemlich ehrgeiziger Mensch. Und die Herausforderung ist eigentlich mit mir persönlich. Das ist sehr wichtig für mich. Ich definiere mich persönlich sehr über Leistung. Und diese 3.54, die waren gut. Und alle haben gesagt: Wow! Neuer Rekord! Aber das war nicht gut. Ich habe gewusst, hier habe ich was falsch gemacht und dort könnte man noch mehr Zeit herausholen. Ich kann auch das Seil ganz weglassen, das ist sicher möglich, wenn ich mich jetzt noch damit befasse. Und von dem her hatte ich den Wettkampf mit mir gar nicht gewonnen. Ich war eigentlich für mich selber der Verlierer. Alle haben gesagt, du hast ein neuer Rekord, du bist da so schnell hochgegangen, also ich muss es nochmals probieren. Und dass ich dann so viel schneller war, das hätte ich am Anfang auch nicht geglaubt. Ich hatte mir das ein bisschen ausgerechnet, wo ich wie viel Zeit noch rausholen kann. Aber dass ich da unter drei Stunden klettere, das hätte ich nie gedacht. Da schimmert ja auch ein völlig neues Bergsteigerbild durch. Man könnte sagen, das ist nicht mehr Bergsteigen, da geht es um Topleistung. Das ist eine Wettkampfgeschichte und hat nichts mehr mit dem traditionellen Bergsteigerbild zu tun. Das hat es auch nicht. Ich definiere mich als Sportler. Ich bin nicht ein traditioneller Bergsteiger. Das hat nichts zu tun mit "wir machen eine schöne Skitour und wir machen eine schöne Gipfelrast". Da geht es um Leistung. Das ist beim Spitzenalpinismus so. Das war auch früher so. Sie müssen mal das Bild anschauen von Heckmaier 1938. Es gibt ein berühmtes Bild, wo er kein T-Shirt anhat. Wenn sie diesen Mann anschauen, dann wissen sie: der Mann, der hat trainiert. Das war ein Sportler. Und nur diese Leute bringen auch das Bergsteigen weiter.

Erzählerin Mit Ueli Steck, eben zurück gekommen von einem dramatischen, missglückten Versuch, die Annapurna-Südwand in Nepal zu schaffen, ist der Reisende in der Jetztzeit ankommen ... Sie bleibt schwierig, diese Wand ... Eine Wand, die im Kopf beginnt .... Das sagt auch Ueli Steck, der so oft schon drin war.

O-Ton Ueli Steck Ja da sind natürlich viele Blockaden im Kopf. All diese Geschichten. Und die Wand ist heute sicher einfacher zu klettern. Man muss nicht mehr ein Ausnahmeathlet sein, um diese Wand zu klettern. Mit den heutigen Fähigkeiten, dem heutigen Wissen kann das ein guter Bergsteiger machen. 1938 waren das Ausnahmeathleten. Aber die Schwierigkeit, die bleibt eigentlich dieselbe. Heute ist man nur mit der ganzen Ausrüstung weiter und man auf die Informationen von vorherigen Begehungen aufbauen. Aber diese Geschichten, die da passiert sind, die hindern eigentlich viele überhaupt einzusteigen. Obwohl sie eigentlich klettern könnten. Vielleicht in zwei Tagen, aber im grünen Bereich.

