Nr. 01 bachrauschenbachrauschen Kunstraum Wattenbach Mit der Kraft des Wassers für die Kunst

Günter Richard Wett Bach-Porträt

Erika Wimmer Mazohl Von Punkten, Flecken und Haufen Bachgespräche #1 — #4

Bernhard Kathan Im Geflecht der Lichtfresser

Wildruf Film Fließbilder

c. w. bauer vuattanes vuattanes

Bernd Schuchter Der Weg zum Himmelreich Zum Titelbild: Ein Stück 02 Quelltext Ivona Jelcˇic´ im Gespräch mit 03 am Anfang des Kunstraum Wattenbach 20. Jahrhunderts. Links der (Monika Abendstein, Neuwirt-Gastgarten, dahinter Alexander Erler, das Garberhaus, rechts das Mit der Kraft des Wassers Markus F. Strieder) Hemetsbergerhaus. Die Brücke der Innsbrucker Straße über- spannt den Wattenbach. Der für die Kunst Bach war an dieser Stelle für das Wasserrad der Schinaggl- säge aufgestaut. Per Boot ru- derte man bis zur Lohschmiede Ein Prozess zur kreativen zurück. Ortsentwicklung (nach Elfriede Gäck-Marx: Wattens anno dazumal, 2007)

So nass, so kalt, so laut. So todlangweilig. Tra- Markus: Brecht hat sehr schön gesagt: Die Begriffe, gisch. Eingezwängt. Links liegen gelassen. Voller die man sich von etwas macht, sind die Griffe, mit de- Möglichkeiten. Ziemlich viele Zuschreibungen für nen man die Dinge bewegen kann. Wir versuchen mit einen Bach, den man in Wattens eigentlich kaum zu unserem Projekt, etwas zu begreifen und begrifflich sehen bekommt. Da und dort rauscht er unter einer zu machen, was wir zuerst selbst nicht verstanden ha- Brücke hervor, hat es in seinem harten Bett aus ben. Es gibt da eine gläserne Wand in Wattens, etwas Stein ziemlich eilig, verschwindet wieder unter Undurchdringliches und Ungreifbares, gegen das du Stein und Beton. Man kann sich seinen Verlauf rennst, aber gar nicht weißt, gegen was genau du rennst. auch auf einem Ortsplan am Gaisplatz anschauen. Wattens hat kein Ortsbild, das ist ein Verlust der Mit- Im Gegensatz zu den Straßen und Plätzen der Ge- te. Dann sind wir draufgekommen, da ist ja der Bach. meinde ist der Wattenbach auf dieser Luftaufnahme Wir sind also auf etwas gestoßen, das immer schon aber nicht einmal namentlich gekennzeichnet. Das da war, wir aber selbst nicht mehr vor Augen hatten. zeugt nicht gerade von einem innigen Verhältnis zwischen dem Ort und seinem Fließgewässer. Nach Monika: Das war eher emotional, gar nicht so rati- einem verheerenden Hochwasser 1965 wurde der onal. Es hat sich aus der Fragestellung, was man in Wattenbach in ein steinernes Korsett gezwängt. Wattens anders machen kann, irgendwann die Logik Er schlägt eine harte Schneise durch den Ort. Und ergeben, diesen Gedanken entlang der Lebensader er ist ein wichtiger Stromlieferant. Aber sonst? Wasser aufzuspannen und sie zu erforschen. Und sie Bleibt der Bach der Bach und der Ort ein Ort, dem als sinnbildliche Kraftquelle aufzusuchen. Das war ei- irgendetwas fehlt. Die Architektin Monika Abend- gentlich sehr simpel. Wenn du heute jemanden in ein stein, der Bildhauer Markus F. Strieder und der Dorf schickst und ihm sagst, finde heraus, was den Kulturschaffende Alexander Erler haben im Rah- Ort ausmacht, dann wird ein vorhandener Bach oder men ihres Projekts „Kunstraum Wattenbach“ bereits Fluss immer eine ganz zentrale Rolle in der Wahrneh- 2016 begonnen, über diesen Zustand nachzudenken. mung spielen. Und wenn nicht, dann stimmt da auch etwas nicht.

Monika: Wattens ist ein praktischer Ort, ein Sinn- Alexander: Es hat in Wattens schon im 16. Jahrhun- bild für Funktion: Er bietet mehr als die umliegenden dert viel Kleinhandwerk entlang des Bachs gegeben, Gemeinden – an Freizeiteinrichtungen, Supermärkten, auch Wasserräder und Mühlen. Es gab in gewisser Arbeitsstätten, Altenbetreuung und anderem. Darüber Weise eine symbiotische Beziehung mit dem Bach. hinaus aber bietet er dem Einzelnen, dem Individuum Dann hat die Natur einmal mit aller Kraft zugeschla- als nicht wertschöpfendem, aber sinnlichem Element gen und der Mensch hat zurückgeschlagen. Der Bach nichts. Er lässt dich als Person außen vor. Praktisch wurde nach unten versetzt, in ein Korsett gezwängt,

© 2020 Arge Kunstraum Wattenbach zu sein und zu funktionieren, scheint man ob der zahl- fast wie eine Strafmaßnahme. Und heute gibt es dem Vogelweiderweg 5 reichen und kostspieligen Annehmlichkeiten dem Ort Bach gegenüber eine gewisse Gleichgültigkeit. Es geht A-6112 Wattens auch schuldig zu sein. Es ist dieser Grundton, der mich uns nicht darum, die Vergangenheit zu romantisieren Für den Inhalt verantwortlich: am meisten stört. Denn er basiert auf einer sehr tra- oder zu rekonstruieren. Trotzdem kann man sich die Monika Abendstein, Alexander Erler, Markus F. Strieder ditionell-hierarchischen und auch patriarchalischen Frage stellen, ob wir vielleicht zu viel aufgegeben ha- Struktur. ben, ob es einen anderen Maßstab im Umgang mit der Texte: Monika Abendstein, Christoph W. Bauer, Natur geben könnte. Denn das hat auch viel mit gesell- Alexander Erler, Susanne Gurschler, Alexander: Infrastrukturell stehen wir gut da. Aber schaftlichen Fragen zu tun: Wenn wir die steigende Ivona Jelcˇic´, Bernhard Kathan, Victor Kössl, Rebecca Sandbichler, es stellt sich die Frage, was machen wir mit dem Wohl- Konformität und Ökonomisierung betrachten, dann Bernd Schuchter, Martin Steidl, stand? Wir haben die gegenwärtige Situation für uns fragt sich, ob es uns nicht gut täte, uns eine gewisse Markus F. Strieder, Erika Wimmer Mazohl einmal auf den Begriff „Monokultur“ zusammenge- Freiheit im Denken und Tun zurückzuholen. Bilder: bracht. Es ist für uns sehr „mono“ geworden in Wattens. Archiv Elfriede Gäck-Marx, Günter Richard Wett, Wildruf Film Wattens ist ein Sinnbild für etwas Braves, Konformes. Und es wird oft genug gesagt: Wir sind halt ein In- Der Wattenbach ist also nicht zufällig zu einem Collage: Dreh- und Angelpunkt für das Projekt geworden: Monika Abendstein dustrieort und etwas anderes funktioniert da nicht. (Bildmaterial: Kunstraum Wattenbach, Aber was ist das für eine Diagnose? Muss das so sein? Er steht gewissermaßen für die „verlorene“ Mit- Monika Abendstein, Botanischer te des Ortes, er steht aber auch für das kreative Garten Graz, Günter Richard Wett, Oder könnte die Facette Industrieort eine von vielen www.giencke.com) Facetten sein? Ich denke, ein Punkt, den wir alle drei Rauschen, das erzeugt wird, wenn man Kunst und Kultur als Mittel zur nachhaltigen Ortsentwick- Grafische Gestaltung: vermissen, ist, dass etwas von innen heraus wächst, Circus. Büro für Kommunikation und mit mehr Blick auf das Ganze. Wenn es erfolgreiche lung begreift. Im „Kunstraum Wattenbach“ ist Gestaltung, Innsbruck (A) Unternehmen im Ort gibt, ist es natürlich verlockend, das der Fall – und zwar keineswegs nur auf den Druck: sich daran zu orientieren und genauso erfolgreich sein Bachraum und die Blickwinkel der InitiatorInnen Lanarepro, Lana (I) zu wollen. Aber wir dürfen dabei nicht vergessen, ein beschränkt. Es geht vielmehr darum, einen Reso- Druckfehler vorbehalten. Nr. 01 eigenständiger, tragfähiger Ort zu sein. nanzraum zu schaffen, den Austausch von unter- Mit der Kraft des Wassers für die Kunst 04 Quelltext 05 schiedlichen Ideen und damit auch soziale und Alexander: Es hat früher einmal durchaus enge- Markus: Man muss auch dazu sagen, dass wir ohne vor, die sich auch an Grundstücksbesitzer rich- gesellschaftliche Prozesse anzuregen. Beteiligt re Verknüpfungen zwischen dem Ort und dem Bach die Unterstützung von Markus Langes-Swarovski nicht ten. Es geht darum, entlang des Wattenbaches ge- sind an dem Prozess sowohl lokale als auch über- gegeben – interessanterweise ausgerechnet durch die da wären, wo wir jetzt sind. Er hat aus unserem Pro- wässertypische Fauna und Flora anzusiedeln. Eine regionale ProtagonistInnen, es wurden Bachgesprä- Industrie in Wattens. Felix Bunzl, der Besitzer der Pa- jekt etwas herausgespürt, gemerkt, dass etwas getan Einladung zum sinnlichen Erleben ist wiederum die che geführt, BachschreiberInnen eingeladen, ein pierfabrik von 1918 bis 1938, hat das erste Schwimmbad werden muss. „Schaukel“ beim E-Werk im Wattental: Hier könn- filmisches und ein fotografisches Bachporträt ist in Wattens errichten lassen. Das war direkt neben der te man über der kaskadenartigen Abtreppung des entstanden, historische und ortsspezifische Re- Papierfabrik und man hat das Wasser aus dem Watten- Bachbetts schweben, vielleicht neue Blickwinkel cherchen wurden durchgeführt und gestalterische bach eingeleitet. Insgesamt war die Papierfabrik für Die Kunst als Schlüssel, um Möglichkeitsräume einnehmen. Und sie dann im Kunstraum Wattenbach Workshops angelegt. Und es wurden Postkarten mit Wattens aber sicher weniger prägend als zum Beispiel aufzusperren: Das ist im Kunstraum Wattenbach einbringen. Denn ein zentrales Stichwort des Pro- Wasserkristallen aus dem Wattenbach an hiesige Swarovski. Was auch an den vielen Besitzerwechseln nicht nur ein theoretischer Gedanke. Man kann das jekts lautet: Partizipation. Haushalte verschickt. Eine erste „Nebelgranate“ liegt, die es dort gegeben hat. zum Beispiel an der Idee einer „Zuggalerie“ in nennt Markus F. Strieder die Aktion. Zeigen, dass der Wartehalle des Bahnhofs -Wattens der Wattenbach mehr sein kann als nur eine „tra- Monika: Die industrielle Entwicklung von Wattens ablesen. Oder an der „Schwelle“ am östlichen Alexander: Für mich persönlich geht es immer auch gische Figur“ der Ortsgeschichte, ihn atmosphä- ist im Übrigen auch geschichtlich und politisch inter- Ortseingang, die als Ort für Skulpturen gedacht um die Frage, wie kann Gemeinwesen im 21. Jahrhun- risch wieder ins Bewusstsein bringen. Das heißt essant: So lässt sich anhand verschiedener Wahlergeb- ist. Als Experimentier- und Freiraum für Gast- dert aussehen? Auch wenn es zweifellos viele engagier- auch, am gewohnten Bild rütteln und viele weitere nisse in Wattens meist auf die überregionalen Verhält- künstler im Rahmen eines Residence-Programms wird te Leute in Wattens gibt, ist der Blick auf das größere Fragen zur Ortsentwicklung aufwerfen. Das will nisse schließen, also auf den allgemeinen Zustand eines wiederum das „Wasserschloss“ bei der Lochschmiede Ganze oft diffus und schwammig. Deshalb, denke ich, auch diese Zeitung. Sie versammelt Bachgespräche dörflichen Industrieortes in Tirol. Da trifft Schwarz zur Diskussion gestellt. Diese Gestaltungsräume ist es wichtig, dass wir uns einmischen, dass wir auch und Porträts ebenso wie die Ergebnisse des Bach- auf Rot, Kapitalismus auf Sozialismus, Unternehmer- sind auch insofern als Statement zu verstehen, als Initiativen und Vereine nicht brav bleiben. Eine schreibens, die sich auf höchst unterschiedliche, tum auf Verwaltung, Individualismus