„Vite, rideau! Et qu‘on commence!“ Prokofjew und die Dramaturgie in L‘amour des trois oranges

Masterarbeit

zur Erlangung des Grades Master of Arts im interuniversitären Masterstudium Musikologie

an der Karl-Franzens-Universität Graz

Vorgelegt von Julia CHRISTIANSEN

Institut für Musikwissenschaft Begutachterin: Priv.-Doz. Mag. Dr.phil. Kordula Knaus

Graz, 2012 Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung ...... 2

2. Sergej Prokofjew - ein neoklassizistischer Avantgardist ...... 4

2.1 Ein „enfant terrible“ in russischer Tradition? ...... 4

2.2 Eine Forschung so ambivalent wie ihr Gegenstand ...... 10

3. Vom Märchen zum offensichtlichen Theater: Der dramaturgische Werdegang von „L‘amour des trois oranges“ ...... 17

3.1 Gozzis Commedia dell’arte ...... 18

3.1.1 Die Commedia dell’arte ...... 18

3.1.2 Gozzis „L’amore delle tre melarance“ ...... 21

3.2 Meyerholds Stück der Theaterrevolution ...... 34

3.2.1 Meyerhold und die Revolution des Theaters ...... 35

3.2.2 Doktor Dapertuttos „Ljubov k trjom apelsinam“ ...... 39

3.3 Der Komponist als Librettist ...... 50

4. Eine „einfache Tonsprache“ für Amerika ...... 65

4.1 Dramaturgische Ebenen ...... 66

4.2 Linearität und innere Geschlossenheit ...... 72

4.2.1 Leitmotive ...... 78

4.2.2 Die Rolle des Orchesters ...... 81

4.3 Parodien ...... 83

5. Schluss ...... 87

6. Literaturverzeichnis ...... 89

1 1. Einleitung

Bei L‘amour des trois oranges handelt es sich um eine Oper für Amerika in französischer Sprache nach einer russischen Übersetzung eines italienischen Theaterstücks. Dieses Werk von „Rußlands größtem lebenden Musiker“1 wurde 1921 in Chicago uraufgeführt und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu „his best known and most successful work in the genre”2. Der Komponist war Sergej Prokofjew, der gleichzeitig als „enfant terrible“3 und Neoklassizist in die Musikgeschichte einging; ein Komponist, der sich in die Moderne vorwagte und trotzdem kommerziell zu bleiben versuchte: „Anfangs machte sich Prokofieff einen Namen als ,enfant terrible‘. Nicht viel später schmeichelte er seinem Publikum, aber nach seiner ersten Reise in die USA [...] fühlte er, daß er es sich nicht leisten könne, zu mißfallen.“4 In diese Zeit des USA-Aufenthalts fällt auch ein Teil der Entstehung und die Uraufführung der Oper L‘amour des trois oranges, deren Ruf ebenso wie der ihres Komponisten zwischen avantgardistisch und traditionell schwankt. Es könnte schon fast verwundern, dass bei zahlreichen Aufführungen und Life-Aufnahmen dieses Werkes, bei dem es sich um eines der im Repertoire nicht allzu häufig anzutreffenden Musiktheaterstücke des 20. Jahrhunderts handelt - eben eine „moderne“ Oper -, ein lachendes und amüsiertes Publikum zu bemerken ist. Doch was macht diese Oper so „modern“, ist es die Vorlage des Librettos, die doch schon im 18. Jahrhundert entstand? Ist es die Dramaturgie, die das Publikum fasziniert und mitreißt, oder verzaubert die Musik? Welche dramaturgischen Mittel werden verwendet und wie sind diese zu erklären? Diese und weitere Fragen werden in dieser Arbeit behandelt. Die Betrachtung der Dramaturgie Prokofjews erfolgreichster Oper scheint besonders interessant und eine genauere Untersuchung wert zu sein und soll

1 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil Bd. 13, hg. von Ludwig Finscher, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Kassel u.a. 2005, Sp. 964. 2 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Bd. 20, hg. von Stanley Sadie, zweite Ausgabe, London u.a. 2001, S. 409. 3 Michel Astroff, Bei der Arbeit belauscht, in: Serge Prokofieff, hg. von Heinrich Lindlar, Bonn 1953 (Musik der Zeit. Eine Schriftenreihe zur zeitgenössischen Musik), S. 32. 4 Hans Swarsenski, Prokofieffs Orchesterwerke, in: Serge Prokofieff, hg. von Heinrich Lindlar, Bonn 1953 (Musik der Zeit. Eine Schriftenreihe zur zeitgenössischen Musik), S. 45.

2 somit den Hauptgegenstand dieser Arbeit darstellen. Dabei ist zunächst sinnvoll, Libretto und musikalische Gestaltung separat zu behandeln. Die dramaturgische Entwicklung von der russischen Vorlage von Wsewolod E. Meyerhold unter Berücksichtigung der ursprünglichen italienischen Quelle von Carlo Gozzi bis zum französischen Libretto soll untersucht und dramaturgische Besonderheiten aufgezeigt werden. Im weiteren Verlauf werden die musikalisch-dramaturgischen Mittel analysiert und offengelegt, um aufzuzeigen, inwiefern Prokofjew die dramaturgischen Möglichkeiten musikalisch genutzt und umgesetzt hat. Aus Gründen des Umfangs können nicht alle interessanten Informationen behandelt werden, somit kann nicht explizit auf alle inhaltlichen und musikalischen Details der Oper oder biographische Einzelheiten näher eingegangen werden. Allerdings soll der Versuch einer für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs nötigen Betrachtung des soziologisch-historischen Hintergrundes unternommen werden, um herauszuarbeiten, warum welche Veränderungen vorgenommen wurden und wie sie zu erklären sind. Dem soll u.a. im ersten Kapitel nachgekommen werden, das sich mit einer groben Einordnung Prokofjews bzw. seines Schaffens, unter besonderer Berücksichtigung seiner frühen Kompositionen bis zur Entstehung von L‘amour des trois oranges befasst. Auch bei der Beschäftigung mit Gozzi und Meyerhold sind historische Einführungen und die Auseinandersetzung mit den Hintergründen, vor denen die Werke geschaffen wurden, und den ihr zugrunde liegenden Theorien für das Verständnis unumgänglich. Das Anliegen dieser Arbeit ist es, dramaturgische Fragen zu beantworten, die in der Literatur bisher vernachlässigt wurden.

3 2. Sergej Prokofjew - ein neoklassizistischer Avantgardist

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Einordnung Prokofjews und der Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur. Wie seine Werke in musikgeschichtliche Entwicklungen einzuordnen sind, stellt einen immer wieder diskutierten Aspekt in der Prokofjew-Forschung dar und ist auch für die Betrachtung der Oper L‘amour des trois oranges und die Untersuchung der Neuartigkeit durch Verwendung „alter“ Theatermittel von Interesse. Für einen besseren Überblick und allgemeine Verständlichkeit soll dies anhand eines konzentrierten musikalischen Lebenslaufes in Bezug auf die Ambivalenz der stilistischen Einordnung geschehen.

2.1 Ein „enfant terrible“ in russischer Tradition?

Prokofieffs wirkliche musikalische Herkunft ist schwer zu definieren. Obwohl ihn Chopins harmonische und Liszt technische Errungenschaften wahrscheinlich in hohem Grade beeindruckt haben, und obwohl der Einfluß von Strauß, Debussy, Strawinsky, Miaskowsky, ja sogar von Tschaikowsky nicht nur in seinen früheren, sondern auch in seinen späteren Werken nachgewiesen werden kann, verdankt er bei genauer Analyse doch keinem von ihnen Wesentliches. [...] Er war tatsächlich ‚neu‘ und blieb es, bis man seinen Stil akzeptierte. Dann wurde er ‚originell‘.5

„Sergej Prokofjew wird hineingeboren in eine Zeit der beginnenden Blüte russischer Kultur“6 und war schon in jungen Jahren von der Oper fasziniert. Zum Repertoire der russischen Bühnen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gehörten nicht nur russische Opern, sondern auch westliche Bühnenwerke. Somit zählen zu den ersten Opern, die er auf den Moskauer und St. Petersburger Bühnen ab 1899 rezipieren konnte, Charles Gounods Faust, Alexander Borodins Knjas Igor, Michael Glinkas Schisn sa Zarah, Giuseppe Verdis La Traviata und George Bizets Carmen.7 Es scheint sich hierdurch erklären zu lassen, dass er als 13-Jähriger beim Eintritt ins Konservatorium schon vier (von insgesamt zwölf komponierten) Opern vorlegen konnte.

5 Hans Swarsenski, Prokofieffs Orchesterwerke, S. 41. 6 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, Laaber 2003 (Große Komponisten und ihre Zeit), S. 13. 7 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 405.

4 Während seiner Zeit im St. Petersburger Konservatorium hatte er bei seinen Lehrern, zu denen u.a. Anatoli Ljadov (Komposition), Nikolai Rimskij-Korsakov (Instrumentation), Annette Jessipowa (Klavier) und Nikolai Tscherepnin (Dirigieren) gehörten, und Kommilitonen den Ruf eines sehr kritischen und beinahe schon respektlosen Studenten, wie eine von Prokofjew selbst aufgezeichnete Anekdote belegt:

Ich war im allgemeinen bei meinen Schulkameraden nicht sehr beliebt; insbesondere nicht seit der Zeit, da ich es mir in den Kopf gesetzt hatte, alle Fehler zu notieren, die beim Unterricht gemacht wurden, und darüber eine genaue Statistik anzulegen. Die Kameraden waren deshalb wütend.8

Weitere Anekdoten zeigen außerdem, dass den Komponisten traditionelle Kompositions- und Lehrmethoden eher langweilten.9 Dabei „lehnte [er] die Errungenschaften der Vergangenheit nicht durchweg ab“10, wie auch die an Haydn orientierte Symphonie classique (Sinfonie Nr. 1 in D-Dur, op. 25) erkennen lässt. Ab 1908 besuchte er die Večera sovremennoj muzyki (Abende zeitgenössischer Musik) der avantgardistischen Künstlergruppe Mir iskusstva (Welt der Kunst)11 in St. Petersburg, bei denen er mit sieben seiner Klavierstücke (Märchen, Schnee, Erinnerungen, Aufschwung, Bitten, Verzweiflung und Teuflische Versuchung)12 als Pianist und zum ersten Mal auch als Komponist an die Öffentlichkeit trat. Seine Offenheit gegenüber der westlichen Musik zeigte sich schon hier, denn er spielte auch westliche Werke; er war der Erste, der in Russland Kompositionen Schönbergs aufführte.13 Das Studium schloss Prokofjew mit dem Vorspiel seines Klavierkonzert Nr. 1 in Des-Dur op. 10 ab, was ihm den Anton-Rubinstein-Preis, zahlreiche Reaktionen aus Publikum und Kritik einbrachte und „dem jungen Komponisten eine wachsende

8 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben. Sowjetisches Tagebuch 1927, aus dem Englischen von Willi Reich, Zürich 1993, S. 32. 9 Siehe hierzu z.B. Dmitri Schostakowitsch, Solomon Wolkow, Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, Berlin 2006, S. 95. 10 Martin Demmler, Komponisten des 20. Jahrhunderts, Stuttgart 1999, S. 351. 11 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 963. 12 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 22. 13 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben, S. 47.

5 Reputation und zugleich seine Rolle als ,enfant terrible‘“14 bestätigte. Weitere Werke wie Sarkasmy op. 17 (1914), „die unter dem Eindruck der futuristischen Bewegungen entstanden“15, oder Mimoletnosti/Visions Fugitives op. 22 (1917) führten zu der Meinung, „he had established himself, in the recitals of the Evenings of Contemporary Music, as a controversial innovator“16. Auch die Begegnung mit Sergej Diaghilew und der „Ballets Russes" 1914 in London trug ihre Früchte und regte Prokofjew an zu Kompositionen wie Ala i Lolli op. 20 oder die daraus extrahierte Skifskaja Sjuita, die den Gründern der „Abende zeitgenössischer Musik“ gewidmet ist und einen Skandal bei der Uraufführung 1916 verursachte. Prokofjews Modernität hatte zur Folge, dass seine Werke in Kreisen des „konservativen Akademismus“17 nicht aufgeführt wurden: „Die traditionellen Konzertreihen wie die von Beljajew [...] blieben ihm trotz Beziehungen verschlossen.“18 Hierbei interessant ist, dass die Zweiteilung der russischen Kunst in „akademischen Realismus“ und „experimentierfreudige Erneuerer“ schon lange vor der Sowjetmacht stattgefunden hatte19 und es sich somit um einen langsamen Prozess und nicht einen seit kurzem existierenden Dualismus handelte. Doch nicht nur in St. Petersburg und Moskau, auch in Italien, Frankreich, und England führte der junge Komponist ab 1915 seine in den ersten Jahrzehnten überwiegend entstandenen Klavierwerke auf,20 was 1918 in einen achtzehn Jahre andauernden Auslandsaufenthalt mündete. In diesen Klavierkompositionen fand er „schon früh seine eigene musikalische Sprache, die nicht nur schrille Dissonanzen und ungewöhnliche Rhythmen, sondern auch musikalischen Humor, Spott und Ironie aufwies“21, eben jene Mittel, die ihm den Ruf eines Avantgardisten einbrachten und auch in L‘amour des trois oranges Verwendung fanden und einen großen Anteil am Erfolg des Werkes hatten:

14 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 963. 15 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 975. 16 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 406. 17 Andreas Wehrmeyer, Aspekte klassizistischen Komponierens in der russischen Musik, in: Die klassizistische Moderne in der Musik des 20. Jahrhunderts: Internationales Symposium der Paul Sacher Stiftung, hg. von Hermann Danuser, Basel 1996, S. 212. 18 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 22. 19 Sigrid Neef, Die Opern Sergej Prokofjews, Berlin 2009 (Prokofjew-Studien 7), S. 91. 20 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 963. 21 Martin Demmler, Komponisten des 20. Jahrhunderts, S. 349.

6 „Das Spielerische dieser Partitur, die auf harmonische und rhythmische Härten weitgehend verzichtet, der Witz und die skurrile Phantastik der Musik trugen entscheidend zum weltweiten Erfolg dieses Werkes bei“22, wie Demmler festgehalten hat. Nach einem Blick auf Prokofjews Opernschaffen ist festzustellen, dass es sich nicht gerade um eine „Erfolgsstory“ handelt: Von den sieben fertiggestellten Opern sah er nur vier produziert; von diesen vier haben nur zwei ihre Erstproduktionen überlebt und nur eine hat es wirklich ins Repertoire geschafft, wie Taruskin bemerkt hat.23 Diese Oper, L‘amour des trois oranges, blieb auch die einzige, die Prokofjew zu Lebzeiten auf der Bühne des Bolshoi- Theaters zu sehen bekommen sollte.24 Allgemein zu Prokofjews frühen wie auch späteren Opern hat Schipperges festgestellt: „Von Anfang an zeigt sich eine Vorliebe für Handlungsmotive des Phantastischen und Märchenhaften, [...] auch die Distanz ihrer Darstellung. Stilisierung und Verfremdung, Maske und Spiel haben den Komponisten lebenslang begleitet.“25 Tarakanow hat genauer benannt:

Bis zum Ende seines Lebens versäumte der Komponist keine Gelegenheit, sowohl die typischen Situationen der Opernlibretti des vorigen Jahrhunderts zu parodieren als auch die Mittel, die der schwülstige, romantisch-gehobene und eindringlich- sentimentale Stil mit sich brachte, den mancher Laie als Spezifikum des Opernhaften überhaupt ansah.26

Einige Worte seien auch zu Prokofjews Schaffen nach dem Rückzug in die Sowjetunion 1936 angebracht, entstanden doch in dieser Zeit einige seiner im Westen wie im Osten beliebtesten und auch heutzutage noch bekanntesten Werke wie das Ballett Romeo i Dschuljetta op. 64 und das musikalische Märchen Petra i Volk (Peter und der Wolf) op. 67. Musikalisch war der Komponist über die vielen Jahre im Ausland zunehmend heimatlos geworden;

22 Martin Demmler, Komponisten des 20. Jahrhunderts, S. 352. 23 Richard Taruskin, Art. Prokofiev, Sergey, in: The New Grove Dictionary of Opera, Bd. 3, hg. von Stanley Sadie, London 1992, S. 1135. 24 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 966. 25 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 975. 26 Michail Tarakanow, Das Opernschaffen, in: Sergej Prokofjew. Beiträge zum Thema, Dokumente, Interpretationen, Programme, das Werk. Internationales Musikfestival Sergej Prokofjew und Zeitgenössische Musik aus der Sowjetunion, hg. von Juri Cholopow, Hermann Danuser und Michail Tarakanow, Duisburg 1990, S. 144.

7 zumindest fiel die Rezeption seiner Werke den politischen Gegebenheiten in diesem Sinne zum Opfer, wie Schipperges herausgearbeitet hat:

So suchte die sowjetische Musikgeschichtsschreibung den in den Kreisen der westlichen Moderne agierenden Komponisten zu ignorieren, wenn nicht herabzusetzen. Umgekehrt tat sich die westliche Literatur lange schwer mit der vorgeblich politisch bestimmten einfacheren Schreibweise des Sowjetkomponisten Prokof‘ev.27

Niemöller hat hingegen eher den positiven Aspekt der Internationalität Prokofjews betont:

Prokofjew war ohne Zweifel von seinem Heimatland geprägt und blieb ihm stets verbunden. Dennoch wurde er ein Weltbürger der Musik, und zwar im doppelten Sinne. Er suchte selbst den Kontakt und die Konkurrenz der internationalen Musikwelt. Daraus hat sich dann auch folgerichtig eine internationale Rezeption seiner Musik entwickelt, die durch diese Spannung in der Musiksprache Prokofjews fasziniert wurde.28

Der Autor hebt hier verständlich hervor, dass Prokofjews Entscheidung, sich der westlichen Musik zu öffnen, eine bewusste war. Auch die Reise in die USA, ,das Land der unbegrenzten Möglichkeiten‘, 1918 war eine wohl überlegte Tat, um die westliche Musikwelt näher kennen zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Der Plan einer Ausreise war durch die Oktoberrevolution 1917 gefestigt worden:

Ich hatte nicht die leiseste Ahnung von dem Zweck und der Bedeutung der Oktoberrevolution. [...] Ich glaubte, daß Rußland in dieser Zeit keinen Bedarf an Musik hätte, wogegen ich in Amerika viel lernen und überdies manche Leute für meine Musik interessieren könnte.29

Dabei verließ er das Land nicht als Flüchtling, sondern reiste mit einer Erlaubnis aus; er hatte sich demnach niemals unabänderlich von seinem Vaterland getrennt. Mit Heimweh und voller Hoffnung auf Ruhm und Erfolg kehrte Sergej Prokofjew 1936 endgültig in die Sowjetunion zurück, nachdem er in den Jahren seit 1927 seinem Heimatland für Konzerte und Auftritte häufige Besuche abgestattet hatte. Zwar konnte er auf schöne und auch ruhmvolle Jahre in Westeuropa und Nordamerika zurückblicken, doch seine Heimat war immer

27 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 974. 28 Klaus Wolfgang Niemöller, Identität und Weltbürgertum. Der Internationalist Sergej Prokofjew, in: Bericht über das Internationale Symposium „Sergej Prokofjew – Aspekte seines Werkes und der Biografie“, hg. von Klaus Wolfgang Niemöller, Köln 1991 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 175), S. 21. 29 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben, S. 70-72.

8 Russland geblieben. Demmler hat die Meinung geäußert, ein weiterer Grund für Prokofjews Umzug in die Sowjetunion wäre die größere Beachtung seiner Musik dort gewesen, was allerdings eher kritisch zu betrachten ist.30 Gerade durch Werke wie L‘amour des trois oranges erlangte Prokofjew weltweites Ansehen, was zur Folge hatte, dass er ein gut rezipierter Komponist war und viele seiner Kompositionen nach der Uraufführung oben genannter Oper und vor der Heimkehr 1936 in Europa und den USA aufgeführt wurden, wie z.B. Klavierkonzert Nr. 3 in C-Dur op. 26 (Chicago 1921), Violinkonzert Nr. 1 in D- Dur op. 19 (Paris 1923), Sinfonie Nr. 3 in c-Moll op. 44 (Brüssel 1929) oder Klavierkonzert Nr. 5 in G-Dur op. 55 (Berlin 1932).31 Die Anerkennung, die ihm v.a. in Frankreich und den USA zukam, führte sogar zu einer Art Personenkult, wenn auch nur in einer leicht ausgeprägten Form, die ihn auf das Cover der New York Times bringen sollte.32 Trotz alledem war er für den Westen immer ein „Repräsentant der Sowjetkultur“33 geblieben. Was die westliche Musikwelt als Einfluss der russisch-sowjetischen Kultur in seinen Werken zu hören glaubte, waren musikalische Eigenschaften, die vom sowjetischen Regime unter Stalin nicht mehr erwünscht waren, bzw. sogar bekämpft wurden. Auch Prokofjew konnte der Doktrin des „Sozialistischen Realismus“, die „die Künstler unter ein politisches Programm und eine konkret anzuwendende ästhetische Maxime [zwang]“34, nicht entkommen, auch wenn er „davon aus[ging], sein Schaffen ließe sich ohne weiteres mit der Doktrin des sozialistischen Realismus vereinbaren, was sich aber spätestens ab Ende des vierziger Jahre als Trugschluss erweisen sollte“35, wie Demmler herausgearbeitet hat. Besonders interessant, wenn auch nicht von Neutralität geprägt, sind die Ausführungen

30 Martin Demmler, Komponisten des 20. Jahrhunderts, S. 353. 31 Brown gibt in seinem Beitrag eine übersichtliche Zusammenfassung der zeitgenössischen Artikel, siehe: Malcolm Hamrick Brown, Prokofiev in the United States, in: Bericht über das Internationale Symposium „Sergej Prokofjew – Aspekte seines Werkes und der Biografie“, hg. von Klaus Wolfgang Niemöller, Köln 1991 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 175), S. 41-56. 32 Malcolm Hamrick Brown, Prokofiev in the United States, S. 52. 33 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 967. 34 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 968. 35 Martin Demmler, Komponisten des 20. Jahrhunderts, S. 353.

9 Schostakowitschs, der Prokofjew nicht als „echten Russen“ sah.36 Der Komponist erinnert sich:

Im Westen galt er als Sowjetbürger. In Rußland empfing man ihn als ausländischen Gast. [...] Und Prokofjew überlegte, daß es für ihn doch wohl vorteilhaft sei, in die Sowjetunion zurückzukehren. Bei einem solchen Schritt würden im Westen seine Aktien nur steigen. […] Er war nach Moskau gekommen, um uns zu belehren. Und nun belehrte man ihn.37

Eines der Hauptprobleme war mit Sicherheit Prokofjews fehlendes Interesse für Politik und Zeitgeschehen; er interessierte sich in erster Linie für seine Kunst und „had thought that art and politics could be kept separate“38, was in der Sowjetunion nicht der Fall war. Solomon Wolkow äußerte bezüglich der künstlerischen Doktrin und der Repressionen durch das sowjetische Regime, dass der historische Beschluss Komponisten mit formalistischen und volksfremden Tendenzen angegriffen und die talentiertesten Komponisten, wie z.B. Prokofjew und Schostakowitsch, verurteilt hätte.39 Infolgedessen komponierte Prokofjew u.a. diverse Märsche und Massenlieder, die sechssätzige Kantate für Chor und Orchester Sdravitza (Trinkspruch/Heil Stalin) op. 85 (1939) und die Kantate Rastsvetay (Blüh‘ auf, gewaltig‘ Land) op. 114 (1947) zum 30. Jahrestag der Oktoberrevolution und wurde insgesamt sechs Mal mit dem Stalinpreis ausgezeichnet.

2.2 Eine Forschung so ambivalent wie ihr Gegenstand

Über die Einordnung des Schaffens Sergej Prokofjews ist sich die Forschung äußerst uneinig; es gibt kaum eine Aussage, die nicht in einer anderen Untersuchung negiert wird. So wird er zum Beispiel des Öfteren neben Igor Strawinsky zu den wenigen sowjetischen Komponisten jener Zeit gezählt, deren Werke nicht klar als avantgardistisch oder klassizistisch, sondern als beides zugleich bezeichnet werden, obwohl ihre ästhetischen Positionen prinzipiell

36 Dmitri Schostakowitsch, Solomon Wolkow, Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, S. 103. 37 Dmitri Schostakowitsch, Solomon Wolkow, Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, S. 103-104. 38 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 416. 39 Dmitri Schostakowitsch, Solomon Wolkow, Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, S. 58-59.

10 unvereinbar waren. Die erste Hälfte Prokofjews Schaffens bis zu seiner Rückkehr in die Sowjetunion Ende der 1930er Jahre wird gerne als fortschrittlich, seine Musik, die in der Sowjetunion entstand, als rückschrittlich oder „einfach“ bezeichnet.40 Anschaulich beschrieben, tiefer kontextualisiert und kritisch betrachtet hat dies Tarakanow:

So hat sich während der Zeit von Prokofjews stürmischem Einstieg in das Musikleben Rußlands und später auch in Europa und Nordamerika von ihm die Meinung als eines Rebellen gebildet […]. Viel später [...] hat sich eine andere Legende gebildet, die der vorhergehenden in ihrem Sinn völlig entgegengesetzt war. In der Übergangszeit von den vierziger zu den fünfziger Jahren wurde Prokofjew von Seiten der Anhänger linksradikaler Strömungen der musikalischen Avantgarde als Traditionalist eingestuft, der den Geist der Neuerung verraten und kühne künstlerische Experimente aufgegeben hatte.41

Ein offenkundiges Beispiel, das gegen die undifferenzierte Einordnung in Avantgardist in der ersten Lebenshälfte und Traditionalist in der zweiten spricht, ist die 1916 bis 1917 entstandene Symphonie classique op. 25, die einen neuen Ansatzpunkt und zugleich Gegenpol des zuvor Entstandenen bildet. Hierbei ging es dem Komponisten laut Tarakanow darum, „die grundlegenden Prinzipien des Klassizismus zu begreifen und mit unausweichlicher Konsequenz in die Tat umzusetzen“42. Ebenso wie diese klassizistische Sinfonie, die nicht der avantgardistischen Periode zuzuordnen ist,43 obwohl sie in dieser Schaffenszeit entstand, ist auch die Oper L‘amour des trois oranges op. 33, entstanden zwischen 1918 und 1919, nicht ohne weiteres einer dieser beiden Richtungen zuzuweisen, hat Prokofjew doch alte Mittel verwendet, nämlich u.a. die dramaturgischen der Commedia dell’arte des 18. Jahrhunderts, um etwas Neues zu formen. Welche musikalischen und dramaturgischen Quellen und Mittel Prokofjew in L‘amour des trois oranges explizit zur Hilfe zog, soll in den Kapiteln drei und vier näher erläutert werden.

40 Martin Demmler, Komponisten des 20. Jahrhunderts, S. 349. 41 Michail Tarakanow, Prokofjew und die Musik des 20. Jahrhunderts, in: Bericht über das Internationale Symposium „Sergej Prokofjew – Aspekte seines Werkes und der Biografie“, hg. von Klaus Wolfgang Niemöller, Köln 1991 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 175), S. 156. 42 Michail Tarakanow, Prokofjew und die Musik des 20. Jahrhunderts, S. 161. 43 Die Autorin dieses Beitrags ist sich durchaus bewusst, dass der „Neoklassizismus“ eine Erscheinung der Moderne ist als Abgrenzung zur Romantik. Aus diesem Grund ist nur von „Klassizismus“ im Sinne von „auf etwas Altes zurückgreifen“ die Rede, was schon seit Jahrhunderten praktiziert wurde und v.a. bei Prokofjew auf kompositorischer Basis nicht mit Avantgardismus in Verbindung zu bringen ist.