O-Ton Daniel Anker Voiceover Ja klar, das ist eine ganz verrückte Zeit. Wenn man sich vorstellt, wie lange die ersten brauchten. Und dann rennt da einer in dieser kurze Zeit hinauf. Kaum zu glauben. Aber Ueli Steck ist halt Ueli Steck. Beim Bergsteigen spielte das schon immer eine Rolle: wie schnell bin ich oben? Wie schnell komme ich diese Wand hinauf? Beim Eiger sowieso. Als der erste die Eigernordwand in acht Stunden schaffte, der Schweizer Ueli Bühler, fand man: wow! Verrückt! Dann kam der Österreicher Thomas Bubendorfer. Der machte es in der Hälfte dieser Zeit. Und es war einfach eine Frage der Zeit bis mal einer auf dieses Ziel ihn bewusst trainierte – und das tat Ueli Steck / Beim Bergsteigen ging es immer auch in bisschen um die Zeit. Bei den Erstbesteigungen ging es darum: wer ist zuerst oben? 1865 am Breithorn bei Lauterbrunnen war es wirklich ein Wettkampf zwischen einer schweizerischen und einer englisch-schweizerischen Mannschaft und die Schweizer Mannschaft gewann um 15 Minuten. Das war wirklich ein Wettkampf. – Und später war das auch immer so ein bisschen: wie schnell war man? Bei der Eigernordwand kommt noch dazu, dass sie ein absturzgefährdetes Gelände ist. Aber ein Bergsteiger wie Ueli Steck, der bewegt sich dort wie andere in der Zürcher Bahnhofstraße.

O-Ton Ueli Steck Ich habe die Möglichkeit, ich kann in dieser Eigernordwand klettern, es ist die höchste Wand da eigentlich in den Alpen, einigermaßen steile Wand. Für mich ist sie ... ich bin ein bisschen da zu Hause. Da kann ich wirklich ein bisschen machen, was ich will. Und diese Wand ist so eindrücklich – ich könnte da noch hundert Mal durchsteigen. – Eigentlich als ich für mich das erste Mal diesen Rekord probiert habe, das war für mich ... ich musste auch im Kopf was ändern ... jetzt in die Wand einzusteigen und keinen Rucksack mehr oder keinen großen Rucksack mehr mitzunehmen ... Das ist ein Riesenschritt. Da denkst du: Bist du jetzt fahrlässig oder spinnst du jetzt? Und diesen Schritt zu machen und dann auch den Mut zu haben ... Ich bin im unteren Wandteil ... ich bin gerannt. Wie Jogging. Ich musste das erst Mal ausprobieren. Ich war mal die ersten 500 Meter da und .. geht das überhaupt? Und dann bekommst du auf einmal einen ganz anderen Bezug zu dieser Eigernordwand. Also die Heckmair-Route ... das erste Mal haben wir da zwei 50-Meter-Seile dabei gehabt, so dass wir auf jeden Fall absteigen können, wenn wir ein Problem haben. Heute kenne ich die Wand so gut: mit 30 Meter Seil weiß ich: ich kann die ganze Wand absteigen. Das geht irgendwie. Ich hab das ausprobiert. So habe ich das eigentlich optimiert. Und von dem her habe ich jetzt einen ganz anderen Bezug jetzt zur Eigernordwand.

Musik / Alphorn

O-Ton Daniel Anker Am Eiger fasziniert mich, dass man nie oben ist. Voiceover Am Eiger fasziniert mich, dass man niemals ankommt.

Musik / Alphorn

Erzählerin Hermann Steuri, auch er ist inzwischen nicht mehr am Leben, war einer der ganz großen Bergsteiger seiner Zeit. Wie oft sagte man ihm, er sei ein Extremer und er werde den nächsten Sommer nicht mehr sehen!

O-Ton Hermann Steuri Voiceover Der Mann, der mir das Klettern beigebracht hatte, der mir diese Leidenschaft einpflanzte, Angelo Dimai, ein Führer aus Cortina d’Ampezzo, kam eines Tages zu mir und meinte: Jetzt höre ich auf mit dem Bergsteigen. – Warum? fragte ich. – Er sagte: Hör zu, ich kann nicht mit einem Felshaken auf einen Felsen los. Das tut mir weh. // Und ich fragte ihn: Was kann dort weh tun? ... Kann ein Mensch begreifen, dass ein Fels warm sein kann? – Kann er begreifen, dass auch im härtesten Stein Leben ist?

Musik Alphorn Hans Kennel und Glasharfe Ben Jeger

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