Reisen

400 Meter fällt das Schöllijoch vor dem Barrhorn zum Gletscher ab.

Der Gipfel aller WANDERLUST Ohne Steigeisen und Seil auf über 3500 Metern wandern? Das ist nur auf dem Walliser Barrhorn möglich. Dem höchsten Berg Europas, der sich ohne Kletterausrüstung erklimmen lässt. Kondition verlangt aber auch er.

Text Peter P. Schneider Fotos Alex Buschor

DIE HÖCHSTE WANDERTOUR EUROPAS

enau 156 Meter höher als das Turtmann Jungfraujoch ist er. Und trotzdem Rhone braucht man für die Besteigung Start Visp G dieses Gipfels weder Steigeisen Ergisch noch Seil. Für das 3610 Meter hohe Barr- horn reichen Wanderschuhe und eine Hübschweidi 2 km

gute Kondition. Wer das Barrhorn das ers- L

te Mal besteigt, sollte sich jedoch in die A T

Obhut eines Bergführers oder Wander- N N leiters begeben. Zu weitläufi g ist das A M WALLIS Gebirge am Ende des Turtmanntals VS. Gruben T Meiden R Unsere Wandergruppe ist doppelt be- U T L hütet: Rita und Heinz Oggier aus Turt- A T mann sind beide ausgebildete Wanderlei- Oberstafel Turtmänna R E ter. Heinz geht unserer neunköpfi gen T T Wandergruppe mit Üsserschwyzern und A Wallisern voraus, Rita wandert am Ende. Barrhorn M Turtmannhütte Bevor wir losziehen, wollen uns die Og- Ziel giers aufs Wallis einstimmen: mit Käse Der Panorama-Weg zur Turtmannhütte bestätigt seinen Bru negg und Weisswein in der Sennerei Blüomatt. namen mit einer beeindruckenden aussicht. gletscher Die Sennen stellen Halbhartkäse, Ziger Bishorn Zermatt und Butter her. «Unsere 15 Kilo Ziger sind im Alplädeli jeweils nach 20 Minuten weg», sagt Käsemeister Jürgen Saric. Und lacht. Wir kosten seinen geschmolzenen 

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Von der Turtmannhütte lässt sich die Aussicht wie von einem Logenplatz aus geniessen.

Plötzlich öffnet sich das Gelände: Eine Welt aus Eis, Stein und Geröll. Wir sind im Hochgebirge angekommen.

Der wild zerklüftete Brunegggletscher entlässt sein Der Turtmanngletscher im Hintergrund speist einen idyllisch gelegenen Stausee. Schmelzwasser in einen Wasserfall.

Käse, stossen auf unsere Tour an. Das Ge- Und bald sehen wir den vom Gletscher- dert sich ständig», sagt Wanderleiter sich das Gelände: eine Welt aus Eis, Stein hinter dem Bishorn versteckt. Und als wir Zugang über den Grat. Und dann sind wir niessen kommt nicht zu kurz, wenn sich wasser gespeisten Stausee. Wir steigen zu Heinz Oggier. Wir bestaunen die tosen- und Geröll. Wir sind im Hochgebirge an- das Schöllijoch erreichen, ragt der Dom oben, stehen neben dem Gipfelkreuz. die Einheimischen den höchsten Wander- ihm ab und auf der andern Seite des Tals den Wasserfälle, bis uns die Bergluft ins gekommen. Vor uns klebt der Brunegg- vor uns empor, der höchste weisse Riese, gipfel unserer Alpen vornehmen. wieder hoch. Das Tagesziel, die Turt- Innere der SAC-Hütte treibt. gletscher, von Spalten durchzogen. Und der ganz auf Schweizer Boden steht. Dem Leibhaftigen auf der Spur mannhütte, rückt in Sichtweite. Von fern Die Nacht wird sternenklar. Mein im Gegenlicht des anbrechenden Tages ist Nur wenige Zentimeter von uns ent- Mein Blick folgt dem Alpenkranz, vom Ein alpiner Logenplatz grüsst die zerzauste Schweizer Flagge. Das Schlaf tief. Und der Himmel am Morgen das Barrhorn zu erkennen. Über Felsblö- fernt fällt der Fels überhängend zum Montblanc über den Monte Rosa bis zu Auf Meiden-Stafel, 2334 Meter über Meer, Dach der Hütte ist mit Stahlseilen an den wolkenlos. Er sei schon fünfmal auf dem cke und vom Eis geschliffenes Gestein Schölligletscher ab. Wer nicht schwindel- den Berner und Waadtländer Alpen. Nach schultern wir zwei Stunden später die Mauern festgezurrt: Auf 2519 Metern Barrhorn gewesen, erzählt Heinz Oggier wandern wir weiter. frei ist, sollte hier nicht zu lange stehen einer Stunde Bergwanderer-Glück machen Rucksäcke. Vor uns liegt der Panorama- über Meer kann der Wind orkanartig beim Frühstück, «aber so gut waren die Zwei Stunden später, auf exakt bleiben. Wir entledigen uns der Rucksäcke wir uns auf den Rückweg. Und kommen in weg am Fuss des Meidhorns. Die Aussicht wüten. Verhältnisse noch nie». Später gehen wir 3000 Metern, machen wir Pause, essen und staunen. den Genuss einer Abfahrt: Sand und Schot- ist eindrücklich: Das Turtmanntal wird Die Hütte ist auch Logenplatz: Direkt gemächlichen Schritts bergwärts. Der ers- Schokolade, trinken Tee. Danach jagt ein Bis Wanderleiter Heinz Oggier uns ter sind so fein, dass wir getrost die Fersen von einem wild zerklüfteten Gletscher ab- gegenüber liegen die Eisabbrüche des Turt­ te Aufstieg führt durch ein steiles Couloir. Höhepunkt den anderen: Zuerst taucht heisst weiterzugehen: «Auf dem Gipfel ist in den Boden stemmen und wie auf einem geschlossen. manngletschers. «Die Landschaft verän- Es ist mit Seilen gesichert. Plötzlich öffnet das majestätische Weisshorn auf, es war es noch viel schöner.» Wir wählen den Surfbrett hinunterrutschen können. 

