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/ Stan kenfon

ein p ortrat

von dr. d ie t r ich schulz - k o hn

peg osus veri n g we t z i n r bucherei 9 Herausgeber: Hans H. Reinfeldt Einbandentwurf: Hans Hermann Hagedorn, Hamburg Bildnachweis: Dr. Schulz-Kohn: 1, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9,10,11,12,14,16 E!ektrola:2 Rias-Rudoiph: 13 Susanne Schapowalow: 15

Gedrucktl961 Alle Rechte besitzt der Pegasus Verlag, Wetzlar Abdrucke, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung des Verlages Gesamtherstellung: H.G.G achet&Co., Langen, Bez.Ffm. PRO UND CONTRA KENTON

Kaum eine Personlidikeit der Jazzgesdiidite ist gleidizeitig von Fans wie von Musikern und Kritikern auf der einen Seite so ge- ehrt, geaditet und bewundert, auf der anderen Seite aber ver- aditet, gehafit und verurteilt worden wie . Nidit zu unredit wurde den Jazzbegeisterten oft der Vorwurf gemacht, dafi sie nur Superlative kennen, sei es im Lob oder im Tadel. Fast alle sind sich einig in der Ablehnung etwa von Mezz Mezzrow und dem Casa Loma Orchester — obwohl es gerade bei letzterem eine Anzahl positiver Punkte gibt, die aus Gerechtigkeitsgriinden her- vorgehoben werden miifiten —, aber die meisten Jazznamen wer- den doch bedingungslos anerkannt und in den Himmel gehoben. Dieser Einseitigkeit und Blindheit ist es zuzusdireiben, wenn die Bezeichnung .Fan" als Ableitung von .fanatisch" leider nur zu recht besteht. Stan Kenton bildet da eine Ausnahme. Sein Name und seine Musik, soweit sie aus den Jahren 1946 bis 1953 stammt, kann heute noch die Gemiiter erhitzen. Aber gerade die Kontroversen sind es, aus denen die Freunde der Jazzmusik lernen konnen, mit deren Hilfe sie tiefer in die Materie eindringen und sidi der Musik selber be- wufit werden. Man mag zu Kenton stehen wie man will, sein Platz in der Jazzgeschichte ist gesichert, er ist inzwischen eine histori- sche Erscheinung geworden. Nadi dem Konzert Kentons in der .Carnegie Hall" in New York i . J. 1957, das im Fadiblatt .Variety" als grofier kiinstlerisdier und finanzieller Erfolg bezeichnet wurde, schrieb Kritiker George Si- mon in .Metronome": .Das Ordiester, das vorziiglich spielt, leidet unter einer neurotischen Auffassung des Jazz, vielleicht der Musik uberhaupt. Was sie spielen, ist mechanisdi konstruiert aus den Klangen von Bartok bis zur Bongotrommel und ohne offensichtlidies Gefiihl fiir den Jazz." — Mezz Mezzrow sagt in seinem Beitrag zu dem Buch .Concerning Jazz" von Sinclair Traill (Faber Popular Books, London 1958), der .In the Idiom"

5 iibersdirieben ist, iiber Kenton: .Wenn er solche Gerausdie wie die von Frank Rosolino als Jazz bezeichnet, so stellt er sich als Idiot hin! Kenton soUte das Wort ,Jazz' aus seinen Programmen heraus- lassen. Ich habe nidits gegen Leute, die Musik lieben, die kein Jazj ist, und von mir aus kann Kenton seine Musik spielen, bis die Wasserstoffbombe fallt, aber er soil sie nicht als .Progressiven Jazz" bezeichnen. Die Musik mag progressiv sein, aber sie ist kein Jazz!" (Mezzrow bezog sich auf eine AFN-Sendung). Der englisdie Kritiker Stanley Danc^, der inzwischen nadi den USA auswanderte, auCert sidi: .Die Tiir ging auf und das musi- kalische Gedankengut Hollywoods unter der Flagge des ,West- kiisten Jazz' kam herein. Es besteht eine deutliche Parallele zu den Tagen Red Nichols', und diesmal wurde die Rolle Paul Whitemans von Stan Kenton iibernommen, ein Lieferant von nodi iiberheb- lidieren musikalischen Gebraus, dessen wohlorganisierte und hoch- tourige Propagandamasdiine die Massen standig von der Bedeu- tung seiner Musik zu iiberzeugen suchte. Was audi immer ihre Vorziige gewesen sein mogen, sie waren nicht die des Jazz ..." Und an anderer Stelle spricht er sogar vom .Kenton-Zirkus". — Erst kiirzlidi aufierte sidi Gunther Schuller folgendermafien iiber Ken- ton und seine Musik. .Der ganze Kenton-Einflufi war schon seit den letzten vierziger Jahren nicht mehr von Bedeutung. Selbst in den Jahren, in denen Kenton viel von sidi reden machte, sahen die sonstigen Erneuerer des Jazz, also sagen wir Charlie Parker, Thelonious Monk, Miles Davis, John Lewis, Duke Ellington, usw. in Kentons Musik eine wesentlidi oberflachlidie, gekiinstelte, dem eigentlichen Jazz weit entfernte Mechanikmusik, also eine Fassade, die wohl beim ersten Horen dutch prazise und dynamisch erregende Wieder- gabe auf primitivste Art wirkte, aber kurz darauf als leere, hohle Klangkulisse entpuppt werden konnte. Die pratentiosen larmenden Stiicke der . Innovations"-Ara, die Kenton ofters mit den besten Werken Schonbergs und Strawinskys vergleichen wollte, sind mit ein oder zwei Ausnahmen nodi weniger diskutabel."

6 Die Zitate liefien sich fast beliebig vermehren. Die Kritik spradi von Anmafiung und verwies auf einen Titel von ihm, .Concerto to end all Concertos". Sie warf ihm mangelnden Swing vor, Be- vorzugung von Arrangement und Komposition auf Kosten der individuellen Entfaltungsmoglichkeit der Solisten, Vermischung von Jazz und europaisdier Klassik von Debussy und Strawinsky bis zu Bartok, wobei er weder dem einen noch dem anderen gerecht wiirde... — Es gab aber auch Stimmen, die Kentons Musik kriti- scher wiirdigten und in ihrer Objektivitat sogar soweit gingen, dafi sie, als Kenton im Februar 1950 seine .Innovations in Modem Music" begann, erklarten: .Da das wichtige Wort ,Jazz' fehlt, ware es nicht fair, die Musik als solche zu beurteilen." In ihrem Buch .Modem Jazz" (Viktor Gollancz, London 1956) schreiben Mor- gan und Horricks: .Die vier wichtigsten Grofiformationen sind heute die von Stan Kenton, Duke Ellington, und Count Basie" (Woody Herman stellte damals gerade seine .neue dritte Herde" zusammen). Und an anderer Stelle heifit es: .Aus- genommen ,Round Robin' und ,Jolly Rogers', die 1950 in einer Serie von Arrangements fiir Kenton schrieb, gehoren Neal Heftis Instrumentierungen fiir Woody Herman zum ein- dmcksvollsten weifien Big-Band-Jazz, der je bei einer Plattenauf- nahme Leben gewann". Die Mehrzahl der Musiker und Fans hatten eine andere Meinung. Besonders in Europa nahmen sich Big Bands Stan Kenton zum Vorbild: in England Ted Heath und Vic Lewis, in Deutschland Kurt Edelhagen, um nur einige zu nennen. Kenton erklarte, dafi er Briefe aus der ganzen Welt erhalte, die meisten jedoch aus Deutsch- land. 1945 prophezeite .Look", die grofie amerikanische lUu- strierte, Kenton wiirde 1946 zum besten amerikanischen Orchester erklart werden. Es dauerte zwar noch ein weiteres Jahr, aber 1947 gewann er den .Down Beat" Poll zum ersten Mai, und spater fiinf Jahre hintereinander, namlich von 1950 bis 1954. Die Abstimmung der Zeitschrift .Metronome" gewann Kenton von 1947 bis 1949 sowie 1954 und 1956, und im .Playboy"-Poll kam er von 1957 bis

7 1960 alljahrlidi auf den ersten Platz. Mit geradezu iiberwaltigen- der Mehrheit aber wurde Kenton 1954 von den .Downbeat"- Lesern in die .Music Hall of Fame" gewahlt, eine .Ehre fiir die- jenigen, die am starksten zur modernen amerikanischen Musik im 20. Jahrhundert beigetragen hatten". Die Beteiligung daran war die grofite, die .Down Beat" bis dahin zu verzeidinen hatte. Bis dahin waren nur Louis Armstrong und Glenn Miller mit dieser Ehre ausgezeichnet worden. Wo liegt die Wahrheit? Bei den Kritikern? Oder bei den Musikern und Fans? Sie kann nicht gefunden werden, ohne einen Blick auf die Personlichkeit Stan Kentons zu werfen. Wer mit ihm in nahere Beriihrung kam, wird nicht bestreiten, dafi Kenton eine Person- lichkeit ist. Von Hause aus ein Griibler, urspriinglich ein fast schiichterner Junge, kamen bei ihm in all den Jahren trotz aller aufieren Erfolge immer wieder Zweifel zum Durchbruch. Schlag- worte wie .", .progressiver Jazz" und .Inno- vations in Modern Music" geben ein vollig falsches Bild vom Men- schen Stan Kenton, der alles andere als extrovertiert ist. Man kann eher behaupten, dafi er ein Idealist ist, vor allem aber ein Mann, der Grundsatze und Oberzeugungen hat und danach handelt. Als er 1956 die Ergebnisse des .Kritiker-Polls" in .Down Beat" las, schickte er ein Telegramm an die Zeitschrift, in dem er seine . v o l - lige und aufierste Abscheu" iiber das Ergebnis zum Ausdruck brachte. Er behauptete, dafi es jetzt eine neue Minderheit in den USA gabe, namlidi die weifien Musiker. (Bei der Abstimmung wa- ren fast nur Neger mit Stimmen bedacht worden). Das Telegramm brachte eine Flut von Protestbriefen, und Kenton wurde chauvini- stischer pro-weifier Einsteiiung bezichtigt. Es gehort Mut zu sol- chen Aufierungen, aber Kenton hat ihn. Auch in anderen Dingen vertrat er seine Meinung, selbst wenn sie falsch war, unbeirrbar. Dabei wird niemand Kenton vorwerfen konnen, er habe etwas gegen die Farbigen, denn der Negerbassist Curtis Counce spielte jahrelang in seinem Orchester, und gelegentlich auch andere Far- bige wie und Ernie Royal. Aber er hafit Ein-

8 seitigkeit und Ungereditigkeit. Und einmal gegebene Verspredien lost er ein. Der Verfasser entsinnt sidi, dafi ein vollig unbekann- ter junger Frankfurter, er heifit Gunter Hofeditz, Stan Kenton 1953 um eine Chance bat, in die USA zu kommen. Kurz dar- auf erreidite ihn eine Einladung aus Los Angeles, und Hofeditz war jahrelang Reiseleiter der Band (er ist heute in gleidier Eigen- sdiaft beim .Modern Jazz Quartet"). Bei anderer Gelegenheit aufierte ein junger Rundfunk- und Radiotediniker Kenton gegen- iiber den Wunsch, Amerika kennen zu lernen; er hat heute eine Anstellung in Kanada durch die Hilfe Kentons. Wer ein bifichen die Mentalitat der Amerikaner kennt, die durch die schnelle Ent- widklung des Landes bedingt ist, weifi, dafi nur allzu oft das Sprichwort .aus den Augen, aus dem Sinn" auf ihre Aufierungen angewendet werden mufi. Stan Kenton ist ein Mann, der stets ver- sucht hat, den Mitmenschen zu verstehen. Schon als junger Mann war er zuriickhaltend und ein guter Zuhorer. Die Folge war, dafi viele mit Noten und Problemen zu ihm kamen. Das blieb auch so, als er schon Bandleader war. Aus dem schlaksigen, hodi aufgeschos- senen jungen Mann war eine Autoritat geworden. Aber er iibte sie niemals als Diktator aus. Er war zwar kritisdi und gab seine hoch gestellten Anspriiche nicht auf, aber ihm kam es mehr auf gute Ergebnisse an als darauf, zu dominieren. Es war oft riihrend mit anzusehen, wie Kenton auch um das leibliche Wohl seiner Musiker bemiiht war. Der Verfasser hat es selbst miterlebt bei einer lange- ren Uberlandfahrt in Deutschland, als Lennie Niehaus vom Un- wohlsein geplagt wurde, dafi Kenton den Bus halten liefi und hochstpersonlich dutch die Strafien lief, um eine Apotheke zu suchen. Und als er sich an der Westkuste einen Namen gemacht hatte und 1941 ein Engagement im .Roseland Ballroom" in New York bekam, forderte er seine Musiker auf, ihre Familien mitzu- bringen. Ergebnis: adit Ehefrauen, fiinf Kinder und viele Haus- tiere fuhren mit der Band nach New York. Er wollte seine Manner zufrieden und glijcklich sehen. Stan Kenton selber war gliicklich, wenn seine Musik im Arrangement und solistisch gut interpretiert

9 wurde. Aber das konnte man nur aus den Kulissen sehen, wie er iiber einen guten Einsatz, ein praAtiges Solo oder eine gelungene SAlufisteigerung strahlte. Fiir den Horer im Parkett war die Musik vielleiAt zu .progressiv", zu massiv, zu gekiinstelt.

DER SOGENANNTE .PROGRESSIVE JAZZ" Stan Kenton ist vielleiAt der Erfinder dieses Wortes — aber auA das ist ungewifi —, er ist aber keineswegs der alteste Vertreter dieser RiAtung. Es gibt in der GesAiAte eine Reihe von Beispielen fiir die .Duplizitat der Ereignisse", und auA der .progressive Jazz" gehort dazu. Interessanterweise wurde er von weifien amerikani- sAen Musikern kreiert, die aus den Jahrgangen von 1911 bis 1914 stammen, und erlebte eine Art DurAbruA um 1945, als die ganze Welt aus den Fugen geraten war. Der erste und alteste Vertreter dieser RiAtung war Johnny RiAards (geb. 1911 in SAenectady, nordliA von New York), der manAes mit Kenton gemeinsam hat. RiAards Mutter war Pianistin und hatte UnterriAt bei dem Virtuosen Paderewski gehabt. Mit aAtzehn Jahren ging RiAards naA England, wo er fiir die .Gaumont"-GesellsAaft Filmmusik sArieb und instrumentierte. Aus dieser Zeit riihrt seine handwerkliAe BeherrsAung samtliAer OrAesterinstrumente und ihr oft bombastisAer Einsatz her, niAt nur fur herkommliAe JazzorAester, sondern auA angewandt bei Holzblasern, StreiAern und alien Arten von SAlagwerk. RiAards, der eigentllA John Cascales heifit, ging spater als Assistent von Victor Young zur .Paramount" naA Hollywood. DanaA sArieb und arrangierte er fiir Boyd Raeburn und Dizzy Gillespie, sArieb fiir Filme in Mexiko, dann wieder fiir Charlie Barnet. Als er im Kriege zeitweilig eine Band hatte, gehorten Pete Rugolo und Bob Graettinger zu den Mitgliedern. Es konnte niAt ausbleiben, dafi er mit Stan Kenton in Beriihrung kam, 1950 und 1953, als er eine Reihe von Arrangements fiir ihn sArieb. Eigene Aufnahmen gibt es auf .Bethlehem" und .Capitol".

