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JUN/JUL.16

Festivalsaison EINSCHLAUFEN Betrifft: Blödsinn aus dem Backstage-Bereich Impressum Nº 05.16 DER MUSIKZEITUNG LOOP 19. JAHRGANG Eine hingekritzelte Notiz aus längst vergessenen fährt rein in den Wald. Zwanzig Meter weiter Tagen. Damals einfach mal handschriftlich fest- hält er. Die Insassen im hinteren Bereich werden P.S./LOOP Verlag gehalten auf dem kleinen quadratischen Zettel- aus ihren Beschäftigungen gerissen und blicken Langstrasse 64, 8004 Zürich stapel neben dem Telefon. «Ja, klar, okay, sollte hoch. Sie öffnen die Schiebetüren und verlassen Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 eigentlich klappen.» Die Kommunikation liess das Vehikel. Zeit für Zigaretten – aber eben nicht www.loopzeitung.ch sich zu jener Zeit noch auf unspektakuläre De- hier. Denn um sie herum stehen fünf topmotivier- tails beschränken. Ort, Datum, Zeit, Gage und te Bühnenarbeiter, die den ganzen Pulk von Ver- Verlag, Layout: Thierry Frochaux ein paar technische Spezifikationen – mehr benö- stärkern, Instrumenten und sonstigem Equipment [email protected] tigten wir nicht, um Openair-Auftritte zu buchen. innert Rekordfrist rüber auf die Bühne befördern «Unser Bassist hat ein Faxgerät. Lass einfach mal wollen. «Go, go go!» Administration, Inserate: Manfred Müller den Vertragszettel durchruckeln – geht schon klar Siebzehn Minuten später stehen wir auf der Büh- [email protected] irgendwie. Wir sehen uns an der Bühnenkante!» ne. Alles ist da, alles funktioniert. Es gibt einen Ganz so einfach war es dann freilich nicht. verwegenen Soundcheck, der gerade mal eine Mi- Redaktion: Philippe Amrein (amp), «Jetzt links!» «Quatsch, wir müssen noch einmal nute dauert. «Geht?» «Geht. Eh. Und danke für Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe um den ganzen Karsumpel rum, die Backstage- den vielen Fisch.» «???» «Später.» Zufahrt ist auf der anderen Seite.» «Jetzt rechts!» Der Auftritt ist dann von ungewohnter Locker- Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Reto Aschwanden «Schon gut.» Der pulverblaue VW-Bus fährt heit. Das Publikum übt sich in Begeisterung, wir (ash), Yves Baer (yba), Thomas Bohnet (tb), durch die Abenddämmerung um den Bielersee dürfen Zugaben spielen und uns verbeugen, als Marcel Elsener, Martin Erdmann, Chrigel Fisch, herum, die vier Insassen sind mit verschiedenen wären wir Charakterdarsteller auf der Pfauen- Christian Gasser (cg), Michael Gasser (mig), Dingen beschäftigt. Am Steuer sitzt der uner- bühne. «Das liegt bestimmt an unserem guten Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), schütterbare Bassist, hinten döst der Leadgitarrist Aussehen», konstatiert der Rhythmusgitarrist Susanne Loacker, Sam Mumenthaler, Markus herum, während der Rhythmusgitarrist neben hinter der Bühne mit der gebotenen Portion Naegele, Philipp Niederberger, Sarah Sartorius, ihm noch an neuen Songtexten bastelt. Es liegt Selbstironie. Knappe zwei Stunden später, inzwi- Adrian Schräder, Martin Söhnlein (söh), also am Schlagzeuger, das kleine Orchester zum schen bereits in der Autobahnraststätte Deitin- Hanna Widmer (haw) Auftrittsort zu dirigieren. «Links. Links. Und gen-Süd angelangt, antwortet der Schlagzeuger: nach ein paar Metern müssen wir die andere Seite «Nein.» Druck: Tagblatt Print, St. Gallen im Auge behalten – dort gibt es einen winzigen Wahre Worte für einen guten Drummer. Wahre Durchgang zum Backstage-Bereich.» Worte für einen guten Freund. Wahre Worte für Das nächste LOOP erscheint am 08.07.2016 «Echt jetzt?» «Ja, genau hier.» «F***, das kann einen guten Sommer. Die Festivalsaison ist hier- doch gar nicht sein!» «Ist aber so.» Der pulver- mit eröffnet. Titelbild: Moritz Bichler blaue VW-Bus verlässt die befestigte Strasse und Guido Guitar (Rhythm!)

Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] kutsher's KEIN MORGEN MEHR Hogan, Festivals ohne «bullshit egos, shit bands, Ticket- Die ATP-Festivals waren lange Zeit die master» und Sponsoren durchzuführen, gilt mittlerweile als Farce. Denn dass etwas faul war im Staate ATP wurde 2010 besten und sympathischsten Musik- zum ersten Mal offenbar, als das reguläre Festival – kura- tiert von Simpsons-Erfinder Matt Groening – trotz einem veranstaltungen. Nun sind sie rui niert. grossartigen und sehr kostspieligen Line-up nicht genügend Publikum anziehen konnte. «Wie war das überhaupt finanzi- Es regnete in Strömen an diesem 11. September 2009, als wir erbar?», fragte ich mich angesichts eines Programms mit Iggy den Schulbus in Greenpoint, Brooklyn, bestiegen. Die Reise Pop & The Stooges, Spiritualized mitsamt einem kompletten ging ins Hinterland von , in die Catskill Moun- Orchester, den Boredoms mit ihren Schlagzeugern und an- tains. Mythisches Hinterland also, weil hier deren nicht gerade billigen Acts wie She & Him oder Joanna liegt, aber auch vergessenes Hinterland. Denn die Holiday Newsom. Die Antwort: Gar nicht – wie auch der so wunder- Resorts, die vor allem bei der jüdischen Bevölkerung sehr same Ableger in den Catskills nicht, dessen Minus sich 2009 beliebt waren, hatten ihre besten, frequentierten Tage hinter auf einen sechstelligen Betrag belaufen haben soll. sich und glichen Ruinen, die eine Stimmung wie das Berg- 2012 war die Firma pleite, doch die Show ging kurz darauf hotel in «The Shining» verbreiteten. Genau in einem solchen weiter, mit einer neuen Firma. 2013 verkündete Hogan das Resort fand der US-Ableger von All Tomorrow’s Parties Ende der klassischen ATP-Festivals, um die Mittel auf andere statt, einem Festival, welches das mittlerweile bedeutungs- Anlässe zu verschieben. Anlässe wie das gross konzipierte lose Wort «kuratieren» in den popkulturellen Kosmos über- Jabberwocky mit Acts wie Neutral Milk Hotel, Panda Bear führte, indem es das Programmieren der Line-Ups jeweils der oder James Blake, das dann drei Tage vor Beginn abgesagt Musikerschaft gleich selber überlassen hat. Die Örtlichkeit wurde. Noch immer warten einige Fans auf die Rückerstat- war für den Charme der Festivals ähnlich entscheidend: tung der Ticketkosten. Statt auf einer anonymen Wiese fanden die britischen ATPs in riesigen Holiday Camps statt, die vorzugsweise an der VERSPIELTE MAGIE Küste liegen und bei englischen Familien noch immer als einigermassen beliebte All-Inclusive-Urlaubsoptionen gelten. Der Ruf war spätestens zu diesem Zeitpunkt ruiniert, doch So war das Kutsher’s Resort in den Catskills ein perfekter Hogan machte weiter, irgendwie, versuchte es nochmals mit Standort und das Programm ohnehin perfekt: Sufjan Stevens der Wiederbelebung der klassischen ATP-Festivals. Zwei hät- lud zur «Seven Swans»-Mittagsmesse in den Stardust Ball- ten in diesem Frühling stattfinden sollen, nur eines wurde room, , der damals irgendeinen seiner Romane in dann tatsächlich durchgeführt. Musiker wie John Cale der Stadt beworben hat, gesellte sich zu seinen Kumpels der spielten gar nicht erst, denn Hogan konnte die Gagen nicht Dirty Three dazu (und drehte später seine Runden im Hal- bezahlen. «We did our best to believe in the organisers», lenbad), Steve Albini spielte Poker, und Wayne Coyne traf schrieb er. «Doch am Schluss haben sie uns alle im Stich gelas- man in allen entlegenen und heruntergekommenen Winkeln sen.» Die Band Drive Like Jehu, die das abgesagte Festival ku- des Hotelareals an, auf dem sich auch ein Skilift befindet. ratierte, postete ein Bild einer WC-Papierrolle, versehen mit Und als das reguläre Programm zu Ende war, sang Deer- den einst magischen Buchstaben ATP. Nur auf Island lebt das hunter Bradford Cox Neil-Young-Songs in der Hotellobby All Tomorrow’s Parties fort – als Festival, das von einer Firma unter dem Kronleuchter. Kurz, dieser Ort erschien nicht nur, veranstaltet wird, die unabhängig vom offensichtlich schlech- als die Flaming Lips den «Wizard of Oz»-Klassiker gaben, ten Geschäftsmann Barry Hogan operiert, der das Vertrauen als Ort «somewhere over the rainbow». Und so sind die drei der Fans und Musiker leichtfertig aufs Spiel gesetzt hat. Tage im Kutsher’s noch immer mit die schönsten Tage mei- In Trümmern liegen nicht nur die ATP-Festivals, wie wir sie nes Lebens. kannten, sondern auch das Holiday Resort in Monticello in den . Das Kutsher’s, das letzte der ver- IM SECHSSTELLIGEN BEREICH bliebenen Hotels aus goldenen Tourismustagen, wurde 2014 dem Erdboden gleichgemacht. An ein Morgen ist nicht nur Diese paradiesischen Tage liegen nun schon einige Jahre hier nicht zu denken. zurück und die Prinzipien des rührigen Veranstalters Barry Benedikt Sartorius SZENE

