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BOULEVARD Gerüchts-Reporter Autounfälle, Alkoholausfälle, Alimente-Zoff: TMZ.com ist zum wohl weltweit meistbeachteten Klatschportal geworden. Die Macher gehen bei der Informationsbeschaffung wenig zimperlich vor und bezahlen auch mal Krankenschwestern oder Polizisten.

n Frankreich findet der G-8-Gipfel sich der Markt bewegen würde, bevor es 2005. Das Kürzel steht für „thirty mile statt, Wissenschaftler in Spanien fahn - andere wussten – und sie haben ein phan - zone“, eine imaginäre 30-Meilen-Zone Iden nach der Ehec-Quelle, und im tastisches Netzwerk von Informant en“, um Hollywood herum, gleichsam das Epi - Kernkraftwerk Fukushima Daiichi hat es sagt Kevin Smith, 46, einer der Gründer zentrum der dortigen Filmindustrie. gebrannt. Für das US-Nachrichtenportal der Fotoagentur Splash News aus Los An - Ein Jahr später landete Levin seinen TMZ.com ist das alles nicht weiter der geles, Kalifornien. ersten großen Coup. Als der Schauspieler Rede wert. Anders als viele Zeitungen oder Maga - im Suff in einer Verkehrskon - Die Themenauswahl der Internetseite zine setzen die Gossip-Seiten bedingungs - trolle ausrastete und antisemitische und Ende vergangener Woche setzt andere los und ausschließlich auf Star-Nachrich - sexistische Tiraden von sich gab, berich - Prioritäten: Paris Hiltons Geländewagen ten. „Das ist alles sehr rau, sehr grob, nicht tete TMZ danach exklusiv. Auch Alec krachte beim Rangieren aus Versehen auf poliert, aber es funktioniert“, sagt Smith. Baldwins Wutausbruch im Telefonat mit ihren pinkfarbenen Bentley; Arnold „Viele Leute sind eifersüchtig und denken, seiner elfjährigen Tochter aus Anlass des Schwarzeneggers betrogene Frau Maria ,warum sind wir da nicht drauf gekom - Sorgerechtsstreits mit seiner Frau Kim Shriver traf sich in Beverly Hills mit ihrer men? ‘“ Skurriles, Widerliches, Bösartiges Scheidungsanwältin; Mariah Carey wurde und Tragisches wird auf den Seiten in klei - vom Jugendamt besucht, weil sie beim nen Häppchen verhökert. Das Geschäft Stillen ihres Babys angeblich Bier getrun - funktioniert nach Regeln, die nicht immer ken hat. mit dem Gesetz in Einklang stehen. Mit solchen News ist TMZ zu einem der In der Vergangenheit bestimmten oft - schillerndsten Boulevardportale der Welt mals die großen Studios und Künstler - geworden. Und Boulevard heißt in diesem agenturen, wann ihre Stars mit welchen Fall Klatsch, Gerücht, Gossip eben. In den privaten Geschichten in den großen Zei - USA hat sich im Windschatten der eta - tungen zu Wort kamen. Mittlerweile geht blierten Medien eine wachsende Zahl von es auf allen Ebenen ums Geld. Verlo - Internetseiten und Fernsehprogrammen ckend gerade für Putzfrauen, Bodyguards darauf spezialisiert, die Privatsphäre Pro - und Kindermädchen, aber auch Polizisten minenter zu durchleuchten wie nie zuvor. oder Krankenschwestern, die mit Stars Die Nachrichten sind oft von erschüt - zu tun haben. ternder Trivialität. Und doch sind sie der „Wenn du eine Geschichte hast und be - Schmierstoff einer Multi-Millionen-Dol - zahlt werden willst, gehst du zu TMZ“, lar-Industrie. Auf drei Milliarden Dollar sagt Smith. TMZ-Chef Levin hat gegen - Werbeumsatz pro Jahr wird die Branche über der „New York Times“ schon vor geschätzt. zwei Jahren eingeräumt, „Tipp-Gebüh - Die Chefköche der modernen Gerüch - ren“ für Informationen zu zahlen, die zu teküche heißen Harvey Levin, Chef von guten Geschichten führen. TMZ.com, oder David Perel vom Konkur - Der ehemalige Rechtsanwalt und Re - Web-Seite von TMZ renten Radar Online. „Sie wussten, wohin porter Levin gründete das Portal im Jahr Im Epizentrum der Filmindustrie

