Rainald Becker: Eine Division des Papstes? Bayern und der Dreißigjährige Krieg aus Sicht der Wiener Nuntien (um 1630)

Zeitschrift Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Band 98 (2018) Herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Rom

Themenschwerpunkt: Die jüngsten Publikationen der 4. Abteilung der „Nuntiaturberichte aus Deutschland“: Eine Bilanz

DOI 10.1515/qfiab-2018-0006

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1 „Colonna della religione cattolica in 3 Österreichs „antemurale“ im Germania“ Schwedischen Krieg 2 Die Wiener Nuntiatur als 4 Die „unione delle corone“ und der ‚Ersatzbotschaft‘ für München „Stato di Baviera“

Riassunto: Dopo la Riforma, Baviera divenne il primo interlocutore tedesco della Curia romana a livello religioso, politico e culturale. Le relazioni con la Santa Sede erano ispirate dalla cattolicità programmatica dei Wittelsbach. La special relationship si manifestava, inoltre, in una lunga tradizione diplomatica inaugurata all’inizio del Seicento su spinta del papato. Durante la Guerra dei Trent’anni gli intensi contatti si estesero anche al campo militare. La Curia romana vide nel duca Massimiliano l’in- contestata guida dell’armata cattolica, definendola la „colonna della religione catto- lica“ nel Sacro Impero Romano. Promuovere gli interessi del principe tedesco (sussidi per il finanziamento dell’esercito e l’acquisizione dell’elettorato in perpetuo per la Baviera), era tra i primi obiettivi della concezione strategica del papato. Il carteggio della Nunziatura di Vienna, di cui la quarta serie per gli anni tra 1628 e 1635 è con- sultabile tuttora, mette in luce queste tendenze in favore della Baviera. Nelle corri- spondenze curiali si delinea, essenzialmente, il tentativo di attribuire a quel territorio la qualità di Stato, termine in cui si esprime l’idea centrale del discorso politico, ma anche giuridico dell’epoca. Dalla parte della Curia romana, la strategia di state-build­ ing si ricollegò all’ambizione di assegnare un posto primario alla Baviera nel sistema geopolitico europeo („unione delle corone cattoliche“ sotto il patrocinio del papa come „padre comune“).

Abstract: In the aftermath of the reformation, Bavaria became the ’s most important partner in the Holy Roman Empire, alongside the emperor. Catholicism lay at the heart of this stable network, which soon engaged all levels of exchange. A long tradition of close diplomatic ties between Munich and began when duke Maxi- milian sent an official envoy to the Holy See for the first time in 1605. During the Thirty Years’ War, contacts intensified. The Curia associated Wittelsbach with the catholic columns in Germany. For the pope, Maximilian represented the most vigorous leader in the wars of religion against the protestants. The two strategies of subsidizing his dwindling military funds and supporting his political ambitions to preserve his newly acquired status as prince-elector on behalf of Bavaria strongly marked the Curia’s

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stance towards Germany. The correspondence of the nuncios at the court of Vienna broaden this perspective: by shedding light on the period around the 1630s, they help us to understand Maximilian’s relationship with Rome from an external point of view. The documents focus on the ways in which Urban VIII and his representa- tives promoted the cause of Munich at the imperial court. In close cooperation with Maximilian, papal diplomacy accompanied his quest for prestige and power in Early Modern Europe by using an intricate set of policy-making tools: asserting Bavaria’s place within the framework of international states – as a Stato in its own right – was one of their most effective methods.

1. Zum klassischen Repertoire der bayerischen Außenbeziehungen gehören die inten- siven Verbindungen zum Heiligen Stuhl. Das Verhältnis zwischen Bayern und Rom lässt sich geradezu mit dem Etikett einer special relationship belegen. Historisch gesehen war diese Verbindung durch lange Dauer bestimmt: Aus den zahlreichen kirchlichen und politischen Begegnungen Bayerns mit Rom während des Mittelalters entwickelte sich im Lauf des 16. und frühen 17. Jahrhunderts vor allem in Reaktion auf die Reformation ein gleichermaßen engmaschiges wie vielschichtiges Kontaktband.1 Nicht nur offensichtliche konfessionelle Affinität – der Münchner Zweig der Wittels- bacher verblieb im Reich neben den Habsburgern und Lothringern die einzige katho- lische Dynastie von Bedeutung –, sondern auch relative geographische Nähe ließen Bayern zu einem ‚natürlichen‘ Bundesgenossen der Kurie heranwachsen. Intellektu- elle Verflechtungen, so etwa der Austausch mit den italienischen Universitäten, die Humanismusrezeption oder die Grand Tour,2 aber auch religiöser Ideentransfer im Zeichen der Katholischen Reform und der Ausbreitung der tridentinischen Reformor- den in den Norden, stützten das bayerisch-römische Beziehungsgefüge noch zusätz- lich ab: An erster Stelle ist an die Jesuiten und ihre Tiefenwirkung auf die bayerische

1 Vgl. Rainald Becker/Dieter J. Weiß, Einführung, in: dies. (Hg.), Bayerische Römer – römi- sche Bayern. Lebensgeschichten aus Vor- und Frühmoderne, St. Ottilien 2016 (Bayerische Lan- desgeschichte und europäische Regionalgeschichte 2), S. 9−17. Synthesen bieten außerdem: Heinz Dopsch/Stephan Freund/Alois Schmid (Hg.), Bayern und Italien. Politik, Kultur, Kommunikation (8.−15. Jahrhundert). Festschrift für Kurt Reindel zum 75. Geburtstag, München 2001 (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft, Reihe B 18); Hans-Michael Körner/Florian Schuller (Hg.), Bayern und Italien. Kontinuität und Wandel ihrer traditionellen Bindungen, Lindenberg/Allgäu 2010. 2 Vgl. Alois Schmid (Hg.), Von Bayern nach Italien. Transalpiner Transfer in der Frühen Neuzeit, München 2010 (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte, Beiheft 38), hier besonders folgende Beiträge: ders., Peregrinatio principis. Die „italianische Raiß“ des Erbprinzen Maximilian I. 1593, S. 51−72; Rainald Becker, Peregrinatio academica. Bayerische Studenten in Italien im Zeitalter des Humanismus, S. 73−96; Peter Claus Hartmann, Kurfürst Karl Albrecht und Italien. Seine Bildungs- reise und Kavalierstour 1715−1716, S. 259−276; Andrea Zedler/Jörg Zedler (Hg.), Prinzen auf Reisen. Die Italienreise von Kurprinz Karl Albrecht 1715/16 im politisch-kulturellen Kontext, Köln-Weimar- Wien 2017 (Archiv für Kulturgeschichte, Beihefte 86 = Spreti-Studien 6).

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Kulturlandschaft seit dem 16. Jahrhundert zu denken.3 Eine bedeutsame, im Einzel- nen freilich noch zu wenig beleuchtete Rolle spielten die Theatiner, die während des 17. Jahrhunderts mit dem ikonischen Bau der Theatinerkirche nach dem Vorbild ihrer römischen Hauptkirche Sant’Andrea della Valle für neue italianità im Münchner Stadtbild sorgten.4 In der frühneuzeitlichen Reichskirchenpolitik kam die zentrale strategische Dimension dieser Partnerschaft zum Tragen: Bayern bot sich der Kurie als Garantie­ macht für die von Protestantisierung bedrohte Reichskirche an. Die vom Papsttum seit den 1580er Jahren massiv geförderte Übernahme der nordwestdeutschen Bistü- mer – unter anderem von Köln, Lüttich, Münster und Osnabrück – durch Bischöfe aus dem Haus Wittelsbach ermöglichte das Überleben der Germania Sacra,5 und zwar mit weitreichenden Wirkungen für die Verfassungs- und Religionsarchitektur im Reich insgesamt: Die von Rom über Bayern lancierten Bistumsbesetzungen – insbesondere in Kurköln – bewahrten die katholische Leitprägung Deutschlands, indem sie die Majorität der katholischen Stände auf dem Reichstag und im Kurfürstenkollegium,

3 Vgl. allgemein: Elisabeth Wünsche-Werdehausen/Klaus Kratzsch (Hg.), Italien in Bayern. Kunst und Künstler, Lindenberg/Allgäu 2010, S. 72−83; speziell zu den Jesuiten: Reinhold Baum- stark (Hg.), Rom in Bayern. Kunst und Spiritualität der ersten Jesuiten, München 1997; ders., Rom. Strategie und Erfolg der ersten Jesuiten in Bayern, in: Alois Schmid/Katharina Weigand (Hg.), Bayern mitten in Europa. Vom Frühmittelalter bis ins 20. Jahrhundert, München 2005, S. 134−151. 4 Vgl. Olivier Chaline, Val-de-Grâce et Théatins, in: Rainer Babel/Guido Braun/Thomas Nicklas (Hg.), Bourbon und Wittelsbach. Neuere Forschungen zur Dynastiegeschichte, Münster 2010 (Schrif- tenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 33), S. 365−385, hier S. 372−375, 378−381; Eva-Bettina Krems, „Più idioti nell’edificare“. Agostino Barelli a Monaco di Baviera, in: Sabine Frommel (Hg.), Crocevia e capitale della migrazione artistica: forestieri a Bologna e bolo­ gnesi nel mondo (secolo XVII), Bologna 2012, S. 171−187; ferner dies., Die Wittelsbacher und Europa. Kulturtransfer am frühneuzeitlichen Hof, Wien-Köln-Weimar 2012 (Studien zur Kunst 25), S. 97. 5 Vgl. dazu Alexander Koller, Bayern und das Papsttum um 1600. Ein Zweckbündnis mit Folgen, in: Alois Schmid/Hermann Rumschöttel (Hg.), Wittelsbacher-Studien. Festgabe für Herzog Franz von Bayern zum 80. Geburtstag, München 2013 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 166), S. 331−350, hier S. 352 f.; ders./Pier Paolo Piergentili/Gianni Venditti (Hg.), I Codici Minuc- ciani dell’Istituto Storico Germanico. Inventario, Roma 2009 (Online-Publikationen des Deutschen Historischen Instituts in Rom) (URL: http://dhi-roma.it/codici_minucciani.html; 26. 1. 2018), S. 5−8; Bettina Scherbaum, Bayern und der Papst. Politik und Kirche im Spiegel der Nuntiaturberichte 1550 bis 1600, St. Ottilien 2002 (Forschungen zur Landes- und Regionalgeschichte 9), S. 79‒88, 110‒121; zum Hintergrund: Rainald Becker, Posttridentinische Bischofsernennungen, in: Peter Walter/Gün- ther Wassilowsky (Hg.), Das Konzil von Trient und die katholische Konfessionskultur, 1563−2013, Münster 2016 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 163), S. 275−300, hier besonders S. 285 (mit weiterer Literatur); ders., Bischofsernennung (Mittelalter/Frühe Neuzeit), publiziert am 26. 02. 2013, in: Historisches Lexikon Bayerns, URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/ Bischofsernennung (Mittelalter/Frühe Neuzeit); 26. 1. 2018; nach wie vor zentral: Günther von Lo- jewsky, Bayerns Weg nach Köln. Geschichte der bayerischen Bistumspolitik in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Bonn 1962 (Bonner Historische Forschungen 21).