10 Boyd Raeburn (geb. 1913 in South Dakota), hatte 1944 eine Band, die eine ernsthafte Konkurrenz fiir Woody Herman im Raum von New York bedeutete. Sie war die Wiege junger Stars — und haufig das Sprungbrett zum Ruhm fiir Namen wie Sonny Berman, Don Lamond, Johnny Bothweli, Ai Cohn und Earl Swope oder die Farbigen Trummy Young, Benny Harris und sogar Dizzy Gillespie. Raeburn selber spielte zunadist Tenor, seit 1945 Baritonsax und spater Bafisaxophon. Er hob den Titel .Interlude" aus der Taufe, aus dem spater .Night in Tunisia" wurde, mit Gillespie als Solist. Als Raeburn im Mai 1945 an die amerikanisAe Ostkiiste ging, gehorte Duke Ellington zu seinen eifrigsten Forderern. Die Band hatte damals Musiker wie Dodo Marmarosa, Harry Babasin, Serge Chaloff, Steve Jordan, Jackie Mills und Johnny Mandell (Posaune, noA niAt als Arrangeur) in ihren Reihen. Das GesiAt der Band bestimmten die Arrangements von George Handy, der bei Aaron Copeland studiert hatte, mit Titeln wie .Boyd Meets Strawinsky", .Tonsillectomy" und .Dalvatore Sally" (urspriingliA auf .Jewel" aufgenommen, der Marke von Ben PoUaA, spater von .Savoy" ubemommen). AuA Johnny RiAards steuerte eine Anzahl Arrange- ments zur Notenmappe von Boyd Raeburn bei. Ende August 1947 wurde das OrAester aufgelost. Uber Earle Spencer als Leiter eines progressiven OrAesters ist bei uns so gut wie niAts bekannt. Er war ebenfalls an der Pazifik- kiiste Amerikas tatig; es gibt eine Langspielplatte auf .Tops" von ihm, die teAnisA und musikalisA unzureiAend ist und die auA keine weite Verbreitung gefunden hat.

Bobby Sherwood (geb. 1914 in Indianapolis) begann als Gitarrist und sprang bei Bing Crosby fiir den verstorbenen Eddie Lang ein. Spater betatigte er siA als Trompeter, Komponist und Bandleader und hatte mit einer semi-Dixielandnummer (.Elk's Parade") grofien Erfolg. Als die Marke .Capitol" ihm Gelegenheit gab, folgte er dem Zuge der Zeit und versuAte siA in progressivem Jazz. Uber .Sherwood's Forrest" bemerkt Alun Morgan, es hore slA wie eine

11 ausfiihrliAe Einleitung zu einem Hauptstuck an, das niAt in Er- sAeinung tritt. Als Stan Kenton 1949 zuriiAgezogen lebte, sah siA die Firma .Capitol" sAon naA einem NaAfolger um, denn das SAlagwort vom .progressiven Jazz" hatte siA als zugkraftig und umsatzstei- gernd erwiesen. Sie glaubte, ihn in Charlie Barnet (geb. 1913 in New York) gefunden zu haben. UrspriingliA ein Swingmusiker mit besonderer Vorliebe fiir Ellington und Arrangements von Billy May, stellte er 1948/49 eine neue Big Band zusammen, in der einige ex-Kentonmusiker wie Ray Wetzel und Eddie Safranski spielten, ferner moderne Musiker wie Tiny Kahn (d), Claude Williamson (p) und . Als Barnet seine Trompete in .All The Things You are" herausstellte, veranlafiten die ReAts- naAfolger des Komponisten Jerome Kern die ZuriiAziehung der Platte. Titel in ken t o n ' s A e r Manier sind: Over The Rainbow (arr. Tiny Kahn), Overtime, Lonely Sunday (beide arr. Pete Rugolo), Really, Claude Reigns. Bei grofiziigiger Auslegung des Wortes .progressiv" kann man auA eine Reihe von Aufnahmen Woody Hermans dazureAnen. DoA bleibt der Begriff im Jazz identisA mit dem Namen Stan Kenton, seitdem er im A p r i l 1947 die ersten Titel aufnahm, auf die siA diese BezeiAnung anwenden lafit. Die Duplizitat der Ereignisse bewahrheitete siA aber keineswegs allein in der fast gleiAzeitigen Entstehung mehr oder weniger .progressiver" OrAester, sie zeigt siA auA in der Entstehung zweier Stilarten an den entgegengesetzten Enden des Kontinents, den Amerika darstellt. Wahrend an der Westkuste mit dem Zent- rum Los Angeles — Hollywood siA der experimentelle grofi- orAestrale Jazz anbahnt, voUzieht siA im Osten, in New York, die Revolution des Bebop. Sie erfolgt zeitliA sogar sAon etwas friiher als die neue Bewegung im Westen, aber durA das Auf- nahmeverbot der AFM, der amerikanisAen MusikergewerksAaft, das vom Sommer 1942 bis zum Herbst 1943 wirksam war, war eine gegenseitige Beeinflussung unmogliA. Dafi spater ein AustausA

12 stattfand, haben Keepnews und Grauer in ihrem Bildband „A Pic- torial History of Jazz" (1955 bei Crown Publishers in New York) erwahnt, auA geniigt ein Hinweis auf die jungen Musiker in den Bands von Herman, Raeburn, Barnet usw.; bei Kenton werden wir ihnen und neuen wiederbegegnen. Wahrend die Revolution des Bop eine musikalisA-kiinstlerisAe war, die siA auf funf Ebenen erstreAte, namliA: Melodic, Harmonic, Rhythmus, Klang und sAliefiliA Virtuositat (die allerdings niAt kiinstlerisA zu sein brauAt), waren die Neuerungen des progressiven Jazz mehr aufier- musikalisAer Natur, wenn ihr auA kiinstlerisAe Ambitionen und Erfolge niAt abzuspreAen sind. AuA hier wieder fiinf BereiAe; doA bevor wir naher darauf eingehen, ein paar Worte zum Wort .progressiv". Es handelt siA hier um eine ausgesproAen ungliiAliAe Wortbil- dung, die die AbsiAten und Ziele Kentons unter vollig falsAem BliAwinkel ersAeinen lassen mufi. Denn es gibt keinen „Fort- sAritt" in der Kunst. Dies ist ein Begriff, der in das Gebiet der TeAnik gehort, wo man sAnellere Flugzeuge, komfortablere Autos und praktisAere KiihlsAranke und WasAmasAinen siAer als einen FortsAritt bezelAnen kann. Der Gedanke, dafi ein spa- terer Kiinstler .fortsArittliAer", d. h. .besser" als ein vorangegan- gener sei, lafit siA leiAt ad absurdum fuhren. Dann miifite Beet- hoven besser als BaA, und Brahms wieder fortsArittliAer als Beet- hoven gewesen sein. Auf andere Kunstgebiete, etwa die Malerei, liefie siA das gleiAe anwenden. In der Kunst gelten andere Mafi- stabe, und diese haben durAaus niAt immer etwas mit TeAnik, Perfektion oder auA Stil zu tun. Ebenso wenig wie die Romantik besser oder sAleAter als der Impressionismus ist, ebenso wenig ist der Cool-Jazz besser oder sAleAter als etwa der Dixieland. Die Stile sind nur anders, und sie miissen naA ihren eigenen Gesetzen, AbsiAten und ihrem AusdruAswillen beurteilt werden. Es ware besser und zutreffender und auA verstandliAer fiir die neue Spielweise und ihre AbsiAten, man wiirde an die Stelle des Wortes .progressiv" das Wort von der .Ausdehnung (oder Er-

13 weiterung) des Jazz-Rahmens" setzen. Diese vollzog siA auf fiinf Gebieten, und zwar zum Teil naAeinander, tells aber auA glelA- zeitig nebeneinander und ineinander iibergreifend. SAon am Anfang seiner Karriere bekam Stan Kenton immer wie- der zu horen, er soUe doA weniger .Originals" spielen und mehr SAlager, Standards und Evergreens in sein Repertoire aufnehmen, Da aber Kenton nur naA seiner inneren Uberzeugung handelte, halt er bis heute noA an den Spezialkompositionen, eben den .Originals" fest, ebenso wie er spater haufig unter VerziAt auf finanziellen Gewinn bei seiner kiinstlerisAen Konzeption in der Programmgestaltung blieb. NatiirliA war Kenton niAt der erste und einzige, der fiir sein OrAester komponierte und instrumen- tierte und spater Heifer dafiir heranzog. Duke Ellington ist hier und fiir andere noA folgende Punkte der grofie Vorganger, wie er iiberhaupt fiir viele Jazzregeln die Ausnahme und oft genug die Einmaligkeit darstellt. Aber bei Stan Kenton hatte diese primare Einsteiiung doA noA weiterreiAende Folgen. Erweiterte er das thematisAe Material, so dehnte er auA die Spieldauer aus. Ein im Grunde wohlmeinender Kritiker am Jazz aufierte einmal auf ge- hassige Weise, der Jazz sei .die Kunst der drei Minuten" (das war friiher die Spieldauer einer normalen SAellaAplatte). Da Kenton ohnehin spater davon traumte, nur noA Konzerte zu geben und niAt zum Tanz zu spielen, und das etwa vier Monate im Jahr, um in der iibrigen Zeit seinen Musikern Gelegenheit zu geben, bei ihren Familien an der Westkiiste zu bleiben, wahrend neue Dinge aus- probiert, zusammengestellt und geprobt werden sollten, so war der naAste SAritt niAt mehr weit. Es soil niAt unerwahnt bleiben, dafi beispielsweise bei der Ausdehnung der Spieldauer die Erfin- dung der LangspielteAnik Kenton zu Hilfe kam. Aber auA der SAritt zu einer Verbindung mit der sog. .klassisAen" Musik lag nahe. Von hier aus kommen auA all die Bemuhungen zu erweiter- ten Formen, konzertanten Darbietungen und anderen ErsAeinun- gen im Jazz, wie sie heute bekannt und gelaufig sind. Ein zweiter Punkt ist die Neubelebung des RhythmisAen, das durA

14 Kenton starke Impulse erfuhr. FreiliA war er auA hier niAt der erste. AuA hier bereitete Ellington den Boden mit .Caravan", .Pyramid" u. a. Themen vor, und die Bopmusiker spielten gern mit Bongotrommlern zusammen. SAon bei seiner ersten Aufnahme- sitzung fiir die .Decca" (in DeutsAland .BrunswiA" bzw. .Crammophon") spielte Kenton von vier Titeln Aei mit latein- amerikanisAen BezelAnungen: Taboo, AAos und The Nango, und gleiA danaA nahm er .Lamento Citano" auf. In seiner .progres- siven" EpoAe tritt dies wieder besonders stark hervor. Wir finden Titel wie: MaAito, Peanut Vendor, Bongo Riff, Cuban Carnival, Holiday in Brazil. Zu seiner Rhythmusgruppe gehoren ein Spieler fiir Maracas und einer fiir Bongos. Ja, 1953 fiigt er den herkomm- liAen Cruppen — Trompeten, Posaunen, Saxophonen und Rhyth- mus — sogar noA eine eigene lateinamerikanisAe hinzu, mit Claves, Timbales, Courdes, Maracas, Conga und Bongos. Kenton mufi es gespiirt haben, dafi der afro-kubanisAe Strom versiegte, der noA zu Beginn der JazzentwiAlung ziemliA stark war und siA z. B. bei der kreolisAen Musik, in Tangorhythmen u. a. auswirkte, und ein wesentliAes Element des Jazz darstellte. Kenton war auA einer der ersten, die Musik im Dreivierteltakt m i t Jazzbeat aufnahmen. Der dritte Punkt, er wurde teilweise sAon durA die Erwahnung einer eigenen latein-amerikanisAen Cruppe angesAnitten, betrifft die Ausdehnung und Erweiterung des OrAesterrahmens. AuA das Flirten mit der klassisAen Musik weist darauf hin. In dem OrAe- ster, das die EpoAe der .Innovations in Modern Music" kenn- zeiAnet, finden wir beinahe alle herkommllAen OrAesterinstru- mente: einen .Wald von StreiAern", insgesamt siebzehn; von den Saxophonisten erwartet er, dafi sie Flote, , EnglisA Horn und Fagott spielen. Den BleAsatz erweitert er auf vierzehn Spieler, indem er zu den fiinf Trompeten und fiinf Posaunen noA drei Waldhorner und eine hinzunimmt. Puristen des Jazz haben siA oft an solAen Mammutbesetzungen gestofien. Der Jazz wurde freiliA dadurA niAt besser, dafi Parker, Cillespie und Clifford Brown mit StreiAern aufgenommen haben; aber auA das lag wohl

15 in der Luft, es einmal damit zu versuAen. Es gibt eigentllA nur drei Instrumente, die wir in den Kentonbesetzungen niAt finden: Die Klarinette, die im ganzen Westkiistenjazz uberhaupt niAt auf- tauAt, obwohl auf der .Contemporary"-Platte .Art Pepper & Eleven" zeigt, wie hervorragend er auf diesem Instru- ment ist oder Boyd Raeburn dem jungen Buddy DeFranco einen prominenten Platz in seinem modernen OrAester gab. Da ist ferner das Vibraphon, ein ausgesproAenes Modeinstrument im Jazz unse- rer Tage, auA an der Westkuste zu Hause, (Larry Bunker, Vic Feldman u. a.). Und sAliefiliA die Harfe. Boyd Raeburn ver- wendete sie ebenfalls, und es gibt Musiker(innen) in Hollywood, die wohl in der Lage waren. Jazz darauf zu spielen. Wohl kaum eine Band in der ganzen JazzgesAiAte, erlebte soviel Musiker wie die Kenton-Band. Das ist keineswegs in negativem Sinne gemeint, weder fiir den Leader noA fiir die Musiker. Kenton ist auA niAt so sehr ein EntdeAer neuer Talente, obwohl ihm diese Fahigkeit niAt abzustreiten ist. Er ist vielmehr ihr Forderer. Dies ist der vierte Punkt, und er ist niAt unwiAtig. Wer die amerikanisAen Verhaltnisse kennt, die SAnellebigkeit, die Kon- kurrenz, die wirtsAaftliAen SAwierigkeiten, die Strapazen der .one night stands" einer Tournee, der weifi, was es bedeutet, dafi neben New York ein zweites Zentrum enstanden ist. Dorr konnten Jazzmusiker ansafiig werden und ihr Brot finden. Das ist der zu- sammengehorige Komplex von Los Angeles und Hollywood. Ein fast aussAliefiliAes Verdienst von Stan Kenton. Mit und durA ihn wurde die .Capitol" grofi; kleinere unabhangige Marken wie .Contemporary", .Fantasy", .Pacific", .C-N-P" u. a. folgten. Das bezeiAnete Areal ist heute eine Stadt der Mikrophone. Film- gesellsAaften, Rundfunkstationen, Plattenstudios und das Fernse- hen (man kann zwisAen 9 bis 11 Kanalen wahlen!) brauAen Musiker, und Kenton hat beinah unablassig neue, junge und viel- seitige Talente herangezogen. Und sie sind durA seine .SAule" gut auf diese Arbeit vorbereitet. Denn wahrend in New York ein Jazzmusiker — wenn er zur Spitzenklasse gehort — nur vom Jazz

