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AUF’M PLATZ! Borussia Borussia ISBN 978-3-7307-0468-4 ISBN VERLAG DIE WERKSTATT DIE VERLAG

Gregor Schnittker Die Chronik Dietrich Schulze-Marmeling Die Chronik Die Gregor Schnittker Schnittker Gregor Dietrich Schulze-Marmeling Dietrich |

17. September 2019, Champions League 2019/20: – FC Barcelona 0:0 INHALT Statistische Daten 1963 bis1972 Statistische Daten 1919 bis1945 Statistische Daten 1909 bis1919 F R U W N I E Statistische Daten 1945 bis1963 F R U W N I E F R U W N I E S E R DÄ N E G E L S E R DÄ N E G E L und eindramatischerAbsturz Höhenflug aufEuropasThron N E T TÄT S L E I P S F R U W N I E F R U W N I E S E R DÄ N E G E L S E R DÄ N E G E L F R U W N I E S E R DÄ N E G E L S E R DÄ N E G E L F R U W N I E S E R DÄ N E G E L Goldene JahreinderOberligaWest Drama anderWiege–dieGeburtdesBVB F R U W N I E F R U W N I E F R U W N I E S E R DÄ N E G E L Fußball untermHakenkreuz S E R DÄ N E G E L F R U W N I E F R U W N I E Bier- undFußballstadtDortmund F R U W N I E F R U W N I E N E T TÄT S L E I P S Vorwort 1963 bis1972 1909 bis1919 1933 bis1945 1919 bis1933 1945 bis1963

...... Die Oberligaspieler desBVB Borussias Stadionhefte Stadionhefte Borussias Dieter „Hoppy“ Kurrat Geisler Lothar Franz Jacobiunddie17 Gründer DewaldKaplan Hubert Franz Podgorski junior erinnert sich anFranz Podgorski gerne senior Franz Podgorski juniorerinnert „Gegen Schalke musste manmich nicht motivieren“ fürdenBVB-Erfolg: das„W-M-System“Grundlage Der BVB inderNS-Zeit –eineSpurensuche im Widerstand Borussen Drei Familie Röhr Wappen zuihrem Wie dieBorussia kam ineinerBierstadt Fußball

L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S

Vom zum Stadion: dieRote Sportplatz Erde Das erste „Stadion“: dieWeiße Wiese

.Mi16:Brsi otud–F iepo 2:1n.V. (0:0, 1:1) 5. Mai1966: –FCLiverpool Dortmund Borussia 5:0(3:0) 4. Dezember1963: –Benfi Dortmund Borussia caLissabon 3:1(1:0) 29. Juni1963, –1. Dortmund Borussia FC Köln 4:1(3:1) 23. Juni1957, –Hamburger SV Dortmund Borussia 4:2(2:1) 24. Juni1956, SC –Karlsruher Dortmund Borussia 3:2(0:1) 10. Juli1949, Dortmund VfRMannheim–Borussia 18. Mai1947, 3:2(0:1) –FCSchalke Dortmund 04 Borussia 1:0(1:0) 14. November 1943, –FCSchalke Dortmund 04 Borussia 4:2(0:1) 3. Mai1925: FCSchalke Dortmund –Borussia 04 ...... 120 178 148 142 106 102 132 156 165 124 176 174 118 116 64 84 54 96 90 88 80 69 66 63 52 50 48 40 39 36 35 33 14 74 9 Statistische Daten 1972 bis1991 Statistische Daten 1997 bis2008 Statistische Daten 1991 bis1997 Autoren undMitarbeiter Statistische Daten 2015 bis2019 ÄRES E R DÄ N E G E L F R U W N I E S E R DÄ N E G E L F R U W N I E S E R DÄ N E G E L Borussias zweitegoldeneÄra S E R DÄ N E G E L S E R DÄ N E G E L F R U W N I E S E R DÄ N E G E L F R U W N I E F R U W N I E F R U W N I E F R U W N I E F R U W N I E S E R DÄ N E G E L Der langeWeginsGlück Neustart nachKlopp S E R DÄ N E G E L S E R DÄ N E G E L F R U W N I E S E R DÄ N E G E L Die ÄraJürgenKlopp S E R DÄ N E G E L F R U W N I E Eine EpochemitTitelnundKrisen S E R DÄ N E G E L N E T TÄT S L E I P S ÄRES E R DÄ N E G E L S E R DÄ N E G E L F R U W N I E Statistische Daten 2008bis2015 2015 bis2019 2008 bis2015 1997 bis2008 1991 bis1997 1972 bis1991

Die Flucht ausdemOsten: Raducanu Marcel Genie undWahnsinn: Torwart-Legende Die Akustik desRevierderbys Buspanne vor demBayernspiel KolbeGerd Fünf Säulengegen Menschenfeindlichkeit Eine Schwalbe macht denSommer Dirk Hupe #bedforawayfans „Erbse“ –dieGeschichte einesBVB-Fans Einen Tag wieheute möchte ich niemehrerleben!“

L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S L E I P S

Große Fußballbühne: dasWestfalenstadion Fußballbühne: Große

6 era 01 CByr üce Brsi otud 1:3(1:2) 2011:26. Februar FCBayern Dortmund München –Borussia 2:1(1:1) –Werder Dortmund 4. Mai2002:Borussia Bremen 2:0(2:0) 17. Juni1995: –Hamburger SV Dortmund Borussia 4:1(1:1) 24. Juni1989: –Werder Dortmund Borussia Bremen 19. Mai1986: Köln –Fortuna 3:1(0:1) Dortmund Borussia 11:1 (1:1) 6. November 1982: Bielefeld –Arminia Dortmund Borussia 3:2(1:0) 24. Juni1976: –1. Dortmund FCNürnberg Borussia 4 pi 03 ousaDrmn Ra ard 4:1(1:1) 24. 2013: April –Real Madrid Dortmund Borussia 3:2(1:1) 2013:9. April –FCMálaga Dortmund Borussia 5:2(3:1) 12. Mai2012: – Bayern Dortmund München Borussia 2:0(1:0) 12. Mai2007: –FCSchalke Dortmund 04 Borussia 3:1(2:0) 28. Mai1997: –Juventus Turin Dortmund Borussia .Ags 09 ousaDrmn Byr üce 2:0(0:0) 3. August 2019: –Bayern Dortmund München Borussia 27. 2:1(1:1) Mai2017: – Dortmund Borussia ...... 444 344 384 404 438 396 368 358 352 332 322 306 300 293 282 266 250 232 220 208 200 490 488 462 458 279 494 242 224 186 198 196 212 194 216 413 416 INHALT

„Ricken …, lupfen jetzt! Jaaaaaaa! Fünf Sekunden auf dem Platz. Fünf Sekunden! !“

Mit diesen Worten kommentiert Marcel Reif das Tor zum 3:1 gegen Juventus im Champions-League-Finale 1997. Es ist das Tor zum größten Erfolg der Vereinsgeschichte. 19 Geburt der in Dortmund +++ Amtierender Meister BVB +++ Jahrhundertspiel gegen Benfica +++ „Fußballer des Jahres“ +++ DFB- bis Pokalsieger +++ Sternstunden in 3 Europa +++ Triumph in Glasgow +++ Fehler und Folgen +++ Ein bissiges Derby +++ Blamage in 6 München +++ Abstieg, Trauer, 19 Depression 72 Höhenfl ug auf Europas Thron und ein dramatischer Absturz

143 Zeitgenössische Karte der BRD mit den Gründungsmitgliedern der 1. Bundesliga der Saison 1963/64. Der DFB kommt zu seinem Bundesliga- Gründungskongress in Dortmund zusammen.

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Der Weg zur Bundesliga Schmidt (VfB Berghofen), Jürgen Schütz (Urania Lütgendort- mund), (SC Dorstfeld 09), Friedhelm Ko- Nach der letzten Oberligasaison 1962/63 war Jürgen „Charlie“ nietzka (VfB Lünen), Wolfgang Paul (VfL Schwerte), Wilhelm Schütz für die Rekordablöse von 600.000 DM zum AS Rom Sturm (Union Günnigfeld), Reinhold Wosab (SpVg Marl). Die- gewechselt. Das lag im Trend der Zeit: Für Fußballstars, de- ter „Hoppy“ Kurrat kam aus der eigenen Jugend. Gerd Cyliax ren Heimatländer auf dem Weg zum Professionalismus nicht kam 1959 von Preußen Münster, aber sein Stammverein war so recht vorankamen, galt Italien gleich in zweifacher Hin- der TBV Mengede. Bei Lothar Geisler, der im selben Jahr vom sicht als Paradies. Zum einen ließen sich hier Summen ver- VfL Bochum kommend beim BVB unterschrieb, verhielt es dienen, von denen man in der Heimat nur träumen konnte. sich ähnlich: Sein Stammverein hieß TuS Eving-Lindenhorst. Zum anderen war der Fußballer in Italien gesellschaftlich Theo Redder kam von Preußen Werl, was schon fast die wei- viel anerkannter als in Deutschland. Fußball war hier nicht teste Entfernung war. Und Neuzugang Tilkowski? Der hatte in erster Linie ein proletarisches Spektakel. Mächtige Indust- vor den Toren Dortmunds begonnen, beim VfL Husen 19 und riekapitäne fi nanzierten bereits in den 1920ern den „Calcio“, SuS Kaiserau. und Kulturschaffende hatten keine Probleme, sich mit den Ki- Der erste Bundesligaspieltag wurde am 24. August um ckern an einen Tisch zu setzen. Der erste Italien-Legionär des 17:00 Uhr angepfi ffen. Nur 58 Sekunden später war das Ruhrgebiets war 1961 der ehemalige Bergmann Horst Szyma- erste Tor gefallen. Ort des Geschehens war das Bremer We- niak von der SpVgg. Erkenschwick gewesen. serstadion, wo der BVB auf den SV Werder traf. Schütze des Im europäischen Vergleich war der deutsche Fußball An- ersten Bundesligatores war Borussias Timo Konietzka. Vom fang der 1960er Jahre immer noch ein Nachzügler. Am 28. Juli ersten Bundesligator existieren keine Filmaufnahmen, denn 1962 beschloss der DFB auf seinem Bundestag im Goldsaal das Fernsehen verpasste den Start der Bundesliga. Die Ver- der Dortmunder Westfalenhalle um exakt 17:14 Uhr mit handlungen mit dem DFB waren noch im Gange. Erst am 102:26 Stimmen die Einführung einer „zentralen Spielklasse 14. September 1963 lieferte die ARD ihren ersten 25-minü- mit Lizenzspielern unter Leitung des DFB“, genannt „Bundes- tigen Bericht über den aktuellen Spieltag. Ab Ende Okto- liga“. 78 Jahre nach England, dem „Mutterland des Fußballs“, ber wurde dann jeden Samstag zwischen 17:45 und 18:30 und 38 Jahre, nachdem Österreich als erstes kontinentaleuro- Uhr unter dem Titel Fußball-Bundesliga über Tore und päisches Land diesen Schritt getan hatte. Punkte berichtet. Im April 1965 wurde aus dieser Sendung Die Entscheidung war dem Verband nicht leichtgefallen schließlich die legendäre Sportschau. Die Klubs verkauf- und besaß Kompromisscharakter. So öffnete das erste Bundes- ten damals noch nicht das Fußballspiel als Ware und wa- liga-Statut nicht nur das Tor zum Professionalismus, sondern ren über das Interesse des Fernsehens gar nicht so erfreut. bemühte sich zugleich auch um dessen Einhegung. Der Voll- Vielmehr grassierte die Angst, die Berichterstattung des profi ließ noch auf sich warten. Stattdessen erfand der Bun- Fernsehens könnte die Fans vom Stadionbesuch abhalten. destag in Dortmund den „Lizenzspieler“, der zwar nicht mehr Die Zahlungen der TV-Anstalten dienten somit gewisser- wie der Vertragsspieler neben dem Gekicke noch einen „or- maßen als Kompensation für möglicherweise entgangene dentlichen“ Beruf ausüben musste, dessen monatliches Salär Zuschauereinnahmen. jedoch die 1.200 DM nicht überschreiten durfte. In Ausnah- Trotz der frühen Führung war schnell klar, dass es für mefällen waren auch 2.500 DM gestattet. Bei einem Vereins- Eppenhoffs Team im Weserstadion nichts zu holen gab. Nach wechsel durften zehn Prozent der Ablösesumme kassiert wer- 50 Minuten lag Werder 3:1 in Führung, und dass es „nur“ den, die allerdings 50.000 DM nicht übersteigen durfte. dreimal im Kasten der Borussen geklingelt hatte, verdankte Bis zum Meldeschluss am 31. Dezember 1962 bewarben man vornehmlich Hans Tilkowski und Lothar Geisler, der den sich 46 der 74 Oberligisten für die lediglich 16 Plätze der Bun- verletzten Wolfgang Paul in der Rolle des Vorstoppers vertrat. desliga. Zu den ersten neun Vereinen, die am 11. Januar 1963 In der Schlussminute verkürzte Konietzka noch auf 2:3. vom DFB grünes Licht erhielten, gehörten aus dem Westen Für den BVB sollten Fehlstarts zu einem Charakteristikum Borussia Dortmund, Schalke 04 und 1. FC Köln. in der neuen Liga werden. In den neun Spielzeiten bis zum Abstieg 1972 erlitt der BVB am 1. Spieltag sieben Niederlagen, denen nur ein Unentschieden und ein Sieg gegenüberstanden. 1963/64: Ein durchwachsener Auftakt Erst am 4. Spieltag kamen die Borussen zu ihrem ersten Bun- Sportlich schien der BVB gut gerüstet für die neue Bundesliga. desligasieg, als man in der Roten Erde den späteren Absteiger Die Sichtung potenzieller Neuzugänge erfolgte häufi g durch 1. FC Saarbrücken durch Tore von Wosab und Konietzka mit frühere BVB-Spieler. Als „Diamantenauge“ erwies sich dabei 2:1 bezwang. Am 11. Spieltag gab es in der Roten Erde gleich Herbert Sandmann, der 1960 Obmann geworden und damals ein Dutzend Tore zu bestaunen. Der BVB schlug den 1. FC einer der Jüngsten der Branche war. Sandmann tingelte un- Kaiserslautern mit 9:3. Drei Tore gingen auf das Konto von ermüdlich über die Dörfer. Die Mannschaft, die 1966 den , die restlichen sechs erzielten Brungs, Emmerich Europacup gewinnen sollte, trug die Handschrift Sandmanns. (2), Konietzka und Wosab (2). Das Spiel war symptomatisch Mit der Einführung der Bundesliga veränderte sich die für Stärken und Schwächen des BVB in dieser Saison. Die Bo- Verpfl ichtungspolitik der Borussen vorsichtig. Von Borussia russen zeigten sich ausgesprochen torfreudig – allerdings in Mönchengladbach wurde geholt, von Westfalia beide Richtungen. Herne der Nationaltorhüter Hans Tilkowski. Bei Brungs und Am 13. Spieltag kam der 1. FC Köln zum Spitzenspiel in Tilkowski kam dem BVB entgegen, dass ihre Klubs das harte die Rote Erde. Der BVB begann im Stile eines Meisters und Auswahlverfahren für die neue Eliteklasse nicht überstanden lag nach nur 13 Minuten durch zwei Konietzka-Tore bereits hatten. mit 2:0 in Führung, doch beim Halbzeitpfi ff hieß es 3:2 für Der Oberligist BVB hatte seine Akteure noch vorwie- die Domstädter. Bernhard Wessel, der Tilkowski vertrat, hatte gend aus dem Dortmunder Raum und dessen näherer Umge- einen rabenschwarzen Tag erwischt, während sein Gegen- bung und in der Regel von Amateurklubs rekrutiert. So Aki über Fritz Ewert herausragend hielt.