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somit in letzter Konsequenz die Katholizität des Wahlkaisertums unter den Auspizien der Habsburger absicherten.6 Die in konfessionskultureller Gemeinsamkeit aufruhende Dynamik des baye- risch-römischen Bündnisses zeigte sich aber auch noch in anderer Form, nämlich auf der Ebene zwischenstaatlicher, bilateraler Repräsentation. Im unmittelbaren Vorfeld des Dreißigjährigen Kriegs betätigte sich die Kurie nachgerade als Geburtshelferin der ‚internationalen‘ bayerischen Diplomatie. Es waren die Päpste, die den zunächst aus Sparsamkeitserwägungen widerstrebenden Herzog/Kurfürst Maximilian von Bayern dazu brachten, an der Kurie eine dauerhafte bayerische Gesandtschaft einzurich- ten. 1605 bestellte Maximilian auf Betreiben von Paul V. (1605−1621) den römischen Adligen Giovanni Battista Crivelli zum ersten ständigen Residenten des Münchner Hofs beim Heiligen Stuhl. Nach Beginn des Dreißigjährigen Kriegs wurde Bayerns di- plomatisches Korps unter tatkräftiger Förderung von Gregor XV. (1621−1623) und Urban VIII. (1623−1644) in institutioneller und zeremonieller Hinsicht weiter aufgewertet. Die konkrete Wahrnehmung der diplomatischen Aufgaben fiel weiterhin den Crivelli zu. Über mehrere Generationen hinweg vertrat diese Familie die Münchner Interes- sen vor der Kurie. Ihr folgte – ganz im Sinn des auch die Diplomatie durchziehenden frühneuzeitlichen Nepotismus – das römische Adelsgeschlecht der Scarlatti.7 Insge- samt gesehen war die römische Repräsentanz die älteste und wichtigste unter den bayerischen Außenvertretungen der Neuzeit. Sie rangierte weit vor den erst viel später eingerichteten Gesandtschaften in Paris, im Haag und in London.8 Sie blieb bis in das 20. Jahrhundert hinein die langlebigste, zuletzt auch einzige ständige Vertretung des bayerischen Staats im Ausland: 1934 wurde die bayerische Gesandtschaft beim Heili- gen Stuhl von dem inzwischen nationalsozialistischen Deutschen Reich geschlossen, zeitgleich mit der seit 1785 bestehenden Apostolischen Nuntiatur in München.9

6 Vgl. Klaus Jaitner, Kurie und Politik – Der Pontifikat Gregors XV., in: Alexander Koller (Hg.), Kurie und Politik. Stand und Perspektiven der Nuntiaturberichtsforschung, Tübingen 1998 (Biblio- thek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 87), S. 1−16, hier S. 7. 7 Grundlegend: Bettina Scherbaum, Die bayerische Gesandtschaft in Rom in der frühen Neuzeit, Tübingen 2008 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 116), hier besonders S. 1, 32 f., 69 f., 90; ferner dies., Diplomatie unter falschen Vorzeichen? – Die römischen Familien Crivelli und Scarlatti als bayerische Gesandte beim Papst, in: Becker/Weiß (Hg.), Bayerische Römer (wie Anm. 1), S. 275−296; dies., Der einheimische Gesandte und sein fremder Auftraggeber: Das Beispiel der bayerischen Gesandtschaft in Rom im 17. und 18. Jahrhundert, in: Michael Rohrschneider/ Arno Strohmeyer (Hg.), Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert, Münster 2007 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 31), S. 91−119. 8 Vgl. Ferdinand Kramer, Aspects du fonctionnement des légations dans les Etats de taille mo- yenne: Duché et Electorat de Bavière (XVIe−XVIIIe siècles), in: Lucien Bély (Hg.), L’invention de la diplomatie. Moyen Age – temps modernes, Paris 1998, S. 177−192. 9 Vgl. Georg Franz-Willing, Die bayerische Vatikangesandtschaft 1803‒1934, München 1965 (Die Geschichte der Vatikanbotschaften und -gesandtschaften 3); Wolfgang Benz, Bayerische Auslands-

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Der Dreißigjährige Krieg leitete im Verhältnis zwischen Bayern und Rom eine neue Epoche ein. Angesichts ihrer hohen Bedeutung für das Fortbestehen des katholi- schen Bekenntnisses im Reich mussten die Münchner Wittelsbacher im militärischen Kalkül der Päpste von Anfang an eine herausragende Rolle spielen. Nicht nur die gegenüber Rom häufig schwankende und unklare Position des Kaisers samt seines Anhangs im spanischen Zweig der Casa d’Austria legten am Tiber eine solche bayeri- sche Option nahe: Als diplomatische Alternative sollte sie aus römischer Sicht nega- tive Ausschläge der kaiserlichen Politik ausgleichen. Darüber hinaus konnte Bayern mit seinem durchsetzungsfähigen Herrscher Maximilian an der Spitze als Größe kraft eigenen Rechts gelten. Er war als eigenständiger Faktor im Lager der katholischen Staaten Europas unbedingt zu respektieren.10 Kurz seien hier die einschlägigen Schlüsseldaten in Erinnerung gerufen: Während der ersten Phase des Teutschen Kriegs, in der Auseinandersetzung um Böhmen und die Pfalz, hatte Maximilian mit seinem Sieg in der Schlacht am Weißen Berg (1620) über die anti-habsburgische böhmische Ständeopposition und ihres calvinistischen Anführers Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, des berüchtigten Winterkönigs, ent- scheidenden Anteil an der Rettung der Kaiserdynastie gehabt. Als Oberbefehlshaber der Liga, dieses Bündnisses zur Defension der katholischen Interessen im Heiligen Römischen Reich, verfügte Maximilian über eine geradezu ‚verfassungstragende‘ Stellung. Mit diesem Vorrang ließ er seine reichsständischen Fürstenkollegen weit hinter sich.11 Dass der Bayernherrscher zusammen mit dem Habsburgerkaiser eine

beziehungen im 20. Jahrhundert. Das Ende der auswärtigen Gesandtschaften Bayerns nach dem I. Weltkrieg, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 32 (1969), S. 962−994, hier S. 990−992; außerdem Michael F. Feldkamp, Die Aufhebung der Apostolischen Nuntiatur in München 1934. Mit einem Anhang der Amtsdaten der Nuntien, Internuntien und Geschäftsträger 1786‒1934, in: Reimund Haas/Karl Josef Rivinus/Hermann-Josef Scheidgen (Hg.), Im Gedächtnis der Kirche neu erwa- chen. Studien zur Geschichte des Christentums in Mittel- und Osteuropa. Festgabe für Gabriel Adriá- nyi, Köln-Weimar-Wien 2000 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 22), S. 185‒234. 10 Vgl. Koller, Bayern und das Papsttum (wie Anm. 5), S. 346−348; ders., Le rôle du Saint-Siège au début de la guerre de Trente ans: les objectifs de la politique allemande de Grégoire XV (1621−1623), in: Lucien Bély (Hg.), L’Europe des traités de Westphalie. Esprit de la diplomatie et diplomatie de lʼesprit, Paris 2000, S. 123−133, hier S. 126 f.; ferner Péter Tusor, The Baroque Papacy (1600−1700), Viterbo 2016, S. 45; Georg Lutz, Roma e il mondo germanico nel periodo della Guerra dei Trent’anni, in: Gianvittorio Signorotto/Maria Antonietta Visceglia (Hg.), La corte di Roma tra Cinque e Sei- cento. „Teatro“ della politica europea, Roma 1998 (Biblioteca del Cinquecento 84), S. 425‒460, hier besonders S. 431 f. 11 Vgl. Michael Kaiser, Politik und Kriegführung. Maximilian von Bayern, Tilly und die Katholi- sche Liga im Dreißigjährigen Krieg, Münster 1999 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 28); ders., Angstgetriebene Politik. Maximilian von Bayern und die Katholische Liga, in: Robert Rebitsch (Hg.), 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, Wien-Köln-Weimar 2017, S. 101−128.

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der „colonne della religione cattolica in Germania“12 sei, galt innerhalb der Kuriendi- plomatie als ausgemachte Tatsache. Und Rom war diese Erkenntnis nicht nur empha- tische Rhetorik wert; die Kurie ließ ihrer Einsicht auch Taten oder besser: milde Gaben folgen, nämlich in Form von Subsidien, die vorzugsweise vom italienischen Klerus aufgebracht wurden. Diese päpstlichen Zahlungen deckten im beträchtlichen Umfang die Rüstungsausgaben der katholischen Reichsstände ab.13 Wie gering fiel da die bayerische Gegenleistung aus: Die Überlassung der Heidelberger Universitätsbi­ bliothek, der berühmten Palatina, 1623 an den Heiligen Stuhl durch Maximilian stellte zwar ein Geschenk von hohem ideellen Wert dar; sie nahm sich aber im Vergleich zu dem gewaltigen Geldtransfer, mit dem Rom die Kriegsführung der katholischen Reichsfürsten, speziell Bayerns, auf deutschen Schlachtfeldern finanzierte, als recht bescheidene Kompensation aus.14 Alles in allem scheint sich ein eindeutiger Befund abzuzeichnen: An ältere Ver- bindungsmuster anknüpfend, sollte sich die Achse München-Rom unter Einwirkung des Dreißigjährigen Kriegs zu einer Strukturkonstante im frühneuzeitlichen Europa verfestigen. Vor allem Urban VIII., der Barberini-Papst, setzte auf die bayerische Karte, wie sich nicht zuletzt an der über zwanzig Jahre währenden Geheimkorrespondenz zwischen Maximilian und Urbans Nepoten Francesco Barberini zeigt: „Kein anderer Monarch der Epoche hat in dieser Weise in einem laufenden unmittelbaren Kontakt mit der Spitze der Römischen Kurie gestanden“, so charakterisiert Dieter Albrecht das

12 So Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1633 August 6), in: Nuntiaturberichte aus Deutsch- land nebst ergänzenden Aktenstücken, 4. Abt.: 17. Jahrhundert, Bd. 6: Nuntiatur des Ciriaco Rocci, Außerordentliche Nuntiatur des Girolamo Grimaldi, Sendung des P. Alessandro d’Ales (1633‒1634), bearb. von Rotraud Becker, Berlin 2016, S. 108 f.: „queste due Case d’Austria e di Baviera erano le colonne della religione cattolica in Germania“. 13 Vgl. Dieter Albrecht, Zur Finanzierung des Dreißigjährigen Krieges. Die Subsidien der Kurie für Kaiser und Liga 1618−1635, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 19 (1956), S. 534−567 (Wiederabdruck in: Hans-Ulrich Rudolf, Der Dreißigjährige Krieg. Perspektiven und Strukturen, Darmstadt 1977 [Wege der Forschung 451], S. 368−412); Gerhard Immler, Kurfürst Maximilian I. und die Kirche. Aspekte seiner Finanzpolitik während des Dreißigjährigen Krieges, in: Zeitschrift für bay- erische Landesgeschichte 51 (1988), S. 387−409; Georg Lutz, Die päpstlichen Subsidien für Kaiser und Liga 1632‒1635. Zahlen und Daten zu den finanz- und bilanztechnischen Aspekten, in: Winfried Becker/Werner Chroback (Hg.), Staat, Kultur, Politik. Beiträge zur Geschichte Bayerns und des Ka- tholizismus. Festschrift zum 65. Geburtstag von Dieter Albrecht, Kallmünz/Oberpfalz 1992, S. 89‒106; zusammenfassend: Cordula Kapser, Die bayerische Kriegsorganisation in der zweiten Hälfte des Dreißigjährigen Krieges 1635−1648/49, Münster 1997 (Schriftenreihe zur Erforschung der Neueren Ge- schichte 25), S. 2−9; keine Hinweise auf die päpstliche Subsidienpolitik bei Fabian Schulze, Die Reichskreise im Dreißigjährigen Krieg. Kriegsfinanzierung und Bündnispolitik im Heiligen Römi- schen Reich deutscher Nation, Berlin-Boston 2018 (Bibliothek altes Reich 23). 14 Vgl. Dieter Albrecht, Maximilian I. von Bayern 1573−1651, München 1998, S. 575−577; ferner Kol- ler, Saint-Siège (wie Anm. 10), S. 132.

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Nahverhältnis des bayerischen Herrschers zum Heiligen Stuhl.15 In Anlehnung an das berühmte, Stalin zugeschriebene Diktum „Der Papst. Wie viele Divisionen hat er?“16 könnte man auch sagen: Maximilians Bayern war eine Division des Papstes. Das galt zumindest so lange, wie über die Kriegs- und Friedensziele Einigkeit bestand. Bruchlinien zwischen Rom und München wurden in jenem Moment sicht- bar, als sich Maximilian zu Zugeständnissen an die Protestanten in der Religionsfrage herbeiließ – so einerseits bezüglich der reichsverfassungsrechtlichen Anerkennung der Calvinisten (die Maximilian nach langem Zögern mittragen wollte), andererseits bei den von den protestantischen Landesherren durchgeführten Enteignungen katho- lischer Kirchengüter (die Maximilian unter den Konditionen einer Normaljahresrege- lung anzuerkennen bereit war). Der Kurfürst verfolgte ab 1640/41 entsprechende Ini- tiativen, um zu einem dauerhaften Ausgleich mit den Protestanten zu kommen und so den Krieg auf deutschem Boden effektiv zu beenden.17 Indes führten diese frie- denspolitischen Avancen auf römischer Seite zu einem schweren Vertrauensverlust, weil die Kurie auf die unbedingte Einhaltung des Rechtsstandpunkts insbesondere in der Kirchengüterfrage drängte. Sie verlangte die Rückgabe des von den Protestan- ten widerrechtlich angeeigneten Kirchenbesitzes, was Maximilian mit Blick auf die Erfolgsaussichten seiner Friedenspolitik ablehnen musste.18 Am Vorabend des West- fälischen Friedens traten die Interessenkonflikte immer schärfer hervor, ohne indes die beiden Partner völlig auseinanderzutreiben. Die special relationship zwischen