Atlantis_2016_Version_3_Atlantis_2016 26.01.16 18:18 Seite 1

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JUNI/JULI 2016

CAPTURING BOWIE THE IN STARMAN.FILMS DAVID

xenix.ch VOR ORT Hitze, Schlamm, Ekstase, Enttäuschung: SOMMER IST EH GEIL It’s the Festival, not . Oder doch umgekehrt? Als Auf dem Festivalgelände werden Legen- schwermütiger Naturbursche halte ich mich öfter darin auf, in der Natur. Manchmal, wenn ich so meines Weges den geschrieben und Mythen zerstört. gehe und Wolken zähle, liegt plötzlich so ein Festival im weiten grünen Felde. Lockt mit Lärm, Haut, Bier, farbigen Was bleibt, sind Echos und Eindrücke. Lämpchen und Ferienstimmung. Da sagt man nicht nein. Also rein. Selber hab ich schon mit 17 angefangen im Grünen zu wer- TROMPETEN IM RAUCH ken: Open Air Bischofszell nannte sich das (gibts immer noch). Schon geil: Da liegt eine prächtige Wiese vor dir, man Über Guca ist der Himmel bewölkt. Sie haben die Cevapi- steht mit dem wortkargen Bauern dort rum, wo sich sonst Rauchfahne rausgehängt und setzen ein Zeichen mitten in Regenwurm und Fuchsbandwurm gute Nacht sagen, lässt den serbischen Bergen. Im Rauch fangen sich die Trom- im Kopf das Festival entstehen mit Bühne, Dach, Generato- petentöne, die morgens noch dezent zwischen den Markt- ren, Bands, Bierbänken, Zelten, Kühlschränken, Grills, La- ständen produziert werden, während das Festival aus gerfeuer, Joints und Mädchen mit wehenden Haaren… Im dem alkoholdurchtränkten Schlaf erwacht und zwischen Kopf bricht dann schon die erste imaginäre Festivalnacht den Bierflaschen die Glieder streckt. Wer Pech hat, wird über uns herein, und die Menschen fallen übereinander her. von dröhnendem Autoradio-Turbofolk geweckt. Mit den In Zelten oder im Gebüsch. Es geht bei einem Festival um Trompetentönen beginnen sich die Fleischspiesse zu dre- die Menschen, die sich für einen kurzen Zeitraum, der ewig hen, auch die Schweine und gar die Kühe. Die Schlauen erscheint, in Musik vereinen. Kollektivismus, Community. gönnen sich ein Bad in der braunen Brühe, die sich Bjelica Frei sein. Forever young. nennt. Die Franzosen im Nebenzelt kochen Brennesselreis Lüge! Woodstock isch Scheisse gsii! (Sperma). Die Mut- auf dem Campingkocher, und weil es eine willkommene ter, besser: Die Oma aller Festivals schuf einen Mythos, Abwechslung zum Bier ist, lassen wir uns einladen, reichen der nie standhielt. erhielt 750 $ Gage. Das den einzigen Teller und den einzigen Löffel weit und breit wären kaufkraftbereinigt heute etwa 5000 Bucks. Wenn im Kreis herum und loben das Werk des Koches, der per 400 000 Saison- Eintritt bezahlt haben, hat Santa- Zufall auch noch Akkordeon spielt und ein paar serbische na von jedem gerade mal 1,25 Cent erhalten. Die Master- Melodien kennt. In den Turbofolk und die beinahe noch of-Business-Administration-Manager der heutigen grossen schüchternen Perfomances der Trubaci mischt sich das Festivals kichern sich darob im klimatisierten Production wehmütige B-Moll des Schifferklaviers, heroenhaft herge- Office sicher ein Tröpfchen in den mit Satsuma-Salbei aro- tragen aus dem Süden Frankreichs. Die Sonne brennt, und matisierten Grüntee. wir suchen den Schatten in den zwei einzigen Bäumen, die Enorm (bier)selige Erinnerungen lagern in meinem Hinter- es in Guca scheinbar gibt – oder die zumindest noch nicht kopf zum Gig von Motörhead 1988 am Hot Point Festival belagert sind von Polizisten aus Banja Luca und Zahnärz- bei Lausanne – mit Bomberlichtanlage! Oder zum Auftritt ten aus Gornji Milanovac. Vor dem einzigen Bankomat von TV on the Radio 2007 am Eurockèennes de Belfort. stauen sich die Trinkwütigen und warten auf das dunkle Und was für ein Flash von und mit Death Grips an der Auto, dem ein Mann mit einem grossen Geldsack auf dem Bad Bonn Kilbi 2013. Seit die grossen Festivals aber bar- Rücken entsteigt und in die Bank entschwindet. Auf dem geldlos von Sponsoren und Rollkoffer-Twens und Einweg- Trompetendenkmal in der Dorfmitte kraxeln diejenigen zelt-Teens und Kaugummiklos vollgemacht sind, seit Fes- herum, die noch ein Beweisfoto brauchen. tivals am Sonntagabend aussehen wie Idomeni nach der Vor der Hauptbühne sammeln sich die Fans, und unter eu- Räumung mit Wasserwerfern, ist mein mittlerweile etwas phorischen Pfiffen steigen Goran Bregovic und Band auf faltig gewordener Naturburschenkörper immer seltener in die Bühne; er trägt blaumetallicfarbene Schuhe und hat sei- Festivalhausen anzutreffen. Who cares: Sommer ist Liebe, ne blaue Gitarre umgehängt. Er ist weit weg, aber er ist da: Musik, Leben. Sommer ist eh geil. Der grosse Maestro, der nebst Boban Markovic und Fanfa- Chrigel Fisch re Ciocarla (und wegen Emir Kusturica, ja) den Balkan sa- lonfähig gemacht hat (ein Jahr später sass ich im Casino in Bern an einem Konzert des gleichen Mannes, wirklich, ich DAS MERCI-MISSVERSTÄNDNIS SASS, und es war äusserst Salon), steht vor der tobenden Menge, die sich anlassadäquat in Serbienflaggen gehüllt Das dritte Jahr begleitete mich Matthias Willi an den Lac hat und situationsadäquat herumpogt, und es ist gut. Auch Léman zum schönsten Sommerjob auf Erden. Täglich wenn es traurig ist, es ist immerhin das Funeral Orchestra. musste ich für «20 Minuten» ein paar Zeilen über das Es ist auch gut, später, als wir uns durch die engen, impro- Festivalgeschehen berichten. Da blieb Zeit, um vor den visierten Marktgassen durchdrücken, wo alle drei Meter Konzerten zum Apéro Tour de France zu gucken und nach eine neue Trompete-Tuba-Horn-Formation steht, die Leute den Konzerten Fotos für unseren Bildband «The Moment im Kreis wirbeln und sich die Musiker nach jedem Lied After the Show» zu sammeln. Das dichte Programm an die Dinar-Noten in die verschwitzen Brusttaschen stopfen. tollen Musikern und die über die Jahre gereiften Banden Es ist aber irgendwie auch gut, als wir – sonnenverbrannt zum Backstage-Personal, allen voran Security Chris, liessen und hitzestichig – mit dem Fahrer in gebrochenem Serbisch Montreux zu einem der besten Jagdgründe für die Foto- den Preis für die Fahrt mit dem Taxi aushandeln, das uns Serie werden. Von QOTSA und Gnarls Barkley zu Soul- wieder in die Normalität zurückbringen sollte, in eine Zi- wax und Two Gallants – einige der Schweissbilder aus dem vilisation ohne Blech. Mit einer Erfahrung in der Tasche, Buch entstanden in Montreux. an die ein Festival zuhause kaum heranreichen mag, und Auch Festival Gründer Claude Nobs mochte die Fotos. Der die eine Liebe zur Balkanmusik wiedererweckt hat, die bis so legendäre wie überschwänglich umgarnte Festivalgrün- heute ungetrübt anhält. Hanna Widmer bitte umblättern VOR ORT der bot Willi gar eine Ausstellung auf der Balustrade im Jazz Café an, wo nach Konzertschluss in den Sälen weiter zu Musik geschwitzt wird. Ein passender Ort. Wir fuhren zwei Tage vor Festivalbeginn runter, hängten die Fotos und übernachteten im Auto, da die offizielle Blei- be für die «20 Minuten»-Crew erst mit Beginn der zwei Wochen gemietet war. Um so mehr freute uns, dass mit dem Festivalstart und da- mit auch der Foto-Vernissage eine Einladung zum Essen in Nobs’ Chalet folgte. Die luxuriösen BBQs hoch oben in Caux mit Blick über das «Infinity Green» auf den See und Gästen wie Quincy Jones boten stets eine exquisite Mi- schung aus lustig und lecker. Nobs war omnipräsent. War er nicht gerade im Blickfeld, erzählten seine Bediensteten Anekdoten vom Meister. Den kurzen Moment des persönlichen Treffens nutzte Willi, um Nobs mit dem Händedruck eine kleine Broschüre zu über- reichen. Darin ein paar «The Moment After the Show»-Fo- tos, gedacht als Geste für Freunde – oder eben: um Claude Nobs zu danken. Allerdings stand das nicht explizit in der Broschüre. An- scheinend ein absoluter Affront. Willi wurde am nächsten Tag zur Festivalleitung zitiert. Der damalige Presseverant- wortliche entzog ihm zerknirscht die Akkreditierung. Auf Geheiss von oben, ganz oben. Die Bilder waren schnell abgehängt und Willi weg. Glück- licherweise konnte ich weiterarbeiten. Das «The Moment After the Show»-Projekt lief ungebremst weiter, und 2012 konnten wir das offizielle Buch präsentieren. Montreux Jazz ist darin verdankt. Und damit die Verstorbenen auch wirklich in Frieden Ruhen können: Merci, cher Claude – nach noch weiter oben. Olivier Joliat

MIT LOU IM LANDESMUSEUM

Sting kam 2002 nur, weil die Stimmung im Hof des Landes- museums so zauberhaft war. 2013 gastierte er nochmals am Festival, das nun auf der sommerlichen Eisbahn im Dolder stattfand, umgeben von lauschigen Bäumen. Beim zweiten Song, «Englishman in New York», sprang das Publikum von den Sitzen auf, tanzte und klatschte ekstatisch. «Relax Zurich, der Abig isch noch lang», radebrechte Sting auf Swinglisch, indigniert setzte sich das Publikum und sprang erst im Dunkeln, bei «Roxanne», wieder auf. 2012 spielte der greise B.B. King ein letztes Mal in Zürich, er musste von zwei Männern auf und von der Bühne getra- gen werden. Er lag beinahe auf seinem Stuhl, Lucille, seine schwarze Gitarre, war ihm zu schwer. Aber bei Stimme war der 87-Jährige noch immer, auch wenn er sich meistens nur noch an die erste Strophe eines Songs erinnerte und danach als erster Zuhörer seiner Band lauschte. Bevor er die Bühne verliess, öffnete er einen Sack Zeltli und verteilte sie ans Pu- blikum, das vor der Bühne dafür Schlange stand. Live At Sunset war die Verkörperung des Zürcher Sommers, hedonistisch, laut, intim und romantisch zugleich. Bereits bei der ersten Ausgabe 1996 griff Lou Reed zur Krone des Festivalkönigs – es war das letzte Mal, dass er «Walk on the Wild Side» in Zürich spielte. 2000 gab Reed im Hof des Landesmuseums eines seiner besten Konzerte überhaupt. Ironisch, gut gelaunt und voller Improvisationsfreude ze- lebrierte Lou die Rockmusik jenseits der Dezibelgrenze, irgendwo im Publikum sass auf den hinteren Rängen Bun- desrat Moritz Leuenberger neben seiner damaligen SP-Sek- tionspräsidentin Corinne Mauch. Nach der Zeile «It’s not a life being a wife» aus «Tatters» protestierte eine Frau. Reed stoppte die Musik und wiederholte ganz ruhig noch einmal die Zeile. Nach erneutem Protest entgegnete Lou milde lä- chelnd: «You don’t know what you’re saying, believe me, Zurich». Live At Sunset war wie für Stephan Eicher geschaffen. Bei seinen acht Konzerten sah man im Publikum mehr Promi- nente als auf den Seiten der «Schweizer Illustrierten». Eicher liess sich immer etwas besonderes einfallen. 2001 bestand das Lost & Found Orchestra im Landesmuseum aus einer Zigane-Band, KarKar aus Mali, einem Alphorn Duo und Tinu Heiniger, die allesamt seine Band ergänzten – das Alp- horn klang mal wie ein Didgeridoo, mal wie ein Sax. 2013 liess Eicher im Dolder bei «Des hauts, des Bas» einen virtu- osen Hank Shizzoe auf einer Heavy-Gitarre sich mit einer Posaune duellieren. 2009 (Dolder) würzte Drummer Toby Dammit sein Schlagzeug mit einer Pfeffermühle, wobei der Sound des Mahlwerks gegen die übrigen Instrumente nicht ankam. Der Live-At-Sunset-Moment schlechthin war 1999, als Stephan Eicher mit seiner damaligen Band «Les filles du Limmatquai» in einer Heavy-Metal-Version (zuvor spielte er «Hemmige» auf Giesskannen, Pfannen und Kaffeekochern) interpretierte. Während des lauten Gitarrensolos kamen die sennenbehemdten Chälläwäigger aus Engelberg mit ih- ren mannshohen Kuhglocken auf die Bühne und bimbam- ten gegen die Heavy-Gitarren an. Entnervt verliess Pianist Achim Meier ob dieser Neuinterpretation von Heavy Me- tal die Bühne. Der rockende Rest der Band lärmte mit den stoischen Sennen um die Wette – man begann sich um die alten Mauern des Landesmuseums zu sorgen. Gegen diesen durchkomponierten Lärm war das Gedröhns der Streetpara- de ein paar Tage später bloss Pipifax. Yves Baer

AND ALWAYS TRUST YOUR CAPE

«Würdest du ‹The Cape› spielen, bitte?» Wir hatten ziem- lich grossen Respekt. Tom Russell und ich standen vor Guy Clark, einem Schrank von einem Mann, endlos lange Beine in Jeans, dunkles Jacket. Sesto Calende, Norditalien, Win- ter 1995, ein Songschreiber-Festival im Gemeindesaal des kleinen Ortes, organisiert vom legendären Carlo Carlini, der nicht einmal zum Espresso Wasser trank. Sondern ein Glas Rotwein. Guy Clark, den grössten aller Songschreiber, gab es, so sagte man, damals nur in zwei Aggregatzuständen: leicht angetrunken und ziemlich lustig oder nüchtern und muffig. Zweiteres dann, wenn sein Sohn Travis mit ihm auf Tour- nee war und den Vater vom Trinken abhielt. Travis spielte in Sesto Calende Bass für seinen Vater. Unglaublich gut. Alles weniger wäre ungenügend gewesen für einen vom Format von Guy Clark. Clark stammte aus der westtexa- nischen Mini-Sandschüssel Monahans und zog als junger Mann nach Houston, wo er ein Geschäft für Gitarrenrepa- raturen eröffnete. Daneben sang und spielte er auch selber. Der Rest ist Musikgeschichte: Zusammen mit seiner Frau Susanna zog er nach Nashville, wo die beiden in Mickey Newburys Hausboot unterkamen. Als das Paar heiratete, war Townes Van Zandt Trauzeuge. Für alle jungen Song- schreiber, die nach Nashville kamen, galt das gleiche Ziel: einen Song zu schreiben, der Guy Eindruck machte, und eine Frau wie Susanna zu finden. Mehr als 40 Jahre lang war die Adresse der Clarks Treff- punkt von gestandenen Songschreibern wie Townes Van Zandt und Richard Dobson und von solchen der jüngeren Generation wie Rodney Crowell, Steve Earle, oder Lyle Lo- vett. Vor vier Jahren starb Susanna Clark an Lungenkrebs. 2013 erschien Guy Clarks letztes Album, dessen Titelsong eine Liebeserklärung an seine Partnerin und ewige Muse war: «My Favorite Picture of You». Was Clark damals auf unsere Bitte geantwortet hat, weiss ich nicht mehr genau. Was ich aber noch genau weiss: Er spielte «The Cape» gegen Ende seines Sets. Am 17. Mai ist Guy Clark 74-jährig gestorben. Spread your arms and hold your breath and always trust your cape. Susanne Loacker