145 Der Kicker widmete seine Berichterstattung ganz der neuen Nationaltorhüter Bundesliga und gab auch sein erstes Hans Tilkowski Sonderheft heraus. stieß 1963 von Westfalia Herne zum BVB.

Zwei Spieltage vor Meisterschaftsschluss kam es zum tionalspieler Tarcisio Burgnich und Giacinto Facchetti sowie Rückspiel. Der BVB unterlag in Müngersdorf deutlich mit 2:5, der deutsche Italien-Legionär das Trikot der womit der erste Bundesliga-Meister gekürt war. „Nerazzurri“. Nach Abschluss der ersten Bundesligasaison beendeten Der mit seinem viel zu kleinen Stadion geschlagene die dreifachen Deutschen Meister Helmut Bracht und Willi BVB-Vorstand wollte nach den Erfahrungen mit dem Benfi - Burgsmüller ihre aktiven Karrieren beim BVB. ca-Spiel nach Hannover ins Niedersachsenstadion umziehen, um endlich einmal eine große Einnahme zu verbuchen. Doch der Plan stieß auf den erbitterten Widerstand der Fans und „Jahrhundertspiel“ gegen Benfi ca wurde deshalb schnell verworfen. Natürlich war die Rote Erde Im Europapokal der Landesmeister bekam der BVB in der 2. mit 43.000 Zuschauern erneut prall gefüllt. Einen 0:1-Rück- Runde den zweifachen Europapokalsieger Benfi ca Lissabon stand durch Inters Alessandro Mazzola in der 4. Minute ver- zugelost. Der BVB ging als krasser Außenseiter in die Spiele wandelte der BVB durch zwei Tore von Brungs innerhalb der gegen das als „beste Vereinsmannschaft der Welt“ gefeierte folgenden 24 Minuten in eine 2:1-Führung. Doch kurz vor Team um den Stürmerstar Eusébio, der bei der WM 1966 Tor- dem Halbzeitpfi ff gelang den Italienern durch Mario Corso schützenkönig werden sollte. Trainer Hermann Eppenhoff der Ausgleich. 20 Minuten vor dem Ende schoss Brungs ein gab fürs Hinspiel auf fremdem Boden die Devise aus: „Geht drittes Tor, dem der ungarische Referee Gere jedoch wegen nach vorne, lasst euch umhauen. Hauptsache, Zeit schinden.“ angeblicher Abseitsstellung die Anerkennung verweigerte. Der BVB unterlag nach einer Abwehrschlacht knapp mit 1:2 – Die Westfälische Rundschau roch eine ungarische Verschwö- dank des Torgebälks, das die Portugiesen binnen weniger rung – Revanche für das verlorene WM-Finale von 1954: Minuten gleich viermal prüften, und einer Paradenserie des „Deutsche Mannschaften haben mit ungarischen Schiedsrich- fantastisch aufgelegten Hans Tilkowski. Im Rückspiel gelang tern einfach kein Glück.“ den Borussen in der völlig überfüllten Roten Erde ein sensa- Beim Rückspiel musste der BVB vor 80.000 Zuschauern tioneller 5:0-Kantersieg über die Portugiesen (siehe dazu den im Mailänder San Siro antreten. Der erste Ansturm Inters Extra-Bericht). Die Westfälische Rundschau schrieb nach der wurde von den Borussen, bei denen Tilkowski an seine Leis- schwarz-goldenen Gala: „Nach dem triumphalen 5:0 darf man tung in Lissabon anknüpfte, erfolgreich pariert. In der 20. Mi- getrost einen Tipp wagen: Für DIESE Borussia muss nicht un- nute gerieten Kurrat und Luis Suárez aneinander. Der Spanier bedingt das Viertelfi nale Endstation sein!“ verpasste dem kleinen „Hoppy“ einen brutalen Tritt in den So war es auch. Bei Dukla Prag gewann der BVB souverän Unterleib, den Schiedsrichter Tesanic großzügig übersah. „Bo- mit 4:0. Timo Konietzka, gerade Vater geworden, lieferte eine russia hat mit Schiedsrichtern im Europapokal einfach kein Weltklassevorstellung ab. Das Rückspiel verlor der BVB zwar Glück“, beklagte die Westfälische Rundschau erneut resigniert. mit 1:3, dennoch geriet der erst dritte Einzug einer deutschen 15 Monate später wurde Tesanic von seinem Verband auf Le- Mannschaft in ein europäisches Halbfi nale niemals in Gefahr. benszeit disqualifi ziert. Den Borussen half’s nicht mehr, sie Dort hieß Borussias Gegner Inter Mailand. Die Italiener verloren 0:2 gegen die Mailänder, die anschließend den euro- wurden von Helenio Herrera trainiert, dem Inter-Präsident päischen Titel der Landesmeister holten. und Öl-Magnat Angelo Moratti ein Team von Fußballern inter- Mit der Saison 1963/64 avancierte der BVB auch interna- nationaler Klasse zusammengekauft hatte. So trugen u. a. der tional endgültig zu einem Begriff. Gegenüber dem Ausland spanische Weltklassespieler Luis Suárez, Europas „Fußballer durfte Dortmund nun neben Stahl und Bier noch ein weiteres des Jahres“ 1960, der Brasilianer Jair, die italienischen Na- Markenzeichen präsentieren: „König Fußball“.

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Im März 2017 trifft Borussia Dortmund in der Champions League erneut auf Benfi ca. Vor dem Spiel erinnern die Fans mit einer grandiosen Choreo an das „Jahrhundertspiel“ 1963. 4. DEZEMBER 1963, , DORTMUND BORUSSIA DORTMUND – BENFICA LISSABON 5:0 (3:0) „Jahrhundertspiel“ gegen Benfi ca

Trainer: Eppenhoff

Tilkowski Es gilt als eines der legendärsten Spiele in der Geschichte des W. Burgsmuüller Redder BVB, und schätzungsweise 200.000 Dortmunder werden spä-

Geisler ter behaupten, sie seien dabei gewesen: das Rückspiel in der Kurrat Sturm zweiten Runde des Europapokals der Landesmeister gegen

Wosab A. Schmidt Brungs Konietzka Emmerich Benfi ca Lissabon. Der amtierende Deutsche Meister geht als Außenseiter in

Augusto Santana Yauca S e r a fi l m Simoes die Begegnungen. Die Portugiesen haben 1961 und 1962 in der „Königsklasse“ triumphiert und 1963 erst im Finale verlo- ren. Bisher hat überhaupt noch kein deutscher Klub gegen die Coluna Luciano Humberto Vollprofi s von der iberischen Halbinsel in einem europäischen Wettbewerb gewonnen. Cavem Cruz In Lissabon hat Benfi ca Borussia 2:1 geschlagen. Das klingt knapp, aber die Portugiesen hätten auch gut und gerne Rita zehn Tore schießen können, so überlegen waren sie. Ohne Pfosten, Latte und einen überragenden Keeper Hans Tilkow- Trainer: Czeizler SCHIEDSRICHTER: McCabe (England) ski wären die Borussen untergegangen. TORE: 1:0 Konietzka (33.), 2:0 Brungs (35.), 3:0 Brungs (37.), Trotz klirrender Kälte erlebt die Rote Erde beim Rückspiel 4:0 Brungs (47.), 5:0 Wosab (58.) den größten Ansturm in ihrer Geschichte. Reinhold Wosab: ZUSCHAUER: 42.000 „Um halb vier, also vier Stunden vor dem Anpfi ff, war das Sta- dion schon voll, manche saßen in den Bäumen. Es gingen nur 40.000 rein, aber bald 60.000 waren in der ‚Roten Erde‘. Es war sehr kalt, und mir haben Leute nachher erzählt, dass sie ihren Platz nicht hergeben wollten. Die haben lieber in die Hose gemacht, ist ja sowieso eingefroren.“ Doch bevor es hinaus in die Kälte geht, wird in der Borus- sen-Kabine um die Prämie gefeilscht. Die Spieler haben ver- nommen, dass ihre portugiesischen Kollegen „10.000 Dollar oder so“ (Wosab) für den Einzug ins Viertelfi nale kassieren werden. Der BVB hat nur 300 DM pro Kopf geboten. Die Spie- ler bleiben barfuß sitzen, bis der Vorstand die Siegprämie auf 500 DM erhöht.

Eintrittskarte mit Autogramm von Hans Tilkowski.

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Drei Tore vom „Goldköpfchen“ Das goldene Trikot Benfi ca ist sich des Weiterkommens so sicher, dass Trainer hängt heute im Lajos Czeisler in der Roten Erde den angeschlagenen Star Eu- Borusseum. sebio pausieren lässt. Doch begleitet von stürmischen Ovatio- nen ihres Anhangs, spielen die in goldenen Flutlichttrikots gewandeten Borussen wie entfesselt. Bereits in der 8. Mi- nute scheitert Wosab nur knapp am Pfosten. Eine gute halbe Stunde hält Benfi ca dem Ansturm stand, auch weil der BVB das Kurzpassspiel ein wenig übertreibt. Dann schießen Fried- helm Konietzka und zweimal „Goldköpfchen“ Franz Brungs binnen fünf Minuten eine 3:0-Führung heraus. Im zweiten Durchgang erhöhen erneut Brungs, der sein bestes Spiel im BVB-Trikot abliefert, und Wosab auf 5:0. Reinhold Wosab mit Blick auf die bescheidene Siegprämie: „Wir haben für jeden Hunderter ein Tor geliefert …“ Die Borussen benötigen weniger als eine Stunde, um das große Benfi ca nach allen Regeln der Kunst zu zerlegen und aus dem Europapokal zu werfen. Der Sieg über Benfi ca bleibt nicht der letzte große Auftritt des BVB im Europapokal. Aber anders als spätere Triumphe über den FC Liverpool, Manchester United, den AC Mailand oder Real Madrid werden Benfi cas Vollprofi s von Kickern be- zwungen, die mit einer Ausnahme – dem dreifachen Torschüt- zen Franz Brungs – aus Dortmund und der Region stammen.

„Goldköpfchen“ Franz Brungs jubelt nach seinem Tor zum 4:0.