11 Aber auch der politische Kontext, der u.a. die Doktrin des sowjetischen Regimes beinhaltet, ist bei Prokofjews ebenso wie bei Dmitri Schostakowitschs Schaffen unmöglich auszublenden. Die oben beschriebene Zweiteilung fand auch „zu Gunsten“ Prokofjews statt, um ihn als Heimgekehrten, der sich eines Besseren besann, darzustellen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch folgende Aussage Astroffs zu betrachten:

Es stimmt schon, daß seine Musik damals mit Vorliebe scharf, sarkastisch war, und daß seine Ausdrucksweise herausfordernd erschien. In der Folgezeit aber unterlagen seine Ideen einer tiefgehenden Wandlung. Er strebte nach einer neuen Einfachheit durch Entwicklung rein melodischer Linien.44

Auch bei der Auseinandersetzung mit eigenen Aussagen des Komponisten aus den 1940er Jahren sind der politische Hintergrund und die Zensur stets zu berücksichtigen. Dies soll Prokofjew nicht den eigenen künstlerischen Willen absprechen, sondern nur verdeutlichen, dass es schwer nachzuvollziehen ist, inwiefern es sich bei dem Niedergeschriebenen tatsächlich um eigene Meinung oder politische Unterwerfung handelt. Ebenso ambivalent ist die Forschung bezüglich musikalischer Vorbilder und Einflüsse, wobei sich in der Diskussion eine Dichotomie zwischen russischer „Nationalmusik“ und „westlicher“ Musik zeigt: ForscherInnen wie z.B. Redepenning oder Dumesnil sind der Meinung, dass Prokofjews Schaffen von Beginn seiner kompositorischen Laufbahn an tief in der russisch-romantischen Tradition, in der er aufgewachsen war, wurzelte, „even if he was pushing those traditions to a point of exacerbation and caricature“45. Dumesnil äußerte sich folgendermaßen zu Prokofjews Tod:

Eine Eigenschaft haben alle seine an Form wie Einfall so unterschiedlichen Werke: die innere Wahrheit. Prokofieff war und blieb einer der echtesten Russen unter den russischen Musikern, viel unmittelbarer und schlichter als Strawinsky, den man ihm unangebrachterweise so oft gegenübergestellt hat. An ihm war immer, von Anfang bis Ende, eine fast naive Frische.46

Auch für Serge Moreux, einen alten Freund Prokofjews, war der Komponist ganz und gar Russe, wobei er v.a. die „russischen Methoden“, die Prokofjew in

44 Michel Astroff, Bei der Arbeit belauscht, S. 32. 45 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 404. 46 René Dumesnil, Stimmen zur Weltpresse, in: Serge Prokofieff, hg. von Heinrich Lindlar, Bonn 1953 (Musik der Zeit. Eine Schriftenreihe zur zeitgenössischen Musik), S. 6.

12 seinen Kompositionen verwendet haben soll, betonte.47 Ebenso meinte Sawkina die „aus Intonationen russischer Volkslieder gespeiste Melodik“48 und die stark russisch geprägten Vorbilder heraushören zu können:

Seine reizvollen, geistsprühenden Walzer, deren edler Feinheit mitunter ein Hauch Nostalgie anhaftet, erinnern an lyrische Kompositionen Glinkas, Tschaikowskis und Glasunows, während die farbenreiche Phantastik, die sich teils unheilkündend, teils puppenhaft-scherzoartig gibt, eine andere Traditionslinie fortsetzt, die auf Werke von Glinka, Rimsky-Korsakov und Ljadow zurückgeht.49

Auffällig ist, dass es sich hierbei überwiegend um Aussagen aus der Ära der Sowjetunion handelt, die also in einer Zeit entstanden sind, in der Prokofjew vom Regime als sowjetischer Komponist „vermarktet“ und rezipiert wurde, was nicht heißen soll, dass die Äußerungen unzutreffend sind; auch dieser Komponist ist in einem bestimmten sozialen Umfeld zu einer bestimmten Zeit aufgewachsen und konnte sich diesen Einflüssen nur schwer entziehen. Trotzdem ist die Funktion, die die sowjetische Regierung Prokofjew als „sowjetischem Komponisten“ zuteilte, hier äußerst bedeutend. Spätere Forschungen versuchten sein Werk differenzierter und entweder abseits des politischen Programms und der „Verkaufsthematik“ oder aus der Negation jener Aspekte zu betrachten: Demmler ist der Meinung, Prokofjew sei in keinerlei Weise an der russischen Spätromantik interessiert gewesen.50 Auf kompositorischer Basis vertritt Saderatzkij die Ansicht, Prokofjew sei „weit entfernt von dem Gedanken, seine russische Abstammung an erster Stelle herauszustellen, den Hörer durch seine nationale Exotik zu verblüffen“51. Nach einer etwas differenzierteren Untersuchung kommt Swarsenski zu dem Schluss, Prokofjew hätte sich mit seinen nationalistischen Vorgängern, den ,Großen Fünf‘ auseinandergesetzt und ließe sich von seinen nationalen Zeitgenossen beeinflussen, doch „im großen und ganzen fußen seine harmonikalen

47 Serge Moreux, Mit den Augen des Freundes gesehen, in: Serge Prokofieff, hg. von Heinrich Lindlar, Bonn 1953 (Musik der Zeit. Eine Schriftenreihe zur zeitgenössischen Musik), S. 28-29. 48 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, München 1993, S. 202. 49 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, S. 203. 50 Martin Demmler, Komponisten des 20. Jahrhunderts, S. 349. 51 Wsewolod Saderatzkij, Prokofjew und das russische Lied. Die Umgestaltung der Tradition, in: Bericht über das Internationale Symposium „Sergej Prokofjew – Aspekte seines Werkes und der Biografie“, hg. von Klaus Wolfgang Niemöller, Köln 1991 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 175), S. 138.

13 Errungenschaften auf der westlichen Musik“52, wobei er auf Methoden, die von seinen russischen Vorgängern und vom Impressionismus herrührten, zurückgegriffen haben soll.53 Sawkina betont hingegen, sie sehe Prokofjews musikalische Vorbilder in Skrjabins kometenhaftem Aufstieg, Beethovens erhabener Tonsprache, der Klangpracht des Wagnerischen Riesenorchesters, Regers Harmonik und Rachmaninovs Melodien.54 Blickt man auf die in den angebrachten Zitaten erwähnten, auf Prokofjew scheinbar einflussreichen Komponisten, so sind die bedeutendsten des 19. Jahrhunderts fast alle aufgezählt, was wiederum nicht viel mehr aussagt, als dass Prokofjew sich an vielen Stilrichtungen und Komponisten orientierte und ein erstaunlich großes Repertoire kannte. Die zwiespältigen Meinungen rühren auch daher, dass der Einfluss der westlichen Musik in Russland schon seit dem 19. Jahrhundert sehr groß war. Auch wenn man versucht hatte, diesem mit „Nationalkomponisten“ wie Glinka entgegenzuwirken, ließ sich eine Spaltung, mehr oder weniger repräsentiert durch „das mächtige Häuflein“ auf der einen und Tschaikowsky auf der anderen Seite, nicht verhindern, wie auch Wehrmeyer festgehalten hat: „Die russische Musik des 19. Jahrhunderts war in zwei Richtungen gespalten: Die eine erstrebte eine national-russische Musik unabhängig vom Westen, die andere eine russische Musik in Anlehnung an die westlichen Traditionen.“55 Aufgrund der „Synthese der künstlerischen Systeme, des europäischen und des volksnationalen“56, wurden westliche Stilelemente in der russischen Musik zu Beginn des 20. Jahrhunderts weniger bewusst verwendet, sondern waren schon fester Bestandteil der Kultur. Im Zusammenhang mit Vorbildern wird auch häufig die Neuheit der Werke Prokofjews untersucht. Wie im obigen Zitat von Swarsenski57 erwähnt, galt Prokofjew immer als „neu“ und „originell“, obwohl er Werke wie die Symphonie classique oder eine „Commedia dell‘arte-Oper“ komponierte. Wie

52 Hans Swarsenski, Prokofieffs Orchesterwerke, S. 44. 53 Hans Swarsenski, Prokofieffs Orchesterwerke, S. 46. 54 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, S. 45-46. 55 Andreas Wehrmeyer, Aspekte klassizistischen Komponierens in der russischen Musik, S. 202. 56 Wsewolod Saderatzkij, Prokofjew und das russische Lied, S. 136. 57 Siehe Zitat Fussnote 5.

14 Saderatzkij festgestellt hat, traten „klassizistische Tendenzen in der russischen Musik [...] in erster Linie als Stilisierungen des Wiener klassischen Stils zutage“58 und waren somit nichts Außergewöhnliches, sondern eine auch in Europa zu findende „Reaktion auf die überbordenden Gesten und Formausschweifungen der Spätromantik“59. Als neu sieht Sawkina in Prokofjews Kompositionen „die lautstarke Verachtung alles Spießigen und oberflächlich Schönen sowie [den] Haß gegen jegliche sinnentleerte Routine“60 an, wogegen Abraham einzuwenden hat:

Wir neigen dazu, Prokofieff in erster Linie als einen enfant terrible anzusehen, als einen Meister jener Züge von Sarkasmus, Karikatur und Groteske, die in der russischen Literatur seit Gogol so sehr in Erscheinung treten, und die offensichtlich für den russischen Intellektualismus so charakteristisch sind.61

Die Meinungen bezüglich der Neuheit der Werke Prokofjews liegen demnach ebenfalls weit auseinander. Relativ einig ist man sich hingegen im Hinblick auf Prokofjews Umgang mit der Tonalität, wobei es sich hierbei um ein vergleichsweise konkret zu untersuchendes und klar darzustellendes Phänomen handelt. Cholopows Analyse führte zur Einordnung des Komponisten in folgende Gruppe :

Sergej Prokofjew zählt zu den Komponisten des 20. Jahrhunderts, die [...] einen bestimmten Typus des kompositorischen Denkens darstellen. Dieser Typus gründet auf der Tonalität [...], er bricht nicht mit dem Dur-Moll-Doppelgeschlecht, nimmt jedoch gerne eine Reihe neuester, technischer Mittel und Kunstgriffe auf.62

Dass und in welcher Form Prokofjew nicht vollkommen mit der Dur-Moll- Tonalität bricht, sondern sie als eine harmonische Grundlage und gleichzeitig als Kontrastmittel verwendet, wird in Kapitel 4 noch näher erläutert und untersucht. Festgehalten werden kann an dieser Stelle schon, dass „die

58 Andreas Wehrmeyer, Aspekte klassizistischen Komponierens in der russischen Musik, S. 201. 59 Andreas Wehrmeyer, Aspekte klassizistischen Komponierens in der russischen Musik, S. 213. 60 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, S. 8. 61 Gerald Abraham, Prokofieff als ,Sowjet‘-Komponist, in: Serge Prokofieff, hg. von Heinrich Lindlar, Bonn 1953 (Musik der Zeit. Eine Schriftenreihe zur zeitgenössischen Musik), S. 35. 62 Juri Cholopow, Prokofjews Schaffensmethode und zeitgenössische Probleme der Komposition, in: Bericht über das Internationale Symposium „Sergej Prokofjew – Aspekte seines Werkes und der Biografie“, hg. von Klaus Wolfgang Niemöller, Köln 1991 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 175), S. 57.

15 generelle Ausrichtung seines Schaffens [...] eine erweiterte und individualisierte Tonsprache“63 ist, wie Cholopow erkannte. Auch Prokofjew selbst hat zur Frage seines Stils in seiner Autobiografie Stellung bezogen. Er schreibt, dass es fünf Grundlinien in seinem Schaffen gäbe: klassisch, modern, motorisch, lyrisch und grotesk.64 Laut Schipperges ist diese Aussage wie folgt zu beurteilen:

Der Komponist wollte damit deutlich machen, daß es sich bei der Polystilistik seines Schaffens nicht um periodisch wechselnde Phasen handelt, sondern, über zeitliche und örtliche Grenzen und über alle Formen und Gattungen hinweg, um ,Hauptrichtungen‘.65

Im Folgenden wird es nicht darum gehen, sich in diesen Diskussionen entweder der einen oder der anderen Seite zuzuschlagen. Die Werke dieses vielschichtigen Komponisten sollten differenzierter und, wie Schipperges geschrieben hat, über „zeitliche und örtliche Grenzen und über alle Formen und Gattungen hinweg“ betrachtet und untersucht werden, denn „sein Schaffen ist ebenso eigenständig, reich und vielseitig wie die Epoche, die ihn hervorgebracht hat“66. Eines dieser vielschichtigen Werke, L‘amour des trois oranges, wird in den folgenden Kapiteln näher untersucht, wobei die verschiedenen kompositorischen Strategien und Mittel konzeptualisiert werden, um die Entwicklung von der Vorlage zur Oper nachzuvollziehen und das Endergebnis in Hinblick auf Modernität und Traditionalität zu betrachten.

63 Juri Cholopow, Prokofjews Schaffensmethode und zeitgenössische Probleme der Komposition, S. 62. 64 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben, S. 50-52. 65 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 974. 66 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, S. 200.

16 3. Vom Märchen zum offensichtlichen Theater: Der dramaturgische Werdegang von „L‘amour des trois oranges“

Der Weg von Carlo Gozzis Commedia dell‘arte-Märchen L‘amore delle tre melarance von 1761 über Wsewolod Meyerholds Stück der russischen Theaterrevolution Ljubov k trjom apelsinam von 1914 bis zu Prokofjews Oper L‘amour des trois oranges von 1921 scheint lang und beschwerlich und doch sind diese drei Werke dramaturgisch nicht so weit voneinander entfernt, wie vermutet werden könnte. Erstaunlicherweise verfolgten die drei Autoren ähnliche, überzeitliche oder wiederkehrende Ziele und nutzten bestimmte Formen des Protests; sie haben mehr gemeinsam, als ihre zeitlich weit voneinander entfernten Schaffensperioden vermuten lassen, wie auch Neef festgehalten hat:

Wie Meyerhold die übersteigerten Selbstdarstellungen und melodramatischen Situationen der Charakterkomödien seiner Zeit verachtete und sich auf Seiten Gozzis gegen das ,akademische Theater‘ und für eine Verbindung von Straße und Theater engagierte, so focht Prokofjew gegen die romantische Oper und das Musikdrama und für eine Renaissance der Opera buffa.67

Im Folgenden sollen die für die jeweiligen historischen Umstände und das jeweilige Genre nötigen dramaturgischen Änderungen nachvollzogen und untersucht werden. Da es sich bei Gozzis Stück nur indirekt um eine Vorlage für Prokofjews Oper handelt, liegt der Schwerpunkt auf Meyerholds Theaterstück und den von Prokofjew vorgenommen Änderungen, wobei L‘amore delle tre melarance nicht vollkommen aus der Untersuchung ausgeschlossen werden kann, da die hier verwendeten Prinzipien auch für Meyerholds und Prokofjews Fassungen essentiell sind. Außerdem soll die Handlung dieses Stückes als Grundlage für die Darstellung der inhaltlichen Veränderungen dienen.

67 Sigrid Neef, Art. L’amour des trois oranges, in: Pipers Enzyklopädie des Musiktheaters, Bd. 5, hg. von Carl Dahlhaus, München u.a. 1994, S. 69.

17 3.1 Gozzis Commedia dell’arte

Eine kurze Erläuterung und Charakterisierung der Commedia dell’arte zu Beginn der Untersuchung erscheint sinnvoll, um das Genre, die verwendeten Techniken und den ursprünglichen dramaturgischen Gedanken des Stückes L’amore delle tre melarance zu verstehen und die Entwicklung über Meyerholds Ljubov k trjom apelsinam zu Prokofjews L’amour des trois oranges herauszuarbeiten.

3.1.1 Die Commedia dell’arte

Bei der Commedia dell‘arte, dem italienischen Stegreiftheater, handelt es sich um eine Theaterform, die aus dem venezianischen 16. Jahrhundert stammt und besonders im 17. Jahrhundert aufblühte.68 Venedig war nicht nur der Entstehungsort, sondern auch Zentrum dieser Gattung: „Auf dem Gebiet der dramatischen Literatur entstand in Venedig mit den Werken Carlo Goldonis und teilweise auch Carlo Gozzis das Bedeutendste, was zu dieser Zeit in Italien überhaupt erschien.“69 Das Wort „commedia“ bedeutet im Allgemeinen „(Sprech-)Theater“, während „arte“ so viel wie „Berufsstand“ meint: „Hier ist der Stand der Berufsschauspieler [gemeint], der im 16. Jh. entstand, nachdem das Renaissancetheater bis dahin von Liebhabern und Laien gespielt worden war“70. Die Schauspieler griffen auf erprobte Arten des Spiels zurück und gestalteten diese zu Gunsten der Gesamtwirkung effektreich aus, um das eigentliche Ziel, das rein ökonomischer Art war und keine künstlerischen oder ideologischen Ziele beinhaltete, zu verfolgen.71

68 Anne MacNeil, Art. Commedia dell’arte, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, Bd. 6, hg. von Stanley Sadie, London u.a. 2001, S. 170. 69 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, Berlin 1968, S. 7. 70 Wolfgang Krömer, Art. Commedia dell’arte, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Sachteil Bd. 2, hg. von Ludwig Finscher, zweite, neubearbeitete Ausgabe, Kassel, u.a. 1995, Sp. 955. 71 Wolfgang Krömer, Art. Commedia dell’arte, in: MGG, Sp. 955.

18 Die Commedia dell’arte ist charakterisiert durch eine lockere Vorlage des Textes, der in Improvisation eingebettet ist. Dabei war „das Handwerk […] wichtig und Grundlage der Aufführung. Der Schauspieler improvisierte - in Absprache mit den Kollegen -, indem er auf das Gelernte und Eingeübte zurückgriff“72. Pokorný hat festgehalten:

Und ebenso wie das im Verlauf einiger Jahrzehnte verhältnismäßig rasche Entstehen des Theaters mit gleicher Besetzung und kanonisierten, in ihrem Grundcharakter unveränderlichen Typen eine einzigartige Erscheinung ist, ebenso einzigartig [...] ist die Dramaturgie dieser Bühnenkunst, die sich auf ein knappes Handlungsskelett in der Art eines Librettos beschränkt und die Ausführung der Dialoge den Schauspielern auf der Bühne überläßt.73

Weiter fährt der Autor fort: „Schlagfertigkeit und Improvisationsgewandtheit [...] sind frappierend, wenn man berücksichtigt, daß das Libretto nur einige wenige Seiten umfasst, die Vorstellung jedoch zwei bis drei Stunden dauert.“74 Allerdings muss hierbei bedacht werden, dass die Schauspieler einen Großteil ihres Lebens einer einzigen Rolle widmeten und nur einen Teil der Dialoge improvisierten, während der andere Teil aus einstudierten Stücken zusammengestellt war.75 Weniger wichtig als die Gesamtwirkung des Schauspiels war die Wahrscheinlichkeit und Logik der Handlung, wie Krömer benannt hat: „Die Szenen seelischer Entwicklung […] waren schematisch, die Lösungen der Stücke wurden etwa [...] durch plötzliche Sinneswandel oder Entdeckungen erreicht.“76 Durch die Verwendung von Masken für bestimmte Figuren war die Commedia dell‘arte „in besonderem Maße von Rollenkonventionen geprägt“77, von festgelegten Rollentypen geformt:

72 Wolfgang Krömer, Art. Commedia dell’arte, in: MGG, Sp. 956. 73 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 31. 74 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 34. 75 John Louis DiGaetano: Carlo Gozzi. A Life in the 18th Century Venetian Theater, an Afterlife in Opera, London u.a. 2000, S. 109. 76 Wolfgang Krömer, Art. Commedia dell’arte, in: MGG, Sp. 956. 77 Daniel Brandenburg, Die komische italienische Oper, in: Die Oper im 18. Jahrhundert, hg. von Herbert Schneider und Reinhard Wiesend, Laaber 2001 (Handbuch der musikalischen Gattungen 12), S. 116.

19 Commedia dell’arte plays usually have both masked and unmasked characters, including two or more pairs of lovers (innamorati), a swaggering military man, a female servant, two or more comic servants (zanni) and two old men.78

Einer dieser bereits oben genannten Rollentypen ist Zanni, der „in einigen Komödien schon zu Anfang des 16. Jahrhunderts [erschien und aus dem] sich später zwei Gestalten, der einfältige Diener Arlecchino und der schlaue Diener Brighella“79, entwickelten. Aufgrund der festgelegten Rollentypen ergab sich nur eine begrenzte Verhaltensfreiheit der einzelnen Charaktere, die im Endeffekt zu immer ähnlichen Handlungsabläufen und Intrigen führte, aber „gerade die Schematik bildete bei der Commedia dell’arte die tragende Grundlage der Improvisation, die durch Spontanität den eigentlichen Reiz des Genres ausmachte“80. Dieses standardisierte, schablonenhafte Modell sollte dem Genre seine Lebendigkeit kosten, denn es „erstarrt schließlich in einem Schema traditioneller Figuren als kritische Widerspiegelung von Typen vom Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts“81. Dies führte laut Pokorný dazu, dass „das einst so lebendige Theater [...] den Kontakt mit dem Publikum [einbüßt], weil seine erstarrten Typen im fortschreitenden Maße den Kontakt mit der Zeit verlieren“82. Ob und inwiefern musikalische Darbietungen ein essentieller Bestandteil der Commedia dell’arte waren, kann nicht zweifelsfrei geklärt werden. Anne MacNeil hat die Ansicht geäußert, dass Musik ein regulärer Teil der Aufführung gewesen sei „and many comedians were known for their abilities to sing and play various instruments”83. Dagegen hat Wolfgang Krömer betont, dass es keine direkte Beziehung zur Musik gegeben hätte, da sich, so der Autor, Singen ohne festgelegten Text nahezu ausschließen würde.84 Demnach scheint die Einbeziehung von Musik eher nach Belieben geschehen zu sein und sich auf musikalische Einlagen zu Gunsten der Komik oder auf rein instrumentelle Art

78 Anne MacNeil, Art. Commedia dell’arte, in: New Grove, S. 170. 79 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 33. 80 Silke Leopold, Die Opera buffa, in: Die Musik des 18. Jahrhunderts, hg. von Carl Dahlhaus, Regensburg 1985 (Neues Handbuch der Musikwissenschaft 5), S. 157. 81 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 37. 82 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 37-38. 83 Anne MacNeil, Art. Commedia dell’arte, in: New Grove, S. 170. 84 Wolfgang Krömer, Art. Commedia dell’arte, in: MGG, Sp. 959.

20 ohne Gesang reduziert zu haben. Von Bedeutung war allerdings die Bewegung auf der Bühne: „Humor is often expressed physically, with pronounced movements and dances, acrobatics, conspicuous phallic representations and cross-dressings.“85 Es kann zusammengefasst werden, dass die Dramaturgie der Commedia dell’arte von Rollentypen geprägt ist, die teilweise Masken einschließen, und daraus resultierenden Szenentypen, die von einem vorher fixierten Scenario oder Handlungsgrundriß („Canovaccio“86) festgelegt sind.87 Aufgrund dieser stilisierten Handlungsabläufe ist die Improvisation ein essentieller Bestandteil der Aufführung. Trotz der Verdrängung der Commedia dell‘arte durch die aufblühende Oper wurde das Improvisationstheater nicht vergessen, sondern lebte zum einen in Form von „Verkleidungen und Varianten“88 in der Opera buffa weiter und wurde im 18. Jahrhundert Gegenstand mehrerer Versuche der Wiederbelebung, u.a. durch Carlo Gozzi und . Außerdem wurde die Commedia dell‘arte zur Grundlage einiger (Musik-)Theaterstücke: „Commedia dell’arte themes and characters were popular models for later musical comedies, comic operas, ballets and circuses“89, so z.B. Richard Wagners Die Feen (1833) nach Gozzis La donna serpente (1762) oder Richard Strauss‘ und Hugo von Hofmannsthals Commedia dell‘arte-„Spiel im Spiel“ in Ariadne auf Naxos (1912).

3.1.2 Gozzis „L’amore delle tre melarance“

Eine konzentrierte historische Einführung ist unumgänglich, um den Hintergrund, vor dem Gozzi sein Stück schrieb, zu verstehen: Carlo Gozzi (1720-1806) und Carlo Goldoni (1707-1793) gehören zu den wichtigsten Dramatikern, die sich mit der Commedia dell‘arte im 18. Jahrhundert auseinandergesetzt haben,

85 Anne MacNeil, Art. Commedia dell’arte, in: New Grove, S. 171. 86 Daniel Brandenburg, Die komische italienische Oper, S. 132. 87 Silke Leopold, Die Opera buffa, S. 157. 88 Silke Leopold, Die Opera buffa, S. 157. 89 Anne MacNeil, Art. Commedia dell’arte, in: New Grove, S. 171.

21 wobei sich beide erst nach der Blüte jener Gattung mit ihr befassten und sie wiederzubeleben versuchten. Zugleich gelten diese beiden Theaterdichter als Verteidiger gegensätzlicher Auffassungen und ästhetischer Ansichten von Theater und dessen gesellschaftlicher Funktion. Die Rivalität führte nicht nur dazu, dass „die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit den Theaterkonflikten [galt]“90, sondern sogar die Zensurbehörde sich darum bemühte, „Skandale, die von den Parteigängern Goldonis oder Gozzis heraufbeschworen wurden, zu verhindern oder wenigstens einzudämmen“91. Während der überaus erfolgreiche Goldoni „sich an den Stücken der Renaissance bzw. der französischen Klassik orientierte“92 und „realistischere Charakterkomödien mit belehrender moralischer Tendenz“93 verfasste, um das Sprechtheater durch realistische Handlungen und Natürlichkeit der Figuren zu reformieren, lehnte Gozzi diese Richtung vor allem „auch wegen deren Offenheit gegenüber zeitgenössischen englischen und französichen [sic!] Werken, insbesonders [sic!] den sentimentalen Comédies larmoyantes, vehement ab“94. Er galt als „Konservativer, seinem ganzen Schaffen nach ein eingeschworener Verfechter der Unantastbarkeit venezianischer Traditionen“95 und wollte die Commedia dell’arte gegen das „goldonische Wirklichkeitsstreben“96 mit dem Märchen verbinden, also eine phantastische Theaterwelt schaffen, in der sich das Publikum verzaubern lassen konnte:

Die ästhetischen Ansichten und ästhetischen Produkte dieses bedeutenden italienischen Theatermannes des 18. Jahrhunderts […] verfochten eine nicht- realistische, märchenhaft bzw. phantastisch überhöhte Wirklichkeits-Reflexion, die wesentlich auf Darstellungsweisen des italienischen Volkstheaters, der Commedia dell’arte, fußte.97

Dieses Prinzip versuchte Gozzi in L’amore delle tre melarance zu verwirklichen, dessen Uraufführung 1761 ein großer Erfolg wurde.98 Er verfasste das Märchen

90 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 7. 91 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 26. 92 Wolfgang Krömer, Art. Commedia dell’arte, in: MGG, Sp. 959. 93 Wolfgang Krömer, Art. Commedia dell’arte, in: MGG, Sp. 959. 94 Dagmar Fornaroli-Rauth, I tre cedri und L’amore delle tre melarance. Vom Märchen zur Oper, Magisterarbeit an der Universität Wien 2008, S. 89. 95 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 25. 96 Dagmar Fornaroli-Rauth, I tre cedri und L’amore delle tre melarance, S. 96. 97 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper. Schostakowitsch Prokofjew, Berlin 1985, S. 310. 98 Dagmar Fornaroli-Rauth, I tre cedri und L’amore delle tre melarance, S. 97.

22 auf der Grundlage zweier Geschichten aus Giambattista Basiles Pentamerone (1634), eine der ersten gedruckten Sammlungen mit europäischen Volks- und Märchengeschichten.99 Bei der zehn Jahre später entstandenen Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance handelt es sich um eine Art Zwischenform zwischen der üblichen Gestalt der Commedia dell’arte in kurzen Szenen- und Inhaltsangaben und großen, die Inszenierung und die Aufführung des Schauspiels im Teatro San Manuele in Venedig beschreibenden und kommentierenden Teilen.100 Das Stück beginnt nach einem einführenden Prolog, in dem Gozzi es sich nicht hat nehmen lassen, seine ästhetischen Anschauungen zur Commedia dell’arte und zum Theater im Allgemeinen zu äußern und seine „satirische, doch geistvolle Kritik am Genre, ein Bekenntnis zum theatralischen Vergnügen“101 abzulegen. Der Jüngling, der den Prolog vorträgt, spricht das Publikum dabei direkt an und stellt das folgende Theaterstück, L‘amore delle tre melarance, vor. In den kommentierenden Teilen tauchen wiederholt die Namen Carlo Goldoni und (1712-1785) auf, zwei der großen Dramatiker des venezianischen 18. Jahrhunderts, deren Theateranschauungen und -techniken Gozzi scharf kritisierte.102 Chiari war zwar „Goldonis Hauptfeind in der ersten Zeit des venezianischen Theaterkrieges“103, doch auch Gozzi war seine Theaterideologie, die z.B. naturalistische und zugleich hochdramatische Tragödien mit lieto fine einschloss, nicht recht. Susanne Winter beschreibt L’amore delle tre melarance als „Fortführung und zugleich Höhepunkt der

99 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: The New Grove Dictionary of Opera, Bd. 3, hg. von Stanley Sadie, London 1992, S. 61. Leider kann aus Gründen des Umfangs nicht näher auf die Entstehung des Märchens eingegangen werden. Weiterführende Literatur: Jean-Michel Brèque, La fiabe de Carlo Gozzi: génie parodique, thèâtralité et merveilleux, in: L‘amour des trois oranges. Prokofiev. Opera de Lyon, Paris 1990 (L‘avant-scène Opera 133), S. 9-19. 100 In dieser Arbeit wurde Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance als Grundlage der Auseinandersetzung gewählt, weil es sich hierbei wahrscheinlich um die Vorlage Meyerholds handelt. Siehe dazu z.B.: Vladimir Zvara, Komische Oper, in: Musiktheater im 20. Jahrhundert, hg. von Siegfried Mauser, Laaber 2002 (Handbuch der musikalischen Gattungen 14), S. 117. 101 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 311. 102 Ein ausführliches Eingehen auf den Streit zwischen Gozzi, Goldoni und Chiari würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Anschaulich erläutert hat dies aber Susanne Winter, Von illusionärer Wirklichkeit und wahrer Illusion. Zu Carlo Gozzis Fiabe teatrali, Frankfurt a.M. 2007. 103 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 41.