bitte umblättern Ein Jahr später. Auf der Hauptbühne steht am letzten Fes- VOR ORT tivaltag eine grauhaarige Frau, die in der brütenden Hoch- sommerhitze aus einer rot-weiss-gepunkteten Tasse Tee DAS FESTIVAL DER SINNE trinkt. Es ist Patti Smith. Und wenn sie auf dem mit Wer- bung zugemüllten Mainstreamfestival mit erhobener Faust Ich bin ein Festivalskeptiker. Einer, der den Massenver- «You have the power to change the world!» und ähnliche anstaltungen Jahr für Jahr kritisch gegenübersteht. Jeden Parolen ins Publikum schreit, ist sie wieder da, diese Dis- Sommer denke ich mir: Muss das jetzt wirklich sein? Muss krepanz. Nur funktioniert Patti Smiths – zugegeben mitt- ich mir wirklich vier, fünf, sechs, sieben Bands an einem lerweile ziemlich einstudiertes – Punkgehabe irgendwie Tag anhören, in dichtem Gedränge stehen und mir einen besser als das Offenlegen einer verletzten Künstlerseele. Im Abklatsch dessen anhören, was ich mir im besten Fall gerne Publikum stehen angegraute -Mütter mit ihren Post- in Ruhe, in abendfüllender Länge zu Gemüte führen wür- Teenie-Töchtern, aber auch müde Festivalgänger, die sogar de? Trotzdem lasse ich mich jedes Jahr aufs Neue von den das Lied «Because the Night» kennen und sich dazu im grossen Namen in leichte Vorfreude versetzen. Der Mecha- Takt wiegen. Sie werden auch bei der nachfolgenden Band nismus funktioniert – trotz vieler Enttäuschungen, gerade – ja, es ist Patent Ochsner – mitwiegen, aber immerhin in Frauenfeld, wo ich Jahr für Jahr zu Gast bin – immer können sie am nächsten Tag im Büro erzählen, sie hätten noch. Und letztlich geniesse ich es ja auch. Man trifft alte ein echtes Relikt aus den 70ern gesehen. Apropos Relikt: Bekannte, trinkt Bier, fachsimpelt über Musik, sieht seine Vor der Runterfahrt mit dem Gurtenbähnli begegnet man Helden mal mehr oder weniger aus der Nähe, entdeckt im auf dem Weg zum WC einem aschgrauen Polo Hofer. Er ist besten Fall vielleicht sogar neue Musik (zugegeben, kommt unterwegs zum VIP-Cüplizelt. selten vor) und hätte theoretisch die Möglichkeit, ganz vie- Sarah Sartorius le Berühmtheiten zu interviewen. Leider klappt das immer seltener. In Frauenfeld zum Bei- spiel haben die SRF-Medien mittlerweile eine Art Monopol SPIEL OHNE GRENZEN auf O-Töne der Stars. Als Übertragungspartner mit eige- nem Wagenpark und Backstagepässen für alle Mitarbeiter 21 Jahre ist es schon her, stelle ich irritiert fest, doch die greifen sie die grossen Namen aus Übersee direkt hinter Erinnerungen sind erst leicht verblichen. Es muss wohl der Bühne ab. Der Rest der Berichterstatter steht stets auf geregnet haben am 1995, doch dann zeigt Abruf bereit, geht aber meist leer aus. sich nach dem Mittag die Sonne wieder. Auf der Waldbüh- In Montreux wird das egalitärer gehandhabt. Da kommt ne stehen jedenfalls dünne, schöne, langhaarige Musiker in man schon mal zu einem Zwiegespräch mit Pharrell Wil- seltsamen Regenpellerinen, die den Aufdruck irgendeines liams (Energielevel nahe bei Null), Gnarls Barkley (ge- Tabakproduzenten tragen. Sie sind in locker-routinierter wählte Sprache, gewaltige Wampe), der wachsgesichtigen Tourlaune und heben ab zu einer musikalischen Berg- und Janelle Monaé (verunsichernd leblose Züge) oder Erykah Talfahrt, die nichts zu tun hat mit der gängigen Festivalkost Badu (begrüsste mich mit «What’s up, brother?», was mein samt zugehöriger Wohlfühl-Animation. Selbstbewusstsein geschätzte zwölf Monate stärkte). Letz- Die Dynamik dieses Konzerts ist nur schwer nachzuvollzie- tere gab in Montreux bereits mehrere legendäre Konzerte hen: Manchmal verhallt Jeff Buckleys wandelbare, feminine und übergoss Claude Nobs – ganz Souldiva – beim letzten Stimme ganz allein über dem Berner Hausberg, dann legt Konzert vor dem Umbau des Casinos hämisch grinsend mit die Band mit krachendem Starkstrom-Rock los, der punkto Wasser. Beim Montreux Jazz Festival, das heuer Jubiläum Energie und Phonstärke mühelos mit dem der damals an- feiert, ging denn auch jenes Konzert über die Bühne, das ich gesagten Grunge-Bands mithält. Während dieses Konzerts hier hervorheben möchte. Der Japaner Cornelius, seither voller fiebriger Intensität entschuldigt sich ein tragischerweise mehrheitlich von der Bildfläche verschwun- paar Mal dafür, dass er verschnupft und heiser sei, und dass den, sprach bei der Liveumsetzung seiner hervorragenden seine Stimme nicht mithalten könne, dazu schlürft er ein Platte «Point» (2001) alle Sinne an. Mit direkt auf den Takt heisses Getränk. Dann haucht er wieder ins Mikrofon, ohne geschnittenen Visuals, im Saal verströmten Düften und In- jede Begleitung, baut Spannung auf wie ein Dramaturg, teraktionen mit dem Publikum – man durfte hin und wie- steigert sich bis zur schreienden Ekstase. der das Theremin oder einen kleinen Synthesizer bedienen Buckleys einziges Studioalbum «Grace» hätte eigentlich in – schuf er ein unvergessliches Rundum-Erlebnis. Ganz zu meine Plattensammlung gehört, doch irgendwie hatte ich schweigen davon, dass er seiner Zeit voraus war. dieses Ausnahmetalent bisher überhört. So erinnere ich mich vor allem an die beiden Coverversionen, die Buck- Adrian Schräder ley an diesem besonderen Julinachmittag auf dem Gurten interpretierte: «Kick Out the Jams» von MC5 und Buck- leys berühmte Version von Leonard Cohens «Hallelujah». AUF DEM HALLIGALLI-BERG Auch diese Spannbreite zeigt, dass Musik für Jeff Buckley ein Spiel ohne Grenzen war. Er spuckt in eine TV-Kamera, macht sich über das Publi- Nach dem Konzert war ich euphorisiert, kaufte die Platte kum lustig und spielt ein halbgares Set mit einer eher un- und nahm mir vor, Buckleys nächstes Schweizer Konzert sympathischen Band. Trotzdem ist das Konzert von Conor zu besuchen. Doch der Gurten blieb Jeff Buckleys einzi- Oberst auf der Zeltbühne der so ziemlich einzige Höhe- ge Schweizer Visite. Knapp zwei Jahre später starb er erst punkt im Programm des Gurtenfestivals 2014. Am frühen 30-jährig bei einem Badeunfall im Mississippi. Abend, die Sonne brennt immer noch aufs Zeltdach, spielt der Bright-Eyes-Sänger vor halbleeren Rängen kein Kon- Sam Mumenthaler zert für die Ewigkeit. Er singt über den Weltschmerz in der Grossstadt und über suizidale Freunde – vor der Bühne unterhalten sich ein paar angetrunkene Festivalgänger in MUSIK FÜR DESINTERESSIERTE Strohhüten eines Sponsors lautstark über Nichtigkeiten. Applaudiert wird kaum, und die Laune des feinfühligen Draussen mit ein paar Mitmenschen Musik zu hören, ist Singer/Songwriters wird von Lied zu Lied mieser, offen- eine feine Sache. Die Angelegenheit driftet jedoch schnell ins sichtlich ironisch meint er noch, wie toll dieses Festival sei. Grässliche ab, wenn diese Mitmenschen eine zehn Hektar Selten war die Diskrepanz zwischen der Sensibilität des grosse Fläche füllen, Joy Division für die Herbstkollektion Künstlers und der Unsensibilität des Publikums grösser als von H&M halten, Mumford & Sons fast noch etwas lieber an diesem Konzert. Fremdschämen für seine Stadt. Da hilft als 77 Bombay Street mögen, aber auch mal gerne zu Paul nur noch die Flucht nach unten. Kalkbrenner abraven. Der durchschnittliche Besucher des Gurtenfestivals erfüllt diese Merkmale in der Regel und setzt letzten Mohikanern vor der Bühne zu, die es recht ernst noch einen obendrauf, in dem er auf dem Nachhauseweg in nehmen und ihm ständig den Mittelfinger zeigen. Wenn es der Gurtenbahn aus voller Kehle Helene Fischer singt. zu kuschelig wird, geht Rotten näher ran und macht doo- Diese Erfahrungen habe ich mehr aus beruflichem Zwang fe Faxen, bis ihm nebst Hasstiraden auch Gegenstände um denn aus freien Stücken gesammelt. Wer aus Eigeninitiati- die Ohren fliegen. Doch hat er früh klar gemacht: «Lektion ve ans Gurtenfestival geht, hat zu viel Geld, niedere musi- Nummer eins: Ihr werft nichts nach uns, sonst gehen wir kalische Ansprüche oder einen Kollegenkreis mit niederen gleich – die Gage haben wir nämlich schon im Sack!» Am musikalischen Ansprüchen. Die Festivalleitung beweist Ende sind es dann 40 Minuten, plus «Anarchy in the UK» jedes Jahr aufs Neue, dass das Line-Up für Leute zusam- als Zugabe, fast wie abgemacht 50 Minuten. Und Rotten mengestellt wird, die Musik höchstens aus dem Radio ken- lässt die «boring rich Swiss people» nochmals seine Verach- nen. Beste Beispiele aus den letzten Jahren: , tung spüren: «Goodbye, jetzt könnt ihr heimgehen zu euren Die Fantastischen Vier, Triggerfinger, Polo Hofer, Stefanie verdammten Kuckucksuhren!» Heinzmann. Der Festivalpass kostet übrigens 250 Franken. Der alte angelsächsische Irrtum, siehe Orson Welles in Ich gehe davon aus, dass sich diese Symptome bei jedem «The Third Man», war im Ostschweizer Tobel für einmal Festival bemerkbar machen, das keine Nische bedient und am Platz: Es hatte nebst Kuhschweizern tatsächlich viele Quartierfestgrösse übersteigt. Egal ob St. Gallen, Zürich Schwaben und Schwarzwälder im Publikum. Wow, waren oder Gampel – extrem spannend ist auch dort das Pro- das wirklich die Sex Pistols? Und waren sie wirklich hier gramm nicht. Halb so wild. Viele Besucher gehen ja we- gewesen? Die Ungläubigkeit ist hernach immer geblieben, gen der Atmosphäre hin. Das ist beinahe noch schwieriger der Respekt für Rotten weiter gewachsen. nachzuvollziehen. Was sind denn genau diese unbezahl- Marcel Elsener baren Festivalmomente? Ist es der Sound, der irgendwo über den Köpfen durch die Luft flattert? Ist es der DJ im Partyzelt, der zu vorgerückter Stunde eine Dubstep-Version BORN TO RUN von «Wonderwall» droppt? Sind es die ständigen Bandauf- forderungen zum Mitklatschen? Irgendwie scheine ich die Wir schreiben das Jahr 1985. Genauer gesagt den 15. Juni Vorzüge von Festivals nie richtig begriffen zu haben. Ich 1985. Ein Jahr zuvor war Springsteens siebtes Studioalbum werde meinen Sommer wohl einfach im Garten verbringen «Born in the USA» erschienen. Das Album mit sieben (!) und Joy Division hören. Top-10-Hits. Das Album, dass bis heute die Fans spaltet. Es Martin Erdmann war die Zeit, in der MTV die Musikszene revolutionierte, in der jeder Star plötzlich auch Videodarsteller zu sein hat- te. Und so wurde aus Springsteen, dem einst dürren, aus- «MIESE, BLÖDE LANGWEILER!» gezehrten Hobo aus New Jersey, plötzlich der Rambo der Rockmusik. Mit Stirnband, Muskelshirt und kraftvollen Der Volltrottel, der die Idee hatte, verstärkte Musik in Gesten galt er plötzlich als Stadionrocker. Und in ein sol- der freien Natur spielen zu lassen, sollte im Jenseits ei- ches brachte ihn seine Welttournee an eben jenem Tag nach nen Lebenszyklus lang an einem Elektrozaun schmoren. Frankfurt ins Waldstadion. Als 14-Jähriger hatte ich 1981 Freiluftmusikfestivals sind kompletter Blödsinn, Massen- bereits ein Konzert der «The River»-Tour erleben dürfen, verzückungsmaschinen für Matschbirnen, All-you-can- mein erstes Livekonzert – unvergessen. Vier Jahre später eat-Buffets im Weichspülwaschgang. Okay, wenige kleine war ich volljährig, hatte den Führerschein und bereits mehr Ausnahmen bestätigen die Regel. Dann und wann findet als einen Alkoholrausch überstanden. Das Konzert also man sich als Festivalverweigerer-jedoch-Fan notgedrungen Ehrensache. Wie sich das damals gehörte und weil im Sta- doch mal in der Festivalmasse, einst in Konstanz dion selbst Alkoholverbot galt, trank ich mich im Vorfeld musste einfach sein, und Costello auf dem Gurten, der war mit den Kumpels ordentlich in Laune. Als dann die Tore mit seinen Attractions so gut, dass ich ohnmächtig hinfiel. geöffnet wurden, ging der erste Run zur Bühne los. Dort Einsamer Höhepunkt im absurden Sommerzirkus aber war hielt man dann tapfer die Stellung, bis irgendwann endlich der Auftritt der Sex Pistols 1996 am Openair St.Gallen: die Akkorde zu «Born in the USA» die Show eröffneten. John Lydon alias Johnny Rotten und seine drei originalen Alles wunderbar. Hit auf Hit, alte und neue Klassiker. So Mitstreiter Cook, Matlock und Jones beehrten das Sitter- ging das eine ganze Weile. Und dann passierte das, was tobel, Ur-Punks auf Reunion-Welttournee unter dem Zei- bei einem Open Air dieser Grössenordnung nicht passieren chen «Filthy Lucre», also wieder vereinigt nur zum Zwecke sollte: Harndrang. Erst ein wenig, dann immer mehr. Was des schnöden Mammons. Grandioses Kasperlitheater zum tun? Heutzutage gibt es ja diverse Areas mit abgegrenzten Ende eines Festivals, an dem Grönemeyer und Red Hot Bereichen und Sanitäranlagen. Damals gab es einfach nur Chili Peppers die Massen lockten: Vor den Pistols riefen Stehplätze. Und die Toiletten ganz hinten. Bei über 50 000 inbrünstig zum Kiffen auf und verteilten mas- Zuschauern war eins klar: Würde ich jetzt meinen Platz sive Joints, nach den Pistols folgten die finnischen R’n’R- aufgeben und den Rückweg nach ganz hinten antreten, Clowns Leningrad Cowboys. Niemand glaubt wirklich an würde ich nie wieder nach vorne kommen, meine Freunde eine Sensation, als die konservierten Punkveteranen am aus den Augen verlieren und überhaupt. Also Zähne zu- späten Nachmittag die Hauptbühne entern, aber alles fragt sammenbeissen. Nun hätte ich aus Erfahrung wissen sol- sich, wie lange es Rotten & Co dort aushalten würden. In len, dass Springsteen gerne auch über drei Stunden spielt. Dänemark hatten sie den Gig nach 15 Minuten abgebro- Und er spielte und spielte. Es wurde zur Tortur. Schliesslich chen, weil sie mit Flaschen beworfen wurden. Ein schlichtes endete mit «Rosalita» die Show, bevor der Boss direkt zum «We are the Sex Pistols», und die Maschine läuft wie ge- Zugabenteil überging. In dem Fall weitere sieben Songs, schmiert, im schmalen Repertoire alle eigenen Klassiker und mitsamt quälend langen Endlosversionen von «Born to dazu Covers wie das schon 1977 übliche «Steppin’ Stone» Run» und einem Rock’n’Roll-Medley, das kein Ende fand. der Monkees; im Grunde alles Hymnen, Fussballfansongs, Das Publikum wurde immer euphorischer, ich immer ver- Schunkelpunk zum Mitgrölen, und die drei Musiker wirken zweifelter. Und dann der Moment der Erlösung – das Ende. wie eine gut geölte Coverband ihrer selbst. Aber da ist ja Und ein weiterer Run in Rekordzeit. Zum rettenden Zaun. noch Mr. Rotten, der begnadete Provokateur, der im Ge- Kein Ordner der Welt hätte mich davon abhalten können, gensatz zu seinen abgetakelten Kumpanen noch einmal das mich umgehend zu erleichtern. An das Konzert kann ich alte Punk-Spiel treibt: Wir sind Arschlöcher, klar, aber ihr mich nur schemenhaft erinnern. Wenn ich jetzt 30 Jahre noch die grösseren, haha! Rotten spielt den Showmaster als später wieder zu einem Springsteen-Open-Air gehe, gibt es zynisch abgeklärte Kanalratte und fieses Rumpelstilzchen, zwei Dinge, die ich mir sehr genau überlegen werde: Was das seine einstigen Publikumsbeschimpfungen parodiert. trinke ich? Und: Wo ist das Klo? «Was seid ihr nur für miese, blöde Langweiler», ruft er den Markus Naegele HINTER DEM HAUS Seit der Jahrtausendwende bietet das Café Kairo mit dem Garten- festival eine clevere Alternative zum grossen Rummel auf dem Berner Hausberg. Ein Rückblick in Bildern von Patrick Principe.