„Ich bin der Verlierer, aber ich schätze mich glücklich, diesen herrlichen Fußball gesehen zu haben.“

Benfi ca-Trainer Lajos Czeisler

149 PORTRÄT

1964/65: Erster Pokalsieg Reinhold mit „Ruhrpottjungs“ Wosab Ausgerechnet nach den großen Auftritten im Europapokal kam es beim BVB zum Hauskrach: Ein von allen guten Geis- tern verlassener BVB-Vorstand teilte Trainer Hermann Ep- penhoff, der bei den Spielern großes Ansehen genoss, seine Entlassung mit. BVB-Vorsitzender war zu dieser Zeit Kurt Schönherr, Direktor der Union-Brauerei, der einige Monate zuvor Werner Wilms nach zwölfmonatiger Amtszeit und einer mit 218 zu 137 Stimmen gewonnenen Kampfabstimmung ab- gelöst hatte. Als sein Souffleur agierte der mächtige Gastwirt Heinz Dolle. Eppenhoff wurde vorgeworfen, sich abfällig über den Verein geäußert zu haben. Außerdem sei er „zu weich“. Spieler, Obmann und Fans waren anderer Meinung und gin- gen auf die Barrikaden. Der Vorstand musste schließlich klein beigeben. Eppenhoff kehrte auf den Trainerposten zurück, Werner Wilms ebenfalls, denn der blamierte Schönherr-Vor- stand nahm seinen Hut. Mit Eppenhoff blieben auch Brungs und Kurrat, die zunächst ihrem ehemaligen Mannschaftska- meraden Jürgen Schütz nach Italien folgen wollten und denen Angebote von Atalanta Bergamo vorlagen. Die meisten Neuzugänge für die Saison 1964/65 wurden aus der Region und eigenen Jugend rekrutiert. So der 20-jäh- rige von der SpVgg. Herten, der via Bundeswehr- auswahl zum BVB fand. Assauer war nicht der erste und nicht der letzte Borusse, der diesen Weg nahm. Denn neben Hoesch, Union, der Stadt und den Stadtwerken hatte der BVB noch einen weiteren Helfer: die Bundeswehr in Gestalt von Ottmar Der Vollblutstürmer mit dem harten Schuss kam zur Saison 1962/63 Rhein. Der gelernte Forstwirt und Journalist leitete als aktiver von der SpVg Marl zum Borsigplatz. Dass Wosab beim BVB und nicht Offizier die Pressestelle der 7. Panzergrenadierdivision und ge- „auf Schalke“ landete, war eher ein Zufall. Während eines Spiels hörte zum Spielausschuss des BVB. Rhein führte den Borussen der Westfalenauswahl wurde er von Schalke beobachtet, fiel aber Akteure der Bundeswehrauswahl zu. Und musste ein Borusse durch, woraufhin BVB-Obmann Herbert Sandmann ihn unter seine einrücken, dann sorgte Rhein dafür, dass er wenigstens nach Fittiche nahm. In den legendären Begegnungen mit Benfica Lissabon Unna kam und seine Physis nicht überfordert wurde. Rhein in der Saison 1963/64 konnte sich Wosab im Hin- wie im Rückspiel bezahlte sein Engagement mit einem Beförderungsstopp. in die Torschützenliste eintragen. Wosab: „Nur um an diesen beiden Das erinnerungswürdigste Spiel dieser Saison war aus Spielen teilgenommen zu haben, hat sich das Leben schon gelohnt.“ BVB-Sicht der 6:2-Sieg bei Schalke 04 am 6. Spieltag. Zur Beim Europapokalfinale 1966 war er aufgrund einer schweren Brust- Halbzeit führte der BVB bereits mit 6:0. Ganze 26 Minuten be- prellung mit anschließender hartnäckiger Grippe nicht dabei. Als der nötigte er für seine sechs Tore. Timo Konietzka schoss binnen BVB holte, musste Wosab die Rechtsaußenposition 180 Sekunden zwei Treffer. Dabei besaßen die Schalker so- freigeben und ins Mittelfeld ausweichen. Nach der Saison 1970/71 gar im ersten Durchgang ein spielerisches Übergewicht, doch wurde der nun 33-Jährige an den Bundesligaaufsteiger VfL Bochum Schwarz-Gelb konterte Blau-Weiß klassisch aus und schloss verkauft. Zu früh. Während der BVB in der folgenden Saison die Elite- nahezu jeden Angriff mit einem Tor ab. klasse verlassen musste, avancierte Wosab zu einer Führungsperson Im Januar 1965 kam es auf einer ungewöhnlich harmo- beim Neuling und verbrachte noch zwei Spielzeiten (59 Einsätze!) nischen Jahreshauptversammlung zu einem Wechsel an der in der Bundesliga. Anschließend spielte er für den Zweitligisten Vereinsspitze. Dr. Werner Wilms verzichtete nach zwölf Jah- Rot-Weiß Lüdenscheid, wo er ebenfalls zwei Spielzeiten zu den ren als Vereinsvorsitzender auf eine erneute Kandidatur. Als absoluten Leistungsträgern gehörte. Nachfolger wurde der Hoesch-Prokurist Wilhelm Steegmann Von 1974 bis 1978 gehörte Wosab dem BVB-Vorstand an. In der gewählt. Hoesch nahm sich nun des BVB auch offiziell an. Funktion des Obmanns baute er mit Trainer Otto Knefler jene In der Rückrunde sorgte der BVB mal wieder für einige Mannschaft auf, der in der Saison 1975/76 die Rückkehr in die Erst- torreiche Spiele. 6:3 hieß es nach 90 Minuten gegen Hertha klassigkeit gelang. BSC, 4:4 beim Schlusspfiff an Münchens Grünwalder Straße, Später gründete Wosab eine Firma für die Herstellung von wo der BVB gegen den TSV 1860 zwar viermal in Führung ging, Pokalen und Ehrenpreisen. Aus seiner Werkstatt stammen u. a. die am Ende aber nur einen Punkt holte, und noch einen Treffer Auszeichnungen: Weltfußballer des Jahres, Goldener Schuh, Goldener mehr gab es beim 5:4-Sieg über Eintracht Braunschweig zu Handschuh und Trainer des Jahres. bestaunen. Seit dem 17. Spieltag stand Bernhard Wessel zwi- schen den Dortmunder Pfosten, nachdem sich Tilkowski beim Q 25.2.1938 Rückrundenauftakt in Hannover – der BVB verlor erneut mit 0:2 – einen Schlüsselbeinbruch zugezogen hatte. In der Endabrechnung verbesserte sich der BVB gegenüber der Vorsaison um eine Position auf Platz drei, fünf Punkte hin- ter Meister Bremen. Die Abwehr stellte unverändert ein Pro-

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Hans Tilkowski wurde 1965 als erster Torhüter Deutschlands „Fußballer des Jahres“.

Bundespräsident Heinrich Lübke war 1965 das blem dar, wenngleich der einst als Stürmer geholte Gerhard Aachener ebenfalls schwarz-gelb waren. Allerdings hatte auch erste deutsche Cyliax erfolgreich zum Abwehrspieler umgeschult wurde. der Gegner auf seine traditionelle Kluft verzichtet und lief in Staatsoberhaupt, In der Saison 1964/65 gewann der BVB erstmals den Rot-Weiß auf. das ein deutsches Pokal endspiel DFB-Pokal. Das Finale gegen den Zweitligisten Alemannia Borussias Pokalteam bestand noch immer überwiegend besuchte. Aachen war eine laue Angelegenheit. Vor 65.000 Zuschau- aus Akteuren, die, so Lothar Emmerich, „das Fußballspielen BVB-Kapitän Aki ern in Hannover führte der BVB nach nur 18 Minuten mit 2:0. in Dortmund oder der näheren Umgebung gelernt hatten. Al- Schmidt stellt Es trafen Schmidt und Emmerich – und dabei blieb es auch. les Jungs aus dem Ruhrpott.“ Brungs und Straschitz waren ihm das Team vor. Denn der BVB verwaltete das Spiel anschließend nur noch, die Ausnahmen. Mit Hans Tilkowski wurde 1965 zum ersten während die Alemannen zu schwach waren, um noch einmal Male ein Borusse (und Torwart) zum „Fußballspieler des Jah- für Spannung zu sorgen. Der BVB gewann in weißen Hem- res“ gewählt. Erst 31 Jahre später wurde mit Matthias Sam- den, auf die man ausgewichen war, weil die Vereinsfarben der mer einem weiteren BVB-Spieler diese Ehre zuteil.

Der BVB ist Pokalsieger. Aki Schmidt (mit Pokal) und das Team auf der Ehrenrunde.

151 1965/66: Nr. 2 in Deutschland … (Schalke 04), der zu einem der genialsten Rechtsaußen der deutschen Fußballgeschichte avancieren sollte, und Sieg- Zur neuen Saison verpfl ichtete der BVB einen frischgebacke- fried „Siggi“ Held (). Held war Borussias nen Meistermacher als Trainer: Willi „Fischken“ Multhaup, erste namhafte Neuverpfl ichtung, die nicht aus dem Westen der mit Werder Bremen in der Saison zuvor den Titel geholt kam. Vom Dortmunder Vorortverein SV Schüren stieß außer- hatte. Der BVB stattete Multhaup mit einem für damalige dem noch der talentierte Jürgen Weber zum BVB, der später Verhältnisse sehr guten Vertrag aus. Und dies nicht nur in schwer verunglückte. fi nanzieller Hinsicht. Multhaup: „Immerhin hatte ich mir die Der große Gewinner des Konietzka-Wechsels war Lothar absolute Entscheidungsgewalt bei der Mannschaftsaufstel- Emmerich, der nun mit Held einen kongenialen Sturmpart- lung vorbehalten. Schließlich kam ich als Meistertrainer aus ner erhielt. Aki Schmidt: „Wir brauchten so einen schnellen Bremen …“ wie den Siggi, weil der ‚Emma‘ so schrecklich langsam war. Multhaup konnte auf ein eingespieltes und selbstbewuss- ‚Emma‘ war ein Stocklinker, der konnte also nur links und hat tes Team zurückgreifen, obwohl Konietzka von seinem Zieh- immer nur an der Außenlinie gestanden. Konietzka wollte im- vater zu 1860 München geholt wurde und Brungs mer die Tore schießen und hat den ‚Emma‘ da draußen an- zum 1. FC Nürnberg wechselte. Mit den fi nanziellen Offerten geschrien: ‚Bleib anna Linie!‘, weil er selbst so gierig auf die der Sechziger und anderer Südklubs konnte (und wollte) der Tore war.“ Held spielte nun häufi g die Rolle des Vorbereiters, BVB nicht konkurrieren. Emmerich die des Vollstreckers, weshalb er auch als „Siggis Dank des Engagements des Spielausschussvorsitzenden drittes Bein“ fi rmierte. Heinz Stork konnten die durch den Weggang von Konietzka Nach Abschluss der Hinrunde lag der BVB auf Platz drei, und Brungs hinterlassenen Lücken bestens geschlossen drei Punkte hinter Herbstmeister TSV 1860. Vor den Borus- werden: mit der Verpfl ichtung von Reinhard „Stan“ Libuda sen rangierte auch noch das Überraschungsteam des FC

Zwei überragende Borussen der 1960er Jahre: Reinhard „Stan“ Libuda und Siggi Held.

Vor der Saison 1965/66 erhielt die Gegengerade in der Roten Erde eine Überdachung und wurde um einige Sitzreihen aufgestockt. Hier ein Testspiel gegen Roter Stern Belgrad, das der BVB mit 4:1 gewann.

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Bayern, punktgleich mit dem BVB, aber mit dem besseren Horst-Dieter Höttges verwandelte zum 1:0 für die Gastgeber. Torverhältnis. Am vorletzten Spieltag kam der punktgleiche, aber über So entspann sich ein Dreikampf um die Meisterschale. Die das bessere Torverhältnis verfügende Tabellenführer TSV ersten zwölf Spiele der Rückrunde blieb der BVB ungeschla- 1860 in die Rote Erde. In der ersten Halbzeit präsentierten gen. Am 23. Spieltag wurden – allerdings ersatzgeschwächte – sich Max Merkels „Löwen“ stark defensiv, ja geradezu dest- Schalker mit 7:0 aus der Roten Erde gefegt, bis heute Borussias ruktiv. Nach Wiederanpfi ff wurden die Gäste mutiger. In der höchster Sieg über den Rivalen. Eine überragende Vorstellung 65. Minute traf Emmerich lediglich aus Abseitsposition, eine bot ausgerechnet der Ex-Schalker Reinhard Libuda, der zu- Minute später überwand der vom überragenden Peter Grosser nächst und anschließend Hans-Jürgen Becher steil geschickte Torjäger Rudi Brunnenmeier Tilkowski zum schwindelig spielte. 1:0 für die Gäste. In der 89. Minute machte Peter Grosser mit Mit dem Kantersieg über den Revierrivalen übernahm der dem 2:0 alles klar. BVB erstmals die Tabellenführung: Am 25. Spieltag wurde Die „Löwen“ hatten vor dem letzten Spieltag zwei Punkte Bayern München in der Roten Erde mit 3:0 besiegt. Die Souve- Vorsprung. Den Borussen blieb nur noch eine theoretische ränität, mit der die Borussen ihr Werk verrichteten, kürte die Chance: Man musste bei Eintracht Frankfurt hoch gewinnen, Schwarz-Gelben zum heißesten Anwärter auf den Titel. der TSV 1860 daheim gegen den Hamburger SV verlieren. We- Aber am 32. Spieltag erlitt der BVB bei Werder Bremen der das eine noch das andere geschah. Die Sechziger spiel- eine unglückliche 0:1-Niederlage. Als alles nach einem torlo- ten gegen den HSV unentschieden, während die Borussen sen Remis roch, stolperte in der 89. Minute der Bremer Mit- im Frankfurter Waldstadion mit 1:4 untergingen. Von seinen telstürmer Dausmann über die Füße von Kapitän Wolfgang 34 Spielen hatte der BVB sechs verloren, vier davon an den Paul. Zum Entsetzen der Dortmunder zeigte Schiedsrichter letzten fünf Spieltagen. Im Endspurt war der Mannschaft die Kurt Tschenscher auf den Elfmeterpunkt. Nationalverteidiger Puste ausgegangen.

Willi „Fischken“ Multhaup mit kurzer Ansprache beim Training auf jenem Platz neben der Roten Erde, auf dem das gebaut wird. Siggi Held zieht ab gegen Atlético im Viertelfi nale am 2. März 1966.

Im Europacup-Halbfi nale 1966 schaltet der BVB das Team des großen Bobby Moore aus. Hier prüft Aki Schmidt West Hams Keeper Standen.