16 leben kann, ist das einem Musiker in Hollywood niAt mogllA. Er mufi jede Art von Musik beherrsAen: Unterhaltungsmusik, BaA- groundmusik, Begleitmusik fiir Sanger und Sangerinnnen, Musik naA Metern fur den Film; er mufi ein siAerer Blattleser sein und mogllAst auA Instrumente spielen, die im Jazz weniger gebrauA- HA sind. Es gibt eine fast uniibersehbare Zahl von Musikern, die niAt unbedingt bei Kenton angefangen haben miissen, die aber durA ihn auf eine hohere Plattform gelangten und die siA dann in Hollywood sefihaft maAten, um wieder unbekannten, jiingeren Jazzmusikern Platz zu maAen. Es ware miifiig, hier in zehn Gat- tungen — die versAiedenen Instrumente sowie Arrangeure und Sangerinnen — je zehn Beispiele aufzufiihren, es wiirde den Leser nur ermiiden. Die bekanntesten sind: Ray Wetzel, Rogers und die beiden Candoli-Briider, Cooper und Shank, die UnzertrennliAen; Pepper, Mariano, Niehaus, Winding und Rosolino, Berhart und Russo, Kamuca, Montrose, Perkins sowie die Stars Getz, Sims, Holman und Giuffre, der friih verstorbene Bob Gordon sowie Pepper Adams, Safranski, Bagley, Bennet u. a. Bassisten, der Bra- silianer und sein NaAfolger Sal Salvador, , Stan Levey und Mel Lewis, , und viele andere. Den meisten .sidemen" gab Kenton in einer eigenen Serie unter dem Titel .Stan Kenton Presents ..." eine Chance, siA zu ent- falten. Aufier einigen der bereits erwahnten, waren noA Boots MussuUi, Claude Williamson und Serge Chaloff darunter, ja sogar fremde Ensembles wie das Al Belletto Quintett. Dies gesAah in einer Zeit, als es noA niAt gang und gabe war, dafi jeder Instru- mentalist auA einmal Leader sein mufite und ein Quintett oder Sextett in gleiAer Besetzung unter seAs versAiedenen Namen auf ebenso vielen Marken zu horen war. Die .Sidemen" hatten auA in der Wahl der Mitmusiker freie Hand und wahlten haufig KoUe- gen, die niAt bei Kenton spielten, z. B. Eddie Costa, Bob Enevold- sen, Howard Roberts u. a. aus. So kommt es, dafi der Kreis der Jazzmusiker an der Westkuste — abgesehen von dem welter nord-

17 liAen gelegenen San Francisco, das doA immerhin zehn Auto- stunden entfernt ist (hier entstanden Gruppen mit Dave BrubeA, Gal Tjader u. a.) — einen gemeinsamen Nenner hat, der Kenton heifit. Man vergifit das haufig, wenn vom .West Coast Jazz" die Rede ist. NatiirliA gibt es naA dem WaAsen dieses neuen Zent- rums auA Musiker, die wenig oder garniAts damit zu tun haben, meist Farbige wie , Harry Edison, Chico Hamilton, Buddy CoUette, Ben Webster, aber auA Red Norvo, , Les Brown und andere. Der letzte Punkt betrifft den Einsatz teAnisAer Mittel im Dienste der Kunst. Diese sind heute eine SelbstverstandliAkeit geworden, aber Kenton stiefi bei der .Capitol" auf besonderes Verstandnis fiir seine WiinsAe. NaAdem er einen Titel an Hand der Partitur einstudiert hatte, setzte er siA neben den Tonmeister und gab An- weisungen, wie er siA den Klang vorstellte. Denn die Verbreitung der Musik, die aus dem LautspreAer ertont — vom Band, von der Platte, vom Filmstreifen — braAte neue Probleme und eine Wei- terentwiAlung teAnisAer Art, die vielleiAt als einzige eAt .pro- gressiv" ist. Der Musikfreund, der vor dem LautspreAer sitzt, hat einen Platz, wie nirgends im Konzertsaal, weder im Parkett noA auf dem Podium. Es ist mitunter, niAt zu UnreAt, die Frage ge- stellt worden, ob die MisAung durA den Toningenieur niAt eine .VerfalsAung des Originals" sei. Mit einem Satz lafit siA das niAt beantworten. In einer Zeit, die siA so vieler teAnisAer Mittel bedient, wie der unsrigen, ist es nur natiirliA, dafi siA auA unsere Klangvorstellungen andern. Wir bekommen ein anderes Horbild von der Musik, die meAanisA aufgezeiAnet wird (im Cegensatz zur NotenaufzeiAnung). Und fiir den Jazzfreund steht ja ohnehin viel zwisAen den Zeilen. Warum sollte es also niAt auA . Z w i - sAenklange" geben. Kenton war einer der ersten, der bestimmte: .Hier etwas mehr Hall!", .dorr mehr Clanz auf das BleA, und die Saxophone etwas troAener, bitte!" .Der Bafi mufi angehoben werden, und die Hi-Hat mufi heller klingen. Der elektrisAe Strom ist ohnehin aus der Jazzmusik niAt mehr wegzudenken, aber ein

18 zeitgenossisAer englisAer Komponist hat das Vibraphon bereits in der Konzert- und Opernmusik eingesetzt, und vielleiAt baut ein Komponist der Elektronik einmal die elektrisAe Gitarre in das Sinfonie-OrAester ein. Sie ist nun einmal ein Instrument unserer Tage, BaA und Beethoven bedienten siA in ihrer MusikspraAe ebenfalls der verbesserten, damals modernen Instrumente. Es liegt nahe, dafi Technik und Kunst in einer WeAselwirkung stehen. NaAdem der Film urspriingliA als Konkurrent der BUhne angesehen wurde, billigt man ihm heute seine eigenen kiinstlerisAen AusdruAsmittel und eine entspreAende kiinstlerisAe Wirkung zu. So wie der Film eine komplexe Kunst ist, bei der viele Kompo- nenten mitwirken, angefangen vom DrehbuA, Regisseur und den Hauptdarstellern iiber die Rolle der Musik, des LiAtes und der Kamera bis hin zur — meist niAt genannten — Cutterin. So wie er vieles vermag, was die Biihne niAt kann, etwa sAnellen Szenen- weAsel oder iiberrasAende Perspektiven, oder glelAzeitig einen Traumenden zu zeigen und das, was er traumt, so wirken bei einer modernen Musikaufnahme ebenfalls eine Reihe von Komponenten mit, die niAt immer rein musikalisAer Herkunft sind, aber einen kiinstlerisAen Sinn haben. So kann das Mikrophon sAmeiAeIn, verzerren und sAonungslos blofistellen. Alles, was den Handen des Musikers entronnen ist, wird unweigerliA meAanisA festgehalten. Und so, wie man einem freien Redner zugestehen mufi, dafi er ein EinspraAereAt hat, wenn sein Vortrag etwa mitstenografiert wurde in der AbsiAt der spateren DruAlegung und Verbreitung, so mufi man einem Solisten, einem Arrangeur und einem Band- leader das ReAt zugestehen, aus mehreren Aufnahmen ein und desselben Titels, den sog. .takes", die sAleAten Stellen herauszu- sAneiden und die guten Telle zu einem Ganzen .zusammenzu- sAneiden". NatiirliA entsprlAt das niAt der WirkliAkeit und somit vielleiAt niAt der .Wahrheit". Aber es gibt ja noA die andere MogliAkeit, die siA ebenso grofien ZuspruAs erf rent wie eine vollkommene Darbietung, namliA die MitsAnitte von Konzer- ten und Jam Sessions. Ein Mann von dem Perfektionsstreben eines

19 Stan Kenton maAte natiirliA von den neuen teAnisAen Gegeben- heiten ausgiebig GebrauA. Heute ist diese Praxis in jedem Studio iibllA: die KlangmisAung, versAiedene Probeaufnahmen, wie der Produzent siA das Klangbild eines .takes" vorstellt, und sAliefi- liA das ZusammensAneiden. Alle genannten Punkte liefien siA leiAt auf einen gemeinsamen Nenner bringen: die Experimentierfreudigkeit. Mit dem Material und der Spieldauer bis hin zum Konzertformat, mit fremden Rhythmen, mit .neuen" Instrumenten, mit unternehmungslustigen neuen Talenten und mit der TeAnik. Aber das konnte leiAt einen unkiinstlerisAen oder herabwiirdigenden BeigesAmaA bekommen, der bei einer PersonliAkeit von der Integritat Stan Kentons und seinen lauteren AbsiAten niAt angebraAt ist. Niemand wird leug- nen, dafi die Jazzmusik durA das Auftreten Kentons ein gut StiiA vorangekommen ist, dafi er ihr neue Horizonte geoffnet hat und dafi er die Basis verbreitert hat, sowohl, was die Musik als auA die Zahl der ausiibenden Musiker und des interessierten Publikums anbetrifft.

DER WEG STAN KENTONS In dem unbedeutenden StadtAen WiAita (Kansas), im Mittleren Westen der USA, wurde Stanley Newcomb Kenton am 19. Februar 1912 gehoren. Uber Colorado zog die Familie naA Kalifornien, als der Junge, der noA zwei SAwestern hatte, Mae-Mae und Beulah, etwa sieben Jahre alt war. Seine Mutter konnte Klavier spielen, sie gab ihm den ersten UnterriAt, sie sparte auA, um ein Klavier kaufen zu konnen. Von Huntington Park in der Nahe von Los Angeles zog die Familie naA Bell um, als Stan zwolf Jahre alt war. Hier erteilte Frank Hurst ihm regularen UnterriAt, aber im SAulorAester durfte Stan niAt spielen, deshalb versuAte er siA auf mehreren Instrumenten, u. a. auA dem Banjo. Zusammen mit drei SAulkameraden griindete er ein Quartett, die .Belltones", das auf einem Miniatur-Colfplatz spielte. Der Junge war sehr sAeu

20 und zuriiAhaltend; niemand durfte ihm beim Klavierspielen zu- horen, und wenn Gaste kamen, sAliA er aus dem Hause aus FurAt, er konne in die Verlegenheit kommen, etwas vorspielen zu miissen. Aber innerliA besAaftigte er siA unaufhorliA mit Musik. Bald begann er. Flatten zu kaufen und zu studieren. Earl Hines war sein grofies Vorbild. Um weiterzukommen, nahm er bei Tony Arreta UnterriAt im Arrangieren. Neben der SAule nahm er Gelegen- heitsengagements an, fiir 50 Cents plus Trinkgelder in einem Efi- lokal, spater in einem besseren Speiserestaurant am WoAenende. Von seinen Kameraden hielt er siA fern, Sport interessierte ihn niAt sonderliA. Zwar hatte er einmal geniigend Geld beisammen, um ein gebrauAtes Auto kaufen zu konnen, aber er legte es dann in einem Fliigel an. NatiirliA spielte er niAt immer allein, sondern auA in weAselnden, kleinen Ensembles. Die SAule kam dabei manAmal zu kurz; um so mehr erstaunte es ihn, als seine M i t - sAiiler ihn zum Klassenaltesten wahlten. Aber sAon damals ver- stand Stan es, gut zuzuhoren, Vertrauen zu erweAen und trotz innerer UnsiAerheit, Ruhe und Oberlegenheit auszustrahlen. Die SAule lag hinter ihm, er war frei. Stanley nahm den ersten Job an, in San Diego, wo er im .Red Carter Caf6" in einem Sextett spielte. Aber naA anderthalb Monaten paAte ihn das Heimweh, er kehrte zuriiA, spielte im Zentrum von Los Angeles, um bald darauf fiir vier Monate naA Las Vegas zu gehen. Fiir 40 Dollars die WoAe ging er naA Phoenix, wo er ein Jahr bei Francis Gilbert spielte. Dann war er das Provinzdasein leid und kehrte an die Kiiste zuriiA, wo er sofort in NiA Pontrellis 14-Mann-OrAester unterkam. Aber sAon naA zwei WoAen trat ein gewisser Carl FisAer an seine Stelle. Mit Bestiirzung und Arger stellte Kenton fest, wo seine Fehler lagen. Er ging daran, sie auszubiigeln und an siA zu arbeiten. Aber das Leben mufite weitergehen, die Musik war inzwisAen zum Beruf geworden. Er spielte in einigen .Speakeasis" und ging dann zu Frank Whitneys Big Band. Hier lernte er ein Vierteljahr lang das Leben .on the road" kennen. Mit einer Art Revue ging das Ensemble in zwei Bussen iiber Land, von Ort zu

21 Ort, jeden Abend in einer anderen Stadt eine Vorstellung gebend. Aber unterwegs wurde die Truppe aus finanziellen Griinden kleiner und kleiner, um siA sAliefiliA in Salt Lake City aufzulosen. Sogar die Banduniformen mufiten versetzt werden. Stan sAlug siA durA. loste das Versetzte ein und als er genug Celd zusammen hatte, kehrte er naA Los Angeles zuriiA. Hier wartete ein einsAneidendes Erlebnis auf ihn. Es hiefi Everett Hoagland, der eine moderne Band zusammenstellte und tagliA Musiker zum Vorspielen bat. AuA Kenton war darunter. Am lieb- sten hatte er siA wieder aus dem Proberaum gesAllAen, denn er fiihlte siA der Aufgabe niAt gewaAsen, und Hoagland genofi weit und breit gerade in Musikerkreisen einen besonderen Ruf. Als Stan vorspielen sollte, war er verlegen. .Mir fallt niAts ein", erklarte er Hoagland. Aber der beruhigte ihn auf vaterliAe Weise: .Nun komm! Irgend etwas, einen Lauf, ein paar Takte!" Kenton spielte zehn Minuten. .Danke sAon! IA lasse von mir horen." Kenton hatte das Cefiihl, dafi er verloren hatte. Eine WoAe spater kam ein Anruf. Er war engagiert. Bevor die Band rlAtig eingespielt war, spielte sie zweimal die WoAe in Balboa, einem Ort, der spater in Kentons Leben noA oft eine wiAtige Rolle spielen sollte. Er blieb anderthalb Jahr in der Band und lernte in dieser Zeit seine Frau Violet kennen. Im Juli 1935 heirateteten sie; aus der Ehe ging eine ToAter mit dem Namen Leslie hervor. Kenton bewahrte siA. Hoagland bat ihn, die Proben zu leiten, und er bespraA alle Personal- und CesAaftsangelegenheiten mit ihm. Als der Leader siA entsAlofi, den Charakter der Band mehr auf .commercial" und .society"-Stil umzustellen, trennten siA ihre Wege. Stan war jetzt soweit, dafi er jeden Job annehmen konnte, es maAte ihm Spafi, andere OrAester kennen zu lernen. Von Russ Plummer ging er zu Vido Musso — der spater unter seiner Leitung spielte — zu Johnny Davis, zu Cus Arnheim. Eines Tages kam er naA Hause und er- klarte Violet, dafi er einen neuen Weg einsAlagen wolle, um weiter- zukommen. Er wollte an siA arbeiten und studieren, das Celd dazu konnte er als Studiomusiker beim Film in Hollywood verdienen.

22 So kam er als Fiinfundzwanzigjahriger zu Charles Dalmores, einem weifihaarigen siebzigjahrigen Franzosen, bei dem er Unter- riAt in Theorie, Fiarmonielehre, Komposition und Dirigieren nahm. Dalmores iibte einen wohltuenden und erzieherisAen Ein- flufi auf den jungen Kenton aus, ja, er zeigte siA sogar am Jazz und seinen MogliAkeiten in .seriosem Rahmen" interessiert. Zwei Jahre blieb Kenton bei ihm. Sein Interesse am Komponieren und Arrangieren wuAs, er sArieb .Originals" und legte den CrundstoA fiir eine Notenmappe. Das Klavierspielen vernaAlassigte er, ob- wohl Dalmores ihn hierfiir zu einem anderen Lehrer sAlAte. Be- sondere Freude empfand Stan beim Experimentieren, beim Klang eines vollen, massiven OrAesters. Nun wollte er seine Arrange- ments auA horen. ZunaAst brauAte er SiAerheit, und Zeit. Er nahm eine Stelle im TheaterorAester von .Earl Carroll's" in Holly- wood an. Man sArieb das Jahr 1939. Im naAsten Jahr spraA er mit Musikern, die mitmaAen wollten, und im .Royal Palms Hotel" wurden .workshop"-Proben angesetzt. Im August reifte der Ent- sAluC, ein eigenes OrAester zu leiten. Als Ziel sAwebte Am der Typ Jimmie Luncefords vor, ein Swing-OrAester, das auA auf der Biihne eindruAsvoll war, mit voUem Saxophonsatz, der einen Kontrast zum BleA bildete, das an die Crenzen des Cewohnten und manAmal auA ErtragliAen ging, mit spitzen, durAdringen- den Trompeten, darunter ein weiterer BleAsatz, und dann, als eine Art .Pedal", die tiefe Posaune. Kenton konnte siA auf seine drei- zehn Musiker verlassen, sie waren jung, alle unter 21, unterneh- mungslustig und arbeitslos, nur der Drummer Marvin Ceorge war 28. WiAtig war, Aufnahmen zu haben, sowohl zur Kontrolle als auA um die entstehende Band an Manager und Ballroom-Besitzer .verkaufen" zu konnen. Am 1. November ging Kenton mit seinen Saxophonisten und der Rhythmusgruppe zur .Music City", einem grofien CesAaft in Hollywood, das auA Privataufnahmen maAte (daraus wurde spater die .Capitol"-Firma). Der aufnehmende Ingenieur hatte SAwierigkeiten mit der Aussteuerung, aber Kenton war der AnsiAt, dafi die Musiker aus siA herausgehen miifiten.

