Martin Pfleiderer (Hamburg) Riddim & Sound. Dub Reggae Und
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
Martin Pfleiderer (Hamburg) Riddim & Sound. Dub Reggae und Entwicklungen der neueren Popularmusik Während der Einfluss des jamaikanischen Ska und Reggae auf die englische und afroarnerikanische Musikszene in der Popmusikfor- schung seit längerem gewürdigt wird (vgl. Hebdige 1987, S. 90ff; Fernando 1994, S. 43ff), fand der um 1970 entstandene Dub Reg- gae in diesem Zusammenhang bisher nur am Rande Erwähnung. Sowohl bei musikalischen Gestaltungsmitteln als auch bei typi- schen Produktionsverfahren, Aufnahmeformaten und Institutionen der Musikproduktion und -rezeption gibt es Parallelen zwischen Dub und neueren populären Musikstilen. Die Vermutung, dass diese Parallelen mit einer stilübergreifenden Rezeption des Dub Reggae zusammenhängen und dass somit insbesondere im Be- reich der Dance Music seit den 1980er Jahren von einem Einfluss des Dub Reggae auf Musiker(», musikalische Ausdrucksformen und Produktionsweisen gesprochen werden kann, möchte ich durch einige Beispiele stützen. Zuvor sollen die Entstehung, die Produktionsweise und die musikalischen Gestaltungsmittel des Dub Reggae skizziert werden. Die populäre jamaikanische Musik wurde im 20. Jahrhundert stark von afroamerikanischer Musik aus den USA geprögt.(2) Seit den 1950er Jahren gelangte Rhythm'n'Blues durch afroamerikanische Matrosen und jamaikanische Wanderarbeiter, die aktuelle Singles aus den USA zurückbrachten, sowie durch die Musikprogramme amerikanischer Radiostationen auf die Karibikinsel. Da jedoch nur wenige Jamaikaner Radios oder Plattenspieler besaßen und US- Singles zudem rar waren, wurden seit Ende der 1940er Jahre so- genannte Sound Systems zu zentralen Institutionen des jamaikani- schen Musiklebens - mobile Freiluft-Diskotheken, die sich über Eintrittsgelder finanzierten. Zwischen den verschiedenen Sound Systems in Jamaikas Hauptstadt Kingston entwickelte sich bald ein Konkurrenzkampf in puncto Lautstärke und Klangqualität - angestrebt wurden vor allem laute und voll klingende Bässe - ASPM - Beiträge zur Popularmusikforschung 27/28 99 sowie beim Musikrepertoire. Je aktueller und ausgefallener die Glaube der Rastafari wider. Bereits im Rocksteady, der sich stark gespielten Rhythm'n'Blues-Singles waren, desto größer war der am afroamerikanischen Soul orientierte, hatten die Melodielinien Publikumszuspruch. Deshalb pflegten renommierte Sound System- der Bassgitarre vielfach melodische Funktionen übernommen. Im Betreiber wie King Edwards, Clement 'Sir Coxsone' Dodd oder Roots Reggae werden die Basslinien noch stärker hervorgehoben, Duke 'The Trojan' Reid ihr R'n'B-Repertoire bei Reisen auf das US- sodass die Musik einen tieffrequenten, 'warmen' Klangcharakter amerikanische Festland zu erweitern. Nachdem Anfang der erhält. Zuweilen wird in Reggae-Produktionen der Bass lauter ab- 1950er Jahre auf Jamaika ein erstes Plattenpresswerk in Betrieb gemischt als der Gesang. gegangen war, begannen die Sound System-Betreiber ab 1957, Acetat-Schallplatten, sogenannte Dub Plates, mit jamaikani- Ende der 1960er Jahre wurde es gängige Praxis, auf den B-Seiten schem R'n'B zu produzieren. Der jamaikanische Patois-Ausdruck der Rocksteady- und frühen Reggae-Singles Instrumentalfassun- 'Dub', eine Abkürzung für "to double", bezog sich dabei ursprüng- gen, sogenannte Versions, von den Songs der A-Seite zu veröf- lich auf den Kopiervorgang von Tonträgern. Dub Plates waren fentlichen, Das wesentliche Charakteristikum des Dub Reggae Einzelpressungen, die zunächst ausschließlich für den Sound Sys- liegt allerdings nicht in dem Umstand, dass Instrumentalversionen tem-Einsatz gedacht und dementsprechend selten und gefragt produziert, im Sound System gespielt und als Tonträger veröf- waren. Aus diesem Grund erhielt der Ausdruck 'Dub' schnell die fentlicht wurden - das war bereits bei vielen der frühen Ska- Bedeutung von: exklusiv, speziell, besonders ausgefallen. Als sich Produktionen und dann bei den B-Seiten-Versions der Fall -, son- zeigte, dass die Dub Plates mit jamaikanischen Produktionen in dern vielmehr in der Tatsache, dass die Stücke im Studio weiter den Sound Systems sehr erfolgreich waren, wurden sie von Dodd, bearbeitet wurden. Eine wichtige Errungenschaft im Home Studio Reid und Prince Buster als kommerzielle Vinylpressungen auf dem von King Tubby (Osbourne Ruddock, 1941-1989), dem einfluss- jamaikanischen Markt veröffentlicht und bald darauf auch für die reichsten Toningenieur des Dub Reggae, war ein ausrangiertes jamaikanischen Immigranten nach Großbritannien und in die USA Vierspurmischpult, das sich Tubby 1972 von einem jamaikanischen exportiert. Studio kaufte (vgl. Barrow/Dalton 1997, S. 204). Auf den vier Ton- spuren konnten Bass, Drums, Gitarre/Keyboard sowie Bläser oder Das Entstehen des Dub Reggae hängt eng mit zwei weiteren Gesang getrennt aufgenommen und die Lautstärke der Spuren Entwicklungen der populären Musik in Jamaika zusammen: mit beim Mischen unabhängig voneinander geregelt werden. Nach- dem Aufkommen des Rastafari-inspirierten Roots Reggae um 1970 dem die Dub-Toningenieure zunächst Originalaufnahmen von und mit der Erweiterung der in Jamaika verfügbaren studiotechni- Reggae-Stücken als Dub-Versionen neu abmischten, wurde es im schen Möglichkeiten. Gegenüber Ska (ab 1961) und Rocksteady Laufe der 1970er Jahre üblich, die Riddirns bekannter Reggae- (ab ca. 1966) zeichnet sich Roots Reggae durch ein langsameres Songs von Studiobands neu einspielen zu Iassen.