15 Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 719; dazu auch Gerhard Immler, Quellen und Quel- leneditionen zur Epoche Maximilians I., in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 65 (2002), S. 25−34, hier S. 31 f. 16 Das von Winston Churchill überlieferte Diktum geht auf ein Gespräch Stalins mit dem franzö- sischen Außenminister Pierre Laval auf der Konferenz von Jalta (1945) zurück: Fabrizio Rossi, Der Vatikan. Politik und Organisation, München 32005 (C. H. Beck Wissen), S. 115. 17 Vgl. Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 970 f.; ders., Die Kriegs- und Friedensziele der deut- schen Reichsstände, in: Konrad Repgen (Hg.), Krieg und Politik 1618‒1648. Europäische Pro­bleme und Perspektiven, München 1988 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 8), S. 241‒273, hier vor allem S. 255‒269; auch Ludwig Holzfurtner, Die Wittelsbacher. Staat und Dynastie in acht Jahr- hunderten, Stuttgart 2005 (Kohlhammer Urban-Taschenbücher 592), S. 224 f. 18 Vgl. Konrad Repgen, Die römische Kurie und der Westfälische Friede. Idee und Wirklichkeit des Papsttums im 16. und 17. Jahrhundert, Bd. I: Papst, Kaiser und Reich 1521‒1644, 1. Teil: Darstellung, 2. Teil: Analekten und Register, Tübingen 1962‒1965 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 24‒25), Konrad Repgen, Die römische Kurie und der Westfälische Friede. Idee und Wirk- lichkeit des Papsttums im 16. und 17. Jahrhundert, Bd. I: Papst, Kaiser und Reich 1521–1644, 1. Teil: Darstellung, Tübingen 1962 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts 24); 2. Teil: Analekten und Register, Tübingen 1965 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts 25), hier Bd. I/1, S. 221 f., 226; ferner Andreas Kraus, Die auswärtige Politik Urbans VIII. Grundzüge und Wendepunkte, in: Mélanges Eugène Tisserant, Bd. 4: Archives Vaticanes. Histoire ecclésiastique, Tl. 1, Città del Vaticano 1964 (Studi e testi 234), S. 407−426, hier S. 421; zuletzt in präziser Synthese: Guido Braun, The Papacy (Chapter 8), in: Olaf Asbach/Peter Schröder (Hg.), The Ashgate Research Companion to the Thirty Years‘ War, Farnham-Burlington VT 2014, S. 101‒113, hier S. 106−111.

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München und Rom blieb trotz aller Widrigkeiten bestehen. So lässt sich der Stand des Bekannten zusammenfassen; so fällt die Bilanz der Forschung aus.

2. Damit ist der Boden für das zentrale Problem unserer Überlegungen bereitet. Zu fragen ist, wie sich das eingangs skizzierte Szenario zum Verhältnis zwischen Bayern und der Kurie aus der Perspektive der Nuntiaturkorrespondenz vom Wiener Kaiser- hof konkret darstellt: Welche Erwartungen richten sich aus bayerischer Sicht an den römischen Quellenfundus? Und besonders: Welche Einsichten kann die von Rotraud Becker nun abgeschlossene Teiledition19 liefern? Ist die Geschichte des Dreißigjähri- gen Kriegs, soweit sie Bayern als Kriegsakteur im Zeitraum von 1628 bis 1635 betrifft, einer grundlegenden Remedur unterziehen? Um die Dinge sogleich vorwegzunehmen: Einschneidende Korrekturen gegen- über dem bisherigen, vor allem von Dieter Albrecht und Andreas Kraus erarbeite- ten Forschungsstand20 ergeben sich aus der Edition nicht. Die Ereignisgeschichte muss nicht neu aufgerollt werden, auch wenn sich manche Gelegenheit zu fakto- graphischer Feinjustierung bietet. Freilich mindert dies den hermeneutischen Wert der Nuntiaturberichte keinesfalls. Ihre Relevanz für die bayerische Geschichte zeigt auf einer anderen Ebene: Die Wiener Nuntiaturüberlieferung kann vor allem dazu beitragen, unsere Kenntnisse über das kuriale Bayernbild zu erweitern. Mithin wäre der Hauptgewinn im rezeptionsgeschichtlichen Bereich zu suchen. Die Korrespon- denz ist in erster Linie für die Kulturgeschichte der Diplomatie von Interesse: Welche Rolle, welchen Status die römische Kurie bzw. deren Wiener Repräsentanten Bayern auf dem deutschen und europäischen Kriegstheater der 1620er und 1630er Jahre zuschrieben, für solche Fragen bieten die Bände der Kaiserhofnuntiatur reichhaltiges

19 Konkret handelt es sich um die vierte Reihe der vom Deutschen Historischen Institut in Rom edier- ten Nuntiaturberichte: Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken, 4. Abt.: 17. Jahrhundert, Bd. 1: Nuntiatur des Palotto, 1628–1630, 1. Bd.: 1628, bearb. von Hans Kiewning, Tübingen 1895, 2. Bd.: 1629, bearb. von dems., Tübingen 1897, Bd. 4: Nuntiaturen des Giovanni Bat- tista Pallotto und des Ciriaco Rocci (1630−1631), bearb. von Rotraud Becker, Tübingen 2009, Bd. 5: Nuntiatur des Ciriaco Rocci. Außerordentliche Nuntiatur des Girolamo Grimaldi (1631−1633), bearb. von ders., Tübingen 2013, Bd. 6: Nuntiatur des Ciriaco Rocci. Außerordentliche Nuntiatur des Giro- lamo Grimaldi. Sendung des P. Alessandro dʼAles (1633‒1634), bearb. von ders., Berlin-Boston 2016, Bd. 7: Nuntiaturen des Malatesta Baglioni, des Ciriaco Rocci und des Mario Filonardi. Sendung des P. Alessandro d’Ales (1634−1635), bearb. von ders., Tübingen 2004 (künftig: NBD IV/1−7). 20 Zu verweisen ist hier auf folgende Werke: Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14); ders., Die aus- wärtige Politik Maximilians von Bayern 1618−1635, Göttingen 1962 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 6); Andreas Kraus, Maximilian I. Bayerns großer Kurfürst, Graz-Wien-Köln 1990, hier vor allem S. 124 f., 194 f.; ders., Das päpstliche Staatssekretariat unter Urban VIII. 1623‒1644, Rom-Freiburg-Wien 1964 (Forschungen zur Geschichte des römischen Staatssekretariats 1 = Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kir- chengeschichte, Supplementheft 29). – Resümierend zur Maximilian-Forschung: Helmut Neuhaus, Maximilian I., Bayerns großer Kurfürst, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 65 (2002), S. 5−23, hier S. 5 f.

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Material. Und man muss betonen: Das Material fließt so reich, dass sich die Wiener Nuntiatur geradezu als ‚Ersatzbotschaft‘ für die in München im 17. Jahrhundert noch fehlende (hier erst am Ende des 18. Jahrhunderts eingerichtete) Kuriengesandtschaft bezeichnen lässt. Ganz offenkundig zogen die Wiener Nuntien den geographischen Radius ihres Zuständigkeitsbereichs weit über die Grenzen der habsburgischen Erb- länder hinaus: Sie verstanden sich nicht nur als päpstliche Vertreter für den Wiener Kaiserhof, sondern betrachteten auch den kurfürstlichen Hof in München als Terrain für diplomatische Aktion. Dem regelmäßigen Austausch mit dem bayerischen Resi- denten in Wien maßen sie eine ähnlich hohe Bedeutung zu wie dem Kontakt „ad Maiestatem Cæsaream“ oder zu den Mitgliedern des kaiserlichen Hofstaats. Bereits die päpstlichen Empfehlungsschreiben für Giovanni Battista Pallotto, zwischen 1628 und 1630 Nuntius in Wien, enthielten Kreditive für Kaiser Ferdinand II. und für Kur- fürst Maximilian von Bayern.21 Insgesamt knüpfte Rom an Konventionen des späten 16. Jahrhunderts an: Die während der 1570er und 1580er Jahre für Bartolomeo Portia und Felician Ninguarda eingerichteten Sondernuntiaturen hatten sich in ihrer terri- torialen Zuständigkeit auch schon auf das Gebiet des Herzogtums Bayern bezogen.22 In Rom war man sich der Zweischneidigkeit der Doppelmission zwischen Habs- burg und Bayern wohl bewusst. In den Anweisungen des römischen Staatssekre- tariats an die Wiener Gesandtschaft spiegelt sich diese Sensibilität deutlich wider. Denn regelmäßig wiederholen die Instruktionen die Mahnung, dass im Umgang des Nuntius mit dem bayerischen Gesandten in Wien jeder Eindruck einer Vorzugsbe- handlung des bayerischen Kurfürsten durch den Papst unbedingt zu vermeiden sei. Jedes Misstrauen der Kaiserlichen sei von vornherein zu zerstreuen.23

21 Auch wenn die Verleihung von mehreren Beglaubigungsbreven an unterschiedliche Reichsfürs- ten zunächst dem diplomatischen Usus folgte, deutet doch die Intensität, mit der man von Wien aus auf Maximilian blickte, auf ein gleichsam offiziös geschärftes Interesse der Kaiserhofnuntiatur an den bayerischen Belangen. Vgl. NBD IV/1 (wie Anm. 19), S. 36−38 (Urban VIII. an Kaiser Ferdinand II., Rom, 1628 April 15). Zu den diplomatischen Beziehungen zwischen der Wiener Nuntiatur und dem Münchner Hof vgl. auch Rotraud Becker, Einleitung, in: NBD IV/4 (wie Anm. 19), S. IX−LLXXIII, hier S. LV−LIX; zu Pallotto (1594−1668) vgl. Donato Squicciarini, Die Apostolischen Nuntien in Wien, Città del Vaticano 22000, S. 157−159. 22 Vgl. Pierre Blet, Histoire de la Représentation Diplomatique du Saint Siège des origines à l’aube du XIXe siècle, Città del Vaticano 21990 (Collectanea Archivi Vaticani 9), S. 279−281; Alexander Koller, Imperator und Pontifex. Forschungen zum Verhältnis von Kaiserhof und römischer Kurie im Zeitalter der Konfessionalisierung (1555−1648), Münster 2012 (Geschichte in der Epoche Karls V. 13), S. 64−66, 68−70; zur Verwendung von Kuriendiplomaten als „Ersatzbotschaftern“ durch die bayerischen Her- zöge jetzt auch: ders., Minuccio Minucci (1551−1604). Ein Diplomat in päpstlichen und bayerischen Diensten, in: Becker/Weiß (Hg.), Bayerische Römer (wie Anm. 1), S. 249−274, hier S. 265−268. 23 Vgl. Francesco Barberini an Giovanni Battista Pallotto, Rom, 1628 November 11, in: NBD IV/1 (wie Anm. 19), S. 298; Giovanni Battista Pallotto an Francesco Barberini, Wien, 1628 Dezember 2, in: ebd., S. 314.

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Um die Beobachtungen weiter zu vertiefen, sollen die Überlegungen an zwei Punkten ansetzen: Im ersten Arbeitsschritt sind die Nuntiaturberichte im zeitlichen Längsschnitt von 1628 bis 1635 unter quantitativen Aspekten näher zu analysieren. Dabei lautet die Frage, ob es konstante Themenfelder gibt, die mit Bayern und Maxi- milian assoziiert werden. Ereignis- und personengeschichtliche Komponenten über- schneiden sich in dieser Perspektive: Wie die Vorgänge auf dem Kriegsschauplatz das Bewusstsein der Nuntien veränderten, ob sich spezifische, über längere Zeiträume wirksame Wahrnehmungsdeterminanten herauskristallisierten, solche Probleme stehen im Vordergrund der Betrachtung. Immerhin waren sechs kuriale Akteure an der Ausformung des römischen Bayernbilds während der ersten Hälfte des 17. Jahr- hunderts beteiligt, neben Francesco Barberini, Kardinalnepot in Rom und Empfänger der Wiener Briefe,24 der bereits erwähnte Pallotto, dessen Nachfolger Ciriaco Rocci, Girolamo Grimaldi, Malatesta Baglioni und der päpstliche Sondergesandte Alessan- dro d’Ales, ein Kapuzinerpater.25 Der zweite Punkt bezieht sich auf die konzeptionelle Seite: Lässt sich aus den Äußerungen der Nuntien ein staatstheoretisches Ordnungsmodell herauslesen? Wird hinter den oft vom konkreten Kriegsverlauf gesteuerten Zuschreibungen ad hoc – Bayern als militärische Division und als Säule der Katholizität – eine höhere syste- mische, wenn man so will: „politologische“ Ebene sichtbar? Gibt es den Versuch, die Rolle des mindermächtigen Reichsterritoriums grundsätzlicher zu bestimmen? Damit ist der Kontext der diplomatischen Wissenskultur, also ein ganz aktueller Problemzu- sammenhang der Forschung, angeschnitten. Im letzten Schritt zielt unsere Sondie- rung nämlich darauf ab, den kategorialen Denkrahmen der päpstlichen Diplomatie genauer zu charakterisieren und damit einen Beitrag zur Epistemologie des frühneu- zeitlichen Gesandtschaftswesens insgesamt zu leisten.26

