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Germanica

9 | 1991 Die "Neue Sachlichkeit" Lebensgefühl oder Markenzeichen

Pierre Vaydat (dir.)

Édition électronique URL : http://journals.openedition.org/germanica/2377 DOI : 10.4000/germanica.2377 ISSN : 2107-0784

Éditeur Université de Lille

Édition imprimée Date de publication : 31 décembre 1991 ISSN : 0984-2632

Référence électronique Pierre Vaydat (dir.), Germanica, 9 | 1991, « Die "Neue Sachlichkeit" Lebensgefühl oder Markenzeichen » [En ligne], mis en ligne le 25 février 2014, consulté le 06 octobre 2020. URL : http:// journals.openedition.org/germanica/2377 ; DOI : https://doi.org/10.4000/germanica.2377

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SOMMAIRE

La « Nouvelle Objectivité » – label ou sensibilité ? Pierre Vaydat

Der Jargon der Neuen Sachlichkeit Helmut Lethen

Neue Sachlichkeit als ethische Haltung Pierre Vaydat

Neue Sachlichkeit und Arbeitswelt Françoise Muller

La littérature féminine de la Nouvelle Objectivité à travers quelques exemples Anne Jagot

Das neusachliche junge Mädchen zwischen Uznach und dem Oktoberfest Eva Philippoff

«Kollektivneurose moderner Männer» Die Neue Sachlichkeit als Symptom des männlichen Identitätsverlusts – sozialpsychologische Aspekte einer literarischen Strömung Ulrike Baureithel

Personnages juifs dans le Zeitroman de la République de Weimar Anne Lagny

Sachliche Romantik Verzaubernde Entzauberung in Erich Kästners früher Lyrik Carl Pietzcker

Franz Werfel entre expressionnisme et «Neue Sachlichkeit» Michel Reffet

Die Neue Sachlichkeit Malerei der Weimarer Zeit Wieland Schmied

Amerikanismus und Neue Sachlichkeit in der deutschen Fotografie der zwanziger Jahre Herbert Moiderings

Die sachliche Verzauberung der Großstadt im Film André Combes

Le naturisme « fonctionnel » sous Weimar Marc Cluet

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La « Nouvelle Objectivité » – label ou sensibilité ?

Pierre Vaydat

1 On a souvent accusé la Neue Sachlichkeit d'être insaisissable, une appellation arbitraire appliquée à des phénomènes culturels hétérogènes, rapprochés artificiellement parce qu'ils sont contemporains. Les études que réunit ce numéro montreront qu’il n'en est rien : il s’agit au départ d’une forme de relation intellectuelle et esthétique gratifiante avec un monde en rapide mutation. La tendance est à l'établissement d’un esprit délibérément anti-pathétique, d'un anti-romantisme qui n'exclut pas la pose. Les paradoxes de la Neue Sachlichkeit sont bien connus : elle unit l'affectation de froideur à la volonté militante, épouse la stabilisation tout en récupérant l'avant-garde, commence par la résignation à la triste vérité après qu'ont été déçus les espoirs de l'expressionnisme pour se transformer en adhésion à la modernité industrielle et à la société de masses, finissant, après 1930, par produire une série de constats fixant avec une exactitude et un relief extraordinaires le processus de désagrégation de la République de Weimar. La Neue Sachlichkeit n'est pas seulement un principe de ralliement esthétique (avec parfois des allures de label accrocheur). Durant les années de la stabilisation, elle a voulu être aussi un principe régulateur de la vie sociale, favoriser la démocratie industrielle en suscitant de nouvelles habitudes mentales.

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Der Jargon der Neuen Sachlichkeit Le jargon de la Nouvelle Objectivité

Helmut Lethen

Die neusachliche Hybride

1 Im Laufe seiner Geschichte pendelt der Begriff «Jargon» auf der Bedeutungsskala zwischen Geplapper und wissenschaftlichem Code, Vogelgezwitscher und Spezialterminologie, Rotwelsch und Oppositionsdiskurs. In jedem Fall bezeichnet der Begriff heute eine Hybride. Um aus der Lieblingssprache der Neuen Sachlichkeit zu zitieren: Jargon has become easy to use, in a loose way, because of its earlier, much broader senses. It has been in English from the 14th Century from old French jargon: warbling of birds, chatter. Its earlier origins are uncertain. The direct use for birdsong can be found as late as mid 19th Century, but extended use for unintelligible sound or talk or writing is just as early and has been more continuous. It developed from the 16th Century a specialized meaning close to «code», but its more general development was in two other directions: 1) to describe unfamiliar and especially hybrid or unfavorable localized forms of speech; 2) to characterize the terms of a opposing religious or philosophical position1.

2 Spezialdiskurse – wie der der Medizin oder Ökonomie – werden in der Regel nicht Jargon genannt, solange sie sich im Zirkel der Professionalität bewegen. Von Jargon ist die Rede, wenn Elemente der Fachsprache in die Umgangssprache einwandern. Fachsprachen, die permanent dem Publikumsverkehr ausgesetzt und auf öffentlichen Austausch angewiesen sind, wie Justiz, Ökonomie oder Soziologie sind die Hauptlieferanten für die Redewendungen des Jargons. Die Sprache der Verwaltung, die diesen Austausch als Institution vermittelt, prägt den Jargon in hohem Maße. Der Begriff Jargon weist also auf eine Invasion von Spezialdiskursen hin, bezeichnet den Moment ihres Einwanderns, nicht jedoch die gelungene Integration in die Umgangssprache. In der Regel ist der Jargon die Bühne einer verunglückenden Begegnung zweier Geschichten.

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3 Daß das literarische Feld der zwanziger Jahre den Jargon förderte und ihm ästhetische Reize abgewann, wurde durch verschiedene Umstände ermöglicht: – Wenn das Selbstverständnis der Eigenständigkeit der Kunst schwindet, werden die Grenzen des literarischen Feldes unstabil und damit die Abgrenzungen zu den umringenden Feldern des pragmatischen Diskurses leicht passierbar; – Mit der Orientierung auf die soziale Funktion der Literatur wurden Anschlußstellen an Diskursformen der Soziologie, Ökonomie, Justiz und Verwaltung gesucht; – Phasen «realistischer» Literatur sind allgemein dadurch gekennzeichnet, daß sie sich an wissenschaftlichen Leitdiskursen orientieren und deren Denkstil zu assimilieren versuchen; – Als «operativ» galten Genres dann, wenn sie direkte Anschlußstellen an Diskurse vorweisen konnten, die unmittelbar in politische EntScheidungsprozesse verwoben waren; – Gegen das Reinheitsgebot einer «kulturellen» Praxis, die die Sprache der modernen Wissenschaft ausschloß, um den Gegensatz zum Zivilisatorischen zu betonen, wird die lexikalische «Verschmutzung» als ein besonderer ästhetischer Reiz und als Anschluß an die republikanische Öffentlichkeit erfahren: – Der Jargon gilt als Medium, die Möglichkeiten der uneigentlichen Rede auszuloten.

4 Man kann das Vordringen des Jargons unter dem Aspekt der Krise der esoterischen Literatur betrachten; man kann dagegen auch die Produktivität im Austausch der Diskursfelder betonen. Unsere Aufmerksamkeit gilt im Folgenden nicht den neuen Worten, die in den zwanziger Jahren in Umgangssprache und Literatur eindringen2, wie z.B.

5 Kompensation/ Trenchcoat/ Knockout/ Antenne/ Standardisieren/ Photomaton/ Synchronisieren/ Prohibition/ Kulturbolschewismus /Sex appeal /Blitzgespräch / Funkreportage/ Stahlmöbel /Kreppsohlen/ Trainingsanzug/ Flapper/ Kameradschaftsehe/ Frigidaire/ Sipo/ Kochecke / Eisdiele /Röhrenapparat /Weekend / Minderwertigkeitskomplex und Kalorien.

6 Bei diesen Wörtern interessieren uns die Denkmodelle, die mit dem technischen Vokabular oder den Begriffen aus dem Boxsport, Rundfunk oder Filmindustrie übernommen werden. «Clinch» ist ja kein Synonym für Umarmung, und wenn feindliche «Preisnester» ausgehoben werden, lenkt der Neologismus unsere Aufmerksamkeit darauf, in welchem Ausmaß die Marktsituation des «Inventurausverkaufs» von Kriegserinnerungen überblendet wird3.

7 Im folgenden sind 40 «neusachliche» Sprüche aus dem Zeitraum 1919 bis 1932 gesammelt. Sie stammen aus politischen Kommentaren, Tagebüchern, Essays, Reden, Kulturgeschichten, Kunstprogrammen und soziologischen Untersuchungen. In dieser Auflistung bilden sie ein Archiv anonymer Sprüche, die, aus dem Kontext gerissen, wie klingende Münze auf dem Markt zirkulieren. Sie dienen nicht unbedingt dem Austausch von Argumenten. Nicht in jedem Fall auf Erkenntnis zielend, führen sie in jedem Fall einen Habitus vor, den ich neusachlich nenne.

8 Im zweiten Teil von Walter Serners «Handbrevier für Hochstapler»4 liest man unter der Nummer 338 den Ratschlag zum unigentlichen Reden: «Sprich lieber konventionell als prinzipiell, wenn du Zeit, lieber plaudernd als informatorisch, wenn du Kraft gewinnen willst»! Da im neusachlichen Jahrzehnt alles auf Zeit und Kraftgewinn ankam, müssen wir mit uneigentlicher Rede rechnen. So bilden unsere Sprüche weder Ruhepunkte der Erkenntnis noch Momente wilder Expression. Es sind eher Probehandlungen, die

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testen, wie sich eine bestimmte Attitüde in der Landschaft der Diskurse ausnimmt. Wollte man einen physiognomischen Zug mit dieser Haltung assoziieren, so wäre es das Lächeln als «Geste der Maske», die alles und nichts sagt, «die repräsentative Geste schlechthin» (H. Plessner). In einer von Serners Kriminalgeschichten aus dem Band «Der Pfiff um Ecke» verständigt sich ein internationaler Scheckfälscher mit einem auf ihn angesetzten Spezialisten von Scotland Yard, der mit ihm einen «deal» machen will, – eine kleine Sternstunde des Konsenses, gestehen sich ein: «Unter hohen Kennern, wie wir es sind, muss erst eine schwindelnde Höhe (des Bluffs, HL) erreicht sein, damit sich wieder sichere Vertrauenssachen einstellen können»5 – Vertrauen als taktischer Schachzug, der wie alle Kommunikation nüchtern erwogen werden will. In der Geschichte von der «Ermordung der Marchese de Brignol-Sale» wird von der Kontaktaufnahme eines Ganoven mit einer Banditin berichtet. Auch hier ein Herz und eine Seele, wie der folgende Dialog offenbart: «Es ist besonders schwer, ja beinahe unmöglich, sich zu verständigen, wenn man nicht wenigstens ein ganz klein wenig Vertrauen – vorgibt. So wie der bessere Spieler dem schwächeren etwas vorgibt !» «Aber ich wundere mich im Grunde stets, wenn es mir gelingt. Das ist eine der klarsten Quellen des Misstrauens». Sie schwieg. Es schien Sorhul, als lächle sie ganz unmerklich. «Es ist wohl überhaupt unmöglich, anders als à fonds perdu zu reden». «Doch nicht. Oft genügt es, überhaupt miteinander zu reden, um das gegnerische Ziel zu erkennen. Was man redet ist gänzlich gleichgültig.»6

9 Die Authentizitätsformeln des expressionistischen Jahrzehnts werden schon zu Beginn der 20er Jahre als Manierismen betrachtet; im Dadaismus wird die Entwertung der Aufrichtigkeit zum Kult. Das Bewußtsein eines gegen die Inauthentizität des Außen abgeschirmten inneren Raums, auf das die Authentizitätsformeln sich gestützt hatten, schwindet. Die Aufmerksamkeit verlagert sich auf die äußeren Figurationen; das Gefühlsleben der Menschen erscheint zunehmend als Funktion der Weise, wie sie räumlich und sozial organisiert sind. Die Zeit der authentischen Rede ist vorbei. Statt dessen liest man7:

10 – «Ein Schuß in einem kleinen Raum täuscht mehr Reflexe vor, als seiner Wirkung entsprungen sind; die Reflexe überschwemmen die Wirkung. Die soziologischen Reflexe überschwemmen die metaphysische Wirkung (0). – «Der Fortschritt schreitet nur dort fort, wo er sich rentiert, sonst sind seine Wege, sagen wir dunkel» (1). – «Der Weltkrieg war ein Geschäft, das sich für niemanden bezahlt gemacht hat» (2). – «Wenn etwas klappt, wimmelt es von Genies – wenn nicht von Verbrechern und Schuldigen» (3) – «Wir haben die Firma gewechselt, aber der Laden ist der gleiche geblieben» (4). – «Der Boden der Tatsachen ist ein Universalmittel für den, der das Talent hat, ihn zu einem ertragreichen Boden zu machen» (5). – «Die AEG elektrifiziert Russland: also musste ja die kommunistische Welt hoffähig für die bürgerliche Seele werden» (6). – «Wir ziehen es vor, "unsauber" zu existieren, als "sauber" unterzugehen» (7). – «Das Zeitungsdeutsch mit all seiner Schluddrigkeit, durchsprenkelt von Dilettantismus und blutigstem Zufall, ist, weil Wirklichkeit dahinter steht, immer noch wirksamer als die gefeilte Vollendung der Form der Dinge, die ausgedient haben» (8). – «Sämtliche Kunstzeitschriften sind nur Separatbeilagen zu den korrespondierenden Tageszeitungen (externes Feuilleton)» (9). – «Der heute wesenhafteste, der merkantile Blick ins Herz der Dinge heisst Reklame»

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(10). – «Radio, Marconigramm und Telophoto erlösen uns aus völkischer Abgeschiedenheit zur Weltgemeinschaft. Unsere Wohnung wird mobiler denn je: Massenmiethaus, Sleepingcar, Wohnjacht und Transatlantique untergraben den Lokalbegriff der Heimat» (11). – «Die Magie hat in unserer entzauberten Welt die Zugkraft verloren. Ihre Wunder wirken antiquiert im Vergleich mit denen des Intellekts, und es erscheint ein wenig abgeschmackt, dass sie so ernsthaft sich gebärden, wo doch das Radio den Raum beherrscht. Die nackte Banalität ist geheimnisvoller als das unglaubwürdige Blendwerk, das sie töricht nur zu verhüllen strebt» (12). – «Die Phantasie der Menschen ist nicht frei; sie marschiert, höchst simpel, in der Richtung der Energien» (13). – «Die spezifische Energie, die Emil Fischer bei der Synthese von Traubenzucker führte, hält den stärksten humanistischen Leistungen die Waage» (14). – «Heute schon sagt man mir mit den paar Worten "ästhetisch-schizothymer Typ" mehr als mit einer langen individuellen Beschreibung» (15). – «Die kleinste Tatsache aus dem Zusammenhang zwischen Charakter und Blutdrüsengleichgewicht öffnet mehr Anschauung von der Seele als ein fünfstöckiges idealistisches System» (16). – «Fasse nicht irgendwelche Entschlüsse bei der ersten Unterhaltung, sondern denke über die Physiognomie des neuen Autors ein paar Tage nach. Sein Äusseres gibt dir mehr Einblicke in das, was er kann, als das, was aus ihm als Redestrom herausbricht» (17). – «Beweis für die Richtigkeit der Zeitung ist, dass man sie kauft» (18). – «Weltanschauungen sind Arbeitshypothesen» (19). – «Der Beweis, dass eine Arbeit wissenschaftlichen Wert hat, kann nur dadurch erbracht werden, dass sie dem Common sensé höchstens widerspricht, um ihn zu fördern» (20). – «Wie einer sich bewegt, so ist der Sinn seines Lebens» (21). – «Die Masse ist den Verächtern der Massenkultur unter den Gebildeten insofern überlegen als sie im Rohen die Fakten unverschleiert anerkennt» (22). – «Ganz ohne Zweifel besitzt heute ein Kursbuch grössere Bedeutung als die letzte Ausfaserung des einmaligen Erlebnisses durch den bürgerlichen Roman» (23). – «Erotisches rückt an die Peripherie, Soziologisches, Wirtschaftliches, Politisches in die Mitte. Don Juan in seinen endlosen Varianten hat abgewirtschaftet, an seine Stelle tritt der kämpfende Mensch, Politiker, Sportler, Geschäftsmann» (24). – «Gesang ist zuerst und zuletzt ein rein körperlicher Akt. Ein vielseitiger Mechanismus von Zwerchfell-, Stimmband- und Lugenmuskeln, ein ganzer Vertikaltrust von Organen wird in Bewegung gesetzt, um dieses alltägliche Wunder des klingenden Tons hervorzubringen» (25). – «Es ist freilich schon heute ein Unfug, eine Säule von Phidias anhimmeln zu lassen und die Untergrundbahn ein blosses Verkehrsmittel zu nennen» (26). – «Es gibt kein Schicksal mehr, die Parzen sind als Direktrizen bei einer Lebensversicherung untergekommen, im Acheron legt man eine Aalzucht an, die antike Vorstellung von dem Furchtbaren des Menschen wird bei der Eröffnung der Hygieneausstellung stehend unter allgemeiner Teilnahme, während die deutschen Ströme in verschiedenfarbigen Gewändern vorüberziehen, in tiefer Ergriffenheit auf ihren Normalgehalt zurückgeführt» (27).

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– «Der Zuwachs an kämpferischer Moral im Charakter des Großstädters ist höchst selten auf idealistische Gesinnung, auf neuen Glauben zurückzuführen. Wir halten ihn für eine Folge des Verkehrs» (28). – «Den Alten wäre ein Rad wie unsere Pneus sicher plump und unschön vorgekommen, wir bewundern die Elastizität der Verbindung Stahl, Gummi, Luft und sehen darin köstliche Schönheit, denn wir fühlen die verschiedenen Kräfte der 3 Materialien» (29). – «Es ist der hydraulische Druck des Wirtschaftssystems, der unsere Schwimmanstalten übervölkert» (30). – «Die entscheidenden Gesetze ihrer Klasse sind ökonomische; da kommen sie für wirkliche Handlungen mit Denken so wenig heran wie mit Klavier spielen» (31). – «Die Statistik, das ist die Jugend ! Keine Macht der Welt kann sie schlagen, unbesiegbar ist sie wie die Zahl» (32). – «Die böse Prinzessin aber sagte: Drei Aufgaben musst du erfüllen: 1. Nurmi schlagen, 2. den Staubsauger reparieren und 3. erklären können, was die NSDAP und die KPD wollen» (33). – «Das Privatschicksal, die Privatstellung der Persönlichkeit sind unwichtig. … Psychologie ist Feigheit. Die Innenkehrung … ist zur Aussenkehrung geworden. Das schlechte Gewissen war eine bequeme Entschuldigung. Die Dramatik des schlechten Gewissens ist ebenso bequem» (34). – «Den Regisseur kannst du täuschen, den Apparat nie» (35) – «Dass derselbe Dirigententyp, der unersättlich versunken das Adagio aus Bruckners Achter zelebriert, wie ein Konzernherr darauf auszugehen pflegt, möglichst viel Organisationen, Institute undd Orchester in seiner Hand zu vereinen, ist das genaue gesellschaftliche Korrelat zur individuellen Beschaffenheit seiner Figur, die im Kapitalismus musikalisch Trust und Innerlichkeit auf den gemeinsamen Nenner zu bringen hat» (36). – «Aber die Empfindungen des Herzens und die Systeme des Geistes sind widerlegbar, während ein Gegenstand unwiderlegbar ist, und ein solcher Gegenstand ist das Maschinengewehr» (37). – «Die Geschichte hat mit menschlicher Logik nichts zu tun. Ein Gewitter, ein Erdbeben, ein Lavastrom, die wahllos Menschen vernichten, sind den planlos elementaren Ereignissen der Weltgeschichte verwandt» (38). – «Die Welt wird immer kleiner. Vergiss es nicht. Sonst kann es dir passieren, dass du meinst, weit vom Schuss zu sein, und du stehst vor dem Pistolenlauf» (39).

11 «Weltanschauungen sind Vokabelmischungen», hiess es 1919 in Walter Serners Dadaistischem Manifest «Letzte Lockerung». Vierzehn Jahre später notiert Brecht «Weltanschauungen sind Arbeitshypothesen». Manche der hier zitierten Sprüche bilden noch einen Reflex auf die Lust zur provozierenden Vokabelmischung, andere probieren mit ihrer Hilfe eine wissenschaftliche Attitüde aus.

Das Polaritätsschema

12 Beinahe alle Sprüche sind durch Bipolarität gekennzeichnet, die die Vokabelmischung auf dem Magnetfeld des binären Schemas verteilt: Körperchemie versus Charakter, Radio versus Magie, Petroleum versus Seele, Kommerz versus Richtigkeit, Funktion versus Substanz. Die Sphäre der Trägheit trifft auf Beweglichkeit, Verfügungswissen auf den biologischen Sockel, Rede auf schweigende Gewalt. Das «Polaritätsdenken»

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(ein Begriff, den Theodor Lessing Mitte der zwanziger Jahre prägt), das seit der Mitte des 18. Jahrhunderts die kontroversen Diskurse der Modernisierung steuert, tritt plötzlich in seiner Reinkultur, d.h. als Schema, auf den Plan: Verwurzelung vs Mobilität Symbiose vs Trennung Wärme vs Kälte Undurchsichtigkeit vs Transparenz etc.

13 Die buchhalterische Auflistung der Oppositionen wird offenbar als reizvoller Schock erfahren (siehe die Oppositions-Schemata, die Brecht, Benjamin, Roh und Meyer in ihren Reflexionen über die Kunst entwerfen), als ob in der Dämmerung der Moderne das lange verborgene Schema plötzlich in Leuchtschrift aus den Kulissen träte.

14 In neusachlicher Rede wird der Pol von Mobilität / Trennung / Kälte aufgewertet. Die bloße Vertauschung der Wertakzente soll Modernität verbürgen (ein Indiz dafür, wie reversibel die Vertauschung ist, wie leicht die Rückwendung vom Radio zur Magie, vom Massenmietshaus zum Lokalbegriff Heimat vollzogen werden kann, oder genauer: wie künstlich die Differenz von Radio und Magie, von Massenmietshaus und Heimat in den Sprüchen aufgeladen ist und wie natürlich der eine Pol Medium des anderen werden sollte).

15 Vorläufig antwortet aber dem Verlangen nach Rückzug in einen undurchsichtigen Raum der Preisgesang auf ein Leben in völliger Transparenz, dem Wunsch nach Konstanz antwortet das Lob des provisorischen Raumes.

16 Ein zweiter Blick auf die gesammelten Sprüche läßt aber erkennen, daß der Umtausch der Wertakzente die polare Spannung nicht aufhebt. Fast alle Sätze schillern zwischen Assimilation und Abwehr der Modernisierung. Sie erzeugen die Spannung zwischen entfernten Wertbereichen wie Elektrizität und Seele, Reklame und Substanz nicht mit dem Effekt, daß der eine Pol (der Langsamkeit, Dunkelheit, Wärme) ersatzlos gestrichen würde, sondern um seine Präsenz als Widerstand ein letztes Mal zu evozieren: Radio und Magie, Trust und Innerlichkeit, Lebensversicherung und Schicksal. So verzeichnen die Sprüche einerseits zustimmend eine Tendenz, die Max Weber die «Entzauberung der Welt» genannt hat. Er verstand darunter «das Wissen davon oder den Glauben daran, daß man, wenn man nur wolle, es jederzeit erfahren könnte, daß es (…) prinzipiell keine geheimnisvollen, unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, daß man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnung beherrschen könne»8. Im gleichen Atemzug verzeichnen sie aber, daß über der wissenschaftlich eingrenzbaren «Sachlichkeit» das Schicksal des Nicht-Machbaren waltet. Max Weber: «Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf». Die Ahnung dieses Widerspruchs führt zum Pathos der neusachlichen Rede, der Trotz begründet von Fall zu Fall die heroische Attitüde des «kalten Blicks» und der «gnadenlosen Sachlichkeit». Sie erklärt aber auch, warum gleichzeitig der «magische Realismus» faszinieren kann und in der Schlussphase der Republik, als die Sphäre des vernünftig Berechenbaren schwindet, zu dominieren beginnt, nachdem die Mittelphase der Republik für einen Moment lang die rationalistische und die magische Variante als «Flügel» der neuen Sachlichkeit in Balance gebracht zu haben schien.

17 In den Sprüchen trifft man auf den Gemeinplatz des neusachlichen Jahrzehnts, daß Ideen, die keine Interessen hinter sich haben und darum auf keine «Kraftlinien» der

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Gesellschaft eingetragen werden können, sich «unweigerlich blamieren». Dieses Urteil konnte im Bereich der Politik und Ökonomie auf allgemeine Zustimmung rechnen. Provozierend wirkte seine Übertragung auf kulturelle Phänomene. Spruch Nr. 13 verkündet: «Die Phantasie des Menschen ist nicht frei; sie marschiert, höchst simpel, in der Richtung der Energien!» Bis in die «Ethik» des Nikolai Hartmann (1926) dringt die Gewißheit, daß die «höheren Seins-und Wertkategorien (…) von Haus aus die schwächeren sind, die versagen, wenn sie nicht auf dem Rücken der niedrigeren Grundkategorien mitgenommen werden».

18 Unsere Kalendersprüche zeigen, wie der spirituelle Reiter vom Rücken der Grundkategorie abgeworfen wird und im Graben der «Tatsachen» landet. Dabei scheint in den ersten Jahren der Republik der Abwurf selbst ein faszinierenderes Schauspiel zu bieten als die darauf folgenden Aktionen im Graben der Niedrigkeiten. Daß anfangs zur Bezeichnung dieses Falls der Begriff «Blamage» herangezogen wird, deutet darauf, daß dieser Prozeß noch als privater erfahren wird und ein Moment der Kränkung betont, das im Begriff «Entzauberung» nicht gegenwärtig ist.

19 Schon im April 1919 las man in Heft 1 des «Gegners» die politische Begründung für die Wende einer ehemals expressionistisch inspirierten Generation zur «niedrigeren» Kategorie: «Das Feld, auf dem sie (die Bourgeoisie, HL) geschlagen werden kann, ist nicht der Geist, da sie ageistig ist, sondern das Getriebe mechanischer Maschination». 1926 findet man bei Siegfried Kracauer eine aufwendigere Begründung: Es geschieht um der Wahrheit willen, die als logischer Zwang im Geschichtsprozess sich kundtut, dass der weltliche Bereich der ökonomischen Tatsachen die bestimmende Aktualität gewonnen hat. Denn sind an der Eigenmacht der materiellen Faktoren die an ihnen gekoppelten kulturellen Gebilde zuschanden geworden, so kann nicht anders eine Ordnung erzielt werden als durch die Veränderung dieser Faktoren, die wiederum ihr nacktes Hervortreten aus allen sie bergenden und verbergenden Hüllen zur Voraussetzung hat. Der Ort der Wahrheit selber ist darum gegenwärtig inmitten des «gemeinen» öffentlichen Lebens; nicht weil das Wirtschaftliche und Soziale für sich allein etwas wäre, sondern weil es das Bedingende ist.9

20 Alle weltanschaulichen Konstruktionen müssen sich «an dem geringsten Ort» ausweisen, «weil die Konstruktion des menschlichen Gefüges ihre Fehlerstelle hier hat» 10.

21 Dabei ist der geringste Ort in den neusachlichen Sprüchen keineswegs immer die Ökonomie. Es sind daneben die Physiologie und Soziologie, in geringerem Maße die Psychoanalyse (eher der Adler sehen Prägung), an deren Stelle Sport und Verkehr treten. Neuartig sind die Blickpunkte des Funktionalismus, der das Gefühlsleben der Menschen als eine Funktion der Weise, in der sie räumlich und sozial organisiert sind, begreift, und des Behaviorismus, der den Menschen im Schema von Stimulus und Reflex verortet.

22 In einer Reihe von Sprüchen ist das polare Schema auf einer Zeitachse abgebildet: die Trägheit des Kulturbereichs mit seiner langsamen Mentalität wird gegen den schnellen Zivilisationsschub ausgespielt. Der humanistische Gedanke gerät in Verdacht, von Leuten ersonnen zu sein, «die sich im Höchstfall mit 60km in der Stunde fortbewegen konnten»11. Zahllose Sprüche ließen sich zitieren, die nach dem berühmten Satz des Futuristischen Manifests modelliert sind, der den Rennwagen gegen die Nike von Samothrake abwägt: die Dynamomaschine kann es mit dem Kölner Dom aufnehmen und ein Geschwindigkeitsrekord mit Faust II.

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23 Die polare Struktur, der die Sprüche unterliegen, schließt Schattierungen, und die Möglichkeit des Dritten aus. Die Pole sind so konstruiert und aufgeladen, daß sie nur einen Gegenpol zulassen, der so konstruiert ist wie sein Widerpart. (Wie bei Max Weber der Pol der Bürokratie als eine so schicksalhaft anonyme Macht konstruiert ist, daß ihr am Gepenpol das charismatische Individuum antworten muß). Die Radikalität von Schriftstellern wie Walter Serner oder Bert Brecht besteht darin, daß sie in ihrer Schreibweise ausloten, wie Handlungsfeld und Subjekt aussähen, wenn der traditionelle Gegenpol (z.B. des charismatischen Individuums) eliminiert wäre. Sie erkunden die Möglichkeiten der Eindimensionalität.

24 Die polare Struktur des neusachlichen Jargons mag als Indiz eines überstürzten und kaum verkrafteten Einverständnisses mit der Modernisierung zu sehen sein. Wenn Ernst Jünger behauptet hat, daß die Werthaltungen des 19. Jahrhunderts in den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs «verbrannten», so ist das kaum beweisbar. Die Sprüche aus dem Zeitraum 1919-1932 legen vielmehr nahe, daß der Verbrennungsprozeß der traditionellen Werthaltungen erst jetzt in der neusachlichen Hybride im Mischraum der Republik stattfindet.

25 Der Jargon der Neuen Sachlichkeit ist also keineswegs nur Indiz einer oberflächlichen «Kulissenverschiebung», wie Gottfried Benn vermutete. Tastet der Austausch von Vokabeln die alten Mentalitäten wirklich nicht an, wie Benn suggeriert ? Damals hiessen die Helden Hans und Gretchen, heute heissen sie Evelyn und Kay, damals boten sie sich auf Seite 200 hinter einer Rosenhecke das Du an und versprachen sich fürs Leben, heute bei einem Reifenwechsel oder einem Propellerbruch nehmen sie Pupille auf ihre sportgebräunten Züge, besprechen das Geschäftliche, eröffnen sich ihre Komplexe und beschliessen für die nächsten vierzehn Tage in den Clinch der Küsse zu gehn12.

26 Nur ein harmloser Austausch von Vokabeln? Schon die angelsächsische Färbung des Vokabulars bezog Fremdheiten mit ein, die aus dem traditionsgeleiteten Denken ausgegrenzt waren. Und die Mixtur aus Techniksprache, Psychoanalyse und Boxsport, die Benn herstellt, lässt die Konstruktion der Mentalität nicht unberührt.

Zynismus und Jargon

27 War der Jargon der Neuen Sachlichkeit Verbrennungs-Medium humanistischer Wertvorstellungen? Anders gefragt: ist er – wie ihm vorgeworfen wurde – zynisch? Um diese Frage zu beantworten, müssen Kontexte rekonstruiert, die Anonymität der Sprüche aufgehoben und die Art ihrer Argumentationgewichtet werden. Spruch Nr. 18 stammt von Hermann von Wedderkop. Sein Satz «Beweis für die Richtigkeit der Zeitung ist, dass man sie kauft», hat als Grundsatz des Vertriebschefs einer Zeitung einen anderen Klang, als wenn der Leiter des politischen Ressorts oder der Chefredakteur eines Gesinnungsblattes ihn ausspräche. In diesem Fall stammt er vom Herausgeber des Kunstmagazins «Der Querschnitt» und steht in Zusammenhang mit Spruch Nr. 8 in dem Artikel «Wandlungen des Geschmacks» vom Juli 1926, einem Manifest der Neuen Sachlichkeit. An Wedderkops Zeitschrift lassen sich verschiedene Spielarten einer amoralischen Attitüde studieren, die aus der europäischen Tradition des Dandytums stammen. «Ohne Interesse an Morgenröte, an Zukunft und an Weisheit der Voraussicht», liest man in ihr im März 1925, «folgen wir nur unserem Instinkt. Der Querschnitt ist eine Funktion, kein Zweckgebilde». Zweifellos kann die im Magazin

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vorgeführte Mischung von «Instinkt» und Kalkulation, «Blutigem Zufall» und englischem Clubleben, delikater Vignette und Politikerportrait seine Herkunft aus dem Dadaismus kaum verleugnen. Zwischen dieser wilden Mischung jedoch und Wedderkops Mussolini-Portrait vom Juni 1930 spannt sich eine Bandbreite neusachlicher Rede, deren Ferment tatsächlich der «Zynismus».

28 Peter Sloterdijk hat denn auch den Zynismus als charakteristisches Merkmal neusachlicher Rede beschrieben13. Die Weimarer Kultur, so Sloterdijk, empfindet den «Schmerz der Modernisierung heftiger, spricht ihre Desillusion kälter und schärfer aus» als vergleichbare Umbruchsituationen. Das disponierte sie zum Zynismus. Sloterdijk heftet an das Phänomen des Zynismus zwei opponierende Mischungselemente: die Zersetzungsangst und die «Vernunftkälte». Je glänzender dieser Zynismus in der Weimarer Republik formuliert ist, desto deutlicher sollen seine komplementären Motive in der neusachlichen Rede zu Tage treten: das der Verletzung und das der stoischen Reflexion. Der Zynismus, befindet Sloterdijk, weist auf eine Wunde, die dem zynisch Redenden einmal zugefügt wurde, erinnert an eine Blamage, gegen die er sich einfürallemal wappnen will. Die Zweipoligkeit des Zynismus scheint ihm charakteristisch für einen Jargon, dessen «Witz aus der Kälte» kommt. Diese Ansicht wird durch zahlreiche Selbstbekundungen der neusachlichen Schriftsteller, die aus dem Expressionismus kamen, bestätigt. Im «Querschnitt durch 1921» liest man die beinahe programmatische Beschreibung dieses Typus des «zynischen» Autors, der sich – «wie der Clown, der eine Kreidedecke über sein Antlitz legt, um seine menschlichen Gefühle nicht mehr zu verraten» – in Impassibilité übt: «Er kuriert das verweichlichte Gemüt mit Härte, das sentimentale durch Zynismen, das in Gewohnheit abgestandene durch Paradoxie (…)»14.

29 Die Polarität, die wir an den neusachlichen Sprüchen beobachteten, scheint diese Ansicht zu bestätigen. Das Beispiel Wedderkop zeigt uns zugleich die Eigendynamik des Jargons: die an ihn gekoppelte Attitüde der Indifferenz und Amoral kann den Pol von Gemüt und Substanz auslöschen. Hinter der «Kreidedecke» ist dann nichts, was nicht schon Kreide ist. Wenn im Roman «Erfolg» seine Figur Tüverlin zynisch über die Justiz reden läßt, dann ist die Zweipoligkeit seiner simulierten Härte unschwer zu erkennen. Wenn der Rechtstheoretiker Carl Schmitt das Prinzip der Souveränität definiert, ist vom Schmerz eines verletzten Rechtsgefühls, wie Sloterdijk ihn neusachlicher Rede unterstellt, nichts zu spüren. Wenn Arnold Gehlen 1927 über die Gewohnheit reflektiert, um dem neuen Kulturhabitus der Anpassung auch philosophisch Bahn zu brechen, ist seine Rede eindimensional; wenn Ernst Jünger das gleiche Bild wie Gehlen 1932 im «Arbeiter» verwendet, wird es zweipolig. Wir wollen beide Passagen zitieren, weil sich am Beispiel Jüngers die Interferenz der Diskurse zeigen läßt, während in Gehlens Redeweise die sentimentale Hybride entfernt ist.

30 Gehlen erläutert seine Reflexionen über die Gewohnheit in seinem philosophischen Essay an einem «konkreten Phänomen der Natur». Sein Beispiel stammt aus Burkamps Beobachtungen zur Kausalität psychischer Prozesse. An ihm will er den Grundsatz erproben, dass alles zum Leben Notwendige, was Leben ausmacht und ermöglicht, wohl angeboren sein muss. An ihm will er den Willen zum Nichtidentischen, der Überleben erst ermöglicht, illustrieren und berührt damit zweifellos ein Leitmotiv, mit der die Neue Sachlichkeit sich gegen den Kult des Authentischen richtete. Er beweist dies aber mit einem Experiment mit Protozoen, den Infusorien, jenen sehr kleinen Tieren mit Wimpern als Bewegungswerkzeugen, Mund, After und pulsierender Blase:

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Das Infusorium Stentor pflegt eine ganz leichte Berührung oder ein feiner Wasserstrahl zu veranlassen, sich in die Röhre zurückzuziehen. Ein Wiederholung wirkt viel schwächer und schliesslich überhaupt nicht mehr. Lässt man eindringlichere Belästigungen durch herabrieselnde Karminkörner folgen, so reagiert das Tier zunächst durch fortgesetzte Krümmungen, dann durch Umkehr des Wimpernschlages, sodann durch zeitweiliges Zurückziehen in die Röhre, schliesslich durch Loslösung und Fort Wanderung15.

31 Belehrung holt man sich – neusachlich –, wenn möglich aus der niedrigeren Region. Das Beispiel demonstriert: Herabsetzung der Gefahr durch erhöhte Mobilität, – quod erat demonstrandum. Was Sloterdijk den «Schmerz der Modernisierung» nennt, ist im Infusorien-Gleichnis nicht unterzubringen. Auf Belästigung reagiert das Lebewesen mit Gewöhnung oder Flucht. Dem Klagelied auf die Entfremdung tritt nicht ohne Trotz das Lob der Anpassung entgegen. Oft erfahrene Reize, so lehrt Gehlen, die zuerst als Schmerz empfunden werden, treiben zunächst zu Antworten, die dann wenig später als unökonomische Verausgabung von Energie unterbleiben. Anpassung an Stelle von unökonomischem Protest. Wer überleben will, gewöhnt sich. Wer sich nicht gewöhnt, wird selektiert. Aber der monoton gereizte Muskel wird immer kräftiger und handlungslustiger. Das war biologisch nicht zu widerlegen und hatte mit zweipoligem Zynismus nichts zu tun. Diese Form neusachlichen Denkens ist nicht durch die Kombination von Zersetzungsangst und Vernunftkälte gekennzeichnet. Wenn dagegen das Infusorienbild in Ernst Jüngers Schrift «Der Arbeiter» wiederkehrt, wird es um eine Dimension ergänzt, die in Gehlens Schrift fehlt. Auch Jüngers Schrift ist vom Tenor des Lobs der Anpassung an die Bedingungen der Mobilmachung geprägt. Im Gegensatz zu Gehlen setzt er den Infusorien nicht nur mit Karminkörnern zu. Es bedarf grösserer Kaliber der Feindeinwirkung, um zu erklären, warum das «Individuum» selbst durch Gewöhnung nicht zu retten ist: Nicht also innerhalb dieser Masse suchen wir den Einzelnen auf. Hier begegnen wir nur dem untergehenden In-dividuum, dessen Leiden in Zehntausenden von Gesichtern eingegraben sind und dessen Anblick den Betrachter mit einem Gefühl der Sinnlosigkeit, der Schwächung erfüllt. Man sieht die Bewegungen matter werden wie in einem Gefäss von Infusorien, in das ein Tropfen Salzsäure gefallen ist. Es ist ein Unterschied in der Form, nicht aber in der Substanz, ob sich dieser Vorgang geräuschlos vollzieht oder katastrophal16.

32 In einem Habitus, der den italienischen Futuristen abgeschaut ist, macht Jünger keinen Hehl daraus, dass er einen Vorgang beschleunigt sehen will, der wie «Salzsäure» die Infusorien fällen wird. Der neusachliche Avantgardist verändert in seinem Gedankenspiel mutwillig das Environment. Das naturkundliche Beispiel ist herangezogen, um in harter Fügung mit dem Diskurs des Leids des Individuums zusammengeführt zu werden. So hat es nur einen Sinn: auf den Habitus der «Kälte» des neusachlichen Beobachters zu verweisen.

Sprüche und Werke

33 Bis jetzt haben unsere Überlegungen zum Jargon der Neuen Sachlichkeit kaum den Punkt bezeichnet, an dem die literarischen Werke dem anonymen Horizont der Sprüche entrissen werden könnten. Sollten sich deren Konturen etwa aus dem hier vorgeschlagenen Blickwinkel in der Strömung der zirkulierenden Sprüche aufgelöst haben? Das läßt sich nicht ausschließen und müßte von Fall zu Fall überprüft werden; denn oft verschwimmt, was sich den Zeitgenossen noch als markante Gestalt darstellte,

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in der Retrospektive im Meer der umringenden Diskurse. Hier wurde der Versuch unternommen, das Volumen des neusachlichen Diskurses zu erfassen17. In ihm ist der Anspruch auf einen souveränen Sprachgestus nur schwerlich durch das einzelne Werk einzulösen, weil das Volumen schon vom Rumoren neusachlichen Redens gänzlich ausgefüllt ist. Insofern hat meine Aufmerksamkeit die individuelle Signatur der Werke zugunsten der «tausend blinden Komplizitäten» des umfassenden Diskurses übersehen müssen. Ich bin mir der methodischen Verwerflichkeit des Verfahrens bewußt: denn der Begriff der Neuen Sachlichkeit hat ja erst durch die Einzelwerke die Schärfe gewonnen, die die Sondierung des Diskursfeldes ermöglicht. Die einzelnen Werke waren keinesfalls nur passiv Kristallisationspunkte in der Nährlösung eines vorhandenen Diskurses, sondern von ihnen gingen Imulse für die Jargonbildung aus und gleichzeitig fungierten sie als ein Reflexionsmedium für den Jargon, in dem die rückblickende Wissenschaft seine Eigenart leichter aufspüren kann. Neusachliche Werke machten in ihren Inszenierungen des Jargons z.B. erst erkennbar, in welchem Ausmaß das moderne Bewußtsein bereits von technischen Prinzipien geprägt ist, mit welchen Konsequenzen sich das Prinzip der Normgrösse und der auswechselbaren Teile, der Ausschaltung von Leerlauf und ungenutzter Energie, des optimalen Effekts und der Vermeidung von Reibung in der Körperwelt durchsetzt. Werke wie z.B. «Mann ist Mann», «Die italienische Nacht», «Hoppla, wir leben», «Das kunstseidene Mädchen», «Flucht ohne Ende», «Berlin Alexanderplatz», «Fabian»… bilden auch ein Reflexionsmedium der Polaritäten, die die Sprüche nur plakativ zur Schau stellten. In diesem Medium treffen die Spruchweisheiten auf die Imagination der Körperwelt: aus Zeitungsdeutsch wird blutiger Zufall und die Schwimmanstalten werden so dargestellt, daß körperlich sichtbar wird, daß es der hydraulische Druck des Wirtschaftssystems ist, der sie übervölkert. Schließlich findet sich als Subjekt, das zu den Parolen der Mobilität passen würde, nur noch – wie im «Lesebuch für Städtebewohner» oder im «Arbeiter» eine Figur, von der alle Spuren der Individualität zwanghaft entfernt sind, um ihr schieres Überleben zu sichern. Der Diskurs sucht nach einem.

34 Träger, das menschliche Subjekt dient sich natürlich an; da es aber den Diskurs derart mit Ambivalenzen aufzuladen droht, von denen er sich soeben gereinigt hatte, läßt der es fallen. «Der Mensch ist der Fehler», seufzt Brecht, der sich vom Diskurs sehr weit hat treiben lassen, nachdem er ihn mit in Gang gebracht hat. Dabei lassen diese Autoren den Modernisierungsdiskurs weniger an der Intervention eines moralischen Urteils scheitern als an der des Körpers: «Der Leib ist stur» (Günther Anders). In Brechts Lehrstücken, wohin der Diskurs in seiner extremsten Gestalt driftet, steht folgerichtig die Auslöschung des Körpers im Brennpunkt. Nicht die Intervention des moralischen Urteils zwingt die meisten seiner Adepten zur Aufgabe des neusachlichen Habitus, sondern die Ahnung, daß er die menschliche Konstitution überfordert. Das plötzliche Verschwinden des Kälte-Kults ist ein deutliches Indiz hierfür.

35 Die neusachliche Hybride zerfällt noch vor Beginn der 30er Jahre. Körpernähere Wissenschaften wie Biologie und Ethologie bieten sich jetzt als Leit diskurse an; allerdings in einem staatlichen Rahmen, der dem Körper nicht viel Chancen einräumen wird. Das Gros der neusachlichen Literatur ist sentimentalisch, worauf die Struktur der Sprüche hinwies. Der Jargon diente der Einübung in eine Sprache, die ohne die Kategorien der «Substanz» und ohne die Annahme der «Eigentlichkeit» auskommt, denen der Sprecher aber immer noch verfallen ist und an die er sich schließlich ketten

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wird, als er (weiß Gott, zu spät) merkt, daß mit der Negation des Substanzbegriffs auch sein Körper aufs Spiel gesetzt wurde.

36 Ein letztes Beispiel soll die Möglichkeiten der Literatur, den Jargon zu unterwandern, vorführen. Als der Berliner Stadtbaurat Martin Wagner sein Konzept für den Umbau des Alexanderplatzes verteidigt, gelingt ihm neusachliches Sprechen in optima forma. Auch die Fachsprache des Städteplaners bildet eine Kette von Hybriden. In ihr mischt sich der behavioristische Blick auf die Passanten mit der Maschinenmetapher, die Vorstellung des Organismus mit dem technischen Ideal der Stromlinie; die Strommetapher mit Marktgesetzen. In diesem Gemisch löst der Planer mit Leichtigkeit das Problem der Koordination von Strömen und Stauen, Passieren und Kaufen, Entleeren und Füllen: Der Weltstadtplatz ist eine fast dauernd gefüllte Verkehrsschleuse, der «Clearing »- Punkt eines Adernetzes von Verkehrsstrassen erster Ordnung (…) Die Verkehrskapazität eines Platzes ist wiederum eine Funktion der Verkehrskapazität der auf den Platz einmündenden Verkehrsstrassen (…) Dem Fliessverkehr auf dem Platz muss ein «Standverkehr» entgegengestellt werden, der die Konsumkraft der den Platz kreuzenden Menschenmassen festhält (Läden, Lokale, Warenhäuser, Büros usw.) (…). Ein Weltstadtplatz ist Haltepunkt und Durchgangsschleuse in einer Form: Haltepunkt für Konsumkraft und Durchgangsschleuse für den Fliessverkehr18.

37 Robert Musils Antwort auf diese Wahrnehmung des Weltstadtplatzes kontert ironisch: das Reißbrett ist transparent, die Wirklichkeit völlig opak. Das erste Kapitel des «Mann ohne Eigenschaften» ist von Parodien auf den neusachlichen Stil geprägt. Musil spielt den funktionalistischen Blick gegen eine präzise Wahrnehmung aus, der alles verschwimmen muß. Die Forderung nach Transparenz in der Konstruktion des Weltstadtplatzes, macht blind für eine Wahrnehmung, in der er wie ein Bild von Jackson Pollok ausschaut: Autos schössen aus schmalen, tiefen Strassen in die Seichtigkeit heller Plätze. Fussgängerdunkelheit bildete wolkige Schnüre. Wo kräftigere Striche der Geschwindigkeit quer durch ihre lockere Eile fuhren, verdickten sie sich, rieselten nachher rascher und hatten nach wenigen Schwingungen wieder ihren gleichmässigen Puls. Hunderte Töne waren zu einem drahtigen Geräusch ineinander verwunden, aus dem einzelne Spitzen vorstanden, längs dessen schneidigen Kanten liefen und sich weiter einebneten, von dem klare Töne absplitterten und verflogen19.

38 Musil läßt in seinem Roman die Wahrnehmung zwischen der rationalen Konstruktion und impressionistischem «Geräusch» pendeln, um im Pendelschlag selbst der Wirklichkeit habhaft zu werden.

39 Ein drittes Weltstadtbeispiel macht uns mit einem Leitdiskurs bekannt, den man deshalb leicht aus der Szenerie der Neuen Sachlichkeit verdrängt, weil er erst in den dreissiger Jahren dominieren wird, obwohl er sich, wie das Beispiel Gehlens zeigte, sich in den 20er Jahren durchzusetzen beginnt. Hier wird schon 1923 der Blick auf die Weltstadtstrasse von einem Denkmodell der Tierverhaltungsforschung modelliert, das aber noch vom Maschinenmodell des Taylorismus überblendet wird: Die Grossstädte sind ein merkwürdiger und kraftvoller Apparat. In ihren Strassen ist fast körperlich zu fühlen der Wirbel von Antrieben und Spannungen, den diese Menschen tragen, den sie ausströmen und der sich ihrer bemächtigt. Nach Beobachtungen an Vögeln sollen diese Tiere gemeinsames Fliegen darum bevorzugen, weil das gleichsinnige Bewegen der Flügel die Nachbarvögel untereinander stützt und ihnen das Fliegen erleichtert. Man hat aus dieser

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Beobachtung ein bestimmtes Maschinenprinzip gewonnen. Diese Beobachtung gibt die Erklärung für anderes: sie weist an der Nachahmung einen ökonomischen Zweck, die Kraftersparnis; sie erklärt die menschliche Neigung, nachzuahmen und die Neigung von Massen, sich gleichsinnig zu bewegen. Auf diese Weise werden die Menschen in der Grossstadt nun veranlasst, gleichmässig das grossstädtische Tempo anzunehmen20.

Die Entmischung

40 Gegen Ende der Republik entmischten sich auf dem literarischen Feld die Hybriden des neusachlichen Jargons; er verschwindet nicht, wie die Untersuchungen zur Sprache in der Diktatur zeigen. Ist es der ungeheure Entscheidungsdruck der letzten Jahre, der nach dem produktiven Austausch der wissenschaftlichen Diskurse und der Künste wieder «authentischere» Rede erpreßt? Ein neues Genre wie das «Sachbuch» entsteht, das die Literarisierung der naturwissenschaftlichen Rede auf sich nimmt und den esoterischene Diskurs entlastet; der Technikkult wandert aus den Gefilden einer isolierten «Asphaltkultur» in den Alltag unterm Nationalsozialismus, sowie die Swingbewegung erst in den dreissiger Jahren Breitenwirkung weit über die Metropolen gewinnt und der Jazz als Ferment der Kunstavantgarde an Bedeutung verliert21. Die strahlenden Medien-Hybriden der zwanziger Jahre haben keine Bühne mehr.

41 Der «Jargon», behaupteten wir eingangs, hat bedeutungsgeschichtlich die Spannweite zwischen Vogelgezwitscher und wissenschaftlichem Code; und es scheint, im Rückblick, eine der glücklicheren Phasen, in der die uneigentliche Rede dominierte. Im Mai 1932, also ziemlich deplaziert, wurde noch einmal kräftig im Jargon geredet. Der Oberdada Johannes Baader (man hatte ihn schon lange vergessen) rückt den Jargon wieder in die Nähe des «warbling of birds». Ein heilsamer Schock in Zeiten, die sich soeben anschickten, ganz authentisch zu reden: Ex cathedra physika22.

Vom Einstein durch das Bohrloch der Plancke zum Heisenberg, Nahe bei Schrödingen an der Broglie, bin ich gegangen mit Ihnen, Meine Damen und meine Herren Physikaliker, Ehrenhaft, allen Ernstes, etcetera, Und ich habe die Seele gefunden bei Ihnen in der Richtung, mit der die Zeiträume des Geschehens, Und ihre Grenzen, Gestaltet werden vom ursprungslosen Ursprung in sich selber. Aber jetzt mache ich Schluss mit Ihnen, Denn in der Zauberei ihrer photonen Magnetone, Neben dem Wasserstoffkern als Protonpol der Elektrone, Zuzüglich der Neutrone, Matrone, Patrone, Ba-, Ka-, Ying, Yang, Chinone, Zapone, Ione und Zitrone, Die insgesamt alle weit über das Bohnenlied hinausgehen, Finden Sie selber nicht mehr zurecht, – Pardone ! Und ich verzichte mit Dank und Kompliment Für der hin auf ihre Anschauungen, Und auf Ihre Anschauungen, Und auf alle Ihre Formeln ! Also sprach der gesunde Menschenverstand zur «Koralle», Das sie als Allerneuestes vom Allerneuesten Den Homo Diraciensis Leszynski

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In die staunende Mitwelt und Umwelt Ihrer atomaren Raumwellenspringfluten einfügte.

NOTES

1. – Raymond Williams, Keywords. A vocabulary of culture and society (1976), Achte Auflage, London 1985, S. 174 ff. 2. – 1930 unternahm die Zeitschrift «UHU» den Versuch, ein Verzeichnis jener Wörter zusammenzustellen, «die in den letzten zehn Jahren Begriffe für uns geworden sind und zu unserem Leben gehören ». Der halbernste Versuch bricht schon nach einer Seite ab. Auf einer zweiten Seite finden sich in dadaistischer Manier 200 Schlagworte als Schnipsel zu einer wilden Vokabelmischung. «UHU. Das Magazin der zwanziger Jahre », Reprint, hg. v. Christian Ferber, /Berlin/Wien, 1979, S. 230/231. 3. – Aus einer Glosse von Siegfried Kracauer über Schlagworte des Ausverkaufs in Berlin, Frankfurter Zeitung, 13. Januar 1931. 4. – Walter Serner, Letzte Lockerung. Ein Handbrevier für Hochstapler und solche, die es werden wollen (1927), München, 1981, S. 123. 5. – Walter Serner, Der Pfiff um die Ecke (1925), München, 1982, S. 51. 6. – Walter Serner, Der Isabelle Hengst (1923), München, 1983, S. 7 ff. 7. – Quellen der Sprüche: Nr. O. Arnolt Bronnen, Die weibliche Kriegsgeneration, 1929. Zit, Sabotage der Jugend, Kleine Arbeiten 1922-1934. Hg. F. Aspetsberger, Innsbruck, 1989. Nr. 1: Paul Adler, zitiert von Julian Gumperz in seinem Artikel «Der Bolschewismus und die geistige Hoffnung », in Der Gegner. Blätter der Kritik der Zeit, Jg. 1, H. 1 (April 1919), S. 13. Nr. 2: Lloyd George 1921, zit. nach Theodor Lessing, Asien und Europa, S. 13. Nr. 3: Julian Gumperz und Wieland Herzfelde, Offene Fragen. In Der Gegner, Jg. 2, H. 7 (April 1921), S. 240. Nr. 4: (1928), in Kurt Tucholsky, Gesammelte Werke, Reinbek, 1975, S. 302. Nr. 5: Franz Schulz, Der Bürger und die Revolution, in Der Gegner, Jg. 1, H. 10-12 (1919), S. 42. Nr. 6: Axel Eggebrecht, Das Ende der bolschewistischen Mode, in Der Gegner, Jg. 3, H. 3 (Sept. 1922), S. 88. Nr. 7: Redaktion und Verlag der Zeitschrift, Der Gegner. Jg. 2, H. 10/11 (August 1921), S. 401. Reaktion auf eine Polemik gegen den Inseratenteil der Zeitschrift, in dem auch für sozialdemokratische und liberale Bücher und Zeitschriften geworben wurde. «Inseratenmöglichkeiten müssen wir benutzen so gut wie die Eisenbahn », hiess es in der Entgegnung, deren Argumentation ein Leitmotiv der neusachlichen Attitüde formuliert: «Revolution und Kommunismus wird nicht verwirklicht, wenn man einen grossen Bogen um die schmutzige Welt beschreibt, sondern wenn man sich mitten hinein stellt». Nr. 8: Hermann von Wedderkop, Wandlungen des Geschmacks, in Der Querschnitt (Juli, 1926). Zit. a.d. Reprint, Der Querschnitt, «Das Magazin der aktuellen Ewigkeitswerte» 1924-1933, hg. von Chr. Ferber, Frankfurt/Berlin/Wien, 1981, S. 168. Nr. 9: Walter Serner, Letzte Lockerung manifest dada (1920), in Walter Serner, Letzte Lockerung. Ein Handbrevier für Hochstapler s. Anm. 4, S. 48. Nr. 10: Walter Benjamin, Einbahnstrasse, Berlin, 1928, S. 63. Nr. 11: Hanns Meyer, Die neue Welt (1926), in H. Meyer, Bauen und Gesellschaft. Schriften, Briefe, Prospekte, Dresden, 1980, S. 27 f.

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Nr. 12: Siegfried Kracauer, Spannende Romane, in Frankfurter Zeitung, 1. Januar 1925. Nr. 13: Arnolt Bronnen, Das Wiederauftauchen der Mammute (1927), Zit.n. Arnolt Bronnen, Sabotage der Jugend, S. 140. Nr. 14: Alfred Döblin, Der Geist des naturalistischen Zeitalters. Die Neue Rundschau 1924. Zit. n.: A. Döblin, Aufsätze zur Literatur, Freiburg, 1963, S. 70. Nr. 15: Robert Musil, Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 1404. Nr. 16: Die Zeit der Tatsache (1923), R. Musil, Gesammelte Werke, Bd. 8, S. 1384. Nr. 17: Ernst Rowohlt, Über den Umgang des Verlegers mit Autoren, in Der Querschnitt (Januar 1931), Reprint 1981, S. 372. Nr. 18: Hermann von Wedderkop, Wandlungen des Geschmacks, Der Querschnitt (Juli 1926), vgl. Spruch Nr. 8. Auf diesen Satz folgen vier weitere, die zusammen das «Argument» bilden: «Zeitung ist fait divers, nicht Leitartikel. Das Wesen der Zeitung besteht im Heterogenen. Die einzige Bindung, die stärkste und genügende, ist die Frische des Ereignisses, das im nächsten Augenblicke zusammensinkt. Der Moment ist ausschlaggebend, er will Perspektive weder nach vorn noch nach hinten, sondern genügt an sich» (A.a.O. S. 163 f.). Nr. 19: , «Über das Denken als ein Verhalten», Die Veröffentlichung war im Heft 8 der «Versuche», das für 1933 geplant war, vorgesehen. Zit. nach: GW, Bd. 20, S. 159. Nr. 20: Alfred Adler, Körperform, Bewegung und Charakter, in Der Querschnitt (September 1930), S. 338. Nr. 21: Alfred Adler, Körperform… (s. Spruch Nr. 20), S. 342. Nr. 22: Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse, Frankfurter Hefte (9. u. 10. Juni 1927), in S. Kracauer, Das Ornament der Masse, Essays, Frankfurt a.M. 1963, S. 61. Das Zitat ist – der Bündigkeit des Spruchs zuliebe – leicht verändert. In Kracauers «Ornament der Masse» finden sich eine Fülle von Stichworten der neusachlichen Intelligenz. Eine Reihe von Stichworten wird man einige Jahre später in Brechts «Dreigroschenprozess» wieder begegnen. Nr. 23: Ernst Jünger, Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt, 4. Anflage Hamburg, 1941, S. 141. Nr. 24: Lion Feuchtwanger, Die Konstellation der Literatur (2.11.1927 im Berliner Tageblatt). Zit.n.: Anthony Kaes (Hg.), Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933, Stuttgart, 1983. Nr. 25: H.H. Stuckenschmidt, Der Unfug des Singens. In: Der Querschnitt (September 1930), Reprint. S. 359f. Nr. 26: Alfred Döblin: Der Geist des naturalistischen Zeitalters a.a.O., S. 67. Nr. 27: Gottfried Benn, Genie und Gesundheit. (Sept. 1930), in: Der Querschnitt, Reprint, S. 350. Nr. 28: Arnolt Bronnen, Moral und Verkehr (1930). Zit.n. Sabotage der Jugend, S. 125. Nr. 29: Ernst Ludwig Kirchner, Tagebuchaufzeichnungen 1926. Zit.n.: Literatur im Industriezeitalter, Eine Ausstellung des deutschen Literaturarchivs im Schiller-NationalMuseum Marbach am Neckar. Marbacher Kataloge 42/2, S. 276. Nr. 30: Siegfried Kracauer, Die Angestellten (1930), S. 290. Nr. 31: Alfred Döblin, Wissen und Verändern. Offene Briefe an einen jungen Menschen. Berlin 1931, S. 35. Nr. 32: Otto Hellers, Sibirien. Ein anderes Amerika (1930), Zit.n. H. Mörchen, Reportage und Dokumentärliteratur. In: Glaser (Hg.) Deutsche Literatur. Bd. 9, S. 185. Nr. 33: Schäfer-Ast, Alte Märchen neu erzählt von Schäfer-Ast. In: Uhu, Juni 1932, Reprint S. 83. Nr. 34: Herbert Jhering, Die Kreatur, Theaterrezension vom 11. März 1930. In: H. Jhering, Von Reinhardt bis Brecht, Bd. III, Berlin 1960, S. 49. Das Zitatist verkürzt. Nr. 35: Charlie Chaplin, Sieben Sätze (Januar 1931). In: Der Querschnitt, Reprint S. 371. Nr. 36: Theodor Wiesengrund-Adorno, Zur gesellschaftlichen Lage der Musik, in Zeitschrift der Sozialforschung, Jg. 1, 1932, H. 3, S. 362. Nr. 37: Ernst Jünger, Der Arbeiter, 1932, S. 105. Nr. 38: Oswald Spengler, Jahre der Entscheidung. Erster Teil: Deutschland und die weltgeschichtliche

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Entwicklung, München 1933, S. 37. Nr. 39: Walter Serner, Letzte Lockerung. Ein Handbrevier für Hochstapler. S. Anm. 4, Ratschlag Nr. 18, S. 71. 8. – Max Weber, Wissenschaft als Beruf. In: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, (hg. v. Joh. Winckelmann), Tübingen 1968, 3. Aufl., S. 594 und 605. 9. – Siegfried Kracauer, Die Bibel auf Deutsch. Frankfurter Zeitung (27. u. 28. April 1926). Zit.n. S. Kracauer, Das Ornament der Masse. Essays, Frankfurt a.M. 1963, S. 177. 10. – Edb. 11. – Bertold Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst I Frankfurt a.M. 1967, S. 45. 12. – Gottfried Benn, zit.n. Der Querschnitt, Reprint S. 360. 13. – Peter Sloterdijk, Kritik der zynischen Vernunft, 2 Bände, Frankfurt a.M. 1983. Eine Auseinandersetzung mit Sloterdijks Zynismus-Konzept s. H. Lethen, Von Geheimagenten und Virtuosen, peter Sloterdijks Schulbeispiele des Zynismus aus der Literatur der Weimarer Republik. In: Peter Sloterdijks «Kritik der zynischen Vernunft», Frankfurt a.M., 1987, S. 324-355. 14. – Mynona, Grotesk. Zit. n. P. Pörtner, LiteraturRevolution 1910-1925, Bd. 1, Darmstadt/Neuwied 1960, S. 327 ff. 15. – Arnold Gehlen, Reflexion über die Gewohnheit (1927), in: Philosophische Schriften I (1925-1933), Frankfurt a.M. 1978, S. 99. 16. – Ernst Jünger, Der Arbeiter, Hamburg 1941, S. 113. 17. – Ich beziehe mich hier, wie man an dem Begriff erkennt, auf ein Verfahren, das Michel Foucault vorgeschlagen hat. Vgl. M. Foucault, Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1981, S. 193 bis 212. Die Schwierigkeiten der Übertragung auf die Literaturwissenschaft sind ersichtlich. 18. – Martin Wagner, Das Formproblem eines Weltstadtplatzes (1929). Zit.n.: Tendenzen der Zwanziger Jahre, 15. europäische Kunstausstellung Berlin, 1977, Katalog 2/105. 19. – Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Hamburg, 1952, S. 9. 20. – Alfred Döblin, Der Geist des naturalistischen Zeitalters. In: Döblin, Aufsätze zur Literatur, Freiburg 1963, S. 82. 21. – Vgl. Hans Dieter Schäfer, Das gespaltene Bewusstsein. Deutsche Kultur und Lebenswirklichkeit 1933-1945, München 1981. 22. – Johannes Baader, Das Oberdada. Die Geschichte einer Bewegung von Zürich bis Zürich. Hg. von Karl Riha. Reihe Vergessene Autoren der Moderne XXXI, Siegen 1987, S. 15 f.

RÉSUMÉS

Im Mittelpunkt dieser Abhandlung steht eine Liste von 40 Sprüchen aus den Jahren 1918-1933, mit der die Kontur eines neusachlichen Habitus umrissen werden soll. Die Sprüche schillern zwischen Assimilation und Abwehr der Modernisierung. In ihnen mischt sich der Willen zur «Entzauberung» der Welt mit der Erinnerung daran, einem nichtverfügbaren Schicksal ausgeliefert zu sein. Der Jargon der Neuen Sachlichkeit dient der Einübung in einen Habitus des modernen Menschen, der ohne die Dimension der «Expression» und ohne die Gewißheit einer «Substanz» auskommen will. Die Werke der Neuen Sachlichkeit demonstrieren, daß mit der Negation von Expression und Substanz auch der Körper des Menschen aufs Spiel gesetzt wird.

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Cet article est centré sur une liste de 40 sentences caractéristiques de la période 1918-1933, qui nous permettent d'esquisser le profil de l'attitude « néoobjectiviste ». Ces phrases se situent dans une zone de miroitement où transparaissent l'assimilation de la modernité comme son refus. Elles expriment la volonté de dépoétiser le monde, tout en rappelant que l'homme est livré à un destin sur lequel il est sans prise. Le jargon « néo-objectiviste » familiarise avec un habitus de l'homme moderne qui veut se passer de la dimension de l'« expression » comme de la certitude « substantielle ». Les œuvres de la Nouvelle Objectivité montrent que lorsqu'on nie l'expression comme la substance, c'est aussi le corps de l'homme que l'on met en jeu.

AUTEUR

HELMUT LETHEN Universität Utrecht

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Neue Sachlichkeit als ethische Haltung La Nouvelle Objectivité : une attitude éthique

Pierre Vaydat

1 Der neusachliche Autor bzw. Lyriker vollbringt schreibend oder dichtend einen Akt der Demut im Sinne der Negation des künstlerischen Selbstgefühls und Geltungsdranges. Er verzichtet auf die Poetisierung der Wirklichkeit und die damit einhergehende Überhöhung seiner selbst, indem er die in der Hochliteratur zur Norm erhobene souveräne Handhabung der ästhetischen Mittel zurückweist. Dies tut er zum einen, um sich der sogenannten «Sache», d.h. der tunlichst nackten, soziologisch erfassten Wirklichkeit aus freien Stücken zu unterwerfen1; und andererseits, um sich in den Dienst einer aufklärerischen Aufgabe zu stellen. Angestrebt wird trotz der Selbstbescheidung nichts Geringeres als eine sittliche Läuterung der Kunst, die programmatisch dargestellt wird als Voraussetzung des Klarsehens. Auf diese Weise soll der gängige Stimmigkeitsanspruch der realistischen Darstellung endlich zur Echtheit werden, das Ästhetische in das Ethische übergehen, statt dass, wie sonst üblich, der umgekehrte Prozess stattfindet.

2 So spricht Horst Denkler mit Fug von einem «Arbeitsethos»2, das offenbar aufzufassen ist im Sinne einer neuartigen, an der Abbildung der Wirklichkeit orientierten Rechtschaffenheit; während Ernst Bloch umgekehrt die Neue Sachlichkeit verächtlich als «Muckertum» hinstellt, da sie einen «puritanischen Zug (…) mitten im kessesten Schein» aufweise3. Als Kracauer der Neuen Sachlichkeit in den Zwanziger Jahren noch nahestand, verkündete er diese Haltung als eine des stoischen «Wartens»: er wünschte sich den Intellektuellen, der im einstweiligen «Vakuum der Glaubenslosigkeit […] tapfer aus(zu)harren» wisse, statt «auf Grund romantischen Willensentschlusses irgendwo Unterschlupf (zu) suchen»4. «Romantische(r) Willensentschluss»: damit ist wohl gemeint ein ästhetischer im Gegensatz zu einem moralischen. Auch bei Kracauer ist die «Wirklichkeit» eine ethische Instanz – und zwar in Ermangelung einer vielleicht auf ewig ausbleibenden neuen «Sinnesoffenbarung». Hier treffen wir auch, wohl nicht zum ersten Male, aber immerhin schon ziemlich früh, die später banal gewordene

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neusachliche Metapher der «Kühle», die hier freilich einen erheiternden Eindruck macht, da der Stil des noch recht jungen Kracauer in einem bedenklichen Masse das Stigma der Nietzsche-Diktion trägt5.

3 Bis über 1929 hinaus, und auch nicht erst seit 1924, hat es eine Haltung des Schreibenden gegeben, die Döblin schon 1913 definiert hatte, wobei er die Kennzeichnung «Sachlichkeit» und das Adjektiv «sachlich» verwendete6. Döblin ging es schon damals nicht mehr um die Verteidigung des verlöschenden Naturalismus, sondern um neue Werte, welche die Literatur sich nur aneignen konnte durch eine moralische Bekehrung, da sie ihrer angewohnten ästhetischen Beschaulichkeit Hohn sprachen. Dass man sich damit auf dem Gebiet (oder zumindest auf dem Parkett) der sittlichen Entscheidung bewegte, liess Döblin verlauten mittels seiner angestrengten Kant-Parodie: «es wird so: der bestirnte Himmel über mir und die Eisenbahnschienen untermir»7. Das klingt wie eine Geschmacklosigkeit, doch freilich nur dann, wenn man die idealistische Heuchelei im wilhelminischen Diskurs überhört. Döblin verlangt vom Schriftsteller, dass er seiner bisherigen Kunstwelt entsage, dass er sich einer Askese unterziehe, die veraltete «Psychologie» und die «verheuchelte Lyrik» verabschiede. Das «Sachliche» wird aufgefahren gegen die «Bilder» («Bilder sind bequem»). Die neue Haltung, die er erfordert, bezeichnet Döblin ganz folgerichtig, wenn auch unangenehm bombastisch, als «Fanatismus der Selbstverleugnung» oder «Fanatismus der Entäusserung». Gemeint ist, dass der Autor in der «Sache» aufzugehen und seine selbstbezogene Individualität gleichsam aufzulösen habe: «(…) ich bin nicht ich, sondern die Strasse, die Laternen, dies und dies Ereignis, weiter nichts»8. In seinem berühmten Aufsatz von 1924 mit dem Titel «Der Geist des naturalistischen Zeitalters» bringt es Döblin dann fertig, den «naturalistischen Geist» vollends als eine neue, und zwar als die von jetzt an allein massgebliche Ethik zu präsentieren. Dieser Geist ist in der Sicht von Döblin keineswegs nur gleichbedeutend mit dem Naturalismus als einer literarischen Strömung, sondern er ist der wissenschaftliche und technologische Materialismus überhaupt, der bereits seit Jahrhunderten im Kampf liegt mit der «metaphysischen Periode», in welcher «der Schwerpunkt der gesamten weltlichen Existenz im Jenseits lag». Döblin will freilich das Wort «Materialismus» nicht akzeptieren und wählt statt dessen die Bezeichnung «Naturalismus». In diesem Text, der (paradoxerweise oder vielleicht eher, weil er einen eben unleugbar vorhandenen Tatbestand spiegelt) in manchem unheimlich auf Jüngers «Arbeiter» vorzuweisen scheint, feiert Döblin den «Gesellschaftstrieb» und deutet ihn ungezwungen klischeehaft «biologisch» aus: Er schafft die wechselnden grossen neuen Verbände und ihren Geist, die Völker und Kulturen. Biologisch sind das Versuche, zu Variationen zu gelangen, neue Menschentypen zu bilden»9. Was beim jungen Kracauer etwa gleichzeitig noch eine gewissermassen idealistisch befangene Geschichtsmetaphysik blieb (das Zeitalter des «Wartens» zwischen dem verblassten «Absoluten» und der vorläufig nur zu erträumenden «neuen Sinnesoffenbarung»), das tritt uns bei Döblin entgegen als robustes biologistischoptimistisches Glaubensbekenntnis: «Charakteristisch für die jetzige Epoche muss sein das Kleinheitsgefühl, stammend aus der Einsicht von der verlorenen zentralen Stellung in der Welt, und das der Einsicht in die Belanglosigkeit des tierisch-menschlichen Einzelwesens. Daneben steht das Freiheits- und Unabhängigkeitsgefühl, stammend aus der Gewissheit, nicht für ein Jenseits zu leben und alles von sich aus leisten zu müssen. Mit dem Freiheitsgefühl verbindet und aus ihm wächst sofort der Antrieb zu kräftigster Aktivität. Es kommt ganz und gar nicht zur Verzweiflung nach dem Schwinden der Jenseitsgläubigkeit. Es

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wird so: der bestirnte Himmel über mir und die Eisenbahnscheinen unter mir»10. Diesem Wandel gegenüber fordert Döblin eine ethische Haltung, welche die «Entseelung» in Kauf nehme, weil diese nur die notwendige negative Seite des unabdingbaren «schweren langsamen Prozesses der Umseelung» darstelle. Im Zeichen dieser «Umseelung» leistet sich Döblin den jugendlichen Streich, nach dem Kant- Spruch auch den bekannten Fontane-Spruch zu profanieren: «Diese Menschen sagen wirklich statt Gott Kattun. Aber Kattun ist ihnen so wenig ein Spass wie den früheren ihr Gott»11. Gemeint sind statt wie im Stechlin die Engländer die neuen Menschen des sogenannten naturalistischen Zeitalters überhaupt, die die Technik wirklich bejahen und sich mit den neuen Entwicklungen der Maschinenkultur identifizieren.

4 Döblin ist Anfang der Zwanziger Jahre dermassen entschlossen, sich mit der «technisch-naturalistischen Kraft» zu identifizieren, dass er sogar dem Industriekapitalismus einen zu guter Letzt uneigennützigen, weil eben auf Grund des neuen heraufziehenden Weltzeitalters legitimen «Machtwillen» bescheinigt12, daneben freilich ebenfalls dem durch die sowjetische Revolution umgestalteten Russland: «Der eigentliche Feind dieser Revolution ist nicht der Bürger. Kapitalist und Sowjets haben einen gemeinsamen Feind, den Antinaturalisten, Antitechniker, auch Humanisten: Tolstoï»13. Sehr richtig erblickt Döblin als weitere Feinde des von ihm umrissenen neuen Lebensgefühls nicht nur den Humanismus auch in der Form der klassischen Bildung, sondern das «Ländliche»14; damit ist der Abwehrwille der bedrängten Agrarmentalität gemeint, zu dessen Manifestationen Döblin in undifferenzierter Weise auch den Ku Klux Klan und den Zionismus zählt.

5 An das Ende seines Aufsatzes hat Döblin eine Reflexion über das Verhältnis der «naturalistischen Epoche» zur Ethik gestellt, versehen mit der Überschrift «Hinweis auf Ethisches»15. Nachdem er freimütig zugegeben hat, dass die neue Zeit in dieser Hinsicht noch nicht viel zu bieten habe, weil sie erst am Anfang ihrer Entwicklung stehe, versucht er nichtsdestominder zu suggerieren, dass der «Kollektivcharakter» dieser anbrechenden Epoche schon an und für sich ein «ethisches Faktum» darstelle. Offenbar verspricht sich Döblin von der technischen Entwicklung auch die eines neuen Zusammengehörigkeitsgefühls.

6 Das Vordringen der Sachlichkeit versuchten etwa zur gleichen Zeit, d.h. während der Stabilisierungsperiode, auch die Fachphilosophen als «ethisches Faktum» zu erfassen. Am bekanntesten ist in dieser Hinsicht wohl «Ideologie und Utopie» von Karl Mannheim geblieben (Erscheinungsjahr: 1928). Mannheim ging vom Befund des übergreifenden «Relativismus» und des «völligen Abbaus der Seinstranszendenz»16 aus, wobei er als philosophisch geschulter Kopf eine viel eingehendere Analyse vorzulegen vermochte als der in ähnlichen Bahnen denkende Döblin. Die «Sachlichkeit» interpretierte Mannheim vor allem als «Destruktion»17 der überkommenen «Ideologien» und «Utopien, aber (und hier lag seiner Meinung nach das Neue), verbunden mit einem keck ausgesprochenen Bekenntnis zur nackten Existenz: «Es gehört eine von unserer Generation kaum mehr vollziehbare Herbheit oder die ahnungslose Naivität einer in diese Welt neu hineingeborene Generation dazu, mit der so gewordenen Wirklichkeit in diesem Sinne in absoluter Deckung zu leben, ohne jede Seinstranszendenz, sei es in der Gestalt der Utopie, sei es in der Gestalt der Ideologie»18. Diese Herbheit, der man kraft dieser Beschreibung jeden Anspruch, als sittliche Leistung zu gelten, streitbar machen dürfte, bewertet Mannheim jedoch trotzdem als eine neue Form von Sittlichkeit: «Ist doch die Echtheitskategorie nichts anderes als das

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in das Seelische übertragene Prinzip der Seinskongruenz – das in das Ethische projizierte Prinzip der Sachlichkeit»19.

7 Mannheim will es aber – wohlgemerkt – nicht bei der Sachlichkeit bewenden lassen, da er in ihr die Gefahr der «Spannungslosigkeit» erblickt. So kommt es bei ihm zu einer Zurückweisung der Sachlichkeit, weil an ihr «der menschliche Wille zugrunde geh(e)» 20. Mannheim findet sich zwar zur Not noch einigermassen ab mit der «Ideologieenthüllung». Aber das Dahinschwinden der «Utopien» erfüllt ihn mit Bangigkeit. Er sieht den Nihilismus heraufziehen: «Es entstünde die grösste Paradoxie, die denkbar ist, dass nämlich der Mensch der rationalsten Selbstbeherrschung zum Menschen der Triebe wird, dass der Mensch, der nach einer so langen opfervollen und heroischen Entwicklung die höchste Stufe der Bewusstheit erreicht hat – in der Geschichte nicht blindes Schicksal, sondern eigene Schöpfung wird –, mit dem Aufgehen der verschiedenen Gestalten der Utopie den Willen zur Geschichte und damit den Blick in die Geschichte verliert»21. Anders und einfacher gesprochen: die Welt der nackten Existenz ist die, wo die Sachzwänge schrankenlos walten. Mannheim selbst befleissigt sich, als Verkünder nicht des Relativismus, sondern des «Relationismus» aufzutreten, indem er, den Boden der Ethik damit immerhin wieder verlassend, die «Gebundenheit des ''Wahrheitsbegriffes'' an die vorhandenen Wissensarten» betont22.

8 Fazit: Mannheim will die Sachlichkeit nur in einem eingeschränkten Sinn gelten lassen, vermag ihr aber letztendlich auch selber nicht zu entrinnen, da die Unterscheidung von «Ideologie» und «Utopie», von Rechtfertigung des Bestehenden und Sprengung des Bestehenden, sich kaum aufrechterhalten lässt: macht doch Mannheim von selbst darauf aufmerksam, dass die verschiedenen noch am Leben gebliebenen Utopien sich gegenseitig mit dem Ideologieverdacht bewerfen23.

9 Ganz anders ist die Tonart bei Emil Utitz («Die Überwindung des Expressionismus», 1927). Utitz' Ansichten sind für uns ein verlockendes Thema, weil er zu den wenigen gehört, die sich ausdrücklich zur Neuen Sachlichkeit bekennen. Schon eingangs verkündet er mit entwaffnender Selbstsicherheit: «Ich halte die neue Sachlichkeit – oder wie man sonst diese Strömung taufen mag – für den einzigen möglichen Weg: nicht weil andere psychologisch ausgeschlossen sind, sondern weil er allein heute mir geboten scheint, soll nicht die drohende Kulturdämmerung furchtbare Wirklichkeit werden. In dem Kampfe gegen sie bin ich bewusst Partei, allerdings ohne irgendeine Gewähr für den Ausgang des Kampfes zu übernehmen»24. Wichtig ist dem Professor Utitz die Zurückdrängung der «Mythes» zugunsten des «Loges», m.a.W. das Bestreben, den politischen Irrationalismus zu bannen. Er beruft sich in diesem Zusammenhang auf den jüngst vollzogenen Sinneswandel von Thomas Mann und zitiert diesbezügliche Stellen aus dessen «Pariser Rechenschaft», um anschliessend hochtrabend aber nichtsdestominder hellsichtig zu proklamieren: «Aus den ärgsten Nöten des Tages, aus wirtschaftlichem und staatlichem Chaos heraus, in das romantisierender Expressionismus wundergläubig steuert, erwacht die Sehnsucht, dass nur wegweisende Klarheit – nicht klügelnde Taktik – führen dürfe. Und über dieser dem Jetzt und Heute zugewandten Rationalität, die gewiss auch von starken und männlichen Gefühlen getragen wird, wölbt sich in ruhiger, ewiger Pracht das Reich des Logos, jene Vernunft die Aristoteles schon preist, und die Schicksal des Abendlandes ist, soll es nicht selbst sich zerstören»25.

10 Immerhin ist sich Utitz der Gefahr durchaus bewusst, dass die neusachliche Haltung unecht, eine «Geste» bleiben könnte, ein «ästhetischer Snobismus»26. Daher ist er auch

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bemüht, eine Anzahl von angeblichen Repräsentanten der neusachlichen Gedankenwelt herbeizuzitieren, die uns Späteren freilich als solche gar nicht vorkommen, damals aber einen durchaus respektablen Eindruck machen mussten: Wyneken, Hartmann, Albert Schweizer.

11 Kohärenter ist allerdings die politische Programmatik, die Utitz der Sachlichkeit beilegt. Er beruft sich auf das amerikanische Gesellschaftsmodell27; seine These lautet: der amerikanische Kapitalismus habe den Gedanken des Dienstes am Ganzen zu versachlichen gewusst, wobei dem Monopolkapitalismus als « grandiose » rationale(r) Sachlichkeit» der Staat als Gegengewicht, und zwar als Träger der «Sittlichkeit» gegenüberstehe. Die Sachlichkeit sei nun zu einer politischen Notwendigkeit im Weltrahmen geworden: sie allein bilde beim einzelnen wie bei den Massen die charakterlichen Voraussetzungen dafür aus, dass die Demokratie überhaupt funktioniere, denn sie erziehe zu Ordnung und Disziplin. Die Zukunft der Menschheit hänge nun einmal davon ab, dass man die politischen Probleme zu versachlichen wisse, um sie unter Kontrolle zu bringen: «Nur eine volle Versachlichung der staatlichen Fragen dient dem Heil, während jede – auch die edelste – Romantik gerade heute Quelle unsagbarer Katastrophen wird»28. Dass die Sachlichkeit, zumal die amerikanische, sich brutal und gelegentlich verheerend auswirken kann, scheint Utitz nicht zur Kenntnis zu nehmen. Ihm geht es offensichtlich auch darum, die Stabilisierung im Zeichen der «Dollarsonne» (Arthur Rosenberg) mit einer zeitgemässen Ethik zu versorgen. Nicht suspekt ist ihm die Sachlichkeit aber auch aus einem anderen, durchaus ehrbaren Grunde: er fasst sie von vornherein als eine Ethik auf, und zwar als eine überzeitliche, wobei der eingangs bemühte «Logos» für die unabkömmliche Dosis von Transzendenz zu bürgen hat.

12 Utitz hat sich viel Mühe gegeben, um die Neue Sachlichkeit in eine ehrwürdige Tradition einzubetten, in der offenbaren Absicht, den ihr anhaftenden Makel der Modernität zu löschen. Neue Sachlichkeit, das lassen die ersten Kapitel seiner «Uberwindung des Expressionismus » verlauten, ist in ihrer Strenge und Schönheit die Erbin und Wortführerin der deutschen und der sonstigen Klassik. Ernst Bloch schreibt 1935 höhnisch, allerdings ohne den Namen Utitz zu erwähnen: «Eine Reprise von klassizistischer Ruhe und Strenge ging durch die Welt, durch jenes Dasein voll edler Einfalt, stiller Grösse, worin die Kapitalisten leben»29.

13 Viel weniger geistig anspruchsvoll begegnet uns die neusachliche Ethik bei ihren populären Vertretern. Hier ist die Tendenz auffällig, den Begriff Sachlichkeit als Markenzeichen zu verwenden. Dies scheint mir namentlich der Fall zu sein bei solchen Publizisten Matzke und Wedderkop.

14 Die Ausführungen von Franz Matzke («Jugend bekennt: So sind wir!», Leipzig, 1930) verdienen unser Interesse schon deshalb, weil dieser sich (wie der geistig höher stehende Professor Utitz) ausdrücklich zur Neuen Sachlichkeit bekennt, und sich dabei auch in löblicher Weise bemüht, bei ihrer Definition um klare Verhältnisse zu sorgen. Die «neue» Sachlichkeit, schreibt er, sei «Sachlichkeit im Lebensstil» und nicht bloss in den Methoden, wo es sie natürlich «immer gegeben hat». Da Lebensstil eine mehr oder minder bewusste Umsetzung eines Lebensgefühls in die Praxis bedeutet, ist es durchaus statthaft, hier einen ethischen Impuls zu diagnostizieren. Das Wort «Lebensstil» scheint mir übrigens nicht sehr glücklich gewählt; angemessener kommt mir die Bezeichnung «Lebenshaltung» vor, die Rudolf Arnheim in seiner Besprechung des Matzke-Buches verwendet30.

