Quick viewing(Text Mode)

Der Identitätskern Der Stadt Esslingen Am Neckar

Der Identitätskern Der Stadt Esslingen Am Neckar

Der Identitätskern der Stadt am

Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Zusammenfassung der Ergebnisse

Dr. Andreas Bunz Universität Hohenheim, Der Identitätskern der Stadt • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Vorwort

Der vorliegende Bericht präsentiert die Ergebnisse einer soziologischen Studie zum Selbstbild zentraler Verantwortungsträger und Gestalter der Stadt Esslingen am Neckar.

Diese Studie wurde durch den Lehrstuhl für Soziologie und empirische Sozialforschung der Universität Hohenheim im Namen von Herrn Prof. Dr. Eugen Buß für die Stadt Esslingen am Neckar als pro bono-Studie durchgeführt. Das Ziel war dabei, Chancen und Potentiale kom- munaler Kommunikationsarbeit aufzuzeigen und dabei insbesondere auf tieferliegende Identi- tätsmerkmale zu verweisen, die für die wettbewerbsorientierte Positionierung einer Stadt sowie für das Bindungsmanagement der Bürgerinnen und Bürger funktional sind.

Im Sinne eines kommunalen Leitbildprozesses repräsentiert die vorliegende Studie gewisser- maßen die erste Stufe einer mehrdimensionalen Schrittfolge, in dem sie mit der Binnensicht der städtischen Elite zentrale Wahrnehmungen und Einschätzungen zu den Chancen und Risiken der Stadt aufgezeigt.

Den fachlichen Hintergrund bilden neueste Erkenntnisse zu Fragen des Image- und Reputati- onsmanagements.

Die Studie wurde von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Lehrstuhls sowie durch die forschungspraktische Unterstützung von Studierenden im Hauptstudium durchgeführt. Ihnen gilt besonderer Dank für die professionelle Arbeitsweise während der Konzeption, Durchführung und Auswertung der Untersuchung.

Dank gilt Herrn Oberbürgermeister Dr. Jürgen Zieger sowie Herrn Norbert Käthler und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Esslinger Stadtmarketing GmbH (EST) für die wohlwol- lende Begleitung der Studie.

Hohenheim, im Februar 2006 Andreas Bunz

2 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Inhalt

Vorwort ...... 2

I. Untersuchungsdesign ...... 4 1. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen ...... 4 2. Untersuchungsziele und Fragestellungen ...... 4 3. Methodisches Vorgehen ...... 5 4. Zeitlicher Verlauf der Studie...... 6

II. Ergebnisse der Untersuchung...... 7 1. Was ist typisch für Esslingen? ...... 7 2. Das soziale Klima...... 7 3. Lebensqualität...... 8 4. Die kommunale Identität / die Bindung der BürgerInnen an ihre Stadt ...... 9 5. Das Image der Stadtverwaltung / Assoziationen mit Esslingen...... 14 6. Der Wirtschaftsstandort Esslingen ...... 16 7. Tourismusstadt und Kongressstandort Esslingen...... 18 8. Esslinger Werte ...... 21 9. Religiosität in Esslingen ...... 23 10. Das Esslingen der Zukunft ...... 24

III. Fazit der Studie...... 25

Anhang Soziodemographie – wer wurde befragt?...... 29

3 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

I. Untersuchungsdesign

1. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Angesichts der zunehmenden Informationsflut und der vielfältigen Wahlmöglichkeiten rücken Fragen der Identität und Orientierung zunehmend in das Blickfeld und Interesse einer breiten Öffentlichkeit. Wo einerseits Globalisierung und das sich erweiternde Europa vorangetrieben werden, erleben andererseits Rückbesinnungen und regionale Bezüge eine Renaissance. Da- mit erhält auch die Stadt eine neue Bedeutung als Projektionsfläche für Bindungsangebote. Auf dem Weg zu einem Leitbild „Esslingen am Neckar“ rücken daher gerade auch Fragen des Identitätskerns der Stadt in den Blickpunkt. Vielschichtig sind die Strukturen, die Erwartun- gen und Interessen der Beteiligten. Selten sind die jeweiligen Anspruchsgruppen homogen und transparent organisiert bzw. als „Ansprechpartner“ in institutioneller Form erreichbar. Für die kommunalen Verantwortungsträger Esslingens ist es daher von zentraler Bedeutung, über die vorherrschenden, wenngleich latenten Assoziationen mit ihrer Stadt im Bilde zu sein. Da- bei handelt es sich nicht in erster Linie um die vordergründig vorgetragenen konkreten Be- dürfnisse und Anliegen einzelner, sondern um die Ganzheit eines in den Köpfen und Herzen verankerten Tiefenbildes.

2. Untersuchungsziele und Fragestellungen

Die Untersuchung unter den kommunalen Wertgestaltern der Stadt Esslingen am Neckar ist auf folgende Zielsetzungen gerichtet:

• Tiefer liegende Elemente und Grundzüge des Öffentlichkeitsbildes von Esslingen nachzu- zeichnen. • Eine Schnittstelle möglicher Perspektiven und Visionen über die Zukunft der Stadt zu ent- wickeln. • Selbstbilder und Leitbilder einer „Elite“ Esslingens erkennbar zu machen. • Eine Bestandsaufnahme im Sinne einer Stärken-/Schwächen bzw. Chancen-/Risiken- Analyse. • Stärkung des Selbstbildes, als Ausgangsbasis für einen kontinuierlichen Prozess der Ent- wicklung und Gestaltung des städtischen Leitbildes.

4 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Folgende Fragestellungen waren hierfür untersuchungsleitend:

• Welche Bindungsangebote bietet Esslingen derzeit? • Was kennzeichnet die Unverwechselbarkeit Esslingens? • Woraus besteht die geschichtliche Tradition Esslingens? • Welche Werte und Ideen werden mit Esslingen assoziiert? • Welcher Kommunikations-/Darstellungsstil wird mit Esslingen verknüpft? • Welche emotionale Kompetenz wird Esslingen zugesprochen? • Was kennzeichnet die zentrale Leistungskompetenz Esslingens? • Wie sieht die Stadt sich selbst? Was assoziieren kommunale Vertreter mit der Stadt? • Was ist besonders sehenswert? Was ist typisch und charakteristisch für Esslingen? • Als welcher Typ Stadt wird Esslingen hauptsächlich wahrgenommen? (Kulturstadt, Reichsstadt, Industriestadt, Hochschulstadt, schwäbische Stadt,…) • Welche Attribute beschreiben den Charakter Esslingens vor dem Hintergrund eines Polaritä- tenprofils? (hektisch-ruhig, hässlich-schön, künstlich-ursprünglich, alt-jung, träge-vital,…) • Welche Leitprinzipien werden als grundlegend für die Zukunft angesehen? (soziale Sicherheit, Lebensqualität, kulturelles Erbe, Integration,…) • Wie steht es um das bürgerschaftliche Engagement der Esslinger Bürger?