auf Anonymität. als dass zeitgenössische Kunst in Wattens keine aktive Demokratie macht auch aus, dass man um die eigenwillige, geometrische, dunkle, lichte und Schade nur, dass manches an soziokultureller Kraft in Rolle spielt. Sicher: Es gibt die Swarovski beste Lösung streitet. Es geht uns also darum, eine poetische Weise an den Wattenbach annähern. Die Wattens nie wirklich Wurzeln geschlagen hat. Kristallwelten, die sich bekanntlich auch mit Auseinandersetzung zu entfachen mit Dingen, die Akteure des „Kunstraum Wattenbach“ haben ihre je- Werken prominenter zeitgenössischer Künstler mit unserem unmittelbaren Umfeld zu tun haben. Wir weils eigenen Biografien mit dem Ort und mit dem schmücken. Im Ort selbst aber gibt es keine möchten nicht als Kunstraum Wattenbach auftreten Bach. Der Bach wiederum hat in seiner Funktion „Volkskraftwerk“ heißt einer von insgesamt acht Galerie und auch sonst keinen nennenswerten Ort und den Eindruck vermitteln, wir sind jetzt mit der als Energielieferant auch eine spezielle Biogra- Handlungs- und Gestaltungsräumen, die im Rahmen der Auseinandersetzung mit Kunst. Lösung da und machen das schon. Wir möchten auch fie in der industriellen Entwicklung von Wattens. des Projekts „Kunstraum Wattenbach“ ganz kon- etwas einfordern. kret definiert wurden: In der Ortsmitte soll der Bach als Energiequelle begreifbar, sichtbar und Markus: Der Stellenwert der Kunst im öffentlichen Monika: Deshalb haben wir auch Formate geschaf- Alexander: Ich bin ein Oberdörfler, nah am Wald und für jeden Einzelnen benutzbar gemacht werden, Raum von Wattens lässt Wünsche offen. Da ist ein ab- fen, bei denen wir Leute aus unterschiedlichen Berufen am Mühltal aufgewachsen. Die Schotterbank hinter zum Beispiel durch eine Handyladestation. Noch solutes Vakuum. Der Produktaufbau von Swarovski befragt haben. So stellt sich immer wieder eine gewisse der Sperre, die nach dem Hochwasser gebaut wurde, einen großen Schritt weiter geht die Idee einer wiederum ist stark an den Kunstmarktstrukturen orien- Relativierung her, kommt zu deiner Meinung eine an- war für uns ein Eldorado, da sind wir in die Gumpen „Wasserlandschaft“ mitten im Ort: Die Kanalisie- tiert. Das heißt, man nützt die Strukturen der Kunst-, dere dazu und entsteht dieser Möglichkeitsraum, den gehüpft, haben Feuer gemacht, das war ein richtiges rung wird rückgebaut, das Gelände abgesenkt der Design- und der Modewelt, um ein gewisses Image wir aufmachen und greifbar machen wollen. Partizi- Robinson-Crusoe-Gefühl. Dort drinnen haben wir uns und so wieder ein Zugang zum Wasser geschaffen. aufzubauen. Das kannst du aufgrund der Genialität, pation ist die schwierigste Disziplin überhaupt, eine verloren, aber draußen im Dorf war das völlig anders, Das klingt ziemlich ambitioniert. mit der es gemacht ist, toll finden. Oder eben nicht. permanente Herausforderung. da hat der Bach keine Rolle gespielt. Er ist mir nie son- Letztlich ist es halt eine Art Disneyland. derlich aufgefallen, obwohl mein Schulweg tagtäglich Markus: Partizipativ ist, wenn alle das tun, was ich über den Bach geführt hat. Monika: Uns geht es bei der „Wasserlandschaft“ da- Monika: Das, was sich im Ort selbst an bildlich-künst- will, und ich tue, was alle wollen. Es geht im Prinzip rum, auf Augenhöhe mit dem Bach zu kommen, den lerischen Manifesten zeigt, sind vereinzelte Werke wie darum, dass wir einen neuen räumlichen Begriff einfüh- Markus: Mir ging es auch so, ich habe da hinten Lebensraum wieder mit dem Bachraum zu verschrän- Sgraffito-Elemente, Fresken oder Kleinkunstwerke. ren, in dem wir interagieren können, den Möglichkeits- drinnen wunderschöne Momente erlebt. Das war wie ken. Das wäre eine unglaubliche Bereicherung für den Mit diesen wenigen, doch wertvollen Dingen geht man raum. Ich drücke meine Bedürfnisse aus. Und kriege das Tor in eine eigene Welt. Kurz bevor ich studieren Ort. Das ist in Wattens aber tatsächlich nicht leicht aus meiner Sicht aber leider unverantwortlich und dann eine Antwort. Für mich hängt die Idee natürlich gegangen bin, hab ich dort eine Zeichnung gemacht, da umsetzbar, weil der Bach so eingeengt ist. Erkundi- grob um, wie man etwa beim Umbau der Volksschule auch ganz stark mit dem Beuys’schen Begriff der so- war der Bach vereist und es sah aus wie in einem russi- gungen beim Dienst für Wildbachverbauung haben im Höralt erkennen musste. Es gibt wenig Sensibilität zialen Skulptur zusammen. schen Schwarzweißfilm. Das hatte eine unglaubliche aber ergeben, dass es tatsächlich eine Krümmung des und wenig Wertschätzung für ästhetische Momente Poesie. Im Dorf dagegen hatte dieses massive Mau- Bachverlaufs in der Mitte des Ortes gibt, die sich für im öffentlichen Raum. Dabei könnte Kunst auch ein erwerk immer eine gewisse Brutalität, etwas Hartes. eine Erweiterung anbieten würde. Wir möchten das Signal sein: Du bist uns das wert, wir stellen dir das für Und der Bach war eigentlich todlangweilig. als Diskussionsraum aufmachen und diese Landschaft den täglichen Bedarf zur Verfügung. Das wäre gerade als Bild in die Wattener Köpfe bringen. So könnte eine auch für Kinder wichtig. Denn deren großer Vorteil ist Monika: Du nimmst den Bach im Ort ja eigentlich Sehnsucht entdeckt oder geweckt werden. Es geht in ja, dass sie die Welt immer wieder neu denken können. nicht wahr. In der Kindheit gab es aber schon immer erster Linie darum, Möglichkeitsräume zu schaffen. Wenn sie aber nichts mehr vorfinden, das ihre feinstoff- wieder die Momente, in denen man auf einer Brücke Und im Grunde ist der größte Möglichkeitsraum in liche Sensibilität anspricht, werden sie ihre Welt auch gestanden ist und auf den Bach hinuntergeschaut hat. der Kunst gegeben, weil Kunst Fragen aufwirft und weniger sensibel bauen können. Das ist ein Verlust für Man steht da, schaut hinunter und lässt sich treiben, dir erlaubt, Freiräume aufzuspannen. Das haben wir uns alle. Für mich hat der Kunstraum Wattenbach ganz bis die Gedanken auch zu plätschern anfangen und in der „Vision Wattens“ klar vermisst (Anm.: Die „Vision viel damit zu tun. Denn es geht darum, eine Umwelt man sich plötzlich in einer anderen Welt befindet. Und Wattens“ ist ein Konzept zur Ortsgestaltung und -entwick- zu schaffen, die Freiräume bietet, um sich weiter zu gleichzeitig dieses gewaltige Bauwerk. Das holt dich lung von Wattens, das vom Architekturbüro Snøhetta im entwickeln. ganz schnell wieder in die Realität zurück. Das verlangt Auftrag von Markus Langes-Swarovski und Bürgermeister dir einen gewissen Respekt ab, es gibt diese komische Thomas Oberbeirsteiner erstellt wurde). Markus: Darum ist auch die Frage aufgetaucht, wo Ahnung: Da könnte etwas Schlimmes sein. Und man es in Wattens Freiraum gibt, wo könnte man etwas Markus: Monika Abendstein, aufge- Alexander Erler, gebo- kannte ja auch die Geschichten vom Hochwasser von Die Frage ist auch, wie es mit der Entwick- auslösen? Was würde passieren, wenn man am Orts- wachsen in Wattens, Kind ren 1986, aufgewachsen im 1965. Dieser Alarmzustand ist wie eine Schneise, die lung von innen heraus ausschaut. Was kann das Indi- eingang eine Skulptur hinstellt? Und nicht nur in den von Herta Abendstein geb. Oberdorf. Vorfahren vom Steinlechner – aufgewach- Vögelsberg und Schweizer- durch den Ort führt, nichts Verbindendes, sondern viduum mit seinen Fähigkeiten beitragen? Mit einem Kristallwelten? Als Bildhauer kriegst du in Wattens sen in Wattens, Kind von bichl, vom Weerberg und etwas Trennendes hat, und etwas Trennendes hat auch reinen Einkauf oder Import von Wissen wird der Ein- jedenfalls keine Luft. Luise Steinlechner geb. aus dem Zillertal. Schul- Rofner – aufgewachsen in weg mit Halt am Kaugum- immer etwas Gewaltvolles. Ich habe den Bach aber auch zelne in gewisser Weise handlungsunfähig gemacht. Wattens, Kind von Maria miautomat beim Eck-Marx. noch anders wahrgenommen: Dadurch, dass mein Vater Mit der „Vision Wattens“ ist uns etwas vor die Füße Monika: Über das Residency-Programm haben wir Rofner geb. Trenker – auf- Ministrantenzeit mit Prax- gewachsen in Wattens, Kind meir-Eis und Begräbnis- und mein Großvater im Werk 2 gearbeitet haben, sind gelegt worden. Damit kann man etwas anfangen – oder lange nachgedacht und Roland Gruber von nonconform von Maria Trenker geb. Nussinis. Jugend über wei- wir als Kinder relativ viel da oben gewesen, wo sich der auch nicht. Aber es ist nichts von innen Gewachsenes. hat dann von seinem Projekt „Rurasmus“, angelehnt an Portner – aufgewachsen te Strecken im Kirchturm in Weer, Kind von Notbur- und Gapphaus verbracht. Bach wie durch ein Nadelöhr ins Dorf zwängt. Da hast das Erasmus-Programm, erzählt: Die Idee dahinter ist, ga Portner geb. Meringer 2007 Wiesenrock und 2009 du ständig diese wassergetränkte kalte Luft um dich Alexander: Was die „Vision Wattens“ aber schon dass man in Gemeinden oder Dörfern Arbeitsstipen- – … Architekturstudium Grammophon mitgegründet, in Innsbruck, Wien und 2015–2019 Mitarbeiter der herum. Das hat sich als besonderer Ort eingeschrieben: geschaffen hat, ist ein Referenzraum. Plötzlich liegt dien für StudentInnen schafft, die sich in ihrem Fach Havanna. Seither fester TKI – Tiroler Kulturin- so nass, so kalt, so laut. etwas auf dem Tisch, über das man diskutieren kann, aktiv mit den realen Gegebenheiten des Ortes ausei- Wohnsitz in Wattens. Frei- itiativen. Verschiedenes schaffend in Architektur studiert, ein paar Jah- das man gut findet oder auch nicht. Es ist jedenfalls nandersetzen und im Austausch mit den handelnden und Kunst, Gründung und re woanders gewohnt, ins ein Bezugspunkt da. Wenn man vorher etwas in diese Personen vor Ort Entwicklungspotenziale erarbeiten Leitung von bilding. Kunst Oberdorf zurückgekehrt. und Architekturschule für Richtung eingebracht hat, ist das oft verpufft. Jetzt können. Kinder und Jugendliche in steht der Ort als Ganzes plötzlich wieder stärker im Fo- Innsbruck. Markus Friedemann Strieder, geboren 1961 in kus. Meine tiefe Überzeugung ist, dass es auch Impulse Innsbruck. Von 1966 bis von außen braucht – als punktuelle Momente. Aber es Es gehe ihnen, sagen Abendstein, Erler und 1986 wohnhaft in Wattens. Strieder, nicht darum, „Event-Orte“ zu schaffen, Kunststudium der Bildhau- braucht auch Wachstum von innen. Es muss Kräfte vor erei in Stuttgart. Seit Ort geben, die das übernehmen, weitertreiben und für vielmehr wolle man die Qualität des Vorhandenen 1986 Auslandsösterrei- hervorheben. Der „Dschungelbach“, ein weiterer cher, lebt und arbeitet den Ort passend machen. Auch wir versuchen, diese in Deutschland und Frank- Dinge zu verknüpfen. Aktionsraum, sieht kleine Renaturierungsmaßnahmen reich.