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15 Matzkes Schilderung der Neuen Sachlichkeit als Lebenshaltung ist aufreizend apodiktisch geschrieben. Es klingt hier etwas durch von der hemmungslosen Rhetorik des «deutschen Jünglings»: Matzkes Ausdrucksweise bringt den inzwischen noch viel sachlicher gewordenen heutigen Leser streckenweise zum Schmunzeln. Es geht ihm offensichtlich darum, jede Form von gefühlsbetonter Kommunikation im menschlichen Verkehr wie im Verhältnis des Subjekts zur Welt als lyrische Empfindsamkeit und verpönte «Beseelung» ostentativ wegzuräumen. Matzke macht dabei von den Worten «Kühle» und «Kälte» ausgiebig Gebrauch. Wieder einmal ist der Hinweis auf das Ethische massgeblich: Matzke labt sich an solchen Begriffen wie «Reinheit» und «Grösse». Es hiesse jedoch, glaube ich, verfehlt denken, in Matzke nur einen Nachplapperer von Döblin und Utitz sehen zu wollen. Manchmal bewegt er sich auch am Rande von geradezu «nationalrevolutionären» Vorstellungen, wie sie namentlich in Jüngers damaligen Essays anzutreffen waren. Kracauer hat in seiner Kritik des Matzke- Buchs31 auf eine Stelle aufmerksam gemacht, die uns die Dehnbarkeit der solcherart aufgefassten neusachlichen Ethik und die weiten Möglichkeiten ihrer Vereinnahmung konkret vor Augen führt: «(…) die Unterordnung unter eine Aufgabe, unter ein Ziel (…) bis zur Nichtachtung der eigenen Person. Es ist die Ethik des Sportmanns und des Ozeanfliegers, die Ethik des Soldaten und des Wissenschaftlers: mag mein Leben untergehen, wenn nur das erreicht wird, dem ich diene!» Kracauer interpretierte diese Lebenshaltung als «Flucht» vor der rationalen Auseinandersetzung mit der « gesellschaftlichen Situation und der Notwendigkeit des Wandels»32.

16 Ebenfalls im Namen dieser neuen ethischen Sensibilität verurteilte Hermann von Wedderkop (Herausgeber der neusachlichen Zeitschrift «Der Querschnitt») den ohnehin dahinsiechenden Expressionismus33. Auch bei ihm gewinnt die unablässig bemühte « Wirklichkeit » die Qualität einer moralischen Instanz34. So gelangen «Kino» und «Zeitung» in den Rang von Mitteln der geistigen Askese, denn sie bewerkstelligen eine «Wirklichkeitsbeschwörung», zu der bei weitem nicht alle geistig Produzierenden berufen sind: denn die meisten unter solchen bleiben befangen in «Bürgerlichem», «Kitsch», « Schlendrian» und verzweifelten Anstrengungen der «Phantasie». Dabei kommt es bei Wedderkop gelegentlich zu lächerlichen Entgleisungen (Wochenschau als «Quintessenz des Zeitgeschehens»). Angestrengte Modernität (Wedderkop brüstet sich mit seinem «Wirklichkeitsfanatismus») ist für unser heutiges Empfinden das Ergebnis: Markenzeichen eben, selbst wenn das dahinterstehende Lebensgefühl Wedderkop nicht schlankerhand abzusprechen ist.

17 Die Umsetzung dieses ethischen Impulses in einen literarischen lässt sich in fast allen literaturkritischen Textproben verfolgen, die A. Kaes als Dokumente der neuen Sachlichkeit zusammen gestellt hat35. So bei Alfred Polgar in seiner Rezension des Hemingway-Erzählungsbands « Men Without Women » (« Das Tagebuch», 14.12.1929). Hier wird aus der literarischen Beurteilung unversehens eine moralische Bewertung: «Hemingways Geschichten sind nackter Realismus, in der Darstellung von einer schon fast romantischen Nüchternheit, ihr geistiges Klima Höhenklima: dünne Luft, Kälte bei intensiver Strahlungswärme. Figuren und Dinge stehen in schneidendem, unbewegtem Licht, ihr Schatten fällt, ohne dass der Dichter ihn gekennzeichnet hätte. Der mischt sich niemals in die Erzählung. Kein Fingerzeig, keine Wertungen, keine Bilder, kein Für und Wider, kein Durchleuchten, keine Pointe (…). Auch an Schilderung wird nur das Existenzminimum gegeben, obschon Hemingway ein grossartiger Schilderer ist»36. Den gleichen moralisierenden Tonfall finden wir beispielsweise in der Besprechung des

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Romans von Erik Reger «Union der festen Hand» durch Ernst Glaeser («Die literarische Welt», 21.8.1931)37, hier ist gleich eingangs die Rede von einer Literatur neuer Art, «sachlich-brutal, moralischdirekt, ethischschwerfällig», die es nicht abgesehen habe auf stilistische Feinheiten, geniale Formulierungen oder irgendeinen sonstwie bewirkten kultivierten Hochglanz, sondern die schlicht «darstellt und deutet», deren Ethik somit darin besteht, dass sie sich eine rein didaktische Sendung auferlegt. Neben Regers Industrie-Roman lässt Glaeser aus betont ethischen Gründen nur Falladas «Bauern, Bonzen und Bomben», die Lehrstücke von Brecht, die Kriegsromane von Ludwig Renn und Remarque sowie die zeitgenössische angelsächsische Literatur gelten (letztere hatte auch Feuchtwanger zu paradigmatischer Bedeutung erhoben)38.

18 Es wäre natürlich töricht, nun einen Destillationsprozess in Gang zu bringen, um aus den von Glaeser aufgelisteten Texten eine Reihe von moralischen und politischen Verhaltensregeln zu abstrahieren. Was Glaeser herausstellen will, ist das allen diesen Werken gemeinsame Moment der Erzeugung von Betroffenheit: das Verbindende zwischen ihnen ist der moralische Schock, den sie dem Leser vermitteln und wodurch sie ihn wachrütteln wollen. Diese Betroffenheit ist von eigentümlicher Art, weil ihr ein rationales Moment innewohnt, das eben ein Sondermerkmal der Neuen Sachlichkeit darstellt: dem Leser wird durch die Lektüre dieser Texte zum Bewusstsein geführt, dass er geknechtet ist durch die anonymen Mächte des Kollektivs im technischen Zeitalter, so dass die Lebensaufgabe, die er zu bewältigen hat, die Wiederaneignung seiner Freiheit ist. Dies aber erfordert den Mut zur kritischen Distanz und zur Selbstlosigkeit der analytischen Haltung. Glaeser verwirft auf eine Weise, die tatsächlich etwas Puritanisches an sich hat, das Alibi des «Ewig-Menschlichen» sowie alles, was einen Nachgeschmack von «Belletristik» oder «Unterhaltung» hinterlässt. Er wünscht sich eine schmucklose und engagierte Literatur, die den bürgerlichen Individualismus in seiner bösen, egoistischen Form, wie der Leser ihn in sich verspürt, gründlich wegkuriere. Denn der bürgerliche Individualismus ist längst nicht mehr, so etwa könnten wir Glaesers Gedanken fortentwickeln, das seinerzeit von Kant empfohlene Herausgehen aus der Unmündigkeit, sondern ganz im Gegenteil ein Zurücksinken in diese, wobei die «schöne Literatur» ungeachtet ihrer unbestreitbaren Meisterleistungen eine narkotisierende Rolle spielt.

19 Wie man einer solcherart vorgetragenen aufklärerischen Intention auch gegenüberstehen mag, ihr liegt ein unleugbarer ethischer Ernst zugrunde, sie ist keine Pose. Denn wem sie nicht eignet, wer bloss ihre Diktion imitiert, dem ist die Neue Sachlmichkeit nur eine zynisch anzuwendende Schreibtechnik zur Erzielung von neuartigen Stileffekten, wie sie beispielsweise im Bronnen-Roman «O.S.» zu finden ist39.

20 Vollends in die Sphäre des Ethischen hinaufgehoben sehen wir die Literatur der Neuen Sachlichkeit im Aufsatz «Männliche Literatur von Kurt Pinthus» («Das Tagebuch», 1.6.1929)40. Hier steht neben der Selbstbescheidung, dem Verzicht auf das «Dichten» und die von ihm erzeugte Pathetisierung, der «Antiillusionismus» im Mittelpunkt. Und zwar besteht laut Pinthus die ethische Haltung der neuen Literatur (Roth, Renn, A. Zweig, M.L. Fleisser) gerade in der Tapferkeit, die dazu gehöre, den Bankrott des empfindsamen Humanismus angesichts von Krieg, Inflation, verfehlter oder verhinderter Revolution als «Tatsache» zu akzeptieren und nun von dem Befund der nackten Existenz auszugehen. Literatur sei fürderhin «die unmittelbar gezeigte Krassheit des Zustands und Geschehens».

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21 Diese Haltung paart sich mit einer anderen Form von Askese, nämlich der Abstandnahme vom privatistischen Seelenleiden mit den einhergehenden Selbsterkenntnissen und Ergüssen. In Feuchtwangers Roman «Erfolg» sehen wir bereits 1925 die Reflexionen einer neusachlichen Frau bei der Literaturrezeption abgebildet: «(…) die Romane der Epoche sagten ihr (Johanna Krain) nichts. Sie hatten das Weltbild, die Konventionen der bürgerlichen Gesellschaft zur Voraussetzung und machten ungeheuer viel Gewese, bis einer mit seinen Geschäften Erfolg oder Misserfolg hatte, oder bis einer mit einer schlief»41.

22 In der Endphase der hellsichtigen Ohnmacht bleibt die neusachliche Literatur durch diese ethische Haltung geprägt. Der in der Forschung öfters besprochene grosse Bruch am Anfang der Dreissiger Jahre (Weltwirtschaftskrise, Massenarbeitslosigkeit, Hitlers Aufstieg) bedeutet auf dieser Ebene keinen wirklichen Einschnitt. Die übliche Zweiteilung in eine eher affirmative und eine darauffolgend pessimistische Phase ist nur bedingt stichhaltig. Die Ideen etwa eines Utitz (die übrigens gar nicht so blauäugig optimistisch waren, wie man gemeinhin annimmt) haben auf das Welt- und Menschenbild der neusachlichen Autoren keinen nachhaltigen Einfluss ausgeübt. Desillusioniert war die Neue Sachlichkeit trotz ihres Aufklärungsanliegens bereits vor dem Ende der Stabilisierungsphase. Darüber belehrt uns ein Blick auf die Chronologie: Feuchtwangers «Erfolg» erschien 1925, Ludwig Renns «Krieg» 1928, Remarques «Im Westen nichts Neues» Anfang 1929, Roths «Flucht ohne Ende» und Arnold Zweigs «Streit um den Sergeanten Grischa» 1927. 1927 ist auch das Erscheinungsjahr von Brechts «Hauspostille». 1928 und 1929 (und nicht erst nach dem Ausbruch der Krise) erschienen von Kästner die Gedichtbände «Herz auf Taille» und «Lärm im Spiegel». Die zweite (knappere) Fassung von Horvaths « Sladek » wurde im Oktober 1929 uraufgeführt.

23 Der Neuen Sachlichkeit wurde in der Endphase der Republik ihr nihilistisches Gehabe vorgeworfen: Nihilismus, zur Schau getragen, als Markenzeichen auf Konsumartikeln. Anvisiert wurde die Kaltschnäuzigkeit des neusachlichen Diskurses, und zwar vorwiegend in der Form, die er bei Kästner und Irmgard Keun annahm. Dabei wurde aber der despektierliche Tonfall ungebührend mit einem Mangel an innerer Teilnahme gleichgesetzt. War nun in der Tat der ethische Impuls abgelöst durch eine schnöde, leicht zu vermarktende moralische Indifferenz?

24 Doch will das Fazit der entzauberten Existenz und der durch Industrialismus und Bürokratismus bewirkten Atomisierung der Gesellschaft noch lange nicht heissen, dass etwa dem Lyriker Kästner kein besseres Menschenbild vorschwebt oder dass er sich aller sittlicher Wertvorstellungen entledigt hat. Das in ethischer Hinsicht immerhin Bedenkliche ist im Grunde Kästners Mischung von «Süffisanz und Fatalismus», dit Walter Benjamin in seinem Artikel «Linke Melancholie» anprangerte42. Benjamins Kritik trifft – sehen wir einmal von ihrer politischen Intention ab – den ethischen Kern der Neuen Sachlichkeit, den Anspruch auf Echtheit. Insofern ist sie auch durchaus anwendbar auf Werke anderer neusachlicher Autoren in derselben Zeit, auf Horvaths «Italienische Nacht», Irmgard Keuns «Gilgi» und ihr «Kunstseidenes Mädchen» und Falladas «Bauern, Bonzen und Bomben». Alle diese Werke, die den literarischen Ruhm der Neuen Sachlichkeit für die Nachwelt erst wirklich begründeten, kennzeichnet der politische Überdruss an der Unzulänglichkeit der Weimarer Führungseliten und «Bonzen», die Abkehr vom politischen Kampf, der sich zunehmend polarisiert; die Regignation geht dabei Hand in Hand mit der Zurschaustellung der eigenen Fähigkeit,

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eine hoffnungslos verfahrene, dem Chaos entgegentreibende politische und wirtschaftliche Lage in spannende Lektüre oder witzigen Unterhaltungsstoff zu verwandeln. Bei Kästners Gedichten wird, folgt man dem Gedankengang Benjamins, der ethische Anspruch zunichte gemacht auch durch die Beschaffenheit des speziellen Lesepublikums, das Kästner ansprechen will: Angehörige der «Zwischenschicht – Agenten, Journalisten, Personalchefs»; lauter Wendriners also, möchte man meinen, hätte Benjamin nicht auch ausdrücklich den Kurt Tucholsky im selben Artikel unter Beschuss genommen.

25 Weniger anspruchsvoll als Benjamins Rezension des Kästner Gedichtbands «Ein Mann gibt Anskunft» liest sich Bernhard von Brentanos Verriss des Keun-Romans «Gilgi» in der «Linkskurve»43, der ebenfalls die Diagnose des Ethikdefizits stellen zu dürfen meint. Der Autorin wird « Indifferenz » gegen die Leiden der Masse vorgeworfen, da die neusachliche Heldin sich sowieso allein durchbringe und dabei am Ende auch über alles hinwegsetze, was ihr «lästig» sei, einschliesslich besagten Leidens.

26 In der Tat sind die ethischen Ansprüche, die Gilgi und Olga, die beiden neusachlichen Frauen, an sich und an die anderen stellen, die Werte des ungeschminkten bürgerlichen Individualismus aus einer Zeit, wo es in ökonomischer Hinsicht aufwärts ging: Selbständigkeits- und Durchsetzungswille, Arbeitsamkeit und Rührigkeit, Selbstdisziplin, Skepsis gegenüber romantisierenden Klischees und idealistischen Phrasen. Es kann freilich nicht davon die Rede sein, dass Gilgi bzw. die Autorin Irmgard Keun gleichgütlig bleiden gegen das Elend, das sie umgibt. Aber der Autonomienanspruch bleibt massgeblich, selbst wenn Gilgi sich konfrontiert sieht mit der verzweifelten Lage der Arbeitslosen: «Elend und Armut, das ist vielleicht nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass man den Menschen hier jedes Verantwortungsgefühl genommen hat. Das Schlimmste ist, dass manche sind, die sich beinahe behaglich fühlen in dem «Ich kann nichts dafür» – betten sich in den Begriff ausschliesslich fremder Schuld am eigenen Elend wie in einem Sarg. Lassen sich das gute, gute Wissen um eigene Trägheit und Fehlerhaftigkeit morden, lassen Lebenswillen und Kraftwunsch langsam in sich sterben (…)»44. Es steckt in dieser Gesinnung schon ein tüchtiges Stück säkularisierten «Puritanertums». Die Kennzeichnung der Neuen Sachlichkeit durch Ernst Bloch, die wir eingangs zitierten, ist (vorausgesetzt freilich, dass man sie aus ihrem bizarren Kontext herauslöst) gar nicht so abwegig, sie scheint jedenfalls vorzüglich zu passen auf die Gilgi-Figur: «ein puritanischer Zug (…) mitten im kessesten Schein». Bei aller zur Schau getragenen sexuellen Freizügigkeit hat das Mädchen Gilgi fast alle Eigenschaften, die der Freiburger Professor G. von Schulze Gaewernitz beim englischen Puritaner feststellte: «Selbstbeherrschung und Selbstvertrauen, Unabhängigkeit von der Meinung und der Hilfe anderer, Unabhängigkeit aber auch von den eigenen Affekten, Planmässigkeit der Lebensführung, Misstrauen gegen alles rein Gefühlsmässige und Instinktive bezeichnen diesen stahlharten Menschen, welcher im 16. Jahrhundert auf die geschichtliche Bühne hervortritt»45. Gilgi vertritt die frühe bürgerliche Ideologie der «self-reliance» in Reinkultur: Autonomie des Gewissens plus die Eigenschaften des unabhängigen Unternehmers. Jeder Art von Denken mit Ausrichtung auf das bergende Kollktiv ist dies ein Schlag ins Gesicht. Eine ähnliche neusachliche Härte legte die Revolutionärin Eva Berg schon 1927 an den Tag in Tollers «Hoppla, wir leben!» (vgl. 2. Akt, 1. Szene).

27 In Kästners Fabian ist das Ethische schon im Untertitel angekündigt: «Die Geschichte eines Moralisten». Fabian ist, an Gilgi gemessen, ein weicher Mensch. Die Grundhaltung

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des «Moralisten» ist, so Lethen, die witzige Passivität, betrieben als permente Selbstaufwertung46. Die linksgerichtete Kritik hat damit ein leichtes Spiel. Der ethische Anspruch, soweit er vorhanden ist, scheint sich bei Fabian gleichsam von selbst aufzuheben. Darf man also Egon Schwarz beipflichten, wenn er trotzdem Kästner den Verdienst attestiert, er habe «dem Lebensgefühl des Weimarer Humanisten unverwechselbaren und unvergesslichen Ausdruck» gegeben?47

28 Man könnte im Falle des «Fabian» durchaus geltend machen, dass Kästner sich zu den gängigen Grundsätzen bürgerlichen Zusammenlebens bekennt. Bei ihm, darauf hat R.W. Leonhardt hingewiesen, kann sogar «keine Rede (…) von einer Moral der Emanzipation (…) sein»48. Schmerzhaft erlebt Fabian die Auflösung der moralischen Werte, die als Regulative für jede echte Demokratie unentbehrlich sind. Es ist aus mit der Festigkeit der Ehe, der Reinheit der Liebe, dem ehrlichen kollegialen Verhalten, der Würdigung des Verdienstes, der wahrheitsgemässen Aufklärung des Publikums durch eine freie, das allgemeine Interesse stets im Auge behaltende Presse. Man kann es immerhin verstehen, dass die provozierende und pikante Art, wie Kästner diesen Befund ausbreitet, auf strenge Gemüter eher kulinarisch wirkt. Die Grundfrage aber, die der «Fabian» auch noch an uns stellt, die wir 50 Jahre später leben, lautet: Ist eine ethische Haltung überhaupt noch denkbar in einer Welt der Sachzwänge und der Verlogenheit, wo das Menschenschicksal in ethischer Hinsicht zunehmend sinnlos wird, deren Gang Kants Postulate der praktischen Vernunft auf Schritt und Tritt Lügen straft?

29 Als die westliche Welt nach 1945 dank dem Marschall-Plan und neuer Lebenslügen wieder ins Lot kam, setzte mann Labudes neusachliches Ideal des aufgeklärten Wohlfahrtsstaats in die Praxis um, solange zumindest, wie die Konjunktur auf dem Arbeitsmarkt es erlaubte. Es entstand gleichzeitig von neuem der Himmel des Eigentums, in den in Horvaths «Italienischer Nacht» die Leni ihren Karl hinanzieht49.

30 Einen unangenehmen Eindruck machte die Neue Sachlichkeit eigentlich eben eher dadurch auf die Gemüter, dass sie am Ethischen klebte und sich hartnäckig der parteilichen Bindung versagte. In dieser Hinsicht ist Döblins Schrift «Wissen und Verändern» eines der grossen Zeugnisse neusachlicher Ethik50. Durch diese Weigerung, sich direkt am politischen Kampf zu beteiligen, zog sich die Neue Sachlichkeit den Vorwurf zu, dass sie von ihrem Aufklärungsanliegen abrückte. Es war nun ein Leichtes für die linksengagierte Kritik (die Kritik von rechts braucht uns hier nicht zu bekümmern, denn sie hatte die Neue Sachlichkeit schon längst als Nihilismus abgeurteilt), die neusachlichen Autoren an ihren eigenen Ansprüchen zu messen und ihre Einstellungen als Narzissmus anmassender, feixender Intellektueller oder als zynisches Vermarktungsunternehmen von Katastrophenstimmungen zu disqualifizieren.

31 Die Angriffsflächen waren freilich im Projekt der Neuen Sachlichkeit vorprogrammiert. Denn man wollte ja einerseits für die Massen schreiben, die politisch-gesellschaftliche Veränderung bewirken helfen, doch gleichzeitig wollte man sich die Autonomie bewahren, die den geistig Schaffenden des bürgerlichen Europa vom pflichttreuen sowjetischen Texte-Schreiber unterschied51. Die Neue Sachlichkeit hat bis zum Ende unter dieser Spannung gelitten; oder vielmehr, es wurde von ihr Unmögliches verlangt, nämlich dass sie, die sich die Aufgabe gestellt hatte, den Zusammenstoss des Einzelmenschen mit dem Kollektiv aufklärend darzustellen, sofort auch

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Handlungsanleitungen gebe, was für die Literatur nun nichts anderes bedeuten kann, als sich unter parteipolitischen Rechtfertigungszwang zu stellen.

32 Als Fortsetzer des Aufklärungshumanismus hielten sich aber die neusachlichen Autoren beharrlich an eine Gesinnungsethik und vermieden es, mit der Verantwortungsethik zu paktieren. So wurde wieder einmal der Nachweis erbracht, dass die Literatur, sofern sie diesen Namen verdient, unbestechlich bleibt.

NOTES

1. – Siehe Leo Lania, «Reportage als soziale Funktion», in Die literarische Welt, 25.6.1926, abgedruckt bei Kaes, «Manifeste und Dokumente der deutschen Literatur 1918-1933», Metzler, Stuttgart, 1983, S. 323: «Kisch fühlt sich nur als Knecht des darzustellenden Objekts». 2. – Horst Denkler, «Sache und Stil. Die Theorie der "Neuen Sachlichkeit" und ihre Auswirkungen auf Kunst und Dichtung», in Wirkendes Wort, 18, 1960, S. 176. 3. – Ernst Bloch, «Erbschaft dieser Zeit», erweiterte Ausg., Suhrkamp Verlag, Frankfurt-am-Main, 1962, S. 217. 4. – Siegfried Kracauer, «Katholizismus und Relativismus», 1921, in: «Das Ornament der Masse», Suhrkamp taschenbuch 371, 2. 194. 5. – Kracauer, «Die Wartenden», a.a.O., S. 106-119. 6. – Alfred Döblin, «Futuristische Worttechnik» und «An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programme», in: «Aufsätze zur Literatur», Ausgewählte Werke in Einzelbänden, hrsg. v. Walter Muschg, Walter Verlag, Ölten und Freiburg-im-Breisgau, 1953. 7. – In: «Der Geist des naturalistischen Zeitalters», a.a.O., S. 66. 8. – In: «An Romanautoren und ihre Kritiker», a.a.O., S. 18. 9. – «Der Geist des naturalistischen Zeitalters», a.a.O., S. 63, 65. 10. – a.a.O., S. 66. 11. – a.a.O., S. 67-68. 12. – a.a.O., S. 74. 13. – a.a.O., S. 76. 14. – a.a.O., S. 81. 15. – a.a.O., S. 83. 16. – Karl Mannheim, «Ideologie und Utopie», l.u.2. Auflage 1929; 7. Aufl. bei Vittorio Klostermann, Frankfurt-am-Main, 1985, S. 219. 17. – a.a.O., S. 220. 18. – ebda. 19. – ebda. 20. – a.a.O., S. 224-225. 21. – a.a.O., S. 225. 22. – a.a.O., S. 250. 23. – a.a.O., S. 213-216. 24. – Emil Utitz, «Die Überwindung des Expressionismus», Verlag von Ferdinand Enke, Stuttgart, 1927, S. 9. 25. – a.a.O., S. 45. 26. – a.a.O., S. 93-94.

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27. – a.a.O., S. 176f. 28. – a.a.O., S. 180. 29. – Bloch, a.a.O., S. 217. 30. – R. Arnheim, «Die Gefühle der Jugend», in: «Die Weltbühne», 27.1.1931, S. 137. 31. – S. Kracauer, «Neue Jugend?», in: «Neue Rundschau», Januar, 1931, zitiert bei Kaas, a.a.O., S. 186-187. 32. – a.a.O., S. 187. 33. – «Expressionismus und Wirklichkeit», Oktober 1921, «Wandlungen des Geschmacks», 1926; bei Kaes, a.a.O., S. 159-161, 252-254. 34. – In: «Wandlungen des Geschmacks». 35. – Siehe Kaes, a.a.O., S. 319-482: «Die Funktionskrise der reinen Kunst: Literarischer Formenwandel und Publikumsbezug». 36. – Bei Kaes, a.a.O., S. 391. 37. – a.a.O., S. 193-195. 38. – L. Feuchtwanger, «Ein Buch für meine Freunde» («Centum Opuscula»), Frankfurt-am-Main, 1984; Aufsatz «Von den Wirkungen und Besonderheiten des angelsächsischen Schriftstellers», 1928, S. 417-421. 39. – Vgl. Kurt Tucholskys Rezension des Romans: «Ein besserer Herr», Weltbühne, 6, 1929. Auch abgedruckt in K. Tucholsky, «Literaturkritik», hrsg. von F.J. Raddatz, rowohlt-Taschenbuch 5548, S. 223-230. 40. – Bei Kaes, a.a.O., S. 328-333. 41. – L. Feuchtwanger, «Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz», Fischer Taschenbücherei 1680, S. 385. 42. – 1931. In: W. Benjamin, Schriften III, Suhrkamp, Frankfurt-am-Main, 1972. 43. – «Keine von uns. Ein Wort an die Leser des "Vorwärts"», in: Linkskurve, 4.10.1932, abgedruckt bei Kaes, S. 357-258. 44. – «Gilgi – eine von uns», 1931. Zitiert wird die 3. Neuauflage, Bastei-Lübbe Taschenbuch, 11160, S. 155. 45. – G. von Schulze-Gaewernitz, o. Prof. der Nationalökonomie an der Universität Freiburg-in-B., «Britischer Imperialismus und englischer Freihandel zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts», Dunckler und Humbolt, Leipzig, 1906, S. 29. 46. – H. Lethen, «Neue Sachlichkeit», 2. Aufl., Metzler, Stuttgart, 1975, S. 142-155: «Kästners Fabian oder die Karikatur freischwebender Intelligenz». 47. – Egon Schwarz, «Fabians Schneckengang im Kreise», in: «Zeitkritische Romane des XX. Jahrhunderts», Reclam, Stuttgart, 1975, S. 124-145. 48. – R.W. Leonhardt, «Fabian alias Kästner», in: «Die Zeit», 23.5.1980. 49. – «Italienische Nacht», Suhrkamp Verlag, 1974, S. 50 (Sechstes Bild). 50. – Siehe die (sehr kritische) Analyse von W. Köpke in «Weimars Ende», Suhrkamp taschenbuch 2019, 1982, S. 318-329. 51. – Vgl. die beiden Artikel von S. Kracauer, «Über den Schriftsteller» («Neue Rundschau», Juni 1931, und «Instruktionsstunde in Literatur. Zu einem Vortrag des Russen Tretjakow», «Frankfurter Zeitung», 26.4.1931, auszugsweise abgedruckt bei Kaes, a.a.O., S. 190-193).

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RÉSUMÉS

Sachlichkeit und Ethik scheinen unvereinbare Begriffe zu sein, es drängt sich jedoch bei der Lektüre der neusachlichen Literatur und Philosophie die Einsicht auf, daß es der Neuen Schlichkeit in ihren bedeutendsten Hervorbringungen um etwas anderes und Höheres ging als um die Verbreitung von technokratischen Standpunkten, die Verulkung von Romantik und Expressionismus oder die Ästhetisierung von Industrie- und Arbeitswelt. Wirklichkeit als ethische Instanz, das bedeutet Überwindung des heuchelnden Idealismus der Vorkriegszeit sowie Abweisung des expressionistischen Humanitätsschwulstes. Angestrebt wird ein unsentimentaler Humanismus, der jeder Narkotisierung von rechts- und linksradikaler Seite entgegenwirken soll.

L'attitude objectiviste et le vouloir éthique — ces deux notions ne semblent guère s'accorder. Mais lorsqu'on lit les textes littéraires et philosophiques de la Neue Sachlichkeit, on s'aperçoit forcément que la « Nouvelle Objectivité », dans ses œuvres majeures, recherche autre chose et vise plus haut que la diffusion de vues technocratiques, la satire bouffonne du romantisme et de l'expressionnisme ou la vision unilatéralement esthétique du monde industriel et du monde du travail. La réalité érigée en instance morale, cela signifie qu'on veut dépasser l'idéalisme hypocrite de l'avant-guerre, et que l'on refuse de même l'emphase humanitaire de l'expressionnisme. Ce qui est recherché, c'est un humanisme dépourvu de sentimentalité, qui puisse s'opposer aux drogues idéologiques de l'extrême-droite et de l'extrême-gauche.

AUTEUR

PIERRE VAYDAT Universität Charles de Gaulle – Lille III

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Neue Sachlichkeit und Arbeitswelt Monde du travail et «Nouvelle Objectivité »

Françoise Muller

1 «Wirtschaft, Technik, Industrie, alles sehr gefragt, alles sehr modern, wir machen mit, wir sind wirklich nicht rückständig1», so ironisierte Erik Reger 1930 die literarischen Versuche seiner Zeitgenossen, die sich mit einem Thema befaßten, das in den zwanziger und am Anfang der dreißiger Jahre in Mode war2.

2 «Modern» war also damals das Technik-Motiv, aber eigentlich nicht ganz neu, denn es gehörte schon, wie auch die Gestaltung der Produktionssphäre, zur Thematik des Naturalismus, der frühen – und – Arbeiterliteratur des Expressionismus. Welches waren nun die schöpferischen Methoden der Autoren, die die verschiedenen Aspekte der Arbeitswelt aufnehmen und literarisch verarbeiten wollten, in einer Zeit, wo an die Stelle der expressionistischen Technikfeindlichkeit die Hinwendung zum, Sachlichen und die Begeisterung für den technologischen Fortschritt aufgetreten waren? Welches waren ihre programmatischen Aussagen? Inwiefern haben sie Neuland betreten?

3 Viele Autoren der zwanziger Jahre haben sich der Industrie als Kulisse bedient: das Reich der «Schlotbarone»3, der «Rauch an der Ruhr»4 bildeten einen ungewohnten, manchmal idyllisierten Hintergrund. Vorherrschend sind aber die Produktionen der aus dem Industrieproletariat oder aus dem handwerklichen Mittelstand stammenden «Arbeit er dicht er». Die Arbeiterdichtung, die sich während des ersten Weltkrieges entwickelt hatte und als eine eigenständige literarische Gattung betrachtet werden konnte, erlebte nun ihre Blütezeit in der Weimarer Republik. Verherrlichung und zugleich Dämonisierung der Technik, Messianismus, Mystik der Arbeit, Klage über «das proletarische Schicksal» kennzeichnen ihre Werke, deren Schwerpunkt in der Lyrik und im Sprechchor liegt. Typisch für die Arbeiterdichter ist ihre ambivalente Annäherung an die industrielle Sphäre, die sie doch von innen erlebt haben. Wie ein «Mensch im Eisen» pendelt die von ihnen dargestellte Gestalt des Industriearbeiters zwischen Bejahung und Ablehnung der Welt, die sie gefangen hält, zwischen dem Maschinenhaß des Expressionismus und dem Technikkult der Neuen Sachlichkeit. Ob Sklavenarbeit oder Gottesdienst, der Alltag in der Fabrik wird verklärt, wie auch das emotionale, erotisierte Verhältnis zur Maschine, die abwechselnd als fauchendes Tier

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oder als Geliebte erscheint. Dieses Thema, das in der Literatur und im Film der zwanziger Jahre mehrmals auftritt, wird von den Arbeiterdichtern aus der Perspektive des im Arbeitsprozeß stehenden Industriearbeiters behandelt.

4 In Max Bartheis Roman: «Das Spiel mit der Puppe» taucht das in den zwanziger Jahren oft gebrauchte Motiv der «Girlmaschine» auf: der Tanz vor zwölf Mädchen (wahrscheinlich «Tillergirls«) auf der Bühne versinnbildlicht zugleich Maschinenrhythmus, Fließbandarbeit und Versöhnung mit der industriellen Welt: «Der zwölffache Mensch vereinfachte sich zu einer wundervoll arbeitenden rhythmischen Maschine, die taktschwer und harmonisch auf der Bühne dröhnte. Das war die Überwindung des Tanzes, die Einordnung in den Rhythmus des Alltags, des Kosmos, war Großstadt, zwanzigstes Jahrhundert, Überwindung der Schwerkraft, Vergeistigung und Nutzbarmachung der Materie» (…) So würden einmal die Maschinen sein, kühle, behirnte, eiserne Tiere, ergeben und dienstbar. Der Mensch würde sie ganz beherrschen»5.

5 Während aber der Arbeiterdichter die gewünschte Harmonie als Traumbild oder als Perspektive für die Zukunft auffaßt, behauptet der Journalist Heinrich Hauser in einem nüchternen Zeitungsbericht und zwar «gegen die Literaten», «daß ein Gegensatz zwischen Mensch und Maschinen nicht existiert» und daß «die Maschinen eine Seele haben». Die Artikelerie, die im Februar und März 1928 unter dem Titel «Umgang mit Maschinen» in der «Frankfurter Zeitung» erschien, enthält eine peinlich genaue Beschreibung von Maschinen und Automobilen. Eine metallene Welt wird da hervorgerufen, wo die Menschen, die diese «Meisterstücke der Technik» bedienen, kaum erwähnt werden. Die Maschinen sind es, die mit anthropomorphisierenden Metaphern geschmückt, wie Menschen aussehen: «Die alten Rennwagen sahen sehr menschlich aus: wie alte Generäle, klapprig, steif und bedeckt mit Orden». Heinrich Hauser, der sich für einen Anhänger des Taylorsystems erklärt, schildert 1931 fasziniert das Fließbandsystem bei Ford in «Feldwege nach Chicago»: «So entsteht Harmonie, Rhythmus, eine Art Kosmos»6. Im Vergleich zu dieser irrationalen Hingabe wirkt die trockene, präzise Lyrik eines Hannes Küpper auch ein Lobgesang auf die Maschine und die Geschwindigkeit fast ernüchternd7. Über diesen ans Lächerliche grenzenden Technikrausch schrieb Brecht sein satirisches Gedicht: «700 Intellektuelle beten einen Öltank an».

6 Den kommunistischen Autoren des 1928 gegründeten «Bundes der proletarisch- revolutionären Schriftsteller» (BPRS) geht es weniger um die Wunder der Technik, als um ihre sozialen Auswirkungen.

7 In ihrer Zeitschrift «Die Linkskurve» polemisieren sie gegen die «bürgerlichen Literaten», aber auch gegen die «Arbeiterdichter», die sie als «Kulturapostel» und «Feierabendlyriker» bezeichnen, und werfen ihnen die «Verfälschung des Inhalts durch die Form»8 vor. Die Vorbilder der Arbeiterdichter sind Walt Whitman und Dehmel, ihre literarischen Formen sind der Romantik und dem Expressionismus entlehnt; ihnen fehlt aber der «sprachliche Mut», die «experimentelle Kühnheit» der Expressionisten. Obwohl viele von ihnen -wie zum Beispiel der Kesselschmied Heinrich Lersch- imstande sind, den Arbeitsprozeß wirklichkeitsgetreu und mit aller handwerklichen Kenntnis zu beschreiben, gebrauchen sie doch eine mythologisierende Sprache, die jede Aufklärung über die Produktionsverhältnisse unmöglich macht.

8 Tatsachen verlangen also die Mitglieder des BPRS und dokumentarisches Material über die Produktionssphäre. Die «Linkskurve» ruft zum «Marsch auf die Betriebe»

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(Dezember 1929), zum «Marsch auf die Fabriken» (Juli 1930) auf; «Das Gesicht dem Betrieb zu» heißt die Parole (Januar 1930), die Arbeiterkorrespondenz entwickelt sich: 1930 werden 946 Arbeiterkorrespondenzen in der «Roten Fahne» veröffentlicht. Diese Tatsachenberichte geben einen Einblick in die Verhältnisse der Betriebe, dienen gleichzeitig auch zur Schulung neuer Schriftsteller aus den Reihen des Proletrariats. Aus der Arbeiterkorrespondenz gehen zum Beispiel Autoren wie Bredel, Grünberg oder Marchwitza hervor. Die Grenzen der Arbeiterkorrespondenz, die in ihren Anfängen als Literatur aus dem Betrieb überschätzt wurde, werden bald erkannt: «Die Betriebsberichte sind noch keine proletarische Literatur» heißt es in der «Linkskurve» im März 19309. Aber eine Literatur des proletarischen Alltags wird ständig gefördert: Hans Lorbeer mit seinen Chemie-Erzählungen zum Beispiel, Ludwig Turek mit seiner Autobiographie «Ein Prolet erzählt», Hans Marchwitza mit «Schlacht vor Kohle» oder «Walzwerk» oder noch Willy Bredel mit «Maschinenfabrik N. und K.» schildern den Alltag des Industriearbeiters, die Handgriffe an der Werkbank, das Fließband, die Unfälle, die Streikbewegungen und berufen sich dabei meistens auf ihre eigenen Erfahrungen. Der Industriebetrieb wird von der Arbeitsstätte aus betrachtet. Diese Tatsachenliteratur ist aber zugleich eine Parteiliteratur, die sich bewußt von den anderen literarischen Bewegungen absondert. Die Angriffe gegen die Arbeiterdichter, die zum größten Teil der SPD nahestehen, sind nicht nur gegen ihre veralteten literarischen Formen gerichtet, sondern gegen die sogenannten «Klassenversöhnungspoeten» der Sozialdemokratie. Die Tatsachenliteratur der proletarischen Autoren ist nämlich kein neutrales Gebiet, sie hat eine funktionnelle Bedeutung, folgt den Richtlinien der Partei und ihren «Wendungen». Wenn ihre Vertreter die inneren Mechanismen der Arbeitswelt und der Gesellschaft, «erkennen, analysieren, röntgen» wollen – so Bredel10 – dann sollen die erworbenen Kenntnisse gleich zur politischen Orientierung des Lesers beitragen. Über die Arbeit s weit schreiben bedeutet nicht nur literarisches Neuland betreten, sondern die Eroberung der Betriebe durch die Arbeiterklasse vorbereiten.

9 «Neue Themen und abgenutzte Literatur»: so faßt ungefähr Erik Reger in einem 1931 erschienenen Artikel seinen Gesamteindruck über die Werke der proletarisch- revolutionären Autoren zusammen: die Parteiliteratur lehnt er ab, weil sie ihr Ziel verfehlt und bei aller Sachlichkeit realitätsfern bleibt: «Wären die Kapitalisten und die Machtorgane so einfältig brutal und so sadistisch wie sie in den sogenannten proletarischen Romanen geschildert worden, so wären sie längst erledigt. Diese Schilderungen verhalten sich zur schwierigen Realität ungefähr so wie die an Drähten gezogenen Ziele auf Schießübungsplätzen sich zur faktischen Beweglichkeit lebender Heere verhalten11».

10 Aber auch gegen die Arbeiter dichter, diese «Barden der Rauchfahnen», «diese Rhapsoden der Schwefelgase» führt Reger einen erbitterten, wenn auch oft humorvollen Kampf. Grotesk ist ihr Gebrauch überholter Stilmittel, grotesk die «Maschinenromantik»: «Eichendorff als Mechanikus. Es schienen so goldendie Sterne, am Fenster ich einsam stand und hörte aus weiter Ferne Maschinenlärm im Land»12. «Es ist darum grotesk», schreibt Reger, «weil sie (die Dichter) sich in der Behandlung des Themas von der naiven Empfindung beherrschen lassen, daß die Industrialisierung der Welt das Gefühl für die schönen Künste zerstöre»13. «Eine Präzisionästhetik», die «Klarheit und Sauberkeit» verlangt, soll also nach Reger die überholte «Ästhetik der Schornsteine»14 ersetzen. Auch die psychologisierenden Produktionen sind in der industriellen Gegenwart fehl am Platze. In seinem programmatischen Aufsatz «Die

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publizistische Funktion der Dichtung», der im März 1931 im «Dortmunder Gegeral- Anzeiger» veröffentlicht wurde, bekennt er sich zum Übergang «vom Poeten zum Publizisten», «vom privaten Stoff zum öffentlichen Thema». Literatur und Kunst sollen eine aufklärerische Rolle spielen. «Wenn der Künstler überhaupt noch eine Funktion hat, so kann es nur eine publizistische, keine poetische sein15».

11 Die Mode der Reportage, die sich in den zwanziger Jahren durchsetzt, scheint ein Beweis dafür zu sein, daß sich diese Versachlichung der Literatur bereits vollzogen hat, aber selbst die Industriereportagen haben nicht immer mit der «poetischen» Tradition gebrochen.

12 Egon Erwin Kisch, dessen Bestseller «Der rasende Reporter» nicht wenig dazu beigetragen hat, diese Darstellungsart literaturfähig zu machen, schreibt 1924 in seinem Vorwort: «Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit»16. Zu dieser Exotik der Umwelt gehört für viele die Welt der Industriearbeit und so wurde das Industriegebiet im Westen Deutschlands, das als «Waffenschmiede des Reiches» während des ersten Weltkrieges, dann als «wirtschaftliches Herz Deutschlands», als Reich der «Schlotbarone» und als «Heimat des Proletariats» eine fast mythische Bedeutung bekommen hatte, ein«beliebtes Ausflugsziel der Reporter». Schon Leo Lania hatte in einer 1923 in der «Weltbühne» erschienenen Reportage auf die einzigartige Schönheit der Nachtlandschaft – fast im Stile der Arbeiterdichter – hingewiesen: «Ein phantastisches Bild: wie riesige Wachtfeuer züngeln ringsum rote Flammen aus der Finsternis und drüben im Westen ist der schwarze Nachthimmel in einen grellen, blutigen Schein getaucht (…) ein Gewirr von Hebeln, Stangen, Traversen wird sichtbar – nein, es ist nicht der Krieg, es ist die Arbeit, die hier ihr nächtliches Fest begeht»17. Dann geht Lania zur konkreten Analyse der politischsozialen Situation über. Dieser Bericht, wo Verklärung und trockene Wiedergabe der Fakten aufeinander folgen, reflektiert das Nebeneinander von Faszination und Tatsächlichkeit, das viele Industriereportagen charakterisiert.

13 Auch Egon Erwin Kisch hat die widersprüchlichen Eindrücke erwähnt, die «uns bewußte Laien» verwirren: «Verstört ist man von den vielen Wundern», schreibt er in seiner Reportage über «Ein Stahlwerk in Bochum». Vom grandiosen Anblick gefesselt, ist der Besucher geneigt, die negativen Vorgänge zu übersehen, auch wenn in seiner Nähe ein Unfall soeben noch mit knapper Not vermieden wurde: «Aber selbst die Erschütterungen solcher Zwischenfälle sind in ihrer Intensität nichts gegen den Eindruck zauberischer Vorgänge, deren staunender Zeuge man ist». Bei aller Größe des Schauspiels versucht er die wirklichen Akteure nicht zu vergessen. Überwältigend sind die Eindrücke, die er in der Gießerei sammelt: «Das Roheisen fließt (…) wie ein flammender Bach in eine Riesenpfanne, auf dem Weg kaskadenfröhlich in Tausende silberne Tröpfchen zerstäubend und den Winterrock des allzu nahe herantretenden Beschauers mit Silber flitter besäend»18. Auf diese bewußt ästhetisierende Darstellung des technischen Vorgangs folgt eine Reihe von scheinbar naiven, desillusionierenden rhetorischen Fragen: «Wird nicht auch die Lunge der Arbeiter hier mit diesem eisernen Konfetti überschüttet? Ist er unempfindlich gegen den Schwefeldampf, den uns eben ein Windstoß in die Nase geblasen hat, daß wir husten und tränen müssen? Ist das Gichtgas für ihn kein Gift?»19 Darauf umreißt er mit wenigen Worten das, was man sich unter «proletarischem Schicksal» vorstellen kann: «In drei Schichten arbeiten die Leute am Hochofen, der jahraus, jahrein, Tag und Nacht nicht erlöschen darf, und an

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jedem dritten Sonntag haben sie sechzehn Stunden Dienst. Vom vierzehnten Lebensjahr an bis zum Tode, der vielleicht schon kommt, während sich andere noch mit dem Studium «abplagen»20. Mit derselben leisen Ironie beschreibt er die Stadt Essen, «Das Nest der Kanonenkönige», das Imperium der Familie Kr. (= Krupp): «Kr.- Friedhof, Kr.-Lazarett, Kr.-Verwaltungsgebäude, Kr.- Konsumverein, Kr.-Denkmal, Kr. Kr. und wieder Kr.-»21 ein Thema, das Larissa Reißner ein Jahr später in der «Weltbühne» mit mehr Pathos behandelte22.

14 Als Prototyp der auf Fakten beruhenden, aber ästhetisierendem Reportage kann dagegen Heinrich Hausers «Schwarzes Revier» gelten, das 1930 beim Fischer Verlag erschienen ist. «Nichts ist geschrieben worden, was nicht gesehen oder erlebt ist», heißt es im Vorwort, aber der Autor betrachtet die Ruhrprovinz mit Augen, die das «Wundern» nicht verlernt haben und die Hochöfen, die er zu sehen bekommt, sind «von einer unbeschreiblichen Eleganz», sogar die Silhouetten der Zechen, der Hüttenwerke, der Kokereien werden als dekorative Muster empfunden: «Einmal vertraut geworden mit den Elementen dieser Landschaft, begegnet man in dem scheinbar so ungeheuer verschiedenartigen Bild immer wieder den gleichen Farben und den gleichen Umrissen, so wie das Ornament einer Tapete wiederkehrt»23. Die Industriearbeit wird durchgängig mit einem natürlichen Vorgang gleichgestellt: Von der «Zeugung des Stahls» ist die Rede, der in der Fabrik «geboren wird». Anläßlich einer Besichtigung der Krupp-Werke werden sogar die germanischen Heldensagen bemüht: «Es ist ein langer Weg, der von Wieland dem Schmied zu Krupp in Essen führt» 24. Die Arbeiter werden meistens als Statisten dargestellt oder als Elementarwesen, die in dem Schacht kriechen. Sätze wie «Unbegreiflich dem Verstand ist der geheimnisvolle Trieb, der Menschen über Meere und unter die Erde treibt»25, machen die totale Blindheit des Autors den gesellschaftlichen Verhältnissen gegenüber vollends deutlich. Außerdem reflektieren seine «unpolitischen Aufzeichnungen» die Ideologie der Werkgemeinschaft. Es handelt sich hier offensichtlich um eine Verfälschung durch die Form: sein journalistischer Tatsachenbericht – «mit fotographischen Aufnahmen des Verfassers» illustriert – weist in der Tat viele Züge der Arbeiterdichtung auf.

15 Nicht «Schwarzes Revier», sondern «Kohlenpott» – ein Wort der derben Kumpelsprache –, heißt die Reportage von Georg Schwarz, die 1931 bei der Büchergilde Gutenberg erschien und 1986 in der Reihe «Ruhrland-Dokumente» neu herausgegeben worden ist. Georg Schwarz ist in Dortmund geboren und distanziert sich gleich von den vielen Reportern, die – oft von der Hauptstadt – in seine Heimat kommen, um den Pulsschlag der deutschen Wirtschaft zu fühlen und dabei eine «phantastische, fremde Welt» zu entdecken, von der sie aber nur das Äußere, die Kulisse sehen: «Die durchreisenden Reporter schmecken dabei ordentlichen Ruß auf der Zunge und lassen ihn genießerisch wie eine Prise Kaviar zergehen. Das ist kerniger als das Nuttenparfüm Berliner Ballsäle. Es füllt die Zeilen, die Ästhetik der Industriebauten zu preisen, und es spart einem die Mühe, langweilige Zahlen von Arbeitslöhnen, Abschreibungen und Dividenden zu vergleichen»26. Schwarz liefert ein umfangreiches dokumentarisches Material, ohne Ästhetisierung aber ohne die Trockenheit des Tatsachenberichts. Er entwirft ein Panorama des Ruhrgebiets: Städte, Industriewerke, Landschaft und Menschen, Dichter aus dem Proletariat. Seine linke Tendenz ist unverkennbar: er denunziert die Machenschaften der Arbeitgeber, die «Seelenbewirtschaftung der Industrie» durch Werkzeitungen, das deutsche Institut für Arbeiterschulung (Dinta), das arbeitsphysiologische Institut, wo neue Methoden zur Steigerung der

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Maximalleistung ausgearbeitet werden. Sachlich ist seine Analyse, aber klassenbewußt und sie gehört zum Teil in die Reihe der proletarisch-revolutionären Schriften.

16 Obwohl diese Reportagen über die Arbeitswelt gemeinsame Züge aufweisen, zeichnet sich keine einheitliche Tendenz ab. Die Reporter kritisieren sich gegenseitig. Georg Schwarz polemisiert gegen die «idealisierenden Poeten und Hymnensänger der Industrie», aber auch gegen die «sachlichen» und «rasenden» Reporter. Über Hausers «Schwarzes Revier» schreibt Reger im «Scheinwerfer» einen regelrechten Verriß. Von Kisch meint er, er begnüge sich mit der «Oberfläche» und von Schwarzens «Kohlenpott» hält er nicht viel: «Leider macht man die betrübliche Feststellung, da der Schwarzsehe Kohlenpott bis zum Rande gefüllt ist mit Binsenwahrheiten und dem statistischen Material, das die Presseämter geben27».

17 Auch die Fotografien, die die Reportage begleiten, sind Gegenstand der Kritik: Schwarz, der seine eigene Reportage mit Aufnahmen des Arbeiterdichters Erich Grisar illustriert hat, nörgelt an den Produktionen der sensationslustigen «für alle Schönheiten der Welt empfänglichen Schornstein-schräg-nach oben Photographen»28. Regers Position scheint in dieser Hinsicht ziemlich rückständig zu sein, denn er sieht in den phototechnischen Qualitäten der Illustrationen eine Gefahr, insofern als die Kamera kein «ergänzendes oder unterstreichendes, sondern ein Ersatzinstrument» zu werden droht: Als Beweis dafür gilt Hausers Reportage «Schwarzes Revier», von dem der Autor selbst sagt, es sei als ein «lockeres Gewebe» aufzufassen, als eine laterna magica: Bilder auf eine Leinwand geworfen, während der Autor daneben hastige und ziemlich ungeschickte Erklärungen dazu abgebe. Nach Reger besteht also die Gefahr, daß der Text zugunsten der Aufnahmen vernachlässigt wird, daß der Kampf um das Wort aufgegeben wird. Damit wäre die Reportage als literarische Gattung bedroht: «Zur Sache also», schreibt Reger im Jahre 1930, «das heißt – zum Wort! Schluß mit den Bilderbüchern, Rückkehr zur Darstellung durch das Wort! »29.

18 Die Autoren sind sich also weder über den Inhalt noch über die Methodik einig; jeder besteht auf seine Anschauungs- und Gestaltungsweise, was Kracauer bekannte Aussage bestätigt: «Hundert Berichte aus der Fabrik lassen sich nicht zur Wirklichkeit der Fabrik addieren, sondern bleiben bis in alle Ewigkeit hundert Fabrikansichten. Die Wirklichkeit ist eine Konstruktion. Gewiß muß das Leben beobachtet werden, damit sie erstehe. Keineswegs ist sie jedoch in der mehr oder weniger zufälligen Beobachtungsfolge der Reportage enthalten, vielleicht steckt sie einzig und allein in dem Mosaik, das aus den einzelnen Beobachtungen auf Grund der Erkenntnis ihres Gehalts zusammengestiftet wird. Die Reportage Photographien das Leben; ein solches Mosaik wäre sein Bild30».

19 Auch Lukacs’ Stellung zur Reportage-Literatur ist bekannt. Seine kritische Beurteilung von Bredels Betriebsromanen («Maschinenfabrik N. und K.» und «Rosenhof Straße») und von Ottwalts Justizroman «Und sie wissen was sie tun» in der «Linkskurve» gibt ihm Anlaß, sich in einer Reihe von Artikeln über die neuen schöpferischen Methoden der Tatsachenliteratur auszusprechen; Bredels Romane sind bloß Entwürfe eines Romans, die Personen sind scharf umrissene Charakterrollen, die Sprache ist die des Presseberichts oder des Gewerkschaftsprotokolls. Ottwalts Roman entlarvt nur Einzelheiten und nicht die wahren Mechanismen des Justizwesens. Nicht die Reportage stellt Lukacs in Frage, sondern den Versuch einer Erneuerung des Romans durch die Mittel der Publizistik. Die Totalität, wonach der Roman streben soll, «ist nicht die Summe der Tatsachen». So läßt er zum Beispiel in dem Aufsatz, den er im Dezember

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1932 in der letzten Nummer der «Linkskurve» veröffentlichte, Gorki sprechen: «Ich (Gorki) habe die Ausbeutung und die Unterdrückung der russischen Arbeiter, sowie ihre beginnende Auflehnung gegen sie in meinem Roman «Die Mutter» «herkömmlich» gestaltet und hielt es für gänzlich überflüssig, die Fabrikanten, den Aufsichtsrat, den Grundbesitzer, den Minister des Innern, den Zaren einzubeziehen»31.

20 Und doch gab es in dieser Zeit Autoren, die versucht haben, die herkömmlichen Romanformen zu sprengen. Zwei «neusachliche» Industrieromane sollen als Beispiel genommen werden; einer ist leider um diese Zeit ungedruckt geblieben, der Verfasser war Franz Jung, der andere ist mit dem Kleistpreis ausgezeichnet worden, sein Autor war Erik Reger.

21 Anläßlich einer Kritik von Arnolt Bronnens Oberschlesienroman «O.S», weist Reger auf den Mangel an Tatsachensinn des Autors, der die Triebkräfte der Kämpfe zwischen Deutschen und Polen nach dem ersten Weltkrieg und die «realen Mächte», das heißt, die wirtschaftlichen Zusammenhänge, die diese Kämpfe bestimmten, außer acht läßt: «Nicht nur Ideale waren im Spiele, sondern auch ungefähr 67 Kohlengruben, 16 Zink- und Bleigruben, 22 Zinkhütten und Schwefelsäurefabriken, 25 Stahlwerke, 14 Walzwerke und dazu pro Jahr 2,5 Millionen Tonnen Koks und eine Million Tonnen Roheisen32». Der oberschlesische Roman, den sich Reger damals wünscht, ist schon zwei Jahre vorher von Franz Jung geschrieben und seitdem von mehreren Verlagen abgelehnt worden: So lautet der Projektvorschlag, den Jung 1926 der Büchergilde Gutenberg unterbreitet hatte: «Geschichte eines Industriereviers mit Wirtschaftskämpfen, Trustenentwicklung, Krisen etc als Rahmen, und dahineingewoben naturalistisch geschildert, Lebensentwicklung des Arbeiters, der Familie, seine Stellung zu allen heutigen Fragen insbesondere der kulturellen». Die Büchergilde Gutenberg schickte aber das Manuskript zurück, wie auch andere linke Verlage. Erst im Jahre 1987 ist dieses Buch unter dem Titel «Gequältes Volk» endlich herausgegeben worden33. Franz Jung, der durch seine expressionistische und dadaistische Prosa und seine linksradikalen Werke hervorgetreten ist, lebt um diese Zeit seit 1923 in Berlin, wo er eine Reihe von Wirtschaftskorrespondenzen und einen Fotodienst für die Wirtschaftspresse gegründet hat. Nach mehreren Theaterexperimenten bei der Piscatorbühne bedeutet ihm dieser Roman ein weiterer Versuch «in die Literatur zurückzukehren». Dabei distanziert er sich aber auch von seinen früheren literarischen Positionen, die «in den Strudel der Fraktionskämpfe und Parteiauseinandersetzungen» geraten waren, und von der Produktion seiner sogenannten «roten Jahre». Eine Einladung, dem BPRS beizutreten, läßt er unbeantwortet. Nun in diesen späten zwanziger Jahren, die er selbst als «die grauen Jahre» bezeichnet hat, hat er «für die Fragestellung der Beziehungen der Menschen untereinander allerdings einen breiteren und vor allem gefestigteren Blickkreis gewonnen34». Die Quellen zu seiner Arbeit findet er in seinen eigenen Erfahrungen er ist ein gebürtiger Oberschlesier – und in dem umfangreichen Material, über das er als Wirtschaftsjournalist verfügt. Und in der Tat wird die Gesellschafts- und Wirtschaftskrise, die seine Heimat nach dem ersten Weltkrieg erschütterte, in ihrer ganzen Komplexität dargestellt. Der Roman bietet eine Zusammenfassung der wichtigsten Faktoren, die im Spiele waren, ein buntes Durcheinander der vielschichtigen Zusammenhänge: Rohstoffmärkte, Kapitalverschiebungen, die eine Konsequenz der Teilung Oberschlesiens waren, Interessenkonflikte und Abmachungen der deutschen und polnischen Konzerne, ihre Auswirkungen auf die Arbeiterschaft, Streiks und Krawalle, die ambivalente Rolle der Kirche und der Gewerkschaftsführer

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und schließlich die Abwanderung der Arbeitslosen. Über die Geschehnisse wird nüchtern und distanziert berichtet, nur im letzten Kapitel, «Kehraus» überschreitet Jungdas Gesetz der Objektivität und geht sogar zur Ich-Form über: «Land meiner Heimat sei gesegnet! Land meiner Heimat sei verflucht!» Er fällt schließlich aus der Rolle des sich neutral gebenden Beobachters und seine Parteinahme für die proletarischen Opfer der Krise kommt deutlich hervor: «Der so lange künstlich aufrechterhaltene Trennungsstrich als Deutsche oder Pole war mit einem Male verwischt. Wieder wurden sie ein Volk, ein einheitliches Volk, das oberschlesische Volk, das ohne Arbeit war und Brot und das in seinen besten Teilen ausgesiedelt werden sollte (…) Unter dem Schutz dieser Bewegung bereiteten die oberschlesischen Industriellen die Umstellung ihrer Betriebe vor. Sie kehrten aus und gründlichst35». Das letzte Kapitel schließt sich merkwürdigerweise an die linksradikalen Schriften seiner «roten Jahre» an.

22 Jungs «neusachlicher» Roman hat sich 1927 im Literaturbetrieb nicht durchgesetzt. Vielleicht lag es an dem ungewohnten Thema: erst einige Jahre später florierte die eigentlich meistens nationalistisch gefärbte und antipolnische Oberschlesienliteratur.

23 «Gequältes Volk» ist ein bunt zusammengewürfeltes, loses Gebilde, ein Durcheinander von Fakten und Fiktion, in dem die verschiedenartigsten Erzählformen und Stilmittel (Geschichtsschreibung, Anekdote, naturalistische Schilderung, Methoden des Detektivromans, langatmige wirtschaftswissenschaftliche Abhandlungen) nebeneinander bestehen. Einige Kapitel wie «O Täler weit, O Höhen! », über die Zerstörung durch die Industrie der Eichendorffschen Romantik und das Waldsterben, ein damals neues Thema, oder «Der Wurm», das die Rationalisierung eines Gaswerkes thematisiert, können als kleine, in sich geschlossene Novellen betrachtet werden. Nahtstellen fehlen zwischen den inhaltlichen und stilistischen Elementen. Diese Methode der Montage-Technik mit Dokumentation und wissenschaftlichen Erörterungen hatte Jung in seinen Werken der frühen zwanziger Jahre schon angewandt wie zum Beispiel in «Die Eroberung der Maschinen». Neu war aber das, was er selbst die «voraussetzungslose Beobachtung» der Zustände nannte.

24 Ohne Anteilnahme und ohne Kommentar werden die verschiedenen Episoden von Erik Regers Roman «Union der festen Hand36» dargestellt: sie sollen für sich selbst sprechen. Als Angestellter des Krupp-Konzerns, wo er von Kriegsende bis 1927 als Buchhalter und Pressesprecher arbeitete, hat Erik Reger Einblick in die Realität des Betriebs bekommen. Nun versucht er seinen eigenen literarischen Ansprüchen gerecht zu werden und gestaltet am Beispiel der Kruppwerke die Geschichte des Ruhrgebiets von 1918 bis zur Wirtschaftskrise von 1929. Er schildert die Rivalitäten der Großindustriellen, die Verflechtungen der Konzerne, ihre Allianz mit der politischen Reaktion und schließlich mit dem Nationalsozialismus. Er deckt die Praktiken der Machthaber auf, die die Konfrontation mit den Arbeitern zugunsten der «weichen Methode», das heißt der Beeinflussung der Massen, aufgeben, enthüllt die geheime Rolle der Pressebüros der Werkzeitungen und ihre geschickte Propagandaarbeit und zeigt, wie die vielen Vereine und sogar die Wohlfahrtseinrichtungen zur Manipulation der Arbeiterschaft beitragen. Zur Verarbeitung dieses umfangreichen Materials entschied sich Erik Reger für die Fiktion. Die Orte, die Personen, die Institutionen, die für Eingeweihte leicht identifizierbar sind, tragen fiktive Namen (Krupp = Risch- Zander) (Reichsverband der deutschen Industrie = Union der festen Hand). Wie in den proletarisch-revolutionären Romanen haben bei Reger die proletarischen

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Heldengestalten eine exemplarische Funktion, was einer gewissen Vereinfachung, einer Typisierung entspricht. Sie vertreten die verschiedenen Haltungen der Arbeiterklasse: den Radikalen, den Sozialisten, den Opportunisten und ... den Arbeiterdichter (wahrscheinlich Christoph Wieprecht), der eine Firmenhymne schreibt: «Symphonie der Arbeit». Die Arbeiterklasse wird nicht idealisiert, manchmal sogar ziemlich abschätzig betrachtet: «Wurde die Tür aufgemacht, so schlug ein Brodem heraus, wie aus einem Kanincbenstall37». Der proletarische Hauptheld, ein Kranführer, ist Träger der Desillusion, der Entsagung und Niederlage der Arbeiterklasse von 1918 bis 1929: er ist Spartakist, dann Kommunist, schließlich indifferenter Arbeitsloser. Viele – und vor allem die Mitglieder des BPRS – haben Erik Reger seine «standpunktlose» Haltung zum Vorwurf gemacht: er wollte aber mit dieser Aufklärungsarbeit keiner Partei, keiner Weltanschauung dienen. Aber die zahlreichen Beschreibungen der Arbeitssphäre entsprechen merkwürdigerweise nicht dem, was man von einem Kritiker erwarten könnte, der die Arbeiter dichter so oft und so geistreich parodiert hat: immer wieder greift er nämlich zu den sogenannten «abgenutzten» Metaphern und bedient sich des Wortschatzes der Arbeiterdichtung. So werden die Maschinen wahrgenommen: «Sie lauern, diese gefräßigen Ungeheuer, sie lauern fauchend ihrer Beute auf38». Die Arbeiterdichter werden von Ihm abwechselnd verspottet und nachgeahmt: «Das Gehirn, das Gefühl, das Nervensystem dieser Maschine, die für jede Störung ein Heilmittel in sich trug, war vollkommener, als es bei einem Menschen je sein konnte»39. Offentsichtlich ist aber seine aufklärerische Absicht: um Tatsachen geht es, die überprüfbar sind und die Literatur wird vor allem nach ihrem Nutzwert gemessen, wie es die «Gebrauchsanweisung», beweist, die dem Roman als Vorwort dient.

25 Die Autoren der neusachlichen Epoche, die als Vertreter der Industrieliteratur gelten, haben keine einheitliche Gruppe oder Strömung gebildet. Sie versuchten immer wieder, sich als Individuen, oder als «Bund» von den anderen abzugrenzen und schreckten auch nicht vor der Polemik zurück. Sogar Erik Reger, der eigentlich ein Einzelgänger war, schrieb unter mehreren Pseudonymen in der Zeitschrift «Der Scheinwerfer», scheinbar um beim uneingeweihten Leser den Eindruck zu erwecken, daß eine ganze Gruppe von Autoren seine Position vertrat.

26 Es lassen sich jedoch viele gemeinsame Züge abzeichnen: Abkehr vom Psychologismus und Hinwendung zu den sozialen Fragen, Gestaltung typischer Figuren mit exemplarischer Funktion, möglichst genaue Beschreibung der Arbeitsvorgänge und Aufdeckung der Mißstände in der Betriebssphäre, Einschätzung der literarischen Formen nach ihrem Nutzwert, durchgängiges Pendeln zwischen Technikrausch und Ernüchterung, und schließlich, bei aller Objektivität, eine ständige Neigung zur Ästhetisierung der Arbeitssphäre, die sogar in einem Standardwerk der Neuen Sachlichkeit wie «Union der festen Hand» zu finden ist.

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NOTES

1. – Heinz Lamprecht (Erik Reger) : «Maschinenwelt und Gartenlaubenromantik», in Der Scheinwerfer April-Mai 1930. Die wichtigsten Artikel aus dem «Scheinwerfer» sind von Erhard Schütz und Jochen Vogt in der Reihe «Ruhrland-Dokumente » (Klartext) unter dem Titel «Der Scheinwerfer -ein Forum der Neuen Sachlichkeit», 1986 neu herausgegeben worden. 2. – Zu diesem Thema siehe Helmut Lethen : «Neue Sachlichkeit 1924-1933», Stuttgart 1970 («Neusachliche Bilder der Produktionssphäre» S.58-92). 3. – Wilhelm Heinrich Dammann : Der Schlotbaron, Stuttgart 1926. 4. – Felix Wilhelm Beielstein : «Rauch an der Ruhr», Stuttgart 1932. 5. – Max Barthel : Das Spiel mit der Puppe, Leipzig, 1926, S. 144-145. 6. – Heinrich Hauser : Feldwege nach Chicago, Berlin, 1931, S. 232. 7. – Hannes Küpper : «327 Stundenkilometer»; «Notwendigkeit», in Der Scheinwerfer, Okt. 1927, Nov. 1927. 8. – Armin Kesser : «Arbeiterlyrik der SPD», in Die Linkskurve, Oktober 1932, S. 17. 9. – N. Kraus : «Gegen den Ökonomismus in der Literatur frage », in Die Linkskurve, März 1930, S. 10. 10. – Willy Bredel : «Einen Schritt weiter», in Die Linkskurve, Januar 1932. 11. – Erik Reger : «Neue Themen und abgenutzte Literatur», in Dortmunder General-A nzeiger, 8.1.31. 12. – Erik Reger : «Maschinen weit und Gartenlaubenromantik», in Der Scheinwerfer, April-Mai 1930. 13. – Fritz Schulte Ten Hoevel (Erik Reger) : «Literatur der komischen Käuze», in Der Scheinwerfer, April 1931. 14. – Walter Enkenbach (Erik Reger) : «Die Erneuerung des Menschen durch den technischen Geist», in Der Scheinwerfer, Oktober 1928. 15. – Erik Reger : «Die publizistische Funktion der Dichtung», in Dortmunder General-Anzeiger, 31 März 1931. 16. – Egon Erwin Kisch : «Der rasende Reporter», Berlin 1925 (Vorwort S. VIII). 17. – Leo Lania : «An der Ruhrfront», in Die Weltbühne, 1923, I, S. 94-97. Zum Thema Ruhrreportage siehe : Erhard Schütz : «Romane der Weimarer Republik» UTB, 1986, S. 125-146. 18. – Egon Erwin Kisch : «Stahlwerk in Bochum, vom Hochofen aus gesehen» in Der rasende Reporter, (1924) (Reclam «Egon Erwin Kischs Reportagen», S. 79). 19. – Ibid., S. 79. 20. – Ibid., S. 79-80. 21. – Egon Erwin Kisch : «Das Nest der Kanonenkönige: Essen», in Der rasende Reporter (Reclam : «Egon Erwin Kischs Reportagen», S. 85-86). 22. – Larissa Reiner : «Krupp und Essen», in Die Weltbühne, 1925, II, S. 729-734. 23. – Heinrich Hauser : «Schwarzes Revier», Fischer Verlag, Berlin, 1930, S. 22. 24. – Ibid., S. 47. 25. – Ibid., S. 38. 26. – Georg Schwarz : «Kohlenpott» (1931); Neuausgabe: «Ruhrland-Dokumente», Klartext, 1986, S. 1. 27. – Ernst Stahlburg (Erik Reger) : «Ein Kohlenpott oder die Erfindung der Grasnarbe», in Der Scheinwerfer. 28. – Georg Schwarz : «Kohlenpott» (1931); Neuausgabe «Ruhrland-Dokumente», Klartext, 1986, S. 36.

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29. – Fritz Schulte Ten Hoevel (Erik Reger) : «Das dritte Auge des Reporters» in Der Scheinwerfer, Januar, 1930. 30. – Siegfried Kracauer : «Die Angestellten» (Erstveröffentlichung 1929 in der Frankfurter Zeitung, Suhrkamp, S. 16. 31. – Georg Lukacs : «Aus der Not eine Tugend», in Die Linkskurve, Nov.-Dez. 1932, S. 22. 32. – Karl Westhoven (Erik Reger) : «O. S. Landkarte contra Dichter», in Der Scheinwerfer, Okt. 1929. 33. – Franz Jung : «Gequältes Volk», Edition Nautilus, Hamburg, 1987 (Aus dem Nachlaß herausgegeben mit einem Nachwort von Walter Fahnders). 34. – Franz Jung : «Das Erbe» (aus dem «Viermänner-Buch», 1929, erschienen) in Der tolle Nikiaus, Reclam, Leipzig, 1980, S. 234. 35. – Franz Jung : «Gequältes Volk», Hamburg, 1987, S. 144-146. 36. – Erik Reger : «Union der festen Hand», 1931, im Rowohlt Verlag erschienen. Neuauflage Aufbau Verlag, 1946. Neuauflage Scriptor, Verlag, 1978, mit einem Nachwort von Karl Prümm. 37. – Erik Reger : «Union der festen Hand» Scriptor, 1978, S. 226. 38. – Ibid., S. 182. 39. – Ibid., S. 410.

RÉSUMÉS

In einer Zeit, wo an die Stelle der expressionistischen Technikfeindlichkeit die Begeisterung für den technologischen Fortschritt aufgetreten ist, pendelt noch die Industrieliteratur zwischen der «Maschinenromantik», der «Ästhetik der Schornsteine», und der «Präzisionsästhetik» der neusachlichen Autoren, die die inneren Mechanismen der Arbeitswelt analysieren und «röntgen» wollen. Während die Vertreter der Arbeiterdichtung die Technik abwechselnd verherrlichen und dämonisieren, versuchen die Autoren des «Bundesproletarisch-revolutionärer Schriftsteller» die Tatsachenberichte und «Betriebsromane» für den Klassenkampf auszunutzen. Die neuen Stoffe werden aber meistens noch mit herkömmlichen Mitteln behandelt und selbst die Industriereportage, die um diese Zeit literaturfähig wird und viele ästhetisierende Züge aufweist, bricht nicht immer mit der «poetischen» Tradition. Mit ihren Industrieromanen, in denen die Totalität einer Gesellschaftssituation ins Tageslicht gerückt wird, betreten Franz Jung mit «Gequältes Volk» und vor allem Erik Reger, dessen «Union der festen Hand» ein Standardwerk der neusachlichen Literatur geblieben ist, literarisches Neuland.

À une époque où au refus de la technique propre à l’expressionnisme a succédé le culte de la technologie et du progrès, la « littérature du monde industriel » oscille encore entre le « romantisme de la machine », l’« esthétique des cheminées d’usine » et une esthétique de la précision prônée par les auteurs de la Nouvelle Objectivité qui se proposent d’analyser et de « radiographier » les mécanismes internes du monde du travail. Tandis que les représentants de la «Arbeiterdichtung» glorifient et démonisent tour à tour la technique, les auteurs prolétariens- révolutionnaires utilisent dans le cadre de la lutte des classes les documentaires et les « romans d’entreprise ». Cependant ces thèmes nouveaux sont encore traités le plus souvent à l’aide de procédés littéraires traditionnels et même le reportage sur la sphère industrielle, qui acquiert à cette époque droit de cité dans le monde des lettres, n’échappe pas à l’esthétisation et ne rompt pas avec une tradition dite « poétique ». C’est avec des « romans industriels », dont l’ambition

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était d’embrasser – objectivement – la totalité de la réalité sociale d’une région et d’une période que des auteurs tels que Franz Jung et surtout Erik Reger (« Union der festen Hand ») ont fait œuvre de novateurs.

AUTEUR

FRANÇOISE MULLER Université Charles de Gaulle – Lille III

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La littérature féminine de la Nouvelle Objectivité1 à travers quelques exemples Die Frauenliteratur der Neuen Sachlichkeit anhand einiger Beispiele

Anne Jagot

Écrivains féminins et nouvelle objectivité

Les auteurs

1 Dans son article sur les « femmes-pionniers » des années vingt, Peter Beicken2 part du constat que « l’expérience weimarienne » a porté sur le devant de la scène une nouvelle génération de femmes écrivains et se félicite que cette période de crise ait favorisé l’entrée des femmes sur le front de l’histoire, tant sociale que culturelle. Pourtant, lorsqu’on recherche la trace de ces écrivains dans les ouvrages sur la littérature des années vingt et de la Nouvelle Objectivité, on s’étonne que les noms de Fleisser, Keun, Tergit, Kaléko en soient absents3. Force est de constater que c’est la communauté de destin de leurs œuvres qui réunit au premier chef ces auteurs, l’oubli qui les a submergées pendant près d’un demi siècle et qui ressemble parfois fort à un ostracisme4.

2 Certes, il y a quelques explications simples à ce phénomène : minceur de l’œuvre (Hauptmann), discrédit jeté sur l’œuvre par les films médiocres qui en ont été tirés (Keun), destin des auteurs sous le nazisme… Mais toutes ces raisons apparaissent insuffisantes à expliquer un oubli qui a frappé les auteurs inégalement5 et qui, à destin égal, a plus volontiers épargné ceux du sexe masculin (Kästner, Fallada…). Il est à noter que les femmes sont entrées dans l’histoire littéraire avec un statut bien particulier : réduites à l’état d’« appendice » de leur compagnon plus célèbre, prisonnières de leur ombre tenace : Fleisser, (ex)-amie de Brecht et protégée de Feucht wanger ; Keun, compagne de Roth (avec qui elle a partagé deux ans sur soixante quatorze !) ;

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Hauptmann, collaboratrice de Brecht (quels qu’aient été les hommages du maître à son zèle et son efficacité, un sous-fifre !).

3 Depuis 1970, les impulsions données par le courant féministe de la recherche en littérature ont favorisé certaines « renaissances » dont les ouvrages sur la NO ont pris timidement acte dans la dernière décennie6. Il n’en reste pas moins qu’on a défini les caractéristiques de la littérature de la NO en en laissant de côté le pan féminin. Or, certaines caractéristiques trop généralisantes (« pragmatisme », observation « scientifique », concision et froideur appropriées du style, littérature de l’ère industrielle…) ne peuvent rendre compte de ces auteurs qui mettent en œuvre de façon originale certains principes neusachlich.

Spécificité féminine ?

4 Envisager les écrivains femmes comme une unité (de femmes écrivains) suppose de pouvoir mettre à jour une spécificité féminine tant dans le regard sur les choses que dans l’écriture. Cela suppose également de se mesurer à des concepts devenus « incontournables » et parfois lourds d’ambiguïtés : littérature féminine, esthétique féminine/iste, notions présentant l’inconvénient d’être en cours d’élaboration et issues d’un contexte polémique qui réaffleure sans cesse, ou tout simplement péjoratives et entachées de suspicion. Des travaux sur ces notions7, nous retiendrons deux aspects fondamentaux : tout d’abord, on ne peut ramener l’altérité féminine à sa seule détermination biologique, même si les thèses8 qui ancrent l’écriture féminine dans une économie féminine des pulsions marquée par le désir, tandis que celle des hommes serait essentiellement calculatrice, permettent une lecture intéressante d’œuvres où la perception corporelle, sensorielle joue un grand rôle. La plupart des théoriciennes de l’esthétique féminine récusent une conception biologiste et largement historique de la féminité qui, en traduisant des éléments biologiques en valeurs éthiques et culturelles, relève de la même démarche que les idéologies régressives passant par exemple de la fonction reproductrice à la notion de maternité puis de nature féminine, ce mouvement d’abstraction et d’élargissement s’avérant une restriction. L’utopie libératrice part des mêmes prémisses que la tradition coercitive et suit, bien qu’elle leur donne un contenu radicalement différent, le même itinéraire de déterminations biologisantes à des conclusions ontologiques.

5 La féminité, ancrée dans la réalité socio-historique, est à envisager non comme une constante mais comme une variable. Si elle est certes le fruit d’une expérience corporelle, elle a, outre ses composantes biologiques, une dimension éminemment sociologique. On ne peut donc poser une primauté des différences sexuelles sur le contexte socio-historique. Gisela Brinker-Gabler : « In soziologischen und soziopsychologischen Analysen wurde nachgewiesen, daß Schichtzugehörigkeit, Lebenssituation und Bildungsniveau das Verhalten des Menschen und seine Denk- und Urteilsfähigkeit entscheidender beeinflussen als seine geschlechtzugehörigkeit »9. Nous partirons donc de l’hypothèse suivante : les conditions de socialisation particulières de la femme dans un certain milieu à une époque donnée déterminent en partie sa « socialisation littéraire » : prédilection pour certaines formes, certains thèmes, un certain langage… Fleisser pose elle-même en 1933 la question de la place de la femme écrivain (tant sur le marché littéraire que dans la famille des écritures) : « Vor dem Gesetz waren die sogenannten Frauenrechte längst errungen. Der wahre Kampf aber

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um die persönliche Würde der schaffenden Frau begann erst (…) Die Frauen, die auf eigenen Füßen standen, wollten nicht etwa Mannweiber sein »10.

Position d’« insider » et littérature sismographe

6 Les années vingt voient un changement important du statut de la femme : – du fait de la guerre qui les a projetées sur la scène économique et publique, dans des domaines autrefois réservés aux hommes, et a soulevé de façon tangible la question de la participation active des femmes à l’organisation de la société (cf. Ilse Langner, Frau Emma kämpft im Hinterland). – du fait des phénomènes de rationalisation économique qui favorisent l’entrée massive des femmes dans le monde du travail puis de la crise et des licenciements dont elles seront en masse les victimes. – du fait de l’ébranlement consécutif de la morale traditionnelle et de l’institution familiale (pas de famille fondée dans les œuvres qui nous intéressent et presque jamais de famille intacte). – Là-dessus se greffe le conflit des générations féminines (cf. Tergit) dû à la rapidité des bouleversements et à la coexistence de plusieurs générations radicalement différentes.

7 Toute la littérature de la NO, littérature sismographe, prend acte de ces bouleversements. Chez les écrivains femmes, la rupture avec l’image sentimentale de la femme va de pair avec l’évasion massive hors du ghetto de la littérature triviale. Même si elles n’écrivent pas dans une perspective féministe, elles se contentent de moins en moins des stéréotypes domestiques du roman d’amour féminin traditionnel et développent un éventail plus large de thèmes « publics » et actuels. L’émancipation féminine n’est pas un thème nouveau. Mais, si les barrières juridiques sont en partie tombées (droit de vote inscrit dans la constitution), la littérature reflète dès lors l’émergence de problèmes nouveaux. Pour la génération qui a vécu la guerre, Schütz parle de «Generation in der Klemme»11, prise entre deux feux : des femmes qui ont voulu s’émanciper par l’éducation et les études universitaires (auxquelles le droit leur était reconnu), sont confrontées au goulet d’étranglement résultant de la dévalorisation des professions académiques traditionnelles (cf. Tergit, Fleisser chap. 13). Elles sont écartelées entre les normes antagonistes des deux générations qui les entourent. Le type de la femme nouvelle n’est pas non plus exempt de contradictions. Prédominance de la «girl» ou de la dactylo consommatrice de soie artificielle et d’illusions nourries au berceau de la culture de masse et de son fief, le cinéma. Mais confrontée aussi aux difficultés matérielles, déracinée, face à un vide moral qu’il lui revient de combler. Le personnage de Doris (KM) avec ses accès de dépression, et qui calque son identité sur des représentations et des fantasmes masculins, et le personnage de Frieda (MFG), écartelée entre sa volonté d’indépendance et les exigences du système patriarchal en la personne de son amant Gustl, en sont les exemples les plus flagrants.

8 D’emblée, on constate que les femmes n’ont pas l’exclusivité de thèmes relevant biologiquement du sexe féminin (érotisme féminin, homosexualité féminine, contraception, avortement, grossesse et maternité). Aucun de ces thèmes n’est le sujet privilégié d’une des œuvres et on peut regretter parfois qu’ils ne subissent pas un traitement plus approfondi, plus « militant » ou plus « vrai ». Si Gilgi, eine von uns pose le problème du droit de la femme à l’avortement (l’héroïne se heurte au refus du

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médecin de le pratiquer), la question est aussitôt biaisée puisque Gilgi découvre quelques jours plus tard dans la maternité une nouvelle raison de vivre. Rétrospectivement, le refus du praticien s’en trouve légitimé. C’est en tout cas lui qui a le dernier mot. À notre connaissance, une seule femme porte le débat autour du paragraphe 218 sur le terrain littéraire et y consacre une œuvre : Ilse Langner avec sa pièce Katharina Henschke ; mais elle trouvera semble-t-il beaucoup moins d’écho que les pièces de Wolf et Krey qui en font un symbole de discrimination sociale et y voient moins la cristallisation de la question féminine qu’un problème politique.

9 On ne peut poser une aptitude ontologique de la femme à parler de ses semblables, mais cependant, chez les écrivains femmes de la NO, l’importance de la composante autobiographique ajoute à l’« auscultation » et au « diagnostic » une dimension de témoignage existentiel. Pour Peter Beicken, elles écrivent «am verletzten Bewußtsein entlang»12 ; Fleisser a souligné à plusieurs reprises que ses textes tiraient leur substance de son vécu ; Keun met ce principe dans la bouche de son personnage : «Man kann nichts verstehen von andern, wenn man nicht miterlebt» (KM, p. 38). Elles ont par rapport à leurs personnages l’attitude que louait chez Voltaire mais déniait à Goethe, ce dernier les contemplant avec le regard souverain et paternaliste du dieu pour ses créatures tandis que celui-ci combat pour eux dans la poussière.

10 Il semble au premier abord y avoir incompatibilité entre NO – définie comme distance, froideur, observation c’est-à-dire regard extérieur – et une littérature féminine conçue comme un regard sur les choses « de l’intérieur » : sont alors confrontées d’une part une écriture qui articule les expériences et les intérêts propres au personnage et/ou à l’auteur, qui suppose et documente une implication existentielle, et d’autre part une littérature qui traite avec la distance de sécurité requise un objet extérieur à l’écrivain et met « hors d’état de nuire » les mécanismes psychologiques. De même, la définition que donne Kurt Pinthus de la NO13, écriture dure, masculine, supposant des qualités viriles (supériorité, rigueur, combattivité…) semble en exclure les écrivains femmes écrivant «aus sich selbst heraus» (Fleisser). Pourtant, l’un des grands principes de la NO est l’authenticité. C’est elle qui détermine le credo du reporter : s’exposer, se plonger dans le bain, se mettre en situation pour être un observateur « du dedans », tout en maintenant la distance critique de l’observateur « du dehors ». De par leur position d’insider (soulignons qu’elles sont insider non par leur seule féminité, mais par leur connaissance acquise « sur le tas » du milieu qu’elles peignent : ainsi, Keun, comme son personnage dans KM, fut secrétaire avant de s’essayer sur les planches et au cinéma), les écrivains femmes de la NO répondent à ces critères : elles sont partie prenante, ce qui ne signifie pas qu’elles aient des parti-pris. Certes, il est important de souligner les dangers inhérents à leur position : proximité au sujet se faisant sujétion ou ratification, adoption d’un point de vue de victime… Mais cela permet d’éviter d’autres dangers contre lesquels distance et supériorité ne préservent pas (apologie, fétichisme…) et qui, plus proches de l’engouement que de la rigueur scientifique, mettent les représentants de la NO en contradiction avec son éthique et la font confiner au paradoxe.

11 Les écrivains féminins sont en majorité les représentantes lucides et critiques de leur époque qu’elles vivent dans ses contradictions. Leurs œuvres ne se limitent pas à refléter une atmosphère ambiante, mais soulèvent le manteau des modes, des slogans, des « mythes » neusachlich. Michael Töteberg parle pour Fleisser de «Korrektur aus Lebenserfahrung»14. La causticité de son regard sur le monde sportif est ancrée dans sa réalité biographique (même le nom de son futur époux et sportif Bepp Haindl est à

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peine déguisé : Beindl Hepp, p. 329). Le témoignage existentiel a une dimension éminemment sociologique et qui confère souvent une plus grande radicalité à la critique sociale. La parallélité de certains épisodes permet une comparaison poussée : ainsi les destins de Johannes et Lämmchen dans Kleiner Mann, was nun ? de Fallada et de Hans et Hertha dans GEU de Keun. Chez Keun, description sans euphémismes du dégoût sexuel, lié à la peur de la grossesse synonyme de prolétarisation accrue, peur qui sape jusqu’aux fondements de la tendresse, tandis que Lämmchen devient, au fur et à mesure que la misère grandit, la compréhension incarnée, que la paupérisation s’accompagne d’un surcroît d’idylle amoureuse. La réalité est beaucoup plus menaçante chez Keun (qui sombre par ailleurs aussi dans le sentimentalisme) où même l’intimité ne peut se présenter contre les assauts de la crise. Fleisser, elle, documente un des aspects de la «Ungleichzeitigkeit» (l’émergence d’une économie et d’une morale sociale nouvelles se heurtant aux survivances patriarchales), non sur le mode de la dénonciation, mais sur celui de la confrontation pied à pied de deux mondes («es sind eben zwei Welten», p. 276). La NO n’aspire pas à la seule description clinique, symptomatique des phénomènes mais veut montrer quelles forces opèrent derrière les faits bruts, contribuer à élaborer des connexions entre les faits isolés et à dévoiler les impulsions qui les régissent en coulisses, suggérant ainsi un regard critique. Refléter les points de jonction entre deux domaines permet, par agencement, la problématisation de la réalité représentée ; ainsi, le roman de Fleisser montre les interférences entre économie, sport et sexualité : le sport comme érotisme maîtrisé, refoulé ou dissimulé derrière les apparences de l’hygiène, la sexualité ravalée au rang d’une technique, la pruderie et la peur devant certains instincts « à sublimer », la transposition d’éléments sexuels ou émotionnels dans le domaine « para-érotique » de l’association sportive/ grégaire, de la clique, du parti, la parenté entre le sport-spectacle et les comportements de masse bientôt canalisés par le fascisme triomphant.