Die Studie hat das Ziel, Antworten auf diese Fragen zu erhalten, die es ermöglichen, den grundlegenden Prozess einer Leitbildgenerierung und –etablierung auf ein solides Fundament zu stellen.

3. Methodisches Vorgehen

In einer explorativen Vorstudie wurden die interessierenden Fragestellungen auf ihre Plausibilität hin getestet. Diese wurden dann in einer zweiten Stufe auf breiter Basis untersucht. Für die konzipierte Studie bieten sich aus methodischer Sicht teilstandardisierte Face-to-Face-Interviews an. Dazu wurden Befragungspartner aus möglichst unterschiedlichen Bereichen der Esslinger Institutionen und Organisationen angesprochen. Insgesamt konnten 33 VertreterInnen aus 13 Gesellschaftsbereichen rekrutiert werden. Alle angeschriebenen Personen haben sich an der Studie beteiligt, so dass eine Beteiligung von 100% erreicht wurde. Dabei fanden sowohl hauptamtlich wie ehrenamtlich tätige Personen in das Untersuchungssample Eingang.

5 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

4. Zeitlicher Verlauf der Studie

• Vorstellung der Projektkonzeption im Rahmen der EST-Aufsichtsratssitzung März 2004 • Fragebogen-/Leitfadenentwicklung für Vorstudie Ende November 2004 • Durchführung der explorativen Vorstudie Mitte Dezember 2004 • Fragebogen-/Leitfadenadaption, Anschreiben Ende Dezember 2004 • Kontaktaufnahme und Terminkoordination Anfang Januar 2005 • Durchführung der Hauptstudie Mitte Januar bis Mitte Juli 2005 • Datenerfassung und Datenaufbereitung März bis August 2005 • Datenauswertung und Interpretation September 2005 • Präsentationen der Ergebnisse/Zwischenberichte - intern: AK Marketing (Vorab-Ergebnisse) 14. Juli 2005 - intern: EST-Aufsichtsratssitzung 30. September 2005 - öffentlich: Esslinger Impulse 18. Oktober 2005

6 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

II. Ergebnisse der Untersuchung

1. Was ist typisch für Esslingen?

Über die verschiedenen Einzelauswertungen zu den Oberthemen der Studie hinweg lassen sich die folgenden Punkte identifizieren, die von den Esslinger Verantwortungsträgern als besonders charakteristisch beschrieben werden:

• großes historisches Erbe • sehr schöne Altstadt • kulturelle Vielfalt • hohes Engagement und Bereitschaft, sich für die Stadt einzusetzen • Ambivalenz: weltoffen, innovativ, gestaltend und zugleich zurückhaltend, verschlossen, nach außen abgrenzend (Reichsstadt) • schöne Natur in der Umgebung • Wirtschafts- und Industriestadt

Es handelt sich dabei um eine Auflistung von Aspekten nach dem Motto: Was ist Esslingen? Wofür steht Esslingen? Dies zeigt eine Fülle und Vielfalt von Potentialen, wobei darin bislang kein eindeutiges Profil zu erkennen ist. Gleichzeitig ergibt sich daraus auch ein Verweis auf all jene Facetten, die nicht genannt wurden, die also nicht klar im Selbstverständnis der Verant- wortungsträger konturiert sind. So findet beispielsweise die deutschlandweit anerkannte Fachhochschule FHTE keinen Niederschlag in einem Selbstverständnis, das Esslingen als Bil- dungsstadt kennzeichnen würde. Aus diesen Erkenntnissen, was Esslingen also (bisher) eher nicht ist, ergeben sich gleichfalls wertvolle Hinweise auf zukünftige Aufgaben und Kommuni- kationsarbeit.

2. Das soziale Klima

Das soziale Klima reflektiert die Integrationskraft einer Stadt. Die Stadt als soziale Einheit besteht sowohl aus Menschen als auch aus strukturellen Rahmenbedingungen. Dabei ist es von besonderer Bedeutung, wie es gelingen kann, jenseits der verschiedenen Interessen und Bedürfnisse Einzelner eine übergeordnete Einheit, etwas Gemeinsames zu schaffen.

7 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Mehr als 2/3 der Esslinger Gestalter bescheinigen der Stadt eine große Integrationskraft – dies ist ein Indikator und eine gute Voraussetzung für das Ansehen der Stadt (Reputation).

„Esslingen ist eine Stadt, um seine Kinder großzuziehen, …, in einer überschaubaren Le- benskultur.“

„Eine Stadt mit einer sehr hohen Sozialkompetenz, in der die Politik sehr transparent ge- schieht und ein gutes Miteinander von Politik und Bürgerschaft gelingt. … Letztlich sind es optimale Bedingungen.“

Frage: Wie schätzen Sie das soziale Klima in Esslingen ein?

in %

70 60,6% 60 50 40 30 18,2% 20 12,1% 10 6,1% 0,0 0,0 3,0% 0 sehr positives eher eher negatives sehr weiß nicht n=33 positives Klima positives negatives Klima negatives Klima Klima Klima Klima

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Die Gestalter betonen die besonders gute Atmosphäre in der Stadt. Das gute Miteinander der Bürger ist dabei eng verwoben mit den christlichen Werten und dem spürbaren bürgerschaft- lichen Engagement, das für viele in der Stadt selbstverständlich ist. Zum Gemeinschaftswe- sen tragen insbesondere die Vereine bei.

3. Lebensqualität

Im Rahmen der Expertengespräche wurden eine Fülle von positiven Indikatoren genannt, die Hinweise auf eine sehr hohe Lebensqualität bieten. Folgende Punkte sind dafür stellvertre- tend:

8 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

• lokale Demokratie (Bürgerausschüsse) • hohes Engagement in knapp 400 Vereinen • sehr gute Infrastruktur • Merkmale einer Großstadt und eines Dorfes sind in Esslingen vereint • breit gefächertes Kultur- und Sportangebot • soziales Netzwerk von Einrichtungen zur Hilfe von Menschen • Naturnähe, Erholungswert • Bürgerstiftung

Frage: Wo würden Sie Esslingen bezüglich der Lebensqualität einordnen – im Vergleich zu anderen Städten, die Sie kennen?

in % 97,0 % 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 3,0% 0,0 0

im oberen Feld im mittleren Feld im unteren Feld n=33

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Obwohl Esslingen in verschiedener Hinsicht (v.a. aus geographischer/räumlicher Sicht) auch an Grenzen stößt, so wird dennoch die Lebensqualität überwiegend als sehr hoch bewertet. Dies ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, da diese Betrachtung auch im Vergleich zu an- deren Städten erfolgt. Esslingen kann aus Sicht der eigenen Verantwortungsträger und Multi- plikatoren im Vergleich mit anderen Kommunen in vielerlei Hinsicht „punkten“.