23 Polemik gegen Goldoni und Chiari“104, denn „he boasted that he could ruin his antagonists by dramatizing the most ridiculous story in the world in the very manner Goldoni and Chiari most despised“105. Neben der Polemik gegen Goldoni und Chiari ging es Gozzi auch um die Unterhaltung des Volkes: „I further staked my reputation on drawing more folk together than he [Goldoni] could do with all his scenic tricks, by simply putting the old wives' fairy-story of the Love of the Three Oranges upon the boards.”106 Pokorný sieht einen der Gründe für die Wahl des Märchens darin, „daß man den Schattenseiten der Wirklichkeit ausweicht“107. Im Folgenden sei der Inhalt des Stückes wiedergegeben, um in den anschließenden Kapiteln auf der Basis dieser Inhaltsangabe die von Meyerhold und Prokofjew vorgenommen Veränderungen auszumachen.108

Silvio, Herrscher eines imaginären Königreiches und gekleidet wie der König Treff im Kartenspiel, klagt über die scheinbar unheilbare Krankheit seines Sohnes Tartaglia, der unter schwerer Melancholie und Hypochondrie leidet. Die konsultierten Ärzte sind nach etwas fragwürdigen Untersuchungen der Meinung, dass ihn nur Lachen kurieren könnte. Auf Anraten des königlichen Beraters Pantalone wird ein Fest organisiert und der Spaßmacher Truffaldino bestellt, um den Prinzen zum Lachen zu bringen. Clarice, die Nichte des Königs, und ihr Geliebter, der machtbesessene Premierminister Leandro, hecken währenddessen einen Plan aus, um den Prinzen aus dem Weg zu schaffen, damit sie selber den Thron besteigen können. Nachdem der Mordanschlag mit Hilfe von „versi martelliani“109 misslingt, sendet Fata Morgana, „Königin der Hypochondrie“ und Feindin des

104 Susanne Winter, Von illusionärer Wirklichkeit und wahrer Illusion, S. 73. 105 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 62. 106 Carlo Gozzi, The Memoirs of Count Carlo Gozzi, Bd. 2, Übersetzung ins Englische von John Addington Symonds, London 1890, S. 129. 107 Jaroslav Pokorný, Goldoni und das venezianische Theater, S. 26. 108 Die folgende Inhaltsangabe fertigte die Autorin eigenhändig auf Grundlage des Librettos an. 109 „Benannt nach den vom Tragödienautor Pier Jacopo Martello (1665-1727) verwendeten Versen nach dem Modell des französischen Alexandriners.“ aus: Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, in: Von illusionärer Wirklichkeit und wahrer Illusion. Zu Carlo Gozzis Fiabe teatrali, hg. von Susanne Winter, Frankfurt a.M. 2007, S. 281.

24 Zauberers Celio und damit auch des Königs, den Verrätern ihre Assistentin Smeraldina zur Hilfe. Leandros Diener Brighella klärt die Hinterhältigen darüber auf, dass Celio Truffaldino an den Hof hat kommen lassen, um die Bevölkerung vor der Ansteckung mit Hypochondrie zu bewahren. Trotz der Aufheiterungsversuche Truffaldinos badet der Prinz in Selbstmitleid und scheint unheilbar zu sein. Die Feierlichkeiten zu Ehren Tartaglias beginnen. Fata Morgana erscheint als alte Frau verkleidet, um sicherzugehen, dass der Prinz nicht lacht und somit nicht geheilt wird. Truffaldino versucht mit allen Mitteln den Prinzen aufzuheitern, doch ohne Erfolg. Erst als Fata Morgana von Truffaldino beschimpft wird, stolpert und stürzt, bricht der Prinz in schallendes Gelächter aus. Beschämt und wütend verflucht die Hexe Tartaglia mit martellianischen Versen, er werde sich unsterblich in drei Orangen verlieben. Sobald sie verschwunden ist, schlägt das Herz des Prinzen nur noch für die drei Orangen und er will sich sogleich auf die Suche nach ihnen begeben.

Der Beginn des zweiten Aktes zeigt Truffaldino und Pantalone, die erfolglos versuchen, den unaufhaltsamen Prinzen, der auf von seinem Vater versprochene Eisenschuhe wartet, von seinem Plan abzubringen. Tartaglia und Truffaldino, dem befohlen wurde, den Prinzen zu begleiten, brechen gegen den Willen des schon um den baldigen Tod seines Sohnes trauernden Königs auf, worüber sich Clarice, Leandro und Brighella sehr freuen. Zwischen ihnen entzündet sich ein kurzer Streit über die „richtige“ Art der Unterhaltung. Dabei plädiert Clarice für die Tragödie, Leandro für naturalistische Komödien und Brighella für die Maskenspiele bzw. Commedia dell‘arte. Eine Wüste vor Creontas Schloss: Der Magier Celio beschwört den Teufel Farfarello herauf. Dieser erscheint und erklärt Celio, was geschehen ist und noch geschehen wird. Nachdem Celio und Farfarello verschwunden sind, erscheinen Truffaldino und Tartaglia, die von einem kleinen Teufel mit Blasebalg, gesendet von Fata Morgana, verfolgt und auf Creontas Insel geblasen werden. Vor Creontas Schloss stößt Celio zu den Gefährten, um die beiden vor dem riesigen eisernen Tor, dem gefräßigen Hund und der furchteinflößenden Bäckerin, die keinen Besen hat und den Ofen deswegen mit

25 ihren Brüsten putzen muss, zu warnen. Damit sie die Gefahren überstehen, reicht der Zauberer Tartaglia Schweineschmalz, Brot und einen Besen. Außerdem sollen sie das Seil aus dem Brunnen holen und es zum Trocknen aufhängen und die Orangen nur in unmittelbarer Nähe zum Wasser öffnen. Währenddessen freuen sich Smeraldina und Brighella über den baldigen Tod des Prinzen. Aus einer herbeigebrachten Torte steigt Fata Morgana, um Smeraldina abzuholen und gemeinsam mit ihr dem Prinzen eine Falle zu stellen. Nachdem Tartaglia und Truffaldino das Schloss von Creonta erreicht und die Kette des eisernen Tores eingefettet haben, öffnet sich dieses und sie treffen auf einen kläffenden Hund, welchen sie mit Celios Brot versorgen. Truffaldino hängt das Seil aus dem Brunnen zum Trocknen auf und überreicht der Bäckerin den Besen; zeitgleich kann Tartaglia die Orangen stehlen. Während die Stimme Creontas zwecklos versucht, Bäckerin, Seil, Hund und Tor zum Aufhalten der Eindringlinge zu bewegen, verlassen diese überglücklich das Schloss.

Der letzte Akt beginnt mit einem Besuch Smeraldinas bei Fata Morgana, um sicherzugehen, dass Truffaldino und Tartaglia die Flucht von Creontas Insel misslungen ist, doch die Hexe hat Gegenteiliges aus der Hölle zu berichten. Allerdings hat sie schon einen Plan ausgeheckt und den Prinzen von Truffaldino getrennt; aufgrund von „magischem“ Hunger und Durst werde dieser dann eine Dummheit begehen. Fata Morgana überreicht ihrer Gehilfin eine verzauberte Haarnadel, die sie der zukünftigen Braut des Prinzen ins Haar stecken soll, woraufhin die Verzauberte sich in eine Taube verwandeln wird und Smeraldina, deren türkischen Akzent Fata Morgana kurzerhand weghext, ihre Stelle einnehmen kann. Nachdem die Hexe und ihre Gehilfin verschwunden sind, taucht Truffaldino mit den drei Orangen auf. Von Hunger und Durst getrieben, beschließt er, eine der Orangen zu öffnen. Dieser entsteigt eine weiß gekleidete junge Frau, die vor Durst umzukommen droht. Hilflos öffnet Truffaldino die zweite Orange, in der sich ebenfalls eine weiß gekleidete Frau befindet. Beide Frauen verdursten, weil Truffaldino den nahegelegenen See vor Hektik nicht

26 sieht. Als er im Begriff ist die dritte Orange zu öffnen, erscheint der Prinz und verjagt ihn. Erschrocken über die toten Mädchen ruft er zwei Dorfbewohner herbei, die die Leichen davontragen. Dann wendet er sich der dritten Orange zu und öffnet sie. Da auch dieses Mädchen zu verdursten droht, zieht der Prinz kurzer Hand einen seiner Eisenschuhe aus, schöpft Wasser aus dem See und gibt es dem Mädchen zu trinken. Nachdem sie sich erholt hat, verrät sie ihren Namen und ihre Herkunft: Prinzessin Ninetta; sie und ihre beiden Schwestern seien die Töchter des Königs der Antipoden und von Creonta in Orangen verwandelt worden. Die beiden verlieben sich augenblicklich ineinander und beschließen zu heiraten. Bevor der Prinz sie zum Hof bringen kann, bittet die Prinzessin ihn um angemessenere Kleidung, entstieg sie der Orange doch nur in einem Unterkleid. Tartaglia macht sich sofort auf den Weg, um Ninetta Kleider zu besorgen. Smeraldina schleicht aus ihrem Versteck hinter einem Baum, bietet der Prinzessin ihre Hilfe an und beginnt ihr das Haar zu kämmen. Sobald Smeraldina Ninetta die Nadel ins Haar geschoben hat, verwandelt diese sich in eine Taube und fliegt davon. Smeraldina kann nun ihren Platz einnehmen und heißt die Hofgesellschaft, die zu den Klängen eines fröhlichen Marsches herein marschiert, willkommen. Trotz des Widerspruchs des Prinzen, der den Betrug sofort erkennt, zwingt der König ihn zur Heirat mit der vermeintlichen Prinzessin. Ein eingeschobenes Bild zeigt Fata Morgana und Celio, die von den ihnen jeweils Dienenden angefeuert Karten spielen und sich einen poetischen Kampf in Versen liefern. Im Anschluss daran erscheint eine Küche mit dem zum Küchenchef aufgestiegenen Truffaldino, der verzweifelt versucht, einen Braten zuzubereiten. Eine Taube kommt hereingeflogen und sagt einen Schlafspruch für Truffaldino auf, der daraufhin sofort einschläft und den Braten verbrennen lässt. Dies wiederholt sich zweimal, bis Pantalone hereinkommt, um nach dem für die Hochzeit dringend benötigten Festmahl zu sehen. Zusammen können die beiden die Taube fangen. Als sie beginnen sie zu streicheln, bemerkt Truffaldino die Haarnadel, zieht sie heraus und die Taube verwandelt sich in Ninetta zurück. Als der König und sein Sohn hereinkommen, erkennt der Prinz sofort

27 überglücklich seine Prinzessin. Der König deutet ihnen, sich in die Speisekammer zurückzuziehen, und nimmt selbst auf dem Herd Platz. Er will der Betrügerin Smeraldina eine harte Strafe auferlegen, als plötzlich Celios Stimme erklingt und ihm sagt, er solle auch die weiteren Verräter, Leandro, Clarice und Brighella, bestrafen. Nachdem der König auch diese inhaftiert hat, beginnt ein großes Fest.

Gozzi hat sich durchaus an einige Konventionen der Commedia dell’arte gehalten, wie zum Beispiel die Verwendung von Masken oder die Beibehaltung nur weniger ausgeschriebener Teile neben dem Improvisationsfreiraum. Auch manche Commedia dell‘arte-Figuren wie Brighella, Pantalone oder Arlecchino (Truffaldino) finden Platz im Theaterstück und ebenso werden weitere konventionelle Figurenkonstellationen mit den mehr oder weniger „höheren“ Charakteren in Form des Königs und des Prinzen eingehalten. Zudem ist auch das Mädchen aus der Orange eine Prinzessin, kann doch der Prinz nur innerhalb des gleichen Standes heiraten. Außerdem gibt es die Bösewichte, namentlich Leadro, Clarice und Smeraldina, wobei es sich bei Letzterer auch um eine Figur der Commedia dell‘arte handelt. Gozzi fügte noch eine weitere Ebene hinzu, nämlich die der magischen Figuren in Form von Celio, Fata Morgana, Farfarello, Creonta und deren Diener. Tarakanow hat dies folgendermaßen bewertet:

Das Parallellaufen einer wirklichen und einer phantastischen Ebene stellt eine alte Tradition dar, die auf Volkssagen und -legenden zurückgeht. Wie in den Versepen Homers werden die realen Menschen [hier: Commedia dell‘arte- und herrschaftliche Figuren] von personifizierten Mächten begleitet, die die verfeindeten Seiten beschützen.110

Auch die einzelnen Handlungsstränge sind für sich betrachtet nicht außergewöhnlich. Neuartig ist allerdings die Parallelität und Vielzahl der Ereignisse, die auf verschiedenen Ebenen ablaufen und zwischen denen permanent gewechselt wird. Durch den Austausch der linearen Handlungsführung durch eine mosaikartige Szenerie wird demonstrativ die „Einheit des Ortes, der

110 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, in: Sergej Prokofjew. Beiträge zum Thema, Dokumente, Interpretationen, Programme, das Werk. Internationales Musikfestival Sergej Prokofjew und Zeitgenössische Musik aus der Sowjetunion, hg. von Juri Cholopow, Michail Tarakanow und Hermann Danuser, Duisburg 1990, S. 159.

28 Zeit und der Handlung“ missachtet, wie Gozzi selbst festhielt: „Qual irregolarità! Qual censura mal impiegata!“111. Die verschiedenen Vorgänge sind zusammengeworfen und miteinander verknüpft, so dass eine Geschichte mit deutlich voneinander unterscheidbaren Handlungssträngen entsteht. Um diese außergewöhnliche Dramaturgie zu schaffen, verwendete Gozzi eine Mischung aus „typischen“ Szenen bzw. Handlungsmustern und irrealen oder absurden Bildern und Entwicklungen. So kreierte er eine Art Märchen, dessen Fortgang teilweise sehr realitätsfern, allerdings oder gerade deswegen sehr unterhaltend ist. Die meisten der phantasievollen Szenen sind im zweiten und dritten Akt zu finden: das Aufeinandertreffen zwischen Celio und Farfarello, die gesamte Szene auf Creontas Burg mitsamt aller involvierten Gegenstände; die Tatsache, dass der Prinz sich in Orangen verliebt, aus denen dann Mädchen entsteigen, die verzauberten Haarnadeln oder die Existenz von Fata Morgana und Celio, um nur einige Beispiele zu nennen. Die wichtigste von Gozzi verwendete Technik in diesem Stück ist die Parodie. Die Funktion seiner Parodien besteht darin, auf stilisierte Szenentypen aufmerksam zu machen, die seiner Meinung nach zu häufig v.a. von Goldoni und Chiari verwendet wurden, um sie ins Lächerliche zu ziehen. Dafür bot sich die Commedia dell‘arte laut Taruskin besonders an: „Gozzi had cast the work in the form of commedia dell‘arte scenario, seeing in the slapstick comedy of masks an antidote to the heavy melodrama [Chiari] and the pretty naturalism [Goldoni] that were (he thought) degrading the contemporary theatre.“112 Zur Darstellung seiner Feinde bediente er sich der magischen Figuren, auch weil Fata Morgana (Chiari) und der Magier Celio (Goldoni) sich zwar wichtig und einflussreich aufführen, aber nicht wirklich zum guten Ende der Geschichte beitragen:

Aber die Nachfolger der romantischen Magier und Feen sind nicht allmächtig; das Schicksal der auf einer ,relativ wirklichen‘ Ebene angesiedelten Helden entscheidet sich nicht so sehr durch die wunderbare Einmischung jenseitiger Mächte als vielmehr durch ihre eigene Findigkeit und Initiative.113

111 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance rappresentazione divisa in tre atti, Venedig 1761, Akt 2. 112 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 61. 113 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 159.

29 Das übertrieben dramatische Auftreten, mit dem diese beiden Figuren Aufsehen erregen, ist somit nichts als leere Hülle und stellt lediglich „parodies of their literary prototypes“114 dar. Die durch den Zauberer und die Hexe repräsentierten Dichter werden in Gozzis reflexiver Analyse des Öfteren namentlich erwähnt, so z.B. bei der Vorstellung der Personen:

Si noti, che nella nimicizia della Fata Morgana, e di Celio Mago erano figurate arditamente e allegoricamente le battaglie Teatrali, che correvano allora tra i Signori due Poeti, Goldoni e Chiari, e che nelle due persone pure della Fata e del Mago, erano figurati in caricatura i due Poeti medesimi. La Fata Morgana era in caricatura il Chiari; Celio in caricatura il Signor Goldoni.115

Ein weiteres Beispiel für Gozzis Parodie der verfeindeten Dichter ist das Aufeinandertreffen und Kämpfen in „versi martelliani“:

Celio e Morgana avversi, e furiosi incontrandosi formavano la scena, ch'io trascriverà interamente col dialogo medesimo, e come seguì. Si rifletta, che, se le parodìe non danno nella caricatura, non hanno giammai l'intento, che si desidera, e s'usi indulgenza ad un capriccio, che nacque da un animo puramente allegro, e scherzevole, ma amicissimo nell'essenziale de' Sigg. Chiari e Goldoni.116

Außerdem wird auf spezielle Werke der Dichter eingegangen, um z.B. die Verwendung eines Blasebalgs zu rechtfertigen:

Ho infinito obbligo al Sig. Chiari dell'efffetto efficacissimo, che faceva questa diabolica parodia. Nelle sue Rappresentazioni, tratte dall'Eneide, egli faceva fare a' suoi Trojani nel giro d'una scenica azione de' viaggi grandissimi, senza il mio Diavolo col mantice. [...] Io vidi nel suo Ezelino, tiranno di Padova, in una scena soggiogato Ezelino e spedito un Capitano all'impresa di Trevigi soggetta all'armi del tiranno. Nell'Atto medesimo della stessa Rappresentazione, nella scena susseguente, ritornava il Capitano trionfante. Aveva fatte più di trenta miglia, aveva preso Trevigi, fatti morire gli oppressori; e in una fiorita narrazion, che faceva, giustificava l'azione impossibile colla gagliardia d'un suo bravissimo cavallo.117

Nachdem Fata Morgana den Kampf gegen das Lachen des Prinzen offensichtlich verloren hat und ihn deswegen verflucht, schreibt Gozzi: „Quali inezie! qual mortificazione per i due Poeti!“118 Der Dichter parodierte auch den höheren Stand, König und Prinz, die nicht die Aufgaben erfüllen, die ihnen traditionell zugeschrieben sind und sich nicht ihrem Stand entsprechend

114 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 62. 115 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 1. 116 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 3. 117 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 2. 118 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 1.

30 verhalten. Gozzi hat hier regelrechte Karikaturen angefertigt. So sind König und Prinz mit ihren übertrieben ausgelebten Melancholien und Depressionen weniger herrschaftlich, als es die Konvention des ernsten Dramas eigentlich vorsieht.119 Ein Beispiel dafür zu Beginn des Theaterstückes ist die Krankheit des Prinzen und die Sorge um ihn. Der König trauert übertrieben, zerbricht beinahe am Leid seines Sohnes, der durch ein so einfaches Mittel wie Lachen geheilt werden könnte. Gesteigert wird die Komik und Lächerlichkeit der Situation noch, wenn der Prinz, vor Selbstmitleid beinahe umkommend, von Truffaldino untersucht wird:

Truffaldino faceva dissertazioni fisiche, satiriche, e imbrogliate, le più graziose, che s'udissero. Truffaldino fiutava il fiato al Principe, sentiva odore di ripienezza di versi martelliani indigesti. Il Principe tossiva, voleva sputare. Truffaldino porgeva la tazza; raccolto lo sputo, lo esaminava; trovava delle rime fracide e puzzolenti.120

Gozzi drehte in gewissem Sinne die Figurenkonventionen um, indem insgesamt alle Situationen zwischen dem Prinzen und dem König von Übertreibungen und Lächerlichkeit geprägt sind:

Questa scena si faceva tra i quattro personaggi con una gravità sul caso, che la faceva doppiamente ridicola. Con una tragica, e drammatica maestà il Padre cercava di dissuadere il figliuolo dalla perigliosa impresa. Pregava, minacciava, cadeva nel patetico.121

Der Prinz ist aber nicht nur wehleidig sondern auch schadenfroh, bringt ihn doch nur der Fall der alten Frau zum Lachen: „Es bringt zwar den Heilungsprozeß in Gang, weist aber den Lachenden als einen empfindungsarmen Rohling aus, der durch das Missgeschick einer alten Frau erheitert wird. Zum Prinzen muß sich dieser Jämmerling erst noch qualifizieren.“122 Interessant, v.a. für die weitere Untersuchung, ist Gozzis Bezeichnung „grotesk“ für den Prinzen im zweiten Akt: „Gli stupori, i riflessi, che faceva questo grottesco Principe sui

119 Die Parodie adliger Figuren ist in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zwar nicht mehr außergewöhnlich, soll hier als Untersuchungsergebnis aber aus Gründen der Vollständigkeit trotzdem angemerkt werden. 120 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 2. 121 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 2. 122 Sigrid Neef, Die Opern Sergej Prokofjews, S. 95.

31 gusci delle due Melarance tagliate, e sopra a' due cadaveri delle giovinette, non sono dicibili.“123 Die Parodie sah Gozzi als ein erfolgreiches Mittel zur Unterhaltung des Publikums, z.B. in der Banalität mancher Lösungen oder in der Verwendung von trivialen Gegenständen; sie alle dienen der Verhöhnung der großen Dramen: „Tutte queste trivialità, che rappresentavano la favola triviale, divertivano l'Uditorio colla loro novità, quanto le Massère, i Campielli, le Baruffe Chiozzotte, e tutte l'opere triviali del Sig. Goldoni.“124 Nachdem Ninetta von Smeraldina verzaubert wurde, schreibt Gozzi:

A tutto il mirabile misto col ridicolo, e le puerilità di queste scene, gli uditori informati sino dai loro primi anni dalle balie, e dalle Nonne loro degli accidenti di questa fola, erano immersi profondamente nella materia, e impegnati strettamente cogli animi nell'ardita novità di vederli esattamente rappresentati sopra un Teatro. Al suono d'una marcia giungeva il Re di Coppe.125

Bemerkenswert an dieser Stelle ist auch die Erwähnung eines Marsches, der später für Prokofjew eine große Rolle spielen wird. Ernste Szenen und seriöse Figuren werden derartig übertrieben dargestellt, dass sie schon wieder komisch erscheinen. So findet im dritten Akt eine „scena facetamente amorosa“126 statt und Celio beschreibt die trivialen Gegenstände und Lebewesen, die die Reisenden auf Creontas Insel bedrohen, mit großen pathetischen Gesten: „Ma Celio li descriveva con gli occhi spalancati, con voce terribile, e come se fossero stati gran cose.“127 Auffällig ist außerdem die häufige Nennung der „versi martelliani“, wobei es sich um das in den Dramen angesehenste Vermaß handelt, das damals entweder für ernste Dramen oder für die Figuren hohen Standes und Edelleute eingesetzt wurde. Gozzi fand dieses zu einseitig und einschläfernd: „Ciò si diceva per censurare le Opere del Sig. Chiari, e del Sig. Goldoni, che stancavano scritte in versi martelliani colla monotonia della rima.“128 Er kehrte die Funktion des Versmaßes um, indem nur böse und „niedere“ Figuren in „versi martelliani“ sprechen. Nahezu alle ausgeschriebenen

123 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 2. 124 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 1. 125 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 3. 126 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 3. 127 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 2. 128 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 1.

32 Teile sind in martellianische Verse gefasst: der Fluch der Fata Morgana, Farfarello, Creonta, die Bäckerin, das Seil, der Hund, die Brücke und der Kampf zwischen Celio und Fata Morgana. Die einzigen ausgeschriebenen Teile, die nicht in martellianischen Versen verfasst wurden, sind die Rollen der Orangen- Prinzessinnen und der verzauberten Taube. Gozzi ging sogar noch strenger mit den „versi martelliani“ ins Gericht, wenn Leandro im ersten Akt plant, den Prinzen mit diesen zu vergiften: Das langweilige Versmaß als Tod für das lebendige Theater; „dadurch verteidigte Gozzi die Commedia dell’arte und deren heilende Kraft im Gegensatz der Unwirksamkeit zu martellianischen Versen und der modernen französischen Komödien, den ‚comédies larmoyantes‘“129, wie Fornaroli-Rauth bemerkte. Er schloß sein Stück auch mit einem Verweis auf das Französische ab:

Si troveranno in seguito le conseguenze grandi derivate da sì frivolo principio, nella parodia del quale chi conosce l'Italia, e non sarà entusiasta geniale della delicatezza francese, non formerà giudizio col confronto delle parodìe di quella nazione.130

Als Letztes sei noch auf eine kurze Szene aufmerksam gemacht, die für die weitere Untersuchung bedeutend sein wird: Das „Streitterzett“ zwischen Leandro, Clarice und Brighella, in dem es um die „richtige“ Theaterform geht:

Seguiva un contrasto in terzo sulla scelta de' divertimenti Teatrali. Clarice voleva Rappresentazioni tragiche, con dei personaggi, che si gettassero dalle finestre, dalle torri, senza rompersi il collo, e simili accidenti mirabili: Idest Opere del sig. Chiari. Leandro voleva Commedie di caratteri: Idest Opere del sig. Goldoni. Brighella proponeva la Commedia improvvisa colle maschere, opportuna a divertire un popolo con innocenza.131

Taruskin hat sich dazu folgendermaßen geäußert: „Erudite burlesque reached its height in a little set piece in Act 2, entitled the ,quarrel trio‘ (contrasto in terzo).“132 „Gozzis Märchen ist erfüllt von einem erfrischenden Volkshumor und stellt sich jeglicher Geschraubtheit, eingefahrener Routine und vorgetäuschter Tiefsinnigkeit auf der Bühne entschieden entgegen“133, wie Sawkina treffend

129 Dagmar Fornaroli-Rauth, I tre cedri und L’amore delle tre melarance, S. 138. 130 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 3. 131 Carlo Gozzi, Analisi riflessiva della fiaba L’amore delle tre melarance, Akt 2. 132 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 62. 133 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, S. 104.

33 beschrieben hat. Durch häufig eingebrachte Kritik, Parodien und Verhöhnung der Theaterkonventionen bot Gozzis Stück eine passende Vorlage für einen Theatermacher, der das gleiche Ziel verfolgte, nämlich das Theater zu revolutionieren: Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold.

3.2 Meyerholds Stück der Theaterrevolution

Es ging ihm um ein ,stilisierendes Theater‘ oder ein ,bedingtes Theater‘, wie er es nannte, die objektivierte und objektivierende schauspielerische Interpretation, die Versachlichung und Rationalisierung zu Ungunsten einer bloßen Gefühlsbetontheit und Über-Psychologisierung, eben um Stilisierung und wie bei den Maskenexperimenten um ,Darstellung‘, ,Verfremdung‘.134

Diese Worte Strellers charakterisieren Meyerholds Theatertheorie treffend, wenn auch nicht vollumfänglich, und sind bedeutend für die Auseinandersetzung mit seinem Schauspiel Ljubov k trjom apelsinam. Für dieses übersetzte und bearbeitete Meyerhold das Commedia dell‘arte-Stück Gozzis mit seinen Mitarbeitern und passte es den Gegebenheiten der russischen Theatersituation des beginnenden 20. Jahrhunderts an. In diesem Kapitel wird untersucht, welche Veränderungen vorgenommen wurden und wie diese aus dem historischen Kontext und der Meyerholdschen Theaterideologie heraus zu verstehen sind. Um dies anschaulich und verständlich darstellen zu können, ist es notwendig, zuvor die politischen Umstände und den historischen Hintergrund, vor dem Meyerhold seine Ideen entwickelte, zu beleuchten und seine Theaterauffassung zu erklären. Dieses soll im ersten Unterkapitel geschehen, bevor im zweiten näher auf Ljubov k trjom apelsinam und die dramaturgischen Besonderheiten bzw. Unterschiede zu Gozzis Stück eingegangen wird.

134 Friedberg Streller, Prokofjew und das vorrevolutionäre russische Theater. Opernästhetische Positionen des jungen Prokofjew, in: Bericht über das Internationale Symposium „Sergej Prokofjew – Aspekte seines Werkes und der Biografie“, hg. von Klaus Wolfgang Niemöller, Köln 1991 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 175), S. 271-272.