Personnages féminins : esquisse d’une comparaison

12 Pour étayer l’hypothèse du poids de l’implication existentielle, il est intéressant de considérer quelques personnages féminins nés de la plume d’écrivains masculins dans une perspective comparative15. D’emblée, il apparaît que les auteurs masculins campent des personnages féminins souvent caricaturaux et outrés. Ils perpétuent le schéma dichotomique d’origine biblique qui, adapté selon les époques, traverse toute la littérature occidentale : prostituée/ sainte, amante/mère, vamp/camarade. Feuchtwanger, Kästner et Fallada fournissent trois exemples, aux antipodes les uns des autres, trois types outrés dans ce qui relève par bien des aspects de la tératologie : le tyran grotesque et asexué, la femelle démoniaque à la sexualité débridée, la mère éternelle.

13 Miss Gray, l’héroïne des Petroleuminseln de Lion Feuchtwanger, est un monstre redoutable à la tête d’un empire industriel. Le surnom dont l’affuble son entourage et bientôt le monde entier, la guenon, instruit sur sa difformité tant morale que physique. Démentant les théories behavioristes et les attentes masculines, elle est (selon les termes d’une expérience sur les rattes exposée par Lelio) le spécimen muridé qui préfère la nourriture au mâle. Elle déjoue les calculs du patriarchal capitaliste qui pensait l’abattre sur le terrain traditionnel du triomphe viril, car c’est une mante religieuse, les hommes qui l’approchent de trop près disparaissent mystérieusement. Miss Gray dément toutes les idées préconçues sur la « nature de la femme », mais au

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prix de son humanité. Il ne lui reste même pas la grandeur macabre mais triomphale du véritable héros négatif : son émancipation et sa lutte implacable pour l’autonomie ne sont pas le fruit d’un tempérament combattif, d’une soif de pouvoir, d’une cruauté fondamentale, mais la conséquence d’un manque, d’une indigence pitoyable : laideur et frigidité. Sa cruauté inhumaine n’émane pas d’un goût de la destruction juteuse et savoureuse, mais d’une vengeance piteuse, d’une nécessité de survie (sans que la pièce aborde plus amplement la question de cette détresse). Helmut Lethen interprète Miss Gray comme une version monstrueuse de la mère, l’irruption de ce qu’il nomme « matriarchal américain », ultime avatar du capitalisme sauvage. Il explique le personnage comme hypostase de la peur devant un capitalisme qui ne se laisse plus maîtriser et conduire avec les techniques éprouvées de l’état bourgeois et patriarchal16. Nous n’avons pas affaire à un personnage féminin, mais à une allégorie.

14 – Kästner se penche sur une autre dimension de l’émancipation féminine, l’émancipation sexuelle. Il dresse dans Fabian un panorama extravagant de débauches, perversions, dépravations dans un Berlin féminin qui a tous les traits de Sodome et Gomorrhe et auquel seule échappe la figure de la mère. Les hommes sont curieusement étrangers à ces déviations, spectateurs, tout au plus complices passifs et désabusés. Ce sont les femmes qui sont les instigatrices de ce spectacle hallucinant. Kästner déploie toute une panoplie du dévergondage sexuel, fait défiler toute une galerie de nymphomanes, lesbiennes, prostituées professionnelles ou amateur ; y correspond toute une gamme de femmes qui va de la maîtresse de maison « rangée » à l’étudiante provinciale fraîchement diplômée en passant par la bourgeoise blasée et les artistes marginales. Aucune femme qui ne soit gourgandine et prête à tous les compromis et toutes les compromissions. On ne se prostitue pas uniquement par contrainte (les motivations économiques et sociales sont reléguées à l’arrière-plan), bien plutôt par ennui et dépravation. Kästner, s’il dépasse l’aspect professionnel de l’émancipation féminine pour aborder la question plus spécifique de plus épineuse de la sexualité, « court-circuite » en fait ce thème en en donnant une illustration caricaturale et apocalyptique.

15 – La mère de Pinneberg dans Kleiner Mann, was nun relève du même schéma : sensuelle, extravagante, agressive, « virile » (elle fume et boit), souverainement indépendante, très libre en matière de morale sexuelle, elle assure son bien-être matériel et celui de son amant Jachmann en assumant les fonctions d’entremetteuse et de tenancière de bordel distingué. Si Jachmann parvient parfois à glisser entre deux sursauts d’indignation du fils que c’est une femme formidable, on la voit surtout à travers le regard pédant et moralisateur de ce dernier qui la qualifie de «Biest». À l’opposé dans cette anthropologie féminine à l’emporte-pièce se dresse la figure hiératique de la mère éternelle à la volumineuse poitrine, emblème maternel et non attribut érotique, dont la sexualité n’est que le prolongement du baiser vespéral, abri, refuge, havre de paix, Lämmchen. À travers Lämmchen, Fallada entretient l’image idéalisée du foyer comme lieu arraché aux intempéries du siècle et éclairé par la femme aimante, prévenante, maternelle. Il s’agit d’une chimère, d’un mythe régressif depuis longtemps désavoué par l’histoire (marquée par le vacillement de l’institution familiale).

16 On touche là à un trait commun à toutes ces images de la femme. Elles émanent beaucoup moins de la réalité concrète que d’une projection, idéale ou phobique. Renny Harrigan écrit à ce propos : «Anstelle von differenzierten Charakteren finden wir Stereotype; anstelle von empirischer Beobachtung der Realität stoßen wir auf die

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Projektionen unausgesprochener Angstvorstellungen»17. Un problème non négligeable pour des écrivains se réclamant de la NO !

17 La dimension inhumaine, monolithique, caricaturale de ces images s’explique par l’élimination des motivations psychologiques, l’absence de référence au contexte social et à la pratique quotidienne (nécessité de faire coïncider travail, maternité, gestion des relations familiales, sexualité…), aux changements qualitatifs des rapports entre les sexes et aux problèmes identitaires qui en découlent. Beaucoup d’auteurs femmes se démarquent radicalement des images que nous avons esquissées. La notion d’émancipation apparaît toujours relativisée : elle n’est jamais considérée comme un acquis, mais toujours problématique, confrontée à des obstacles extérieurs mais aussi génératrice de contradictions intérieures et de dilemmes. Le contenu du terme « émancipation » dépasse de plus en plus la problématique juridique et économique pour investir le champ de la réalisation de soi et de la conquête d’une identité : accès à des professions plus créatives et plus responsabilisantes, libération du besoin d’approbation et de reconnaissance de soi par l’homme (sanction / sanctification). Quant au modèle traditionnel, il n’est plus tenable même lorsqu’on en a intériorisé les exigences (ainsi Hertha dans GEU souffre-t-elle de ne pouvoir rester l’instance maternelle que sa morale lui intime d’être). Le choc avec la réalité impose aussi une rectification même des modèles conjoncturels. Les auteurs femmes campent des personnages standardisés (girl, prototype de la femme émancipée…) qu’elles montrent ensuite en situation, aux prises avec la difficulté de faire coïncider ce modèle avec la réalité quotidienne et leurs exigences intérieures. Ainsi, Gilgi et Frieda présentent tous les symptômes de la femme actuelle telle que la propagent les magazines. Par leur apparence extérieure, elles se fondent dans un moule : Bubikopf, vêtements masculins ou choisis pour leur caractère pratique, ne soulignant par la féminité, allure sportive. Leur attitude face à la vie en fait également des produits neusachlich standard. Elles savent ce qu’elles veulent et le prix à payer pour y parvenir (cours du soir, adaptation aux rudes lois de la concurrence commerciale), gardent la tête froide, ne se bercent pas d’illusions et ne s’embarrassent pas de détours. Leur vie réglée, mesurée, ressemble à un entraînement sportif. Leurs enthousiasmes sont également des produits de leur époque (voyages, sport, cinéma, Amérique symbole de rationalité et de compétence, de réussite, de maîtrise de soi, d’émancipation harmonieuse). Elles entrent en crise parce que les modèles ne fournissent pas de réponse dans toutes les situations. Elles possèdent certes la faculté d’évaluer raisonnablement les situations, de mesurer les conséquences de leurs actes, mais pas toujours la force d’agir en conséquence, ou alors, elles ne s’y résolvent qu’au prix de renoncements et de déchirements. Il n’y a en elles aucune univocité lumineuse. On ne peut affirmer, comme cela a été fait (Harrigan, Preuß, Lethen) que Frieda, dès qu’elle a deviné Gustl, s’en sépare sans tergiversations et sans remords, sans déchirement. L’histoire de ces personnages est celle d’un décalage et d’une quête, non l’idylle neusachlich de la pleine phase avec la réalité actuelle et ses paradigmes.

18 L’étude d’un autre type de personnage, celui de la girl incarnée par Doris, aboutit aux mêmes constatations. Là encore, quoique selon des prémisses différentes, il y a identification à un modèle qui dans ce cas est une projection masculine et un mirage entretenu par les médias. Doris conçoit sa vie comme un film mais se heurte à la difficulté de coller au modèle ; elle voudrait écrire son propre scénario, mais se confine dans des rôles d’emprunt et fait l’expérience destructrice d’une mise en scène qui lui échappe. D’un côté, l’incarnation d’un rôle correspond à une stratégie : Doris se place

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résolument dans la sphère du calcul et exploite les désirs masculins qui sous-tendent le modèle qu’elle incarne pour en tirer profit. D’un autre côté, le besoin récurrent de reconnaissance par l’homme la conduit à l’aliénation et à la réification, fait surgir des contradictions entre le modèle et une individualité certes très précaire mais impossible à réduire au silence. Doris, qui veut pourtant « jouer le jeu », finit toujours par s’étonner qu’on la considère comme une prostituée et qu’on la traite en conséquence. Son histoire, comme celle des autres personnages féminins, est celle d’une tentation : tentation des anciens modèles devenus caducs mais sécurisants. Doris comprend sa mère et son mariage raté d’avance : «irgendwo muß man ja einmal hingehören» (KM, p. 17). Elle avoue sa tentation de pleur er face à cet aveu mais, chose inhabituelle, le mot est nu (on serait tenté de dire cru !) alors qu’il est d’ordinaire, dans les « règles » neusachlich, emporté, comme tous les sentiments, par la dérision (comparer avec la scène de pleurs, p. 12). Tentation du sentimentalisme (KM, p. 77), tentation de l’idylle amoureuse (KM, p. 9,38) dont l’incongruité se signale par des métaphores empruntées à la nature, plus proches de la conception de l’amour au XVIIIe siècle que du credo neusachlich en la matière ! Même vocabulaire chez Fleisser lorsque Frieda oppose ses désirs bucoliques à la dure loi du marché et de la concurrence (MFG, p. 54). Gustl essaie de jouer sur le ressort de la tentation et fait miroiter comme un rempart au déracinement «sichere Ecke» et «Zuhause» (MFG, p. 232, 273). On trouve des échos jusque dans le chapitre-reportage où Fleisser évoque la tentation des déracinés de se reposer sur les derniers « îlots » de la société patriarchale (p. 181).

19 Les auteurs femmes procèdent effectivement selon la méthode neusachlich : elles ne partent pas du caractère d’individus singuliers (avec leurs passions et leurs tribulations qui dessinent un drame individuel), mais de situations concrètes, auxquelles répondent les individus, esquissant ainsi des types de comportement. Mais elles laissent opérer la part d’individualité qui donne au type vie et crédibilité, au lieu de le transformer en mécanique démonstrative.

Nouvelle objectivité et crise

Une seconde génération neusachlich

20 Le postulat d’une spécificité féminine dans l’appréhension et la mise en œuvre des « principes » neusachlich est à conjuguer avec les données économiques, politiques et sociales des dernières années de Weimar. En effet, les écrivains femmes appartiennent en majorité à ce que nous conviendrons d’appeler une seconde génération neusachlich. Certaines n’auraient, pour de simples raisons biographiques, pas pu appartenir à la première : Kaléko née en 1912, Keun née en 1910 (1905 pour certains). La période 1929-1933, souvent disqualifiée comme époque « au goût de réchauffé », la NO se survivant à elle-même en se coupant de la réalité, constitue au contraire dans leur création une phase primordiale. Soit qu’elles y écrivent leurs premières œuvres, qui sont aussi les plus originales (Keun, KM) ou celles qui connaîtront le plus de succès (Keun, Kaléko), soit qu’elles connaissent là leur apogée, brisées ensuite par l’évolution historique et incapables de retrouver jamais le ton qui était le leur (Fleisser, Avant- Garde excepté). Est-ce à dire qu’elles ne sont que de pâles épigones ? Il est bien évident qu’au moment où elles écrivent, la situation a radicalement changé par rapport à 1924. On peut parler d’une modification de centre de gravité, qui a des incidences tant thématiques que formelles. Les écrivains sont également beaucoup moins marqués par

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deux données essentielles dont la première génération, par réaction, tirait sa substance : première guerre mondiale et rupture avec l’expressionnisme. Mickael Winkler y voit un avantage dans la mesure où ces écrivains sont «weniger befangen (…) weil den jüngsten Zeitgenossen Weimars der Sinn für das Besondere ihrer Situation während der Jahre 1930-1933 nicht durch das Erlebnis anderer Zusammenbrüche verlorengegangen ist»18. Il en tire la conclusion suivante : «daß gerade die jüngste Generation Weimars eine besonders aufschlußreiche Stimme zur Epochendeutung beitragen könne». Winkler songe essentiellement à la perméabilité aux manifestations et causes de l’échec de Weimar. Mais il est intéressant d’élargir cette hypothèse pour saisir cette forme de « virginité » dans toutes ses implications. Pour la première génération neusachlich, on peut presque paradoxalement parler d’un pathos de la désillusion et de la destruction de valeurs illusoires, contre le pathos et les utopies expressionnistes. Pour la seconde génération, ce mouvement de réaction est d’ores et déjà accompli. Les valeurs que combattaient ou défendaient certains personnages19 sont d’emblée considérées comme caduques et les œuvres disent le vide, l’absence de valeurs et le désarroi face à cette vacance. De même, on peut parler de passage d’un stade expérimental, initiateur, avec le cortège d’éléments décapants et provocateurs que cela implique, à une NO plus « embourgeoisée », « routinée » (mais pas nécessairement routinière), moins mutine aux deux sens du terme. Ainsi, la Selbststatistik de Feuchtwanger illustre ce que nous entendons par expérimental. Mieux encore, Brecht chez qui la NO est aussi une gestuelle : qu’on songe seulement à l’aspect provocateur et iconoclaste de son attitude lors du concours ouvert aux jeunes poètes en 1926 par la Literarische Welt, où il choisira de primer le texte d’Hannes Küpper paru dans un journal sportif «He, he, the iron man», «Das Drama wie ein Auto zu basteln», telle est l’exigence de Brecht20. L’enthousiasme pour les progrès de la technique conduit à s’inspirer en littérature des techniques de production industrielle ; l’auteur de l’ère scientifique est un constructeur et le spectateur est appelé à jeter sur l’action (aux ressorts apparents) le même regard que sur une mécanique automobile. Mêmes métaphores dans Mann ist Mann où Galy Gay est « démonté et remonté comme une voiture » (8, Zwischenspruch). Les écrivains femmes sont beaucoup moins novatrices dans la forme et, à cet égard, leurs œuvres peuvent paraître ratées21. Cependant, l’effritement formel fait aussi sens et s’avère dans une certaine mesure garant de l’adéquation forme-fond-réalité contemporaine, témoigne du chaos d’une époque où les pièces d’une mécanique grippée refusent de s’assembler. Ainsi, certains aspects formels aux antipodes de l’ordre, la concision, la rigueur, la sobriété neusachlich sont néanmoins le résultat d’un effort pour prendre la réalité dans les rets de l’écriture. Sans occulter la part de déficience (par ex. chez Fleisser, tenue par contrat de boucler à la hâte son roman) on peut parler d’une esthétique de la fragmentation, expression d’un « monde en miettes » commun à la majorité des personnages. Les différents chapitres du roman MFG, qui, comme le note Töteberg, constituent autant de nouvelles souvent très réussies mais ne se soudent pas en un tout cohérent, pourraient figurer « malgré eux » les îlots que sont les Amricht et leurs semblables dans la société patriarchale déliquescente, solides encore mais en butte aux agressions des tenants du «Kulturet-Sexualbolschewismus». Dans KM, la phrase où la griffe de l’auteur n’a pas pris la forme de chevilles syntaxiques fondatrices d’ordre, si elle campe le personnage, rend également compte de façon immédiate d’une réalité chaotique et en crise qui n’a plus rien à voir avec les fantasmes organisateurs du socialisme blanc. Ce roman, véritable roman à bâtons rompus, matérialise dans son côté rhapsodique la personnalité versatile, inconstante de Doris ;

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la structure décousue fait surgir un univers fragmenté dont aucune mécanique démonstrative ne pourrait rendre compte et qui s’avère rebelle aux efforts du documentaliste tels que les définit Glaeser dans sa préface au recueil Fazit : «Man sichtet die Vorgänge (…) man ordnet ein». Le texte, bout à bout parataxique ininterrompu de mots, de pans de phrases qui entretiennent de simples rapports de voisinage, dit l’incapacité de conceptualiser, d’ordonner les pensées qui caractérise Doris. Ulrike Strauch et Silvia Bovenschen22 définissent l’écriture féminine comme «Widerstand zur Sprache». Cette résistance prend corps dans la confrontation avec des formes, formules, images, symboles existants, et se traduit par l’éclatement des modèles traditionnels et la découverte d’un nouveau langage et de nouvelles formes. Dans KM, le malaise du personnage / de l’auteur vis-à-vis du langage, passeport social/ littéraire, justifie l’effritement formel et coïncide avec l’émergence d’un style original.

À l’intersection entre Nouvelle Objectivité et crise

21 Confrontée à la crise économique, politique et sociale, la NO (issue de période d’une stabilité relative) perd une bonne partie de son assise : sa croyance au progrès et l’espoir qu’elle avait mis dans une homogénéisation de la société, tant économique que démocratique. Les grands symboles neusachlich en ont pris un coup : «was heißt Mann mit Auto, wo es doch nicht bezahlt ist? Wer heutzutage Geld hat, leistet sich Straßenbahn, und 25 Pfennig bar sind ein solideres Zeichen als Auto und Benzin auf Pump» (KM, p. 17). Les anciens engouements de la NO sont soumis à un traitement corrosif ; la NO réfléchit et se réfléchit à travers ses avatars. Mais du même coup, certains auteurs font preuve d’une plus grande fidélité au principe neusachlich d’une littérature qui veut rendre compte de la réalité et non la célébrer, la transfigurer, la fétichiser. Les auteurs femmes se font non pas apologue, mais observateur, non pas prosélyte mais sismographe, suivant en cela un itinéraire différent de beaucoup d’auteurs de la première génération qui passeront sans transition de l’enthousiasme et de la fascination à l’apostasie. Töteberg et Beicken23 parlent pour Fleisser de «Entzauberung» ; elle démasque ce que l’« attitude de désillusion » a sécrété de nouvelles illusions. Le personnage neusachlich du sportif est au centre de son roman qui documente une certaine crédulité neusachlich à travers la fascination pour le sport : valorisation du corps par rapport à l’esprit (attirance de Frieda, tuberculeuse, pour le corps musclé de gustl et étroite relation entre sentiment amoureux et exploits de l’être aimé, p. 167), croyance que le sport développe la combattivité dans tous les domaines (p. 199). À l’opposé, Fleisser soulève le voile ; le glissement se lit même à certains indices stylistiques. Chez les auteurs de la première génération (Heinrich Hauser, par ex.), il est fréquent de voir un processus de production industrielle comme le travail à la chaîne décrit avec une terminologie empruntée aux domaines de la biologie et du sport. Le fait économique, sociologique, historique, dépouillé de ces dimensions, devient quelque chose d’organique et de physique. On cède ici à la tentation d’idéaliser le réel, de lui conférer une aura romantique. Chez Fleisser, la métaphorique puise à des sources identiques mais l’ordre des priorités est inversé : c’est le monde du sport que l’on cerne dans ses implications extra-sportives avec des métaphores issues du monde économique (Sportbörse, p. 79, Betrieb, p. 76, Fallen und Steigen von Größen, p. 79). Ce renversement investit la métaphore d’un pouvoir démascateur. La façon dont un terme tel que «Sportbörse» s’intègre au vocabulaire courant n’est pas due à son seul pouvoir métaphorique mais en dit long sur l’aliénation

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dont souffrent les sportifs, sur les intérêts économiques en jeu dans le sport, sur sa dénaturation par des instances qui n’ont plus rien de ludique (cf. chap. 6 sur la compétition à Nürnberg). Chez Fleisser, le décalage chronologique se combine avec le décalage géographique qu’évoque Töteberg24. Avec la transposition en province d’une sensibilité étroitement liée au phénomène urbain, les modes transparaissent plus clairement. Elles ont de surcroît perdu leur légitimation « avant-gardiste », le prix de la nouveauté radicale. Ainsi, les efforts de Gustl pour appâter le client, qui s’inspirent des techniques novatrices et urbaines de publicité et de vente (faire des clients, comme en sport, des «Anhänger», p. 11-12) relèvent, au même titre que les pages consacrées à la stratégie de vente de Frieda (p. 50-53), de la documentation et du reportage, dans la veine de la NO. Mais le récit est parcouru de traits ironiques : «Die fremden Blicke wandern von der großstädtischen Wand zum gußeisernen Köpfchen des beliebten Schwimmers. Denkt er, die Bespannung ist nicht in diesem Kopf gewachsen» (p. 18). En ce lieu et en cette époque de crise, la magie neusachlich n’opère plus (cf. p. 216).

Nouvelle Objectivité. Roman. Individu

22 Les écrivains femmes témoignent à travers leurs personnages de modes et d’une sensibilité, mais aussi de leur précarité. Tout le roman de Keun informe sur la dégradation des relations humaines et la perte de soi, et montre les glissements possibles entre Sachlichkeit et Versachlichung (objectivité/réification). La seconde génération neusachlich marque le retour de l’individu dans la littérature, tendance qui s’explique sans doute par le contexte de crise où la menace économique est souvent interprétée en termes de menace existentielle (par un individu ou une catégorie sociale25). Il ne s’agit pas bien sûr de l’individu d’exception tel qu’il apparaît dans le roman bourgeois, pas plus qu’on ne revient au scénario d’une vie entière. Mais à l’étude de « lieux » exemplaires, théâtres de la production industrielle (Schwarzes Revier), de problèmes économiques (Union der festen Hand), de questions d’actualité autour desquelles s’articulent des personnages types (Bauern, Bonzen und Bomben) elles préfèrent l’étude du comportement d’un personnage, d’un individu dans différentes situations, grille à travers laquelle se dessinent une époque et des milieux. En ce sens, elles échappent au reproche formulé en 1929 par Bela Balazs contre la NO26 : «Aber zur Tatsachenwirklichkeit, an die wir uns doch halten wollen, gehört wohl auch der Mensch. Und der Mensch nicht nur als Sache und Nummer, sondern eben als Mensch, mit seinem Empfinden, mit seiner Sehnsucht, mit seiner Phantasie. Und er bleibt wohl das Wichtigste und auch Interessanteste unter den Wirklichkeiten». La mise en scène d’individus permet d’« incarner » les problèmes de société : ainsi la critique des médias et du mirage du «Glanz» est-elle beaucoup moins didactique chez Keun ou Tergit que chez Kracauer. Cher Tergit, la vigueur de la critique des médias naît de l’écart entre le titre, qui annonce un individu, et l’histoire qui transforme le titre de roman en manchette de journal et l’individu en être de papier, réduit à l’état d’objet – de culte ou de transactions – puisqu’il n’a jamais la parole, qu’il n’apparaît jamais que sur scène, à travers le regard du spectateur, du journaliste ou d’hommes d’affaires charognards.

23 L’étude d’autres titres est révélatrice : il s’agit à la fois d’individus (nom ou prénom) et de types, représentants de leur époque. Ce sont des titres « situationnistes » qui plantent le décor : milieu socio-professionnel qui est celui du Mittelstand nouveau, dans une atmosphère dont les composantes sont différents topoï du nouveau «Lebensgefühl». Ainsi, MFG, «Roman vom Rauchen, Sportein, Lieben und Verkaufen»,

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où l’emploi de verbes substantivés fonctionne comme mise en relief, attire l’attention sur l’imbrication et l’apparente parité d’actions aussi diverses que fumer, aimer, vendre. Cette constellation préfigure déjà la tension entre ces pôles. KM, moins « situationniste » en apparence, Test pourtant : en effet, «kunstseiden» informe sur un manque, sur les aspirations qui s’y greffent et sur un besoin corrélatif de compensation. Il situe l’héroïne dans l’échelle sociale et la caractérise en même temps : Doris sera une représentante de cette catégorie que Kracauer décrit dans Die Angestellten et Das Ornament der Masse, qui doit se contenter d’ersatz, mais se laisse séduire par les apparences, la rutilance, et conçoit l’ascension sociale comme participation au «Glanz», comme accès, ne serait-ce que par des dérivés, à ce halo presque synonyme de transcendance auquel elle rattache son identité menacée. Ces œuvres présentent non pas l’un des « mythes nouveaux » (cinéma, technique, Amérique…) mais un individu vecteur et consommateur de ces mythes et en proie à la difficulté de maîtriser la réalité avec leur appui. En ce sens, ils ne relèvent pas de la même veine que par ex. le Fabian de Kästner, où le prénom isolé, sans la gangue du réel, symbolise déjà la notion de «freischwebende Intelligenz», la supériorité fictive de l’intellectuel blasé, réfugié au- dessus de la mêlée. Certes, comme le souligne Beicken (p. 49), les écrivains femmes ne donnent pas de recettes pour maîtriser la réalité ; elles retracent plutôt un itinéraire qui a tous les traits de la défaite, sans pour autant légitimer l’attrait du défaitisme. Pour Doris, si le journal est une manière d’affirmer son moi, de se créer une identité (souvent fictive), il n’offre pas une enclave à l’auto-compassion, luxe impossible parce qu’il ne saurait constituer une technique de survie effective. Fleisser se défend de vibrer avec ses personnages et les confronte impitoyablement à leurs contradictions. Chez ces auteurs, la fin reste souvent authentiquement ouverte, sans faux espoir consolateur, sans mirage de supériorité, sans fuite dans des mondes parallèles idylliques, sans dérision.

24 Le retour à l’individu ne signifie pas retour à une littérature psychologisante ; les auteurs sont en cela beaucoup trop marqués par le behaviorisme. Fleisser est à cet égard exemplaire, qui promène son regard incorruptible sur les personnages. Sa dissection impitoyable de leurs actes fait se profiler motivations et caractères (cf. p. 120 et suivantes où le narrateur observe le comportement de Minze et les multiples détours de son avarice). Dans le roman lui-même, Gustl définit le regard de Frieda (qu’il ressent comme une menace), qui pourrait être le regard neusachlich idéal : Die Hechel ihrer Blicke (p. 32)27 ; un regard qui passe la réalité au peigne fin, sans l’inventorier avec une précision vétilleuse, mais en démasquant les apparences, en débusquant les travestissements humains, moraux et idéologiques.

Nouvelle objectivité : sensibilité/label

25 À travers des individus à la fois porteurs et victimes des espoirs mais aussi des « mythes » neusachlich se dessine une critique de la NO dans ses excès, son abâtardissement, sa dégénération en attitudes et en slogans. Sont alors transposés sur le mode de la fiction une partie des reproches qui ont été formulés à rencontre de la NO : évaluation naïve de la réalité permettant les manipulations, victoire des aspects commerciaux sur les aspects démocratiques, « foire à la nouveauté »28, culte de l’intensité factice au nom du « Tempo »… Les tribulations du personnage de Doris dans KM dressent l’inventaire des avatars de la NO. Le thème du «Glanz», de la rutilance, du miroir aux alouettes d’une Amérique identifiée à Hollywood, illustre à quel point

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l’optimisme naïf propagé par la NO, la croyance en une chance radicale résidant dans l’abolition des anciennes entraves (économiques, politiques, sociales, artistiques) est générateur de malentendus et propice aux déviations. Les réflexions de Doris illustrent par exemple le problème de la récupération des thèmes neusachlich à des fins de domestication des consciences, sur fond de profit commercial. Sur le mode grotesque, Keun documente le modelage des opinions tel qu’il se faisait à travers le cinéma, les illustrés, lieux de la « culture neusachlich », et les affiches publicitaires, emblèmes du paysage neusachlich berlinois : «Armin heißt er – eigentlich hasse ich diesen Namen, weil er in der Illustrierten mal als Reklame für ein Abführmittel gebraucht wurde» (p. 8). Hermand et Trommler dénoncent la dégradation de la NO en « Nouveauté- Rummel » : la chasse au sujet, la volonté d’être actuel à tout prix réduit la NO à un label, conduit à cultiver le sensationnel plutôt que le typique, à confondre l’esprit de l’époque et ses symptômes spectaculaires, la réalité profonde et l’actualité du jour, à déformer les phénomènes pour leur donner une allure exotique, favorisant ainsi l’escapisme. Selon Horst Denkler, l’époque vit au-dessus de ses moyens29 (par besoin de compensation après l’expérience de la guerre et du fait de l’incertitude du lendemain), tente de briser la monotonie du quotidien en le transformant en une suite d’événements intenses et exceptionnels ; les auteurs, tenus de rendre compte de cette réalité, et donc du caractère factice et illusoire de cette attitude, succomberaient toutefois à la même tentation. On pourrait retracer dans les mêmes termes l’itinéraire de Doris : elle n’aime vivre les choses que pour pouvoir les raconter à ses collègues (p. 10), ce qui les transfigure, leur confère une aura valorisante et les hisse au niveau du sensationnel. Dans cet univers, pas de place pour ce que Fleisser nomme « das Leben im unscheinbaren Format » (p. 170). Dans cette ambiance neusachlich d’éternelle auto- mise en scène que Canetti définit éloquemment de « Routine unaufhörlicher Selbstdarstellung »30, les relations se font sur le mode du Konkurrenzkampf ; la préoccupation essentielle de Doris tient en quelques mots : « auf der Höhe bleiben » (KM, p. 17). Le style de la conversation en est marqué : un combat de gladiateurs qui se lancent des expressions au visage (« ganz kühl hinwerfen », p. 11, 67 ; «schmeißen»). Cette lutte explique aussi la loghorrée de Doris, le flot ininterrompu de son discours tentaculaire, au sens propre sans queue ni tête. Elle traduit la nécessité de ne jamais perdre le rythme (le tempo neusachlich, expression d’une sensibilité, pouls d’une époque, s’absolutise et se fait servitude : le style haletant est là pour tenir en haleine), de ne pas se laisser dépasser (une question de survie), mais aussi elle entretient le mythe de l’intensité. Doris, est prise à ce piège d’une sensibilité fictive et normative, même si elle confesse parfois sa fatigue (p. 67). Elle cultive les sensations fortes : «wie eine Rutschbahn, auf der man herunt er saust» (p. 18). Sa vie doit être une suite de temps forts, d’instants exceptionnels : ce n’est pas l’intensité du vécu qui sécrète ses propres métaphores, mais le vécu qui se conforme à la métaphore-label : «Mein Leben rast wie ein SechsTage-Rennen» (p. 35). L’intensité est appelée à fonctionner comme une compensation, une réparation. Ainsi, lorsque Doris, victime des avances de son chef (qu’elle a savamment suscitées), est licenciée : «schließlich habe ich ja eine Sensation durchgemacht» (p. 16). L’intensité est reléguée dans le mot (fréquence de l’adjectif « interessant » employé à toutes les sauces), se réfugie dans le signe (ponctuation « affective » : conglomérats de points d’exclamation ou d’interrogation) pour compenser une réalité morbide et mercantile. Elle investit des mots chargés de tous les rêves et de toutes les nostalgies, mais qui ne renvoient qu’à eux-mêmes, qu’il faut prendre au mot : l’idéal de Doris, «ein Leben haben» (p. 16, 58), «ein Schicksal haben»

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(p. 10). Bien plus rares sont les constatations réalistes : «eine Grundlage bekommen, denn nur allein auf Männer angewiesen sein geht leicht schief» (p. 17). Tout doit être «Erlebnis», mais celui-ci finit par ne se nourrir que des mots qui devaient le dire ; par un retournement, le mot choisi pour son intensité finit pas suggérer ou dicter la réalité : «und erkannte, daß ich fliehen muß, weil Flucht ein erotisches Wort für sie ist» (p. 41). Le mot est devenu un objet chatoyant ; le problème du «Glanz» est donc présent jusqu’au sein du langage et du style. Ainsi, le mot «Künstlerin» placé en tête d’un passage (p. 18) comme en haut de l’affiche, appelé à briller de toutes ses facettes, tente- t-il de transmettre un peu de son éclat à l’explication laborieuse qui suit, retraçant l’itinéraire qui permit de s’en affubler, rythmée par un immuable (et obscurcissant !) «hat mit einem gesprochen» qui nous mène du vestiaire au vestiaire après une brève incursion au sommet de la hiérarchie du théâtre. Nous finissons par apprendre que Doris a été engagée comme figurante. Les mots-objets sont alignés comme des investissements sur le marché de la conversation (citations maladroites, mots étrangers dont on ponctue sciemment la conversation pour « en imposer » (cf. p. 67) et informent sur les luttes de pouvoir et les tentatives de manipulation au sein du langage31. Alliés à des expressions déroutantes dans leur apparente absurdité («wir sprechen Gespräche», p. 113, «Worte, die passierten», p. 102), ils émergent de la phrase « pressée » de Doris comme des concrétions, des pétrifications contre lesquelles le rythme de la phrase achoppe sans cesse. À l’inverse, le texte est parcouru de jaillissements soudains, d’éruptions lumineuses qui brisent l’écorce de la convention et infusent au texte une substance originale, des inflexions surprenantes, une extraordinaire vivacité : les contours d’un style neusachlich original se dessinent.

Esquisse de styles neusachlich

«Musts» neusachlich

26 À la lumière de trois œuvres d’auteurs femmes, l’une appartenant à la première génération (Hauptmann), les deux autres à la seconde (Fleisser et Keun), nous avons tenté d’étudier quelques aspects du style neusachlich, sans perdre de vue la question d’une spécificité féminine qui s’affirmerait dans l’écriture : «Sinnvoll ließe sich von einem weiblichen Ich in der Literatur erst reden, wenn dieses Ich auch sprach-, form- und bildbestimmend ist» (Brinker-Gabler32).

27 Pour une littérature qui se propose de rendre compte adéquatement de son époque, l’adéquation des moyens stylistiques avec la réalité contemporaine est un aspect fondamental. Il est évident que l’originalité de l’écriture va souvent bien au-delà d’un dénominateur commun neusachlich que nous définirons donc au risque de rester en- deçà de l’empreinte originale de chaque auteur. On retrouve chez les auteurs féminins beaucoup des indices textuels « de surface » de la NO, caractérisés par leur fréquente ambivalence : en effet, éléments « extra-littéraires », tantôt ils marquent l’irruption du quotidien, de la réalité concrète, actuelle et prosaïque dans la littérature, traduisent la sensibilité neusachlich, tantôt ils dégénèrent en label, surimpression gratuite, « tics » qui se veulent caution d’actualité, « dernier cri ». La NO s’affiche alors, enjôleuse, se placarde et sécrète un vernis stylistique qui peut apparaître comme une simple concession à l’air du temps, non exempte de démagogie et de vénalité. Cette ambivalence reflète le danger déjà évoqué de confusion entre l’esprit de l’époque et ses

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simples manifestations de surface. Quelques exemples : – Intégration de vocabulaire spécialisé (technique, sociologique MFG, p. 212, économique MFG, p. 56, sportif MFG, p. 78), citation de marques, précisions chiffrées, termes en vogue (ex. «Kanone»). Emploi parfois gratuit visant à un effet comique : «Mrs Tarkington war wie Bessemerstahl» (JR, p. 14). – Surenchère de précision qui confère une dimension incongrue : «atmet wie eine Lokomotive kurz vor der Abfahr» (KM, p. 14). Souvent recherche d’un comique facile, ceci se justifie parfois par le « coup d’œil neusachlich », et/ou éclaire la psychologie du personnage : «Haut wie meine alte gelbe Ledertasche ohne Reißverschluß» (KM, p. 4). – Utilisation ironique de termes techniques pour créer des concepts parodiques : « Die rockfellersche Magenspekulation » (p. JR, p. 8). Style très « pince sans rire » car le terme est assorti d’une définition très sérieuse et « scientifique ». Utilisation de vocabulaire scientifique pour désigner ironiquement des états émotionnels (distanciation) : «… werden seine Blutkörperchen wach, die Polizeitruppen in seinen Adern. Er produziert Gegengift» (MGF, p. 58). – Touches exotiques (ex. : KM, p. 6), parfois très nettement ironiques (JR, p. 9). – Adjectif à valeur intensificatrice accolé à un autre adjectif (chez Keun) : höllisch, kolossal, rasend, fabelhaft, enorm… : marque du Tempo neusachlich ou volonté de pallier la platitude des expériences et des situations par l’intensité du langage-cliché.

28 À l’intersection entre NO et crise économique apparaissent des champs sémantiques qui à la fois dressent l’inventaire d’une réalité et soulèvent des problèmes de société : le plus net est le vocabulaire ressortissant au registre du calcul, de l’évaluation qui investit le domaine des relations humaines. Il définit les relations amoureuses dans le domaine patriarchal (pour Gustl, le mariage est une affaire de maquignons, «ein ewiger Kuhhandel», p. 208), mais il règne aussi en maître sur la sphère berlinoise où l’on pèse, jauge, expertise, chiffre pour voir s’il peut s’avérer rentable de faire connaissance. «Ich schätze ihn höchstens auf besseres Faltboot» (KM, p. 8), tel est le verdict de Doris écoutant son voisin de table vanter ses prouesses de navigateur propriétaire de yacht pour séduire sa compagne. L’observation du comportement en matière d’argent et de propriété est également une méthode d’investigation psychologique rappelant les thèses behavioristes et fidèle aux principes neusachlich en ce qu’elle ramène la psychologie « à la surface » : ainsi chez Keun (ex. p. 6), où le prix des cigarettes que l’on offre dessine caractères et types de comportement social. L’exploration intuitive et minutieuse de la personnalité fait place aux « sondages », aux estimations numériques, à un véritable behaviorisme pécuniaire.

29 Sans innover dans ce domaine, les femmes sacrifient à ce qui est devenu une série de « musts » neusachlich : intégration d’éléments de reportage (chapitre sociologique chez Fleisser, reprise par Tergit d’un texte paru tout d’abord dans le Berliner Tageblatt en 1928 sous le titre «Ausführliche Beschreibung einer Berliner Gesellschaft»), mise en pratique de diverses techniques de montage : – Montage « dialectique », destiné à faire surgir les contradictions par contraste, chez Fleisser qui pratique la multiperspective avec alternance des points de vue, souvent sans transition (superposition des discours, notamment par contamination des langages et des vocabulaires, et effacement des frontières entre récit, dialogues et commentaires). – Montage linguistique chez Keun (intégration de fragments de dialecte, de citations, de jargons…) qui documente une forme d’aliénation linguistique. Le style-patchwork dit le déracinement.

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– Collage consistant à parsemer la fiction de matériel documentaire (données sociologiques, chansons, slogans publicitaires, boniments…). Toutefois, pas de « photographie » chez Keun où le souffle du personnage traverse chaque image (la technique est en principe la même que chez Döblin, mais on est aux antipodes du style olympien de la ville qui se narre elle-même) : le montage sur Berlin est révélateur de la perception très corporelle des choses, caractéristique de l’écriture féminine : «so eine Straße [so eine Beschreibung!] hat doch was an sich, daß man sich schwanger fühlt» (KM, p. 129).

30 Les auteurs femmes s’essayent aussi à l’écriture « filmique », « cinématographique » : grande visualisation, décomposition des scènes en successions rapides d’images, séquences au ralenti, description sous forme d’indications scéniques rappelant le scénario (MFG, p. 29, 15), adoption du regard du personnage qui se fait caméra et suit très exactement les mouvements, respecte les données spatiales et temporelles (MFG, p. 305).

Utilisation neusachlich de procédés stylistiques classiques

31 À un autre degré d’élaboration textuelle, on constate une utilisation de procédés stylistiques classiques qui, tout d’abord « délittérarisés », « prosaïsés », se voient réinvestis par ce traitement d’une nouvelle force expressive.

32 – Métaphores et comparaisons neusachlich : si souvent, elles se contentent de substituer aux associations habituelles (ex. : références à la nature) des associations plus « modernes » («in mir pufft die Wut wie ein Motor», KM, p. 85), elles créent aussi des images neuves, parfois très parlantes : «als ob er eine ganze Dose Niveacreme aufgeleckt hätte» (KM, p. 12). On note trois caractéristiques : la comparaison neusachlich n’est presque jamais méliorative, la tendance est à l’usage nettement dépréciatif : «dünn wie eine Canoë» (JR, p. 8), «Busen wie ein Schwimmgürtel» (KM, p. 6), «Augen wie angebrannte Spiegeleier» (KM, p. 33). Elle s’accompagne d’une nette tendance à l’exagération, à l’hyperbole : «Ringe um die Augen wie Continentalreifen» (KM, p. 39), alliée à une prédilection pour le saugrenu : «Eine Käseglocke von allgemeiner Verbrüderung» (KM, p. 46), révélatrices d’une ambiguïté fondamentale : ces images sont le fruit du glissement d’une volonté de rendre compte sans distorsions de la réalité (en y puisant les images) vers une mise en œuvre caricaturale et presque parodique de ces mêmes images. Mais paradoxalement, c’est ce glissement qui, de l’image, fait jaillir la réalité, qui réinsuffle à l’image une véritable force expressive (dans la mesure où elle n’éloigne pas du réel mais y ramène très brusquement, pèse de tout son poids sur lui en l’empêchant de « se transcender », se poétiser). Enfin, si ces comparaisons cultivent souvent la recherche de l’effet, sacrifient volontiers à un comique facile, elles peuvent acquérir aussi une véritable dimension sarcastique : «Kein Fußball ist lederner im Gemüt» (MFG, p. 44).

33 – Utilisation de zeugme : la combinaison par le zeugme d’éléments hétérogènes fait coïncider la conscience d’un hiatus, d’un décalage, et l’évidence d’une parenté insoupçonnée, confinant parfois à un véritable art de la chute et du dégonflage qui rappelle l’irrévérenve frondeuse d’un Heine trouvant les pigeons meilleurs dans une assiette que dans un poème : «Hunger auf was Herrliches und auf ein Rumpsteak» (KM, p. 66). Le zeugme neusachlich est à la fois absurde et lumineux : ainsi de cette conclusion de Hauptmann : «Er machte bei einer einfachen Magenübersäurung und

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einer kleinen Betonfabrik halt» (p. 8), qui clôt une démonstration « scientifique » d’une logique rigoureuse, faisant appel au langage économique et d’où il appert qu’il existe une étroite connexion entre capitaux et sucs gastriques, digestion et spéculation réussies ! L’ironie naît de la combinaison entre saugrenu et logique, mais aussi d’une tendance très caractéristique à la compression de l’information, qui détermine l’utilisation d’autres procédés stylistiques classiques. • Métonymies et synecdoques neusachlich : cette tendance à la compression de l’information est une des composantes de ce que nous appellerons court-circuit neusachlich et qui apparaît comme un style « économique » poussé à l’extrême, une hyperconcision, un laconisme résultant moins d’un souci de clarté, de sobriété, que d’une sensibilité et d’un regard sur les choses : tout est ramené à sa dimension matérielle, les êtres comme les choses, même le cours du temps est divisé en avant et après objet («nach dem Fuchs», KM, p. 5). Stylistiquement, cela se traduit par l’ellipse (du wie de la comparaison, des intermédiaires verbaux, des éléments explicatifs), le raccourci syntaxique. Cette compression se conjugue d’ailleurs chez Keun avec une extraordinaire avalanche de mots et de phrases, un flot intarissable (chacune des deux tendances trouvant sa justification dans la sensibilité du personnage). L’utilisation de procédés comme la création de mots-composés, la métonymie et la synecdoque (notamment pour désigner des personnes) relève de cette tendance à la compression, et dans ce cas, le lien avec le « regard neusachlich » est très net : refus d’envisager les « dessous » psychologiques, volonté de cerner les choses dans leur dimension phénoménale et les êtres à travers leur comportement (ramené à sa manifestation la plus élémentaire), besoin de classer, d’ordonner les choses et les êtres, de les « figer » pour les apprivoiser, les « désamorcer », ne pas laisser opérer toute leur part d’inconnu et d’insondable, toute leur « mouvance ».

34 L’utilisation de ces procédés reflète autant d’étapes dans un processus de matérialisation . À un premier niveau, le recours au mot-composé sert à caractériser en faisant appel à un élément typique, emblématique, auquel la personne désignée pourrait tout à fait s’identifier (car il marque indifféremment l’ironie ou l’admiration) : «Kraulgustl» (MFG, p. 220, 302), «Zigarettenamricht» (MFG, p. 230). Dans ce cas, il y a parité, équilibre des deux termes. Cette symétrie disparaît lorsque la personne est ramenée à une manie et ancrée ainsi dans le ridicule et le dérisoire : «Kaugummijohn» (JR, p. 8). La réduction de la personne à un accessoire se fait volontiers substitution : «der Pappkarton» (KM, p. 139), «der schwarze Rayon» (KM, p. 50). Les exemples de synecdoque et de métonymie neusachlich abondent chez Keun : « die Großindustrie » (p. 28), «das Textilunternehmen» (p. 49), «Kinos» (pour Schauspielerinnen, p. 65). Mis à part quelques cas rares («ich bin eine Bühne» (p. 80), il s’agit toujours d’un procédé péjoratif : réduction, déformation, mutilation, réification. L’attribut envahit toute la personne et s’y substitue. Mais l’effet de court-circuit opère, libère une intensité (comique, ironique ou même poétique) et une « décharge » de critique sociale plus parlante qu’une démonstration. Dans certains cas, la substantivation réificatrice est chargée d’histoire et la concentration est alors telle que le mot, isolé, perd toute valeur informative. Le court-circuit atteint ainsi son paroxysme lorsque Doris, pour désigner la femme de Ernst, rencontré dans un hall de gare, parle de «die Korkteppiche» (p. 131). Ce nom pour le moins déroutant appelle à un travail complexe de reconstitution : Hanne, la femme de Ernst, l’a quitté, puis lui a écrit une lettre que Doris a interceptée, ouverte, lue puis cachée sous un tapis de liège qu’elle piétine dans l’espoir que Hanne, ainsi emprisonnée, ne reviendra jamais et ne sera plus présente, au pire, que dans les objets qu’elle a laissés derrière elle. D’une manière générale,

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l’utilisation de tels procédés stylistiques en dit long sur la dégradation des rapports humains et l’aliénation des individus. Elle constitue un exemple significatif à l’appui de la thèse de Volker Klotz, selon qui la surenchère verbale est une tentative désespérée pour se soustraire aux ravages de la réification : «Das Subjekt, das die längste Zeit eins gewesen ist, sucht sich am allgemeinen Verdinglichungsprozeß schadlos zu halten, indem es ihn sprachlich noch überholt»33.

35 Enfin, la présence d’autres éléments (synesthésie, allitération neusachlich) s’explique par ce que Klotz nomme « sensualisme neusachlich », une perception très féminine, sensorielle et corporelle du monde extérieur34 qui s’incarne dans le langage : «Kegelkugelstimme» (KM, p. 55), «Sprache wie weiße fließende Mayonaise » (KM, p. 69), «zick-zack ist die Musik (…) geblümt wie ein Chiffonkleid» (KM, p. 70), «Amethyst, was sich doch direkt lila anhört» (KM, p. 69).

Un exemple : le traitement stylistique du registre des sentiments

36 Le traitement stylistique donné au thème de l’amour, des sentiments, et plus largement à la communication entre les êtres est particulièrement symptomatique de l’attitude neusachlich et de sa dégradation possible en convention. Non-sentimentalité, dureté affichées, ces poses sont la règle et imprègnent le langage. Gare aux mots entachés de suspicion que Fleisser qualifie ironiquement de « perverse Ausdrücke » (MFG, p. 22), montrant non moins ironiquement les détours qu’empruntent les sentiments pour s’exprimer. Chez Keun, le registre de la tendresse a droit de cité, mais lorsqu’il s’agit de l’amour pour un manteau de fourrure, le seul qui conserve un peu d’authenticité, qui ne soit pas dénaturé par le calcul : «Er ist wie ein Mann, der mich schön macht aus Liebe zu mir» (KM, p. 40). Le malaise profond transparaît en filigrane : sur fond de crise économique et de crise des valeurs, la détérioration générale des rapports entre les sexes, leur tournure souvent morbide et mercantile sape les fondements mêmes du sentiment amoureux.

37 Mais la règle, surtout dans les textes de la première génération, c’est l’«Understatement», la « bagatellisation », le dégonflage systématique. Sous peine d’être en infraction, il faut désamorcer la puissance lyrique, sentimentale ou dramatique que recèle le répertoire amoureux, la saper même dans sa virtualité, ne pas la laisser ne serait-ce que supposer, l’inscrire en négatif. Hauptmann décrit l’angoisse amoureuse en ces termes : «Seine Liebe war so mit Ängsten durchsetzt wie eine Sommernacht in den Südstaaten mit Moskitos» (JR, p. 12). Bien sûr, il y a là une intention moqueuse transparente ; le narrateur malmène son personnage. Mais l’exemple est révélateur du piège que constitue pour les écrivains de la NO la tentation de l’understatement, même si celui-ci se justifie par le souci de transcrire la sensibilité neusachlich. Il s’agit bel et bien d’un piège, car la révision des sentiments à la baisse entraîne une inflation métaphorique ou verbale. Pour minimiser, on exagère ; pour « dégonfler » ce dont il est question (pour le neutraliser ou le ridiculiser), on gonfle l’image. L’éthique du dégonflage conduit ainsi à une esthétique de l’outrance, de l’hyperbole « en creux », les sentiments, devenus incongrus, à une esthétique du saugrenu. La froideur (simulée), tenue de s’afficher, se fait exhibitionniste : on ne doit pas glisser sur la métaphore ou la comparaison, mais s’y heurter. On est loin de la sobriété du style dont se réclame la NO. Cette contradiction entre éthique et esthétique

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rend transparence la part de pose neusachlich et constitue l’impasse d’une attitude et d’un style qui, s’enfermant dans la dérision, finissent par devenir dérisoires.

38 La clé de l’understatement est le décalage rédhibitoire entre les termes de la comparaison, décalage qui se fait péjoration. La NO trouve son vrai style – et son style vrai – lorsque cette inadéquation redevient adéquation, et lorsque les sentiments qui ont jeté leurs vieux oripeaux retrouvent droit de cité en créant leurs propres images qui leur permettent de se dire sans s’inscrire en faux contre leur époque et sa sensibilité, et sans sombrer dans le pathos, le sentimentalisme, le lyrisme ou la mièvrerie, danger auquel cède par exemple Fallada dans Kleiner Mann, was nun où les sentiments, abstraits de la réalité ambiante, sont exprimés à l’aide de métaphores empruntées à une nature idyllique (Schütz parle d’« idylle symbiotique »35). À l’intersection entre NO et domaine sentimental, l’écriture se fait sur la corde raide, les retombées dans un style de seconde main sont fréquentes. Ainsi, dans le premier roman de Keun, GEU, l’irruption de l’amour, qui bouleverse l’hygiène de vie neusachlich, fait basculer le texte dans les platitudes, les trivialités et les larmoiements. Gilgi y perd son identité et son dynamisme, Keun sa verve, le roman toute sa saveur. Dans KM, Keun a trouvé son style original et des images en phase avec l’héroïne et son époque : être amoureuse, c’est «so ein gestreiftes Taxi [sein], (…) so leben mit runtergeklapptem Schildchen für sehr lange» (KM, p. 126). L’ensemble du monde intérieur de Doris trouve son expression adéquate, ce qu’elle ressent acquiert des contours nets, surgit de l’image. L’excitation mêlée d’angoisse : «Mein Herz ist ein Grammophon und spielt aufregend mit spitzer Nadel in meiner Brust» (p. 36) culmine dans une autre image : «In mir ist Kraft von Revolvern. Ich bin ein Detektivroman» (p. 38).

39 Le style du roman trouve une double justification : c’est d’abord pour échapper au carcan des règles, du style « intemporel » que Doris se met à écrire : «mal für mich ohne Kommas zu schreiben und richtiges Deutsch – nicht alles so unnatürlich wie im Büro» (p. 4). Mais aussi pour briser le carcan des modèles littéraires inadéquats. En effet, Doris, intarissable lorsqu’elle parle son langage d’une extraordinaire vivacité, devient quasiment muette lorsqu’elle doit se couler dans le moule traditionnel du journal intime : «und möchte einen Anfang schreiben: ich heiße somit Doris und bin getauft und christlich und geboren. Wir leben im Jahre 1931. Morgen schreibe ich mehr» (p. 5). Le refus de la forme traditionnelle du journal intime est annoncé dès les premières pages. Mais l’émiettement de cette forme n’est pas que le produit d’un travail de décapage. Le roman est aux antipodes de la tradition piétiste où le journal est facteur d’ordre intérieur et moyen de parvenir à une meilleure connaissance de soi. Bien plutôt, il est chronique de la perte de soi. Le style émane du personnage lui-même, il est le personnage qui se définit par son appréhension sensorielle, surtout visuelle des choses : «Ich will schreiben wie Film (…) ich sehe mich in Bildern» (p. 11). Doris perçoit la réalité dans sa dimension phénoménale et de façon immédiate. Elle s’épanouit dans le reportage au jour le jour mais s’étiole dès qu’il lui faut adopter un point de vue rétrospectif et synthétique, résumer et se résumer ; Ainsi quand Ernst lui demande de lui raconter son histoire : «ich weiß über mich jetzt gar keine Worte» (p. 104). En réponse, elle lui donne son journal (exemple symptomatique de la communication neusachlich : immédiateté – le reporter recueille les faits sur place – médiation du journal et de l’image). Une fois éliminées les entraves, surgissent des images qui recèlent leur poids de critique sociale. Lorsque Doris dépeint les femmes de la haute bourgeoisie, elle allie la description-collage (pas de description « filée » mais une série de petites touches : une étoffe, un geste, un objet) aux images à la fois drôles et

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saisissantes : «Und sie sind ihre eigene Umgebung und knipsen sich an wie elektrische Birnen, niemand kann ran an sie durch die Strahlen » (p. 52). Par la puissance des images et le rythme de la phrase, Keun insuffle vie, authenticité, force poétique au texte. La rencontre de Doris avec Berlin lui inspire des images intéressantes (p. 42-43), ainsi que plus tard, l’épisode où Doris « rapporte » Berlin à un aveugle («ich sammle Sehen», « truc » génial d’expérimentation neusachlich) : «Berlin senkte sich auf mich wie eine Steppdecke mit feurigen Blumen (…) Sehr viel glänzende schwarze Haare und Nachtaugen so tief im Kopf (…) Es gibt eine Untergrundbahn, die ist ein beleuchteter Sarg auf Schienen (…) Es gibt auch Omnibusse – sehr hoch – wie Aussichtstürme, die rennen». L’expérience suivante est révélatrice : si l’on raye du texte les réflexes du personnage devant la réalité rapportée – commentaires, associations d’idées –, il reste un reportage alerte et original, parsemé d’images d’une grande expressivité. Cette « gangue » reste cependant lourde de sens et – parfois – de charme. En tout état de cause, Keun (et Fleisser, pour d’autres raisons qu’il serait trop long de recenser ici) échappe à l’engluement dans un style froid et aseptisé, ou faussement sobre. Ses images réconcilient information et expression, NO et poésie.

NOTES

1. – Nous emploierons pour « Nouvelle Objectivité » l’abréviation NO. 2. – Peter Beicken, «Weiblicher Pionier. Marieluise Fleisseroder zur Situation schreibender Frauen in der Weimarer Republik», in Die Horen 132 (1983), p. 45-60. 3. – La liste des auteurs n’est pas exhaustive. Nous nous appuierons essentiellement sur les œuvres suivantes (entre parenthèses, l’abréviation que nous emploierons dans le texte pour des raisons de commodité) : – Fleisser Marieluise, Mehlreisende Frieda Geier (MFG), Gustav Kiepenheuer Verlag, 1931. – Hauptmann Elisabeth, Julia ohne Romeo (JR). Aus, Julia ohne Romeo, AufbauVerlag, 1977. – Keun Irmgard, Gilgi, eine von uns (GEU), DTV 11050, 1989. Das kunstseidene Mädchen (KM), Ernst- Klett-Verlag, 1986. – Tergit Gabriele, Käsebier erobert den Kurfürstendamm (KK), Wolfgang-Krüger-Verlag, Frankfurt, 1977. 4. – Sur la question de l’oubli, cf. Li via Z. Wittmann : «Der Stein des Anstoßes. Zu einem Problemkomplex in berühmten und gerühmten Romanen der Neuen Sachlichkeit», in Jahrbuch für internationale Germanistik 14 (Heft 2) 1982, p. 56-78). Ursula Krechel : «Irmgard Keun. Die Zerstörung der kalten Ordnung. Auch ein Versuch über das Vergessen weiblicher Kulturleistungen», in Literaturmagazin 10 (1979), p. 103-125. 5. – Le sexe n’est pas en soi une justification : voir le destin tout différent d’Anna Seghers (toutefois, il fut longtemps de bon ton de souligner la masculinité de son écriture). 6. – Helmut Lethen mentionne Keun et Hauptmann dans son article «Neue Sachlichkeit» paru en 1983 dans H.A. Glaeser, Deutsche Literatur. Eine Sozialgeschichte, mais les ignorait encore dans son livre sur la NO. Le récent ouvrage de Schütz, Romane der Weimarer Republik, paru en 1986, accorde une bonne place aux écrivains femmes mais n’aborde que très évasivement la question de la NO et se limite à une étude thématique.

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7. – Pour information : Ulrike Strauch, «Antwort über Antwort auf die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik?», in Frauen sehen ihre Zeit. Katalog zur Literaturausstellung des Landesfrauenbeirates Rheinland-Pfalz, Mainz, 1984. 8. – Citées par U. Strauch, ibid., p. 79-80. 9. – Gisela Brinker-Gabler, «Das weibliche Ich. Überlegungen zur Analyse von Werken weiblicher Autoren mit einem Beispiel aus dem 18. Jahrhundert». Aus: Wolfgang Paulsen (Hrsg.), Die Frau als Heldin und Autorin (Bern, 1979), p. 56. 10. – Materialien zum Schreiben und Leben der Marieluise Fleisser, Günther Rühle Hrsg., Surhkamp Verlag, 1973, p. 176. 11. – Erhard Schütz, Romane der Weimarer Republik (UTB Fink Verlag 1986), p. 160. 12. – Ibid., p. 53. 13. – Kurt Pinthus, «Männliche Literatur», in Das Tagebuch, 10.1929. 14. – Michael Töteberg, «Spiegelung einer Bohemienexistenz», in Text und Kritik 64, p. 59. 15. – Nous avons volontairement choisi des exemples extrêmes. Il serait intéressant de mesurer les personnages de Fleisser et Keun à ceux de Horvâth (cf. dans ce numéro l’article de Eva Philippoff : «Das neusachliche Mädchen zwischen Uznach und Oktoberfest»). 16. – Helmut Lethen, Neue Sachlichkeit 1924-1932 (Metzler, 1970, 2. Auflage), p. 38-40. 17. – Renny Harrigan : «Die emanzipierte Frau im deutschen Roman der Weimarer Republik», in Elliott James (Hrsg), Stereotyp und Vorurteil in der Literatur, Göttingen, 1978, p. 66-67. 18. – Michael Winkler, «Paradigmen der Epochendarstellung in Zeitromanen der jüngsten Generation Weimars», in Koebner Thomas (Hrsg.): Weimars Ende. Prognosen und Diagnosen in der deutschen Literatur und politischen Publizistik 1930-1933 (Suhrkamp 1982), p. 360-361. 19. – Cf. Reinhold Grimm, «Zwischen Expressionismus und Faschismus. Bemerkungen zum Drama der zwanziger Jahre», in: Grimm, Hermand, Die sogenannten zwanziger Jahre (1970, Max Gehlen Verlag), p. 15-45. 20. – Cité par Kassens et Töteberg, Marieluise Eleisser (DTV 1979), p. 31. 21. – Michael Töteberg, ibid., p. 56. 22. – Ulrike Strauch, ibid., p. 78. Silvia Bovenschen : « Über die Frage : gibt es eine weibliche Ästhetik ? », in Ästhetik und Kommunikation 25 (1976), p. 67. 23. – Töteberg, ibid., p. 60. Beicken, ibid., p. 49. 24. – Ibid., p. 60. 25. – À cet égard, la critique de Helmut Lethen, dénonçant dans les romans de la seconde génération la perspective de victime, est tout à fait pertinente ; mais elle ne suffit pas à disqualifier ces romans. Certains – et ceux des écrivains femmes en particulier – n’en apportent pas moins un éclairage critique intéressant de leur époque, et méritent un regard qui ne passe pas obligatoirement par la grille herméneutique rédhibitoire des années noires. 26. – In Kaes Anton (Hrsg.), Manifeste und Dokumente zur deutschen Literatur 1918-1933 (Metzler, 1983). 27. – «So genau kann Frieda alles sagen» MFG, p. 28. «Sie hat eine Wachsamkeit an sich, die ihn einfach krank macht», MFG, p. 112. 28. – « Nouveauté-Rummel » : Hermand, Trommler, Die Kultur der Weimarer Republik (Fischer TB 1988), p. 92. 29. – Horst Denkler, «Sache und Stil. Die Theorie der Neuen Sachlichkeit und ihre Auswirkung auf Kunst und Dichtung», in Wirkendes Wort, 18, p. 117-178. 30. – Elias Canetti, Die Fackel im Ohr (Fischer TB 1982), p. 289. Il décrit l’ambiance neusachlich : «Es kam täglich was Neues und schlug auf das Alte ein, das selbst vor drei Tagen erst neu gewesen war. Die Dinge schwammen wie Leichen im Chaos umher, dafür wurden die Menschen zu Dingen. Neue Sachlichkeit hieß das», p. 288. 31. – Sur cet aspect, et notamment sur les substantivations « bizarres » dans KM (également présentes chez Fleisser du fait de l’emploi de l’article indéfini, cf. p. 23 : «ein Schweigen»), cf.

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Volker Klotz, «Forcierte Prosa: Stilbeobachtungen an Bildern und Romanen der Neuen Sachlichkeit», in Festschrift für Joseph Kunz. Dialog (Berlin, 1973), p. 245-271. Gerd Schänk, «Das kunstseidene Mädchen: Skizze einer Frauensprache», in Annäherungen. Studien zur deutschen Literatur und Literaturwissenschaft im 20. Jahrhundert (Amsterdam, 1985), p. 35-65. 32. – Gisela Brinker-Gaber, ibid., p. 56. 33. – Ibid., p. 268. 34. – Exemple KM, p. 92. 35. – Schütz, ibid., p. 176.

RÉSUMÉS

Les grandes caractéristiques de l’« attitude neusachlich » telles qu’elles apparaissent dans les déclarations programmatiques d’auteurs masculins : « pragmatisme », écriture « scientifique », « sportive », « masculine », littéraire de l’ère industrielle… ne suffisent pas pour rendre compte authentiquement des œuvres d’auteurs femmes (Fleisser, Hauptmann, Keun…), d’ailleurs tombées dans l’oubli pendant près d’un demi siècle et condamnées à la portion congrue dans les ouvrages consacrés à la Nouvelle Objectivité. Et pourtant elles ont « traduit » leur époque avec des moyens souvent plus adéquats (et plus en accord avec le « fond » de l’esprit neusachïich) que leurs confrères chez qui la «Navigation im Up-to-date-Meer» (E. Bloch, cité par H. Lethen) relève parfois plutôt du cabotage, voire du cabotinage* (« Das Pathos der Sachlichkeit war in der Regel ein Pathos der Simulation », H. Lethen). Ce travail est guidé par trois objectifs : – Apprécier les modalités d’une spécificité féminine et voir de quelle façon elle se conjugue avec les principes neusachlich. – Définir (puisque nous avons affaire à des textes tardifs) quels sont les glissements, les évolutions, les remplacements à l’intersection entre Nouvelle Objectivité et crise. – Cerner, à travers les textes féminins, les contours du style neusachlich, voir en quoi ces textes échappent – ou cèdent – à ses « tics », ses travers, son maniérisme, mais aussi esquisser leur originalité. * Je rends grâce à Frédéric Dard qui m’a complaisamment prêté ce jeu de mots ! (San- Antoniaiseries, 1989, p. 165).

Die Hauptmerkmale der neusachlichen Haltung, wie sie über die programmatischen Äußerungen männlicher Autoren zum Ausdruck kommen («Pragmatismus», «wissenschaftliche», «sportliche», «männliche» Schreibweise, «Literatur des Industriezeitalters») können den Werken vieler Autorinnen (Fleisser, Hauptmann, Keun…) nicht zur Genüge Rechnung tragen. So waren sie über fast 50 Jahre hinweg in Vergessenheit geraten und fanden in den Beiträgen zur Neuen Sachlichkeit lange Zeit kaum Beachtung, obwohl sie ihre Epoche mit häufig angemesseneren Mitteln eingefangen haben (und sie waren dabei oft stärker in Einklang mit den Grundgedanken der Neuen Sachlichkeit) als ihre Kollegen, bei denen die «Navigation im Up-to-date-Meer» (E. Bloch, zitiert bei H. Lethen) gelegentlich eher mit Schiffsattrappen vorgegaukelt wurde («Das Pathos der Sachlichkeit war in der Regel ein Pathos der Simulation», H. Lethen). Drei Ziele will diese Arbeit hauptsächlich verfolgen: – die Bedingungen einer weiblichen Spezifizität ins Auge fassen und überprüfen, in welcher Weise sie mit den neusachlichen Prinzipien einhand geht.

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– untersuchen, welche Verschiebungen, Entwicklungen und Neuorientierungen am Berührungspunkt zwischen Neuer Sachlichkeit und Krise auftauchen (da wir es mit späteren Werken zu tun haben). – über die Texte der Frauen die Umrisse des neusachlichen Stils sichtbar machen und bestimmen, inwiefern diese Texte seinen Manierismen gehorchen oder sich von ihnen freimachen.

AUTEUR

ANNE JAGOT Strasbourg II

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Das neusachliche junge Mädchen zwischen Uznach und dem Oktoberfest De Sternheim à Horwath: la nouvelle jeune fille « objectiviste »

Eva Philippoff

Wir Modernen haben gelernt, auch im Weibe den Menschen zu achten1.

1 Zwischen Uznach – Die Schule von Uznach oder Neue Sachlichen von Carl Sternheim2 und dem Oktoberfest – bekanntlich der Schauplatz von Horvàths Komödie Kasimir und Karoline3 – liegen sechs Jahre, die Jahre von 1926 bis 1932. Diese sechs Jahre sollen hier aber nicht evolutiv verstanden sein, sondern symbolisch für den Kristallisationsraum unserer Betrachtungen über das «neue junge Mädchen», das Mädchen einer Zeit, die zugleich Nachkriegs – Krisen- und Vorkriegszeit war.

2 Angesichts der Tatsache, daß Sternheim eine Generation älter war als Horvàth4 und zum Thema schon vor ihm Aussagen bereit hatte, ziehen wir bei diesem Autor schon frühere Werke heran; bei beiden Autoren wird uns jedoch eine Zeitspanne von ungefähr zehn Jahren interessieren: 1920 – Der entfesselte Zeitgenosse – bis 1931 – Aut Caesar, aut nihil für Sternheim; 1926 – Zur schönen Aussicht – bis 1936 – Figaro läßt sich scheiden für Horvàth. Dazwischen liegen, um 1930 geballt, die so aufschlußreichen Romane von Marieluise Fleißer: Mehlreisende Frieda Geyer (1931), Irmgard Keun: Gilgi, eine von uns (1931) und Das kunstseidene Mädchen (1932), Erich Kästner: Fabian (1931) und Hans Fallada: Kleiner Mann, was nun? (1932).

3 Es ist natürlich schwierig, vielleicht sogar unmöglich, bei so verschiedenen Ansätzen und Standpunkten zu einer allgemeinen Synthese zu gelangen, große Unterschiede birgt schon die Tatsache, ob es sich um einen männlichen oder weiblichen Autor handelt. Es ist kein Zufall, daß die beiden Autorinnen, Fleißer und Keun, wie Livia Z. Wittmann in ihrem Artikel Der Stein des Anstoßes5 sehr richtig beanstandet, schnell in Vergessenheit gebracht wurden. Ihre Schlüsse unterscheiden sich wesentlich von

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denen der männlichen Kollegen: Im Gegensatz zu diesen wird bei Keun und Fleißer kein affektives und sentimentales Hintertürchen geöffnet! Doch davon später.

4 Wie sieht nun dieses neue junge Mädchen, Produkt der Kriegs und der Nachkriegszeit bei unseren Autoren aus? Als erster von ihnen nimmt es Sternheim ausdrücklich aufs Korn in seiner Komödie Der entfesselte Zeitgenosse. Die Heldin, Klara Cassati ist eine selbstbewußte junge Frau, mannigfach gebildet und ausgebildet – sie ist Erbin eines Riesenvermögens6 – und steht vor der Notwendigkeit, einen Gatten zu wählen, was ihr dank ihrer Scharfsichtigkeit und dank der Durchschnittlichkeit ihrer Bewerber nicht leicht fällt. Klara ist «gefrorene Vernunft, letzter Zeitgeist»7, und «fast leibliche(r) Ekel» vor «Schwärmerei, Romantik»8, zeichnet sie aus. Sie besitzt «eines Philosophiestudenten Bildung, weiß nach vielen Seiten Theoretisches»9, schätzt als «heutiges Gesetz: Ökonomie und ist begeisterter Zeitgenosse»10.

5 Das Glück, Millionenerbin zu sein und sich gelassen nach allen Seiten bilden zu können, um sich dann eingehend der Wahl eines Lebensgenossen zu widmen, zeichnet nur Sternheims Heldinnen aus. Die anderen Autoren, sozial nicht so hoch angesiedelt, liefern uns das Bild eines von den Härten des Daseins nicht verschonten jungen Mädchens: Mehlreisende Frieda Geyer z.B. trägt einen langen Herrenmantel, flache Schuhe, kurzes Haar und fährt aus Berufszwecken eine alte Knarre. In ihrem Beruf als Vertreterin muß sie sich gegen die Konkurrenz der Männer durchsetzen, noch dazu, da sie für die Erziehung einer jüngeren Schwester verantwortlich ist. «Man muß seinem Vordermann scharf auf die Hacken steigen, sonst wird man an die Peripherie gedrängt, wo man verhungert»11, ist gezwungenermaßen ihre Devise, obwohl sie manchmal lieber «abseits von der wilden Jagd gehen (möchte) und Gott danken für die Beere des Waldes, den Sauerampfer im Grase, den Schrei des Vogels um den Kirchturm und seinen blauen Himmel»12.

6 Auch Gilgi, bzw. Gisela Kron, ist entschlossen, ihren Weg dank der eigenen Kraft zu gehen. Sie betreibt neben der Büroarbeit das Studium der Fremdsprachen, Gymnastik am Morgen und Brustschwimmen am Wochenende; auch sie haßt das Wort Sehnsucht, denn sie «will weiter, will selbständig und unabhängig sein»13. Das bescheidene Ziel ihrer Hoffnung ist eine eigene Wohnung, vielleicht sogar einmal ein eigenes Modengeschäft.

7 Sachlichkeit, Zielstrebigkeit, Wunsch nach Unabhängigkeit – das zeichnet demnach das neue junge Mädchen aus. In seinem Stück Die Schule von Uznach oder Neue Sachlichkeit errichtet Sternheim diesem jungen Mädchen ein wahres Monument an Beredsamkeit. Nachdem es in den fünf Jahren seit Kriegsende mit dem Alten radikal aufgeräumt habe, «Gaurisankare europäischen Schutts in Brüche»14, «Schützengräben der Familie und ranziger Gesellschaft in Europa»15 gestürmt, und sich «keß in die Lebensschlacht» 16 geworfen habe, sei es nun dabei, dank eurhythmischer Ballungen und Schwingungen, sich den «belämmerten Verhältnissen»17 der Zeit mutig zu stellen, das Leben zu reiten, und sich ohne Vorurteil den Anregungen des Tages offenzuhalten. «Stets mußt du für die höchste Daseinsform, die Ballung, bereit sein. Statt Einzeltöne wirst du Ballungsakkorde im All begreifen»18, heißt die Parole in Uznach. «Eine Armee Penthesileas»19, die «Fühler, die in Jahrhunderten nach innen verkümmerten, steil in eiskalte Welt (streckt), (…) in die Welt auf rauhe Vorposten rückt»20, von «Mut, sogar Übermut zu den heutigen (…) Verhältnissen»21 beseelt.

8 Nicht zu vergessen, daß es sich bei diesen schwungvollen Bekenntnissen um die Ansichten von Töchtern aus schwerreichem Hause handelt. Für jene, die über solch

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mehr als gesicherten finanziellen Hintergrund nicht verfügen, klingt das Bekenntnis zu den neuen Seinsinhalten gedämpfter. Bei 100 bis 120 DM Monatsgehalt können die Träume, wie schon bei Gilgi angedeutet, nicht sehr hoch fliegen. Ein Naturerlebnis am Wochenende, eine Zerstreuung am Oktoberfest, die Hoffnung auf eine Reise, ein neues Kleid, ein Hut, Schuhe – aber für mehr reicht es kaum im Rahmen des normalen Weiterkommens. Manchmal kommt es dann zu Ausbruchsversuchen. Die Büroangestellte Karoline z.B., die am Oktoberfest in Versuchung gerät, ihren sozialen Aufstieg durch eine Beziehung zu einem Industriellen in die Wege zu leiten: «Eine Frau, die wo etwas erreichen will, muß einen einflußreichen Mann immer bei seinem Gefühlsleben packen»22, meint sie, bevor sie zum Kommerzienrat für einen Ausflug nach Altötting in den Wagen steigt. Doris (Das kunstseidene Mädchen), der es die unersprießliche Büroarbeit nie angetan hat, sieht in ihrer Entlassung die gerufene Gelegenheit, in die höhere Sphäre zu gelangen, jene Sphäre, die ihr durch den verhängnisvollen Feh-Mantel symbolisiert wird. «Ich werde ein Glanz, und was ich dann mache, ist richtig – nie mehr brauche ich mich in acht nehmen und nicht mehr meine Worte ausrechnen (…) Nichts kann mir mehr passieren an Verlust und Verachtung (…)»23, träumt sie, und auch als sich die Zukunft nicht ganz so entwickelt, wie gewünscht, bleibt sie fest: Ohne Diplome und ohne Bildung hat sie keine Chance über die 120 DM als Tippmamsell hinauszukommen, und sie weigert sich, in diese Tretmühle «ohne inneres Wollen und gar kein Risiko von Gewinnen und Verlieren»24 wieder einzutreten.

9 Wir können uns demnach nicht verhehlen, daß die soziale Dimension, die bei Sternheim durch totale Abwesenheit glänzt, wesentlich am Bild des neusachlichen jungen Mädchens beteiligt ist. Sich selbst zu verwirklichen, auf seine «persönliche Nuance» zu hören – die absolute Forderung Sternheims – scheint auf erhebliche Schwierigkeiten zu stoßen, wenn das Materielle nicht gesichert ist. Arbeiten, gerade nur um zu überleben, sich mit winzigen Freuden begnügen, wie das jung verheiratete Paar Pinneberg in Kleiner Mann, was nun? stellt sich jedoch noch als unschätzbares Privileg dar, angesichts des Damoklesschwertes des Entlassung, das auf das junge Mädchen in dem Augenblicke, wo es aufhört es zu sein – so gegen dreißig – unbarmherzig niedersaust.

10 Dazu Siegfried Kracauer in seinem Buch Die Angestellten anhand eines Beispiels von Massenentlassungen bei «Maschinenmädchen». «Bei den lochenden Mädchen rechnet man im allgemeinen mit dem "natürlichen Abgang", d.h. man erwartet, daß sie von selber den Betrieb verlassen, wenn sie das Alter herannahen fühlen. Obwohl die Gekündigten schon über 30 Jahre zählten, wankten und wichen sie nicht (…). Man hat ihnen eine großzügige Abfindung gewährt, aber sie werden in ihrem Alter kaum wieder unterkommen (…)»25.

11 Die Zahl der entlassenen jungen Mädchen in den von uns in Betracht gezogenen Werken ist so groß, daß man fast sagen könnte, es passiert allen! Und wenn es der vorerst am Oktoberfest übermütigen Karoline noch nicht passiert, so zum Zwecke der im Stück vorgenommenen Demonstration – es ist aber anzunehmen, daß auch für sie keine Ausnahme gemacht werden wird, und sie tut gut – vielleicht unbewußt – sich die Zuneigung des fix angestellten Zuschneiders Schürzinger zu sichern. Auch Gilgi, die Zielstrebige, wird von diesem Schicksal ereilt, so wie Christine und Fräulein Pollinger, Elisabeth und die schon genannte Doris26.

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12 Natürlich könnte man entgegnen, daß das Entlassenwerden von Angestellten – denn nur von diesen ist in den genannten Werken außer bei Sternheim die Rede – nicht nur den Frauen vorbehalten ist. Dies zu leugnen wäre absurd! Die Liste der abgebauten Männer wäre wahrscheinlich ebenso lang wie die der Mädchen, um nur Kasimir (er ist Mechaniker!), Pinneberg oder Fabian zu nennen. Die Relevanz für unser Thema entspringt nun aber daraus, zu untersuchen, warum jene Mädchen entlassen werden, und was ihnen dann als Arbeitslose zu tun übrig bleibt. Bei diesem Punkt der Untersuchung werden wir von Sternheim absehen, da sich bei ihm das junge Mädchen in einem sozial gut gepolstertem Raum bewegt.

13 Wenn sich die Zahl der arbeitenden Frauen zwischen 1907 und 1925 um 35 % vergrößert hat, so27 muß hinzugefügt werden, daß die Frau fast generell nur in subalternen Stellungen anzutreffen ist; in Berufen, die nur geringen Ausbildungsaufwand benötigen. «Ihre Töchter gehen in Handelsschulen, kommen als Lehrlinge in Bankbetrieben unter und werden abgebaut, wenn sie ihr volles Gehalt zu beanspruchen haben»28, bemerkt lakonisch Marieluise Fleißer. Die Frau, anpassungsfähig und an Unterwerfung gewöhnt, ist «der wertvollste Aktivposten der Arbeit am laufenden Band», heißt es bei Richard Hülsenbeck, der die damals auftretende Mode der in einer Reihe tanzenden Girls als Beweis dazu anführt29.

14 Diese billige Arbeitskraft ohne spezielle Qualifizierung, für die die Tarifverträge nicht gelten, wird skrupellos abgebaut, vor allem dann, wenn sie auf Beförderung oder Pragmatisierung Anspruch hätte. Daß weibliche Büroangestellte etwaigen Privatwünschen des Chefs entgegenzukommen haben, ist selbstverständlich30.

15 Diese Lage der Unterqualifizierung des Mädchens führt zu oft schmerzlich gewonnenen Erkenntnissen oder auch zu blindlings unternommenen Fluchtversuchen. Auf Letztere wurde schon hingewiesen – ein «Glanz» zu werden, wie Doris es metaphorisch ausdrückt, heißt Aufstieg auf mirakulöse Weise, eine Weise, die nicht auf der Basis der Arbeit beruht, aber letzten Endes auf der Ausnützung der weiblichen Reize; jener Weg, der sich für die junge Frau anno 1930 immer noch als der Sicherste erweist. Paradigmatisch dafür steht die Filmkarriere Cornelias in Kästners Fabian, die nur über den Filmbonzen und die Aufgabe des Gefährten zu erreichen ist31. Als älteres Relikt dieser fast einzigen fulguranten Aufstiegschance für die junge Frau treffen wir bei unseren Autoren die Sängerin an; wir verweisen auf die Kammersängerin Rita Marchetti in Sternheims Der Nebbich und die alternde Geliebte Herrn Koblers in Horvàths Der ewige Spießer.

16 Es ist wohl unnötig, darauf hinzuweisen, daß der Grat zwischen Aufstieg und Fall äußerst schmal ist, und die meisten dieser Träume in Halbprostitution oder Prostitution enden32. Wenn die glanzsüchtige Doris anfangs für eine goldene Armbanduhr oder drei Wochen Luxushotel mit einem Mann schläft, so muß sie es später für ein warmes Essen tun – was weit schwieriger zu bekommen ist als ein Drink!

17 Auch Marianne, deren Sinn eigentlich nicht so sehr nach Glanz und Luxus steht, als nach Selbstverwirklichung und Freiheit, endet zwar nicht in der Gosse – dazu hat die gutbürgerlich erzogene zu viele Skrupel – aber als Nacktplastik in einer Nachtbar. Und es ist eben Marianne, die den so legitimen Ruf des jungen Mädchens nach Bildung laut werden läßt; jene Bildung, die in der von allen Autoren außer von Sternheim dargestellten Mittelschicht den Töchtern konsequent vorenthalten wird. Wozu Geld verschwenden, ist ihre natürliche Bestimmung nicht die Ehe? «Der Papa sagt immer, die finanzielle Unabhängigkeit der Frau vom Mann ist der letzte Schritt zum

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Bolschewismus»33. Dieses vorerst noch unreflektierte Zitat von Marianne zieht sich wie ein roter Faden durch das Stück. Im zweiten Akt doziert der Hierlinger Franz: «Eine Geliebte mit Beruf unterhöhlt auf die Dauer bekanntlich jede Liebes Verbindung, sogar die Ehe»34, und Marianne muß diesen männlichen Versklavungsgrundsatz im Laufe des Stückes teuer mit ihrem Lebensglück bezahlen. Nach dem Tod ihrer Mutter vom Vater zugleich als Dienstbote im Haus und als Verkäuferin im Scherzartikelgeschäft eingesetzt, – und weil man diese billige Kraft doch nicht ständig behalten kann – im heiratsfähigen Alter an die solide Fleischhauerei Oskars verkuppelt, glaubt Marianne im letzten Moment ausbrechen zu können. Da sie aber keinerlei Berufsausbildung besitzt, kann ihr «Retter» mur in Form eines männlichen wesens erscheinen. Blind und taub für Alfreds berufliche und menschliche Unzulänglichkeit wirft sie sich ihm an den Hals, bricht die Verlobung mit Oskar und glaubt sich durch die Liebe gerettet.

18 Alfred ist jedoch keineswegs gewillt noch fähig, für Frau und Kind zu sorgen und entledigt sich seiner Gefährtin indem er sie aktiv in das Nachtleben Wiens einführt. Er kann nun Distanz nehmen, und der Ausspruch von der «berufstätigen Frau, die das Leben des Paares unterhöhlt», ist auf zynische Weise bewahrheitet.

19 Als der Vater entrüstet seine verstoßene Tochter in ihrer nächtlichen Tätigkeit entdeckt, schleudert sie ihm ins Gesicht: «Nein, das kann ich mir nicht leisten, daß mich schäm’». Ich verdien’ zwei Schilling pro Tag. Das ist nicht viel, inklusive den kleinen Leopold. Was kann ich denn aber auch anderes unternehmen? Du hast mich ja nichts lernen lassen, du hast mich ja nur für die Ehe erzogen»35.

20 Mariannes Schicksal verweist uns direkt auf Frieda Geyer, die, zwar nicht speziell dafür ausgebildet, mit eiserner Härte versucht, sich in ihrem Vertreterberuf durchzusetzen. Sie ist nicht bereit, ihre schwer errungene Selbständigkeit den Machtansprüchen eines zukünftigen Gatten zu opfern. Gustl Amricht, Schwimmkanone und angehender Kaufmann, fordert stracks von ihr die Aufgabe des Berufs, die Mitarbeit im Geschäft und hat sogar ein Auge auf das Erbteil der kleinen Schwester Friedas geworfen. «Das Recht auf Deine Arbeitskraft steht sowieso deinem Mann zu»36, behauptet Gustl, um etwas später angesichts der hartnäckigen Weigerung Friedas die Drohung auszustoßen: «Du wirst mir nicht entgehen»!37 Das sind genau dieselben Worte, die der verschmähte Fleischermeister Oskar der ihm entschlüpften Marianne nachruft! Bei beiden Männern schlägt die Liebe augenblicklich in grausamen Haß um: «Du wirst mich heiraten oder ich werde dich zurichten, daß niemand mehr etwas mit dir zu tun haben will»38, droht Gustl; und Oskar schwelgt in biblischen Vergeltungsvisionen: «Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber furchtbar klein (…) wen Gott liebt, den prüft er. – Den straft er. Den züchtigt er. Auf glühendem Rost, in kochendem Blei (…)»39.