4. Die kommunale Identität / die Bindung der BürgerInnen an ihre Stadt

Ein zentrales Kriterium für den Erfolg einer Stadt im Wettbewerb mit anderen Städten liegt in der Kraft, Menschen heimisch werden zu lassen, ihnen Räume und Rahmen zur Verfügung zu

9 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes stellen, innerhalb derer sie Leben gestalten können. Noch wichtiger als die Erhebung der individuellen Zufriedenheit ist vor allem die integrative Kraft eines Gemeinwesens: die Stadt ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile. Fragen der Bindung und Identität lassen sich dabei u.a. anhand von Merkmalen des ehren- amtlichen Engagements und ähnlichen Faktoren messen. Aus Sicht der Esslinger Gestalter weisen die BürgerInnen ein hohes Maß an ehrenamtlichem Engagement und dadurch auch an Bindung zu ihrer Stadt auf. Für weit über 50% der Esslinger ist es eine Selbstverständlich- keit, sich in irgendeiner Weise für die Gesellschaft zu engagieren.

Frage: Ist bürgerschaftliches Engagement für die Esslinger selbstverständlich?

in %

60

48,5% 50 39,4% 40

30

20

10 6,1% 6,1% 0,0 0,0 0 n=33 auf jeden ja eher ja eher nein nein auf keinen Fall Fall

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Gleichzeitig ist auch zu erkennen, dass sich die Esslinger in erster Linie lokal engagieren, sei es in privaten Vereinen oder Gruppen sowie in nachbarschaftlichen Netzwerken. Das Verant- wortungsgefühl hat also eine eher begrenzte Reichweite bzw. eine klare Fokussierung auf den Nahbereich. In Zeiten der Globalisierung und Europäisierung sind solche Trends zur Re- gionalisierung von besonderer Bedeutung. Es findet zunehmend eine Rückbesinnung auf Werte wie Tradition, Heimat oder Ortsverbundenheit statt. In diesem Wettbewerb um das gemeinsinnige Engagement haben die Region Stuttgart sowie das Land Baden-Württemberg das Nachsehen. Die Esslinger fühlen sich primär als „Esslinger“ und erst dann als Württem- berger, Schwaben, etc.

10 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Frage: Für wen oder was werden Ihrer Meinung nach die Esslinger künftig am stärksten Verantwortung übernehmen?

private Vereine/Interessen 54,5%

nachbarschaftliche 33,3% Netzwerke

lokale Gemeinde 21,2%

Sonstiges 3,0%

Baden-Württemberg 0

Mehrfachnennungen Region Stuttgart 0 n=37

0 102030405060in %

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Noch deutlicher wird dieser Befund im Blick auf die Identifikationspunkte, die im Leben der Esslinger eine große Bedeutung haben. Es zeigt sich, dass sich die Bindungskraft der Kom- mune primär auf persönliche Beziehungen und auf soziale Institutionen stützt. Infrastruktur- programme oder das Schaffen von Konsummöglichkeiten können dieses Bindungsfundament nicht ersetzen. Wirtschaftlicher Erfolg und finanzielle Unabhängigkeit sind also auch im Blick auf städtische Identitätsprozesse zwar notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingungen für ein gelingendes Ganzes. Dies kann für die zukunftsorientierte Gestaltung des Gemeinwe- sens nicht hoch genug beachtet werden. Auch in Esslingen sind es eher die „dienenden Institutionen“, die ein Gefühl von Sicherheit und Orientierung vermitteln und es den BürgerInnen ermöglichen, sich selbst zu investieren und zu engagieren. Neben den Vereinen sind dies die vielfältigen sozialen Einrichtungen für Beratung und Lebenshilfe. Die Befunde verweisen auch an dieser Stelle auf einen soliden Grundsockel im Bauwerk des „Hauses Esslingen“. Diese Bindungskraft Esslingens ist das Ergebnis eines über Generationen gewachsenen Prozesses, der sich nicht durch kurzfristig angelegte Programme generieren oder in jahreszyklisch messbaren Projekten erzielen lässt.

11 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Frage: Welche Gruppierungen in Esslingen werden am ehesten eine neue Form der kommunalen Bindung auslösen? Wem wird es am ehesten gelingen, die Bürgerinnen und Bürger nachhaltig für die Stadt zu gewinnen?

Vereine 54,5%

soziale Einrichtungen 48,5%

Kirchen 33,3%

Medien 27,3%

Stadtverw altung 27,3%

Einzelhandel 24,2%

politische Gremien 24,2%

Unternehmen 18,2%

langjährige BürgerInnen 15,2%

Neu Zugezogene 6,1%

Sonstiges 6,1% Mehrfachnennungen n=95 Verbände/Gew erkschaften 3,0%

0 102030405060in %

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Diese Erkenntnisse werden weitergehend unterstützt von der Einschätzung, dass von den Verantwortlichen in Esslingen ein hohes Maß an Selbstorganisation unter den Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen wird. Tatsächlich kann sich die Hälfte der Multiplikatoren vor- stellen, dass es in der Zukunft zu einer Verantwortungsverlagerung kommunaler Aufgaben kommt: weg von der kommunalen Verwaltung, hin zur Selbstorganisation auf lokaler Ebene, etwa durch Bürgerinitiativen, nachbarschaftliche Netzwerke.

„Es gibt wahrscheinlich in der westlichen Hemisphäre dieser Erde keine Stadt, die ein ähnlich strukturiertes Vereinsleben hat.“

12 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Frage: Wird es im Esslingen der Zukunft Ihrer Meinung nach zu einer Kompetenzverlagerung von der kommunalen Verwaltung hin zur Selbstorganisation von Bürgerinnen und Bürgern kommen?

in %

35 33,3% 30,3% 30

25

20 18,2% 18,2%

15

10

5 0,0 0,0 0 auf jeden Fall ja eher ja eher nein nein auf keinen n=33 Fall

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Ungeachtet der hohen Bindungskräfte in der Stadt erwarten die meisten Gestalter Migrati- onsbewegungen. Esslingen ist demnach eine Stadt, die sowohl neue Bevölkerungsgruppen anzieht, gleichzeitig jedoch auch Abwanderungsbewegungen zu verzeichnen hat. Im Rahmen der Interviews wurde dazu vielfach auf die (nicht zuletzt geographisch bedingte) weitgehend ausgeschöpfte Wachstumsmöglichkeit und die im bundesdeutschen Durchschnitt sehr hohen Kosten für Wohnraum und Lebenshaltung verwiesen. Für die nachhaltige Raum- und Strukturplanung können daraus weitreichende Konsequenzen entstehen: es lässt sich aus Sicht der Gestalter kein eindeutiger Trend im Zu- bzw. Abwande- rungsverhalten erkennen. Am ehesten wird darauf verwiesen, dass es für jede Lebensphase gewissermaßen eigene Anreize gibt, das Leben eher zentral in der Stadt oder doch eher am äußeren Rand des Einzugsgebietes zu gestalten.