Der Europacupsieger BVB wird auf dem Neuen Markt (heute Friedensplatz) empfangen und bejubelt. Lothar Emmerich (Mitte) grüßt die Fans. Links Verteidiger Theo Redder und ganz links Dieter „Hoppy“ Kurrat. 1963-1972

… und Nr. 1 in Europa 52. Minute durch Nationalspieler Martin Peters in Führung, doch nach einigen bangen Minuten, in denen dem BVB ein Dass aus der Meisterschaft nichts wurde, lag auch in der stra- zweiter Gegentreffer drohte, fanden die Borussen, angeführt paziösen Europapokal-Kampagne begründet. Multhaup: „Es von ihrem entschlossenen Kapitän Wolfgang Paul, zurück ins war einfach zu viel für die Mannschaft geworden. Die doppelte Spiel. In der 86. Minute gelang Emmerich der Ausgleich. Nur Anstrengung über Wochen hinweg, die Nervenanspannung, eine Minute später erzielte „Emma“ nach schöner Einzelleis- der Kräfteverschleiß.“ Nach den erfolgreichen Halbfi nalspie- tung von Siggi Held auch noch den Siegtreffer zum 2:1. Die len hatte der Trainer den Triumph in Europa zur Priorität er- britische Presse taufte das schwarz-gelbe Sturmduo „the terri- klärt: „Unser großes Ziel ist der Europapokal, den hat noch ble twins“. Der Mann des Abends war aber Stopper Wolfgang keine deutsche Mannschaft errungen. Da möchten wir die Paul, „Turm“ in der Dortmunder „Abwehrschlacht“. Borussias Ersten sein. Und dafür lassen wir sogar, wenn es notwendig Sieg war zugleich der erste Pfl ichtspielsieg einer deutschen sein sollte, die Meisterschaft sausen.“ Vereinsmannschaft auf englischem Boden. Der erst 1960 aus der Taufe gehobene Europapokal der Die Hoffnung Uniteds, in Dortmund den Spieß noch um- Pokalsieger war der jüngste der europäischen Wettbewerbe. drehen zu können, wurde vor 35.000 Zuschauern bereits In der 1. Runde gab es für die Borussen einen Gegner zum nach 40 Sekunden enttäuscht, als es erneut Emmerich war, Aufwärmen. Der maltesische Pokalsieger Floriana La Valletta der die 1:0-Führung markierte. Emmerich entwickelte sich wurde auf der Mittelmeer-Insel auf Lehmboden mit 5:1 ge- nun für die Londoner zum Alptraum, denn in der 29. Minute schlagen. Zum Rückspiel in der Roten Erde kamen lediglich gelang dem Mann mit der „linken Klebe“ sein vierter Tref- 10.000 Zuschauer, die allerdings einen 8:0-Sieg des BVB sa- fer innerhalb von addiert 34 Spielminuten gegen West Ham. hen, zu dem Lothar Emmerich sechs Tore beisteuerte. Gordon Byrne konnte zwei Minuten vor dem Halbzeitpfi ff auf In der 2. Runde hieß der Gegner ZSKA Sofi a. Das Hinspiel 1:2 verkürzen. Die Borussen spielten nun im heimischen Sta- in der Roten Erde wurde vor 30.000 Zuschauern souverän dion auf Konter, verschleppten das Tempo geschickt, um hin mit 3:0 gewonnen, was Trainer Multhaup zu der Feststellung und wieder zu schnellen Gegenangriffen auszuholen. In der veranlasste: „Hier zeigt sich doch, dass die Bundesliga das 86. Minute schoss Cyliax das 3:1, und der BVB stand erstmals Niveau gehoben hat.“ in seiner Geschichte im Finale eines europäischen Wettbe- Im Rückspiel gab es vor 50.000 Zuschauern im Armee-Sta- werbs – als dritter deutscher Verein nach Eintracht Frankfurt dion eine 2:4-Niederlage. Der ruppigen Partie drohte kurz vor (1960, Europapokal der Landesmeister) und 1860 München dem Ende der Abbruch. In der 87. Minute wurde „Hoppy“ Kur- (1965, Europapokal der Pokalsieger). rat des Platzes verwiesen. Der „Rotsünder“: „Jakimoff hatte Li- Im anderen Halbfi nale hatte sich der FC Liverpool durch- buda umgesäbelt. Ich wollte den Bulgaren zur Ordnung rufen. gesetzt. Dessen Trainer Bill Shankly verkündete selbstbe- Bei dieser Gelegenheit hat mir Jakimoff dann ein paar Ohr- wusst: „Wir holen den Cup!“ Das Angebot der UEFA, den Spiel- feigen verpasst. Ich habe mich nur schützen wollen.“ Wenig ort von Glasgow ins neutrale Lausanne zu verlegen, schlug später wurde auch noch Held verletzt vom Platz getragen. Für der BVB-Vorstand großzügig aus. die Westfälische Rundschau war das Spiel eine „mörderische Mit seinen Auftritten in Madrid und gegen West Ham Schlacht“. Die Borussen-Kabine sei anschließend ein „Laza- hatte sich der BVB den Ruf der „besten Konterelf Europas“ er- rett“ gewesen. worben. Das Finale sollte dies bestätigen. Borussia schlug den Im Viertelfi nale traf der BVB auf Atlético Madrid. Atlé- FC Liverpool nach 120 Minuten durch Tore von Held und Li- tico hatte zuvor 17 Europacup-Heimspiele in Folge gewonnen. buda mit 2:1 – dank eines großen Kampfgeistes, mannschaft- In der spanischen Hauptstadt hatte es die Tage zuvor heftig licher Geschlossenheit, kühlem Kopf und einer guten Portion geregnet. Das verschlammte Spielfeld war Gift für den spa- Glück. Damit hieß Deutschlands erster Europapokalsieger Bo- nischen Kombinations- und Kurzpassfußball und kam dem russia Dortmund. physisbetonten Spiel des BVB entgegen. Zumindest konnten Zurück in Dortmund, wurden die Borussen von über sich die Borussen auf die widrigen Bodenverhältnisse besser 300.000 Menschen empfangen. Die Kinder hatten schulfrei, einstellen: Aki Schmidt und seine Mitstreiter schlugen prä- viele Straßen und Geschäfte waren mit gelb-schwarzen Fah- zise halbhohe und steile Pässe. Die Borussen verkauften sich nen geschmückt. Auf dem Neuen Markt wurde die Mannschaft, glänzend und gingen in der 58. Minute durch Emmerich sogar die in zwölf offenen Cabriolets vorgefahren kam, von Ober- in Führung. Erst vier Minuten vor Schluss gelang den Madri- bürgermeister Keuning und 100.000 Bürgern begrüßt. Später lenen der Ausgleich zum Endstand von 1:1. wurden die „Helden von Glasgow“ als erste deutsche Fußball- Das Rückspiel dagegen enttäuschte die hohen Erwartun- mannschaft mit dem Silbernen Lorbeerblatt ausgezeichnet. gen der 34.000 Zuschauer. Sie sahen ein ruppiges und mi- serables Spiel, das die Dortmunder durch ein von Emmerich bereits in der 16. Minute erzieltes Tor mit 1:0 gewannen. Da- mit stand der BVB zum zweiten Mal nach 1963/64 im Halb- fi nale eines europäischen Wettbewerbs, gemeinsam mit den Im Fahnenmeer drei britischen Mannschaften West Ham United, FC Liverpool fast versunken: Der BVB auf seinem und Celtic Glasgow. Triumphzug durch Das Los entschied, dass es der BVB mit dem Titelvertei- Dortmund. diger aus dem Londoner East End aufnehmen musste. Unter den gegebenen Umständen war West Ham jedoch die beste der drei Optionen. Der Klub steckte in einer Formkrise und kämpfte in der First Division sogar gegen den Abstieg. Im Upton Park bot United sein bestes Spiel seit Monaten, aber der Sieger hieß Borussia. Zwar ging West Ham in der 5. MAI 1966, HAMPDEN PARK, GLASGOW BORUSSIA DORTMUND – FC LIVERPOOL 2:1 n .V. (0:0, 1:1) Die Helden von Glasgow

Trainer: Multhaup

Tilkowski Die glanzvolle Europareise endet in der „Krone am Markt“ Cyliax Redder mit frischem Spargel und gleichermaßen langen Gesichtern. Kurrat Paul Assauer Das Gemüse mögen die frischgebackenen Europapokalsieger Schmidt Sturm so gar nicht. „Es gab frischen Spargel, welchen einige nicht

Libuda Held Emmerich mochten“, erinnert sich Luise, die Ehefrau von Hans Tilkow- ski, „aber das war ein Edelgemüse damals und sehr teuer.“ Thompson St. John Callaghan Unter dem Fenster singen Zehntausende zum wiederholten

Smith Hunt Mal das Vereinslied und nicht mehr alle Fans auf den Innen- stadtstraßen sind nüchtern. Stevenson Milne Abgesehen vom Festmahl verläuft alles nach dem Ge- Yeats schmack der Spieler. Sie dürfen sich feiern lassen als erster Byrne Lawler deutscher Europapokalsieger. WDR-Reporter Kurt Brumme formuliert in den Minuten des größten Triumphs auf der Lawrence Tribüne in Glasgow die entscheidenden Fragen: „Ist es denn die Möglichkeit? Gibt es den größten deutschen Fußball- Trainer: Shankly SCHIEDSRICHTER: Pierre Schwinté triumph seit Bern, seit 1954? Können wir einen Europa- TORE: 1:0 Siggi Held (62.), 1:1 Roger Hunt (68.), pokalsieger stellen?“ 2:1 Reinhard Libuda (106.) Luise Tilkowski fi ebert zu Hause in Herne mit. Anders als ZUSCHAUER: 41.657 die meisten Spielerfrauen ist sie der Kinder wegen, aber auch wegen einer gewissen Flugangst nicht mit zum Finale gefl o- gen. So erlebt sie den Karriere-Höhepunkt ihres Mannes vor dem Fernseher mit. „Ich war unglaublich stolz“, erinnert sich Frau Tilkowski fünf Jahrzehnte danach, bevor ihr Mann er- gänzt: „Die ganze Saison war aufregend. Ich wurde Fußballer des Jahres, der Sieg gegen Liverpool, später die WM. Wenn ich überlege, wie viele Menschen in Dortmund unterwegs waren, diese große Freude. Wir waren ja die Ersten, die das geschafft haben. Hier zu Hause kamen tausende Briefe an, der ganze Keller voll Autogrammpost. Wir mussten ein Ehepaar bitten, uns bei der Bearbeitung zu helfen. Ich glaube, ich darf sagen, dass ich die Bodenhaftung nie verloren habe. Auf der anderen Seite, wenn ich mir das so überlege, dann haben wir damals Fußballgeschichte geschrieben.“ Sie schreiben diese Geschichte an einem dunstigen Abend im Hampden Park von Glasgow gegen einen vermeintlich übermächtigen Gegner. Liverpool ist kurz zuvor Meister ge- worden. „Wir sind in diesem Jahr so gut in Form wie vorher noch keine britische Vereinself“, sagt Trainer Shankly und ist sich sicher: „Wenn wir unsere Leistung bringen, sind wir un- schlagbar. Das wird auch Dortmund am Donnerstag spüren. Borussia Dortmund? Wer ist das schon? Das Finale in Glasgow ist für mich schon abgeschlossen. Mein neues Ziel ist das Fi- nale der Landesmeister in der nächsten Saison.“ Doch die Borussen lassen sich nicht einschüchtern im Du- ell des englischen gegen den deutschen Pokalsieger des Jah- res 1965. Am Abend vor dem Finale hatte Trainer Multhaup seine Mannschaft ebenfalls ermutigt: „Wir haben nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.“ Aki Schmidt ist von sei- nem Trainer begeistert. „Es gab einige bemerkenswerte An- Der Hampden Park am 5. Mai 1966. sprachen“, erinnert sich die BVB-Legende 50 Jahre später, „aber eine so gute wie damals hatte ich vom Fischken noch Rechts das Stadionheft zum Finale. nie gehört. Er sagte am Ende einen ganz entscheidenden Satz, den ich nie vergesse: ‚Männer, von zehn Spielen gegen Liver- pool verlieren wir neun. Das hier in Glasgow, das verlieren wir nicht. Dieses Spiel nicht.‘ Fischken war überzeugt, dass wir es packen. Er hatte ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Das

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Siggi Held erzielt das 1:0 für Borussia. Liverpools Keeper Lawrence ist geschlagen.

Der Beweis: Thompson trifft den Ball bei seiner Flanke vor dem Ausgleich hinter der Torauslinie. Im Hintergrund hebt der Linienrichter Robert Héliès seine Fahne.

übertrug sich. Es waren zum Teil einfache Sätze, die große Wirkung hatten. Ich dachte während des Spiels noch an Fisch- ken und an dieses eine Spiel von zehn, das wir gewinnen.“ Mit dem Anpfi ff erklingen laute „B-V-B“-Rufe von der Haupttribüne. Im größten Stadion Europas, mit seinen 135.000 Plätzen etwa zu einem Drittel gefüllt, sind die Liver- pool-Fans klar in der Mehrheit. Etwa 2.000 (in anderen Quel- len 3.000) BVB-Schlachtenbummler sind angereist, wobei der Delegation neben den Frauen auch viele Spielerväter angehö- ren, zudem Gründungsvater Franz Jacobi und der Alt-Inter- nationale August Lenz. Die BVB-Reisegruppe fi ndet schnell Gefallen an diesem Spiel, weil sich die Borussen mutig zei- gen. Hoppy Kurrat knapp am Tor vorbei. Kurz danach liegt Liverpools Torhüter erstmals im Morast, als er einen Schuss von Aki Schmidt abwehrt. Nach 30 Minuten wird der Mittel- feldstratege böse am Kopf erwischt. Genau in dem Moment, als das Flutlicht angestellt wird, gehen bei Aki die Lichter aus. Nach kurzer Behandlung geht es für ihn weiter, die Ver- letzungsunterbrechung aber nutzt Trainer Multhaup und spricht auf Stan Libuda ein. Dem BVB-Dribbler ist noch nicht viel gelungen, was sich bis zum Ende nicht ändern wird – mit Ausnahme eines genialen Moments.