21 Frieda entkommt mit knapper Not der von ihrem Verschmähten angezettelten Lynchjustiz – um welchem fraglichen und einsamen Schicksal entegegenzugehen? Marianne muß sich geschla-gen und verstört in das Prokrustesbett der Ehe mit Oskar bequemen, der für seine Rache an ihr ein ganzes Leben vor sich hat. «Schau, die Mariann’», das ist doch nur ein dummes Weiberl (…), und die hat sich eigebildet, die Welt nach ihrem Bild umzuformen (…)»40, bemerkt dazu die angepaßte Mittfünfzigerin Valerie, deren Selbständigkeit durch eine Rente und eine Tabaktrafik gesichert ist.

22 Welches sind nun die Möglichkeiten für das junge Mädchen, das sich zwischen den zwei Kriegen mutig in die Welt gestürzt hat, um sein Glück als eigenständiges Individuum zu erproben? Es will uns scheinen, daß die Antwort recht bescheiden lautet. Für Mädchen aus einfachen Verhältnissen, die einen Beruf ergreifen wollen, sind die Chancen schon

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dadurch gering, daß ihre Familien zu keinem Opfer für ihre Ausbildung bereit sind. In subalternen Stellungen ohne Aufstiegsmöglichkeit heißt es dann, sich mit dem Wenigsten begnügen, und nur die Ehe steht als halbwegs realistischer Ausweg offen, um der Arbeitslosigkeit nach dreißig zu entgehen. Auf grundlosen Illusionen beruhende Ausbruchsversuche – siehe Doris, Karoline, Marianne – enden kläglich bis gefährlich – der Traum von Film bleibt ein Traum, außer bei Kästner, der in seinem misogynen Buch die Anpassungsfähigkeit der Frau der geraden Aufrichtigkeit des Mannes gegenüberstellen wollte. Prostitution, wie bei Horvàths Anna oder Agnes41, oder quasi Prostitution wie bei Doris, sind sehr oft das Ende beim Traum von der Selbständigkeit.

23 Die Mädchen, die auf ihrer Selbständigkeit bestehen und sich weder versklaven wollen, noch den Partner mit einer Dauerbindung belasten wollen, wie z.B. Frieda Geyer oder Gilgi – sie verläßt den finanziell zu knapp gestellten geliebten Mann, von dem sie ein Kind erwartet, um ihn in seinen Lebensgewohnheiten eines Privatiers nicht zu stören – jene Mädchen steuern einem ungewissen, schweren Schicksal entgegen. Wird es Gilgi trotz Arbeitswillens gelingen, ihr Kind alleine durchzubringen? Wird sich Frieda auf die Dauer erfolgreich gegen die Männerkonkurrenz durchsetzen können? Oder wird auch sie wie Elisabeth in Horvàths Glaube, Liebe, Hoffnung, die durch unverdiente Schwierigkeiten mit ihrem Wandergewerbeschein mit dem Gesetz in Konflikt gerät, absinken und sogar mit Selbstmord enden?

24 Die selbständigen Flugversuche unseres neuen jungen Mädchens scheinen also kaum einen brillanten Ausgang zu nehmen. Widrige Zeitumstände, wirtschaftliche und politische Stürme erschweren das Unternehmen, und die meisten landen irgendwo, physisch und psychisch angeschlagen, oder zerstört. Wenn auch die wirtschaftliche Krise bei diesem Mißerfolg nicht zu unterschätzen ist, so ist sie nicht alleine verantwortlich zu machen, und bei der Vereitelung der Selbstentfaltung des jungen Mädchens scheint uns ein nicht unwesentlicher Faktor ihr Partner selbst zu sein mit der von ihm etablierten patriarchalischen Moral. «’Moral’ das ist der Titel für die Disziplinierung der Frau, die sich "der ökonomischen Verwertung" verweigert»42, formuliert Lethen im Hinblick auf Fleißers Roman; und Alfred, das Horvàthsche Paradebeispiel des männlichen Durchschnitts behauptet kalt: «Eine rein menschliche Beziehung wird erst dann echt, wenn man was voneinander hat»43.

25 Alfred Klostermeyer, Schupo und Rettungsanker der gescheiterten und zur Ehe resignierten Elisabeth44, ergeht sich in Selbstmitleid, als die Polizei seine Braut stantepede als «öffentliche Ruhestörerin» arrestiert, weil sie keinen fixen Wohnort aufweisen kann. «Polizeiwidrig ist nicht, wer kein Unterkommen hat, polizeiwidrig ist, wer dadurch die öffentliche Ordnung gefährdet»45, kommentiert die Sittenpolizei, und Alfons findet an der Leiche Elisabeths keine anderen Worte als «ich hab kein Glück, ich hab kein Glück»46.

26 Glück haben wollen – ein legitimes Verlangen des Menschen, ob Mann oder Frau – aber daß die Frau diesem Bedürfnis außerhalb der männlichen Einflußsphäre nachgeht, scheint wenigen männlichen Exemplaren der in Betracht gezogenen Werke vertretbar zu sein. Ob Lustobjekt oder Zweckobjekt, oder beides – der Glücksanspruch des Mannes richtet sich wesentlich an die Frau.

27 Angesichts der Lockerung der Moral in den Nachkriegs jähren ist das junge Mädchen oft in erster Linie Lustobjekt. Neu dabei ist, daß auch die Mädchen Anspruch auf Lusterfüllung erheben: «Die Welt hat sich gedreht, mein Herr, und warum sollen nur

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die Männer Don Juane sein dürfen?»47, heißt es in Horvàths Stück Don Juan kommt aus dem Krieg. In diesem Sinne dringen bei Sternheims Schule von Uznach Sonja und Maud nächtlicherweise in Klaus’ Zimmer um ihn mit ihrer Gunst zu bestürmen. In diesem Falle bleibt das Fiasko psychologisch – der junge Herr verschmäht groben Sinnengenuß und verweist die jungen Damen auf ihre Plätze. Bei den sozial tiefer ansetzenden Autoren wird die Aufforderung, bzw. Bereitschaft meist nicht zurückgewiesen, aber die daraus entstehenden Schwierigkeiten werden dann durchaus der Frau überlassen. Christine in Horvàths Stück Zur schönen Aussicht, Agnes Pollinger, Marianne, Gilgi, und nicht zu vergessen Lämmchen – obzwar verheiratet – müssen salbungsvollen, aber unbeugsamen Ärzten gegenüber ihre ungewünschte Mutterschaft – meist alleine – auf sich nehmen. «Ihr wollt den Warencharakter der Liebe, aber die Ware soll verliebt sein. Ihr zu allem berechtigt und zu nichts verpflichtet, wir zu allem verpflichtet, und zu nichts berechtigt»48, analysiert die Akademikerin Cornelia.

28 Besonders kraß wird diese Behauptung in Zur schönen Aussieht illustriert: Christine, durch Straßer, einen brutalen Tunichtgut Mutter geworden, bewahrt ihm ihre Liebe und schreibt ihm beharrlich. Als sie auf sein Schweigen hin nach langen Monaten selbst auftaucht, verbrüdern sich die anwesenden Männer zu einer infamen Komödie, um Straßer vor der Vaterschaft zu bewahren: Jeder soll vorgeben, mit Christine ein Verhältnis gehabt zu haben. Als die Mystifikation im besten Schwünge ist, stellt sich heraus, daß Christine 10.000 DM geerbt hat!

29 Horvàth nennt diese finanziellen Rettungen «den lieben Gott». «Ich wurde abgebaut, und wenn der liebe Gott mir nicht geholfen hätte, wäre ich untergegangen»49, bekennt Christine. Was wunders, wenn die Zuneigung der Partner plötzlich ins Inkommensurable wächst! «Ich hab’ ja schon immer von der Erlösung durch das Weib geträumt, aber ich hab’s halt nicht glauben können»50, gesteht Karl in der Italienischen Nacht, als Leni ihm eröffnet, sie besitze 4.000 DM, die sie ihm zur gemeinsamen Einrichtung eines Kolonialwarenladens anträgt. Hier haben wir den genauen Gegensatz zu Frieda, der Ehrgeizigen, aber wir dürfen nicht vergessen, daß der Autor in einem Fall ein Mann, im anderen eine Frau ist.

30 Es stimmt, daß Horvàth zwischen 1926 und 1933 seinen Fräulein-Figuren großes Mitleid entgegenbringt, aber es ist zu bedenken, daß es sich meist um recht anspruchslose Durchschnittswesen handelt, die fast automatisch unter die Räder der patriarchalischen Gesellschaft kommen51. Dahinter scheint aber schon auch bei Horvàth eine geheime Sehnsucht nach den paradiesischen Zuständen des Verstehens und Eingehens zu schwelen, meist im Negativ dargestellt, manchmal angedeutet, wie z.B. zwischen Kasimir und Karoline, bzw. Kasimir und Erna. «Solange wir uns nicht aufhängen, werden wir nicht verhungern»52, heißt Ernas trostreicher Minimalanspruch. Die Selbstaufgabe im Paar hin bis zu den schlimmsten Verhältnissen ist ja auch Lämmchens unerschütterliche Haltung – oder besser gesagt, die von Fallada an die Frau herangetragene Erwartung.

31 Wenn 1936 in Die Unbekannte aus der Seine Ernst zur Überzeugung kommt: «Den wahren Frieden gibt uns nur die Frau, denn das Weib repräsentiert die Natur»53, so ergibt die Ökonomie des Stückes hier einen noch ironischen Sinn; wenn aber kurz darauf die reuige Irene erkennt: «Ich hab (…) gelesen, daß die Frau die Pflicht hat, die Härte der Paragraphen durch die Liebe zu erweichen, aber jetzt ist es wohl zu spät»54, so ist es genau das, was die Unbekannte mit ihrem Opfertod demonstriert, und Irene so die Gelegenheit verschafft, ihr Versäumnis nachzuholen. Und wenn gar die Gräfin in Figaro

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läßt sich scheiden (1936) an Susanna schreibt: «Eine Frau gehört zu ihrem Mann»55, so muß die Aussage wortwörtlich genommen werden, steckt denn nicht in dem Stück ein Plädoyer für Familie und Kindersegen, ungeachtet der herrschenden Zeitumstände? Fanchette behauptet rundheraus: «Eine Frau ohne Kind ist gar keine Frau»56 – Überzeugung, an der Susanne angesichts des störrigen Figaro schon lange leidet.

32 Die Tatsache, daß sich bei Horvàth im Hinblick auf die Einschätzung der weiblichen Entfaltungsmöglichkeiten ein bedeutender Umschwung ereignet hat, erweist sich erst bei genauer und chronologischer Lektüre seines Werkes; bei Sternheim hingegen, unserem zweiten Bezugspunkt, liegen die Dinge viel einfacher.

33 Das von ihm so frenetisch begrüßte junge Mädchen: «Hätte der Krieg nur die Nummer, das neue Mädchen hervorgebracht, viel ist von seinem Grauen ausgelöscht»57 – wird praktisch schon im selben Atemzug verurteilt. Dieser Schrei der Begeisterung des Siebensternsohnes aus dem 2. Akt wirkt suspekt vor dem Hintergrund seiner Äußerungen am Ende des 1. Aktes: «Das Mädchen aus seiner schäbigen Mitgenommenheit und Abgegriffenheit verdient großes Mitleid»58; und kruz darauf, in liebliche Träumerei versunken, ist ihm der gymnastische Elan seiner weiblichen Haus- und Zeitgenossen schon «klotziger Impetus, (…) seelisches Erbeben und Erbrechen»59. Empört über den nächtlichen Überfall zweier liebeshungriger Pensionärinnen schleudert er dann der neu angekommenen Mathilde Enterlein ohne Vorbehalt den Grund seiner männlichen Seele ins Gesicht: «Mag denn des Mädchens Gelüst, das Leben zu fressen, berechtigt sein. In Euren Manieren, dem plumpen Auftritt (…) wirkt Ihr grauenhaft; fähig, das von uns erträglich gestaltete Bild des Weibes zur Fratze, vor der wir uns verhüllen, zu entstellen. Wir, Eure Partner im ernsten Spiel, müssen Euch jetzt vor schlimmsten Entgleisungen warnen (…), daß ein Mann ein Schurke sein kann, ist für das repräsentative Frauenzimmer kein Grund, ihn nachzuahmen (…). Was vermochte Sie, um Gottes Willen, sich so zu verramschen, jedem Kommis (…) um den ungewaschenen Hals zu fallen? (…) Wollen Sie die männliche Seele, die auf Erden nur noch über des Mädchens makellose Reinheit zu jauchzen hat, tödlich verletzen60?

34 Klaus’ Empörung Mathilde gegenüber ist falsch am Platze – sie stammt aus Lüneburg61 und ist noch Jungfrau! Klaus’ männliche Seele kann in ihr das «lotende Senkblei»62 finden – aus ihnen wird ein Paar, das alle Prinzipien Uznachs über den Haufen wirft und zu reihenweisen Findungen und Hochzeiten führt. Die «Exzesse der Affektation erzwangen (…) den Gegenstoß empörter Natur»63, kommentiert Siebenstern, und damit bedarf es wohl keiner weiteren Worte mehr, um zu beweisen, daß Sternheim zwar vom neusachlichen jungen Mädchen beeindruckt, aber in erster Linie beängstigt ist; daß sein Wortschwall zu dessen Darstellung mehr einer magischen Beschwörungsformel des Übels, als einem Preislied gleicht.

35 Es mag sich bilden, es mag auf der Höhe des Zeitgeistes stehen – die absolute und unabdingbare Bestimmung des jungen Mädchens ist die Hingabe an den Mann, einen Mann, der von Sternheim natürlich ebenso exemplarisch gedacht ist wie das unverbildete Prachtmädchen Mathilde.

36 Die Sternheimschen Exempel an Virilität brauche ich nicht weiter vorzustellen, sie sind seit der Komödienreihe Aus dem bürgerlichen Heldenleben wohl bekannt: selbstischer, ja selbstbesessen, jenseits von Gut und Böse, und, nicht zu vergessen, mit außerordentlicher Potenz begabt, «pure, klotzige Männlichkeit»64, wie dies die verwöhnte Kammersängerin Rita bezüglich ihres Partners Fritz Tritz formuliert. «Ich dampfe, rausche bei dir mit der ganzen Haut, bin in allen Nerven gesprengt»65.

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37 Es ist anzunehmen, daß dieses strahlende Schicksal auch Klara Cassati zuteil werden wird, wenn sie erst den Panzer ihrer «gefrorene) Vernunft»66 gesprengt hat, dann wird auch sie, «anden Brüsten sprühen»67, so wie die neue Partnerin Rene Maria Blands, der, des Intellekts der überfeinerten Yvette müde, die Freuden des «wahren Weibes» erlebt. «Nichts kommt darauf an, ob sie lacht oder weint, vom Sinn ihrer Worte, von ihrer Entschlüsse Wert hängt nicht das Geringste ab (…), stets entsteigt ihr das Ursprüngliche, von dem Gebären und Frucht (…) kommt»68.

38 Bei genauem Hinsehen können wir uns also nicht verhehlen, daß Sternheim hinter den ambivalenten Visionen vom neusachlichen jungen Mädchen der Frau im Grunde jegliche Bedeutung abspricht, die nicht die des totalen Aufgehens im männlichen Partner wäre. Als die hingebungsbereite Evelyne in Aut Caesar, aut nihil ihren angebeteten Dichter fragt, was die junge Frau tun soll, so antwortet dieser: «Die junge Frau soll lieben wie du, damit Liebe auf Erden kein Märchen wird»69. Da die soziale Dimension bei Sternheim nicht vorhanden ist, so darf in dieser Selbstaufgabe aber kein Opfer gesehen werden, so wie z.B. Lämmchen es bringt, indem sie mit niedrigen Arbeiten die Familie vor dem Hunger bewahrt; es ist im Gegenteil bei Sternheim klar, daß Selbstaufgabe der Frau mit Selbstverwirklichung geichgesetzt wird, da die männliche Potenz den weiblichen Partner mehr als entschädigt, und es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, daß Sternheims Ansätze über das neusachliche junge Mädchen in einer vitalistischen Orgie enden, wo gesteigerter Geschlechtsakt und Fortpflanzung apotheotisch verklärt sind. Die Skizze Die Väter oder knock out endet mit dem Bild der jungen Mutter Fantasia, die an ihren Brüsten die beiden im Irrenhaus internierten Dichter, Bromme und Bendorf säugt, und Aut Caesar, aut nihil endet mit dem triumphalen Schrei «doch bin ich in der Zeit ein Riese: Aut nihil, aut Caesar»70, nachdem Caesar Kinkel erfahren hat, daß drei Berliner Freudenmädchen ihn fast zugleich zum Vater gemacht haben –noch dazu von Zwillingen!

39 Wenn man nun das Fazit unserer Betrachtungen ziehen will, so könnten wir etwas polemisch überspitzt fragen, ob es nicht gerade Sternheim, der von der Realität am weitesten entfernte ist, der die repräsentativste Aussage zum Thema macht? Sternheim sagt, was alle männlichen Autoren irgendwie träumen oder nicht zu sagen wagen: die Frau gehört zum Manne und ihr bestes Geschäft ist immer noch Kinderkriegen, auch dann, wenn die Umstände nicht gerade vorteilhaft sind. Wenn auch von einigen die Anstrengungen des jungen Mädchens mit Sympathie betrachtet werden, so steckt doch immer geheime Angst dahinter, die beim ersten Anlaß in offene Forderung oder Anklage umschlägt. Anders bei den beiden weiblichen Autoren: Nachdem das neusachliche junge Mädchen zum Bewußt stein seiner selbst gelangt ist, ist der Traum vom schützenden und helfenden Mann radikal ausgeträumt. Die Tatsache, daß sich der Mann immer als Feind einer nach Selbstbehauptung strebenden Frau darstellt, stößt hart auf die Tatsache des aufeinander Angewiesenseins der beiden Geschlechter. Alle drei Romane enden in Dissonanz. Ist das eine Zeiterscheinung der neuen Sachlichkeit, oder soll sich diese Dissonanz einmal in Harmonie auflösen? Es steht zu befürchten, daß sich auch in den sechzig Jahren, die inzwischen verstrichen sind, nichts Wessentliches daran geändert hat.

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NOTES

2. – Livia Z. Wittmann: Der Stein des Anstoßes, Zu einem Problemkomplex in berühmten und gerühmten Romanen der Neuen Sachlichkeit, Christchurch, New Zealand, Jb. für internat. Germanistik, Berlin, Frankfurt, 14/1982/2, S. 83. 3. – Alle diese jungen Frauen mit großem Vermögen sind mit großer Wahrscheinlichkeit als Spiegelung seiner Frau Thea Bauer anzusehen. 4. – Carl Sternheim, Gesamtwerk hsg. von Wilhelm Emrich, Luchterhand Verlag 1963, Bd. 3 S. 21. 5. – Ebda S. 31. 6. – Ebda S. 26. 7. – Ebda S. 27. 8. – Marieluise Fleißer, Eine Zierde für den Verein (ursprünglicher Titel, Mehlreisende Frieda Geyer, 1931), Suhrkamp taschenbuch 294, Frankfurt, 1972, S. 36. 9. – Entstanden 1925/26. 10. – Uraufführung 18/11/1932. 11. – Carl Sternheim: 1878-1942, Ödön v. Horvàth: 1902-1938. 12. – Mehlreisende Frieda Geyer, zitiert nach Helmut Lehten, Neue Sachlichkeit, Studien zur Literatur des Weißen Sozialismus, Metzler, Stuttgart, 1979, S. 32. 13. – Irmgard Keun, Gilgi, eine von uns, Düsseldorf, 1979, S. 70. 14. – Gesamtwerk, Bd. 3, S. 382. 15. – Ebda, S. 380. 16. – Ebda. 17. – Ebda, S. 379. 18. – Ebda, 403. 19. – Ebda, S. 380. 20. – Ebda. 21. – Ebda, 379. 22. – Ges. Werke Bd. 1, S. 279. 23. – Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen, Düsseldorf, 1979, S. 45. 24. – Ebda, S. 181. 25. – Zitiert nach Dieter Mayer, Hsg: Kleiner Mann, was nun? Frankfurt, Berlin, München, 1978, S. 37. 26. – Der Reihe nach aus: Zur schönen Aussicht, Der ewige Spießer, Das Märchen vom Fräulein Pollinger, Glaube, Liebe, Hoffnung (Horvàth), und Das Kunstseidene Mädchen. 27. – Dieter Mayer, Ebda, S. 34. 28. – M. Fleißer, Ebda, S. 108. 29. – Helmut Lethen, Ebda, S. 36. 30. – Gilgi hilft sich aus der Affäre, indem sie den Chef ihrer gewitzten Freundin Olga überläßt, und Doris, die sich weigert, wird stracks entlassen. 31. – Erich Kästner, Fabian, Ges. Schriften, Bd. 2, Köln, Berlin, O.J.S. 129. 32. – Dazu Siegfried Kracauer in Die Angestellten, zitiert nach D. Mayer, Ebda, S. 39: «Nichts kennzeichnet so sehr dieses Leben, (…) als die Art und Weise, in der ihm das höhere erscheint. Es ist ihm nicht Gehalt, sondern Glanz. Es ergibt sich ihm nicht durch Sammlung, sondern durch Zerstreuung. 33. – Ö.v. Horvàth, Geschichten aus dem Wienerwald, Ges. Werke, Bd. 1, S. 177. 34. – Ebda, S. 201. Siehe auch Zur schönen Aussicht, Ebda, Bd. 3, S. 40: «Berufstätige Fräulein unterhöhlen das bürgerliche Familienleben». 35. – Ebda, Bd. 1, S. 232.

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36. – M. Fleißer, Edba, S. 127. 37. – Ebda, S. 140. 38. – Ebda, S. 144. 39. – Ö.v. Horvàth, Ebda, Bd. 1. S. 214. 40. – Ebda, S. 242. 41. – Der ewige Spießer und Das Märchen vom Frl. Pollinger. 42. – H. Lethen, Ebda, S. 173. 43. – Horvàth Ebda, Bd. 1, S. 163. 44. – Ebda, S. 349, Elisabeth: «Ich hab’ immer selbständig sein wollen so mein eigener Herr. Maria: Das geht nicht». 45. – Ebda, S. 359. 46. – Ebda, S. 379. 47. – Ebda, Bd. 2, S. 610. 48. – E. Kästner Ebda, S. 74. 49. – Horvàth Ebda, Bd. 2, S. 26. 50. – Ebda, Bd., 1. S, 144. 51. – Dazu eine Ausnahme, Anna, die Politische in Die Italienische Nacht. 52. – Ebda, S. 323. 53. – Ebda, Bd. 3 S, 157. 54. – Ebda, S. 190. 55. – Ebda, Bd. 4, S. 435. 56. – Ebda, S. 444. 57. – C. Sternheim, Ebda, Bd. 3, S. 414. 58. – Ebda, 392. 59. – Ebda, S. 421. 60. – Ebda, S. 429. 61. – Auch Lili von Hessenkamp in Sternheims Spätdrama John Pierpont Morgan stammt aus der unberührten Provinz (Oldenburg) und ist von erquickender Frische. 62. – Ebda, S. 430. 63. – Ebda, 440. 64. – Ebda, S. 221. 65. – Ebda, S. 204. 66. – Ebda, S. 21. 67. – Ebda, Bd. 4, S. 312. 68. – Ebda, S, 312. 69. – Ebda, Bd, 10/1, S. 112. 70. – Ebda, S. 119. 1. – Ödön von Horvàth: Gesammelte Werke, Frankfurt/Main, 1972, Bd. 3S.70.

RÉSUMÉS

Gibt es ein «neusachliches» junges Mädchen? Carl Sternheims Stück, Die Schule von Uznach oder die neue Objektivität scheint diese Frage direkt aufs Korn zu nehmen. Aber auch Ödön von Horvàth, Erich Kästner, Hans Fallada, Irmgard Keun und Marieluise Fleißer haben sich in ihren Werken

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mit dem «Phänomen» eingehend beschäftigt. Die Antwort ist eindeutig und einstimmig: Ja, das junge Mädchen der Zwischenkriegszeit hat sich geändert; es ist ambitioniert, weltoffen, selbständig, sportlich und unsentimental. Ob dieses junge Mädchen aber auf dem richtigen Weg ist, und ob es diesen Weg wird verwirklichen können – hier lauten die Antworten sehr verschiedentlich, verschieden vor allem, je nachdem, ob es sich um einen Autor weiblichen oder männlichen Geschlechts handelt…

La jeune fille de la Nouvelle Objectivité existe-t-elle? Carl Sternheim, dans sa pièce L’École d’Uznach ou la Nouvelle Objectivité semble directement aborder cette question. Or, Ödön v. Horvàth, Erich Kästner, Hans Fallada, Irmgard Keun et Marieluise Fleißer ont également cerné ce « phénomène » dans leurs œuvres – et leur réponse à tous est unanime : Oui, la jeune fille de l’entredeux-guerres a changé, elle est ambitieuse, ouverte, indépendante, sportive et objective. Toutefois, à la question de savoir si cette jeune fille est sur le bon chemin, si elle pourra aller jusqu’au bout sur cette voie, les réponses divergent, elles divergent notamment selon le sexe de l’auteur: les hommes ne répondent pas de la même façon que les femmes…

AUTEUR

EVA PHILIPPOFF Université de Limoges

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«Kollektivneurose moderner Männer» Die Neue Sachlichkeit als Symptom des männlichen Identitätsverlusts – sozialpsychologische Aspekte einer literarischen Strömung La Nouvelle Objectivité, une névrose masculine

Ulrike Baureithel

Nach dem Kriege war in Deutschland vielleicht noch mehr als in anderen Ländern eine Entwicklung eingetreten, bei der die Autorität des Vaters und die alte bürgerliche Moral schwer erschüttert wurde (…). Der Zerfall der alten gesellschaftlichen Autoritätssymbole wie Monarchie und Staat beeinflußte auch die Rolle der individuellen Autoritäten, nämlich der Eltern1.

1 Diese von Erich Fromm 1941 unter dem Eindruck des Nationalsozialismus formulierte Analyse, die das offenbar gewordene Autoritätssyndrom der Deutschen unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten zu fassen versuchte, folgt in ihren Hauptlinien einer bereits Anfang 1919 in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung zirkulierenden Abhandlung von Paul Federn über die «vaterlose Gesellschaft». Ihr verdanke sich nämlich, so Federn, der revolutionäre Impuls von 1918, denn mit dem «Sturz des Kaisers, der Menschen und Land verlor und jetzt keine Sicherheit mehr bieten konnte, war der an eine vaterähnliche Autorität gebundene Obrigkeitskeitsstaat diskreditiert, blieben die «vaterlosen Gesellen» mit ihrem «Mutterland in innerer Verwirrtheit» zurück2. Seine von den Erfahrungen des Faschismus noch unbeschwerte, optimistische Prognose eines möglichen antihierarchischen Söhne-Bündnisses, das sich in der Kultursphäre expressionistisch artikulierte, zeigte sich allerdings hellsichtig gegenüber dem gesellschaftlichen Explosivstoff, den die Masse der vaterlosen Söhne, «die nur auf eine geeignete, neu auftretende Persönlichkeit warte(t), die ihrem Vaterideale entspricht»3, der jungen Republik ins Haus stellte.

2 Nun hat bekanntlich die Inflation dem in Aussicht gestellten Projekt ein jähes Ende bereitet und die Söhne als ökonomisch liquidierte Monaden in den nicht endenwollenden Kampf um die nackte Existenz geworfen. Wenn jedoch die Weimarer Publizistik jedweder Provenienz ab Mitte der Zwanziger Jahre in einen unüberhörbaren Chorus über den Sinnverlust der männlichen Existenz verfällt, dann lohnte es

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möglicherweise, jenseits der Federn verpflichtenden psychoanalytischen Kategorien, nach den bewegenden Motiven solchen Gleichklangs zu fragen, denn nicht erst Adorno und Horkheimer haben im Kulturindustriekapitel der Dialektik die «Selbstverhöhnung des Mannes, der zum Subjekt, Unternehmer, Eigentümer nicht werden kann, konstatiert4. Der patriarchale Wertezerfall durch Krieg und Inflation prägt als hervorstechendes Thema den Leit diskur s jener Jahre und verdient genauere Beachtung, insbesondere, wenn von einer Literaturströmung die Rede sein soll, die die «männliche Sache» als Markenzeichen auf ihre Fahnen schrieb und als Emblem einer neutral firmierenden Öffentlichkeit zur Verfügung stellte.

3 Schon in den frühen Zwanziger Jahren, aber verstärkt, nachdem die Wirkungen der Inflation schon absehbarer wurden und die Lebenschancen breiter Gesellschaftsschichten unterminierten, signalisiert die Klage überdie «Generalpleite der männlichen Verdienstkraft»5 die männlichen Impotenzängste. Glaubte sich Wilhelm Michel 1922 noch in der «Weltbühne» über die «neudeutsche Frau» als Kreuzung «zwischen gackerndem Huhn und zischender Natter» lustig machen und die Deutschen auffordern zu können, ihre «Weiber zur Ordnung» zu rufen6, verlagert sich ab spätestens Mitte der Zwanziger Jahre der Tenor: die überlegen-selbstironische Geste gegenüber der «Entthronung des Mannes»7 schlägt, je nach Temperament, um in zynische Resignation oder hilflosen, aber wortreichen Protest wider die «unnatürliche Umkehrung» der Verhältnisse. 1929 von Friedrich Huebner aufgefordert, über «die Frau von morgen» Auskunft zu geben, lesen sich die abgeforderten Stellungnahmen der Literaten und Publizisten durchweg als Bankrotterklärung der Männerwelt8.

4 «Im Umkreise dessen, was einen Mann heute beschäftigt, gibt es nichts, was noch unbedingt wertvoll erschiene»9 teilt sich das Unbehagen an der männlichen Kultur mit; «vollkommenen Schiffbruch» hätten die Männer «in den Dingen der Menschlichkeit» erlitten10, und diese «wachsende Unfähigkeit der Männer, hält Georg von der Vring den euphorischen Hoffnungen Flakes entgegen, könne auch «nicht durch die Entwicklungsklettertour der Frau kompensiert werden»11. Indes findet auch Hollander die männliche Wirklichkeit nicht mehr für «lebenswert, sondern «lebensgefährlich und lebensfeindlich»12 und mutet, wie übrigens viele seiner Geschlechtsgenossen und Kollegen, der künftigen Frau die Rolle der gesellschaftlichen Stabilisatorin und Hoffnungsträgerin zu. «Der Mann wird abgedankt, wird Otto Rühle 1932 in der «Literarischen Welt» den Nieder-gang der liberalen Männlichkeit einläuten und feststellen, «daß der Mann heute weder seine Sicherung durch Arbeit noch seine Sicherung durch Kampf aufrecht erhalten kann»13. Ganz so düster mochte Heinrich E. Jacob 1929 die Situation zwar noch nicht sehen, aber auch er fragt beunruhigt nach der Daseinsberechtigung seiner männlichen Zeitgenossen: «Was ist eigentlich schon ein Mann?14, worauf Axel Eggebrecht mokant kontert: «Der Mann von heute, dieses schläfrige Tierchen»15.

5 Um der «Kollektivneurose moderner Männer»16 zu begegnen, wurde schon 1922 der Ruf nach «wirklich männlichen Typen»17 laut, der sich in der Blütezeit der Republik unvermindert weiterpflanzt. Aber weder der Krieg, der «jene tiefe Achtung des Mannes für den Mann (…) geschaffen hat18, noch die relativ ruhige Stabilisierungsphase weiß offenbar die «Krise der Männlichkeit in Europa» zu überwinden und, wie W.E. Süskind kurz vor der nationalsozialistischen Machtübernahme resigniert feststellen muß, «die Sehnsucht nach dem "sicheren Mann"» zu befriedigen19.

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6 Zweifellos sind die männlichen Insuffizienzängste untrennbar verknüpft mit den Modernisierungserfahrungen der Zeit, die den an Leib und Seele Gekränkten individuelle Bewältigungsstrategien abverlangten. Das dabei immer wieder bemühte Geschlechtermodell verweist auf ein Phänomen, das schon vor dem Ersten Weltkrieg an Bedeutung gewann. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert nämlich wurde Kulturkritik mit den Metaphern des Geschlechter konflikts betrieben, so wenn zum Beispiel von der Großstadt als der «Hure Babylon» die Rede war20. Im Laufe der Zwanziger Jahre allerdings finden auf der semantischen Ebene Verwischungen und Vermischungen statt, die es nicht mehr erlauben, diesen Diskurs in eindeutig abgrenzbare Begriffsfelder aufzuteilen, sondern die als Indiz der zunehmenden Verunsicherung traditioneller kultureller Ordnungsmuster gewertet werden müssen. Wenn bis zum Krieg das dualistisch organisierte Geschlechterprinzip offenbar noch verbindlicher Wertmaßstab gewesen war21, aufgrund dessen sich die Welt auf ebenso einfache wie unwiderlegbare Weise «erklären» ließ, so ist in der Nach-kriegszeit ein deutlicher Orientierungsverlust festzustellen.

7 Die Dichotomie von «Kultur» und «Zivilisation» etwa, geographisch verortet in Europa und Amerika und metaphorisiert in den Begriffen von «männlich» und «weiblich, diente bis in die Zwanziger Jahre hinein als kategoriales System der Weltinterpretation. 1923 noch schrieb Sieburg in der «Weltbühne» mit einem komischen Seufzer von der «Nutte» als dem «Schicksal der deutschen Gesamtheit»22 und warnt vor einer Verweiblichung des Zeitalters. Und 1924 denunziert das «TageBuch» die deutschen Zustände als «weiblich, verworren und hysterisch» und verpflichtet die Deutschen als erste der Europäer, sich «wieder auf die Männlichkeit (zu) besinnen»23. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei das «amerikanische Matriarchat» mit seiner «Vergirlung der Welt». Aber schon Mitte der Zwanziger Jahre lassen sich auch Stimmen vernehmen, die den Zivilisationsprozeß und seine politische Repräsentationsform, die bürgerliche Demokratie, als männliche Leistung reklamieren, so beispielsweise in einem Plädoyer Arnold Hahns 1924: Ich bin Ketzer genug, daß für mich die Zivilisation den freieren und stolzeren Zustand des Menschengeschlechts bedeutet; sie ist der Zustand der voraussetzungslosen Menschlichkeit, einer hochmütigen, autoritätslosen Menschheit, die es verschmäht, hinter den Röcken einer bemutternden Kultur Schutz und Führung zu suchen. (…) die Zivilisation streckt ihre Wurzeln in die klare Nährlösung des Verstandes. Und für jede Kultur kommt der Augenblick, in dem ihre schöne, aber lockere und gebrechliche Blüte vom derben Stocke des Verstandes unbarmherzig geköpft wird24.

8 Der Mann, der da die (weibliche Kultur-) Rose bricht, wählt seine Bilder mit Bedacht: er führt seine Rede nämlich über die Möglichkeit einer «zivilisierten Sexualität, die er sich – verräterisch genug – offenbar nur als kriegerische Begegnung vorstellen kann: «Das Faustische der Zivilisation in die Sexualität»25 hineintragen, schlägt er vor. Seine Gewaltphantasien reihen sich ein in die Phalanx derer, die das Verhältnis zwischen den Geschlechtern nur noch als Kriegsschauplatz zu entwerfen vermögen: die «Konvertierung der Erlebnisse aus dem Männerkrieg in den Bereich zwischen Mann und Frau»26, wie es einmal ein Bronnen-Rezensent ausdrückte. Ob es sich allerdings bei den semantischen Verschiebungen lediglich um Umdeutungs- und Umwertungsmanöver handelt, die die Zeitgenossen von den angsterzeugenden Zumutungen der Modernisierung entlasten sollten, wie Helmut Lethen annimmt27, bleibt fraglich. Nimmt man die Aussagen, die dem «männlichen Prinzip» den

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Untergang prophezeiten, als Ausdruck eines allgemeinen Identitätsverlusts einmal ernst, so erscheint die Identifikation von «Mann» und «Sache, die die neusachlichen Vertreter ab Mitte der Zwanziger Jahre in den Diskurs einführen, nicht nur als rhetorisches «Einverständnis» mit dem Projekt der Moderne, durch das der eine «Pol» durch den anderen «aufgewertet» würde. Hatte sich der expressionistische Jünglingsaufstand der literarischen Avantgarde28 gegen die Vätergeneration gerichtet, so traten die nunmehr gealterten Söhne keineswegs deren Erbe an, für das sie auch weiterhin die Verantwortung ablehnten.

9 Für das «Männer-Pathos» der Neuen Sachlichkeit hatte Pinthus, der eine wichtige kontinuitätsstiftende Instanz zwischen beiden Strömungen darstellt, das Signal gegeben: «Nicht auf das Jünglingstum, auf das Mannwerden oder Mannsein kommt es an»29. Der neusachliche Männlichkeitskult knüpft aber nicht einfach an das diskreditierte autoritäts- und personenfixierte Männlichkeits-Ideal des Wilhelminischen Zeitalters – den «Mimen ansprechender und repräsentativer Männlichkeit»30 – an; seine Stilisierung erfolgte vielmehr mittels eines Prinzips, das es erlaubte, sich der kompromittierenden Geschichte des Geschlechts zu entledigen und das der Strömung den Namen gab: der Sachlichkeit. Die «männliche Literatur» der Neuen Sachlichkeit sollte wie jener «Vakuumcleaner, den die Revolutionäre von 1919 beschworen, «den muffigen Müll (aus) der schmutzverstopften Epoche saugen»31 und die «betonte Herzenskälte»32 in einer «männlich tatkräftigen Zeit» 33 kultivieren. Die Abhärtung der Männerkörper und -seelen, die schon Henry Ford in der Stahl-natur des Ingenieurs gegenüber den «verweichlichenden» Tendenzen der Zeit anempfohlen hatte34, war schließlich nicht nur Attitüde einer funktionslos gewordenen Intelligenz35, sondern fand ihre Entsprechung im materialisierten Produkt des Männerkollektivs: der Technik.

10 Häufig genug ist der Objekt- und Objektivitätsetischismus der Neuen Sachlichkeit unter politischen und kunstimmanenten Fragestellungen beschrieben und kritisiert worden; daß dabei der offensichtliche Zusammenhang zwischen dem eingeforderten Sachlichkeits-Postulat und seiner identitätsstiftenden Funktion für einen neuen Männlichkeitsentwurf nie in den Blick fiel, dürfte auf die Betriebsblindheit der Fragesteller zurückzuführen sein. Denn von den Zeitgenossen selbst wurde diese Verbindung immer wieder hergestellt: nicht nur Pinthus tituliert seinen richtungsweisenden Beitrag zur Neuen Sachlichkeit programmatisch mit «Männliche Literatur, auch Günther Müller spricht in seinem im gleichen Jahr erschienenen Aufsatz von den «Männern der Sachlichkeit»36, und Utitz erkannte in der neuen Strömung «eine kraftvoll sich regende Männlichkeit, deren «ruhige(r), gehaltene(r), zähe(r) Atem reifer Menschheit in Strenge und Disziplin, Zucht und Ordnung» befähigt sei, die Krise zu überwinden37. Die «teilnahmslose Sachlichkeit, so neutral und «kalt» sie auch daherkommen mochte, war also alles andere als «uninteressiert». Mochten sich zwar «die Tatsachen ganz ohne Gefühlsverbrämung, bei völliger Ausschaltung des eigenen Ich, seiner Freuden, Schmerzen oder Ansichten38 von den Anfechtungen individueller Leidenschaften reinigen, der historischen Bürde der Gattung aber war nur mühsam zu entkommen.

11 Wenn also «die Sache» prädestiniert schien, von der Weltblamage des männlichen Prinzips abzulenken und der gestrandeten Männergeneration vorläufigen Halt zu verschaffen, um es als Maßstab doch gleichzeitig wieder unverdächtig in seine Rechte zu setzen39, so ist es um so erstaunlicher, daß in der neusachlichen Literatur häufig

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weibliche Protagonistinnen aufgefordert waren, dieses sachliche Prinzip zu vertreten. Offenbar hegten die neusachlichen Kunstproduzenten ein tiefes Mißtrauen gegenüber männlichen «Helden, und in der Tat fand, wie die neusachliche Endphase belegt, das heroische männlich-sachliche Prinzip in den unglücklichen Auftritten des bankrotten, schutzbedürftigen Pinneberg, des schwimmuntüchtigen Fabian, des tatscheustolpernden Ginster und wie sie alle heißen mögen, eine reichlich unwürdige Vertretung. «Offenbar ist die Frau besser geeignet, eine Sache vorzustellen als der Mann, vermutete Alfred Polgar schon 1926 in einer Zeitschrift, die sich in den Zwanziger Jahren um die Entwicklung modernisierter Weiblichkeit besonders verdient machte40.

12 «Die Generation ohne Männer, so der Titel eines um 1932 veröffentlichten Pamphlets des Antifeminismus41, bemächtigte sich der Heldin, weil die verfügbaren Anti-Helden den Dienst versagten und sich der an sie gestellten Forderungen verweigerten. Ob es sich dabei nur um eine «antiemanzipatorischen Affekten» geschuldete Umkehrung der Verhältnisse handelte42, oder ob sich im Griff nach der Protagonistin über die ideologischen Vorurteile hinaus auch das bürgerlich-männliche Krisenbewußtsein, das das erodierte Geschlechterverhältnis als gesellschaftliche Bedrohung wahrnahm, abzeichnet, soll im folgenden an zwei Texten von Lion Feuchtwanger und Arnolt Bronnen verfolgt werden43.

13 Gewählt wurden die beiden Texte, die in der neusachlichen Forschung bisher weitgehend unberücksichtigt blieben, zum einen, weil die beiden Autoren politisch unterschiedlichen «Lagern» angehörten44 und gezeigt werden kann, wie identisch sich die männliche «Wunschproduktion, unabhängig vom politischen Standort, entwickelte. Zum zweiten stammen beide Werke aus der «heroischen» Phase der Neuen Sachlichkeit45, und schließlich siedeln beide Autoren das Geschehen in oder in allegorischer Nähe von Amerika an, was oberflächlich betrachtet die AmerikaBegeisterung des zeitgenössischen Publikums bedient haben mag, aber, wie zu zeigen sein wird, auch als Negativfolie für die Weimarer Realität diente. Ausschlaggebend jedoch war im Rahmen meiner Fragestellung der Umstand, daß in beiden Texten weibliche Hauptfiguren in einem vordergründig symmetrisch umgekehrten Geschlechterarrangement die Herausforderungen und Auswirkungen sachlicher Herrschaft auf den «neuen Menschen» (Bronnen) ausloten sollen.

14 Feuchtwangers «Petroleuminseln» führt auf experimentell verkleinertem Raum den Kampf kapitalistischer Gegenwart gegen ein feudal-koloniales Gestern vor. Personifiziert wird der abstoßende, aber durch die Ölförderung rentable Teil der Inseln durch die häßliche Deborah Gray, die als omnipotente Herrscherin das Prinzip Sachlichkeit vertritt: «sehr häßlich, vom Öle lebend, Überfluß schöpfend aus den Mängeln des Staates, kalt vor den Genüssen des Klassenkampfes, ohne Interesse an Gott» (P 56). Ihre Herrschaft, die sich an «der kalten Welt der Zahl» orientiert, kollidiert unversöhnlich mit der Widersacherin Grays, der schönen Charmian Peruchacha, die durch ihre sinnlichgenußsüchtige Lebensweise in spätfeudaler Manier den Ablauf des Petroleumgeschäfts gefährdet. Sie tritt gegenüber der unsentimentalen, zu zweckrationaler Endkontrolle neigenden Gray, die weiß, daß «ein Mann ein Mann und ein Geschäft ein Geschäft» (P 25) ist, als «erstklassige Erscheinung, die die Männer der Inseln in ihrem Bann hält, auf. Signiert Gray für den Produktionsbetrieb auf den Inseln, sorgt Peruchacha für die Reproduktion, insbesondere ihrer männlichen Bewohner. «Männliches Geschäft» und «feminine Störungen» werden als dualistische

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und in unversöhnbarem Streit verwickelte Praxen vorgestellt. Der Kampf der beiden Frauen, der auf dem Kriegsschauplatz der sexuellen Leidenschaften ausgetragen wird, entzündet sich im Zusammenhang mit einer Ölkrise, die rücksichtslos rationalsachliches Kalkül der Ölmagnatin notwendig macht46. Bindeglied zwischen beiden Sphären ist der typische amerikanische «poker-face-man» Ingram: «energisch, gesinnungslos, genußsüchtig, zynisch, sehr fähig» (P 57), weiß sein Steckbrief. Er versucht die Ölkrise auszunutzen, um mit Gray Geschäfte zu machen und gerät mit ihr in Konflikt, als offenbar wird, daß er sich zur Peruchacha hingezogen fühlt. Feuchtwanger selbst hat in der «Selbstanzeige» des Stückes 1927 darauf verwiesen, es sei ihm um «den Kampf einer starken, begabten Frau (…) gegen das häßliche Gesicht, das ihr auf ihren Weg mitgegeben ist»47, gegangen. Auf diesen Hinweis hin hat die Forschung immer wieder den Zusammenhang mit dem im 14. Jahrhundert spielenden «Maultasch» -Roman hergestellt und dabei die unübersehbaren Differenzen beider Texte ignoriert48. Die Interpretationsvorlagen insistieren in der Regel auf der «Auseinandersetzung mit dem Ästhetizismus» der Zeit49 oder den für Feuchtwanger typischen Kampf des Häßlichen mit dem Schönen»50 und vernachlässigen völlig die Bedeutung, die der Geschlechtertausch im Stück haben könnte. Einen Schlüssel für ein neues Verständnis des Stückes könnte das von Feuchtwanger zentral angelegte Gleichnis, das er Lelio, dem in Ungnade gefallenen Leiter der Abteilung 17, in den Mund legt, liefern: In Ohio wurde vor zwei Jahren folgender Versuch mit Ratten gemacht. Man trennte sechs Männchen durch eine elektrische Platte auf der einen Seite vom Futter, auf der anderen Seite vom Weibchen. Nach 72 Stunden Hunger und Geschlechtsentbehrung drängten fünf Männchen zum Futter und eines zum Weibchen. (…) Als man das Experiment umkehrte und mit sechs Weibchen wiederholte, ging ein Weibchen zum Futter und fünf zum Männchen (P 41f).

15 Das in neusachlicher Mode behaviouristisch angeordnete Experiment veranschaulicht das sozial-psychologische Modell des Stückes: unter Versuchsbedingungen soll sich zeigen, ob Deborah Gray im Zweifelsfall den Weg der fünf Weibchen geht und ihrer Schwäche für Ingram nachgibt, oder den der sechsten Rättin und rücksichtslos das Geschäftsinteresse vertritt. Die Frage nach einer Synthese beider Möglichkeiten – «(…) da man ein Mensch ist und keine Ratte, müßte es eine Möglichkeit geben, den Weg der fünf mit dem Weg der einen zu verbinden» (P 94) – wird im Stück negativ entschieden, denn Deborah bringt Petroleum und Liebe gerade nicht «unter einen Deckel». Zwar siegt sie über ihre Gegnerin, durchkreuzt Ingrams Manöver und erobert die uneingeschränkte Kontrolle über die Inseln – aber nur, indem sie alle Imponderabilien aus ihren Überlegungen ausblendet.

16 Der umständelose Analogieschluß zwischen dem behaviouristischen Modell und anthropologischer Disposition ist indes problematisch, denn er suggeriert, daß die «Gleichheit» zwischen Ratten und Rättinnen auch zwischen Männern und Frauen existiert. Aber Gray ist aufgrund ihrer Häßlichkeit auf dem traditionellen Heiratsmarkt, auf dem die ungleiche Macht Verteilung zwischen den Geschlechtern sozial ausbalanciert wird, nichts wert, und so ist ihre Entscheidung für die Ölkarriere keine autonome, sondern bleibt immer an die strukturellen Asymmetrien im Geschlechterverhältnis gebunden. Gray, die grotesk überzeichnete «Kälte-Maschine» der Neuen Sachlichkeit, vertritt die im Stück eindeutig «männlich» identifizierte Sachlichkeit, sie wird aber von ihrem Geschlecht immer wieder eingeholt. Das Prinzip Sachlichkeit geht in der Herrschaft der Dinge eben nicht auf: Gray handelt wie ein

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Mann – aber sie ist kein Mann. Das Gesetz der Inseln, das sie vertritt, ist nicht das ihre, ihr Status ist ein geliehener, und das macht sie angreifbar, aber auch überlegen.

17 Sinnfällig wird dieser Zusammenhang im Stück in der metaphorischen Verklammerung von Geschäft und Sexualität: die Bohrtürme, die den Reichtum der Inseln garantieren, das Strohhutstechen im Park der Peruchacha, die getrockneten Bananen, die auf den Inseln als Synonym für die Wertlosigkeit einer Sache gebraucht werden, stehen zweifelsfrei für die phallische Ordnung auf den Inseln. «Potente Burschen müssen potent bezahlt werden» (P 45), spielt Ingram seinen «Heimvorteil» gegenüber Gray aus, und die Inselbewohner wissen ihr «Lotterielos im Portefeuille, weil auf «den Braunen Inseln ein jeder den Marschallstab in der Hose trägt» (P 64). Ökonomische und sexuelle Potenz gehen eine unverbrüchliche Symbiose ein51, und dort, wo Ingram geschäftlich unterliegt, setzt er seine «männlichen Qualitäten» (P 61) ein, um Gray zu übervorteilen. Dieses durch das gesamte Stück unterschwellig thematisierte Gewaltverhältnis – und darum handelt es sich bei Ungleichen – ist nicht umkehr-bar, und Ingram, «der Kraftprotz mit Stiereitelkeit, unterliegt schließlich nur, weil Gray ihm gegenüber im entscheidenden Augenblick im Vorteil ist, sie bedarf seiner nicht als Reproduktionsinstanz. «Wenn sie (die Männer/UB) geil sind, werden sie sentimental» (P 106) konstatiert sie und kommt in bezug auf Ingram zum Ergebnis, daß «Preis und Ware nicht im rechten Verhältnis stehen» (P 86). Ihre Fähigkeit zu vergessen und zu trennen lassen sie den ungleichen Kampf schließlich gewinnen: «Hirte Israel, Debsy, sie haben die Technik» (P 108), attestiert ihr der Colonel. Das einverständige, gleichwohl aber melancholische Plädoyer Feuchtwangers für die kapitalistische Gleichzeitigkeit – «die Antwort gibt Amerika» (P 107) – legt er der Gray in den Mund: «Ich wollte, Sie hätten mich nicht gezwungen, dieses erstklassige Geschäft zu machen» (P 93). Ihre Trauer um den Verlust aller Bindungen setzt sich aber deutlich ab von der rückwärtsgewandten kulturkritischen Klage um die verlorenen Paradiese der Vormoderne. Mit dieser Haltung trifft sich Feuchtwanger in mancher Hinsicht mit Arnolt Bronnen, der sich ebenfalls des Projektionsfeldes Amerika bedient, um das als destabilisiert empfundene Geschlechterarrangement im eigenen Land zu verarbeiten52. In der fremden Kultur, inkarniert im Feindbild des kulturlosen «amerikanischen Matriarchats, finden die eingangs beschriebenen Impotenzängste ihr extremes Zerrbild, vor dem sich die Stilisierung der neusachlichen Männlichkeit um so wirkungsvoller abhebt. Die Adaption des amerikanischen «Geschlechterkriegs» beschränkt sich dabei gerade nicht nur auf die konservativen Kulturkritiker, sondern bedient auch jene, die die amerikanische Zivilisation gerne auf europäische Verhältnisse übertragen gesehen hätten.

18 Arnolt Bronnen jedenfalls siedelt seinen Roman ebenfalls im Amerika der Vorkriegszeit an; er protokolliert Lebens-Film und Film-Leben der Schauspielerin Barbara la Marr, die als unbekannte Reatha Watson in der Film-Metropole Hollywood Karriere machen will. Ihr Aufstieg führt dabei über wechselnde Männer, die sie, um nicht selbst durch sie ruiniert zu werden, mit «männlichen» Methoden bekämpft. Ähnlich wie Feuchtwanger ist auch Bronnen dem traditionellen Geschlechterdualismus verpflichtet: er verlegt Reathas Ursprung in die «wilden Wälder Washingtons, Reatha ist nichts als «Natur, aus Natur geboren und mit ihr identisch. Anders aber als Feucht wanger, der die ontologisierten «männlichen» und «weiblichen» Qualitäten auf zwei verschiedene weibliche Figuren verteilt, um sie auf ihre Resistenzkraft hin zu prüfen, verlegt Bronnen den Widerspruch von «männlichem Geschäft» und «femininen Störungen» in eine Figur, Barbara la Marr. Der im Roman vorgestellte Konflikt entzündet sich

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zwischen den «naturnahen» Bedürfnissen ihres Leibes einerseits und den Karrierewünschen andererseits: Aber mitten in den Gletschern ihrer Gedanken, mitten durch die frostigen Zahlen ihres Hirns, mitten durch die unendliche Kälte ihre Himmels und ihrer Sterne fühlte sie den Mann neben sich (…). Ihr Himmel war kalt, aber um so heißer war ihre Erde (B 41).

19 Bronnen führt an la Marr den tödlich endenden Immunisierungsprozeß der Moderne vor: Reathas Weg ins Licht, ins Scheinwerferlicht der modernen Gesellschaft beendet ihren «bewußtlosen» Naturzustand; im Dschungel der Filmbranche wird sie zunächst «herz», dann «seelenlos» (B 291).

20 Die Männer im Roman dagegen sind von bemerkenswerter Ungleichzeitigkeit und ähneln in ihrer grotesken Überzeichnung durchaus dem männlichen Personal in den «Petroleuminseln». Während dort Onkel Obadjah an seinen von der Kulturindustrie geforderten «Oden für Männer» scheitert und sich der zeitlosen «Homerübersetzung für die Jugend» verschreibt (P 105)53, läßt Bronnen Reathas Vater («singende Säge, Häuptling der Väter von Yakima, B 95) als melancholischen Geiger auf dem Dach die Erinnerung an europäische Kulturwerte beschwören. Und Lelio, der gestrandete «Leiter der Abteilung 17» der Inselgesellschaft karikiert den ohne Arbeit um seine Identität gebrachten Mann, der Kreuzworträtsel löst und, «wenn er besonders intensiv ist, (…) einen Satz Tennis (spielt)» (P 79). Er findet in Lytell, Ainsworth oder Converse im Bronnen-Roman sein würdiges Pendant, und vergleicht man Ingram aus den «Petroleuminseln» mit Deely, sind die Parallelen so auffällig, daß man fast geneigt ist, bei Bronnen ein Plagiat zu vermuten.

21 Weshalb aber wird die neusachliche «Liebe zum Adäquaten»54 ausgerechnet als weibliche Kompetenz vorgeführt, diese «angewandte Sachlichkeit, die Barbara la Marr angesichts des erpresserischen Selbstmordversuchs ihres einstigen Geliebten inszeniert: «unrührbar, seinen Tod trinkend» (B 247) nämlich fragt sie zum Entsetzen der anwesenden Männergesellschaft: «Warum retten?» Reatha entzieht sich durch ihre Verwandlung in Barbara la Marr ihrem Dienst an der Gattung, sie verweigert den männlichen Erlösungsauftrag «an das Weib». Versuchte Lytell, Reathas erster Mann, ihre «Natur» noch als kräftespendendes Reservoir für sich zu privatisieren, vollzieht sich im Romanverlauf die Vergesellschaftung des Weibes, diese «letzte tolle Karte» (B 172) im Männerspiel im Medium des Films: «Die Sehnsucht der Nation wird auf sie strömen» prophezeit ihr der Regisseur Fitzmaurice. «Aber wird ihr Körper offen sein, sie aufzunehmen?» (B 197)55.

22 Sind es aber tatsächlich «nur» die männlichen Verlustphantasien, die sich über das Motiv der Umkehrung in beiden Texten impliziten Ausdruck verschaffen? Oder lassen sich Hinweise auffinden, weshalb beide Autoren ihre Frauenfiguren als Überlebensfähigere imaginieren?

23 1929 veröffentlichte Bronnen im nationalsozialistischen «Vormarsch» einen Aufsatz über «die weibliche Kriegsgeneration»56, in dem er die Schauspielerinnen-Vita als exemplarischen Fall für die Fähigkeit der Frauen, «den Bruch mit den morsch gewordenen Bindungen» mutig herbeizuführen, ihren «Zustand für provisorisch» zu erklären und die «Trennung zu proklamieren, anführt und ihnen andient, seine Männergeneration von der ewig kleinlichen «Sorge ums tägliche Brot zu entlasten»57. Sowohl Bronnens Tochter Barbara als auch seine Ehefrauen Hildegard und Renate berichten unabhängig voneinander von Bronnens lebenslangem Wumsch, sich frei von

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Bindungen zu fühlen, sich trennen, vergessen zu können58. Und Jaretzky sieht in seiner Würdigung der «Petroleuminseln» Grags Potenz in «ihrer Freiheit von allen historische Bindungen, von aller verpflichtenden Moral und allen Schönheitsempfindungen59. «Und in der Tat: untersucht man die beiden Texte auf diese Dimension hin, fällt auf, daß sowohl Deborah Gray als auch Reatha / Barbara sich vom Ballast der Geschichte befreit haben. Im Unterschied zu Peruchacha, der Statthalterin des kolonialen Erbes und befrachtet mit dessen Vergangenheit, tritt Deborah Gray als Geschichtslose auf die historische Bühne und übt sich lustvoll in der modernen Tugend des Vergessens. Augenblickliche Entscheidung und entscheidender Augenblick sind mit einem Denken in Kontinuitäten unvereinbar. Im einzigen Fall, wo sie gegen dieses Prinzip verstößt – in ihrem privaten Rachefeldzug gegen Peruchacha – muß sie umgehend die Zinsen bezahlen.

24 Aber auch Barbara la Marr besitzt keine individuelle Geschichte, deren Entwicklung zu verfolgen wäre. Trotz vielfältig schlechter Erfahrungen bildet sie sich nicht und entwickelt sie sich nicht: «Gott sei Dank bin ich weder verblendet durch Erfahrung und durch Wissen» (B 94). Ihren Ursprung negierend, schlüpft sie in die Rolle der vom Pferd gefallenen Schauspielerin Marr und arrangiert ihren Namen aus den Versatzstücken der verstorbenen Vorgängerin, einem früheren Varietenamen – «Moore nannte mich die Tänzerin Barbara» (93) – und einem Präfix, das an nichts als ihr Geschlecht erinnert. Ebenso wie Gray entlastet sie sich von allen Erinnerungen: «wie lange war ich eigentlich mit Jack Lytell verheiratet?» Eben diese Traditions- und Geschichtslosigkeit faszinierte auch die zeitgenössischen Amerikareisenden, dessen Bewohnern Henry Ford ins Stammbuch schrieb: «Du sollst die Zukunft nicht fürchten und die Vergangenheit nicht ehren»60, und für die der Keyserlingsche «Chauffeur in der Lederjacke, der keinen Ballast mit sich führt, zum Typus avancierte.

25 Daß eine erklärtermaßen «männliche Literatur» – «wir wollen ruhige, ernste und männliche Stücke bringen»61 – die gegen die femininen, «geschäftsstörenden Abschweifungen» (P 25) reklamierte Bindungslosigkeit ausgerechnet an weibliche Figuren delegiert, bleibt erstaunlich. Möglicherweise wog das Kulturerbe auf den männlichen Schultern doch schwerer, war die Entwurzelung des modernen Bewußtseins für seine Träger problematischer als die programmatischen Stellungnahmen des Zeitalters vermuten lassen. «Jeder Schritt vorwärts: ein sich losringen von diesem Allumfassenden mütterlichen Schöße der anfänglichen Unbewußtheit, schreibt CG. Jung 192862, und folgt man der Bronnen-Analyse Aspetsbergers, ging es Bronnen in seiner literarischen Produktion der Weimarer Zeit darum, die «genitale Position sicher zu begründen»63. Daß die Negation des Ursprungs eine notwendige neuzeitliche Leistung des männlichen Bewußtseins darstellt, hatte schon Hegel in der «Phänomenologie» ausgebreitet, und Marianne Schuller hat auf dieser Grundlage auf die widersprüchliche bürgerlich-männliche Subjektkonstitution aufmerksam gemacht: Der Eintritt in die Ordnung des Gemeinwesens durch den Mann fordert das Vergessen, das Versinken, fordert den Tod der Erinnerung dessen, woraus der Mann hervorgegangen ist. Als Ort des Ursprungs muß die Frau, um der Erarbeitung des menschlichen / männlichen Gebots willen, vergessen werden64.

26 Der Mann, der den als lästig empfundenen Bindungen entfliehen will, muß sich in der Abarbeitung an der Natur als «Allgemeines» setzen und erzeugt sich doch gleichzeitig an dem, was er abzuspalten bestrebt ist. Die Erinnerung an den Ursprung erweist sich als verhängnisvoll für die männliche Identitätskonstitution, und so, wie die moderne

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Gesellschaft ihre Geschichte nur als serielle Aneinanderreihung von Momentsituationen wahrnimmt und sie ihrer historischen Potenz beraubt, so sind ihre Repräsentanten gefordert, ihre Existenz als geschichts- und erinnerungslose zu ertragen, ohne dieser Herausforderung wirklich gerecht werden zu können. Brentano, der die Marr-Figur als «neuen Helden» feiert und sie der jungen Literatengeneration ans Herz legt, würdigt Bronnen als Vertreter einer Literatur, die sich von der Last der Geschichte und der Erinnerung befreit hat: Die literarische Produktion (der) neuen deutschen Generation (…) kommt unvermittelt und direkt aus einer fernen Zeit, an die es keine Erinnerung gibt, jäh in die Gegenwart mitten hinein. Wenige Probleme der sehr problematischen Vergangenheit belasten sie65.

27 «Die ontogenetische Geschichtslosigkeit und fehlende soziale Einbindung, die Carl Wege den «Männern der Sachlichkeit» als einzig einbringbares Kapital zugesteht66, wurde von den «Frauen der Sachlichkeit» offenbar «besser» investiert und verwaltet: «In den Unterschlüpfen, die sowohl die Autorinnen als auch die Heldinnen bewohnen, hinterlassen sie keine Spuren» 67.

28 Es ist kein Zufall, daß die «neue Heldin» von Bronnen ausgerechnet als Schauspielerin eingeführt wird, er sich eine Schauspielerinnen-Vita als Vorlage für sein Experiment nimmt und darüberhinaus das Ganze als Spiel inszeniert. Es geht darum, die Möglichkeiten nicht-authentischer Lebensweise im Spiel auszutesten. Veräußerlichung wird zu Barbaras zweitem Lebensprinzip: «(…) ihre Kälte schien um so unechter, je echter sie war» (B 111) und «mein Körper ist erlogen». Sie simuliert in einem unablässigen Rollenspiel Verstellung und Mimikry als notwendige Überlebensstrategien in der modernen Gesellschaft. Geschlagen sind da die, die auf Identität bestehen, ihre Geschichte nicht zu verleugnen imstande sind und sich im Netz der bürgerlichen Tragik verwickeln. Barbara indessen, die den Konflkit zwischen der «blühenden Landschaft ihres Leibes» (B 116) und dem «Eis ihres Hirn(s)» (B 42) auszutragen hat, ist zu tragischer Verwicklung gar nicht fähig, und ihr tödliches Ende kann im Olymp der Tragik keinen Platz mehr reklamieren. Barbara la Marr spielt im zentralen Film ihres Lebens in einer Figur nacheinander die Rollen, die der männliche Weiblichkeitsentwurf für sie vorsieht: die Erlöserin und die Megäre. Aber erst, als sie aufgibt «tief zu sein, überträgt sich der Funke auf die ihr feindlich gesinnte Kritikerclique: das «Bild vom neuen Menschen, «lichtgeboren und dem Licht verbündet» (B 242) entspringt der Leere des Gefühls, in deren «bläulicher Flamme (B 249) alles erlischt: Warum retten?».

29 Schon die zeitgenössische Kritik hat häufig auf die dem Roman eigene Vermischung von Realität und Fiktion, die für die Zeitgenossen offenbar hohen Erklärungswert hatte, hingewiesen. Das risikoreiche Männerspiel fordert ein Leben im «als ob, das die Gefahr erträglich macht. Exterritorialisiert sind diese Existenzen, wie Ingram, der spurlos verschwindet und andernorts wieder auftaucht. Der Spielleiter in den Petroleuminseln enthebt das Personal denn auch von der Bürde tragischer Katharsis, «weil man nämlich auf der Bühne weder daran denkt, sich zermalmen zu lassen, noch sich zu erheben» (P 82).

30 Und trotzdem zeigen sich die weiblichen Figuren durch den ihnen angehefteten Geschlechtscharakter erfolgreicher im geforderten Maskenspiel der Moderne: Ortlos überhaupt, haben sie keinen Ort, der zu negieren, zu verlieren, zu beklagen wäre. Eben jenen Ort, auf den sich die Kultur kritik und ihre neusachlichen Kontrahenten

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unausgesprochen – nostalgisch die einen oder rigid sich abgrenzend die anderen – beziehen: die gemeinsame Geschichte. Als gemeinsamer Bezugspunkt schließt er beide Fraktionen des Weimarer Diskurses zusammen, verklammert bleiben sie durch ein identisches Gefühl der Ohnmacht angesichts der Erfahrung, daß ihnen die Basis zu entgleiten droht, auf der ihre Identität sich gründete.

31 Die neue Grundlage auf dem Boden der «nackten Tatachen» herzustellen, wie es die «Männer der Sachlichkeit» erprobten, erwies sich indes als unsicheres Projekt. Denn die «Sachen, an die sich «zu halten, an denen «festzuhalten» aufgefordert wurde, zeigten sich unzuverlässig und offenbarten sich oft genug als Fälschung: «der Tatbestand rutschte aus und ließ sich nicht fassen, wie es Kracauer 1928 ironisch im «Ginster» -Roman formuliert68. Die Tatsachen, mit denen die neusachlichen Helden sich herumzuschlagen hatten, blieben «Sachen» ohne Tat und die erbärmlichen Täter satisfaktionsunfähig. Unter der «Tarnkappe» der «Sache» unternahm es diese Generation der Blindgänger, die es, wie Ginster, «verabscheut, ein Mann werden zu müssen»69, sich von ihrer Verantwortung für die Geschichte zu entledigen; ausgerechnet mittels jener Sache, die das «männliche Prinzip» über seine kläglichen Auftritte in der Weltgeschichte hinwegretten sollte.

32 Der «entzeitete» Mann der Neuen Sachlichkeit, der sich von der Last der Entzweiung befreit, hatte allerdings nur eine kurze Premiere, denn sein weiblicher Gegenpart zeigte sich den Herausforderungen gewachsener. Daß dabei den männlichen Entwürfen nicht nur das Bewußtsein ihrer Überlegenheit eingeschrieben ist, sondern die Verpflichtung des weiblichen Personals auf die «Sache» gleichzeitig mit der Domestikation des noch nicht Unterworfenen einhergeht, signalisieren die Finale beider Texte: Gray opfert dem «adäquaten Verhalten» ihre Neigung für den Mann, Barbara la Marr endet gebändigt in Zelluloid und ermordet auf der Bühne des Lebens. Die Probe ist zum Ernstfall geworden. Das jedoch haben die Neusachlichen viel zu spät erkannt.

NOTES

1. – Erich Fromm, Die Furcht vor der Freiheit, Stuttgart, 1983, S. 187. 2. – Paul Federn, Die vaterlose Gesellschaft, Wien, 1919, S. 13. 3. – Ebda., S. 28. 4. – Max Horkheimer/Th.W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt, 1971, S. 137. 5. – G. Schaetter, «Nachkriegsliebe», in Das Tage-Buch, 1924. 6. – Wilhelm Michel, «Die echte deutsche Frau», in Weltbühne 41/1922, S. 404 f. 7. – M.M. Gehrke, «Die Jagd nach der Frau», in Weltbühne 52/1924, S. 944. 8. – Friedrich M. Huebner, Die Frau von morgen wie wir sie wünschen, Leipzig, 1929. 9. – Otto Flake, «Die alte Aufgabe – die neue Form», in Huebner, S. 167. 10. – Hans Henny Jahnn, «Gesund und angenehm», in Huebner, S. 144. 11. – Georg von der Vring, «Offensive der Frau», in Huebner, S. 52. 12. – Walther von Hollander, «Autonomie der Frau», in Huebner, S. 30. 13. – Otto Rühle, «Der Mann wird abgedankt», in Literarische Welt 41/1932, S. 8.

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14. – Heinrich E. Jacob, «Haarschnitt ist noch nicht Freiheit», in Huebner, S. 130. 15. – Axel Eggebrecht, «Machen wir uns nichts vor», in Huebner, S. 122. 16. – Oscar H. Schmitz, «Die Schutzbedürftigkeit des Mannes», in Schweizerische Rundschau 10/1930, S. 788. 17. – Claude Mckay, «Three Soldiers – das neue Amerika», in Der Gegner, 1/1922, S. 14. 18. – Ernst Robert Curtius, «Zivilisation und Germanismus», in Neuer Merkur 8/1924, S. 302. 19. – W.E. Süskind, «Geist und Männlichkeit», in Die Literatur 12/1932, S. 682. 20. – Sigrun Anselm, «Emanzipation und Tradition in den Zwanziger Jahren», in Anselm/Bode(Hg.): Triumph und Scheitern der Metropole, Berlin, 1989, S. 253-74, hier: S. 256. 21. – Daß der sich mit der bürgerlichen Gesellschaft ausbildende Geschlechter kanon unterschiedlichen Bewertungen unterlag, und beispielsweise die lebenphilosophisch orientierte bürgerliche Frauenbewegung schon frühzeitig die «Aufwertung des Weiblichen» betrieb, stellte die grundsätzlich dichotomisch strukturierte Vorstellungswelt dabei nicht in Frage. 22. – Friedrich Sieburg, «Die Trilogie der fehlenden Leidenschaft», in Weltbühne 11/1922, S. 305. 23. – O.L. in Das Tage-Buch 33/1924, S. 1182. 24. – Arnold Hahn, «Die zivilisierte Sexualität», in Das Tage-Buch 45/1924, S. 1586, Hervorhebung UB. Auf das Phänomen einer voraussetzungslosen Zivilisation wird an anderer Stelle zurückzukommen sein. 25. – Ebda, S. 1589. 26. – Maxim Ziese in einer Rezension des la Marr-Romans von Arnolt Bronnen in der DAZ vom 28.6.1928; zitiert nach Arnolt Bronnen, Werke Band 3, Klagenfurt 1989, S. 374. 27. – Helmut Lethen, «Freiheit von Angst». Über einen entlastenden Aspekt der Technikmoden in den Jahrzehnten der historischen Avantgarde 1910-1930, in Großklaus/Lämmert (Hg.), Literatur in einer industriellen Kultur, Stuttgart, 1989, S. 72-98. 28. – Marlis Gerhardt weist zu Recht darauf hin, daß es auf diesem «SprachKampfplatz» tatsächlich um einen Vater-Sohn-Konflikt geht, auf dem «die Töchter nichts zu suchen haben. Sie stehen am Rande des Dramas, das sich zwischen Vätern und Söhnen abspielt und mit dem allmählichen Verschwinden der Väter endet». Marlis Gerhardt, Stimmen und Rhythmen: Weibliche Ästhetik und Avantgarde, Neuwied, 1986, S. 11. 29. – Kurt Pinthus, «Männliche Literatur», in Das Tage-Buch 10/1929. 30. – Julius Talbot, Was sind Revolutionen? (8 Teil 1), in Der Gegner 1/1919, S. 16. 31. – Ders.: Was sind Revolutionen?, in Der Gegner 2.3/1919, S. 1. 32. – Axel Eggebrecht, in Literarische Welt 1/1932, S. 6. 33. – Alfred Döblin anläßlich der Preisverleihung an junge Prosaisten 1927, in Literarische Welt 11/1927, S. 1. 34. – Henry Ford, Mein Leben und Werk, Leipzig, 1923. 35. – Vgl. hierzu: Helmut Lethen, «Kältemaschinen der Intelligenz. Attitüden der Sachlichkeit», in Ernst Wichner/Herbert Wiesener (Hg.): Industriegebiete der Intelligenz. Literatur im Neuen Berliner Westen der 20er und30er Jahre, S. 119-53, hier: S. 128. 36. – Günther Müller, «Neue Sachlichkeit in der Dichtung», in Schweizerische Rundschau, 1929, S. 712; interessant in diesem Zusammenhang ist übrigens, daß sich die «Sach-lichkeit» nicht ausschließlich an das biologische Geschlecht heftet, beide Autoren subsumieren auch Literatur aus Frauenhand unter die «männliche Literatur». 37. – Utitz, Die Überwindung des Expressionismus, Stuttgart, 1927, S. 181. 38. – Franz Matzke, Jugend bekennt: So sind wir, Leipzig, 1930, S. 69. 39. – Hier bilden übrigens der zeitgenössische Technikdiskurs und die literarische Rede eine gemeinsame Nahtstelle. Die «Form werdung» des «männlichen Prinzips» in der Technik, die etwa Krollmann mit ausgeprägt organizistischer und phallozentrischer Metaphorik in seinem Band «Schönheit der Technik» (1928) beschreibt, korrespondiert mit ihrer gleichzeitigen Ästhetisierung in der Kultur Sphäre. Mit der Bronnen eigenen Offenheit hatte schon die dem

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Expressionismus zuzuschlagende «Septembernovelle» die eindeutig phallisch konnotierte «SACHE» als novellistisches Ding-Symbol eingeführt, es aber noch weitgehend an einen individuellen Träger gebunden. Die neusachliche Sexualmetaphorik ist vermittelter, weil sich hier «die Sache» programmatisch vom individuellen Repräsentanten ablöst. 40. – Alfred Polgar, in Die Dame, 1926, S. 2. 41. – Rudolf Thiel, Die Generation ohne Männer, Berlin, 1932; der Band liest sich übrigens als Paradebeispiel der kulturellen Orientierungskategorie «Geschlecht». Freuds Triebtheorie beispielsweise gilt Thiel als Ausdruck für eine um ihre Männlichkeit gebrachte Generation, Rathenau als Vertreter jüdisch-aufgeklärten Denkens wird als «weib-lich» denunziert und Spenglers Kulturpessimismus als «unmännliches Untergängertum» gedeutet. 42. – So das Resümee Wittmanns in ihrer Analyse von Feuchtwangers «Petroleuminseln»; vgl. Livia Z. Wittmann, «Der Stein des Anstoßes, in Jahrbuch für Internationale Germanistik, 2/1982, S. 56-78. 43. – Lion Feuchtwanger, «Die Petroleuminseln», in Drei angelsächsische Stücke, Berlin, 1927. Arnolt Bronnen, Film und Leben Barbara la Marr, Berlin, 1927. Neuauflage in Arnolt Bronnen, Werke Bd. 3, Klagenfurt 1989 (Mit Zeugnissen zur Entstehung und Wirkung). 44. – Lion Feuchtwanger als der humanistischen Traditionen verpflichtete Autor hatte sich von der zeitgenössischen Sachlichkeitsbegeisterung frühzeitig distanziert; daß er jedoch maßgeblich an der literarischen Aufnahme und Verarbeitung des neusachichen Lebensgefühl beteiligt war, zeigt Carl Wege in seiner Studie über die Zusammenarbeit Brecht / Feuchtwanger (Carl Wege: Bertolt Brecht/Lion Feuchtwanger: Kalkutta, 4. Mai. Ein Stück Neue Sachlichkeit, München, 1988). Der eher vom Expressionismus beeinflußte Bronnen wandte sich, nach kurzer Liebäugelei mit sozialistischen Ideen, schnell der politisch Rechten zu, und sein Bekenntnis zum radikalen Nationalismus datiert aus der Entstehungszeit des la Marr-Romans, den er selbst als «antibolschewistisches Buch»im Vorwort ankündigte. Mit Sicherheit ist es kein Zufall, daß Brecht ein biographisches Bindeglied zwischen beiden Autoren darstellte. 45. – «Die Petroleuminseln» stammen nach jüngsten Hinweisen von Wege, der sich auf Martha Feuchtwanger bezieht, aus dem Jahr 1926; die Uraufführung des Stückes fand 1927 statt. Der La Marr-Roman entstand ebenfalls 1926, nachdem Bronnen «ein kleines Manuskriptbündel» mit Notizen und Tagebuch-Aufzeichnungen in die Hände gespielt wurde (vg. arnolt bronnen gibt zu Protokoll, S. 152). Der Roman erscheint 1927 im Vorabdruck in der mondänen Zeitschrift «Die Dame» und schließlich bei Rowohlt als Buch. 46. – Auf die Rekonstruktion der ökonomischen Handlung des Stückes muß in diesem Referat verzichtet werden. 47. – Zu meinem Stück «Die Petroleuminseln», in Weltbühne 23/1927, S. 602. 48. – Symptomatisch für die oberflächliche Rezeption sind die kurzschlüssigen MotivAnalogien. Das Finale des Maultasch-Romans stellt die Protagonistin aber in jeder Hinsicht als Verliererin aus; Gray dagegen verwandelt ihre moralische Niederlage (und ihre Niederlage als Frau) in einen beträchtlichen politischen und ökonomischen Sieg. Gray als die konsequente Personifikation des Prinzips Sachlichkeit hat im Stück gelernt, daß die «warme, gewachsene Mütterlichkeit, die die Maultasch «in ihre Regierung senken will» (Lion Feuchtwanger: Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch, Frankfurt, 1984, S. 130), diesem Prinzip diametral gegenübersteht. 49. – Vgl. Hans Kaufmann, Krise und Wandlungen der deutschen Literatur von Wedekind bis Feuchtwanger, Berlin, 1966, S. 461. 50. – Wolf gang Jeske/Peter Zahn, Lion Feuchtwanger oder arge Weg der Erkenntnis, Stuttgart, 1984, S. 97. 51. – Die Romane der Weltwirtschaftskrise werden schließlich zeigen, daß die ökonomische Liquidation der Männer durch diese immer auch als sexuelle Impotenz imagi-niert wird.

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52. – Sowohl Feuchtwanger als auch Bronnen waren beide nicht in Amerika gewesen. Über die Neigung der Intellektuellen, Amerika zur Projektionsfläche deutscher Erfahrungen und Probleme zu machen vgl. Erhard Schütz, Kritik der literarischen Reportage, München, 1977, S. 18f. 53. – Ein von Feuchtwanger durchaus ironischer Seitenhieb auf den Männlichkeitskult der Neuen Sachlichkeit. 54. – Vgl. Anm. 38, S. 54. 55. – Zur ideologischen Vergesellschaftung des Weiblichen im Film sowie eine ausführliche Analyse des Bronnen-Romans vgl. Ulrike Baureithel, «Die letzte tolle Karte im Männerspiel». Über Arnolt Bronnens Roman «Film und Leben Barbara la Marr» mit einem Ausblick auf die Septembernovelle, in Literatur für Leser 3/90, S. 141-54. 56. – Arnolt Bronnen, «Die weibliche Kriegsgeneration», in Der Vormarsch 2/1929, S. 369-372; neuerdings in Arnolt Bronnen, Sabotage der Jugend. Kleine Arbeiten 1922-1934, Innsbruck, 1989, S. lOlff. 57. – Ebda, S. 370. 58. – Vgl. hierzu den Roman Barbara Bronnens «Die Tochter, München» 1980, S. 166 und 286, außerdem Hildegard Bronnen, «Unteilbar und untrennbar» sowie Renate Bronnen, «Kleine Bertalottin» in Ulrike Edschmid, Jenseits des Schreibtischs, Neuwied, 1990. 59. – Reinhold Jaretzky, «Lion Feuchtwanger und die Neue Sachlichkeit», in German Studies in India 10/1986, S. 60. 60. – Vgl. Anm. 34, S. 28. 61. – Bronnens fünf Finger, in Literatrische Welt 1/2, 1926. 62. – CG. Jung, «Das Seelenproblem des modernen Menschen» (1928), in Ders., Seelenprobleme der Gegenwart, Ölten, 1973, S. 279-301. 63. – Friedbert Aspetsberger, «Jugendbewegung, Mutterleibsphantasien und Kristallandschaften», in Le texte et l’idée, 3/1988, S. 95-120, hier: S. 118. 64. – – Marianne Schuller, «Die Nachtseite der Humanswissenschaft», in Gabriele Dietze (Hg.), Die Überwindung der Sprachlosigkeit, Neuwied, 1979, S. 31-50, hier S. 40. 65. – Bernard v. Brentano, «Leben einer Schauspielerin», in Weltbühne, 5/1928, S. 173. 66. – Vgl. Anm. 45, S. 92. 67. – Ursula Krechel, «Linksseitig kunstseidig. Dame, Girl und Frau», in Anm. 35, S. 97-117, hier: S. 102. 68. – Siegried Kracauer, Ginster. Von ihm selbst geschrieben, Frankfurt, 1973, S. 53. 69. – Ebda., S. 131; das Tarnkappenmotiv führt Kracauer ebenfalls für seinen Helden in den Roman ein, vgl. S. 112.

RÉSUMÉS

Der Beitrag kontrastiert zunächst den zeitgenössischen publizistischen Diskurs über den Sinnverlust der männlichen Existenz mit dem Versuch der neusachlichen Autoren, die von ihnen vertretene literarische Strömung als «männliche Literatur» zu stilisieren. An zwei exemplarischen Texten, an Lion Feuchtwangers «Petroleuminseln» und Arnolt Bronnens «Film und Leben Barbara la Marr» wird gezeigt, daß es sich bei der eingeforderten «Neutralität» der Neuen Sachlichkeit um eine Ausgleichsstrategie einer um ihre Identität gebrachten

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Männergeneration handelt. Das dabei auftretende weibliche Personal verweist dabei nicht nur auf die imaginierten männlichen Unterlegenheitsängste, sondern konterkariert auch die von der Neuen Sachlichkeit proklamierte Geschichtslosigkeit der Epoche.

Cette contribution veut d’abord faire apparaître le contraste entre le discours sur la perte de sens affectant l’existence masculine et, d’autre part, la tentative des auteurs « néo-objectivistes » de donner à leur courant littéraire un style de « littérature masculine ». Deux textes exemplaires à cet égard, Les Îles du Pétrole de Lion Feuchtwanger et Barbara la Marr. Vie et cinéma de Arnolt Bronnen permettent de montrer que l’exigence de « neutralité » qu’articule la « Nouvelle Objectivité » constitue en fait une stratégie de compensation mise en œuvre par une génération d’hommes à qui on a ôté leur identité. Les figures féminines ne sont pas seulement des indicateurs révélant les angoisses liées au sentiment d’infériorité dans l’imaginaire masculin ; elles vont également à rencontre de la conception du présent proclamée par la « Nouvelle Objectivité », celle d’une époque qui échappe à l’Histoire.

AUTEUR

ULRIKE BAUREITHEL Berlin

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Personnages juifs dans le Zeitroman de la République de Weimar Jüdische Gestalten im Zeitroman

Anne Lagny

Pour Jean Weinberg

1 Une première constatation s’impose, à la lecture du Zeitroman weimarien : celle de la place réduite qu’y occupe le thème juif. La différence est grande avec des œuvres comparables de la période précédente, où le personnage juif, omniprésent, est construit comme pôle de répulsion de la germanité1. Comment rendre compte de l’éclipsé relative du personnage juif ? La réponse à cette question suppose que nous ne cherchions pas dans des œuvres de fiction un simple reflet de la réalité contemporaine. Il est aisé, certes, de mettre en rapport la normalisation de l’image du juif avec les progrès de l’assimilation durant cette période (on sait que la levée des dernières interdictions légales marque une étape décisive de l’intégration des juifs dans la société allemande, même si la survivance d’une discrimination fait apparaître la condition juive comme le produit contradictoire de « l’assimilation et de la discrimination »)2. Mais nous borner à repérer de simples convergences avec les résultats de l’analyse économique et sociologique serait réduire la signification du personnage (juif) à une simple question de vérité documentaire, alors qu’elle fait intervenir le problème de la figuration littéraire.

2 Il ne s’agit donc pas, pour l’essentiel, de rassembler des informations sur l’antisémitisme, ou éventuellement sur les métiers exercés par les juifs, leur insertion dans la société et les obstacles qu’ils y rencontrent3, mais de rendre compte d’une certaine difficulté de figuration de la réalité juive sous la République de Weimar. En conséquence, nous avons préféré substituer à une énumération de motifs récurrents de la figuration du juif ou de l’antisémitisme une étude plus approfondie de types juifs dans leur contexte romanesque (Denn sie wissen, was sie tun, de Ernst Ottwalt; Erfolg, de Lion Feuchtwanger et Die Stadt, de Ernst von Salomon). L’analyse du statut du personnage juif dans le roman peut en effet faire progresser notre connaissance, dans

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la mesure où elle fait droit à la spécificité du matériau littéraire, d’une lisibilité moins immédiate que l’essai ou le témoignage autobiographique.

3 Quelques observations préalables, même brèves, sur la structure et le fonctionnement du genre feront mieux cerner ses possibilités et ses limites de figuration. Conformément à l’usage, nous entendons par «Zeitroman», ou roman d’époque, des œuvres qui décrivent une réalité contemporaine de celle que vivent leurs auteurs. C’est le genre dans lequel l’époque se fait roman, tente de parvenir à la conscience d’elle- même4. Intégrant l’actualité comme une donnée essentielle, il en figure les thèmes principaux ou secondaires sous l’aspect de crises et de conflits non résolus. Il est l’un des genres les plus aptes, peut-être, à réfracter la réalité d’une époque en travail, dans sa dimension multiple, confuse, en épousant la perspective de la conscience immergée dans le Jetztzeit. De ce point de vue, le Zeitroman, genre de l’époque ouverte, du sens qui n’est pas encore constitué, ne se réduit pas à une variante du roman historique5. Celui- ci en effet prend pour cadre une époque révolue, close sur elle-même, dont la lisibilité lui permet de figurer esthétiquement la résolution d’une problématique, même contemporaine6.