13 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Frage: Erwarten Sie Migrationsbewegungen innerhalb der Esslinger Region – vom Zentrum ins Umland und/oder umgekehrt?

davon ja 72,7%

vom Zentrum ins Umland 36,4%

vom Umland ins 15,2% Zentrum

sowohl als auch 15,2%

weiß nicht 6,1%

nein 18,2%

weiß nicht 9,1% n=33

0 1020304050607080in %

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

5. Das Image der Stadtverwaltung / Assoziationen mit Esslingen

Ein wesentlicher Aspekt der sozialen Zufriedenheit der BürgerInnen kann auch aus der Ein- schätzung zum Ansehen der formalen Verantwortungsträger in Politik und Verwaltung abge- leitet werden. Sind es doch sie, die von vielen als Kristallisationspunkt identifiziert werden und meistens für Kritik, selten für Lob herhalten müssen. In Esslingen zeigt sich auch hier eine Besonderheit: Grundsätzlich wird den „Stadtvätern und –müttern“ ein sehr positives Zeugnis ausgestellt. Dabei wird insbesondere die aktive Gestaltungskraft des Oberbürgermei- sters während der vergangenen sieben Jahre positiv gewürdigt. Es sind insgesamt eher Nen- nungen von einzelnen prägenden Personen, weniger von Gremien oder Organen, die für die verschiedenen Bereiche Esslingens in guter Weise stehen. Gestaltungsbedarf scheint es dennoch auch im Blick auf die authentische und glaubwürdige Arbeit der „Stadtregierung“ (Stadtverwaltung und Stadtrat) zu geben. Bei der Frage, welches Bild die Stadtregierung vermittelt, ist in vielen wichtigen Punkten zwar keine eindeutig „nega- tive“ Wertung zu sehen, gleichermaßen fehlt es auch an einer klaren Reputation bzw. an einer konsequent abgestimmten Kommunikationspolitik, die ihrerseits ein weitgehend klares Imageprofil zur Folge hätte. Es geht in einer solchen Betrachtung zunächst nicht darum, die verschiedenen Merkmale als wünschenswert positiv oder als vermeidenswert negativ zu cha-

14 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes rakterisieren. Die jeweiligen Pole können durchaus für die jeweilige Stadtregierung funktional sein. Wichtig ist vielmehr, dass es ein zu identifizierendes Konzept, ein Profil in der Darstel- lungskompetenz der Stadtregierung gibt. Bislang erscheint dieses Bild hinsichtlich der ver- schiedenen Begriffspaare etwas konturlos.

Frage: Welches Bild vermittelt Ihrer Meinung nach die „Stadtregierung“?

Mittelwert

Wärme 123456Kühle 3,6

Nähe 123456Ferne 3,0

Unkompliziertheit123456Bürokratie 3,3

Verbundenheit 1 2 3 4 5 6 Machtbewußtsein 3,0

Emotionalität 1 2 3 4 5 6 Sachlogik 3,6

Glaubwürdigkeit 1 2 3 4 5 6 Unglaubwürdigkeit 2,8

Respekt geg. Bürger 1 2 3 4 5 6 Respektlosigkeit 2,7

demokratischer 123456undemokratischer 2,7 Entscheidungsfindung Entscheidungsfindung

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Doch nicht nur die Bilder von den Offiziellen der Stadt Esslingen sind für die innere Qualität von Bedeutung, auch die ganz allgemeinen und grundlegenden Assoziationen mit Esslingen geben Aufschluss über die potentiellen Stärken und Schwächen, die Chancen und Risiken nachhaltiger Kommunikationsarbeit der Stadt. Die Einschätzungen der Esslinger Wertgestalter zeichnen ein Bild, auch hier im Sinne eines Polaritätenprofils, das Raum für weitergehende Optimierung signalisiert. Die eindeutigsten Punkte sind die Wertschätzung Esslingens als schöne sowie als einladende Stadt. Hier wird über alle Interviews hinweg insbesondere der historische Altstadtkern und die in der Stadt an vielen Orten spürbare Atmosphäre und die kostbare Mixtur aus Mittelalter, lebendigem Trei- ben und schöner Lage (zwischen Weinbergen und Neckar) genannt. Die meisten Facetten werden weitgehend in der Nähe der Mittelwerte abgebildet, so dass, wie bereits oben be- schrieben, nur bedingt von einer klaren Positionierung Esslingens gesprochen werden kann. Dabei könnte fast jede Dimension das Potential in sich tragen, für die Stadt sowohl nach in- nen als auch nach außen identitätsstiftend zu wirken.

15 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Frage: Mit welchen Attributen würden Sie Esslingen beschreiben?

Mittelwert

schnell 1 23456langsam 3,6 vital 123456träge 2,9 jung 123456alt 3,6 weltoffen123456verschlossen 2,6 traditional 123456modern 2,5 bürgernah123456bürgerfern 2,6 kinderfreundlich 1 23456kinderfeindlich 2,9 spirituell 123456säkularisiert 3,8 flexibel 123456starr 3,3 schön 123456häßlich 1,6 homogen123456heterogen 3,6 in sich ruhend123456hektisch 2,8 hell 123456düster 2,7 einladend123456ausgrenzend 2,2 innovativ 1 23456am Alten festhaltend 2,8 fit für die Zukunft123456renovierungsbedürftig 3,1 reich 123456arm 2,7

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Um sich im Wettbewerb von anderen Städten zu differenzieren, braucht Esslingen ein klares Identitätsprofil. Identität und Alterität gehören ursächlich zusammen. Nur wer sich auf ein eigenes Profil festlegt, kann sich von anderen unterscheiden. Einzigartigkeit und Andersartig- keit bedingen sich gegenseitig.

6. Der Wirtschaftsstandort Esslingen

Grundlage für die Wahrnehmung einer positiven Lebensqualität und einer hoffnungsvollen Zukunftsperspektive ist immer auch eine Rückkopplung an die wirtschaftliche Kraft einer Re- gion, an die Chancen auf sichere Arbeitsplätze und auf eigenverantwortliche, selbständige Lebensgestaltung. Hier verweisen die Esslinger Verantwortungsträger auf die große Tradition des Handwerks sowie auf die weltweit agierenden und erfolgreichen Unternehmen des Mittelstandes und begründen damit die in Esslingen verankerte Idee von Innovation und Fortschritt bei gleich- zeitiger Bewahrung grundlegender Werte und Wirtschaftsprinzipien. So wird Esslingen weder als avandgardistische Bankenstadt betrachtet, noch als ländliche Einöde wahrgenommen. Die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Esslingen wird zwar überwiegend positiv einge- schätzt, die Gestalter halten aber auch nicht damit hinter dem Berg, dass für eine nachhalti-

16 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes ge Zukunftssicherung des hohen Lebensstandards und des wirtschaftlichen Wohlstandes der Region sowohl innovative als auch mutige Schritte zu unternehmen sind.