24 Zu Barberini (1597−1679) vgl. Alberto Merola, Barberini, Francesco, in: DBI, Bd. 6, Roma 1964, S. 172−176 (URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/francesco-barberini_(Dizionario-Biografico)/; 26. 1. 2018); Birgit Emich, Kardinal Francesco Barberini. Ein Papstneffe zwischen Kunst und Politik, in: Lorenza Mochi Onori/Sebastian Schütze/Francesco Solinas (Hg.), I Barberini e la cultura europea del Seicento, Roma 2007, S. 111−116. 25 Zu Ciriaco Rocci (1581−1651), Girolamo Grimaldi (1597−1685) und Alessandro d’Ales OFMCap/ Franceso Rota (1585−1637) jeweils ausführlich mit weiterer Literatur Rotraud Becker, Einleitung, in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. XI−LXVI, hier S. XXIV−XXVI (Rocci), S. XXVII−XXIX (Grimaldi), S. XXIX−LII (d’Ales); zu Rocci außerdem Silvano Giordano, Rocci, Ciriaco, in: DBI, Bd. 88, Roma 2017, S. 53−55 (URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/ciriaco-rocci_(Dizionario-Biografico); 26. 1. 2018); zu Malatesta Baglioni (1581−1648) vgl. Rotraud Becker, Einleitung, in: NBD IV/7 (wie Anm. 19), S. IX−LXXVII, hier S. XXVI−LXXVII. 26 Vgl. allgemein: Martin Espenhorst (Hg.), Unwissen und Missverständnisse im vormodernen Friedensprozess, Göttingen 2013 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 94); zur Wahrnehmung des Heiligen Römischen Reichs und seiner Territorien in der Diplomatie der frühneuzeitlichen italienischen Staaten: Guido Braun, Imagines imperii. Die Wahrnehmung des Reiches und der Deutschen durch die römische Kurie im Reforma-

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3. Die Korrespondenz der Wiener Nuntien erfasst zwei bedeutende Teilabschnitte in der Chronologie des Dreißigjährigen Kriegs, nämlich das Ende des Dänisch-nie- dersächsischen Kriegs (1625–1629) und den Schwedischen Krieg (1630–1635).27 Der Schwedische Krieg ließ Bayern und Österreich, die beiden geographischen Schwer- punkte der Berichterstattung aus der Wiener Nuntiatur, in den Fokus der militäri- schen Auseinandersetzungen rücken. Darüber hinaus fielen noch andere folgenreiche Vorgänge in diese Zeit. Zu denken ist etwa an die Affäre um Wallenstein. Die Wiener Nuntien sahen Tilly und Gustav Adolf nacheinander siegen und sterben (Schlach- ten von Breitenfeld, Rain am Lech und Lützen). Markante rechtliche und politische Weichenstellungen standen im Hintergrund, so das Restitutionsedikt von 1629, der Regensburger Kurfürstentag ein Jahr später, die Vorverhandlungen zwischen Kaiser und Kursachsen zum Prager Frieden von 1635. Alle diese Vorgänge trafen in der Nuntiaturkorrespondenz auf mehr oder minder ausgeprägten Widerhall. Am besten kann ein graphisches Schema Einsichten in den kurialen Informationsfluss über diese Ereignisse und deren wahrnehmungsge- schichtliche Korrelation mit Bayern eröffnen (siehe Graphik S. 56). Dabei lautet die Frage: Wie oft und zu welchem Zeitpunkt berichteten die Nuntien über das süddeut- sche Reichsterritorium und seinen Herrscher Maximilian? Die durchgezogene Linie stellt die Anzahl der auf Bayern bezogenen Meldun- gen im zeitlichen Verlauf dar. Um den Ergebnissen eine schärfere Kontur zu geben, vergleichen wir sie mit den Bayernbetreffen in der zeitlich parallelen Kölner Nuntia­ ­ turkorrespondenz, also den Berichten von Pier Luigi Carafa (in gestrichelter Linie

tionsjahrhundert (1523‒1585), Münster 2014 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 37); ders., L’Impero nella percezione della Curia Romana sotto Urbano VIII, in: Irene Fosi/Alexander Koller (Hg.), Papato e Impero nel pontificato di Urbano VIII (1623−1644), Città del Vaticano 2013 (Collectanea Archivi Vaticani 89), S. 143−172; Matthias Schnettger/Marcello Varga (Hg.), L’Impero e l’Italia nella prima età moderna/Das Reich und Italien in der Frühen Neu- zeit (Annali dell’Istituto Storico Italo-Germanico in Trento/Jahrbuch des italienisch-deutschen his- torischen Instituts in Trient, Contributi/Beiträge 17), Bologna-Bologna 2006; Matthias Schnettger, Impero romano – Impero germanico. Italienische Perspektiven auf das Reich in der Frühen Neuzeit, in: ders. (Hg.), Imperium Romanum – irregulare corpus – Teutscher Reichs-Staat. Das Alte Reich im Ver- ständnis der Zeitgenossen und der Historiographie, Mainz 2002 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 57), S. 53‒75; aus der Perspektive von zeitgenössischen Reiseberichten: Klaus Heitmann, Das italienische Deutschlandbild in seiner Geschichte, Bd. 1: Von den Anfängen bis 1800, Heidelberg 2003 (Studia romanica 114). 27 Zur ereignisgeschichtlichen Einordnung nach wie vor unverzichtbar: Konrad Repgen, Dreißig- jähriger Krieg, in: ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hg. von Franz Bosbach und Christoph Kampmann, Paderborn u. a. 1998 (Rechts- und Staatswissen- schaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N. F. 81), S. 291−318, hier vor allem S. 294−310; außerdem Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 22013.

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Anzahl

70 Wien Köln 60

50

40

30

20

10

0 1628 1629 1630 1631 1632 1633 1634 1635 Berichtsjahre

Nachrichten über Bayern in den Berichten der Wiener und Kölner Nuntiatur (1628–1635)

dargestellt).28 Das wichtigste Moment fällt sogleich ins Auge: 1632 schnellte die Kurve der Bayernnachrichten aus Wien steil nach oben. Gegenüber den späten 1620er Jahren stieg die Intensität der Bayernwahrnehmungen stark an. Um die Dinge in Daten zu fassen: Die Zahl der entsprechenden Korrespondenzen verdreifachte sich. Erst 1634 fiel die Linie wieder zurück, um freilich bis zur Mitte der 1630er Jahre auf einem deut- lich höheren Niveau zu verharren als eine Dekade zuvor während der 1620er Jahre. Die Konjunktur der Bayernwahrnehmung verlief in der Kölner Nuntiatur ganz ähnlich. Um 1632 wurden hier ebenfalls Spitzenwerte erreicht, obwohl in Köln die Zahl der Bayernbetreffe insgesamt niedriger lag als in Wien, was – nebenbei bemerkt – einmal

28 Der statistischen Auswertung für die Nuntiaturberichte des Kölner Nuntius Pier Luigi Carafa (1581−1655) liegt die Edition des Römischen Instituts der Görresgesellschaft zugrunde: Nuntiatur- berichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Die Kölner Nuntiatur, Bd. VII/1: Nun- tius Pier Luigi Carafa (1624 Juni–1627 August), bearb. von Joseph Wijnhoven, München u. a. 1980, Bd. VII/2: Nuntius Pier Luigi Carafa (1627 September–1630 Dezember), bearb. von dems., München u. a. 1989, Bd. VII/3: Nuntius Pier Luigi Carafa (1631 Januar–1632 Dezember), bearb. von dems., Paderborn u. a. 1995, Bd. VII/4: Nuntius Pier Luigi Carafa (1633 Januar–1634 November), bearb. von dems., Paderborn u. a. 1995 (künftig: NBD KN VII/1−4). – Zu Pier Luigi Carafa (1581−1655) selbst vgl. Marina Raffaeli Cammarota, in: Carafa, Pier Luigi, in: DBI, Bd. 19, Roma 1976, S. 596−599, URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/pier-luigi-carafa_(Dizionario-Biografico); 26. 1. 2018.

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mehr die Bedeutung der Kaiserhofnuntiatur als päpstlicher Nebenbotschaft für die Münchner Wittelsbacher unterstreicht. Mit diesem Befund ist festzuhalten, dass Roms Interesse an Bayern während der 1630er Jahr zunächst dominant geopolitisch eingefärbt war. Die kuriale Wahrneh- mung reagierte unmittelbar auf die massive militärische Bedrohungssituation, wie sie sich infolge der Niederlage Tillys gegen Gustav Adolf in der Schlacht von Rain am Lech 1632 für die Katholischen im Reich, für das österreichische Kaiserhaus, ganz konkret aber für Maximilians Bayern eingestellt hatte. Es stand die vollständige Einnahme des Landes durch die Schweden zu befürchten.29 In Reaktion auf Gustav Adolfs galoppierendes Vordringen nach Süddeutschland fertigten die Nuntien fast täglich Post nach Rom ab. In die sonst so nüchterne Diplomatensprache mischte sich Entsetzen über den zu erwartenden Furor des schwedischen Häretikers. Insbeson- dere Ciriaco Rocci ließ seinem Horror freien Lauf: „Bavaria aperta“ meldete er nach Rom.30 Bayern liege offen vor seinem Feind. Es sei davon auszugehen, dass dem Land eine so barbarische Behandlung seitens der Schweden zuteil werde, wie sie noch kein anderer Teil Deutschlands habe erdulden müssen: „La Baviera tuttavia vien trattata dall Sveco barbaramente a segno tale che in Germania non vi sarà forse provincia che habbia patito maggiormente di quella.“31 Girolamo Grimaldi, auf Maximilians Empfehlung neben Rocci als zusätzlicher Sondernuntius in Wien von Papst Urban VIII. eingesetzt,32 stieß ins gleiche Horn. Er brachte ein strategisches Argument ins Spiel: Stürze Bayern, so sei als Nächstes Österreich an der Reihe – mit allen dra- matischen Folgen, die dies für das Kaisertum haben müsse. Denn Bayern fungiere nun einmal als Vor- und Schutzmauer für Österreich, als „antemurale a questa provincia.“33 Der drohende Fall Bayerns und die möglichen Kettenreaktionen darauf bereite- ten auch dem Kölner Nuntius Carafa schwere Sorge. Sie erklären den Gleichklang der Lageeinschätzung zwischen Wien und Köln. Dabei zieht Carafa die Prognose geographisch noch weiter aus als seine Wiener Kollegen: Gustav Adolf und dessen protestantische Verbündete im Reich hätten Deutschland schon verschlungen („già divorata“), planten die Auslöschung des Hauses Österreich („l’estirpazione della Casa d’Austria“), außerdem aller katholischen Reichsstände („Baviera, prencipi, prelati“),

29 Vgl. zum Kriegsverlauf Repgen, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 27), S. 305 f. 30 Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1632 Juni 5), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 288. 31 Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1632 Juni 19), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 302. 32 Vgl. Rotraud Becker, Einleitung, in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. IX−LIV, hier S. XXX; auch Al­ brecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 812. 33 Girolamo Grimaldi an Francesco Barberini (Wien, 1633 April 9), S. 780; ähnlich schon früher Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1632 Juni 26), S. 315: Bayern „servirà d’un antemurale a quelli [die habsburgischen Erbländer] e principalemente a Vienna“.

