Dr. Brigitte Hamann Historikerin Im Gespräch Mit Jürgen Martin Möller
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 21.07.1999 Dr. Brigitte Hamann Historikerin im Gespräch mit Jürgen Martin Möller Möller: Zu Gast bei Alpha-Forum ist heute die Wiener Historikerin Brigitte Hamann. Frau Hamann, wenn man sagt "Wiener Historikerin", dann trifft das in Ihrem Fall eigentlich nur in Maßen zu, denn Sie sind gebürtige Westfalin. Oder doch Rheinländerin? Hamann: Ja, ich bin Westfalin, meine ganzen Vorfahren stammen aus Westfalen. Deswegen habe ich mich auch immer so geniert: Ich hätte gerne einen wirklich bunten Stammbaum gehabt, aber leider Gottes ist es nun einmal so, wie es ist. Möller: Sie haben nun Ihr ganzes Leben als Erwachsene in Wien verbracht, aber schon im ersten Satz hört man, daß Sie die Sprache noch nicht so richtig angenommen haben. Hamann: Das hat einen ganz einfachen Grund. Ich habe mich in der ersten Zeit sehr bemüht, Wienerisch zu reden. Da haben mich aber alle Leute immer nur ausgelacht, weil ich das falsch gemacht habe. Da dachte ich mir dann: "Habt's mich gern, ich habe keine Lust mehr, mich anzustrengen, jetzt spreche ich so, wie ich bin." Leider wird das immer stärker, je älter ich werde, und darum ist das vielleicht auch nicht unbedingt die beste Methode, sich in Wien beliebt zu machen. Aber es ist nun einmal so: Man kann eben die eigene Geschichte nicht so stark verleugnen. Ich muß aber dazu sagen, daß ich mit 20, 21 Jahren nach Wien gekommen bin. Möller: Sie sind studienhalber nach Wien gekommen? Hamann: Ja, ich wollte zwei Kultursemester machen. Ich habe also in Münster studiert, wie das für Westfalen so üblich ist, und wollte dann zwei Kultursemester machen. Damals sind die meisten Kommilitonen – im Rahmen der deutsch-französischen Freundschaft – nach Paris gegangen. Ich wollte aber nach Wien. Dorthin bin ich eigentlich nur deshalb gegangen, weil Karajan damals der Direktor der Oper in Wien gewesen ist und ich wenigstens einmal Musik nicht in der sogenannten Provinz, sondern dort erleben wollte, wo Karajan arbeitete. Ich bin dann auch praktisch jeden Abend in die Oper oder in den Musikverein gegangen: Das war schon eine schöne Zeit für mich, diese zwei Semester. Ich habe da aber auch sehr tüchtig studiert. Ich habe sehr fleißig Scheine gemacht, weil ich rasch fertig werden wollte. Dabei habe ich dann auch meinen Mann kennengelernt. Möller: Sie haben Ihre Scheine in Germanistik und in Geschichtswissenschaft gemacht. Hamann: Damals war eigentlich noch die Germanistik mein Hauptfach gewesen, denn wir hatten in Münster dafür doch sehr gute Professoren gehabt: vor allem gab es damals dort noch Jost Trier. In Wien war dann die Germanistik freilich nicht so toll, und so bin ich mehr in die Geschichte hineingekommen. Außerdem ist es ja so: Wenn man in Wien lebt, dann kommt man doch zwangsläufig auf die Geschichte. Wien hat mich als Stadt fasziniert, das muß ich ganz ehrlich sagen. Ich hatte damals eine richtige Wien-Manie: Ich habe mir wirklich alles angeschaut. Das habe ich so gründlich gemacht, daß ich dann immer viel mehr wußte als die Wiener Studenten selbst. Denen mußte ich dann immer beibringen, wo was ist und in welcher Kirche Beethoven eingesegnet worden ist usw. Ich habe mir in der Zeit die komischsten Sachen angelesen und auch angeschaut. Das heißt, in der damaligen Zeit hing bei mir diese