Frage: Wie bewerten Sie die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Esslingen?

in % 45 42,4% 40 35 33,3%

30 25 20 15 12,1%

10 6,1% 6,1% 5 0,0 0,0 0 sehr attraktiv eher eher unattraktiv sehr weiß nicht attraktiv attraktiv unattraktiv unattraktiv n=33

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

So steht Esslingen vor derselben Herausforderung wie viele Städte, heute und in den kom- menden Jahren einen grundlegenden Strukturwandel zu gestalten, der eher weg von der klassischen produzierenden Industrie führt und die Frage nach alternativen Dienstleistungen und Kompetenzprofilen auf die Tagesordnung bringt. In dieser Hinsicht sehen die Gestalter gute Chancen, Esslingen im Wettbewerb der Wirt- schaftsstandorte im Bereich der höher und hochqualifizierten Berufe anzusiedeln. Die als her- vorragend wahrgenommene Fachhochschule für Technik und Sozialwesen scheint dabei eine gute Ausgangsbasis zu sein, die Nähe zu global agierenden und vernetzten Firmen ergibt einen weiteren Chancenfaktor. Die Esslinger Multiplikatoren loben indes die grundlegend ho- he Bindung der Esslinger Traditionsfirmen und der vielfach noch in Familienhand geführten mittelständischen Unternehmen, die die meisten Arbeits- und Ausbildungsplätze mit zur Ver- fügung stellen. Sie sehen jedoch auch die Gefahr, dass mit den anstehenden Generationen- wechseln, die vielfach auch mit einer Änderung der Unternehmensstruktur einhergehen (an- gestellte Manager statt selbsthaftende Unternehmer), die Verbundenheit mit dem Standort Esslingen sinken könnte.

17 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Dass der Bereich „Life Sciences“ und Biotechnologie in Esslingen bereits einen Startpunkt gefunden hat, wird von vielen als positives Signal gewertet, es wird jedoch auch festgestellt, dass dieser oder andere Bereiche nicht von heute auf morgen als neuer Wirtschaftsmotor fungieren.

7. Tourismusstadt und Kongressstandort Esslingen

Der Bereich Tourismus in Esslingen wird von den Gestaltern bereits als ein mit hohem Enga- gement betriebener Zukunftsaspekt geschätzt, von dem die meisten eine hohe Meinung ha- ben und dem sie viele Chancen einräumen, Esslingen bekannter und v.a. für Externe attrakti- ver zu machen. Dies belegt nicht zuletzt die Frage nach dem Werbepotential, das von den Gestaltern insbesondere in den Sehenswürdigkeiten und in den in der Tradition und Ge- schichte befindlichen Kostbarkeiten und „Schätze“ der Stadt gesehen wird. Die hohe Reso- nanz auf die verschiedenen Angebote der Esslinger Stadtmarketing GmbH wird von den mei- sten Befragten als positives Signal gewertet.

„Esslingen ist die Stadt, wo jeder überrascht ist, wenn er näher hinschaut, was sie alles bietet. Esslingen ist eine Stadt an der man vorbeifährt, die kennt man dem Namen nach, aber weiß nicht was sie zu bieten hat. Also, so die unentdeck- te Blüte oder der unentdeckte Schatz, die nicht gehobene Perle.“

Der Bereich Kongresse/Tagungen scheint sich in dieser Hinsicht aus Sicht der Experten noch schwerer zu tun. Zu viele prominente Standorte gibt es bereits in der Region und es lässt sich bislang keine Esslingen-spezifische Nische erkennen, die hier quasi „mit links“ einen wei- teren Wirtschaftsmotor entstehen lassen könnte. Daher wird dieser Bereich zwar hoffnungs- voll erwähnt, gleichzeitig geben die Gestalter auch zu Protokoll, dass es für dessen Erfolg eine besondere Kompetenz im Management bräuchte.

18 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Frage: Womit könnte Esslingen Ihrer Meinung nach werben?

Sehenswürdigkeiten 72,7%

Traditionen/Geschichte 60,6%

Wirtschaftskraft/Industrie 45,5%

Schulen/Bildungsmöglichkeiten 30,3%

Einkaufsmöglichkeiten 18,2%

Lebensstil 15,2%

Natur/Landschaft 15,2%

Freizeiteinrichtungen 12,1%

Fußgängerzone 12,1%

Mehrfach- High-Tech/Life Science 6,1% nennungen n=96 Sonstiges 3,0%

0 1020304050607080in %

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Die Darstellungen lassen erkennen, dass sich in der Gesamtbetrachtung vielfältige Aspekte herauskristallisieren, die Esslingen als besuchenswert charakterisieren. Dies wird auch in der Einschätzung der Wertgestalter deutlich, dass die Stadt überregional eine hohe Reputation genießt: Man kommt gerne nach Esslingen, man lebt dort gut, es lassen sich vielfältige kultu- relle Angebote wahrnehmen, die Stadt versprüht lebendigen Charme und lädt sowohl zum Leben wie zum Arbeiten ein. Solche Wertschätzungen finden sich unter allen, die die Chance hatten, Esslingen „live“, also aus erster Hand kennenzulernen. Jedoch scheint dieses Potential im nahen und fernen Umfeld nicht hinreichend bekannt zu sein. Wer Esslingen noch nicht kennt, läuft Gefahr, daran vorbei zu fahren, es im Schatten der „großen Schwester“ und Landeshauptstadt Stuttgart nicht wahrzunehmen und „zwischen B10, Eisenbahnlinie und Neckar“ links liegen zu lassen. Ein entsprechendes Konzept zur akti- ven Kommunikation der touristischen Schätze und Anreize wird von den meisten der Befrag- ten befürwortet.

19 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Frage: Welches Image, welche Reputation hat Esslingen über die Stadtgrenzen hinaus?

in %

60 51,5% 50

40 33,3% 30

20

6,1% 10 3,0% 3,0% 3,0% 0,0 0 sehr positives eher eher negatives sehr weiß nicht positives Image positives negatives Image negatives n=33 Image Image Image Image

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Die Verantwortungsträger geben gleichzeitig auch zu bedenken, dass in der rein quantitati- ven Strategie eines Veranstaltungs- und Tourismusengagements immer auch Gefahren liegen können. Zwar führen die wachsenden Besucherströme im Rahmen des Esslinger Weihnachts- und Mittelaltermarktes, des Zwiebelfestes sowie der großen Kulturveranstaltungen (Burgkino) zu einer höheren überregionalen Bekanntheit der Stadt, dieser Kommerzialisierung der In- nenstadt könnten jedoch auch hohe „Kosten“ entgegenstehen. Letztlich sei es die Tatsache, dass die Esslinger Innenstadt nicht nur Museumsobjekt oder Konsumtempel, sondern eine lebendige und bewohnte Stadt sei, die ihren Charme und die Anziehungskraft ausmache. Diese Kombination gelte es zu bewahren und im Blick auf die Identität der Bürgerinnen und Bürger so zu kultivieren, dass auch die Esslinger selbst, Innenstädter wie „Vorstädter“, eine wachsende Bindung an ihre Stadt angeboten bekommen. Zu diesem Zweck sehen die Ver- antwortungsträger insbesondere Veranstaltungen wie das Bürgerfest mit Schwörtag, aber auch die Vereins- und Stadtteilaktivitäten als besser geeignet an. Eine weitere Facette hinsichtlich des Werbepotentials wird von den Wertgestaltern der Stadt in verschiedenen Formulierungen getroffen, in denen sie mögliche Slogans formulieren, die ihnen für die Außenwerbung Esslingens geeignet erscheinen.