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um dann im Marsch auf Italien zum finalen Schlag gegen die katholische Religion selbst auszuholen.34 Bayern als Vormauer für das katholische Deutschland, für das ganze katholi- sche Abendland: War damit die kuriale Wahrnehmung auf ein rein geostrategisches Raisonnement reduziert? – Wenn man die Bayernbetreffe der Wiener Nuntiaturbe- richte nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ durchmustert, dann ergibt sich ein vielschichtiges Panorama. Insgesamt lassen sich mehrere große Themenfel- der erkennen, in denen das Kurfürstentum und sein Herrscher Maximilian immer wieder auftauchen. Beherrschend tritt natürlich die Kriegssituation ins Bild; sie wird in unterschiedlichen Facetten beleuchtet. Dabei stoßen vor allem die Probleme des Kriegsmanagements auf katholischer Seite auf Echo. Unmittelbar aus der Wiener Nachbarschaft verfolgten die Nuntien die Entlassung Wallensteins als Oberbefehlsha- ber der kaiserlichen Truppen auf dem Regensburger Kurfürstentag von 1630 und seine Wiedereinsetzung als Generalissimus im Jahr darauf. Bei aller, gleichsam ex officio zu wahrenden Loyalität gegenüber Ferdinand II. und dessen erratischer Personalpo- litik übten sie den Schulterschluss mit Maximilian, der sich seinerseits Hoffnungen auf das Generalat der kaiserlichen Armee gemacht hatte.35 Die römischen Diploma- ten teilten die heftige Aversion des Kurfürsten gegen Wallenstein; manchmal über- trafen sie sogar dessen Kritik an Schärfe, so etwa im Sommer 1632, als Wallenstein von Böhmen aus dem schwedischen Einfall in Bayern tatenlos zusah. Rocci scheute nicht davor zurück, Wallensteins Verhalten – und damit indirekt auch die Position des Kaisers – in deutlichen Worten zu tadeln: Aus blindem Hass auf Maximilian, dem er die Hauptverantwortung für seine Regensburger Entmachtung zuschiebe, verspüre „Fridlant … intrinsecamente piacere di veder mortificato il duca di Baviera.“36 In Roccis massiver Ablehnung des Kriegsmagnaten kam freilich ein schon länger anhal- tendes Unbehagen der Kuriendiplomatie zum Vorschein: Weder im römischen Staats- sekretariat noch in der Wiener Nuntiatur traute man Wallenstein wirklich über den Weg – trotz seiner unbestreitbaren Verdienste für die katholische Sache.37 Weitere thematische Akzente der Korrespondenz liegen auf der Kriegszielpolitik Maximilians und dem immer wieder aufbrechenden Verfassungskonflikt zwischen

34 Pier Luigi Carafa an Francesco Barberini (Lüttich, 1632 Oktober 29), in: NBD KN VII/3 (wie Anm. 28), S. 434: „… vedrà come si hanno [Gustav Adolf und die Protestanten] già divorata e divisa fra loro la Germania con l’estirpazione della Casa d’Austria, Baviera, prencipi, prelati e religione cattolica per dover poi successivamente eseguire lo stesso in Italia.“ 35 Vgl. dazu Thomas Brockmann, Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvor- stellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg, Paderborn u. a. 2011 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte N. F. 25), S. 402−426. 36 Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1632 Juni 5), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 288. 37 Insbesondere die beiden päpstlichen Sondergesandten Alessandro d’Ales OFMCap und Valeriano Magni OFMCap zeichneten in ihren Berichten seit 1628 ein sehr negatives Bild von Wallenstein. Vgl. zu den sogenannten Kapuzinerrelationen: Rotraud Becker, Einleitung, in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. XI−LXVI, hier besonders S. XXXI−XXXII, ferner Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 684 f.

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Kaiser und Reichsständen. Die vielfältigen außenpolitischen Initiativen Bayerns, ins- besondere im Verhältnis zu den Großmächten Spanien und Frankreich, werden in aller Differenziertheit und Komplexität abgehandelt. Daneben findet die Persönlich- keit des Kurfürsten umfassende Beachtung. Die diplomatische Wahrnehmung folgte der konfessionell orchestrierten Doktrin, die an der Kurie seit 1600 unbedingte Gül- tigkeit hatte: Maximilian sei ein „principe tanto cattolico“, den man unter gar keinen Umständen im Stich lassen dürfe. So lautete die Devise von Francesco Barberini im Juni 1632 für Ciriaco Rocci,38 und so formulierte es in ganz ähnlicher Diktion die päpstliche Instruktion für dessen Nachfolger Malatesta Baglioni zwei Jahre später im Juli 1634.39 Den Nuntien zeigte sich Maximilian primär als Protagonist der militärischen und politischen Sphäre. Gleichwohl werden in den Berichten auch die genuin binnen- kirchlichen Diskurse greifbar. Das gilt insbesondere für das zentrale Feld der wittels- bachischen Reichskirchenpolitik. Deren Erfolg oder Misserfolg entschied unmittelbar über das Wohl und Wehe der katholischen Kirche in Nordwestdeutschland. Obwohl das Thema eher in das Portfolio des hauptsächlich dafür verantwortlichen Kölner Nuntius gehörte,40 kam die scheinbar fernab liegende Kaiserhofnuntiatur damit öfters in Berührung. Eingang in die Korrespondenzen fanden etwa die seit dem Res- titutionsedikt von 1629 mit der Unterstützung Roms laufenden Bemühungen, für den aus morganatischer Ehe stammenden Wittelsbachersproß und Osnabrücker Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg noch zusätzlich das Bistum Minden zu erwerben: Das bereits der Reformation zugefallene Bistum sollte mit dem Kandidaten aus dem Haus Bayern für den Katholizismus zurückgewonnen werden. Der sich rasch gegen den Wittelsbacher aufbauende Widerstand kam nicht nur aus dem evangelischen Domka- pitel, sondern auch vom Kaiserhof, weil die Habsburger nicht bereit waren, einen wei- teren reichskirchlichen Machtzuwachs ihrer dynastischen Konkurrenten aus Bayern hinzunehmen. Barberini wies daraufhin seinen Wiener Geschäftsträger an, bei Fer-

38 Vgl. Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1632 Juni 5), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 293. 39 Vgl. die Instruktion für Malatesta Baglioni (Rom, 1634 Juli 2), in: NBD IV/7 (wie Anm. 19), S. 18: Hier ist die Rede von dem „particolar reguardo, meritandolo il zelo grande di S[ua] A[ltezza] [Maximilian] verso la religione cattolica et il filiale ossequio che sempre ha professato alli pontefici et alla Sede Apostolica“. 40 Vgl. Stefan Samerski, Vom Schrittmacher der Reform zum Friedensvermittler. Der Kölner Nun- tius und die ihm zugeordneten Bistümer in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Bettina Braun/ Mareike Menne/Michael Ströhmer (Hg.), Geistliche Fürsten und geistliche Staaten in der Spät- phase des Alten Reiches, Epfendorf/Neckar 2008, S. 195−206; Michael F. Feldkamp, Studien und Texte zur Geschichte der Kölner Nuntiatur, Bd. 1: Die Kölner Nuntiatur und ihr Archiv. Eine behörden- geschichtliche und quellenkundliche Untersuchung, Bd. 2: Dokumente und Materialien über Juris- diktion, Nuntiatursprengel, Haushalt, Zeremoniell und Verwaltung der Kölner Nuntiatur (1584−1794), Bd. 3: Inventar des Fonds „Archivio della Nunziatura di Colonia“ im Vatikanischen Archiv, Città del Vaticano 1993‒1995 (Collectanea Archivi Vaticani 30−32), hier Bd. 1, S. 54‒68.

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dinand II. zugunsten Wartenbergs zu intervenieren, da Minden längst „ad instanza dell’elettor di Baviera“ versprochen sei.41 In den engeren Bereich der posttridentinischen Kirchenreform verweisen hin- gegen die Informationen über die Ansiedlung neuer Orden in den habsburgischen Erbländern und in Bayern. Plastisch beleuchten die Nuntien Maximilians Verhält- nis zu den Englischen Fräulein, des von Maria Ward begründeten Bildungsordens. Bekanntlich fand diese Gemeinschaft in dem bayerischen Herrscher einen ihrer nach- drücklichsten Förderer. Er setzte sich in Rom zusammen mit dem ungarischen Kardi- nal Péter Pázmány, dem Erzbischof von Gran/Esztergom, für deren kirchenrechtliche Anerkennung ein, konnte aber das Verbot durch Papst Urban VIII. im Sommer 1631 nicht verhindern.42 Denn die österreichischen und böhmischen Bischöfe standen den schon von den Zeitgenossen so bezeichneten „Giesuitesse“43 skeptisch gegenüber. In dieser Konfliktsituation versuchten die Nuntien im Auftrag der Propaganda-Kongre- gation zu vermitteln,44 wie auch im Fall einer anderen Gemeinschaft, nämlich der Franziskaner-Reformaten, deren italienische Mitglieder auf ausdrücklichen Wunsch des Kurfürsten nach Bayern geholt worden waren, um mit den dort bestehenden Nie- derlassungen der Franziskaner-Observanten eine neue Ordensprovinz zu bilden. Auf diese Weise sollte die Seelsorge auf dem Land und in den Städten verbessert werden.45 Die Berichte erweisen sich als hoch ergiebige Fundgrube für die kulturgeschichtliche Analyse von interkulturellen Transfer- und Integrationsprozessen im europäischen Barockkatholizismus. Denn sie illustrieren eindrucksvoll die Schwierigkeiten, die

41 Francesco Barberini an Giovanni Battista Pallotto (Rom, 1630 Mai 18), in: NBD IV/4 (wie Anm. 19), S. 178 f.; vgl. auch Giovanni Battista Pallotto an Francesco Barberini (Wien, 1630 April 27), in: ebd., S. 162 f.; Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1632 Oktober 23), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 507. – Vgl. zum Hintergrund auch die biographische Literatur über Wartenberg: Karl Hausberger, Das Bistum Regensburg, Bd. 1: Die Regensburger Bischöfe von 1649 bis 1817, Berlin-Boston 2017 (Ger- mania Sacra III. F. 13: Die Bistümer der Kirchenprovinz Salzburg), S. 43−102, hier S. 47−51. 42 Vgl. Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 319−321; ferner Rotraud Becker, Der Skandal um den Rombesuch Kardinal Pázmánys im Spiegel der Nuntiaturberichte des Jahres 1632, in: QFIAB 92 (2012), S. 381‒429. 43 Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1631 August 31), in: NBD IV/4 (wie Anm. 19), S. 533 f. 44 Vgl. Giovanni Battista Pallotto an Francesco Barberini (Wien, 1628 September 13), in: NBD IV/1 (wie Anm. 19), S. 227; Francesco Barberini an Giovanni Battista Pallotto (Rom, 1628 Oktober 7), in: ebd., S. 259; Giovanni Battista Pallotto an Francesco Barberini (Rom, 1628 November 4), in: ebd., S. 295; Giovanni Battista Pallotto an Francesco Barberini (Wien, 1629 September 15), in: NBD IV/2 (wie Anm. 19), S. 320, Anm. 2; Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1631 August 31), in: NBD IV/4 (wie Anm. 19), S. 533 f.; siehe dazu auch mit weiteren Dokumenten aus der Wiener Nuntiaturüberliefe- rung: Mary Ward und ihre Gründung. Die Quellentexte bis 1645, hg. von Ursula Dirmeier CJ, 4 Bde., Münster 2007 (Corpus Catholicorum. Werke katholischer Schriftsteller im Zeitalter der Glaubensspal- tung 45‒48). 45 Vgl. Francesco Barberini an Giovanni Battista Pallotto (Rom, 1630 Februar 16), in: NBD IV/4 (wie Anm. 19), S. 86; Giovanni Battista Pallotto an Francesco Barberini (Wien, 1630 März 9), in: ebd., S. 112; Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1631 Juli 26), in: ebd., S. 522.

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sich mit der Aufnahme der Italiener einstellten: Sprachbarrieren und Mentalitätsun- terschiede führten zu Konflikten, da sich der einheimische Ordensklerus durch die äußerst selbstbewusst auftretenden Neuankömmlinge aus den als besonders regel- streng geltenden italienischen Konventen („istituti austeri delle riforme“) in die Ecke gedrängt fühlte.46 Wie intensiv sich die Interessengemeinschaft zwischen Wien und München entwickelte, lässt sich an zwei weiteren Beispielen noch deutlicher demonstrieren, nämlich erstens in der äußerst brisanten Frage der Kriegsfinanzierung und Kriegsziel- politik, zweitens im nicht weniger heiklen Kontext der bayerischen Bündnispolitik mit Frankreich. In beiden Punkten traten die Wiener Nuntien als treue Agenten der bayerischen Position auf: Maximilian konnte bei seiner Forderung nach dauerhafter päpstlicher Finanzhilfe immer mit der Unterstützung durch die Nuntiatur rechnen. In dieser Sache stand die päpstliche Diplomatie mit dem Münchner Hof in engem Kontakt, unter anderem über den bayerischen Vizekanzler Bartholomäus Richel, der an der Jahreswende 1633/34 als Maximilians Resident in Wien weilte.47 Mit Maximi- lians katholischen Verdiensten, mit seinem ständigen Finanzbedarf als Ligaober- haupt, mit der existenziellen Notlage Bayerns im Krieg, mit diesen sattsam bekann- ten Argumenten versuchten die Wiener Kuriendiplomaten eine bessere Aufteilung der römischen Geldmittel zu erreichen, und zwar auf Kosten des gleichfalls bedürftigen Kaisers zugunsten des Wittelsbachers. Überhaupt fällt auf, dass der unentwegte Kri- senappell stimulierende Wirkungen vor allem in finanzieller Hinsicht entfalten sollte. Der permanente Rekurs auf den drohenden Verlust Bayerns und die damit verbun- dene Auslöschung („esterminio“) der katholischen Religion in Deutschland bestimmt den rhetorischen Zuschnitt der Briefe. Sie illustrieren das dichte Kommunikationsge- füge zwischen Wien, Rom und München, trafen doch die Nuntien genau jene Tonlage, mit der Maximilian seine Subsidienforderungen an die Kurie regelmäßig zu unterle- gen pflegte.48