157 Das entscheidende Tor in diesem Finale.

Nach gut einer Stunde gehen die Borussen in Führung. entscheidende Moment ergibt. Es ist die 106. Spielminute, die Aki Schmidt hat einen Ball abgefangen und zu Siggi Held ge- Torschütze Libuda später so beschreibt: „Siggi lief durch und passt. Der leitet weiter zu Emmerich, löst sich blitzschnell ich mit. Ich sah, wie der Ball abprallte. Ich sah ihn kommen. von Gegenspieler Yeats. Emma spielt einen langen Ball, ge- Ich sah mit dem linken Auge das leere Tor, da habe ich abge- nau in den Laufweg von Held. In den Kneipen am Borsigplatz, zogen. Ich dachte mir: jetzt oder nie. Und wie der Ball in der in den Wohnstuben wie auch hier in Glasgow erheben sich Luft war, spürte ich: Der geht rein.“ die Zuschauer, recken den Hals und wer es mit dem BVB hält, Mannschaftskollege Aki Schmidt beschreibt die gleiche ruft „Schiiiiieesss …“, als Held den Ball mit Vollspann in die Szene so: „Der Ball lag in unserer Hälfte zum Freistoß. Ich Maschen jagt. Es ist das 1:0 nach dem bislang besten Borus- sah aus dem Ausgenwinkel schon, dass der Siggi marschierte. sen-Angriff, ein typisches Tor für diese Offensive. Das Duo Also schrie ich den Assi an, er sollte rüber spielen. Ich schick Held und Emmerich hatte die englische Presse „terrible twins“ den Siggi mit einem langen Dingen. Er muss das Tor schon getauft, nachdem der BVB dank seiner Stürmer im Halbfi nale machen, schießt aber den Torwart an. Der Stan nimmt die Ku- West Ham United besiegt hatte. gel und schießt direkt. Er hätte eigentlich gehen müssen. Er Liverpool hat knapp dreißig Minuten, um das Ergebnis hatte freie Bahn. Von da aus kannst du eigentlich kein Tor zu korrigieren, benötigt davon sechs und eine Fehlentschei- machen. Aber er haut drauf. Ich dachte: Was macht der denn dung für das 1:1. Der quirlige Thompson, von Redder bislang jetzt? Dann ist plötzlich der Ball weg. Ich denke: Wo ist der gut bewacht, kann über rechts vorpreschen und legt sich den Ball? Sehe ihn in der Luft. Ich sehe das Dingen, wie er runter- Ball bis zur Torauslinie vor. Genau hier ist er in vollem Um- fällt, und der lange Yeats fl iegt mit dem Ball ins Netz. Das war fang im Aus, was der Linienrichter auch anzeigt. Die Dort- der Sieg. Spät am Abend bin ich mit dem Stan eine rauchen munder recken ihre Arme hoch, als Zeichen, dass das Spiel gegangen, am Strand. Ich habe gesagt: ‚Mensch Stan, wenn zu unterbrechen ist. In der Mitte nutzt Hunt die Verwirrung du diesen Ball nicht gemacht hättest. Da machst du so eine und schießt mit links in den rechten Torwinkel. Niemand Scheiße.‘ (lacht) Ich sagte ihm: ‚Was glaubst du, was da mor- hat mehr richtig verteidigt, Schiedsrichter Schwinté aber gen los ist in Dortmund? Die Fans bringen uns vor Freude um. zeigt zur Mitte. Später wird sein Assistent sagen, er habe Sowas hast du noch nicht erlebt. Das ist der BVB. Warte ab.‘ die Fahne gehoben, um anzuzeigen, dass der Ball eben nicht Er konnte sich das nicht vorstellen. Stan war ja immer so ein im Aus war. Nicht nur Tilkowski sucht bis heute vergeblich bisschen schüchtern. Er war dann überwältigt, wie gefeiert nach einer solchen Vorgabe im Regelwerk. „Der Ball war klar wurde. Es war ja auch unfassbar.“ hinter der Linie“, so der Torhüter, „und da gab es im Grunde Als Wolfgang Paul den Pokal erhält, die Mannschaft eine keinen Zweifel oder Grund zu Diskussionen wie später beim Ehrenrunde läuft, fl ießen Tränen bei den Offi ziellen, Ange- Wembley-Tor, so eindeutig war das. Genau jetzt zeigte sich hörigen und Anhängern. Parallel dazu müssen in Dortmund der Anteil von Multhaup an unserem Erfolg. Wie wir da- Gastwirte ihre Wettschulden einlösen und Freibier aus- nach weiter an uns geglaubt haben und von dieser Fehlent- schenken, etwa in der Sportlerklause von August Lenz. Die scheidung nicht entmutigt waren, das war ausschlaggebend. -Nachrichten berichten ausführlich über diese Nacht. „Als Fischken hatte uns, basierend auf den früheren Erfolgen, der Sieg der Borussen feststand, verwandelte sich der Bor- selbstbewusst gemacht.“ sigplatz innerhalb weniger Minuten in einen Hexenkessel ju- Dank einiger guter Paraden von Tilkowski und einer zu- belnder Menschen. Von allen Seiten strömten die Fußballbe- mindest kämpferisch herausragenden Mannschaftsleistung geisterten herbei. Zu Fuß, mit Privatwagen und in Taxis, die übersteht der BVB die 90 Minuten. Es geht in die Verlänge- pausenlos laut B-V-B hupend um den Stammplatz der Borus- rung. Längst ist es ein Duell auf Augenhöhe, denn auf dem sen kreisten. Deutsche und ausländische Arbeiter umarmten tiefen Rasen haben beide Teams Kräfte gelassen. Allerdings sich mitten auf der Straße, einträchtig schwarzgelbe Vereins- wirkt Liverpool optisch überlegen, als zum letzten Mal die fahnen des neuen Pokalsiegers schwingend. In den Kneipen Seiten gewechselt werden und sich nur Sekunden später der fl oss das Bier in Strömen.“

Die Helden von ’66 nach dem Finalsieg von Glasgow. Stehend v.l.: Betreuer Major Ottmar Rhein, Sturm, Held, Paul, Trainer Multhaup, Assauer, Emmerich, Stork. Hockend v.l.: Libuda, Kurrat, Redder, Tilkowski, Cyliax (nicht im Bild: Schmidt).

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In Glasgow haben die Spieler Probleme, ihren Triumph zu feiern. Weil der Vorstand nicht mit einem Sieg gerechnet hat, ist im Mannschaftshotel nichts vorbereitet worden. Eilig be- sorgtes Bier wird brüderlich geteilt. Der Nachtportier reicht der fröhlichen Runde Glückwunschtelegramme, darunter auch eines von Bundespräsident Lübke. So improvisieren die Borussen eine Feier im Angesicht ihrer bislang wertvollsten Trophäe. Die trägt am nächsten Tag Wolfgang Paul stolz über das Rollfeld des Kölner Flughafens. Von dort fahren die Borus- sen mit zwei Bussen nach Dortmund, im vorderen die Spieler und Betreuer, im hinteren die Frauen und der Vorstand. In be- reitgestellten Cabrios geht es ab Schwerte über die Ruhrwald- straße, die heutige B54, in die Innenstadt via Borsigplatz zum Neuen Markt, dem heutigen Friedensplatz. Hundertausende sind a uf den Beinen. Es ist der triumphalste Empfang einer deutschen Mannschaft seit 1954.

Oben: UEFA-Präsident Gustav Zu den umjubelten Wiederkehr überreicht den Helden gehört auch Pokal an Wolfgang Paul. BVB-Fan Moses Unten: Die Ruhrwaldstraße Lenz, im Auto in (heute bekannt als Ruhrallee der weißen Jacke. bzw. B54) am 6. Mai 1966.

159 0 Neuer Trainer, neue Mannschaft +++ Mit jungen Spielern zum 2 Erfolg +++ Der jüngste Meister der Bundesligageschichte +++ Kantersieg gegen die Bayern im Pokalfinale +++ Das erste Double der Vereinsgeschichte bis +++ Wunder gegen Málaga 8 +++ Ein deutsches Champions- League-Finale +++ Batman und Robin +++ Synchron- 0 Wettrutschen im Pokal +++ Der 20 Bessermacher Jürgen Klopp 15 Die Ära Jürgen Klopp

bis

369 Neuzugang: Der 21-jährige kommt für 4,5 Mio. Euro aus Posen.

2010/11: Der ganz große Triumph wie Nelson Valdez, der dem spanischen Erstligisten Hércules Alicante 3,5 Mio. Euro wert war. Die verbliebenen Lohnkosten Vor der Saison 2010/11 wurde die Offensive verstärkt. Von der Mannschaft addierten sich auf bescheidene 35 Mio. Euro Lech Posen kam der 21-jährige Robert Lewandowski, in der per annum, weniger als ein Drittel dessen, was der FC Bayern Vorsaison mit 18 Treffern Torschützenkönig seiner Heimat. für sein Personal zahlte. Der BVB überwies 4,5 Mio. Euro für den Polen. Läppische Als Jürgen Klopp angesichts des weiter verjüngten Ensem- 350.000 Euro kostete der nur 63 Kilo schwere, ebenfalls erst bles vom Kicker gefragt wurde, ob ihm ein Team mit „fertigen“ 21-jährige Japaner , der vom japanischen Erst- Spielern nicht lieber wäre, verwies er auf die nach langen Ver- ligisten Cerezo Osaka in die Bundesliga wechselte. Viele Jahre letzungen in den Kader zurückgekehrten Akteure Sebastian galten Asiaten im Allgemeinen als körperlich zu schwach für Kehl (30) und Tamás Hajnal (29). Doch Kapitän Kehl verletzte den robusten europäischen Fußball. Doch das Spiel hatte sich erneut schwer und konnte nur in sechs von 34 Spielen sich an der Spitze verändert. Im Zeichen zusehends engerer mitwirken – und auch in diesen im Schnitt nur 40 Minuten. Räume und wachsenden Tempos war eine Nachfrage nach Und Tamás Hajnal wurde im Januar 2011, ohne auch nur einen technisch starken und wendigen Spielern entstanden. Einsatz bestritten zu haben, an den VfB Stuttgart abgegeben. Noch drei Jahre jünger als der Pole und der Japaner war Für den dauerverletzten Kehl übernahm Keeper Roman Mittelfeldspieler Mario Götze, der aus der eigenen Jugend zum Weidenfeller die Kapitänsbinde, mit 29 Jahren der Senior Profikader stieß und bereits in der Vorsaison fünfmal mitki- der Stammelf. Der Umbau der Mannschaft schritt weiter vo- cken durfte. Götze wie Kagawa waren auf der sogenannten ran, auch forciert durch verletzungsbedingte Ausfälle. In der Halbstürmer-Position zu Hause, in jener schwer zu beschrei- Stammelf der Saison 2010/11 standen mit Weidenfeller, Subo­ benden Rolle, die beim FC Barcelona Lionel Messi bekleidete. tic und Sahin nur drei Spieler, die in Klopps erster Saison Kagawa operierte mehr hinter der Spitze, Götze kam über die 2008/09 zum Stammpersonal gezählt hatten. rechte Seite. Beide Spieler verkörperten die taktische Weiter- Freude am Laufen hatten die Borussen bereits in der Sai- entwicklung des Fußballs. Die „Doppel-Sechs“, bestehend aus son 2009/10 demonstriert. Sebastian Kehl forderte nun eine einem mehr defensiven und einem mehr offensiven Akteur, Weiterentwicklung: „Wir müssen versuchen, im Aufbau etwas „killte“ den klassischen „Zehner“ bzw. schob ihn näher an die ruhiger zu sein, mal das Tempo herauszunehmen und Geduld einzige Sturmspitze heran, während auf der Seite der klassi- zu wahren. Das sind Dinge, die uns helfen, im Abschluss kalt- sche Mittelfeldaußen vom nachstürmenden Außenverteidiger schnäuziger zu sein und mehr Tore zu schießen.“ Im Spiel nach vorne, vor allem aber nach innen und auf eine „Halbstür- gegen den Ball überragend, sah „den größten mer“-Position gedrängt wurde. Der „neue Zehner“ und der Nachholbedarf“ im Spiel mit dem Ball. Bei einer Leserumfrage „neue Außen“ mussten deshalb auch Tore schießen können. des Kickers prognostizierten 57 Prozent den Titelverteidiger Abwehrspieler Lukasz Piszczek (25) kam vom Bundesli- FC Bayern als neuen Meister. Borussia kam dank 5,5 Prozent gaabsteiger Hertha BSC und war nach Blaszczykowski und Gutgläubiger auf Platz fünf. Lewandowski nun der dritte Pole im BVB-Team. Als zweiten Zum Saisonauftakt empfing der BVB mit Bayer Leverku- Torwart holte man für 600.000 Euro den 21-jährigen Austra- sen das Team, das vielleicht mit dem besten Kader in diese lier von Melbourne Victory. Den BVB ver- Spielzeit ging. Die Gäste gewannen mit 2:0, wobei die Partie ließen u. a. Tinga, der ablösefrei in die brasilianische Heimat zwischen den Minuten 19 und 22 entschieden wurde. Zu- zu Internacional Porto Alegre ging, Ersatzkeeper , nächst traf Barnetta für Bayer, nur zwei Minuten später lag der für 300.000 Euro zurück zum VfB Stuttgart wechselte, so- der Ball auch im Leverkusener Netz, doch Schiedsrichter