20 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Frage: Mit welchem Slogan würden Sie für Esslingen werben?

1. Esslingen – offen und liebenswert 15. Stadt im Fluss

2. Schwäbisch Venedig 16. ES - zwischen Weinbergen und Neckar

3. Stadt der Kultur - im Herzen der Markt - Kunst, Kirchen und Kultur 4. Esslingen – Stadt mit Werten - mittelalterlich jung 5. Esslingen – wo BürgerInnen zuhause sind

6. Esslingen – eine Stadt zum Wohlfühlen 17. Alte Stadt für junge Leute 7. Schön – historisch – zukunftsfähig 18. Esslingen, Tradition und Innovation 8. ES – attraktiv für alle Lebensalter 19. Esslingen, am Neckar, alles im Fluss 9. ES IST 20. Die unbekannte Schöne 10. Esslingen – die jung gebliebene, historische Stadt

11. Esslingen, eine Stadt mit Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart

12. ES – lebens- und liebenswert

13. Lebendige Stadt in historischem Kleid

14. Historische Altstadt plus innovativer Wirtschaftsstandort

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

8. Esslinger Werte

Neben den konkreten Beschreibungen zur atmosphärischen, kulturellen und städtebaulichen Wahrnehmung der Stadt spielen für das grundlegende Verständnis einer kommunalen Identi- tät immer auch diejenigen Aspekte eine Rolle, die eher im Verborgenen liegen bzw. die sich nicht auf den ersten Blick klar nachzeichnen lassen. Die Bedeutung der sozialen Werte, das ethische Fundament und das über Generationen verdichtete „Erbe“ kann für die aktive Ge- staltung und Profilierung einer Stadt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Daher wurde im Rahmen der Studie ein Schwerpunkt auf diese Facetten gelegt und über mehrere Zugangs- wege operationalisiert. Generell kann konstatiert werden, dass sich viele der Befragten auf die konkrete Frage nach den für Esslingen typischen Werten zunächst eher schwer getan haben. Gleichzeitig konnten dafür sehr authentische Formulierungen und Feststellungen festgehalten werden, die nicht als „politisch korrekte Wiedergabe eines Leitbildes“ verbucht werden müssen. Vielmehr ge- ben alle Gestalter in ihren Ausführungen dezidierte Hinweise auf das Wertefundament Esslin- gens.

21 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

• Am häufigsten genannt wird die Spannung aus reichsstädtischer Tradition und dem Prozess der Modernisierung, in dem sich Esslingen befindet. • Esslingen sei einerseits eine traditionelle, mit „schwäbischer Bodenständigkeit“ versehene Reichsstadt. In diesem Zusammenhang werden Werte wie Beständigkeit, reichsstädtisches Selbstbewusstsein, Besinnung, Zuverlässigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Bürgerlichkeit und pietistische Frömmigkeit genannt. • Andererseits ist der Mehrheit der Befragten bewusst, dass sich Esslingen in einem Wand- lungs- und Modernisierungsprozess befindet. In diesem Atemzug werden Werte wie Inno- vation, Fortschritt, Lebensqualität, Offenheit, gestalterische Kräfte und kulturelle Dynamik genannt. • Viele sprechen den hohen Sicherheitsstandard Esslingens an und verknüpfen diesen mit der hohen Lebensqualität. • Esslingen wird als Stadt charakterisiert, die sich durch eine besondere Stärke im Bereich der Familie auszeichnet. In Esslingen sind vitale Werte verankert, die gelingendes Familien- leben erlauben und chancenreiche Alternativen zur zeitgeistigen Idee der Ganztagesbe- treuung anbieten. • Nur wenige sehen der bevorstehenden Herausforderung, den Wandel zu meistern, skep- tisch entgegen. Die meisten der Befragten sind der Ansicht, dass Esslingen dafür gut gerü- stet sei. Eine hohe Übereinstimmung der guten Ausgangsbasis sehen die Befragten in den bürgerlichen Werten, die in Esslingen auch heute noch auf christlichen Leitbildern basieren.

„Also die Werte Zuverlässigkeit, Ehrlichkeit, Verantwortungsbewusstsein: das steckt in vielen Bürgern sicherlich noch drin.“

„Eine ausgeprägte Solidarität des Bürgertums mit den Armen und Schwachen.“

„Wer nicht weiß, wo seine Wurzeln sind, weiß auch nicht, wo seine Zweige sind. Man muss, um sich entwickeln zu können, auch einen sicheren Stand haben. ... Die Grundlagen dafür werden sicherlich in den Familien gelegt. Dies gilt es zu bedenken.“

Insgesamt wird Esslingen eher als Stadt mit einer „leisen Mentalität“ beschrieben, die zwar weitreichende Gestaltungskraft besitzt, die dafür notwendigen Energien und Mittel aber aus einer inneren Quelle sowie aus den verschiedenen Möglichkeiten schöpft, sich „zurückzuzie- hen“, „aufzutanken“.

22 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

9. Religiosität in Esslingen

Entgegen den modernen Trends in vielen Städten scheint in Esslingen der Einfluss der Religi- on auf das Selbstverständnis vieler Bürgerinnen und Bürger sowie auf die Identität der Ge- stalter eine hohe bis sehr hohe Bedeutung zu haben, obwohl sich auch Esslingen den Ten- denzen einer sinkenden Bindung an die Institution Kirche nicht entziehen kann. 55% der Befragten denken, der Einfluss der Religion sei stark, 24% denken, der Einfluss der Religion sei mittel hoch. 14% denken, Religion spiele nur eine schwache Rolle und 7% haben dazu keine Meinung, können dies nicht einschätzen.

Der Einfluss der Religion auf das städtische Leben zeigt sich für die Gestalter an verschiede- nen Wirkungsstellen und auf unterschiedlichen Ebenen:

Die Mehrheit der Befragten betont das große Engagement der evangelischen und katholi- schen Kirche („Anwaltschaft für Schwache“) sowie des CVJM in Esslingen („Dienst an der Jugend“). Sie sehen Esslingen als „fromme Stadt“ an, die zwar auch wie andere Städte Kir- chenaustritte zu verzeichnen habe, aber über ein nach wie vor hohes Fundament gelebter christlicher Werte besitze, das sich wiederum in anderen Formen und Stilen in der Stadt insti- tutionalisiere. Die Diskussionen im Jahr 2004 um den Bau einer Moschee in Esslingen wird sowohl unter positiven wie negativen Aspekten (Verlauf und Stil der Diskussionen, Haltung der Beteiligten Parteien, …) genannt. Eine Gruppe der Befragten empfindet die Diskussion als passend und sieht sie als Zeichen eines starken religiösen Einflusses auf die Stadt. Die andere Gruppe hin- gegen wertet die Diskussionen als Zeichen einer nach wie vor hohen pietistischen Haltung und konservativer Strukturen und wertet diese als „peinlich“.