23 dafi eine BesArankung in der Lautstarke aus teAnisAen RuAsiAten der Musik abtragliA sei. 1940 passierte niAts, keine Agentur riihrte siA. Im Februar 1941 spielte die Band im .Rendezvous Ballroom" in Balbao vor, einem Ort vor den Toren von Los Angeles an der Kiiste, eigentllA ein Familienbad mit vielen jungen Leuten, Gym- nasiasten und Studenten. Aber die Wahl fiel auf John Costello, einen Konkurrenten. DoA der maAte einen RuAzieher und am .Memorial Day" im Mai 1941 stellte Kenton sein OrAester der DffentliAkeit vor. Der Erfolg war eindeutig. Kenton wurde fiir die ganze Saison engagiert, MBS (Mutual Broadcasting System) iiber- trug die Band dreimal in der WoAe, und so maAte die Neuigkeit die Runde, dafi ein junges OrAester mit neuen Ideen und neuem Klang da war. Im glelAen Jahr gab Kenton sein erstes Konzert im Civic Auditorium in Clendale (Calif.), das ausverkauft war. Zwei- tausend .Fans" safien im Saal, mehr als das Doppelte fand keinen Einlafi. Kentons .sidemen" wurden lokale Beriihmtheiten, darunter Howard Rumsey mit seinem verstarkten Bafi, Trompeter Chico Alvarez und Sanger und Tenorsaxophonist Red Dorris. Jetzt wufite Kenton seinen Weg, die Zukunft lag vor ihm, er war, was er ertraumt hatte: Bandleader eines OrAesters, in dem er Klavier spielte, fiir das er komponierte und arrangierte, mit dem er seinen Ideen und Vorstellungen AusdruA geben konnte und fiir das er siA mit all seinem Idealismus und seiner Energie verantwortliA fiihlte. Er nahm ein Engagement in Portland an. Das ware beinah das Ende gewesen. Denn dort stellte siA heraus, dafi die Band nur an WoAenenden spielen sollte. Da rettete ein Angebot des beriihm- ten .Hollywood Palladiums" die Band. Das OrAester wurde tag- liA vom Rundfunk iibertragen, .Variety" und .Billboard" sArie- ben dariiber. Das OrAester war kaum ein Jahr alt, da kam ein Angebot vom beriihmten .Roseland Ballroom" am Broadway, es sollte aAt WoAen in New York spielen! Bereits naA drei WoAen beendeten der CesAaftsfiihrer und Kenton in gegenseitigem Einver- nehmen das Engagement. Das .Roseland" ist der beriihmteste Tanzpalast Amerikas naA dem System .10 cents a dance" mit

24 mehr oder weniger hiibsAen .hostesses". Die Tanze miissen kurz sein (damit der Umsatz steigt), die Musik mufi tanzbar und niAt aufdringliA sein. NiAts von alledem zeiAnete den Kenton-Stil aus. Man riet ihm, mehr .pops" in sein Programm aufzunehmen, TagessAlager; aber er horte niAt darauf. Stan spielte siA naA Kalifornien zuriiA, iiber Baltimore und andere Stadte. Die Last, die es bedeutete. Bandleader zu sein, fing an zu driiAen. Einige Leute kiindigten, andere wurden einberufen. Aber es fand siA auA Hilfe. Carlos Castel blieb bis Juni 1948 durA diA und dunn Kentons Berater und Manager (er wurde spater durA Bob Allison ersetzt), in Ralph Yaw fand er einen brauAbaren Arrangeur. Im Herbst 1943 kehrten die vierzehn naA Hollywood zuruA, wo ein Ver- trag mit der .Capitol" wartete. Kenton vergrofierte das OrAester sArittweise, wobei dem BleA (jetzt fiinf Trompeten) der Vorzug gegeben wurde. .Eager Beaver" und .Artistry in Rhythm", die Erkennungsmelodie des OrAesters, wurden ein Plattenerfolg. 1944 wurde die Sangerin Dolly MitAell von Anita O'Day abgelost, die von Cene Krupa kam. NaA einer Probe in einem Theater in San Francisco wartete ein junger Soldat auf Stan Kenton. Er bat ihn, siA ein Arrangement einer eigenen Komposition anzusehen mit dem Titel .Opus A Dollar Three Eighty". Kenton verspraA es und liefi es drei Monate liegen. DoA dann fahndete er naA ihm, mel- dete ein FerngespraA an und verpfliAtete ihn naA der Entlassung als Arrangeur. Es war Pfc. Pete Rugolo. Er war der Beweis, dafi die Musik Kentons bei der naAwaAsenden, jiingeren Ceneration ankam, dafi er Vorbild und Idol wurde. Die Aufnahme von .And Her Tears Flowed Like Wine" (Mai 1944) wurde ein Hit, eine Aufnahme fiir V-Discs sorgte fiir Popularitat bei den Soldaten in Amerika, Europa und Asien.

Seit dieser Zeit bildete die Band einen eigenen Stil aus, dessen Merkmale das starke BleA, ein staccato-Saxophonsatz und ein etwas sAwerfalliger Rhythmus waren. Das Repertoire pendelte zwisAen TanzsAlagern, die mit Showtiteln oft humoristisAen und auA lateinamerikanisAen Charakters durAsetzt waren, und . O r i -

25 ginals" hin und her. Abgeleitet von Kentons .signature tune" war bald ein FirmierungssAild fiir den Stil gefunden: .Artistry". Dar- aus wurde eine ganze Serie: Artistry Jumps, in Boogie, in Bolero, in Percussion, in Bass. Daneben gab es die allzeit beliebten Riffs; Intermission Riff, Balboa Bash und andere. Die Band war eine bunte MisAung: aufSer Kenton war nur Bob Gioga von Anfang an dabei, Vido Musso war sein ehemaliger Boss, neu entdeAt waren Boots MussuUi, Safranski, Ray Wetzel, andere hatten den Krieg hinter siA. Im Friihjahr 1945 bat ein junges MadAen in Chicago naA einem Konzert, Kenton vorsingen zu diirfen. Sie war siebzehn und nannte siA Shirley Luster. Sie trat als June Christy an die Stelle von Anita O'Day. Mit ihr, aber abgesehen von den Arran- geuren und sonstigem Personal, das niAt auf der Biihne in Er- sAeinung trat, umfafite die Kenton-Organisation zwanzig Mann. Kentons Bemuhungen waren niAt ohne Erfolg geblieben, die FaA- presse spraA von ihm, seine Beliebtheit stieg bei Veranstaltungen und Abstimmungen weiter an, die Plattenumsatze — besonders seit .Tampico" mit June Christy — waren grofSartig, aber Stan's Cesundheit und seine Nerven maAten niAt mehr mit. NaA zwei Jahren fast ununterbroAenen Reisens erklarte Kenton in Tusca- loosa bei einem Ball der Universitat von Alabama, dafi er das OrAester auflosen wiirde; das war Ende 1946. Er zahlte seinen Musikern noA eine dreiwoAige Cage und das Reisegeld aus, kehrte naA Hause zuriiA und fuhr mit Frau und Kind naA Siidamerika. Ein halbes Jahr hielt er es aus. Dann begann er, seine Flatten abzu- horen, Arrangements durAzublattern, Plane zu sAmieden. Seine AbsiAt war, siA nur auf Konzerte zu konzentrieren und diese nur vier Monate durAzufiihren. Die iibrige Zeit sollte zu Hause der Vorbereitung, Planung und Einstudierung neuer Konzerte, den Flatten- u. a. Aufnahmen dienen. Das OrAester sollte die gleiAe Besetzung wie die Artistry-Band aufweisen, es wurden sogar die meisten Musiker wieder engagiert, nur die Rhythmusgruppe wurde durA je einen Maracas- und Bongo-Spieler erweitert. Kenton ent- sAied siA fiir die BezeiAnung .Concerts in Progressive Jazz" und

26 das Arrangeur-Team Kenton, Gene Roland und Ken Hanna wurde vor allem durA Pete Rugolo erweitert, von dem die meisten Kom- positionen und ihre Instrumentierung stammten, Themen wie: Capitol Punishment, MaAito, Interlude, Lament, Impressionism, Unison Riff, Monotony. Wie man sieht, bedeutet beinah jeder Titel ein Programm mit SAwerpunkt auf drei Dingen: dem Experiment, uberladenem BleA und lateinamerikanisAer Atmosphare. GlelA- zeitig gab es „feature"-Nummern. June Christys Vokalisen wurden in .This Is My Theme" herausgestellt, .Interlude" wurde nur von den Posaunen und dem Rhythmus gebraAt, in der .Fugue for Rhytm Section" produzierten siA aufier Kenton der Gitarrist Laurindo Almeida, den er aus Siidamerika mitgebraAt hatte. Bassist Eddie Safranski, Drummer Shelly Manne, Bongospieler JaA Costanzo und Ren6 Touzet auf den Maracas. Es entstanden die Titel .Chorale for Brass, Piano and Bongo" und £in6n Cuban Carnival". Spater kam Bob Graettinger mit .Thermopolae", seinem ersten Arrangierbeitrag, hinzu. Kenton wufite, wie wiAtig es war, das Publikum zu testen, bevor er die Konzertreise antrat. Er mietete seinen geliebten .Rendezvous Ballroom" in Balboa mit 3000 Liege- stuhlen vom Strand und setzte gegen Eintritt ein Konzert fiir einen SonntagnaAmittag im September 1947 an. Zwei Tage spater waren alle Karten ausverkauft, das Konzert selber ein voUer Erfolg. Dar- aufhin sAlofi er 16 Konzerte in bekannten Hausern in New York (Carnegie Hall), Chicago (Civic Opera), Philadelphia (Academic of Music), Boston (Symphonic Hall) u. a. Stadten ab. Als er fiir den 12. Juni 1948 ein Konzert in der .Hollywood Bowl" ankiindigte, kamen 15 000 MensAen. Er reiste wieder naA dem Osten, aber die grofiten Stadte waren abgegrast, und er entsAlofi siA, auA auf Ballen und im College zu spielen. Hierbei traten Diskrepanzen zu Tage. Ein Teil des Publikums wollte die Konzerttitel horen, ein anderer Teil Tanznummern, und es gab ZwisAenrufe und Storun- gen. Aufierdem war der Bogen der physisAen Anspannung zum Zerreifien gespannt. So setzte Kenton fiir den Dezember 1948 das letzte .Progressive Konzert" an. ,

27 Kenton zog siA zuriiA. In FaAkreisen hiefi es, er habe einen ZusammenbruA gehabt, er wolle Mediziner werden, well er viel las, besonders psyAiatrisAe FaAliteratur, und was dergleiAen Dinge mehr waren. Er trennte siA vorubergehend sogar von seiner Frau, um siA auf siA selbst besinnen zu konnen. So verging der grofiere Teil des Jahres 1949. Aber der Jazz blieb niAt stehen. NaA Miles Davis' Capitol-Aufnahmen nahm der Zug zum Cool Jazz siAtliA zu. Ceorge Shearing formierte sein Quintett, am Broadway wurde das „Birdland"-Lokal eroffnet, in Paris fand im Mai das bis heute wohl bedeutendste Jazzereignis auf europaisAem Boden statt (mit Parker, Davis, RoaA, Tadd Dameron, Kenny Dorham u. v. a.), in der Carnegie-Hall gab Oscar Peterson sein erstes Konzert fur Norman Cranz. Woody Herman engagierte Pettiford und Milt JaAson und in Hermosa bei Los Angeles maAte Howard Rumsey das Lighthouse Lokal zu einem Mittelpunkt des Jazz in Kalifornien. InzwisAen hatte die AFM ihren zweiten .SAallplattenbann" aufgehoben und die ersten Langspielplatten ersAienen in den USA auf dem Markt. In dem Mafie, wie Kentons Cesundheit siA besserte, fafite er neue Projekte ins Auge. Er glaubte, eine Losung gefunden zu haben, wie er wohl musikalisA etwas Neues bieten konne, ohne sein Privat- leben und seine Nerven auf eine Zerreifiprobe stellen zu miissen, die sie niAt mehr lange wurden durAstehen konnen. Kentons Plan war gewagt, aber er war von der RiAtigkeit und dem Erfolg iiber- zeugt. Mit einem 40-Mann-OrAester wollte er nur neunzig grofie Konzerte geben, die eine Verbindung von Jazz und Klassik dar- stellen und amerikanisA und modern sein sollten. Das Canze stand unter dem Titel: .Innovations in Modern Music". Hierfiir hot er einen ganzen Stab von Arrangeuren auf: neben Rugolo und Craettinger und ihm selber zog er Johnny RiAards, Chico O'Farrill, Neal Hefti und Frank Marks heran, ferner steuerten Musiker des OrAesters wie Laurindo Almeida, Bill Russo u. a. Instrumentierungen bei. Der Kreis wurde spater sogar noA erwei- tert, wenn auA Musiker wie Shorty Rogers, Manny Albam und

28 Maynard Ferguson nur gelegentliAe Beitrage leisteten. Im Herbst 1949 begann Kenton mit den Proben. Das OrAester umfafite: 10 Violinen, 3 BratsAen und 3 Celli, fiinf Saxophone (alle spielten ein Nebeninstrument), eine BleAgruppe von 5 Trompeten, 5 Po- saunen, 2—3 Waldhornern, 1 Tuba, die konventionelle Rhythmus- gruppe und eine eigene afro-kubanisAe Gruppe. AuA diesmal testete Kenton sein Publikum. Eine offentliAe Generalprobe war im .Philharmonic Auditorium" in Los Angeles angesetzt, wo sei- nerzeit Norman Granz sein erstes JATP-Konzert veranstaltet hatte. Das Programm begann mit .In Veradore" von Hefti und sAlofi mit .Saluta" (von Rugolo) als grofiem Finale. Das Konzert war ein Erfolg, ebenso die Tournee, und Presse und FaAwelt waren siA einig, dafi dies das grofite .Unternehmen" war, dafi es bis dahin in dieser Musik gegeben hatte. Aber die Probleme lagen niAt auf kiinstlerisAem, sondern auf anderem Gebiet. Der Apparat war einfaA zu umfangreiA und zu kompliziert, um durA private Ini- tiative erhalten werden zu konnen, angefangen von Transportpro- blemen bis zur VollbesAaftigung. Im Februar 1950 war Kenton ausgezogen und er kam tatsaAliA Anfang Juni naA Los Angeles zuriiA. Fiir den Kern seines OrAesters fand er zwolf WoAen Be- sAaftigung in Balbao, dann folgten zwei in der .Oasis" in Los Angeles und zwei im Casino auf der Insel .Catalina" im Pazifik, niAt weit von der Weltstadt. StreiAer und viele Blaser mufite Kenton vorubergehend entlassen, und als er die 1951er Tournee vorbereitete, zogen zahlreiAe .sidemen" es vor, .auszusteigen", darunter auA Shorty Rogers. Ohne viel Aufhebens zu maAen, liefi siA Kenton auA von Violet sAeiden; er sah ein, dafi er mit der Musik verheiratet war. Spater gab es noA eine dritte Tournee der .Innovations", dazwisAen zahlreiAe SAallplattenaufnahmen in weAselnder Besetzung, aber mit anspruAsvollen Titeln und Arrangements und langer Spieldauer. Die umfangreiAsten und um- strittensten Werke, die siA auA am weitesten vom Jazz entfernen, aber dennoA keine bedeutenden Werke zeitgenossisAer Musik sind, stammen von Bob Graettinger. Von deutsAer Abstammung