46 Zum Zitat: Instruktion für Malatesta Baglioni (Rom, 1634 Juli 2), in: NBD IV/7 (wie Anm. 19), S. 19 f. Vgl. zum Hintergrund: Rotraud Becker, Die Wiener Nuntiatur um 1630. Spannungen in den Bezie- hungen zwischen Kardinal Klesl und Nuntius Pallotto, in: Gisela Fleckenstein/Michael Klöcker/ Norbert Schloßmacher (Hg.), Kirchengeschichte. Alte und neue Wege. Festschrift für Christoph Weber, Frankfurt a. M. u. a. 2008, S. 215‒245, hier S. 226‒228; dies., Die Wiener Nuntiatur im Dienst der Propaganda-Kongregation. Italienische Franziskaner als Missionare in Ungarn um 1630, in: QFIAB 88 (2008), S. 369−419; außerdem Koller, Imperator und Pontifex (wie Anm. 22), S. 263−266. 47 Vgl. etwa Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1633 Juli 30), in; NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. 100; Girolamo Grimaldi an Francesco Barberini (Wien, 1633 Dezember 24), in: ebd., S. 281; Francesco Barberini an Girolamo Grimaldi (Rom, 1634 Januar 14), in: ebd., S. 308; dazu auch Albrecht, Maxi- milian (wie Anm. 14), S. 866−872; zur Biographie von Richel (1580−1649) vgl. Gerhard Immler, Ri- chel, Bartholomäus von, in: NDB, Bd. 21, Berlin 2003, S. 511. 48 Vgl. beispielsweise Maximilian an Francesco Barberini (München, 1631 Mai 8), in: Briefe und Akten zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges N. F.: Die Politik Maximilians I. von Bayern und seiner Verbündeten 1618−1651, 2. Teil, Bd. 6/1: 1631, bearb. von Kathrin Bierther, Berlin-Boston 2018,

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Doch nicht nur das: Die Krisenrhetorik sollte auch dazu beitragen, die Bavaro- philie der Nuntiatur zu rechtfertigen – gegenüber dem Kaiser und der spanischen Hofpartei, aber auch gegenüber Barberini, dem an einer allzu offensichtlichen Übervorteilung Maximilians nicht gelegen sein konnte. Denn Ferdinand II. und den Spaniern waren die prowittelsbachischen Avancen nicht verborgen geblieben. Die Nuntien reagierten daher auf das Missfallen der habsburgischen Majestäten mit einer Kommunikationsoffensive. Ein beträchtlicher Teil der zwischen Herbst 1630 und Frühjahr 1635 redigierten Schreiben aus Wien ist der delikaten Materie der Subsidi- enfrage gewidmet.49 Nicht anders verhielt es sich bei dem Wunsch Münchens nach dauerhafter Behauptung der Kurwürde und endgültiger Angliederung der Oberpfalz an das Kurfürstentum. Hier machten sich die Nuntien ebenfalls ohne jeden Vorbehalt Maximilians Sicht der Dinge zu Eigen. Mundgerecht soufflieren ihre Berichte die ent- sprechenden Forderungen, die das Herzstück der bayerischen Kriegszielpolitik bil- deten.50 Der Eindruck, dass die Wiener Nuntiatur nach 1630 als geheime Außenstelle der Maximilianeischen Reichs- und Europapolitik am Kaiserhof agierte, ist kaum von der Hand zu weisen. Alessando d’Ales machte aus seinem Herzen keine Mördergrube, wenn er schrieb, dass man sich im diplomatischen Tagesgeschäft „secondo il consi­ glio del duca di Baviera“ verhalte.51 Dieser Eindruck verstärkt sich noch einmal mehr, wenn man den Blick auf unser zweites Beispiel, auf Maximilians heimliche Allianzbestrebungen mit Frankreich richtet. Am 30. Mai 1631 schloss der Kurfürst mit der Bourbonenkrone den Vertrag von Fontainebleau, einen konditionierten Nichtangriffs- und Beistandspakt, der trotz seiner strategisch begrenzten Reichweite Habsburg in einen cauchemar des alliances trieb und Bayern den Vorwurf des Reichsverrats eintrug.52 Es ist allgemein bekannt, dass Papst Urban VIII. aus vielfältigen taktischen Erwägungen heraus eine substan- tielle Annäherung zwischen dem süddeutschen Reichsstand und der westeuropäi-

S. 482 („l’universale esterminio della religione e fede cattolica di Germania“). – Für den freundlichen Hinweis auf die noch im Druck befindliche Edition danke ich Herrn Dr. Karl-Ulrich Gelberg von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (München). 49 Vgl. Albrecht, Finanzierung (wie Anm. 13), S. 549−562. 50 Dafür stehen exemplarisch folgende Korrespondenzen: Giovanni Battista Pallotto an Francesco Barberini (Wien, 1628 September 23), in: NBD IV/1 (wie Anm. 19), S. 243; Giovanni Battista Pallotto an Francesco Barberini (Wien, 1629 August 18), in: NBD IV/2 (wie Anm. 19), S. 293; Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1630 November 2), in: NBD IV/4 (wie Anm. 19), S. 348; Girolamo Grimaldi an Francesco Barberini (Wien, 1633 März 12), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 735; Girolamo Grimaldi an Francesco Barberini (Wien, 1633 Juni 25), in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. 51; ferner die Instruktion für Malatesta Baglioni (Rom, 1634 Juli 2), in: NBD IV/7 (wie Anm. 19), S. 1−20; vgl. auch Koller, Impe- rator und Pontifex (wie Anm. 22), S. 177−179; allgemein: Stephan Messinger, Die Übertragung der pfälzischen Kurwürde auf das Herzogtum Bayern. Rechtliche, zeremonielle und politische Probleme, Berlin u. a. 2015. 51 P. Alessandro an Francesco Barberini (Wien, 1634 April 15), in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. 548. 52 Vgl. Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 719−731.

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schen Großmacht befürwortete. Die sich seit 1629 intensivierenden bayerisch-franzö- sischen Verhandlungen liefen im Dreieck über München, Paris und Rom, wobei der Pariser Nuntiatur unter den beiden dortigen Gesandten Giovanni Francesco Guidi di Bagno und Alessandro Bichi eine maßgebliche Vermittlerrolle zwischen Maximilian und Richelieu zukam.53 Die jetzt vollständig vorliegenden Wiener Nuntiaturakten tauchen diese baye- risch-französischen Bündnisbemühungen in noch schärferes Licht. Sie zeigen, dass auch die päpstliche Gesandtschaft am Kaiserhof in das hochbrisante Geschehen voll involviert war. Sie war mit der undankbaren Aufgabe betraut, die Maximilianeische Frankreichpolitik an der habsburgischen Front zu verteidigen, zum einen gegen den Hochverrat witternden Kaiser, zum anderen gegen dessen noch schärfer agitierende spanische Verwandtschaft. Die kuriale Verteidigungslinie hob vor allem auf das vom bayerischen Kurfürsten eingeführte Notwehr-Argument ab: Es liege lediglich in Bayerns ureigenstem Überlebensinteresse, wenn es eine Abmachung mit Frank- reich treffe – um sich auf diese Weise vor künftigen Angriffen zu schützen, aber auch um die mittlerweile erworbenen Rechtstitel wie die Kurwürde und den Besitz der Oberpfalz gegen seine Feinde kraftvoll zu behaupten, zumal eine endgültige Anerkennung dieser legitimen Ansprüche seitens der Kaiserlichen immer noch aus- stehe („per sua propria difesa, acciò non venisse spogliato del Palatinato Superiore e dell’elettorato“54). Dieses Procedere trug Rocci massive Feindschaft ein. Ihn traf die ganze Wucht der spanischen „malizia“. Der spanische Botschafter versuchte, ihn zusammen mit Bayern am Kaiserthron in Mißkredit zu bringen.55 Kardinal Francesco Barberini riet in dieser unangenehmen Situation zum harten Gegenschlag. So wies er Rocci expressis verbis an, allen spanischen Bestrebungen, eine „alienatione di Baviera da Cesare“ herbeizureden, entschieden Paroli zu bieten.56 Einmal mehr wird deutlich, wie sehr sich die Wiener Kurienrepräsentanten als Zuträger des bayerischen Interesses verstanden oder doch zumindest als deren wohlmeinende Interpreten in die Pflicht genommen sahen, und zwar durchaus auf Kosten der eigenen Reputation.

4. Der Hauptgewinn der kurialen Unterstützung lag für Bayern jedoch auf einer anderen Ebene, nämlich im Zuwachs an ‚internationaler‘ Sichtbarkeit. Vor den Augen der diplomatischen Öffentlichkeit setzten die Nuntien das Kurfürstentum auf die Agenda der großen europäischen Politik. Sie schrieben Bayern einen Rang zu, der es weit über den Status eines relativ peripheren Reichsterritoriums heraushob – und

53 Vgl. Georg Lutz, Kardinal Francesco Guidi di Bagno. Politik und Religion im Zeitalter Riche­ lieus und Urbans VIII., Tübingen 1971 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 34), S. 390 f., 395 f., 455, 459, 468. 54 Vgl. Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1631 August 9), in: NBD IV/4 (wie Anm. 19), S. 529. 55 Vgl. Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1632 Januar 31), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 152: „Contro il duca di Baviera qui si parla universalmente malissimo, e massime da ministri Spagnuoli.“ 56 Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1632 November 20), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 543.

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zwar nicht nur unter den Aspekten der tagesaktuellen Sicherheits- und Militärpo- litik, sondern auch und gerade im Hinblick auf sein staatliches Profil. Die Nuntien betrieben eine Form von virtuellem Nation- oder State-building. Sie werteten Bayern zu einem essentiellen Faktor des zeitgenössischen katholischen Mächtesystems auf. Dessen legitime Interessen seien unbedingt zu fördern, wolle man nicht das Wohl des katholischen Europa unnötig aufs Spiel setzen – so lautete das Credo der päpstlichen Diplomatie. Wieder lassen sich diese Beobachtungen an Hand der Nuntiaturüberlieferung paradigmatisch erhärten: Zum einen verdient die Wiener Variante der „unione delle corone“, also das Konzept einer europäischen Koalition aller katholischen Mon- archien, besondere Aufmerksamkeit. Zum anderen ist ein begriffsgeschichtliches Moment bemerkenswert. Mit Hilfe einer symbolischen ‚Sprachpolitik‘ sollte Bayerns Bedeutung für diese künftige Großallianz herausgestellt werden. Auch diese begriff- liche Aufwertungsstrategie zeichnet sich in der Nuntiaturkorrespondenz markant ab. Betrachten wir zunächst die kurialen Überlegungen zur „unione delle corone“ näher. Systematischer ausgearbeitet ist dieses Modell in einem Schreiben, das Francesco Barberini im Frühjahr 1632 an Ciriaco Rocci verfasste.57 Vor dem Hinter- grund von Gustav Adolfs Vormarsch im Reich, der immer stärker um sich greifenden schwedischen „rabbia“58, skizzierte der Kardinalnepot das Modell einer katholischen ‚Internationale‘, einer gewissermaßen ins Universale gesteigerten Liga, deren Haupt- ziel in der Zurückdrängung der protestantischen Offensive („a danni degli heretici et infedeli“59) bestehen sollte. Unter dem Eindruck der konkreten militärischen Bedro- hungssituation adaptierte Barberini das klassische europäische Bündnismodell der Kurie und gab ihm eine neue konzeptionelle Wendung: Im Zentrum des katholischen, also monokonfessionellen Bundes sollte die wiederbelebte Verbindung („unione“) zwischen Wittelsbach und Habsburg stehen.60 Um dieses Bündnis herum sah Bar- berini weitere, zentripetal wirkende Teilkoalitionen gruppiert: Spanien sollte über den Kaiser integriert werden, Frankreich über den Kurfürsten von Bayern, der zugleich auch die Reichsstände der Liga einbinden sollte.61 Dem Papst sollte die Funktion des „padre commune“ zufallen, also eines uneigennützigen Moderators, der mögliche Gegensätze zwischen den einer gemeinsamen Konfession angehörenden, interessen-

57 Vgl. Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1632 März 6), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 189−191, hier vor allem S. 190. 58 Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1632 Mai 8), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 263. 59 Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1632 März 6), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 190. 60 Vgl. Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1632 März 27), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 208: „Si deve con ogni sforzo procurar l’unione del duca di Baviera [Maximilian] con S[ua] M[aestà] [Ferdi- nand II.], perché in questo consiste una gran parte della speranza della vittoria.“ 61 Vgl. Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1632 März 6), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 190.