(3) Mit diesen Rid- Tempo und eine stärkere Betonung der Basslinien aus, wodurch dims wurde dann - zumindest in der Anfangszeit des Dub Reggae diese Musik - im Gegensatz zum schnellen, beschwingten Ska - - 'live' am Mischpult improvisiert. "Improvisation was the order of eine rhythmische und klangliche Schwere erhält. Die Rhythmus- the day", kommentiert der Reggae-Chronist Steve Barrow das patterns von Gitarre und Keyboard akzentuieren die zweite und Produktionsverfahren, "Most of Tubby's dubs were mixed live, with vierte Zählzeit bzw. - ähnlich wie im Ska - die Afterbeat-Achtel the engineer playing his board like a great jazzman blowing solos (1 und, 2und, 3und, 4und) des grundlegenden Vier-Viertel- on his horn, deconstructing and reinventing the music."( 4> Metrums. Die Bassdrum betont nicht den ersten, sondern den drit- ten Schlag jedes Taktes. Dadurch wird ein Laid back-Feeling er- Wichtigstes Merkmal des Dub Reggae ist seit den frühen Dub- zeugt, das den Eindruck der Langsamkeit und rhythmischen Stücken von King Tubby, Keith Hudson oder Errol Thompson das Schwere der Reggae-Riddims intensiviert, In den Texten des Roots Ausblenden und Wiedereinblenden einzelner Aufnahmespuren. Reggae spiegelt sich vielfach die Weltsicht und der religiöse Während bei den Studiomischpulten zuvor die Aufnahmespuren 100 Pflelderer: Raddirn & Sound ASPM - Beiträge zur Popularmusikforschung 27/28 101 nur durch Knopfschalter ein- und ausgeschaltet werden konnten, Ein weiteres grundlegendes Gestaltungsmittel des Dub Reggae ist ermöglichten beim neuen Mischpult King Tubbys Schieberegler die ständige Veränderung des Klangbildes der Aufnahmen durch eine stufenlose Regelung der Lautstärke der einzelnen Spuren. den Einsatz und die Kombination von Panoramaregelung, künstli- Während sonst in der populären Musik Mehrspurmischpulte vor- chen Hallräumen (Reverb), Echoeffekten (Delay) und Klangmo- wiegend dazu verwendet werden, dem bestehenden Song dulationen (Phaser bzw. Flanger). Vermutlich wurden einige die- durch zusätzliche Aufnahmespuren weitere Instrumente oder ser Klangeffekte bereits im Sound System eingesetzt, bevor sie im Klangschichten hinzuzufügen, arbeiten die Dub-Künstler in die Studiokontext Verwendung fanden. So wird von King Tubby be- entgegengesetzte Richtung. Ihnen geht es um Reduktion, um ein richtet, er habe Ende der 1960er Jahre in seinem Home Town Hi Fi- Ausdünnen der rhythmisch-klanglichen Textur. Der Ablauf der Sound System Hall- und Echogeräte eingesetzt (vgl. Barrow 1989). Dub-Stücke wird grundlegend von dem Prinzip der Subtraktion, Ziel der Raumeffekte ist es nicht etwa, einen Raum möglichst na- dem Wegnehmen einzelner Spuren geprägt. Obschon der forma- turgetreu nachzuahmen, sondern ein sich ständig wandelndes le Aufbau der Dub-Aufnahmen durchaus individuell ist, haben Raumerlebnis zu erzeugen. Durch die Panoramaregelung wan- sich dabei einige Formstereotypen herausgebildet (vgl. auch dern Klänge einzelner Instrumente und ganzer Instrumentengrup- Beyer 1993, S. 42): pen von links nach rechts und umgekehrt, durch die Veränderung Am Anfang und Ende des Stückes erklingt zumeist ohne Beglei- der Hallgeräteinstellung vom präsenten Vordergrund in die Raum- tung von Bass oder Schlagzeug eine Melodielinie, die vom Sänger tiefe. Weit verbreitet sind Halleffekte bei Schlägen der Bassdrum - oft singen die Dub-Künstler selbst - oder von den Bläsern vorge- und Snaredrum, bei denen einzelne Impulse einer Schlagfolge mit tragen wird. Bereits nach wenigen Sekunden wird diese Melodie unterschiedlichen Hallräumen versehen werden, während andere ausgeblendet oder verschwindet in der Tiefe des Halsraumes. Nun Schläge ohne Hall erklingen. Aus der Kombination von Halsgerät setzt das rhythmisch-melodische Grundgerüst des Riddims von und Echogerät (Delay Unit) resultiert ein weiterer typischer Dub- Bass und Schlagzeug ein, das vielfach ohne zusätzliche Instrumen- Effekt, bei dem sich die Echoverzögerungen von Klängen - z.B. te zu hören ist, Im weiteren Verlauf des Stückes werden dann die einzelner Schlagzeugschläge - langsam in der Raumtiefe verlie- Instrumentalspuren zunehmend flexibel ein- und wieder ausge- ren. Vielfach