Wienbegeisterung schon auch mit einer Geschichtsbegeisterung zusammen. Obwohl man eigentlich von Geschichtsbegeisterung gar nicht so richtig sprechen kann: Aber ich hatte doch ein starkes Interesse für die Geschichte, das tatsächlich erst in der Wiener Zeit so recht in mir geweckt worden ist. Von der Zeit an war dann Geschichte mein Hauptfach. Möller: Sie machten das sogar mit einer Fokussierung, zu der man etwas spitzzüngig sagen könnte: Sie betrieben österreichische Geschichte mit deutscher Gründlichkeit – in einem guten Sinne. Hamann: Ich weiß nicht, man darf nicht immer so tun, als wären die Deutschen gründlich und die Österreicher schlampig. Das hört man sehr häufig, aber das stimmt natürlich nicht, wie wir alle wissen: Das ist ja klar, denn so etwas hängt ganz einfach von den jeweiligen Individuen ab. Aber ich hatte eigentlich von Anfang an immer einen etwas anderen Blick auf die österreichische Geschichte als die "eingeborenen" Österreicher. Das hat man mir oft vorgeworfen, aber das ist ja etwas ganz Natürliches: Wenn man als Erwachsener und Fremder – ich kannte in Wien ja keinen Menschen, als ich dorthin gegangen bin – in ein Land kommt, dann sieht man dieses Land natürlich auch mit weniger Scheuklappen, mit weniger Traditionen und mit weniger Legenden überfrachtet, die man ansonsten im Hinterkopf mit sich herumtragen würde. Man betrachtet so ein Land dann nüchterner und eben als Fremder. Ich glaube, daß die Distanz für die Geschichtsforschung unglaublich wichtig ist, daß man eigentlich als Fremder zu einem Thema kommen sollte, um auch die Möglichkeit zu haben, gegenüber der Tradition eine Spur objektiver sein zu können. Ich glaube auch heute noch, daß das richtig ist und daß man es nicht so machen sollte, wie das zum Teil heute noch in Österreich üblich ist: daß man als sozialdemokratischer Historiker sozialdemokratische Geschichte macht und daß man als christlich-sozialer Historiker christlich-soziale Geschichte macht. Dort ist dann nämlich alles aufgeteilt, und ein jeder hat seine eigenen Mythen im Kopf. Ich glaube, die wichtigste Aufgabe eines Historikers besteht doch darin zu sehen, wo Mythen vorhanden sind, und dann nachzuweisen, daß diese Mythen nicht stimmen und wie die Wirklichkeit tatsächlich war. Ich weiß sehr gut, daß man das nicht hundertprozentig nachweisen kann. Aber es geht doch darum, daß man die Wahrheit wieder ans Licht bringt und daß man nach besten Kräften beweist, daß diese Mythen nicht stimmen. Diese Einstellung liegt eigentlich meiner ganzen Arbeit zugrunde. Damit habe ich mich gegen den normalen Trend in Österreich am Anfang nur eher schwer behaupten können. Aber jetzt geht das schon besser. Möller: Darauf wollte ich vorhin auch hinaus: Denn natürlich ist auch die deutsche Gründlichkeit zum Teil genauso ein Mythos wie die österreichische Schlamperei. Ihre ganze Arbeit als historische Publizistin – wenn ich Sie einmal so bezeichnen darf – könnte man eigentlich unter den Sammelbegriff stellen, daß Sie bequeme Legenden und Mythen ganz einfach durch Genauigkeit und durch gründliche Recherche zum Teil auch sehr gründlich kaputt gemacht haben. Hamann: Das ist bei mir auch so eine Art von Gerechtigkeitssinn, daß ich mir sage: In der Geschichte sind oft und häufig die falschen Leute hochgejubelt worden, und die falschen Leute wurden zu Verbrechern gemacht. Ich habe meine Dissertation ja erst sehr spät