34 3.2.1 Meyerhold und die Revolution des Theaters

Der 1874 geborene Karl Theodor Kasimir Meyergold begann als Jurastudent deutsch-russischer Abstammung und sollte einer der bedeutendsten Regisseure und Theatertheoretiker Russlands bzw. der Sowjetunion werden, wie auch Frolova-Walker festgestellt hat: „It would not be exaggeration to say that Russian modernist theatre in general and opera in particular were born of Meyerhold, the most eminent avant-garde theatrical director of his time.“135 Nach seiner Namensänderung in Wsewolod Emiljewitsch Meyerhold und die Übernahme der russischen Staatsbürgerschaft 1895 studierte er Schauspiel an der von Nemirowitsch-Dantschenko geleiteten Theaterschule in Moskau und wurde danach unverzüglich in das Ensemble des Künstlertheaters (unter der Leitung von Konstantin Stanislavsky) aufgenommen.136 1905 wurde Meyerhold von Stanislavsky als Regisseur „an das beim Moskauer Künstlertheater gegründete experimentelle Studio-Theater“137 berufen, das dann u.a. wegen der Revolution nicht eröffnet werden konnte. Nach seiner Rückkehr nach St. Petersburg wurde er ans Alexandrinksi- und Marinksi-Theater bestellt, „wo er [...] neue Prinzipien der szenischen Gestaltung in Schauspiel (ausgehend vom russischen Volkstheater und der italienischer [sic!] Commedia dell‘arte) und Oper erprobte“.138 Die Erforschung und Umsetzung dieser Prinzipien vertiefte er u.a. in der 1913 erschienenen Aufsatzsammlung O teatre (Über Theater)139 und am neugegründeten „Studio auf der Borodinskaja“. Für Meyerhold bestand grundsätzlich das gleiche historische Umfeld wie das in Kapitel 2 beschriebene Prokofjews, und auch in Meyerholds Werken treten der Zeitgeist, die Revolution sowie die Suche nach Neuem offensichtlich zu Tage, wie Sawkina festgehalten hat:

135 Marina Frolova-Walker, Russian opera: between modernism and romanticism, in: The Cambridge Companion to Twentieth-Century Opera, hg. von Mervyn Cooke, Cambridge 2005, S. 182. 136 Jörg Bochow, Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, Berlin 1997, S. 195. 137 Jörg Bochow, Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, S. 196. 138 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 22. 139 Wsewolod E. Meyerhold, Über Theater, in: Wsewolod E. Meyerhold. Schriften. Aufsätze, Briefe, Reden, Gespräche, Bd. 1, hg. von A. W. Fewralski und Gisela Seeger, Berlin 1979, S. 93-275.

35 Die vielschichtigen geistigen und moralischen Probleme im Lande mußten sich zwangsläufig auch in der Kunst jener Epoche widerspiegeln und hier in der angespannten Suche nach neuen, für die Verkörperung der neuen Inhalte geeigneten Formen Ausdruck finden.140

Eine Zeitgenossin, seine Studentin Asja Lacis, hat die Situation und den Einfluss Meyerholds folgendermaßen beschrieben:

In diesen Tagen der politischen Reaktion freuten wir uns über die Revolte Meyerholds [...] gegen den kleinbürgerlichen Kult der Mittelmäßigkeit, des äußerlichen Anstands und des Wohlergehens, über die Revolte gegen die sentimentale heuchlerische Nächstenliebe, hinter der sich erbarmungsloser Egoismus verbarg.141

Hinsichtlich Meyerholds Schaffen und Einfluss müssen Zeitgeschehen und Umstände Russlands um 1900 im Hinterkopf behalten werden: der Russisch- Japanische Krieg, Hungersnöte, Bauernaufstände und die Kulmination der sozialen Missstände in der Revolution 1905 („Petersburger Blutsonntag“), was auch in Kunst und Kultur zu Protesten und der Suche nach neuen Wegen führte. Das Ergebnis Meyerholds wird als „Biomechanik“142 bezeichnet, „wonach Emotionen als Reflex physischer Prozesse entstehen, [eine] gegen die Individualpsychologie gesetzte Objektivierung“143, wozu er zum einen mit kodifizierten Theatersprachen und Bewegungstechniken wie denen der Commedia dell‘arte arbeitete, bzw. Topoi daraus adaptierte, zum anderen „sich auf Ideen und Ideologien des modernen Technologie-Zeitalters stützt[e]“144, wie Bochow erklärte. Hinzu kam noch die Auseinandersetzung mit dem

140 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, S. 7. 141 Asja Lacis, Revolutionär im Beruf. Berichte über proletarisches Theater, über Meyerhold, Brecht, Benjamin und Piscator, 2. durchgesehene und erweiterte Auflage, hg. von Hildegard Brenner, München 1976 (Passagen), S. 20. 142 Der Begriff „Biomechanik“ stammt ursprünglich aus der Biophysik und beschäftigt sich mit Bewegungsvorgängen biologischer Systeme. Meyerhold selbst hat diesen Begriff für sein Theater verwendet. Siehe z.B. Wsewolod E. Meyerhold, Der Schauspieler der Zukunft und die Biomechanik, in: Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, Jörg Bochow, Berlin 1997, S. 14-18. 143 Jörg Bochow, Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, S. 10. 144 Jörg Bochow, Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, S. 8.

36 russischen Jahrmarktstheater „Balagan“145 und die Verwendung grotesker Darstellungsmittel146:

Die Entwicklung vom Lustspiel zur Groteske erreichte einen Höhepunkt im russischen Theater der Zeit, in dem sie sich mit einer intensiven und facettenreichen inszenatorischen sowie kompositorischen Rezeption der Commedia dell‘arte und der Tradition des russischen Jahrmarktstheaters, des sogenannten ,balagan‘ verband.147

Meyerhold war aber nicht nur als Schauspielregisseur bekannt, sondern konnte sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch als Opernregisseur mit besonderer Affinität zur Musik einen Namen machen:

Es ist bekannt, daß Meyerholds Inszenierungen sich durch eine besondere innere Musikalität auszeichnen, eine bis ins Detail ausgearbeitete Regie-Partitur, die er nicht nur als Metapher im weiteren Sinne verstand, sondern als Ausdruck von echter Zusammenarbeit der Mitwirkenden mit führender Rolle der Musik, die diese Aufführung begleitete.148

Er inszenierte z.B. Richard Wagners Tristan und Isolde 1909 und Mussorgskys Boris Godunov 1911 am Marinski-Theater in St. Petersburg. Auch um die russische Erstaufführung von Prokofjews Le pas d‘acier 1927 bemühte er sich, wenn auch vergebens. 1923 eröffnete er sein eigenes Theater „TIM“ (Teatr imeni Meyerholda), ab 1926 GosTIM (Staatliches Meyerhold-Theater)149 genannt, das sich „zur Experimentierwerkstatt für Theater entwickelte“150. Eine Studentin Meyerholds hat festgestellt: „Seine Aufführungen sprengten den Akademismus und verjagten den Geist des Würdenträgertums.“151 Ähnlich wie Gozzi 150 Jahre zuvor erstrebte auch Meyerhold die Überwindung des Naturalismus und

145 Zum Balagan hat Meyerhold seine Gedanken in einem Essay festgehalten: Wsewolod E. Meyerhold, Balagan, in: Theateroktober. Beiträge zur Entwicklung des sowjetischen Theaters, hg. von Ludwig Hoffmann und Dieter Wardetzky, Leipzig 1972, S. 64-100. 146 Seine Auffassung von Groteske hat Meyerhold ebenfalls im Aufsatz Balagan festgehalten. Siehe Wsewolod E. Meyerhold, Balagan, in: Theateroktober. Beiträge zur Entwicklung des sowjetischen Theaters, hg. von Ludwig Hoffmann und Dieter Wardetzky, Leipzig 1972, S. 64-100. 147 Vladimir Zvara, Komische Oper, S. 116-117. 148 Karine Melik-Paschajewa, Theatralität und Inszenierung der Opern von Sergej Prokofjew, in: Bericht über das Internationale Symposium „Sergej Prokofjew – Aspekte seines Werkes und der Biografie“, hg. von Klaus Wolfgang Niemöller, Köln 1991 (Kölner Beiträge zur Musikforschung 175), S. 200. 149 Jörg Bochow, Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, S. 197. 150 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 38. 151 Asja Lacis, Revolutionär im Beruf, S. 16.

37 plädierte für ein Theater, das „ein Gegengewicht gegen das Vorherrschen der psychologischen Natürlichen Schule bilden“152 sollte, wobei er sich auf den Symbolisten Valerij Brjusov und dessen Drama Balagančik (1906)153, dem „Prototyp symbolistischer Dramenkunst“ des „bedingten Theaters“ bezog.154 Dabei sah der Regisseur einen weiteren Gesichtspunkt als wichtig an: die „Teilnahme“ des Publikums aufgrund der Aktivität des Schauspielers, aber unter Ausschluss des Naturalismus und Psychologismus:

Das Theater auf den Lehrsätzen der Psychologie aufzubauen bedeutet, ein Haus auf Sand zu bauen. [...] Indem der Schauspieler die richtige Lösung für seinen physischen Zustand findet, kommt er in eine solche Situation, wo sich bei ihm die ,Erregbarkeit‘ einstellt, die den Zuschauer ansteckt und ihn in das Spiel des Schauspielers einbezieht.155

Diese „Teilnahme“ der Theaterbesucher wird noch bedeutend für die Untersuchung des Schauspiels Ljubov k trjom apelsinam werden. Auch bei der Betrachtung Meyerholds und seines Theaters kann die politische Dimension nicht außer Acht gelassen werden, denn wie Prokofjew und viele andere Künstler der Sowjetunion unterlag auch er der Doktrin des Regimes, richtete sich allerdings nicht danach. Obwohl er 1921 der Kommunistischen Partei beigetreten war, fiel sein Theater einem Prawda- Artikel156 zum Opfer, wurde als „fremdes Theater“ angegriffen und 1938 geschlossen.157 Infolgedessen wurde Meyerhold der Spionage bezichtigt, verhaftet, gefoltert, zum Tode verurteilt und am 2. Februar 1940 erschossen. Sigrid Neef hat Meyerholds Werdegang wie folgt zusammengefasst:

Er bekannte sich offen und arglos zum Lächerlichmachen und Verlachen von Herrschaftsstrukturen. Anfangs wurde er dafür belohnt, mit Arbeitsprivilegien, Ruhm und Orden. Doch je mehr sich die neue kommunistische Macht selbst etablierte, desto stärker geriet der einst Gefeierte in die Kritik, wurde als ,Volksfeind‘ diffamiert, verlor sein Theater, wurde verhaftet und schließlich als ,Schädling‘ erschossen.

152 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 158. 153 Meyerhold inszenierte 1906 die Uraufführung dieses Werkes. Leider kann aus Gründen des Umfangs an dieser Stelle nicht näher auf Bloks Drama eingegangen werden, Parallelen wie z.B. die Aufhebung der Theaterwirklichkeit sind aber offensichtlich. 154 Ulrich Schmid, Aleksandr Blok. Balagančik - Die Schaubude, in: Das russische Drama, hg. von Bodo Zelinsky, Köln u.a. 2012 (Russische Literatur in Einzelinterpretationen 3), S. 318. 155 Jörg Bochow, Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, S. 17. 156 Artikel in: Prawda, 17. Dezember 1937. 157 Jörg Bochow, Das Theater Meyerholds und die Biomechanik, S. 198.

38 3.2.2 Doktor Dapertuttos „Ljubov k trjom apelsinam“

Während seiner Suche nach neuen Wegen des Theaters und der damit verbundenen Beschäftigung mit der Commedia dell‘arte musste Meyerhold früher oder später auf Carlo Gozzi und seine die Commedia dell‘arte reformierenden Ideen stoßen. Dieses geschah zu Beginn des 20. Jahrhunderts und Meyerhold und seine Mitarbeiter Konstantin Wogak und Wladimir Solowjow begannen, sich mit Gozzis Theaterstück auseinanderzusetzen. Die Wahl fiel nicht grundlos auf die Commedia dell‘arte, sondern gründete auf den sozialen Umständen, denen das damalige russische Volk ausgesetzt war und für dessen Neuorientierung sich eine „Volkstheatertradition“ anbot, die eine Renaissance des Volkstheaters und damit auch der Commedia dell‘arte bewirken sollte.158 Stenzl führte die Hinwendung zum italienischen Volkstheater auf folgenden theatergeschichtlichen Einschnitt zurück:

Die ,neue Aktualität‘ dieses alten Theaters beruht auf einem Bruch mit einem alten Theater, dem bürgerlichen Illusionstheater des 19. Jahrhunderts. Sie markiert sowohl dessen Ende wie einen Beginn, ein im Grundsätzlichen anderes Theater, ein Theater für ein neues Jahrhundert.159

Wieso sich die Commedia dell‘arte für dieses von Stenzl angesprochene avantgardistische Theater des beginnenden 20. Jahrhunderts besonders eignete, hat Zvara ausführlicher erläutert:

Die Commedia dell’arte und die mit ihr verwandte Tradition des russischen Jahrmarktstheaters mit ihrem anti-illusionistischen und mimisch-gestischen [...] Charakter, ihren Typen und Masken, ihrer Vorliebe für die Hervorhebung des Details auf Kosten des Ganzen und ihrem Verzicht auf einen ‚höheren‘ Kunstanspruch wiesen deutliche Affinität mit der anti-romantischen Avantgarde vor und nach dem ersten Weltkrieg auf.160

Als einer der ersten beschäftigte Meyerhold sich mit der Commedia dell‘arte, wobei die Adaption eines Textes Gozzis trotz des großen zeitlichen Abstands

158 Wsewolod E. Meyerhold, Biographisches, in: Wsewolod E. Meyerhold. Schriften. Aufsätze, Briefe, Reden, Gespräche, Bd. 1, hg. von A. W. Fewralski und Gisela Seeger, Berlin 1979, S. 337. 159 Jürg Stenzl, Montierte Commedia dell‘Arte. Zu Sergej Prokofjews ,Die Liebe zu den drei Orangen‘, in: Musik und Ästhetik 6/ Nr. 23, hg. von Ludwig Holtmeier, Richard Klein und Claus-Steffen Mahnkopf, Stuttgart 2002, S. 35. 160 Vladimir Zvara, Komische Oper, S. 114-115.

39 schon beinahe auf der Hand lag, erstrebte doch auch er die Überwindung des Naturalismus und Psychologismus und suchte nach neuen Ausdrucksformen des Theaters, wodurch sein Stück für das „neue russische Theater“ Meyerholds161 prädestiniert war:

Meyerchol‘d suchte in seiner russischen Textadaption, parallel zu Gozzis Anlehnung an den Geist der Commedia dell‘arte, nach neuen Formen des Theaters. Improvisation ersetzt die Interpretation, Imagination die Illusion, Magie die Moral, buffoneske Brillanz die ausgearbeitete Bühnenrealistik. In diesem Theater bleibt das Künstlerische zugleich als Künstliches durchsichtig.162

Dabei darf nicht vergessen werden, dass auch Gozzi sich im Prinzip auf eine Gattung konzentrierte, deren Blütezeit schon in der Vergangenheit lag. Dieser Versuch der Wiederbelebung mit neuen Mitteln konnte nicht von allen Zeitgenossen nachvollzogen werden und „Gozzi [wurde] damals zu Unrecht als regressiv, reaktionär und realismusfeindlich verketzert“163, wie Kröplin sich 1985 äußerte. Weiter fährt der Autor fort: „Erst heute hat sich in der sozialistischen Gesellschaft ein Realismus-Verständnis herausgebildet, das in der Lage ist, auch die komplizierte, spannungsvolle Realitätsbezogenheit der Ästhetik Gozzis aufzunehmen.“164 Was Meyerhold speziell an Gozzis L‘amore delle tre melarance interessierte, hat der Regisseur selbst folgendermaßen formuliert:

Wir sollten ihm [Gozzi] dankbar sein, daß er uns ein Gerüst gibt, auf dem wir unser wahrhaft modernes Theater bauen können. Also hat mich die Maske als solche interessiert, als Symbol? Nein, diese Art Fragestellung soll doch der Teufel holen - mich interessierte die Analyse der Darstellungsmittel!165

Nachdem Wogak eine Übersetzung vom Italienischen ins Russische angefertigt hatte, konnten Meyerhold und seine Mitarbeiter beginnen, das Commedia dell‘arte-Stück ihren Zeitumständen und Vorstellungen anzupassen. Ljubov k trjom apelsinam wurde 1914 im neugegründeten Schauspielstudio uraufgeführt und erschien gleichzeitig in der von 1914 bis 1916 von Meyerhold unter dem

161 Mehr zu Meyerholds Ideen und Gedanken in: Wswsolod E. Meyerhold. Schriften. Aufsätze, Briefe, Reden, Gespräche, hg. von A. W. Fewralski und Gisela Seeger, Berlin 1979. 162 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 976. 163 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 310. 164 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 310. 165 Wsewolod E. Meyerhold, Aus einer Rede während einer Diskussion über ,Die schöpferische Methode des Meyerhold-Theaters‘, in: Wsewolod E. Meyerhold. Schriften. Aufsätze, Briefe, Reden, Gespräche, Bd. 2, hg. von A. W. Fewralski und Gisela Seeger, Berlin 1979, S. 228.

40 Pseudonym „Doktor Dapertutto“166 herausgegebenen Künstler-Zeitschrift, die nach Gozzis Schauspiel benannt wurde.167 Diese Zeitschrift hatte einen nicht geringen Einfluss auf die Zeitgenossen, unter den Studenten ging sie „von Hand zu Hand“.168 Die Ziele Meyerholds, Solowjows und Wogaks bei der Auseinandersetzung mit dem Commedia dell‘arte-Stück waren laut Streller folgende:

Die russischen Gozzi-Adapteure beabsichtigten [...] den Handlungsverlauf [...] zu verfremden, den Zeitströmungen des Theaterlebens am Jahrhundertwechsel satirisch-akzentuiert Ausdruck zu verleihen. [...] Nicht Illusionen sollen geschaffen, sondern theatralische Imagination, statt Moralpredigt soll Magie geboten werden, Buffonerie und fantastisches Spiel statt ausgefeilte Realisten im Bühnengeschehen.169

Um die eben beschriebenen Ziele zu erreichen, mussten an dem für die venezianische Gesellschaft des 18. Jahrhunderts geschriebenen Stück einige Änderungen vorgenommen werden. Doch allein der Rückbezug auf die vergangene Theaterform und die Übertragung auf die russische Gesellschaft des 20. Jahrhunderts machen dieses Stück zu etwas Besonderem, wie Taruskin bemerkt hat:

What makes it historically significant is the clarity of its descent from the 18th- century aristocratic model. Even if Prokofiev had never set it, Meyerhold's Love for Three Oranges would have been a prime document of the emergent modernist sensibility and of its sources.170

Auf den ersten Blick fällt auf, dass Meyerhold große Teile des Stückes beibehalten hat, wobei die Passagen über Goldoni größtenteils und die über Chiari vollkommen eliminiert wurden, aus dem simplen Grund, dass dieser Streit für das Russland des 20. Jahrhunderts keine Rolle mehr spielte.171 Das Märchenstück wurde von drei Akten in ein Divertissement mit zwölf Bildern,

166 Der Name Doktor Dapertutto ist eine Anspielung auf die Figur E.T.A. Hoffmanns in Die Abenteuer der Sylvester-Nacht, in: Fantasiestücke in Callots Manier, Bd. 4, 1814/15. 167 Wsewolod E. Meyerhold, Ljubov k trjom apelsinam, in: Ljubov k trjom apelsinam: Schurnal doktora Dapertutto, Jg. 1 (1914), Heft 1. 168 Asja Lacis, Revolutionär im Beruf, S. 18. 169 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 131. 170 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 62. 171 In diesem Kapitel wurde hauptsächlich mit der deutschen Übersetzung von Gerhard Neubauer und Gerda Baumbach gearbeitet, die sehr nahe am Originaltext ist. Aus: Susanne Winter, Von illusionärer Wirklichkeit und wahrer Illusion. Zu Carlo Gozzis Fiabe teatrali, Frankfurt a.M. 2007, S. 279-304.

41 Prolog, Epilog und drei Intermedien umgearbeitet, um die szenischen Sprünge und damit die Diskontinuität hervorzuheben. Trotzdem entsteht durch die nach der vierten und neunten Szene angesetzten Pausen der Eindruck einer Dreiaktigkeit. Auch die Figuren wurden größtenteils beibehalten, dazugekommen sind die Wunderlichen, zwei Narren, ein Ausrufer, Figuranten, Alltags-Komiker und Doppel-Tragöden. Die beschreibend-erklärenden, zur Improvisation angesetzten Anteile überwiegen eindeutig die ausgeschriebenen. Tatsächlich in Dialogen gedichtet sind nur die Teile der Wunderlichen, der Narren, Fata Morganas Fluch, das Schluchz-Quartett in der fünften Szene, der Streit zwischen Clarice, Leandro und Brighella, Farfarellos Part, ein Figuranten-Chor, die Teile Creontas und ihrer Gefangenen, die Texte der Mädchen aus den Orangen, der Kampf zwischen Fata Morgana und Celio und das Gespräch zwischen Truffaldino und der Taube. Die ausgeschriebenen Texte und die erklärenden Teile wurden dabei überwiegend lediglich übersetzt und unverändert beibehalten. Interessant ist die genaue Beschreibung des Bühnenbildes zu Beginn des Schauspiels. Im hinteren Bühnenraum ist eine zweistöckige Fassade mit vielen Türmen und Vorhängen und einem großen Tor in der Mitte aufgebaut. Dahinter befindet sich eine zweite Bühne. Im zweiten Stock ist eine Terrasse, von deren beiden Seiten Treppen auf die Bühne führen. Auf dem Proszenium sind zwei an den Seiten befindliche Türme vorgesehen, auf denen sich die Narren befinden und in deren unteren Teilen die Schauspieler Requisiten in Nischen platzieren.172 Die gravierendste Veränderung Meyerholds basiert auf einer kurzen Szene Gozzis: dem Streit zwischen Clarice, Leandro und Brighella über die richtige Art der Unterhaltung. Daraus formten Meyerhold und seine Mitarbeiter ein gänzlich neues Gerüst für das Schauspiel. Zwar wurde der Junge, der in Gozzis Prolog seine Theateranschauung erklärt und das folgende Stück vorstellt, beibehalten, aber er wird von einer dramaturgisch übergeordneten Ebene, bestehend aus den Alltags-Komikern, Doppel-Tragöden und Wunderlichen, für das Publikum sichtbar auf die Bühne geschickt. Vorher schon, in der

172 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, in: Von illusionärer Wirklichkeit und wahrer Illusion. Zu Carlo Gozzis Fiabe teatrali, hg. von Susanne Winter, Frankfurt a.M. 2007, S. 279.

42 „Parade“, lieferten sich diese von Meyerhold hinzugefügten Gruppen einen Kampf um das beste Theatergenre. Die Wunderlichen trieben die Kontrahenten auseinander, indem sie die anderen Fraktionen beschimpften und das Publikum auf „die Akteure, die das Echte vorstellen werden“173 aufmerksam machten. Dabei spielt auch das oben beschriebene Bühnenbild eine Rolle: „The spatial frame was to consist of twin turrets on opposite sides of the stage, housing a collection of clowns representing aesthetes of various antagonistic persuasions.“174 Die Narren beobachten das Theaterstück von den Proszeniumstürmen und kommentieren oder erläutern das Geschehen zu Gunsten der Verständlichkeit für das Publikum. Dabei sind sie nicht soweit übergeordnet, dass sie nicht mit den Figuren auf der Bühne interagieren, z.B. lacht der König zustimmend zu einem Kommentar der Narren.175 Zur Veranschaulichung sei hier einer dieser Kommentare besprochen: In der dritten Szene befindet Truffaldino sich im Schlafzimmer des Prinzen, um ihn zum Lachen zu bringen. Dieser ist aber zu tief in seine Hypochondrie versunken, so dass die Aufheiterungsversuche vergeblich bleiben. Zuvor hatte Leandro versucht, den Prinzen mit martellianischen Versen zu vergiften, was Truffaldino kommentarlos beim Aufstoßen des Prinzen bemerkt und von den Narren folgendermaßen hervorgehoben wird:

Zweiter Narr auf dem Turm: „Er hat Leandros Gift bemerkt!“ Der Prinz hustet, will ausspucken. Erster Narr auf dem Turm: „Er hustet von den martellianischen Versen!“ Truffaldino gibt ihm eine Tasse. Nimmt die Spucke entgegen, beschaut sie, findet faulige und stinkende Reime. Zweiter Narr auf dem Turm: „Das sind sie, die martellianischen!“176

Interessanterweise hat Meyerhold die martellianischen Verse beibehalten, die mit der russischen Dichtung nicht in Verbindung stehen; die Nennung der Versart dient der Verfremdung durch das Gefühl der „fremden“ Theaterform. Die Figuranten übernehmen eine ähnliche Funktion wie die Narren. Nach Fata Morganas Fluch fallen die Narren beinahe von den Türmen, auf denen dann auch die närrischen Figuranten erscheinen. In der siebten Szene haben diese ihren großen Auftritt: Nachdem Celio die beiden Mutigen vor den Gefahren in

173 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, S. 280. 174 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 62. 175 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, S. 282. 176 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, S. 286.

43 Creontas Schloss gewarnt hat, kommen die Figuranten von den Türmen und ermahnen den Prinzen, die Orangen nur in der Nähe eines Gewässers zu öffnen. Durch diese hinzugefügten, vorerst übergeordneten, im Laufe des Spiels aber zunehmend gleichrangigen Ebenen wird die Dramaturgie dahingehend verändert, dass das Publikum unaufhörlich ein „Spiel im Spiel“ sieht, wobei die Theaterwirklichkeit aufgehoben und dies dem Publikum durch Kommentare und Erklärungen ständig vorgeführt wird. Dadurch, dass das Publikum auf Distanz gehalten wird, ist eine Identifikation oder ein Mitfühlen mit den Bühnencharakteren nicht möglich, sondern führt zur kritischen Beobachtung. Das Stück bleibt ohne eigene Wirklichkeit als Künstliches sichtbar. Hierzu trägt z.B. Celio bei, der in der elften Szene den Ausgang des Schauspiels erzählt, so dass die Spannung auf das Ende nur bis zu einem gewissen Grad aufgebaut und durch ein Interesse auf die Entwicklung ersetzt wird. Zu diesem Gefühl der Distanz trägt auch der Ausrufer bei, der die Intermedien ankündigt und dem Publikum erklärt, was in diesen passieren wird. Im ersten Intermedium zwischen der ersten und zweiten Szene kündigt er ein Kartenspiel zwischen Fata Morgana und Celio an, wobei der Streit zwischen diesen beiden Figuren mit martellianischen Versen in Szene elf beibehalten wurde. Im zweiten Intermedium zwischen Szene fünf und sechs handelt es sich um den „Streit über die Wahl der Theater-Vorstellungen“ zwischen Brighella, Clarice und Leandro und im dritten Intermedium zwischen elfter und zwölfter Szene findet die Zeremonie zur Erhebung Truffaldinos zum königlichen Koch statt. Die Intermedien spielen unter verschiedenen Gesichtspunkten wichtige Rollen: Das erste soll die Anhänger des „prunkvollen Schauspiels“ mit vielen Spezialeffekten befriedigen, wobei auch hier die Bühnenrealität negiert wird, indem die Figuren dem Publikum sichtbar hereingetragen werden und Celio und Fata Morgana sich den ZuschauerInnen vorstellen. Obwohl dieses Intermedium eingeschoben, also eigentlich einer anderen dramaturgischen Ebene zugehörig ist, beziehen sich Figuren des Märchenspiels auf diese, so z.B. Brighella, der berichtet, dass Truffaldino von Celio an den Hof gebracht wurde aus Gründen, die im Intermedium erklärt wurden.177 Diese Szene wird später bei Prokofjew

177 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, S. 284.