polar

the monofones Gartenfestival 2016

Es soll Leute geben, die sich freiwillig einen Strohhut eines AKW-Betreibers aufsetzen. Wer solche Leute sucht, findet sich am mittleren Juli- Wochenende auf dem Gurten ein, der oftmals als «Berner Hausberg» durch die Lokalpresse geis- trampeltier of love tert. Wer solche Leute nicht sucht und diese auch nicht antreffen mag, besteigt am Bahnhof Bern eben nicht das Nüni-Tram, sondern den Bus mit der Nummer 20, fährt bis zur Haltestelle «Lor- raine», sucht das Café Kairo und gönnt sich erst eine Köstlichkeit vom arabischen Grill, bevor der Konzertreigen im Hinterhof und dem Keller des Lokals ansteht. Seit 15 Jahren gibt es diese schöne Gurten- Alternative namens Gartenfestival, und auf der handgezimmerten Bühne haben schon so viele gespielt: Der Freund des Hauses Howe Gelb, das Duo Attwenger, die Hora’ Band oder frühe Club- Stammgäste wie Stahlberger und King Pepe. Meistens auch dabei, wenn auch vor der Bühne: Der tolle Fotograf Patrick Principe, der neben seinem Favoriten Reverend Beat-Man und der Bad Bonn Kilbi auch das Gartenfestival immer wieder ins schöne Licht rückt. Das wird auch diesen Sommer nicht anders sein, wenn es einmal mehr heisst: Garten- statt Gurtenfestival. (bs)

15./16.7., Café Kairo, Bern, www.cafe-kairo.ch the monofones trampeltier of love

die aeronauten die aeronauten

howe gelb jj & palin SALZHAUS LIVE 2016 a

Pop/Folk/Singer-Songwriter 05 LISSIE USA 06

Post-Punk/Alternative Rock 24 NEW MODEL 10 ARMY UK

Protopop/Berliner Schule 26 ISOLATION 10 BERLIN DE

Post-Rock 01 ALCEST FR 11 & MONO JAP

NOBODY LEAVES

AB 2. JUNI IM KINO

SGA AU BE 0 N 1 :

w 33.–h w .c NACH BLUE RUIN DER NEUE THRILLER VON JEREMY SAULNIER w. g loopzeitun MIT ANTON YELCHIN IMOGEN POOTS UND PATRICK STEWART EINGETÜTET IN OBERSTRASS schuhten Füsse und stand nach dem Konzert etwas abseits Festivalbesuche ohne gute Vorbereitung herum, um die Dunkelheit zu geniessen, die sich über die Stolzewiese gelegt hatte. Bevor mein Rucksack und ich die sind ein Albtraum. Besonders dann, Reise den Hügel hinunter antraten. wenn man unvermittelt vom Gelände 5./6. Juni 2009 Es roch nach feuchtem, niedergetrampeltem Gras. Darauf geholt wird. Ein paar Erinnerungen an tummelten sich unzählige Festivalbesucher. Ob nun die Quartierjugend mit ihren mitgebrachten Dosenbiervor- Exkursionen auf die Stolzewiese. räten, die jungen Väter mit umgeschnallten Säuglingen oder die etwas älteren Anwohner – sie alle sorgten für gute Stimmung. So gut, dass mitunter gar die Headliner auf der 9. Juni 2006 Bühne nur noch mit halbem Ohr wahrgenommen wurden Der Nachmittag war perfekt. In der Luft lag ein feiner und sich der Sänger der französischen Band Poni Hoax die Bratwurstduft, auf der Stolzewiese spielten freudig qui- Zeit hinter seinem Mikrofon mangels Aufmerksamkeit mit etschende Kinder und auf dem Grossbildschirm hinter dem Drehen von Zigaretten vertrieb. Das Publikum übte dem Bartresen hatte Gastgeber Deutschland im Eröff- sich in Selbstbejubelung, aus der es sich am Ende des ersten nungsspiel gegen Costa Rica bereits ein herrliches Tor er- Festivalabends erst von der Rapperin Big Zis locken liess. zielt. Es sollte der Beginn eines Sommermärchens werden, Meinereiner stand grinsend inmitten einer ebenfalls grin- doch ich schaute besorgt auf das Display meines vibri- senden Menschenmasse und wusste, dass alles gut werden erenden Handys. Die dort angezeigte Nummer gehörte würde. meinem damaligen Chef, der mich telefonisch über das Am Tag darauf sah dann allerdings wieder alles anders aus. Ableben einer Schlagerkoryphäe unterrichtete: «Drafi Die Grosswetterlage zeigte sich verschärft, und am Nach- Deutscher ist heute in Frankfurt gestorben.» Das war mittag setzte weiterer Niederschlag ein, der aufs kollektive natürlich nicht nur eine traurige Mitteilung, sondern auch Gemüt schlug. Doch dann bestieg Phenomden die Bühne gleich ein Auftrag: «Nachruf, sechzig Zeilen, in zwei Stun- und brachte mit seinen munteren Tracks die Sonne zurück den.» Dann legte er auf. in die Herzen der Zuhörerschaft. Der Reggae-Sänger aus Ich griff mir meinen halbvollen Bierbecher und hetzte Wiedikon verdrängte die Wolken vom Himmel und bes- hinunter in die Stadt. Zurück ins Büro, wo ich meine Ver- chwor schöne Gedanken an Palmen, schneeweisse Süd- sion von Deutschers nicht ganz skandalfreiem Leben in die seestrände und Kokosnusscocktails mit bunten Schirmchen Tastatur haute, während der Rest des glorreichen Eröff- herauf. Und auch die erstklassige Polka-Country-Truppe nungsspiels auf dem Live-Ticker mitlief. Der Text war im Trio From Hell schaffte es im länglichen Zeltunterstand Kasten, die Partie gespielt, der Abend im Eimer. auf der linken Seite, das Publikum von den prekären Wit- terungsverhältnissen abzulenken. 2./3. Juni 2007 Dass wir dann an jenem Abend etwas abseits des Festival- Neues Jahr, neues Glück – und ein paar neue Ange- geländes in einer gemütlichen Kaschemme landeten, um wohnheiten. Nach dem abrupten Aufbruch im Vorjahr uns dort noch ein wenig über Marcel Proust und dessen un- kehrte ich als gealterter Mann auf die Stolzewiese zurück. ermüdliche Suche nach der verlorenen Zeit zu unterhalten, Ich hatte inzwischen die Ü-30-Grenze überschritten und spricht für die Qualitäten und den weltläufigen Charakter versuchte mich nun auch entsprechend zu verhalten. Da des Stolze Openairs. In St. Gallen, Interlaken oder auf dem man sich ab einem gewissen Alter nicht mehr einfach sor- Gurten wären solche spontanen Exkursionen nur bedingt glos und mit selbstgebastelten Flip-Flops an den Füssen möglich. Doch in Zürich-Oberstrass gehört das zum guten durchs Leben bewegen mag, reiste ich an jenem Sommera- Ton, den man als Besucher anschlägt, bevor man mit einem bend mit einer weitsichtig zusammengestellten Freiluft- lustigen Hut (den braucht man IMMER!), einem clever Ausrüstung an. gepackten Rucksack und einem mit grossen Gefühlen an- Die Trekkingschuhe sahen zwar schon etwas blöd aus, gefüllten Herz wieder runter in die Stadt reist, wo der be- doch in meinem Rucksack, der mit mir im 9er-Tram nach langlose Alltag wartet. Oberstrass fuhr, befand sich eine feine Auswahl mondänen Philippe Amrein Zubehörs: Zigaretten, Feuerzeugbenzin, Dunhill-Sonnen- Stolze Openair, 3./4. Juni, Stolzewiese, Zürich, www.stolze-openair.ch brille, ein gutes Buch, Löschpapier, eine Gashupe, Salz und Pfeffer, Gehörschutzpfropfen, Eierbecher, ein Flaschenöff- ner, eine Hello-Kitty-Kamera (!), Reservezigaretten, Not- fall-Pelerine, Rega-Gönnerausweis, ein portabler Aschen- becher, ein Leatherman, ein lustiger Hut (den braucht man IMMER!), Dosenbier, eine Rolle Gaffa-Tape, zwei Vierfarb-Kugelschreiber, Aspirin, Voltaren, ein USB-Mem- ory-Stick (512 MB) und eine leicht ramponierte Armee- Taschenlampe. Die Ausrüstung bewährte sich natürlich bestens, zumal sich der Himmel an diesem Wochenende in allen möglichen Schattierungen zwischen tiefblau und bleigrau präsenti- erte. Unter diesem vielschichtigen Firmament legten sich diverse Musikanten ins Zeug, von den Brachial-Elektroni- kern Saal schutz über die Ukulelen-Zampanos Los Dos bis hin zu den Discorockern Camp, die zu jener Zeit noch als grosse Nachwuchshoffnung gefeiert wurden und entspre- chend ekstatisch in die Nacht hinaus – nun ja – discorock-

ten. Ich hörte zu, wippte mit einem meiner funktional be- Moritz Bichler DIE NEUEN PLATTEN

Meng Tian Various Artists Brisa Roché Emilie Zoé Lera Lynn Ti.Me Boombox! Invisible 1 Dead-End Tape Resistor (www.meng-tian.com) (Soul Jazz Records) Kwaidan Records/Al!ve (Hummus/Ikarus/Irascible) (Resistor Music)

Meng Tian ist zwischen den 1980 schaffte es die Sugar- In Frankreich ein kleiner Die Augen weit aufgeris- In der zweiten Staffel der Kulturen aufgewachsen und hill Gang mit «Rapper’s De- Star, im deutschsprachigen sen, der Blick misstrauisch: HBO-Krimiserie «True De- das manifestiert sich auf light» auch in der Schweiz Raum nur wenig bekannt, Emilie Zoé starrt die Hö- tective» mimte Lera Lynn ihrem Doppelalbum «Ti. auf den zweiten Platz der hat die US-amerikanische rer vom Coverbild ihres eine Sängerin, die in einer Me». Dessen elf Songs wer- Single-Hitparade: Das war Sängerin und Songwriterin Debüts «Dead-End Tape» versifften Bar auftritt. Für den gleich zweifach geboten der erste Rap-Welthit noch mit dem hübschen Namen an, direkt und unverblümt. den Soundtrack spannte sie – mal auf Englisch, mal auf aus einer Zeit, in der kaum nach sechsjähriger Pause Die Aufnahme mutet wie mit T-Bone Burnett zusam- Chinesisch. Die Musikerin, jemand wusste, was Rap endlich wieder ein Album ein Memento mori aus den men. Ihr neuer Kreativpart- die mit zwölf Jahren in die war. 1982 erschien «The veröffentlicht. Nachdem Tagen der Daguerreotypie ner heisst Joshua Grange. Schweiz kam und 2008 ihr Message» von Grandmas- die 40-Jährige lange Zeit an – und auch die Musik Gemeinsam produziert Debüt «New Start» auf den ter Flash & The Furious überwiegend in Paris ge- der Neuenburgerin wirkt und spielt das Duo nahezu Markt brachte, beschreitet Five – und damit etablierte lebt und gearbeitet hat, ist durch ihre Karg- und Un- sämtliche Instrumente. Der mit dem neuen Werk auch sich Rap auch in Europa sie für «Invisible 1» wieder geschliffenheit wie ein Einstieg ins Album über- neue Veröffentlichungswe- als ein ernstzunehmender nach Kalifornien zurückge- Flohmarktfund, an dem rascht: «Shape Shifter», ein ge: Wer «Ti.Me» abonniert, und auch gesellschaftlich kehrt. In ihr eigenes Studio unzählige Spinnweben haf- smarter Altrock-Popsong, erhält seit März 2016 jeden höchst relevanter Stil. Und in einem kleinen Kaff in ten. Ende 2014 hat Zoé die erinnert eher an Veruca dritten Sonntag im Monat dazwischen? «Boombox! Nordkalifornien – dort, wo elf Songs gemeinsam mit Salt oder die Breeders als einen Song plus Bonus- Early Independent Hip noch Berglöwen ums Haus ihrem Kompagnon Louis an den Americana-Sound material ins Haus geliefert Hop, Electro and Disco streifen, wenn man dem Jucker in einem ehemali- auf Lynns Debüt von 2011. – per Mail. Die Lieder, die Rap 1979-82» erforscht Pressetext Glauben schen- gen Schiessstand im Jura Völlig anders wiederum zudem über die gängigen die Frühzeit des New Yor- ken darf. eingespielt – mit einem por- klingt der weiche, raffinier- Kanäle erhältlich sein wer- ker Raps aus der Bronx Wie wandlungsfähig Brisa tablen Vierspurgerät. «The te Funk des Schlussstücks den, stehen für die unter- und Harlem. Rap war die Roché ist, hat sie schon mit bed is cold, so are my bo- «Little Ruby». Lynns ge- schiedlichen Jahreszeiten: Musik für die Block Partys ihren drei Vorgängerplat- nes, ’cause you have blown schmeidige Phrasierung Während «Everyday», eine in den desolaten schwar- ten gezeigt. Auf «Invisible out the flame», wirft die verrät eine gewisse Affinität aufgeweckte Popnummer, zen Ghettos, die Bands 1» schlägt sie die Brücke Singer/Songwriterin ihrem zum Jazz. Man höre nur, den frühlingshaften Auf- (denn hier sind Bands am von ihren Anfängen, als sie Liebsten in «My Shadow wie sie die Silben und Töne bruch markiert, steht das Werk, die DJs setzten sich noch in den Jazzclubs von on the Wall» entgegen. in «Slow Motion Count- gut wattierte «Star» mit sei- erst nach «The Message» Paris sang und dort auch Zoé singt die Zeilen wie down» auskostet. Ihr Ge- nen geschliffenen Synthesi- auch auf Schallplattenpro- entdeckt wurde bis zu ech- aus dem Jenseits, frostig sang betört. Es ist diese auf zerpassagen für kontempla- duktionen durch) bedien- tem funky Stuff. Ruhige und doch lockend – bis kleiner Flamme lodernde tive Momente. Die von Roli ten sich schamlos in Disco Schleicher wie «Night Bus» das Metronom unvermit- Sinnlichkeit, die den Sound Mosimann produzierte und Funk, klauten Bassli- oder das folkige «Walk telt zu schlagen aufhört. des Albums prägt. Die Tex- Platte gleitet elegant durch nien und Melodien, die sie With Me» stehen neben Nicht minder gespenstisch te drücken Unsicherheit die verschiedenen Jahres- sich wiederum gegenseitig einem veritablen Funk- ist «Chop Me Up», in wel- und Melancholie aus. Das perioden sowie durch ver- ausliehen; sie reizten die Rocker wie «Vinylize». chem die Künstlerin zu den gilt besonders für einen schiedene Genres: «Time’s Vorlagen aus, die Tracks Die Retro-Produktion er- Klängen einer schroffen E- atmosphärischen Song wie a Lie» lehnt sich leicht und pumpen zwischen fünf und innert manchmal auch an Gitarre davon träumt, ihre «What You Done». Wenn zart an den Trip-Hop an, zwölf Minuten lang und die Stücke von Lana Del Knochen zu verschenken. die Melodien diskret vor «Maze» neigt dem musku- geben den MCs genügend Rey, etwa bei der schönen, Die Stücke von Zoé bleiben sich hin köcheln, ist es lösen Rock zu. Kontrastrei- Raum für ihre durchaus ersten Single «Each One dem blühenden Leben fern Lynns verträumte Stimme, che Musik, die es versteht, noch gemächlich rundum- of Us», bei der mir aller- und suhlen sich stattdessen die fesselt: «Slow Motion nicht nur von ihren kultu- schlagenden Sprechgesän- dings auch manch grosses in der Erde und der Mor- Countdown» lässt an ihre rellen und stilistischen Ge- ge. Partymucke war das, französisches Stöhn-Epos talität. Musik, die auf son- Auftritte in «True Detec- gensätzen zu zehren, son- hip hop hippy di hop, über- in den Sinn kommt. An- nige Momente verzichtet tive» denken. Das karge dern auch mit biegsamem schäumende, lebensfrohe, deres wiederum würde und sich erfolgreich darauf Bluesriff zu «Little Ruby» Gesang und feinsinnigen mitreissende Partymusik. auch einer Kate Bush gut konzentriert, Schauer zu er- zeigt, welche Wirkung die Kompositionen zu bezirzen. Namen? Sind hier nicht stehen. Schöne Platte, bei wecken. Sängerin entfalten kann, notwendig. der ich mir manchmal ein wenn ihre zurückhaltende mig. paar Ecken und Kanten ge- mig. Art mit einer zwingenden cg. wünscht hätte. Idee kombiniert wird.