Günter Richard Wett 06 Links Mühltal, rechts Ortsmitte. 07 Bach-Porträt Fotografisch dokumentiert im Juni 2019. Von Punkten, Flecken und Erika Wimmer Mazohl 08 Bachschreiben 01 09 Haufen. Maßnehmen in Wattens

Erika Wimmer Mazohl, auf- gewachsen in Bozen, lebt und arbeitet als Auto- rin und Literaturwissen- schaftlerin in Innsbruck. Erschienen sind Essays zur Literatur, seit 1990 auch Veröffentlichungen in Prosa, Hörspiel, Drama und Lyrik, Experimente mit Fo- tografie und Lyrik. Mehre- re Preise und Stipendien, 2019 Dramatikerinnen- Stipendium des Bundesmi- nisteriums für Kunst. 2014 wurde der Roman „Nellys Version der Geschichte“ publiziert (Limbus), 2019 onturen Fundamente mehrerer Gebäude auf Wiederentde- gende Längsseite der Halle ist grauweiß verfliest, auf gegen Werke, die Kriegsgerät produzieren, seitens der „Orte sind. Gedichte“ KK ckung, exakt zugehauene Steine, die man so geschickt Gesichtshöhe sind mehrere Glasvitrinen angebracht, Alliierten unbedingt vorzugehen, doch was in den Au- (Edition Laurin). Zuletzt ist 2020 der Roman „Löwin Auf der Suche nach Perspektiven vermaß ich den Ort übereinandergeschichtet hatte, dass die Mauern die sie enthalten keine Fahrpläne mehr, zum Glück auch gen der Wattener Männer nicht sein darf, das ist nicht. auf einem Bein“ bei Limbus anhand geometrischer Formen und was sich zeigte, Zeit überdauerten, denn noch heute ragen sie bis zu keine Werbung, sondern weiße Papierbögen. Oran- Swarovski hat im Jahr 1940 ein halbes Jahrhundert lang erschienen. www.erikawimmer.net konnte treffender nicht sein. In der Geometrie wird achtzig Zentimeter aus dem Erdboden. Ringsum fand ge Fliesen bedecken den Boden, ein Tischchen steht bewiesen, dass es auch in Krisen die Oberhand behält, der dreidimensionale Raum als Punktmenge und im man Scherben und Münzen, Werkzeuge wie Hauen und im Raum, an den Fenstern ein paar schlichte Bänke, pfiffige Ideen umsetzt und profitabel bleibt. Swarovski weiteren als Teilmenge aufgefasst – die Idee, von Punk- Steinmeißel sowie Wagenteile, Schmuckstücke wie Per- sonst ist die Halle leer. Der flüchtige Eindruck, dass arbeitet sich immer durch und heraus und schwimmt ten und Teilen auf ein Größeres, um nicht zu sagen len, Reifen und Spangen ebenso wie Lanzenspitzen, das Gebäude den Charme der 1960er Jahre ausstrahle, oben und verdient auch noch gut, sodass alle Männer Gesamtes zu schließen, gefiel mir. Aus der Vogelpers- die gegen jene, die den Ringwall überwinden und in bestätigt sich bald an der Schmalseite gegenüber der Arbeit und ihre Familien zu essen haben, auch mithilfe Von pektive betrachtet ist eine Siedlung ein Fleckenhaufen, feindlicher Gesinnung in die Siedlung vordringen woll- Eingangstür: Die einst Durcheilenden haben das Kunst- der Bauern. Und tatsächlich, die Bomben verschonen ausfransend in seinen Konturen, wie zufällig aus dem ten, eingesetzt worden waren. Eine leicht terrassierte werk, das der Angabe nach 1967 entstanden ist und den Ort, sie schlagen ins Vomperloch ein, oder ins Ge- Pinsel getropft. Ein Marktflecken, dessen willkürli- rätische Höhensiedlung oder Wallburg, deren Blick einem hier von der Wand entgegenprangt, wohl kaum birge, dies geschieht angeblich an einem nebeligen Tag, ches Entstehen nach innen zu einem überschießenden nach Westen ins Inntal und hinab zu den Sümpfen für eingehender beachtet, jetzt aber zieht es die Blicke da die Piloten die Ziele nicht exakt orten können. Bedürfnis nach Zahlen und Ordnungen führt. Dem zu die Himmelreichbewohner manchmal lebensrettend an und verweist auf jene nie wegzudenkende, immer Und hinter der Absperrung werden Werksma- entgehen und meinen Beobachtungen stattdessen Pro- gewesen sein mochte, sahen sie von hier aus doch, ob dominierende Charakteristik des Dorfes Wattens, die schinen in Sicherheit gebracht. Und dahinter, so das fil zu geben, war mein Ziel und weil ich nur eine plane Feinde sich näherten. man im Übrigen gerade von Fritzens aus, das auf der Gerücht, im völlig verschwiegenen Teil des Stollens, Ortskarte zur Verfügung hatte, versuchte ich mich an Heute ist der Blick nach Westen von hohen Bäu- gegenüberliegenden Seite des Inntales liegt, täglich werden Flugzeugteile gefertigt, oder vielleicht sind es ebenen geometrischen Figuren, einem Fünfeck, einem men versperrt, die Kuppe ist bewaldet und nur gegen bestätigt sieht. Der Industrieort, die großen Fabrik- optische Geräte für Panzerfahrzeuge, so genau können Punkten,Viereck, einem Kreis und so weiter. Die Wahl, demnach Nordosten gibt eine Aussichtsplattform aus Stahl den gebäude und hoch aufragenden Schlote hat auch der das die Leute nicht sagen, denn dies ist der geheime das Interesse, fiel auf ein weder gleichschenkliges noch Blick auf Wattens frei. Diese Plattform ist Teil einer Künstler vor Augen gehabt, als er die Bahnhofshalle Teil der Rüstungsproduktion neben dem Heer von Feld- rechtwinkeliges, doch spitz zulaufendes Dreieck. Maßnahme. Die Maßnahme nennt sich Freiluftmu- mit einem Gemälde ausstattete. Im Hintergrund das stechern, die bekanntlich an die deutsche Wehrmacht Die Basis dieses Dreiecks ist eine Linie, die vom seum und erklärt den Vorbeikommenden anhand von Werk, im Vordergrund drei Arbeiter mit unterschied- geliefert werden. Es gibt Dinge, die werden an keinerlei Himmelreich zum Luftschutzstollen im Werk 2 von Schautafeln die Historie. Dazu gehören auch schlanke lichen Werkzeugen, alles grob und holzschnittartig Glocke gehängt, sie werden nicht einmal hinter vorge- Swarovski gezogen wird, Himmelreich und Bunker, Stahlsäulen (ein ‚Wald‘ von Stahlsäulen mit Quertra- und in Grautönen komponiert. haltener Hand geflüstert. Kaum bekannt sind auch die was für eine Polarität. Von hier aus laufen die zwei versen, rostüberzogen, wie man das jetzt so hat), wel- Die Bahnhofshalle von Fritzens-Wattens ist so Zwangsarbeiter oder Gefangenen (aus Prien am Chiem- Schenkellinien Richtung Norden auf den Bahnhof che die Dimension jedes einzelnen ehemaligen Hauses gut wie ein Bläserensemble, das einfache Melodien see), die den Fels gesprengt und den Stollen gegraben Fritzens-Wattens zu: Ein kleiner Verkehrsknotenpunkt, andeuten und so die Siedlung plastischer vor Augen spielt, sie aber interessant intoniert. Bei diesem Ge- haben, die die harte Drecksarbeit erledigten. Es gibt Fleckenman kommt an, man fährt ab, damals wie heute. Daniel führen sollen. Die einstige Zisterne, zehn Meter tief und bäude stimmt alles zusammen, Halle und Außenhaut in den Archivenund keine Dokumente zu diesen Themen. Swarovski ist 1895 mit seinen Financiers hier ausge- in einem schräg abgeflachten Becken aus behauenen wurden gestaltet und bleiben doch funktional. Als ich Da ist ein Tor, das zu meiner Überraschung of- stiegen, um Arbeit zu bringen, heute parken auf dem Steinquadern eingelassen, ist (wohl aus Sicherheits- die Frontfassade von außen fotografiere, sehe ich in fen steht, ein Schutzraum, den ich betrete, obwohl ich Bahnhofsparkplatz die Pendler ihre Wägen, um zur gründen) mit einem verglasten Stahlkasten abgedeckt. den Scheiben über den bunten Glasintarsien einige in Sicherheit bin, draußen wie drinnen. Keine Sirene Arbeit nach Innsbruck oder Jenbach oder Kufstein wei- Dass die zwischen den Felsritzen emporgeschossenen weiß gebauschte Wolken, im unteren Drittel der Fens- treibt mich in den Stollen, meine Neugierde ist es und terzufahren. Im Bahnhofsbuffet hocken schon morgens Pflanzen im Inneren des Kastens die Sicht in die Tiefe terscheiben glaube ich die Spiegelung eines flachen sie ist harmlos. Drei gelbe Arbeitshelme hängen am Arbeiter und Arbeitslose bei einem Bier. verstellen, ist ein revolutionärer Akt der Natur, der Fabrikbaus mit rauchenden Schloten zu erkennen. Stolleneingang, man verletzt sich hier nicht. Der Stol- Kippt man statt eines Biers die Dreiecksspitze aus der Besichtigung ein Kunstwerk macht, das von len ist ein sauber verputzter Tunnel, der sich in den über der Basislinie Richtung Süden, landet sie auf ei- Lois Weinberger sein könnte. Das Gelände gibt sich 3 Berg bohrt, eine lang gezogene Lagerhalle mit Regalen nem Hang zwei Kilometer unterhalb von Ried, auf dem ohne jede Zurückhaltung: zeitgenössisch geschäftig. Ich lege die Handinnenflächen an den Felsen: Er fühlt und Paletten zu beiden Seiten, ein gut ausgeleuchteter Weg zwischen Säge und Vögelsberg. Die Perspektive EsHaufen. hat die Stille verlassen und allen Zauber verloren. sich rau, kalt und geschunden an, immer wieder wer- riesiger Hohlraum, der den Wattenberg in mehreren ist so um etwas Wildnis erweitert, das Versuchsfeld ist Turlutsch, der für lange Zeit vergessene Lichtturm, den Körperteile, Arme, Rücken, Seiten, Hinterteile und Biegungen durchzieht. Den ich bequem begehen kann, jetzt ein Viereck, ein Geviert, mein Areal. Das Gast- wird heute bespielt, das Himmelreich ist ein geschwät- auch Köpfe an den Felswänden gerieben, wird Haut da- weil da eine geteerte Fläche unter meinen Füßen ist. haus Säge mit der schindelgedeckten Kapelle (wie alle ziger Ort geworden. ran aufgeschürft. Dicht an dicht stehen die Menschen Der sich nicht abweisend anfühlt, sondern wie ein Sägen liegt es am Bach), wo ich dem Regen trotzend und immer mehr drängen von draußen ins Innere des trockener sauberer Keller riecht. Nur die Felswände, durch den Matsch stiefelte, mich umsah und schließ- 2 Bunkers, die Masse drückt jene, die am Rand stehen, an die ich meine Hände lege, um mich des Berges zu lich einkehrte, liegt außerhalb des gesteckten Raumes Per Zug kann man auch mit dem Fahrrad ankommen, gegen den Felsen und alle berühren einander Leib an vergewissern, fühlen sich rau, kalt und geschunden an. und ist nicht mehr Teil der Beobachtung. Von hier aus allein die Bahnhofshalle ist diese Reise wert und die Leib. Die Sirenen schreien. Die Werksleitung hat den wird das Tal zunehmend steiler, der Talboden fällt ab Fortbewegung im Weiteren ein Leichtes. Im Buffet und Stollen nach hinten abgeriegelt, zum Schutz der Allge- 4 und erscheint mehr und mehr als dicht bewaldete, an der Unterführung herrscht Lebhaftigkeit, die Halle meinheit ist nur der vordere Stollenabschnitt geöffnet. Die Wiese trägt Sommergrün, die Grashalme sind an unzugängliche Schneise. Bergseitig liegt der Fokus aber ist verwaist. Die Fahrkartenschalter, einst von Es ist eine Vorstellung nur, wie auch der Lärmpegel den Spitzen gelb und Wind streift über den Hang, dass meiner Beobachtungen auf dem Ausgang des Watten- Menschentrauben belagert, sind geschlossen, der Kauf im Stollen nur vorgestellt werden kann: Wenn die Ge- er sich wie ein grünblonder See kräuselt. In der Ferne tales, konkret auf dem Wasserlauf durch die Schlucht, einer Bahnkarte wird digital oder über einen Ticketau- schichte nicht dokumentiert und überliefert ist, können ein paar Gehöfte, auf der gegenüberliegenden Talseite jenseits der Basislinie umschließen die Grenzen meiner tomaten erledigt. Tritt mir ein Ort so ganz verschlafen nur Spekulationen angestellt werden – die Schreie, die das Dorf Wattenberg, die Talsenke bewaldet und da geometrischen Figur Teile von Wattens und den Groß- entgegen, will ich ihn erobern und erwecken. Ich erfah- Befehle, das Weinen der Kinder, alles nur vorgestellt, und dort Bergspitzen, die ins Himmelblau stechen. teil des Wattenbachlaufes Richtung . Das Werk 1 re, dass man Halle und Buffet nur gemeinsam kriegen oder vielleicht herrscht in dem überfüllten Raum Auf Steilhängen wie diesem wurde einst mit der Sense von Swarovski mit seinen Kristallwelten liegt nicht kann, ist das eine geöffnet, lässt sich auch das andere nichts als eine dumpfe Stille, vielleicht hört man nur gemäht, die Bauern trugen Nagelschuhe, damit sie ei- innerhalb der Grenzen meines Areals, Papierfabrik betreten, ist die Halle geschlossen, wird nebenan auch das Schaben der Schuhsohlen auf dem Erdboden, alle nen festen Stand hatten, wenn die Klinge ausschwang. und Werk 2 aber schon. kein Bier ausgeschenkt. schweigen in sich hinein, fest entschlossen, die Gefahr Heute geht der Bauer mit dem Motormäher über den Es ist schwül, doch der Eindruck des Luftigen ohne viele Worte zu überstehen. Oder ist es so, dass Hang. Bald wird das Sommerblond fallen, die Wiese bleibt auch in der Sommerhitze bestehen. Nach vor- von Überfüllung nicht die Rede sein kann? Dass nur wird wieder, schon zum zweiten Mal in diesem Jahr, ab- Punkte ne, zum Bahnhofsplatz hin, gewinnt die Decke um ein wenige gekommen sind, nur Frauen und Kinder in den rasiert und ich werde mit den Händen über die Stoppeln paar Meter an Höhe, fast die gesamte Frontfassade Bunker geschickt wurden, weil die meisten Männer im fahren, um zu prüfen, ob die Bergwange sticht. Später, 1 besteht aus fünf Fenstern, jeweils zu neun stahlge- Kriegsdienst sind? Oder weil man sich nicht zimper- wenn es Herbst wird, werde ich mich zurückdenken, Himmelreich, früher auch Turlutsch (Turm des Lich- rahmten Glasfeldern gegliedert. Die Höhe der Fenster lich gibt und außerdem ein Gottvertrauen hat? Man das Stechen der Grasstoppeln spüren und den Duft des tes) genannt, ist eine Felskuppe mit Wiesenmulde, verleiht dem Gebäude etwas Hochragendes und auch glaubt, dass von zielgerichteten Bombardierungen auf Heus bis zum Niesen in der Nase haben. die sich am Volderberg 100 Meter über dem Talboden Helles, dazu kommt ein horizontal eingesetztes Farben- Wattens, etwa gar auf das Swarovski-Imperium, nicht Was dieser Hang mit dem Wattenbach zu tun gebildet hat und vor 2.000 Jahren besiedelt war. Unter spiel, das sich auf halber Raumhöhe wie eine surreale ausgegangen werden muss: Aller Logik zum Trotz sind hat, erfährt man spätestens, wenn der Herbstregen meterdicken Humusschichten verborgen harrten die Landschaft ausbreitet. Die den Fenstern gegenüberlie- (womöglich) viele dieser Meinung, denn eigentlich wäre fällt und all das Wasser vom Berg in den Bach strömt. Von Punkten, Flecken und Haufen. Maßnehmen in Wattens 10 Bachgespräche 11