29 1923 in Ontario (Calif.) geboren, starb er 34jahrig in Los Angeles. Sein erstes grofieres Werk, die .City of Class" hatte Kenton in einzelnen Satzen bereits 1950 und 1951 dem Konzertpublikum vorgestellt, das aber ohne Begeisterung reagierte. Da urspriingliA nur Blaser vorgesehen waren, sArieb Craettinger das Werk fiir StreiAer um und in der neuen Besetzung wurde es im Dezember 1951 auf .Capitol" aufgenommen. Das Werk ist zusammen mit dem zweiten grofien Werk Craettingers, .This Modern World" auf W 736 ersAienen. Letzteres hat seAs Satze: .A Horn", es ist dem Waldhornisten John Craas gewidmet, dann .Some Saxopho- nes"; es wird nur von der Saxgruppe (ohne Rhythmus) gespielt. . A Cello" ist Gregory Bemko gewidmet. Der Satz .A Thought" ist vornehmliA fiir Holzblaser und Waldhorn gesArieben, hier hort man auA Klarinetten. Von der artistisA anmutenden Trom- petenkunst Maynard Fergusons maAt Craettinger im 4. Satz, uber- sArieben .A Trumpet", CebrauA, der sogar jazzige Stellen auf- weist. Den letzten Satz, .An OrAestra" spielt die komplette Band. Aus der gleiAen Periode stammen Craettingers .Incident in Jazz" und .House of Strings". Viele Titel sind auf .feature" zugesAnitten und tragen die Namen der Solisten, so z. B. .Art Pepper" und .Maynard Ferguson" (beide von Shorty Rogers), .June Christiy" und .Shelly Manne" (beide von Kenton). Sie sind im .Capitol" Album T 248 zusammen mit .The Hall of Brass" (von Russo), .Soliloquy" (von RiAards) und .An Evening in Pakistan" (von Frank Marks) zu finden unter dem Titel .Stan Kenton Presents". AAt weitere bekannte .Inn- ovations"-Titel sind in dem gleiAnamigen Album (W 189) ver- einigt: .Conflict", „Lonesome Road" und „Mirage" (beide von Rugolo), Russo sArieb fur seinen Posaunenkollegen .Solitaire", Frank Marks „Trajectoris" mit pizzicato-StreiAern, von Kenton (er ist auA auf dem Klavier zu horen) stammt .Theme For Sunday", das niAt sehr uberzeugend ist, von Craettinger das sAon erwahnte .Incident in Jazz" und von Chico O'Farrill .Cuban Episode", der wohl beste Titel. Der begabte Laurindo Almeida

30 betatigte siA mehr und mehr als Arrangeur; von ihm stammen .Amazonia" und .Mardi Gras", das spater in „Playtime in Brazil" umgetauft wurde und bei dessen Aufnahme die Familien der Musi- ker mitwirken, um „Publikumsstimmung" auf die Platte zu zaubern. AllmahliA hatte siA die Idee der .Innovations" abgenutzt und es war kein Resultat zu erkennen. Aber um Ideen war Kenton niAt verlegen. Er stellte 1952 eine neue Band auf, liefi von Johnny RiAards den .Prologue" sAreiben, in dem er selber spriAt und jeden Musiker einzeln vorstellt. Er zog neue Musiker und Arran- geure heran, vor allem Gerry Mulligan und Bill Holman, die dem Klangkorper mehr Swing und DurAsiAtigkeit verliehen, und er nahm Abstand von allzu viel .Originals". So entstanden die Plattenalben .SketAes on Standards" (T 426) mit .Sophisticated Lady", „Begin the Beguine", dem Aoralartigen .Pennies from Heaven", mit einem ganz neuen Lee Konitz in .Lover Man", dem .Shadow Waltz" und anderen. AuA die Neuauflage unter dem Titel ." (T 462) war genau so gut; die meisten Titel waren von Bill Russo arrangiert (.Autumn in New York", .April in Paris", mit Klavier, .You and the Night and the Music"), aber auA Mulligan sArieb zwei Arrangements (.I've Got You Under My Skin", .Crazy Rhythm"). Mit den .New Con- cepts of Artistry in Rhythm" versuAte Kenton seine neue Auf- fassung deutliA zu maAen (T 383), wobei Russo (.Frank Speak- ing", .23° East — 82° West", und .Portrait of a Count", das niAt Basie, sondern gewidmet ist), Bill Holman (.Inven- tion for Guitar and Trumpet") und Cerry Mulligan (.Swing House", .Young Blood") siA in die Aufgabe teilten, ein neues Repertoire zusammenzustellen. Mulligan war 1952 naA dem Westen der USA gekommen, aber er wurde nie Mitglied des Kenton-OrAesters und sArieb auA nur wenige Arrangements, denn um diese Zeit entstand die Idee des klavierlosen Quartetts, das ihm viel Publicity und NaAfrage ein- braAte. Aber Bill Holman und Bill Russo gab Kenton Gelegenheit

31 in eigenen .Alben", die den Titel .Showcase" trugen, ihre eigenen Ideen zu verwirkliAen. Vor diesen Aufnahmen lag jedoA ein einsAneidendes Ereignis. Kentons 52er Band hatte soviele Talente, seine Notenmappe soviel gutes Material von ausgezelAneten Arrangeuren, soviel Publi- kumswirksamkeit, ohne zu extrem zu sein, dafi eine Europareise auf der Hand lag. ZunaAst war Kenton widerstrebend. NoA i m - mer war die Anerkennung in Europa auA fiir Jazzmusiker so etwas wie ein besonderes GiitezeiAen; Armstrong, Ellington, .Jazz at the Philharmonic", sie waren begeistert zuriiAgekehrt. Alte Hemmungen und die AnsiAt, .er sei noA niAt so weit", braAen in Kenton durA. Er erinnerte siA, dafi bei einem Konzert in Paris ein einheimisAes OrAester, das nur seine Titel spielte, mit faulem Obst beworfen worden war. Aber Kentons Manager, die Capitol- Firma und alle anderen redeten ihm zu, sogar June Christy wollte fiir die Dauer der Tournee zum OrAester zuriiAkehren. Im Som- mer 1953 bis in den Herbst hinein gab Kenton in vielen Landern, von Skandinavien bis Italien, zahlreiAe Konzerte vor ausverkauf- ten Hausern. Er hatte eine Traum-Band mitgebraAt, zu der Conte Candoli, Frank Rosolino, Konitz, Holman, Sims und Dave SAild- kraut gehorten, mit und Stan Levy Bafi bzw. SAlag- zeug. Zum Konzert in Dublin (Irland) mufiten zwolf Charter- masAinen und Sonderziige mit Fahren eingesetzt werden, denn in England durfte Kenton wegen der MusikergewerksAaft niAt spie- len. Kenton war erstaunt iiber das EAo. Seine Musik diente als Unterlage fiir das Sadlers Wells Ballett in London und in Italien und FrankreiA hatte man sie fiir Filme benutzt. Kenton kehrte befriedigt naA Amerika zuriiA und nahm die be- reits erwahnten .Showcase"-Alben mit der Musik von Bill Holman ( H 526) und Bill Russo (H 525) auf, um sAon im Friihsommer erneut in die Alte Welt zu kommen. Viele Kritiker und Fans, die ihr Urteil bis dahin nur auf Crund von Flatten gebildet hatten, revidierten es. Im Sommer 1955 hatte er in New York eine wo- AentliAe Fernsehsendung, genannt Music '55, mit lokalen Musi-

32 kern. Zur gleiAen Zeit nahm er in Chicago seine swingenden ." (Capitol K 83099) mit neuen Musikern und Arrangements von Holman und Mulligan auf. InzwisAen hatte die englisAe .Musician's Union" ihre Forderung erreiAt, dafi fiir jeden auslandisAen Musiker in Crofibritannien ein einheimi- sAer Musiker im Ausland spielen miisse. Kenton war das erste OrAester, das seit 1937 den Englandern amerikanisAen Jazz im Original braAte, als er im Marz 1956 auf die Insel kam. Vorher hatte er in Hollywood seine beliebtesten Titel in Hi-Fi aufgenom- men, darunter .Eager Beaver", den .Intermission Riff", .Lover" u. a. — NaA der RiiAkehr im Mai 1956 fuhrte er mit einem ver- starkten OrAester, zu dem auA der Waldhornist Julius Watkins gehorte, ein grofieres Projekt durA, indem er eine Suite in 6 Satzen von Johnny RiAards unter dem Titel .Cuban Fire" (T 731) auf- nahm. InzwisAen war Ann RiAards, die vorher bei Charlie Barnet gesungen hatte und 1955 zu Kenton gekommen war, wo sie im .Down Beat" die erste Stelle als Band-Sangerin gewann, seine Frau geworden. Kenton nahm jetzt eine Reihe von Alben mit Cesang auf, teils von seiner Frau, die aber von der Biihne abgetreten war, teils mit dem Cesangsquartett .The Modern Men". Es wurde stiller um ihn. Seine Plattenalben trugen die Namen .Stan Kenton with Voices" (T 810), „Rendezvous with Kenton" (T 932) mit SAlager- titeln, oder .The Ballad Style of Stan Kenton". Beim Jazz-Festival 1957 in Newport begegnete dem Autor Kenton als ein vorzeitig ergrauter Mann, dem zwar Kritiker wie Musiker und Publikum ihre AAtung und Anerkennung niAt versagten, der aber niAt mehr den jugendliAen Elan von 1954 und 1956 in DeutsAland zeigte. Im Herbst 1957 kaufte Kenton den ihm so vertrauten .Rendezvous Ballroom" in Balboa und liefi hier eine Aufnahme- apparatur anbringen. Zwei Alben wurden hier bisher aufgenom- men; das letzte mit dem Titel .BaA to Balboa" (T 995) weist eine Reihe von gelungenen .Originals" von Marty PaiA und Bill Hol- man auf, wahrend die Instrumentierungen von Johnny RiAards naA wie vor zu bombastisA und latein-amerikanisA sind. Den

33 Ballroom in Balboa hat Kenton inzwisAen wieder verkauft. Seit- dem ersAien seine LP .Stan Kenton at the Las Vegas Tropicana" (T 1460), und bei seinem letzten Engagement dort im Friihsommer 1961 stellte er seinem Publikum wieder eine Neuerung vor: eine BleAgruppe mit Mellophonen und Euphoniums! Wenn auA die EpoAe der Experimente und der SAoAs voriiber ist, Kenton bleibt immer noA ein .Name" in der Jazzwelt. Und er bestatigt die iiber dreifiigjahrige Erfahrung, die auf das Casa-Loma-OrAester, die Goodman-Band u. a. zuriiAgeht, dafi Big Bands mit guter Satz- arbeit und Jazzelementen die besten TanzorAester sind, die man siA wunsAen kann.

MUSIK UND MUSIKER STAN KENTONS

Die Etikettierung der kenton'sAen Musik mit SAlagworten wie .Artistry in Rhythm" oder .Progressive Jazz" und „Innovations in Modern Music" erwies siA fiir Kenton einerseits als grofie Hilfe, um bekannt und beliebt zu werden, andererseits aber auA als der grofite HemmsAuh fiir eine gereAte Beurteilung seiner Leistung und fiir seine Zukunft. Kenton erging es so, wie es bei SAauspie- lem in ahnliAen Fallen gesAieht: er wurde seit 1950 ein fiir alle- mal festgelegt. Fiir Kritiker, Musiker und Fans war er der experi- mentierende, progressive Big-Band-Leader, sein Name wurde gleiAbedeutend mit einer aggressiven, oft bombastisAen, meist gewalttatigen Art von Musik, die siA fiir die meisten zu weit vom herkommliAen Jazz entfernte, ohne jedoA die so sehr erstrebte Anerkennung im anderen Lager der modernen zeitgenossisAen .seriosen" Musik zu erlangen. Hinter den stilgesAiAtliAen und handwerkliA-teAnisAen Ent- wiAlungen der Jazzmusik sind in den letzten Jahren mehr und mehr andere Aspekte deutliA geworden, psyAologisAe, soziolo- gisAe und kulturhistorisAe. Hier zeigen siA interessante Paralle- len zwisAen dem Bop und dem Kenton-Jazz. Beide Jazzformen,

34 die in der zweiten Halfte des letzten Krieges an den entgegenge- setzten Kiisten des grofien amerikanisAen Kontinents entstanden, wurden in einer Zeit bedeutsam, als die MensAheit siA gegen- seitig zu verniAten drohte. Auf die musikalisAen Beziehungen zwisAen den beiden StilriAtungen wurde an anderer Stelle sAon hingewiesen, dafi bei Kenton seit 1944 im Rahmen der pratentiosen Arrangements die Musiker Bop-Soli und spater Cool Jazz spielten und dafi hier eine Beeinflussung bestand. An der Ostkiiste war ein kleiner Kreis Farbiger am Werk, die siA von der Aufienwelt ab- sAlossen und untereinander als zusammengehorig betraAteten und dies durA Baskenmiitze, dunkle Brille, BartAen und Annahme des mohammedanisAen Claubens bei entspreAender Namensgebung auA naA aufien hin dokumentierten. Praktiziert wurde in Musik umgesetzter Claube und Wille, dafi der Neger, jahrhundertelang als Biirger zweiter Klasse, musikalisA sogar als SpafimaAer (s. die .minstrels" und den .singing fool"!) betraAtet und mensAliA nur geduldet, niAt nur seine CleiAbereAtigung in der amerikanisAen CesellsAaft hat. Vielmehr: dafi er jenseits der bisherigen Imitie- rung der weifien HerrensAiAt seine Eigenstandigkeit und eigenes AusdruAsvermogen besafi, die (anfangliA) der weifien Konkurrenz unerreiAbar und auf jeden Fall iiberlegen waren. Die EntwiAlung und die Einsteiiung erfolgte natiirliA unbewufit. Aber mufite es einem Farbigen niAt sonderbar vorkommen, dafi die Weifien siA gegenseitig bekriegten und umbraAten, und dafi Neger befahigt waren, in der Industrie, in der WirtsAaft, ja sogar in der WissensAaft, der Politik (Ralph BunAe!) und beim Militar (es gab farbige Cenerale) gleiAbereAtigt zu sein oder sogar an die Stelle der Weifien zu riiAen? Etwas ahnliAes hatte siA sAon im ersten Weltkrieg angebahnt, aber es wurde dann von den Weifien sAnell wieder riiAgangig gemaAt, und die Farbigen hatten noA niAt das Selbstbewufitsein, wie es in ihnen naA 1940 entstand. PsyAologisA ist es nur zu verstandliA, dafi sie nun iiber das Ziel hinaussAossen, die Musik von Armstrong und BeAet als .Onkel- Tom-Musik" diskreditierten. Sie wollten das hinter ihnen Liegende