4 Un exemple nous suffira pour suggérer l’impact de ces réflexions sur le sujet qui nous intéresse. Deux œuvres de Lion Feuchtwanger, le roman historique Jud Süß et le roman d’époque Erfolg, thématisent la réalité juive et l’antisémitisme sous la République de Weimar, mais la réfraction de cette même problématique contemporaine dans deux genres distincts se traduit par une différence dans la figuration du personnage. Le roman historique nous présente un héros glorieux, qui choisit librement son destin de juif (alors qu’il pourrait s’en affranchir, lorsqu’il apprend qu’il est le fils illégitime d’un Allemand) et dont le supplice ignominieux, apparemment incompatible avec l’intégrité de l’individu, scelle l’appartenance au peuple élu et marque le triomphe du judaïsme comme principe spirituel. L’avocat juif Siegbert Geyer de Erfolg, en revanche, est impuissant à transformer la fatalité de sa condition en destin assumé : victime d’agressions racistes ordinaires, qui minent son intégrité physique et mentale, exclu de la communauté allemande et du pouvoir réel, il est aliéné par le présent, contraint à des compromissions et des abdications qui épuisent le sens de son existence individuelle. Là où le roman historique conclut sur la vision idéale de la communauté juive escortant le cercueil de Süß, Erfolg s’achève sur l’exil solitaire de Geyer, dont le nom est effacé des œuvres qui fixent son époque en histoire.

5 Le Zeitroman, dans la mesure où il n’impose pas le point de vue d’une résolution artificielle, nous permettra d’évaluer la place et l’importance du thème juif dans la conscience d’époque. Le choix d’auteurs d’orientations politiques différentes (le communisme, avec Ottwalt, l’intelligence libérale, avec Feuchtwanger, et la révolution conservatrice, avec Salomon) montrera que le système d’interprétation du fait juif et de l’antisémitisme conditionne le degré plus ou moins élevé de figuration des différents motifs juifs ou antisémites, et donc le découpage du complexe de faits romanesque.

Genia Lazar, juive, femme et communiste

6 Le roman de Ottwalt, Denn sie wissen, was sie tun, est l’un des plus violents réquisitoires contre la Klassenjustiz de Weimar et la caste des juges, dont la partialité évidente dans les procès est conditionnée par le « ressentiment ». Menacés dans leur position sociale et économique après la guerre, hantés par le spectre du déclassement (« Nous allons

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descendre au niveau de la canaille ! Quelle misère ! ») (92) ils organisent leur « défense » contre la République (« construire des digues contre le flot boueux de l’incroyance et de l’injustice » (29), celle qui a ébranlé leur position) et le prolétariat, accusé d’avoir détruit l’ordre social et corrompu les valeurs morales7.

7 Le roman décrit les stations de la carrière du juge Dickmann, en reconstituant l’enchaînement par lequel un homme médiocre, « produit de son éducation, de sa caste, du système » (ainsi que le définit Kurt Tucholsky dans sa recension du roman) est conditionné pour devenir un des rouages de la machine judiciaire qui écrase et qui tue. Impuissant à réfléchir ses déterminations économiques et sociales, otage du système, le personnage finit par s’adapter, au prix d’une insensibilisation progressive à toute conscience, morale et politique, et de quelques disfonctionnements, banalisés en troubles psychologiques8.

8 L’épisode de la liaison avec Genia Lazar, au centre du roman, coïncide avec la période de désorientation qui s’étend jusqu’à la fin des années de formation de Dickmann. Jeune juriste stagiaire, de bonne famille bourgeoise, militante communiste, Genia est intellectuellement et moralement supérieure à Dickmann, à qui elle donne une clé de compréhension de sa situation en termes de matérialisme historique. Elle exige de lui un engagement politique, sans croire qu’il en soit capable : « Tu n’as fait que perdre le courage d’être injuste, alors que tes amis, eux, ont ce courage » (213). Le départ de Dickmann, nommé juge assesseur dans un fief de la réaction, consacre le triomphe du milieu réactionnaire, mais la rupture n’a pas pour Genia de signification humiliante, et laisse ses convictions et le sens de son existence intacts.

9 Sans intérêt au plan psychologique ou dramatique, l’épisode figure la mise en accusation de la mentalité réactionnaire par la communiste, porte-parole de l’auteur, qui introduit donc le point de vue d’une intelligibilité supérieure. Au moment où Dickmann va basculer du côté de la réaction, elle explicite les conséquences de sa décision (rester dans le système, c’est se faire le complice de la répression et de l’injustice), dénonce ses faux-fuyants et démasque sa « personnalité autoritaire ».

10 La fonction essentielle du roman – l’éducation politique et l’appel à l’engagement – est donc confiée à un personnage de femme, juive et communiste, susceptible de faire apparaître par contraste le système de l’idéologie réactionnaire en suscitant une triple réaction de défense : antisémitisme, misogynie, anticommunisme. Elle est le porte- parole de la critique la plus violente de l’institution judiciaire9, relayée à la fin du roman par un avocat, juif lui aussi, qui prononce la dernière condamnation de la justice de classe, dans un contexte désormais acquis à la réaction. Cette image positive du juif militant pour la justice sociale s’accorde avec celles que donnent d’autres Justizromane de la République de Weimar. Le type de l’avocat juif militant, souvent isolé dans un milieu réactionnaire, est un topos de cette littérature.

11 Le personnage juif n’apparaît donc pas ici en tant que tel, mais comme représentant ou allié du communisme10. Genia Lazar ne se définit jamais en tant que femme, ou juive. De même, l’antisémitisme n’est pas dissocié ici de la mentalité réactionnaire, dont il est une composante au même titre que les sympathies monarchistes et la haine de la République, le ressentiment contre les ouvriers, l’anticommunisme, la misogynie11, la défense des « valeurs ». Expression de la réaction politique et sociale, figurée dans des types sociaux appartenant à des milieux tels que la haute magistrature, l’université, l’aristocratie des Junkers, il est entièrement réductible à l’anticommunisme, dont il est la manifestation inactuelle : l’ouvrier et le pauvre sont aujourd’hui pour le

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réactionnaire ce qu’était le juif, hier, pour l’antisémite12. Le modèle d’explication communiste, fonctionnant ici comme filtre, conditionne le découpage d’un complexe romanesque dans lequel ne trouvent pas place les thèmes proprement juifs, tels que l’identité juive, l’assimilation, et qui ne retient qu’un type d’antisémitisme, celui des milieux anticommunistes.

Siegbert Geyer dans la « foire aux vanités » de la justice bavaroise

12 Dans Erfolg, Feuchtwanger dépeint le triomphe de la réaction politique dans la Bavière des années 1921-1924, écartelée entre archaïsme et modernité. La multiplication des foyers de narration traduit le souci de composer un panorama d’époque, alors que Ottwalt, plus proche du reportage, limite son roman au découpage d’un Tatsachenkomplex : Erfolg est tout d’abord le Justizroman bavarois, pour lequel Feuchtwanger s’est inspiré librement de faits réels de la chronique judiciaire de l’époque13 ; par ailleurs, l’auteur a figuré sous des noms d’emprunt l’actualité politique de ces trois années, l’agitation de l’extrême-droite, favorisée par le gouvernement réactionnaire de Bavière, la constitution du parti nazi (les «Wahrhaft Deutsche» de Kutzner, alias Hitler) et le putsch manqué14 ; enfin la réflexion sur l’art et la place de l’intellectuel dans la société définit la perspective dominante à la fin du roman. La résolution des conflits de l’époque, toujours ouverts au plan politique, s’accomplit au niveau artistique, et donne à l’ensemble une conclusion apaisée.

13 Rattaché aux intrigues et aux dimensions essentielles du roman, l’avocat Siegbert Geyer, présent du début à la fin, est l’un des personnages les plus fortement caractérisés, mais, à la différence de tous les autres, c’est celui qui échoue le plus totalement. Trois contradictions fondamentales, insolubles pour lui, conditionnent sa déchéance finale :

14 – le droit contre la force : avocat de la défense, il s’oppose vainement à l’ordre établi et n’obtient pas la révision du procès. Par une ironie du sort, c’est un riche industriel qui marchande la relaxation du prisonnier ;

15 – la raison contre le sentiment : député social-démocrate, il ne peut faire une interpellation au Reichstag contre le scandale de la réaction en Bavière car son fils, impliqué dans un Fememord, et secrétaire des Wahrhaft Deutsche, l’a compromis avec lui, ruinant ainsi son crédit politique ;

16 – l’action contre la réflexion : son projet d’élaborer la théorie d’une réforme politique est abandonné au profit d’une action quotidienne obscure.

17 Ces contradictions se résument dans la dialectique entre les deux principes du pouvoir (Macht) et de l’esprit (Geist), qui s’incarne dans le conflit entre le ministre de la justice bavarois Otto Klenk et l’avocat Siegbert Geyer. Le contraste physique entre la vitalité d’Otto Klenk (Bavarois solide, bon vivant) et la fragilité de Geyer (l’intellectuel rongé par la nervosité) traduit l’inégalité du rapport de forces. L’opposition de l’avocat, cantonnée au discours et à la défense des principes, ne menace pas sérieusement le pouvoir en place. Mais Klenk, représentant d’une Realpolitik bornée et sans scrupules, a néanmoins sur Geyer une supériorité positive : sa connaissance des hommes, condition de son efficacité, alors que l’avocat, d’une lucidité supérieure, reste l’homme des abstractions. « Geyer comprenait quelque chose à la justice et à l’humanité, mais il ne

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comprenait rien à l’homme en particulier. Il n’était pas impossible que Klenk eût raison, ce qui remplissait l’avocat d’une rage impuissante » (153).

18 Le personnage de Siegbert Geyer incarne dans le roman la défaite de l’esprit. Alors qu’il jouait un rôle de premier plan au début du roman, il est, à la fin, réduit au silence et à l’insignifiance. Le pôle de l’esprit opposé à Klenk, retiré du pouvoir, est occupé désormais par le journaliste Tüverlin, qui, à l’inverse de Geyer, n’a pas émoussé les armes de l’esprit dans un combat vain contre la force, mais qui, sur la base de la foi en la raison, prédit la victoire morale de l’esprit dans l’histoire : « Les grands empires passent, un bon livre reste » (761). Avec Johanna Krain, la jeune femme enracinée dans le Land de Bavière, il attend que vienne le temps de l’histoire pour écrire des œuvres qui portent témoignage sur la réaction en Bavière. Tous deux incarnent donc une résolution esthétique du conflit entre les pôles du pouvoir et de l’esprit. La figure de l’avocat Siegbert Geyer n’est pas retenue dans ces œuvres, et elle est effacée des mémoires de Klenk. L’homme écartelé entre l’esprit et l’action a échoué à entrer dans l’histoire.

19 Tous les complexes d’intrigues tissant la trame du roman de Feuchtwanger sont rapportés à la présence centrale du Land de Bavière. L’enracinement, s’il est synonyme de conservatisme et de réaction, est aussi une forme d’identité, d’humanité, comme en témoignent la figure centrale de Johanna Krain, certains types bavarois positifs, et jusqu’au ministre de la justice Otto Klenk. L’intellectuel apatride Tüverlin conclut avec Johanna Krain une alliance symbolique, sans laquelle son œuvre resterait abstraite, intellectuelle, sans résonance.

20 Rattachée au thème central de l’identité bavaroise, la tragédie de Siegbert Geyer figure celle de l’exclusion du juif. Son impuissance à agir est conditionnée au départ par sa situation d’étranger. L’opposition Bavarois-étranger commande la présentation du juif comme conscience individuelle déchirée, tandis que l’antisémitisme est l’un des thèmes du discours de la haine de tout ce qui n’est pas assimilable à la réalité bavaroise. L’évolution du roman, avec les étapes de la réaction, ne fait que traduire dans les faits l’exclusion dont le principe est formulé au départ.

21 Une des premières scènes du roman rassemble dans une taverne populaire les personnalités de la scène politique et littéraire bavaroise (60-68). Dans un décor et une atmosphère « bonhomme » (bieder) et « populaire » (volkstümlich), les clivages politiques s’estompent devant la réalité de l’appartenance régionale. L’impression subjective de Geyer, qui se sent étranger à l’atmosphère bavaroise, et isolé même parmi ses amis politiques (« Malgré leurs discours socialistes, ils étaient pareillement englués dans la même idéologie paysanne »), est objectivée par un incident. Lorsque l’avocat critique les élucubrations pseudo-scientifiques d’un vieux professeur munichois sur les « lois biologiques » de Munich, il est immédiatement contredit par le ministre de la culture, qui, négligeant les objections de fond, défend vigoureusement la valeur sentimentale de l’œuvre, avec l’approbation tacite de tous. « Le ministre conclut, sur un ton doux et conciliant, que l’on ne pouvait en vouloir à monsieur le député Geyer de ne pas avoir vraiment le sens de ces choses-là. On n’était accessible à ces sentiments que lorsqu’on était enraciné dans ce sol » (67). C’est ce moment que choisit l’auteur pour évoquer les origines juives de l’avocat, la scène de la taverne agit comme révélateur de son identité juive.

22 L’opposition entre l’avocat juif et le ministre bavarois de la justice prend ainsi la forme de l’exclusion de l’étranger. Si, dans les rencontres de personne à personne, les origines

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juives de l’avocat ne sont pas mentionnées, l’antisémitisme est bien une composante de la mentalité de Otto Klenk. Dans une scène du roman, le ministre traverse sa région en voiture : Un car d’excursion confortable le dépasse… Il y a beaucoup d’étrangers qui passent maintenant par le pays… Il n’a rien, en soi, contre les étrangers. Possible que les Chinois soient les représentants d’une culture beaucoup plus ancienne et plus raffinée que les Bavarois. Mais lui, il préfère les Knödel et les saucisses aux ailerons de requin… Il n’a pas l’intention de se laisser bouffer par une culture étrangère… Il pensa soudain à l’avocat Geyer… Il mordit le tuyau de sa pipe. Celui-là, s’il l’a un jour au bout de son fusil, il en fera de la chair à pâté. Logique, droits de l’homme, unité du Reich, démocratie, XXe siècle, points de vue européens : du vent. Il souffle par ses lèvres serrées, gronde, tel un animal excité contre son ennemi. Comment ce Geyer qui fait l’important, qui brasse du vide, comment cet arriviste, ce porc de juif, peut-il comprendre ce qui est bien en Bavière et juste pour la Bavière ? Personne ne l’a appelé. Ici, personne ne veut être amélioré. Et quand un crétin pareil vient fourrer son nez, il réussit tout juste à faire tourner la bière. Le ministre est un homme intelligent, d’une grande science. Excellent juriste, issu d’une famille aisée, de tradition cultivée, qui depuis des générations fournit le pays en hauts fonctionnaires, connaissant l’homme et le bois dont il est fait, il pourrait naturellement, s’il le voulait, rendre justice à Geyer. Mais il ne songe pas à vouloir. (71-72)

23 Klenk se déchaîne contre l’avocat au moment où les cars de tourisme lui rappellent l’intrusion de la modernité. Mais les processus économiques, les étrangers, sont des entités abstraites et lointaines. L’avocat juif, lui, est l’adversaire désigné, vulnérable par son isolement. L’antisémitisme de Klenk est la réaction de légitime défense contre l’intrus menaçant l’intégrité de la Bavière. Tous les stéréotypes négatifs de l’idéologie conservatrice, anti-occidentaliste et anti-moderniste sont ici dénoncés comme manifestations de « l’esprit juif », avec une rare violence : la République et sa politique centralisatrice, l’universalité des principes de l'Aufklärung, le modernisme. Au nom de l’appartenance au Volksstamm bavarois, Klenk légitime l’exclusion a priori de celui qui ne peut se réclamer du même enracinement, comme il défend une politique fondée non pas sur des principes universels abstraits, mais sur le particularisme (la justice doit être « de la même étoffe que l’Etat lui-même »). Une phrase de Oswald Spengler illustre cette tonalité particulière de l’antisémitisme : « L’homme qui est lié à sa nation par toutes les fibres de son être a, en dernière analyse, un rôle positif d’affirmation, même là où il détruit ; celui qui, psychiquement, restera toujours un étranger détruit, même lorsqu’il voudrait faire œuvre constructive… L’esprit juif est porteur d’anéantissement, où qu’il intervienne15 ».

24 La tragédie familiale reprend au niveau individuel le motif de l’exclusion du juif dont il est victime au plan politique. Son fils, né d’une femme qui a refusé de l’épouser, élevé dans la haine de son père, s’engage aux côtés de Kutzner, et réussit ainsi à paralyser l’action politique de Geyer en le compromettant dans les crimes de l’extrême-droite. Il lui écrit ensuite : « Lui, E., ne pouvait pas s’imaginer que des gens aux idées si différentes puissent être du même sang. Malheureusement, il n’y avait fichtre pas beaucoup de moyens pour éclaircir définitivement cette question. Si, tout de même, il y en avait un… Et il exposait à Geyer le procédé du professeur Sangemeister de Königsberg, en l’exhortant à se soumettre à ce test sanguin » (631-632)16. Le reniement de son fils, puis sa mort dans le putsch manqué entraînent l’effondrement définitif de Siegbert Geyer, et son exil. La loque humaine que croise Otto Klenk à la fin n’est plus le brillant avocat, mais le juif traqué.

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25 Dans le rôle positif du défenseur des valeurs libérales, Geyer n’est pas différent du type de l’avocat juif des Justizromane de Weimar. Mais il n’est pas réductible à cette seule dimension. Feuchtwanger, lui-même juif assimilé, fort attaché au milieu bavarois, a figuré ici avec intensité la tragédie de l’assimilation, surdéterminée par une triple exclusion : Geyer est rejeté par le Volk bavarois, écarté du pouvoir, renié par son fils. Détaché du judaïsme, qui ne joue plus aucun rôle dans sa conscience individuelle, aspirant à l’enracinement en milieu allemand, il ne peut plus revendiquer sa différence comme identité positive, il la subit comme un stigmate qui le voue à l’exclusion. À quelques années de distance, la retraite de Geyer dans le sud de la France préfigure l’exil des juifs déchus de la citoyenneté allemande.

Schaffer, le juif nationaliste

26 Le roman de Ernst von Salomon tire son argument de deux expériences autobiographiques : l’activité militante au service de la cause paysanne17, et la fréquentation de milieux intellectuels berlinois, transposées dans l’itinéraire du journaliste Ive. Ancien combattant de la Première Guerre mondiale (« Sa patrie était le front ; sa famille, la compagnie ») (25), nostalgique de la camaraderie du front, il végète avant de devenir le journaliste de la cause paysanne au moment du procès de Neumünster, et part ensuite à Berlin pour y chercher des appuis politiques. Succédant au monde de la Ferme, incarnation de la vie organique et de l’enracinement, la Ville s’impose comme l’univers des idées, abâtardi et corrompu. Ive est emporté dans une dérive intellectualiste, sans ligne d’action concrète. La part proprement narrative se trouve réduite dans le roman au profit de la réflexion, ou de longs débats avec des interlocuteurs symboliques : l’activiste, l’intellectuel décadent, l’artiste, le représentant du pouvoir. En ce sens, Salomon, qui cherche à mettre idéalement en place le réseau des forces qui travaillent l’époque, ne fait pas œuvre réaliste18.

27 L’itinéraire de Ive, représentant la révolution conservatrice, figure une quête « romantique » de l’identité allemande, caractérisée par la démesure des aspirations spirituelles, et la violence saluée comme révolutionnaire. Déchiré entre la revendication de la liberté individuelle et le désir d’un ordre supérieur dans lequel il se fondrait entièrement, Ive figure la « conscience faustienne », qui ne trouve pas encore la possibilité historique de s’incarner dans la réalité19. La revendication d’un destin allemand se construit sur un double postulat : l’affirmation de la nation allemande comme « élément agissant originel » donne priorité à la vie sur la raison ; la notion de « peuple », conçue comme essentielle différence, s’oppose à l’homme en soi, et donc à la conception libérale dont les institutions républicaines ne sont que la caricature. Dans un contexte général de décadence, le mouvement paysan, spontané, est l’image de la mobilisation pour « défendre la vie elle-même au milieu des puanteurs de la décomposition » (61). Il représente un potentiel révolutionnaire qui peut être mis au service de l’idée nationale allemande, et doit être préservé contre les tentatives de récupération tant des communistes que des nazis.

28 La revendication d’une spécificité de la vocation allemande ne peut s’affirmer positivement que si elle se traduit concrètement par l’exclusion. Le discours sur la nation est donc, en même temps que l’invocation d’une essentielle et irréductible singularité, la légitimation d’un rejet. Dans ce système, le juif a pour fonction

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d’incarner le corps étranger, non-allemand, contre lequel se mobilise le défenseur de l’idée de nation.

29 Dans la première partie, sous le signe de la Ferme, le juif n’apparaît pas comme figure individuelle, mais l’antisémitisme est présent. Le cas de Grafenstolz, caricature du petit bourgeois paupérisé (« Malgré les efforts de Grafenstolz, tout allait de travers, et bientôt, il fut tout à fait convaincu que sa malchance était due aux machinations secrètes des juifs, des Jésuites et des Francs-Maçons ») (31), trouvant dans l’antisémitisme militant un exutoire à son ressentiment, permet essentiellement de démarquer l’attitude de Ive de « la bavarde activité des bouffons antisémites » (59).

30 La scène où Ive, parti avec un groupe de SA dans une tournée de propagande chez les paysans, lance à l’étudiant chargé d’exposer les buts du mouvement : « Mot d’ordre contre les intermédiaires » : L’étudiant rit, et déjà il attaquait le sujet. « Les intermédiaires juifs… » Ive l’entendit et il sourit. Lui aussi, dans le Peuple des Campagnes, avait écrit sur les intermédiaires juifs, il avait parlé comme les paysans, et les paysans avaient fait la découverte que dans les provinces du nord le commerce juif n’existait pas. (132 sq., c’est moi qui souligne)

31 montre que Ive sourit de la bêtise avec laquelle le jeune SA récite sa leçon antisémite, mais sans intervenir, dans le cadre d’une stratégie d’agitation.

32 L’antisémitisme de Ive est à caractère intellectuel, il est solidaire de ses positions théoriques sur la révolution conservatrice : Ive était antisémite naturellement, il l'était parce que c’était trop compliqué de ne pas l’être. Partout sur son chemin, il n’avait trouvé les juifs que comme ennemis. C’était une chose curieuse, mais qui ne l’inquiétait pas. Pour lui, leur infériorité était un fait. Leur attitude était inactuelle… Dans beaucoup de conversations, Ive avait pu constater… qu’ils ne pouvaient saisir les choses claires et naturelles ; par exemple, il n’avait jamais réussi à leur faire accepter la simple notion de la Ferme… ! Leur primauté indiscutable dans beaucoup de domaines, en particulier dans ceux du commerce, des arts, et de la presse, … lui semblait seulement conditionnée par le régime ; il fallait donc remplacer celui-ci par un nouveau régime, qui par le seul fait d’introduire une échelle de valeurs étrangères à la nature juive – cette échelle de valeurs s’annonçait partout et particulièrement dans la lutte des paysans – devait nécessairement amener la fin de cette primauté désagréable (59).

33 À la différence des réactionnaires, pour qui les juifs incarnent la menace de la modernité, Ive, militant de la révolution conservatrice, les voit comme représentants de l’inactualité du libéralisme. Dans l’Allemagne future, rendue à ses vraies valeurs par la révolution nationale, le libéralisme, corps étranger à sa nature, et avec lui, les juifs, sont voués à disparaître. La résolution du problème politique aura pour conséquence naturelle l’élimination de la présence juive. Le ton dépassionné de Ive, bien différent de l’invective réactionnaire, reflète son assurance, fondée sur une analyse de l’évolution historique en terme de nécessité objective.

34 Les données observables de la réalité sociologique (la faible présence des juifs en milieu rural, et leur établissement dans les grandes villes sous la République de Weimar) sont ici traduites dans un système de normes, qui valorise la Ferme (incarnation des valeurs de la révolution conservatrice, dont l’évidence relève de l’instinct) contre la Ville, domaine de l’activité juive (le commerce, les arts, la presse), intellectuelle et vénale. Deux des trois types juifs figurés dans la seconde partie du roman sont entièrement réductibles à ces stéréotypes négatifs : Salamander, au lendemain des élections

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triomphales pour le parti nazi, tremble pour son argent et sa personne, et le marchand d’art Jacobsohn est un personnage ignoble.

35 Seul le troisième, Schaffer, est un véritable interlocuteur de Ive, et surtout, bien différent du stéréotype du juif libéral, il est attaché au principe même d’une révolution conservatrice. Il joue un rôle-clé dans l’initiation intellectuelle de Ive, en l’introduisant dans son cercle hebdomadaire où se retrouvent des hommes de toutes tendances politiques pour débattre des problèmes du jour.

36 La discussion centrale entre les deux personnages, à l’occasion du succès électoral des nazis en septembre 1930 (140-159), montre les enjeux de l’affrontement. Schaffer tente de convaincre Ive de la sincérité de sa démarche et de proposer à son interlocuteur un credo minimum nationaliste qui formerait une base d’entente : négation du judaïsme comme forme dépassée du nationalisme, rejet de l’idéologie libérale, dénonciation de la pensée réductrice du communisme, affirmation du spirituel contre la pensée technique et le capitalisme, prophétie de la mission civilisatrice de l’Allemagne.

37 Or pour Ive, l’enjeu du débat n’est pas de dégager un consensus, mais de défendre une position usurpée par un intrus. Il commence par confiner Schaffer dans le domaine des idées, stérile, pour se réserver le sentiment, authentique, « l’appel absolu du sang » et la « conscience de race », propres à légitimer la violence terroriste. Devant les réticences de Schaffer, Ive le taxe de tiédeur et d’esthétisme, pour le renvoyer à la politique parlementaire « Pourquoi n’allez-vous pas au Reichstag ? ». Puis il procède par retranchements successifs :

38 – Lorsque Schaffer condamne le nazisme comme falsification de la révolution nationale : « On devrait arracher ce mot de nation des bouches insolentes de ces imbéciles ! », Ive, par ailleurs porté à mépriser le nazisme, lui dénie le droit de légiférer sur les affaires allemandes : « On devrait… mais qui vous donne le droit d’employer cette formule ? »

39 – Lorsque Schaffer analyse l’idée éthique du « socialisme » prussien, don de l’Allemagne au monde, Ive, invoquant la contradiction entre le socialisme et l’âme allemande, développe le thème de « l’attachement naturel…, essentiellement non-spirituel » à la nation, en particulier chez les paysans. La vocation allemande concrète est inséparable d’une terre, et donc inaccessible aux juifs qui, par leur histoire (« Le peuple juif n’a pas de terre »), se trouvent réduits à poser les principes du libéralisme (Schaffer a refusé l’épithète de libéral). Or, ceux-ci sont dangereux pour le peuple allemand « quand on lui a enlevé des terres, quand son existence même est en péril, quand il est vaincu partout excepté dans son noyau intime ».

40 – Il accuse donc Schaffer de se livrer à la « prostitution transcendantale » en proclamant une responsabilité universelle de l’Allemagne tant que celle-ci n’a pas retrouvé son intégrité terrtoriale et tant qu’elle vit dans l’aliénation des villes. La vocation de l’Allemagne doit être en conformité avec l’essence allemande, donc impérialiste, elle doit être définie par les Allemands eux-mêmes, et non par une « exigence juive », qui « ne peut jamais être valable pour nous (les Allemands) comme commandement primitif ». Le juif converti national se voit refuser le droit de parler de la vocation allemande, converti, il reste juif, et donc libéral à son corps défendant, il ne saurait être Allemand.

41 Le marquage de l’adversaire comme juif, le thème de l’antisémitisme interviennent aux moments cruciaux où Ive, cessant de respecter les lois du débat intellectuel, se

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comporte en militant agressif de sa cause. À la première attaque directe « Pourquoi n’allez-vous pas au Reichstag ? », Schaffer accuse une certaine lassitude et ferme les yeux, s’offrant sans défense à Ive, qui le regarde alors avec malaise et pitié (« Mais il a l’air très juif » : c’est la première mention explicite des origines juives de Schaffer). A l’attaque suivante, apparaît le terme d’antisémitisme, suggéré par Schaffer pour expliquer l’hostilité de Ive, mais récusé par celui-ci, qui prétend combattre le juif en tant que défenseur du bastion libéral. Lorsque Schaffer se disculpe de l’accusation de libéralisme et proclame son nationalisme, Ive, troublé malgré lui par sa sincérité, la dévalue parce « qu’elle n’avait pas de centre de gravité proprement dit ». C’est la base de sa grande tirade sur la différence allemande, qui lui permet d’invalider les prétentions du juif sans terre, reléguant l’antisémitisme au rang des problèmes politiques secondaires.

42 L’importance accordée à la figure de Schaffer permet de déceler une ambiguïté de la position de Ernst von Salomon. L’attitude de Ive à l’égard de Schaffer, faite de circonspection (« une amitié prudente » : notons que Schaffer, seul de tous les personnages qui entourent Ive, est exclu de la « camaraderie du front », seul lien authentique), d’estime réticente et d’hostilité fondamentale, est significative par son ambivalence même. Ive, visiblement préoccupé de rendre justice à Schaffer, lui accorde une nette supériorité intellectuelle (un « incomparable art de la discussion », nous sommes à la limite du stéréotype ; la description de la carrière de Schaffer révèle le même caractère tendancieux : c’est l’homme qui a bâti sa situation financière sur une idée publicitaire, niaise de surcroît) ; mais au nom de « la contradiction de leurs natures », il va jusqu’à soutenir des positions contraires à ses idées pour ne pas avoir à être d’accord avec Schaffer. Face à l’homme, Ive est visiblement mis en difficulté, et la reconnaissance forcée de la sincérité de son adversaire, voire peut-être la tentation de s’identifier à lui, le dispute un moment à l’hostilité de principe. Salomon ne se contente pas ici de l’expédient de la caricature antisémite (comme il est capable de le faire pour d’autres personnages dans le même roman), l’entretien essentiel entre Ive et Schaffer permet de fixer un point de vue sur le juif, ce qui pose immédiatement le problème de la figuration : nul doute que la tentation existe de faire de Schaffer un véritable personnage. Mais la logique de la révolution conservatrice (les juifs, inactuels, doivent disparaître) est menacée si le juif cesse de figurer l’entité abstraite, l’adversaire par nécessité historique, si une relation personnelle s’instaure. Ive est contraint de mobiliser toutes ses réserves idéologiques pour refouler ses réactions de sympathie ou de gêne ou leur donner un alibi théorique, et c’est cela qui empêche l’émergence d’un personnage20. La nécessaire construction du juif comme ennemi s’effectue au prix d’une lourde théorisation, et d’une réduction de l’adversaire à un portrait stéréotypé : Schaffer, subtil adversaire, qui se dit Allemand, nationaliste, prussien, antilibéral, est arbitrairement déclaré juif, non-allemand, libéral. Après cette scène, la figure de Schaffer, un moment proche, s’éloigne, et à la fin, il n’est plus différent des caricatures antisémites de Jacobsohn et de Salamander.

43 Ive se démarque de l’idéologie völkisch et nazie par le désaveu de l’antisémitisme comme programme, sa subordination à la perspective d’ensemble de la révolution conservatrice. On pourrait dire qu’il est anti-juif par système21, et non antisémite. Mais cette justification intellectuelle de l’attitude antijuive, corrélative de la banalisation de l’antisémitisme réel comme problème secondaire, à résoudre par les gouvernements futurs, occulte la reconnaissance d’une possible interaction entre les deux : l’intellectuel cautionne la démagogie antisémite, et son attitude pourrait bien

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emprunter un certain nombre de ses caractéristiques à l’antisémitisme le plus grossier. Salomon évacue le problème du juif et de l’antisémitisme, il ne le réfléchit pas. Il nie par système l’actualité d’une problématique dont il refuse de faire un thème de la conscience d’époque.

44 Ces trois portraits montrent qu’une synthèse de l’image du juif et de l’antisémitisme dans le Zeitroman de la République de Weimar pourrait se construire, non en déployant l’éventail des variantes ou des constantes du portrait « du » juif et de l’antisémitisme, mais en concentrant l’analyse sur quelques complexes représentatifs, où entrent en relation un type de juif correspondant à un type d’antisémitisme qui sont conditionnés l’un par l’autre dans la mesure où ils définissent une problématique homogène. Nous voudrions conclure en reprenant de manière synthétique trois complexes essentiels : – les facteurs socio-économiques : une domination de l’Allemagne par les juifs ? – les facteurs politiques et idéologiques : un pouvoir juif ? – le problème de l’assimilation : juif et Allemand ?

Les facteurs socio-économiques : une domination de l’Allemagne par les juifs ?

45 Le Zeitroman reflète une réalité socio-économique dont les traits saillants sont : l’absence des juifs en milieu agricole et leur implantation dans les grandes villes ; la proportion significative de juifs dans le secteur commercial, ainsi que dans les petites et moyennes entreprises ; enfin leur afflux vers les professions libérales. Mais du même coup, il prend acte du divorce entre la situation réelle des juifs, leur importance véritable dans la vie économique, et l’image mythique qu’en donne une propagande agressive.

46 L’antisémitisme économique est alimenté par quelques grands thèmes mobilisateurs (l’assimilation du juif au grand capital, le mythe du complot des juifs, des jésuites et des Francs-Maçons) qui fonctionnent comme slogans ou fantasmes individuels. Ce sont souvent les figures épisodiques de commerçants juifs qui cristallisent la haine populaire. Un nom à consonnance juive marquée peut servir de signal, comme celui du chapelier munichois Rothschild chez Feuchtwanger. L’antisémitisme peut même fonctionner en l’absence du juif réel (les « intermédiaires juifs » sont inexistants dans certains milieux paysans d’Allemagne du Nord). La figuration de cette variante de l’antisémitisme ne se prête pas, en tout cas, à l’émergence de types juifs, et parallèlement, d’antisémites fortement caractérisés : elle se borne à l’évocation d’une situation de déclassé, et à l’énumération de quelques clichés, dans une intention satirique.

47 Il y a un abîme entre les juifs réels et l’image mythique du juif omniprésent, incarnation démoniaque du pouvoir de l’argent, travaillant à ruiner l’Allemagne. Le déclin économique relatif des juifs durant cette période s’accorde mal avec les mythes de la propagande antisémite et infirme donc le stéréotype de la « domination » juive, même si l’antisémitisme, qui trouve un large écho dans des couches sociales prolétarisées, chez des individus marginalisés et déséquilibrés, contribue au maintien d’une réelle discrimination.

48 Mais du même coup, il semble que le thème juif, vu sous cet angle, s’épuise très vite dans le Zeitroman weimarien. La différence est très nette avec les romans de la période précédente, si l’on songe par exemple que le Soll und Haben de Gustav Freytag repose

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tout entier sur la peinture d’une évolution économique dans laquelle le juif joue un rôle négatif : Ehrenthal dépouille de ses biens le baron Rothsattel, symbole de la noblesse ancienne ruinée par le capitalisme naissant. La carrière exemplaire du héros bourgeois Wohlfahrt contraste avec l’enrichissement frauduleux du juif Itzig. Dans le Zeitroman de la République de Weimar, le juif n’incarne plus le péril économique qui menace la survie de couches sociales entières, mais le thème de l’antisémitisme économique, du même coup, ne se prête plus guère à la figuration, et devient marginal.

Les facteurs politiques et idéologiques : un pouvoir juif ?

49 En revanche, les bouleversements politiques qui accompagnent l’écroulement de l’empire et l’établissement de la République, l’instabilité du régime, favorisent l’émergence d’un thème nouveau. Le juif se profile comme l’adversaire idéologique et politique, le fossoyeur de l’ordre ancien. Le couple « allemand-juif » exemplaire n’est plus figuré, comme dans Soll und Haben, par l’opposition entre les valeurs de la naissance et celles de l’argent (Rothsattel-Ehrenthal), le travail honnête et l’usure (WohlfahrtItzig), mais par des antagonismes idéologiques et politiques : le juge réactionnaire et la communiste, le Bavarois particulariste et l’avocat social-démocrate, le militant de la révolution conservatrice et le juif « inactuel », agent de la décadence de l’Allemagne.

50 Le Zeitroman weimarien, qui enregistre l’insignifiance relative des juifs dans la vie économique, reflète, à des degrés divers, leur importance accrue dans la vie publique. Dans le domaine culturel et artistique, des figures épisodiques sont associées à la peinture des milieux décadents (pensons au marchand d’art Jacobsohn dans la Ville, symbole de la lubricité, du pouvoir de l’argent, de la corruption des valeurs créatrices). Mais là aussi, la prégnance des stéréotypes est trop forte pour favoriser la création de personnages.

51 C’est dans le domaine politique que l’on trouve les possibilités les plus grandes de figuration de ce thème, ce qui ne nous étonnera pas, vu l’importance de l’actualité politique dans le Zeitroman weimarien. Il apparaît que le stéréotype du « pouvoir juif », à l’égal du stéréotype de la « domination économique » des juifs sur l’Allemagne, est fort éloigné de la réalité observable. La plupart des auteurs, en effet, thématisent le triomphe de la réaction ou la montée d’un nouvel extrémisme, et la faible résonance tant des forces libérales que de la gauche radicale, où se retrouvent majoritairement les juifs (pensons à Genia Lazar dans la gauche militante et révolutionnaire, à Siegbert Geyer député social-démocrate) ; notons pourtant que le cas de Schaffer, nationaliste, illustre une variété qui est l’indice du degré d’assimilation des juifs allemands. Les personnages juifs incarnent de manière privilégiée la légalité républicaine, l’idéal de justice sociale, les valeurs libérales (même le juif nationaliste est combattu comme libéral !), le changement radical. Ce type de personnage juif est le plus souvent l’homme du discours, du plaidoyer, du débat intellectuel, jamais celui de la Realpolitik. Il lui manque la dimension d’un homme d’État, comme en témoigne son absence de prestance physique, opposée à la carrure des hommes qui détiennent la réalité du pouvoir (le ministre bavarois Klenk).

52 Le Zeitroman reflète l’explosion formidable de l’antisémitisme politique dont les thèmes majeurs se définissent au cours de la Première Guerre mondiale, relayant les motifs économiques et racistes, dominants à la fin du siècle dernier. Ce nouvel

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antisémitisme, fondé sur l’assimilation du juif à la nouvelle République et au bolchevisme, utilisé tant par les anciennes classes dirigeantes réactionnaires que par les courants nouveaux de l'extrême-droite, devient un moyen privilégié de manifester son hostilité au régime démocratique. Notons ici que les problèmes de figuration sont les mêmes que dans le cas de l’antisémitisme à dominante économique, et que l’importance de la satire (correspondant au point de vue de l’intelligence libérale discréditant la bêtise et la vulgarité de son adversaire) est peu propice à la compréhension de la dimension menaçante du phénomène.

Le problème de l’assimilation : juif et Allemand ?

53 À des degrés divers, le sort des personnages juifs qui figurent dans le Zeitroman weimarien est marqué par l’exclusion. Toutefois, la comparaison avec d’autres types sociaux rejetés ou marginalisés ferait apparaître la spécificité du fait juif. Qu’il s’agisse de chômeurs, d’intellectuels prolétarisés, de femmes déçues par l’émancipation, tous peuvent formuler, pour eux ou pour d’autres, la conscience d’un destin d’époque, et s’identifier ainsi comme type social. Le personnage juif est le seul qui ne puisse pas parler avec d’autres de sa condition d’exclu, et ne trouve dans aucun personnage le reflet d’une expérience semblable de discrimination. Il en résulte une difficulté essentielle à se définir lui-même et à se percevoir comme juif.

54 La solitude du personnage juif dans le Zeitroman est conditionnée par l’absence d’un environnement traduisant la permanence de références juives. À la différence des romans de la période précédente, qui montrent le juif dans son milieu familial (la famille Ehrenthal dans Soll und Haben), le personnage du Zeitroman weimarien est le type du juif assimilé, qui se caractérise par la rupture avec le judaïsme comme insertion dans une communauté familiale et religieuse. On comparera sur ce point précis l’itinéraire du juif Süß avec celui de types sociaux tels que Siebgert Geyer. La disparition de l’environnement juif n’a pas pour contrepartie la réalité d’un enracinement allemand. Schaffer, renonçant à l’idée nationale juive pour épouser celle de la mission éthique de l’Allemagne, est rejeté du côté du libéralisme, sous-produit d’un judaïsme privé de « terre ». Seules des circonstances tragiques, telles que la proximité de la mort, permettent aux personnages de ressaisir un fragment de leur identité juive, encore est-ce moins la réappropriation positive d’une tradition vivante que le constat d’un échec. La rupture se consomme entre judéité et judaïsme.

55 Du fait que la République de Weimar crée, du moins en théorie, les conditions de l’assimilation définitive, l’image du juif que réfracte le Zeitroman se normalise. Le juif allemand tend à se définir par son rôle et son engagement, et non plus au premier chef par ses origines juives. Il n’est plus figuré comme un criminel ou un parvenu, il n’est plus le personnage uniment noir des romans du siècle précédent. Il peut être présenté et perçu par le lecteur (à défaut d’être tel aux yeux d’autres personnages dans le roman) comme une figure positive. Un indice sûr de cette évolution dans la figuration du juif est la tendance à la régression des stéréotypes dans la caractérisation, physique en particulier. Mais la faiblesse de la tradition libérale à laquelle il doit son intégration dans la société allemande, la permanence des préjugés antisémites hérités de l'époque précédente, la mobilisation de la réaction et de l'extrême-droite, recréent les conditions d’une discrimination réelle, ce qui se traduit par la difficulté de figurer le thème juif. Malgré tout, le Zeitroman weimarien, en restituant une perspective

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contemporaine sans correction ni ajustement a posteriori, nous invite à ne pas réduire la complexe réalité de Weimar à une dérive vers l’époque nazie.

BIBLIOGRAPHIE

Nous citons les ouvrages étudiés d’après l’édition suivante :

Ottwalt Ernst : Denn sie wissen, was sie tun. Ein deutscher Justizroman, Berlin, Verlag europäische ideen, 1977 (reprint de la lre édition, Berlin, 1931).

Feuchtwanger Lion : Erfolg, Francfort/M ; Fischer TB, 1983 (lre édition, Berlin, 1930).

Salomon Ernst von : La Ville, traduction française de N. Guterman, Paris, 1933 (lère édition, Die Stadt, Berlin, 1932).

NOTES

1. – Cf. le livre de Pierre Angel, Le personnage juif dans le roman allemand, 1855-1915. La racine littéraire de l’antisémitisme outre-Rhin, Paris, 1973. Cet ouvrage a été le premier, en France, à montrer l’intérêt d’une étude de l’image littéraire du juif. A partir de romans écrits durant la période critique qui voit la percée de l’antisémitisme et sa constitution en parti politique influent, il met en évidence la distorsion par laquelle le juif imaginaire se substitue au juif réel et l’interprète comme indice et véhicule de la mentalité antisémite que ces œuvres ont contribué à diffuser et à fixer dans ses grands traits. 2. – H.A. Winkler, «Die Deutsche Gesellschaft der Weimarer Republik und der Antisemitismus» in Die Juden als Minderheit in der Geschichte, éd. par B. Martin & E. Schulin, dtv, 1982. 3. – Sur ce point, on se rapportera par exemple à l’analyse de Donald Niewyk, The Jews in Weimar Germany, Manchester, 1980. 4. – On ne s’étendra pas ici sur la « conscience d’époque » propre à la République de Weimar, suffisamment connue maintenant, notamment par les travaux du Groupe de Recherches sur la Culture de Weimar, dirigé par Gérard Raulet, auxquels nous renvoyons. Il faudrait examiner dans le détail les remaniements du genre du Zeitroman entraînés par l’émergence d’une conscience d’époque essentiellement négative. 5. – Le Zeitroman est bien cependant une « forme de narration historique » (cf. Die Deutsche Literatur in der Weimarer Republik, éd. par Wolfgang Rothe, Stuttgart, Reclam, 1974). 6. – Dans le travail magistral qu’il a consacré à l’étude du roman historique, Georg Lukacs relève la difficulté d’auteurs tels que Heinrich Mann et Feuchtwanger à figurer des personnages concrets et vivants dans le cadre de ce genre, devenu, à l’époque de Weimar, le véhicule de thèses morales et philosophiques. 7. – L’œuvre reproduit les conclusions de l’analyse sociologique du social-démocrate Ernst Fraenkel, Zur Soziologie der Klassenjustiz, Berlin, 1927. 8. – En ce sens, on pourrait définir l’itinéraire de Dickmann comme anti-Bildungsroman. La comparaison avec Der Untertan nous semble s’imposer. 9. – Le point culminant du roman coïncide avec le «Leipziger Bluturteil», à l’issue du procès de la Tcheka. Sur la dénonciation de l’institution judiciaire dans la littérature de la République de

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Weimar, on se reportera à l’ouvrage de Klaus Petersen, Literatur und Justiz in der Weimarer Republik, Stuttgart, 1988. 10. – Nous ne développerons pas ici davantage les raisons de ces affinités électives entre les juifs et les forces de gauche. Nous renvoyons sur ce point à l’ouvrage de Michael Löwy, Rédemption et utopie. Le judaïsme libertaire en Europe centrale, Paris, 1988. 11. – Que la misogynie soit bien un constituant de la mentalité réactionnaire, ressort à l’évidence du livre de Klaus Theweleit, Männerphantasien. L’étude de Rita Thalmann, Etre femme sous le Troisième Reich (Paris, 1982) montre qu’à l’époque suivante, l’assujettissement de la femme à la domination du mâle est un des aspects essentiels de la doctrine et de la politique des nazis. 12. – Deux variantes de l’antisémitisme, qui ne sont pas retenues par l’analyse marxiste, sont en revanche fort bien perçues par l’écrivain libéral : celui que l’on trouve en milieu populaire (chez Fallada, par exemple, un sentiment anti-juif diffus) ou celui qui serait rendu possible par le communisme lui-même, qui assimile le juif au grand capital (cf. les scènes de la révolution spartakiste chez Hermann Glaeser). Cela dit, le thème juif est totalement absent des romans prolétariens. La lucidité d’Ottwalt est à mettre en rapport avec son expérience des milieux réactionnaires, thématisée dans le roman Ruhe und Ordnung, Berlin, 1929. 13. – Entre autres, l’existence des Volksgerichte bavarois, qui se signalent dans la répression de la gauche, et le scandale des conditions de détention, d’après les récits autobiographiques de Max Hoelz, Erich Mühsam, Ernst Toller. 14. – Cf. Synnöve Clason, Die Welt erklären. Geschichte und Fiktion in Lion Feuchtwangers Roman « Erfolg», Stockholm, 1975. 15. – Cité par Pierre Vaydat dans « L’antisémitisme de la Révolution conservatrice » (in Annales du C.E.S.E.R.E., 1980, p. 72), auquel nous renvoyons pour l’analyse approfondie des variantes de l’antisémitisme dans les différents courants qui se rattachent à la Révolution conservatrice. 16. – On aura reconnu ici la polémique contre les théoriciens du racisme. La « Königsberger Blutsprobe » fait penser aux expériences du médecin Gsell, par exemple. Cet antisémitisme biologique sous-tend le roman de Arthur Dinter, Die Sünde wider das Blut (Leipzig, 1918). 17. – Le « Landvolkbewegung » s’est développé dans le Schleswig-Holstein à partir de 1929, dans un contexte marqué par les difficultés économiques, en réaction à l’imposition du gouvernement. Les épisodes de ce conflit ont été repris par Fallada dans son roman Bauern, Bonzen und Bomben, à projet nettement réaliste. 18. – Si l’on s’en tient à la définition du Zeitroman comme œuvre dont l’enjeu est la lisibilité de l’époque, l’ensemble des personnages figurant les multiples aspects d’une conscience d’époque vécue au niveau de la confusion, on n’hésitera pas à rattacher La Ville à ce genre, bien que l’on ne puisse plus guère parler d’action romanesque dans la seconde partie. 19. – Le terme est emprunté à Oswald Spengler, dont on peut retrouver les idées directrices (dans Prussianité et Socialisme, de 1919, par exemple) dans le discours de Ive. 20. – On relèvera la similitude du traitement de la figure de Rathenau dans Die Geächteten : contraint de rendre justice à l’homme d’Etat (« ce pathos était authentique »), le narrateur ne peut que le mettre à distance pour éviter le piège de la sympathie, de l’admiration, de l’identification possible à un juif. 21. – La possibilité d’une amitié entre un représentant de la droite nationaliste et un juif est illustrée par la relation entre Léo et Konrad dans L’ami retrouvé de Fred Uhlmann. Au moment du départ de Léo en 1933, Konrad exprime sa tristesse qu’il n’y ait pas, momentanément, de place pour les juifs dans l’Allemagne nouvelle, et son espoir de voir son ami revenir plus tard.

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RÉSUMÉS

La représentation d’une réalité juive normalisée, diversifiée, dans le Zeitro man de la République de Weimar, contraste fortement avec le portrait caricatural « du » juif démoniaque, marqué par les stéréotypes de l’antisémitisme économique, omniprésent dans les romans de l’époque précédente. On peut s’étonner cependant de la place assez réduite qu’occupe le thème juif dans ces œuvres. En conséquence, nous envisagerons ici l’image du juif et de l’antisémite moins sous l’aspect de la vérité documentaire que sous celui de la figuration littéraire. Nous indiquerons au passage l’importance du genre comme cadre de figuration en démarquant le roman d’époque, qui figure l’actualité dans sa dimension problématique, non encore résolue, du roman historique. L’analyse de trois personnages juifs dans leur contexte romanesque (Ottwalt: Denn sie wissen, was sie tun; Feuchtwanger: Erfolg; Salomon: Die Stadt) permet de voir l’importance croissante des motifs politiques, et nous amène à constater qu’il n’y a pas « le » juif, ou « l' » antisemitisme, mais que la construction d’un « complexe de faits » juif dans le roman s’opère en fonction d’une perspective idéologique donnée, qui conditionne le degré de figuration des motifs juifs particuliers, et leur organisation dans un cadre d’interprétation.

Im Gegensatz zum dämonisierten, von wirtschaftlichen Stereotypen geprägten Zerrbild «des» Juden, charakteristisch für die Romane der vorausgehenden Epoche, dokumentiert der Zeitroman der Weimarer Republik eine weitgehende Normalisierung und Differenzierung des Judenbildes. Erstaunlicherweise nimmt aber das jüdische Thema im Zeitroman der Weimarer Republik einen eher geringen Platz ein. Wir wollen also das Bild des Juden und des Antisemiten hier weniger auf seinen dokumentarischen Wert hin prüfen, als vielmehr im Hinblick auf die Frage seiner literarischen Gestaltung untersuchen. Dabei wird die Bedeutung des Genres als Gestaltungsrahmen angedeutet; in dieser Hinsicht wird der Zeitroman, der sich mit der Aktualität als ungelöster Problematik befaßt, gegen den zeitgenössischen historischen Roman abgegrenzt. Die Analyse von drei jüdischen Figuren in ihrem jeweiligen Romankontext (Ottwalts Denn sie wissen, was sie tun; Feuchtwangers Erfolg; Salomons Roman Die Stadt), die der wachsenden Rolle der politischen Motive Rechnung trägt, soll darauf hinweisen, daß es nicht «den» Juden oder «den» Antisemitismus gibt. Die Gestaltung eines jüdischen «Tatsachenkomplexes» im Roman erfolgt nach einer ideologisch bedingten Perspektive, was die Hervorhebung bzw. Unterschätzung der einzelnen jüdischen Motive und ihre Organisation in einem Deutungsrahmen bestimmt.

AUTEUR

ANNE LAGNY Université Charles de Gaulle – Lille III

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Sachliche Romantik Verzaubernde Entzauberung in Erich Kästners früher Lyrik Le romantisme dépassionné de la Nouvelle Objectivité : la poésie de la dépoétisation dans le lyrisme du jeune Kastner

Carl Pietzcker

1 1929 erschien «Lärm im Spiegel», Kästners zweiter Lyrikband. Das Eingangsgedicht schlägt den Ton an: Sachliche Romanze1

Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen: sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden. Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter, versuchten Küsse, als ob nichts sei, und sahen sich an und wußten nicht weiter. Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken. Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken. Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen. Am Abend saßen sie immer noch dort. Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen.

2 «Sachliche Romanze» – ein Lyrikprogramm in der Nußschale: In (Neuer) Sachlichkeit soll eine Tradition fortgeführt und so vielleicht auch zerstört werden, die spätestens Heine mit den «Romanzen» seines «Buchs der Lieder» gestiftet hatte. Das waren nicht mehr jene von Herder und den Romantikern eingedeutschten trochäischen Achtsilbler

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spanisch-katholischen Inhalts, sondern Verserzählungen im Volkston. Sie umspielten klagend Leiden der Liebe – gelegentlich sogar in trochäischen Achtsilblern: Allen thut es weh im Herzen, Die den bleichen Knaben sehn, Dem die Leiden, dem die Schmerzen Auf’s Gesicht geschrieben stehn.2

3 Auch bei Kästner «thut es weh im Herzen», doch «die Schmerzen» «stehn» nicht mehr «auf’s Gesicht geschrieben»; sie verbergen sich hinter der Maske eines sachlichen Großstädters, hinter seiner kühl-journalistischen Sprache. «Leiden» und distanzierte Gleichgültigkeit, «Romanze» und Sachlichkeit treten einander gegenüber.

4 Gehn wir zunächst auf die eine Seite dieses Widerspruchs, auf die der «Romanzen» Heines. Ihre vierzehnte ist die Wasserfahrt3

Ich stand gelehnet an den Mast, Und zählte jede Welle. Ade! mein schönes Vaterland! Mein Schiff, das segelt schnelle!

Ich kam schön Liebchens Haus vorbei, Die Fensterscheiben blinken; Ich guck’ mir fast die Augen aus, Doch will mir niemand winken.

Ihr Thränen bleibt mir aus dem Aug’, Daß ich nicht dunkel sehe. Mein krankes Herze, brich mir nicht Vor allzugroßem Wehe.

5 Drei leicht eingängige, gleichgebaute vierzeilige Strophen in regelmäßigen Jamben; zugleich drei mühelos überschaubare Szenen: Das Ich am Mast, die Heimat verlassend, Abschied; die Fahrt vorbei am Haus der Geliebten, sie winkt nicht, Enttäuschung; die Selbstermahnung des leidenden Ich, «Wehe». Den Lesenden tritt im balladesken Rollenlied ein männliches Ich gegenüber, erzählt ihnen aus epischer Distanz eine Szene seiner Vergangenheit (I, 1-2). Schon bald aber (I, 3/4) wechselt es ins Präsens und spricht aus dieser Szene heraus. So laden Zeiten- und Perspektivwechsel die Lesenden, die eben noch von außen und vom Ich getrennt auf jene Szene schauten, ein, sie von innen zu erfahren: aus der Perspektive des vergangenen Ich. Doch schon der Beginn der nächsten Strophe schiebt sie wieder nach außen: Das Ich geht zu seiner Fahrt auf epische Distanz (II, 1). Die löst es freilich schnell wieder auf (II, 2), vergegenwärtigt die Situation abermals von innen. Auch die Lesenden können sie nun von innen mit den Augen des damaligen Ich erfahren, aber auch von außen mit ihren eigenen. Jetzt freilich (III) entfernt sich das Ich ganz aus Vergangenheit und äußerer Situation, wendet sich seinen Gefühlen, seinem Inneren zu und scheint in unmittelbarer Gegenwart aufzugehen: Aus der Erzählung ist ein innerseelisches Drama geworden. Die Lesenden sind eingeladen, in ihm mitzuspielen.

6 Durch die Erzählung in die Situation des Abschieds eingeführt (I), erfahren die Lesenden ihrerseits die Enttäuschung des Liebenden (II); so können sie das deutlich benannte «Wehe» (III) emotional mitvollziehen, am Kampf gegen es teilhaben und es dadurch nur umso schmerzlicher spüren. Vergangenheit und Gegenwart, sprechendes

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Ich und Leser bzw. Leserin sind nun im Liebesschmerz vereint. Da sie alle aber auch voneinander getrennt sind, können sich die Lesenden nun zu jenen schmerzlichen Gefühlen, die sie ins Gedicht einströmen lassen, auch von außen verhalten: Sie sind ihnen nicht ausgeliefert. So können sie sich der Verzauberung hingeben und sie dennoch genießen. Als eine Kunstwelt, die deutlich vom Alltag geschieden ist, unterstützt das Gedicht solche Verzauberung. Es grenzt sich durch sein Metrum aus, durch eine dem Alltag enthobene Kunstsprache («gelehnet»), in der volkstümliche Wendungen («guck’ mir fast die Augen aus») einen naiven Ton mitklingen lassen, durch ein romantisches («schön Liebchen») und althergebrachtes (Lebensschiff) Motivinventar und durch Situationen fern gesellschaftlicher Konkretion, in denen nur selten die zivilisatorische Gegenwart («Fensterscheiben») aufblinkt. So aus ihren konkreten Lebenssituationen entfernt und dennoch vorsichtig an sie erinnert, können die Lesenden sich poetisch verzaubern lassen und aus dem gedichteten Liebesleid den bitter-süßen Honig leidgetränkten Selbstgenusses ziehen.

7 Soweit zu Heines «Romanze». Nun zu Kästners «Sachlicher Romanze». – Verzauberung löst sich auf: Einem Paar kommt die «Liebe» «abhanden» (I); sie mühen sich, dies zu überspielen, wissen bald nicht weiter (II), suchen sich in ihren vorgegebenen Tagesablauf zu retten (III). Doch das erweist sich als nutzlos; schweigend sitzen sie in einer Welt, die des Liebeszaubers beraubt ist, und können es «einfach nicht fassen» (IV). Auch die Lesenden lassen sich nur schwer noch verzaubern; eine aus ihrem Alltag ausgegrenzte Kunstwelt wird ihnen verweigert. Ja mehr noch, das Gedicht führt sie in geschäftsmäßig lässiger Sprache an einen konkreten Ort ihrer zivilisatorischen Gegenwart: ins Café. Falls sie eine «Romanze» erwarten, werden nun auch sie enttäuscht, nicht nur das Paar. Sachlichkeit entzaubert die «Romanze». Doch sie rettet sie auch hinüber in die großstädtische Gegenwart. Ihre nüchterne Härte läßt spüren, was nicht ausgesprochen wird: den Schmerz der beiden. Den können die Lesenden nun dennoch fühlen – und in ihm ihren eigenen. Die durchgehend gereimten Strophen schaffen ja auch hier, selbst wenn sie nicht mehr so eingängig und gleichmäßig gebaut sind, einen ausgegrenzten Kunstraum, in dem sich Schmerz genießen läßt, sogar noch der durch Entzauberung. So tritt jene Sachlichkeit, welche die «Romanze» zerstört, doch auch in deren Dienst – wie umgekehrt die «Romanze» der Sachlichkeit dient und deren Emotionalität spüren läßt: die dem Schmerz abgerungene Härte. So greift sie Sachlichkeit aber auch an.

8 Selbst hiermit steht Kästner noch in der Nachfolge Heines. Der hatte lyrische Verzauberung immer wieder durch Ironie, ja Sachlichkeit gestört:

9 Wir haben viel für einander gefühlt, Und dennoch uns gar vortrefflich vertragen. Wir haben oft «Mann und Frau» gespielt Und dennoch uns nicht gerauft und geschlagen. Wir haben zusammen gejauchzt und gescherzt, Und zärtlich uns geküßt und geherzt. Wir haben am Ende, aus kindischer Lust, «Verstecken» gespielt in Wäldern und Gründen, Und haben uns so zu verstecken gewußt, Daß wir uns nimmermehr wiederfinden4.

10 Auch hier also sachliches, entzaubernd-verzauberndes Sprechen von verlorener Liebe. Anderswo finden wir bei Heine sogar eine Folie zur letzten Strophe der «Sachlichen Romanze»:

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Sie saßen und tranken am Theetisch, Und sprachen von Liebe viel. Die Herren, die waren ästhetisch, Die Damen von zartem Gefühl.

Die Liebe muß seyn platonisch, Der dürre Hof rat sprach. Die Hof rätin lächelt ironisch, Und dennoch seufzet sie: Ach!5

11 An die Stelle geselliger Geschwätzigkeit am «Theetisch» tritt einsame Stummheit im «Café», an die des Sprechens über ungelebte Liebe Schweigen angesichts verlorener.

***

12 Doch schauen wir genauer: Als sie einander acht Jahre kannten (und man darf sagen: sie kannten sich gut), kam ihre Liebe plötzlich abhanden. Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

13 Aus epischer Distanz berichtet ein Dritter, was den beiden geschah, nicht aber ihm. Von außen blickt er auf Vergangenes, eine Innenperspektive kennt er nicht. Wie in einen Guckkasten schaut er beobachtend auf die Figuren; allenfalls kommentiert er später dann ihr Verhalten: «Sie waren traurig». Als fühlendes Ich gibt er sich nicht zu erkennen, ja nicht einmal offen als sprechendes: «man darf sagen». Das muß genügen. Dennoch ist das Ich im gelassen eleganten Gestus eines Conferenciers und in dessen einfachgenauer Sprache zu spüren. Dieser Conferencier wendet sich an seine Zuhörer beinahe wie in einem Theaterstück eine Figur, die das Spiel verläßt und die Zuschauer anspricht: «(und man darf sagen: sie kannten sich gut)». Eine Klammer in einem Gedicht! Kaum hat die lyrische Rede begonnen, wird sie unterbrochen: Vom Sprechen über die Sache – das Paar –, wechselt das Ich zu dem über angemessenen Ausdruck. Sprecher, Sprache und Sache treten auseinander. Mehr noch: Der Sprecher wendet sich an seine Zuhörer und rechtfertigt sich vor ihnen («man darf»); hierdurch treten auch sie ihm deutlicher gegenüber. Eine Kommunikationsszene entsteht, in der sich der Sprechende zur Sache, zur Sprache und zum Zuhörer verhält. Der schaut nun mit ihm als Vierter auf die beiden Figuren, wie der Zuhörer eines Bänkellieds auf die gemalten Figuren, die der Sänger ihm zeigt. Das Gedicht vom Abhandenkommen der Liebe – und Liebe war in den «Romanzen» ein Traum von unmittelbarer Einheit – dieses Gedicht lädt seine Leser zu einer Kommunikation ein, in der unmittelbare Einheit sich nicht erfahren läßt, wohl aber deutliche Trennung.

14 Die Liebe der beiden lockt nicht mit dem Zauber gefühlter Unmittelbarkeit. Am Anfang steht die Zahl: «Als sie einander acht Jahre kannten» – Quantität, nicht Qualität; genaue, inhaltswie gefühlsleere Zeitangabe, nicht einmalige Geschichte und umfassendes Gefühl individuell erfahrener Liebe6. Sie «kannten» einander, waren Bekannte, auf Abstand, nicht aber in Liebe vereint. Doch, «man darf sagen: sie kannten sich gut» – einen dezente Andeutung: «Sie waren intime Bekannte; von Bindung wollen wir nicht reden. Jeder lebte für sich». Da wirkt es fast provozierend, wenn schließlich doch das Wort «Liebe» fällt. Kann das noch jene umfassende Erfahrung romantischer Phantasien sein? Oder hatte «Liebe» sich zuvor hinter Understatement verborgen? Bricht nun nach erfüllter Zeit «plötzlich» Ernüchterung durch, das Bewußtsein, daß

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aufhörte, was unbemerkt vielleicht lange schon zerfiel ? Jetzt erscheint diese «Liebe» freilich wie ein Ding7: Sie kam «abhanden. Wie […] ein Stock oder Hut»; verdinglicht, von den Personen getrennt. Zu ihrem Ende führte nicht schuldhafte Tat, nicht Untreue oder Bosheit; es unterlief wie der Verlust eines Gebrauchsgegenstands, den man zerstreut liegen oder hängen läßt: einen «Stock», diese «Liebe», oder einen «Hut». Beliebig wie solche «Liebe» sind auch die Liebenden, ohne Individualität, eben «Leute» unter «andern Leuten».

15 Von Ihrer «Liebe» getrennt, flüchten sie in Liebesgesten, um das Verlorene neu zu beleben. Mit diesen von Gefühl entleerten Gesten gehen sie um wie Turner mit ihren Übungen, wie Techniker, die versuchen, ihre Maschine wieder in Gang zu setzen. Doch schon bald «wissen sie nicht weiter»; wie der Techniker auf seinen Apparat oder wie der Schüler auf eine schwierige Mathematikaufgabe blicken sie ratlos auf das leblose Räderwerk ihrer «Liebe»: Sie waren traurig, betrugen sich heiter, versuchten Küsse, als ob nichts sei, und sahen sich an und wußten nicht weiter. Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

16 Ihre «Liebe» kam zwar «abhanden», doch noch fühlen sie gemeinsam: «Sie waren traurig». Gemeinsam versuchen sie den Verlust zu vertuschen, ja zu beheben; noch im Scheitern bleiben sie einander zugewandt – «sahen sich an» –, selbst dann noch, als sie «nicht mehr weiter» wissen. Diese stumme Einheit in der Erfahrung abgestorbener Einheit ist kaum auszuhalten. Doch «schließlich», endlich zerfällt sie: Das Paar spaltet sich nach geschlechtsspezifischem Verhalten: «Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei». Nun sind sie getrennt; sie weint in sich hinein, er steht stumm und schaut zum Fenster hinaus.

17 Über drei Zeilen hinweg hatte ein einziger Satz in die Ratlosigkeit geführt; die beiden ersten Zeilen noch «heiter» – lässig, jede in sich selbst geteilt, präzis formulierte Kurzsätze reihend und mit ihnen je eine einprägsam in sich geschlossene Vorstellung. Die dritte Zeile dann gedehnt, über die Zäsur hinwegdrängend; Stauung, Ratlosigkeit, Pause. Nun die letzte Zeile; mit einer gedehnten ersten und einer betonten zweiten Silbe bringt sie aufatmend die Erlösung: «Da weinte sie schließlich». Punkt, Zäsur; der letzte Satz steht «dabei». Durch das Reimwort jedoch bezieht er sich auf die zweite Zeile zurück, steht nicht nur «dabei»: So sehr dieses Sprechen Trennung von Einheit erfahren läßt, es stellt Einheit auch her. Der Rhythmus des Sprechens malt das Geschehen, die Sache also; und das Reimwort läßt dieses Sprechen sich zu einem eigenen Reich schließen.

18 So ist die Entzauberung poetisiert. Doch sie bleibt Entzauberung: Beobachtend blickt das sprechend Ich von außen auf die Figuren, fühlt sich nicht in sie ein, teilt kaum mit, was in ihnen vorgeht, und reiht Einzelbeobachtungen sichtbaren Verhaltens, ohne sie zu verbinden8: «betrugen sich heiter», «sahen sich an», «Und er stand dabei». Das wird sich fortsetzen: «Er sagte» oder sie «rührten in ihren Tassen». So bleibt den Lesenden der Zauber unmittelbarer Einheit dennoch verwehrt.

19 In der dritten Strophe suchen die Liebenden ihrer Hilflosigkeit zu entkommen: Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken. Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken. Nebenan übte ein Mensch Klavier.

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20 Wer konnte winken? Er oder sie? Beide? Das Ich? – «man», sie alle und jeder andere auch. Sachlich, kurz und ohne Begründungszusammenhang gibt das Ich eine Ortsbeschreibung. Die Lesenden können vermuten, daß der Mann, während er «dabeistand», hinausschaute, vielleicht auch dachte, er könne «winken». Lesend blickten sie so ins Innere der Figur und mit ihr hinaus. Doch der Satz verschließt seine Bedeutung; dafür öffnet er den Assoziationen der Lesenden freien Raum: Auf einem Schiff könnte man ins Weite fliehen und sich nachwinken lassen. Man könnte aber auch selbst winken, die Situation der «Wasserfahrt» also umkehren: Mein Schiff, das segelt schnelle!

Ich kam schön Liebchens Haus vorbei, Die Fensterscheiben blinken; Ich guck’ mir fast die Augen aus, Doch will mir niemand winken.

21 Erinnerung an so besungenes Liebesleid könnte aufkommen; winkend ließe es sich womöglich heilen. Heines «Fensterschau»9 müßte nicht mehr zu «Liebesharm» führen. Doch das sind Träume eines «Romanzen»-Lesers, zu denen solch eine Leerstelle verlockt.

22 Die nächste Zeile – «Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier» – läßt die Lesenden vermuten, daß jener Mann solchen Träumereien nachhing; denn nun sucht er Halt an der genau geregelten Zeit, an einem Gefühlen und Träumen Äußeren also. Damit würde die Flucht aus der Ratlosigkeit sich fortsetzen: «Sie wußten nicht weiter», «schließlich» «weinte sie», wenigstens geschieht irgendetwas; er steht «dabei», schaut von ihr weg durchs Fenster nach draußen und träumt in sich hinein von romantischer Flucht oder Einheit. Doch kaum lockt die «Romanzen» -Lösung, wird er sachlich auf seiner Flucht, sucht ein Drittes, die Uhr. Die von allem Lebensinhalt, von aller Qualität freie Quantität («Viertel nach Vier»), die vorgegebene Ordnung eines nichtindividuellen Tageslaufs wird zum neuen Halt. Sie fordert angemessenes Verhalten: «und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken» – «irgendwo», nicht im unbestimmt-freien Irgendwo der «Romanzen», sondern im beliebigen der Großstadt; Hauptsache, die beiden müssen sich nicht mehr anschauen. Die Situation zu zweit ist unerträglich; zum Glück läßt sich ein Dritter hören: «Nebenan übte ein Mensch Klavier»; vielleicht eine vertonte «Romanze»? Doch, was Gefühle liebender Einheit wecken könnte, läßt Trennung erfahren: Ein Anonymer, irgendein «Mensch» spielt; er spielt nicht einmal, sondern «übt», läßt kein Lied erklingen, sondern macht es übend zum Gegenstand seiner Bemühungen, ähnlich wie vorher die beiden ihre «Küsse». Ja er übt nicht einmal ein Lied, sondern «Klavier», ein Instrument: Was da herübertönt, ist ein Mittel, Einstimmung läßt es kaum zu. Wie sollten die beiden sich wohlfühlen?

23 Sie setzen ihre Flucht fort und gehen «Kaffeetrinken»; da wären sie beieinander und doch mit einem Dritten beschäftigt, ihren «Tassen». Auch befänden sie sich in einer gewohnten und überschaubaren Situation ihrer zivilisierten Gegenwart. So könnten sie das, was ihnen geschah, «fassen». Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen. Am Abend saßen sie immer noch dort. Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen.

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24 Die Flucht geht nicht auf Heines Schiff in die Ferne, nicht mit seinem «Traurigen» in die Natur10 und nicht mit poetischen Träumen nach innen; sie endet «am Ort». Im «kleinsten Café» suchen sie Zuflucht, beinahe, als sei es ein bergendes Nest. Doch in der Sprache der Geschäftswelt vorgestellt («am Ort»), ist es ein Geschäftsbetrieb, einer unter vielen. An einem anonymen Ort der Großstadt sitzen sie hilflos, stumm und mit Drittem beschäftigt- ein «Anti-Genrebild», wie Volker Klotz dies nennt11: Ihre Flucht endet in der Sackgasse.

25 Dirk Walter erinnert an einen Schlager, der 1928, also kurz vor Erscheinen des Gedichtes aufkam: In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee. Du sprachst kein Wort kein einziges Wort und wußtest sofort, daß ich dich versteh’12.

26 Hierzu schreibt er: Die Schlußpassage des Kästner-Gedichts dreht den Sachverhalt um. Das kleine Café verliert an schützender Intimität, die Wahl des Ortes ist Ausdruck der Ironie; aus der stummen Übereinstimmung der Seelen wird das Schweigen derer, die sich nichts mehr zu sagen haben13.

27 Das ist nur die Dreiviertel-Wahrheit; sie betont die Entzauberung, läßt die Verzauberung jedoch außer acht.

28 Sicher, die beiden schauen einander nicht an, sprechen nicht miteinander und können «es einfach nicht fassen». Doch sie sind miteinander «allein», sitzen gemeinsam und verhalten sich nun wieder gleich, nicht mehr geschlechtsdifferent. Und bedenken wir: «Es-nicht-Fassen» ist auch Zeichen der Liebe derer, die aus ihrer gewohnten Welt und aus bisher selbstverständlichem Sinn fielen: Ekstase. Insofern sind die beiden getrennt und dennoch vereint, entzaubert und verzaubert: in stummer melancholischer Einheit, ohne Worte, ohne Bewußtsein ihrer selbst, ohne Aktivität, pure Gegenwart und auf den Augenblick horchend. Die Zeit hat sich zur Zeitlosigkeit gestaut. Zuvor war ihre Liebe «plötzlich» abhanden gekommen, ein jäher Einbruch ins selbstverständliche Fließen der Zeit. Sie suchten sich zu helfen, bis sie nicht «weiter» wußten, die Zeit stand und drängte, bis «schließlich» ein Ausweg sich zu öffnen schien. Doch der war mit Trennung verbunden; da schaute «er» weg von ihr und träumte sich hinaus in poetisch zeitlose «Romanzen»-Zeit. Abrupt holte er sich zurück und suchte sich an die tote Zeit zu halten («Viertel nach Vier»), während lebendig doch die rhythmisiert fließende der Liebe wäre. Mit Hilfe der verdinglichten Zeit retteten sie sich ins Café und «rührten in ihren Tassen»: quälend und leer stand die Zeit. Lange Pause. «Am Abend saßen sie immer noch dort»: Die Zeit steht, doch die beiden suchen ihr nicht mehr zu entfliehen, sie zu überwinden oder einzuteilen. Wie ein See breitet sie sich im zeitlosen Augenblick aus. In stummer Einheit sind sie in ihr und horchen auf sie. Wie sollten sie dies auch «fassen» ? Wie sollten sie es wollen? Und ist das Herz vor lauter Liebessehnsucht krank, sucht es im Dunkeln sich still eine Bank, denn in der Dämmerung Schein sitzt man hübsch einsam zu zwein in einem Eckchen allein.

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In einer kleinen Konditorei, da saßen wir zwei bei Kuchen und Tee. Du sprachst kein Wort, kein einziges Wort und wußtest sofort, daß ich dich versteh’. Und das elektrische Klavier, das klimpert leise eine Weise von Liebesleid und Weh! Und in der kleinen Konditorei…

29 Leise tönt im «kleinsten Café am Ort» die Hintergrundmusik vom Schlagerglück stummen Verstehns – auch noch im «Liebesleid» einer «Romanze»; sogar, wenn nicht einmal mehr «ein Mensch Klavier» spielt, sondern nur ein Apparat. Ironie? – Sicher. Aber auch Erfüllung in einer Stummheit, die sich der geselligen Geschwätzigkeit am «Theetisch» versagt14.

30 Im «Fabian» hat Kästner seinen Helden in eine ähnliche Situation geführt15. Die beiden, die sich gestern noch liebten, sitzen zusammen; Fabian ist unfähig zu reden. Doch dann hat er sich wieder in der Gewalt. Sein leicht ermüdbares Gefühl gab Ruhe und wich dem Drang, Ordnung zu schaffen. Er blickte auf das, was geschehen war, wie auf ein verwüstetes Zimmer, und begann, kalt und kleinlich aufzuräumen.

31 Solche Kälte haben die Figuren des Gedichts überwunden. Sie halten ihren Schmerz offen, schaffen keine «Ordnung». So verhält sich auch das sprechende Ich; es rückt nicht weiter ab von den beiden, sondern nähert sich ihnen: «und konnten es einfach nicht fassen». Wie in erlebter Rede schlüpft es in die Figuren und bleibt dennoch draußen. Diesen Satz fügt es der Strophe als weitere Zeile an, isoliert so erstmals die Schlußzeile einer Strophe nicht, sondern läßt sie ausklingen, mit der vorletzten Zeile verbunden. So gibt dies Ich dem Leser bzw. der Leserin die Möglichkeit, wie getrennt sie von den beiden auch sein mögen, sich dennoch mit ihnen und dem Ich einszufühlen. Als Vierte im Bund haben sie teil am wehmütigen Liebesleid derer, die nicht mehr wie früher in den «Romanzen» von einem geliebten Menschen verlassen wurden, sondern von der Liebe. Das können sie verzaubertntzaubert genießen.

***

32 Das, wie es zunächst scheinen mag, unterkühlt-sachliche Gedicht bietet den Emotionen einen weiten Resonanzraum, wird wieder zur «Romanze». Hinter dem Gestus nüchternen Sprechens zucken Gefühlssignale («Liebe», «traurig», «Küsse», «weinte», «Schiffen winken», «Klavier», «nicht fassen»), reizen zu Emotionen und lassen den Widerspruch zwischen Sachlichkeit und «Romanze» spüren. In der zweiten Strophe gewährt das Ich sogar einen distanzierten Blick ins Innere der Figuren – «Sie waren traurig» –, dann fährt es fort «und betrugen sich heiter»: Der Widerspruch zwischen Gefühl und von außen beobachtetem Verhalten tritt deutlich ins Bewußtsein. Er verstärkt sich durch jene Gefühlssignale, durch die Leerstellen (z.B. «Schiffen winken») und durch zahlreiche Pausen (z.B. zwischen den Strophen). Die Lesenden übertragen diesen Widerspruch auf das sprechende Ich und spüren, daß es sich zwar sachlich-«heiter» «beträgt», in Wirklichkeit aber «traurig» ist. So lesen sie das Gedicht

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mit gespaltenem, mit widersprüchlichem Gefühl und nehmen die unverbunden gereihten und sachlich beobachteten Gesten als Zeichen eines in sich stimmigen Inneren; «Und er stand dabei» z.B. als Zeichen innerer Ablösung und zugleich auch wachsender Ratlosigkeit.

33 Kästner nannte dies in einem Artikel von 1928 «indirekte Lyrik»16. Er verstand sie als Lyrik der neuen Stilrichtung: der «Neuen Sachlichkeit» – ein Schlagwort, das er ablehnte. Der in Krieg und Revolution notwendigen Gefühlsentblößung folgte eine Zeit ernster Verschlossenheit und männlicher Zurückhaltung […]. Man kann […] sagen, daß sich der Lyriker genierte, seine Stimmungen und Gefühle auszustellen. Er maskierte sich durch Übertreibungen, durch Bevorzugung unwichtiger, bloß assoziativ wirkender Daten, hinter denen er sich selbst verbirgt, ohne seine Sehnsucht, sein Glück, seinen Schmerz deshalb zu verheimlichen. Die heute moderne Lyrik ist eine Dichtung der Umwege. Sie ist – indirekte Lyrik. […] Der Lyriker spielt nur auf seine Gefühle an; er spricht sie nicht aus. Er verspottet sie eher, als sie unbedenklich zu beichten. Wenn seine Verse am sachlichsten klingen, gerade dann verbirgt sich dahinter Erschütterung. Und gerade wenn er von wildfremden Dingen schwadroniert, ist die dichterische Konfession am nächsten. […] Die Ballade ist gewiß die indirekteste Art Lyrik, und das bedeutet also: sie und die Romanze sind die gemäßeste Form der neuen Stilbewegung.

34 Die «Sachliche Romanze» steht also für eine ganze Stilrichtung. Zu ihr gehört, was nur indirekt, nicht offen ausgesagt wird. Gerade dort begegnen wir ihrer «dichterischen Konfession».

35 Um diese «Konfession» zu erschließen, gehe ich den «Umweg» über Heines «Romanze» «Wasserfahrt». Deren erste Fassung endet in zwei Strophen, die Heine später ausschied: Stolziere nicht du falsche Maid, Ich wilPs meiner Mutter sagen; Wenn meine Mutter mich weinen sieht, Dann brauch’ ich nicht lange zu klagen.

Meine Mutter singt mir ein Wiegenlied vor, Bis ich schlafe und erbleiche; Doch dich schleppt die Nachts bey den Haaren herbey, Und zeigt dir meine Leiche17.

36 Da kommt ein anderer Ton ins Lied: Wut gegen die Geliebte, Drohung mit dem eigenen Tod, Rache. Hinter der Geliebten taucht als alles beherrschende Figur die Mutter auf; sie ist helfende, rächende, tötende Instanz und sie steht zwischen den Liebenden. Das mußte aus der Romanze ausgeschieden werden, durfte allenfalls im Hintergrund ungesagt mittönen.

37 Es mußte auch aus der «Sachlichen Romanze» ausgeschieden werden und durfte auch dort nur ungesagt mittönen. So abwegig es scheinen mag, diese Strophen führen zur «dichterischen Konfession» der «Sachlichen Romanze». Sie «bezieht sich auf das Auseinandergehen einer lange Jahre währenden Verbindung Kästners zu seiner Freundin Ilse»18. Ilse Beeks wurde 1918 für acht Jahre seine Freundin. 1926 löste er die Verbindung, weil Ilse ihn nicht, oder jedenfalls zu wenig liebte19. Wie später noch bis zu deren Tod, so schrieb er auch damals täglich an seine Mutter. Er berichtete ihr über die Briefe Ilses20 und «die Aussprache, die von 3 h – 8.50 dauerte»: Mein liebes Muttchen. Dir wird, was ich Ilse erzählt habe, nicht neu sein. Denn Du hast mir fast alles das seit Jahren wortwörtlich erzählt. […] Wir werden uns

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gelegentlich schreiben. Und wenn sie Rat braucht, soll sie sich an mich wenden. – Dann war es Zeit, in den Zug zu steigen. Sie hat geweint und gewinkt. Und ich habe gewinkt und auch beinahe geweint. […] Nun liegt endlich wieder alles klar vor mir. Ich habe 8 Jahre verloren. Und Ilse hat es gewußt. Aber sie hat ja auch 8 Jahre eingebüßt. Und bei ihr ist das schlimmer. Jetzt wird wieder von vorne angefangen. Das ist zunächst noch bißchen seltsam. Denn, daß ich sie lieb hatte und habe, ist nicht zu ändern21.

38 Januar 1927 schreibt er an sein «liebes gutes Muttchen»22: Von Ilse lag ein Brief da […]. Ich leg Dir dieses herrliche Dokument einer Gans bei. Pfui Teufel, so schreibt mir das Mädchen, daß [!] mich 8 Jahre zu lieben vorgab! Als ob sie einem flüchtigen Bekannten, mit dem sie bißchen im Bett lag, paar verspätete Grüße schickte […]. Tausend Grüße und Küsse Dein Glückallein

39 Januar 1929 schreibt der bald dreißigjährige Kästner: Mein liebes gutes Muttchen Du! […] Es ist so schön, daß wir beide einander lieber haben als alle Mütter und Söhne, die wir kennen, gelt ? Es gibt dem Leben erst den tiefsten heimlichen Wert und das größte verborgene Gewicht. […] im Unterbewußtsein herrscht immer diese unendliche Sicherheit, daß der andere da ist. Was sind denn andere Beziehungen dagegen ? Freundschaftliche Liebe und solche Dinge sind daneben ganz unbedeutend. Wir beiden sind uns das Wichtigste, und dann kommen alle andern noch lange nicht. – Also, Liebes, werde mir bald wieder ganz gesund! […] Und nun Millionen Grüßchen und Küsschen von Deinem Jungen23.

40 Ich will hier nicht zu einer Psychoanalyse Kästners vordringen; doch deutlich ist auch so: Er ist muttergebunden, zieht der Geliebten die Mutter emotional vor, berichtet der Mutter von ihr, verwendet deren Argumente bei der Geliebten und beklagt sich über sie bei der Mutter, zum Teil sogar recht aggressiv. Wer so mutter gebunden ist, kann dauerhafte Liebe zu einer anderen Frau nicht ungebrochen wollen, sie könnte der Liebe zur Mutter ja nie entsprechen, bedeutete Untreue ihr gegenüber, muß also vorübergehend sein und wieder «abhandenkommen». So erfüllte sich in der «Sachlichen Romanze» eben auch ein Wunsch: «Weg mit der "Gans"!» – «Bahn frei für "den tiefsten heimlichen Wert" und "diese unendliche Sicherheit" der Mutter- SohnLiebe!» Die kann jedoch nicht zur Erfüllung kommen; das verhindert das Inzest- Verbot. So wird sie unerfüllt ewig drängen; und sie wird entsexualisiert: sentimental. Der Liebende wird, von dieser Liebe gedrängt und von der erfüllten Liebe zu anderen abgehalten, melancholisch. Die Figuren der «Sachlichen Romanze» und deren Leser werden zur melancholischen Erfahrung jener Einheit geführt, die «dem Leben erst den tiefsten heimlichen Wert» gibt. Wie sollte man solch eine Liebe «fassen» können oder wollen? Sie ist verboten – und sie verzaubert.

41 Die «Sachliche Romanze» ist eine «dichterische Konfession», in der Kästner solche Emotionen verbirgt und unausgesprochen, «indirekt» dennoch mitteilt. Freilich, er verändert die erlebte Situation. Aus einem langen Prozeß der Entfremdung wird ein «plötzlicher» Einbruch; der führt nicht zu einer Trennung, nach der erleichternd wieder alles «klar vor mir» liegt, sondern ins Offene einer Trauer, welcher neue Einheit tröstend gerade in trostloser Trennung erfahren läßt. Die Lesenden sollen solche Emotionen spüren, an ihnen teilhaben, sie auf keinen Fall aber «fassen». Hierzu trägt wesentlich das Wechselspiel von Entzaubern und Verzaubern bei. Es läßt diese Emotionen nachvollziehen; denn, wer an solch ein idealisiertes frühes Mutterbild «tiefsten Werts» und «unendlicher Sicherheit» gebunden ist, dem entzaubert sich die ganze übrige Welt; unmöglich kann sie der Sehnsucht nach dem Glanz jener

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vorsprachlichen Einheit entsprechen. Von deren vor sprachlichem Zauber mögen die Lesenden einen Hauch verspüren, wenn die Welt der Objekte den ihren verliert. Das Gedicht hat die empörenden Anteile der Mutterbindung, die Bindung des erwachsenen Sohnes an seine jetzt lebende Mutter, abgespalten und bietet den Lesenden nun die Rolle des Kindes an, das beglückt mit seiner Mutter verschmilzt. Sie können in diese Rolle schlüpfen, weil sie nicht ins Bewußtsein dringt, sondern sich hinter der offen angebotenen und wohl auch übernommenen Rolle von Erwachsenen verbirgt, die fassungslos über dem Verlust ihrer Liebe verstummen: Fern vom gelebten Alltag können die Lesenden sich im sichernd abgegrenzten Bereich der Fiktionalität dem Glück früher Einheit hingeben, ohne sich den Ambivalenzen ihrer Mutterbindung aussetzen zu müssen.