gemacht, als ich nämlich schon drei Kinder hatte und Hausfrau war. Ich nahm mir dafür den Kronprinzen Rudolf vor. Das ist also jener, den man immer mit Mayerling zusammenbringt. Ich wollte damit einerseits ganz in die österreichische Geschichte einsteigen, weil ich damals auch noch das Gefühl hatte, ich müßte eigentlich so sein, wie die anderen: Ich bin sehr gerne in Wien, und ich wollte beweisen, daß ich auch dazugehöre und eine gute Österreicherin und Wienerin bin. Ich bin das nie geworden, aber damals wollte ich das wirklich beweisen. Ich habe festgestellt, daß dieser Rudolf in der Geschichte immer nur wegen seiner Liebesgeschichte mit Mary Vetsera auftauchte - da gibt es ja auch diese Unzahl von schrecklichen Filmen um diese Person – und er deswegen einfach unter seinem Wert verkauft worden ist. Ich habe gesehen, daß da ein ganz interessanter Liberaler des 19. Jahrhunderts mit sehr zukunftsweisenden Ideen aufgetreten ist, der eine Hoffnung für viele Leute darstellte, die mit diesem monarchischen System nicht mehr einverstanden waren. Möller: Er war ein scharfer Kritiker dieser monarchischen Zustände. Hamann: Ja, er war auch ein böser Kritiker des Adels und der Aristokratie. Er war ein Freund des Bürgertums, der sich auch wirklich besonders an jüdische Journalisten angelehnt und sie sozusagen zu seinen Ersatzvätern ernannt hat. Das stellte natürlich in den Begriffen des habsburgischen Hofes eine Ungeheuerlichkeit dar. Das genau ist es: Man hat als Historiker die Verpflichtung, in der Geschichte auch einmal danach zu suchen, ob es Leute gibt, die es wert sind, aus der Versenkung hervorgeholt oder anders dargestellt zu werden. Das habe ich ja später auch mit Berta von Suttner versucht, einer wirklich sehr bedeutenden Frau der österreichischen Geschichte z. B. im Hinblick auf die Friedensbewegung. Möller: Und Sie haben das auch mit Rudolfs Mutter gemacht, der doch so lang und breit verkitschten Sissi. Hamann: Ja, das hatte mich auch geärgert. Ich wollte eigentlich nie etwas über Elisabeth schreiben. Jetzt komme ich nun doch auch auf die Quellen zu sprechen, die bei mir immer sehr wichtig sind. Ich hätte mich nie im Leben mit der Kaiserin Elisabeth beschäftigt – das wurde dann übrigens mein erfolgreichstes Buch –, weil mich dieser ganze Kitsch immer schon so gelangweilt hat. Ich habe mir immer gedacht: "Um Gottes willen, über die würde ich ja nie etwas schreiben wollen." Ich hatte ja zuerst einmal das Rudolf-Buch geschrieben. Von Rudolf aus gesehen, ist Elisabeth doch eher sehr negativ zu beurteilen, weil sie sich um dieses Kind nie gekümmert hatte: Obwohl das ein Sohn war, der ihr so sehr ähnlich war. Im Zuge meiner Recherchen zum Rudolf-Buch habe ich allerdings in Bern das poetische Tagebuch der Elisabeth gefunden. Ich suchte eigentlich nach dem verlorengegangenen Abschiedsbrief aus Mayerling, den Rudolf kurz vor seinem Tod an seine Mutter geschrieben hatte. Dieser Brief ist wohl zerstört worden, aber ich hatte ihn trotzdem immer noch gesucht und gesucht und gesucht. In Bern habe ich dann dieses geheimnisvolle Kästchen in die Hand bekommen. Da hatte ich dann eine Quelle, und da habe ich gesehen: Um Gottes willen, Elisabeth ist ja gar nicht so, wie man sie darstellt. Sie war vor allem später, in ihren fünfziger Jahren, eine sehr komplexe und sehr schwierige Frau. Da mußte ich dann ganz einfach diese Biographie schreiben.