3S so sdinell wie moglidi vergessen, das war ja eine Musik ihrer Vater, die zum Amusement der Weifien diente, sie wollten nidit nur alles Versaumte nadiholen, sie wollten iiberspringen. So erklart sidi ein Aspekt der modernen Musik eines Thelonious Monk, Eric Dolphy, Miles Davis und Ornette Coleman. Dem introvertierten Bop stand die extrovertierte Musik an der Westkiiste gegeniiber, und von der Extrovertiertheit zur Oberfladi- lichkeit und Hohlheit ist es oft nur ein kleiner Sdiritt. Trotzdem ist beiden Riditungen bei aller Gegensatzlidikeit musikalisdi und im Ausdruck mandies gemeinsam. Im „progressiven" Jazz tritt haufig eine andere Art der Damonie und Gequaltheit, der mangelnde Humor, die Hoffnungs- und Ausweglosigkeit zutage, die beinah aus jedem Takt des Bebop spricht. Beide Musizierweisen sind als Ausdruck ihrer Zeit zu werten, einer Zeit, die aus den Fugen geraten war und alle Mafistabe verloren hatte. Wenn man dementsprechend die Musik Kentons und seine musik- historische Erscheinung als Zusammenfassung einer „Ara" sieht, gewinnt man andere Perspektiven zu ihm und zu seiner Musik. Nichts ware falscher — und ungerechter! — als seine Musik nadi den drei Uberschriften: „Artistry", „Progressiv" und ^Innovations* zu klassifizieren. Richtiger ist es, rein musikalisch zu unterscheiden, wie man es bei einem anderen Orchester, etwa Woody Herman, audi tun wiirde. Es ergeben sich dann drei andere Einteilungen, die zu einer besseren Beziehung und Bewertung von Kentons Musik fiihren. Zur ersten Gruppe miissen die Versuche Kentons und speziell seiner Mitarbeiter wie Johnny Ridiards und Bob Graettingers gezahlt werden, eine Annaherung zwischen Jazz und Klassik herbeizufiih- ren. Im Gegensatz zu Versuchen in ahnlicher Riditung, etwa bei Ellington und John Lewis, sind die Ergebnisse unzulanglidier und gewifi die weniger dauerhaften im Programm Kentons. In diese Richtung wurde er mehr und mehr von Pete Rugolo gedrangt, und da von Richards und Graettinger sdion an anderer Stelle die Rede

36 war, sind hier ein paar Worte iiber Rugolo am Platze. Im Jahr 1915 auf Sizilien geboren, kam er sdion mit funf Jahren nadi Amerika und studierte spater unter Darius Milhaud. Pete hatte gerade eine Karriere als Tanz- und Jazzmusiker begonnen, als er zum Militar mufite. In dieser Zeit entdeckte Kenton ihn. Nadi der Entlassung, als Kenton sdion mit organisatorisdien u. a. Aufgaben belastet war, iibertrug er Rugolo fast samtlidie Arrangements zu sdireiben bis z. J. 1949, als Rugolo sidi selbstandig madite. Seit- dem ist er ein gesuditer Musiker in Hollywood. Er arbeitete zu- nadist fiir die Capitol und ist jetzt Aufnahmeleiter fiir Mercury; seine Musik untermalt zahlreidie Filme und audi das Fernsehen nahm ihn in Ansprudi. Seine nOriginals" von 1950 (Mirage, Con- flict), die urspriinglidi auf 30 cm Schellackplatten erschienen, waren der Auftakt fiir ahnlidie nadifolgende Werke von Johnny Ridiards, Frank Marks und Kenton selber bis bin zu Graettingers „City of Glass" und „This Modern World". — In diesem Zusammenhang miissen Namen und Aufnahmen zitiert werden, die zwar keinen direkten Zusammenhang mit Kenton haben, hinter denen er aber als spiritus rector steht. Im Westkustenjazz wandte man gem er- weiterte Formen an, wie sie John Graas' „ S y m p h o n y in f minor" (auf ^Brunswick") zeigt, die nichts mit der Sonatenform zu tun hat, oder mit Ganztonreihen, wie sie in „Three on a Row" von Shelly Manne mit Giuffre und Rogers (auf ^Contemporary") zutage tritt. Lyle Murphy hat sogar ein eigenes Tonsystem ent- wickelt (s. „G-N-P" und ,Contemporary"); allerdings gehorten sogar Red Callender und Oscar Peterson zu seinen Schiilern. Zei- dien fiir eine intellektuelle Einstellung der WeiCen zum Jazz, der in New York in Lennie Tristano ein Gegenstiick aufweist. In die zweite Gruppe fallen semi-kommerzielle Titel, wie wir sie notgedrungen bei alien Big Bands finden, bei Herman, Goodman, James, aber auch bei Ellington, Luis Russell, Chide Webb, Jimmie Lunceford. Da macht natiirlich auch Kenton keine Ausnahme. Nur bei Count Basie konnte man sagen, dafi selbst ordinate Sdilager- titel dutch Swing und Drive und vor allem die „Integritat" (das

37 Ganze ist mehr als die Summe der Teile) in eine Sonderklasse gehoren. Titel dieser Art Ziehen siA bei Kenton durA die ganze EntwiAlung, sie sind z. T. spektakular wie .Tampico" oder .And The Bull Walked Around, Olay", aber auA Balladen wie .More Than You Know" und .Under A Blanket Of Blue" tauAen auf, dann zahlreiAe Gesangsaufnahmen mit Chris Connor, die 1953 als NaAfolgerin von Jerri Winters zu Kenton kam, ferner Einspielun- gen mit Cruppen The Four Freshmen", .The Pastels", .The Modern Men", bis hin zu Eintagsfliegen wie .Tequila", wobei eine ungluAselige Neigung zu lateinamerikanisAen Rhythmen deutliA wird, die Kentons Musik niAt immer sehr zutragliA ist. Wie bei ahnliA gelagerten Fallen der erwahnten Big Bands mufi man siA haufig durA Beiwerk und Zutaten hindurAarbeiten, um auf einen guten Chorus von Boots MussuUi, Kai Winding, Conte Candoli, oder zu stofien. Zur dritten Cruppe gehoren die Jazzaufnahmen Kentons. Und hier ist im Lauf der Jahre eine Steigerung festzustellen, angefangen vom .Intermission Riff" aus einer Zeit (1946), als Kenton noA steif und meAanisA spielte, bis zu den grofiartigen Aufnahmen seit 1950, als er Arrangeuren wie Rogers, Mulligan, Russo und Holman mehr Raum gab, einer Zeit also, als er das .Progressive" und die .Innovations" iiberwunden hatte. TypisA sind die beiden .Showcase"-Alben. Wahrend Bill Russo ein Bindeglied zwisAen dem Vorangegangenen und den nunmehr freieren und swingenden Sessions ist — er wirkt manAmal niAt sehr jazzmafiig, sondern konzertant, mitunter uberladen und kompliziert — ist Bill Holman so, wie man siA Kenton wiinsAt. Wir haben bei beiden eine ideale Synthese zwisAen dem, was die Westkuste Aarakterisiert, namliA SAwerpunktbildung auf den Gebieten Komposition und Arrange- ment, und dem, was den Jazz seit jeher auszeiAnet, namliA indi- viduelle Entfaltung, .Cedanken- und Redefreiheit", also Impro- visation. VielleiAt fehlt Bill Holman dabei ein bifiAen die Tiefe (die Russo hat); Holman ist eleganter, fliissiger, bleibt dafiir aber auA niAt so naAhaltig in der Erinnerung. Bei alien 16 Titeln der

38 beiden, samtliA .Originals", vermifit man nie den Beat. Man kann sagen, dafi in diesem Rahmen, wie nur eine Big Band ihn bieten kann, gelungene Soli von Charlie Mariano, , Bill Perkins, Stu Williamson, Sam Noto, Frank Rosolino, Davey SAild- kraut, Don Bagley und Bob FitzpatriA eingebettet sind, und dafi Stan Levey die ganze Band zum Swingen bringt, was siAer ein entsAeidender Faktor ist. — Auf die gleiAe Stufe sind die .SketAes" und die .Portraits" der .Standards" zu stellen. Kenton, der siA angesiAts seiner niAt zu grofien pianistisAen Qualitaten sonst klugerweise zuriiAhalt, steuert hier einige Takte guten Big- Band-Klaviers bei, wir begegnen einem ganz neuen, selbstsiAeren Lee Konitz (z. B. Lover Man), und Conte Candoli ist in HoAform. Das OrAester spielt ausgegliAen, es hat Relax und Profil. Die Titel sind etwa mit Woody Hermans .Early Autumn", .Tenderly", .East of the Sun" u. a. auf eine Stufe zu stellen. AuA .Contempo- rary Concepts" ist ein ausgesproAenes Jazzalbum, arrangiert von Holman und Mulligan, mit einer gesAlAten Titelfolge und Soli von Niehaus, Perkins, Dave van Kriedt (friiher in BrubeAs Oaet), Fontana usw., und dem SAlagzeug von Mel Lewis, der Levey ebenbiirtig ist. Spatere Alben, etwa .BaA to Balbao", haben zwar auA noA ClanzliAter, die von Niehaus, Perkins, Sam Noto u. a. aufgesetzt werden (niAt zu vergessen die Arrangements von Hol- man und Marty PaiA, wahrend RiAards zu sehr ins Filmfahr- wasser, BaAground u. dgl. gerat), aber es ist ein RuAgang festzu- stellen, der allerdings mit dem allgemeinen Abflauen der Big-Band- EpoAe parallel lauft. Als wahrer Kenton-Extrakt ersAeint die Seite 7 der Kassette .", die Aufnahmen aus den Jahren 1952/53 enthalt. Sie beginnt mit Mulligans .Swing House", in dem die aufiergewohn- liAen Qualitaten des OrAesters zum AusdruA kommen, Prazision, Team-Work, bedingt durA die SAreibweise Mulligans, der das Ensemble niAt protzig einsetzt, sondern sparsam, unterstreiAend, gewissermafien den Solisten Relief gebend, ohne auf eine SAlufi- steigerung mit Effekt zu verziAten. Bei soviel Anlage, mit Swing

39 zu spielen, geben auA die Solisten — Frank Rosolino, Lee Konitz, Conte Candoli und RiAie Kamuca — ihr Bestes. Was dagegen ein .krankes" Arrangement einer so hiibsAen Melodic wie .You Co To My Head" antun kann, zeigt der folgende Titel; Bob Craettin- ger zeiAnet dafiir verantwortliA, Bob Burgess auf der Posaune ist der Solist, aber er kann niAts retten. Es folgt ein rein instrumen- taler Titel, .Baa-Too-Kee", gemeinsam von Dante Varela und Laurindo Almeida gesArieben, dessen latein-amerikanisAer Cha- rakter authentisA ist (Almeida!) und wegen seiner Kiirze durA- aus hineinpaCt. Das StiiA hat Klavierpassagen von Kenton, die aufhorAen lassen, und interessanten gruppenweisen Einsatz der Trompeten, Posaunen und Saxophone. Die Victor Young-Melodie .Stella by Starlight" wurde von Johnny RiAards instrumentiert, der siA hier — zu seinem Vorteil — einmal niAt lateinamerika- nisA gibt. Seine SAreibweise ist iiberlegen, wie man es von einem routinierten Filmmusiker erwartet, niAt ohne dramatisAe Effekte, grofiflaAig angelegt, mit einem BaBposaunensolo von Ceorge Roberts. .Bill's Blues", naA seinem Autor Bill Russo so benannt, gibt zu erkennen, dafi Kenton entgegen vielleiAt landlaufiger A n - siAt doA ein Verhaltnis zum Blues hat, auA wenn das in seinem Repertoire verhaltnismafiig selten vorkommt. Hier besArankt er siA auf Riffing in bewahrter Kansas-City-Manier, verbramt mit leiAten progressiven und .Artistry"-Reminiszenzen, aber unter- broAen durA Soli, die siA horen lassen konnen. Da ist zunaAst Conte Candoli, ein blendender Trompeter mit uberdurAsAnitt- liAer TeAnik, die er im modernen Stil in geistrelAen und erregen- den Improvisationen einsetzt. Russo selber ist siAer niAt einer der grofiten Posaunisten, aber er versteht es, siA auszudriiAen und er weifi, was er sagen will. Es fallt angenehm auf, dafi er niAt so glatt spielt wie es in der modernen Posaunenspielweise iibliA ist, sondern mit einem SAufi knuffiger Robustheit, der dem Charakter des Instruments sehr entgegenkommt. AuA Niehaus gehort niAt zur Sonderklasse, er relAt auA niAt an seinen Konkurrenten im Raum von Los Angeles, Art Pepper, heran, aber was er spielt, hat

40 Hand und Fufi und ist stets von erstaunliA gleiAbleibendem Ni- veau. Die SAreibweise Russos ist hier reAt interessant; er geht vom „Powerhouse"-BIeA zu polyphonem Satz iiber, ohne dafi irgendwo ein BruA oder eine Konstruiertheit zu erkennen ist, ein Muster- arrangement, wert einer Analyse und eingehenden Studiums fiir angehende Arrangeure und Big-Band-Chefs! Dann folgt .Modern Opus" von Craettinger, zu dem man nur bemerken kann: wie gehabt, siehe oben! Aber .Zoot", eine Konzertaufnahme aus dem „Alhambra"-Konzert in Paris von der ersten Europatournee 1953 entsAadigt vollauf. Es ist durA und durA, abgesehen von ein paar Einwiirfen Stan Levys auf dem SAlagzeug, mit einem Propeller-Swing der ganzen Band dank der einmaligen SAreib- weise Bill Holmans. .Zoot" allein ist den Kauf der Platte wert! Wenn heute jede Studio-Band in Hollywood wie eine jahrelang eingespielte Band klingt, so ist das siAer mit ein Verdienst Kentons. Und es gibt niAt wenige piA-up-Bands dort — Bill Holman, Marty PaiA, Med Flory, Russ Carcia, Ken Hanna, um nur einige zu nennen — denn die Musiker wissen, was sie an der Big Band haben und was eine Crofiformation der Combo voraushat. FreiliA handelt es siA hier um einen ganz bestimmten Kreis von sog. Studiomusikern, wir spraAen sAon vorher davon. Aber es lafit siA niAt leugnen, dafi siA das Fehlen einer Vielzahl von regularen Big Bands empfindllA bemerkbar maAt, denn sie waren in den dreifiiger Jahren so etwas wie die HoAsAulen des Jazz. Hier konnten junge Musiker siA die Sporen verdienen, sie konnten von den anerkannten .sidemen", mit denen sie Pult neben Pult safien, lernen. Wahrend der NaAwuAs der Farbigen ein niAt abreifiender Strom ist, der vor allem aus dem Rhythm-and-Blues kommt und, wenn man den Rahmen grofiziigig handhabt, sogar vom Cospel und von der KirAe, haben heute die Weifien dem niAts Entspre- Aendes entgegenzusetzen.