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Meyer verweigerte Kehls Treffer fälschlich die Anerkennung. Borussen in dieser Saison. schlug zweimal zu, Stattdessen folgte im direkten Gegenzug der K.-o.-Schlag, als Nuri Sahin glänzte dreimal als Vorbereiter. Derdiyok Weidenfeller zum 2:0 überwand. Am 7. Spieltag kam mit dem FC Bayern der amtierende Was wohl niemand zu diesem Zeitpunkt ahnte: Die Meister in den Signal Iduna Park. Der FCB rangierte zu die- nächste Niederlage des BVB sollte es erst 16 Spiele später zu sem Zeitpunkt bereits sieben Punkte hinter dem BVB, was besichtigen geben, am letzten Spieltag der Hinrunde. Und man aber weder in München noch in Dortmund so richtig zwei Gegentore kassierte die BVB-Abwehr sogar erst wieder ernst nahm. 80.720 Zuschauer sorgten erstmals in dieser am 33. Spieltag, als die Saison bereits gelaufen war. Saison für ein ausverkauftes Haus. Der erste Durchgang ging Eine stark verbesserte, vor allem aber im Vergleich zum an die Bayern. Der Pausenstand von 0:0 war aus Dortmunder Auftaktspiel erstaunlich reif wirkende Borussia gewann am Sicht etwas glücklich. Nach dem Wiederanpfi ff ging der BVB 2. Spieltag beim VfB Stuttgart mit 3:1. Der junge Mario Götze engagierter zur Sache. In der 52. Minute gelang Barrios mit schoss dabei sein erstes Bundesligator. Der Torschütze war einem noch von Badstuber abgefälschten Schuss die 1:0-Füh- einer von sieben Jungs in der Startformation, die 22 Jahre rung. Acht Minuten später markierte der erneut starke Sahin oder jünger waren. mit einem perfekt gezirkelten Freistoß das 2:0 für den BVB, Nach einem hochverdienten 2:0-Sieg daheim gegen den was auch der Endstand war. VfL Wolfsburg (Chancenverhältnis: 13:1) ging es zum Derby Nach einem 2:1-Sieg am 8. Spieltag beim 1. FC Köln er- „auf Schalke“. Der BVB verließ die Turnhalle auf dem Berger klommen die Borussen erstmals nach 3.068 Tagen wieder die Feld mit einem souveränen 3:1-Sieg, der in Anbetracht eines Tabellenspitze. Der vielumjubelte Siegtreffer fi el erst in der Chancenverhältnisses von 13:2 noch moderat ausfi el. Zweifa- 91. Minute. Torschütze Sahin: „Dass wir auch in der 90. Mi- cher Torschütze war der überragende Kagawa (20./58.), das nute noch mal so zurückkommen, ist der nächste Schritt in dritte Tor erzielte mit dem eingewechselten Lewandowski einer Entwicklung, die wir durchgemacht haben. Letztes Jahr (86.) ein weiterer Neuzugang. hätten wir so einen Angriff in der Nachspielzeit vielleicht Schuss ins Nächstes Opfer der Dortmunder Spiellaune wurde am nicht mehr zu Ende gespielt.“ Glück: Nuri 5. Spieltag Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern, der im Signal Einen Spieltag später musste der BVB die Tabellenführung Sahin trifft mit Iduna Park mit 5:0 überfahren wurde, dem höchsten Sieg der allerdings an Mainz 05 abgeben, denn im Heimspiel gegen einem perfekt getretenen Freistoß zum 2:0 gegen die Bayern.

377 die TSG Hoffenheim reichte es nur zu einem 1:1-Remis. Der nierten Klopps Mannen erneut mitreißend, mussten sich aber 10. Spieltag führte den BVB dann nach Mainz, also an Klopps am Ende mit einem Remis begnügen (1:1). Die Konkurrenz alte Wirkungsstätte. Das Duell der beiden leidenschaftlichs- schöpfte Hoffnung, als dem Verlust von zwei Punkten auch ten Mannschaften der Liga endete mit einem 2:0-Sieg für den noch die Nachricht von einer schweren Verletzung Kagawas BVB (Tore: Götze/26., Barrios/67.) und der Rückeroberung der folgte. Im Halbfinale des Asien-Cups zwischen Japan und Süd- Tabellenführung. korea hatte sich der auffälligste Spieler der Hinrunde den Am 15. Spieltag feierten die BVB-Fans nach einem 2:0-Sieg rechten Mittelfuß gebrochen und fiel damit bis zum Saison- beim 1. FC Nürnberg den vorzeitigen Klassenerhalt und die ende aus. vorzeitige Herbstmeisterschaft. Der Sieg war der achte beim achten Auswärtsauftritt, was bis dahin noch keiner Mann- „Wir können und wollen schaft in der Bundesliga gelungen war. Zum letzten Heimspiel des Jahres 2010 kam Werder Bre- Meister werden“ men in den Signal Iduna Park. Das Team von Borussias Antwort bestand in einem souveränen 3:0 beim VfL spielte eine schwache Saison, hatte aber in Dortmund einen Wolfsburg, zugleich der zehnte Auswärtssieg in dieser Saison. seiner besseren Auftritte, doch am Ende behielt der BVB Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung überschrieb ihren durch Tore von Sahin und Kagawa mit 2:0 die Oberhand. 14 Spielbericht mit: „Wunderbare Leichtigkeit“. Die Borussen Siege in den ersten 16 Spielen waren neuer Bundesligarekord. seien mit „traumhaftem Fußball (…) zu einem 3:0-Triumph“ Mit 43 Punkten im Gepäck fuhr der BVB zum letzten Hin- stolziert. Der schwarz-gelbe Auftritt sei „absolut fehlerfrei rundenspiel nach Frankfurt. Nur ein Zähler trennte die Borus- und eines Meisters würdig“ gewesen. Wolfsburgs Kapitän sen von der Liga-Bestmarke, die die Bayern in der Hinrunde Marcel Schäfer meinte, der BVB spiele in dieser Saison „in 2005/06 aufgestellt hatten. Doch die Runde endete, wie sie einer anderen Liga“. begonnen hatte: mit einer Niederlage (0:1). Dem BVB steckte Am folgenden Freitagabend trafen sich Borussia Dort- wohl noch das Europa-League-Spiel beim FC Sevilla in den mund und Schalke 04 zum 137. . Vor dem Anpfiff Knochen, wo man unter der Woche höchst intensive 90 Minu- hatten die Schwarz-Gelben genau doppelt so viele Punkte auf Bilder rechte Seite: ten bestritten hatte, die mit einem 2:2-Remis und dem Aus der ihrem Konto wie der Rivale (50:25). Der BVB erarbeitete sich Borussen endeten. Um die K.-o.-Runden zu erreichen, hätte ein Chancenverhältnis von 10:2, scheiterte aber wiederholt an Pure Freude: der BVB in Andalusien gewinnen müssen, scheiterte hier aber Schalkes überragendem Keeper , sodass man Der Siegtreffer in auch an seinem Mangel an internationaler Erfahrung. sich nach 90 Minuten mit einem torlosen Remis begnügen der Nachspielzeit Obwohl der BVB mit einem satten Zehn-Punkte-Vorsprung musste. in Köln gegen den auf Mainz und Leverkusen in die Winterpause ging, machte Auch auf dem Lauterer Betzenberg kam man über eine FC bedeutet die Tabellenführung. sich die Konkurrenz noch Hoffnungen. Die Borussen schie- Punkteteilung (1:1) nicht hinaus. Auf einem Geläuf, das nen ein wenig aus dem Tritt geraten zu sein, und der Rück- „einem westpfälzischen Kartoffelacker nach der Ernte glich“ Im Stile einer rundenauftakt führte sie in die Leverkusener BayArena. Dem (Frankfurter Rundschau), blieben flotte Kombinationen Man- Spitzenmann- Team von , das dem BVB am 1. Spieltag eine gelware. In der 85. Minute ließ sich Lauterns Lakic im Laufdu- schaft gewinnt bittere, vor allem aber lehrreiche Niederlage zugefügt hatte, ell auf Subotic fallen, der dafür Gelb-Rot sah. Es war der erste die Borussia den Rückrun- traute man noch am ehesten zu, dem Spitzenreiter auf den Platzverweis gegen den BVB seit 57 Spielen und der einzige, denauftakt in Leib zu rücken. Bayer versprach der Liga, das Meisterschafts- den die Borussen in dieser Saison kassierten – und es war Leverkusen. rennen durch einen Sieg wieder offen zu gestalten. Im fernen eine krasse Fehlentscheidung. Subotic war in dieser Saison Hier trifft Kevin München prophezeite Mark van Bommel gar, dass Borussias auch für die einzige Gelbsperre gegen den BVB verantwort- Großkreutz zum 14-Punkte-Vorsprung auf die Bayern bis Ende Februar auf ma- lich, der am Ende die Fairplay-Tabelle anführte. wichtigen 1:0. ximal vier schmelzen werde. Weiter ging es daheim gegen den späteren Absteiger St. Unterstützt von einer großen und bestens gelaunten Pauli, gegen den man nach einer leidenschaftlichen, schwung- Fangemeinde, begann der BVB an einem Freitagabend in vollen und offensiven Vorstellung hochverdient mit 2:0 die der BayArena im Stil einer Heimmannschaft. Bereits beim Oberhand behielt. Erneut war einzig die Torausbeute zu be- Halbzeitpfiff hätte er in Führung liegen müssen. Nach dem mängeln. 28-mal schoss der BVB auf das gegnerische Tor, so Wiederanpfiff legten die Borussen noch eine Schüppe drauf. häufig wie in keinem anderen Spiel in dieser Saison. Binnen sechs Minuten wurde Bayers Abwehr niedergerannt, Vor dem 24. Spieltag lag der FC Bayern zwar bereits 13 niedergespielt und dreimal überwunden. In der 49. Minute Punkte hinter dem BVB, blies aber nach einem 4:0 gegen Hof- traf Großkreutz, an diesem Abend der beste Mann auf dem fenheim und einem 3:1 bei Mainz 05 noch einmal zum Angriff Platz, zum 1:0. Vier Minuten später war es erneut Großkreutz, auf die Spitze. Für Uli Hoeneß war ein Sieg über den BVB bloße der Bayer-Keeper Adler überwand und dabei Abgeklärtheit Formsache. Ein „Unentschieden oder eine Niederlage“ seien sowie überragende Schusstechnik bewies. Der Dortmunder „völlig ausgeschlossen“, ließ der Bayern-Boss wissen. Hoeneß Jubel hatte sich noch nicht gelegt, da erzielte Götze nur zwei prognostizierte einen Sieg mit zwei Toren Unterschied. Für Minuten später das 3:0. Der BVB schaltete nun einen Gang Karl-Heinz Rummenigge durfte es noch etwas mehr sein: „Ich zurück, sodass Bayer besser ins Spiel kam. Als Kießling in der gewinne auch gern höher.“ Jürgen Klopp musste eine zentrale 80. Minute auf 1:3 verkürzen konnte, schwammen die Borus- Position neu besetzen: Keeper und Kapitän Roman Weiden- sen ein bisschen, ohne dass der Sieg noch ernsthaft in Gefahr feller, der bis dahin in 23 Spielen erst 13 Tore kassiert und geriet. Es war nicht nur das pure Ergebnis, das die Fußball-Öf- dabei elfmal zu null gespielt hatte, hatte sich im Training bei fentlichkeit beeindruckte. Noch mehr war es die souveräne einem Zusammenprall mit Mats Hummels verletzt. Für ihn Art, in der der Sieg beim ärgsten Verfolger erspielt wurde. rückte der junge Mitchell Langerak zwischen die Pfosten und Am 19. Spieltag gingen die Borussen zum 100. Mal in war damit nach Eike Immel (1978) und „Teddy“ de Beer (1986) ihrer Geschichte als Tabellenführer in ein Bundesligaspiel. Im der dritte BVB-Keeper, der ausgerechnet gegen den FC Bay- ersten Rückrunden-Heimspiel gegen den VfB Stuttgart kombi- ern debütierte. Langeraks Einsatz drückte den Altersdurch-

378 2008-2015 schnitt weiter: Beim Anpfiff in der Münchner Allianz Arena Götze getretenen Eckstoß höher als die Bayern-Abwehr und stand eine Elf mit dem Durchschnittsalter von 22,3 Jahren auf hämmerte den Ball per Kopf ins obere linke Toreck zum 3:1. dem Rasen – die jüngste in der Geschichte des BVB und die Als der souveräne Debütant Mitchell Langerak in der 76. Mi- zweitjüngste in der Geschichte der Liga. nute einen Gomez-Schuss reaktionsschnell aus dem rechten Im Duell der besten Heim- gegen die beste Auswärtsmann- unteren Toreck fischte, war die Partie gelaufen. schaft behielt Letztere die Oberhand. In der 9. Minute verlor Die letzten Minuten in der Allianz Arena durfte auch noch Schweinsteiger in der eigenen Hälfte den Ball. Die Borussen der viele Monate verletzte Kapitän Sebastian Kehl mitwirken. schalteten blitzschnell auf Angriff um. Großkreutz trieb den Für Kehl war es sein erstes Bundesligaspiel seit September Ball nach vorne und spielte einen gescheiten Gassenpass, den 2010. Und für den BVB der erste Sieg bei den Bayern seit dem Barrios am herausstürzenden Bayern-Torwart Thomas Kraft 12. Oktober 1991 bzw. 18 erfolglosen Reisen (12 Niederlagen, vorbei zum 1:0 versenkte. In der 15. Minute gelang Luiz Gus- 6 Remis) und damit das Ende der längsten Negativserie in der tavo nach einem Eckstoß zwar der Ausgleich, aber nur drei Vereinsgeschichte. Minuten später erzielte Sahin mit einem Schlenzer ins linke Borussias Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Bayer Le- obere Toreck die erneute Führung für die Gäste. Wieder verkusen betrug nun bei zehn noch ausstehenden Partien waren dem Treffer ein Ballverlust der Bayern und ein blitz- zwölf Punkte. Hans-Joachim Watzke sah den BVB „an einem schnelles Umschalten der Borussen vorausgegangen. In der Punkt, an dem wir sagen können: Wir können und wollen zweiten Halbzeit lief der Ball vorwiegend in den Reihen der Meister werden“. Bayern, ohne dass sich daraus viel Zwingendes ergab. Die Thomas Tuchels Mainz 05 war zwar mittlerweile auf Weltklasse-Außen und Franck Ribéry blieben Platz fünf zurückgefallen, aber unverändert ein unbequemer wirkungslos, da sie sich stets zwei, manchmal sogar drei Gegner. Am 27. Spieltag musste er in Dortmund antreten. In Schwarz-Gelben gegenübersahen. Erstmals seit seiner An- einem äußerst intensiven Spiel zweier extrem pressender kunft in der Bundesliga im August 2008 kam Arjen Robben Mannschaften waren Torraumszenen Mangelware und be- Wie Messi: zu keinem Torschuss. Dafür schraubte sich in der 60. Minute schworen vorrangig Standardsituationen Gefahr herauf. So Mario Götze der vom FC Bayern verschmähte Hummels nach einem von fiel Borussias Führung in der 8. Minute, zugleich die erste allein gegen – und zum 1:1-Ausgleich.