132 # $"  22/2011 Filmstars Brad Pitt, Angelina Jolie Wenn Promis nur noch Jagdbeute sind

Geld für eine Rate ihres Hauses überwie - sen hatte. In einem anderen Fall kommt als Tipp - geber wohl die Polizei von in Frage. Ein von TMZ im Februar 2009 veröffentlichtes Foto zeigt die Popsänge - rin mit geschwollenem Gesicht, nachdem sie von ihrem damaligen Freund verprügelt worden war. Das Foto stammt aus den offiziellen Akten der Polizei. Zwei Beamte wurden beur - laubt – beziehen aber bis heute offenbar ihr volles Gehalt. Selbst die Rechtsmedizin von Los An - geles steht in der Kritik. Die Beamten fra - gen sich beispielsweise, wie die vorläufige Sterbeurkunde von Michael Jackson den Weg zu den Gerüchts-Reportern finden konnte. „Die Angebote für Bilder von Michael Jackson aus unserem Haus lagen bei zwei Millionen Dollar am Tag, nach - dem er gestorben war“, sagt Deputy Co - roner Ed Winter der „New York Times“, S I

B „wir mussten den öffentlichen Zugang zu R O C

/ unserem Gebäude schließen; wir hatten

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I Leute, die tatsächlich versucht haben, bei M A R

uns einzudringen.“ B O

B Die Gossip Boys des Online-Boulevards machen sich kaum Freunde. Levin wurde Basinger war zuerst bei Levin zu lesen TMZ-Informanten in den Gängen des schon als „Sultan des Abschaums“ beti - („du ungezogenes, gedankenloses kleines UCLA Medical Centre in Los Angeles telt. Schauspieler Baldwin beschimpfte Schwein“). längst Kontakt aufgenommen. ihn als „jene Brut von Boulevardkreatur, Im Fall des Todes von Michael Jackson Selbst traditionelle Medien zitieren die die fast sexuelle Befriedigung darin findet, überholte Levin sogar die Wirklichkeit – Website mittlerweile. „Wir arbeiten so das Leben anderer Leute zu ruinieren“. der bislang größte Scoop des heute 60- hart an einer Britney-Spears-Geschichte, Auch die Granden des Geschäfts geben Jährigen: Die Exklusivmeldung über das wie NBC an einem Stück über den US- sich erschüttert. „Der Journalismus hat Ableben des Sängers blies TMZ schon Präsidenten arbeiten würde“, hat Levin sich verändert; es ist sehr schwierig für Minuten vor dem später festgesetzten einmal gesagt. ehrenwerte News-Networks, mit Boule - Todeszeitpunkt in die Welt. TMZ hatte Typen wie er lösen die Grenzen des vard-Web-Seiten zu konkurrieren, die mit dafür eine einfache Erklärung parat: Als klassischen Journalismus auf. Ein warmer vollen Händen Geld in die Welt schmei - Jackson am 25. Juni 2009 um 14.26 Uhr Geldregen beglückt mitunter all jene, die ßen“, sagt etwa Larry Garrison, Chef der für tot erklärt wurde, hatte einer der bereit sind, Geheimnisse auszuplaudern Firma Silvercreek Entertainment und seit und vertrauliche Dokumente oder inoffi - über 30 Jahren im Geschäft. Der Künst - zielle Video- oder Tonaufnahmen weiter - leragent, Schauspieler und Buchautor gilt zugeben. Behörden und sogar die Polizei als Netzwerker der alten Schule. geraten inzwischen ins Visier von Ermitt - Lex Gable von der Künstlervertretung lern, weil sich manche ihrer Mitarbeiter Lisa Vega Group erinnert sich an jene als käuflich verdächtig machen. Zeiten, als man sich in Hollywood noch Nach Informationen der „New York mit einem gewissen Respekt begegnet sei. Times“ hat in den vergangenen Jahren ein „Heute wird Dreck ausgegraben und Team des Federal Department of Justice Matsch zusammengefegt; als Prominenter in Los Angeles eine breit aufgestellte Un - bist du nur noch Jagdbeute; nichts ist tersuchung unter anderem zu intern abhan - mehr heilig.“ dengekommenen Gesundheitsunterla gen Gable glaubt, dass das neue Zeitalter von Prominenten angestrengt. Betrof fen bereits mit der Jagd der Paparazzi auf sein sollen Fälle wie etwa Tiger Woods, Prinzessin Diana begann. Nach ihrem Tod Britney Spears und Farrah Fawcett. im Jahr 1997 seien vor allem viele engli - Jüngster Höhepunkt ist der Scheidungs - sche Boulevardprofis nach Hollywood ge - krieg von Arnold Schwarzenegger. Radar kommen und hätten „hier angefangen, kö - Online enthüllte als Erstes den Namen nigliche Jagdtaktiken anzuwenden“. Viel - der Mutter von Schwarzeneggers unehe - leicht sind die neuen Promi-Websites aber lichem Kind. TMZ flutete seine Website auch nur Ausdruck eines radikalen Ge - mit Fotos der Haushälterin. nerationswechsels in der Medienbranche? Kurz darauf stellten die Boulevardjä- Für Kevin Smith von Splash News bei - Konkurrenz-Plattform Radar Online ger ein Bankdokument auf die TMZ-Sei - spielsweise ist „Scheckbuchjournalismus Warmer Geldregen te, mit dem Schwarzenegger der Frau nichts, womit ich ein Problem habe. Heu -