44 noch eine Rolle spielen. Das zweite Intermedium ist ebenfalls eine Besonderheit, da hier eine auch schon bei Gozzi in der ersten Hälfte des zweiten Aktes vorkommende Szene ausgebaut wurde. Im Mittelpunkt steht bei Meyerhold die Commedia dell‘arte-Figur Brighella, während bei Gozzi alle drei Protagonisten gleichrangig waren. Das Sensationelle dieser Szene liegt darin, dass die jeweiligen zuvor dramaturgisch übergeordneten Gruppen auf die Bühne kommen, um das ihnen zugeordnete Genre zu veranschaulichen. Das bedeutet, dass zu Clarices Worten über die Tragödie die Doppel-Tragöden erscheinen und pantomimisch „in der Manier der übertriebenen Parodie“178 eine völlig absurde Tragödie mit lieto fine vorspielen. Bei Leandros Debatte für die naturalistische Komödie treten die Alltags-Komiker auf und spielen eine „Parodie auf ein Bild aus einer Komödie von Goldoni“179. Nur Brighella stellt seine Commedia dell‘arte alleine vor, schlüpft in jede Rolle und beklagt den Untergang der Gattung und der Schauspieler. Diese Szene bringt eine weitere Ebene zum Vorschein, auf der ein „Spiel im Spiel im Spiel“ stattfindet, das von einer zuvor übergeordneten Gruppe gegeben wird, was den Grad an Absurdität so dermaßen steigern soll, dass das Publikum bald nicht mehr weiß, welches nun das eigentliche Spiel ist, weil die dramaturgischen Ebenen sich beinahe untrennbar miteinander verknüpfen. Außerdem werden hier sämtliche Theatergenres parodiert. Das dritte Intermedium ist interessant, weil es durch die übertrieben zelebrierte Weihe zum königlichen Koch und die Tänze des Küchenpersonals die satirischen und grotesken Elemente verstärkt. Durch diese Verschmelzung von verschiedenen dramaturgischen Ebenen und die Hervorhebung von satirischen und grotesken Zügen entsteht eine neue Form von anti-illusionistischem Theater und Distanz zwischen Bühne und Publikum, die verdeutlicht wird durch das offensichtliche Holen und Bringen von Requisiten und die Anwesenheit der Charaktere, über die gesprochen wird. So wird z.B. Truffaldino von Pantalone aus den Kulissen geholt; im Hintergrund laufen Truffaldino oder Fata Morgana über die Bühne, wenn über sie gesprochen wird; Leandro geht zu den Doppel-Tragöden und reißt ihnen einen Zettel mit martellianischen Versen aus der Hand, um ihn Clarice zu zeigen.

178 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, S. 291. 179 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, S. 291.

45 Bemerkenswert und zugleich nicht überraschend für die Zeit Meyerholds ist die von ihm vorgenommene Auswechslung der Dorfbewohner durch vorbeimarschierende Soldaten, die die Mädchenleichen davontragen. Darüber hinaus wurden die Slapstick-Teile, wie z.B. Tortenschlachten, in der Bearbeitung entfernt. Die komische Liebesszene zwischen Tartaglia und Ninetta ist zu einer Trennung unter Seufzern verkommen, dafür aber, wie oben bereits erläutert, Truffaldinos Ehrung zum königlichen Koch zu einem ganzen Intermedium ausgebaut. Interessanterweise sind in der russischen Bearbeitung häufigere Hinweise auf musikalische Einschübe und Begleitungen gegeben als im italienischen Original. Das Stück beginnt mit Trompeten- und Trommelklängen aus dem Off. Im ersten Intermedium sollen Celio und Morgana sich zu Musikbegleitung vorstellen, die Festmusik unterbricht Tartaglias Selbstmitleid und regt Truffaldino dazu an, den Prinzen auf die Terrasse zu führen; und unter den Klängen eines Marsches erscheint der König mit seinem Volk, um die zukünftige Schwiegertochter kennenzulernen. Im dritten Intermedium tritt der Ausrufer unter Trompetenklängen auf und während der Zeremonie erklingt Musik. Zwar gibt es keine genaueren Angaben zur Musik, doch Meyerholds musikalisches Denken und die häufige Erwähnung im Text könnten dazu beigetragen haben, Prokofjew die Imagination und Komposition zu erleichtern. Abschließend soll noch der Epilog besprochen werden, der nicht auf Gozzi zurückgeht. Hier verkündet Truffaldino dem Publikum das Ende des Märchens. Er spricht das Publikum, Kritiker und Schriftsteller direkt an und tadelt diese:

Aber unsre eifrigen Schreiberlinge, viel zu sehr beschäftigt mit nicht enden wollendem Lob der Doppel-Tragöden, diese eifrigen Theater-Lieferanten, und der Alltags-Komiker, diesen Publikumslieblingen, werden sich morgen wieder in ihren Blättchen mit erlesenem Geschimpfe äußern... So wird es auch den drei Wunderlichen ergehen und der Masken-Comödie und Carlo Gozzi und den drei Orangen...180

Mit diesen Worten soll das Publikum angeregt werden, über Präferenzen und Konventionen nachzudenken, bevor eine Zukunftsvorhersage oder zumindest die Hoffnung darauf preisgegeben wird:

180 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, S. 304.

46 Allergnädigste Damen und Kavaliere! Kleine Ursachen gebären große Wirkungen. In der Folge werden sich die großen Resultate einfinden, die aus einer so albernen Sache wie der heutigen parodistischen Vorstellung entspringen. Wer Italien kennt, wird kein begabter Enthusiast französischer Feinheit sein, der...181

Bevor Truffaldino seinen Text fertig aufsagen kann, fällt der Vorhang. Besonders interessant ist in diesem Abschnitt „Kleine Ursachen gebären große Wirkungen“, denn es spiegelt den Zeitgeist des beginnenden 20. Jahrhunderts in Russland wieder, die „Sensation der Trivialität“182: „Es ist eine Grunderfahrung dieser Epoche, daß nicht das Außergewöhnliche entscheidend ist, sondern das Alltäglich-Triviale“183, wie Neef erklärt hat. Das zeigen nahezu alle Wendungen und Lösungen des Geschehens: z.B. Lachen als Heilung oder der Fluch, sich in Orangen zu verlieben. Weiter fährt die Autorin fort:

Das Phantastische [ist] mit dem Realen genauso verquickt wie das Parodistisch- Groteske mit dem Tragischen; Trivialitäten bewirken Katastrophen oder Wunder, pompöse Staatsaktionen gehen ins Leere. Die fortwährende Doppelbödigkeit der Handlung wird spielerisch erhellt.184

Mit dem letzten von Truffaldino gesprochenen Satz wird die Distanz zwischen Bühne und Publikum nochmals vergrößert. Nicht nur, dass das Publikum direkt angesprochen und somit der Theaterwirklichkeit entrissen wird, wodurch die Möglichkeit des Miterlebens und -fühlens eingeschränkt ist, nun wird auch noch vom italienischen und französischen Theater gesprochen.185 Meyerhold und seine Mitarbeiter erweiterten Gozzis Märchen um mehrere dramaturgische Ebenen. Diese scheinen vorerst übergeordneter Art zu sein, verschmelzen aber im Laufe des Stückes zunehmend miteinander, so dass die Ebenen kaum mehr voneinander trennbar sind und das „Spiel im Spiel im Spiel“ die ursprüngliche Handlung nahezu verdeckt. Redepenning hat die Essenz der Meyerholdschen Bearbeitung folgendermaßen zusammengefasst:

181 Gerda Baumbach, Gerhard Neubauer, Die Liebe zu den drei Orangen, Übersetzung, S. 304. 182 Sigrid Neef, Die Opern Sergej Prokofjews, S. 92. 183 Sigrid Neef, Die Opern Sergej Prokofjews, S. 92. 184 Sigrid Neef, Art. L’amour des trois oranges, in: Piper, S. 69. 185 Auch wenn italienische und französische Opern zum Standardrepertoire der russischen Bühnen gehörten, wird hier trotzdem desillusioniert, zum einen weil sich dieses nicht auf das Schauspiel bezieht und zum anderen Italien und Frankreich nicht Teil der „russischen Realität“ waren.

47 The play [...] provided the idea of an anti-bourgeois, anti-illusionist drama which brings the artificial, artistic element to the fore and dispenses with psychological study of the characters. The three planes of the action [...] are constantly disintegrated and rearranged like a mosaic.186

Selbst das Publikum bekommt eine eigene Funktion im Schauspiel (wenn auch eine passive) und wird gleichzeitig auf Distanz gehalten, so dass das Mitfühlen und Identifizieren mit den auf der Bühne agierenden Charakteren auf ein Minimum beschränkt wird. Die „Kunst-Leben-Differenz, die ästhetische Distanz [wird] gewahrt, ja sogar betont“187, die Vorstellung von „Realität“ auf der Bühne kommt gar nicht erst auf. Die Komik Gozzis, die durch Übertreibung, Parodie und satirische Elemente erzeugt wurde, wird noch verstärkt und um die groteske Darstellung, die in Russland eine lange Tradition besaß,188 erweitert: „Die Verfasser beabsichtigten damit, den zeitgemäßen Strömungen des Theaterlebens zu Beginn unseres Jahrhunderts satirisch zugespitzten Ausdruck zu verleihen“189, wie Kröplin festgestellt hat. Manche dieser Ideen und Methoden stimmen auch mit dem westeuropäischen Zeitgeist der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts überein und scheinen zum Beispiel im deutschsprachigen Raum an Bertolt Brecht und sein episches Theater zu erinnern. In der Tat gibt es einige Parallelen190: Das Publikum ist ein Betrachter, es wird dem Theater gegenübergesetzt anstatt hineinversetzt und ist deswegen emotional weniger involviert. Außerdem steht jede Szene mehr oder weniger für sich und das Geschehen läuft nicht linear, sondern in Sprüngen ab; dabei werden Zustände aneinandergereiht.191 Frolova-Walker hat hinsichtlich der Parallelen zwischen

186 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 409. 187 Hanns-Werner Heister, Trennung der Elemente und Verfremdung, in: Musiktheater im 20. Jahrhundert, hg. von Siegfried Mauser, Laaber 2002 (Handbuch der musikalischen Gattungen 14), S. 197. 188 Michael V. Pisani, ,A Kapustnik‘ in the American Opera House: Modernist and Prokofiev‘s ,Love for Three Oranges‘, in: The Musical Quarterly 81/ Nr. 4 (Winter 1997), S. 487. 189 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper. S. 311. 190 Wahrscheinlich gibt es weniger Gemeinsamkeiten als Unterschiede, deren Erläuterung hier nicht vorgenommen werden kann und Gegenstand anderer Arbeiten ist. Siehe u.a. Katherine Bliss Eaton, The Theater of Meyerhold and Brecht, London 1985 (Contributions in Drama and Theatre Studies 19). 191 Vergleich hierzu z.B. Kurt Weill, Vorwort zum Regelbuch der Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, in: Anbruch. Monatsschrift für moderne Musik XII (1930), 1. Dezember 1930, S. 5-7, zitiert nach: Musik und musikalisches Theater. Gesammelte Schriften, hg. von Stephen Hinton und Jürgen Schebera, Mainz 2000, S.103-105.

48 Meyerhold und Brecht festgehalten: „The fundamental ideas of modernist theatre that are usually associated with Brecht generally had their origins in Meyerhold‘s revolutionary practices, which predate their Brechtian incarnation by several years.“192 Bezüglich der auf der Bearbeitung basierenden Oper Prokofjews kann folgende Feststellung Strellers zur Aufklärung dieser möglichen Konfusion beitragen:

Aber Brecht konnte für Prokofjew natürlich kein Bezugspunkt sein, sondern nur die Entwicklung des russischen und jungsowjetischen Theaters [...] des 20. Jahrhunderts, also der Einfluß des vorrevolutionären Theaters in Rußland, das weit vor Brecht neben anderen sogenannten realistischen Richtungen ein distanziert (also verfremdet) darlegendes oder stilisierendes Theater anstrebte, weitab vom Psychologismus, wie er sich auch im nachwagnerschen Musikdrama zeigte. Prokofjew erlebte diese Bewegung ab 1904 als Student des Petersburger Konservatoriums.193

Mit Ljubov k trjom apelsinam scheint Meyerhold seine Ziele erreicht zu haben: die Verbannung des Naturalismus von der Bühne, die Einbeziehung des Publikums und das Künstlerische als Künstliches sichtbar zu machen. „This was one of the very earliest applications of illusion-destroying ,art as art‘ gimmickry, soon to become such a modernist cliché.“194 Welche Änderungen notwendig waren, um das Stück Meyerholds für die Opernbühne tauglich zu machen, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.

192 Marina Frolova-Walker, Russian opera: between modernism and romanticism, S. 182. 193 Friedbert Streller, Prokofjew und das vorrevolutionäre russische Theater, S. 269-270. 194 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 62.

49 3.3 Der Komponist als Librettist

Während in Deutschland der linksrevolutionäre ,Spartakus‘ von Reichswehr und Freikorps niedergeschlagen wird, am 15.1. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet werden, in Paris der Völkerbund gegründet wird, in München die Räterpublik [sic!] zerschlagen wird, Hitler sich erstmals mit antisemitisch-nationalen Thesen meldet, in Deutschland die Geldinflation beginnt und in Rußland der Bürgerkrieg tobt, arbeitet Prokofjew in Amerika an seiner Oper Die Liebe zu den drei Orangen.195

Es war Wsewolod Meyerhold selbst, der Prokofjew 1917 auf die Vorlage zu L’amour des trois oranges aufmerksam machte.196 Laut Streller geschah dies aus folgendem, die beiden Künstler verbindendem Grund: „In den Opern Prokofjews entdeckte Meyerhold, daß er die Fortführung jenes freien Rezitativs realisierte, das einen dramatischen Schauspieler fordert.“197 Als der Komponist Russland im Mai 1918 für seine Reise nach Amerika verließ, trug er die erste Ausgabe von Meyerholds Zeitschrift „Ljubov k trjom apelsinam: Schurnal doktora Dapertutto“ (Die Liebe zu den drei Orangen oder Doktor Dapertuttos Magazin) bei sich, in welcher die Bearbeitung von Carlo Gozzis Commedia dell’arte-Stück L’amore delle tre melarance abgedruckt war, die Prokofjew aufgrund der Mischung aus Märchenhaftem, Humoristischem und Satirischem beeindruckte.198 L‘amour des trois oranges kann als eine erste - wenn auch sehr indirekte - „Zusammenarbeit“ betrachtet werden und als Beginn einer schöpferischen Bindung zwischen Prokofjew und Meyerhold, die sich über zwei Jahrzehnte, vom Frühjahr 1917 bis zum Sommer 1939, erhalten sollte.199 Den Einfluss Meyerholds auf Prokofjews Oper hat Jaffé festgehalten:

Meyerhold, when discussing with Prokofiev the possibility of turning Gozzi‘s play into an opera, may have told him his ideas of anti-realistic theatre which [...] was reaching the stages of the Soviet Union [...]. Prokofiev almost certainly had something of this kind of staging in mind when writing the opera. Significantly, its most successful production in his lifetime was to take place in Leningrad in the late 1920s, when Meyerhold‘s theatre was at its most influential.200

195 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 33. 196 Karine Melik-Paschajewa, Theatralität und Inszenierung der Opern von Sergej Prokofjew, S. 199. 197 Friedbert Streller, Prokofjew und das vorrevolutionäre russische Theater, S. 278. 198 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben, S. 79. 199 Karine Melik-Paschajewa, Theatralität und Inszenierung der Opern von Sergej Prokofjew, S. 199. 200 Daniel Jaffé, Sergey Prokofiev, London 1998, S. 71.

50 Mit diesem Heft von Meyerhold machte Prokofjew sich also auf den Weg in die Neue Welt und „auch während der vier Monate dauernden Reise arbeitete der Komponist am Libretto“201, gestaltete das Theaterstück in eine für die Musiktheaterbühne nutzbare Fassung um. Die Libretto-Einrichtung Prokofjews orientiert sich relativ eng an der russischen Bearbeitung Meyerholds, wobei die unternommenen Veränderungen sich nicht nur durch die Notwendigkeit für die Operntauglichkeit erklären lassen, sondern auch hinzugefügte dramaturgische Besonderheiten einschließen. Prokofjews Hauptmittel, die er einerseits von Meyerhold übernommen, andererseits verstärkt oder sogar hinzugefügt hat, sind parodistischer, karikaturistischer und satirischer Art, u.a. mit Hilfe von Übertreibungen und Verzerrungen. Die Forschungsliteratur beschäftigt sich weniger mit den Details der vom Komponisten vorgenommenen Änderungen, sondern konzentriert sich überwiegend auf die Gesamtaussage des Werkes mit dem Schwerpunkt auf der Übertragung der Theaterparodien auf die Oper. Im Folgenden sollen Meyerholds Adaption und Prokofjews Libretto im Detail verglichen und die Libretto-Einrichtung auf stilistische Besonderheiten untersucht werden, wobei „von Außen nach Innen“ geblickt wird, von der strukturellen Anlage des Librettos zum Inhalt. Bei der Umarbeitung des Theaterstücks in eine für das Musiktheater nutzbare Fassung ging Prokofjew „von Meyerholds Idee der satirischen Demontage des realistischen und psychologischen Theaters, dem Nutzen der Mittel der Verfremdung und des theatralischen Spiels“202 aus, wie Streller bemerkt hat. Einen Ansatzpunkt für die Umsetzung dieser Mittel fand der Komponist v.a. in den theatralischen Möglichkeiten, die ihn von Beginn der Beschäftigung an reizten, wie er in seiner Autobiographie festhielt: Die drei Realitätsebenen (Märchenfiguren, Mächte der Unterwelt, komische Gestalten) öffneten dramaturgisch und musikalisch vollkommen neue Türen.203 Außerdem gefiel Prokofjew der Humor des Stückes, war er doch generell ein „spaßiger“ Mensch, wie Schostakowitsch in seiner Autobiografie ausführt:

201 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 126. 202 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 131. 203 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben, S. 80.

51 Prokofjew hatte zwei Lieblingswörter. Das eine war ,spaßig‘. Mit diesem Wörtchen charakterisierte er alles ringsum. Alle Menschen, Musik, Ereignisse. Ihm erschien auch vollkommen ausreichend, den ,Wozzeck‘ spaßig zu finden. Das andere Wörtchen war ,Verstanden?‘.204

Wie bereits in obigen Kapiteln teilweise ausgeführt, ist diese Komik schon im Inhalt und in den Charakteren zu bemerken, wie Sawkina dargelegt hat:

Komisch sind auch die Hauptpersonen der Handlung: Der majestätische, aber dennoch nicht humorlose König; der ‚Spaßvogel‘ Truffaldino; der aufgeblasene Zauberer Celio, [...] der junge Prinz, der zunächst recht fade, schwächlich und ‚hypochondrisch‘ wirkt, nach seiner plötzlichen, durch Lachen erfolgten Heilung sich jedoch unsterblich verliebt und entschlossenen Wagemut zeigt. Im Laufe der zügig vor sich gehenden Handlung wechseln ganz unwahrscheinliche Situationen mit heiteren Abenteuern.205

Prokofjew behielt große Anteile und Ideen der Meyerholdschen Adaption bei, nahm aber auch erstaunlich viele und gravierende Änderungen vor. Diese beginnen bereits bei der Sprache: Bei der immer wieder gestellten Frage, warum das Libretto auf Französisch übersetzt wurde, anstatt es bei seiner Muttersprache zu belassen oder zumindest Englisch zu verwenden, liegt die Antwort nahe, dass Prokofjew die englische Sprache noch nicht ausreichend beherrschte, Russisch in Amerika keine Option war und er Französisch schon als Kind von seinem französischen Kindermädchen mehr oder weniger gelernt hatte.206 Da Französisch sich als relativ neutrale Sprache anbot, wurde das russische Libretto von Vera Janacopoulos207 in eben diese Sprache übersetzt.208 Neben der Übersetzung handelt es sich auch bei der Struktur um eine auffällige Umarbeitung. Sie wurde von Prokofjew modifiziert, um das Theaterstück für die Opernbühne tauglich zu machen: Die zwölf Szenen, Prolog, Epilog und drei Intermedien zerlegte der Komponist und rekonstruierte sie zu vier Akten in zehn Bildern und einem Prolog. Meyerholds Parade und Prolog sind bei Prokofjew zum Prolog verschmolzen, das erste Intermedium

204 Dmitri Schostakowitsch, Solomon Wolkow, Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch, S. 102. 205 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, S. 104-105. 206 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 405. 207 Vera Janacopoulos (1892-1955) war eine brasilianische Sopranistin. Sie gab u.a. ein Konzert mit Prokofjew in der Carnegie Hall 1918, siehe: Music Notes, in: The New York Times, 13. Oktober 1918. 208 Zidaric hat sich mit der Übersetzungsfrage näher beschäftigt: Walter Zidaric, The Love for Three Oranges: Between Tradition and Modernity, in: Sergej Prokofjew in der Sowjetunion. Verstrickungen-Missverständnisse-Katastrophen, Berlin 2004 (Prokofjew-Studien 1/studia slavica musicologica 35), S. 145-146.

52 wurde zum zweiten Bild, die Szenen vier und fünf sind im fünften Bild vereint, das Thema des zweiten Intermediums wird im Prolog und im Laufe des Stückes mehrfach aufgegriffen und konnte somit als eigenständige Szene gestrichen werden; Szene acht und der Epilog wurden ebenso nicht in die Oper aufgenommen. Die sechste und siebte Szene wurden in Bild sechs zusammengefasst, auch das dritte Intermedium und Szene neun haben sich unter Hinzufügung neuer Ideen und Ereignisse vereint und das Ende wurde neu verfasst. Obwohl der Epilog gestrichen wurde, sind doch einige seiner Kernaussagen programmatisch für die ganze Oper, wie z.B. „Kleine Ursachen gebären große Wirkungen“. So trifft das Publikum im Laufe der Oper z.B. auf ein Armbändchen und einen Eimer Wasser, die Leben retten. Auch die szenischen Sprünge (in Form von Aneinanderreihung verschiedener Schauplätze) wurden trotz der Neugestaltung beibehalten, um der Oper durch schnelle Szenenwechsel einen dynamischen Verlauf zu verleihen, den auch Heister erkannt hat: „Rasch, oft blitzartig und kaleidoskopisch wechseln die Situationen und damit die musikalischen Charaktere.“209 Dies ist charakteristisch für viele Werke Prokofjews, denn „er opponierte oft gegen die Langwierigkeit: ‚Sie sind drauf und dran, über solchen Kunstgriffen die ganze Spontanität zu verlieren‘, rief er aus“210, wie sein Schüler Moreux berichtete. Mit diesen Änderungen passte Prokofjew sein Werk teilweise den Konventionen der Oper an, fügte eine Pause für die ZuschauerInnen nach dem Wendepunkt, dem Fluch der Fata Morgana, ein und stellte eine symmetrische szenische Anlage her: „Die Mitte, wo [...] die Hexe selbst den Prinzen durch ihr komisches Auftreten zum Lachen brachte, stellt sich somit als Höhepunkt dar: - befreiendes Lachen des Prinzen und des Hofstaates - unseliger Fluch der Hexe.“211 Der Prolog repräsentiert die Vorgeschichte bzw. eine hervorgehobene Ebene, Bild zwei und neun sind den Kämpfen zwischen Tchélio und Fata Morgana gewidmet und der oben erwähnte Höhepunkt befindet sich im fünften Bild. Die Neudichtung des letzten Bildes und des Finales zielen ebenfalls auf ein traditionelles Opernfinale ab, denn obwohl die Bösewichte nicht gefasst

209 Hanns-Werner Heister, Trennung der Elemente und Verfremdung, S. 194. 210 Serge Moreux, Mit den Augen des Freundes gesehen, S. 25. 211 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 134.

53 werden können, werden am Ende der König und das glücklich vereinte Liebespaar gefeiert. Doch nicht nur strukturelle, sondern auch personelle Veränderungen waren Prokofjews Meinung nach nötig für die Opernbühne. Die Besetzung der Figuren, die das Geschehen tatsächlich vorantreiben, wurde reduziert bzw. konzentriert: Der Knabe wurde ersetzt durch einen „Maître de Cérémonies“ (Zeremonienmeister), der dem Publikum im Prolog die Ausgangssituation (Krankheit des Prinzen und Verzweiflung des Königs) erklärt und im Laufe des Stückes wiederholt auftritt. Die Figur Brighella wurde gestrichen bzw. seine wichtigen Teile von Sméraldine und Trouffaldino übernommen, die Rolle des Teufels mit dem Blasebalg wurde Farfarello zugedacht und Fata Morganas Auftritte durch kleine Teufelchen ergänzt. Die Szene Creontas und ihrer Anhänger wurde eliminiert und durch eine Cuisinière (Köchin) ersetzt; hier taucht das Thema des dritten Intermediums in veränderter Form auf. Außerdem hat Prokofjew manche Figuren noch höher stilisiert bzw. typisiert: Der König und der Prinz tragen keine Namen mehr, dafür kommen Linette und Nicolette für die zwei zuvor unbenannten Prinzessinnen aus den Orangen hinzu. Auch die Aufführungsumstände, gedacht war von Anfang an Amerika als Aufführungsort, ließ Prokofjew nicht außer Acht und machte aus dem Ritter Leander „Léandre, premier ministre“ und aus der Araberin Smeraldina „Sméraldine, une noire". Konzentration auf Wichtiges und Vermeidung von Langweiligkeit sind nicht nur in der groben Anlage und Besetzung zu finden, sondern auch im Libretto. Tarakanow ist zuzustimmen, wenn er feststellt, dass „verstärkte Lakonik und Konzentriertheit“212 prinzipielle Merkmale des Prokofjewschen Librettos sind, wobei Streichungen und Kürzungen sich aus der für die Hinzufügung von Musik nötigen Beschränkung des Textes ergeben, damit die Oper nicht den zeitlichen Rahmen sprengt. Wie Kröplin treffend bemerkt hat, haben die Kürzungen zur Folge, dass „alles Satirische, Inaktive, Aufhaltsame [...] eliminiert [ist], betont werden Lebendigkeit, Aktivität, Lakonisches und Kontrastreichtum“213. Der Komponist musste die erklärenden, zur Improvisation

212 Michail Tarakanow, Das Opernschaffen, S. 146. 213 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 312.

54 vorgesehenen Teile ausschreiben und Dialoge hinzufügen, „wobei der Text des Librettos mitunter Züge einer versartigen Struktur, eine periodische Aufgliederung in vergleichbare Zeilen“214 annahm, um ihn für das von Prokofjew gedachte Musiktheater nutzbar zu machen, was die Komik des Stückes in Form von Parodie und Übertreibung durch Wiederholung noch mehr hervorhebt. Als Beispiel sei hier das erste Bild aufgeführt:

Le Roi de Trèfles: „O, pauvre moi!“ Pantalon: „Pauvre!“ Le Roi de Trèfles: „O, pauvre fils!“ Pantalon: „Pauvre!“ Le Roi de Trèfles: „Pauvre royaume!“ Le Roi sanglote Pantalon: „Pauvre!“ Ridicules: „Mais il perdra son prestige royal! Son prestige...“

[König Treff: „Oh, bin ich arm!“ Pantalon: „So arm!“ König Treff: „Oh, armer Sohn!“ Pantalon: „Armer!“ König Treff: „Oh, armer König!“ Pantalon: „Ärmster!“ Die Lächerlichen: „Dieses Geheule ist einfach würdelos. Er vergisst sich!“]215

Prokofjews Veränderungen beschränkten sich allerdings nicht nur auf strukturelle Modifikationen und Ausschreiben von Dialogen, sondern schließen auch einige kleinere Änderungen ein, um manche Szenen für die Opernbühne wirkungsvoller und interessanter zu machen. Zum Beispiel tragen die Lächerlichen Spaten mit sich herum, um die Genrevertreter von der Bühne zu scheuchen. Meyerholds Effektreichtum während des Kartenspiels zwischen Tchélio und Fata Morgana mitsamt Donner und Blitzen behielt Prokofjew nicht nur bei, sondern erweiterte die Szene auch um „diablotins/petits diables“ (kleine Teufelchen). Das fünfte Bild (bei Meyerhold Szene vier und fünf) wurde umgestellt, so dass das Finale des zweiten Aktes mit dem Fest beginnt, was für ein Opern(halb)finale szenisch wirksamer ist. Die Verweise auf das Sprechtheater und im Speziellen auf die Commedia dell‘arte wurden nicht übernommen, sondern das gesamte Geschehen auf das Musiktheater übertragen: „Anstatt die

214 Michail Tarakanow, Das Opernschaffen, S. 146. 215 Dieses und folgende Zitate und Übersetzungen bzw. deutsche Bearbeitungen stammen aus: Serge Prokofieff, Klavierauszug vom Komponisten, Boosey and Hawkes, London 1922. Auch wenn es sich hierbei nicht um wörtliche Übersetzungen handelt, schien es der Autorin sinnvoll, sich auf die von Prokofjew freigegebene Übersetzung zu beziehen, die der Musik angepasst ist.