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Chance der Schwarz-Gelben, nach einem Freistoß. Den von in München im Signal Iduna Park die Partie gegen den SC Götze getretenen Ball verlängerte Hummels per Kopf zum 1:0. Freiburg angepfi ffen wurde, herrschte folglich Hochstimmung. In der 19. Minute lief Barrios allein auf Mainz-Keeper Chris- Der BVB gewann durch Tore von Götze (23.), Lewandowski tian Wetklo zu, der mit angezogenen Knien in den Torjäger (43.) und Großkreutz (78.) souverän mit 3:0. Vier Spieltage vor hineinsprang. Den von Sahin getretenen fälligen Strafstoß Saisonschluss betrug Borussias Vorsprung somit acht Punkte. faustete Wetklo zur Seite, womit Borussias Spielmacher zum Der BVB hätte also schon am 31. Spieltag Meister wer- dritten Mal in Folge vom Punkt aus gescheitert war. den können. Doch daraus wurde nichts. Beim Tabellenletzten So blieb es bei einer knappen 1:0-Führung, die bis zur Mönchengladbach kassierte man trotz eines Chancenverhält- 89. Minute Bestand hatte. Bei einem Mainzer Angriff bekam nisses von 8:3 (einschließlich zwei Aluminiumtreffern) eine dann Subotic den Ball in den Unterleib und blieb vor dem 0:1-Niederlage. Währenddessen schlug Bayer die TSG Hoffen- 16-Meter-Raum liegen. Die vor ihm postierten Mitspieler be- heim mit 2:1, sodass Borussias Vorsprung drei Spieltage vor merkten dies nicht und leiteten einen Gegenangriff ein, verlo- Saisonende wieder nur noch fünf Punkte betrug. ren dabei aber den Ball an die Mainzer, die keinerlei Anstalten Ein Wochenende später empfi ng der BVB den 1. FC Nürn- machten, den Ball ins Aus zu befördern. Stattdessen fl ankte berg, während Leverkusen zum rheinischen Derby nach Köln Marcel Risse vor das Dortmunder Gehäuse, wo Petar Slisko- musste. Borussias Offensivspiel kam zunächst nicht ins Lau- vic genau dort stand, wo Subotic fehlte, und Weidenfeller zum fen. In der ersten halben Stunde blieb der BVB vergleichs- Ausgleich überwand. Zum ersten Mal in dieser Saison war der weise chancenlos. In der 32. Minute wehrte Nürnbergs Tor- BVB nach seiner 0:1-Niederlage in Hoffenheim eine Woche zu- wart Raphael Schäfer einen Schuss von Götze zu kurz ab. Der vor in zwei aufeinanderfolgenden Spielen sieglos geblieben. Ball fi el vor die Füße von Barrios, der sich die Chance zum Da Bayer Leverkusen Schalke mit 2:0 bezwang, schmolz der 1:0 nicht nehmen ließ. Borussia spielte nun befreiter. In der Vorsprung des Tabellenführers auf sieben Punkte. 43. Minute landete ein langer und hoher Ball bei Lewandow- ski, der Schäfer mit einem sehenswerten Lupfer zum 2:0 über- Der jüngste Meister der wand. Bei diesem Spielstand blieb es bis zum Abpfi ff. Die Tore fi elen dafür nun in Köln, wo man torlos in die Bundesligageschichte Halbzeit gegangen war. In der 67. Minute schoss Novakovic Am 28. Spieltag kam Hannover 96 in den Signal Iduna Park die Hausherren in Führung. Als derselbe Spieler eine Viertel- und störte dort fast eine Stunde lang erfolgreich das Borus- stunde später auf 2:0 erhöhte, ließ Borussias Stadionsprecher sen-Spiel. Gegen forsche und spritziger wirkende Niedersach- Norbert Dickel seiner Begeisterung freien Lauf. Um 17:18 Uhr sen war von Leichtigkeit und Spielfreude zunächst nichts zu war es amtlich: Nach 32 Spieltagen hieß der 100. Deutsche spüren. In der 57. Minute erzielte Abdellaoue das Führungstor Meister Borussia Dortmund. für die Gäste, wobei die Dortmunder Abwehr schläfrig wirkte. erklärte die Meisterschaft mit Blick auf die Auf den Rängen machte sich lähmendes Entsetzen breit – aber wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die Altersstruktur nur für zwei Minuten und 14 Sekunden. Dann brachte Bo- der Mannschaft – mit einem Durchschnittsalter von nur 24,2 russias Jüngster den Tabellenführer zurück ins Spiel. Mario Jahren war der BVB der jüngste Titelträger aller Zeiten – zur Götze umkurvte im Stil eines Lionel Messi gleich vier Gegen- „größten Leistung in der Vereinsgeschichte“. Der Sportdirek- spieler und schob mit Unterstützung des 96ers Haggui zum tor über den Unterschied zur Meisterelf von 2002: „Man kann Ausgleich ein. Anschließend war der BVB wie verwandelt das nicht miteinander vergleichen. Damals hatte der Verein und spielte wieder jenen Fußball, an dem sich nicht nur die einen anderen Etat und eine andere Philosophie. Die Spieler schwarz-gelbe Fangemeinde so oft in dieser Saison berauscht kamen aus internationalen Ligen, da waren ja Weltklassespie- hatte. Die 96er wurden nun nach allen Regeln der Fußball- ler dabei: Rosicky, Koller, Amoroso, Kohler, Reuter. Damals kunst auseinandergenommen. In der 64. Minute erzielte war auch die Erwartungshaltung eine andere.“ der bis dahin eher unglücklich agierende Barrios nach einer Der Titel wurde vor allem in der Hinrunde gewonnen, wo Flanke von Piszczek mit einem knallharten Kopfball die Füh- der BVB von 51 möglichen Punkten 43 ergatterte – zehn mehr rung (64.) Das Stadion explodierte. In der 73. Minute war Bar- als der spätere Vizemeister Leverkusen und 14 mehr als der rios erneut zur Stelle und erhöhte nach toller Vorarbeit von spätere Dritte FC Bayern. In der Rückrunde kamen die Borus- Götze auf 3:1. Beim 4:1 agierte der Torjäger dann als Vorbe- sen „nur“ auf 32 Punkte, also elf weniger als in der Hinrunde, reiter, als er zum zweiten Mal in dieser Saison mit der Hacke aber auch nur drei bzw. vier weniger als „Rückrunden-Meis- aufl egte, diesmal dem in den Sechzehner hineinstürmenden ter“ FC Bayern und „Rückrunden-Vize“ Leverkusen. Großkreutz, der Fromlowitz mit einem technisch perfekten Mit 22 Treffern kassierte der BVB mit großem Abstand die Schuss ins lange Eck keine Chance ließ. wenigsten Gegentore. Nur einmal seit Einführung der Bundes- Der folgende Gegner Hamburger SV rief den 29. Spiel- liga, in der Saison 2007/08, gewann eine Mannschaft mit noch tag zum Endspiel im Kampf um einen Platz im europäischen weniger Gegentoren den Titel. Und nur der FC Bayern schoss Wettbewerb aus. In der 39. Minute ging der HSV durch einen mit 81 mehr Tore als der BVB, der 67-mal traf. Es hätte deut- von Ruud van Nistelrooy verwandelten Strafstoß in Führung. lich häufi ger sein können, hätten die Borussen nicht 22-mal Dem BVB drohte bis zur 92. Minute die zweite Rückrunden- Pfosten oder Latte getroffen und fünf Strafstöße versemmelt. niederlage, dann hämmerte Blaszczykowski den Ball zum Das Glück musste diese Mannschaft auf ihrem Weg zum Titel hochverdienten Ausgleich in das Hamburger Tor. Dennoch jedenfalls nicht strapazieren. Michael Zorc: „Wenn wir unsere schmolz durch das Unentschieden der Vorsprung vor Bayer Chancen im Abschluss besser realisiert hätten, wären wir mit Leverkusen auf fünf Punkte. 20 Punkten Vorsprung Meister geworden.“ Der Kicker schrieb Eine Woche später konnte der BVB wieder durchatmen. über die schwarz-gelbe Meisterelf von 2011: „Eine Mannschaft Borussia und Bayer hatten Sonntagsspiele. Die Leverkusener aus bescheidenen, bodenständigen und stressresistenten jun- mussten beim FC Bayern vorlegen, kamen aber mit 1:5 mäch- gen Spielern entwickelte die Wucht einer Naturgewalt, der tig unter die Räder. Als eine Viertelstunde nach Spielschluss niemand gewachsen war.“

381 Deutscher Meister 2011: Nur der BVB!

26. FEBRUAR 2011, ALLIANZ ARENA, BUNDESLIGA, 24. SPIELTAG FC BAYERN MÜNCHEN – BORUSSIA DORTMUND 1:3 (1:2) Meisterliches Wetterleuchten in München

Trainer: Klopp Notgedrungen startet in München die jüngste Mannschaft, Langerak die der BVB in der Bundesliga jemals aufgeboten hat. Durch Piszczek Subotic Hummels Schmelzer den Ausfall von Stammkeeper , der we-

S. Bender Sahin*** gen einer Knieverletzung pausieren muss, kommt Mitchell Langerak zu seinem ersten Liga-Einsatz für den souveränen Lewandowski Götze Großkreutz** Tabellenführer aus Dortmund. Der junge Australier senkt das Barrios* Durchschnittsalter auf 22,3 Jahre. Gomez Die Bayern, die nach Punkten deutlich hinter den Dort- mundern zurückliegen, sehen im direkten Aufeinandertref- Ribéry Müller*** Robben fen die letzte Chance, das Blatt noch zu wenden, und geben Pranjic Schweinsteiger sich betont siegesgewiss: „Keine Chance“ habe der BVB in der Allianz Arena, erklärt Uli Hoeneß. Verunsichert sind die Klop- Luiz Gustavo** Badstuber* Tymoshchuk Lahm po-Jungs dadurch jedoch keinesfalls. Sie beginnen aggressiv und konzentriert. Lewandowski gefährdet schon in der 4. Mi- Kraft nute erstmals das Münchner Tor. Fünf Minuten später ver- tändelt der nachlässige Schweinsteiger den Ball gegen Groß- Trainer: van Gaal *74. Blaszczykowski, **82. Da Silva, ***89. Kehl kreutz; der startet durch, Barrios hängt Badstuber ab, wird *46. Breno, **58. Kroos, ***78. Klose perfekt bedient und vollendet souverän aus sieben Metern ins lange Eck zum 0:1. SCHIEDSRICHTER: Gräfe (Berlin) TORE: 0:1 Barrios (9.), 1:1 Luiz Gustavo (15.), 1:2 Sahin (18.), 1:3 Hummels (60.) GELBE KARTEN: Robben, Schweinsteiger; Lewandowski, Schmelzer, Sahin ZUSCHAUER: 69.000

… der zweite, ein toller Schlenzer von Sahin, Lucas Barrios sorgt für den ersten Streich … folgt sogleich.