Insgesamt hat die Religion in Esslingen gegenwärtig auch deshalb einen großen Einfluss auf das Selbstverständnis der Esslinger, da sie sich nicht nur in den Kirchen bzw. den Kirchen- gemeinden abspiele, sondern sehr stark als Teil des städtischen Miteinanders und der sozia- len Dienste gesehen wird. In diesem Zusammenhang nennen viele der Befragten auch das hohe ehrenamtliche Engagement im religiösen Umfeld, das sich im diakonischen Dienst wie im Dienst an der Jugend manifestiere. Geschichtlich betrachtet kommt in diesem Zusammen- hang den Klöstern eine hohe Bedeutung zu. Sie waren schon seit jeher für die Versorgung der Armen sowie für die soziale Integration zuständig. Gleichzeitig waren in Esslingen mit den Pfleghöfen die Handelsniederlassungen „vor Ort“, so dass sich über die Generationen ein

23 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes balanciertes Miteinander von Wirtschaft und Ethik etablieren konnte. Esslingen hat gewisser- maßen als Erbe bereits eine selbstverständliche, enge Verzahnung von wirtschaftlichem Den- ken und Handeln und dem gemeinwohlorientierten Dienst am Nächsten.

Das positive soziale Klima in Esslingen wird weniger einer ausgeprägten politischen Kultur oder einer intellektuellen Diskussionskultur zugeschrieben, sondern stark auf die lebendigen bürgerlichen Werte, die ihre Quelle aus einer christlich abgesicherten Basis ziehen, zurückge- führt.

10. Das Esslingen der Zukunft

Die Verantwortungsträger wagen auch einen Blick in die Zukunft, vor dem Hintergrund der Frage, wo sie Esslingen in 20 bis 30 Jahren sehen und welche Elemente dann besonders prä- gend sein werden. Gleichzeitig schwingen bei den Ausführungen zur Zukunft immer zwei Dimensionen mit: Sorgen und Hoffnungen. In der Gesamtschau überwiegt das optimistische Bild unter den Gestaltern deutlich. Es besteht für die meisten Gestalter die Hoffnung, dass Esslingen in Bezug auf die Landes- hauptstadt Stuttgart seinen Status als eine Art Randsatellit mit einer ungeheuren Vielfalt be- halten kann. Esslingen müsse jedoch auch eine positivere Einstellung zum Wandel gewinnen, um dem zunehmenden Wettbewerb der Kommunen auf allen Ebenen gewappnet zu sein. Hier ist es auch den Multiplikatoren klar, dass nicht Stuttgart die primäre Konkurrenz darstellt, sondern vielmehr Identitätsprozesse im Blick auf Tübingen, Nürtingen, oder zu gestalten sind. Wie bereits in den Einschätzungen zur Bedeutung des Wirtschaftsstandortes nachgezeichnet wurde, spielt die räumliche Lage der Stadt eine kritische Rolle. Esslingen ist topographisch begrenzt in den Entfaltungsmöglichkeiten, daher haben das infrastrukturelle Management des zunehmenden Verkehrs sowie das in neuen Feldern und Branchen liegende Wachstum der Wirtschaft eine hohe Bedeutung.

„Meine Sorge wäre, wenn Esslingen den Zug in die Zukunft verpassen würde und man später einmal sagen würde: Esslingen, das war eine Stadt auf dem Berge, die war einmal wichtig/von Bedeutung.“

„Die Vision Esslingens, das ist eine gute, eine wichtige Frage: da trauen sich nicht einmal die Leute von Kienbaum ran.“

24 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

III. Fazit der Studie

Esslingen, eine Stadt mit Chancen Esslingen am Neckar kann als Stadt beschrieben werden, die auf vielfältige Stärken und Schätze blicken kann. Insbesondere der Bereich der inneren Verbundenheit und des Zusam- menhalts scheint in Esslingen eine lange Tradition zu haben. Viele der über Generationen erworbenen „Pfunde“ gilt es wertzuschätzen und als Fundament für die zukünftige Entwick- lung und Gestaltung der vielfältigen Aufgaben anzuerkennen. Die Mehrheit der in der Studie Beteiligten gibt zu Protokoll, dass in Esslingen auch die Tendenz besteht, das Augenmerk zu wenig auf die wertvollen Seiten zu richten und tendenziell viele Bereiche und Situationen schlecht zu reden. Esslingen kann als eine Stadt zwischen Tradition und Moderne bezeichnet werden der es generell gelingt, diese schwierige Balance in weiten Teilen zu realisieren.

Esslingen, eine Stadt mit Herausforderungen Neben den vielen Errungenschaften liegen auch in Esslingen Bereiche vor, die es zu optimie- ren gilt und die Entwicklungsbedarf erkennen lassen. So nimmt aus Sicht der Verantwor- tungsträger die Bindung an die Stadt mit zunehmender Entfernung vom Stadtkern ab, lassen sich soziale Brennpunkte in den Vorstädten identifizieren, führen viele der formal zur Stadt gehörenden Randgemeinden ein vitales Eigenleben. Im Blick auf die Integration der Bevölkerung wurde folgende Defizitanalyse vorgenommen: während die Stadt für die Altersgruppen Familien mit Kindern, Jugendlichen und Senioren eine hohe Attraktivität bietet, so fehlt dem Personenkreis zwischen 25 und 35 Jahren eine Anbindungschance. Dies ist gerade der Bereich der Jungen Erwachsenen und Singles, die vielfach die Jahre nach der Ausbildung und vor einer evtl. Familiengründung zu gestalten haben. Für diese Lebensetappe scheint Esslingen weniger Bindungskraft zu haben. Im Blick auf die hohe Reputation der Fachhochschule heißt dies konkret, dass es bislang nicht gelingt, die Absolventen nach erfolgreichem Studium in Esslingen zu halten.

Esslingen, eine Stadt ohne klares Profil

In der nachfolgenden Graphik verdichtet sich eine Kerninterpretation, die im Laufe der Studie an verschiedenen Stellen immer wieder zum Vorschein kommt: Esslingen kann als Stadt mit vielen Potentialen charakterisiert werden, der es bislang jedoch an einer klaren Profilierung und Kernstrategie zu fehlen scheint. Obwohl die meisten Nennungen bei der Frage nach dem Stadttyp die Assoziation mit der ehemaligen freien Reichsstadt nahe legen, wird dasselbe

25 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Merkmal in vielen Interviews als wenig hilfreich und kaum integrierend erwähnt. Das Ge- samtprofil zum Image der Stadt ist also eher heterogen, zersplittert, entbettet. Es fehlt eine integrierte Perspektive, es existiert kein gegründetes, gefestigtes, konsistentes Identitätsbild. Die Esslinger Identität ist nicht gebündelt, sondern entbündelt. Zersplitterte Vorstellungen dominieren statt eines integrierten Gesamtbildes.

Frage: Welchen Typ Stadt verkörpert Esslingen Ihrer Meinung nach?