42 Wer, wie Kästner, an solch ein Mutterbild gebunden ist, sucht ein Leben lang jene frühe Einheit auch draußen in der Welt, bei den Objekten, den Geliebten: Er sucht ihren Zauber. Wenn sie ihn verlieren, und das ist bei seiner psychischen Disposition nicht zu vermeiden, kann er seinen Schmerz durch Wut übertäuben, die Objekte seinerseits entzaubern, sie angreifen – diese «Gans»! – und seine Lust daran finden, auch anderen ihre illusionäre Geborgenheit zu zerstören – er wird zum aggressiven Melancholiker. Als Satiriker gibt er sich dem neuen Zauber des Angriffs oder dem jenes Schweigens hin, das der Zerstörung folgt. Die Lesenden aber können im Wechselbad zwischen Entzauberung und Verzauberung Sehnsucht nach solch einem frühen Mutterbild spüren.

43 Mit seinen neusachlichen Gedichten griff Kästner an, womit das Bürgertum sich damals illusionär zu festigen suchte: «hohe Kunst», Bildungsgut, Pathos, Liebe, Dauer der Gefühle. Hierbei richtete er sich im neuen poetischen Zauber des Angriffs und des verstummenden, schließlich wortlosen Gefühls ein. So verzaubert, verharrte er beim unmittelbar Wahrnehmbaren, das sich angreifen oder stumm erfahren ließ. Das nahm seinen Angriffen die Spitze. In der «Sachlichen Romanze» z.B. kommt «Liebe plötzlich abhanden», ein nicht weiter befragtes Ereignis. Ursachen scheint es keine zu geben, einen Dritten z.B., psychische Schwierigkeiten, oder gar eine Mutterbindung. Auch aus sozialgeschichtlicher Perspektive wird nicht weitergefragt: «Woher kommt solch ein Liebesbedürfnis ?» «Woher das Bedürfnis nach Verzauberung und dann die Erfahrung von Entfremdung?» «Wird der "Liebe" nicht aufgelastet, was zu tragen sie zu schwach ist?»

44 Das wären Fragen nach dem gesellschaftsgeschichtlichen Ort solch lyrischen Sprechens: Wieweit gestaltet Kästner hier individuelle Erfahrungen und Phantasien (Bindung an die frühe Mutter und Trennung von ihr; Bindung an die Geliebte und Trennung von ihr) einer Gruppenphantasie ein, der «Neuen Sachlichkeit», die auf allgemeinere, auf gesellschaftliche Erfahrungen antwortet? Auf Erfahrungen im Übergang vom Alten zum Neuen Mittelstand, einem Übergang, in dem die inzwischen weitgehend nur noch «verzaubernde» Ideologie des Alten Mittelstands zerstört und durch die Sachlichkeit, aber auch das Sentiment des Neuen Mittelstands ersetzt wurde (Bindung an personale Nähe und Dauer im Alten Mittelstand und Trennung von ihr) und auf Erfahrungen der gescheiterten Revolution (Bindung an Wünsche nach gesellschaftlicher Unmittelbarkeit, Einheit und Selbstbestimmung und Trennung von ihnen). In den Widersprüchen solcher Bindungen und Trennungen, Sehnsüchte und Enttäuschungen bildete sich die Gruppenphantasie «Neue Sachlichkeit». Sie half, sich der neuen Situation zu öffnen, Sehnsucht und Schmerz aber zu verdrängen; diese

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verbarg sie hinter nüchterner Darstellung des Neuen, der Welt der Großstadt und der Angestellten, bewahrte sie gerade hierdurch und ließ sie untergründig wirken. Zu fragen wäre, wieweit Kästner dieser Gruppenphantasie folgte, und wie er sie auf seine Weise schreibend weitertrieb.

45 Solche Fragen stellte er nicht. Er schrieb in den Widersprüchen zwischen der Ideologie des Alten Mittelstands, dem sein Vater, genauer: der Mann, der als sein Vater galt, und bei dem er aufwuchs, anfangs noch angehört hatte, und den Erfahrungen wie auch der Ideologie des Neuen Mittelstands, der Angestellten also, zu denen er als Redakteur selbst gehörte. Er schrieb in den Widersprüchen, auf die das Gruppenphantasma «Neue Sachlichkeit» antwortete, war an das Alte gebunden, zerstörte es, ging zum Neuen über, schaute jedoch zum Alten wieder zurück. Aus diesem Prozeß schlug er die lyrischen Funken seiner «Sachlichen Romanze». Er befragte ihn nicht, und gelangte so immer wieder an jenen Punkt, wo er verzaubert auf die entzauberte Gegenwart schaute und fasziniert in seinen Enttäuschungen «rührte» – wie die beiden in ihren «Tassen»: Er konnte «es einfach nicht fassen». Deshalb fiel es ihm schwer, das, worunter er litt, anzugreifen; «linke Melancholie» lautet Walter Benjamins wohl allzu eilfertig- abschätziges Urteil24. Immerhin gelang es Kästner, die Lesenden, wenn nicht zur Erkenntnis, so doch zur schmerzvoll-ästhetischen Erfahrung einer Situation zu führen, deren Wahrheit sich wohl schwer leugnen läßt25.

46 Die Neue Sachlichkeit, falls es überhaupt sinnvoll ist, diesen Begriff zu verwenden und dann auch noch von der «Sachlichen Romanze» her zu beleuchten, die Neue Sachlichkeit erweist sich aus dem Abstand von sechzig Jahren, so emphatisch nüchtern und zivilisationsbejahend sie sich geben mochte, als Neue Romantik. Oder sagen wir es mit dem Titel von Kästners Gedicht: als Sachliche Romantik.

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NOTES

1. – Kästner (31968) I, 101. 2. – Heine (1975), I, 1, 67; «Der Traurige». 3. – Ebd. 101. 4. – Ebda. 157 ff. 5. – Ebda. 183. 6. – Vgl. Klotz (1974) 494 f. 7. – Ebd.; Walter (1977), 163. 8. – Walter (1977) 494. 9. – Heine (1975) I, 1, 97. 10. – Ebd. 67 «Aus dem wilden Lärm der Städte / flüchtet er sich nach dem Wald». 11. – Klotz (1974) 494. 12. – Text: Ernst Neubach; Musik: Fred Raymond, 1928 by Edition Scala, Wien. 13. – Walter (1977) 179. 14. – Vgl. oben Anm. 5. 15. – Kästner (31968) II, 141 f. 16. – Kästner (1983). 17. – Heine (1975) I, 1, 100. 18. – Bemman (1983) 213. 19. – Ebd. 56. 20. – Kästner (1981) 30 f. 21. – Ebd. 34 ff.; 14. Nov. 1926.

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22. – Ebd. 46 f. 23. – Ebd. 70 ff. 24. – Benjamin (1972). 25. – Vgl. Rühmkorf (1979).

RÉSUMÉS

Kästners «Sachliche Romanze» wird als ein Beispiel neusachlicher Lyrik interpretiert. Es zeigt sich, daß sie durch die Art, wie, und durch das, wovon sie spricht, das Phantasma liebevoller Einheit konturierter Individuen zerfallen läßt, hierbei jedoch die Phantasie unkonturierter Einheit weckt. Sie entzaubert die in den Mustern der lyrischen Tradition des späten 18. und des 19. Jahrhunderts gefaßte subjektivistische bürgerliche Liebe und führt in Entfremdungserfahrungen isolierter Großstädter des 20. Jahrhunderts. Mittelbar, als «indirekte Lyrik» setzt sie hierbei jedoch eine stumme Phantasie vor sprachlicher Einheit frei; mit ihr verzaubert sie. So dient sachliche Entzauberung romantischer Verzauberung.

Le poème «Sachliche Romanze» est interprété comme un exemple du lyrisme de la Nouvelle Objectivité. Il apparaît que celui-ci, par sa manière comme par ses sujets, désagrège le mirage de l’amour unissant deux individus aux personnalités nettement dessinées, mais en suscitant à sa place le fantasme d’une unité diffuse. Ce lyrisme dépoétise la notion subjectiviste de l’amour bourgeois telle qu’on la trouve dans les modèles de la tradition poétique à la fin du XVIIIe siècle et durant le XIXe. Il nous fait accéder aux expériences aliénantes du citadin isolé des grandes villes au XXe siècle. D’une façon médiate, en apparaissant comme un « lyrisme indirect », il libère néanmoins un phantasme muet, celui d’une unité antérieure au langage ; et c’est par lui qu’il opère la poétisation. Ainsi, la dépoétisation néo-objectiviste sert la poétisation romantique.

AUTEUR

CARL PIETZCKER Universität Freiburg

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Franz Werfel entre expressionnisme et «Neue Sachlichkeit» Franz Werfel zwischen expressionismus und Neue Sachlichkeit

Michel Reffet

1 Dans le panorama de l’histoire littéraire, Werfel reste d’une part le poète réunissant tous les thèmes et les traits caractéristiques de l’expressionnisme1, d’autre part le romancier croyant et militant du Chant de Bernadette. Il proclamait en 1915 : « Dieu mesure seulement le degré de ferveur de nos battements de cœur »2. En 1917 «Sachlichkeit» était pour lui « un mot dont se gargarisent aujourd’hui tous ceux qui s’abusent eux-mêmes et qui mentent au monde entier »3. Il persistait en 1941 : Déjà au temps où j’écrivais mes premiers vers, je m’étais juré, toujours et partout dans mes écrits, de magnifier le secret divin et la sainteté humaine – sans souci de notre époque qui se détourne par la raillerie, la haine et l’indifférence de ces dernières valeurs de notre vie4.

2 Faire la place d’un Werfel dans un courant qu’on a rendu en français par « l’ordre froid »5, n’est-ce donc pas solliciter abusivement son message, vouloir le « caser » de force pour marquer son centenaire ? Ce serait oublier qu’entre la décennie expressionniste 1910-1920 et sa phase d’authenticité religieuse 1930-1945, ni sa production, ni sa notoriété n’ont connu de relâchement. En 1930, Herbert Ihering, qui certes n’était pas ami de Werfel, continuait à écrire que celui-ci était le plus célèbre des écrivains de langue allemande6.

3 En 1920, l’expressionniste Werfel aborde la nouvelle décennie dans un effort d’objectivité qui le fait passer du lyrisme au théâtre. Critique sociale, pacifisme et idéalisme étaient assez minces dans le lyrisme. Celui-ci « n’était révolutionnaire que par rapport aux exigences du patriotisme »7. « Finalement, il fallut, au lieu du poème, le drame pour servir la renaissante volonté d’agir »8. Dès avant 1920, certes, Werfel chargeait ses premières ébauches dramatiques d’un message politique. Le dialogue philosophique Euripides oder Über den Krieg et Die Troerinnen, adaptation d’Euripide, sont des œuvres pacifistes. Le fragment Stockleinen (1917) soulève déjà le problème de la Révolution tournant en dictature9. Malheureusement ces débuts sont obérés par de grandes faiblesses dramaturgiques. On assiste plutôt, comme le conclue une étude sur

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Die Troerinnen, à « l’hésitation du drame entre la Révolution historique et la transfiguration métaphysique »10. Ces flottements disparaissent de la production des Années Vingt. Mais avant la mise en place d’une véritable structure politique dans son théâtre, Werfel aura dû faire lui-même l’expérience de la Révolution.

Le théâtre des années vingt

4 « Le premier homme, écrit Emil Staiger, qui a sauté sur une pierre, sur une élévation, pour haranguer quelques personnes, leur montrer qu’il voyait plus loin qu’elles, celui- là a déjà préparé la scène »11. Cette phrase rend parfaitement compte de l’évolution de Werfel. Se débattant avec la technique dramatique, mécontent de ses premières pièces, il n’a trouvé le débouché qu’après une très courte, mais très intense période d’activisme. Au cours des journées révolutionnaires de novembre 1918 à Vienne, lui aussi grimpa sur une borne pour s’adresser à la foule et la lancer contre les banques12. La légalité ayant triomphé, il fut convoqué au commissariat de police pour s’expliquer. Il avoua tout, mais ajouta être adhérent du christianisme primitif et comme tel opposé à toute violence ; son discours n’aurait eu pour but que de retenir les masses surexcitées de se livrer à des excès13. Mauvaise foi ? Que non pas. Le pacifiste était aussi un non violent, et cela va éclairer son théâtre des Années Vingt.

5 De 1920 à 1930, il donne six grands drames : Spiegelmensch (1920), Bocksgesang (1921), Schweiger (1922), Juarez undMaximilien (1924), Paulus unter den Juden (1926) et Das Reich Gottes in Böhmen (1930). L’interprétation de ce théâtre est restée longtemps problématique, car on l’abordait avec les critères psychodramatiques traditionnels. On a essayé leur appliquer la structure du conflit père-fils, thème majeur du théâtre expressionniste, et qui affleure aussi dans les trois premières pièces à examiner maintenant. Mais cela ne fonctionnait pas non plus, le rapport père-fils restant très accessoire et disparaissant complètement des trois pièces historiques. Si bien qu’on a renoncé à y trouver une cohérence14.

6 Or la structure de ce théâtre est politique. De ce fait déjà il s’inscrit dans la Neue Sachlichkeit. Si on les aborde sous l’angle politique, les drames des Années Vingt sont d’une parfaite cohérence. Toute autre approche les rend hétérogènes. Ils comportent deux différences essentielles par rapport aux débuts dramatiques : d’abord Werfel abandonne le style lyrique ou philosophique, d’autre part, la Révolution devient un véritable thème dramatique.

7 Les six pièces envisagées présentent tout d’abord des structures d’oppression politique tout-à-fait pertinente d’une pièce à l’autre. Ce sont des monstres (Spiegelmensch), les occupants turcs dans les Balkans (Bocksgesang), le fascisme en la personne d’un psychanalyste réactionnaire (Schweiger). Dans les trois drames historiques règnent les empereurs : dans Juarez und Maximilian ce sont François-Joseph et Napoléon III ; les crimes de Napoléon Ier en Espagne sont évoqués15 ; le personnage central est Maximilien de Habsbourg, qui s’est proclamé empereur du Mexique. Dans Paulus unter den Juden le tyran lointain est Caligula, dans Das Reich Gottes in Böhmen, c’est Sigismond de Luxembourg, originaire de Bohême, mais devenu despote étranger, puisque empereur d’Allemagne et ennemi des Hussites. Maximilien mis à part, les monarques restent invisibles. Mais Werfel aligne dans ces pièces les représentants des classes possédantes qui soutiennent le pouvoir. Il y a partout collusion entre «Die Reichen und das Reich»16.

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8 C’est contre eux que les héros vont engager la lutte. Mais cela ne donnera pas des pièces à thèse révolutionnaire. Tout va se jouer entre deux catégories de révolutionnaires, les extrémistes et les réalistes, selon le schéma suivant :

révolutionnaires oppresseurs Révolutionnaires réalistes extrémistes

Spiegelmensch Ananthas et ses monstres Spiegelmensch Thamal

Bocksgesang les Turcs Juvan l’homme-bouc Schweiger Viereck les sociaux-démocrates Schweiger

Juarez u.M. les monarchistes Maximilian Juarez Paulus unt.d.J. les Romains Chanan Paul Das Reich Gottes les croisés Prokop Julian Cesarini

9 À l’encontre des interprétations passées, il devient donc possible d’avancer un nouvel éclairage de la pièce Bocksgesang : l’homme-bouc n’y est nullement le symbole du Mal comme les montres de Spiegelmensch, mais bien le symbole de la déréliction et de toutes les misères humaines. Au lieu de l’accepter comme un frère, les paysans en révolte se le donnent pour roi et en font seulement alors un monstre abominable. Le peuple abusé se crée des êtres fantastiques, vampires et homme-bouc, ou bien le bouc émissaire dans Paulus unter den Juden, et cela les détourne de leurs vrais ennemis et de la lutte révolutionnaire.

10 De même, dans Juarez und Maximilian, la critique n’avait pas vu que, contrairement au schéma historique scolaire, Juarez est le révolutionnaire victorieux devenu homme de raison et de modération, et que c’est Maximilien qui est l’intellectuel extrémiste, coupé des réalités, qui veut brûler les étapes du socialisme. Il n’en tient pas moins à son titre d’empereur, tout comme ses homologues des autres pièces, lesquels nourrissent tous des prétentions de chefs.

Le théâtre des années vingt comme contribution à la «Neue Sachlichkeit»

11 Désaveu de l’extrémisme : c’est d’abord cela, la Neue Sachlichkeit chez Werfel. Les héros révolutionnaires désavoués sont des hommes-miroirs livrés à l’illusion. N’acceptant pas les réalités, ils les regardent dans le miroir, où ils tiennent à voir au premier plan leur propre image. Ce faisant, ils inversent littéralement la réalité. Ils n’acceptent évidemment pas les autres, mais veulent se voir en eux. Comme ils ne s’y rencontrent pas, ils veulent combattre et détruire ce qui se refuse à cette accommodation. Juarez dit justement de Maximilien : « Cet homme se regarde dans un miroir »17, et Max réclame encore un miroir juste avant son exécution ! Les héros objectifs, au contraire, sont ennemis des miroirs. Paul se sépare du zélote Chanan en disant : « Je ne voudrais pas continuer à me regarder en toi comme dans un miroir »18. Dans le lyrisme et la prose de Werfel, le thème du miroir est insistant et toujours hostile. L’image inversée qu’il donne est une atteinte à l’intégrité du Moi. On a pu

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choisir le miroir comme critère thématique pour distinguer Expressionnisme et Neue Sachlichkeit : le Spielgelmensch de Werfel serait caractéristique de l’expressionnisme et le miroir démythifiant à la fin du Hauptmann von Köpenick (1930) servirait à définir la Neue Sachlichkeit19. Irréalistes, peu avares du sang de leur prochain, les hommes- miroirs de Werfel donnent tête baissée dans les provocations du pouvoir. Ils sont « les alliés objectifs de la réaction ». Le gouverneur Marullus avoue tout crûment : « Je suis le plus empressé promoteur d’une révolte juive, que je veux écraser, mais non point empêcher »20.

12 Les trois premiers héros positifs, toutefois, Thamal, l’homme-bouc et Schweiger, n’ont aucune efficacité politique. Nous sommes dans la phase de transition entre Expressionnisme et Neue Sachlichkeit. En 1930, Alfred Heuer explique à ce propos : « De même que Dürer, maître de deux mondes, se plaçait exactement entre période gothique et Renaissance, l’ancien et le nouveau se combattent aujourd’hui aussi dans la poitrine de chaque artiste ». Et d’opposer dans le cas de Werfel Spiegelmensch à Der Abituriententag. « C’est pourquoi, poursuit Heuer, je rejette le terme de "Nouvelle objectivité" (Neue Sachlichkeit). Parlons donc de "Réalisme magique" (Magischer Realismus), d’une "objectivité transcendantale" (Transzendentale Sachlichkeit), selon le mot du peintre Beckmann ! »21. À cause de leurs moyens scéniques, on peut appliquer aux trois premières pièces des Années Vingt de Werfel le terme de « Réalisme magique », qui est une composante de la Neue Sachlichkeit en peinture22. Werfel alors crée en expressionniste pour dénoncer l’expressionnisme. Ce porte-à-faux entre retour au mythe et drame moderne explique l’échec de ces trois premières pièces à la scène23. Werfel lui-même voulut faire mieux. Dans un journal de 1923, il note le rapport « souterrain » qui relie Bocksgesang, Schweiger et les Beschwörungen, recueil lyrique de 1923, lequel baignait « dans un monde de démons aux niveaux inférieurs », et il ajoutait : « Mon prochain livre doit dépasser cela »24. Ce prochain livre sera Juarez und Maximilian, « pièce où j’ai pris mes distances »25. Werfel découvre la matière historique comme la meilleure voie pour progresser dans l’objectivité. Et avec Juarez und Maximilian, de 1924, il se retrouve en plein dans la Neue Sachlichkeit. 1924 est aussi le repère choisi par Lethen comme début de ce courant26. Les amples vues historiques de Juarez, Paulus et Das Reich Gottes sont caractéristiques de la Neue Sachlichkeit. Seul Juarez obtint le succès auprès du public, sans que ce succès ne soit répercuté par la critique. Werfel avait donné à ce premier drame historique le sous-titre : « Dramatische Historie » – tableaux historiques sous forme dramatique. Cela dérouta la critique. « La relation entre "drame" et "genre épique" se heurta à la désapprobation »27. Il y eut au moins Herbert Ihering pour tenter de démêler cet enchevêtrement. Il avait peu apprécié Spiegelmensch, Bocksgesang et Schweiger28. Dans sa critique de Juarez, il trouve que cette pièce est « le plus vrai, le plus chaleureux, le plus humain, le meilleur » des drames de Werfel. Néanmoins, il pense que l’intention de l’auteur a échoué : « L’histoire dramatique de Werfel n’appartient pas à la forme intermédiaire entre récit épique et drame, mais à la forme située entre roman et théâtre. Des trouvailles romanesques sont transposées sur le plan théâtral. Il laisse l’antagoniste républicain, le citoyen-président Juarez, derrière les coulisses, il fait se rapporter tous les événements à lui, il le fait agir et contre-attaquer invisiblement, mais jamais il ne le montre. Seulement, c’est justement cette idée qui devrait condenser l’action, donner de l’élan aux péripéties, donner du raccourci à ce qui est ample. C’est justement cette idée qui devrait accentuer le romanesque dans le sens dramatique, le scinder en fonction du théâtre. Cela ne se produit pas »29.

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13 Or Werfel lui-même était conscient de ces carences. Dans son journal, il compte parmi les « défauts » de son drame le fait que « l’antagonisme intérieur caché ne soit pas tout à fait dégagé. Le phénomène abstrait qu’est Juarez n’est pas complet »30. Il se dit également insatisfait de Paulus31. Le problème est celui de la Neue Sachlichkeit. Werfel veut délivrer un message de morale politique, il exige de ses héros qu’ils concilient les impératifs d’humanité et de lucidité politique, qu’ils se montrent hommes de raison et de modération jusqu’à mortifier leur personnalité. Juarez agit efficacement, mais si modestement qu’il n’apparaît pas sur scène. Paul n’est plus le zélote Schaul, car il estime que la Révolution a déjà été faite par le Rabbi Jeoschua32. Le cardinal Cesarini, ancien persécuteur des Hussites, se met à négocier avec eux, les invite au Concile de Bâle où il prend même leur défense. Autrement dit, le héros politique de Werfel est dépourvu de dimension tragique.

14 Sur le plan de l’esthétique, Werfel se rapproche de la « Nouvelle Objectivité » en se distançant de l’expressionnisme. Certes s’il le fait, ce n’est pas tout de suite au nom de l’objectivité. Immédiatement après Spiegelmensch, il commence par reprocher à la dramaturgie moderne de nier tous les effets « magiques » du théâtre. Pour lui, l’expressionnisme est « une adoration effrénée de la technique du sketch et du cinéma », qui détruit le discours dramatique en le réduisant à quelques mots inducteurs proférés sur un ton extatique33. Mais il publie aussi une « Dramaturgie et interprétation du spectacle scénique "Spiegelmensch" »34. Le chapitre IV de cet important essai propose l’ironie comme base de l’effet théâtral : Savoir que nous rêvons… voici la plus concrète définition de l’ironie. (…) L’effet est la morale du dramaturge (…). Le niveau de conscience du monde scénique ne doit pas être identique avec le niveau de conscience du monde des spectateurs35.

15 Le spectateur doit en savoir plus que les personnages sur scène36. Walter Sokel peut donc démontrer que ce texte fit date en dépassant effectivement l’attitude expressionniste, dans laquelle « toutes les figures et tous les événements du drame sont présentés dans la perspective du personnage principal » et qui, de plus, tend à la « totale identification du spectateur avec la perspective de ce personnage »37. Werfel était assez lucide pour reconnaître que sa production de jeunesse se rangeait dans l’expressionnisme. Dans une esquisse d’autobiographie datant de 1921-1923, il rappelle qu’il fut lui aussi prisonnier de « l’attitude artistique devant la vie qu’on a pris l’habitude d’appeler expressionnisme ». La définition qu’il en donne revient à une confusion entre théâtre et poésie38. Au contraire, dans sa « Dramaturgie » de Spiegelmensch, il précisait : « Le théâtre est la maison du comédien et non pas celle du poète »39. Dans cet essai et dans son journal de 1921, il voit dans l’expressionnisme un profond divorce entre art et réalité, un « Snobisme » qui épouse cyniquement une perversion due à l’époque40. Après sa « Dramaturgie » il restera huit ans sans écrire de grand essai. Le prochain sera justement le pamphlet Der Snobismus als geistige Weltmacht, où il préconise plus de respect de l’art envers les réalités41.

16 Évidemment, Werfel a eu du mal à liquider l’expressionnisme. Il est comparable à Brecht et Musil, tous deux adversaires de l’expressionnisme, bien qu’ils en aient été tributaires à leurs débuts. D’ailleurs, au moment où Brecht et Werfel se démarquent de l’expressionnisme en formulant une théorie dramatique, ils prennent exactement la même voie : « En exigeant ainsi que l’auteur soit omniscient en ce qui concerne sa création, le jeune Brecht se rapproche de la théorie werfelienne des perspectives, et

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plus mûrit en lui, au cours des Années Vingt, l’idée du théâtre épique, et plus ce rapprochement s’accuse »42.

17 Mais peut-on compter Werfel parmi les auteurs de la Neue Sachlichkeit, alors que dans ses « Positions de principes » sur le théâtre, il continue à défendre la part du rêve contre « le naturalisme gâteux » ?43. Justement, la tragédie historique a pour lui le grand mérite de réconcilier rêve et réalité44. Il écrit dans son Argument de Paulus unter den Juden : De même que le rêve est la reconstitution en profondeur de la vie personnelle, la tragédie est la reconstitution en profondeur des événements mondiaux45.

18 Dans l’essai Historisches Drama und Gegenwart, écrit à la suite de Das Reich Gottes in Böhmen, il n’abandonne pas son principe : « Le théâtre est du rêve », et d’ajouter : Depuis qu’existe l’Histoire, la situation originelle des luttes de pouvoir et d’idées de l’homme ne s’est pas modifiée : Richesse-Pauvreté, Despotisme-Esclavage, Foi- Critique etc.. Un fait d’Histoire bien délimité, définitivement cristallisé, tel que veut le représenter la tragédie historique, a la puissance de la vérité, car il s’est vraiment produit et possède la force du symbole, en se rapportant à notre situation, dans le sens d’une clarification46.

19 La démarche a parfaitement réussi. Car les drames historiques de Werfel débordent largement leurs cadres historiques. Ils présentent non seulement des révolutions politiques, mais aussi des révoltes coloniales. Juarez pose avec vingt ans d’avance le problème de décolonisation : un million de Blancs face à neuf millions d’Indiens47. « César, dans sa divinité, proclame Marullus, ne connaît que des populations et non des peuples »48. L’erreur des héros activistes est de se limiter soit au problème social, tel Maximilien, soit au problème national, comme Chanan, ou de se tourner tantôt vers l’un, tantôt vers l’autre, comme Prokop, au lieu de comprendre que la solution des deux questions doit être liée par la politique. Maximilien ne voit que « le peuple indien », là où Juarez voit déjà « des Mexicains »49. Dans le manuscrit de Werfel à la Bibliothèque Municipale de Vienne on lit d’ailleurs à cet endroit « prolétariat » à la place de « peuple ». L’auteur a opéré la modification sans doute à cause de l’incidence trop nettement politique du terme de prolétariat. Car Maximilien refuse justement la politique, qui serait l’appréhension simultanée des solutions sociale et nationale. « Je détruis la politique », proclame-t-il et il veut « libérer le pays de la politique »50. Il ne se veut pas chef de parti, mais ne se rend pas compte qu’il est le jouet des monarchistes, ce que sait voir son antagoniste Porfirio Diaz, porte-parole de Juarez51.

20 Donc l’attitude de Werfel a évolué. Il n’adhère toujours pas à l’action politique, mais il accepte implicitement le fait politique. Seulement, il ne faut pas vouloir être à la fois un politique et un idéaliste. Il le dit explicitement dans ses commentaires de Das Reich Gottes in Rohmen : « Je crois maintenant que tout politicien idéaliste est condamné à échouer »52.

21 Comme toutefois il ne s’agit nullement d’un théâtre à thèse, il a provoqué certaines déceptions. Après lecture des premiers extraits de Juarez à Berlin (dans le « Bürgersaal » de l’Hôtel de Ville), le Vorwärts se fit l’écho de la déception des sociaux démocrates : « On ne pouvait pas reconnaître dans quel sens se dirige la tendance du drame. Mais il semble presque que Werfel veuille corriger l’Histoire, comme s’il se trouvait du côté de l’empereur et donnait tort au révolutionnaire Juarez. Il serait dommage que Werfel, avec son grand talent, donne dans de tels errements »53. En réponse, Werfel se montra

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fier du malentendu, qui prouve qu’il a « satisfait à une loi essentielle de l’art tragique : la justice »54. Sa réponse à une interview de la Prager Presse en 1930 dit la même chose. J’écris sans le vouloir, toujours à rencontre des pièces à thèse, des pièces à antithèses. Cela est inséparable de ma foi dans le drame comme forme dialectique (…). Il va de soi que les deux contraires doivent avoir raison et font appel à la même sympathie55.

22 La nouvelle mentalité objective demande l’humilité morale, qui consiste à mettre en veilleuse la passion du bien. « Quelque chose de bon, demande un protagoniste de Juarez, peut-il être bâti sur une erreur de calcul ? »56. Porfirio Diaz semble définir la Neue Sachlichkeit quand il affirme : « Juarez ne fait pas le bien, mais il fait ce qu’il faut, et c’est cela seul qui est bon par ses conséquences »57.

23 Tous les personnages véhiculent une part de vérité, même les guerriers et les dirigeants : « La bonne volonté, Sire, dit Bazaine, est le plus souvent de la mauvaise politique »58. Même le Capitaine Pierron, spécialiste des méthodes anti-guerilla, a de fortes paroles : « Toute faiblesse est doublement inhumaine, car elle retarde la consolidation et prolonge l’effusion de sang »59.

24 En 1988 une étude de Axel Schalk place les drames historiques de Werfel, Juarez und Maximilian en tête, dans la Neue Sachlichkeit, montrant toute la nouveauté qui consiste à affronter le héros Max à un antagoniste complètement absent de la scène. « La confrontation traditionnelle héritée de l’ancien drame historique – Maria contre Elisabeth ; Tell contre Geissler – n’a pas lieu (…) Maximilien combat un fantôme, une idée. Là réside la performance dramatique de Werfel, qui en même temps critique l’ancien drame bâti sur un antagonisme »60. L’appartenance des drames de Werfel à la Neue Sachlichkeit est désormais indiscutable. Le dernier volume des Rowohlt Bildmonographien, consacré à Werfel, en fait également état61.

La Neue Sachlichkeit dans le récit

25 « Pour l’essentiel, le système dramatique du théâtre de la Neue Sachlichkeit admet une définition négative, puisqu’il se conçoit par rapport à un état plus ancien du drame, dont il veut se démarquer. Les traits caractéristiques de ce démontage des conceptions dramatiques libérales seront résumés sous les rubriques suivantes : réalité sans forme, conflit sans légitimité, héros sans pathétique, discours sans expression ni réponse (…). Le désordre de l’événement véritable n’étant guère maîtrisable, il s’exprime, en terme dramatique, dans une série de scènes brèves qui souvent s’alignent sans enchaînement » 62. Cela s’applique tout à fait au théâtre de Werfel des Années Vingt. L’ampleur de l’action, la prétention à l’exactitude historique, la pesante fidélité aux sources et jusqu’à la minutie dans la reconstitution des costumes, le réalisme enfin qui a nui à l’audience des pièces, poussaient Werfel vers le roman63.

26 Au début des Années Vingt, il avait déjà écrit une longue nouvelle, Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig (1920) et un roman biographique, Verdi (1923). Ce sont deux œuvres expressionnistes. Dans la première, l’imagination du héros lui fait perdre de vue les réalités. Il passe à l’action révolutionnaire non pas par solidarité avec les opprimés, mais par haine de son père, dont il s’exagère la dureté. Quant à Verdi, il décrit une crise de productivité du héros et l’opposition entre deux révolutionnaires de la musique, Wagner et Verdi. Qui l’emportera dans la conquête de l’art populaire ? Ce sera Verdi, car il finira par sacrifier à la simplicité et à la spontanéité sa subjectivité et son

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besoin de grandeur. Renonçant à l’art cérébral qui le fascine et le repousse chez son rival, il adopte pour maxime : « Que rien ne vienne d’un labeur ingénieux ! » («nicht erkklügeln!»)64. Walter Sokel considère le Verdi de Werfel comme l’apogée et le point final de l’expressionnisme65. On constate donc que tout comme les trois premiers drames des Années Vingt, ces deux œuvres narratives de style expressionniste portent aussi condamnation de cette mentalité. D’ailleurs, à chaque fois que Werfel parle de l’expressionnisme, c’est soit pour lui opposer Verdi, soit pour rappeler que son amour pour Verdi est allé de pair avec ses premiers élans expressionnistes66. Il s’étend pour la première fois sur l’antinomie Wagner/Verdi… dans l’essai sur la dramaturgie de Spiegelmensch !67

27 Après Das Reich Gottes in Böhmen, la grande veine dramatique de Werfel se rétrécit. Dans le reste de son œuvre, ce sont les romans qui occupent la place marquante. Et de même que les nouvelles de jeunesse sont – logiquement sinon chronologiquement – la charnière entre lyrisme et théâtre, c’est une série de nouvelles qui, en 1927, entre Paulus et Das Reich Gottes, va servir à réorienter la production de Werfel. L’année 1927 est chez lui l’année de la nouvelle par excellence. Il en écrit six, qui sont des chefs- d’œuvres : Die Entfremdung, Geheimis eines Menschen, Die Hoteltreppe, Kleine Verhältnisse, Der Tod des Kleinbürgers, Das Trauer haus68. C’est à cause de ces nouvelles que la monumentale histoire de la littérature autrichienne de Nagl-Zeidler-Castle classe expressément Werfel dans la Neue Sachlichkeit69. En effet, ces nouvelles prennent sans phrases leur parti du déclin de l’ancienne Autriche : « Rien ne meurt si l’heure n’en a pas sonné »70. À la même époque, Félix Bertaux cerne parfaitement l’optimisme lucide de la Neue Sachlichkeit : « Il est des choses qui se défont parce qu’elles étaient mal faites, et il faut les refaire avec un courage de l’esprit que n’impliquent ni les revanches, ni les restaurations. Tout est redevenu possible pour une jeunesse qui a assisté à l’impossible, et n’éprouve pas la surprise de ses ascendants devant leurs catégories renversées »71. Les nouvelles de Werfel dénoncent l’aliénation, mais ne préconisent pas non plus une révolution ni une émancipation provocatrice. Les seules femmes équilibrées et qui ne fassent pas pitié dans ce groupe de nouvelles sont… les prostituées de Das Trauerhaus. Ces récits peuvent être considérés comme le pendant autrichien des descriptions sociales de Fallada.

28 À ces nouvelles fait suite en 1928 Der Abituriententag. Cette œuvre est en fait une articulation entre nouvelle et roman, mais elle relève de l’esthétique de la nouvelle. Elle restitue une histoire de jeunesse, la brusque déchéance d’un lycéen modèle en butte à l’envie de ses camarades. L’événement est brutal, raconté avec froideur et logique. Pourtant le narrateur, qui se souvient à vingt-cinq ans de distance du rôle peu glorieux qu’il joua alors, baigne dans les interrogations. Devenu procureur, il croit, sans aucune certitude, reconnaître sa victime de jadis dans le suspect de crime qu’on lui présente. Il écrit l’aventure du lycée sous le coup d’une trompeuse lucidité nocturne, à coups de tasses de café. Mais son manuscrit reste indéchiffrable ; inconsciemment et pour se disculper, le magistrat fait tout pour se persuader qu’il a rêvé. L’âge des personnages, le milieu du lycée, rappelle Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig. Une comparaison détaillée entre les deux nouvelles pourrait servir à définir par contraste les thèmes et le style de l’expressionnisme et de la Neue Sachlichkeit. Dans Der Abituriententag, les motivations profondes des héros sont bien mieux cachées que dans le Mörder. « Tout aussi variés que sont les événements, écrit Richard Specht, tout aussi singulier est l’enchevêtrement des motivations psychiques », Werfel « ne s’immisce jamais, même pas en tant que psychologue, alors qu’il l’est ici plus que jamais auparavant72. Un autre

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critique introduit son compte rendu en louant la « maîtrise souveraine dans la technique psychanalytique » dont Werfel a fait preuve et d’ajouter : « peut-être la raison en est-elle la nouvelle orientation dramatique de Werfel, mais peut-être réside-t- elle aussi dans l’objectivité, dont on parle tant »73. La différence principale en effet est que les héros de Der Abituriententag n’ont pas de pères à affronter pour se libérer, ce qu’a bien vu Jost Hermand dans son article « Œdipus lost », où il examine en priorité le Fabian d’Erich Kästner : « Au contraire des "fils" expressionnistes, il n’a rien eu à "surmonter", ce qui l’aurait forcé à édifier sa propre image du monde, mais dès le départ, il se laisse passivement dériver (…). Une façon analogue d’appréhender la vie est représentée dans les romans "sans pères" tels que Joseph sucht die Freiheit de Hermann Kesten (1927), Der Abituriententag de Franz Werfel (1928) et Der Schüler Gerber hat absolviert de Friedrich Torberg (1930), dont le caractère fondamental, axé sur la Neue Sachlichkeit, est en grande partie conditionné par l’absence d’orientation intérieure de cette "génération perdue" »74.

29 Cette génération « objective » évacue par ailleurs le problème de la faute, en regardant les réalités avec un œil froid, justement avec la froideur morale d’Adler, la victime dans Der Abituriententag. Celui-ci montre au futur procureur Sebastian son essai sur « L’Homme comme jouisseur et objet de jouissance ». Les animaux supérieurs, écrit-il, ne se mangent pas entre eux, au contraire de l’Homme : L’Homme ne se distingue pas du reste de la nature par la raison, mais par l’appétit (…). Les cannibales ne mangent pas de la chair humaine parce qu’ils y sont forcés, mais par gourmandise, car en effet l’être humain est le plus épicé parmi les meilleurs morceaux75.

30 En nuisant à Adler, Sebastian ne fait donc que suivre des lois de la nature.

31 Adler, la victime, n’est pas fait pour gagner la sympathie. Il déclenche l’amertume de son rival en refroidissant l’enthousiasme de Sebastian pour le Cercle de Lecture fondé par celui-ci et qui permet à Adler de se distinguer. Sebastian, le futur procureur, laisse sa conscience s’émousser par trop de sentimentalisme, mais Adler pèche par l’excès inverse : « Il voyait des larmes en général, une souffrance, une âme, pas Sebastian, pas moi, être dénaturé qu’il était à force d’abstraction »76. Et Adler abdique tout de suite devant la violence. Pour une raison futile, après une empoignade où Sebastian l’a vaincu de peu, il se laisse complètement dominer. L’intelligence recule devant la force. Pourtant, la froide objectivité d’Adler, il aurait fallu l’assumer et même l’aimer, car elle était vision de la réalité. Elle aurait pu contrebalancer salutairement les vanités et les emballements fumeux des autres élèves. L’auteur aide le lecteur en lui donnant la solution morale en exergue de la nouvelle et dans le corps du texte. C’est la maxime de Goethe : « Contre les avantages d’un autre, il n’est de sauvetage que l’amour »77.

32 Une telle objectivité ne barre pas la dimension religieuse. Il faut accepter humblement les dons répartis par Dieu « dans son insondable façon de dérouter les calculs »78. Sebastian devait s’incliner devant la supériorité d’Adler : « C’était à lui, que Dieu avait donné sa grâce, et non pas à moi »79.

33 On peut dire que par ses récits, Werfel occupe un « créneau » religieux à l’intérieur de la Neue Sachlichkeit. Ses drames Paulus unter den Juden et Das Reich Gottes in Böhmen relèvent par certains côtés de l’histoire des religions. Mais ni ceux-là ni les autres ne sont de structure religieuse. La première inspiration de Paulus fut une idée de drame lue dans la revue Pan vers 1913-1914… dans laquelle Paul aurait assassiné Jésus !80 Quant à Das Reich Gottes, il a été induit… par des lectures marxistes !81 Et tous les héros négatifs

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de ces drames des Années Vingt se rendent justement détestables en s’arrogeant des missions divines.

34 En revanche, le roman de 1927 Barbara oder Die Frömmigkeit montre que l’humble ferveur religieuse est le seul point fixe possible au milieu des tempêtes de l’Histoire. Il ne s’agit cependant pas que d’édification. Werfel souligne quelle tentation représentent le capitalisme et la technique en passe de devenir des religions de remplacement. Le personnage juif Alfred Engländer, en plein désarroi moral, religieux et mental, profère une litanie qui rend parfaitement la tension littéraire de la Neue Sachlichkeit : Saint Capital, prends pitié de nous ! Saint Taux d’Intérêt, légitimement né de lui, prends pitié de nous ! Saint Esprit de Profit de l’Intelligence, Troisième Personne, prends pitié de nous ! Vous les très saints chœurs et prêtres du pétrole, du coton, du charbon, du cuir, de la production de caoutchouc, de la construction mécanique, intercédez pour nous ! Tous les apôtres et évangélistes du marché de l’argent et de la science moderne en lui et par lui, intercédez pour nous ! Vous tous les saints moines et ermites des trusts et sociétés par actions dans vos résidences de campagne avec eau courante, chauffage central et tableaux de Rembrandt, priez pour nous !82

35 On n’a pas à faire ici à une ironie à bon marché dirigée contre les valeurs modernes. Le personnage prie vraiment ces forces de notre temps de tourner au bien et non au mal de l’humanité. En effet, Barbara n’est pas un roman réactionnaire ni même conservateur. La description de la fin de la Double Monarchie n’y est pas nostalgique. Werfel approuve pacifisme et antimilitarisme, célèbre la Révolution et la discipline des masses populaires envahissant le Ring en novembre 1918, salue les chefs de la sociale- démocratie et leurs réalisations. Mais il met aussi en garde contre le chauvinisme des nationalités émancipées, contre toute violence, même quand elle se dit révolutionnaire. Nicht der Mörder… dénonçait la fausse solidarité avec les déshérités qui n’était que haine pour le milieu privilégié où avait grandi le héros. Barbara dévoile la duplicité d’intellectuels qui, faute d’avoir connu les champs de bataille, réclament du sang dans l’ivresse de la Révolution83.

36 Sous une forme achevée et à douze ans de distance, Werfel répète donc l’avertissement amorcé dans son fragment Stockleinen. En 1928, il avait même donné une lettre ouverte à la revue nationaliste Der Vormarsch, où il déclarait condamner aussi bien les attentats de la gauche que ceux des conservateurs. Il s’en prenait spécialement à la presse communiste qui ne savait flétrir que la violence de ses adversaires politiques84. Malheureusement, cette déclaration n’a pas été reproduite dans le volume d’essais de Werfel.

Actualité de Werfel critique de l’idéalisme

37 De la profonde réflexion de Werfel, de sa modération, de ce qu’il faut bien appeler son réalisme en politique, la critique marxiste de l’époque n’a retenu que sa méfiance envers la Révolution. Exactement comme l’exprime le sous-titre du livre de Lethen, elle a identifié la Neue Sachlichkeit à la Werfel à un « Socialisme blanc ». Dès 1921, Die Rote Fahne, organe du Spartakusbund de Karl Liebknecht et Rosa Luxembourg, avait constaté que les expressionnistes n’étaient pas les alliés des marxistes, à cause de leur intellectualisme, de leur ignorance des masses laborieuses et de leur combat uniquement en faveur de l’individu et non pas pour changer les réalités extérieures85.

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Quelques années plus tard, Piscator avoue posséder Werfel dans sa bibliothèque, mais dans un entretien avec Herbert Ihering il se garde bien de prendre la défense de Werfel, vu que celui-ci rejette le théâtre à thèse. Ihering argumente : « Samedi dernier, la pièce de Werfel, réussie du point de vue de la forme, mais fragile, Paulus unter den Juden – aucun effet. Dimanche l’œuvre documentaire d’Erich Mühsam Sacco et Vanzetti – impression bouleversante. La différence est une preuve »86. On en n’est pas encore à désigner Werfel comme allié de la bourgeoisie. Mais dès 1930, de même que les milieux sociaux-démocrates s’étaient mépris sur Juarez und Maximilian, Ihering dénonce dans Barbara « l’insidieuse réaction qui approche de toutes parts »87. En 1931, après parution de l’essai de Werfel Realismus und Innerlichkeit, qui renvoyait dos à dos capitalisme et bolchevisme, les fronts sont nets. Die Rote Fahne, Internationale Literatur, Die Linkskurve attaquent Werfel88. En 1934, l’essai de Lukács Grösse und Verfall des Expressionnismus condamne le « pacifisme factice » de l’époque expressionniste en des termes qui visent à coup sûr la non violence de la Neue Sachlichkeit89. Dans un autre essai de 1934, Lukács adresse aux naturalistes exactement le même reproche qu’à l’expressionnisme et pense aussitôt à Werfel : « De plus en plus les exploiteurs et oppresseurs sont représentés comme "victimes de la nécessité", on "se met à leur place", "comprend" leur situation et la nécessité de leur comportement, les entoure de la sympathie mélancolique pour le "tragique" qui fait qu’ils n’ont pas le choix. Cette répercussion idéologique, apologétique de la "capacité de sentir" (Einfühlung) comme méthode créatrice dépasse largement le naturalisme pour se poursuivre avec Rilke et Werfel »90. C’est reconnaître implicitement chez Werfel une dimension réaliste. C’est vrai que Werfel excuse les aristocrates, eux aussi étant victimes de l’aliénation qui les empêche de penser autrement. Maximilien est « victime de sa naissance »91. « Seule la mort, dit Klenau, aristocrate égaré chez les Hussites par amour de la femme de leur chef, peut effacer par sa brûlure la qualité d’aristocrate »92. Il est comme forcé de trahir : « Un seigneur reste de toutes façons un seigneur… »93.

38 En 1938, Ernst Bloch défend contre Lukács l’authenticité du pacifisme werfelien de la période expressionniste, mais il accorde : « C’est vrai, Werfel et d’autres de son genre ont transformé après la guerre leur pacifisme abstrait en une trompette d’enfant ; le mot d’ordre « non-violence" est ainsi devenu, vis-à-vis de la Révolution, un mot d’ordre anti-révolutionnaire »94.

39 Julius Bab, d’ailleurs, voyait dans la Neue Sachlichkeit tout simplement un retour au naturalisme95. La grande différence est que pour Werfel la dimension transcendante fait partie des réalités. Il existe aussi un extrémisme de l’objectivité, par exemple dans le choix opéré par Brecht pour couronner un poète de notre temps. La Literarische Welt avait organisé en 1926, à l’occasion du premier anniversaire de sa fondation, un concours littéraire, le jury se composait de Döblin pour le roman, de Ihering pour le théâtre et de Brecht pour le lyrisme. Or ce dernier décréta qu’aucun poète candidat ne méritait le prix. La raison : ce sont tous les imitateurs de George, Rilke, Werfel, « dont il fait peu de cas », à cause de leur orientation bourgeoise96. On savait par d’autres notes de Brecht qu’il reprochait à Werfel son «Kitsch», son « indigence démocratique »… et son succès !97 Lors du concours de 1926, Brecht opte pour Hannes Küpper, lequel n’était même pas candidat. Brecht a trouvé ses poésies dans un journal sportif. Chez Küpper, l’homme de notre temps adhère aux machines qu’il dessert, il est un organisme de câbles, de tringles et de rouages98.

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40 Heinz Kindermann, en 1930, distingue à l’intérieur de la «Neue Sachlichkeit» la «Idealistische Sachlichkeit» et la «Radikale Sachlichkeit»99. C’est cette dernière que Werfel répudie dans son essai de 1931 Realismus und Innerlichkeit et pour laquelle il forge le terme de «Radikaler Realismus»100. En 1932, son discours à la mémoire de Schnitzler contient un passage polémique contre la politisation du théâtre. (« Je suis convaincu que quelqu’un qui veut vraiment connaître la vie des mineurs n’ira en aucun cas au théâtre à cette fin »)101. Il avait déjà désavoué l’expressionnisme dont il était pourtant le coryphée. Il n’est pas le premier artiste à se distancer d’une étiquette qu’il a pourtant contribué à frapper. Ce faisant, il ne rejette que les excès. Il se garde de rejeter le réalisme en bloc102. Sur le plan de l’art, il devient lui-même un réaliste aux procédés narratifs traditionnels. Il doit même quelque chose à Zola, qu’il admire presque sans réserve et auquel il a consacré un essai103.

41 Dès sa jeunesse, Werfel appréciait chez les écrivains leur souci de « morale politique »104 et sa critique de la Révolution, venant d’un auteur qui se voulait au départ révolutionnaire, fait de lui un précurseur des Anouilh, Bernanos, Camus, Malraux, Montherlant, Sartre. Bien des formules de son théâtre anticipent celles des Français. Des personnages lucides de Juarez und Maximilian et Das Reich Gottes in Böhmen avertissent : « Pour tout idéaliste sonne l’heure où il peut devenir ou devient un criminel » ; il n’y a « jamais qu’une espèce d’exterminateur de la pire cruauté : les idéalistes »105. Werfel combat aussi le Romantisme comme un idéalisme qui fait fi des réalités106. Cela le rapproche de façon frappante des « Nouveaux Philosophes » français, et singulièrement d’André Glucksmann et de Bernard-Henri Lévy. Comment ne pas penser aux Maîtres Penseurs (1977) et au Silence on tue (1986) de Glucksmann en lisant Der Snobismus als geistige Weltmacht et Die vierzig Tage des Musa Dagh de Werfel ? Il y a tout spécialement des convergences entre les vues de Werfel et Le Testament de Dieu de Bernard-Henri Lévy. Tous deux appellent romantisme la source des religions de remplacement qu’ils rejettent107. Ils voient dans la politique inhumaine l’idéalisme extrême108. Dès 1917, dans ses essais Fragment gegen das Männergeschlecht et Brief an einen Staatsmann, Werfel voyait dans le militaire et le politicien les plus dangereux des idéalistes109. Les potaches de Der Abituriententag représentent la génération expressionniste. Contempteurs des classiques, leurs expériences cérébrales ouvrent la voie à leur cruauté mentale envers Adler. Ayant lui-même participé aux excès de la pensée et de l’art modernes, Werfel bat sa coulpe dans les Theologumena écrits sur la fin de sa vie : Sous les rires de quelques béotiens qui jouaient à s’indigner, nous étions les minables qui commençaient à attiser la fournaise infernale dans laquelle l’humanité est en train de rôtir110.

*

42 On a compris que la Neue Sachlichkeit n’aura été pour Werfel qu’une phase préparatoire à un message religieux. Mais qu’un Werfel ait assumé cette période prouve que la Neue Sachlichkeit est un concept solide dans l’histoire de la littérature, de l’art et des idées.

43 Félix Bertaux termine son Panorama de la littérature allemande en disant des auteurs des Années Vingt : « Leur froideur est désir de lucidité ; leur passion, volonté ; leur aventure, celle d’intelligences et de cœurs ne consentant à se donner qu’à ce qui en vaudra la peine (…). La volonté de discrimination l’emporte sur le goût des extases.

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Sous ce qui s’appelle Neue Sachlichkeit transparaît une sensibilité plus intellectuelle que celle d’hier, et gouvernée par un esprit plus libre »111. Franz Werfel est partie prenante de ce rééquilibrage. Il fallait le souligner en cette année de son centenaire.

44 En 1928, Félix Bertaux avait des paroles d’espoir. À propos des écrivains de l’époque, il poursuit : « Etre Européens, ils pensent que c’est leur lot. Mais en leur for intérieur, ils nient que l’on ait jusqu’à présent trouvé la façon de l’être (…). Quelle Europe promettent ces dispositions, nul ne peut le dire (…). Une élite pressent la renaissance spirituelle de l’occident »112. Ces perspectives d’alors restent d’autant plus vraies qu’elles ont survécu aux terribles épreuves. Elles sont même en voie de réalisation, puisque 1990 voit se dérouler en Europe centrale et particulièrement à Prague, patrie de Werfel, des révolutions et renaissances pacifiques, marquées de surcroît par les forces morales et religieuses que Werfel ne dissociait pas de l’objectivité ni du réalisme.

NOTES

1. – V. Félix Bertaux, Panorama de la littérature allemande, Paris, Kra, 1928, p. 254. 2. – Franz Werfel, Das lyrische Werk, Francfort/M., S. Fischer, 1967, p. 267 (Der Gerichtstag). 3. – F. Werfel, Zwischen Oben und Unten. Prosa. Tagebücher. Aphorismen. Literarische Nachträge hrsg. von Adolf Klarmann, Munich, Langen-Müller, 1975 (abr. OU), p. 207 (Fragment gegen das Männergeschlecht). 4. – Préface à Das Lied von Bernadette, toutes éditions. 5. – Bertaux, op. cit., II, 2 ; Les écrivains de choc. Passage de l'expressionnisme à l'ordre froid (p. 238-296). 6. – H. Ihering, «Der Fall Werfel», in Das Tagebuch vol. 9-10, 1928-1929, repris dans H.I., Die getarnte Reaktion. Eine Streitschrift, Berlin, 1930 et H.I., Die Zwanziger Jahre, Berlin, Aufbau Vlg. 1948, p. 195-225 ; également dans Hans Mayer Hrsg., Deutsche Literaturkritik im 20. Jahrhundert, Stuttgart, Govert, 1965, p. 640-675 (cit., p. 653). 7. – Bertaux, op. cit.., p. 248. 8. – Ibid., p. 250. Paul Fechter explique longuement le passage du lyrisme au théâtre chez Werfel : P.F., Das europäische Drama, Mannheim, Bibliographisches Institut, T. 3, 1958, p. 71. 9. – Théâtre complet de Werfel : F.W., Die Dramen, Francfort/M., S. Fischer, 1959, 21. Toutes les pièces d'avant 1920 : t. 1, p. 11-133 ; fragments : t. 2, p. 343-472 (abréviation pour la suite des notes : Dramen I et II). 10. – Philippe Ivernel, « L'abstraction et l'inflation tragique dans le théâtre expressionniste », in : D. Bablet-J. Jacquot, L'expressionnisme dans le théâtre européen, Paris, C.N.R.S., 1971, p.91.V. aussi la thèse de Martin Arnold, Franz Werfel. Des Dichters Welt und Weg zwischen Lyrik und Drama 1910-1930. 11. – Version imprimée, Lyrisches Dasein und Erfahrung der Zeit im Früh werk Franz Werfeis, Altdorf, Huber, 1961 : « Il est préférable, à propos de ces œuvres, de parlernon de théâtre, mais de lyrisme scénique », (p. 38 et 40). Emil Staiger, Grundbegriffe der Poetik, Zürich, Atlantis Vlg., 1946, 7. Aufl. 1966, p. 154. 12. – V. Alma Mahler-Werfel, Ma vie, Paris, Julliard, 1961, p. 131-132. Gina Kaus, Und was für ein Leben… Mit Liebe und Literatur, Theater und Film, Hambourg, Knaus, 1979, p. 73-74. Robert Neumann, Ein leichtes Leben, Munich, K. Desch, 1963, p. 359 et Vielleicht das Heitere, Desch, 1968,

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p. 369. Willy Haas, «Ein Dichter, nur ein Dichter». Am 10. September wäre Franz Werfel 80 geworden in : Die Welt, 10.9.1970, p. 17. 13. – V. Hans Hautmann, «F. Werfeis "Barbara oder Die Frömmigkeit" und die Revolution in Wien 1918», in Österreich in Geschichte und Literatur, n° 8, 1971, p. 469-479. 14. – Principaux travaux sur le théâtre de Werfel : E. Adams-U. Kuhlmann, «Perspektiven über Werfeis dramatisches Schaffen», in : Views and Reviews ofgerman modern Literature, Festschrift für A. Klarmann, Munich, 1974, p. 195-212 ; Martin Arnold, op. cit. ; R. Broch, Die Dramen Franz Werfeis, Diss., Vienne, 1935 ; E. Hunna, Die Dramen von Franz Werfel, Diss., Vienne, 1948 ; Hanns Karlach, Werfeis Kampf um das Drame. Des Dichters theatralische Anfänge, Dipl., Prague, 1963 ; H. Meister, Werfeis Dramen und ihre Inszenierungen auf der deutschsprachigen Bühne, Diss., Cologne, 1964 ; H. Rück, Franz Werfel als Dramatiker, Diss., Marbourg, 1965 ; H. Vogelsang, Der Dramatiker Werfel, in : 136. Jahresbericht des Schottengymnasiums, Vienne, 1961, p. 52-65 ; J.D.A. Warren, «Werfels's Historical Dramas», in L. Huber Hrsg., Franz Werfel. An Austrian Poet reassessed, Oxford, Berg Publishers, 1989, p. 153-173 ; P. Wimmer, Franz Werf els dramatische Sendung, Vienne, Bergland Vlg., 1973. 15. – Dramen I, p. 413. 16. – Ibid., p. 474. 17. – Ibid., p. 393. 18. – Ibid., p. 494. 19. – Reinhold Grimm, in R. Grimm-J. Hermand Hrsg., Die sog. Zwanziger Jahre, Bad Homburg, Gehlen, 1970, p. 16. 20. – Dramen I, p. 497. 21. – Alfred Heuer, « Ausdrucksform und Neue Sachlichkeit », in Zeitschrift für Deutschkunde, vol. 44, 1930, p. 330-331. 22. – V. Wieland Schmied, Neue Sachlichkeit und magischer Realismus in Deutschland, Hannovre, 1969. En outre, on a parlé très tôt de « Nachexpressionismus », v. Franz Roh, Nach-Expressionismus. Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei, Leipzig, 1925. 23. – La première de Spiegelmensch fut un succès à Leipzig le 15.10.1921, puis ce fut un échec à Stuttgart et Vienne (v. Alma Mahler-Werfel, op. cit., p. 169 et 172). Bocksgesang fut un échec, sauf en Amérique où il fonda la réputation de l'auteur (v. F. Lambasa, «F. Werfel's Goat Song», in : L.B. Foltin Hrsg., Franz Werfel, 1890-1945, University of Pittsburg Press, 1961, p. 69-82). La réaction fut exactement parallèle pour Schweiger (v. L.B. Foltin, Franz Werfel, Stuttgart, Metzler, 1972, p. 47-52 et OU p. 679-680). 24. – OU, p. 682. 25. – Ibid., p. 688-689. 26. – Helmut Lethen, Neue Sachlichkeit, 1924-1932. Studien zur Literatur des «Weissen Sozialismus», Stuttgart, Metzler, 1970. C'est en effet en 1924 que Rudolf Kayser parle pour la première fois de «Neue Gegenständlichkeit», v. Bertaux, op. cit., p. 289. 27. – H. Meister, op. cit., p. 127. 28. – H. Ihering, Von Reinhardt bis Brecht, Berlin, Aufbau Vlg., 1961, t. 1, p. 358-359, t. 2, p. 118. 29. – Ibid., t. 2, p. 120. 30. – OU, p. 689 (Journal). 31. – Ibid. 32. – Dramen, I, p. 472 et 527. 33. – «F. Werfeis Absage an die Expressionnisten. Ein Gespräch mit dem Dichter». In : Wiener Mittagspost, Vienne, 21.5.1930-1920, p. 3. Le texte de OU, p. 591-592 n'est qu'un très court extrait de cette interview. 34. – OU, p. 222-260. 35. – Ibid., p. 230, 232, 235. 36. – Ibid., p. 269.

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37. – Walter Sokel, « Brecht und der Expressionnismus », in : R. Grimm-J. Hermand, op. cit., p. 58. 38. – OU, p. 702 (Autobiographische Skizze). 39. – Ibid., p. 232. 40. – Ibid., p. 229 (Dramaturgie und Deutung des Zauberspiels "Spiegelmensch") et p. 673 (Journal). 41. – OU, p. 260-278. 42. – W. Sokel, loc. cit., p. 62. 43. – OU, p. 260-261 (Grundzüge). 44. – Ibid., p. 597-599 (Historisches Drama und Gegenwart). 45. – Dramen I, p. 559. 46. – OU, p. 597 (Historische Drama und Gegenwart). 47. – Dramen I, p. 404. 48. – Ibid., p. 472. 49. – Ibid., p. 455. 50. – Ibid., p. 404 et 438. 51. – Ibid., p. 426-427. 52. – «Wie mein "Reich in Gottes in Böhmen" entstand», in Freiburger Theaterblätter, 1931, p. 162-164 (pas dans OU). 53. – Vorwärts, Berliner Volksblatt. Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, 11.11.1924, p. 3, col. 1. 54. – «Franz Werfel sendet uns folgende Zeilen», in Vorwärts, n° 572, 4.12.1924, p. 2 (pas dans OU). 55. – «Die Stunde des Christus», Paulus unter den Juden als Maifestspiel, in : Prager Presse 8.5.1930, p. 8 (pas dans OU). Werfel reprend la même idée dans Historisches Drama und Gegenwart, OU p. 598. 56. – Dramen I, p. 401. 57. – Ibid., p. 455. 58. – Ibid., p. 414. 59. – Ibid. 60. – Axel Schalk, «F. Werf els Historie "Juarez und Maximilian". Schicksalsdrama, "Neue Sachlichkeit" oder die Formulierung eines paradoxen Geschichtsbild? in Wirkendes Wort, Bonn, n° l, 1988, p. 85. 61. – Norbert Abels, Franz Werfel, Hambourg, Rowohlts Bildmonographien, n° 472, 1990, p. 70. 62. – Th. Koebner, «Das Drama der Neuen Sachlichkeit und die Krise des Liberalismus», in : W. Rothe Hrsg. Die deutsche Literatur in der Weimarer Republik, Stuttgart, Reclam, 1974, p. 32-33. 63. – « Werfel se livre à des études d'une singulière ampleur. Ses connaissances historiques sont extraordinaires et il ne manque pas un iota à la parfaite reproduction des figurants de l'histoire mondiale qu'il a placés sur scène ». Commentaire de E.M. Salzer à la suite de l'interview de Werfel, «Wie mein "Reich Gottes in Böhmen" entstand», loc. cit. Sur l'exactitude des costumes v. H. Meister, op. cit., p. 130-131. Cela permit à Karl Kraus d'ironiser sur la scrupuleuse reproduction du couvre-chef de Maximilien ! (Fackel. n° 697-705, oct. 1925, p. 24). 64. – Verdi. Roman der Oper (1923), Francfort/M., S. Fischer, 1966, p. 221 (chap. 6). 65. – Walter Sokel, Der Literarische Expressionismus, Munich, Langen-Müller, 1970 (trad. de The Writer in extremis, Stanford, 1959), p. 167 et 271. 66. – OU, p. 229, 231 (Dramaturgie…), 591-592 {Absage an den Expressionismus), 673 (Journal) et 702 (Autobiographische Skizze). 67. – Ibid., p. 229-231. 68. – Les six nouvelles dans : Erzählungen aus zwei Welten hrsg. von A. Klarmann, t. 2, Francfort/M., S. Fischer, 1952. Nouvelle édition : Die tanzenden Derwische. Erzählungen, Francfort/M., S. Fischer Taschenbuch Vlg., 1989, p. 103-211 et Die Entfremdung. Erzählungen, Fischer Taschenbuch Vlg., 1990.

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69. – W. Nagl.-J. Zeidler-E. Castle, Deutschösterreichische Literaturgeschichte, Vienne/Leipzig, Fromme Vlg., t. 4, 1937, p. 2249. Dès 1930, Der Tod des Kleinbürgers fut classé dans la Neue Sachlichkeit, cette nouvelle comptant parmi les œuvres sur « l'érosion monétaire » (Alois Bauer, «Vorläufiges zur Neuen Sachlichkeit», in Zeitschrift für Deutschkunde, vol. 44, 1930, p. 79). 70. – Erzählungen aus zwei Welten, t. 2, op. cit., p. 232 (Das Trauerhaus). 71. – Bertaux, op. cit., p. 311. 72. – R. Specht, «Der Abituriententag», in Neue Freie Presse, Vienne, 1.6.1928 (compte rendu). 73. – H. Schimmelpfeng Werfeis, «Abituriententag», in Die Christliche Welt, vol. 43, 1929, p. 131-133. 74. – Jost Hermand, «(Œdipus lost: Oder der im Massenleben der Zwanziger Jahre "aufgehobene"Vater-Sohn-Konflikt des Expressionismus», in R. Grimm-J. Hermand, op. cit., p. 220. 75. – Der Abituriententag, Francfort/M., Fischer Taschenbuch Vlg., 1990, p. 112-113 (chap. 5). 76. – Ibid., p. 141 (chap. 6). 77. – Ibid., p. 7 et 63 (chap. 3). 78. – Ibid., p. 23 (chap. 27). 79. – Ibid., p. 87 (chap. 47). 80. – «Was arbeiten Sie? Gespräch mit Franz Werfel». Interview par Willy Haas in Die Literarische Welt, Berlin, n° 2, 1926, p. 33-35. 81. – Werfel, «Das Reich Gottes in Böhmen», interview dans Prager Presse 18.12.1930, p. 8 (puis Witiko 3, Cassel, 1931, p. 130-131). 82. – Barbara oder Die Frömmigkeit II, 2 (Francfort/M., S. Fischer, 1957, p. 1027). 83. – Ibid. II, 12 («Der Ruf nach Blut»). 84. – Franz Werfel, «Erklärung», in Der Vormarsch. Blätter der nationalistischen Jugend, Berlin, vol. 1, 1927-1928, p. 271. 85. – Gertrud Alexander, «Die neuere Dichtung», in Die Rote Fahne, vol. 4, 1921, n° 264 (13.1). Reproduit dans W. Fähnders-M. Rector, Literatur im Klassenkampf, Zur proletarisch-revolutionären Literaturtheorie, Eine Dokumentation, Munich, Hanser, 1971, p. 90. 86. – Interview radiodiffusée de Piscator par H. Ihering in Die Literatur, vol. 1928-1929, p. 497-500, reproduit dans E. Piscator, Schriften, t. 2, Aufsätze, Reden, Gespräche, Berlin, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, 1968, p. 63. 87. – H. Ihering, Die getarnte Reaktion, loc. cit., dans Hans Mayer, op. cit., p. 656-657. 88. – O. Biha, «Der Tod des Spiessers. Dreimal Flucht aus der Wirklichkeit», in Die Rote Fahne, vol. 14, n° 177, 13.9.1931 et «Die Ideologen des Kleinbürgertums», in Internationale Literatur, vol. 2, n° 2, 1932. R. Braune, «Herr Werfel zieht in den Krieg», in Die Linkskurve, vol. 4, n° 2, 1932. Ces trois articles cités dans Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Eine Auswahl und Dokumentation, Berlin/Weimar, 1967, p. 777. 89. – G. Lukâcs, Grösse und Verfall des Expressionismus, in Internationale Literatur, n° l, 1934, p. 153-173. D'après G. Lukâcs, Werke, t. 4. Essays über Realismus. Probleme des Realismus 1, Neuwied/ Berlin, Luchterhand, 1971, p. 134-135. 90. – G. Lukâcs, Karl Marx und Friedrich Theodor Fischer, 1934, in Werke, op. cit., t. 10 : Probleme der Ästhetik, p. 301. 91. – Dramen I, p. 427. 92. – Ibid. II, p. 20. 93. – Ibid., p. 41. 94. – E. Bloch, Diskussionen über Expressionismus in Das Wort, vol. 6, 1938, p. 98-103. 95. – Julius Bab, «Bilanz des Dramas», in Die Volksbühne, vol. 5, 1930, n° 3, p. 100. Cité d'après Th. Koebner, loc. cit., p. 19. 96. – B. Brecht, Schriften zur Literatur und Kunst, Francfort/M., Suhrkamp, 1967, t. 1, 1920-1932, p. 70-72 et 250. 97. – B. Brecht, op. cit., p. 44, 46-47.

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98. – Le poème de Küpper n'est pas reproduit dans les Schriften zur Literatur und Kunst de Brecht. On le trouvera dans Hans Mayer, op. cit., p. 446-447. 99. – Heinz Kindermann, «Vom Wesen der "Neuen Sachlichkeit"», in Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts Frankfurt am Main, 1930, p. 354-386. 100. – OU, p. 16-40. De ce réalisme radical fait partie l'Américanisme, lequel est compté par Helmut Lethen parmi les composantes de la Neue Sachlichkeit. Chez Werfel, l'Américanisme représente d'une part une tentation des Années Vingt : les héros de Nicht der Mörder… et Der Abituriententag Karl et Adler émigrent finalement en Amérique ; les pièces Bocksgesang et Juarez und Maximilian présentent des personnages d'Américains à la fois cyniques et de bon sens. Mais pour le Verdi de Werfel, l'activisme américain («Die amerikanische Hätz») est un des aspects « lucifériens nordiques » (Verdi, op. cit., p. 194). A la même époque, Werfel compose la ballade Die Zeit der Riesen kommt, dans laquelle notre vieille culture est ravagée par d'affreux golems… parlant américain ! (Das lyrische Werk, op. cit., p. 575-576). Sur quelques aspects de l'Amérique chez Werfel, v. Hans-Bernhard Moeller, «Amerika als Gegenbild bei Franz Werfel», in Literatur und Kritik, n° 81, 1974, p. 42-48. Sur le problème de l'américanisme des Années Vingt en général, v. l'article fondamental de Gérard Imhoff, «Der Amerikanismus der zwanziger Jahre oder die Versuchung eines alternativen Weltildes», in Revue d'Allemagne, t. XXII, n° 3, 1990 (juillet- septembre), p. 427-437. 101. – OU, p. 348. 102. – Ibid., p. 18. 103. – Sur Zola : OU, p. 18, 38, 345, 441, 664, 665, 678, 684, 687. Essai sur Zola : « Emile Zola », dans : Wilhelm Herzog, Menschen, denen ich begegnete, Berne/Munich, Francke Vlg., 1959, p. 445-447. Paru en français dans Présence de Zola, Paris, Fasquelle, 1952. 104. – OU, p. 478. 105. – Dramen I, p. 424 et II, p. 64. 106. – Werfel sur le Romantisme : OU, p. 329, 401, 753-755 ; Verdi, op. cit., p. 27-28, 87, 196 ; Ein Bildnis Giuseppe Verdis, in : Giuseppe Verdi, Briefe, hrsg. und eingeh von F. Werfel, übers, von Paul Stefan, Vienne, Paul Zsolnay, 1926, p. 14-15 ; Verdi und die Romantik, in : Die Literarische Welt, Berlin, 20.10.1926, p. 4. 107. – Lévy sur le Romantisme : Le Testament de Dieu, Paris, Grasset, 1977, p. 10, 25, 77, 122-123, 145, 161. 108. – Ibid., p. 49. 109. – OU, p. 210 et 214. 110. – Ibid., p. 191. 111. – Bertaux, op. cit., p. 315-316. 112. – Ibid.

RÉSUMÉS

Chez Franz Werfel, la production des Années Vingt est dominée par les drames Spiegelmensch, Bocksgesang, Schweiger, Juarez und Maximilian, Paulus unter den Juden et Das Reich Gottes in Böhmen. Leur structure commune oppose des révolutionnaires réalistes à des révolutionnaires extrémistes. Ils représentent une phase de réflexion politique et donc un dépassement de l’extase expressionniste. Les nouvelles de 1927-1928, dont Der Abituriententag, ainsi que le roman Barbara

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oder Die Frömmigkeit (1929) s’inscrivent dans la même ligne par leur message de lucidité et de non violence. La modération de Werfel lui a attiré l’hostilité de la critique marxiste. Le désaveu qu’il formule contre le radicalisme annonce le théâtre « existentialiste » français et la Nouvelle Philosophie. La période de Neue Sachlichkeit prépare la dernière phase de production de Werfel, d’inspiration authentiquement religieuse en même temps que respectueuse des réalités.

In Werf eis Schaffen der Zwanziger Jahre überragen die Dramen Spiegelmensch, Bocksgesang, Schweiger, Juarez und Maximilian, Paulus unter den Juden und Das Reich Gottes in Böhmen. Alle leben von der Opposition zwischen radikalen und nüchternen Revolutionären. Sie bilden eine Phase der politischen Besinnung und somit eine Ueberwindung der expressionistischen Ueberspanntheit. Die Novellen von 1927-1928, darunter Der Abituriententag, so wie der Roman Barbara oder Die Frömmigkeit (1929) weisen in dieselbe Richtung durch ihre Moral der Erkenntnis und der Gewaltlosigkeit. Werf eis Mässigung forderte Ablehnung von seiten der marxistischen Kritik heraus. Die Absage an den Radikalismus nimmt das Theater der französischen Existentialisten und die Position der sog. Nouvelle Philosophie der siebziger Jahre vorweg. Die Neue Sachlichkeit bei Werfel ist die Vorbereitung auf seine lelzte, sowohl religiöse als auch realitätsnahe Schaffensperiode.

AUTEUR

MICHEL REFFET Université de Dijon

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Die Neue Sachlichkeit Malerei der Weimarer Zeit La peinture de la Nouvelle Objectivité

Wieland Schmied

1 Durch die deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts zieht sich ein großer Dualismus. Er wird geprägt von expressionistischen und anti-expressionistischen Strömungen. Wir könnten mit dem Titel eines Bildes von Paul Klee auch von «Hauptwegen und Nebenwegen» sprechen. Der Hauptweg, das war zweifellos der Expressionismus. In seinem Zeichen beginnt die Moderne in Deutschland: 1905 mit der Künstlergemeinschaft «Brücke» in Dresden, rund fünf Jahre später mit der Gruppe um den «Blauen Reiter» in München.

2 Doch bald artikulieren sich Gegenbewegungen – unter dem Schock des Ersten Weltkrieges meldet sich Dada zu Wort, zuerst in Zürich, dann in Köln, Hannover, Berlin. Anfang der zwanziger Jahre beginnt man von einer neuen Malerei zu sprechen. Ihre unterschiedlichen Tendenzen werden als Verismus, als Neoklassizismus, als Neonaturalismus, als magischer Realismus, als neue Sachlichkeit benannt, auch die Bezeichnungen «Ingrismus» (nach dem französischen Klassizisten Ingres) und neue Romantik werden versuchsweise eingeführt. Schließlich setzt sich der Name «Neue Sachlichkeit» als Sammelbegriff durch.

3 So verschiedenartig die einzelnen Strömungen sind, die dieser Begriff vereint, in einem stimmen sie alle überein: in ihrer Absage an den Expressionismus. Und die Kritik und Museums weit bewertet sie, mag sie ihr teilweise auch noch so reserviert gegenüberstehen, als die Kunst, die den Expressionismus abgelöst, ja überwunden hat. Das kommt am deutlichsten in den beiden Manifestationen zum Ausdruck, die 1925 ihren ersten – und wohl schon entscheidenden – Höhepunkt markieren. Gustav F. Hartlaub, der frisch bestallte Direktor der Mannheimer Kunsthalle, gibt der von ihm initiierten Ausstellung den Titel: «Neue Sachlichkeit. Deutsche Malerei seit dem Expressionismus». Und Franz Roh, der Münchener Kritiker, nennt sein Buch (freilich darin auch einem Verlegerwunsch folgend) noch expliziter: «NachExpressionismus». Der Untertitel heißt dann: «Magischer Realismus. Probleme der neuesten europäischen Malerei».

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4 Aber der Expressionismus, so oft totgesagt, war noch keineswegs erloschen. Zunächst koexistierte er im Weimarer Bauhaus fort (und lag mit den dort allmählich übermächtig werdenden konstruktivistischen Tendenzen in manchmal fruchtbarem, manchmal erbittertem Widerstreit). Nach dem Zweiten Weltkrieg lebte er zunächst im abstraktem Expressionismus diesseits und jenseits des Atlantiks wieder auf, erhob sein Haupt im Kreis der Cobra-Gruppe (und ihrer Ableger) und kulminierte im «Neoexpressionismus» der sogenannten «neuen Wilden» oder «neuen Heftigen».

5 Alle diese Bewegungen, die Malerei der «abstrakten Expressionisten» nicht weniger als die der der «neue Wilden» drei Jahrzehnte später, stießen oft gerade bei der sich selbst als progressiv empfindenden Kritik – die sich am Fortschritt der jeweils zuletzt etablierten Bewegung orientierte – zunächst auf Skepsis und Widerspruch. In besonderem Maße war das beim ersten Auftreten der Malerei der Neuen Sachlichkeit der Fall. Bedeutete ihr «Zurück zum Gegenstand» nicht in der Tat, kunstgeschichtlich gesehen, einen Rückschritt? So sah es jedenfalls Wilhelm Hausenstein, der im «erneuerten Interesse für die Welt… der äußeren Gegenständlichkeit» einen «Rückschlag» zu erkennen meinte. Selbst Hartlaub meldete in seinen ersten Reaktionen Zweifel an, die sich freilich besonders auf die aufreizend «häßlichen» Gegenstände bezogen, die sich einzelne Veristen – oder «Neonaturalisten» – gewählt hatten. Erst die eigene Ausstellung, ihr Ergebnis, ihr Echo, ihr Erfolg mögen ihn ganz von der Tragfähigkeit der neuen Richtung überzeugt haben.

6 Den kritisch-ablehnenden Stimmen – die auch Mitte der zwanziger Jahre noch keineswegs verstummt waren – nachdrücklich widersprechend schrieb Wilhelm Michel 1925 im 56. Band von «Deutsche Kunst und Dekoration» im Hinblick auf die Mannheimer Ausstellung: «Halten wir vor allem das eine fest: Es handelt sich um eine neue Sachlichkeit. Es handelt sich keineswegs um eine Rückkehr zur Sachlichkeit der vorexpressionistischen Zeit. Es handelt sich um die Ding-Entdeckung nach der Ich-Krise. Es handelt sich um eine -Ergreifung nach jener wichtigen Wandlung, die das schroff idealistische Zwischenspiel des letzten Jahrzehnts herbbeigeführt hat».

7 In dieser Kritik sind zwei wesentliche Charakteristika der Neuen Sachlichkeit angesprochen. Dabei ist das eine formaler, das andere Charakteristikum inhaltlicher Natur.

8 Zum einen: Die Neue Sachlichkeit stellt keine fraglose, sondern eine bewußt konstruierte Realität dar. Sie ist eine Form realistischer Kunst, entwickelt nach der Abstraktion, nach den ersten abstrakten Bildern eines Kandinsky, Kupka, Malewitsch, Mondrian, die unsere Anschauung der Welt und unser Verständnis der Kunst so nachhaltig erschüttert und verändert hatten. Sie ist eine Form realistischer Kunst, entwickelt nach den Erfahrungen Dadas und der heterogene Elemente verbindenden DadaCollage. Sie fügt die Fragmente einer zerbrochenen Wirklichkeit wieder behutsam collageartig zusammen, und man hat ihre Bilder darum auch zuweilen «handgemalte Collagen» genannt.

9 Zum zweiten. Die Neue Sachlichkeit versucht anders als Dada – das alles in Zweifel zog – und anders als der Expressionismus, der das eigene Ich, das innere Erleben gläubig und selbstüberzeugt auf die Folie der äußeren Wirklichkeit projezierte – sich wieder demütigvertrauensvoll (und mitunter auch verzweifelt) an der Realität der Außenwelt, der Welt der Dinge zu orientieren, auch wenn diese Dinge in der Kunst erst wieder neu aufgebaut, neu konstruiert werden mußten. Die Darstellung der Außenwelt war ihr

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wichtiger als jedes subjektive Bekenntnis. Das Ich mußte hinter den Objekten zurücktreten, mußte bescheiden werden.

10 Nach den Ekstasen des Expressionismus suchten die Künstler der Neuen Sachlichkeit die Nüchternheit des Blicks, nach den kosmischen Träumen die banalen Themen, nach dem Überschwang des Gefühls die Freiheit von aller Sentimentalität. Wo der Expressionismus nach den Sternen gegriffen hatte, wollte man wieder Boden unter den Füßen gewinnen. Nun, da die Apokalypse eingetreten war, war man des apokalyptischen Pathos müde. Durchlittene Schrecken, gegenwärtige Konflikte malt man anders als die Vision kommender Katastrophen. Nur in der Faszination durch den Rhythmus der modernen Metropolen, in der häufigen Fixierung an großstädtische Motive blieb man dem Expressionismus nahe.

11 Franz Roh hat in seinem Buch «Nach-Expressionismus. Magischer Realismus» die entscheidenden Merkmale expressionistischer und sachlicher Malerei in einer Übersicht einander gegenübergestellt:

12 Expressionismus Ekstatische Gegenstände Viel religiöse Vorwürfe Objekt unterdrückend Rhythmisierend Erregend Ausschweifend Dynamisch Laut Summarisch Vordergründig (Nahbild) Nach vorn treibend Monumental Warm Dicke Farbsubstanz Aufrauhend Wie unbehauenes Gestein Arbeitsprozeß (Faktur) spüren lassend Expressive Deformierung der Objekte Diagonalreich (in Schrägen), Gegen die Bildränder Arbeitend Urtümlich

13 Nach-Expressionismus Nüchterne Gegenstände Sehr wenig religiöse Vorwürfe Objekt verdeutlichend Darstellend Vertiefend eher streng, puristisch

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Statisch Still Durchführend Vorder- und hintergründig (Nahbild + Fernbild) Auch zurückfliehend Miniaturartig Kühl, bis kalt Dünne Farbschicht Glättend, vertrieben Wie blank gemachtes Metall Arbeitsprozeß austilgend (reine Objektivation) Harmonische Reinigung der Gegenstände Eher rechtwinklig dem Rahmen parallel Zu ihnen festsitzend Kultiviert

14 Die Kunst der Neuen Sachlichkeit war wie keine andere Ausdruck der Zeitstimmung der zwanziger Jahre. Ihre Bilder lesen sich wie ein Protokoll der Weimarer Zeit – ihrer Wünsche, Ideale, Enttäuschungen, ihrer Ausflüchte, Konflikte und Defizite. Im Refrain eines Schlagers hieß es damals: «Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit». In kaltschnäuzig-schnippischem Ton werden in diesem Song die Fetische der neuen Zeit – Luftschiffe, Flugzeuge, Automobil, Elektrizität, Radio, Schallplatte – besungen und zugleich die Werte einer vergangenen Epoche wie Liebe oder Empfindsamkeit verspottet. Sie erscheinen als Ballast, der bei der Bewältigung des Lebens in einer technisiserten Welt nur hinderlich ist: Weg mit Schnörkel, Stuck und Schaden! Glatt baut man die Hausfassaden! Morgen baut man Häuser bloß, ganz und gar fassadenlos…

15 Der Schlager spinnt diesen Gedanken genüßlichynisch bis zur letzten logischen Konsequenz aus: Fort, die Möbel aus der Wohnung. Fort mit was nicht hingehört. Wir behaupten ohne Schonung: jeder Mensch, der da ist, stört.

16 Die Maler der Neuen Sachlichkeit haben diese «in der Luft» liegende Stimmung gemalt, und sie haben sich zugleich, indem sie diese malten, indem sie sie in den luftleeren Raum ihrer Bilder übersetzten, gegen sie gewehrt. Sie waren sich bewußt, daß sie selbst zu den Menschen gehörten, die «störten». Damit versuchten sie fertig zu werden. Sie kannten den kaltschnäuzigzynischen Ton, der in der Zeit lag, sie waren ihm täglich ausgesetzt, nicht zuletzt in ihrer Kunst. Sie haben auf ihn reagiert, ohne

17 ihn ganz zu übernehmen. Ihre Empfindungen versteckten sie hinter den Dingen, und oft blieben sie unsichtbar. Dinge konnten nicht so zynisch sein wie Menschen – und waren auch nicht so verletzbar. Darum hielten sie sich an die Dinge, und ließen die Menschen nur zögernd in ihre Bilder treten.

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18 Nicht mehr verletzt werden – so ließe sich das erste Ziel der Künstler der Neuen Sachlichkeit benennen. Nicht mehr verletzt werden von der Sachlichkeit – und Herzlosigkeit – der Menschen und sich darum lieber gleich in den Schutz der Dinge begeben – so hätte ihre ungeschriebene Devise lauten können. Dann lieber gleich selber in den Angriff übergehen und die «Verletzer» demaskieren und attackieren – wie es George Grosz und Karl Hubbuch getan haben – oder die Wunden der Verletzten in erbarmungsloser, erschreckender Offenheit vorzeigen – wie Otto Dix und Rudolf Schlichter es taten.

19 Die Expressionisten malten gern den nackten Menschen – für Dix dagegen ist der nackte Mensch fast immer zugleich der verstümmelte Mensch, gezeichnet von Alter, Krankheit, Laster, Ausschweifung. Für Schad erscheint der nackte Körper der Frau als Objekt, als Sache, verfügbar, besitzbar, manipulierbar. Dix und Schad haben gerne tätowierte Haut gemalt: die Tätowierung ist für die Menschen da so etwas wie die verzweifelte Hoffnung, den zwangsläufigen Verfall des Körpers vielleicht ein wenig hinausschieben zu können.