Dann steigt der Wasserpegel zwar merklich, doch ge- ne Empörung über die übertriebene Maßnahme ist im der sie einmal waren. Bald hat die Natur all das zu- fährlich ist das längst nicht mehr. Genauso im Früh- Lauf der Jahrzehnte einer müden Klage gewichen. Der rückgewonnen (und erinnert uns daran, dass sie nach #1#1 jahr, wenn die Schneedecke der Sonne nachgibt, sich in Bach murrt nur noch vor sich hin. Und produziert mit unserem Abgang noch dableiben wird, eine Weile). Bachgespräch #1 | 05.06.19 Wasser verwandelt und Bäche ringsum von den Bergen seiner freudlosen Feuchte da und dort ein Kräutlein, Ich steige hinunter. Hier ist das Bachbett sandig, serflächen die Temperatur im Siedlungs- strömen, aus dem Inneren des Berges dringen und die das sich zwischen einbetonierten Steinen trotz allem hier stapft man zwischen großen Steinen umher und Lebensraum Wasserlauf raum abzusenken.“ Schlucht, die eine gezähmte Schlucht ist, passieren. den Weg zur Sonne bahnt. Wenn man auf einer der hört das Knirschen des Kieses unter den Bergschuhen, mit Johannes Kostenzer Die Architektin Abendstein er- Wo die Bergschneise sich zum Ort hin öffnet, über- Brücken steht und auf das Bachmurmeln lauscht, kann hier murmelt das Wasser nicht, es gurgelt, weil es die (Tiroler Landesumweltanwalt) kennt in der aktuellen baulichen Situati- trägt der Bach das Wasserrauschen auf die Gebäude man dahinter sein Murren hören. Felsbrocken umspült und Hindernisse überwindet, weil on des Wattenbachs einen permanenten und Gassen, die sich vielleicht daran erinnern, dass es es sich zu Tümpeln staut und da und dort kleine Was- Der kasernierte Wasserlauf Alarmzustand: „Die Verbauung mit ih- Zeiten gab, in denen die Gegend nicht von Rauschen, serfälle bildet. Steinblöcke schieben sich vom Ufer zum von Wattens hält Menschen ren wuchtigen Granitblöcken auf Grund sondern von tosendem Lärm erfüllt war. Zeiten, in Flecken am Bach Wasserlauf hin, umzingelt von Busch- und Blattwerk, und Natur seit Jahren auf des Hochwassers so zu machen, hält dir denen man bei der Lohschmiede, beim Poschn oder das sich über Geröll und Sand und Wasser neigt. Ich Abstand. Im ersten Bach- diese Gefahr ständig vor Augen.“ Die- Bummerer sein eigenes Wort nicht verstand. Und wo Lohschmiede – Obere Leitl – Poschn – Bummerer – treffe auf ein Wehr, das noch intakt zu sein scheint, gespräch geht es jedoch um se ständig aufrecht zu erhalten, sei sehr nicht nur die Wassermassen ins Dorf schrien, sondern Taxer – Ertl-Schmiede – Schlosser – Zillertaler – Zoppl bei Hochwasser wird es die mitgeführten Zweige und einen Ort in Wattens, an dem kontraproduktiv, findet sie. „Man hat ja auch der Berg zu vernehmen war mit bedrohlichem – Obere Staudeler – Wattenbacher – Garber – Nissl Baumstämme fangen und festhalten, so lange, bis sie Zwischen Juni 2019 und Feber 2020 fanden die Beziehung der lokalen eine Idee von Schutz und Sicherheit, aber Knarzen und Krachen. – Neuwirt – Schwarz – Santner Mühle – Hörmann – herausgefischt und an Land gezogen werden. Das Wehr Bevölkerung zum Wasser sich das ist fast ein künstliches Schüren von Was der Hang unterhalb von Ried, auf dem Weg Schinnaglsäge – Pfantschmetzger und wie sie alle ist ein Fremdkörper, doch es passt sich bereits an: farb- vier „Bachgespräche“ statt. Sie hatten zum bessern könnte. Angst. Wenn man versuchen würde, das zwischen Säge und Vögelsberg, mit Swarovski und der heißen. lich gesprenkelt und am Ufer genauso von Grünzeug Ziel, die Konzeptarbeit zum Kunstraum etwas aufzubrechen, würde man zumin- Papierfabrik zu tun hat, das weiß man, wenn man auf umrahmt wie die herumliegenden Findlinge. Im Fall des Wattenbachs sei zuerst ein dest eine kleine Versöhnung erreichen.“ die kleineren und größeren Elektrizitätswerke achtet, Die Schlucht bewegt sich in kleinen Rucken. Im- Wattenbach mit Blickwinkeln externer neuer Blickwinkel nötig, findet Markus Auch Kostenzer stimmt ihr zu, die über den Ort verteilt ein kaum noch zu hörendes Haufen mer wieder lässt der Berg Brocken los oder ein Stück Fachleute anzureichern. Jeder Termin stand F. Strieder: „Wir müssen die subtile Kraft glaubt aber, dass man das natürliche Be- Sirren von sich geben. Sirr, ohne den Berg keine Was- Hang abrutschen, samt Busch und Baum, kreuz und des Wassers wieder entdecken, es nicht dürfnis der Menschen nach Abgrenzung serkraft. Wäre bloß ein träges Gewässer durch Wattens Die Schwelle zwischen Wildnis und Dorf ist von Wirt- quer liegende, manchmal gerade noch im steilen Gelän- unter einem anderen Thema. nur von der Gefährlichkeit aus denken.“ von Naturgewalten auch nicht kleinre- geflossen, dann wären die Herren 1895 nicht gerade hier schaftlichkeit geprägt. Am Eingang der Schlucht do- de haftende, beinahe herunterfallende Stämme zeigen Es waren Diskussionen „über den Ernst Für Strieder ist ein neuer Umgang den dürfe: „Wenn ich eine Ameise wäre, aus dem Zug gestiegen, womit auch gesagt ist, was der minieren Werksgebäude, Werkstätten, Parkplätze und die Bewegung des Berges an. Da und dort liegt das mit dem Wattenbach nicht nur ein span- würde ich meinen Haufen auch so bauen, Bahnhof mit dem Wattenbach zu tun hat. Wie auch die Wasserwehren, das Bachufer ist von Containern, Ei- Gestrüpp in Haufen. Die Behörde tut hier nichts mehr, der Lage“, Bestandsaufnahmen und Gedan- nendes Thema für Kunst und Kultur, son- dass er nicht gleich kaputtgemacht wird, alte Lodenfabrik, später das Werk 2 von Swarovski, mit sentraversen, Paletten, Absperrungen, Betonsockeln, sie lässt nur noch Schilder aufstellen: „Betreten der kenspiele mit dem Wattenbach und seiner dern als Metapher für den allgemeinen vom Wasser oder irgendetwas anderem. dem Bach zusammenhängt – jenes Werk, das einerseits Industriescheinwerfern und Stahlgeländern geprägt, Sperre verboten, Absturzgefahr!“ oder „Wasserfallweg Umgang mit gestalterischen Dingen in Das gleiche Recht braucht der Mensch über einen Luftschutzstollen verfügte, andererseits auf der gegenüberliegenden Bachseite thront etwas gesperrt!“ Längst gibt es hier nichts mehr zu sehen, künftigen Rolle im Ort. Die Bachgesprä- Wattens ein ganz persönliches Ansin- auch. Er will seine Lebensumstände so seinen Mitarbeitern das wöchentliche Duschen oder erhöht ein Elektrizitätswerk der Papierfabrik. An der heißt es, denn der Wasserfall, einst Schmuckstück von che handelten auch von alten und neuen nen. „Eine Zeit lang hat es mich echt gestalten, dass sie nicht gleich prekär Baden ermöglichte. Privaten Wohnkomfort kannte die Grenze zur Wildnis wurde gebaut und umgeschichtet, Wattens, wurde von ungezügelt zu Tal donnernden deprimiert“, sagt er gleich zu Beginn. werden oder in Gefahr sind“, sagt er. Allgemeinheit nicht. Der erste Fernseher von Wattens hier wird noch immer geteert, gelötet, gehämmert und Muren zerstört. Mitten im Dorf, von den Aktionsräumen „Das ist alles so brutal, du spürst richtig Kostenzer fragt sich darum: „Wie kann stand in der Villa Swarovski, genauso verhielt es sich betoniert, mehr und mehr auch geplant und verkauft. Nein, hier gibt es nichts mehr. So lange, bis die entlang des Wasserlaufs und von zugrunde diesen Druck, dass du dich fragst: Was ich diese Beziehung zur Natur und zum mit der ersten Waschmaschine und dem ersten Auto Wer sich hier aufhält, hat zu tun. Wer sich dennoch Gemeinde auf den Gedanken kommt, die Steilhänge zu ist hier los?“ Wasser erlebbar machen?“ vor Ort. etwas Zeit nimmt, vernimmt den Ton der Arbeit: Auch sichern und die Schlucht durch Wege und Stege wieder liegenden Themen wie Gesellschaft, Kul- Kaum vorstellbar scheint es, dass Alexander Erler stellt sich diese Weitere markante Punkte in meinem Areal gehen da, wo man in den Büros der Werkstätten an Compu- zugänglich zu machen und damit touristisch zu nutzen, tur, Ökologie, Architektur oder Kunst im im hart und laut talwärts rauschenden Frage ganz praktisch. Er sieht trotz ursächlich auf den Wattenbach zurück: Die Marien- tern sitzt, hört man das typische Schrammen, das der bleibt die relative Wildnis dieses Schwellengebietes un- Wattenbach von heute noch vor weni- allem Optimismus, was einen Bachzu- pfarrkirche, 1958 eingeweiht, wurde von den Fabrikher- Mensch stets dann erzeugt, wenn er der Wildnis etwas gestört. Unversehens finde ich mich dicht von Zweigen ländlichen Raum. gen Jahrzehnten Kinder gespielt oder gang in der Ortsmitte betrifft, doch eine ren großzügig gefördert. Daniel Swarovski war mit dem entgegenhält. Der Eindruck der Unordnung täuscht, und Blättern umgeben, ich schiebe sie nicht beiseite, Menschen in Booten geschippert ha- große Hürde: das Bedürfnis der Öffent- Gemeindearzt Stainer der geistige Vater der alten Stai- denn alles hier hat oder hatte seine Zeit und seinen sondern stehe nur da – rundes, ovales, herzförmiges, ben. Doch historische Aufnahmen be- lichkeit nach fast absoluter Sicherheit. nersiedlung, entstanden von 1935 bis 1938, Häuschen Zweck. Manches wirkt wie liegengeblieben, unnütz gezacktes, glattes, lindgelbes, saftgrünes, braungrü- legen diese Vergangenheit des Bachs Er sei gerade ein bisschen pessimistisch, mit kleinen Grundstücken und einem Ziehbrunnen, die geworden, doch darübergebreitet ist die Funktionalität nes, tannengrünes, sanftes, stacheliges, kitzelndes, einwandfrei. sagt er. „Wir sind da zentral im Ort in den Werktätigen und ihren Familien Selbstversorgung der Gegenwart. Wattens tritt dem Berg, der Schlucht, kratzendes Blattwerk umgibt mich. Umweltanwalt Kostenzer findet einem rigiden Rahmen drin. Jetzt ma- ermöglichten. Die Gemeindesiedlung war das Modell dem Wasser und dem Wald funktionstüchtig entgegen. Auf dem Rückweg dringt plötzlich Gedudel an sowohl die Bilder von friedlichen Mo- chen wir womöglich auf und lassen es für die späteren Gartensiedlungen, ein Aushängeschild Und der Schnitt zwischen dem einen und dem anderen mein Ohr, es scheint aus einem Radio zu kommen, menten am Bach wie auch die Luftauf- relativ offen, lassen die Leute sich das von Swarovski. Die vielen Dorfbrunnen speisen sich ist wie von einem Messer gezogen – da endet das Dorf, ein Fenster steht offen. Ich gehe schnell vorbei, las- nahme von Wattens spannend. Die Sied- selbst überlegen. Und dann tritt diese vom Wattenbach und eines der ältesten Gasthäuser, der da beginnt die Natur. Eine klare Grenze, scheinbar. se das Vereinslokal der Eisstockschießer links liegen, lung Wattens sei wohl sehr bewusst in kleine Wahrscheinlichkeit ein, es fällt Neuwirt, profitiert seit eh und je von der unmittelbaren Obwohl die Zivilisation doch erheblich in die Na- erreiche bald die geteerte Straße und stoße auf das Abgrenzung zu den steilsten Stellen des jemand rein – und plötzlich ist wieder Nähe des Baches. Bei der großen Überschwemmung tur hineinragt, obwohl ein naturliebendes ästhetisches Wasserschloss, ein schlichtes Gebäude, das über dem Bachs entstanden, in der Schlucht gleich alles dicht.“ Wie könne man für so eine 1965 fuhr das Wasser freilich bei der Vordertür des Empfinden den Eindruck haben mag, dass zu viel zer- Bach thront und auf Revitalisierung wartet: Es ist ein hinter dem oberen Swarovski-Werk. Man Eventualität vorausplanen? Wirtes hinein, bei der Hintertür wieder hinaus. störtes Rohr- und Brückenwerk achtlos zurückgelassen Schwellengebäude par excellence, architektonisches sollte die gefährlichsten Teile des Wild- Markus Langes-Swarovski glaubt, Der Wattenbach, obwohl er als zu streng gelenk- wurde, sind es gerade diese nicht weggeräumten Reste Dokument des Damals und Jetzt, der Putz aufgeplatzt, bachs daher nicht allzu leichtsinnig und dass so ein Zugang auch ohne lange Liste tes, geradezu in ein Korsett gezwängtes Gewässer das menschlicher Betriebsamkeit, die ein spannendes Spiel das Dach undicht, die Fensterscheiben zerborsten. niederschwellig zugänglich machen. „Ich von Klauseln und Warnungen geschaf- Dorf quert, leistet heute noch immer seine Dienste. mit der Wildnis treiben. Oder eigentlich umgekehrt. Mit seinen schief hängenden Fensterläden und der glaube nicht, dass man diese seit Jahr- fen werden könnte, solange des Narrativ Er ist nicht nur gezähmt, sondern zu einem sterilen Was man der Natur überlässt, das übernimmt sie, sie krummen Tür erzählt es vom Vergehen der Zeit. Das hunderten bestehende Distanz zu sehr des Ortes stimmig ist: „Bei der Oper in Gerinne verkommen. Dass er metertief zwischen Mau- frisst, verdaut und transformiert es. Solange es Natur Moos auf dem Dach aber, der aus dem Fenster ragende aufbrechen sollte“, sagt Kostenzer. Oslo haben sie das zum Beispiel auch ern dahinfließt, das kann er noch hinnehmen, denn es gibt und diese nicht erstickt wird. Das den Steilhang Strauch und das Unkraut in den Ritzen der Fensterbret- Die Idee, wieder einen Zugang zum geschafft, obwohl die ja stufenlos ins dient dem Schutz von Mensch, Vieh und Besitz. Dass herabziehende Rohrwerk einer Wasserkraftanlage ist ter – sie ernähren sich vom Haus, ganz dem Wachsen Wattenbach zu schaffen, erscheint zwar Wasser führt, ohne Geländer. Da könnte man ihm aber auch die Durchlässigkeit des Bodens, den von Rost überzogen, aber nicht adrett wie im Freiluft- verpflichtet. Sie sind das Lebendige in der Gegenwart. radikal in so einem Umfeld, doch die Pro- man sich ganz schön blöd wehtun, wenn Kontakt mit der Erde, dem Geröll, den Flusssteinen, museum, sondern radikal. Dieser Rost durchlöchert Und vielleicht sind sie es, die aus dem einfachen Haus jektverantwortlichen glauben, dass dies man Pech hat.“ Doch dank eines starken dem Kies und Sand zwischen den Steinen, sämtliche und löst auf. Die Reste von Mauerwerk am alten Bach- ein Schloss machen, an dem kaum jemand vorüber- im Zentrum von Wattens gelingen könn- Narrativs würden die Leute vor Ort mit Bachpflanzen und auch sein Getier genommen und ihm übergang werden im Lauf der Zeit von der Nässe erle- kommt ohne anzuhalten, ohne nachzudenken, ohne te. Monika Abendstein erklärt, wie dort der Gefahr anders umgehen. stattdessen einen gepflasterten Bachboden verpasst digt, die faulenden Brückendielen sind moosbedeckt sich zu erinnern. eine neue Verbindung mit dem Fließge- Alexander Erler bringt das Ge- hat, das kann er nie und nimmer verwinden. Doch sei- und morsch, fast sind sie wieder zum Baum geworden, wässer entstehen könnte: „Mitten im spräch zum Abschluss. Ein direkterer Dorf würden wir eine Rechtskurve des Zugang zum Bach könnte Wattens in Wattenbachs nutzen, das Bachbett er- seiner Mitte einen Ansatz geben, einmal weitern und den Lebensraum mit dem Werte abseits von der rein statistisch Wasserlauf verschränken.“ erfassbaren Funktion zu betonen. „In Kostenzer ist von der Idee aus Wattens, wo man viel Grobheit erlebt – mehreren Gründen begeistert, das stellt es ist nicht böswillig, aber es passiert –, er aus Expertensicht auch dar: Die abso- könnte das ein Raum werden, wo man lute Verbauung von Flüssen und Bächen das vermeintlich Sinnlose wieder in die ist längst nicht mehr Stand der Tech- Mitte rückt“, so Erler. „Das könnte das nik. „Man baut sowas inzwischen eher Projekt zumindest zum Teil wieder spür- zurück.“ Jetzt würden die Gemeinden bar machen.“ weiterdenken und Retentionsräume Es ist darum wohl nur eine rheto- schaffen. rische Frage, die Markus Langes-Swa- Solche Wasserspeicher haben im rovski gegen Ende des Gesprächs in den fortschreitenden Klimawandel eine Raum wirft: „Das Wasser ist eigentlich mehrfache, positive Wirkung auf das nur der Startpunkt, oder? Es geht doch

≥ Bachgespräche #2 | #3 | #4 Stadtklima. „Es gibt Städte, die massiv um mehr, nicht?“ ab Seite 14 investieren, um mit Begrünung und Was- Rebecca Sandbichler Handlungsräume Kunstraum Wattenbach 12 13

548 m | 47°18’00.70” N | 11°35’29.66” O 548 m – 595 m | Strecke: 1.562 m 560 m | 47°17’34.12” N | 11°35’26.97” O 567 m | 47°17’25.52” N | 11°35’32.62” O Zuggalerie (01) Dschungelbach (01–07) Wasserlandschaft (02) Orakel (03) da wo Kunst im Dazwischen liegt, wo es um Zu- und da wo Kulturtechnik den Sprung in die Gegenwart da wo Wasser und Ort miteinander verschmelzen da wo das Wasser uns sanft umspült – wo das Umstände geht, das Warten kein Stillstand ist, versäumt hat und verarmt sich selbst genügt – und zu verstehen beginnen und dem Lauf des Lebens Murmeln, Rauschen, Wirbeln und Sprudeln einer sondern ein Innehalten und ein Sich-Orientieren – wo ein trostloses Gerinne zuversichtlich auflebt Raum gegeben wird – wo Wasserkraft zum Volks- Wasserader zur Lebensader spricht – wo sich wo der Lauf der Zeit sich im Uhrzeigersinn zurück und als Lebensader eines fruchtbaren Mikrokosmos kraftwerk wird und ein Watt ohne -ens seinen Sinn Fragen stellen und Antworten erübrigen. in die Zukunft bewegt und im Fragen nach dem Wo- einen Ort zum Lebensraum erklärt. verliert. her und Wohin ein Hier und Jetzt erspüren lässt. Ein Kulturbahnhof zwischen Berg und Tal, über Wässer, Wege und Weichen – da wo bunte Erzäh- lungen, Erlebnisse und Sehnsüchte mit jenen aus anderen Orten zusammentreffen – wo das Weggehen und das Ankommen neue Geschichten schreiben – wo Bewegung Begegnung bewirkt und wo kulturellem und künstlerischem Handeln der Hof am Bahnsteig gemacht wird. … es ist nicht weit nach Panama …

(03)

(01) (02) (04) (05) (06) Schaukel

Auffangbecken

Zuggalerie

Wasserschloss Wasserlandschaft

577 m | 47°17’14.30” N | 11°35’32.86” O 619 m | 47°17’05.52” N | 11°35’38.72” O 852 m | 47°16’11.47” N | 11°36’13.41” O 553 m | 47°17’40.92” N | 11°36’34.11” O Wasserschloss (04) Auffangbecken (05) Schaukel (06) Schwelle (07) da wo es enger nicht mehr geht, wo es kein zwei- da wo stacheliges Dickicht und üppiger Wildwuchs da wo das Kind in uns angefragt wird, wo es ums da wo es statt eines Namens Orientierung braucht felndes Zurück, aber ein unaufhaltsames Weiter sich lichten und eine Oase in der Wildnis frei- Verstehen und Verstanden-Werden geht, wo Neugier, – wo ein Übergang zum Zustand wird und scheinbar und Drängen gibt, kompromisslos und wild – wo geben – wo sich ein- und abtauchen lässt in eine Lust und Spiel ein Universum erschließen, das uns Unumstößliches eine neue Ausrichtung erfährt – es schreiend und tosend aus dem Tal bricht oder Welt voller selbstverständlicher Schönheit – eigen ist und uns ins Experiment Leben schaukelt wo x/y-Koordinaten allein nicht ausreichen, einen seltsam plätschernd ins Land rinnt – wo sich die wo Natur respektvoll geschützt werden muss und – wo Kulturtechnik und Poesie zusammenfließen – Ort zu definieren – wo der Begriff von Grenzen Frage nach dem Dahinter stellt und im aufstei- Pflege notwendig ist, wo sich Alltägliches im da wo das Notwendige poetisiert wird. hinterfragt wird – da wo auf zeichenhafte Weise genden Wassernebel eine verlockende Spurensuche Spiel verliert oder verloren Geglaubtes auftau- von neuen Möglichkeitsräumen erzählt wird. beginnt. chen und überraschen kann. Bachgespräche 14 15