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politisch freilich divergenten Partnern ausbalancieren sollte.62 Überhaupt bewegte sich Barberinis Konzeption ganz in den zeitüblichen Kategorien des Balancedenkens. Ihm schwebte eine Art von Europa bilanciata vor, ein ausgeglichenes System nach dem Vorbild der Italia bilanciata. Deren Ruhepol sollte im bayerisch-französischen Bündnis liegen – mit Befriedungs- und Ausgleichseffekten nach zwei Seiten hin: einerseits gegen die spanisch-österreichische Dominanz, was Frankreich entgegen- kommen musste, andererseits gegen den schwedisch-französischen Pakt, Richelieus alliance incroyable, die mit dem Vertrag von Bärwalde (1631) geopolitische Kontur gewonnen hatte und seitdem ganz offen die Existenz der katholischen Reichsstände bedrohte, allen voran jene Kurbayerns. Auch wenn die pro-bourbonische Grundten- denz der päpstlichen Außenpolitik unter Urban VIII. kaum bezweifelt werden kann, eine einseitig frankophile Präferenz lässt sich aus diesem Friedensplan nicht heraus- lesen. Vielmehr wird deutlich, dass die Kurie – durch die Berichte der Wiener Nuntien alarmiert – offenkundig die unintendierten Folgen ihrer Frankreichpolitik erkannte: die massive Bedrohung der Münchner Wittelsbacher durch Richelieus Bündnispart- ner Schweden. Sie reagierte auf diese Herausforderung mit dem Aufruf zur Solidarität unter den katholischen Fürstenhäusern; sie versuchte auf diese Weise, deren innere Gegensätze im höheren Ganzen aufzulösen, um so das Überleben der mindermäch- tigen Konfessionsgenossen, in erster Linie von Maximilians Bayern, zu erreichen.63 Gleichwohl war der „unione delle corone“ keine Erfolgschance beschieden. Sie blieb eine fromme Illusion, und zwar nicht nur aufgrund des strukturellen Konflikts zwischen Habsburg und Bourbon, sondern auch wegen der Haltung der Kurie, die eben nicht so uneigennützig sein konnte, wie sie vorgab, weil sie mit ihren hoch- fliegenden europäischen Plänen durchaus eigene Interessen im italienischen Vorfeld des Kirchenstaats zu bedienen gedachte. Das hatte sich bereits im seit 1628 schwe- lenden Erbfolgekrieg um Mantua gezeigt: Hier versuchte Rom Bayern zusammen mit

62 Francesco Barberini an Malatesta Baglioni (Rom, 1635 Mai 26), in: NBD IV/7 (wie Anm. 19), S. 346. Vgl. zu diesem „Legitimationsbegriff“ der päpstlichen Diplomatie besonders unter Urban VIII.: Jo- hannes Burkhardt, Auf dem Wege zu einer Bildkultur des Staatensystems. Der Westfälische Frieden und die Druckmedien, in: Heinz Duchhardt (Hg.), Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, München 1998 (HZ Beihefte N. F. 26), S. 81−114, hier S. 94; ferner Christoph Kampmann, Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit, Paderborn u. a. 2001 (Quellen und For- schungen aus dem Gebiet der Geschichte N. F. 21), S. 26−65. 63 Vgl. dazu in umfassender Einordnung: Christoph Kampmann, Gleichheit – Gleichgewicht – Dynastie. Leitvorstellungen europäischer Friedensverträge im Wandel, in: Guido Braun u. a. (Hg.), L’art de la paix. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens, Münster 2011 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 34), S. 361−388; zum Denken in „Friedens- und Staatensystemen“ allgemein: Axel Gotthard, Der liebe vnd werthe Fried. Kriegskonzepte und Neutralitätsvorstellungen in der Frühen Neuzeit, Köln-Weimar-Wien 2014 (For- schungen zur kirchlichen Rechtsgeschichte und zum Kirchenrecht 32), S. 259‒270 (die Konzepte der römischen Kurie sind in diesem Überblick zu wenig berücksichtigt).

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Frankreich gegen den Kaiser und Spanien einzuspannen, um so die Übernahme des strategisch bedeutsamen Fürstentums durch den Habsburg zuneigenden Gonzaga Guastalla zu hintertreiben. 1631 wurde die Auseinandersetzung zugunsten des von Frankreich präferierten Herzogs von Nevers und damit im Sinn Urbans VIII. ent- schieden.64 Nach solchen Erfahrungen konnte die europäische Öffentlichkeit dem Barberini-Papst die Rolle des uneigennützigen Maklers kaum abnehmen. Aus baye- rischer Sicht musste der Friedensplan des Staatssekretariats freilich schmeichelhaft sein: Denn das potentielle Gewicht, das die Kurie dem ehemaligen bayerischen Bun- desgenossen von Mantua auch auf der europäischen Ebene beimaß, bleibt bemer- kenswert. Daher bemühte sich die Kurie intensiv darum, die Bündnisrelevanz und den Wert der territorialen Integrität Bayerns auch noch auf anderen Wegen plausibel zu machen. Im Sprachgebrauch der Nuntiaturkorrespondenz zeichnen sich spezifische terminologische Konzepte ab. Sie sollten die Bayern und Maximilian zugedachte außenpolitische Rolle aus gleichsam staatsrechtlicher Sicht heraus legitimieren. Auf diese Weise erhielt das militärische Raisonnement, die Verknüpfung des bayerischen Namens mit geostrategischer Begrifflichkeit, ihre wirkungsvolle Erweiterung ins Völ- kerrechtliche: Der defensiven Diktion – Bayerns leitmotivischer Apostrophierung als „antemurale“ der katholischen Welt – entsprach in offensiver Wendung die Rede vom „Stato“ oder den „Stati di Baviera“.65 Es ist auffällig, mit welcher Häufigkeit dieser schillernde Begriff im Schriftverkehr der Nuntien verwendet wird, und zwar insbe- sondere zwischen April 1632 und Mai 1634, also im engen zeitlichen Kontext mit der akuten Existenzbedrohung des Reichsstands durch Gustav Adolf und die schwedi- schen Truppen (Schlacht bei Rain am Lech, Belagerung von Ingolstadt und Besetzung

64 Vgl. Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 716 f.; ferner Sven Externbrink, Le cœur du monde. Frankreich und die norditalienischen Staaten (Mantua, Parma, Savoyen) im Zeitalter Riche­ lieus (1624−1635), Münster 1999 (Geschichte 23), S. 137, 186, 203. 65 Vgl. folgende Belege: Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1632 Januar 31), in: NBD IV/5 (wie Anm. 19), S. 152 f. (Maximilian „è stata necessitata di venire a tale accordo per mezo di Francia [Vertrag von Fontainebleau] per non havere presentaneamente forze di potere resistere alla potenza del Sveco, quale volendo petrebbe spogliarlo di tutto il suo Stato“); Ciriaco Rocci an Francesco Bar- berini (Wien, 1632 April 17), in: ebd., S. 231 („Il duca di Baviera è in gran pericolo di perder lo Stato“); Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1632 Mai 29), in: ebd., S. 280 („Grand’obbligo deve haver la Casa d’Austria al s. duca di Baviera, poiché S. A. ha posto in rovina tutto il suo Stato per servitio dell’imperatore“); Girolamo Grimaldi an Francesco Barberini (Wien, 1633 April 9), in: ebd., S. 780 (der Kaiser möchte Maximilian unterstützen „col motivo di perservare quello Stato dall’heresia“); Giro- lamo Grimaldi an Francesco Barberini (Wien, 1633 Mai 28), in: ebd., S. 874 (Maximilian „sarà in peri- colo di vedere rovinato lo Stato suo“); Francesco Barberini an Girolamo Grimaldi (Rom, 1633 August 27), in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. 143 (der Papst lobt den Willen des Kaisers, „i Stati di Baviera“ zu verteidigen); Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1634 Mai 27), in: ebd., S. 408 f. („Risposi a S. M. di sapere, … che l’A. S. asseriva con giuramento di trovarsene esaustissimo e di havere lo Stato suo al tutto rovinato e per l’hostilità del nemico“).

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Münchens durch die Schweden, Flucht der kurfürstlichen Familie nach Braunau). Deutlich zeigt sich auch ein Reflex auf die bayerische Annäherung an die franzö- sische Krone. Es war gewissermaßen der Geist von Fontainebleau, der die Federn der Nuntien dirigierte. Dass der terminologische Usus programmatischem Kalkül gehorchte, lässt nicht zuletzt der Vergleich mit anderen Wortprägungen erkennen: Die Bezeichnung „Stato di Baviera“ rangierte zumindest zu Beginn der 1630er Jahre weit vor neutraleren Attributen wie „provincia“. Die ebenfalls denkbaren Zuschrei- bungen „ducato“ und „principato“ tauchen überhaupt nicht auf, auch wenn Maximi- lian selbst regelmäßig als „duca“ und „principe“ ins Gespräch gebracht wird, was in der diffizilen diplomatischen Umwelt des Kaiserhofs freilich kaum als Verstoß gegen das Zeremoniell und seine begrifflichen Distinktionen gelten konnte. Wesentlich schwieriger verhielt es sich hingegen mit dem Wortpaar „elettore“ und „elettorato“. Wie bereits erwähnt, setzten sich die päpstlichen Gesandten beim Kaiser nachdrücklich für die dauerhafte (‚perpetuierliche‘) Übertragung der 1623 Maximilian nur ad personam gewährten pfälzischen Kurwürde an das Haus Bayern unter dem Schlagwort des „elettorato perpetuo“ ein.66 Tatsächlich wurde das kai- serliche Zugeständnis ihrer Erblichkeit von Maximilian 1628 erreicht, unter maßgeb- lichem Zutun des damaligen Wiener Nuntius Carlo Carafa.67 Dennoch war klar, dass man sich hier einer Terminologie bediente, die leicht als Provokation empfunden werden konnte. Das zeremonielle Reden mit und über den bayerischen Herrscher hatte zwar auf dessen neu gewonnene Dignität als Kurfürst mit standesgemäßer Titu- latur zu reagieren (in der Anrede als „Sua Altezza“).68 Gleichwohl waren die Nuntien bestrebt, mit Rücksicht auf fortbestehende Reserven des Kaisers, auf massive Vorbe- halte anderer Reichsstände (vor allem der protestantischen wie Sachsen) und aus- wärtiger Kronen (etwa der spanischen Habsburger) die Vorläufigkeit der wittelsba- chischen Rangerhöhung zu akzeptieren – vorbehaltlich einer endgültigen, alle Seiten zufriedenstellenden Regelung. Diese sollte bekanntlich erst mit der Schaffung einer neuen (achten) Kur für die restituierte Pfalz durch den Westfälischen Frieden von 1648 im reichsrechtlich verbindlichen Sinn eintreten.69

66 Vgl. etwa Malatesta Baglioni an Francesco Barberini (Wien, 1635 Mai 26), in: NBD IV/7 (wie Anm. 19), S. 344 („elettorato perpetuo“); dazu schon vorher das Memoriale von P. Valeriano Magni OFM Cap (1586−1661) von Anfang 1634, in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. 620−625, hier S. 625 (Bayern müsse bei dem dauerhaften Genuss der Kurwürde belassen werden „riguardo alli meriti et alle ragioni dell’elettor di Baviera“). 67 Vgl. Rotraud Becker, Einleitung, in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. XXX−XXXIX; zuletzt Braun, Imagines imperii (wie Anm. 26), S. 65. 68 Vgl. dazu R. Dauser, Ehren-Namen. Herrschertitulaturen im völkerrechtlichen Vertrag 1648−1748, Köln-Weimar-Wien 2017 (Norm und Struktur 46). 69 Vgl. Braun, Percezione (wie Anm. 26), S. 147, 168 f.; zum Hintergrund ausführlich: Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 539−580; Brockmann, Dynastie (wie Anm. 35), S. 225−235.