tb. tl. DIE NEUEN PLATTEN Sound Surprise Andrew sei der Freund ihrer besten Freundin Xan, sagte mir Julie, er sei Musiker, und sie hätten uns für Silvester eingeladen. Das war Ende Dezember 2004, ich verbrach- te als Stipendiat ein halbes Jahr in Chicago, und Julie, die künstlerische Leiterin des Third Coast Audio Festivals, war eine gute Freundin. Musiker gibt es in Chicago wie Eclecta Ernest Purson Sand am Meer, und da mir Julie nichts Weiteres über diesen A Symmetry Les Contes Défaits Desire’s Magic Andrew sagte, ging ich davon aus, einem hoffnungsvollen (Turbo/Prolog) (LocalMedia/Al!ve) Theatre Nachwuchsmusikanten zu begegnen, mehr nicht. Dabei (Spinefarm Records) lebte ich schon lang genug in Chicago, um das Understate- Der Bandname ist Pro- Ernest kommen aus Strass- ment der dortigen Szene zu kennen. Da kommt es vor, dass gramm, denn: Eclecta ver- bourg und zählen sich zur Die Kleider könnten dem man sich eine Nacht lang mit einem Doug unterhält und stecken ihre Zeigung zum Steampunk-Bewegung. Cover eines frühen Uriah erst nach Stunden merkt, dass es sich um Doug McCombs Eklektizismus nicht. «A Einer eigentlich literari- Heep-Albums abgeschaut handeln könnte. Das ist Chicago, Mann, nicht New York, Symmetry», das Duo-De- schen Szene, die längst die sein, zur Instrumentierung da prahlt man nicht und versucht schon gar nicht, wie ein büt von Marena Whitcher Formen einer Subkultur gehören Querflöte, Cello, Musikerdarsteller auszusehen. und Andrina Bollinger, angenommen hat, eine Art Mellotron und Sax, Rosa- Julie, Xan, Andrew und ich verbrachten einen netten Sil- erinnert nicht zuletzt ans Retro-Futurismus, der Sci- lie Cunningham (Gesang) vesterabend, irgendwann spielte Andrew uns ein Dylan- Wirken von CocoRosie. ence Fiction mit den Seg- hat das märchenhafte Co- Cover vor, das er für ein Dylan-Tributalbum aufgenommen Zwar klingen die beiden nungen des viktorianischen ver selber gepinselt und hatte, ganz interessant, fand ich, aber ich hakte nicht nach. Schweizerinnen weniger Zeitalters und mit dem Fin stellt sich darauf als blau Im Februar zogen Andrew und Xan um, ich half ihnen verträumt und nach Feen- de Siécle zusammenbringt. gekleideter Vamp mit sechs beim Umzug und wurde zur Wohnungseinweihungsparty welt als das amerikanische Tim Burton meets Hellboy Armen und zwei Beinen eingeladen. Im März taufte Andrew sein neues Album, Ju- Schwesternpaar, aber auch meets Jules Verne. Das hört dar. Selbstverständlich ist lie hatte eine Vorabkopie, und ich kippte aus den Socken, Eclecta lieben es, ein Sam- man der Band an, sieht die Etikette auf dem Al- als sie «Andrew Bird & The Mysterious Production of melsurium aus Spielzeug, man aber auch an ihren bum selber der berühmten, Eggs» zum ersten Mal einlegte. Ich frequentierte also seit Kinderpiano oder Luft Bühnenoutfits und ihren schwarzweissen Spirale des mehreren Monaten einen grossartigen Musiker, ohne es zu lassenden Ballons in ihren kunstvollen Videos. Prog-Labels Vertigo nach- ahnen, und nun bereute ich es, nie mit ihm über (seine) Liedern unterzubringen. Seit fünf Jahren aktiv, ent- empfunden. Es gäbe noch Musik gesprochen zu haben… Die Zürcherinnen agieren führt die Band um Sänger weitere historische Echos Dann erfuhr ich natürlich einiges über Andrew Bird. Mit allerdings kratziger, dem- Julien Grayer und Key- zu erwähnen: ein Hauch vier Jahren lernte er, ein Wunderkind, Violine, und zwar entsprechend weist ihre boarder Patrick Wetterer, Curved Air, eine Spur Jef- nach der Suzuki-Methode, bei der man die Klassiker nicht Musik auch deutlich mehr die beide seit Jahren diverse ferson Airplane, eine Pri- nach Partitur, sondern nach Gehör spielt. Diese Freiheit Spitzen, Haken und Ösen Film- und Theaterprojek- se Eclection. Und doch: beim Interpretieren bewahrte sich Bird, als er sich weite- auf. Sie drängen zudem te verfolgt haben, in eine Purson haben mit ihrem re Instrumente – Gitarre, Viola, Cello, Xylophon, Glo- nicht bloss durchs Gelän- theatralische Musikwelt, zweiten Album eine gänz- ckenspiel, singende Sägen u.v.m. – aneignete. Der heute de des Folk-Pops, sondern die Vaudeville mit Chanson lich eigene, psychedelische 43-jährige Bird ist also klassisch ausgebildet, begann seine wuseln sich auch durch und Neo-Swing, Rock mit Post-Prog-Sprache gefun- professionelle Karriere mit Jazz und wandte sich dann dem Klezmer, Jazz oder Rock. Indie-Electro zusammen- den. Mit ihren sieben Mu- Pop zu, dessen letzten 50 Jahre er ebenfalls verinnerlicht zu Der undogmatische Sound bringt. Auf ihrem neuen sikanten bringt die Band haben scheint. dreht sich um die klaren Album «Les contes défaits» einen zünftigen Sound auf Das beweist er auch auf seinem neusten Wurf «Are You Stimmen von Whitcher hören wir neben dem Ro- die Bühne. Anders als ande- Serious» (Universal). Es gibt Bird-Platten, auf denen die und Bollinger, die frei von ckinstrumentarium ein re Post-Psychedeliker arbei- Violine im Mittelpunkt stehen, und solche, auf denen die der Leber weg schmettern, Honkytonk-Klavier, Banjo tet man nicht mit repetiti- Gitarre im Mittelpunkt steht. «Are You Serious» gehört säuseln oder auch mal im oder auch ein Theremin, ven Grooves. Vielmehr sind zur zweiten Sorte, mal ist die Gitarre elektrisch verstärkt, Stile eines Bobby McFer- diesen seltsamen Synthe- die Stücke ziemlich durch- mal akustisch gezupft – immer aber bestimmt sie die Songs rin akrobatieren. Während sizervorläufer, der auch komponiert. Melodie und und hält die klangliche Vielfalt der anderen Instrumente sich «Flaming Tiger» als heute noch immer wieder Atmosphäre stehen immer zusammen. «Are You Serious» ist für birdsche Verhältnisse liebevoll schräge Ballade gerne eingesetzt wird. Flot- im Vordergrund, nicht Vir- geradezu unverschämt rockig; beim genauen Hinhören ent- entpuppt, kehrt «Hang on te Songs wie «Ernest» und tuosität und jazziges Gedu- deckt man aber die Abenteuerlichkeit dieser Songs. Bird, St. Christopher», ein Tom- «L’épouvantail» haben ei- del, und über allem steht einer der subtilsten Songschreiber seiner Generation, baut, Waits-Cover, viel vorlaute nen hübschen Drive. Das die feiste Stimme, welche ausgehend von seinem breiten Instrumentarium (das er Schnauzigkeit hervor. «A ist mal verspielt, mal ver- erst so richtig schön Licht um Händeklatschen und viel Pfeifen ergänzt), eigensinnige Symmetry» kommt somit träumt, melancholisch oder ins bunte Kaleidoskop ei- Songs, die sich im weiten Feld zwischen Pop, Folk, Jazz, einer fulminanten Schlan- einfach nur gut ins Ohr nes grotesken und überaus Americana, Kammermusik und Tin Pan Alley tummeln. genfahrt gleich, die hinter gehend. herrlichen Albums bringt. Es passiert viel in Birds Songs, viel Ungewöhnliches und der nächsten Kurve mit der Überraschendes auch, doch sind sie immer voller Luft und nächsten atemberaubenden tb. hpk. Raum – und voll verführerischer Eleganz. Das ist grosse Überraschung aufwartet. Pop-Musik, eigenwillig, aber erstaunlich eingängig, und eigentlich, sollte man meinen, dürfte niemand ihrer Schön- mig. heit widerstehen können.

Christian Gasser DIE NEUEN PLATTEN

NO ZU Eric Clapton Marissa Nadler Chris Cohen Afterlife Super I Still Do Strangers As If Apart (Chapter Music) (x2/Limmat Records) (Polydor/Universal) (Bella Union/MV) (Captured Tracks)

Eigentlich höre ich mir Nach dem letzten Al- Eric Clapton, unterdessen Marissa Nadler scheint nie Eigentlich müsste dieses kaum je World Beat an. bum der Pet Shop Boys, 71-jährig, sieht auf dem an einer Schreibblockade Album mit allen möglichen Klar war das, was z. B. Da- «Electric» (2013), wurde Cover wie ein ergrauender zu leiden. 60 Songs hat sie und unmöglichen Superla- vid Byrne oder die Künstler gewerweisst, ob dies der Mittfünfziger aus. Aber für «Strangers» geschrie- tiven eingedeckt werden. von Real World Records Schwanengesang des Duos auch im 21. Jahrhundert ben – um dann 49 wieder Denn «As If Apart» ist die aufgeschnappt und neu sei. Jetzt zeichnet sich ab, gilt: Spielt Eric Clapton den zu verwerfen. Es ist das bislang schönste, liebste kreiert haben, ganz schön dass Neil Tennant (61) und Blues, ist das etwas vom siebte Album in zwölf Jah- und zeitloseste Platte des clever. Die Musik von NO Chris Lowe (56) gar nicht besten. Live schon länger ren, dazu kommen noch Jahres, keine Frage. Doch ZU macht mir einfach daran denken, sich zur wieder ausschliesslich die- diverse Veröffentlichungen diese Etiketten wären viel Spass. «Remain in Light» Ruhe zu setzen. «Super», sem Genre verpflichtet, in Eigenregie. Dabei hat zu laut für die zehn Lieder, meets Go-Go-Funk, Geor- ihre 13. Platte, ist in erster waren Claptons Studioal- sich Nadler, einst als Weg- die der ehemalige Deer- ge Clinton meets Tom Tom Linie von der ungebroche- ben der letzten 20 Jahre bereiterin des Goth Folk hoof-Gitarrist Chris Cohen Club. Unwiderstehlicher nen Liebe zur Tanzfläche entweder reine Bluesalben bezeichnet, stets subtil ver- für sein zweites Album im Groove. Erdiger Bass. Prä- erfüllt. Im März wurden die und Tribute an die alten ändert, so dass man immer Alleingang eingespielt hat. ziser weiblicher Sirenenge- 1981 gegründeten Pet Shop Helden – oder dann medi- geneigt war, das aktuellste Es sind Songs, die von einer sang im Wechselspiel mit Boys vom Edinburgh Col- okre Alben mit einem Pot- Werk zum bis anhin bes- linden, anpsychedelisier- tiefem Männergrummeln, lege of Art mit einem zwei- purri aus ideenlosen Selbst- ten zu erklären. Ganz zum ten Westcoast-Melancholie tolle Bläsersätze, eine Men- tägigen Symposium geehrt. zitaten und verkrampftem Schluss ist sie hier mit «Dis- durchweht sind, Songs, die ge Congas und Perkussion. Ein Beweis dafür, dass die Radiopop. «I Still Do» solve» zwar wieder beim natürlich nicht in die Zu- NO ZU saugen auf, was Band in den vergangenen liegt vom Konzept her zwi- Folk und alleine mit der kunft weisen, sondern sanft die Plattensammlung und Jahrzehnten mit Hits wie schen diesen Kategorien. akustischen Gitarre. Davor Abschied nehmen – von lie- das Netz hergeben und «It’s a Sin» oder «West End Glücklicherweise hat sich aber beschreitet sie zusam- ben Personen, die nun nicht destillieren daraus ihren Girls» nicht bloss den Pop, Eric Clapton auf den Blues men mit Produzent Randall mehr da sind. All das wirkt Heat Beat. So nennt die sondern auch die britische konzentriert. Als Tributal- Dunn ein weites Feld mit zunächst fast allzu vertraut, achtköpfige Band aus Mel- Kultur beeinflusst hat. Die bum geht «I Still Do» nicht schleppendem Rock, Syn- allzu beiläufig, wenn da bourne ihren Mix aus No elf neuen Songs, entstanden durch und ist daher das thesizern, Piano und Strei- nicht die eleganten Tricks Wave, Funk, House, Tech- zwischen London und Ber- beste Studioalbum Clap- chern. Über allem schwebt und Drehs wären, die das no und pulsierender Per- lin, bieten schnörkelfreien tons seit dem 1989er-Werk ihr Gesang zwischen Engel scheinbar Schwerelose und kussion. Wenngleich NO Sound zwischen Dance und «Journeyman». Schon mit und Geist auf der Suche auch Glückliche in Rich- ZUs Sound im Dancefloor Synthie-Spielereien: «Hap- den ersten Takten fallen nach «All the Colors of the tung Niedergeschlagenheit verwurzelt ist, lässt sich die piness» erweist sich dank die Spielfreude seiner Band Dark»; ganz nah und dann steuern. Kurz: ein Album Band nicht davon abhalten, treibenden Rhythmen als und die aufs Wesentliche mit dem nächsten Luft- für immer. sich mit politischen und beweglich, «The Pop Kids» reduzierte Produktion auf. hauch wieder weg. Die Ich- philosophischen Ideen zu träumt von den guten alten Der Titel «I Still Do» ist Perspektive vergangener bs. beschäftigen. Laut Band- Club-Zeiten und behaup- Programm, Clapton spielt, Platten vertauscht Nadler leader Nicolaas Oogjes be- tet: «Rock was overrated». was ihn in den 60er- und in «Shadow Show Dia- handelt «Afterlife» Themen Obschon die Londoner 70er-Jahren gross gemacht ne» oder «Hungry Is the wie menschliche Schönheit, noch nie verhehlt haben, hat: Die Songs seiner Vor- Ghost» mit Beobachtungen Bewegung des Körpers, dass ihre mondän anmu- bilder, in diesem Falle Ro- von eben Fremden. Dieses Sex, Glaubensrichtungen, tende Musik purer Eskapis- bert Johnson, J. J. Cale und intensive Album könnte Sterblichkeit, Unsterblich- mus ist, wirken ihre letzten . Er interpretiert ihr eine neue Hörerschaft keit, die düstere Kolonial- Liederwürfe nicht nur neu- diese originalgetreu und erschliessen. Wobei klar geschichte Australiens und gierig, sondern auch frisch gibt ihnen dennoch so viel ist: Das Beste von Marissa die Zerstörung der aborigi- und kraftvoll. Eine feine eigene Interpretation, dass Nadler kommt erst noch. nen Kultur. Oft genug lich- Sache. sie zu seinen eigenen wer- tet sich auf dieser Platte der den und die drei schwäche- anz. Nebel post-apokalytischer mig. ren Songs, darunter zwei Visionen, und wir blinzeln Eigenkompositionen, ver- ins Sonnenlicht. Getragen gessen lassen und «I Still vom euphorischen Groove Do» zu einem Markstein in von «Afterlife». seinem Katalog machen.