#2#2 #3#3 #4#4 Bachgespräch #2 | 16.09.19 Bachgespräch #3 | 23.10.19 Bachgespräch #4 | 06.02.2020 neue Bahnhöfe normalerweise relativ bei der Schett als Sommerpraktikant ich kenne den Bach nicht anders. Für Kulturbahnhof pragmatisch nach klaren technischen Dorfentwicklung ausgeholfen und wo er „unglaublich Kunstraum Watten- mich ist er in diesem Korsett Teil der Vorgaben und Eisenbahnrecht gestal- durch Kunst gute Gespräche geführt“ hatte. Trojers Identität des Ortes.“ Fritzens -Wattens tet werden; selten nach baukulturellen Blick auf die Heimat muss gleichzeitig bach und Partizipation „Der Bach kann mehr“, entgegnet mit Robert Possenig (ÖBB) mit Andreas Schett mit Roland Gruber Gesichtspunkten im Zuge einer großen schonungslos und zärtlich gewesen sein. Gruber. „Er kann verschiedene Aspekte (Kulturschaffender, Komponist und (Mitbegründer von nonconform – Büro für Ausschreibung. Es handelt sich vielmehr Kommunikationsdesigner) „Er hat als einer der Ersten und Präzises- Architektur partizipative Entwicklung) in sich vereinen. Um das rüberzubringen, Ein Bahnhof ist in der Regel um eine Art Modulsystem, bei dem die ten formuliert, dass das Dorf ein kleiner braucht es aber eine kraftvolle, schlüssi- ein Ort der Ankunft und Sicherheit und Funktionalität des Be- Wie viel Beharrlichkeit ver- Raum ist, wo man studieren kann, wie Kann der Wattenbach Identität ge Geschichte, die einen abholt.“ Auch Abfahrt. Er könnte aber viel triebs die größte Priorität hätten – aber trägt die Kulturarbeit am es im Großen und Ganzen funktioniert“, stiften? Wann ist der richti- für Markus Langes-Swarovski ist klar: mehr sein: ein Raum für durchaus noch Raum für Gestaltung ist. Land? Und was bleibt selbst sagt Schett. ge Zeitpunkt, um Bürgerinnen „Der Bach ist heute wenig spürbar im Begegnung, ein Paradies zum Selbst wenn Possenig die interne von der tollsten Initiative, Auch Andreas Schett hat die Ei- und Bürger ins Boot zu holen? Ort. Aber wir können ihn uns durch In- Tagträumen. Oder gar ein Überzeugungsarbeit bei den verantwort- wenn eine Vision in Flammen genarten und das Exemplarische des Und welche künstlerischen und terventionen zurückholen.“ Ort der Kunst? lichen Planern der ÖBB gelingen sollte: aufgeht? Andreas Schett hat Dorfkosmos in Innervillgraten früh in sozialen Anknüpfungspunkte Interventionen, die Akzeptanz Das Bahnhofsprojekt beschäftigt nicht das in seiner Heimat unmit- eine eigene Sprache übersetzt – und mit lassen sich dafür finden? auch durch gekonnte Ritualisierung nur Wattens, sondern gleich zwanzig telbar erfahren müssen. dem Musikensemble Franui vertont. Die- schaffen. „Was hält uns heute zusam- Für die Projektverantwortlichen ist der beteiligte Gemeinden, gibt der Bürger- se eigenständige Sprache zu entwickeln, men?“, fragt Alexander Erler und ver- neu zu gestaltende Bahnhof Fritzens- meister zu bedenken. Der Traum vom den genauen Blick zu wahren und das Gast des vierten Bachgesprächs ist Ro- weist dabei auf die Arbeiterkultur in Wattens eine einmalige Gelegenheit. Kulturbahnhof könnte am Ende an ei- Die „Villgrater Kulturwiese“, ein Som- Beispielhafte zu suchen, empfiehlt er al- land Gruber, Architekt und Mitbegrün- Wattens, die im vergangenen Jahrhun- Ein Kulturbahnhof scheint in Greif- ner knallharten Realität scheitern: „Die merfestival, das er im Osttiroler Dorf len Kulturschaffenden, egal ob im Dorf der von nonconform. Das Unternehmen dert in Wattens aufkam und bäuerliche weite zu sein, ein Bachgespräch soll Gemeinden müssen Kindergärten bauen Innervillgraten zwischen 1992 und 1996 oder in der Großstadt. mit Büros in Österreich und Deutschland Traditionen schrittweise verdrängte. So die Möglichkeiten ausloten. Vorbilder und Kanallöcher zumachen. Und keiner veranstaltete, scheiterte nach vier er- Doch welchen Wert hat Kultur für hat sich auf Bürgerbeteiligungsprozesse eine Entwicklung sei oft schmerzhaft, sind schnell gefunden: Der deutsche hat Geld. Das ist leider so.“ folgreichen Jahren am Höhepunkt: Der die Dorfentwicklung? Da holt Schett zu bei kommunalen Bauprojekten spezia- meint Erler. Aber zugleich würden sich Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe etwa Rebecca Sandbichler wachsende Unmut der Traditionalisten Beginn schon aus. Der Begriff Dorfent- lisiert. Ausschlaggebend dafür waren Möglichkeiten für neue, zeitgemäße beherbergt eine Galerie der komischen im Ort hatte einen Brandanschlag auf wicklung habe als politisches Ziel seit frustrierende Erfahrungen in Architek- Traditionen ergeben, wo alte nicht mehr Bachgespräch #1 (im Bild: Markus Langes-Swarovski, Monika Abendstein, Künste und ein Bahnhofskino genauso ein 400 Jahre altes Bauernhaus provo- dreißig Jahren unglaublich viel Geld ver- Johannes Kostenzer, Rebecca Sandbichler, Markus F. Strieder) turwettbewerben. In vielen Fällen lehnte länger gültig sind. „Solche Prozesse kön- wie Kreativbüros. Binnen weniger Jahre ziert – und dem Festival die Existenz- brannt, sagt er. „Mit dem Effekt, dass die unmittelbar betroffene Bevölkerung nen vielleicht von wenigen Personen mauserte er sich von einem Problemort grundlage geraubt. die Dörfer entsetzlich ausschauen.“ von Jury und Fachwelt gelobte Sieger- angeschoben werden, letztlich müssen zu einem Vorzeigeprojekt. Selbst im Es hört sich stimmig an, wenn er Dorfentwicklung sei eine eigene Kultur, projekte ab. „Die Projekte wurden in der sie aber zu einer kollektiven Handlung 8.000-Einwohner-Städtchen Itzehoe erzählt, wie er als Praktikant des Touris- die Trojer schon in den 70ern süffisant realen Welt nicht angenommen, weil sie werden.“ bei Hamburg kann der Bahnhof mehr musbüros nicht nur ein bisschen bessere und kritisch beschrieben habe. „Er hat zuvor nicht richtig aufgesetzt worden Beteiligungsformate könnten als Gleise, Wartehäuschen und WC. Unterhaltung für die deutschen Gäste sich lustig drüber gemacht, aber natür- waren“, so Gruber. Daraus wuchs das hier hilfreich sein. Aus langjähriger „Spannend am Bahnhof ist ja das organisierte, sondern mit Gleichgesinn- lich furchtbar darunter gelitten.“ Bedürfnis, einen partizipativen Prozess Erfahrung weist Roland Gruber auf die bunte Publikum“, sagt Alexander Erler. ten innerhalb kürzester Zeit ein avant- Und dennoch sei Kultur der Motor zu entwickeln, der die Bevölkerung in Wichtigkeit hin, den richtigen Moment „Der Bahnhof als niederschwelliges Zen- gardistisches, international beachtetes zur Entwicklung einer Gesellschaft und Bauvorhaben umfassend einbindet. zu erkennen, um die Bevölkerung mitein- trum für Kunst, Kommunikation und Festival auf die Beine stellte, auf dessen auch für ein Dorf, sagt Schett. „Sogar Vor dem Gespräch hat sich Roland zubeziehen. Ein Vorhaben müsse noch Mobilität, das hat Potenzial.“ Höhepunkt im Verlauf eines Sommers für eine Familie, das fängt beim Essen Gruber ein Bild der Lage am Wattenbach baustellenhaft, unfertig sein, zugleich Schon nach wenigen Minuten wird mehr als 20.000 Kulturbegeisterte an- schon an – Kultur ist das Wichtigste.“ gemacht. Wie denkt er darüber? „Der in seiner Fassung aber schon so konkret, klar: Alle Beteiligten erkennen, wie reiz- reisten – nach Innervillgraten! Rebecca Sandbichler Bach ist eine Barriere“, meint Gruber. dass das Kernanliegen nicht verwässert voll es wäre, im neuen Bahnhof einen War die ganze Arbeit es wert? „Es braucht hier eine Annäherung.“ wird. Und er ergänzt, dass es bei jeder Platz für Kunst und Kultur zu schaffen. Schett zitiert berührende Momente mit Und er plädiert dafür, im Zuge dieser Form von Partizipation wichtig sei, den Allein der Finanzierung wegen müsse er älteren, kaum gebildeten Dorfbewoh- Annäherung immer auch andere, grö- Beteiligungsprozess auf eine konkrete interessant für Investoren sein, so der nerinnen, die auf jeder Veranstaltung ßere Fragen mitzudenken. Themen, die Frage herunterzubrechen. Bürgermeister. Und das, obwohl Wattens waren. Aber auch die Umfrage, die ein gerade virulent seien und sich auf die Solche Prozesse werden oft von mit einer täglichen Frequenz von rund Freund und angehender Journalist im konkrete Umgebung herunterbrechen externen Personen begleitet. Wozu ei- 2.000 Fahrgästen theoretisch nicht ein- letzten Jahr der Kulturwiese noch unter lassen. Er bringt die Erderwärmung gentlich? „Externe Fachleute sind un- mal die magische Viertausender-Richtli- 140 von 200 Haushalten in Innvervillgra- als Beispiel und meint in Bezug auf den abhängig“, betont Gruber. „Sie kennen nie der ÖBB für ein Bahnhofs-WC über- ten gemacht hatte. Was die Bewohner Ort: „Wasser liefert natürliche Kühlung weder Beziehungen noch Verstrickungen schreiten würde. Doch sowohl Swarovski von der Kulturwiese hielten? und bietet Naherholung.“ Das ließe sich und sind Rahmenhalter, Blöde-Fragen- als auch die Papierfabrik, sagt Bürger- Die Ergebnisse kann Schett noch auch in Wattens anwenden, gemeinsam Steller, Auf-den-Punkt-Bringer.“ meister Thomas Oberbeirsteiner, hät- heute aufsagen: „16 Prozent haben ge- mit der Bevölkerung: „Viele Menschen Abschließend kommt Roland Gru- ten steigendes Interesse daran, dass ihre sagt: ‚Die gehören alle standrechtlich könnten gemeinsam einen Zugang zum ber noch einmal auf den Kunstraum MitarbeiterInnen per Bahn anreisen. erschossen. Das gehört sofort abgestellt. Wasser schaffen. Man setzt also auf tau- Wattenbach zu sprechen: „Wenn der Markus Langes-Swarovski bestä- Weg damit.‘“ Dann wiederum hätten im- send Schaufeln statt auf einen einzelnen Anspruch besteht, den Wattenbach im tigt das, wenn auch der berühmte letzte merhin 32 Prozent gemeint, die Kultur- Bagger.“ Grubers Sprachbilder bleiben kollektiven Bewusstsein zu verankern, Meter noch zu klären sei. Er glaubt, dass wiese sei „das Wichtigste und Größte, hängen. dann müsste er auch in dörfliche Rituale der Kulturbahnhof eine lustvolle Erzäh- was man jemals hat machen können“. „Wie aber vermittelt man das eingebettet werden. Gemeinsames Es- lung wäre. Dann stellt er jedoch die nur Dem großen Rest war es gleichgültig. Manko?“, wirft Monika Abendstein ein. sen, Trinken und Feiern können enorm scheinbar simple Frage: Was genau ist Für Schett ist das eine Regel, die bis Denn die meisten Menschen würden kraftvoll sein.“ ein Kulturbahnhof? „Das kann ja von heute gilt: „Wenn du was machst, hast diese Barriere als gegeben hinnehmen, Für Markus Langes-Swarovski der reinen Architektur des Bahnhofs du doppelt so viele Befürworter wie Geg- Neben dem jeweiligen Gast ihr Sein nicht in Frage stellen. Die Ver- wird im vierten Bachgespräch besonders und den drei Projektver- bis hin zu einer Programmatik alles sein. ner – und der Mehrheit ist es wurscht.“ antwortlichen nahmen – bauung sei schließlich auch aus gutem ein Umstand deutlich: Kunst müsse in Passiert da was, sind da Menschen am Schetts Interventionen in Inner- in wechselnder Besetzung – Grund errichtet worden, als Schutz vor der Ortsgestaltung stärker berücksich- Markus Langes-Swarovski, Schaffen, ist der Gast mit einbezogen? villgraten sind nicht im luftleeren Raum Bürgermeister Thomas den Kräften der Natur. „Wir sehen hier tigt werden, zumal sie auch viel für ein Da gibt es ja die gesamte Klaviatur, die entstanden. Der junge Osttiroler war Oberbeirsteiner, Kultur- Barrieren, viele aber nicht“, gibt sie zu soziales Gefüge leisten könne: „Kunst referent Lukas Schmied, Architektur ist dann eher noch das Ein- geprägt von seinem sensiblen, humor- die Schriftstellerin bedenken. Ein Punkt, den Kulturrefe- kann ein starker Vektor sein. Sie kann fachste.“ vollen Volksschullehrer Johannes E. Erika Wimmer sowie die rent Lukas Schmied aus persönlicher etwas in Bewegung bringen.“ Journalistinnen Rebecca Susanne Gurschler Ähnlich sieht es Robert Pos- Trojer, der im Jahr vor seinem Tod noch Sandbichler und Susanne Erfahrung bestätigen kann: „Ich bin in senig von den ÖBB. Er erklärt, dass eine Foto-Ausstellung kuratiert hatte, Gurschler daran teil. den 80er Jahren auf die Welt gekommen, Im Geflecht der Lichtfresser Bernhard Kathan 16 Bachschreiben 02 17