20 Die Maler der Neuen Sachlichkeit stellen den Menschen lieber angezogen dar, in möglichst viele Hüllen gepackt. Sie malen ihn geschützt durch Anzüge, Westen, Krawatten, Lederjacken, Mäntel, durch Handschuhe, Hut oder Mütze. Bei Räder Scheidt steht der junge Mann in schwarzem Anzug mit gelben Handschuhen und Bowler allein auf dem weiten Platz vor den geometrischgenormten Architekturen, die direkt aus der Pittura metafisica Giorgio de Chiricos genommen und in die moderne Welt versetzt erscheinen. Er steckt in seinem eng ansitzenden Gewand wie in einem Panzer, geschützt vor Angst und Kälte, aber darum umso mehr isoliert von seiner Umgebung und umso einsamer. So hat auch Schad den heimatlosen Aristokraten Graf St. Génois durch seinen Smoking gewappnet, als wollte er ihm vor der Verführung durch die Sirenen des Salons bewahren. Und Carl Grossberg steckt seinen Protagonisten gar in eine Taucherausrüstung um ihn so für immer unverletzlich zu machen.

21 «Der Mensch ist gut», hatte der Expressionismus postuliert, «der Mensch ist ein Vieh», konterte George Grosz am Anfang der zwanziger Jahre. Bald aber wandelte sich dieses zynische Bekenntnis zur Einsicht: dem Menschen muß geholfen werden, er muß beschützt werden. Er ist vor dem kapitalistischen Ausbeuter und dem blutgierigen Militaristen geradeso zu beschützen, wie vor den bedrohlichen anonymen Mächten der Technik, der Großstadt, dem Fortschritt, der Welt der Maschine…

22 Die Maler der Neuen Sachlichkeit konzentrierten ihren Blick auf das Alltägliche, die eigene Umwelt, den eigenen Erfahrungsbereich – über den allein man Genaues auszusagen vermag –, den Asphalt der Großstadt oder den abseitigen Winkel. Das führte zur Scharfeinstellung der künstlerischen Optik auf wenig beachtete Details (wie in Ernst Thoms' «Kramladen») oder zur Entdeckung ungewohnter Perspektiven. In einem Bild von Ernst Thoms blickt man vom Dachboden – dem Ort der Außenseiter – durch eine offene Luke tief hinunter in die Eingeweide des Hauses, bei Franz Radziwill schaut man gleichsam aus der Fischperspektive die nicht enden wollenden, schimmernden Flanken des Ozeanriesen hinauf. Die Wahl eines solchen Blickpunktes ist ebensowenig zufällig, wie die Wahl der Themen, sie drängt sich aus der Einstellung der Maler der Neuen Sachlichkeit geradezu auf: Es ist der Blick des kleinen Mannes, der sich den Phänomenen der modernen technischen Welt ausgesetzt sieht, die er nicht geschaffen hat, die er nicht beherrscht und die er nicht zu deuten vermag. Deswegen hält er sich auch so gern an die Dinge des täglichen Gebrauchs als Beispiele einer

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überschaubaren Welt. Übermächtig wird der kleine Mann auf dem Kai bei Radziwill von den gewaltigen Volumen der Überseeschiffe bedrängt, bis er wegblickt und sich in seine Zeitung versenkt. Hier wird ihm die Welt noch verständlich buchstabiert. In ihren vertrauten Klischees fühlt er sich zu Hause. Die Erfahrung der Technik dagegen bleibt ihm fremd und bedrohlich.

23 Für diese Bedrohung hat Carl Grossberg eindrucksvolle Metaphern gefunden. Affen und Fledermäuse bemächtigen sich zu abendlicher Stunde in unbewachten Augenblicken der verlassenen Maschinensäle, bedienen die technischen Apparate und Armaturen, drehen die Hebel und setzen die Kessel unter Druck. Der Schlaf der Maschinen gebiert Ungeheuer, könnte man Goya abwandeln. Nicht der Mensch beherrscht hier die Technik, er wird von ihr beherrscht. Die Einstellung zu ihren Erfindungen ist bei Grossberg und Davringhausen, bei Radziwill und Georg Scholz nicht die des Ingenieurs und Konstrukteurs, der sie erdenkt, entwirft und baut, sondern die des Opfers, das ihnen preisgegeben ist, dem diese Konstruktionen fremd und rätselhaft bleiben. Von allen technischen Erfindungen werden wohl nur Glühlampe und Telefon fraglos akzeptiert, finden nur Grammophon und Schallplatte ungeteilten Beifall.

24 Die Maler der Neuen Sachlichkeit entstammen alle einer Generation. Sie kamen um 1890 oder in den neunziger Jahren des vorigen Jahrunderts zur Welt. So wurden geboren:

25 1888 Arthur Kaufmann, Bernhard Klein, Kay H. Nebel 1889 Albert Aereboe, Bernhard Kretzschmar, Wilhelm Rudolph, Georg Schrimpf, Karl Völker 1890 Rudolf Schlichter, Georg Scholz, Eberhard Viegener 1891 Otto Dix, Karl Hubbuch, Franz Sedlacek 1892 Ernst Fritsch, Wilhelm Heise, Anton Räderscheidt, Wilhelm Schnarrenberger 1893 Julius Bissier, Leo Breuer, George Grosz, Karl Günther, Oskar Neriinger, Rudolf Wacker 1894 H.M. Davringhausen, Carl Grossberg, Otto Nagel, Christian Schad, F.W. Seiwert, Gert H. Wollheim 1895 Otto Griebel, Heinrich Hoerle, Franz Radziwill 1896 Carl Barth, Nikiaus Stöcklin, Ernst Thoms.

26 Am Ende des Ersten Weltkriegs waren sie alle noch keine dreißig Jahre alt. Fast alle haben sie die Schrecken des Weltkriegs am eigenen Leib erlebt (oder waren vor ihnen, wie Schad, in die Schweiz geflüchtet); fast alle haben sie eine expressionistische, futuristische, dadaistische Epoche durchlaufen: umso abrupter und umso radikaler war dann bei den meisten von ihnen die Abwendung von Expressionismus und Dada, nur bei Dix blieb der kompositorische Furor des einstigen Expressionisten immer spürbar, er konnte seine Gestalten mit unbezwingbar expressiver Kraft zueinander ins Bild zwingen, mußte sie nicht mühsam wie die anderen nach Art der Collage zusammenfügen.

27 Standen für die Maler der Neuen Sachlichkeit Formprobleme auch nie im Vordergrund, so haben sie alle doch bewußt sich jene Mittel zurechtzulegen verstanden, die ihnen zur Erfassung und möglichst direkten, unverstellten Wiedergabe der Realität die geeignetsten erschienen. Sie alle glaubten nicht an Visionen. Große Visionen hatten die Menschen ins Unglück gestürzt, und dieses Unglück war von großen Begriffen und großen Worten begleitet gewesen. Dem mißtrauten sie. Dem galt ihre Absage.

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28 Die Künstler der «Neuen Sachlichkeit» haben keine neuen Visionen hervorgebracht. Das unterscheidet sie von den Expressionisten wie von den Künstlern des Bauhauses. Auch ihr politisches Engagement galt weniger neuen Visionen oder Utopien, als vielmehr konkreten und greifbaren Zielen, war eher von Mitleid mit den Entrechteten oder Wut über den Zynismus der Herrschenden geprägt. Und es war nicht von Dauer.

29 Das drückt sich in den einzelnen Künstlerviten wie in der Entwicklung aus, die die Neue Sachlichkeit insgesamt genommen hat. Finden wir die ihr zugehörigen Maler zu Anfang der zwanziger Jahre alle in einer mehr oder weniger revolutionären Phase, von gärender Unruhe erfüllt, im Formalen nach den ihnen entsprechenden Mitteln suchend, politisch zu radikalen Standpunkten neigend, oft leidenschaftlich engagiert, von den schmerzhaften Erfahrungen des Krieges so wenig gelöst, wie vom Traum der Revolution, so haben sie Mitte der zwanziger Jahre ihre Form gefunden und sind dabei, ihrer Epoche in einer Reihe von zu äußerster Schärfe geschliffenen Bildern den adäquaten Ausdruck zu geben.

30 Um 1928/29 beginnt sich allmählich ein Verfall der Kraft, eine Aufweichung der Formen zugunsten eines unverbindlichen Post- Impressionismus abzuzeichnen. Die Spannung schwindet, der innere Antrieb erlahmt. Politische Zielsetzungen haben sich als unerfüllbar erwiesen, Hoffnungen sind zerbrochen. Viele Künstler suchen, desillusioniert und irritiert, in diesen Jahren Unterschlupf bei der Kirche. So sind damals kurz nacheinander Schlichter und Scholz – vorher eher in der «Roten Gruppe» zu Hause – zum katholischen Glauben konvertiert.

31 Die Gründe für diesen Ablauf dürfen wir nicht nur in den politisch-ökonomisch- sozialen Entwicklungen der Zeit suchen. Sie liegen zumindest ebenso in der persönlichen Biographie der einzelnen Künstler beschlossen.

32 Die Maler der Neuen Sachlichkeit waren, wie schon gesagt, am Kriegsende noch nicht dreißig. Die Nachkriegs jähre brachten für sie zugleich die aufgeschobenen Konflikte zwischen Pubertät und Geborgenheit in der Familie, zwischen Bohème und Bürgertum, anarchischer Gefühlswelt und überkommener Ordnung. Diese Konflikte multiplizierten sich durch die Zeitumstände, ihr Wertechaos, ihre Umstürze, die Träume von einer neuen Republik…

33 Mitte der zwanziger Jahre hat sich die Lebenssituation der Künstler in vielen Fällen entscheidend geändert. Sie haben ihren – wenn auch bescheidenen – Platz in der Gesellschaft gefunden. Beruflich beginnen sich erste Erfolge einzustellen, Bildverkäufe versprechen eine schmale, aber kontinuierliche Existenzgrundlage, einige sind als Lehrer an Akademien verpflichtet, viele im sicheren Hafen der Ehe gelandet, und es drängt sie, Familienglück und Kindersegen zum Thema ihrer Bilder zu machen.

34 Doch wo liegen die Gründe für die neuerliche Wende, den Rückfall in problemlos- akademische Ausdrucksformen am Ende des Jahrzehnts ? Ist es die allgemein um sich greifende Unsicherheit, die alles Gewonnene wieder zu gefährden droht? Ist es eine weltweit sich rührende Tendenz zum einfachen Leben, zur heilen Welt, zur Geborgenheit in der Provinzialität, die auch unsere Maler ergreift ? Sind es die Schatten kommender Katastrophen, die sie resignieren und sich nach einem schützenden Unterschlupf umsehen lassen ? Oder ist es das komplexe Zusammenwirken einer Vielzahl von Ursachen?

35 Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernehmen, ist die Kraft der Maler der Neuen Sachlichkeit längst gebrochen. Jetzt sehen sie sich von Ausstellungs- und

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Malverboten verfolgt, müssen – soweit sie je solche erlangt hatten – Professuren aufgeben, viele Bilder von ihnen werden als entartet beschlagnahmt. Ihr Schicksal ist das der «inneren Emigration». Einige von ihnen – wie Schad – hören fast ganz zu malen auf, andere – wie Dix – haben in dieser Zeit des Rückzugs und des SichVerbergens noch bedeutende Bilder geschaffen, allegorische Sinnbilder der Zeit oder landschaftliche Panoramen aus dem Atem der Donauschule. Und für jeden, der diese im Verborgenen entstandenen Bilder – damals oder später – gesehen hat, wurde klar, daß dieses «Gespräch über Bäume» zugleich das beredte Schweigen über das Unheil umfaßte, das sich in den Tagen des «Dritten Reiches» vollzog.

36 Nach dem Krieg hat es lange gedauert, bis die Malerei der Neuen Sachlichkeit wiederentdeckt und in ihrem wahren Rang erkannt wurde. Erst um 1960, als aus England und den USA die ersten Bilder der Pop-Art herüberkamen, wagte man es, sich der eigenen neuen Gegenständlichkeit zu erinnern, die in den zwanziger Jahren ein europäischer Faktor gewesen war.

37 Als Stilrichtung ist die Neue Sachlichkeit unter den Künstlern der Nachkriegszeit nicht wieder aufgelebt. Zuviel war geschehen, als daß man an ihrer Bildwelt hätte unmittelbar anknüpfen können. Allerdings kam es zu einzelnen Gruppierungen, die sich mehr oder weniger auf die Maler der Neuen Sachlichkeit – oder des Magischen Realismus – berufen haben, so die norddeutsche Zebra-Gruppe (um Asmus, Nagel, Ullrich) oder die Berliner «Schule der neuen Prächtigkeit» (um Grützke, Bluth und Koeppel). Auch wichtige Einzelgänger, wie der Hamburger Harald Duwe oder der Nürnberger Michael Prechtel, haben ihre Inspiration durch den Realismus der zwanziger Jahre nie verleugnet.

38 Am eindeutigsten haben sich die Berliner kritisch engagierten Realisten – u.a. Baehr, Diehl, Petrick, Sorge, Vogelgesang – zu den Malern der Weimarer Zeit bekannt. In den Mittelpunkt einer großen Wanderausstellung, die in den siebziger Jahren durch viele europäische Länder unterwegs war, stellten sie – als Hommage an Otto Dix – eine im Maßstab 1:1 ausgeführte Reproduktion seines Großstadt-Triptychons. Doch ihre Abhängigkeit von den Vorbildern der Neuen Sachlichkeit ist alles in allem gewiß nicht größer, als die der «Neuen Wilden» von den Künstlern der «Brücke».

39 Mag die «Neue Sachlichkeit» insgesamt auch nicht mehr als ein Nebenweg der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts gewesen sein, so war sie doch ein höchst bedeutsamer. Bedeutsam nicht nur als Dokument der Zeit, das uns Geist und Ungeist der Epoche getreulich überliefert, sondern bedeutsam auch als malerische Manifestation von hohem Rang.

RÉSUMÉS

Die Neue Sachlichkeit ist ein Sammelbegriff für unterschiedliche Richtungen, deren gemeinsamer Nenner die Ablehnung, ja Überwindung des Expressionismus ist. Das Motto «Zurück zum Gegenstand» ist nicht als Rückschritt nach den ersten Vorstößen der Abstraktion zu deuten, sondern vielmehr als «Dingentdeckung nach der Ich-Krise». Die bewußte

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Konstruktion der Realität, in der Form von «handgemalten Collagen» (Erinnerung an die DadaExperimente) ist ein Versuch, sich an der Welt der Dinge zu orientieren, unter Verzicht auf das subjektive Bekenntnis und auf das expressionistische Pathos. Die Menschen treten nur zögernd in die Bilder, gehüllt, schutzbedürftig. Die dominante Perspektive ist die des kleinen Mannes, der sich der modernen technischen Welt ausgesetzt sieht, die er nicht geschaffen hat. Diese Generation, die die Schrecken des Krieges am eigenen Leibe erlebt hat, schreckt vor hochgegriffenen Visionen zurück. Der Höhepunkt ihrer künstlerischen Leistung erreicht sie Mitte der Zwanziger Jahre, schon um 1928/1929 hat sie mit der allgemeinen Desillusionierung ihre Formkraft eingebüßt. In der Nazi-Zeit flüchten sich die meisten in die innere Emigration. Die Neue Sachlichkeit wird im Zuge der Pop-Art aus England und den USA in den sechziger Jahren wieder entdeckt als bedeutsame malerische Manifestation der deutschen Kunst des 20. Jahrhunderts.

La « Nouvelle Objectivité » est un terme général recouvrant des orientations artistiques diverses, qui ont toutes en commun le refus, voire le dépassement de l'expressionnisme. Le mot d'ordre du «retour à l'objet» n'est pas à prendre comme une régression après les premières avancées de l'abstraction, mais bien plutôt comme « découverte de la chose, après la crise du moi ». En construisant sciemment leur réalité sous forme de « collages peints à la main » (souvenir des expériences dada), les peintres de la Neue Sachlichkeit tentent de s'orienter dans le monde des choses, en renonçant tant à la confession subjective qu'au pathos expressionniste. Les hommes n'apparaissent qu'avec discrétion sur ces tableaux, comme des êtres fragiles, protégés par leurs vêtements. La perspective dominante est celle de l'homme dans sa petitesse, livré sans défense au monde moderne de la technique dont il n'est pas le créateur. Cette génération, qui a vécu les horreurs de la guerre, se défend des visions grandioses. Le sommet de sa production artistique se situe au milieu des années 20, les années 1928/1929, marquent le déclin de sa force créatrice, sous le poids de la désillusion générale. A l'époque nazie, la plupart de ces artistes se réfugient dans l'émigration intérieure. C'est dans les années 60, avec la vague du Pop-Art venue d'Angleterre et des Etats-Unis, que l'on redécouvre la Nouvelle Objectivité comme un courant important de la peinture allemande du XXe siècle.

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Amerikanismus und Neue Sachlichkeit in der deutschen Fotografie der zwanziger Jahre Américanisme et nouvelle objectivité dans l’art photographique des années vingt

Herbert Moiderings

1 «Rußland oder Amerika? oder Rußland und Amerika?», lautete die Alternative, vor die der liberale Demokrat Harry Graf Kessler in einem Vortrag vom Juni 1919 die deutsche Politik nach der Novemberrevolution gestellt sah1.

2 Zehn Jahre später veröffentlichte der Architekt Erich Mendelsohn einen Bildband mit dem Titel «Rußland Europa Amerika»2, in dem er die neuesten architektonischen Leistungen in den drei Ländern und Kontinenten einer vergleichenden Betrachtung unterzog. Doch nicht die baukünstlerische Seite soll uns hier interessieren, sondern das historische Kräfteparallelogramm, das Mendelsohn in dem Buch entwirft. «Europa», schreibt er, «ist heute arm, krank von den Nachwirkungen des Krieges, voll wirtschaftlicher und politischer Gegensätze und Unsicherheiten»3. In Rußland sieht Mendelsohn den Beginn einer neuen sozialen Ordnung, «die Vehemenz des Gefühls» und des Kollektivs4, ein Experiment, dem er Interesse entgegenbringt, das ihn aber nicht ganz zu überzeugen vermag. Seine Liebe gilt Amerika, der Verkörperung des Individualismus und der «rationellen Klugheit»5. Mehr noch als diese geistigen Eigenschaften fesselt ihn jedoch der materielle Reichtum der Vereinigten Staaten: die gewaltige Überlegenheit ihrer Produktivkräfte. «Amerika ist Herr der Welt»6. Mit dieser Feststellung beschließt Mendelsohn seine kurze Charakterisierung der wirtschaftlichen und politischen Lage von 1929.

3 Amerika, erläutert er, das heißt planvolle Einstellung der Technik in den Dienst des Menschen als Grundlage der Erschaffung eines neues Lebens. Er fordert den Leser auf, «die Geistlosigkeit unseres egoistischen Gefühls (gemeint ist der Eurozentrismus, Anm. d. Verf.) einzutauschen gegen den umfassenden technischen Geist der neu werdenden Welt»7.

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4 Mendelsohns Ausführungen in «Rußland Europa Amerika» skizzieren beispielhaft die auseinanderstrebenden gesellschaftlichen und geistigen Tendenzen, zwischen denen die künstlerische Intelligenz in Deutschland nach dem 1. Weltkrieg zu wählen hatte. Für das ökonomisch und sozial zerrüttete Europa sieht er keine eigenständige Entwicklungsmöglichkeit mehr; es befindet sich in einer Sackgasse, eingezwängt zwischen den welthistorisch bestimmenden Kräften: dem mächtigsten und fortgeschrittensten Kapitalismus, den USA, und der sozialistischen Revolution, die 1917 in Rußland ihren Anfang genommen hatte.

5 Mendelsohns Thesen waren Bestandteil einer geistigen Strömung in der Weimarer Republik, die man «Amerikanismus» nannte. Um Bedeutung und Tragweite dieser Bewegung zu umreißen, sei ein kurzer Rückblick auf die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Deutschland nach 1918 vorausgeschickt.

6 Nachdem die Novemberrevolution durch die vereinten Kräfte der Sozialdemokratie und der Reaktion im Rahmen der bestehenden Eigentumsverhältnisse gehalten worden war, kam es 1923 zu einer erneuten revolutionären Krise. Die Nachkriegsinflation hatte zu einer totalen Geldentwertung geführt. Der Staat war zahlungsunfähig. Die französische Regierung nahm ausstehende Reparationszahlungen zum Vor wand, um das Ruhrgebiet zu besetzen, worauf die Arbeiterklasse geschlossen mit passivem Widerstand reagierte. Als die Reichswehr die gewählte SPD/KPDRegierung in Sachsen- Thüringen mit Waffengewalt aus dem Amt trieb, gab die KPD-Führung die Losung des bewaffneten Aufstandes aus, schreckte jedoch im letzten Augenblick vor seiner Durchführung zurück. In Hamburg, wo die Rückzugsmeldung nicht mehr rechtzeitig eintraf, kam es zum Aufstand, der blutig niedergeschlagen wurde.

7 Diese Ereignisse hatten den Siegern des 1. Weltkriegs, der englischen, französischen und vor allem der amerikanischen Bourgeoisie die Unmittelbarkeit der Gefahr einer sozialistischen Revolution vor Augen geführt. Eine solche Revolution drohte das wirtschaftliche und technische Potential Deutschlands mit dem der Sowjetunion zu vereinigen, und gegenüber dieser verbundenen Macht, das war allen Beteiligten klar, würde Europa bei einer erneuten revolutionären Welle nicht mehr standhalten können.

8 Nach 1918 wurden die USA zur Regierungszentrale der westlichen Welt. Sie setzten durch, daß unter Führung von General Dawes ein Sachverständigenausschuß gebildet wurde, dessen Aufgabe es war, Wege zu finden, um die Wirtschaft und die finanzielle Leistungsfähigkeit des deutschen Kapitalismus wiederherzustellen. Der «Dawes-Plan» war die Grundlage des Londoner Abkommens von 1924, dessen Verwirklichung Amerika den entscheidenden Einfluß auf die ökonomische und politische Entwicklung der Weimarer Republik garantierte. Ein spezielles Komitee hatte die Höhe der jeweiligen Reparationszahlungen so festzusetzen, daß die deutsche Währung nicht zu sehr destabilisiert wurde. Die Gewährung eines internationalen Kredits von 800 Millionen Gold-mark, dessen Hauptanteil die USA bereitstellten, führte zu einer vorübergehenden Belebung der deutschen Wirtschaft. Diesem «politischen Kredit» folgte ein immenser Export von Kapital seitens der amerikanischen Privatwirtschaft. Nicht weniger wichtig war der Transfer von Produktionsanlagen. Bis 1930 hatten ca. 80 amerikanische Firmen, an der Spitze die großen Automobilkonzerne, Zweigwerke in Deutschland errichtet. Amerikanische Kredite und amerikanisches Know how waren die Grundlage des labilen Gleichgewichts der Weimarer Republik in den Jahren 1924 bis 1929.

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9 Deutschland war durch den ersten Weltkrieg und die sich daran anschließenden Jahre der Revolution und bürgerkriegsähnlicher Zustände für nahezu ein Jahrzehnt von den wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen auf dem Weltmarkt abgeschnitten. Erst jetzt wurde deutlich, in welchem Maße die Produktionsmet hoden in den USA während dieser Zeit erneuert worden waren. Seit ca. 1910 hatte sich dort eine neue wissenschaftliche Methode zur Rationalisierung von Arbeitsvorgängen durchgesetzt: der sogenannte Taylorismus, der zu einer erheblichen Steigerung der Arbeitsproduktivität beitrug. Wenn auch das Taylor-System bereits vor 1914 in Deutschland diskutiert und von vereinzelten Unternehmen übernommen worden war, so wurde es doch erst ab 1924 mit der Gründung des «Reichsausschusses für Arbeitsstudien» (REFA) zum anerkannten Vorbild der Betriebsorganisation im deutschen Kapitalismus. Es kam zu einer forcierten Industrialisierung von Wirtschaftszweigen, in denen noch die handwerkliche Fertigung vorherrschte (beispielsweise im Baubetrieb), sowie zu einer intensiven Rationalisierung bereits bestehender Industrien. Im großen Stil wurden amerikanische Produktionsmethoden und Lebensformen importiert. «Amerikanisiert» wurde seinerzeit so gut wie alles, vom Musikleben bis zur Filmproduktion, vom Bürobetrieb bis zum Zeitungs-Lay-out, vom bargeldlosen Zahlungsverkehr bis zum Drink. «Die Amerikanisierung des Abenteuers» überschrieb Richard Huelsenbeck einen satirischen Artikel in der «Literarischen Welt» (November 1926), in dem er den neuen Typus des Reisenden vorstellte, der fremde Kulturen im Rhythmus des laufenden Bandes zu erleben sucht. Diese Erscheinung der begeisterten Übernahme amerikanischer Erfindungen, Lebensart und Philosophie war die konkrete historische Grundlage des künstlerischen und literarischen «Amerikanismus»8.

10 Waren das Hochhaus, die Mechanisierung des Lebens, die Verwissenschaftlichung der Produktion und das Fließbandprinzip die äußeren Embleme dieser Weltanschauung, so bildete ihr Zentrum die Vorstellung, in den USA sei eine von Technikexperten verwaltete Gesellschaft entstanden, die in der Lage sei, die sozialen Probleme, die die europäischen Nationen zerrissen, sachlich-rational zu lösen.

11 In dem Industriellen Henry Ford verkörperten sich die Ideale, die die republikanische und die links-liberale deutsche Intelligenz in Amerika verwirklicht sah. Seine Autobiografie «Mein Leben und Werk» erschien 1923 in deutscher Übersetzung und wurde zu einem Bestseller der zwanziger Jahre9. Sie enthielt das Versprechen, «das wüste Feld der Industrie in einen blühenden Garten zu verwandeln»10. Kennzeichnend für Fords Betriebe waren die Rationalisierung der Planungs- und weitestgehende Mechanisierung der Produktionvorgänge. Als einer der ersten hatte er 1913 die Fließbandfertigung in die Automobilindustrie eingeführt. Fords Geschäftstheorie basierte auf der Ausweitung des Massenkonsums, bewirkt durch eine Senkung der Produktionskosten auf dem Wege der Automatisierung und Hebung der Kaufkraft durch relativ hohe Löhne.

12 Der SPD und den sozialdemokratisch orientierten Gewerkschaftsführern versprach Fords Devise: «Gutbezahlte Arbeiter beteiligen sich an keiner sinnlosen Umwälzung»11 die Beilegung der seit 1918 ständig gegenwärtigen Drohung der sozialen Revolution. In Fords Methoden entdeckte der einflußreiche bürgerliche Nationalökonom Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld die Chance eines «weißen Sozialismus der reinen, tatfrohen Gesinnung»12. In seinem Buch «Fordismus. Über Industrie und technische Vernunft» aus dem Jahr 1924 preist er die Fordsche Politik als Beispiel dafür, daß die freie

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Entfaltung der im Kapitalismus schlummernden Kräfte die Klassenkonflikte lösen und die Harmonie aller Interessen sichern könne. Ford habe bewiesen, daß ein friedliches Zusammenleben von Kapital und Arbeit möglich sei, wenn nur die einander bekämpfenden Klassen sich als Partner begreifen und dem «arbeitsfrohen Dienst an der Gemeinschaft» unterordnen würden13.

13 Während Ford die gesundheitlichen Gefahren der äußersten Rationalisierung für die Arbeiter an seinen Montagebändern als fixe Ideen von «Salonexperten» und «berufsmäßigen Agitatoren» abtat14, bescheinigten ihm deutsche Nationalökonomen, Ingenieure und Schriftsteller, die als Touristen die Detroiter Werke besichtigt hatten, daß die Arbeiter in den Montagehallen nicht wie Proleten, sondern wie «Gentlemen» aussähen, die ihre monotonen Handgriffe «in sportlichem Gemütszustande» verrichteten.

14 So schildert sie der Reiseschriftsteller Heinrich Hauser, der seine Bücher seit 1928 mit eigenen Fotos illustrierte. Thema der 1931 erschienenen Reisereportage «Feldwege nach Chicago»15 ist die Unmenschlichkeit der Zivilisation und des Lebens in den großen Städten. Nur Detroit, die Fort-Stadt, begeistert den Autor. «Man arbeitet, aber es fließt kein Schweiß bei Ford», schreibt er über die Arbeitsbedingungen in Gießerei und Martins werk. Am Fließband beobachtet er: «Die Transportbänder bewegen sich oft mit überraschender Geschwindigkeit. Die Arbeiter laufen bei der Arbeit mit, oft rückwärts gewandt. Es entstand daraus ein fast sportlicher Eindruck, so etwas wie von der “Beinarbeit” eines Boxers». In die Schilderung der Mittagspause scheint sich die Erinnerung an einen Stadtbummel durch Paris zu mischen: «Glänzendes Essen in der Kantine: ein französischer Chef, “High-Priced”. Seltsamer Geruch in der Fabrik: fast Duft – heißes Eisen riecht oft wie Blumen»16.

15 Solche Verhältnisse meinte Hauser an vereinzelten Stellen auch schon in der deutschen Industrielandschaft verwirklicht zu sehen. In dem ein Jahr vor seiner Amerikareise veröffentlichten Buch «Schwarzes Revier» preist er die Kruppschen Betriebe als «Humanisierung der Hüttenindustrie»17. Das Maschinenhaus erscheint ihm «wie eine Bühneninszenierung vom Bauhaus Dessau», die neuen Hochöfen «haben kaum mehr Ähnlichkeit mit dem, was man bisher unter Hochofenwerk oder Fabrik verstanden hat. Das ist vielmehr so, als wäre das Gerät eines chemischen Laboratoriums, gläserne Tische mit komplizierten Objektträgern, mit verschiedenartigsten Kolben und Reagenzgläsern, riesenhaft vergrößert in Zement, Stahl und Glas ausgeführt»18.

16 Im Krupp-Konzern begegnete Hauser der deutsche Kapitalismus auf seinem höchsten technischen Niveau: Präzisionsarbeit in gigantischen Dimensionen, technische Eleganz, Wissenschaftler im Management, Sauberkeit, durch Psychotechnik gespaltene und befriedete Arbeiterschaft. Dieser Fortschritt ist Hauser zufolge der neuen Generation der Unternehmer zu verdanken, die «vor allem von Amerika gelernt hat, daß eine Lösung des Arbeitsproblems auch dadurch möglicht ist, daß man den Arbeiter aus dem Fabrikationsprozeß so weit als möglich ausschaltet. Die große Rationalisierung gehört zu den Erfolgen dieser Erkenntnis»19.

17 Die Fotos, mit denen Hauser seine Reportage bebilderte, gleichen in Aufbau und Perspektive der gleichzeitigen professionellen Fotografie der Neuen Sachlichkeit. Auf ihnen dominieren Vertikale und Diagonale, Pathosformeln des Dynamischen, Aufstrebenden und Zukunftsweisenden der neuen industriellen Verfahren.

18 Um die Produktionskosten zu senken und auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger zu werden, betrieben die deutschen Unternehmen in den zwanziger Jahren eine intensive

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Rationalisierung nach amerikanischem Vorbild. Durch die Übernahme der amerikanischen Produktionsmethoden glaubten Politiker, Gewerkschaftsführer und Intellektuelle des rechten wie des linken Lagers die Not der Nachkriegsjahre überwinden und bald den sagenumwobenen Lebensstandard der amerikanischen Gesellschaft erreichen zu können. In dieser Situation wurde Technik zur Zauberformel. «Die Technik hat die Tore des Paradieses gesprengt; durch den schmalen Eingang sind bisher nur wenige geschritten (die Dollarmillionäre), aber der Weg steht offen und durch Fleiß und Geist kann einst die ganze Menschheit jenen Glückskindern folgen», verkündete der Kulturphilosoph Graf CoudenhoveKalergi in seinem Buch «Praktischer Idealismus, Adel-Technikpazifismus» von 192520. Als Alternative zum Schreckgespenst der sozialistischen Revolution propagierte er die «Weltrevolution der Technik». «Auch wir stehen vor einer Weltwende. Die Menschheit erwartet heute von der sozialistischen Ära den Anbruch des goldenen Zeitalters. Die erhoffte Weltwende wird, vielleicht, kommen: aber nicht durch Politik – sondern durch Technik; nicht durch einen Revolutionär, sondern durch den Erfinder»21.

19 Die gleiche Auffassung vertrat der Bauhaustheoretiker Laszlo Moholy-Nagy in der Einleitung seines berühmten Buches «Malerei Fotografie Film» aus dem gleichen Jahr. «Der Techniker hat die Maschine in der Hand: Befriedigung momentaner Bedürfnisse. Aber im Grunde weit mehr: er ist Initiative der neuen sozialen Schichtung, Zukunfsebnender»22.

20 In einer Zeit, in der das deutsche Kultur- und Geistesleben von vehementen Richtungskämpfen geprägt war, schien eine eindeutige Zielstrebigkeit nur auf dem Gebiete der Technik erkennbar. «Wohin wir in Kunst und Literatur, in Musik und Dichtung streben», schrieb Leo Adler 1928 in der «Literarischen Welt», «wir wissen es im Grunde nicht, wissen kaum, was Kunst heute noch soll, kann und muß... Klar und vorerst unaufhaltsam ist nur der Siegeslauf der Technik»23.

21 Die Möglichkeit, eine Gesellschaft aufzubauen, die nach dem Modell technischer Effizienz funktioniert, schien sich am Beispiel Amerika bewahrheitet zu haben. Technik-Kult, Neue Sachlichkeit und «Amerikanismus» sind verschiedene Seiten des gleichen soziokulturellen Prozeßes: der forcierten Industrialisierung aller praktischen und geistigen Lebensverhältnisse. Bereits 1927 konnte man in der «BZ am Mittag» lesen, daß die Parole der Neuen Sachlichkeit ihr Zentrum letztlich in rein ökonomischen Erwägungen habe. «Vom modernen Büro, vom Fabrikbetrieb kam die Sachlichkeit her», heißt es dort. «Heute gibt es Gesellschaften, die bis ins raffinierteste Detail die Bürobetriebe durchdacht haben – natürlich die kaufmännischen zuerst – um schnelle Arbeit und sparsamsten Kraftverbrauch der Büroleute zu gwährleisten... Fabrik? Das Taylorsystem ist seit Jahrzehnten “neue Sachlichkeit”. Ebenso die Psychotechnik»24. Berlin, so der Feuilletonist weiter, sei der Ursprungsort der neuen Parole: «Denn es ist noch unsentimentaler als Amerika, wenn es nur will».

22 Der Idee einer neuartigen Verbindung von ökonomischem Denken und künstlerischer Formgebung hatte sich bereits 1926 die Massenpresse angenommen. So erschien im März des Jahres in der Zeitschrift «UHU», dem populären Monatsmagazin des Ullstein- Verlages, unter dem Titel «Die Schönheit der Technik. Die Geburt einer neuen Kunst»25 ein Artikel, der die Leser davon zu überzeugen suchte, daß die zunehmende Technisierung des Lebens nicht nur eine neue Stufe des wirtschaftlichen Fortschritts, sondern auch der Ästhetik darstelle, insofern die neuen Industriebauten, Maschinen und Produkte zu Formen gefunden hätten, die, dem Zweck, dem ökonomischen Kalkül

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und dem Material optimal entsprechend, nach einem neuen Schönheitssinn verlangten. Dessen naiven und reduzierten Grundsatz formuliert der Autor mit der Simplizität einer Bildlegende: «Sachlichkeit führt von selbst zu guten Formen», lautet der Kommentar zu einem Foto, das das Innere eines Desinfektionskessels abbildet26. Die bedeutendsten Künstler des Jahrhunderts sind dieser Überzeugung gemäß «die Schöpfer der modernen Technik», unsentimentale Erfinder, «unlyrisch bis ins Material: Stahl, Eisenbeton, Kautschuk». Illustriert ist der Aufsatz in der Hauptsache mit Fotografien von Sasha Stone, die die skulptur aie Eleganz einfacher technischer Formen am Beispiel eines Hochspannungsisolators, einer Mammutzange, eines Klavier hammers und eines Blitzableiters vor Augen führen sollen.

23 Im Geiste der Neuen Sachlichkeit ist ein Beitrag über die Rationalisierung des modernen Büros gehalten, der wenige Wochen später von demselben Magazin veröffentlicht und ebenso von Sasha Stone illustriert worden ist. Unter der Überschrift «Das lOOpferdige Büro – keine Utopie»27 werden in ihm die Möglichkeiten zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität durch Einsatz moderner Bürotechnik beschrieben.

24 Der bereits erwähnte Wirtschaftstheoretiker Friedrich GottlOttlilienfeld, der Wortführer der ideologischen Fordisierung in Deutschland, verkündete die Technik als den Motor, der die Entwicklung zu einer neuen humanen Gesellschaft antreibt. Um den Umschwung zu einer menschenwürdigen Gesellschaft in Gang zu bringen, «hätte nur Eine Art Diktatur einzugreifen: die Diktatur der Technischen Vernunft»28.

25 Die «technische Vernunft» nicht nur als leitende Idee der Wirtschaft, sondern als das endlich gefundene Prinzip der Schöpfung, als «echte Religion» darzulegen, beabsichtigt Rudolf Schwarz mit dem Bildband «Wegweisung der Technik» von 192829. Eine Zusammenstellung von 14 Bildtafeln nach Fotografien von Albert Renger-Patzsch, die nichts anderes veranschaulicht, als daß in der Geschichte der Technik ähnliche Konstruktionsprinzipien vorkommen wie in der Welt der Bäume und der Pflanzen, weckt bei Schwarz mystische Gefühle. «Die Formwelt der Technik ist wie alle echten Formen tief und hoch, hinaufreichend bis zum Heiligen und hinab bis zu den Dämonen, zum einen berufen und zum anderen versucht, eine wirkliche Welt»30.

26 Die «Technik» als Göttin einer Ersatzreligion, die Träume von vollautomatisierten Betrieben, wie sie in der neusachlichen Literatur geschildert wurden, fanden ihr bildhaftes Pendant in den Fotografien der menschenleeren Maschinenparks und der von Arbeitern geräumten Fabrikationssäle, die Albert Renger-Patzsch für das Werkbund-Buch «Eisen und Stahl» (1931) geschaffen hat31. Auf den 97 abgebildeten Fotos verirrt sich nur selten ein Mensch auf das Produktionsgelände. Die Betrachtung der Bilder weckt den Eindruck, als seien die Schwungräder, Kräne und Fräsmaschinen Automaten, die eigenmächtig Stahlbleche, Kurbelwellen, Motorräder, Registrierkassen usw. hervorbringen, deren sich die Menschen dann nur noch zu bedienen hätten.

27 Im Zusammenhang mit dem erhöhten Interesse für industrielle Fertigungsmethoden waren Typisierung und Normung in den 20er Jahren zu Kernfragen der ästhetischen Auseinandersetzung geworden, in der Baukunst ebenso wie in der Typografie, im Bereich der Produktgestaltung ebenso wie auf dem Feld der Fotografie. Auch hier war es Albert Renger-Patzsch, der für die Erfahrung der typisierten Gegenstandswelt eine neue fotografische Form gefunden hat. Er begriff, daß das industrielle Produkt die ihm eigentümliche Ästhetik erst in der Steigerungsform der Wiederholung entfaltet, in dem Augenblick, da das serielle Prinzip als Grundzug jeder industriellen Fertigung im Bilde unmittelbar anschaulich wird. Der Rhythmus der standardisierten Dinge, die

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ornamentale Häufung des Immergleichen, gehört neben der Monumentalisierung von Maschinendetails zu den typischen Kennzeichen der Sachaufnahmen, die Renger- Patzsch für seinen Bildband «Die Welt ist schön» zusammengestellt hat. Das im Spätherbst 1928 erschienene Buch darf wegen des großen Einflußes, den es auf die stilistische Entwicklung vieler junger Fotografen in Deutschland gehabt hat, als das Hauptwerk der neusachlichen Fotografie bezeichnet werden32.

28 Tauchen die Produzenten in der Fotografie der Neuen Sachlichkeit ausnahmsweise einmal auf, so geschieht das, um die Exaktheit, Übersichtlichkeit und Rationalität der neuen Produktionsverfahren zu veranschaulichen. Beispiele dafür sind die Fotos von Hein Gorny in dem Jubiläumsband, den die Pelikan-Werke Günther Wagner in Hannover 1938 zum hundertsten Jahrestag ihres Bestehens herausbrachten33. Dieser Bildband lehrt noch ein weiteres. Auch wenn die neusachliche Fotografie in erster Linie von der republikanisch eingestellten Intelligenz betrieben wurde, so ist sie doch keineswegs an die politische Herrschaftsform des Parlamentarismus gebunden. Da sie stärker in dem neuen Entfaltungsgrad der industriellen Erlebnisweise verankert war als in einem bestimmten politischen Klima, konnte sie mehr oder weniger ungebrochen in die Zeit der Nazi-Diktatur übergehen34. Die Prinzipien des Fordismus, die Heinrich Hauser so begeistert hatten, sehen wir in dem Pelikan-Bildband von Hein Gorny meisterhaft ins Bild gesetzt: wissenschaftliche Planung und Organisation der Produktion, Arbeiten ohne Schweiß, Massenfertigung, Typisierung, Präzisionsarbeit, saubere und gesunde Arbeitsplätze; Unternehmer, Manager, Meister und Arbeiter nicht «Gentlemen», sondern der Sprachregelung des Regimes entsprechend: «Kameraden»35.

29 Doch kehren wir zurück in die Jahre der Weimarer Republik. Unter den zahllosen Amerika-Büchern, die in den Jahren nach dem «Dawes»-Plan erschienen sind, waren Fotobildbände selten. Doch einer von ihnen machte Sensation: Erich Mendelsohns «AMERIKA. Bilderbuch eines Architekten», erschienen im Frühjahr 192636.

30 Erich Mendelsohn war ein in Avantgardekreisen renommierter Architekt, als er im Oktober/November 1924 eine Studienreise durch die Vereinigten Staaten unternahm37. Vor allem der sogenannte Einsteinturm in Potsdam von 1920/21, Inbegriff der expressionistischen Architektur, hatte ihn bekannt gemacht. Finanziert hatte die Reise eines der größten deutschen Verlagshäuser: der Rudolf Mosse-Verlag in Berlin, im Austausch gegen eine Artikelserie für das «Berliner Tageblatt» oder ein Buchprojekt38. Mendelsohn, der sich bis dahin vor allem der Zeichnung bedient hatte, um visuelle Eindrücke festzuhalten, versuchte sich auf dem Feld der Fotografie und schuf ein Fotobuch mit 77 in Kupfertiefdruck reproduzierten Aufnahmen. Der Band, zwei Jahre später in einer erweiterten Fassung neu aufgelegt39, wurde zur maßgeblichen fotografischen Dokumentation Amerikas im Deutschland der Weimarer Republik. Die Fotos gaben denjenigen, die die Idee Amerika liebten, das Land aber nie mit eigenen Augen hatten sehen können, eine faszinierende optische Anschauung.

31 «Amerika heute zu sehen», schreibt Mendelsohn in einem knappen Vorwort, «ist [...] ein perspektivischer Rausch. Erst hier erkennen wir die ganze Ungeheuerlichkeit der verneinenden Zivilisation, aber gleichzeitig in diesem Schwimmbrei schon die ersten Fixpunkte einer neuer Zeit.

32 Wer Amerika kennt, dem fällt es leichter, nun von der Spitze der Zeit zurückzurechnen, auf sich selbst zu schließen, anstatt ohne seine Kenntnis vom alten Nullpunkt aufzusteigen zum höchsten Stand.

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33 Dieses Land gibt alles: Schlechteste Ablagerungen Europas, Zivilisations-Ausgeburten, aber auch Hoffnungen einer neuen Welt»40.

34 Der Abbildungsteil ist aus Sätzen aufgebaut wie eine fotografische Sinfonie. Ihre Satzbezeichnungen lauten: «Das typisch Amerikanische – Die gesteigerte Zivilisation – Das Weltzentrum / Das Geldzentrum – Das Gigantische – Das Groteske – Das Neue / Das Kommende».

35 Die Abfolge der Bilder ist bis ins Einzelne durchdacht, ihr optischer Rhythmus erinnert unmittelbar an filmische Prinzipien: Totalen wechseln ab mit Großaufnahmen, die Aneinanderreihung von Einzelfotos wird häufig unterbrochen durch regelrechte Kamerafahrten, auf denen ein Gebäudekomplex oder ein Straßenzug in vier oder mehr Standbildern von der Gesamtansicht über die Halbtotale bis zu Detailansichten abgetastet wird.

36 Mendelsohn geht es nicht darum, «objektive», quasi vermeßbare Bilddokumente von Gebäuden und Platzanlagen zu geben, wie man es von einem Architekten erwarten könnte. Er will eine leidenschaftliche Anschauung, jenen «perspektivischen Rausch» fotografisch zum Ausdruck bringen, in den ihn das Erlebnis der amerikanischen Großstäde versetzt hat.

37 Diesem Ziel kamen die Nachtaufnahmen mit den Lichtwirbeln der Autoscheinwerfer und Leuchtreklamen und die Hochhausfotografien, die rasch Berühmtheit erlangen sollten, am nächsten41. Letztere bilden die Wolkenkratzer New Yorks nicht wie damals üblich aus der Ferne, also im «Überblick» ab, sondern in jener radikal subjektiven Perspektive, in der sie der Passant in den Straßenschluchten erlebt. Die Aufnahmen waren so neuartig, verstießen so sehr gegen das gewohnte visuelle Denken, daß El Lissitzky, der das «Amerika»-Buch gleich nach Erscheinen begeistert rezensierte, es für geraten hielt, dem Leser zu empfehlen: «Das Buch muß man über den Kopf heben und drehen, um einige Fotografien zu verstehen»42. Die Menschen mußten erst den Blick für sie finden.

38 Doch nicht nur die Fotos, auch die sie begleitenden Texte sind in unserem Zusammenhang aufschlußreich. Liegen sie doch ganz auf einer Linie mit der antihistoristischen Geisteshaltung der Neuen Sachlichkeit. Immer wieder betont Mendelsohn den Widerspruch zwischen den gigantischen konstruktiven Möglichkeiten und der stilistischen Rückwärtsgewandtheit der Architekten in den USA. Die amerikanische Technik erfülle leicht alle Bedürfnisse, bemerkt er, Bauherren und Architekten ermangele es aber vollständig an Wagemut und Originalität. Von «Griechenland als Lastesel der Stahlkonstruktion»43 und von der «erborgten Pracht der Renaissance»44 ist die Rede.

39 Doch gewahrt er in der amerikanischen Architektur ebenso die Keimformen eines neuen, rein funktionalen Stils, Anfänge einer Ästhetik, die alle historischen Formen abschüttelt und nur «aus Zweck und Material den unserer Zeit entsprechenden Formenausdruck findet»45. Das ereignet sich jedoch weniger an den Schauseiten der Gebäude, jenen «Vorderfronten der Geldburgen», die noch ganz von den Zitaten historischer Machtzeichen leben, als an deren Rückseiten, die oft «jede unnötige Geste» vermeiden und «klar, unsinnlich, sachlich» gehalten sind46. Den vollkommensten Ausdruck «rationeller Architektur» erkennt Mendelsohn in den unrepräsentativen Industriebauten, allen voran den Getreidespeichern von Chicago, wo er «aus nackter Zweckform abstrakte Schönheit» entstehen sieht47. Zu der Aufnahme eines Hinterhofes

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in Detroit schreibt er: «Phantastische Wirkungen entstehen. Undurchbrochene Vertikale mit weißen leuchtenden Glasuren in die dunkle Gasse springend. Technische Schönheit, die neue Romantik»48.

40 Mit dieser Bemerkung hat Mendelsohn einen Wesenszug der Neuen Fotografie der zwanziger Jahre auf den Begriff gebracht, noch bevor diese sich in ihrem ganzen Spektrum entfaltet hatte. Fotografien technischer Schönheit als Bilder einer neuen industriellen Romantik hervorzubringen, war das Bestreben sowohl der Fotografen des Bauhauses als auch der Neuen Sachlichkeit.

NOTES

1. – Harry Graf Kessler, tagebuch eines Weltmannes, Literaturarchiv marbach am Neckar 1988, S. 341. 2. – Erich Mendelsohn, Rusland Europa Amerika. Ein architektonischer Querschnitt. Rudolf Mosse Buchverlag Berlin 1929. 3. – Ebenda, unpag. (S. 171). 4. – Ebenda, unpag. (S. 216). 5. – Ebenda, unpag. (S. 216). 6. – Ebenda, unpag. (S. 7). 7. – Ebenda, unpag. (S. 170). 8. – Siehe dazu die ausführiliche Studie von Helmut Lethen Neue Sachlichkeit 1924-1932. Studien zur Literatur des «Wiesßen Sozialismus», Stuttgart, 1970, Kapitel «Amerikanismus», S. 19-57. 9. – Im Paul List Verlag Leipzig. 10. – Ebenda, S. 314. 11. Henry Fort, Das größere Morgen, Paul List Verlag Leipzig 1926, S. 326. 12. – Friedrich von Gottl-Ottlilienfeld, Fordismus. Über Industrie und technische Vernunft, Jena 1924. Hier zitiert nach der 3. Erweiterten Auflge von 1926, S. 40. 13. – Ebenda, S. 38. 14. – Zit. Nach Lethen, a.a.O., S. 21. 15. – S. Fischer Verlag, Berlin. 16. – Ebenda, S. 230-233. 17. – S. Fischer Verlag, Berlin 1930, S. 44. 18. – Ebenda, S. 45. 19. – Ebenda, S. 97. 20. – Wien und Leipzig, S. 113. 21. – Ebenda, S. 105. 22. – Albert Langen Verlag, München, S. 30. 23. – Leo Adler. Kunst und Technik. In: Die Literarische Welt, Nr 10, 4. Jg., Berlin 9, März 1928, S. 77. 24. – Christian Buchholtz, Die neue Parole Sachlichkeit. In : BZ am Mittag, Berlin 13. April 1927. 25. – Berlin, 2. Jg., Heft 5, S. 54-62. Der Name des Autors, der mit dem Kürzel E.B. unterschreibt, ist nicht bekannt.

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26. – Dieselbe Auffasung vertritt ein jahr später Dr.Ing. Werner Lindner in dem Aufsatz “Der Ingenieur als Schöpfer neuer Formen. Architektur der Technik”, in dem es heißt : “Reine Zweeckmäßigkeit ist immer schön”, In UHU, 3, Jg., Heft 7, Berlin, Apris 1927. Das Zitt auf S. 29. 27. – Von Fritz Zielesch, UHU Berlin, 2, Jg., Heft 7, April 1926, S. 52-59. 28. – In: Fordismus. Über Industrie und technische Vernunft. A.a.O., S. 39. 29. – Müller & Kiepenheuer Verlag, Potsdam. 30. – Ebenda, S. 56. 31. – Verlag Hermann Reckendorf Berlin. 32. – Im Kurt Wolff Verlag, München. 33. – Während die Verwantwortlichen für Text, grafische gestaltung und Drucklegung des Buches genannt sind, wird der Name des Fotografen merkwürdigerweise an keiner Stelle erwähnt. Zur Autorschaft von Hein Gorny siehe Ausstellungskatalog “Hein Gorny”, Fotogalerie Spectrum, Hannover 1972. 34. – Das kam insbesondere Albert Renger-Patzsch zugute, der in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre mit der Illustrierung mehrerer Firmenbildbände betraut wurde. Die bekanntesten Titel lauten: Vom Kraußschmied zur Kraußware. Zum fünfzigijähigen Bestehen der Kraußwerke, Privatdruck der Firma F.E. Krauß, o.O. und o.J. (Schwarzenberg, 1937); Kupferhammer Grünthal. Vierhundert Jahre deutscher Arbeitskultur. 1537-1937. Hrsg. Von der F.A. Lange Metallwerke AG Aue-Auerhammer/Kupferhammer grünthal, o.O. und o.J. (1937); Das siberne Erzgebirge. Bilder aus dem Erzgebirge. Mit einemen Vorwort von F.E. Krauß. Privatdruck der Kraußwerke Schwarzenberg 1940. 35. – in welchem Maße Taylorismus und Fordismus auch die Betriebsspolitik während des Nationalsozialismus bestimmt haben, hat Martin Rüther am Beispiel der Klöckner-Humboldt- Deutz AG (KHD) eingehend dargelegt. In Zeitschrift für Unternehmensgeschichte, 33. Jg., Heft 2/1988. 36. – Berlin, Rudolf Mosse Buchverlag. Von der Berliner Zeitschrift éDas Tagebuch“ nach den besten Bûchrn des Jahres 1926 gefragt, nannte Bertolt Brecht u.a. Mendelsohns ”Amerika“: ”Ausgezeichnete Fotos, die man eigentlich fast alle einzeln an die Wand heften kann…". In: bertolt Brecht, Gesammelte Werke, Bd. 18, Frankfurt am Main 1967, S. 51 and 52. 37. – Ein Großteil der Reise ist in dem Buch "Erich Mendelsohn. Briefe eines Zrchitekten", hg. Von Oskar beyer, München 1961; S. 59-76, dokumentiert. Ursprünglich hatte Meldelsohn beabsichtigt, auch nach Kalifornien zu reisen. Doch schon die Eindrücke in den Großstädten an der Ostküste erwiesen sich als so mannigfaltig und tief, daß er den Plan fallen ließ. 38. – Siehe Interview mit der Witwe Erich Meldelsohns, in: Ausstellungskatalog "The Drawings of Eric Meldelsohn". University Art Museum, University of California, Berkeley 1969, S. 37. 39. – Erich Mendelsohn, Amerika. Bilderbuch eines Architekten. Mit 100 meist eigenen Aufnahmen des Verfassers. Rudolf Mosse Buchverlag, Berlin 1928. 40. – Ebenda, S. IX. 41. – Einige der Aufnahmen stammten allerdings nicht von Meldelsohn, sonder, wie er in der Neuauflage von 1928 bekennen mußte, von dem detroiter Architekten K. Lönberg-Holm (a.a.O. S. é2é). Siehe dazu ausführlicher: Herbert Molderings, Mendelsohn, Amerika und der Amerikanismus. Nachwort des Reprints von Erich Mendelsohn. Amerika. Bilderbuch eines Architekten. Verlag Vieweg, Braunschweig 1991, S. 83-92. 42. – El Lissitzky, Das Auge des Architekten. Erich Meldelsohn. Amerika. Bilderbuch eines Architekten. Zitiert nach der Übersetzung in El Lissitzky, Proun und Xolkenbügel, Schriften, Brief, Dokumente, Dresden 1977, S. 64ff. 43. – A.a.O., S. 10. 44. – A.a.O., S. 26. 45. – A.a.O., S. 63. 46. – A.a.O., S. 73.

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47. – A.a.O., S. 40. 48. – A.a.O., S. 42.

RÉSUMÉS

Neue Sachlichkeit in der Fotografie, das bedeutete Industrialisierung des Blicks, Technisierung des Empfindungsvermögens. Der neue Industrialisierungsschub ging von den USA aus. Im großen Stil wurden während der Weimarer Republik amerikanische Produktionsmethoden und Lebensformen importiert. Amerikanisiert wurde seinerzeit so gut wie alles, vom Musikleben bis zur Filmproduktion, von der Architektur bis zum Drink, vom Bürobetrieb bis zum Zeitungs- Layout. Die begeisterte Übernahme amerikanischer Erfindungen, Lebensart und Philosophie war die Grundlage einer geistigen Strömung, die man «Amerikanismus» nannte. Der Vortrag zeigt am Beispiel von Fotografien Sasha Stones, Heinrich Hausers, Albert Renger-Patzschs, Hein Gornys und Erich Mendelsohns, daß der «Amerikanismus» zu den Kernbestandteilen der Neuen Sachlichkeit in der Fotografie gehört.

La « Nouvelle Objectivité » dans l’art photographique: cela signifiait l’industrialisation du regard, la contamination de la sensibilité par les finalités techniques. Le nouvel essor de l’industrialisation était parti des Etats-Unis. Sous la République de Weimar, on a procédé à l’importation en grand des méthodes de production et des styles de vie d’outre-Atlantique. Pratiquement tout fut «américanisé », de la vie musicale à la production cinématographique, de l’architecture aux «drinks», du travail de bureau à la mise en page des journaux. A la base du courant qu’on a dénommé «américanisation», on trouve l’adoption enthousiaste des inventions américaines, de l’american way of life et de sa philosophie. Cette contribution fait apparaître, à partir de photos de Sasha Stone, de Heinrich Hauser, d’Albert Renger-Patzsch, de Hein Gorny et d’Erich Mendelssohn, que l’« américanisme » doit être considéré comme l’une des composantes fondamentales dans Fart photographique de la « Nouvelle Objectivité ».

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Die sachliche Verzauberung der Großstadt im Film Cinéma: La grande ville sous le charme de l’objectivité

André Combes

Jede Zeit hat ihre eigene optische Einstellung. Unsere Zeit: die des Films, der Lichtreklame, der Simultanität sinnlich wahrnehmbarer Ereignisse. L. Moholy-Nagy, 1925. Die Bilder enthalten in ihrer Einstellung die Einstellung des Regisseurs zum Gegenstand… Daher die propagandistische Gewalt des Films. Denn er braucht einen Standpunkt nicht zu beweisen; er läßt ihn nur optisch einnehmen. B. Balasz, 1930.

Zur Einleitung

1 Im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen ein Film: Berlin. Die Symphonie der Großstadt von W. Ruttmann (1927), und eine zum Vergleich herangezogene, nie gedrehte Filmskizze vom Bauhaus-Lehrer L. Moholy-Nagy aus dem Jahr 1921-1922: Dynamik der Großstadt1.

2 Der Grund für diese Auswahl liegt paradoxerweise darin, daß die fiktionale Behandlung des dokumentarischen Stoffs «GroßStadt» tiefe Spuren von der langjährigen, im Falle Ruttmanns vergangenen, Beschäftigung mit rein abstrakten kinematographischen Formenkonstrukten aufweist. Die mögliche «Remanenz» der abstrakten Praxis in der «realistischeren», weil mit identifizierbaren Gegenständen operierenden Darstellungsweise könnte, so jedenfalls meine Hypothese, ein interessantes Licht auf diese konstruktivistisch beeinflußte Rückkehr zum Sachlich-Realen werfen2.

3 Ausgehend von dem O. Wilde-Zitat aus einem späteren Ruttmann-Film, Melodie der Welt (1928) («Das wahre Geheimnis der Welt liegt im Sichtbaren nicht im Unsichtbaren»),

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wäre dann aufzuzeigen, wie, um eine ziemlich strapazierte Zauberformel der Zeit zu benutzen, das "Sichtbarmachen" des Sichtbaren mittels des ästhetischen Grundgestus der kinematographischen Moderne bewerkstelligt wird: nämlich durch eine Montage ornamentsloser aber oft perspektivisch herausgehobener Realitätsausschnitte, die die Erzählweise der konventionellen Bildfiktionen bewußt sprengt und deren Sinngehalt in neue Kompositionen einfügt.

4 Dieser Modus des Sichtbarmachens setzte aber einen «gleichzeitigen» (E. Bloch) Umgang mit dem «technischen Instrument» voraus. Wie Moholy-Nagy in seiner Formulierung des neuen Anliegens unterstrich, sollte bei der Handhabung der spezifischen Eigenschaften des Mediums Film stärker berücksichtigt werden, daß dieses die Außenwelt nicht nur naturalistisch zu reproduzieren vermochte, sondern vielmehr «filmgemäß» neu zu produzieren hatte: Der fotografische Apparat als technisches Instrument und wichtigster Produktionsfaktor der Filmgestaltung kopiert «naturgetreu» die Gegenstände der Welt… und so kam es, daß die wesentlichen anderen Elemente der Filmgestaltung nicht genügend geläutert wurden. Spannungen der Form, der Durchdringung, der Hell-Dunkelzusammenhänge, der Bewegung, des Tempos. Damit verlor man die Möglichkeit aus den Augen, eine eklatante filmgemäße Verwendung der gegenständlichen Elemente herbeizuführen, und blieb im Durchschnitt an der Reproduktion von Natur- und Bühnendarstellungen hängen3.

5 Weil sie den Status des filmenden Subjekts zugunsten der abzubildenden Objekte und der abbildenden Apparatur auf ein Mindestmaß zu reduzieren schien, soll also die in den Vordergrund gerückte technische Eigengesetzlichkeit des Films besonders herausgestellt werden.

6 In dieser Hinsicht unterscheidet sich diese gleichsam avantgardistisch geläuterte Neue Sachlichkeit von anderen filmischen Praktiken, die von einigen Filmhistorikern ebenfalls als «neusachlich» eingestuft, hier nicht oder nur am Rande erwähnt werden.

7 Um nur zwei Beispiele zu nennen:

8 – die sogenannten «Zille-Filme» (z. B. Lamprechts Die Verrufenen [1926], Jutzis Mutter Krausens Fahrt ins Glück [1929] u.a.) über das Berliner «Miljöh» dieses «Malers des fünften Standes », die weitgehend eine Fortsetzung des Naturalismus mit anderen (filmischen) Mitteln darstellen – Dokumentarfilme wie Wochenmarkt auf dem Wittenbergplatz (1929) oder Deutschland zwischen gestern und heute (1931-1933) von W. Basse, die als bewußt oberflächliche «Tatsachenfilme» den «funktionalen Sinn der Dinge» ignorierten4, allenfalls die bloße «Errettung der physischen Realität» im Sinne des späten Kracauer5 anstrebten und, mit langen Einstellungen und gewollt unspektakuläre Kameraperspektiven, lauter «Sehenswürdigkeiten des nackten Seins» (B. Balasz) vor Augen führten.

9 Diese bewußte Einschränkung involviert konsequenterweise eine begrenztere Definition des Begriffs Neue Sachlichkeit, welche trotz der oft behaupteten Priorität des «Da-stellens» vor dem «Dar-stellen» (El Lissitzki) bekanntlich kein formneutrales «Zurück zum Gegenstand» bedeutete.

10 Im Bereich des Films und der Photographie wurde vielmehr das Schwergewicht auf eine Re-produktion der Gegenstandswelt durch eine der neuen mechanischen Apparatur gerechte, andersgeartete Sehweise verlagert; diese wurde vielerorts als «neues Sehen» heraufbeschworen und ließ die dargestellten «Objekte», wie hier etwa

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das «chamäleonhafte Gesicht» (Ruttmann) der Großstadt, gleichsam in einer systematischen Ent-stellung auf der Leinwand «entstehen».

11 Zusammenfassend könnte man also, eine Formulierung des damaligen Kunsthistorikers und Ideologiekritikers Carl Einstein leicht abwandelnd, die hier anvisierte Problematik als Analyse der filmspezifischen «Fabrikation von (sachlichen) Fiktionen» bezeichnen.

12 Denn an den ausgewählten Filmbeispielen soll u.a. dargelegt werden, auf welche Art und Weise Produktionen dieser Neuen Sachlichkeit, die von vielen Forschern zum schärfsten Gegegensatz zu den fantasmagorischen Bilder des Expressionismus stilisiert wurden, eine oftmals programmatisch fetischisierte Realität der «Dinge wie sie sind» durch die gewählte Darstellungsweise von neuem verklären, verzaubern oder sonstwie verfehlen. So daß ein besonders scharfsinniger Zeitgenosse, wie der marxistische Film- und Theatertheoretiker B. Balasz, 1930 zu der scheinbar paradoxen, sonst eher in bezug auf expressionistisch Filme anzutreffenden Beurteilung kommen konnte: in Ruttmanns Film seien «keine eigenlebigen Gestalten von wesenhafter Prägnanz, sondern nur Impressionen von Gestalten: Bilder der Bilder… Straßenbahnen und Jazzkapellen, Milchwagen und Frauenbeine, Straßengedränge und Maschinen – das alles… geistert wie aus dem Unterbewußtsein hervor… Die Kamera ist gleichsam nach innen gekehrt, und erfaßt nicht die Erscheinungen der Außenwelt sondern ihre Spiegelung im Bewußtsein»6.

Das neue Sehen und die Apparatur: Reproduktion als Konstruktion

Es ist eine andere Natur, die zu der Kamera als die zum Auge spricht. W. Benjamin

13 Das neue kinematographische Sehen oder die «filmische Wahrnehmung der Welt» (D. Vertov)7 wollte mit Hilfe der Apparatur die Wirklichkeit neu konstruieren und folglich getreuer, d.h. gemäß der neuen, von der allgegenwärtigen Technik modulierten Subjektivität abbilden. In den Augen der Modernisten machten die physikalischen Eigenschaften der Zeigemaschine «Kamera» aus dieser eine Art unverzichtbare Vermittlungsinstanz in der subjektiven Verarbeitung der Außenwelt. Als wäre das technisch verbesserte «Kino-Auge», «das vollkommener ist als das menschliche Auge, zur Erforschung des Chaos von visuellen Erscheinungen, die den Raum füllen»8, für den Einsatz als subjektivitätsreinigende Ordnungsmacht hervorragend geeignet.

14 L. Moholy-Nagy umschrieb 1925 diese «Aufforderung zur Umwertung des Sehens» mit folgenden Worten: «Ein jeder wird genötigt sein, das Optischwahre, das aus sich selbst Deutbare, Objektive zu sehen, bevor er überhaupt zu einer möglichen subjektiven Stellungnahme kommen kann»9.

15 Denn worum es allen Tendenzen der konstruktivistischen Sachlichkeit mit der mediengerechten Verbesserung bestimmter Sinne (Sehen und Hören) ging, war, im eklatanten Unterschied zum abstrakten «neuen Menschen» des ambivalenterweise maschinenfeindlichen und maschinenfetischisierenden Expressionismus, die quasi maschinelle Konstruktion eines neuen, ideologisch wie anthropologisch fortschrittlichen Massenmenschen, der der planmäßigen Freisetzung technischer und geistiger Produktivkräfte Rechnung zu tragen vermöchte. Vor diesem

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politischanthropologischen Hintergrund, der ein gemeinsames Merkmal der ganzen europäischen Filmavantgarde war, läßt sich die privilegierte Funktion der Kamera als Produktionsstätte des neuen Sehens richtig einschätzen. Ihre Möglichkeiten vermitteln ein demiurgisches Gefühl der unbegrenzten Produktivität in der Umgestaltung der Beziehung zwischen wahrnehmendem Subjekt und wahrgenommener Wirklichkeit, das nirgends besser zum Ausdruck kommt als in den frühen Texten D. Vertovs. Folgendes stellvertretendes Zitat soll die tiefere anthropologische Komponente beim extrovertierten Ausspielen aller technischen Potentialitäten des Films besser verdeutlichen: Ich bin Kinoglaz (russisch für Kino-Auge A.C.), ich schaffe einen Menschen, der vollkommener ist als Adam… Von einem nehme ich die stärksten und geschicktesten Hände, von einem anderen die schlankesten und schnellsten Beine, von einem dritten den schönsten und ausdrucksvollsten Kopf und schaffe durch die Montage einen neuen, vollkommenen Menschen… Ich bin ein mechanisches Auge. Ich, die Maschine zeige euch die Welt so, wie nur ich sie sehen kann. Von heute an und in alle Zukunft befreie ich mich von der menschlichen Unbeweglichkeit… ich nähere mich Gegenständen und entferne mich von ihnen, ich krieche unter sie, ich klettere auf sie, ich bewege mich neben dem Maul eines galoppierenden Pferdes, ich rase in voller Fahrt in die Menge… Dies ist mein Weg zur Schaffung einer neuen Wahrnehmung der Welt10.

16 Wenn man diese zum Verständnis des «Neuen Sehens» höchst aufschlußreichen Allmachtphantasien in die Begriffssprache der Photo- und Filmästhetik übersetzt, bedeutet die neue Handhabung des Mediums u.a: – intensivierte Schärfung des Blicks durch prägnante Ausschnitte, Vorliebe für starke Lichtkontraste (z.B. mittels Gegen lichtaufnahmen), die die Zweckformen der bevorzugten technischen Motive mit scharfen Konturen versehen – «Erlebnis der schrägen Sicht und der verschobenen Proportionen» oder «optische Wahrheit des perspektivischen Aufbaus» (Moholy-Nagy) durch extreme Kameraperspektiven: nicht nur Auf- und Untersicht sondern auch Steilsicht, Schrägsicht oder sogar Zerrsicht durch Verwendung stark verzerrender Brennweiten. – architektonische Strukturierung der Bildfläche und des Raums durch Betonung der geometrischen Elemente der Motive (z.B. Büro-bzw Warenhäuserfronten, Häuserblockfluchten) und Verwendung von Diagonalen als bevorzugtes Strukturierungsmittel sowie als Träger von Kamerabewegungen, – vor allem stark rhythmisierte Montage der einzelnen Motive. Dies alles ermöglicht eine «gesteigerte Realität des Alltäglichen» (Moholy-Nagy), unterstreicht das Befremdende an den realen Gegenständen zu dem Zweck, ihren vertrauten stofflichen Realitätsgehalt durch Perspektiven zu relativieren, welche neue Beziehungen zwischen ihnen herstellen oder sonst nicht wahrgenommene Aspekte sichtbar machen: Der Film… bildet nicht mehr bloß ab, sondern analysiert durch und mit (Hervorh. von mir A.C.) der Abbildung seinen Gegenstand11.

17 Viele Elemente des «neuen Sehens» sind in den RuttmannFilm eingegangen und noch mehr, sofern Texttypographie und Photos ein fundiertes Urteil erlauben, in die Skizze des ohnehin ästhetisch radikaleren Moholy-Nagy.

18 Diese Elemente sind Bestandteile des Gesamtdiskurses der beiden Berlin-Streifen aber gleichzeitig auch Embleme oder Markenzeichen der konstruktivistischen Sachlichkeit im Film: So zeigt z.B. die Eingangssequenz des Ruttmann-Films eine frühmorgendliche, rasende Bahnfahrt durch Berlins Vororte mit einer aus Schienen, Weichen, Masten und Drähten von Stromleitungen, Eisenbögen von Brücken usw. zusammengeschnittenen

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Industrielandschaft. An strategischen Stellen des Films sind emblematische Katalysatoren der Dynamik zu sehen: Bilder, die später zukonventionellen Ornamenten der technischen Moderne im Film verkommen werden: schnell geschnittene Nahaufnahmen von rotierenden Rädern, stampfenden Kolben, vollautomatisierten, auf Hochtouren laufenden Produktionsanlagen, mechanisches Schreibmaschinentippen usw. Bei Moholy-Nagy wird beispielsweise die «animalisch wirkende Kraft» eines in extremer Untersicht aufgenommenen Fabrikschornsteines abgebildet. Bildlich herausgestellt oder typographisch visualisiert werden ebenfalls ein Eisenstrommast aus der Unter sieht (Bild), ein «Kran bei Hausbau in Bewegung, Aufnahmen von unten, von oben, schräg» (Text) und «ein Ziegelaufzug, Wieder Kran: in Kreisbewegung» (Text). An anderer Stelle steht ohne Abbildung die der Eingangssequenz des Ruttmann-Films ähnlich konzipierten und an das Vertov-Zitat erinnernde Beschreibung einer «Zugaufnahme von einer Brücke aus: von oben; von unten. (Der Bauch des Zuges, wie er dahin fährt; aus einem Graben zwischen den Schienen aufgenommen.) ». «Der Zug von unten: sonst nie Erlebtes», schreibt Moholy-Nagy dazu.

19 An diesem extremen Beispiel eines de facto unmöglichen Erlebnisses läßt sich belegen, daß hier die Dinge nicht nur neu gesehen werden, sondern daß die allgegenwärtige Kamera dem Zuschauer Seherlebnisse und damit verbundene Emotionen verschafft, die mit einer zwar objektiv vorhandenen aber subjektiv kaum erlebbaren Realität zu tun haben. Die Kamera wird tendenziell zum einzigen, wirklich erlebenden Subjekt. Dies gilt auch für extreme Steilsichten oder Luftaufnahmen, für bestimmte Großaufnahmen oder sonstige Vergrößerungen usw., alles Ausnahmeperspektiven, die in der Regel dem gewönlichen Menschenblick verwehrt bleiben.

20 Desgleichen konnte R. Arnheim, der Filmtheoretiker der Weltbühne 1932 im Film des früheren Malers Ruttmann Rückverwandlungen ins Zweidimensionale registrieren, wie in dieser ziemlich steilen Aufsicht von zwei aneinandervorbeifahrenden Straßenbahnen. Als sollte da, wo Raum war, wieder Fläche werden: Wer diese Szene betrachtet, sieht zunächst, daß der eine Zug von vorn nach hinten, der andere von hinten nach vorn fährt (räumliches Bild), zugleich aber auch, daß der eine Zug vom untern Bildrahmen zum obern, der andere von oben nach unten sich bewegt (flächiges Bild)12.

21 Diese etwas perverse Sachlichkeit, die durch die Wahl äußerst selten vorkommenden Wirklichkeitserlebnisse, dem menschlichen Subjekt seine objektiv existierenden Unzulänglichkeiten in puncto Wahrnehmung buchstäblich vor Augen führt, scheint, wie schon angedeutet, planmäßig an der Überwindung einer mit etlichen Mängeln behafteten Subjektivität zu arbeiten, die laut MoholyNagy nie reale Abbilder sondern immer noch sozusagen orthopädische «Vorstellungsbilder» erzeugt: Das Geheimnis ihrer Wirkung (von Aufsicht, Untersicht, Schrägsicht A.C.) ist, daß der fotografische Apparat das rein optische Bild reproduziert und so die optischwahren Verzeichnungen, Verzerrungen, Verkürzungen usw. zeigt, während unser Auge die aufgenommenen optischen Erscheinungen mit unserer intellektuellen Erfahrung durch assoziative Bindungen formal und räumlich zu einem Vorstellungsbild ergänzt13.

22 Konsequent in die Tat umgesetzt nimmt also das neue Sehen vielfach den Abbau der Subjektivität bewußt in Kauf, wird doch Subjektivität als Hindernis oder Ballast betrachtet, was denselben Moholy-Nagy bei der Beschreibung des im Bauhausbuch dokumentierten «Versuchs eines objektiven Porträts» zu folgendem Kommentar

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veranlaßt: «den Menschen so sachlich aufzunehmen, wie einen Gegenstand, um das fotografische Ergebnis nicht mit subjektiven Wollen zu belasten».

23 Das «neue Sehen» macht es also zu seiner Sache, nicht nur den Blick für die neue Wirklichkeit als Welt der technischen Dinge zu schärfen, sondern vielmehr eine neue Ästhetik zu dem Zweck durchzusetzen, das alte Subjekt der Wahrnehmung, um es mit der zeitgenössischen Metapher des Brechts von Mann und Mann treffend auszudrücken, planmäßig «umzumontieren».

24 Diese neue Ästhetik bedeutet aber möglicherweise weniger eine «Befreiung des Objekts von der Aura» (W. Benjamin) (z.B von einer neoromantischen bzw. impressionistischen Aura durch Benutzung von sehr hart zeichnenden Linsen), als eine Umwertung derselben. An deren Stelle tritt die Konstruktion einer neuen, rein technischen Aura durch Erzeugung eines nichtexpressionistischen Pathos des grellen Lichts und der scharf kontrastierten, mit wenigen Grauwerten aufgenommenen Helldunkel sowie der ungewohnten Perspektiven; alles Gestaltungsmerkmale, die auf manchem Photo oder in manchem Dokumentarfilm von der neusachlich-ästhetisierenden Faszination großstädtischer Landschaften zeugt.

25 Man lese die Beschreibung dieser Aura neuen Typus bei einem der hervorragendsten Vertreter des «neuen Sehens», dem Photographen A. Renger-Patzsch, der sie 1927 in der Fachzeitschrift Das deutsche Lichtbild in sachlich-emphatischen Worte kleidete: Dem starren Liniengefüge moderner Technik, dem luftigen Gitterwerke der Kräne und Brücken, der Dynamik lOOOpferdiger Maschinen im Bilde gerecht zu werden, ist wohl nur der Photographie möglich. (…) Die absolut richtige Form wiedergäbe, die Feinheit der Tonabstufung vom höchstem Spitzlicht bis zum tiefsten Kernschatten gibt der technisch gekonnten photographischen Aufnahme den Zauber des Erlebnisses14.

26 Bezogen auf die vom «neuen Sehen» praktizierte Darstellungsweise, erweist sich also etwa die berühmte Gegenüberstellung F. Rohs zwischen «Expressionismus» und «Nachexpressionismus»15 sprich Neue Sachlichkeit für den Bereich des Films und er Photographie als wenig brauchbar. Den «ekstatischen Gegenständen» des Expressionismus stehen keine «nüchternen Gegenstände» gegenüber, der Film der Neuen Sachlichkeit ist nicht statisch sondern versteht sich in höchstem Maße, wie wir noch sehen werden, als der rhythmisierten «Dynamik» der modernen Großstadtwelt verpflichtet und konstruiert diese neu durch den Schnitt.

Derealisierung I: Objekte ohne Biographie16, Massen ohne Gesicht

27 Wenn man einer von W. Benjamin 1927 gemachten Feststellung folgt, ist das filmische Objekt eine durch und durch konstruierte Re-produktion, die gerade in bezug auf Großstadtdarstellungen dem sprengstoffähnlichen Einsatz der kinematographischen Mittel eine neue, verklärte Erscheinung verdankt. An sich selber sind diese Büros, möblierten Zimmer, Kneipen, Großstadtstraßen, Bahnhöfe und Fabriken häßlich, unfaßlich, hoffnungslos traurig. Vielmehr: sie waren und erschienen so, bis der Film war. Er hat denn diese ganze Kerkerwelt mit dem Dynamit der Zehntelsekunden gesprengt, so daß nun zwischen ihren weitverstreuten Trümmern wir weite, abenteuerliche Reisen unternehmen… Weniger der dauernde Wandel der Bilder als der sprunghafte Wechsel des Standorts bewältigt ein Milieu, das jeder anderen Erschließung sich entzieht, und holt noch

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aus der Kleinbürgerwohnung die gleiche Schönheit heraus, die man an einem Alfa- Romeo bewundert17.

28 Nun war das Objekt Großstadt als bevorzugter Topos neusachlicher Darstellung an sich schon ein mehrdimensionales Gebilde, das sich für die Belange des «neuen Sehens» vorzüglich zu eignen schien; da waren zunächst einmal die Requisite der städtisch- technischen Zivilisation, eine Vielzahl von Industriemotiven (Schienen und Bahnschranken, Kräne, Fabrikschornsteine, Brücken, usw.), die sich zu einem Komplex von, im Sinne des «neuen Sehens», photogenen Industrielandschaften zusammenfügten.

29 Außerdem waren die deutschen Großstädte der zwanziger Jahre und speziell Berlin der Ort eines gewaltigen soziologischen und städtebaulichen Wandels, wo die neuen Massen der «white collars» mit ihren Arbeitsstätten (große Büro- und Warenhäuser), die traditionellen Fabrikarbeitermassen und die Industrieanlagen immer mehr an den Stadtrand hinausdrängten und dem Stadtbild ein neues, man wage hier die paradoxe Formel, standardisiert-kunterbuntes Gepräge gaben18. Das Ganze ließ sich filmisch um so leichter in Bilder der neusachlichen, urbanen Moderne umsetzen, als diese der neuen Metropolenkultur mir ihrer Vorliebe für «das Ornament der Masse» (Kracauer) Rechnung trug19.

30 Es war also ein mehrschichtiger Komplex von sozialen Beziehungen, der, wie die zum Emblem avancierten Menschenmengen tagtäglich vor Augen führten, immer «im Fluß» war; und die menschen- und fahrzeuggesättigten Stadtmitten, die sich nachts dank der Leuchtreklamen und der Autoscheinwerfer in faszinierende Lichtmetropolen verwandelten, boten das undifferenzierte «Leben und Treiben» der Großstadt in reinster Form.

31 Das Objekt Großstadt konnte also vom «Schauwert» her relativ wahllos und in einer möglichst wertneutralen Nähe am Geschehen eingefangen werden, als hätte die Kamera, sich mit dem an und für sich schon spektakulären Charakter des vorfilmischen «Stadtbilds» zu begnügen20. Man konnte aber auch über das reine Aufnehmen des «Stadtbildes» hinaus versuchen, den «atmosphärischen» Charakter der Großstadt, kaleidoskopartig bzw. «symphonisch» wiederzugeben; ein Konzept, das neben Ruttmann auch Carl Mayer, dem Initiator des Berlin-Films anscheinend vorgeschwebt hatte. Er schilderte seinen ursprünglichen Einfall mit einer nahezu kinematographischen Sprachvirtuosität, die den Darstellungspathos, der der Neuen Sachlichkeit oft durchaus eigen war, auf eine treffende Formel bringt: Es war einer jener Abende, an denen gewiß schon jeder, der Berlin liebt, die in ihrer Art einzigartige Atmosphäre dieser Stadt hingerissen empfunden hat. Züge donnerten. Lichter! Autos! Menschen! Alles schnitt sich ineinander… Es war mir, als hörte ich urplötzlich die tausendstimmige Melodie dieser Stadt. Straßen, Plätze, ganze Komplexe Berlins blendeten gleichsam in mir auf- durchund ineinander… Trubel der Weltstadt, in Bildern zueinander komponiert, was sonst aneinander vorbei lebt, rattert, rast…! Arbeit! Glanz! Elend! Licht! Leben! Tod! Eine Symphonie des Wirklichen mit den ureigensten Mitteln des Films, Bewegung, Rhythmus, Einstellungen und Schnitt intrumentiert.

32 Gerade die konsequente bildliche Umsetzung dieses Konzepts, das das genaue Gegenteil der von Ruttmann «verhaßten» Form der Reportage sein wollte, machte aus der zwar optischmusikalisch strukturierten aber höchst zersplitterten Anhäufung von Großstadteindrücken, die nur locker vom zeitlichen Alltagsquerschnitt zusammengehalten wurden, ein Objekt (fast) ohne Biographie.

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33 Denn es gibt im Film ansatzweise durchaus Biographisches an dem Objekt «Hauptstadtalltag»: z. B. wird der fast klassenspezifische Arbeitstagsbeginn durch die Reihenfolge der Sequenzen deutlich aufgezeigt: frühmorgens gehen die Arbeiter zu Fuß zur Fabrik – um 8 Uhr öffnen die Ladenbesitzer ihre Läden – «Die leitenden Angestellten begeben sich per Auto zur Arbeit. Andere reiten durch den Grunewald. In Bürohäuser werden Schränke und Kassenbücher geöffnet»21.

34 Wie aber die Sequenz «Mittagspause» zeigt, erschöpfen sich diese «biographischen» Elemente in einem schnellen Aneinanderreihen von Bildern, die zwar thematisch zusammengehören aber das gesellschaftliche Objekt «Mittagspause» lediglich als zusammenhangloses Großstadtschauspiel präsentieren: 12 Uhr; es ist Mittag. Bauarbeiter verzehren ihre Brote. Ein Löwe im Zoo verschlingt einen Fleischbrocken. In den Restaurants werden riesige Schlemmerplatten serviert. Die Gastronomie hat Tages-Saison, vom Grandhotel bis zur Würstchenbude. Ein Mann hält auf einer Bank sein Mittagsschläfchen. Müßiggänger nehmen ihren Kaffee in vornehmen Restaurants ein. Die Mittagspause ist zu Ende.

35 Das war einem zur vernichtenden Kritik aufgelegten Kracauer eindeutig zu wenig, der in Berlin nur «eine Summe verworrener Vorstellungen, die Literatengehirne über eine Großstadt ausgebrütet haben» erblicken konnte und den Gegensatz zu der beziehungsreicheren Gegenstandsdarstellung in den «großen russischen Filmen» unterstrich: Während etwa in den großen russischen Filmen Säulen, Häuser, Plätze in ihrer menschlichen Bedeutung unerhört scharf klargestellt werden, reihen sich hier Fetzen aneinander, von denen keiner errät, warum sie eigentlich vorhanden sind22.

36 In weiteren zeitgenössischen, linksorientierten Kritiken am Ruttmann-Film wird meistens bemängelt, daß das Objekt Großstadt nicht durch die Wahl bestimmter räumlicher bzw. zeitlicher «Querschnitte» und das Aufzeigen gesellschaftlicher Zusammenhänge zu einer sinnvollen, «bildjenseitigen» (Balasz) Konstruktion zusammenmontiert wurde23.

37 Bei Ruttmann wie bei Moholy-Nagy wird aber ein Darstellungsmodus gewählt, der nicht nur gemessen an einem «eingreifenden», metaästhetischen Realismusbegriff, wie ihn etwa Brecht ein Jahrzehnt später klassisch formulieren wird, eine gewisse Distanz zur Realität oder sogar eine Tendenz zur Derealisierung der konkreten Gegenstände aufweist. Gleich am Anfang beider Werke wird eine für deren Gesamtdiskurs typische Ambivalenz inszeniert: abstrakte Figurationen werden als Matrizen des Konkreten sichtbar gemacht.

38 Paradebeispiel für diese Ambivalenz ist die Eingangssequenz in Berlin, die Symphonie der Großstadt: der Hauptteil, die morgendliche Bahnfahrt nach Berlin durch die Industrievororte, in der die schon genannten industriestädtischen Requisite im Eil- tempo ins Bild gerückt werden, bietet zunächst, wohl ohne Absicht, einen objektbiographischen (städtebaulich-soziologischen) Querschnitt, der von den spärlich besiedelten ersten Vororten bis zu den großen Fabrikgeländen an der Spree über die Gartenlauben und die sich im Bau befindlichen Wohnblocksiedlungen das Wachsen einer Hauptstadt dokumentiert. Eingeleitet wurde aber diese erste Sequenz mit ihrer über die gefilmte Landschaft hinausweisenden, sozialen Konkretheit durch ein bei dem ehemaligen abstrakten Filmemacher Ruttmann übliches Verfahren: das Sich Herausbilden des Konkreten aus dem Spiel abstrakter Formen, das sich aber hier, die Ambivalenz quasi als doppelte Genese zeigend, zunächst anders herum präsentiert: das

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symbolträchtige erste, reale Bild des glitzernden Wassers geht in eine wellenartige Bewegung von abstrakten Lichtlinien über, die dann schräg sich nach unten senkend, in Konkretes zurückverwandelt werden: zwei Bahnschranken werden heruntergelassen und lösen dadurch die rasende Bahn-Kamerafahrt aus.