DoA zuriiA zu Kenton und seinem Einflufi. Man sagt, dafi der Westkiistenjazz oder die sog. .KalifornisAe SAule", deren Existenz von manAen sogar bezweifelt oder geleugnet wird, von LeiAjig-

41 keit, Heiterkeit und viel manuellem Konnen Aarakterisiert wird und legt das oft naA der negativen Seite hin aus, als OberflaAliA- keit, mangelnden Tiefgang und Unbedeutendheit. Kritiker haben auA hervorgehoben, dafi Arrangement und Komposition iiberwie- gen, wodurA die PersonliAkeit eingeengt und an freier Entfaltung gehindert wird, wahrend an der Ostkiiste, mit New York als Mittelpunkt, der Jazz zupaAender, urspriingliAer und seiner Her- kunft naher stehend sei. Man darf niAt vergessen, dafi Klima, Um- welt und Lebensweise auf den MensAen und besonders auA auf den Kiinstler einen niAt zu untersAatzenden Einflufi ausiiben. Und ein krasserer Gegensatz als der zwisAen Hollywood und Harlem ist selbst in Amerika kaum zu finden. BetraAten wir die vier Per- sonen, deren Aufnahmen gemeinhin mit dem .West Coast Jazz" gleiAgesetzt werden, so stellen wir fest, dafi sie mehr oder weniger mit dem Kenton-Kreis liiert sind. Drei davon sind sogar ex-Kenton- Musiker, namliA Shorty Rogers, Jimmy Ciuffre und Shelly Manne, von denen die beiden ersteren auA Komponisten und Arrangeure sind. Hier zeigt siA allerdings die AbweiAung von der Kenton- Linie. Rogers hat mit seinen .Giants" in der Besetzung von Trom- pete (bzw. Fliigelhorn!), Posaune, Waldhorn und Tuba plus Alt- und Tenorsax sowie Rhythmus das Pendant zu Miles Davis beriihm- ter Capitol-Session hervorgebraAt. Niemand wird bestreiten, dafi Rogers die OrAesterspraAe beherrsAt; trotzdem sind die Soli aller Musiker auf seinen Platten () meist niAt uberzeu- gend. Da niitzt es auA niAts, wenn Rogers und seine Cetreuen eine Verbeugung in RiAtung Basie maAen (Shorty Courts the Count). Man hat den EindruA, als ob Rogers siA zu sehr zersplittert, denn er sAreibt viel Filmmusik, deren Aufnahme er uberwaAt, er war friiher Produzent fiir .Capitol" und ist jetzt Aufnahmeleiter fur .RCA-Victor" an der Westkiiste, und natiirliA spielt er abends .nebenbei". Und auA den meisten kalifornisAen Musikern be- kommt das .Klima" niAt, die oft ermiidende und langweilige Studio- arbeit, ohne Ae erforderliAe Vielseitigkeit und die fehlende uner- bittliAe Konkurrenz, die in Manhattan herrsAt. — Jimmy Ciuffre

42 ist ein begabter Musiker, aber ohne Linie. Wir finden in seiner Arbeit so einmalige Arrangements wie .Four Brothers", .Four More", .Safari" und .Out of Somewhere", dann wieder Hillbilly- Anklange, die seine Herkunft aus Dallas (Texas) erkennen lassen, dann wieder horen wir ihn mit slap-tongue-TeAnik auf .dirty" in Rhythm-and-Blues Titeln wie .Big Girl" und .Big Boy", denen die .Tangents in Jazz" diametral entgegengesetzt sind. Kammer- musikalisAe Aufnahmen weAseln mit anspruAsvollen Werken fiir grofies OrAester ab: .Music for Brass" (unter Leitung von Gunther SAuller aufgenommen), .Modern Jazz Concert", .Pharao", sind nur einige. AuA fiir kleinere Besetzungen sArieb er .seriosen Jazz", etwa fiir Shelly Manne (.Fugue" und .Alternation" auf Con- temporary). Ciuffre hat niAt fiir Kenton arrangiert, aber er ge- horte zweimal der Band an, und zwar als Tenorist seit Mai 1951 und dann wieder auf dem Bariton Anfang 1955. In vielen Werken geht Ciuffre an die Crenzen der Atonalitat und sein Einflufi an der Westkiiste ist niAt gering. — Einer der beliebtesten Musiker ist Shelly Manne; es gibt kaum eine Aufnahme unter den zahlrei- Aen Marken, auf der er niAt zu finden ware. Er stammt aus New York, durAlief mehrere Big Bands und wirkte dann in einer Reihe von Kenton-Formationen mit, so 1946—47, dann 47—48 und wie- der 50 — 51, als er siA selbstandig maAte. Shelly Manne hat vieles ins Feld zu fuhren: eine makellose TeAnik, grofie Vielseitigkeit, wozu auA die Spielweise in versAiedenen Rhythmen, etwa 6/8 Takt usw., zu zahlen ist, und seine Show-Fahigkeiten. Trotzdem fehlt bei ihm jenes gewisse Etwas, das ihn in eine Klasse mit Clarke, RoaA, Bellson oder Joe Morello stellt. Von alien Musikern der Westkuste ist Shelly Manne wohl der popularste. — Mulligan ist der umgekehrte Fall wie Ciuffre; er hat nie bei Kenton gespielt, sArieb aber einige Arrangements fiir ihn, die Kentons Musiker als reines JazzorAester forderten; auA blieb er stets der Mitte des Jazz nahe. Aber gerade wegen dieser Einsteiiung beriihrten siA seine Kreise niAt zu haufig mit denen Kentons. Mulligans beriihm- tes klavierloses Quartett war eine deutliAe Absage an Kentons

43 geballten, kompakten und oft undurdisiditigen Klang. Mulligan wollte das Gegenteil; aber viele Jahre und Platten von ihm zahlen einwandfrei zum California-Jazz. Wir sehen, dafi die Rolle Ken- tons zwar stark, aber nidit monopolartig dominierend ist, vor allem nidit mehr im zeitgenossisdien Jazz. Einige Namen aus anderen Lagern, aber kalifornisdi-heiter, erwahnten wir schon, Musiker wie Chico Hamilton, Buddy CoUette usw.; aber mehr und mehr madit sich eine neue Richtung bemerkbar, die man gern mit Ausdriicken wie „funky", „soul music" und „down home" Jazz bezeichnet. Sie wird durch Musiker wie Teddy Edwards belegt, der schon seit zehn Jahren dort ansafiig ist und oft im ^Lighthouse" spielt, durch die „Mastersounds" bzw. die Nachfolger, die drei Montgomery-Briider, durch den grofiartigen Drummer Frank Butler, teilweise durch Hampton Hawes, der in Los Angeles geboren ist, durch den jungen Trompeter Carmell Jones, Les McCann u. a. Es sind alles Musiker, die eine andere Vorstellung vom Jazz haben, die an ihm mitarbei- ten und ihn gestalten. Die Zeit wird zeigen, was daraus wird und in welcher Richtung Jazz sich weiter entwickelt. Eines hat sich bereits erwiesen: dafi Stan Kenton zu seiner Zeit wie in einem Brennpunkt Einfliisse, Stromungen, Vorstellungen und Absichten vereinigte, die inzwischen Geschidite geworden sind.

Vom gleicfaen Autor ersdiiencn:

Die Schallplatte auf dem Weltmarkt (Reher-Verlag 1939) Wesen und Gestalten der Jazzmusik (Butzon & Bercker 1949) Jazz in der Schule (Moseler-Verlag 1959) Django Reinhardt (Pegasus-Verlag 1960)

44 STAN KENTON DISCOGRAPHIE

.Gamblei's Blues" (in .Entwicklung des Jazz" auf „Grammophon" LPEM 1930S) Frank Beadi, Earl Collier, Chico Alvarez (tp); Didc Cole, Lorin Aaron, Harry Forbes (tb), Ted Romersa, Claude Lakey as. Red Dorris, HolUster Bridtvell ts. Bob Gioga bs; Ted Repay p, Al Cosli g, Howard Rumsey b, Marvic George d; Stan Kenton Id, arr. (New York 13. 2.1942). .Artistry in Rhythm" und „Harlem Folk Dance" (auf .Playboy" C 90 977/78) wie vorher, aber ohne Lorin Aaron tb; Jade Ordean as fur Lakey; Bill Leahy t» fiir Bridwell. (Balboa 1940/41, ursprunglich McCrcgor-Aufnahme; .Playboy* wird ebenfalls vom ASD importiert.) Das Album .MILESTONES" weist Aufnahmen von 1943 bis 1947 auf, also aus der .Artistry"- und der .Progressiven"-Serie (Cap T 190), imd zwar: .Eager Beaver" und .AiUstry In Rhythm" (aufg. 10.11. 1943): Buddy Childers, Didc Morse, Karl George, John Carroll, Ray Borden tp; George Faye, Bart Varsalona, Harry Forbes tb; Art Pepper, Eddie Meyers as. Red Dorris, Maurice Beeson ts. Bob Gioga bs; Stan Kenton p, arr. Id, Bob Ahem g, Clyde Singleton b. Bob Vernon d (Beaver: arr. Dennis Sandole). .Artistry Jumps' (aufg. 1.11.1945): Buddy Childers, Ray Wetzel, Russ Burgher, John Anderson, Bob Lymperis tp; Bart Varsalona, Milt Kabak, Fred Zito, Ray Klein, Jimmy Simms tb; Al Anthony, Boots MussuUi as, Vido Musso, Bob Cooper ts. Bob Gioga bs; Stan Kenton p, arr. Id, Bob Ahem g, Eddie Safranski b, Ralph Collier d, (June Christy voc, einige Titel Rugolo arr.). .Concerto To End All Concertos" (aufg. 26. 7.1946): Buddy Childers, Ray Wetzel, Chico Alvarez, Ken Hanna tp; Bart Varsalona, Milt Kabak, Kai Winding, Jimmy Simms tb; saxes wie vorher; rh, wie vorher, aber Shelly Manne fur Collier. (Concerto arr. von Rugolo.) .Intermission Riff" (aufg. 9. 8. 1946) wie vorher, aber Russ Burgher fiir Hanna, Fred Zito tb zusatzlich (arr. dieser Zeit: Gene Roland, Ray Wetzel). .Collaboration* und .How Am I To Know?" (aufg. 13. 2.1947, beide arr. Rugolo): Chico Alvarez, Buddy Childers, Ken Hanna, Ray Wetzel, John Anderson tp; Bart Varsalona, Milt Bernhart, Skip Layton, Kai Winding, Harry Forbes tb; saxes wie vorher nur Eddie Meyers fiir Al Anthony; rh. wie vorher, ferner Eugenio Reyes maracas, Ivan Lopes bongos. .Theme to the West" (aufg. 25.9.1947, arr. Rugolo): Chico Alvarez, Buddy Childers, Al Porcino, Ray Wetzel, Ken Hanna tp; Bart Varsalona, Milt Bernhart, Eddie Bert, Harry Forbes, tb; George Weidler, Frank Pappalardo as. Bob Cooper, Warren Weidler ts; Bob Gioga bs; Stan Kenton p. Id, Laurindo Almeida g, Eddie Safranski b. Shelly Manne d, Ren6 Touzet maracas. Jade Costanzo bongos. .The Peanut Vendor" (aufg. 6.12.1947, arr. Rugolo): wie vorher, nur Art Pepper as fiir Pappalardo (in gleidrer Besetztmg in anderen Alben; Monotony, Unison Riff, Lament, Impressionism, Cuban Carnival, Lonely Woman, alle von Rugolo, letzteres mit voc. von June Christy, sowie .Thermopolae" von Graettinger). .Bongo Riff" (aufg. 22. 12. 1947, arr. Rugolo) wie vorher; .Interlude* (arr. Rugolo) nur tb & rh der vorhergehenden Besetzung. Das Album „A CONCERT IN PROGRESSIVE JAZZ' (Cap T172) enthalt: .Elegy for Alto' (aufg. 24. 9.1947, arr. Rugolo, feat. George Weidler as): gleidie Bes. wie vorher .Theme to the West"; - .Fugue For Rhythm Section" (aufg. 25. 9. 1947, arr. Rugolo): Stan Kenton p, Laurindo Almeida g, Eddje

45 Safranski b. Shelly Manne d, Reni Touzet maracas, jade Costanzo bongos; - .Monotony" (aufg. 20.10. 1947, arr. Rugolo): glcidie Bes. wie vorher .Peanut Vendor" nur Salvatore Armento as fiir Pepper; — .Lament", .Impressionism", .Cuban Carnival", .Lonely Woman", .Thermopolae" (aufg. 22. 10. bzw. 6. 12.1947, s. vorherg. AlbumI); - .This Is my Theme" (aufg. 22.12.1947, arr. Rugolo, voc. June Christy): s. .Bongo Riff" im vorherg. Album!; - .Theme For Alto" (aufg. 20. 3. 1951, arr. Rugolo): Maynard Ferguson, Chlco Alvarez, Shorty Rogers, John Howell tp; Ray Wetzel tp, arr, voc; Bart Varsalona, Milt Bemhart, Dick Kenny, Bob Fitzpatrick, Harry Betts tb; Art Pepper, Bud Shank as. Bob Cooper, Bart Calderall ts. Bob Gioga bs; Stan Kenton p. Id, arr; Ralph Blaze g, Don Bagley b. Shelly Manne d, Carlos Vidal bongos & Conga, Eddie Gomez maracas & voc; —

.Come Rain Or Come Shine" (aufg. 20. 9. 1951): Maynard Ferguson, John Coppola, Conte Candoli, John Howell, Stuart Williamson tp; Bill Russo, Bob Fitzpatrick, Dick Kenny, George Roberts, Harry Betts tb; Stan Fletcher tuba; saxes & rh wie vorher. .INNOVATIONS IN MODERN MUSIC" (Cap W189) mit 8 Titeln in gleicher Bes. aufg. am 3./4. Febr. 1950: Trajectories (arr Frank Marks), Theme For Sunday (arr Kenton), Conflict (arr Rugolo), Incident in Jazz (arr Graettinger), Lonesome Road (arr Rugolo), Mirage (arr Rugolo), Solitaire (arr Russo, feat. Milt Bem- hart tb), Cuban Episode (arr Chico O'Farril).

Chico Alvarez, Buddy Childers, Shorty Rogers, Don Palladino, Maynard Fer- guson tp; Bart Varsalona, Milt Bemhart, Harry Betts, Bill Russo, Bob Fitz- patrick tb; John Graas, Lloyd Otto (fh). Gene England (tuba); Bud Shank, Art Pepper (as, cl, fl). Bob Cooper (ts, ob, eh), Bert Calderall (ts ). Bob Gioga bs; George Kast (concertmaster), Jim Cathcart, Anthony Doria, Alex Law, Dave Schachter, James Holmes, Lewis Elias, Earl Cornwall, Herbert Offner, Carl Ottobrine v, Samuel Singer, Stanley Harris, Leo Selic va. Jack Wolfe, Zachary Bock, Gregory H. Bemko cello; Stan Kenton p, Laurindo Almeida g, Don Bagley b. Shelly Manne d, Carlos Vical bongo, conga, voc; June Christy voc. — Vom gleichen Tag, aber nicht im Album: Mambo in F (O'Farril), Soliloquy (Richards), Amazonia (Almeida), Hefti No. 1 (Neal Heftl, not released). Evening i n Parkistan (Marks), SaluU (Rugolo).

.Roimd Robin" (comp & arr Shorty Rogers) in Bd. 4 der .History of Jazz" (Cap T 796), aufg. 12. 9.1950 in der Bes.: Maynard Ferguson, Shorty Rogers, Chico Alvarez, Al Porcino, John Howell tp; Bart Varsalona, Milt Bernhart, Harry Betts, Bob Fitzpatrick, Eddie Bert tb; Art Pepper, Bud Shank as. Bob Cooper, Bart Calderall ts. Bob Gioga bs; Stan Kenton p, Ralph Blaze g, Don Bagley b. Shelly Manne d.; feat. Pepper tmd Rogers. .NEW CONCEPTS OF ARTISTRY IN RHYTHM" (Cap T 383) mit 8 Titeln in gleicher Besetzung aufg. vom 10. 9. 1952 bis 18. 9.1952: Portrait of a Count (feat. Kenton p 4 Candoli tp, arr. Bill Russo), Young Blood (arr. Mulligan), Frank Speaking (arr Russo), 23° North 82° West (arr Russo), Improvisation (arr Russo), Invention for Guitar 4 Trumpet (arr Bill Holman), My Lady (arr Russo), Prologue (arr , Untertitel .This is an Orchestra" with speaking b y Kenton): Buddy Childers, Maynard Ferguson, Conte Candoli, Ruben McFall, Don Dennis tp; Bill Russo, Frank Rosolino, Keith Moon, Bob Burgess, George Roberts tb; Lee Konitz, Vinnie Dean as. Bill Holman, Richie Kamuca ts. Bob Gioga bs; Stan Kenton p, Sal Salvador g, Don Bagley b, Stan Levy d. - Denon Kenneth Walton bongos ntrr auf .23° North" (d. i . Cuba).