68 Schweizer Familie 20/2010 Schweizer Familie 20/2010 69 Reisen Der Weiler Gruben im Turtmanntal. Hier in den Wäldern sollen die höchsten Rottannen und Lärchen der Schweiz wachsen. Walliser Schwarz- halsziegen finden bei der Turtmann- hütte saftiges Weidegras.

Nur wenige Zentimeter von uns entfernt fällt der Fels überhängend zum Schölligletscher ab. Wer nicht schwindelfrei ist, sollte hier nicht zu lange stehen bleiben.

Vor uns liegt die Landschaft, als wäre sie Und wir haben noch nicht genug: Am deren Talseite gegenüber ein Mann aus Die Wandergruppe befindet sich auf den letzten Metern vor dem Gipfel des Barrhorns. ein Gemälde – gestaltet mit farbigem Ge- dritten Tag wandern wir gemütlich durch der Tür seines Maiensässes. Hurtig plat- stein, Sand, Felsen, Schnee, Gletscher und das Turtmanntal, immer der Rhone ziert er sein Alphorn auf dem Vordach frisch entstandenen Seen im Eis. Die Ein- entgegen. Wir schlendern durch üppige und beginnt zu musizieren. Unseren Ap- drücke verdauen wir auf der Terrasse der Blumenwiesen, folgen dem Lauf der gisch- plaus quittiert er mit einem Schwenken Turtmannhütte. Es gibt Suppe, Rösti, Käse tenden Turtmänna, als plötzlich Wander- des Instruments. und Schwarzwäldertorte. Wir freuen uns leiterin Rita Oggier mit ihren Händen ei- Nach diesem Zwischenspiel wirds kurz ➽ Im Turtmanntal – Das Wichtigste auf einen Blick über das Geleistete: 34 182 Schritte und nen Trichter vor dem Mund formt und unheimlich: Wir steigen steil zum Toibu- 25,2 Kilometer zeigt der Schrittzähler. «Hallo Louis!» ruft. Bald tritt auf der an- wald, dem Taubenwald ab, wo die höchs- 

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Vom Gipfel des Barrhorns aus sieht man das 3833 Meter hohe Brunegghorn.

ten Lärchen und Rottannen der Schweiz Der Suonenweg ist so spektakulär, wie setzen wir uns in den Schatten, strecken wachsen sollen. man ihn sich vorstellt: lauschig und die Beine und warten auf den Bus. Die Der Teufel soll an einem Fels seine schmal. Stetig plätschert das Wasser im Station heisst Hängärt. «Der Name passt. Fussabdrücke hinterlassen haben. Wir alten Kanal neben dem Weg und sorgt für Er bezeichnet einen Ort, an dem man mit- sehen den Leibhaftigen nicht, stehen da- angenehme Kühle. Als wir in Ergisch aus einander schwatzt und sich die Zeit ver-

für aber kurz darauf am Beginn der «Er- dem Wald treten, umfängt uns rohe Som- treibt», erkären die Oggiers. An Gesprächs-

gischer Wasserleite». merhitze. Alles glüht. Auf dem Dorfplatz stoff fehlt es uns wahrlich nicht. ■

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