zarten Aderwerk durchzogen. Erst in der Nähe wird oder Stege durch die Urwald- und Ruinenlandschaft den Fluss, jedes Rinnsal in ein enges Korsett, und sei rührte mich seltsam, dachte ich doch immer, es fände man sich des architektonischen Wunderwerks bewusst, anzulegen. Ihnen verdankt sich, dass das eine oder an- es einzig deshalb, um genügend Futter für ihre Kühe sich unter all den Bauten stets das eine oder andere sieht man die schwulstigen Adern, die das Ast- und dere Bauwerk aus früheren Zeiten erhalten geblieben zu haben oder Kartoffeln anzubauen. Was für eine Ver- Gebäude, das selbst den ausgefallensten Bedürfnis- Blattwerk durchziehen und diesem Halt geben, all die ist, mögen diese auch alle nur der Betrachtung dienen schwendung! Die Industrialisierung war diesbezüglich sen entspricht, lässt sich doch selbst mitten im Ge- in Bauwerk, das seine Fühler in die Nach- Rippenbögen, Verstrebungen und Auskragungen, ins- und nicht mehr genutzt werden. Es sind nur wenige ein entscheidender Fortschritt. Nun konnten einige dränge ein stilles Einsiedlerleben führen. Ich dachte Bernhard Kathan, geboren EEbarschaft ausstreckt, dünne lange Röhren, tastend, besondere an jenen Stellen, an denen sich Bauwerke Bauwerke. Manche kümmern sich liebevoll um das tausend Menschen auf derselben Fläche ihr Auslangen an Bauten, in denen sich Gemüse anbauen lässt, und 1953 in Fraxern, Vorarl- berg. Lebt und arbeitet nach Stellen suchend, um neue Wurzeln zu schlagen. verästeln, Seitentriebe bilden. Was aus der Entfernung Schwimmbad, halten das Wasser sauber, mähen den finden. Heute leben hier hunderttausende. Das ver- das bei optimalen Temperaturen, ohne Spätfröste oder als Kulturhistoriker, Und hat es irgendwo, über dem Bach, im Schutt zwi- wie ein Halm oder ein Ästchen wirken mag, erweist sich Rasen oder schneiden die Hecken. Selbst die Zäune dankt sich der Vergrößerung der Oberfläche. Unsere Unwetter, die der alte Mann klagend erwähnte. Nein, Autor und Konzeptkünst- ler in Innsbruck. Seine schen Ruinen, Grund gefunden, treibt es von dort in bei näherer Betrachtung als meterdickes Gefüge. Aus halten sie instand. Niemand von ihnen würde auf den Bauwerke durchranken sich in einem Geflecht, das an das wolle er nicht, lieber mit dem Tod vor Augen das Kunstprojekte sind dem mehrere Richtungen weiter. So bildet es ein weitver- der Nähe betrachtet haben wir es mit keinen glatten Gedanken kommen, ins Wasser zu springen und einige manchen Stellen bis zu zweihundert Meter aufragen Leben betrachten. Und womit beschäftigt er sich? Mit Experiment verpflichtet und bewegen sich oft genug an zweigtes Geflecht, ein innen begehbares Röhrensys- Oberflächen zu tun, ganz im Gegenteil. Man denke an Züge zu schwimmen. Die Leidenschaft anderer gilt kann. Dieses Geflecht ist so locker gebaut, dass auch Bienen und Hummeln! Das ist verrückt, lässt sich doch der Schwelle des kaum noch tem mit Ausbuchtungen, die als Wohn-, Schlaf- oder gläserne Ausbuchtungen, die dichtgedrängt abstehen einer Halle in einer ehemaligen Fabrik. Hier ist eine in die tieferen Schichten genügend Licht fällt. Es fehlt das ganze Wissen über Bienen und Hummeln in unse- Wahrnehmbaren. Betreiber des HIDDEN MUSEUM. Mehrere Arbeitsräume dienen. Die Knotenpunkte, sie liegen auf und in einer dünnen, nadelartigen Spitze enden. riesige Maschine zu sehen, die Tag und Nacht in Gang also nicht an Raum. Für uns ist es völlig unverständ- ren Bibliotheken abrufen und Honig auf ganz andere Buchpublikationen, unter dem Erdreich auf, sind zu großen Räumen geformt, die ist, die seltsamsten Bewegungen ausführt, freilich ohne lich, wir haben diesbezügliche Schriften gefunden, Weise herstellen. Aber was wollte ich eigentlich damit anderem: „Schöne neue Kuh- stallwelt“ (Martin Schmitz hunderten von Menschen Platz bieten, und das, ohne Es ist keine statische Architektur, die an Aufnahmen nach etwas zu fassen, etwas abzuschneiden oder vor- dass Menschen einmal, obwohl sie in engster Nach- sagen? Vielleicht so: Wir lieben uns, aber wir brauchen Verlag), „Hungerkünstler“ sich zu drängen, in Orangerien, Theatern, Meeting- von Karl Blossfeldt denken lässt. Es sind lebende Bau- wärts zu schieben. Die Fabrikanlage selbst ist längst barschaft lebten, sich nicht davor scheuten, über den uns nicht.“ (Limbus Verlag), „Stille“ (Limbus Verlag). und Eventräumen. werke. Ständig sind sie in Bewegung, mag man dies zerfallen. Es existiert nur noch diese eine Halle. Hier Nachbarn, seine Frau und Kinder herzufallen, um sie „Du hast dich zu viel mit Liebesromanen beschäf- www.hiddenmuseum.net auch nicht spüren. Sie dehnen und strecken sich, legen soll einmal Zigarettenpapier hergestellt worden sein. zu erschlagen, vielleicht nur deshalb, weil seine Kühe tigt.“ Wasser und die nötigen Salze entzieht das Bauwerk sich einmal ganz unmerklich mehr auf diese, dann wie- Etwas weiter entfernt ragt ein Schornstein aus dem fetter waren. Sieht man von jenem gefährlichen Alter „Nein. Ich meine es ernst. Der alte Mann vermisst dem Erdreich. Tief treibt es Sonden in den Boden, Son- der auf jene Seite, wie es ihrem Behagen entspricht. In Grün. Weshalb gerade diese senkrecht nach oben ra- ab, das Jugendliche nach wie vor durchlaufen, so hat seine Frau. Sie ist vor Jahren gestorben. Er trauert ihr den, die auch der Verankerung dienen. Sein eigentlicher der Regel wird in ihre Ausbreitung nicht eingegriffen, gende Röhre erhalten geblieben ist, vermag ich nicht zu sich unsere Bauweise, ich kann es mit Sicherheit sa- nach.“ Baustoff verdankt sich der Luft. Um seinen Energie- es sei denn, es gilt ein bestimmtes Areal zu schützen. sagen. Auch keiner von jenen, die sich um den Schorn- gen, höchst beruhigend auf das Zusammenleben der „Das verstehe ich nicht …“ haushalt zu decken, spannt es in Abständen von etwa In diesem Fall werden die Knospen von Blattstielen, stein kümmern, vermöchte es mir zu erklären. Es mag Menschen ausgewirkt. Es gibt keinen Futterneid, auch „Alles ist zu unserem Besten gemacht. Ich darf Imzwanzig oder dreißig Metern größere oder kleinere Se- Ausläufern oder auch Blütentrieben mit der entspre- mit der Ahnung zu tun haben, nicht ganz geschichtslos bedarf es keiner Revierkämpfe mehr. nicht klagen, schon gar nicht, stelle ich mir das Le- gel aus, lang gestielte, fünfzählig gefingerte, am Rand chenden Information geimpft. Obwohl all die Bauwerke zu sein. Es gab andere vor uns, auch wenn wir uns ihr ben früherer Menschen vor. Es wäre mir zu mühsam, gezähnte Laubblätter, bewegliche Segel, Lichtfresser, über Jahrzehnte genutzt werden können, ist ihre Le- Leben nur schwer vorstellen können. Wir sind nicht Dass Bauern rodeten, Flüssen und Bächen Ackerland in einer Fabrik zu arbeiten, tagtäglich ein und die- stets der Sonne zugewandt. Sie nehmen Lichtenergie bensdauer doch begrenzt. Wie alle lebenden Organis- einfach vom Himmel gefallen. Wohl auch ein Grund, abrangen, ist ebenso verständlich wie das Bemühen selben Handgriffe auszuführen. Und doch überfällt auf und wandeln sie in chemische Energie um, in Pro- men sterben sie mit der Zeit ab, auffallenderweise oft warum eine der beiden Kirchen erhalten geblieben ist. Industrieller, ihre Fabrikanlagen ständig zu vergrö- mich ein gewisses Unbehagen. Denk nur an die Impfer. zesse also, denen sich neben vielen anderen Produk- genug dann, haben sich ihre Bewohner eine andere Be- Hier sind seltsamste Bildnisse zu sehen, deren Bedeu- ßern, neue Märkte zu erschließen oder Produkte auf Niemand sagt ihnen, was sie zu tun haben. Und doch ten auch unsere Bauwerke verdanken. Auf langen, das hausung gesucht. Wirkliche Ruinen vermögen sie nicht tung niemand mehr zu entschlüsseln weiß. Das trifft den Markt zu bringen, derer kein Mensch bedarf. Aber gilt ihr ganzes Augenmerk Trieben, die zum Wach- Blätterdach überragenden Stielen ruhen fünfblättrige, zu bilden, da sie, sind sie einmal da oder dort auf- oder nicht ganz zu, ist doch auf manchen der Gemälde un- irgendwann brach all das zusammen. Hunger und sen angeregt werden müssen, oder solchen, die sich goldgelbe Blüten, die sich, abhängig von der Wetter- abgebrochen, innerhalb weniger Jahre verrotten. Es schwer Wattens zu erkennen, wie es sich früher einmal Fluchtbewegungen waren die Folge. Epidemien bra- zu ungestüm entfalten könnten, nicht zuletzt Stellen, Geflechtlage, da- und dorthin richten, bei Wind schaukelnde werden neue Bauwerke daraus entstehen, neues Leben, derdem Betrachter darbot. Eine Kirche, da und dort einige chen aus. Menschen fielen über andere her, brachten sie ich bin jetzt ungerecht, denen sich unsere Nahrung, Bewegungen machen. Eigentlich bedürfte es dieser Substanzen, die unserer Ernährung dienen. Gehöfte, eine Straße. Kühe dürfen nicht fehlen. Bach- um, oft einzig deshalb, um sich den Magen zu stopfen. unsere Kleidung, das Trinkwasser und vieles andere Blüten nicht. Die Samen, die sie ausbilden, melonen- aufwärts gibt es sogar heute noch einen Bauernhof mit Nur wenige überlebten. Wie bei früheren Katastrophen verdankt. Im Schreibmaschinenmuseum stieß ich in große Nüsse, sind unfruchtbar. Zwar enthalten sie Schönheit, wie wir sie verstehen, meint trotz aller einigen Kühen. Es sind weiße Kühe. Seltsame Lebewe- in der Menschheitsgeschichte drängte sich ein Neu- einem der Regale auf einen Film. Es fand sich sogar neben wertvollen Ölen und Kohlenhydraten wichtige Eingriffe in das genetische Material die Eigenart, die sen. Natürlich käme niemand auf den Gedanken, ihre beginn auf. Das Wissen war vorhanden, hatten sich noch ein Abspielgerät. Zum Glück wurden nicht nur Mineralstoffe, haben aber für unsere Ernährung kei- Struktur der jeweiligen Grundpflanze so weit wie mög- Milch zu trinken. Wir ekeln uns vor Milch. Deshalb doch bereits lange zuvor zahllose Biologen mit vielen Schreibmaschinen gesammelt. Zu sehen waren Begräb- ne Bedeutung. Nahrungsmittel werden längst anders lich beizubehalten. Zu viel verdanken wir ihnen, als wird sie weggeschüttet oder an Kälber verfüttert. Wir relevanten Fragen beschäftigt. Aber erst nach der gro- nisfeierlichkeiten, die vor langer Zeit, um genau zu hergestellt. Es bräuchte also weder die Blüten noch dass wir sie verstümmeln dürften. Und dann wollten essen auch kein Fleisch. Mich hat immer wieder be- ßen Katastrophe wurden die entscheidenden Fragen sein im Jahr 2020, in der Kirche, die wir gemeinsam ihre Früchte. Unsere Techniker haben sich gegen eine unsere Techniker die Gefahren nicht missen, drohen eindruckt, mit welcher Hingabe dieser Bauernhof am gestellt: Wie lässt sich das Leben anders organisieren? angeschaut haben, einer jungen Frau galten. Der Sarg LichtfresVerstümmelung entschieden, der Schönheit der Blüten doch die abfallenden Nüsse, jeden,- der davon getroffen Leben erhalten wird. Ich las einmal von einer Königin, Was ist Raum? Welche Architektur ist denkbar? stand ganz vorne. Links und rechts je drei große, mit und ihres leuchtenden Goldes wegen. wird, zu erschlagen. Gefährdung sei Teil des menschli- sie hieß Marie-Antoinette, die in ähnlicher Weise einen üppigen Blumen geschmückte Kränze. Bedauerlicher- chen Lebens. Wer das sichere Röhrenwerk verlasse, es Bauernhof betrieb, allerdings nur wenige Jahre. Dann „Warum erklärst du mir, was ich genauso gut wie du weise war der Sarg geschlossen. Ich konnte also die Unsere Bauwerke, mögen sie alle auch auf denselben wird niemand daran gehindert, der müsse eben wissen, wurde sie geköpft, auch etwas, was wir uns nur noch kenne? Ich sehe auch all die Röhren, Rispen, weiß die Vorstellung, die ich mir von der Toten machte, nicht Gesetzen beruhen, könnten in ihrer Gestalt nicht un- welchen Gefahren er sich aussetze. Mögen sich solche schwer vorstellen können. Blattarten und Blüten zu unterscheiden. Die große mit der Wirklichkeit abgleichen. Aber im Film sah ich terschiedlicher sein. Andere Bauwerke sind anderen Überlegungen auch einem gewissen Eigendünkel der Katastrophe ist tief in uns allen verankert.“ sie als Kind, mit ihren Eltern, bei diesen oder jenen Pflanzen entlehnt. Manche recken sich turmartig, Techniker verdanken, ihre Leistungen seien anerkannt. Am liebsten unter den erhalten gebliebenen Gebäuden „Ich wage mich oft ins Freie, habe keine Angst, Feierlichkeiten, auch im Schwimmbad, auf grünem Stockwerk um Stockwerk ineinander verzapft, in die Erwähnt seien etwa Membranen, die Licht in die In- ist mir das Schreibmaschinenmuseum. Es steht auf ei- von herabfallenden Nüssen erschlagen zu werden. Rasen liegend. Die Bilder haben mich eigenartig be- Höhe. Andere bilden zwiebelförmige Gebilde in lufti- nenräume fallen lassen oder es ohne Beeinträchtigung ner Insel, die sich der Wattenbach zwischen Ruinen Manchmal wandere ich hinunter zum Fluss, der längst rührt … Ganz tief unten, am Boden unseres Urwalds, ser ger Höhe, in denen sich gut leben lässt. Manche der des Binnenklimas erlauben, zwischen Innen- und Au- geschaffen hat. Zweifellos hätte er das Gebäude auch wieder ein neues Bett gefunden hat. Mag das Habitat, entdeckte ich Reste eines Friedhofs. Dorthin scheint Sonnenfresser sind als begehbare Plattformen gestal- ßenräumen zu wechseln. mit sich fortgerissen, hätten nicht Begeisterte einen in dem wir leben, noch so perfekt organisiert sein, so sich niemand zu verirren. Im Gestrüpp stieß ich auf tet. Ihr Rand ist hochgekragt. Das fordern unsere Si- Damm aus großen Steinen aufgeschüttet. Ganz weiß drängt es mich doch manchmal hinaus. Irgendwo allein einige umgestürzte Steine. Auf manchen von ihnen cherheitsbestimmungen. Es ist eine Eigenart unserer Das Geflecht hat den Wattenbach überspannt. Von den gestrichen steht es da, überwuchert von unseren or- sitzen, um dem Plätschern von Wasser zu lauschen, ließen sich die eingravierten Namen entziffern. An uns Lebensform, dass jeder die ihm behagenden Räumlich- Plattformen aus lässt sich ein guter Überblick verschaf- ganischen Bauwerken. Ich habe die Schreibmaschinen das könnte ich auch im Geflecht. Ich kenne Stellen, an wird sich niemand erinnern. Es wird keine Erinnerung keiten wählen können muss. Manche ziehen es vor, in fen. Nicht unerwähnt sei, dass man alles in der Aufsicht nicht gezählt, aber es sollen 2.637 sein. Früher lebende denen das durch Poren und Rillen der Sonnenfresser geben. Niemand wird uns vermissen. Wir kennen weder schachtelartig aufgebauten Türmen zu leben, die, das sieht, bewegt man sich doch zumeist in einer Höhe von Menschen müssen ein großes Mitteilungsbedürfnis fallende Licht eine angenehme Wärme bewirkt. Aber Vergangenheit noch Zukunft. Was wir Vergangenheit sei nebenbei erwähnt, weit ins Erdreich reichende und etwa sechzig oder siebzig Metern. Blickt man hinunter, gehabt haben. Aber vielleicht wurden solche Maschi- es ist dann doch etwas anderes, am Fluss zu sitzen. Es nennen, ist nichts als Wissen, Information. Und die mehrere dieser Bauten verbindende Rhizome ausbilden. dann lässt sich die ehemalige Struktur der Besiedlung nen eher dazu benutzt, um Besitzstände zu wahren sind andere Geräusche. Auch die Sonne ist eine andere. Zukunft? Ich kenne kein Ziel. Verschwindet jemand, Das war nicht beabsichtigt. Auch heute noch ist es so, erahnen. An manchen Stellen hat sich der Bach ein und Übereinkünfte zu besiegeln. Letzteres lassen vor An manchen Stellen hat der Inn die breitspurige Straße, tritt ein anderer an seine Stelle. Auch du wirst mich dass sich die Folgen mancher Neuerung nicht immer neues Bachbett geschaffen. Es gibt keinen Grund mehr, allem Schriftstücke vermuten, die hin und wieder in die einst das Tal durchschnitt, unterspült und wegge- nicht vermissen. Denk an die Fleischfresser, die dazu genau vorhersehen lassen. In den sehr unterschiedli- ihn zu zügeln. Die meisten der Gebäude aus früherer der einen oder anderen Ruine entdeckt werden. schwemmt. Ihr Verlauf lässt sich ahnen, mögen ihre dienen, die Körper unserer Toten zu entsorgen. Kaum chen Gebäudeformen haben sich jeweils Menschen mit Zeit wurden längst aufgegeben. Es sind viele Ruinen Reste auch unter Laub und Gestrüpp begraben sein. von oben aus durch ein Abwurfloch zwischen riesige, ganz bestimmten Vorlieben zusammengefunden. Es zu sehen. Einfamilienhäuser, Wohnblöcke, in denen Unsere Lebensweise verdankt sich entscheidend dem Wir leben in einem Röhrensystem. Um das zu begrei- mit spitzen Zähnen besetzte Fangblätter geworfen, finden sich auch eiförmige Gebilde, die auf der Erde Menschen hausten, die vor langen Jahren in Fabriken Umstand, dass sich heute nahezu alles, ganz gleich, ob fen, solltest du dich einmal durch die Dunkelheit einer klappen diese in Sekundenschnelle zusammen. Hast aufliegen und in der Regel nur von Personen bewohnt beschäftigt waren, Fabrikanlagen, wobei all die Bau- es sich um Bauwerke, Nahrungsmittel oder Güter des der Röhren tasten, die von früher lebenden Menschen du den Vorgang je beobachtet …?“ werden, die jede Geselligkeit scheuen und ein zurück- werke bestenfalls noch zu erahnen sind, werden ihre alltäglichen Bedarfs handelt, auf pflanzlicher Basis geschaffen wurden, aber längst ihre Funktion verloren gezogenes Leben führen. Reste doch von vielfältigsten Pflanzen überwuchert, herstellen lässt. Nein, wir haben unsere Körper nicht haben. Allein. Schaudern und Glück könnte dich dabei und zwar nicht nur von unseren Bauwerken, sondern auf einen photosynthetischen Stoffwechsel umgestellt, überfallen. Unlängst unternahm ich eine Wanderung Würde man all die Bauwerke aus großer Entfernung auch von Pflanzen in ihrer herkömmlichen Gestalt so wie es manche unserer Vorfahren erträumten. Wir bachaufwärts, in eine Landschaft, die aufgegeben wur- betrachten, sie ließen an ein Gestrüpp denken. Man und Größe, an feuchten Stellen etwa von Moosen oder haben in unserer Haut kein Chlorophyll eingelagert. de und sich selbst überlassen ist. Es war sehr mühsam, sähe Stängel und Halme, Ast- und Blattwerk. Es be- Farnen, oft genug Hirschzungen. Da und dort ist in Wir sind nicht grün. Die Haut mancher ist dunkel, mir einen Weg durch das Gestrüpp zu bahnen. Oft ge- darf keiner großen botanischen Kenntnisse, um all den Sommermonaten der Rundblättrige Steinbrech zu nahezu schwarz, die Haut anderer tendiert ins Gelbe, nug stolperte ich oder blieb an einem Ast hängen. An die Erscheinungsformen zu sehen. Da parallelrandige sehen, an trockenen und sonnenbeschienenen Stellen die wieder anderer ist nahezu weiß. In unserem Aus- manchen Stellen versank ich tief im Schlamm. Auf einer Blätter, die in einer kapuzenförmigen Spitze enden. die Ästige Graslilie. sehen, sieht man vom Ebenmaß ab, unterscheiden wir Lichtung begegnete ich einem alten und gebrechlichen Sie sind dunkelgrün, aufrecht und steif. Daneben ko- uns nicht wesentlich von unseren Vorfahren. Unsere Mann. Nein, er wolle nicht in Bauwerken leben, die nisch zugespitzte, hell- bis dunkelgrüne Blätter, oder Wir verlassen das Röhrensystem nur selten. Warum Lebensform ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, stets dieselbe Temperatur aufweisen. Er wolle Kälte deutlich behaarte, stark oder fein gerillte, auch bors- sollten wir uns in die unwirtliche Außenluft begeben, dass unsere Bauweise riesige Oberflächen erlaubt. In und Hitze spüren.“ tig bewimperte mit welligem Rand, graugrüne oder herrscht doch in allen Räumen eine konstante und Wattens sollen vor langen Jahren nur wenige hundert „Wovon lebt dieser Mann?“ mattgrüne, flache wie gefiederte, seidig oder locker angenehme Temperatur, ist doch für alle Bedürfnisse Menschen gelebt haben, und zwar von dem, was sie „Er hat einen Gemüseacker. Auch dürfte eine behaarte. Manche sind am Blattgrund mit auffallend gesorgt. Dennoch treibt es die einen oder anderen Be- dem Boden abrangen. Verständlicherweise suchten sie seiner Töchter, die im Geflecht lebt, ihn manchmal vorstehenden Haarbüscheln versehen und von einem wohner immer wieder hinaus, und sei es, um Brücken Raum zu schaffen. Sie rodeten Wälder und zwangen besuchen und mit dem Nötigsten versorgen. Es be- „Wir wurden Anfang 2019 eingeladen, ein filmisches Porträt des 18 ziviler Nutzung, strenger Verbauung bis zum idyllischen Gebirgs- Wildruf Film ≥ Video abrufbar unter: www.krwb.at 19 Fließbilder Wattenbaches anzufertigen. Im Laufe eines halben Jahres haben bächlein zeigte er uns auf wenigen Fließkilometern seine vielseitigen wir uns von seiner Mündung bis zur Quelle hochgearbeitet und dies Gesichter. Eine von den Auswirkungen auf Mensch und Wirtschaft mit der Kamera dokumentiert. Von ausgeprägter militärischer und oft unterschätzte Naturgewalt.“ Victor Kössl, Co-Regie vuattanes vuattanes c. w. bauer 20 Bachschreiben 03 21 wattenbach-fragmente