46 I n gleicher Besetzung wurden noch folgende Titel aufgenommen, die in ver- schiedenen Alben veroffentlicht wurden: Taboo (arr Kenton), Lonesome Train (arr Gene Roland), Swing Honse (arr Mulligan, nur in „The Kenton Era"), Von Go To My Head (arr Graettinger).

.SKETCHES ON STANDARDS" war urspriinglich ein 2S-cm-Album mit folgenden t Titeln, aufg. 28. & 30. 1. 1953 in gleicher Besetzung wie „New Concepts":

There's A Small Hotel, Sophisticated Lady, Over The Rainbow, Pennies From Heaven, Lover Man, Fascinating Rhythm, Shadow Waltz, Begin The Beguine (in letzterem zusatzlich L. Almeida, Raphael Lemos Jr., Aluisio Ferreira, Nestor Amaral conga, bongo, claves). Spater wurde das Album auf 30-cm-LP unter Hin- zunahme folgender weniger interessanter Titel aus spaterer Zeit erweitert: Dark Eyes, Don't Take Your Love From Me, More Love Than Your Love, Malaguena (25 cm = Cap LCA 426; 30 cm = Cap T 426).

.PORTRAITS ON STANDARDS" war ursprunglich ebenfalls ein 25-cm-Album mit den Titeln: I've Got You Under My Skin (arr Mulligan), You And The Night And The Music (arr Russo), April In Paris (arr Russo), Crazy Rhythm (arr Mulligan), Autumn in New York (arr Russo), Reverie (comp & arr Russo), I Got I t Bad (arr Russo), How High The Moon (arr Russo), aufg. 8. 7. 1953: Ernie Royal, Don Smith, Conte Candoli, Buddy Childers, Don Dennis tp; Tom Shepard, Keith Moon, Bob Burgess, Frank Rosolino tb, George Roberts tb, Lee Konitz, Don Carone as, Zoot Sims, Eddie Wasserman ts, Tony Farina bs; Stan Kenton p, Sal Salvador g, Don Bagley b, Stan Levey d. - Auch dieses Album wurde spater unter Hinzunahme folgender weniger interessanter Titel aus spMterer Zeit er- weitert: The Lady in Red, Street of Dreams, Baia, Under A Blanket Of Blue (25 cm = Cap H 462" 30 cm = Cap T462).

Zwei „SHOWCASE"-Alben nahm Stan Kenton am 2. und 3. Marz 1954 auf, in denen Bill Holman bzw. Bill Russo herausgestellt wurden. Hier zunachst die einheitliche Besetzung: Buddy Childers, Sam Noto, Stu Williamson, Don Smith, Victor Minichelli tp; Bob Fitzpatrick, Frank Rosolino, Joe Ciavardone, Milton Gold, George Roberts tb; Dave Schildkraut, Charlie Mariano as. Bill Perkins, Mike Cichetti ts, Tony Farina bs; Stan Kenton p. Bob Lesher g, Don Bagley b, Stan Levy d.

Holman-Album m. d. Titeln: Hav-a-Havana, Solo for Buddy, The Opener, King Fish, Fearles Finlay, In Lighter Vein (zusatzlich: Lee Konitz as), ErgSnztmg durch .Bags* vom 28.1.1953, deshalb gleiche Bes. wie .New Concepts" und .Sketches", sowie durch .Theme 4 Variations" vom 9. 7.1953, Bes. = .Portraits" (erschienen auf Cap LCT 6009 A-Seite, 30 cm; sowie auf Cap T 598 A-Seite 25 cm ohne .Vein" und .Fish").

Russo-Album m. d. Titeln: Dusk, A Theme of Four Values, Bacante (zusatzlich: Candido conga). Sweets, Study for Bass, Bines Before and After, Edgon Heath, Thisbe (erschienen: wie vorher, B-Seitel).

.CONTEMPORARY CONCEPTS" (aufg. 20./22. 7.1955) mit den Titeln: What's New?, Stella By StarKght, I've Got You Under My Skin, Cherokee, Stompin' at the Savoy, Yesterdays', Limelight (alle arr von Holman, nur .Limelight" arr Mulligan), in der Besetzung: Bobby Clark, Ed Leddy, Sam Noto, Al Porcino, Stu Williamson tp; Gus Chappell, Bob Fitzpatrick, Carl Fontana, Don Kelly, Kent Larsen tb; Charlie Mariano, Lennie Niehaus as. Bill Perkins, Dave van Kriedt ts, Don Davidson bs; Stan Kenton p, Ralph Blaze g. Max Bennett b, Mel Lewis d (erschienen auf Cap T 666).

47 „STAN KENTON IN HI-FI" (Neueinspielung alter Titel mit neuer Besetzung) vom 1I./12. Febr. 1956: Painted Rhythm, Southern Scandal, Minor Riff, Colla- boration, Intermission Riff, Artistry in Boogie, Seanut Vendor, Unison Riff, Eager Beaver, Lover, Artistry Jumps, Concerto to end all Concertos, Interlude: Vinnie Tano, Pete Candoli, Ed Leddy, Sam Noto, Don Paladino, Maynard Ferguson tp; Carl Fontana, Bob Fitzpatridc, Milt Bernhart, Kent Larsen, Don Kelly tb; Lennie Niehaus, Sheets Herfurt as. Spencer Sinatra, Vido Musso (nidit auf: Collaboration, Peanut Vendor, Unison Riff, Interlude) ts. Jack Nimitz bs; Stan Kenton p, Ralph Blaze g, Don Bagley b, Mel Lewis d, Chico Guerrero timbales (erschienen auf Cap T 724). ." (aufg. 20.1.1958) mit den Titeln: Royal Blue (arr Bill Holman), The Big Chase, My Old Flame (beide arr Marty Patch), Speak Low, Rendezvous at Sunset, Out of this World, Begin the Beguine, Get out of Town, I Concentrate on You, Beyond the Blue Horizon (samtl. arr Richards): Sam Noto, Phil Gilbert, Lee Katzman, Billy Catalano, Jules Chaiken tp; Kenneth Shroyer btb; Kent Larsen, Jim Amlotte, Don Reed, Archie Le Coque, Bob Fitzpatrick tb; Vince DeRosa, Jimmy Dedcer fh; Lennie Niehaus, Bill Robinson as. Bill Perkins, Richie Kamuca ts, Steve Perlow bs; Stan Kenton p. Red Kelly b, Jerry McKenzie d (ersduenen Cap T995). .STAN KENTON AT THE LAS VEGAS TROPICANA" mit den Titeln: Artistry i n Rhythm, Bemie's Tune, Tuxedo Junction, Street Scene, Pndc's Bines, I Concen- trate On You, The End of a Love Affair, Yon and I and George, Sentimental Riff, Random Riff, Qosing Theme (auf Cap T 1460): Bud Brisbois, Joe Burnett, Frank Huggins, Roger Middleton, Jack Shelton tp; Jim Amolette, Kent Larsen, Archie LeCoque, Bob Olson, Bill Smiley tb; Lennie Niehaus, Billy Root, Sturi Swenson, Bill Trujillo, Richie Kamuca saxes; Stan Kenton p. Red Kelly b, Jerry McKenzie d. Stan Kenton ist auf keiner einzigen Platte unter einem anderen Leader zu hSren, wohl gibt es aber eiidge interessante Aufnahmen mit anderen Musikern, z. B. der Titel .Happy Blues", in dem Kenton ein lustiges Duett mit Benny Goodman .singt"; weitere Mitwirkende sind Charlie Shavers, Benny Carter, Jimmy Rowles, Red Norvo, Red Callender u. a. (aufg. 29.5.1947). Ferner ist die gesamte Kenton- Besetzung wie im .Peanut Vendor" vom 6. 12. 1947 (Album .Milestones") zu horen plus Dizzy Gillespie, Bill Harris, Buddy De Franco, Flip Phillips, Nat King Cole, Billy Bauer und Buddy Rich, den .Metronome All Stars" in dem Titel .Metronome Riff, aufg. 21.12. 1947. Am 16. 8.1950 nahm die Band mit dem King Cole Trio (King Cole p, Irving Ashby g, Joe Comfort b) die Titel .Jam-Bo" und .Orange Coloured Sky" auf. Kentons Sprache ist zu horen in .Prologue" (s. .New Concepts of Artistry in Rhythm") sowie im .Epilogue* (letzteres in .The Kenton Era" zusammen mit dem .Prologue"). - In der Serie .Stan Kenton Presents" hat er Combos einiger Sidemen vorgestellt (s. Textteill), ferner nahm im Dez. 1947 eine siebenkSpfige Kenton-Combo (mit Rugolo p!) unter Leitung von Eddie Safranski unter der Bezeichnung .The Poll Cats" fiir .Atlantic" auf (in England auf .Esquire" erschienen). — Bei seiner 3. Europareise nahmen am 3./4. Mai 1956 einige Kentonmusiker zusammen mit Martial Solal und Don Rendell fur .Vogue" und mit Henri Reiuiud und Wes Ilcken fiir .Club des Amateurs du Disque" auf.

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1 Stan Kenton in typischer Dirigierpose.

2 June Christy wurd e ais Siebzehnjdhrige von Kenton in Chicago entdeckt. Sie trug von 1945 bis 1949 stark zur Beliebtheit der Band bei. Sie nahm 1953 an der Europatournee teil und mochte eine Reihe von Solooufnohmen, bei denen Kenton sie cm Klavier begleitete.

3 Pete Rugolo gehorte von 1945 bis 1949 zum Stab der Arr an- geure Stan Kentons. Von ihm stammen die meisten . O r i g i n a l s " der „Artistry"-P eriode. 4 Bob C ooper kam 1945 zu Kenton und lernte dort seine Frau June Christy kennen, mit der er seit 1946 verheiratet ist. Er spielt auBer Tenorsax noch O b o e und ist unzertrennlich von Bud Shank, auch wenn dieser nur 1950/51 Mitgli ed bei Kenton war. Beide spielen im .Lighthouse" und haben gemeinsam mehrere Europatourneen unternommen. Shank spielt aufier Altsax als Hauptinstrument noch Tenor, ein vorzugliches Bari- ton und eine moderne Flote. 5 Shelly Mann e spielte 1946-47 bei Stan Kenton und \«urde d ann eine der wichtigsten Personlichkeiten des Westkustenjoz z. Laurindo Alm e id a wurd e 1947 von Kenton in Brasilien entdeckt und engagiert. Er beherrscht nicht nur die ganze G it arren- familie, er ist auch Komponist und Arrang eur und heute ein gesuchter Studiomusiker in Ho llywo o d . Er mufi mit Andres Segovia und D j ango Reinhardt in einem Atemzug genannt werden. John G raas kam von der sinfonischen Musik zum Jazz. Er stu- dierte bei Tristano, Shorty Rogers und W esley LaViolette. Bob G raettinger stellte ihn in dem Satz „A H o r n " seiner Suite .This Mod e rn W o r l d " heraus. Dos Foto zeigt ihn mit dem Au tor in H o l l ywo o d . 8 Shorty Rogers gehorte wie G raas zum „lnnovations"- G rchester Stan Kentons. Nach and erth alb Jahren Trompetespielens blieb er der Band als Arrang eur verbunden. Das Foto zeigt ihn mit dem F otograten W i l l i a m C laxton out seinem Besitztum. Anit a O ' D a y kam 1944 von G ene Krupa zu Stan Kenton und blieb ein Jahr. Von Hause aus eine Jazzsdngerin, verhalf sie der Band durch die Aufn ahme von „ A n d Her Tears Flowed Like W i n e " zum ersten grofien kommerziellen Plattenerfolg. 0 M a y n a r d Ferguson w a r wegen seiner ungloublichen Hbhe und Technik aus der Kenton-Band von 1950-53 nicht weg- zudenken. Erst spdter wurd e aus dem Show-Trompeter ein Jazzmusiker.

1 G erry Mullig an ist zusammen mit Rogers und G iuffre die wichtigste Jazzpersonlichkeit der amerikanischen Westkuste. O b w o h l er nie zum Kenton-Orchester gehorte, trugen seine . O r i g i n a l s " wie . S wing House", .Young Blood" und .Lime- light" wesentlich dazu bei, dem Orchester echten Jozz- chorokter zu geben.

12 Das beruhmte .Lighthouse C af e" in Hermosa wurd e von H o w a r d Rumsey, Kentons erstem Bassisten, seit 1949 zum Mittelpunkt des Westkustenstils gemacht. N eb en an im .H er- mosa Inn" spielten die .S aints" 1957 unter Chico Alvare z, Kentons erstem Trompeter von 1941 bis 1951, D ixieland!

14 Stan G etz w a r als Siebzehnjahriger ein Jahr (von 1944 bis 1945) Mitgli ed der Kenton Band. 15 Julius W atkins gehort mit Curtis Counce und Lucky Thompson zu den wenigen f arbig en Musikern, die Kenton beschdftigte. Durch seine Bekonntschoft mit Pete Rugolo und Johnny Richards kam er zu Kenton, als dieser 1956 dessen Suite . C u b a n Fire" aufnahm. ^

16 Kenton mit Ann Richards, die 1955 als Sdngerin engagiert und kurz darauf seine Frau wurde. ^

1 Stan Kenton Sein Name und seine Musik aus den „progres- siven" Jahren kann heute noch die Gemiiter er- hitzen; das ist sonst nicht bei alien Jazznamen der Fall. Die meisten Fans kennen nur Super- lative: sie bejahen bedingungslos oder sie ver- urteilen, meist kritiklos. Bei Kenton ist es anders. Seine Musik fordert wegen ihrer Umstrittenheit die Diskussion heraus, und das Ergebnis kann nur ein tieferes Eindringen in die Materie „Jazz" sein, ganz gleich, wie man zu Kenton steht. Nachdem die Wellen der Erregung um Kentons Musik obgeebbt sind, tritt seine Bedeutung deut- licher hervor, und man dart sagen, daB ihm ein historischer Platz im Jazz zukommt. Dr. Schulz-Kohn nimmt die Bestrebungen Stan Kentons, die ebenso wie seine verschiedenen Orchester und sein Lebensweg ausfiihrlich be- handelt werden, zum Ausgongspunkt allgemei- ner Jazzbetrachtungen, etwa iiber „Kunst und Technik" oder iiber den „Fartschrltt" in der Kunst - Gedonken, die sich out jede Stilort und jeden Jozzmusiker anwenden lessen - . Jeder Musikfreund wird das Bdndchen nicht aus der Hand legen, ohne eine tiefere Beziehung zu der Musik, die er liebt, bekommen zu hoben. Hier entsteht nicht nur das Portrat eines Man- nes - Stan Kenton - sondern einer ganzen Epoche, die Irrungen und Wirrungen der letzten Kriegs- und ersten Nochkriegsjahre mit Bop und progressivem Jazz, mit den Bemiihungen der Verbindung von Jazz und Klassik und den Musikern, die dobei mitgewirkt hoben.

Lebensbeschreibungen fiir alle Freunde des Jazz

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