Mats Hummels (ganz rechts) mit einem Kopfball, wie er im Lehrbuch steht: Das 3:1 ist die Entscheidung. 2008-2015

Nach dem 3:1-Sieg machen die designierten Meister- Profi s des BVB den Die Bayern schütteln sich und versuchen zurückzu- Hummels sich im Kopfballduell gegen den indisponierten Rasen der Allianz schlagen. Zweimal ist Müller nah dran, schließlich gelingt Schweinsteiger durchgesetzt und den Ball aus kurzer Distanz Arena zur Tanzbühne. Luiz Gustavo nach einer Ribéry-Ecke in der 15. Minute der im linken Winkel versenkt. Der Titel ist ihnen Ausgleich: Nahezu unbedrängt haut er den Ball aus kurzer Die Münchner brauchen lange Minuten, um sich vom nach dem Coup in Entfernung volley in den rechten Winkel. Doch die Münch- Schock des 1:3 zu erholen. Erst in der Schlussphase kommen München kaum noch zu nehmen. ner Freude währt kaum drei Minuten. Barrios profi tiert von sie noch einmal zu Chancen. In der 76. Minute kann der zu- einem Gomez-Fehlpass und startet einen blitzartigen Konter. verlässige Langerak bei einem Gomez-Schuss sein Können Er legt quer auf Götze, der zurück auf den an der Strafraum- zeigen, in der 81. Minute zieht ein satter Kroos-Schuss knapp kante lauernden Sahin. Der sehenswerte Schlenzer des Borus- am BVB-Gehäuse vorbei. In der 84. Minute brennt es aller- sen-Antreibers landet formschön im linken Eck. dings auf der anderen Seite. Nach einer Ecke kommt Lewan- dowski zum Kopfball, Pranjic rettet auf der Linie und kann einen noch höheren Rückstand verhindern. Das 3:1 schockt die Bayern Mehr passiert nicht, die niveauvolle Partie endet mit Nach dieser erneuten Führung der Borussen geht es rassig einem verdienten Sieg der Gäste. Nach einer langen Durst- hin und her, es entwickelt sich eine Klassepartie mit viel strecke von 18 vergeblichen Versuchen hat die Borussia end- Tempo und schönen Spielzügen. In der 28. Minute hat Thomas lich mal wieder in München gewonnen. Sie hat die Bayern Müller den erneuten Ausgleich auf dem Fuß, sein Schuss wird nicht nur im eigenen Stadion geradezu gedemütigt, sondern aber von Piszczek in letzter Sekunde abgeblockt. Auf der an- zugleich auch für eine Vorentscheidung in der Meisterschaft deren Seite scheitert Hummels an Torhüter Kraft, den Nach- gesorgt. Die Van-Gaal-Mannschaft, die nun mit 16 Punkten zu- schuss semmelt Barrios drüber (33.). Danach wird es ruhiger, rückliegt und nur noch auf Rang vier notiert ist, hat jedenfalls erst kurz vor dem Halbzeitpfi ff tauchen die Bayern wieder ge- keinerlei realistische Chancen mehr auf den Titel. fährlich im Borussen-Strafraum auf; Gomez wird jedoch von Hummels gestoppt, Schweinsteiger köpft vorbei. In der zweiten Halbzeit ziehen sich die Borussen etwas zurück. Die Bayern haben dadurch mehr Ballbesitz, brin- „Das ist ein großer Tag für uns. gen aber nicht viel Produktives zustande. Die klareren Mög- lichkeiten eröffnen sich dem BVB. In der 53. Minute kann Als Dortmund hier das letzte Mal Schweinsteiger einen Kopfball von Großkreutz, der sich nach einer Götze-Flanke im Luftduell gegen Lahm durchgesetzt hat, gewonnen hat, waren einige Spieler gerade noch von der Linie kratzen. Als Lahm vier Minuten später Großkreutz am Trikot festhält, bleibt ein möglicher Elf- von uns noch nicht auf der Welt.“ meterpfi ff aus. Zwar kann Bayern-Keeper Kraft einen Distanz- schuss von Götze entschärfen, aber kurz darauf liegt der Ball Jürgen Klopp dann doch im Netz: Götze hat eine Ecke hoch hereingebracht, (Tatsächlich: Der letzte Sieg, ein 3:0, gelang am 12.10.1991; Mario Götze beispielsweise wurde am 3.6.1992 geboren.)

385 PORTRÄT

Marcel Schmelzer

Der Linksverteidiger stammt aus Magdeburg, wo er zunächst für Fortuna und dann für den 1. FC spielte. 2005 wechselte er 17-jährig in die A-Jugend des BVB. Schmelzer war als Außenstürmer geholt worden, wurde dann aber aufgrund eines personellen Notstandes zum Verteidiger umgeschult. Zur Saison 2005/06 rückte Schmelzer in die 2. Mannschaft auf, wo er auf respektable 26 Einsätze kam. Eine Bundesliga- Nuri karriere wurde ihm aber nicht zugetraut. Schmelzers Glück hieß Jürgen Klopp, der ihn 2008/09 in den Kader Sahin der Profi s holte, wo er zunächst als Ersatzmann für den „Linksfuß“ Dede gedacht war. Als dieser sich beim Bundesligaauftakt in Leverkusen schwer verletzte, Der Mittelfeldspieler kam 2001 als Zwölfjähriger vom sauerländischen RSV bekam Schmelzer bereits am 12. Spieltag seine Meinerzhagen zum BVB. Im Mai 2005 wurde Sahin bei der U17-EM zum erste Bewährungsprobe, die er an der Seite anderer besten Spieler des Turniers gewählt. Anschließend klopften Eliteadressen Youngster – Hummels und Subotic – mit Bravour des europäischen Fußballs wie Arsenal und Manchester United beim BVB bestand. 2009/10 war Schmelzer mit 28 Bundesligaein- an. Für Arsenal-Coach Arsène Weniger war Sahin „das größte Talent unter sätzen bereits eine feste Größe im BVB-Team und hatte 18 Jahren in Europa“. Der Kicker schwärmte: „Sahin vereinigt alle Super- Dede verdrängt. In der Meistersaison 2010/11 war er lative in seiner Person, er kann ein Spiel wie eine Speisekarte lesen, er mit Kevin Großkreutz der einzige Borusse, der in allen schenkt Momente, in denen er seine Einzigartigkeit zu erkennen gibt. Fein 34 Bundesligaspielen auf dem Platz stand. justierte Pässe, perfekte Ballannahme, ein scharfes Auge.“ Michael Zorc: „Schmelle geht die Seite dynamisch Der Hochbegabte gab noch als B-Junior sein Ligadebüt. Am 6. August 2005 rauf und runter, wie es in Deutschland kein anderer war der Deutsch-Türke beim Spiel des BVB in Wolfsburg mit 16 Jahren Linksverteidiger tut und auf der Welt nicht viele.“ und 335 Tagen der bis dahin jüngste Bundesligaspieler aller Zeiten. Am Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete ihn in einem 14. Spieltag der Saison 2005/06 war Sahin dann mit 17 Jahren, zwei Monaten Resümee des Meisterjahres als „den radikalsten und 21 Tagen und seinem Treffer zum 2:1 über Nürnberg auch der jüngste Außenverteidiger seit Langem: Verbringt mehr Zeit in Bundesligatorschütze. Es folgten weitere Einträge in die Annalen: am der Hälfte des Gegners als in der eigenen.“ 2009 wurde 8. Oktober 2005 jüngster Debütant in der Nationalmannschaft der Türkei. Schmelzer mit der U21-Auswahl des DFB Europa- Die Türkei besiegte Deutschland mit 2:1. Das Siegtor markierte – 90 meister. Am 17. November 2012 war er in einem Sekunden nach seiner Einwechslung – Nuri Sahin, der damit auch jüngster Freundschaftsspiel gegen Schweden in Göteborg (0:0) Torschütze in der Geschichte der türkischen Nationalelf war. auch erstmals in der A-Nationalelf dabei, für die er bis Den jungen Borussen überrollte ein „Tsunami aus Popularität und 2016 16-mal aufl ief. Zuneigung“ (11 Freunde), er selbst fühlte sich aber bald „ausgelaugt, Vom August 2016 bis Mai 2018 war Schmelzer Kapitän seelisch und körperlich müde“. Sahins Entwicklung geriet ins Stocken, der des BVB. In der Saison 2019/20 war er der mit Abstand BVB bot ihn zur Ausleihe an, und der Spieler entschied sich für Feyenoord dienstälteste Borusse. Es war Schmelzers 15. Spielzeit Rotterdam. im schwarz-gelben Trikot. Zur Saison 2008/09 war Sahin zurück in Dortmund. Die Re-Integration in die Bundesliga gestaltete sich zunächst schwierig. Doch in der Rückrunde ✱ 22. Januar 1988 2008/09 avancierte er zu einer festen Größe in Jürgen Klopps Team. Als Sahin 2010/11 mit dem BVB Meister wurde, war er 22-jährig bereits in seinem sechsten Profi jahr. Sahin bildete mit Sven Bender eine geniale „Doppel-Sechs“, bei der der Deutsch-Türke den offensiven Part übernahm. Der Kicker und die Spielervereinigung VdV kürten Sahin zum „Spieler der Saison“. Bei einem Empfang im Dortmunder Rathaus bekam er die deutsche Staatsbürgerschaft verliehen. Im Sommer 2011 wechselte Sahin zu Real Madrid, wo er einen Sechsjahres- vertrag unterschrieb. In Madrid verpasste er verletzungsbedingt einen Großteil der Saisonvorbereitung und wurde nicht glücklich. Im August 2012 ließ er sich zum FC Liverpool ausleihen, wo er sich aber ebenfalls nicht durchsetzen konnte. Im Januar 2013 kehrte Sahin zu seiner alten Liebe BVB zurück. Ende August 2018 wechselte er zu Werder Bremen. Der 52-fache türkische Nationalspieler ist im Nebenjob Co-Trainer seines Heimatvereins RSV Meinerzhagen, der in der Saison 2018/19 in die Oberliga aufstieg.

✱ 5. September 1988

386 2008-2015 PORTRÄT

Shinji Kagawa

Der offensive Mittelfeldspieler kam zur Saison 2010/11 vom japanischen Erst- ligisten Cerezo Osaka. Kagawa, der den BVB nur eine Ausbildungsentschädigung von 350.000 Euro kostete, erwies sich in sportlicher wie fi nanzieller Hinsicht als Volltreffer. Im Dortmunder Gegen- pressing zeigte er ein gutes Gefühl für das Schließen der Räume im Zentrum. Technisch exzellent, leichtfüßig und enorm wendig, fand der nur 1,72 Meter große Japaner auch noch auf engstem Raum Lösungen. Mit beiden Füßen stark, Sven war Kagawa zudem torgefährlich, so u. a. am 4. Spieltag der Saison 2010/11 „auf Bender Schalke“, als er zwei Tore zum 3:1-Sieg des BVB beisteuerte. Die Dortmunder Trefferquote des Mittelfeldmannes betrug Der defensive Mittelfeldspieler kam zur erstaunliche 43 Prozent und war eines Saison 2009/10 vom Zweitligisten TSV 1860 Lukasz überdurchschnittlichen Stürmers würdig. München zum BVB. Zwillingsbruder Lars Die Süddeutsche Zeitung schwärmte: wechselte zum gleichen Zeitpunkt zum Liga- Piszczek „Shinji Kagawa schwebt wie ein konkurrenten Bayer Leverkusen. Bis dahin Schmetterling über den Rasen und sticht spielten die Zwillinge stets zusammen: wie eine Biene.“ zunächst beim TSV Brannenburg (1993 bis Der Pole kam zur Saison 2010/11 vom 2012 wurde Kagawa Asiens internationaler 1999), dann bei der SpVgg Unterhaching Bundesligaabsteiger Hertha BSC. In Berlin „Fußballer des Jahres“. Im Sommer 2012 (1999 bis 2002) und dem TSV 1860 München war Piszczek zunächst im linken Mittelfeld wechselte er für eine Ablöse von 15 Mio. (2003 bis 2006). Sven kam im Tausch mit und im Sturm eingesetzt worden, bevor ihn Euro zu Manchester United, wo er sich Antonio Rukavina zum BVB. Als Ersatzmann Trainer Lucien Favre zum rechten Außenver- bessere internationale Perspektiven für den verletzten Sebastian Kehl bewies teidiger umschulte. Beim BVB fi rmierte die erhoffte, was sich allerdings als Fehl- er auf Anhieb seine außergewöhnlichen Neuverpfl ichtung zunächst als Ergänzungs- einschätzung erwies. In zwei Spielzeiten Qualitäten im defensiven Mittelfeld. Bender spieler. Als sich Patrick Owomoyela schon kam er nur auf 38 Einsätze (6 Tore) in bestach durch eine disziplinierte Spielweise, früh verletzte, nutzte Piszczek seine Chance der Premier League. Ende August 2015 hohe Laufbereitschaft, häufi ge Ball- und avancierte auf der rechten Abwehrseite kehrte er zurück zum BVB. Im August eroberung, sauberes Passspiel, Effi zienz zu einer festen Größe im Meisterteam. In der 2019 wechselte Kagawa zum spanischen und Spielintelligenz und wurde damit zum Defensive agierte „Pischo“ stets konsequent Zweitligisten Real Saragossa. Für Japan idealen Partner des vor ihm postierten und überlegt, und in der Offensive wurde er als spielte Kagawa bislang 95-mal (31 Tore) Nuri Sahin. Zweikämpfe bestritt er antrittsschneller Dampfmacher mit unermüd- und war bei den WM-Turnieren 2014 und kompromisslos – mit entsprechend häufi gen lichem Vorwärtsdrang zu einer enorm 2018 dabei. Verletzungsfolgen –, unfair aber wurde er wirkungsvollen Antriebsfeder des BVB-Spiels. dabei nur selten. Die Süddeutsche Zeitung Am Ende der Saison 2010/11 hatte er 33 Spiele ✱ 17. März 1989 charakterisierte den Nationalspieler als und sieben Torvorlagen auf dem Konto. „Balleroberungs-Monster“. Jürgen Klopp Im Sommer 2013 entschloss er sich zu einer pries Benders „Charakter und die Bereit- lange aufgeschobenen Hüftoperation. Nach schaft, sich komplett zu verausgaben“. 2008 seinem Comeback im November fand er bald wurde Bender mit der DFB U19-Europa- zu alter Stärke zurück und war wieder einer meister. Während seiner Zeit beim BVB der offensivstärksten und dynamischsten kam er siebenmal in der A-Nationalelf zum Außenverteidiger der Liga. Einsatz. Im Sommer 2017 wechselte Bender Die Saison 2019/20 war bereits die zehnte des nach 328 Pfl ichtspielen für den BVB zu Bayer polnischen Nationalspielers beim BVB. Leverkusen, wo er nun wieder gemeinsam mit seinem Bruder Lars kickte. ✱ 3. Juni 1985

✱ 27. April 1989

387 ENTSCHEIDEND IST

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