tl. yba. DIE NEUEN PLATTEN London Hotline Dass Leicester City die Premier League gewonnen hat, ist ungefähr so verrückt, wie wenn Klaus Johann Grobe nach 132 Jahren vergeblichen Strebens dereinst plötzlich einen gigantischen Welthit landen würden. Anders aufgezäumt: Für die Fans von Leicester muss es ein Gefühl gewesen sein wie beim Titelstück des ersten Amon-Düül-2-Albums The Liminanas Leyla McCalla Karl Blau «Phallus Die», wenn nach zehn Minuten Bongo-Geklap- Malamore A Day for the Hunter, Introducing Karl Blau per, Geistergeschrei und Geigenkratzen plötzlich die Gitar- (Because Music/Al!ve) a Day for the Prey (Bella Union) ren einsetzen und sich der ganze Radau in eine euphorische (Jazz Village/MV) Befreiungsmelodie auflöst – nur haben die Leicester-Fans Die Schöne und das Biest? Karl Blau, Singer/Song- 132 Jahre Bongo-Geklapper über sich ergehen lassen müs- Fast komplett mit Haaren Leyla McCalla, eine in writer aus Anacortes, Wa- sen, ehe endlich die Sonne aufging. In der Tat haftete dem zugewachsen ist inzwischen New York geborene Haiti- shington, präsentiert ein surrealen Erfolg einer Mannschaft, die in der Saison vorher Gitarrist, Bassist und Sän- anerin, lebt in New Orle- erstaunliches Album mit ums Haar abgestiegen wäre, eine geradezu psychedelische ger Lionel Liminana und ans, sie spielt Cello, Banjo Country-Covers (Way- Note an. Ich spreche aus Erfahrung. Beim zweitletzten sieht dabei aus wie Rick und Gitarre. Beeinflusst lon Jennings, Tom T Hall Heimspiel von Leicester gegen Swansea war auch ich im Rubin oder einer dieser von traditionell kreolischer, u. a.). Diese interpretiert Stadion. Schon das, was die elf Foxes auf dem Rasen boten, zauselbärtigen Songwriter, haitianischer Folklore und der Sänger souverän, mit war verstörend gut: pausenlos war alles in Bewegung, ganz die zur Zeit die Bühnen do- Cajun, aber auch vom Jazz, eleganter, subtiler Phra- wie die Farben einer Licht-Show der frühen Pink Floyd. minieren. Zusammen mit klingt ihre Musik gleichzei- sierung. Ein Hauch von Sobald der Ball irgendwie in die Nähe kam, spritzten drei, seiner trommelnden und tig erdig, leichtfüssig und Verzweiflung streift Link vier Foxes in alle Richtungen davon und verwirrten den singenden Partnerin Marie beseelt. In ihr spiegelt sich Wrays «Fallin’ Rain» (ein Gegner bis zum Trümmligsein. 4:0 lautete das Resultat bildet er das formidable Historisches, doch klingt opulent orchestrierter, schliesslich. Und im Gegensatz zu den meisten anderen französische Duo The Li- sie frisch und aktuell. zehnminütiger Trip mit den Premier League-Begegnungen, wo die Spieler selbst nach minanas. Leylas Debüt, «Vari-Co- Stimmen von Jim James einem klaren Sieg noch mit der Miene grimmiger Professi- Die französischen White lored Songs: A Tribute to und Laura Veirs), während onalität und Pflichterfüllung vom Platz schreiten, grinsten Stripes mit Hang zur Psy- Langston Hughes», wurde Townes Van Zandts «If I die Foxes wie Maikäfer, als sie am Spielfeldrand diverse chedelik? Obwohl musika- 2013 von der britischen Needed You» zum wohl- High-Fives verteilten. Auch der Sound, der die Farbenor- lisch anders, erinnert mich «Sunday Times» zum Al- klingenden Shuffle mutiert. gie auf dem Platz begleitete, hatte einen sinnenerweitern- das, was die Beiden ma- bum des Jahres gekürt. Im Echte Überraschungen sind den Effekt. Nämlich verteilte der Verein im ganzen Stadion chen, auch schon mal an letzten Herbst nahm die «To Love Somebody» und Fastnachtsrätschen, mit denen die Fans permanent in der die exzentrischen Herman 30-Jährige «A Day for the Tom Rushs «No Regrets»: Luft herumwedelten und damit einen Lärm produzierten, Düne. Vielseitiger Indie-Pop Hunter, a Day for the Prey» der Bee-Gees-Hits mu- der frappant an die experimentelleren Momente von Frank mit Roots im britischen auf. Ein Songzyklus durch- tiert zum Easy-Listening- Zappa erinnerte (konkret: die zwei Minuten Noise auf Wave, französischem YeYe- drungen von panafrikani- Gospel, den anderen Song «Weasels Ripped My Flesh»). Als sich beim Schlusspfiff Pop der 6os, einer Prise Ret- scher Identität. Leyla singt befreit Blau von Hysterie dazu auch noch das Freudengebrüll der Menge vermischte ro, einer Vorliebe für Velvet Englisch, Französisch und und Selbstmitleid. Die Art, – in das sogar die mit dem Gegner mitgereisten Schlach- Underground, einem Hauch haitianisches Kreolisch. Als wie er sich des Country- tenbummler einstimmten –, ergab dies eine alles erfassende Serge Gainsbourg, was Gastmusiker sind zu hören: Genres annimmt, hat was Kakophonie des Momentes, wie sie selbst einem Wagner in nicht nur Lionels Sprechge- Gitarrist Marc Ribot, Rhi- von David Bowies Flirt mit vollem Ego-Pomp nie hätte gelingen können. In dem Mo- sang nahelegt, dem bei der annon Giddens (Carolina dem Philly-Soul. Während ment wurde jedem Zuschauer im Stadion klar, dass Lei- Single «Garden of Love» Chocolate Drops), Louis «Young Americans» als cester tatsächlich Meister werden würde – ein dermassen Partnerin Marie als neue Michot sowie Sarah Quin- Bowies Plastik-Soul-Phase bizarrer und unmöglich scheinender Sachverhalt, dass man Nico assistiert. Bei diesem tana, eine Singer/Songwri- gilt, markiert dieses Al- ein paar Atemzüge lang wahrhaftig glaubte, den Weg in Track mischt übrigens kein terin aus New Orleans. Als bum die Geburt von Karl eine mysteriöse Parallelwelt gefunden zu haben. Geringerer als Peter Hook Cellistin löst sich Leyla Mc- Blau, dem Plastik-Cowboy. Ja, die Psychedelik liegt in England derzeit in der Luft – das (Joy Divison, New Order) Calla gern von den Struk- Meine Zweifel verfliegen erlebte ich auch vorgestern wieder, als ich mich in ein Kul- mit. Der Titelsong dagegen turen klassischer Technik, spätestens beim dritten turzentrum hinter der U-Bahn-Station Angel bewegte, wo atmet die Sixties genauso lieber testet sie ihre rhyth- Stück, weil das Album so ein gewisser Andy Roberts sein neues Buch «Acid Drops» wie «El Beach» auch. Wo mischen Qualitäten. Sie verdammt gut ist. Neben vorstellte, und zwar mit einem Vortrag: «Wie die Psychede- hier Robert Mitchum und überzeugt als Arrangeurin Blaus erstaunlichen Quali- lik die Kultur in Grossbritannien veränderte.» Das besagte Bob Duvall zitiert werden, und als Sängerin, deren fe- täten als Interpret können Kulturzentrum war geradewegs aus den 70er-Jahren her- schrabbelt sich die Wah- derleichtes Timbre und de- Tucker Martines helle, mo- eingebeamt worden, am Eingang dufteten die Räucherstäb- Wah-Gitarre bei «Kostas» likates Vibrato sich elegant derne Arrangements nicht chen, und der Vortragende trug ein buntes Paisley-Gilet. über die Akropolis zum um den Beat bewegen. Mc- genug gelobt werden. Sie Das zahlreich erschienene Publilkum andererseit fiel durch Psych-Rock-Sirtaki. Zwölf Calla ist eine Songwriterin, kontrastieren perfekt zum sein erstaunlich jugendliches Erscheinen auf. Tatsäch- Songs mit Retro-Charme, die komplexen Themen wie sonoren Crooning eines lich scheint es in England derzeit eine rauschende Under- ohne gleich ganz in der sozialer Ungerechtigkeit Mannes, der seinen Hut ground-Bewegung zu geben, die sich für die Legalisierung Nostalgie zu versinken. The mit scharfem Blick und po- vor Grössen wie Charlie von Acid einsetzt. Damit möchte ich der erste sein, der die Liminanas würde man ger- etischer Sprache nachspürt. Rich oder Glen Campbell längst überfällige Renaissance der Incredible String Band ne mal live sehen. zieht. prophezeit. tl. tb. tl. Hanspeter Künzler DIE NEUEN PLATTEN

Matt Elliott Paul McCartney Kid Ikarus Stone Cupid Swans The Calm Before Pure McCartney Playback Dreams The Cardinal The Glowing Man (Ici D’Ailleurs/Irascible) (MPL/Universal) (Ikarus Records/Irascible) (Stone Cupid Music) (Mute/MV)