Christoph W. Bauer, ge- ein silbernes wellenband steht mir vor mit blick auf den kanal in den ursprung zurück in einen lichtbeheizten boren 1968 in Kärnten, aufgewachsen in Tirol, verfasst Lyrik, Prosa, augen ein reichsapfel wird mir unversehens klar ich muss julimorgen über den bahnhofsvorplatz Essays, Theaterstücke, Hörspiele und Übersetzun- und ein kristall während ich ad fontes gelangen und hinein und bald unter mir ein blecherner fluss gen. Herausgeber mehrerer Anthologien, Kurator der Reihe „Dichter im Fokus“ im Unabhängigen Litera- bei einer zigarette ins tal zur keimzelle der gemeinde der sich südwärts wälzte aus der ferne turhaus Niederösterreich, Leiter von Schreibwerk- stätten. Diverse Lehrauf- meinen gedanken nachhänge durch die ich in versen meine kreise grüßte laurentius von rom und träge an den Universitäten in Innsbruck, Klagenfurt zug um zug lasse ich mich treiben ziehe um sie mir spürbar zu machen ich geriet schritt für schritt tiefer und Wien. Zahlreiche Ver- öffentlichungen, zuletzt „Niemandskinder“ (Ro- man, 2019) und „stromern“ das knistern des papiers jene dynamik die sich über jahrtausende in die geschichte eines ortes vuattanes (Gedichte, 2015), beide Haymon Verlag. Mehrere Auszeichnungen, zuletzt öffnet ungeahnte räume schon das geröll zurechtschliff als vorbote vuattanes sagte ich vor mich hin wie eine Outstanding Artist Award und Tiroler Landespreis tauche ich ab im wattenbach und späterer schmucksteinschleiferei beschwörungsformel von der ich noch für Kunst (beide 2015). www.cewebe.com höre mich fragen wo ist er geblieben in meinen ohren ein tosen und krachen nicht wusste was sie auslösen kann

wo ist er geblieben der antrieb ein tosen und krachen entwurzelte auslösen kann das wasser der schwemmkegel bäume und der erdige geruch reichtum und andere katastrophen schuf geröll aus dem tal des baches nach schweren geflutete felder einen kampf

rollte sich zu einem hügel sommergewittern kindheitsbilder ums überleben zigarettenpapiere und von einem jahrhundert ins andere steigen in mir auf und geschliffenen tand touristenfallen ein kirchlein drauf und darunter tragen mich wie einen ball erinnerungsströme auch

spuren aus der spätbronzezeit der über tor und feldrand hinaus umwidmungsvorhaben verbauungspläne ein brandopferplatz in der flur ins wasser gekullert ist wahlen versprechen politisches himmelreich kommt mir in den sinn noch sehe ich den ball kleiner kleingeld und in freier assoziation

und die älteste papierfabrik in diesen breiten werdend verschwindet er in der zeit spielkarten orgelwerke wattenbach

in diesen breiten wurde eingequellt in der zeit die uns folgen wird wattenbach wo ist er geblieben vuat-gelacht und gehadert werden auch wir eingehen höre ich mich fragen meinen gedanken in bütten abgefüllt was einst in tabellen und referate vielleicht nachhängend lasse ich mich treiben

über arabische händler in aber verliert die zukunft durch einen sommer und zeilen wie diese die marken gelangte kein wort über uns und was ließe ich tauche ein ins leben tanesnach fabriano provinz ancona sich schon anderes sagen was wir gelächter gemurmel irgendwo veränderte das leben unmerklich nicht selbst behaupten könnten über jene bellt ein hund ruft mich zum aufbruch zunächst bis der wohlstand kam aus deren windschatten wir traten vor kein tosen kein krachen am kanal und mit ihm neue regeln sich fortlaufend verändernder landschaft entlang richtung bahnhof vor augen vuat-denke ich mit blick auf den kanal führt kein weg in den ursprung zurück steht mir ein silbernes wellenband tanes Der Weg zum Himmelreich Bernd Schuchter 22 Bachschreiben 04 23