39 Desgleichen ist die erste «Szene» des Typofotos Moholy-Nagys eine Steilsicht von oben, die das «Entstehen einer Metallkonstruktion» aus einer «Tricktischaufnahme von sich bewegenden Punkten, Linien, welche in ihrer Gesamtheit in einen Zeppelinbau (Naturaufnahme) übergehen», vor Augen führt.

40 Daß reale Gegenstände allein durch die Darstellungsweise, ohne daß auf den Tricktisch24 zurückgegriffen werden muß, «derealisiert» werden und in abstraktere Formen umschlagen können, zeigt am Anfang der Skizze ein an sich schon relativ abstraktes Ineinanderrasen von Häuserreihen und von Autos (Doppelbelichtung) «immer rascher, so daß bald ein Flimmern entsteht», oder Räder, die sich «bis zum verwaschenen Vibrieren» drehen.

41 In ähnlicher Weise wird eine solche Derealisierung wieder einmal durch die erste Kamerafahrt deutlich gemacht, deren rasendes Tempo die realen Landschaften (Schienen, Strom-bzw. Telefonleitungen usw.) stellenweise in ein abstraktes Linienspiel verwandelt. Hier trifft zu, was J. Goergen über die ersten filmischen Versuche Ruttmanns schreibt: In der Bewegung… löst sich jegliche Form auf; der Gegenstand in Bewegung ist nicht mehr als Objekt, sondern nur noch als Bewegung zu erkennen25.

42 Ebenso wie der nah aufgenommene vorbeidefilierende Vordergrund (bogenförmige Eisenträger einer Brückenkonstruktion) eine flimmernde Abwechslung von hellen und dunklen Formen erzeugen kann.

43 Auf einem anderen Realitätsniveau angesiedelt sind selbst die ersten Nachtszenen in der letzten Sequenz des Films, die mit später gängig geworden (nach dem Motto: «Lichter der Großstadt») gespickt sind, ein Moment der Derealisierung oder, genauer gesagt, der Dematerialiserung des Objekts «Großstadt»: Aufleuchten der Lichtreklamen, kreisender Lichtkegel des Funkturms, Scheinwerferkarussell der Autos, hell erleuchtete Schaufenster, die sich zeitweise in den Fenstern einer vorbeifahrenden Straßenbahn widerspiegeln oder der glitzernde naße Asphalt verwandeln Berlin in unzählige Lichtpunkte, -linien und -flächen, von deren Hintergrund sich Menschen und Sachen schemenhaft abheben.

44 Dynamik der Grostadt zeigt seinerseits zwei Photos einer nächtlichen, lichtdurchfluteten Großstadt («Autostraße spiegelglatt. Lichtpfützen. Von oben und schräg mit weghuschenden Autos», «Lichtreklame mit verschwindender und neuerscheinender Lichtschrift/Feuerwerk aus dem Lunapark»), die an die abstrakte «Lichtgestaltung» der von Moholy-Nagy praktizierten, im Bauhausbuch ebenfalls dokumentierten «Fotografie ohne Kamera» («Fotogramm») stark erinnert.

45 Während die Objektwelt dadurch an Substanz und Konturen verliert, wird in Berlin die gefilmte Menschenwelt im Alltagsquerschnitt eher zum neusachlichen Massenornament, zur «Bewegung ohne Gestalt» als zu einer «organischen Masse», d.h. zu einem «Kollektiv-Lebewesen»26, wie sie Balasz bei Eisenstein und Pudowkin ausmacht.

46 Im Gegensatz etwa zu dem ebenfalls 1927 uraufgeführten Metropolis von F. Lang und zu den zeitgenössischen Massen der «Russenfilme» erhält die Ruttmannsche Menge keine

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ausgeprägte «Gestalt» durch den Bildauschnitt, höchstens eine «musikalische» durch den Schnitt. Obwohl sie, wie schon erwähnt, in ihrer sozialen Schichtung erkennbar ist, stellt sie eine relativ amorphe, indifferenzierte Großstadtmenge dar, die nur durch den schnellen Bildwechsel in Bewegung gesetzt wird27 und das neusachliche Gegenstück zu den pathetisch zusammengeballten Massen des Films Langs und erst recht zu den russisch-sowjetischen Massen figuriert.

Derealisierung II: Symphonische Dynamik als «Prinzip Tempo»

Ein rhythmisches Gebilde, das optisch erlebt und doch nicht sichtbar wird B. Balasz

47 Vorweg die Feststellung, daß Ruttmanns Werk Variationen über das Unheimliche zu bieten scheint. Ihm liegt offensichtlich das befremdende Aufzeigen des Andersseins im Sosein: des Abstrakten im Konkreten und des Konkreten im Abstrakten, des Klanglichen im Bildlichen (Berlin) und des Bildlichen im Klanglichen, wie sein «photographisches Hörspiel» Week-Endbeweist, in dem akustische Bilder mit Hilfe von zweckentfremdeten Filmsprachmitteln (z.B. «Tonüberblendungen») zu einem «blinden Film» (Ruttmann) montiert werden28.

48 Auf diese Art und Weise wird die Wirklichkeit nicht verdrängt, sondern seine Entstehung als filmische Konstruktion erfolgt durch planmäßige Entstellung.

49 Ein Instrument dieser Entstellung ist der schon erwähnte «symphonische» Schnitt, der für Ruttmann wie für MoholyNagy eine bestimmte Form von Dynamik impliziert denn in der Musik ist Dynamik weitgehend eine Frage des Tempos29.

50 Es scheint hier eine «innere Notwendigkeit» (Kandinsky) für eine filmische Geburt der Wirklichkeit aus dem Geiste des musikalischen Rhythmus zu geben30, die in dem neusachlichen Film à la Ruttmann die Verwandschaft zur früheren abstrakten Praxis durchscheinen läßt, zumindest wenn man sich auf die von H. Richter 1928 erörterte Rhythmusproblematik berufen darf: Auch im Spielfilm muß der Rhythmus die Handlung unterstützen, stärker muß der Rhythmus sein in Spielfilmen ohne eigentliche Handlung, am stärksten aber in Filmen ohne Gegenstände, an denen sich das Bewußtsein des Beschauers orientieren kann31.

51 Als würde der Rhythmus in einem direkten Verhältnis zur Abstraktion des Objekts stehen.

52 Aber während beispielsweise bei Vertov die ungeheure Fülle des sachlichen Materials nur durch eine nachträglich entdeckte, musikalische Bildkomposition gelöst werden kann, so jedenfalls H. Richter32, ist bei Ruttmann das Problem, bei der «Sichtbarmachung der symphonischen Kurve», genau umgekehrt: Nach jedem Schnittversuch sah ich, was mir noch fehlte, dort ein Bild für ein zartes Crescendo, hier ein Andante, ein blecherner Klang oder ein Flötenton und danach bestimmte ich immer von neuem, was aufzunehmen und was für Motive zu suchen waren…33

53 Dort der Wille, die Totalität der sachlichen Welt nicht nur durch eine soziopolitische «Dechiffrierung », sondern auch durch eine bildsymphonische Form wiederzugeben, auf die Gefahr hin, daß die Fülle des kompositorisch zu bewältigenden Materials eine

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endlose Reihe von konnotativen Assoziationen auslöst, die jede Sinngebung sprengen; hier, das Konzept, reale Gegenstände nur aufgrund bestimmter rhythmischer Eigenschaften auszuwählen und nach formalen Aspekten zu verwerten, als gälte es, den neusachlichen Zeitgeist als pure visuelle Form zu konstruieren; ein Vorhaben, das der Kracauer der Weimarer Zeit dazu verleiten konnte, Stilmittel und dargestellte Wirklichkeit zu identifizieren und abwertend als «Tempo von Berlin» zu bezeichnen34.

54 Eine ähnlich geartete Derealisierung durch den Rhythmus hatten schon Balasz und der Weltbühne-Kriüker H. Kahn konstatiert: Was hat noch der Rhythmus in Walter Ruttmanns Berlin-Film… mit den Straßenbahnen zu tun, die darin gezeigt werden?… Die Motive sind für den Rhythmus nur Medium: nur Licht, Schatten, Form, Bewegung. Keine Gegenstände mehr. Die optische Musik der Montage läuft in eigener Sphäre neben der Begrifflichkeit des Inhalts einher35. Bildabläufe…, deren Sichtbarmachen an kein organisches oder mechanisches Ding gebunden ist; Bildabläufe also, deren «Handlung» nur in der Widergabe von Bewegungsmomenten selbst besteht und deren «Held» die Form an sich ist36.

55 Also keine dialektische Verarbeitung des Objektiven im Subjektiven sondern Fabrikation einer musikalischen Fiktion von real existierenden Objekten durch den Schnitt.

56 Indizes dieser auf ein reines Bildertempo angelegte Dynamik sind z.B. in Berlin eingeblendete Pfeile, die in keine Richtung weisen sondern als Symbole des Prinzips «Nichtverweilen»37 fungieren und jede allzu konkrete, problematische Verdichtung des Menschlichen (z. B. die Zerstreuung eines Anlaufs durch einen Schupo nach übrigens inszenierten Handgreiflichkeiten oder ein Frauenselbsmord) in den ständigen Bilderfluß hineinreißen. Ein zeitgenössischer Kritiker hat versucht diesen karussellartigen Bilderrhythmus, in dem der Bildgehalt sich verflüchtigt und zu einer reinen Illustration des neusachlich-modernen «Prinzips Tempo» wird, in die Schreibweise umzusetzen: Und weiter braust, zischt, sprudelt die losgelassene Hölle, Schupohand senkwärts, waagerecht, Prügelei, Westen, Norden, Luxus. Der Eisbär gähnt im Zoo. Mannequins probieren an, eine Frau stürzt sich ins Wasser, tot, fertig, weiter, Berlin, weiter, weiter, eine Dirne geht auf den Strich, eine Frau bettelt, ein Hochzeitspaar tritt aus der Kirche…38.

57 Weitere Indizes, die sich ebenfalls mit der Zeit zu konventionellen Topoi abnutzen werden wie die Nahbzw. Großaufnahmen von auf Hochtouren laufenden Maschinen, sind u. a. auch: rasend schnelles Tippen auf Schreibmaschinen, die sich in derealisierender Mehrfachbelichtung drehen, schnell geschnittene Bilder vom hektischen Umstecken bei der Vermittlung von Telefongesprächen, schnelles Überblenden von Zeitungstiteln und rasche Aufeinanderfolge von sich scheinbar verselbständigenden sensationsheischenden Schlagzeilen («Krise», «Morde», «Heirat», «Geld») usw.

58 Dieses «Prinzip Tempo» ist es, das der musikalischen Bilderflut den kaleidoskopischen Charakter einer perspektivlosen «Melodie der (Großstadt)Welt» verleiht, wo der Realitätsgehalt eines jeden Wirklichkeitsabschnitts (Fabrik / Vergnügungsstätte/Zille- Milljöh mit Berliner Gören, Hinterhofmusikanten und Lumpensammlern/politische Straßenagitation usw.) der puren Schaulust zum Opfer fällt. Dadurch verkümmern die Abbildungen des geschäftigen Zentrums Berlins zu einem paradigmatischen

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Schaufenster der «modern times », das aus dem Gefilmten ein beziehungsloses Großstadt Sammelsurium macht und nur formal, durch den Schnitt «zusammenhängt».

59 In dieser Hinsicht verwischt ein solcher Schnitt die Grenze zwischen Montage und Collage, wie das eine Werbeplakat für den Film zeigt: eine Photocollage von zusammengewürfelten Motive (Schwarzer Lift junge, ausgeschnittene Zeitungstitel und Schlagzeilen, Puppe, Lesender Mann vor Hochhausfronten, Stoppuhr, Auge und liegende Stadtstreicher), die nichts weiter als großstädtische Modernität emblematisch zu bedeuten haben. Der Bild-Text-Streifen von Moholy-Nagy zeigt für seinen Teil eine bewußt forcierte «Dynamik des Optischen» deren Montage stellenweise auf die Erzeugung eines metaoptischen Sinn ausgerichtet ist: die dritte Szene («starre, ruckartige Bewegung eines nach links fahrenden Autos + Auto in die entgegengesetzte Richtung fahrend ») ist zunächst einmal als fast physisch zu spürende, «brutale Einführung in das atemlose Rennen, das Tohuwabohu der Stadt» konzipiert.

60 Wenn aber auf die in einem rasenden Tempo fliehenden Häuserreihen die Halbnaheinstellung eines Tigers folgt (unter dem Bild dreimal das Wort «Tempo»), der «wütend in seinem Käfig kreist», soll ein «Kontrast des offenen, unbehinderten Rennens zur Bedrängung, Beengtheit» spürbar gemacht werden, «um das Publikum schon anfangs an Überraschungen und Alogik zu gewöhnen». In ähnlicher Weise wird in einer der letzten Szenen zum Photo eines Löwen ein Text montiert, der folgende Wortbildsequenz enthält: Fletschender Löwenkopf (Großaufnahme). Theater. Schnürböden. Der Löwenkopf. TEMPO -o-O Polizei mit Gummiknüppel auf dem Potsdamer Platz. Der KNÜPPEL (Großaufnahme). Das Theaterpublikum.Der Löwenkopf immer größer werdend, bis zuletzt der riesige Rachen die Leinwand füllt.

61 Hier wird ansatzweise gezeigt, daß durch den Einbau höchst heterogener Realitätsausschnitte, die Stadtwirklichkeit mittels des Schnitttempos zunächst dekonstruiert, «gesprengt» (Benjamin), und dann weniger formal-musikalisch als gedanklich-assoziativ, auf einer höheren, hier möglicherweise sozialkritischen Sinnebene rekonstruiert werden kann.

62 Dadurch wird 1921-1922 in noch wenig differenzierter Form eine Montageart vorweggenommen, die auf eine strikte psychische Konditionierung des Zuschauers abzielt und von Eisenstein ab 1923 als «Montage der Attraktionen» definiert wird.

63 Dieser beschrieb die angestrebte Konditionierung als «Formung des Zuschauers in einer gewünschten Richtung», die «Attraktion» als «jedes aggressive Moment des Theaters…, das den Zuschauer eine Einwirkung auf die Sinne oder Psyche aussetzt» und die Montage der Attraktionen als «freie Montage bewußt ausgewählter, selbständiger (auch außerhalb der vorliegenden Komposition und Sujet-Szene wirksamen) Einwirkungen (Attraktionen), jedoch mit einer exakten Intention auf einen bestimmten thematischen Endeffekt…»39.

64 An dieser Stelle und zum Abschluß dieser Untersuchung scheint mir eine im Bauhaus- Organ erschienene grundlegende Kritik des Berlin-Films angebracht, die das ungelöste Dilemma Ruttmanns und vieler Avantgardisten, nämlich «von den vielen möglichkeiten des objekts und der kamera zur Zersplitterung verleitet» worden zu sein, von einem unterschiedlichen aber ebenfalls avantgardistischen Standpunkt aus darlegt.

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65 Sie kritisiert «das extensive schildern einer Vielheit von motiven» statt des «intensiven gestaltens eines stofflich enger begrenzten, aber rhythmisch zu beherrschenden gegenständes», wenn auch Berlin wegen des Aufgreifens einer konkreten Realität «ein bedeutungsvolles gegenständliches Zentrum» besitzt, das dem Film «immerhin den sinn einer rasenden reportage» verleiht. Sie wirft aber auch die Frage auf, ob der Ruttmann-Film nicht «auf unsere weit durchaus nur wie auf ein verworrenes konglomerat von mechanistischen Zerstückelungen antworten» möchte, als würde eine konstruktivistische Filmästhetik à la Ruttmann weitgehend ungewollt den sachlichen Reflex einer sich zerstückelt präsentierenden Welt der Dinge darstellen und letztendlich auf eine wirklichkeitsgetreuere «kunst der Verwirrung» hinauslaufen.

66 Die Zeitschrift bauhaus rügt dann zum Schluß am Beispiel des Tempos den Einsatz einer avantgardistischen Filmsprache für sinnleere Zwecke: Tempo! tempo! tempo! welche verkennung wahrer künstlerischer ziele, daß die avantgarde filmisches tempo fast nur als futuristisch-pointillistisches szenengeflimmer, rhythmus nur als mechanistische zerStückelung zu begreifen vermag, was nützt uns die reinheit der mittel, wenn sie im dienste einer kurzatmigen, großstädtischtechnischen allerweltsgesinnung stehen und immer nur hinter fliehenden nervensensationen hergejagt werden40.

67 Durch die Subsumierung des Gezeigten unter das «Prinzip Tempo» induziere also diese Ästhetik keine «Dynamik der Großstadt», die dem zuschauenden Subjekt eine Anschauung vermitteln würde, was den Ruttmann-Bewunderer W. Pudowkin merkwürdigerweise zu einem Lob der dadurch erreichten «Hypnose» bewegen konnte: Ruttmann gibt dem Zuschauer so lange keine Ruhe, bis er ihn hypnotisiert, dabei ist es keineswegs sein Ziel, die Gegenstände, die er drehte, dem Zuschauer vorzustellen, sondern er will über den Montagerhythmus auf ihn einwirken… Selbst kurze, einzelne Einstellungen, bei denen man den Verdacht hegen könnte, sie sollten lediglich etwas «vorstellen», erweisen sich als rhythmisch streng kalkuliert41.

68 Vielleicht hätte die Skizze Moholy-Nagys, wäre sie verfilmt worden, zeigen können, daß zur produktiven, ins Unbewußte dringenden Dynamik des Objekts «Großstadt» montierte «Attraktionen» gehören. Als verdichtete Form der reinen Assoziativmontage, als Möglichkeit, die Bewegung (nicht nur die rein physische der Leinwandobjekte sondern auch die geistiginterpretierende der zuschauenden Subjekte) hätten diese das antinaturalistische «Prinzip Tempo» mit dem ebenfalls antinaturalistischen «Prinzip Dialektik» kombinieren können. Dies wäre allerdings kein neusachlicher Weg mehr zum Konkreten gewesen, wäre er doch von ganz anderen Prämissen ausgegangen, etwa der, die W. Benjamin nach einem Moskau-Besuch 1926 aphoristisch formuliert hatte: Nur wer in der Entscheidung, mit der Welt seinen dialektischen Frieden gemacht hat, der kann das Konkrete erfassen42.

69 Der Frieden, den die Neue Sachlichkeit mit der Welt abgeschlossen hatte, das Entweder- Oder ihrer «Ding-Entdeckung nach der Ich-Krise» (W. Michel), waren bekanntlich alles andere als dialektisch.

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NOTES

1. – Über W. Ruttmann sei auf die sehr kenntnis-und materialreiche Dokumentation von Jeanpaul Goergen, Walter Ruttmann. Eine Dokumentation (Freunde der deutschen Kinemathek, Berlin o.J.) und auf die darin enthaltene Filmo- und Bibliographie verwiesen. L. Moholy-Nagys Skizze «Dynamik der Grostadt» wurde als «Typofoto », eine Montage von Photos mit einer sehr bildlich gestalteten Typographie, im achten Band der Baushausbücher: Malerei, Photografie, Film 1925 veröffentlicht. Zitiert wird nach dem repr. Nachdruck der zweiten, veränderten Ausgabe von 1927: Malerei Fotografie Film (Mainz und Berlin, 1967). 2. – Während Moholy-Nagy «Formen einfachster Geometrie als Schritt zur Objektivität» verstand, behauptete Ruttmann 1927 sich immer schon auf «Objektivität» besonnen zu haben: «Während der langen Jahre meiner Bewegungsgestaltung aus abstrakten Mittel ließ mich die Sehnsucht nicht los, aus lebendigem Material zu bauen, aus den millionenfachen, tatsächlich vorhandenen Bewegungsenergien des Großstadtorganismus eine Film-Sinfonie zu schaffen». Vgl. W.R., «Wie ich meinen BERLIN-Film drehte» in: Licht-Bild-Bühne Nr. 241 (8. Okt. 1927). Nachgedruckt in: Goergen, a.a.O. S. 80. 3. – L. Moholy-Nagy, a.a.O., S. 31-32. 4. – Vgl. H. Richter: Der Kampf um den Film (München, 1976) S. 33. 5. – Vgl. S. Kracauer, Theorie des Films (Frankfurt/Main, 1985). 6. – B. Balasz, Der Geist des Films (, 1930), repr. Nachdruck (Frankfurt/Main, 1972) S. 110-111. 7. – In einem 1923 veröffentlichten Text (Nachgedruckt in: F.J. Albersmeier: Texte zur Theorie des Films (Stuttgart, 1979) S. 28). D. Vertov war der Theoretiker des «Kino-Auges », d.h. der «dokumentären KinoDechiffrierung der sichtbaren Welt mit Hilfe des menschlichen, unbewaffneten Auges », wie die Definition eines 1929 in deutscher Sprache erschienenen Aufsatzes lautete. Vgl. D. Vertov, «Vom "Kino-Auge" zum "Radio-Auge" », in: K. Witte (hrsg.), Theorie des Kinos (Frankfurt/Main, 1972) S. 88-92. 8. – D. Vertov, ebenda. 9. – Vgl. L. Moholy-Nagy, a.a.O. S. 26. 10. – D. Vertov, in: Albersmaier, a.a.O., S. 34-35. 11. – H. Richter, a.a.O., S. 34. Zur besseren Veranschaulichung der Handhabung von kinematographischen Mitteln im Geiste des «neuen Sehens» sei auf die zahlreichen Abbildungen in einem zeitgenössischen Buch von H. Richter verwiesen, das er in pädagogischer Absicht für die von ihm mitveranstaltete «Film-und Fotoausstellung des Deutschen Werkbundes» 1929 in Stuttgart verfaßte: Filmgegner von heute, Filmfreunde von morgen. Fotomechan. Nachdruck (Zürich, 1968). 12. – Vgl. R. Arnheim, Film als Kunst, zitiert nach der neuen Ausgabe (München, 1974) S. 27. 13. – Vgl. Moholy-Nagy, a.a.O. S. 26. 14. – Zitiert nach H.G. Vierhuff, Die Neue Sachlichkeit. Malerei und Fotografie (Köln, 1980) S. 54. 15. – Vgl. F. Roh, Nach-Expressionismus, Magischer Realismus (Leipzig, 1925). 16. – Vgl. S. Tretjakov, «Biographie des Objekts », in: S.T., Die Arbeit des Schriftstellers (München, …). 17. – W. Benjamin in: Die Literarische Welt vom 11. März 1927. 18. – In dieser Hinsicht und für den von der Forschung oft gemachten Vergleich mit Vertovs Der Mann mit der Kamera ist eine Bemerkung des Kritikers der kommunistischen Rote Fahne beachtenswert, der über den Berlin-Film Ruttmanns schrieb: «Nebenbei gemerkt, es wäre interessant einen Film "Moskau" zu sehen, den Film einer Stadt, dem nicht die Bourgeoisie, sondern das Proletariat das Gepräge gibt».

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P. Friedländer, in: Rote Fahne vom 25. September 1927. Teilweise nachgedruckt, in: Goergen, a.a.O., S. 118. 19. – Vgl. S. Tretjakov, der unter dem Einfluß eines Berlin- Besuchs 1931 schrieb: «Wer sehen möchte, wo die Kunst der Bourgeoisie noch lebt, kämpft und erfindet, der darf nicht ins Theater gehen oder in eine Kunstausstellung. Der muß sich die Warenhausschaufenster ansehen. Und die Leuchtreklame». Vgl. S. T.: «Schaufensterreklame», in: F. Mierau, a.a.O., S. 542. 20. – Dies geschieht ziemlich exemplarisch in einer «Das wechselnde Gesicht der Großstadt» betitelten Sequenz des schon erwähnten Basse-Dokumentarfilms, Deutschland zwischen gestern und heute. 21. – Im Folgenden übernehme ich die bei Goergen nachgedruckten Inhaltsangaben aus: D. Gebauer/S. Wolf (Hrsg.): Dokumente zur Geschichte des Films. Der klassische deutsche Stummfim. (München, o.J.). 22. – S. Kracauer, in: Frankfurter Zeitung vom 13. November 1927. Nachgedruckt, in: Goergen, a.a.O., S. 118. 23. – Stellvertretend hierfür sei an dieser Stelle die in mehrfacher Hinsicht exemplarische Kritik Kracauers. Sie erschien ein Jahr nach der soeben zitierten in der Frankfurter Zeitung vom 30.11/1.12.1928: «Ein Werk ohne eigentliche Handlung, das die Großstadt aus einer Folge mikroskopischer Einzelzüge erstehen lassen möchte. Vermittelt es die Wirklichkeit Berlins? Es ist wirklichkeits-blind wie irgendein Spielfilm. Schuld daran trägt Haltungslosigkeit. Statt den gewaltigen Gegenstand in einer Weise zu durchdringen, die ein echtes Verständnis für seine gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Struktur verriete, statt ihn mit menschlicher Anteilnahme zu beobachten, ihn überhaupt an einem bestimmten Zipfel anzufassen und dann entschlossen aufzurollen, läßt Ruttmann Tausende von détails unverbunden nebeneinander bestehen… Allenfalls liegt dem Film die Idee zugrunde, da Berlin die Stadt des Tempos und der Arbeit sei – eine formale Idee, die erst recht zu keinem Inhalt führt… ». Man könnte auch wieder den Artikel von P. Friedländer aus Die Rote Fahne (25.9.1927) erwähnen, der die von Kracauer vermittelte Konkretheit mit folgenden Worten präzisiert: «Die Großstadt Berlin erscheint hier ohne ihren geschichtlichen Charakter, ohne konkreten Zweck… Berlin ist eine kapitalistische Großstadt. Der Kapitalismus gibt ihr sein Gepräge: die Jagd nach Profit. Jede Minute in dieser Stadt ist ausgefüllt von Klassengegensatz und Klassenkampf. Und diese geschichtliche Tendenz muß erfaßt und dargestellt werden. Wer das nicht tut filmt bloß "Fassade". Die "Objektivität" schlägt in ihr Gegenteil um». Abgedruckt in: Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland, (Berlin-DDR, 1976) Bd.I, S. 194 ff. 24. – Bezeichnenderweise war der Ruttmann-Film in den Augen eines Trickfilmspezialisten «weiter nichts…, als eine geschickt gehandhabte Tricktechnik in Verbindung mit einer Reihe gutgesehener Bilder aus dem täglichen Großstadtleben ». Vgl. «Der Trickfilm im Wandel der Zeit», in: Film und Volk, Heft 11/12, Dezember 1929 S. 20. 25. – J. Goergen, a.a.O., S.20. 26. – Vgl. B. Balasz, a.a.O., S. 82-83. 27. – Vgl. die einen Tag nach der Uraufführung im Tauentzien-Palast veröffentlichte Kritik des Ruttmann-Films in: Der Kinematograf vom 24.9.1927 S. 21. 28. – Näheres darüber, in: Goergen a.a.O., S. 130 und ff. H. Richter schreibt in: Köpfe und Hinterköpfe (Zürich, 1967): «Ruttmanns Technik der assoziativen Tonmontage war im Prinzip nichts anderes als die Übertragung der russischen Montage auf den Ton». 29. – In Dynamik der Großstadt kommt das Wort «Tempo» in mehreren typographischen Variationen quasi leitmotivisch vor und verleiht in Ermangelung eines Besseren wenigstens der Aufmachung der Buchseite einen bestimmten Rhythmus.

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30. – Vgl. diese für den damaligen «Zeitgeist» der kinematographischen Avantgarde bezeichnende Bemerkung von S. Küppers über Vertov: «Durch sein Instrument hat er das Schauen rhythmisiert, das Sehen klingt, das Theater zerbrach, – was wir durch ihn erleben, ist nur – DIE WIRKLICHKEIT ». In: Das Kunstblatt 5/1929. Nachgedruckt, in: F. Mierau, Russen in Berlin, a.a.O. S. 509. 31. – Vgl. H. Richter, Filmgegner… a.a.O., S. 93. 32. – Vgl. H.Richter: Der Kampf um den Film, a.a.O., S. 35 «Zufällig aneinandergeklebt entstand ein wildes Durcheinander von Episoden, die sich gegenseitig störten. Je mehr er den Ursachen dieser Störung nachging, um so mehr erkannte er, daß jedes Bild, jede Szene, jede Einstellung ihren eigenen, sozusagen musikalischen Bewegungsrhythmus besaß, der sich störend bemerkbar machte, wenn man ihn nicht ordnete. Traf es sich aber einmal, da zusammenpassende Bewegungsrhythmen zufällig aufeinandertrafen, so "klang" das Bild, und es entstand etwas einer Melodie Vergleichbares… Wo inhaltlich der "Faden" fehlte, schuf er ihn durch die rythmische Bindung». 33. – W.R.: «Wie ich meinen BERLIN-Film drehte», a.a.O. 34. – Vgl. dazu J. Außenberg, Generaldirektor der deutschen Fox und Auftraggeber Ruttmanns: «Wir haben das Thema Berlin jedem anderen Ideenkomplex und auch jeder anderen Großstadt vorgezogen, weil diese Stadt in ihrem rastlosen Auftrieb das anstürmende Tempo gab, das wir brauchten; den tausenfältigen Akkord von Arbeit, Schicksal, Elend und Genuß ». In: Illustrierter Film-Kurier, Nr. 658, 1927. Nachdruck, in: Goergen, a.a.O., S. 116. 35. – B. Balasz, a.a.O., S. 57. 36. – H. Kahn, «Die Film-Symphonie», in: Die Weltbühne, 23. Jg., Bd.2, 1927. 37. – Vgl. Jaspers Kritik am Kino und darüber hinaus an der Neuen Sachlichkeit: «Das Kino zeigt eine Welt, die so nicht sichtbar wird. Man ist gefesselt von dem indiskreten Darbieten der physiognomischen Wirklichkeit von Menschen. Man erweitert seine optische Erfahrung über alle Völker und Landschaften. Aber man sieht nichts gründlich und verweilend…» In: K.J., Die geistige Situation der Zeit (Berlin u. Leipzig, 1931) S. 117. 38. – Vgl. Gong: «Film der Zukunft », in: Deutsche Republik vom 7.10.1927. Zitiert nach: Berlin. Außen und Innen, Stiftung deutscher Kinemathek (Berlin, 1984) S. 24. 39. – S.M. Eisenstein, «Montage der Attraktionen», in: Albersmeier, Texte zur Theorie des Films, a.a.O., S. 47-49. 40. – «filmrhythmus, f Umgestaltung », in: bauhaus. vierteljahr-zeitschrift für gestaltung, april- juni 1929. Nachgedruckt, in: Goergen, a.a.O., S. 118-121. Der mit ihm befreundete H. Richter schrieb 1928: «Die bewußte Bildung von Assoziationen ist eine der wichtigsten Möglichkeiten der Montage… Wir müssen uns darüber klar sein, daß jede Art von Kombination aufeinanderfolgender Bilder eigenartige und zwar sehr starke psychische Wirkungen hervorruft… Wenn also starke psychische Wirkungen sich schon rein aus der Aneinanderreihung der Bilder ergeben, dürfen sie keinesfalls unkontrolliert bleiben. Die psychische Wirkung der Montage muß streng organisiert werden…». H. Richter, Filmgegner… a.a.O., S. 79. 41. – Vgl. W. Pudowkin, Die Zeit in Großaufnahme, (Berlin-DDR, 1983) S. 557-558. 42. – W. Benjamin, Städtebilder (Frankfurt/Main, 1963) S. 8.

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RÉSUMÉS

Diese Arbeit möchte untersuchen, inwiefern die von erprobten Vertretern der abstrakten Filmavantgarde in Deutschland (W. Ruttmann und L. MoholyNagy) vollzogene Rückkehr zur Wirklichkeit, die vielfältige ästhetische Praxis der Neuen Sachlichkeit vertstehen hilft. War die Bemühung, einer «Neuen Sicht» der dinglichen Realität zum Durchbruch zu verhelfen, nicht gleichzeitig ein Gestus der Derealisierung, der den Abbildungen um so weniger Substanz verlieh, als er (z. B. bei Ruttmann) sich vornahm, die «tonoptischen» Merkmale des Objekts «Großstadt» hervorzukehren? Ob neusachliche Variationen über das Thema «Melodie der Welt» oder noch vor Eisenstein entwickelte frühe Form einer «Montage der Attraktionen», was bleibt vom damaligen Willen übrig, an einer Entzauberung der Wirklichkeit zu arbeiten?

Ce travail se propose d’analyser dans quelle mesure le retour au réel opéré par des représentants patentés du cinéma abstrait d’avant-garde en Allemagne (W. Ruttmann et L. Moholy-Nagy), peut éclairer la pratique esthétique protéiforme de la Neue Sachlichkeit. N’y avait-il pas dans cet attachement à promouvoir une « nouvelle vision » de la réalité concrète, un geste déréalisant où la figuration est d’autant moins substantielle qu’elle prétend par exemple (Ruttmann) exhausser par le montage la « musicalité visuelle » de l’objet « grande ville » ? Variations néo-objectives sur le thème de la « mélodie du monde » ou amorce pré-eisensteinienne d’une forme de « montage des abstractions », qu’en est-il de la volonté du temps d’œuvrer au désenchantement du réel ?

AUTEUR

ANDRÉ COMBES Université de Lille III

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Le naturisme « fonctionnel » sous Weimar Die Neusachliche Instrumentalisierung der Freikörperkultur in der Weimarer Republik

Marc Cluet

1 L’identification idéologique du mouvement, ou plutôt des mouvements naturistes, en Allemagne, pendant l’entre-deux-guerres, est plutôt floue dans les esprits en France. On observe un phénomène de réduction arbitraire, à caractère variable, de la diversité existante. Selon La vie quotidienne sous la République de Weimar (1983), ces « pratiques naturistes » avaient cours dans les « associations de jeunesse de gauche » ; par contre, selon l’Histoire de la pudeur de J.-C. Bologne (1986), il s’agissait d’un « nudisme nordique » qui avait « épousé les idées nationalistes et antisémites du prénazisme »1. La thèse, plus ancienne, de M.A. Descamps sur Le nu et le vêtement esquive le problème en diluant toute opinion politique précise dans le mondialisme tendanciel qui serait inhérent au naturisme en tant que tel2. Moyennant quoi, il omet de préciser que Richard Ungewitter (1868-1958), fondateur, en 1906, de la première association naturiste au monde, Tefal (Treubund für Aufsteigendes Leben), était un teutomane de la pire espèce, et qu’Adolf Koch (1897-1971), fondateur, en 1924, à Berlin, d’une école de culture physique populaire (et naturiste) était membre du S.P.D.3.

2 Les travaux, effectués en Allemagne même, sur l’histoire de « son » naturisme sont plus précis au plan idéologique. Ainsi, Giselher Spitzer distingue dans sa thèse de 19824 entre une tendance «völkisch», une tendance « prolétarienne » et une tendance « apolitique », laquelle serait née dès avant 1914, aurait progressé rapidement pendant l’entre-deux-guerres, au détriment des deux autres, pour les absorber finalement après 1945. Ce schéma paraît cependant problématique sur un point (au moins) : le naturisme « apolitique » de l’après-guerre noue-t-il purement et simplement avec le naturisme « apolitique » sous Weimar ? n’y aurait-il jamais eu un naturisme spécifique à Weimar, mort avec – ou même avant – la première république allemande, à l’instar de sa « Nouvelle Architecture » ? En effet, si l’apolitisme signifie généralement la mise entre parenthèses de la politique, au nom du pluralisme démocratique, sous Weimar il a pu

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signifier aussi la négation active (et illusoire) de la politique, au nom de l’idéologie de la « désidéologisation », la fameuse « Nouvelle Objectivité ». C’est ce naturisme perdu que nous nous proposons de rechercher, en nous gardant, par avance, de vouloir prétendre que tous les naturistes modérés de Weimar – voire même simplement une majorité d’entre eux – y aient été ralliés. En effet, le refus des extrêmes ne saurait impliquer en soi la « désidéologisation » active, surtout chez les naturistes, dont le mouvement puise, à ses origines, dans une mystique « néo-romantique » de la nature et, plus particulièrement, du soleil. D’un autre côté, tout naturiste est, par définition, enclin à l’« Objectivité » sur un point précis : il est persuadé qu’une « valeur» au moins mérite d’être « liquidée», la pudeur, qui, du fait du champ sémantique élargi de l’allemand «Scham», touche potentiellement à la morale (cf. Nietzsche).

3 Dans ces conditions, il conviendra d’opérer, dans notre quête du naturisme « fonctionnel »5, à l’aide du concept de perméabilité, plus ou moins grande, du naturisme de l’entre-deux-guerres aux théories de la « Nouvelle Objectivité ». Cette perméabilité sera maximale chez les Kulturphilosophen ralliés, à la fois, à la « démocratie athlétique » et au naturisme, tels le romancier et essayiste Frank Thieß ou le psychologue du travail et des sports Fritz Giese6. Au contraire, il s’agira d’une (quasi-)imperméabilité aux théories de la « Nouvelle Objectivité chez les théoriciens du naturisme «völkisch» ou « prolétarien », qui, à ce titre, sont exclus de notre champ d’investigation. Celui-ci recouvrira un nombre limité d’auteurs importants ou d’équipes rédactionnelles de revues importantes. On retiendra :

4 1) Adolf Koch pionnier du naturisme populaire, déjà évoqué, et ses collaborateurs, notamment son « bras droit », le médecin Hans Graaz, qui s’exprimaient principalement dans la revue officielle de la Kochschule, Körperbildung /Nacktkultur. Même si Koch a pu prétendre, à ses débuts, que l’un de ses buts était de renforcer la combativité du prolétariat en vue de la lutte des classes, le ferment réformiste que recelait son programme – l’idée d’une simple remise en forme des plus défavorisés (en dehors de toute considération tactique) – a vite pris le dessus. Finalement, l’anticapitalisme s’est limité ici à la dénonciation des fabricants de spiritueux («Alkoholkapital»)7. Très significativement, de l’aveu même de Koch, sa démarche était jugée « bourgeoise » par une « jeunesse dressée à réciter des slogans de parti politique »8, et, par ailleurs, il s’est vu accuser par un Kulturkritiker fascisant de prôner une « éthique utilitariste » et une « ligne de vie [Zuchtleben] eudémoniste », très américaine d’inspiration9.

5 2) Hans Surén (1885-1972), ancien directeur de l’École Supérieure d’Éducation Physique de l’Armée (jusqu’en 1924), propagandiste infatigable du naturisme sous toutes ses formes, solitaire ou en groupe, unisexe ou mixte, oisif ou sportif, mais avec une certaine prédilection pour la gymnastique nue. Son « travail » fut salué avec emphase par Thieß et Giese : «sinnvolle und präzise Körperkultur», «echte Sportkultur»10. – Bien qu’il se soit bruyamment rallié au nazisme, avec honneurs à la clef dès 1932, il n’y a guère d’éléments annonçant cette « conversion » dans ses écrits de la période weimarienne. G. Spitzer, qui les a passés au crible pour y déceler d’éventuels éléments «völkisch», signale surtout l’anti-intellectualisme, et arrive à la conclusion qu’« en aucun cas, il ne saurait être considéré comme fortement engagé à droite »11. Personnellement, je décèlerais même chez lui, à cette époque, des éléments presque incompatibles avec le nazisme, tels son injonction à se libérer de la discipline sportive

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(Drill) pour « vivre sa personnalité» («sich selbst erleben»), ou encore son espoir de voir les vols transatlantiques contribuer à « la compréhension mutuelle des peuples »12.

6 3) L’équipe rédactionnelle de Licht-Land, organe officiel d’une fédération naturiste apolitique, au sens du pluralisme démocratique, Liga für freie Lebensgestaltung, qui, par le truchement d’une théoricienne naturiste hors de pair, issue du Wandervogel, Therese Mülhause-Vogeler (1893-1984), adopta des positions nettement antinazies, et pro- weimariennes, au début des années trente13. « Ligue » et revue établirent d’ailleurs des contacts amicaux avec des naturistes français du Midi14.

7 4) Les équipes rédactionnelles des revues Figaro et Sorna, qui alliaient naturisme et érotisme. Ces revues, qui n’avaient pas de véritables organisations derrière elles, cultivaient l’ambiguïté à des fins commerciales. Il paraît cependant probable qu’elles touchaient non seulement un public d’amateurs « avertis », mais aussi de naturistes « avancés d’esprit » et réfractaires à la vie de groupe. En effet, l’érotisme n’avait pas besoin de la caution naturiste pour s’afficher sous Weimar. Les articles, de tenue inégale, témoignent d’un souci constant d’incarner le progrès en matière de mœurs et de mode. La formule journalistique – étrange aujourd’hui – de ces revues pouvait répondre aux désirs d’un public naturiste marginal, que Licht-Land définit, un jour, de la sorte – par souci de se démarquer : «sentationslüsterne AuchNacktkultur»15. Compte tenu de ses liens potentiels avec la « Nouvelle Objectivité », en tant que produit commercial16, il fallait l’inclure ici.

8 Nos auteurs et rédacteurs pronaturistes sont unanimes à penser que l’exposition du corps au vent, au soleil et à l’eau, voire simplement à l’atmosphère ambiante d’un gymnase17, constitue un facteur de santé si puissant qu’il serait dommage d’y soustraire la moindre parcelle de peau18. Les arguments d’origine « néo-romantique » des premiers théoriciens naturistes, qui escomptaient un regain de vitalité par infusion de « forces naturelles », cèdent généralement le pas à diverses théories de l’hygiène prophylactique. Chez Mülhause-Vogeler, on perçoit certes encore quelques relants de philosophie de la nature stoïcienne, quand elle estime, par exemple, que l’exposition du corps aux éléments « soutient le travail [Arbeit] de ses forces curatives »19 ; mais rien de tel chez un Dr Graaz. La peau est un « organe important », car elle sert à éliminer les déchets du métabolisme et les toxines ; des « découvertes très récentes » tendraient même à lui assigner le rôle primordial d’« organe de contrôle et de régulation » du système endocrinien. Seule son exposition totale, en particulier à la stimulation lumineuse (Lichtreiz), lui permettrait de fonctionner « à plein rendement » («zur vollen Leistungsfähigkeit gebracht»)20, et d’entraîner ainsi, du fait de son rôle régulateur, l’organisme tout entier sur la voie de la meilleure santé.

9 Or, selon l’obsession de l’économique, propre à l’époque, et à l’idéologie de la « Nouvelle Objectivité», la santé, c’est aussi de l’argent. Graaz précise que les hommes, ainsi « rendus efficaces [leistungsfähig] (…) ne compromettent pas leur situation économique par la maladie»21. Bien évidemment, par là même, ils épargnent non seulement leur budget personnel, mais – « l’économie globale» (Gesamtwirtschaft). Tous nos auteurs et rédacteurs, excepté peut-être Mülhause-Vogeler, tendent à souligner cet avantage du naturisme. Dans un article de la revue Sorna sur La culture physique [nue] et ses implications économiques, un certain Rudolf Teßmann donne à penser à ses lecteurs que « les adeptes de la culture physique [nue] ne représentent pas une charge pour les caisses d’assurance-maladie », dans la mesure où ils ne solliciteraient guère leurs prestations. Cette contribution indirecte serait d’autant plus précieuse que

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les caisses souffriraient de déficits chroniques, en dépit des cotisations élevées qu’elles perçoivent22. Surén, pour sa part, se plaît à rêver du « bénéfice inouï » qu’apporterait à un peuple, du fait de ses vertus prophylactiques, le naturisme généralisé – que ce peuple s’adonne à l’industrie et au commerce ou… à la guerre («Kriegshandwerk»)23.

10 Cependant, d’après le Dr Graaz, le bénéfice visible de la prophylaxie naturiste représenterait tout juste « la moitié » du bénéfice réel. En effet, il croyait avoir découvert la cause de l’asthénie fonctionnelle dont souffrent beaucoup de citadins : la « maladie la plus courante », aux symptômes multiples, dont la baisse de la capacité de travail, serait tout simplement due à la mauvaise irrigation sanguine des tissus cutanés (« l’anémie périphérique »). Frictions et surtout naturisme seraient donc des remèdes tout indiqués contre ce mal que les caisses d’assurance-maladie seraient obligées de nier, faute de moyens financiers, en limitant arbitrairement les congés pour fatigués24. Les naturistes, eux, ont du ressort. Surén et Mülhause-Vogeler en sont également convaincus, en dehors de toute explication scientifique, puisque tous deux affirment que le naturisme arme l’individu contre les soucis quotidiens et les revers de l’existence, qui accablent, voire paralysent les dépressifs25.

11 Toutefois, les bienfaits sanitaires et économiques du naturisme ne se limitent pas là : tous nos auteurs et rédacteurs conviennent qu’il est un auxiliaire puissant à la régénération de la force de travail. Cette vertu régénératrice vaudrait plus particulièrement pour le travail à la chaîne ou en atelier vétusté, sale et sombre, mais concernerait aussi, selon un article de la revue Licht-Land, « la vendeuse débitant sa litanie au client derrière un comptoir infesté de microbes » et « l’employé plongé six jours sur sept dans ses livres de comptes bourrés de chiffres »26. À tous ceux-là, le week- end naturiste procurerait une force de travail sans cesse renouvelée. Au printemps 1929, la revue Figaro publiait un montage de deux photos, sans doute encore plus éloquent à cet égard que les développements habituels sur l’élimination des déchets physiologiques (Schlacken) dans le naturisme oisif et « l’affranchissement du rythme de mouvement mécanique [imposé par les machines] », dans la gymnastique nue27. La première photo présente une jeune ouvrière derrière un engin énorme (une rotative ?), la seconde, un couple nu en promenade au bord d’un ruisseau – le tout assorti de cette légende : « La nature et le naturel aident à surmonter les effets nocifs du travail »28.

12 Ainsi adapté au mieux aux conditions de production modernes, le naturiste aurait tout pour réussir au plan professionnel. Très significativement, au début de la crise économique en Allemagne, alors que le chômage commençait à exacerber la concurrence entre salariés, la « Ligue » faisait sa propre publicité sur le thème du naturisme, facteur de réussite : Höchste Leistungsfähigkeit ist die Losung, wenn man es im Leben zu etwas bringen will. Höchste Leistungsfähigkeit aber kann nur sein im gesunden Körper, dem seine Erholungszeit auch wirklich als Erholung bewilligt wird. (…) Willst du nicht ein solcher Mensch sein? Ja? Dann komm herein in die Reihen der Freikörperkultur ! (…)29.

13 Cependant, l’essentiel de la propagande naturiste visant plutôt à se faire accepter qu’à recruter de nouveaux adeptes, l’argumentation économique autour de la productivité des naturistes se situe généralement au niveau de la société tout entière. Ainsi, selon la formule de Teßmann, ils constituent « un plus » («ein Plusfaktor») pour l’économie30. Au dire de Graaz, le naturisme rendrait même davantage de services à ce titre que le sport, qui pourtant était systématiquement vanté, et exploité, sous Weimar, pour ses vertus régénératrices31. En effet, à la différence du sport, qui, d’après Graaz, ne

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concernerait a priori que ceux qui ont déjà par eux-mêmes le plus de ressources physiques («die Leistungsfähigeren»), le naturisme, en particulier dans ses variantes oisive et « gymnique douce », rendrait de semblables services de régénération auprès de tous ceux qui, sans cela, vivraient « au jour le jour, de façon naïve et primitive »32.

14 Est-ce à dire que le naturisme, tel que le conçoit Graaz, doive rester enfermé dans les limites biologiques d’individus qui ne sont pas les plus valides ? – Nullement ! D’une part, ces limites, on l’a vu, sont repoussées, dans une certaine mesure, par la pratique même du naturisme. D’autre part, Graaz, à l’instar de tous ces collègues théoriciens, est convaincu que le naturisme œuvre dans le sens de l’eugénisme, qu’ils appellent de leurs vœux. La nudité partagée amènerait les individus à reporter leur souci de l’apparence extérieure («Gefühl für Exterikultur») sur leur condition physique réelle, et, par là même, à accorder de l’importance, dans le choix de leur partenaire, à des critères biologiques33. Plus concrètement, un Surén voit dans le naturisme une véritable école pratique du jugement anthropologique : les femmes et les filles y apprendraient à accorder leur préférence aux « jeunes gens halés à la poitrine large et à l’œil vif », plutôt qu’aux dandys malsains ; et les hommes, quant à eux, à faire abstraction des vêtements à la dernière mode, chez les femmes, au profit de leur condition physique34. Ainsi, de façon générale, les naturistes tendraient à « adopter une hygiène consciente de la procréation » du plus grand intérêt économique à long terme. En effet, à mesure que disparaîtrait la part de « matériau humain délabré » («anbrüchiges Menschenmaterial»)35 dans la société, « non seulement l’économie publique, mais bien plus encore la rentabilité [Wirtschaftlichkeit] de l’individu » seraient dynamisées36.

15 Si l’optimisation génétique des couples naturistes est du plus haut intérêt pour la société, en revanche, leur optimisation au plan relationnel, qui serait aussi du ressort du naturisme, semble devoir profiter essentiellement aux intéressés eux-mêmes. En effet, chez les naturistes, on ne rencontrerait pas de « nœuds de vipères » affectifs, dans la mesure où des partenaires, qui se sont fréquentés en l’état de nudité, avant de se lier, sauraient éviter les méprises dues au désir d’ascension sociale ou à l’attirance strictement sexuelle. On conçoit que le facteur social soit (prétendument) neutralisé, dès lors que les vêtements sont tombés. Nous aurons l’occasion d’y revenir. – Mais pourquoi le sexe ? Tous nos auteurs et rédacteurs en conviennent pourtant sans exception : la nudité offerte en permanence éliminerait les fantasmes érotiques autour de la «terra incognita» de l’autre sexe, et, de ce fait, la formation de couples sur cette base incertaine. On ne se marierait plus pour savoir enfin. Avant formation d’un couple, au stade de la découverte mutuelle, la relation à l’autre, en tant qu’être sexué, serait paradoxalement asexuée, « objective » («natürlich und sachlich», «herbkühl»)37, si bien que cette découverte mutuelle pourrait se concentrer sur la personnalité de l’autre. De tels couples, qui, outre les critères eugéniques, se formeraient en fonction d’affinités réelles, que Koch prétendait d’ailleurs aider à découvrir par l’enseignement de notions de caractérologie38, non seulement « fonctionneraient bien » («reibungslos»)39, mais contribueraient aussi, comme l’observe Mülhause-Vogeler, au bon fonctionnement de l’économie. En effet, les enfants issus de ces couples soudés par la psychologie tendraient à constituer une « force de travail efficace » («leistungsfähige Kräfte»), plutôt qu’à devenir des « inadaptés (…) à la charge des organismes de l’assistance publique »40.

16 La modification des rapports de couple, induite par le naturisme, devait s’accompagner, du vœu de nos auteurs et rédacteurs, de la recherche de formules juridiques nouvelles

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allant dans le sens de Vopen marriage, proposé alors par l’Américain Ben B. Lindsey, juge pour mineurs à Denver. Sa proposition d’officialiser l’union libre, abondamment discutée en Allemagne sous l’appellation séduisante de «Kameradschaftsehe»41, semblait bien accordée, non seulement au « partenariat » naturiste, que Mühlhause- Vogeler qualifiait de «kameradschaftliches Gleichstreben»42, mais encore à la camaraderie généralise que le naturisme était censé instaurer entre hommes et femmes à l’échelon de l’organisation naturiste, voire de la société tout entière. Ce thème est surtout développé par Frank Thieß, dans le prolongement des théories de Mülhause- Vogeler (non citée), ainsi que d’une autre ancienne du Wandervogel, Elisabeth Busse Wilson (expressément citée)43 : à terme, la « désérotisation » opérée par le naturisme aboutirait, avec le renfort non négligeable de l’éducation mixte et de l’émancipation féminine, à arracher la femme à son rôle de proie (ou de piège), et l’homme, à son rôle de chasseur (ou de « pigeon »), au profit de relations normalisées dans un « esprit de camaraderie entre égaux » («Geist gleichgeordneter Kameradschaftlichkeit»44).

17 Cependant, par delà la disparition de la polarité traditionnelle des sexes masculin et féminin, tous les rapports sociaux seraient aplanis par le naturisme, au moins le temps du week-end, voire durablement, selon les plus hardis parmi nos auteurs et rédacteurs. Même Surén, ancien militaire, et officier supérieur, s’abandonne volontiers à ce miracle de la nudité partagée : « Hier – non, ce matin même – on était encore le chef d’un grand nombre, et voici qu’on est un camarade parmi d’autres [gleichgestellt] »45. Le naturisme brasserait les couches sociales, « de l’aristocratie au prolétariat »46, et, selon un rédacteur de Licht-Land, se référant probablement à la « Ligue », on y verrait « le directeur de banque, le magistrat, le médecin jouer au ballon, en toute innocence [harmlos], avec le manœuvre ou l’ouvrier »47. Seuls Koch et ses collaborateurs évitent ce type de discours, sans doute parce que la Kochschule recrutait pour l’essentiel dans les milieux populaires, et qu’aucun brassage social n’y avait donc lieu. Cependant, les attentes de Koch quant à une éventuelle homogénéisation de la société tout entière, à travers le naturisme, sont certainement aussi fortes que chez ses collègues théoriciens – à l’exception, cette fois, de Surén, qui postule la prééminence sociale des gymnastes naturistes, véritable « aristocratie du biceps »48. Koch et les autres prétendent que les naturistes, tout en affirmant chacun leur personnalité propre, réalisent nonobstant l’homme générique, réputé bon et sociable. «Mensch überhaupt», «reinmenschlicher Mensch», «Bruder Mensch», «Gemeinschaftsmensch» sont les expressions qui reviennent sous leur plume49.

18 Cette mutation fondamentale entraînerait, tout d’abord, une sociabilité informelle d’un type nouveau – entre le chauve et le chevelu, la garçonne et le bambin50 – dont un rédacteur de Licht-Land donne la formule magique, vaguement goethéenne : «ein Reich des Ausgleichs aller Gegensätze (…), wo man Mensch, wirklich Mensch sein darf» / « un royaume où tous les antagonismes sont abolis (…), où on peut être homme, vraiment homme»51. Quand Kracauer décrit « le public homogène de la métropole qui [serait] à l’unisson, du directeur de banque au commis de bureau, de la star à la dactylo»52, les formulations sont assurément plus brillantes ; pourtant, c’est la même illusion, caractéristique de l’époque, et de l’idéologie de la « Nouvelle Objectivité », qui est à l’œuvre : le rythme de l’homogénéisation sociale à partir de loisirs « tout public », cinéma ou « libre culture ».

19 Les implications socio-politiques, plus lointaines, de la « Nouvelle Homogénéité », induite par le naturisme, ne sont, elles, que rarement abordées, et ce, uniquement dans

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les écrits de la Kochschule et dans la revue Sorna, Un article de cette dernière, au titre éloquent, Die Gemeinschaft, d’un certain Rudolf Karl, annonce que la société, remodelée par le naturisme, ne connaîtrait plus d’institutions marquées du sceau d’une classe ou d’une élite spécifiques («mit Klassenoder Standescharakter»), mais seulement des institutions « à caractère communautaire »53. Koch, pour sa part, imagine que tous les mondes parallèles («Unzahl von Welten»), où nous vivons présentement dans la séparation, pourraient et devraient s’évanouir, au profit des seules structures culturelles et économiques («Gliederungen nach Volksund Wirtschaftskörpern»)54. Dans le même ordre d’idées, Graaz appelle de ses vœux « l’organisation fonctionnelle [zweckmäßig] des pouvoirs politiques et économiques »55. Chez Karl, c’est l’autorité même de l’État qui est remise en question : « Les hommes socialisés [Gemeinschaftsmenschen] ne se laissent rien dicter d’en-haut », si bien que « le principe de l’autorité fait place à la gestion [Verwaltung] »56. Dans ces conditions, la politique, au sens traditionnel du terme, n’a évidemment plus lieu d’être. Koch condamne les partis en tant que « mondes » séparés ; Graaz, dans le cadre d’une critique globale, et « objectiviste », de la mentalité magique («animistisches Weltbild»)57, qui mérite qu’on s’y attarde.

20 Au nom de la science exacte («wissenschaftliche Weltbetrachtung», «wissenschaftliches Weltbild»), Graaz s’en prend à la fois à la politique et… au vêtement. Les luttes politiques contemporaines en Allemagne s’articuleraient essentiellement autour d’ emblèmes, investis positivement par leurs protagonistes respectifs, et négativement par leurs antagonistes respectifs. Pareil « fétichisme » – lourd de conséquences, puisque, par sa faute, « nous continuons à nous défoncer mutuellement le crâne » – remonterait, en fait, à l’époque barbare où les guerriers portaient, à l’avant de leurs troupes, une perche garnie d’une tête d’animal, dont ils croyaient tirer de la force. Or, il y aurait là un parallélisme avec l’institution – qui perdure hélas ! – du vêtement. D’après des observations ethnologiques, celui-ci aurait été inventé pour se protéger, non du climat, mais… de l’agression de mauvais esprits. Moyennant quoi, « désidéologisation » et naturisme sont indissociablement liés dans l’esprit de Graaz, puisque c’est la même rationalité, triomphant du « fétichisme » politique et vestimentaire, qui permettra leur réalisation simultanée. – Chez Karl, cette même concomitance se passe de démonstration laborieuse, dans la mesure où « nu » est, pour ainsi dire, synonyme, chez lui, d’« objectif » (au sens de la « désidéologisation ») – quand il écrit par exemple : « Le mouvement naturiste, qui observe et juge toute la vie sociale à nu [nackt], a pour fin dernière de réaliser la communauté »58.

21 Il y a tout lieu de croire que cette communauté décloisonnée et rationalisée, dont rêve une minorité hardie d’auteurs et de rédacteurs pronaturistes, serait très largement pacifiée, exempte de conflits. En effet, d’une part, on vient de le voir, la « politique » se limiterait désormais à la « gestion », aux mesures d’ordre technico-organisationnel, et, par ailleurs, surtout, le naturisme « institutionnel» ne manquerait pas d’absorber les forces « chaotiques » de l’homme. C’est Koch, le théoricien de sensibilité social- démocrate, qui paradoxalement insiste le plus sur la fonction de défoulement du naturisme. « Nous faisons beaucoup les fous», dit-il, « nous aimons faire les fous »59. Selon un de ses collaborateurs, ce serait le juste « droit » des ouvriers, à qui on a volé leur jeunesse, de se livrer aux jeux les plus animés et, selon le maître lui-même, ce serait là une manière spécifique, pour les ouvriers, de compenser le travail sur machine60. Ils disposeraient ainsi d’un moyen, sûr et paisible, de se soustraire à « un monde "qui, trop souvent, n’offre d’autre issue que de crier son émotion chaotique" »

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(«eine Welt, "deren einzige Steigerung oft genug nur ein leidenschaftliches chaotisches Schreien ist"». Cette formule, reprise d’un autre (non cité), traduit bien, à travers ses accents anti-expressionnistes et anti-révolutionnaires, l’effet de stabilisation induit par le naturisme « fonctionnel ».

22 Cependant, le défoulement n’en est sans doute pas la seule composante stabilisatrice. Si on prend à la lettre la théorie de Koch, selon laquelle il y aurait continuité entre l’instinct ludique (Spieltrieb) et l’instinct sexuel61, on conçoit aisément que l’épanouissement, promis aux naturistes, auprès de partenaires sur mesure – ou trouvé, à défaut, dans l’auto-érotisme, que ces auteurs et rédacteurs déculpabilisent à peu près totalement62 – constitue aussi un puissant facteur de stabilisation. Par le biais de « l’hygiène », dont la morale devrait reconnaître les « exigences »63, l’économie libidinale est mise au service de l’économie tout court. Assez curieusement, Surén se retrouve ici aux côtés des plus hardis, voire à leur tête : «Reinigender Ausgleich der Geschlechter», «(Selbst-)Auslösung», «(Selbst-)Entspannung», «Befreiung und Kräftigung» sont ses termes éloquents – qui correspondent à autant d’étapes d’un processus particulier d’optimisation de la force de travail. Un certain Hans H. Reinsch de la revue Figaro en livre la formule explicite : « La force de travail de l’individu doit être sans cesse ravivée par l’activité sexuelle, sinon elle est engloutie dans une morne routine de bête de somme asexuée »64.

23 On ne discerne vraiment aucune source de frictions dans cette société bien huilée. – Reste évidemment l’antagonisme fondamental homme/machine, que le naturisme « fonctionnel » ne prétend pas résorber, mais seulement aménager le mieux possible. Aucun de nos auteurs et rédacteurs, du fait probablement des origines « néo- romantiques» du mouvement naturiste, ne parvient à aimer sans réserve l’univers des machines. D’un autre côté, il ne saurait être question de les briser. Teßmann estime que ce serait une « grosse erreur de vouloir éliminer au XXe siècle la production industrielle et mécanisée», quel que soit son coût humain, qu’il faudrait cependant – et c’est là le sens de son propos – réduire au maximum par la culture physique (nue)65. MülhauseVogeler, qui est encore plus déchirée à cet égard, du fait de ses liens avec le Wandervogel, rejoint Teßmann dans le « réalisme »66. La plaie ouverte par le machinisme, à défaut d’être guérie, peut être aseptisée et pansée – à moins… qu’on ne l’occulte sur le mode cosmétique ! Cette « solution » est si caractéristique de l’esprit de la « Nouvelle Objectivité » que nous ne voudrions pas omettre de la signaler, bien qu’elle soit tout à fait isolée dans notre corpus, et donc assurément marginale. C’est paradoxalement encore dans l’entourage de Koch que cette proposition est avancée : par Wilm Burghardt qui, paradoxe supplémentaire, allait assurer la continuité du naturisme sous le IIIe Reich. Dans un article de la revue Körperbildung / Nacktkultur, intitulé Form, Stil, Kunst – und Kultur67, et rédigé dans un style lapidaire, qui n’est pas sans rappeler certaines productions « poétiques » antilyriques de la période weimarienne68, Burghardt commence par constater qu’il existe une beauté, froide et inhumaine, de la machine, voire de la production elle-même, dès lors qu’elle est taylorisée, relevant de ce qu’il appelle le « style ». Puis, il lui oppose une autre beauté, la beauté corporelle, sous le vocable de « forme ». À première vue, les deux esthétiques, machiniste et « organique », paraissent antinomiques. Toutefois, et c’est là la réconciliation annoncée, une gymnastique de groupe ou une chorégraphie nue serait capable d’opérer la synthèse, qualifiée d’« objective» (« sachlich ») (!), non seulement le temps de son exécution, mais durablement, et à l’échelle de la société tout entière, à travers un processus d’esthétisation globale, dont on discerne mal les modalités, mais

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qui, selon Burghardt, aurait pour effet (accessoire ? !) d’impliquer la « mort de l’art ». Cette utopie, qui, abstraction faite du medium artistique utilisé pour l’enclencher, rappelle l’« État esthétique » de Schiller, et anticipe sur la société « libérée » de Herbert Marcuse69, prendrait-elle la forme de la pantomine généralisée ? en l’état de nudité ? Burghardt n’en précise rien. – Laissons donc rêver le lecteur à partir de ses termes mêmes : Der Körper steht im Raum. Der Körper bewegt sich. Er geht. Zuerst wie auf der Straße. Bald lernt er die Hacken heben, lernt federn, schwingen, lernt hocken, lernt den Rumpf beherrschen (…). Der Körper sieht die anderen Körper. So bilden sich Körper. Augen lernen sehen, Körper fühlen. Körper bilden den Raum – nicht mehr der Raum den Körper. Es wird ein sachlicher Stil, ohne gemachten Stil. Form und Stil sind aus einer Einheit. Körper schaffen Werte : im Alltag, im Spiel, im Sprechen, im Singen, in der Bewegung, im Zeichnen, im Werk, im Handeln. – Theater ist uns überflüssig geworden (…). Wie kennen deshalb keinen Begriff für Kunst.

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24 L’utopie de Burghardt, pour marginale qu’elle soit, est riche d’enseignements. Tout d’abord, le fait même qu’elle a été conçue au sein de la Kochschule, et publiée dans son organe officiel, confirme l’impression – qui s’est probablement déjà imposée au lecteur – comme quoi les théories de la « Nouvelle Objectivité » exercent une fascination particulière sur les esprits formés à la social-démocratie, Koch et ses collaborateurs. Fascination sensiblement plus forte, de toute évidence, que chez un esprit « remué » par le Wandervogel, Mülhause-Vogeler, ou façonné par la Reichswehr, Surén. Ces derniers semblent avoir sélectionné, chacun, surtout un thème de prédilection, dans la palette idéologique contemporaine, en fonction de préoccupations personnelles : elle, l’optimisation des relations de couple ; lui, l’équilibre psycho-sexuel de l’individu. En revanche, le naturisme de la Kochschule s’ouvre largement aux conceptions socio- politiques de la « Nouvelle Objectivité » : « désidéologisation », décloisonnement social, eugénisme à finalité productiviste, sublimation des pulsions « chaotiques » sont inscrits au programme de cette « école ». Nous avons parlé de « paradoxe », à ce sujet, compte tenu du fait qu’ici, non seulement la révolution cède le pas au réformisme, mais, dans une large mesure, le réformisme lui-même, à une « anthropotechnie » de tendance réactionnaire. Toutefois, pour peu qu’on replace cette dérive droitière dans le contexte global de la social-démocratie allemande de l’entre-deux-guerres, le paradoxe s’évanouit. En effet, comme le montre Helmut Lethen, dans son livre sur la « littérature du socialisme blanc », le S.P.D. lui-même était alors perméable aux théories de la « Nouvelle Objectivité »70. Ainsi, au congrès du parti de 1927, Rudolf Hilferding brossa un tableau séduisant de la convergence souhaitable, sous les auspices d’un État « neutre» et strictement gestionnaire, entre l’économie planifiée et un capitalisme parvenu à maturité. Le parti essuya, d’ailleurs, à ce titre, semblables reproches, sur sa gauche, que Koch lui-même71.

25 En comparaison de la Kochschule, les revues naturistes « à sensation », Figaro et Sorna, paraissent certes portées sur les théories à la mode, mais sans jamais atteindre le même degré de « sensationnel », involontaire, qu’un Graaz – quand, par exemple, le plus sérieusement du monde, il voit les partis politiques tomber avec… les maillots de bain !

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ou assimile implicitement, de par sa terminologie, le simple port de vêtements à… une manie « fétichiste » ! La grande différence réside dans le fait que le « modernisme » de ces revues n’est jamais « spéculatif », mais tend à se limiter aux derniers « progrès » observables. Ainsi, par exemple, l’appel de Teßmann à voir réaliser des institutions sans caractère de classe ni de caste correspond exactement à la réalisation, à l’époque, d’un grand nombre d’équipements collectifs («Gemeinschaftsbauten») : hôpitaux, centres de convalescence, gymnases, piscines, maisons communes, salles de congrès, etc.72 Dans le même ordre d’idées, on peut constater que Figaro prit la défense de la jupe courte et des bas couleurs chair en 1929, précisément à l’apogée de cette mode73 – le renversement de tendance intervenant à partir de l’été 1930. On a donc l’impression que ces revues « collent » simplement à l’époque, et on en devine la raison : la santé, l’efficacité, l’économie et les utopies correspondantes peuvent certes cautionner le naturisme lui- même, mais guère son alliance avec l’érotisme. Pour ce, il faut une légitimation plus large, tel « l’air du temps ». D’ailleurs, significativement, on rencontre ce type de « globalisation» dans Figaro : la « redécouverte du corps nu » – on notera l’ambiguïté de l’expression – y est rapportée à « l’époque présente, époque agitée entre toutes » («die heutige Zeit, die Zeit zwischen den Revolutionen»74. Pareille stratégie n’exclut cependant pas l’existence réelle d’une minorité naturiste, individualiste et frivole, qui pouvait éventuellement se reconnaître dans ces publications75.

26 Toutefois, selon toute vraisemblance, il y a au moins un thème, apparaissant dans ce genre de revues, qui devrait échapper au soupçon de n’avoir été que tactique, à savoir la valeur économique du naturisme. En effet, abstraction faite du détail des différentes argumentations, c’est là un thème constant dans l’ensemble de notre corpus, au point d’en constituer, outre la modération politique, une véritable caractéristique. Rien d’étonnant à cela, puisque l’équivalence santé / économie avait très largement cours, à l’époque, dans les milieux « libéraux ». Jusqu’au bourgmestre de Cologne, Adenauer, qui déclarait que les exercices physiques étaient « un médecin au chevet de l’Allemagne » ! jusqu’au bourgmestre de Berlin, Böß, qui claironnait : « Ne bâtissez pas d’hôpitaux, ni de sanatoriums, mais des équipements propres à donner de la vigueur et de la santé à notre peuple ! »76. Il suffit d’ajouter l’épithète « nu » et de broder autour de ces maximes, pour voir se reconstituer, sous nos yeux, des pans entiers de l’édifice théorique de nos auteurs et rédacteurs pronaturistes.

27 La fragilité de ces théories ressort du fait qu’en 1931 Hjalmar Schacht put retourner contre la « démocratie athlétique » l’argumentation économique dont elle était coutumière ; or, on aurait pu procéder à l’identique contre le projet – à vrai dire, globalement marginal – d’une « démocratie naturiste ». D’après lui, l’Allemagne se serait ruinée par les « dépenses somptuaires » de ses communes sur des « équipements de luxe », tels des stades, des piscines, des espaces verts, etc., qui « n’ont dégagé aucun profit économique » [wirtschaftliche Rente], et n’en dégageront jamais »77. Cependant, la principale menace qui pesait alors sur la « démocratie athlétique », et naturiste, résidait, sans doute, dans sa propre réceptivité aux théories nazies. La carrière de Burghardt le prouve peut-être encore davantage que celle de Surén, qui n’était pas simplement prédisposé par son naturisme « fonctionnel », mais aussi par sa condition d’ancien officier de la Reichswehr. Toutes proportions gardées, l’ambition de Burghardt d’opérer une synthèse sociale à partir de la chorégraphie annonce la « régie de masses » du IIIe Reich et, en particulier, le cérémonial de Nuremberg, qui avaient pour enjeu symbolique de visualiser la transformation totalitaire de la société78. De façon plus générale, l'instrumentalisation de l’homme au service de l’économie préfigure son

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instrumentalisation à des fins impérialistes, ou « biopolitiques » – ces dernières étant même déjà servies de facto par l’eugénisme à finalité productiviste d’un Graaz.

NOTES

1. – Cf. Lionel Richard, La vie quotidienne sous la République de Weimar, Paris, 1983, p. 231, et J.C. Bologne, dito, 1986, p. 329 et p. 341. 2. – Cf. Marc-Alain Descamps, Le nu et le vêtement, Paris, 1972, passim. Egalement, résumé de la thèse, in : Idem, L’invention du corps, Paris, 1986, p. 90. 3. – Cf. Idem, Le nu…, p. 128 sq., et, pour l’identification politique d’Ungewitter et de Koch, Giselher Spitzer, Der deutsche Naturismus, Ahrensburg, 1983, p. 81 sqq. et p. 141 sqq. 4. – Cf. n. 3. 5. – Nous proposons ce terme par référence à la gymnastique « fonctionnelle », développée à l’époque. De par sa finalité strictement pratique et « civile», elle s’opposait à la fois à la gymnastique acrobatique et à 1’« entraînement » militaire (Jahn et ses continuateurs de l’ère wilhelminienne). Ses applications vont de la gestuelle quotidienne (se baisser correctement) à l’ergonomie, en passant par l’accouchement sans douleur. – On notera que la plupart de ses protagonistes souhaitaient que les exercices fussent exécutés en l’état de nudité complète – sous l’œil vigilant du professeur, ou de camarades, voire en situation d’autocorrection face à un miroir ou, mieux encore, entre deux miroirs. L’idée en était, à la fois, l’étude et le contrôle du jeu des muscles et des articulations (cf. n. 6). 6. – Thieß – qui, d’ailleurs, se rattache aussi à l’esprit de la « Nouvelle Objectivité» par l’écriture factuelle d’un roman comme Tsushima (1936) – était un inconditionnel du naturisme. Seule réserve : cette pratique ne suffirait pas à fonder une culture… [Cf. Thieß, Die Befreiung des Körpers, in : Idem, Erziehung zur Freiheit, Stuttgart, 1929, p. 215]. Giese est plus nuancé. Partisan de la gymnastique nue, car seule la nudité permettrait de contrôler la justesse des mouvements (cf. n. 5), il n’admet de loisirs naturistes que pour les ouvriers affamés de plein air [cf. Giese, Girlkultur, Munich, 1925, p. 116, et Geist im Sport, Munich, 1925, p. 113]. Par ailleurs, il récuse la nudité sculpturale – « culturiste », dirait-on aujourd’hui – à travers une analyse – très sartrienne, avant la lettre – de la dépossession de soi sous le regard d’autrui ; mais, paradoxalement, il ne trouve rien à redire contre la danse nue « de haut niveau artistique », sous prétexte qu’alors ses spectateurs n’« objectiveraient » pas les choreutes de leurs regards, mais communieraient autour d’un spectacle, accédant au « mystère » [cf. Idem., Körperseele, Munich, 1927, p. 123, et ibid., p. 182]. 7. – Cf. Graaz, Freikörperkultur [FKK] u. Lebensreform, in : Körperbildung / Nacktkultur [K/N], Sonderheft 15 [Nackt - aber warum?], 1932. 8. – Cf. Koch, Körperkultur als Mittel zur Persönlichkeitsbildung, in : K/N, erste Folge [Schrei des Volkes nach Licht], juillet 1925. 9. – Cf. Hermann Haß, Sitte u. Kultur im Nachkriegsdeutschland, Hambourg, 1932, p. 100. 10. – Cf. Thieß, Auseinandersetzungen mit einem Geistigen über «Die Geistigen u. der Sport» [1925], in : Idem, Erziehung…, p. 371, et Giese, Geist…, p. 39. 11. – Cf. Spitzer, op. cit., p. 106. 12. – Cf. Surén, Der Mensch u. die Sonne, Stuttgart, 1924, p. 107, et Idem, Gymnastik f Heim, Beruf u. Sport, Stuttgart, 1929, p. 213, n. 1.

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13. – Cf. Mülhause-Vogeler, Dürfen Nationalsozialisten FKK treiben ?, in : LichtLand [LL], 1930, n° 21. Eadem, FKK u. Rasse, in : LL, 1931, n° 6. Eadem, Weltfriedenidee u. FKK, in : LL, 1931, n° 17. 14. – Cf., entre autres, ***, Chez les camarades en France méridionale, in : LL, 1931, n° 8. – L’article (bilingue) relate le voyage qu’une délégation de la « Ligue » effectua, en février 1931, auprès des « naturistes de Provence ». De tels contact devaient aboutir rapidement à la création de structures internationales. 15. – Cf. ***, Auch eine Einheitsfront, in : LL, 1929, n° 19. 16. – La « Nouvelle Objectivité », qui répondait assurément à une authentique aspi-ration à la « désidéologisation », par refus, à la fois, de l’impérialisme wilhelminien et des troubles révolutionnaires « à la soviétique » de 1918-1919, n’en devint pas moins une mode intellectuelle, voire un « label de marque », contribuant au succès de toutes sortes de « produits », du service à thé en pyrex de Wilhelm Wagenfeld au célèbre foxtrott de Marcellus Schiffer : « Es liegt in der Luft eine Sachlichkeit, eine Stachlichkeit, was Idiotisches, was Erotisches… » – On a même pu prétendre, à ce titre, que la « Nouvelle Objectivité » avait été happée par le « rush sur les nouveautés » [cf. Jost Hermand et Frank Trommler, Die Kultur der Weimarer Republik, Munich, 1978, p. 92]. 17. – Cf. Surén, Der Mensch…, p. 32. 18. – Il ne faudrait cependant pas croire que c’est là le principal argument, à l’époque, en faveur du nu intégral. Nos auteurs et rédacteurs se prévalent surtout d’arguments psychologiques, moraux et sociaux pour exiger jusqu’à la suppression du moindre morceau de tissu. Cf. infra. 19. – Mülhause-Vogeler, Freie Lebensgestaltung, Egestorf, 1926, p. 17. 20. – Cf. Graaz, opusc. cit., loc. cit. 21. – Cf. extraits d’un développement de Graaz, reproduits dans : Koch, Nacktheit, Körperkultur u. Erziehung (1929), Berlin-Ouest, 1983, p. 110. 22. – Cf. Teßmann, Körperkultur u. ihre volkswirtschaftliche Bedeutung, in : Sorna, vol. 2, n° 7. 23. – Cf. Surén, Der Mensch…, p. 33. 24. – Cf. Graaz, opusc. cit., loc. cit. 25. – Cf. Surén, Der Mensch…, p. 10, et Mülhause-Vogeler, Freie Lebensgestaltung, p. 15. 26. – Cf. Ludwig Hoffmann, Es geht ein Raunen durch die Welt, in : LL, 1930, n° 2. 27. – Cf. Graaz, opusc. cit., loc. cit., et Giese, Geist…, p. 113. 28. – Cf. Figaro, 1929, n° 19. 29. – Cf. LL, 1930, n° 17. 30. – Cf. Teßmann, opusc. cit., loc. cit. 31. – Cf. Hermand et Trommler, op. cit., p. 77, et, pour une critique contemporaine de cette « stratégie capitaliste », Siegfried Kracauer, Die Angestellten [1930], Francfort, 1980, p. 74 sqq. et 99 sqq. 32. – Cf. Graaz, opusc. cit., loc. cit. 33. – Cf. ibid. – Cette perméabilité de la « gauche » politique, représentée ici par Graaz et la Kochschule, aux doctrines eugéniques n’est pas une spécialité allemande à l’époque. On constate le même phénomène en France. [Cf. Lion Murard et Patrick Zylbermann, L’Ordre et la règle – L’hygiénisme en France dans l’entre-deux-guerres, in : Institut Français d’Architecture (édit.), Textes préparatoires (au colloque international des 3, 4, 5/12/1981, sur : Architecture et politiques sociales), p. 124 sq.]. 34. – Cf. Surén, Der Mensch…, p. 117 sq. 35. – Cf. extraits d’un développement de Graaz, reproduits dans : Koch, Nacktheit…, p. 110. 36. – Cf. Graaz, opusc. cit., loc. cit. 37. – Cf. ibid., et Mülhause-Vogeler, Freie Lebensgestaltung, p. 45. 38. – Cf. Koch, Nacktheit…, p. 106. 39. – Cf. Mülhause-Vogeler, Freie Lebensgestaltung, p. 31. 40. – Cf. Eadem, Frauen heraus!, in : LL, 1929, n° l.

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41. – Cf. Hermand et Trommler, op. cit., p. 87. 42. – Cf. Mülhause-Vogeler, Freie Lebensgestaltung, p. 33. 43. – Cf. Thieß, Über die Jugend [1927], in : Idem, Erziehung…, p. 162. 44. – Cf. Thieß, Vom sexuellen Schatten der Nacktheit, in : Idem, Erziehung…, p. 295. 45. – Cf. Surén, Der Mensch…, p. 120. 46. – Cf. Thieß, Vom sexuellen Schatten der Nacktheit, loc. cit., p. 297. 47. – Cf. Hoffmann, opusc. cit., loc. cit. 48. – Cf. Surén, Gymnastik…, p. 214. 49. – Cf., respectivement, Mülhause-Vogeler, FKKu. Rasse, loc. cit. ; Thieß, Vom sexuellen Schatten der Nacktheit, loc. cit., p. 296 ; Haß, op. cit., p. 98 [citation extraite de la revue Lachendes Leben, du même groupe de presse que LL, vol. 3, n° 7] ; Rudolf Karl, Die Gemeinschaft, in : Sorna, vol. 2, n° 7. 50. – Cf. citation mentionnée à la n. 49. 51. – Cf. Hoffmann, opusc. cit. loc. cit. 52. – Cf. Kracauer, Kult der Zerstreuung, in : Idem, Das Ornament der Masse, Francfort, 1977, p. 313. 53. – Cf. Karl, opusc. cit., loc. cit. 54. – Cf. Koch, Nacktheit…, p. 9. 55. – Cf. Graaz, opusc. cit., loc. cit. 56. – Cf. Karl, opusc. cit., loc. cit. 57. – Cf. Graaz, Die Badehose, ein moderner Aberglaube, in : K/N, Sonderheft 7 [Nackt, ein Bilderbuch f. groß u. klein], 1929. 58. – Cf. Karl, opusc. cit., loc. cit. 59. – Cf. Koch, Nacktheit…, p. 113. 60. – Cf. Otto Weber, Sozialistische Körperkultur ?, in : K/N, Sonderheft 1 [Schrei nach Licht], 1931, et Koch, Nacktheit…, p. 113. 61. – Cf. Koch, Unser Weg zur freien Liebe, in : K/N, Dritte Folge [Freie Liebe oder Zwangsehe], 1926. 62. – Cf. Idem, Nacktheit…, p. 54, et surtout Surén, Gymnastik…, p. 135 sqq. 63. – Cf. ibid., p. 141. Egalement Hans H. Reinsch, Schafft Ordnung in das Geschlechtsleben der reifen Ehelosen !, in : Figaro, 1929, n° 7. 64. – Ibid. 65. – Teßmann, opusc. cit., loc. cit. 66. – Mülhause-Vogeler, Freie Lebensgestaltung, p. 12. 67. – Burghardt, dito, in : K/N, Sonderheft 14 [Körper u. Kunst], 1932. 68. – Cf., par exemple, extrait de : Hannes Küpper et Maxim Valentin, Die Sache ist die [1924], reproduit dans : Helmut Lethen, Neue Sachlichkeit 1924-1932, Stuttgart, 1975, p. 65. 69. – Cf. Marcuse, Vers la libération [Towards Liberation, 1969], Paris, 1970, p. 63 sqq. 70. – Cf. Lethen, op. cit., plus particulièrement p. 10 et p. 61. 71. – Cf. ibid., p. 184, n. 15. 72. – Cf. Walther Müller-Wulckow, Bauten der Gemeinschaft, Königstein im Taunus, 1929, passim. 73. – Cf.***, Wider die sündhaften fleischfarbenen Strümpfe et***, Von der Modekommission des Gesamtbundes, in : Figaro, 1929, n° 12. 74. – Cf. Ferd. Timpe, Deutscherldealismus oder Neue Sachlichkeit ?, in : Figaro, 1929, n° 14. 75. – Une collection de photos d’amateur récemment publiée tend à en confirmer l’existence [cf. Ulf Erdmann Ziegler, Die nackte Utopie, in : Zeitmagazin, 1989, n° 34]. 76. – Cité dans : Luise Vierke, Wie wandern!, in : Sorna, vol. 2, n° 7. 77. – Cf. Schacht, Vom Ende der Reparationen, Oldenburg, 1931, p. 38. 78. – Cf. Klaus Theweleit, Männerphantasien, 1.1, Francfort, 1977, p. 548 sq. Egalement Marc Cluet, L’Architecture du IIIeReich, Berne, 1987, p. 215 sqq.

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RÉSUMÉS

Dans les années vingt, le naturisme, élitiste et confidentiel, d'avant-guerre sort au grand jour et se popularise. Pas un récit de voyage en Allemagne, français, anglais ou américain, qui ne signale ce phénomène de masse. Pareille transformation quantitative et qualitative s'accompagne d'un renouvellement de l'argumentaire pro-naturiste : il est de moins en moins question de virilité conquérante ou de charmes féminins qu'il faudrait arracher au corset, et toujours davantage, d'hygiène individuelle et sociale. Surtout, l'argumentation s'enrichit de considérations économiques des plus variées dans le détail : depuis l'épargne réalisée sur la garde-robe jusqu'au rendement accru du naturiste à son poste de travail. Partant de ces observations, l'article pose le problème de la perméabilité du mouvement naturiste de l'entre-deux-guerres aux théories de la « Nouvelle Objectivité », et essaie d'en décrire les modalités. Outre les valeurs caractéristiques de la santé, de l'efficacité et du bien-être, on découvre les grandes lignes d'un véritable projet de « démocratie naturiste ».

In den zwanziger Jahren tritt die elitäre und öffentlichkeitsscheue Freikörperkultur der Vorkriegszeit ins gesellschaftliche Licht und erweitert ihre soziologische Basis. Kaum ein Reisebericht aus Deutschland, ob nun von französischer, englischer oder amerikanischer Hand, der nicht auf das Massenphänomen einginge. Diese quantitative und qualitative Entwicklung hat in der gewandelten Argumentationsstrategie der FKK-Befürworter ihre Entsprechung: Es ist immer weniger von männlichem Heldentum die Rede, oder von weiblichen Reizen, die dem Korsettzwang entrissen werden müßten, aber immer mehr von Individual- und Sozialhygiene. Vor allem bereichert sich die Argumentation um wirtschaftliche Gesichtspunkte, die in der Detaildurchführung größte Vielfalt aufweisen: Von der Verminderung der Kleidungskosten bis zur verstärkten Leistung des FKK-Anhängers an seinem Arbeitsposten. Von diesen Beobachtungen ausgehend stellt der Artikel das Problem der Empfänglichkeit der FKK-Reihen gegenüber den Theorien der «Neuen Sachlichkeit» in der Zeit zwischen den Weltkriegen und versucht, deren Einwirkung daselbst genau zu beschreiben. Über die charakteristischen Werte der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und des Wohlbefindens hinaus läßt sich in der Tat das Gesellschaftsideal einer «nudistischen Demokratie» in groben Umrissen erkennen.

AUTEUR

MARC CLUET Université de Paris-Sorbonne

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