55 Stereotypen des ernsten Schauspiels zu verspotten, wie es in dem Streit der Tragiker und der Komiker im Prolog geschieht, diffamierte Prokofjew aufs heftigste die Opernschablonen.“216 Eines der wenigen Merkmale, die noch auf die Commedia dell‘arte verweisen, ist die Figur des Trouffaldino: „In dieser Gestalt verkörpert sich am lebendigsten die anrührende, aktivierende Grundhaltung der Volkstheatertraditionen“217, wie Kröplin festgehalten hat. Im Gegensatz zu Brighella hat Prokofjew diese Figur beibehalten, da sie Drahtzieher vieler Situationen und somit eine der aktiven Hauptfiguren ist. Die wichtigste inhaltliche Neuerung ist, wie auch bei Meyerhold, im Prolog zu finden. Taruskin ist zuzustimmen, wenn er feststellt: „The most noteworthy difference is the hugely expanded role Prokofiev accorded the ,Greek chorus‘ of onstage spectators - the very thing Meyerhold and his colleagues had already so significantly expanded from Gozzi‘s little ,quarrel trio‘.“218 Wunderliche, Narren und Figuranten sind zu den „Ridicules“ (Lächerliche) verschmolzen und „Lyriques“ (Lyriker) und „Têtes Vides“ (Hohlköpfe) wurden hinzugefügt „to cover every sort of standard operatic situation and cliché“219: „Jede dieser Gruppen ist Anhänger eines bestimmten Bühnengenres, und so versuchen diese ‚Repräsentanten des Publikums‘ im Laufe der Vorstellung ihre jeweils dem eigenen Geschmack entsprechenden Forderungen anzubringen.“220 Bereits im Prolog sprechen die Gruppen ihre Wünsche aus: Die Tragiques fordern „Tragédies mondiales et philosophiques!“, die Comiques „Du rire joyeux, du rire sonore!“, die Lyriques „Donnez de vrais drames lyriques, romantiques, émotionnants, des fleur, la lune!“ und die Têtes Vides „Des farces amusantes! Des mots d‘esprit grivois!“. Die Lächerlichen verjagen die Genrevertreter zwar von der Bühne, damit das von ihnen angepriesene Spiel (L‘amour des trois oranges) beginnen kann, doch kritisieren sie, im Gegensatz zu Meyerholds Wunderlichen und Narren, die Theatergattungen und ihre Verteidiger nicht, sie agieren mehr oder weniger als Spielleiter auf den Türmen, im wahrsten Sinne auf höherer Ebene. Die kommentierende Funktion haben sie

216 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 158. 217 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 313. 218 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 62. 219 Richard Taruskin, Art. Love for Three Oranges, in: New Grove Opera, S. 62. 220 Natalja Pawlowna Sawkina, Sergej Sergejewitsch Prokofjew, S. 99-100.

56 beibehalten, erweitert wurde ihre Rolle um das Einschreiten in die Bühnenhandlung. Im zehnten Bild retten die Lächerlichen die Situation und somit das Ende der Oper, indem sie den König hochleben lassen, nachdem das Volk hilflos dem Verschwinden der Bösewichte zusehen musste. Prokofjew parodierte hier die konventionellen lieti fini, die häufig erzwungen und sinnlos erscheinen. Noch gravierender ist ihr Eingreifen im achten und neunten Bild: Als Ninetta zu verdursten droht und kein Wasser in Sicht ist, retten die Lächerlichen ihr Theaterstück vor dem vorzeitigen und traurigen Ende, indem sie der Prinzessin einen Kübel mit Wasser bringen. Im neunten Bild sperren sie Fata Morgana in einen der Türme, als Tchélio erneut zu verlieren droht. Die Ridicules lösen somit nicht nur scheinbar unlösbare Probleme auf der Bühne mit einfachen Mitteln, sondern „stören“ damit auch die Handlung und sind ein wichtiges Mittel zur Verstärkung des schon von Meyerhold verwendeten Verfremdungseffekts (V-Effekt).221 Mitfühlen und -fiebern ist kaum möglich, verhalten die Lächerlichen sich doch teilweise wie RegieassistentInnen, die Requisiten vergessen haben, oder wie ein deus ex machina, der von außen in die Handlung eingreift, wenn keine logische Lösung in Sicht ist. Es ist offensichtlich, dass Prokofjew mit den Opernkonventionen spielte und sie parodierte. Neben den Lächerlichen treten auch die verschiedenen Genregruppen im Laufe des Stückes wiederholt auf. Sobald eine für das jeweilige Genre „typische“ Opernsituation eintreten könnte, schlagen die dazugehörigen Vertreter Alarm, stürmen freudig auf die Bühne, machen damit auf die Szene aufmerksam und werden von den Lächerlichen verscheucht. Durch ihre Auftritte bewirken sie das Gegenteil von dem was sie eigentlich wollen, denn konventionelle Opernsituationen werden dadurch gestört oder entstehen erst gar nicht. Die Tragischen treten im dritten Bild auf, nachdem Léandre seinen Mordplan offengelegt hat:

221 Als weiterer verfremdender Aspekt kann auch die Sprache betrachtet werden, denn die französische Sprache wurde mit großer Wahrscheinlichkeit nicht von allen ZuschauerInnen in den USA verstanden. Ob dieser distanzschaffende Effekt ursprünglich gewollt war oder nicht, mit der Übersetzung der Oper in die jeweilige Landessprache tritt dieser Verfremdungseffekt nicht ein.

57 Les Tragiques: „Donnez nous, donnez nous de grandes tragédies! Meurtres! Souffrances! Douleurs! Des âmes torturées! Des solutions profondes!“ Les Ridicules repoussent les Tragiques dans la coulisse: „Encore ces types!“ Les Tragiques par un effort inattendu pêne-trent de nouveau sur la scène: „Des souffrances mondiales!“ Les Ridicules les chassent. Rentrent dans les Tours avec un air agacé: „Ça fatigue vraiment!“

[Die Tragischen: „Tragödien! Tragödien! Gebt gute Tragödien! Tränen und Seufzer und Mord! Der Väter tiefes Leid! Himmlische Offenbarung!“ Die Lächerlichen mit Schaufeln aus den Türmen stürzend: „Schon wieder sie!“ Die Tragischen kehren zurück: „Grössten Schmerz der Erde!“ Die Lächerlichen verjagen sie. Kehren in die Türme zurück: „Wie ermüdet das!“]

Die Komischen hören ihr Stichwort im vierten Bild, im Zimmer des Prinzen, wenn Trouffaldino vom bevorstehenden Fest erzählt:

Les Comiques, se ruent sur le proscenium: „Donnez nous du rire, des vraies comédies! Du rire joyeux, du rire sonore!“ Les Ridicules: „Sortez d‘ici, sortez plus vite!“ Les Comiques: „Des scènes vivifiantes!“ Les Ridicules: „Laissez faire Trouffaldino. Il peut, sans vous, guérir le Prince.“

[Die Komischen, auf die Bühne eilend: „Komödien! Komödien! Ach gebt uns Komödien! Wir wollen herzerfrischend lachen!“ Die Lächerlichen: „Verschwindet! So schnell wie möglich!“ Die Komischen: „Lasst klingen frohe Weisen.“ Die Lächerlichen: „Warum stört ihr Truffaldino! Er hat auch so genug zu tun.“]

Der große Auftritt der Lyrischen befindet sich im achten Bild in der Liebesszene zwischen dem Prinzen und Ninette:

Les Lyriques: „Donnez de vrais drames lyriques, romantique, émotionnants! Des fleurs, la lune!“ Les Ridicules, des tours, en mettant les doigts sur les lèvres: „Silence... en silence... Si vous aimes l‘amour. Ne troublez pas les amoureux.“ Les Lyriques: „Des moments d‘extase!“

[Die Lyrischen: „Lieblich lyrisches Stück, mit romantischem Gefühl! Sie sind verliebt!“ Die Lächerlichen vom Turm: „Leiser, bitte leiser... Wenn ihr die Liebe liebt... Ein Liebespärchen stört man nicht.“ Die Lyrischen: „Zarte, süsse Küsse!“]

Die Hohlköpfe haben ihren Einsatz an einer besonderen Stelle, bei der gleichzeitig der V-Effekt verstärkt wird. Nachdem der Prinz sich auf die Reise begeben und seinen verzweifelten Vater zurückgelassen hat, gibt dieser dem Theater die Schuld für das Verhalten seines Sohnes:

58 Le Roi: „A qui la faute? La faute est à ces sales farces!“ Pantalon: „Ces farces vulgaires!“ Têtes Vides: „Vite, vite, des farces amusantes, des mots d‘esprit grivois!“ Le Roi, excité, frappe du pied et crie contre les Têtes Vides: „Sortez de suite!“ Têtes Vides: „Donnez nous du luxe! Ne pas penser, mais rire, rire!“ Les Ridicules, sautant des tours: „Silence!“

[Der König: „Wer trägt die Schuld hier? Die Schuld daran trägt das Theater.“ Pantalon: „Trägt das Theater!“ Hohlköpfe: „Schwänke! Schwänke! Gebt Unsinn, macht Klamauk. Seid albern und frivol.“ Der König, zu den Hohlköpfen: „Weg! Verschwindet!“ Hohlköpfe: „Zeigt feine Toiletten! Wir wollen lachen und nicht denken.“ Die Lächerlichen springen aus den Türmen: „Verschwindet!“]

Nicht nur, dass der König das Theater erwähnt, also aus seiner Rolle heraustritt und dem Publikum mitteilt, dass er sich der Theatersituation bewusst ist, auch befiehlt er den Hohlköpfen zu schweigen, womit diese ihre übergeordnete Position verlassen und sich die verschiedenen dramaturgischen Ebenen vermischen, was wiederum dem Publikum ein offensichtliches Theater vor Augen führt und die Distanz erhöht. Weitere Beispiele für komische und zugleich verfremdende Maßnahmen sind u.a. im dritten Bild zu finden: Nachdem Clarice ihre Mordmethoden offen gelegt hat, tänzelt Trouffaldino mit Masken, Schnarren und Klappern über die Bühne, scheinbar völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Im Anschluss an Sméraldines Erklärung bezüglich der Beziehung zwischen Trouffaldino und Tchélio erscheint dieser auf der Bühne und wird von Léandre wahrgenommen:

Obscurité. Au fond de La scène passe Tchélio éclairé. Léandre, sous l‘impression de l‘apparition: „C‘est étrange!“

[Dunkelheit. Im Vordergrund Tschelio beleuchtet. Leander unter der Eindruck der Erscheinung: „Wie seltsam!“]

Durch Léandres Bemerken und Kommentieren der Erscheinung findet auch hier eine Vermischung der dramaturgischen Ebenen und eine Vorführung der Theatersituation statt, was wiederum einen verfremdenden Effekt hat. Ein weiteres übernommenes und zugleich verstärktes Mittel der Komik ist die parodierte Darstellung, der vorwiegend die höheren Figuren zum Opfer fallen, wie auch schon bei Gozzi und Meyerhold. Vor allem die Hypochondrie des Prinzen könnte kaum überzeichneter dargestellt werden:

59 Le Prince, d‘une voix malade: „Ma vue se brouille, j‘ai la tête en feu, des douleurs aux reins et des douleurs au foie!“ Trouffaldino compatissant: „Oh comme c‘est pénible!“ Le Prince: „Tu dis que c‘est pénible. C‘est pire, pire, pire!... Oh! Oh! Oh!“

[Der Prinz: „Die Augen schmerzen und mein Kopf tut weh! Meine Leber schmerzt! Und meine Nieren!“ Truffaldino: „Ach, wie ist es schrecklich!“ Der Prinz: „Es ist mir nicht nur schrecklich, viel schlimmer, schlimmer, schlimmer! Oh! Oh! Oh!“]

In anderen Szenen wird der Prinz auch als kindisch und stur dargestellt. Infolge des Befehls des Königs, sich nicht auf die Suche nach den Orangen zu machen, erwidert der Sohn: „J‘adore, j‘adore, j‘adore trois oranges!“ („Ich will, ich will, ich will die drei Orangen“) und Ninettes Befürchtung, ihre fehlende Kleidung könnte den König kränken, beantwortet der Prinz mit „Mon père n‘a rien à dire!“ („Das geht ihn gar nichts an!“). Als er dann mit dem König und dem Hofstaat im Gefolge zurückkehrt, um seine Braut vorzustellen, findet er nur die ihm auf Grund von Fata Morganas Zauber unbekannte Sméraldine vor und reagiert folgendermaßen:

Le Prince: „T‘épouser? Non, jamais! Elle me dégoûte, cette femme! Non, je refuse ce mariage! [...] Une négresse? [...] C‘est terrible!“

[Prinz: „Ich dich frei‘n? Keinesfall‘s! Nein, diese mag ich nicht! Oh, wie mich ekelt vor dir! [...] Eine Schwarze? [...] Oh, wie schrecklich!“]

Léandre bringt anschließend die Pointe: „L‘orange est pourrie, aussi la Princesse en est sortie toute noire.“ („Die Orange war schlecht, verfault, die Prinzessin kam auch schwarz heraus.“). Auch die übermäßig betonte Liebe des Prinzen zu den drei Orangen scheint ungeahnten Ausmaßes zu sein.222 Absurderweise hat der Prinz diese Liebe vergessen, wenn er in der Wüste aufwacht und die geöffneten Orangen bzw. die toten Mädchen sieht:

Le Prince: „Mais qu‘est ce donc? Deux jeunes filles blanches? Deux jeunes filles mortes? Dans ce désert aride. Etrange destin...“ Quatre soldats entrent en scène avec une allure militaire exagérée. Le Prince: „Halte!“ Le soldats s‘arrêtent comme figés sur place. Le Prince: „Prenez ces deux cadavres et enterrez les là bas.“ [...] „Chère orange... Enfin j‘ai le bonheur d‘être seul avec toi. Rien que toi et moi!“

222 Um den Rahmen dieser Arbeit nicht mit der Aufzählung sämtlicher Situationen zu sprengen, können hier nicht alle Belege genannt werden. Einige Beispiele finden sich in den Bildern fünf, sechs und sieben.

60 [Der Prinz: „Was seh‘ ich hier! Zwei reizende Mägdlein. Sie liegen wie Tote da. Allein in dieser Wüste. Die beiden sind tot.“ Vier Soldaten treten auf. Der Prinz: „Haltet!“ Die Soldaten halten. Der Prinz: „Hebt auf die beiden Mägdlein und legt sie ins Grab hinein.“ [...] „Welch ein Glück, dass ich nun endlich, endlich vereint bin mit dir. Bin verliebt, verliebt!“]

Doch nicht nur die Darstellung der königlichen bzw. höheren Charaktere in der Oper wurde von Prokofjew parodiert, sondern auch der Zauberer, der eigentlich magische Fähigkeiten besitzen und somit in seiner übergeordneten Rolle im Stande sein sollte, die Geschehnisse in Art eines deus ex machina in die rechte Bahn zu lenken oder zu retten. Tchélio hält sich zwar für einen übermächtigen Meister, bringt aber im Grunde nichts zustande, was ihn zu einer lächerlichen Figur macht. Die einzigen Hilfen, die er Trouffaldino und dem Prinzen leistet, sind die Warnung, die Orangen nur in Wassernähe zu öffnen, was die Gefährten allerdings missachten, und die Übergabe des Armbandes, das die Köchin „verzaubert“, wobei dies wahrscheinlich weniger auf die magischen Kräfte als auf das Aussehen des Schmuckstücks zurückzuführen ist. In zahlreichen Situationen führt Tchélio seine Überzeugung von den eigenen Kräften und gleichzeitig seine Unfähigkeit vor. So muss er zu Beginn des dritten Aktes Farfarello geschlagene einundzwanzig Mal rufen, damit dieser erscheint. Auf Tchélios Befehle antwortet der Teufel nur mit Gelächter. Auch sein Versuch der angsteinflößenden Schilderung der gefährlichen Köchin mit dem tödlichen Suppenlöffel trägt nicht dazu bei, ihn ernst zu nehmen. Eine der aussagekräftigsten Szenen in Bezug auf Tchélio und seine Selbsteinschätzung ist das neunte Bild. Nachdem die Lächerlichen Fata Morgana in den Turm gesperrt haben, ergibt sich folgende komische Situation:

Les Ridicules, à Tchélio: „Va, maintenant tu peux sauver ta cour royale!“ Tchélio, fait de terribles gestes d‘incantation vers la tour où est enfermée Fata Morgana: „Vois, sorcière, quelle est ma puissance!“ Il s‘engouffre avec feu et fumèe. Les Ridicules, rentrant dans les tours, avec une bonhomie légèrement ironique: „Tiens, tiens... Puissance!...“

[Die Lächerlichen: „Geh‘ nun jetzt und rette sie, die schwer bedrängten!“ Tschelio auf den Turm weisend: „siehst du, Hexe, wie mächtig ich bin.“ Er verschwindet im Feuer und Rauch. Die Lächerlichen, in die Türme zurückkehrend, gutmütig ironisch: „Ja, ja. Mächtig.“]

61 Tchélio scheint davon auszugehen, dass er die „Geister“ heraufbeschwor, die Fata Morgana in den Turm sperren; die Lächerlichen zeigen dem Publikum, dass alle Theatermagie auch nur von TheaterhelferInnen ausgeführt wird, was wiederum die Theaterwirklichkeit auflöst, insofern sie denn zuvor bestanden hatte. Auch im Finale kann der Zauberer nichts bewirken. Zwar versucht er mit allen Kräften, die Ratte in die Prinzessin zurückzuverwandeln, doch erst mit Hilfe der Schüsse durch die Wachen findet die Rückverwandlung statt, infolge deren Tchélio verschwindet und im Gegensatz zu Meyerholds Schauspiel hier nicht mehr als deus ex machina auftritt, der er von Beginn an nicht war. Trouffaldino und der König entlarven die Verschwörung und der König fällt das Urteil, das nach einer „wilden Verfolgungsjagd“ und wegen der Hilfe Fata Morganas nicht vollstreckt werden kann. Auch die Verfolgungsjagd auf der Bühne lässt Prokofjew nicht unparodiert, indem er ihre Künstlichkeit hervorhebt. Die Szenenanweisungen lauten folgendermaßen:

Les gardes se dirigent vers eux. Sméraldine essaye de fuir, Clarice la suit, Léandre suit Clarice. Les gardes se jettent à leur poursuite Pantalon, Trouffaldino, le Maître de Cérémonies et tous les courtisans se précipitent parés les gardes. Il ne reste que le Roi sur les marches du trône, Ninette sur son trône et le Prince toujours embrassant ses genoux. Tous en longues chaînes courent vers l‘avant-scène et dans la couliss de gauche, puis apparaissent au fond de la scène de la coulisse gauche et dans le même ordre courent à travers toute la scène dans la coulisse droite.

[Die Wache nähert sich ihnen. Smeraldine versucht zu fliehen, Clarice folgt ihr, Leander folgt Clarice. Die Wache folgt, weiter Pantalon, Truffaldino, der Zeremonienmeister und die Höflinge; nur der König, Ninetta und der Prinz bleiben. Alle laufen, eine Kette bildend, von der Mitte nach links und rechts der Bühne.]

Die humoristischen Effekte, wie z.B. Übertreibung, dienen nicht nur dazu, das Publikum zum Lachen zu bringen, sondern generell den ZuschauerInnen Opernkonventionen und „typische Opernsituationen, die gängige Münze geworden waren“223 vor Augen zu führen und zu verlachen. Sie tragen aber auch zum Verfremdungseffekt bei, der Herstellung einer Distanz zwischen Publikum und Bühne, die das Stück tatsächlich als Spiel empfinden lässt und die ZuschauerInnen in die Position kritischer BetrachterInnen anstatt Mitfühlender schiebt. Kröplin hat sich folgendermaßen zum tieferen Sinn der Oper geäußert: „Die Hypochondrie, der Lebensüberdruss des Prinzen resultiert aus der

223 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 158.

62 Untauglichkeit seiner Welt, in der es nichts zu lachen gibt, aus seiner unbewußten Sehnsucht, als Mensch unter Menschen zu leben.“224 Diese oder andere Parodien auf politische und soziale Umstände des beginnenden 20. Jahrhunderts zu übertragen, würde wahrscheinlich zu weit führen. Abgesehen davon, dass Prokofjew im Gegensatz zu Meyerhold generell kein politischer Mensch war, sondern sich überwiegend auf seine Kunst konzentrierte, scheint der Bezug dieser Parodien auf Opernstereotype und -konventionen sinnvoller und berechtigter zu sein. Eine letzte Veränderung bzw. Erweiterung Prokofjews soll noch untersucht werden: das groteske Element, zu der er als „echter Vertreter der Moderne“225 tendierte. Wie in obigen Kapiteln bereits erläutert, hat auch schon Meyerhold groteske Mittel verwendet, wenn auch eher spärlich im Vergleich zu Prokofjew. Dieser sah die Groteske als ausbaufähigen Ansatzpunkt für Komik und Verfremdung zugleich und wusste sie weiter in den Mittelpunkt zu rücken und geschickt umzusetzen: In der Festszene im fünften Bild organisiert Trouffaldino zur Erheiterung des Prinzen schauspielerische Einlagen, die allerdings alles andere als komisch sind. Die Ritter aus Meyerholds Version wurden gegen „les monstres avec des têtes immenses“ (Ungeheuer mit großen Köpfen) ausgetauscht und „les ivrognes“ (die Betrunkenen) und „les gloutons“ (die Vielfresser) hinzugefügt. Damit stellte Prokofjew nicht nur den scheinbar völlig absurden höfischen Humor in der Oper, sondern gleichzeitig auch Teile Meyerholds und damit auch Gozzis Stück auf eine groteske Art dar. Die Einwürfe der Höflinge, die permanent wiederholen, wie lustig die Schauspiele doch seien, lassen das Bild regelrecht gestellt und verzerrt erscheinen, wodurch das Publikum die absurde Komik distanziert betrachtet. Weitere groteske Elemente sind die Köchin mit ihrem lebensgefährlichen Suppenlöffel und die Ratte, in die Ninette sich verwandelt, anstatt wie bei Meyerhold in eine Taube. Parin hat darauf hingewiesen, dass Prokofjew das Lyrische und Tragische zu Gunsten der Groteske vertuschte, z.B. durch die Streichung der Szene im Hof Creontas, mit der auch der lange Monolog

224 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 313. 225 Alexej Parin, Der Durst in der Wüste. Prokofjews Weg von der Liebe zu den drei Orangen zur Verlobung im Kloster, in: Die lustige Person auf der Bühne. Gesammelte Vorträge des Salzburger Symposiums 1993, hg. u.a. von Gernot Gruber, Salzburg 1994 (Wort und Musik 23/1), S. 450.

63 Creontas wegfällt, Strellers Meinung nach „die wichtigste und schönste Szene in der Fassung Meyerholds"226. Durch die grotesken Züge wirken die absurden, zum Teil hässlich-bizarren Erscheinungen unweigerlich schaurig und komisch zugleich, womit eine neue, zum Teil verfremdete Ebene der Komik entsteht. In Prokofjews Libretto-Einrichtung zeigt sich, dass er viele Elemente Meyerholds aufgegriffen und weiterentwickelt hat. Wie Streller treffend erkannt hat, ist bereits anhand des Librettos auszumachen, dass Prokofjew „eine geistvoll-amüsante Kritik an der dramatischen Oper und ein Bekenntnis zum theatralischen Vergnügen“227 verfasste. Mit Hilfe von Übertreibungen werden konventionelle und stereotype Opernmomente parodiert; groteske Elemente, die teilweise bis zur Absurdität führen, stellen komische und verfremdende Effekte her, wodurch das Publikum auf Distanz gehalten aber gleichzeitig unterhalten wird. Zusammen ergeben die verschiedenen Elemente eine Satire auf das Musiktheater:

[Prokofjew] betonte dafür den Charakter der Opernsatire, der Groteske und gab die Opernkonventionen der Lächerlichkeit preis, verfremdete die ,normale‘ Handlung der Comedia durch immer wieder ins Geschehen eingreifende Bühnenvertreter des Publikums.228

Was dieses Libretto interessant macht, ist die Mischung aus alten Mitteln, wie der Parodie, und neuen, verfremdenden Effekten. Durch die gelungene Synthese von Traditionell und Modernistisch wurde das Märchen Gozzis nicht nur zu einem Stück der russischen Theaterrevolution, sondern unter Hinzugabe von Musik und den oben benannten textlich-szenischen Änderungen auch zu einer „modernen“ Oper. Wie der Komponist das Stück vertonte und die dramaturgischen Möglichkeiten musikalisch nutzte, soll im nächsten Kapitel untersucht und erläutert werden.

226 Alexej Parin, Der Durst in der Wüste, S. 450. 227 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 131. 228 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 132.

64 4. Eine „einfache Tonsprache“ für Amerika

Als Sergej Prokofjew Amerika 1918 erreichte, hatte er aus Meyerholds Schauspiel schon ein Opernszenario entworfen und begann nach der Auftragsbestätigung vom Direktor der Chicago Oper, Cleofonte Campanini, das Libretto zu entwerfen und zu vertonen. Die Partitur vollendete er vertragsgemäß bis zum 1. Oktober 1919.229 Der Komponist selbst hielt in seiner Autobiografie fest, dass er unter Berücksichtigung des Geschmacks des amerikanischen Publikums eine einfache Tonsprache für L‘amour des trois oranges gewählt hätte.230 Streller hielt es für notwendig hervorzuheben, dass die Aussage Prokofjews bezüglich der „einfachen Tonsprache“ keinesfalls abwertend gemeint sei, sondern lediglich die Situation widerspiegle, wie sie bestand, bevor die Emigranten aus dem nazibesetzten Europa ins Land kamen, wie z.B. Schönberg und Krenek aus Deutschland oder Strawinsky und Martinu aus Frankreich.231 Tendenzen der europäischen Moderne, wie z.B. die Atonalität, wurden vor Ankunft oben genannter Komponisten in der amerikanischen Musikkultur kaum rezipiert. Es wurde weniger Wert auf musikalische Neuheiten als auf die Wiedergabe bereits bekannter Musik gelegt, wie Prokofjew selbst festhielt:

Amerika hatte im Gegensatz [zur russischen Musikkultur] keine bedeutenden Komponisten, ausgenommen jene, die schon mit festgegründetem Ruf aus Europa gekommen waren. Der größte Wert wurde in Amerika auf die Wiedergabe der Musik gelegt.232

Trotz Prokofjews eigener Aussage bezüglich der in L‘amour des trois oranges verwendeten Tonsprache ist unter Berücksichtigung der dramaturgischen Parallelen zur Vorlage Streller zuzustimmen, wenn er über die theatralischen Mittel und die Gesamtwirkung der Oper schreibt:

229 Um den Rahmen dieser Arbeit nicht zu sprengen, kann nicht auf die Rezeption der Uraufführung eingegangen werden. Viele ForscherInnen haben sich aber mit der Aufnahme der Oper beschäftigt, u.a. Michael V. Pisani, ,A Kapustnik‘ in the American Opera House: Modernist and Prokofiev‘s ,Love for Three Oranges‘, in: The Musical Quarterly 81/ Nr. 4 (Winter 1997), S. 487-515. 230 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben, S. 80. 231 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 126. 232 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben, S. 77.

65 Das war nicht ,amerikanischer‘ Geschmack, sondern vor allem vorrevolutionäres russisches Theater, für dessen ironisierenden Aspekt schon Meyerhold durch das Einbeziehen von distanzierend verfremdenden Theaterbesuchern [...] eine bühnenwirksame Form geschaffen hat.233

Neef bemerkte ebenfalls, „daß diese Oper zwar in Amerika und für Amerika entstanden war, aber ihre geistigen Wurzeln in Russland hatte und diese nicht verleugnete“234. Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass Prokofjew seine Gedanken zur Oper niederschrieb, als er wieder in der Sowjetunion und somit unter Aufsicht des Regimes lebte und bestimmte tendenziöse Aussagen nicht vollkommen freiwillig geschehen sind, ist „einfacher“ nicht im Sinne von „primitiver“ zu verstehen, sondern unter dem Gesichtspunkt der Verständlichkeit für das Publikum zu betrachten - die Tonsprache dieser Oper ist „verständlicher“235 und klingt trotzdem „modern“. Redepenning hat treffend festgehalten: „In the USA he strove, as he said, to find a simpler musical language without sacrificing his artistic integrity, and The Love for Three Oranges was the impressive result.“236 Außerdem ist die Autorin der Meinung, „the musical language is by no means ,simpler‘, based as it is on a fine web of contrasting themes and motifs“237. Diese von Redepenning angesprochenen, von Prokofjew verwendeten musikalischen Mittel und deren Umsetzung der in Kapitel 3.3 besprochenen Dramaturgie werden in diesem Kapitel analysiert und auf Besonderheiten der Vertonung untersucht.

4.1 Dramaturgische Ebenen

Eine der wichtigsten zu untersuchenden Aspekte in L‘amour des trois oranges ist die Unterscheidung der dramaturgischen Ebenen, die von Meyerhold in Gozzis Stück eingeführt und von Prokofjew auf die Oper bezogen und hervorgehoben wurden. Nutzte Prokofjew diese dramaturgische Besonderheit, um sie musikalisch umzusetzen?

233 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 131. 234 Sigrid Neef, Die Opern Sergej Prokofjews, S. 88. 235 In welcher Form sich diese Verständlichkeit äußert, wird in den folgenden Kapiteln besprochen. 236 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 418. 237 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 409.