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So bot die Formel vom „Stato di Baviera“ einen eleganten Ausweg aus der „mons- trösen“, für italienisches Temperament nicht immer leicht durchschaubaren Begriffs- dialektik des Heiligen Römischen Reichs. Dabei gingen die Nuntien von der direkten Übertragbarkeit staatsrechtlicher Normativität aus dem Italienischen ins Deutsche, aus der Staatenwelt der Halbinsel in den nordalpinen Territorialkosmos aus: Der „Stato di Baviera“ war dann so etwas wie der Stato di Milano. Oder genauer formu- liert: Nicht ohne intellektuelle Kühnheit setzten die Wiener Emissäre des Heiligen Stuhls stillschweigend diese Möglichkeit voraus. Hinterrücks werteten sie damit die bayerische Landesherrschaft, also eine lehensabhängige Form von Staatlichkeit, zu einem italienischen „Stato“ auf – mit allem, was im zeitgenössischen Verständnis dazu gehörte, so vor allem der Kompetenz des regierenden Fürsten, selbständig über Krieg und Frieden zu entscheiden, nach Gusto Bündnisse mit auswärtigen Großen einzugehen, kurzum: über so etwas Ähnliches wie Souveränität zu gebieten.70 In den Kreisen der Wiener Nuntiatur kursierte eine solche (speziell dem bayerischen Territo- rialstaat zuneigende) Lesart der Reichsverfassung schon seit Längerem. Carlo Carafa hatte sie bereits Ende der 1620er Jahre in einer größeren Abhandlung, der für den internen Dienstgebrauch der Kurie bestimmten „Relazione dello stato dell’Imperio“, vertreten.71 Unter Rückgriff auf Überlegungen bei Jean Bodin und Hugo Grotius ging

70 Die Nuntien verwenden „Stato“ ausdrücklich im Sinn von „republica“ (respublica). Die eben- falls denkbare Übersetzung ‚Zustand‘ oder ‚Beschaffenheit‘ („condizione“) ist hier nicht gemeint. Vgl. zu den Begriffen von Staat und stato im deutsch-italienischen Verständnishorizont des 17. und 18. Jahrhunderts aus lexikalischer Perspektive: Matthias Kramer, Das herrlich=Grosse || Teutsch- Italiaenische || DICTIONARIUM, || Oder || Wort- und Red-Arten-Schatz || Der unvergleichlichen || Hoch- teutschen Grund- und Hauptsprache … / IL GRAN || DITTIONARIO || REALE, || TEDESCO-ITALIANO, || cioè || TESORO || Della Lingua Originale ed Imperiale || TEUTONICA, ò ALTA-GERMANICA, || …, Bd. 2 …, Nürnberg: Johannes Andreas Endter 1702, S. 912 (s. v. Stat/Staat: Stato, Republica); aus Sicht der Verfassungstheorie (etwa im Sinn von Macchiavelli): Maurizio Viroli, Dalla politica alla ragion di stato. La scienza del governo tra XIII e XVIII secolo, Roma 1994 (Saggi. Storia e scienze sociali), S. 3−18; in der zeitgenössischen Rezeption: Schnettger, Impero romano (wie Anm. 26), S. 63 f., 71; ders., „Principe sovrano“ oder „civitas imperialis“? Die Republik Genua und das Alte Reich in der frühen Neuzeit (1556‒1797), Mainz 2006 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 209 = Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 17), hier S. 183−222; Stefano Andretta, L’Impero dopo l’abdicazione di Carlo V e dopo la Pace di Westfalia in alcune testimonianze memorialistiche romane, in: Schnettger/Varga (Hg.), L’Impero e l’Italia (wie Anm. 26), S. 153−178. 71 Vgl. Joseph Godehard Müller, Carlo Caraffa Vescovo d’Aversa. Relatione dello stato dell’imperio e della Germania fatta dopo il ritorno della sua nuntiatura appresso l’imperatore 1628, in: Archiv für österreichische Geschichts-Kunde 23 (1860), S. 101−450. Teile dieser Relation flossen in Carafas gedruckte Reformations- und Reichsgeschichte ein („Commentaria de Germania sacra restaurata“, 1630, weitere Aufl.: 1639, 1641, 1748 und 1769). – Zu Carafa (1584−1644), von 1621 bis 1628 römischer Gesandter am Kaiserhof, und seinem Werk vgl. Georg Lutz, Carafa, Carlo, in: DBI, Bd. 19, Roma 1976, S. 509−513 (URL: http://www.treccani.it/enciclopedia/carlo-carafa_res-ee7b4d7e-87e9-11dc-8e9d- 0016357eee51_%28Dizionario-Biografico%29/; 26. 1. 2018); Braun, Imagines Imperii (wie Anm. 26), S. 66‒71, 80 f.; ders., Kaiserhof, Kaiser und Reich in der „Relazione“ des Nuntius Carlo Carafa (1628),

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der versierte Jurist und Deutschlandexperte von einem mehrschichtigen System der monarchischen Autorität im Reich aus: Demnach gebühre zwar dem Kaiser der abso- lute Vorrang; die Regierungsgewalt könne aber ohne den Anteil der Fürsten und der sie repräsentierenden Gremien (Reichstag, Reichskreise, Deputationstage) nicht zur vollen Entfaltung kommen. Der gedankliche Schritt zur Vorstellung einer shared sovereignty – mit eigenstaatlicher Kompetenz und außenpolitischem Bündnisrecht auch der Reichsterritorien – war von hier aus nicht mehr weit.72 In den gleicherma- ßen von politischem Argumentationsbedürfnis sowie gelehrtem Interesse bestimm- ten Sprachregelungen der Nuntiatur deutet sich also ein weitreichender Diskurs- prozess an. An dessen Ende sollte nichts weniger als die Integration Bayerns in die völkerrechtliche Textur, in die abendländische société des princes, in die Fürsten- und Staatengemeinschaft des barocken Europa stehen.73 Intellektuelle Arbeit am Begriff in Form von sprachlicher Klassifikations- und Translationsleistung aus dem Deut- schen in das Italienische, dem vorherrschenden Idiom der Diplomatie auch noch im 17. Jahrhundert,74 lieferte dafür den methodischen Ansatzpunkt. Indes forderte diese begriffspolitische Strategie Mut und Standvermögen. Auf dem glatten diplomatischen Parkett des Wiener Hofs traf sie keineswegs auf einhel- lige Zustimmung, gerade weil sie von den unterschiedlichen Akteuren in ihrer politi- schen und rechtlichen Brisanz klar erkannt wurde. Den Franzosen spielte die kuriale Wortwahl natürlich in die Hände. Denn sie deckte sich ja mit deren Bemühungen, mit Maximilian außenpolitisch ins Geschäft zu kommen und sein Land aus der Solidari- tät des Reichsverbands herauszulösen oder doch wenigstens zur Neutralität zwischen

in: Richard Bösel/Grete Klingenstein/Alexander Koller (Hg.), Kaiserhof – Papsthof (16.−18. Jahr- hundert), Wien 2006 (Publikationen des Historischen Institutes beim Österreichischen Kulturforum in Rom, Abhandlungen 12), S. 77−104, hier besonders S. 99‒103. 72 Maßgeblich dazu jetzt: Guido Braun, Akteure, Medien und Institutionen in den Prozessen von Wissensproduktion über das Reich an der römischen Kurie in den 1620er Jahren. Nuntius Carlo Ca- rafa und die Propaganda Fide-Kongregation, in: Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger (Hg.), Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert. Wissenskonfigurationen – Akteure – Netzwerke, Bielefeld 2018 (Mainzer Historische Kulturwissenschaften), S. 207‒242; ders., Imagines imperii (wie Anm. 26), S. 82‒91; ders., Percezione (wie Anm. 26), S. 145−163; ders., Kaiser- hof (wie Anm. 71), S. 99‒103. 73 Vgl. dazu Lucien Bély, La société des princes, XVIe−XVIIIe siècle, Paris 1999; Wolfgang Rein- hard, Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den An- fängen bis zur Gegenwart, München 22000, S. 377−379. 74 Vgl. Matthias Schnettger, Auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit? Die Rolle der Italiener und des Italienischen in der frühneuzeitlichen Diplomatie, in: Martin Espenhorst (Hg.), Frieden durch Sprache? Studien zum kommunikativen Umgang mit Konflikten und Konfliktlösungen, Göttingen 2012 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Abteilung für Universalgeschichte 91), S. 25‒60, hier S. 26−32; Guido Braun, Französisch und Italienisch als Sprachen der Diplomatie auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Annette Gerstenberg (Hg.), Verständigung und Diplo­ matie auf dem Westfälischen Friedenskongress. Historische und sprachwissenschaftliche Zugänge, Köln-Weimar-Wien 2014, S. 23‒65, hier S. 25‒35, 58‒62.

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den Kontrahenten zu bewegen. Die spanischen Gesandten hingegen bekämpften nachdrücklich alle kurialen Initiativen zur Statusmehrung Bayerns. Sie vermuteten dahinter eine von langer Hand geplante List Maximilians: Er wolle die Autorität des Heiligen Stuhls ausnutzen, um sich auf Kosten von Kaiser und Reich, ja sogar der gemeinsamen katholischen Sache, Vorteile zu verschaffen, so lautete der Vorwurf. Die Wiener Korrespondenzen sind daher von der Klage über das Verhalten der Spanier erfüllt. Sie monieren die gegen Maximilian beständig ausgestreuten „gelosie“ ebenso wie die Versuche, „di tener basso Baviera“.75 Selbst nachdem es unter der tatkräfti- gen Mithilfe von Grimaldi und Rocci im Sommer 1633 zu einer Wiederannäherung zwischen Madrid und München gekommen war – im Rahmen der in Wien mit großer Aufmerksamkeit verfolgten Mission des spanischen Gelehrten Diego de Saavedra y Fajardo nach Bayern76 –, verstummten die Misstöne nicht. Was machte die bayerische Diplomatie aus dem offensichtlich so schwierigen Geschenk des Papstes? – Sie ging mit der an sich hoch willkommenen Gabe äußerst behutsam um. Maximilian bestand darauf, jeden Anschein von normwidrigem Ver- halten dem Kaiser gegenüber zu vermeiden. An seiner Reichstreue sollte und durfte kein Zweifel aufkommen. Gleichwohl wusste er die Handlungsspielräume, die ihm die Anmutungen der Wiener Nuntien eröffneten, konsequent im Sinn bayerischer Staatsräson zu nutzen. Dies zeigt sich in nahezu allen Belangen, bei denen Maxi- milian seine Position gegenüber Ferdinand II. durchsetzen wollte, in der Frage der Subsidien, bei der militärischen Unterstützung gegen die Schweden ebenso wie in der Kur- und Pfalzfrage, nicht zuletzt bei seiner Werbung um die Hand der Kaisertochter Maria Anna von Österreich: Das bayerisch-österreichische Ehebündnis sei als leuch­ tendes Beispiel für die vom Papst so dringend gewünschte Eintracht „fra tutti principi cattolici“ zu sehen – so ließ Maximilian im Frühjahr 1635 über den Nuntius den spa- nischen und französischen Kritikern der Heiratsverbindung im diplomatischen Corps

75 Vgl. zu den Zitaten: Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1634 Oktober 28), in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. 526 (über die Eifersucht der spanischen Gesandten auf Bayern, „havendone le solite loro gelosie …, anzi nell’intrinseco vorrebbono vederlo [Maximilian] ridotto nello stato in che sono gli altri principi di Germania“); Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wiener Neustadt, 1635 Januar 27), in: NBD IV/7 (wie Anm. 19), S. 153 („li Spagnuoli hanno messo in testa all’imperatore diverse gelosie“); P. Alessandro an Francesco Barberini (Wiener Neustadt, 1634 Dezember 22), in: ebd., S. 664 („questo è il fine de Spagnuoli: particolarmente di annulare la Lega Catt[olica] e tener basso Baviera“). – Siehe dazu Hildegard Ernst, Madrid und Wien 1632−1637. Politik und Finanzen in den Beziehungen zwi- schen Philipp IV. und Ferdinand II., Münster 1991 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 18), S. 51 f. 76 Vgl. Francesco Barberini an Ciriaco Rocci (Rom, 1633 Juni 11), in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. 30; Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1633 Juli 23), in: ebd., S. 91; Francesco Barberini an Giro- lamo Grimaldi (Rom, 1633 August 27), in: ebd., S. 143 f.; Ciriaco Rocci an Francesco Barberini (Wien, 1633 September 17), in: ebd., S. 162 („il Saiavedra è molto ben veduto da S[ua] A[ltezza] [Maximilian]“); zum Hintergrund: Rotraud Becker, Einleitung, in: NBD IV/6 (wie Anm. 19), S. XXX−XXXIII; ferner Albrecht, Maximilian (wie Anm. 14), S. 854 f.

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am Wiener Kaiserhof ausrichten.77 Immer neu und nicht ohne Erfolg brachte sich der Quasi-Souverän des „Stato di Baviera“ mit der Schützenhilfe Roms als zuverlässiger, daher angemessen zu dotierender Parteigänger des Kaisers ins Gespräch. Und was bedeutet diese Erkenntnis für die historische Interpretation des baye­ risch-römischen Verhältnisses um 1630? – Sicherlich ist es zutreffend, Bayern als Division des Papstes zu bezeichnen. Richtig ist aber auch der dialektische Umkehr- schluss: Der Papst agierte als Divisionär zugunsten Bayerns. Dafür zahlreiche neue Belege bereit zu stellen, darf als wesentliches Verdienst der nun abgeschlossenen vierten Editionsreihe zu den Nuntiaturberichten vom Kaiserhof gelten.

77 Malatesta Baglioni an Francesco Barberini (Wien, 1635 Mai 12), in: NBD IV/7 (wie Anm. 19), S. 313.

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