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te zahlen doch alle“, sagt er. Die großen Fernsehanstalten würden es nur anders nennen und Info-Honorare zum Beispiel als „Lizenzgebühren“ verklausulieren. Der Fotograf hat gemeinsam mit sei - nem Partner Gary Morgan in den vergan - genen Jahren ein Imperium für Paparaz - zi-Fotos aufgebaut. Deutschland ist für Splash News nach England und den USA bereits der drittgrößte Markt. Mehrere Millionen Euro Umsatz im Jahr mache er allein hierzulande. Deutschland ist zwar einer der wichtigsten Absatzmärkte, aber auch eines der juristisch schwierigs - ten Terrains. Das hiesige Medienrecht setzt dem Paparazzi-Journalismus ameri - kanischer Prägung enge Grenzen. Jacob Bilabel wollte schon vor mehr als zehn Jahren mit seinem Portal thema1.de den etablierten Medien Angst machen. „Bild“ gründete damals gerade ein Joint Venture mit der Deutschen Telekom, „Ga - la“ und „Bunte“ experimentierten noch im Netz. Heute sagt Bilabel: „Es gab und gibt Storys, die kennt jeder Journalist in Deutschland, aber keiner traut sich, sie aufzuschreiben.“ Sein eigenes Experiment scheiterte. „Wir haben viele rechtliche Aus - einandersetzungen gehabt. Die wurden extrem teuer, und Geld haben wir damals nie wirklich verdient“, sagt Bilabel. Christian Schertz, Medienanwalt aus Berlin, klagte damals gegen Bilabels Portal. „In Deutschland ist die Rechtslage eine ganz andere als in den USA. Man kann nicht einfach in Privatwagen sein Teleobjektiv reinhalten oder ungeprüft intime Details über Prominente verbrei - ten.“ RTL experimentiert zwar mit sei - nem Promi-Portal vip.de, ProSiebenSat.1 vermarktet promiflash.de. Beide haben aber selten exklusive Neuigkeiten. TMZ-Chef Levin verkaufte in der Pres - se bisher sein Geschäft als „authentische und amüsante“ Art, über Prominente zu berichten, und brüstete sich, „keine Hof - berichterstattung zu machen“. Er konnte sich sogar für die Pressefrei - heit ins Zeug werfen, als herauskam, dass die Polizei von Los Angeles seine Tele - fonverbindungen ermittelte. Die Beamten wollten herausfinden, wer Levin die Ge - schichte des betrunkenen Mel Gibson ge - steckt hatte. Auf dem Sendernetzwerk Fox wird mitt - lerweile täglich Levins Show „TMZ on TV“ ausgestrahlt. In dem zu Time Warner ge - hörenden Großraumbüro in der Nähe des Sunset Boulevard in West Hollywood ver - sammelt der Chef dafür seine zumeist deut - lich jüngeren Mitarbeiter um sich und dis - kutiert mit ihnen die Gerüchte des Tages. Zwischendurch zeigen zahllose Einspiel - filmchen in teils miserabler Qualität allerlei B- und C-Prominente. Es geht zu wie beim Küchenklatsch unter Freunden. Das ist vermutlich schon das wichtigste Erfolgsrezept der jungen Branche . P " B%, M#% ! U. M& #

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