66 Der Komponist selbst bemerkte: „Die theatralischen Möglichkeiten interessierten mich ganz besonders. Die drei verschiedenen Ebenen, in denen sich die Handlung entwickelte, waren an sich schon eine Neuheit.“238 Die dramaturgischen Ebenen wurden im vorigen Kapitel ausgiebig besprochen; gemeint sind die märchenhaften Figuren (König, Prinz, Trouffaldino usw.), die Mächte der Unterwelt (Tchélio, Fata Morgana) und die Theatervertreter, die sich, wie bereits in Kapitel 3.3 festgestellt, auf einer übergeordneten Ebene bewegen. Musikalisch äußert sich dieses wie folgt, von Neef beobachtet: „Das Mit- und Gegeneinander der drei Handlungsebenen wird durch verschiedene melodisch-gestische und instrumental-farbige, scharf charakterisierende Musizierbereiche getroffen.“239 Neefs Einschätzung zeigt sich besonders deutlich in der musikalischen Positionierung der Theatervertreter. Sie stellen sich im Prolog vor und behalten die ihnen zugeteilten musikalischen Charakterisierungen über die ganze Oper bei. Im Detail ist zu beobachten, dass die jeweiligen Figurentypen auf bestimmte Art und Weise musikalisch in die Handlung eingreifen, was mit ihrer Musik aus dem Prolog geschieht, womit ihre übergeordnete und zugleich einschreitende Funktion im Verlauf des Geschehens verdeutlicht und betont wird. Die Tragischen intervenieren im dritten Bild, wenn Léandre Clarice seinen Mordplan offenlegt, was mit bogenförmigen Tonschritten in der Gesangsstimme im Viervierteltakt im Allegro geschieht. Die Begleitung des Orchesters orientiert sich rhythmisch an den Figuren des Vokalparts im Pizzicato. Nach einem eintaktigen Aufwärtslauf in Triolen ändert sich plötzlich die Taktart zu einem Sechsachteltakt und die Tragischen stürmen, sich über die scheinbar drohende Tragödie freuend, auf die Bühne. Dabei sind Gesang und Begleitung der ersten vier Takte identisch mit dem Einsatz im Prolog, die folgenden besitzen einen anderen Text, der aber inhaltlich nicht von dem des Prologs abweicht. Den gleichen musikalischen Schnitt hat Prokofjew für den Einsatz der Komischen im vierten Bild komponiert: Der Beginn ihres Teils ist ebenso mit dem des Prologes nahezu identisch und das Ende zu einer Art Interaktion mit den Lächerlichen ausgeweitet. Auch der Aufritt der Hohlköpfe ist musikalisch deutlich von der

238 Sergej Prokofjew, Aus meinem Leben, S. 80. 239 Sigrid Neef, Handbuch der russischen und sowjetischen Oper, Berlin 1985, S. 350.

67 ihrem Einsatz vorausgehenden Passage abgesetzt und stellt einen Schnitt dar. Die bereits besprochene Besonderheit, dass der König die Gruppe zum Schweigen auffordert und mit ihr interagiert, geschieht hier auch musikalisch als rhythmisch komplementärer Einsatz. Bemerkenswert ist auch der Auftritt der Lyrischen, der sich als eigentümlich herausstellt: Ihre Störung ist eher indirekter und visueller Art; während der Liebesszene zwischen dem Prinzen und Ninette agieren sie in Form eines lyrischen Chores im Hintergrund, wobei auch sie ihren Teil aus dem Prolog wiederholen. Drei Takte singen die Lyrischen sogar gemeinsam mit der Prinzessin, bis die Lächerlichen einschreiten und sie von der Bühne bitten. Wie bereits in Kapitel 3 ausführlich behandelt, dienen diese Einsätze der Verfremdung, welche demnach nicht nur szenisch eingesetzt wird, sondern musikalisch noch pointiert wird. Im Gegensatz zu den Auftritten sind die Abgänge weniger schlag- als übergangsartig und musikalisch durch schnelle Läufe und diesem folgend langsame Übergange in entweder die bereits vor den Interventionen verwendeten Formen oder neue musikalische Teile charakterisiert. Allein die Lächerlichen wissen sich teilweise musikalisch einzuordnen, solange sie das Geschehen nur kommentieren. Schreiten sie tatsächlich in die Handlung ein, so sind auch sie musikalisch hervorgehoben. Dieses geschieht z.B. im achten Bild, wenn sie Ninette einen Eimer Wasser bringen: Der Zweivierteltakt im Andantino wechselt plötzlich zu einem Viervierteltakt im Moderato, die Begleitung in Haltetönen und bogenförmigen Legatoläufen in den Streichern wird abgelöst von Achtelrepetitionen in den Trompeten, über denen nicht nur die Lächerlichen die scheinbar unkomplizierte Rettung der Prinzessin besprechen, sondern auch Ninette in abwärts gerichteten Oktav- und Sextsprüngen stöhnt. Hier scheint das Einschreiten der Lächerlichen musikalisch ebenfalls mehr oder weniger folgenlos zu bleiben, obwohl es für die Handlung essentiell ist. Ganz nach dem Motto „the show must go on“ setzen die Verliebten nach einem kurzen musikalischen Übergang ihr Liebesduett fort. Im achten Bild nehmen die Lächerlichen ihre Melodie aus dem dritten Bild wieder auf, in dem sie dem Publikum erklärt hatten, dass der Prinz genesen wird, wenn man ihn zum Lachen bringen kann, und locken Fata Morgana scheinheilig im Andante scherzando mit hüpfenden Staccato-Achteln im Piano näher an sich heran, um sie in den Turm zu sperren. Zuvor hatte sie in dem von ihr und

68 Tchélio gewohnt pathetisch-dramatischen Ton im Fortissimo und über äußerst bewegter Orchesterbegleitung einen Kampf mit dem Zauberer geführt. Die Einsätze dieser übergeordneten Ebene der Theatervertreter sind demnach nicht nur im Libretto, sondern auch in der Musik deutlich vom eigentlichen Spiel auf der Bühne abgehoben, was auch Schipperges erkannt hat: „Prokof‘evs Musik unterstreicht durch [...] den Gebrauch unterschiedlicher Stile die voneinander abgesetzten dramaturgischen Ebenen“240. Parin hat hingegen die fragwürdige These aufgestellt, dass Prokofjew mit den Gruppen verschiedene Komponisten karikieren wollte: Die Tragischen sollen seiner Ansicht nach Wagner darstellen, die Lyrischen Tschaikowsky und Verdi, die Komischen Mozart und Rossini und die Hohlköpfe die Operette im Allgemeinen.241 Da es hierfür nur vage musikalische Beweise und keine Aussagen des Komponisten selbst gibt, lässt sich diese These nur schwer belegen und scheint sich daher nicht halten zu können. Schlüssiger ist es, die Beziehung auf der allgemeinen Ebene der Theatergenres beruhen zu lassen. Auch die anderen dramaturgischen Ebenen unterscheiden sich musikalisch merklich voneinander. Als Beispiel sei der erste Kampf zwischen dem Zauberer und der Hexe angeführt, der äußerst deskriptiv bzw. tonmalerisch gestaltet ist; es herrscht ein „plastischer Gestus“242, der auf musikalisch-szenische Wirksamkeit ausgerichtet ist, wie auch Strellers Analyse ergeben hat: „In das Intrigenspiel greifen theatralisch wirkungsvolle ,Geister‘-Kräfte ein, so Celio und Fata Morgana mit magisch beschwörenden, von Tremoloeffekten und impressionistisch geprägten Klängen.“243 Nach einem langsamen, unheimlichen Auftauchen der Szene mit Tremoli in den tiefen Streichern, schnellen Läufen in den Violen und Klarinetten und bogenförmig aneinandergereihten Septakkorden in den Holzbläsern, die sich zu Aufwärtsläufen in Achteln entwickeln, erscheint Tchélio zu synkopierten, von den Hörnern und tiefen Blechblasinstrumenten geschmetterten Akkorden. Das gleiche wiederholt sich für Fata Morgana; das Erscheinen beider Gestalten wird zugunsten der Verständlichkeit für das Publikum von den Lächerlichen kommentiert. Zu ostinato-artigen Dreiklangsbrechungen in

240 Thomas Schipperges, Art. Prokof’ev, Sergej Sergeevič, in: MGG, Sp. 976. 241 Alexej Parin, Der Durst in der Wüste, S. 447. 242 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 161. 243 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 134.

69 den tiefen Streichern, Klarinetten und Fagotten, die in Achtelläufen zweitaktige Bogenformen herstellen, gesellen sich die Teufelchen auf „Ih!“ und bereiten das Kartenspiel vor. Das Spiel an sich ist ebenfalls musikalisch illustrativ gestaltet, indem das Werfen der Karten von den Posaunen und Trompeten in Vierteln auf den Taktschwerpunkten im Fortissimo nachgeahmt wird. Der Mittelteil der Szene ist bestimmt von großen Gesten, einem schmetternden Orchester und zwei Sängern, deren Gesang nur der pompösen Selbstdarstellung dient und die gar nicht merken, dass sie sich mit ihren Oktavsprüngen auf „Ha!“ selbst parodieren. Das Schema mit spannungserregenden Achtelläufen in den Streichern und Holzbläsern, schmetterndem Kartenschlagen in den Blechbläsern, überzogenen Operngesten auf „Oh!“ und „Ha!“ von Tchélio und Fata Morgana und mit Kommentaren der Lächerlichen läuft insgesamt zweimal ab, bis Fata Morgana den Kampf gewonnen hat und die eingeschobene Szene sich durch absteigende Sept- und Nonakkorde und schnelle Abwärtsläufe in den Streichern langsam zurückverwandelt, um in das dritte Bild zu münden. Durch den vollen Klang, die durchgehende Begleitung und die scharfe Harmonik ist das zweite Bild hörbar von den anderen Bildern abgegrenzt; aus der Musik geht hervor, dass es sich um eine eingeschobene und hervorgehobene Episode handelt. Dabei wird durch das hörbare, wiederholte Schema die Künstlichkeit der Szene „vor Ohren geführt“. Bezüglich der Harmonik hat Neefs Analyse gezeigt, dass die Hölle mit bitonalen Effekten, Ketten von Septakkorden und Kombinationen von Nonakkorden und Ganztonleitern experimentierfreudiger und gewagter ist als die anderen Bilder.244 Diese von Neef als „gewagter“ bezeichnete Harmonik ist eines der Hauptmittel Prokofjews für die Unterscheidung zweier Parteien. Wie Streller treffend festgestellt hat, verlangt die märchenhafte Theaterwelt „klar umrissene Personencharakterisierungen zweier Parteien, ,gut‘ und ,böse‘“245, dessen sich offensichtlich auch Prokofjew bewusst war. Er schrieb in einem Artikel, dass er die Atonalität als eine Methode betrachtete, der er sich der Kontrastwirkung wegen bediene, um tonale Stellen stärker hervorzuheben.246 Dieses kann auch

244 Sigrid Neef, Art. L’amour des trois oranges, in: Piper, S. 69. 245 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 133. 246 Sergej Prokofjew, Über mein Schaffen, in: Serge Prokofieff, hg. von Heinrich Lindlar, Bonn 1953 (Musik der Zeit. Eine Schriftenreihe zur zeitgenössischen Musik), S. 23.

70 auf harmonische „Wagnisse“ im Rahmen der Tonalität übertragen werden, was Tarakanow getan hat: „Zu diesem Zwecke nimmt er Zuflucht zu harten, u.U. sogar grellen, schroffen Dissonanzen, deren Wirksamkeit umso größer ist, als sie von vollkommenen Konsonanzen akzentuiert werden, die klare tonale Empfindungen schaffen.“247 Laut Neef setzte Prokofjew diese Kontrastwirkung ein, indem er den guten Helden simple Diatonik und den bösen sekundgeschärfte bzw. an die Atonalität grenzende Harmonik zuordnete.248 Die Analyse von Streller hat ergeben, dass dies nicht nur die Harmonik betrifft, sondern auch in der Melodik zu finden ist: „Die edlen Operngestalten [...] sprechen eine klare, einfache Sprache wie z.B. das scherzand-tänzerische Thema Truffaldinos [...]. Die musikalische Grunddiktion der Bösewichte [...] wird dagegen von ,chromatisierten‘ Motiven bestimmt.“249 Diese Aussagen sind zwar stark verallgemeinert, bringen Prokofjews Methode aber auf den Punkt, die Cholopow, wie oben bereits erwähnt, treffend „erweiterte und individualisierte Tonalität“ 250 genannt hat. Entsprechend der schon aufgeführten musikalischen Charakterisierung der gegenübergestellten Figurengruppen befinden sich die harmonisch kühnsten Momente der Oper aufseiten der Bösen, z.B. in Form von Polytonalität beim Fluch der Hexe, bei dem die ersten vier Takte eine Überlagerung von C- und Fis-Dur stattfindet, „dem ,Schreckakkord‘ aus Strawinskis Petruschka nachgebildet“251, wie Streller treffend erkannt hat. Dem gegenüber steht die „Normalität“ in diatonischer Melodik, einem kaum verfremdeten Dur-Moll-Spektrum und mehr oder weniger traditionellen Form- und Ausdrucksmodellen.252 Um ein auffälliges Beispiel handelt es sich bei der musikalischen Charakterisierung der Prinzessinnen, von denen z.B. die erste im strahlenden C-Dur auftritt. Die Figurengruppen sind hörbar voneinander getrennt und unterstreichen musikalisch die dramaturgischen Ebenen.

247 Michail Tarakanow, Das Opernschaffen, S. 147. 248 Sigrid Neef, Handbuch der russischen und sowjetischen Oper, S. 336. 249 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 133. 250 Juri Cholopow, Prokofjews Schaffensmethode und zeitgenössische Probleme der Komposition, S. 62. 251 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 134. Weitere musikalische Merkmale der Bösewichte werden in Kapitel 4.2.1 näher besprochen. 252 Monika Lichtenfeld, Märchen, Magie und Maskenspiel in Prokofjews ,Die Liebe zu den drei Orangen‘, in: Programmheft ,Die Liebe zu den drei Orangen‘, Wiener Volksoper 1978/79.

71 4.2 Linearität und innere Geschlossenheit

Wie bereits in Kapitel 3 erläutert, ist L‘amour des trois oranges ebenso wie seine Vorlage(n) ein sehr auf das Visuelle bezogenes Stück. Schnelle und zahlreiche Szenenwechsel und viele Theatereffekte, wie z.B. Blitz und Donner, bestimmen die Dramaturgie und Wirkung des Werkes: „The Love for Three Oranges could make its way [...] because of its profusion of visual gags.“253 Die visuelle Wirkungskraft der Vorlage(n) kam Prokofjew beim Verfassen seiner Oper sehr entgegen, war er doch generell „der Ansicht, daß ein Mensch, der eine Oper besucht, das Recht hat, nicht nur Eindrücke für das Ohr, sondern auch für das Auge zu fordern (sonst würde er nicht in die Oper gehen, sondern in ein Konzert“254. Melik-Paschajewa hat dazu geäußert:

Die Aufmerksamkeit, die der Komponist der Bühne schenkte, und sein Bestreben, seine Partituren mit besonders einprägsamer und dynamischer Theatralität zu füllen, waren organische Eigenschaften seiner künstlerischen Bestrebungen.255

Diese von Prokofjew angestrebte Bühnenwirksamkeit ist ihm laut Beyer durch das Zusammenspiel von Musik, Libretto und szenischer Gestaltung in L‘amour des trois oranges gelungen.256 Obwohl das von Gozzi kreierte Szenenmosaik durch szenische Sprünge bewusst die Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung missachtet, ist das Stück in seiner Geschlossenheit erkennbar. Da dieser Aspekt der Vermeidung der szenischen Einheit von Meyerhold hervorgehoben und von Prokofjew beibehalten wurde, stellt sich die Frage, ob diese dramaturgische Eigenheit auch unter musikalischen Gesichtspunkten berücksichtigt wurde und wie der Komponist es schaffte, trotz Mosaikhaftigkeit eine innere, musikalisch-dramaturgische Einheit herzustellen, was im Folgenden untersucht werden soll. Die Entstehung von L‘amour des trois oranges fällt in eine Zeit, in der verschiedentlich mit dramaturgischen Anlagen experimentiert wurde und in der die traditionelle Nummerndramaturgie kaum noch eine Rolle spielte. Somit sind

253 Richard Taruskin, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove Opera, S. 1137. 254 Sergej Prokofjew, Über mein Schaffen, S. 23. 255 Karine Melik-Paschajewa, Theatralität und Inszenierung der Opern von Sergej Prokofjew, S. 198. 256 Meike Beyer, Art. L‘Amour des trios oranges, in: Lexikon der Oper. Komponisten-Werke- Interpreten-Sachbegriffe, Bd. 1, hg. von Elisabeth Schmierer, Bayreuth 2002, S. 95.

72 in Prokofjews Oper keine geschlossenen Nummern zu finden, sondern lediglich kurze, mehr oder weniger in sich geschlossene musikalische Momente, die aber häufig nur für wenige Takte verharren, um dann in eine neue Situation oder Entwicklung zu münden. Deutliche Schnitte befinden sich nur zwischen dem Prolog, dem ersten Bild und dem zweiten Bild (damit die verschiedenen Ebenen sichtbar werden) und zwischen den einzelnen Akten, sprich Bild drei und vier, fünf und sechs, acht und neun, und dem neunten und zehnten Bild (um zu verdeutlichen, dass Fata Morgana weggesperrt ist und nun das Finale mit gutem Ausgang folgen kann). Das heißt, dass die Oper zwar in elf Szenen aufgebaut ist, musikalisch aber nur sechs große Schnitte 257 erfolgen und trotzdem ist die Suche nach „unendlichen Melodien“ und langen musikalischen Flüssen, wie es z.B. bei Richard Wagners Musikdramen der Fall ist, vergebens. Dennoch konnte auch Prokofjew sich dem Nach-Wagnerischen-Einfluss nicht entziehen und hat manche Ideen und Methoden in seine Arbeit einfließen lassen, andere wiederum negiert. Obwohl nur wenige auffällige musikalische Schnitte unternommen wurden, ist eine Aneinanderreihung musikdramaturgischer Formglieder nicht nur bei den Einsätzen der Theatervertreter sichtbar, sondern auch in kleineren Gliedern, was Streller treffend „Kader-Struktur“258 genannt hat. Diese kurzen Sequenzen folgen in rascher Geschwindigkeit aufeinander und bilden so konzentrierte, oft nur einige Takte andauernde Momente unterschiedlichsten Ausdrucks, die zusammen eine starke musikalische und szenische Dynamik entwickeln, die Neef näher untersucht hat:

So gibt es in seiner Oper keine ausladenden Expositionen, keine psychologisch motivierte Handlung, keine langen Monologe, Arien oder Ensembles, dafür kurze Szenen, in denen mit einer filmisch zu nennenden Technik Ober- und Unterwelt, kleine und große Welt gegeneinandergestellt sind, triviale und intime Szenen mit Staatsaktionen wechseln.259

Zur Verdeutlichung dieser von Neef beobachteten Gegenüberstellung oder Aneinanderreihung von Situationen und Gefühlen und damit verbunden auch

257 Zwar ist auch die Szene auf Kreonta durch zwei identische Zwischenspiele vom Geschehen im Schloss abgehoben, dieses geschieht aber eher übergangsartig und nicht durch klare musikalische Schnitte. 258 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 313. 259 Sigrid Neef, Art. L’amour des trois oranges, in: Piper, S. 69.

73 musikalischen Stimmungen sei exemplarisch das erste Bild näher betrachtet. Der König beweint für vier Takte die unsichere Zukunft seines Königreiches zu einer lyrischen Melodie in den Celli, dann betont er weitere sechs Takte die Unmöglichkeit einer Regentschaft seiner Nichte Clarice im „Poco più animato“ zu aggressiven Staccato-Dreiklangsbrechungen in den tiefen Streichern, bevor er „sanglotant“ (weinend) in Selbstmitleid verfällt, wobei Pantalon ihn, wie in jeder Szene, unterstützt und ihm alles brav nachspricht bzw. -singt. Die Takte drei und vier dieser Phrase sind dabei lediglich Wiederholungen der ersten beiden Takte, um die Nachahmung Pantalons und die Idiotie dieses Moments hervorzuheben und zu parodieren. Die Phrase der Streicher wird vorzeitig von den nach sieben Takten einfallenden Lächerlichen beendet, um in rascher und bewegter Vokallinie und Begleitung die Würdelosigkeit des Königs zu betonen. Innerhalb von achtzehn Takten verändern sich Stimmung und musikalische Atmosphäre viermal, jeweils lang genug für die Festigung des emotionalen Zustands, um dann in einen neuen zu springen. Mit der Einführung Léandres im gleichen Bild etwas später befindet sich der Zuhörer in einer ähnlichen Situation. Zu einer tänzelnden Flötenmelodie betont der König seine Hoffnung in Trouffaldino, bevor er zu großen Sprüngen in Vierteln und Halben in den tiefen Streichern Léandre rufen lässt. Während dieser auftritt und Pantalon dessen Mordplan zu durchschauen glaubt, werden in den Celli die für den ersten Minister charakteristischen chromatischen Ostinati, die „tänzelnd einschmeichelnde Begleitung“260, hörbar und lassen das Publikum wissen, dass es sich um eine „böse“ Figur handelt. Nach nur wenigen Takten, in denen der König Léandre aufgetragen hat ein Fest zu organisieren, freuen sich die Lächerlichen in schnellen Tonrepetitionen und zu triolischer Begleitung über die anstehenden Maskeraden. Auch hier wechseln die Stimmungen sehr schnell und sind meistens ohne konkrete Überleitungen aneinandergereiht. Dadurch entwickelt sich eine Eigendynamik, mit der dem Stillstand auf der Bühne aus dem Weg gegangen und ein „smooth inner tempo of the musical-dramatic action“261 hergestellt wird. Die Einheit wird durch Uneinheitlichkeit geschaffen, die sich durch die ganze Oper zieht und durch weitere musikalische

260 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 133. 261 Dorothea Redepenning, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove, S. 409.

74 Charakteristika, wie z.B. Gesangsstil, wiederkehrende Themen oder Arbeit des Orchesters, perfektioniert wird; dabei ist Prokofjew laut Tarakanow „kein Mittel zu gering, um die innere Einheit recht umfangreicher Abschnitte zu gewährleisten, seien sie erztraditionell oder ultramodernistisch“262. Die dramaturgische Form der schnellen Szenen- und Stimmungsänderungen stellte Prokofjew vor ein Problem mit geschlossenen und konventionellen musikalischen Formen, zu deren Anhängern sich der Komponist selbst generell nicht zählte, da er, wie oben bereits erwähnt, sich gegen Langweiligkeit auf der Bühne aussprach:

Die Arie hat in der Oper einen berechtigten Platz [...]. Was tun, wenn während der Arie fünf Minuten lang (und fünf Minuten sind auf der Bühne eine Ewigkeit!) nichts weiter passiert, als daß der Sänger hin und wieder den einen oder anderen Arm hebt?263

Das Szenen- und Empfindungsmosaik begünstigte bzw. setzte die Weglassung von Arien voraus; somit sind der Oper „träumerisches Verharren und langatmige Ergüsse [...] völlig fremd“264. Diese Auseinandersetzung mit Formmodellen, die gleichzeitig eine Neuorientierung bezüglich sprachlich-musikalischer Ausdrucksmöglichkeiten beinhaltet, ist kein Einzelfall, sondern spiegelt sich in zahlreichen Tendenzen des Musiktheaters der „Nach-Wagnerischen-Epoche“, wenn überhaupt von „Epoche“ gesprochen werken kann, wider. „Moderne“ Experimente mit Sprechen, Sprechgesang und Singen begannen bereits Ende des 19. Jahrhunderts mit Werken wie Debussys Pelléas et Melisande (1893), das sich an Vorläufern der wie z.B. Mussorgskys Boris Godunov (1869/74) orientierte und die Ebene des Schweigens einbezog.265 Fortgesetzt wurde diese Entwicklung u.a. durch Richard Strauss‘ Opern Salome (1905) und Elektra (1908) oder Schönbergs Einakter Erwartung (1909) oder Die glückliche Hand (1908-13), die weitere sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten musikalisch

262 Michail Tarakanow, Das Opernschaffen, S. 147. 263 Sergej Prokofjew, Über Musiktheater, in: Sergej Prokofjew. Beiträge zum Thema, Dokumente, Interpretationen, Programme, das Werk. Internationales Musikfestival Sergej Prokofjew und Zeitgenössische Musik aus der Sowjetunion, hg. von Juri Cholopow, Michail Tarakanow und Hermann Danuser, Duisburg 1990, S. 48. 264 Meike Beyer, Art. L‘Amour des trios oranges, in: Lexikon der Oper, S. 94. 265 Jens Malte Fischer, Nach Wagner - Probleme und Perspektiven der Oper zwischen 1890 und 1920, in: Musiktheater im 20. Jahrhundert, hg. von Siegfried Mauser, Laaber 2002 (Handbuch der musikalischen Gattungen 14), S. 30-31.

75 erfassten wie z.B. abgerissene Sätze oder parataktische Reihungen.266 Neben impressionistischen, symbolistischen, expressionistischen und dadaistischen Versuchen mit Gesang und Sprache spielten in Russland v.a. der Futurismus und der damit verbundene Zerfall von Sprache eine große Rolle. Hierbei wurde Musik „wie Literatur auf den vor-musikalischen und vor-sprachliche akustische wie optisch-gestische Interjektion reduziert.“267 Der Zerfall im Speziellen ging zwar über Prokofjews Kompositionsmethode in L‘amour des trois oranges hinaus, doch konnte auch er sich den avantgardistischen Experimenten seiner Zeit nicht vollkommen entziehen und schaffte einen Spagat zwischen der Tradition der Komischen Oper und modernen Tendenzen der Sprach- und Gesangbehandlung. Das Ergebnis seiner Suche nach neuen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten, v.a. bezüglich der Organisation des Verhältnisses von Sprechen, Sprechgesang und Singen, war ein Gesangsstil, der durch eine Mischung aus Rezitativ und Arie charakterisiert ist. Prokofjews Anliegen war dabei folgendes:

In ausdrucksvolleren Momenten war ich bestrebt, das Rezitativ sangbar zu machen [...]. An mehr ,sachlichen‘ Stellen ging ich zum rhythmischen Sprechen über. [...] In jedem einzelnen Fall achtete ich sorgfältig darauf, daß die Übergänge vom Gesang zum rhythmischen Sprechen und umgekehrt natürlich sind. Und wenn mir das gelang, dann bemerkte der Hörer den Übergang nicht, und genau das sollte erreicht werden.268

Dieses mag auf den ersten Blick an Wagners „unendliche Melodie“ erinnern, steht aber aufgrund der schnellen Szenenwechsel nicht mit dieser im Zusammenhang. Auch Meyerhold hat sich zu der von Prokofjew gedachten Gesangstechnik und deren Verhältnis zu Wagners geäußert:

266 Siegfried Mauser, Zwischen Avantgardistischem Aufbruch und Formen der Konsolidierung (bis ca. 1945), in: Musiktheater im 20. Jahrhundert, hg. von Siegfried Mauser, Laaber 2002 (Handbuch der musikalischen Gattungen 14), S. 123. 267 Siegfried Mauser, Zwischen Avantgardistischem Aufbruch und Formen der Konsolidierung (bis ca. 1945), S. 158. 268 Sergej Prokofjew, Über Musiktheater, S. 48.

76 Prokofjew ist weit über Gluck hinausgegangen, weit über Wagner [...]. Er schloß Arien völlig aus, er hat auch nicht einmal die zauberhaft endlosen Melodien Wagners, keinerlei schmelzende Süße, aber er läßt die handelnden Personen die ganze Zeit über in wundervollen Rezitativen schwimmen, was jede Ähnlichkeit mit der bislang vorhandenen Oper ausschließt.269

Mit den „wundervollen Rezitativen“ hat auch Stenzl sich befasst und festgestellt, dass diese Übergänge zwischen rhythmischem Sprechen und Gesang und die Tatsache, dass Prokofjew ein Schauspiel vertonte, dazu geführt hätten, dass die Sänger ihre Texte eher rezitieren würden als singen.270 Tarakanow ist zuzustimmen, wenn er konstatiert: „Das ,Geheimnis‘ lag in der organischen Verbindung von Kantilene und Deklamation [...]. Prokofjews Vokalstil läßt sich auf gleiche Weise als melodisiertes Rezitativ und als zu artikulierende, zu deklamierende Melodie beschreiben.“271 Dieses melodisierte Rezitativ umschließt auch eigentlich nicht- musikalische emotionale Ausbrüche, wie z.B. den Lachanfall des Prinzen im fünften Bild oder das Stöhnen desselben und des Königs in den ersten beiden Akten. Zu Gunsten der Stimmung wurden auch Geräusche oder einfache Vokale musikalisiert, wie z.B. die von den Teufelchen gesungenen Dreiklangsbrechungen in Achtelläufen auf „Ih!“ im zweiten Bild. Diese „gesungenen Geräusche intensivieren den szenischen Eindruck“272, wie Beyer festgestellt hat, und sind nicht neuartig, sondern gehören zu den Konventionen der Opera buffa, was in Kapitel 4.3 noch näher ausgeführt wird. Somit sind sowohl die grobe Librettostruktur als auch einige musikalische Mittel an der traditionellen Opera buffa orientiert bzw. nähern sich den Konventionen an, wie auch Neef bemerkt hat: „Die Liebe zu den drei Orangen steht für eine Renaissance der Opera buffa aus dem Geist einer von schnellen Rhythmen, geistiger Vielfalt, vibrierender Spontanität und Impulsivität bestimmten Moderne.“273 Doch Prokofjews Oper auf die Wiederbelebung älterer Theaterkunstgriffe zu reduzieren, würde dem Werk nicht gerecht werden, denn

269 Wsewolod E. Meyerhold, Der Lehrer Bubus und das Problem einer Spielweise mit Musik, in: Wsewolod E. Meyerhold. Schriften. Aufsätze, Briefe, Reden, Gespräche, Bd. 2, hg. von A. W. Fewralski und Gisela Seeger, Berlin 1979, S. 64. 270 Jürg Stenzl, Montierte Commedia dell‘Arte. Zu Sergej Prokofjews ,Die Liebe zu den drei Orangen‘, S. 44. 271 Michail Tarakanow, Das Opernschaffen, S. 146. 272 Meike Beyer, Art. L‘Amour des trios oranges, in: Lexikon der Oper, S. 94. 273 Sigrid Neef, Die Opern Sergej Prokofjews, S. 100.