«Here comes the storm», «Jenny Wren», «My Va- Das Post-Rock-Land scheint In den Achtzigern waren Swans hören, heisst zuhö- flüstert Singer/Songwri- lentine», «New» und «Ear- abgebrannt. Das weiss auch Julie Christensen und Chris ren lernen. Selbst für die ter Matt Elliott zu Beginn ly Days» gehören zu den die Zürcher Band Kid Ika- D. die Frontleute der L.A.- Musiker, die diese Mu- seines sechsten Albums besten Songs und grössten rus, die zwar auf ihrem Punk-Rootsrocker Divine sik spielen. Michael Gira «The Calm Before». Der Kompositionen von Paul zweiten Album noch immer Horsemen. Die Band Stone spricht davon, er hätte auf Musiker aus Bristol macht McCartney. Sie alle hat er instrumentale Rockmusik Cupid gründete sie, um sich den letzten Konzertreisen auch immer wieder als The in den letzten zehn Jahren spielt, die nicht immer un- – nach Kollaborationen mit Kräfte walten erlebt, die Third Eye Foundation und veröffentlicht. Vor 45 Jah- bombastisch ist, aber doch Chuck Prophet, David Ol- definitiv grösser waren als mit klaustrophobischen ren wären sie am Veröf- heavier daherkommt als die ney, Kevin Gordon und ei- die Band – dem Publikum Elektrosounds auf sich auf- fentlichungstag Klassiker Genre-Epen der Vergangen- nem längeren Engagement ging es ähnlich. Nun ver- merksam. Unter eigenem geworden, heute dauert heit, die dann mit Worten bei Leonard Cohen – wie- kündet der Bandleader, Namen steuert er durch es etwas länger. Für «Pure wie «Kopfkino» beschrie- der ihrer rockigeren Seite nach diesem Album und weitaus ruhigere Gewäs- McCartney» hat Paul 67 ben werden müssen. «Play- zu widmen. Julie sei Dank! der anschliessenden Tour ser, doch: Sogar hier droht Songs aus den Jahren 1970 back Dreams» ist im Studio «The Cardinal» präsen- sei Schluss mit der aktuel- der Sturm. Dreh- und An- bis 2015 ausgewählt. Ab- des Faust-Urmitglieds Hans- tiert eine begnadete Sän- len Inkarnation der Swans. gelpunkt des neuen Werks gesehen von den fehlen- Joachim Irmler entstanden, gerin und Songschreiberin. Die besteht seit 2010 und ist der cineastisch anmu- den erratischen Blöcken wo die vier neben ihrem Christensens eindringlicher hat vier Studioalben vorge- tende Titelsong, der sich aus den Beatles-Tagen fin- angestammtem Instrumen- Gesang macht die Gefüh- legt, die jüngsten drei um- über knapp 15 Minuten det sich auf den vier CDs tarium auch mit Drum- le und Handlungen ihrer fassen in der Vinyl-Version erstreckt. Zu Stückbeginn die vielen Facetten seines machines und Sequencern Protagonisten lebendig jeweils sechs Seiten. Auf raschelt der Wind nur leise, Schaffens: der Liebha- experimentierten. Das gibt und nachvollziehbar. Ge- «The Glowing Man» gibt und Elliott gibt den Beob- ber mit «My Love» und Stücken wie «Endless Fun» tragen werden diese Songs es wieder Noise-Passagen achter, der mit abgeklär- «Maybe I’m Amazed», der und «Sweet Secrets» eine von Julies toller Band, den und monumentale Stücke, ter und doch gefühlvoller Rocker mit «Jet», der Opti- endzeitige «Stalker»-Note. beiden Gitarristen Sergio die über eine Viertelstunde Stimme erkennt, dass sich mist mit «Hope for the Fu- Beeindruckender aber ist Webb und Chris Tench, dauern, doch setzt die Band da einiges zusammenbraut. ture», der Avantgardist mit ein lautes, schweres Zeit- der Rhythmusgruppe mit seltener auf konzentrierten Entsprechend werden die «Temporary Secretary», lupen-Monsterriff, das zu Bassist Bones Hillman und Krach, sondern erlaubt sich zärtlichen und pointierten der Verspielte mit «We All Beginn und zum Schluss des Drummer Steve Latanation vermehrt kontemplative, Gitarren- und Klavierklän- Stand Together» und der Albums erklingt. «Master (Legendary Shack Shakers). suchende Momente. Ge- ge zunehmend furioser – Hitlieferant mit «Mull of Blaster» beziehungsweise «The Cardinal» wartet mütlich wird es natürlich bis sich das Wetter und der Kintyre», «Ebony And Ivo- «Blaster Master» nennen mit federndem Rootsrock trotzdem nicht, aber über- Sound in Dissonanzen ent- ry»», «Live And Let Die» Kid Ikarus diese Klammer, auf («Saint on a Chain»), raschende Funk-Elemente laden. Elliotts wortkarge und «Silly Love Songs». und wenn diese verklungen Blue Twang («Would You («The World Looks Red/ Lieder wirken schwermü- Der Fokus aber liegt auf ist, dann ist die Hörerschaft, Love Me») sowie Count- The World Looks Black») tig, aber da und dort findet McCartneys Melodien wie nun ja: meisterhaft durchge- ryrock («Broken Wing»). oder die Ballade «People sich Platz für einen mini- «Calico Skies», «Pipes of blastet. Ein gutes Gefühl. Webb und Tench nehmen Like Us» im Vier-Minuten- malen Sonnenstrahl. Kurze Peace» oder «Heart of the sich auch mal die Freiheit, Songformat gewähren dem Freuden, denn auf «I Only Country» sowie deren In- bs. einfach loszurocken («No Zuhörer Verschnaufpau- Wanted to Give You Eve- terpretationen durch Mit- Mercy», «Live and Not Die sen. Die braucht es auch, rything» gelangt er bereits musiker wie Denny Laine Trying»), «Girl in the Sky» denn im knapp halbstün- wieder zum bitteren Fazit: auf «Don’t Let It Bring You lassen sie auf sparsamen digen Titelstück zelebriert «But you don’t love me». Down», David Gilmour auf Riffs und luftigen Akkor- die Band über ein krautro- Musik für Menschen, die «No More Lonely Nights» den fliessen. Sie verpassen ckig motorendes Bassmotiv sich statt den Sommerbe- oder George Martin als den Songs Struktur, Kraft noch einmal ihre Lärm- ginn schon jetzt den Herbst kongenialer Arrangeur auf und Farbe, akzentuieren kunst in ganzer Pracht. herbeiwünschen. «Wanderlust». «Pure Mc- und lassen den roten Spatz Bewegend, fordernd und Cartney» ist Pauls musi- im Titelstück fliegen. Julie überwältigend – Swans hö- mig. kalisches Vermächtnis und Christensen verwandelt die ren, heisst zuhören lernen. dennoch nur eine rudimen- folkige Ode an den Vogel täre Wegskizze durch sein in eine düstere Mörderbal- ash. Werk mit rund 800 Songs. lade.

yba. tl. DIE NEUEN PLATTEN 45 Prince Nun wäre ein idealer Zeitpunkt, Eddy Sallers Film «Scham- los» aus dem Jahre 1968 wieder zu zeigen. Denn der Song zum Film von Gerhard Heinz – «All You Ever Need Is Beat» (Bear Family) – ist ein durchgeknalltes Meisterwerk, auf- genommen in dicker Radio-Symphonieorchester-Qualität. Fuzz-Bass und Bläser sorgen dafür, dass sich der Bauchtän- Honey Island Schammasch Various Artists zer immer im Rhythmus bewegt, während eine tiefe männ- Swamp Band Triangle Algo Salvaje 2 liche Stimme unentwegt nach «More» verlangt und dabei Demolition Day (Prosthetic Records) (Vampisoul) ins Schreien und Quicksen kippt, während eine Frau wohl (Ruf/MV) auch nicht mehr Englisch kann als den Titel des Songs, da- «Triangle» ist das dritte Auch in der Schweiz be- für aber wunderbare Opernarien dazwischen zwitschert. «Demolition Day» markiert Album von Schammasch müht man sich inzwischen Dieser Song muss gehört sein, damit man es glaubt. Das einen Meilenstein in der –und ein Grosswerk. In um die Aufarbeitung der Titelstück zu «Geissel des Fleisches» aus dem Jahr 1965 Karriere der Honey Island drei Teile à gut 33 Minu- Pop-Historie. Allerdings ist geht dann etwas gesitteter zur Sache. Dick im blauen Dunst Swamp Band. Im «Head ten gegliedert, vollzieht die das Resultat ernüchternd: eingenebelter Östereichischer Lounge-Jazz, wobei die wohl High Water Blues» blicken Band, grob gesagt, eine Rei- In der demokratischen und gleiche Sängerin das Flair des südlichen Riviera-Lebens ver- die Musiker auf Hurrica- se durch die Dunkelheit ins wohlhabenden Schweiz tont und trotz Rotlicht kühler Abstand gewahrt bleibt. ne Katrina zurück, der die Licht. Es beginnt mit Black/ der 60er-Jahre lassen sich Auf dem verschollen geglaubten Kult-Label Solid Sex Lovie Golfküste vor einem Jahr- Death Metal höchsten An- anständige Rock’n’Roll- Doll Records erscheint neue Musik aus der untergegangen zehnt heimgesucht und spruchsgrades, bewegt sich Combos an etwa zwei geglaubten Montréal-Szene. Eine Doppelwiederauferste- New Orleans verwüstet hat durch doomige Gefilde mit Händen abzählen. Umso hung also. Paul Jacobs ist seit mindestens vier Jahren als und sie als Gestrandete nach Mönchsgesang und endet verblüffender ist es darum One-Man-Band mit Gitarre, Fussschlagzeug und ordent- San Francisco spülte. Ein mit Soundscapes zwischen zu sehen, wie lebendig der lich Hall auf der Stimme unterwegs und würde auch gut als Song über emotionale Wun- «Eraserhead», tribalisti- Rock’n’Roll just im fran- Trash-Variante seiner Landsleute Dead Ghosts durchgehen. den, die nie ganz heilen. schen Drums und orienta- quistischen Spanien war. Nun hat er das eher limitierte Simultan-Einmannprojekt im Aaron Wilkinson (Gitarre, lischen Sprengseln (Šamaš Das Regime konnte die Ju- Studio ausgebaut und Gitarre, Bass, Schlagzeug und Effekte Mandoline), Chris Mulé ist ein babylonischer Son- gend offenbar nicht daran einzeln selber eingespielt und wird nun im August für seine (Gitarre), Sam Price (Bass) nengott). Die Musiker um hindern, sich in einem wild erste Europa-Tour dementsprechend als vierköpfige Band und Garland Paul (Drums) Mastermind C.S.R. haben wuchernden Rock’n’Roll- auftreten. «Waiting for the Grave» hat wohl den Sound der nahmen 2008 ihr erstes Al- sich von talentierten Be- Underground auszutoben. Oh-Sees zu Schlafzimmer-Zeiten, lässt sich aber tiefer im bum auf. Acht Jahre und hemoth- und Tryptikon- Die vom umtriebigen Iñigo roten Bereich nieder, was dankbar mit dem Prädikat «un- Tausend Konzerte später Schülern zu Künstlern aus Munster herausgegebene widerstehlicher Garage-Punker» versehen wird. Auch «I spielten sie mit Produzent eigenem Recht entwickelt. Compilation-Reihe «Algo Got It» ist viel punkiger als andere verwandte Zeitzeugen Luther Dickinson «Demoli- Ihre Fingerfertigkeit ist Salvaje» geht in die zwei- wie etwa die Straight Arrows. Und wenn dann in «Ocean tion Day» ein. Eine perfekte von schwarzkantiger Bril- te Runde und präsentiert City» die ersten drei Minuten doch noch Sonntags-Kater- Wahl, um den Livesound lanz, nie Selbstzweck, stets 28 weitere Preziosen aus stimmung bespielt wird, sorgen Effekte und schräge Hin- der Band authentisch einzu- im Dienst von vielschich- Spaniens Kellern und Ga- tergrundrefrains für die Rückkehr ins Land des Lächelns, fangen. Die elf Songs strei- tigen Arrangements mit ragen. Originalität wird und das zweiminütige Schluss-Crescendo lässt den Kopf fen viele Musikgenres, doch durchdachten Breaks und nicht gross geschrieben; wieder wackeln, als wäre nochmals Samstagnacht. die Band drückt allen ihren Tempiwechseln. Am bes- man hört Bands, die die Stempel auf. Da ist der auf- ten nähert man sich diesem angelsächsischen Vorbilder Philipp Niederberger gekratzte Slide-Blues von epischen Avantgarde-Metal möglichst rasch ins Spani- «Ain’t No Fun», der federn- portionenweise – eine Seite sche übersetzten und mit de Funk des «Head High aufs Mal. Dann will man einer vergleichbaren Ener- Water Blues», der New-Or- mehr und liefert sich aus. gie, Wut und Lebenslust leans-R&B und die Stones- Schammasch wissen, dass auf Vinyl bannten. Das war Gitarren von «How Do You Melodien nicht (oder eben ihre Weise, auch am quasi Feel», das karibische Fee- auch) des Teufels sind. Bes- weltumspannenden ju- ling auf «No Easy Way», tes Beispiel ist «Metanoia»: gendkulturellen Aufbruch der Southern-Soul-Sound Drums und Gitarren rattern teilzuhaben – in der Musik von «Watch and Chain». und raffeln schwarzmetal- und durch die vordergrün- «Through Another Day» lisch, der Gesang kommt dig idiotischen Texte, wenn (wunderbar instrumentiert klar aus tiefster Gruft. Das schon nicht auf der Stras- – mit Slide, Orgel, Blues- ist «The Sound of Transfor- se. Zertrümmerte Fenster- Harp) erzählt aus Bürger- mation». Freunde im Me- scheiben wurden ersetzt kriegszeiten, «She Goes tal, ich glaube, wir werden und Sprayereien übermalt Crazy» wartet mit trunke- dieses Jahr kein eindrückli- – aber diese spanischen, nen Dixieland-Bläsern auf, cheres Album hören. zumeist von kleinen Labels die perfekt zur Story einer vertriebenen Singles über- obsessiven Freundin und ih- ash. lebten und tauchen glückli- rem öden Typen passen. cherweise wieder auf. tl. cg. Inserat im LOOP vom 27.05.16 IG Rote Fabrik Seestrasee 395 8038 Zürich

Sonntag 05.06. 18Uhr18 GIIGESTUBETETel. 044 485 58 58 Fr. 27.5.16 Clubraum 21:00 Sonntag 12.06.Fax. 17Uhr00 044 485 58 59 HORA’TORIUM Woo-Hah! OPEN MIKE EAGLE Sonntag 03.07. 17Uhr00 HORA’TORIUM Milo, Dj Soulsonic

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MUSIC DAYS 2016 IN DER GÄRTNEREI VAN OORDT, STÄFA

mittwoch, 14. sept. 16.00 uhr, familienkonzert ANDREW BOND

donnerstag, 15. sept. 20:30 uhr, konzert, BLUES PHILIPP FANKHAUSER

freitag, 16. sept. 20:30 uhr, konzert, IRISH SHIRLEY GRIMES

samstag, 17. sept. 20:30 uhr, konzert CHICA TORPEDO

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Alles Wissenswerte über Inserate steht unter www.loopzeitung.ch/inserate.php NACHTSCHICHT