Reic hs s tadt 30,3% schw äbische Stadt 24,2% Industriestadt 9,1% Kulturstadt 9,1% Neckarstadt 6,1% Hochschul-Stadt Sonstiges 12,1%

weiß nicht 3,0% n=33 keine Angabe 6,1%

0 5 10 15 20 25 30 35 in %

Sonstiges: (4 Nennungen) Touristik-Stadt – Soziale Stadt – Stadt im Miteinander – „ehemalige“ Reichsstadt

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Man kommt nicht umhin festzustellen: der Reichsstadtbegriff zieht sich durch die Esslinger Identität wie ein roter Faden. Dabei handelt es sich um eine Bestandsaufnahme im Sinne einer Ist-Analyse, basierend auf der Esslinger Geschichte und Tradition. Man kann den hohen Wert der Reichsstadt nun befürworten oder beklagen, er nimmt momentan im Selbstver- ständnis der Esslinger Verantwortungsträger eine sehr bedeutende Stellung ein.

„Vergangenheit und Zukunft bilden in Esslingen eine Gegenwart, in der man gut leben und arbeiten kann.“

„Reichsstadt: eine Mauer, geschützt und verbaut – die Stadt lebt etwas, was sie schon längst nicht mehr ist.“

„Das „Alte-Reichsstadt-Image“ war ein eher ungeeignetes Werkzeug der Aus- grenzung, das nicht mehr bemüht werden sollte zur Identitätsstiftung.“

26 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

„Esslingen ist von Beginn an eine Brückenstadt, eine Kirchenstadt, eine Bürger- stadt, Hochschulstadt, Industriestadt … Ich habe noch nie eine Stadt erlebt, in der die Dinge so problemlos gelaufen sind. Ein Anruf genügt, dass Personen aus den verschiedensten Bereichen zusammenkommen – Das Miteinander, das prägt Esslingen. Außerdem ist ein hoher Grundwasserspiegel an Vertrauen da. Man kann sich trauen, in der Öffentlichkeit etwas zu sagen, was anderswo so nicht möglich wäre. In Esslingen schon.“

Esslingen hat insgesamt eine hohe Akzeptanz bei den Gestaltern. Die Ausgangsvorausset- zungen bewegen sich auf einem hohen Niveau. Dabei ist Esslingen keine in der Moderne ge- gründete Stadt, sondern eine Stadt, die ihre Kraft aus einem historischen Erbe schöpft und die Moderne integriert. Keiner der einzelnen Gesellschaftsbereiche wurde als defizitär wahr- genommen. Esslingen vereint in sich in besonderer Weise die Elemente einer Großstadt und einer Kleinstadt/eines Dorfes.

Die Konsequenz lautet: Um das Wertschöpfungspotential Esslingens auszubauen und die Zukunftssicherung der ho- hen Lebensqualität im Wettbewerb aufrechtzuerhalten, braucht Esslingen die Entwicklung eines Soll-Bildes im Sinne eines strategischen Identitätsprofils. Dafür stellt diese Be- standsaufnahme eine notwendige Grundlage dar. Es ist dabei wichtig zu betonen, dass sich ein solch grundlegender Prozess über mehrere Etappen ereignen wird und kaum „über Nacht“ im Sinne einer einzelnen Marketingmaßnahme zu erzielen ist. Traditionsarbeit sowie Identitätsarbeit sind die Voraussetzungen für langfristigen Erfolg (intern wie extern). Ziel eines identitätsbasierten Leitbildprozesses ist es daher, die verschiedenen Puzzleteile und Mosaiksteine zu einem Kunstwerk zu formen – dem Bild einen Rahmen zu geben.

Esslingen ist in vielen Bereichen gut bis sehr gut aufgestellt und kann auf ein sehr solides Fundament an sozialer Kraft und innerer Kohäsion bauen. Gleichzeitig ist es für die erfolgrei- che Positionierung der Stadt im Wettbewerb mit anderen Kommunen der Region notwendig, die Idee einer gleichzeitigen und umfassenden Beachtung aller Facetten und Merkmale zu- gunsten einer Schärfung des Profils aufzugeben. Selbstverständlich gilt es, die Stärken und das Erbe der Stadt zu bewahren. Ein Profil der Unverwechselbarkeit kommt jedoch nur dann zustande, wenn aus der Fülle der Facetten die für Esslingen tatsächlich originären und des- halb auch im Wettbewerb zu identifizierenden Merkmale herausgestellt und mit besonderer Qualität kommuniziert werden. Zielsetzung dieser Studie und eines empfohlenen Leitbildprozesses ist es, das Wertschöp- fungspotential der Stadt Esslingen am Neckar nachhaltig zu steigern.

27 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Die Erarbeitung und Umsetzung eines Leitbildes erfordert von den Verantwortlichen ein enormes Engagement sowie einen langen Atem. Es erfordert ein Denken in und für Genera- tionen. Der Blick nach Deutschland zeigt, dass bislang nur wenige Städte und Kommunen dieses Thema in seiner Ganzheit konsequent verfolgen. Hier hat Esslingen das Potential, einen Wettbewerbsvorsprung gegenüber anderen Städten herauszuarbeiten. Vielleicht kann es gelingen, die wertvollen Aspekte der reichsstädtischen Identität Esslingens zu bewahren und den Begriff selbst in die heutige Zeit hinein zu übersetzen.

28 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Anhang Soziodemographie – wer wurde befragt? (33 Verantwortungsträger)

Verteilung der Geschlechter Verteilung der Jahrgänge

60 51,5% 50 weiblich 30,3% 40

30 21,2% 20 männlich 12,1% 69,7% 9,1% 10 6,1%

0 0 1020304050607080 vor 1940 1941-1950 1951-1960 1961-1970 nach 1970 geboren geboren

Bildungsabschlüsse Konfessionelle Bindung

70 66,7% 60 48,5% 60 50

50 40 33,3% 40 30 30 21,2% 20 15,2% 20 10 10 6,1% 3,0% 3,0% 3,0% 0 0 evangelisch katholisch keine keine Angabe Abschluß einer Meister/ Fachhochschul-/ Promotion Sonstiges Lehre/ Techniker Universitäts- Ausbildung Abschluß an Abschluß einer BA/VFH

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

Herkunft

50 45,5% 45 40 35 30 25 21,2% 18,2% 20 15,2% 15 10 5 0 Dorf Kleinstadt Mittelstadt Großstadt

Familienstand

80 75,8% 70 60 50 40 30 20 12,1% 6,1% 6,1% 10 0 ledig mit Partner/Partnerin verheiratet geschieden zusammenlebend

Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar © Lehrstuhl für Soziologie & empirische Sozialforschung • Prof. Dr. Eugen Buß & Dr. Andreas Bunz

29 Der Identitätskern der Stadt Esslingen am Neckar • Eine Studie zum Selbstbild und zur Bestandsaufnahme eines städtischen Leitbildes

Kontakt:

Universität Hohenheim Institut für Sozialwissenschaften Lehrstuhl für Soziologie und empirische Sozialforschung (540D) Prof. Dr. Eugen Buß Fruwirthstraße 46 70593 Stuttgart-Hohenheim

Ansprechpartner:

Dr. Andreas Bunz

Telefon: +49 711 / 459-3418 Telefax: +49 711 / 459-2524 Email: [email protected]

30