schaften, Kühe und Hühner und Gänse halten, die in sich mit Geschichte befasst, weiß allerdings, dass sich ihrer Freizeit dem wenig rentablen Obstanbau ein paar alles wiederholt. Die Rätoromanen in ihren Gräbern Schnäpse abtrotzen, die man durchaus als Medizin be- schmunzeln ob der Angst ihrer Nachgeborenen, haben Bernd Schuchter, geboren zeichnen kann. Mit den Jahren wären ein paar Zuzügler sie doch die Schrecken ihres eigenen Aussterbens schon 1977 in Innsbruck. Studium Himmel- der Germanistik, Geschich- aus Innsbruck gekommen, die hier billiger bauen und hinter sich. te und Philosophie an der wohnen hätten wollen, aber das Dorf wäre bestehen Es gibt eine Fernsehaufnahme des Hochwassers, Universität Innsbruck. Rezensent und Autor sowie geblieben. Das Dorf mit seinen trägen Gewohnhei- in der hagere Männer versuchen, die Reste einer vom Verleger des Limbus Verlag ten und Bräuchen, den Fasnachtsumzügen und dem Jahrhundertwasser weggespülten Brücke abzutragen. (www.limbusverlag.at). Lebt mit seiner Familie Aufmarsch der Dorfmusiken, deren Blasmusikgebell Ein Seil ist über den Bach gespannt und die Männer in Innsbruck. Zahlreiche wie Katzenmusik gleichmütig ertragen worden wäre. stapfen tapfer durch das kalte Wasser. Ein Bagger Stipendien und Preise, u. a. Theodor-Körner- Das Dorf aber wäre Dorf geblieben. Wenn nicht kommt ins Bild, streng dreinblickende Männer, dann Preis für Kunst (2017). kurz vor der Jahrhundertwende um das Jahr 1894 herum wieder das viele Wasser. Ohnmacht. An den Uniformen Zuletzt erschienen die „Gebrauchsanweisung für der Bau einer Brücke über den Inn angedacht und aus- erkennt man Soldaten des Bundesheers, Polizisten, Tirol“ (2017), das Erin- reich geführt worden wäre, die dazu noch der damalige Leiter aber auch Bauern, einfache Bürger, wenn man so will. nerungsbuch „Aufwachsen in Innsbruck“ (2018) und der Papiermühle Martin Kapferer bereitwillig finan- Müde sind sie alle, allmählich kraftlos, aber gewillt, der Roman „Rikolas letzter zierte, da er sich wirtschaftlich davon etwas versprach. etwas zu tun, auch wenn sie insgeheim wissen, dass Auftritt“ (2019). Seine Bücher wurden ins Ukrai- Kapferer ging es nicht darum, die unbedeutenden Dör- es kaum etwas zu tun gibt. Der Fluss ist über die Ufer nische, Polnische, Ita- fer Wattens und Fritzens miteinander zu verbinden, getreten und es gibt keinen, der ihn aufhalten könnte. lienische und Englische übersetzt. sondern darum, seine Heimatgemeinde mit der Bahn Man kann nur abwarten, und dann schauen. Lohnt da www.berndschuchter.at und somit mit dem Rest der Welt zu verbinden. Wobei ein Blick ins Himmelreich? damals der Rest der Welt – Wien, Berlin, gar Paris – nur Wie durch ein Wunder kam beim Hochwasser eine weit entfernte, fantastische Vorstellung war, die im Jahr 1965 niemand ums Leben, aber das ist purer erreichen zu können oder zu wollen einem einfachen Zufall. Der Ort jedenfalls war danach ein anderer. Wat- Wattener Bauern nie in den Sinn gekommen wäre. tens hatte seine Unschuld verloren, der Fluss wurde Aber dann kam die Welt eben nach Wattens. gezähmt und verbaut und fließt seitdem als kümmer- Auf ebenjener neu errichteten Brücke kam der jun- liches Rinnsal durch den Ort. Keine Stelle, an der man ge Daniel Swarovski von weit her aus Böhmen, auf zu ihm hinkönnte, zum Fluss, der über Jahrhunderte Schusters Rappen und mit ein paar Ideen in Sachen so wichtig war für Wattens. Kein Spiel, kein Platz für Glasschleiferkunst, die er vor den Kollegen in Wien den Bach. Selbst die unwirtliche Gegend oberhalb des oder Prag lieber verborgen halten wollte. Der Rest ist Wasserfalls ist eine Tabuzone. Dort, wo man früher am Geschichte, untergegangen im röchelnden Sprudeln Bach entlang wandern konnte, ist heute ein Sperrge- Der des Wattenbachs. biet. Der Berg ist in Bewegung, sagen die Geologen, der Und dann kam das Wasser, wieder einmal, und Fluss ist – so gezähmt er auch erscheinen mag – eine gestaltete den Ort endgültig um. Gefahr. Schwachsinn, sagen die Einheimischen, die Die Rätoromanen im Himmelreich, die ihren den Weg entlang des Flusses den vielen Warnschildern Beitrag Jahrhunderte vorher geleistet hatten und ihr zum Trotz mit ihren Hunden dennoch nutzen. Aber Es waren im Großen und Ganzen ruhige von Wattens eine Sippschaft Rätoromanen an, die stur ihn zu verteidigen; er ist gestürzt, sobald das Land braves Leben umsonst geopfert hatten, gingen je nach ein mulmiges Gefühl bleibt. Die Einheimischen reden EEJahre für die Feuerwehren nach 1960. Außer einem und heimlich ihre Felder bestellten, ein paar Schweine nicht mehr einwilligt, sein Sklave zu sein. Man darf Legende entweder unter, weil die Römer – ihrer über- sich darauf hinaus, dass es schon nicht so schlimm Brand beim Halbeis gab es nur wenig zu tun. Zimmer- und sonstiges Vieh hielten und die Hunde mit Flüchen ihm nichts nehmen, man gebe ihm nur nichts. Das Land drüssig – ihre kargen Siedlungen eroberten und zer- kommen werde, dass der Fluss gnädig sei, als wäre er brände, Kellerbrände, nichts Besonderes. Im Jahr 1962 Wegund Tritten vom immer glosenden Feuer zu vertreiben soll sichzum nicht einmal bemühen, etwas für sich zu tun, störten, oder weil ein verheerender Brand ein längeres eine Flussgottheit, schließlich habe er sie bis jetzt auch hätte man schon ahnen können, dass etwas kommen suchten, wenn diese zu frech wurden und an die Vorräte es bemühe sich nur, nicht etwas wider sich zu tun. Die Verweilen unmöglich machte. Brände oder Fluten – es nicht verschlungen, und überhaupt: Seit Generationen könnte. Der Rasenbrand in Fritzens war noch nicht gehen wollten. Wer kann heute noch sagen, warum Völker lassen sich also willig plagen und helfen selbst ist einerlei, was für ein Unglück das Ende markiert; wanderten ihre Vorfahren und Ahnen und nun sie selbst besorgniserregend, aber dann kam der Hochwasser- diese Gegend gemeinhin Himmelreich genannt wird, dazu, weil, um frei zu sein, sie nur aufhören dürften die Überlebenden gestalten das Erbe ohnehin anders, am Wattenbach entlang. einsatz im selben Dorf, dann brannte das Tonwerk, aber der Name mag älter sein als die Menschen, die zu dienen.“ zwangsläufig neu. Mit Blick auf eine nach wie vor Der Ort war nach 1965 nicht mehr derselbe, wie er auch in Fritzens, es gab Feuer beim Farbmacher in ihn zum ersten Mal aussprachen. Wie viel weiß man Von welchen Hoffnungen getrieben mochten unsichere Zukunft. Aber auf eine Zukunft, die es zu nicht derselbe war, als der junge Daniel Swarovski im Wattenberg und schließlich im Dezember einen lich- nicht mehr, weil darüber nicht geredet wird, da der sich die Rätoromanen einst im Grenzgebiet zwischen erringen gilt. Das war vor rund zweitausend Jahren Jahr 1894 mit Mut und Elan den Inn überquerte. Heute terlohen Großbrand in der Papierfabrik. Die Mühle Menschenschlag, der hier lebt, zu maulfaul, zu ver- römischem Imperium und barbarischem Norden hier nicht anders als heute. Wattens scheint ein von der steht seine Statue inmitten der Stadt und man weiß bestand schon weit über vierhundert Jahre und war auf schämt ist, um sich seiner Vergangenheit zu erinnern. im Himmelreich oberhalb von Wattens angesiedelt Weltgeschichte vergessener Ort zu sein, der in einem als Betrachter nicht recht, was soll es bedeuten. Man Wohl und Wehe dem Lauf des Flusses ausgeliefert, der Es ist seltsam. Wattens ist heute ein Ort, dem es haben? Dabei war es durchaus die Geschichte einer permanenten Stillstand lebt, da die Umarmung der denkt unwillkürlich an eine Provinzstadt wie Wörgl, die sie sowohl versorgte als auch bedrohte. Eine seltsame gut geht, doch zugleich weiß man um den magischen erfolgreichen Migration, wovon jedes Grenzland über einen Familie kaum Luft zur Entfaltung bietet. Aber noch immer durchzogen ist von Bauernhöfen inmitten Abhängigkeit. Einfluss einiger, von deren Bedeutung oft nur hinter die Jahrhunderte immer wieder profitiert. In ihren Her- war es für die Rätoromanen angesichts des Imperium der Stadt; dort riecht man noch immer den frischen Dabei war der Wattenbach seit Menschengeden- vorgehaltener Hand erzählt werden darf, um ihren kunftsgebieten hatten sie durch Roms Machtausdeh- Romanum anders? Karge Kohlköpfe im Winter, dazu ein Dung und sehnt sich ein bisschen nach der Moderne. ken meist ein kleines Rinnsal oder auch ein strammer Zauber nicht zu bannen. In dieser Geschichte geht es nung auf keine blühende Zukunft mehr zu hoffen, so paar Zwiebeln, nicht einmal Kartoffeln, denn die gab Das zumindest hat Wattens geschafft; der Ort Bach, mehr nicht. Die Mühlen arbeiteten sich seit schließlich um eine Art Unterwerfung, die erst aufge- suchten sie ihr Glück in der Fremde und dienten Rom es in vorkolumbianischen Zeiten noch nicht in diesen ist sauber und hübsch, und seelenlos und verloren. Die Jahrhunderten an ihm ab und die Bauern des Dorfes hoben werden kann, wenn dieser Zauber gelöst worden als Grenzschützer, als Puffer nach dem Norden. Was Breiten. Dünner Wein, vermischt mit dem Wattenbach, Tyrannis ist kaum spürbar zwischen Babymodenge- nahmen ihn gerne, um mit ihren flachen Booten Lasten ist. Es ist keine Geschichte der Selbstermächtigung, sie in der Fremde fanden, war ein blühendes, fruchtba- dazu Hirse, Erbsen, Gerste; das musste reichen. schäft und Drogeriemarkt, zwischen der Pizzeria und flussabwärts zu transportieren. Die schmalen Nachen sondern eine der Auslöschung, denn jeder Tyrann – so res Land, dessen Klima ein zwar entbehrungsreiches, Das Wasser, das rund zweitausend Jahre später dem Bäcker Ruetz, zwischen Heimatmuseum und der glitten leicht die Schnellen hinab, angestoßen vom lan- viele Wohltaten er seinen Untertanen auch erweist – aber genügendes Auskommen versprach. Davon zeugen ins Tal donnerte, war von anderer Art. Es war nicht Kirche am Hauptplatz, dessen Zähne gerade gerichtet gen Stab des Schiffers, der problemlos die Untiefen bleibt dennoch ein Tyrann, der seine ganze Umwelt die fein gearbeiteten Bronzeschwerter, die Tongefäße, lebensspendend, klar sprudelnd und hell, sondern werden. Was kann man aus einer Durchzugsstraße auch auslotete. Die Wattener lebten jahrhundertelang gut nach seiner Fasson zu gestalten sucht. Aber das sind zu die kunstvollen Spangen und sonstigen Alltagsgegen- braun und stinkend und führte Unmengen an Geröll Besseres machen als eine Begegnungszone. So verlegen und ohne großes Aufsehen mit ihrem Bach, der sich starke Worte; Machiavellis Fürst muss nicht unbedingt stände, die man seit dem frühen zwanzigsten Jahrhun- und Holz mit sich. Die Feuerwehren hatten das Jahr die Arbeiter gerade kubikmeterweise Pflastersteine, am Ortseingang zum Oberdorf ein wenig kaprizierte bemüht werden, auch nicht Oswald von Wolkensteins dert bei Ausgrabungen gefunden hat. Medizinalrat zuvor nur kleinere Arbeiten zu erledigen gehabt; eine als lebten wir noch im tiefsten Mittelalter. Das Weiß und so etwas wie einen Wasserfall imaginierte, wofür Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Aber sind nicht selbst Karl Stainer – auch ein früher Förderer und Mäzen Überschwemmung beim Föstl wegen Schmelzwasser, der Pflastersteine strahlt – im Wissen um die Vergäng- die Höhe eigentlich zu gering war. Nein, der Watten- die größten Wohltaten, die einem erwiesen werden – so der Gemeinde Wattens, der mit der Geierwally Anna die Überflutung des Gasthof Neuwirt, ein kleiner Dach- lichkeit des Himmelreichs reichlich ironisch – um die bach war zahm und kühl und erzählte sprudelnd die lieblich und mit tätschelnder Hand, die über Wangen Stainer-Knittel verwandt war, die in Wattens verstarb, stuhlbrand und natürlich die Brände im Café Weis und Wette mit der Sonne an diesem hellen, sonnigen Tag in Geschichten der Wattenberger, die er auf seiner Rei- streicht –, nicht doch immer Ausdruck einer gewissen ohne allerdings dort gelebt zu haben – war einer der im Gasthof Tiroler. Als Warnung hätte die gewaltige Wattens. In der Ferne ist Verkehrsrauschen zu hören. se aufnahm, aber niemand mochte hinhorchen oder Abhängigkeit? Wenn ein Wohltäter von etwas wahr- Ersten, die das rätoromanische Erbe auszugraben ver- Katastrophe durch eine Gasexplosion im Swarovski- verweilen im Tal unten, sie wollten nichts hören von haft lebt, dann ist es der Dank, den er sich für seine suchten; er war es, dem das heutige Himmelreich zu Werk vom 29. November dienen können, bei der meh- rutschenden Hängen und rumpelnden Felsen und um- Zuwendungen erwartet, wie auch die Beschenkten verdanken ist. rere Gebäudeteile weggerissen und beschädigt wurden. stürzenden Bäumen, wie das jeden Winter üblich war. darauf hoffen, dass ihr Dank ihnen die Gunst erhält, Und dann kam das Wasser, von dem die Watte- Es folgte eine schneereicher Winter, Niederschläge Es wurden Kinder geboren unter qualvollen Schreien von der sie leben. ner seit Jahrhunderten lebten und das sie als selbst- auch im Frühjahr, gefolgt von einem Frühsommer mit der Mütter und unter dumpfem Nicken der Väter, die Aber wer will hier von einem Tyrannen reden, wie verständlich ansahen, mehr als eindrücklich in das vielen Gewittern, kurz: Die Flüsse und Bäche hielt es an ihren Pfeifenstielen saugten, und gut war es, mehr es Michel de Montaignes Freund Étienne de la Boétie Gedächtnis der Menschen zurück. Wie ein lange ver- nicht mehr im Bett und in Zaum. musste man nicht dazu sagen. Nur dem Pfarrer oblag in seiner Abhandlung über die freiwillige Knechtschaft schollen geglaubter Verwandter, ein entfernter Vetter Im Juni 1965 schließlich trat der Wattenbach über es, seinen Segen dazu zu geben. macht, allein das Wort Tyrann ist in demokratischen oder ein totgeglaubter Bruder in Amerika, an den man die Ufer. Die folgenden Bilder brannten sich ein und Dabei wurde in der Gegend schon weitaus früher Zeiten ein zu starkes. Boétie wundert sich, dass sich schon kaum mehr Erinnerungen hatte. Was wäre gewe- veränderten den Dorfflecken für immer. Das Tosen in geboren und gestorben, mit einer Regelmäßigkeit, die Millionen von einem Einzelnen knechten lassen, und sen, wenn Wattens ein Ort wie Hatting, Polling oder der Nacht, das Knacken der Hölzer, das Aufschrecken sich ein Schweizer Uhrmacher nur wünschen konnte. empfiehlt den Untertanen eine einfache Methode, ihr Flaurling geblieben wäre; ein Ort der Auslassung, den aus unruhigem Schlaf, Schreie, Glockengeläut, laute Während der Wattenbach das Tal noch regelmäßig Joch abzuwerfen. „[Es] ist ja nicht einmal nötig, gegen man getrost vergessen könnte? Ein Dorfflecken mit Stimmen, Wimmern und Weinen, das sichere Gefühl, zu einer Geröllhalde machte, siedelte sich oberhalb diesen einzelnen Tyrannen zu streiten oder sich gegen einem kleinen Kreis von Bauern, die ihren Hof bewirt- es würde nichts mehr so sein, wie es einmal war. Wer Ende wie Anfang Diese Zeitung markiert einerseits den Abschluss un- serer vierjährigen Recherche. Andererseits ist sie der Beginn einer öffentlichen Auseinandersetzung mit künstlerischen und kulturellen Prozessen in Wat- tens. Die Zeitung gibt Denkanstöße und eröffnet chei ers nt Handlungsräume: Zu gegebener Zeit möchten wir i t m a m F kreative Projekte im Ort durchführen. In der zwei- r r o ü F h ten Ausgabe, die im Frühjahr 2021 erscheinen wird, j e

a

t

h

i

r

schauen wir wieder ein Stück weit voraus. e Nr. 02

w

2

z

0

Alles zusammen – Texte und Bilder, Projekte und 2

s 1 a

Gespräche, alte und neue Fragen – findet Eingang D in unser „Archiv der Gegenwart“. Dieses lebendige, sich stetig weiterentwickelnde Ideenarchiv wird den Wir recherchieren weiter. Diese und weitere Ergebnisse erwarten Sie in der nächsten Ausgabe Menschen von Wattens ab Jahresbeginn 2021 für die von „bachrauschen“: Gestaltung einer schöpferischen Gegenwartskultur zur Verfügung stehen. Wasserlandschaft Kunstraum Wattenbach übernimmt Verantwor- Eine gestalterische Auseinandersetzung mit neuen tung im künstlerischen Feld von Wattens. Wir laden Zugängen zum Wattenbach Sie ein, diesen Prozess aktiv mitzuerleben. Wasserschloss Wir möchten Ihre Erfahrungen und Sichtwei- Die Ergebnisse einer künstlerischen Recherche sen kennenlernen – über künstlerische Potenziale in Wattens und tiefer liegende Themen, über gestal- Dschungelbach terische Leerstellen und kreative Handlungsräume, Über die Wiederansiedlung gewässertypischer über die Inhalte dieser und der folgenden Zeitung. Fauna und Flora entlang des Wattenbachs Gemeinsam mit Ihnen möchten wir Um- und Zu- Bachweiterschreiben ständen auf den Zahn fühlen und klären, was jetzt Texte und Montagen von Eva Maria Gintsberg, ansteht. Rainer Köberl und Barbara Hundegger

Zuggalerie Eine kreative Feldforschung zu Potenzialen eines Schreiben Sie uns! möglichen Kulturbahnhofs Fritzens-Wattens ≥≥ eine Nachricht: In der Wasserlandschaft in der Ortsmitte (zwischen Arbeiterkultur Restaurant Grander und Wattenbach) hängt ein Eine Erhebung von gemeinschaftlichen Äußerungen Briefkasten, den wir wöchentlich entleeren. und Weltanschauungen, Sitten und Bräuchen der Wattener Bevölkerung einen Brief: Markus F. Strieder 2a Chemin des Tissages Schwellen 42220 St. Julien Molin Molette Ansätze für Kunst im öffentlichen Raum von France Wattens – ein Außenblick

eine Mail: [email protected] Für und Wider Der behütete Bach – das brave Dorf

Treffen Sie sich mit uns! … und einiges mehr … und Ende nie ≥≥ Sprechstunden an fixen Tagen: Am Samstag 22. August, Sonntag 23. August und Mon- tag 24. August freuen wir uns auf erste persönliche Sichern Sie sich das nächste Gespräche in einem engagierten und außergewöhn- lichen Rahmen. Wir treffen uns mit Ihnen gerne ein- „bachrauschen“! zeln oder in Kleingruppen (max. 5 Personen). Um eine Schreiben Sie uns (per Mail an [email protected]) oder bestimmte Zeit zu vereinbaren, informieren Sie uns rufen Sie uns an (0650 232 43 43), um die nächste, bitte bis drei Tage vor dem gewünschten Termin – per kostenlose Ausgabe zu erhalten. Mail an [email protected] oder telefonisch: 0650 232 43 43 (Alexander Erler).

Individuelle Termine: Im Rahmen unserer Möglichkeiten stehen wir auch gerne für individuelle Gespräche bereit. Diese kön- nen in persönlichem Rahmen, per Sprach- oder Video- telefonat stattfinden. Schreiben Sie uns per Mail an [email protected] oder rufen Sie uns an: 0650 232 43 43 (Alexander Erler).