77 „das Wichtigste besteht hier in der engen Verbindung der musikalischen Ausdrucksmittel mit der Bewegung auf der Bühne“274. Durch die Synthese eines teilweise konventionellen Opernschemas in vier Akten mit zwei Höhepunkten und eines eher neuartigen Szenen- und Empfindungsmosaiks und die hierfür notwenige neue Art des Gesangs generell, die aber wiederum vermischt ist mit für die komische Oper traditionellen Gesangsstilen, wird deutlich, das Prokofjew der inneren Einheit eine große Bedeutung zusprach. Inwiefern und mit welchen weiteren Mitteln Prokofjew Verknüpfungen zwischen den einzelnen Bildern hergestellt hat, soll in den folgenden Unterkapiteln untersucht werden.

4.2.1 Leitmotive

In der Forschung finden sich sehr unterschiedliche Positionen hinsichtlich der Verwendung von Leitmotiven in L‘amour des trois oranges. Während manche ForscherInnen wie Heister275 und Neef276 der Ansicht sind, Trouffaldino sei die einzige mit einem Leitmotiv versehene Figur, sehen andere wie Kröplin277, Streller278 oder Taruskin279 durchaus noch weitere leitmotivartigen Gebilde, die „die handelnden Personen begleiten und die mosaikartig gesetzten Szenen tragen und vorantreiben“280. Im Zusammenhang mit L‘amour des trois oranges scheint es demnach schwierig, sich auf eine der beiden Forschungsseiten zu schlagen, und dies soll hier auch nicht geschehen. Anstatt die Richtigkeit der Diskussionsstandpunkte zu prüfen, scheint hier eine Neudefinition sinnvoll, da Prokofjews Leitmotivtechnik, wenn man sie denn so nennen möchte, nicht mit jener Richard Wagners zu vergleichen ist: „Though Leitmotivs were admitted to Prokofiev‘s operatic technique, their use is restrained and rather primitive

274 Karine Melik-Paschajewa, Theatralität und Inszenierung der Opern von Sergej Prokofjew, S. 202. 275 Hanns-Werner Heister, Trennung der Elemente und Verfremdung, S. 194. 276 Sigrid Neef, Handbuch der russischen und sowjetischen Oper, S. 351. 277 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 312. 278 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 132. 279 Richard Taruskin, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove Opera, S. 1136. 280 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 132.

78 compared with the Wagnerian prototype [...].“281 Die Verwendung des Begriffes „Leitmotiv“, der einen indirekten Vergleich mit Wagner impliziert, scheint daher nicht angebracht und könnte z.B. durch „Erinnerungsthema“ ersetzt werden, da es sich bei den wiederkehrenden Sequenzen weniger um Motive als um Themen handelt und diese überwiegend in nahezu unveränderter Form wiederkehren im Gegensatz zu Wagners Leitmotiven, die sich mit den Situationen verändern und umgedeutet werden. Wie bereits im vorigen Kapitel besprochen, werden z.B. die Themen der Theatervertreter aus dem Prolog beinahe unverändert im Laufe des Stückes eingesetzt. Auch Léandres Thema, das im ersten Bild bei seinem Auftritt erklingt, tritt im dritten Bild erneut auf; zwar in ausgeweiteter Form, doch in unverändertem musikalischen Gestus. Das Thema der „königlichen Größe“282, hier könnte auch von Motiv gesprochen werden, das im herrschaftlichen Rhythmus im Dreivierteltakt von den Hörnern vorgetragen wird, taucht im fünften Bild, beim Abschied des Prinzen von seinem Vater und im achten Bild, wenn der Prinz die Prinzessin auf sein Schloss einlädt, wieder auf. Auffällig ist auch der Marsch, der immer dann ertönt, wenn der König und sein Volk auftreten, wobei der Marsch „den Charakter eines Zeremoniells [beibehält], er gewinnt aber zugleich etwas spielerisch Marionettenhaftes“283. Hinzu kommen „the tweaking and teasing of the composed military aspects“284, wodurch er zu einer „clean instance of the grotesque“285 verzerrt wird, wie Minturns Analyse ergeben hat. Das tänzelnde Flötenthema, das irrtümlich oft Trouffaldino zugeschrieben wird, tritt immer dann ein, wenn das Stück einen guten Ausgang aufgrund der Heilung des Prinzen durch Lachen zu haben scheint, z.B. im Prolog bei der Vorstellung des Stückes L‘amour des trois oranges durch die Lächerlichen, im ersten Bild, wenn Trouffaldino dem König versichert, er werde sein Bestes geben, den Prinzen zum Lachen zu bringen, oder im dritten Bild bei der Freude der Lächerlichen über die Möglichkeit einer Genesung des Prinzen mit Hilfe des Spaßmachers.

281 Richard Taruskin, Art. Prokofiev, Sergey, in: New Grove Opera, S. 1136. 282 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 312. 283 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 161. 284 Neil Minturn, The Music of Sergei Prokofjev, New Haven (u.a.) 1997 (Composers of the Twentieth Century), S. 31. 285 Neil Minturn, The Music of Sergei Prokofjev, S. 30.

79 Durch Trouffaldinos musikalische Charakterisierung durch einen tänzelnden musikalischen Gestus in verschiedenen unbeschwerten Melodien wird sein Ursprung aus der Commedia dell‘arte hörbar. Das Thema der drei Orangen wird ebenfalls schon im Prolog von den Lächerlichen vorgestellt und wiederholt sich im siebten Bild, wenn das Publikum die Orangen während des Diebstahls zu Gesicht bekommt, und in leicht veränderter Form, wenn Trouffaldino in der Wüste darüber nachdenkt, eine der Orangen zu öffnen. Es könnten noch zahlreiche weitere Erinnerungsthemen, die sich über die ganze Oper verteilen, wie z.B. die Themen Tchélios, Fata Morganas oder des Teufels mit dem Blasebalg, aufgezählt und untersucht werden, was aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Die einzige, wirklich auffällige Umdeutung eines Themas geschieht im dritten Bild: Zu einer fröhlichen Melodie freuen sich die Lächerlichen darüber, dass der Prinz genesen wird, wenn man ihn zum Lachen bringen kann. Diese heitere Melodie wird sogleich von Clarice und Léandre nach b-Moll im Pianissimo umgedeutet und erscheint für die Bösewichte somit als Gefahr und zugleich düstere Vorahnung. Die fröhliche Melodie wird später wieder von den Lächerlichen verwendet, um Fata Morgana irrezuführen und sie in den Turm zu sperren. Die Erinnerungsthemen tragen nicht nur zur Geschlossenheit der Oper bei, sie charakterisieren die Figuren zugleich; sie spiegeln nicht nur die individuellen Charaktere ihrer Redeweisen, „sondern auch die Art ihres Verhaltens, ihrer Gangart, Mimik und Gestik“286 wider. Prokofjew musikalisiert hier auf hörbare und verständliche Weise „Charakterzeichnungen“287 als „theatralisches Äußeres“288, was z.B. bei Léandre und Clarice besonders zum Vorschein kommt: Ihre schleichenden, vom Orchester mit chromatischen Ostinati begleiteten Themen lassen das Publikum schon beim erstmaligen Hören der Oper erkennen, dass es sich hier um „böse“ Charaktere handelt. Besonders eindeutig, schon fast plakativ und unterhaltend zugleich ist auch die Charakterisierung der Köchin, die von einem rauen Bass gesungen wird und

286 Michail Tarakanow, Das Opernschaffen, S. 146. 287 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 132. 288 Jürg Stenzl, Montierte Commedia dell‘Arte. Zu Sergej Prokofjews ,Die Liebe zu den drei Orangen‘, S. 44.

80 sich vorerst mit einem Tubasolo vorstellt, was aber beim Anblick des Armbändchens in ein Flötensolo umspringt, womit ihre innere Änderung äußerlich sichtbar wird. Streller sieht im „Porträt der kannibalischen Köchin [...] etwas von diabolischer Groteske, gleichsam eine Parodie des Drachens aus Wagners Ring des Nibelungen“289. Die Verwendung von Erinnerungsthemen, die zum einen stimmungsbildend, zum anderen charakterzeichnend funktionieren, trägt zur Geschlossenheit der Oper und zur Verständlichkeit bei. Inwiefern das Orchester hierbei eine Rolle spielt, soll im folgenden Kapitel untersucht werden.

4.2.2 Die Rolle des Orchesters

Dem Orchester kommen in Prokofjews L‘amour des trois oranges gleich mehrere bedeutende Funktionen zu, die im Folgenden näher betrachtet werden. Zum einen ist es für die im vorigen Kapitel besprochenen Erinnerungsthemen von größter Bedeutung, da im Orchester nicht nur die wichtigsten Themen vorkommen, von denen viele durch bestimmte Klangfarben charakterisiert sind, sondern auch die Stimmungsbilder erzeugt werden, wie z.B. im theatralisch wirksamen zweiten Bild. Zum anderen trägt das Orchester entscheidend zur Geschlossenheit des Werkes bei, wie auch Tarakanow erkannt hat:

Aber auch hier sind die Prinzipien der Handlungsverknüpfung durch musikalische ,Verbindungsfäden‘ wichtig. Dazu tragen die Mittel des Orchesters bei, das den ununterbrochenen Fluß der Musik gewährleistet. Die [...] Orchesterepisoden organisieren die Handlung, indem sie Tempo und Rhythmus angeben, die manchmal sehr lange beibehalten werden.290

Entscheidend sind in diesem Zusammenhang die zahlreichen Ostinati. Je nach Situation verleihen sie der Oper entweder eine besondere Dynamik, treiben das schnelle Räderwerk an,291 oder machen eine Art Momentaufnahme,

289 Friedbert Streller, Sergej Prokofjew und seine Zeit, S. 133. 290 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 160. 291 Paul Griffith, Das zwanzigste Jahrhundert: bis 1945, in: Illustrierte Geschichte der Oper, hg. von Roger Parker, Stuttgart 1998, S. 348.

81 indem sie ein Bild zum Stillstand bringen, was z.B. beim Fluch der Fata Morgana im fünften Bild passiert, in dem die Zeit für einen Moment wie angehalten wirkt. Das Orchester trägt nicht nur durch die Erinnerungsmotivik und -thematik nachhaltig zur Verständlichkeit des Werkes bei, sondern auch durch teilweise sehr deskriptive Musik, die zugleich ein weiteres Mittel zur Komik ist. Die illustrative Musik wird nicht nur in den Kampfszenen zwischen dem Zauberer und der Hexe eingesetzt, sondern auch in Form von zahlreichen „Bewegungsmotiven“292 in kleineren Gliedern und kurzen Momenten, wie z.B. im vierten Bild, wenn Trouffaldino die Fläschchen aus dem Fenster wirft und im Orchester große Abwärtsläufe erfolgen oder im fünften Bild die Schritte der grotesken Ungeheuer, Betrunkenen und Vielfresser nachgeahmt werden und der Brunnen zu aufsteigenden Harfenklängen geöffnet wird. Weitere Beispiele sind beim Einsatz des Blasebalgs Farfarellos das Hüpfen in den tiefen Blechblasinstrumenten inklusive Posaunenglissandi und das Blasen zu langen, bogenförmigen Läufen im Tutti. Auch Zittern, Herzklopfen, Donner und Blitz, Pistolenschüsse und eine Verfolgungsjagd werden durch das Orchester illustriert. Die Verfolgungsjagd führt zu einer weiteren Funktion des Orchesters, die Tarakanow ausgeführt hat:

Der Grundcharakter der Oper ist von einer unablässigen Bewegung geprägt, die mit den vom Rhythmus bestimmten szenischen Entwicklungen, ausgehend von ungestümem Tanz und stürmischer Verfolgung bis hin zu gemessenem Schreiten reicht. Diese Bewegung wird in erster Linie durch das Orchester ausgedrückt.293

Deskriptiv und gleichzeitig parodierend werden auch einzelne Instrumente eingesetzt, wie z.B. im Prolog, in dem das Trompetensignal, das normalerweise durch schnelle punktierte Achtel charakterisiert ist, durch eine Bassposaune in langen Liegetönen ersetzt wird oder die Charakterisierung der Köchin durch die Tuba und im Anschluss durch die Flöte. Welche weiteren Parodien Prokofjew musikalisiert hat und mit welchen Mitteln dies geschehen ist, wird im folgenden Kapitel besprochen.

292 Meike Beyer, Art. L‘Amour des trios oranges, in: Lexikon der Oper, S. 94. 293 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 161.

82 4.3 Parodien

Parodien spielen in Meyerholds Bearbeitung wie auch schon in Gozzis Stück nicht nur eine wichtige Rolle, sondern bilden den Mittelpunkt und tragen entscheidend zur Kernaussage bei: die Überwindung veralteter und „langweiliger“ Theaterkonventionen. Dieses auf das Musiktheater zu übertragen, lag für Prokofjew nahe, war er doch auch mit Meyerholds Opernauffassung vertraut, die Neef in folgender Aussage präzisiert hat: „Die Kunst der Oper beruht auf einer Konvention.“294 Diese Konventionen offenzulegen, in Form von Parodien zu negieren und trotzdem zu nutzen, setzt ein bestimmtes Publikum voraus, das über die Konventionen informiert ist, damit die Parodien als solche auch erkannt werden. Um dieses Erkennen zu garantieren, sind die Parodien offensichtlich und werden teilweise sogar bis in die Groteske verzerrt: „Die Neigung zum Romantismus und dessen lyrischen Offenbarungen geht mit scharfer und konsequenter Negation bis zur offenen Parodie und Groteske desselben einher“295, wie Tarakanow erkannte. Im Folgenden sollen diese parodistischen und grotesken Mittel in Hinblick auf die musikalische Umsetzung untersucht werden. Eine der auffälligsten Parodien der Darstellung von Gefühlen auf der Bühne befindet sich im fünften Bild, dem Höhepunkt der Oper: der Lachanfall des Prinzen. Über einem Ostinato in Achtelläufen in den Violinen entfaltet sich langsam ein Lachanfall, welcher mit zwei Vierteln auf „Ha-ha“ beginnt, auf die eine dreitaktige Pause folgt. Der Lachanfall des Prinzen erstreckt sich über 62 Takte, wobei in zunehmend kürzerem Abstand weitere Instrumente am Ostinato teilnehmen, während das „Ha-ha“ im Sekund- und Terzabstand enger zusammenrückt und die Pausen kürzer werden, bis der Anfall sich nach 46 Takten vollkommen entfaltet. Nachdem Trouffaldino, Pantalon, der König, das Volk und die Lächerlichen begriffen haben, dass der Prinz nun geheilt ist, stimmen auch sie ins Lachen ein, das allerdings noch künstlicher als das des Prinzen ist und nicht einmal versucht, den Anschein eines naturalistischen Lachens zu erwecken. Im gleichbleibenden Rhythmus (Viertel-Achtel-Achtel-

294 Sigrid Neef, Handbuch der russischen und sowjetischen Oper, S. 337. 295 Michail Tarakanow, Prokofjew und die Musik des 20. Jahrhunderts, S. 161.

83 Viertel-Achtel-Achtel) und größtenteils auf gleichbleibender Tonhöhe „lachen“ sie im Fortissimo über vier Takte, bis alles in einem grotesken Tanz im Viervierteltakt endet. Der von Prokofjew auskomponierte Lachanfall garantiert zwar ein amüsiertes Publikum, doch neuartig ist er nicht. Brandenburg hat darauf aufmerksam gemacht, dass auskomponiertes Lachen schon im 18. Jahrhundert als komisches Element in der Opera buffa verwendet wurde, so z.B. von Francesco Mancini in Colombina e Pernicone (1723).296 Weiter fährt der Autor fort: „Zahllos sind ferner die Beispiele für musikalisch wiedergegebenes Schluchzen, das häufig mit einem etwas überzeichneten Pathos einhergeht“297. Auch Schluchzen, Weinen und Stöhnen hat Prokofjew in seine Oper integriert bzw. parodiert. Hiervon betroffen sind vor allem die Teile des Prinzen und des Königs und damit auch Pantalons. Am eindringlichsten zeigt sich dies in den Bildern eins und vier. Im ersten Bild stöhnen und schluchzen der König und Pantalon in großen Abwärtssprüngen zu einer lyrischen Melodie in den Celli und bemitleiden den Prinzen, sich selber und das Schicksal des Königreichs. Im vierten Bild beklagt der Prinz in großen auf- und absteigenden Sprüngen, überwiegend in Sexten, die Traurigkeit seines Lebens und versinkt in langen, langsamen Legatoläufen auf „Oh!“ in Selbstmitleid, vorerst über neun, in einem zweiten Anlauf über elf Takte. Des Weiteren werden durch die häufigen und übertriebenen Liebesbeteuerungen des Prinzen in den Bildern fünf bis acht weitere „konventionelle Opernstandards wie ,romantische Liebe‘ [...] der Lächerlichkeit [preisgegeben]“298. Durch die Verwendung dieser „überspitzten Intonationcharakterisierungen [...] entsteht der Effekt einer Herabsetzung der ernsten Gefühle, ihrer Parodierung“299, wie Tarakanows Analyse ergeben hat; die stark überzeichneten Emotionen dienen hier als Mittel der Komik und sollen nicht zum Mitfühlen anregen, sondern das Publikum amüsieren und gleichzeitig befremden. Dazu dient auch die karikierte Darstellung des Volkes, das im fünften Bild die grotesken Schauspiele in einer offensichtlichen Künstlichkeit lobt. Nicht nur, dass sich seine Begeisterung mit „Bien! Bravo, bravo!“ in absteigender, anstatt aufsteigender Tonhöhe äußert, auch sind die Einwürfe des

296 Daniel Brandenburg, Die komische italienische Oper, S. 111. 297 Daniel Brandenburg, Die komische italienische Oper, S. 111. 298 Eckart Kröplin, Frühe sowjetische Oper, S. 311. 299 Michail Tarakanow, Die Liebe zu den drei Orangen, S. 159.

84 Volkes durch sture Tonrepetitionen oder stumpfe Wechselnoten in Terzen und Vierteln charakterisiert. Somit ist neben den von Trouffaldino organisierten Spielen auch die Reaktion des Volkes darauf grotesker Art. Dieser Parodierung fällt nicht nur die Darstellung von Gefühlen auf der Opernbühne zum Opfer, sondern auch Operngesten, die sich spätestens ab dem 19. Jahrhundert etabliert hatten. Heister bemerkte: „Verlacht werden Aufgeblasenheit und Dummheit in vielen Facetten [...], Wagner allen voran.“300 Heisters Einschätzung zeigt sich besonders deutlich beim Kartenspiel bzw. dem Kampf zwischen Fata Morgana und Tchélio: Beide versuchen ihren Gefühlen mit Oktavsprüngen auf „Oh!“ und „Ah!“ außergewöhnlich starken Ausdruck zu verleihen und sich dabei gegenseitig zu übertreffen. Die Dramatik der Situation wird karikiert und gleichzeitig werden opernhafte Gesten parodiert, indem sie, aus dem Nichts kommend und nirgendwo hinführend, mitten im Raum für sich stehen und dazu noch weit übertrieben sind, wodurch beide Figuren unweigerlich komisch wirken. Wie bereits weiter oben erwähnt, fällt Tchélio den Parodien in allen Auftritten zum Opfer, z.B. auch im sechsten Bild, in dem er erst auf gleichbleibender Tonhöhe Farfarello zu beschwören versucht, was sich aber zu großen Tonsprüngen in Achtelnoten auf 48 Takte ausweitet, weil der Teufel ihm nicht Folge leisten will. Obwohl Prokofjews L‘amour des trois oranges den Eindruck der Individualität und Neuheit erweckt, stellte dieses Werk zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Ausnahmeerscheinung dar, sondern reihte sich in die Erprobung unterschiedlichster Wege einer neuen Operndramaturgie nach 1900 ein, wie oben in Bezug auf die Gesangstechnik bereits erwähnt wurde. Auch der Rückgriff „auf die Opera buffa des 18. Jahrhunderts und die Commedia dell‘arte [wurde] zu einem jener Phänomene in der Oper der Zeit [...], die trotz ihres ,restaurativen‘ Charakters zu Trägern grundsätzlich neuer künstlerischer Tendenzen wurden.“301 In diese Entwicklung reihten sich Werke u.a. Mascagnis oder R. Strauss‘ ein, anhand derer Zvara einen weiteren Einflussfaktor festgemacht hat: Die Entwicklung der Opernregie. Die Theaterästhetik des Regisseurs hatte bezüglich des Werkkonzepts teilweise erheblichen Einfluss,

300 Hanns-Werner Heister, Trennung der Elemente und Verfremdung, S. 194. 301 Vladimir Zvara, Komische Oper, in: Musiktheater im 20. Jahrhundert, hg. von Siegfried Mauser, Laaber 2002 (Handbuch der musikalischen Gattungen 14), S. 112.

85 wie nicht nur in der von Max Reinhardt geprägten ersten Fassung von Ariadne auf Naxos (1912/16) spürbar wird,302 sondern auch bei Meyerholds Einfluss auf L‘amour des trois oranges. Besonders auffällige Parallelen sieht die Forschungsliteratur zu Ferruccio Busonis Oper Alecchino oder Die Fenster (1917)303. Auch wenn die Werke Prokofjews und Busonis völlig unterschiedlichen Charakters sind, zeigen Kämmerers Ergebnisse seiner Analyse, dass die Komponisten ähnliche Ziele verfolgten. Kämmerer erklärt, die Oper Arlecchino halte das Publikum auf Distanz, „indem sie mit dem besonderen Ereignisfortgang zugleich allgemeine gattungstypische Formkonventionen, Stilzwänge und Handlungsmuster persiflierend zum Vorschein bringt.“304 Weiter fährt der Autor fort, Busoni wolle die Oper von der Vereinnahmung durch Psychologie befreien und suche dabei nicht „die Darstellung oder die programmatische Durchleuchtung gesellschaftlicher Wirklichkeit, sondern die Restitution der Gattung“305. Heister hat Parallelen zu weiteren Werken, die diesem Stilzweig des beginnenden 20. Jahrhunderts zugehörig sind, entdeckt:

In Werken wie Renard [Strawinsky], Orangen [Prokofjew], Alecchino [Busoni], Faust [Busoni] u.ä. wird die Kunst-Leben-Differenz, die ästhetische Distanz gewahrt, ja sogar betont. Insofern wirken solche und andere Werke progressiv aufklärerisch und repräsentieren in dieser Hinsicht [...] eine andere Tendenz als Futurismus, Dadaismus und auch Expressionismus.306

Die erneute Aufzählung der einzelnen Ergebnisse der vorliegenden Analyse sollte zum Aufzeigen der Parallelen nicht notwendig sein.307 Auffällig ist, dass sich mehrere Komponisten mit dem Problem der eingefahrenen Opernroutine und -konvention zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschäftigten und nach neuen, komisch-unterhaltenden Alternativen suchten.308

302 Vladimir Zvara, Komische Oper, S. 115. 303 Es ist nicht davon auszugehen, dass Prokofjew das Werk Busonis, das 1917 in Zürich uraufgeführt wurde, vor oder während der Entstehung von L‘amour des trois oranges bekannt war. 304 Sebastian Kämmerer, Illusionismus und Anti-Illusionismus im Musiktheater, S. 99. 305 Sebastian Kämmerer, Illusionismus und Anti-Illusionismus im Musiktheater, S. 100. 306 Hanns-Werner Heister, Trennung der Elemente und Verfremdung, S. 185. 307 Als weiterführende Lektüre kann empfohlen werden: Michael V. Pisani, ,A Kapustnik‘ in the American Opera House: Modernist and Prokofiev‘s ,Love for Three Oranges‘, in: The Musical Quarterly 81/ Nr. 4 (Winter 1997), S. 487-515. 308 Weiterführende und vertiefende Literatur z.B. Jürg Stenzl, Montierte Commedia dell‘Arte. Zu Sergej Prokofjews ,Die Liebe zu den drei Orangen‘, in: Musik und Ästhetik 6/ Nr. 23, hg. von Ludwig Holtmeier, Richard Klein und Claus-Steffen Mahnkopf, Stuttgart 2002, S. 32-45.

86 5. Schluss

Sergej Prokofjews Oper L‘amour des trois oranges ist ein repräsentatives Beispiel für die Rolle eines modernistischen Komponisten, der der Tradition nicht vollkommen absprach und nicht alle Errungenschaften der Vergangenheit aufgeben wollte, sondern sie zu seinen Gunsten modifizierte. Damit kann er bezüglich der in dieser Arbeit besprochenen Oper in der direkten Nachfolge Gozzis und Meyerholds betrachtet werden, die sich in ihren Stücken auch im Zwiespalt zwischen der Tradition und Modernität befanden, beziehungsweise ein altes Genre mit Hilfe neuer Mittel wiederzubeleben und ihren Zeitumständen anzupassen versuchten. In der vorliegenden Arbeit sollte deutlich geworden sein, dass Gozzi, Meyerhold und Prokofjew das gleiche Bedürfnis hatten, den Naturalismus und Psychologismus von den Bühnen zu verbannen oder zumindest eine komisch- unterhaltende Alternative zu bieten. Carlo Gozzi verhöhnte überholte Theaterkonventionen und kritisierte die Werke seiner Zeitgenossen durch Parodien. Meyerhold fügte in seiner Bearbeitung das verfremdende Element in Form verschiedener Handlungsebenen hinzu, was das Theater desillusionieren, es als Künstliches sichtbar machen und das Publikum in die Position des kritischen Beobachters schieben sollte. Prokofjew näherte sich zwar einigen Opernkonventionen z.B. unter formalen Gesichtspunkten an, negierte und parodierte aber andere und hob das groteske Element hervor. Der verfremdende Aspekt tritt durch das Eingreifen der Lächerlichen in das Bühnengeschehen noch deutlicher zutage und lässt die verschiedenen dramaturgischen Ebenen zunehmend miteinander verschmelzen. Musikalisch behält Prokofjew die mosaikartig aufgebauten Szenen bei und unterstreicht sie durch die Aneinanderreihung unterschiedlicher musikalischer Gesten. Mit Hilfe von Erinnerungsthemen und eines durchgehenden Gesangsstils, der durch die Mischung aus Rezitativ und Arie charakterisiert ist, schafft der Komponist es trotzdem, eine innere Geschlossenheit zu bilden und das Stück als Einheit darzustellen. Vor allem im Orchester werden die zahlreichen Parodien zum einen musikalisch unterstrichen, zum anderen neue geschaffen, was das Stück unter Berücksichtigung der Erinnerungsthemen und der zahlreichen deskriptiven

87 musikalischen Momente verständlich macht. Trotz der Neuheit und Individualität der Gesamtwirkung von L‘amour des trois oranges ist dieses Werk im Kontext der nach 1900 beginnenden Erprobung unterschiedlichster Wege zu einer neuen Operndramaturgie zu betrachten. Prokofjew reihte sich in diese Entwicklung ein und schuf eine Oper, die auch heute, beinahe ein Jahrhundert nach der Uraufführung, noch erfolgreich in den Opernhäusern aufgeführt wird. Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, wie gewinnbringend eine Analyse der dramaturgischen Mittel und deren musikalischer Bedeutung ist. Es wäre durchaus fruchtbar, Prokofjews gesamtes Opernschaffen, das bisher noch nicht ausreichend untersucht wurde, dahingehend zu analysieren und in eine breitere Entwicklung einzuordnen.

88 6. Literaturverzeichnis

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Braak, Ivo: Gattungsgeschichte deutschsprachiger Dichtung in Stichworten, Teil Ia: Dramatik Antike bis Romantik, Kiel 1981.

Braak, Ivo: Gattungsgeschichte deutschsprachiger Dichtung in Stichworten, Teil Ib: Dramatik Biedermeier bis Gegenwart, Kiel 1981.

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