Abdriften mit den Isbells Aufräumen mit Spain

Es kann durchaus mit einem gewissen Aufwand verbunden sein, das eigene Natürlich hat man sich Sorgen gemacht um Josh Haden. Mit seiner Band Leben permanent mit Klängen auszukleiden. Die Stimmungslagen verän- Spain veröffentlichte der Mann zwei der beeindruckendsten Alben der dern sich dauernd und wollen adäquat beschallt werden. In gewissen Situ- Neunzigerjahre: «The Blue Moods of Spain» (1995) und «She Haunts My ationen hilft grobschlächtige Rockmusik, manchmal muss hingeklimperter Dreams» (1999). Stoisch in sich ruhende Lieder wie «Untitled #1», «Spiri- Jazz die Wogen glätten. Was hingegen immer hilft, sind ein paar Akkorde tual» oder «Nobody Has to Know» schickte er damals durch den Gefühls- aus der akustischen Gitarre und eine Stimme. Eine Stimme wie jene von haushalt seiner Zuhörerschaft – präzise, aber zurückhaltend formatierte Gaëtan Vandewoude, dem Vorsteher und Songwriter der Isbells. Mit sanf- Songs, die sich bald schon als Privathymnen zu etablieren vermochten. tem, bisweilen sachte ins Falsett abdriftendem berichtet der Belgier aus Anfang der Nullerjahre folgte mit «I Believe» ein weiteres Album, danach den trüben Gegenden des Daseins – und spendet dabei Trost. Etwa wenn verschwand Haden in der selbstgewählten Versenkung. er den zermürbenden Prozess des «falling in and out of lobe» besingt oder Es sollte mehr als ein Jahrzehnt dauern, bevor 2012 endlich neues Mate- nüchtern die Quintessenz der Existenz konstatiert: «This is what it all co- rial folgte. «The Soul of Spain» markierte damals die Rückkehr ins Ram- mes down to.» Das ist alles von elegischer, abgeklärter Eleganz und hat der penlicht, seither ist Haden wieder in geordneten Bahnen unterwegs. Und Band auch schon Vergleiche mit Grössen wie Simon & Garfunkel oder den legt mit dem in diesen Tagen erscheinenden Werk «Carolina» (Dine Alone/ Fleet Foxes eingetragen. Aber wenn die Isbells dann auf der Bühne stehen Irascible) ein weiteres beeindruckendes Album vor. Darauf verbindet er und ihre Lieder durch den Raum wehen lassen, ist das alles sofort verges- Slowcore mit Americana, in gewohnt bestechender Qualität: abgeklärt sen. Dann versinkt man nämlich einfach mit geschlossenen Augen in der und nüchtern, reduziert und verlangsamt, mitunter bis zum Stillstand. Der eigenen Innenwelt, lauscht bis zum Schlussakkord, tritt anschliessend ins 48-Jährige bricht sein grüblerisches Schweigen und singt über sternenklare Freie und übergibt den letzten Rest von Frühlingstrübsal als Flaschenpost Nächte, emotionalen Ruin und die alltägliche Tragik. In zehn aufwühlen- dem grossen Fluss. (amp) den Liedern, die derart eindringlich formuliert sind, dass sie nur an einem ordentlich aufgeräumten Schreibtisch entstanden sein können. (amp) 28.5., La Parenthèse, Nyon; 30.5., El Lokal, Zürich 2.6., La Gravière, Genf; 3.6., Tap Tab, Schaffhausen; 4.6., Pillow Song Loft, Stans Stadttour mit Neil Michael Hagerty Zerren mit Shellac Er war einst Teil der Posse von Pussy Galore, gründete aber schon bald mit seiner Freundin Jennifer Herrema das Duo Royal Trux, um den Rock’n’Roll Shellac sind kompromisslos, auf ihren Platten ebenso wie auf den Büh- weiter zu dekonstruieren – mit Alben wie «Twin Infinitives» und «Accele- nen dieser Welt. Seit einem knappen Vierteljahrhundert ist die Band um rator», die noch immer verwirren. 2001 war die gefährliche und höchst die Produzenten-Legende Steve Albini nun schon unterwegs, und wer sie produktive Liaison wie auch die gemeinsame Band Geschichte, doch Neil schon einmal live gesehen hat, weiss: In den Adern dieser drei Chicago- Michael Hagerty machte weiter: Unter dem Alias The Howling Hex veröf- er Musiker pulsiert kein Blut, sondern zweifellos Batterieflüssigkeit, die fentlichte er eine Vielzahl an Alben, schrieb einen Science-Fiction-Roman den Bass pluckern und die Stromgitarre messerscharf schneiden lässt. Die und malte, wohnte mal in der Einöde New Mexicos, ehe er vor einigen Songs stammen direkt aus der Tiefgarage des Lebens, krachen und knacken Jahren nach Denver, Colorado, übersiedelte. «Denver» heisst denn auch und stochern dem Publikum in den Eingeweiden herum; sie hören sich an die aktuelle Platte, die im Frühling auf Hagertys Stammlabel Drag City wie ein Destillat aus der nordamerikanischen Hardcore-Musik der Acht- erschienen ist. Mit neuen Komplizen an Bass und Schlagzeug durchmisst zigerjahre (Black Flag, B‘last), die solange weiterzerrt, bis die Membran in er die Stadt – nicht mehr im Takt des Blues, sondern im nervös und tor- den Lautsprechern zu reissen droht. So formulieren Shellac schon mal die kelnd gespielten Polkabeat. «Denver» macht schwindlig, zumal dann, wenn Apokalypse, die Bandleader Albini mit autistisch-ungelenken Bewegungen «Portlandia»-Star Fred Armisen in seinem Clip zum Song «Mountain» is- unterstreicht. Spezialistenmusik inmitten der Postmoderne? Vielleicht, al- ländische Newssendungen zerschnipselt. Als Support in Biel und Zürich lerdings dermassen eindringlich vorgetragen, dass der Zuhörerschaft ein- zugegen: die ähnlich tollkühnen Roy and the Devil’s Motorcycle. (bs) mal mehr nur der Imperativ bleibt: Rock! (amp)

5.6., Biel (Ort tba); 6.6., Boschbar, Zürich; 7.6., Cave12, Genf 6.6., Fri-Son, Fribourg; 7.6., Rote Fabrik, Zürich NACHTSCHICHT

Beenden mit Dinosaur Jr. Sich treu bleiben mit Baboon

Der Festivalsommer ging in der jüngeren Vergangenheit immer in der Kennen Sie Baboon? Schon möglich, wuselt die Sängerin und Songsch- Romandie zu Ende, genauer: am For Noise in Pully. Aber leider findet reiberin Brigitta Kobe doch bereits seit längerem in Zürichs Untergr- diese so schöne Veranstaltung dieses Jahr zum letzten Mal statt. So ist es und. Unter ihrem Künstlernamen hat sie bisher zwei CDs veröffentlicht, Zeit, kurz in den Erinnerungen zu kramen, beispielsweise an die Ausgabe jetzt meldet sie sich mit dem Doppel-Vinyl-Album «Night & Flowers» 2005, als zur Geisterstunde ein Herr mit grauen Haaren und einem Batik- zurück. Die Lieder darauf handeln von Freiheit, Liebe, Verständnis und Hippieshirt die Verstärker aufdrehte, sekundiert von seinen Gefährten an Verletzungen, von Hoffnung, Freundschaft und Gemeinschaft - bezie- Bass und Schlagzeug, und dies so laut, dass von den klassischen Songs hungsweise von deren Abwesenheit und punktuellen Unverträglichkeit. aus dem Indie-Lexikon nicht so viel übrig geblieben ist. Aber das ist das Aufgenommen hat Baboon die spröden Songs, die sie selbst als «Klage-, Dinosaur-Jr.-Live-Prinzip, wie ich als Uneingeweihter und Nachgeborener Liebes- und Protestlieder» bezeichnet, im Studio von Olifr M. Guz, der lernen musste. Seit dieser Reunion-Tournee von J Mascis, Lou Barlow und dem schlichten Grundsound mit viel Geschmack allerlei klangliche Farb- Murph sind drei Alben erschienen, die Dinosaur Jr. ein neues, grossartiges tupfer hinzufügte. Im Zentrum steht allerdings Baboons Stimme, mal Leben schenkten. Wie gut das live ist, ist nun zum Ende der Clubsaison eindringlich, mal schneidend, mal an PJ Harvey, mal an Patti Smith erin- nachzuprüfen. (bs) nernd. Sie würde sich freuen, wenn ihre Musik ein grösseres Publikum er- reichen würde, sagt Baboon im Gespräch. Kompromisse würde sie dafür 9.6., Kaserne, Basel; 11.6., Dachstock, Bern aber nicht eingehen. (söh)

12.6., Bundeshaus zu Wiedikon, Zürich

D O B-SIDES FESTIVAL F R 2016 LINE UP : S A 16./17./18. JUNI DONNERSTAG 16. JUNI SAMSTAG 18. JUNI PAMPLONA GRUP PALMYRA SHEARWATER TRAMPELTIEROF LOVE THE FRIDGE HELIGONKA

ES THE NOTWIST EUROPALEICHTIGKEIT: NEUE DERADOORIAN PUTS MARIE MANIFESTO C KASSETTE FREITAG 17. JUNI

D VALDIMAR NADINE CARINA FELDERPLAYSMELDER ERRATIC WHITE WHINE KAMIKAZE MARIOBATKOVIC BOMBINO HAUBI SONGS S S S S DESTROYER DE LA THEAND S AMBA MUERTE

SI SIDES GINGER GHOST TRACKSELECTOR DISCODISCO LORD KESSELI& THE DRUMS MIT TS UAS ANDAND FRIENDS FRIENDS KINDERPROGRAMM: EL RITSCHI BEAK> TIM & PUMA MIMI - - MOVINGTARGET AUF DEM GELÄNDE: DE HADERI SKELETONS OBERTONSTRUKTURDERDER KAUL QUAPPE DJ U.R.S.N. TCHAKATAKAPAM DUO OPHELIA S IRON VEST WWW.B-SIDES.CH’ FESTIVAL FESTIVAL B B →→→→→→→→→→→→→ NACHTSCHICHT

B-Sides mit Kassette Missverstehen mit Explosions in the Sky

Fernab vom Mainstream-Rodeo findet der Herzblut-Festivalbesucher auf Es hat ziemlich brenzlig ausgesehen für die Band, damals im Herbst 2001. dem Sonnenberg in Kriens genau die Perle, nach der er schon lange gesucht Am 4. September veröffentlichten Explosions in the Sky ihr Album «Tho- hat: das B-Sides-Festival. Was als Geheimtipp im Jahr 2006 zum ersten se Who Tell the Truth Shall Die, Those Who Tell the Truth Shall Live Mal über die Bühne ging, hat sich mittlerweile zum Must-Go für Inner- Forever». Im zugehörigen Artwork war ein Flugzeug abgebildet, versehen und andere SchweizerInnen etabliert und zieht in den drei Festivaltagen mit einer Bildlegende: «This plane will crash tomorrow.» Als sich dann an die 4500 Musikliebhaberinnen an. Nebst Tschuttiheftli-Tauschbörse, exakt eine Woche später die Attacken auf das World Trade Center und das Familienbrunch und Workshops zeigen die Veranstalter stets ein äusserst Pentagon ereigneten, gerieten die Musiker in Erklärungsnotstand, da die goldenes Händchen, was die Auswahl der Bands betrifft. National gesellt Behörden im ersten Durcheinander der Ereignisse einen Zusammenhang sich zu international, die quirlige Songwriter-Existenz – in diesem Fall Kas- zwischen dem Albumtitel und der Al-Qaida-Aktion vermuteten. Das Miss- sette (Bild) – zur achtköpfigen Balkan-Band, schräges Experiment zu ast- verständnis liess sich glücklicherweise innert nützlicher Frist klären. reinem Folk – kurzum: Man reist in den drei Tagen gut und gern einmal Das Quartett aus Texas hat diese Episode am Rande der Weltgeschichte quer durch die ganze musikalische Sound-Palette. Und füllt dabei Ohr und unbeschadet überstanden und unbeirrt weitergemacht. Es hat fünf weitere Notizbüchlein mit altbekannten, aber auch ungewöhnlichen Klängen und Alben veröffentlicht, in diesem Frühjahr etwa – nach langer Pause – «The Bandnamen, von denen man im besten Fall noch den ganzen Sommer über Wilderness». Und darauf stellt die Band einmal mehr ihren verblüffenden zehren kann. (haw) Einfallsreichtum unter Beweis. Es ist ein hintergründiges Spektakel, das sie mit ruhiger Hand inszenieren, oftmals von besinnlichen und meditativen 16.-18.6., Sonnenberg, Kriens, www.b-sides.ch Passagen eingeleitet, bevor die Intensität hochgeschraubt wird. Explosi- ons in the Sky erzählen hier Geschichten aus Geräuschen, die vom Zuhö- rer wieder in Querverweise und Einzelbilder zerlegt werden. Auf Gesang können sie dabei problemlos verzichten. Bei der Live-Umsetzung hinge- gen werden sie sich um einen Bassisten verstärken. Denn abgesehen vom Liebe mit Unkown Mortal Orchestra Schlagzeuger wollen die Bandmitglieder alle bloss Gitarre spielen. (amp)

Der Beziehungsstatus von Ruban Nielson war 2014 kompliziert. Denn der 21.6., Rote Fabrik, Zürich; 22.6., Les Docks, Lausanne Neuseeländer und seine Ehefrau lebten damals mit einer weiteren Frau zu- sammen. Ein polyamouröses Abenteuer im Beziehungsdreieck entwickelte sich – und musste schliesslich abgebrochen werden, weil es das Famili- Weltuntergang mit Anohni engefüge dann doch zu sehr strapaziert hat. In der Zeit nach dem Ende der multiplen Liebschaft nahm das einzige ständige Mitglied des Unknown Die Apokalypse steht vor der Tür. Hoffnung gibts keine mehr angesichts Mortal Orchestra mit «Multi-Love» einen der bittersüssesten und besten der Klimakatastrophe und des unmenschlichen Drohnenkriegs, den Präsi- Lovesongs der Gegenwart auf. dent Obama führt. So ist es Zeit für drastische Songs, die das gute alte, Nielsons Leben und Wirken war nie ganz unbeschwert: Aufgewachsen in mit der Klampfe intonierte Protestlied nun wirklich alt aussehen lassen. einer zerrütteten Musikerfamilie, betrieb er gemeinsam mit seinem Bruder Anohni, die früher unter dem Namen Antony Hegarty zum Weinen schöne eine Garage-Band, zog in die USA, arbeitete als Illustrator, bis einer seiner Piano-Torchsongs gesungen hat, spannte zu diesem Zweck mit den beiden im Geheimen eingespielten Schlafzimmerpopsongs zu einem Plattenvertrag Electronica-Produzenten Oneohtrix Point Never und Hudson Mohawke zu- führte. Zwei Alben erschienen, die von Nielsons Depressionen und Süch- sammen. Entstanden ist das Weltuntergangsalbum «Hopelessness», das wie ten erzählen und trotz ersten Sätzen wie «Isolation can put a gun in your ein Katastrophen-Blockbuster bombastisch klotzt, doch dank Anohnis un- hand» seltsam glücklich wirken. Auf dem dritten Album «Multi-Love» vergleichlicher Stimme halt schon berührt. Natürlich: Darf man den Droh- wurde die Musik prekärer, fragiler und doch tanzbarer als in der Vergan- nenkrieg – erzählt aus der Perspektive eines afghanischen Mädchens – zu ei- genheit. Und so scheint alles uneindeutig wie sein Beziehungsstatus. Nur nem fatalistischen Liebeslied ummünzen wie im fantastischen «Drone Bomb eines ist klar: Unknown Mortal Orchestra spielen grossartigen Pop, der Me»? Das sind Fragen, die an Anohnis einzigem Schweizer Auftritt vielleicht nicht nur Liebe, sondern «Multi-Love» verdient hat. (bs) endlich geklärt werden, bevor die Welt am Genfersee untergeht. (bs)

29.6., Mascotte, Zürich (Support: Klaus Johann Grobe) 1.7., Montreux Jazz Festival, Montreux SZENE          

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