Kinderlandverschickung Kasseler Schulen 1943 - 1945
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Heinz Vonjahr Kinderlandverschickung Kasseler Schulen 1943 - 1945 Nationalsozialismus in Nordhessen Schriften zur regionalen Zeitgeschichte Herausgegeben vom Fachbereich Erziehungswissenschaft/ Humanwissenschaften der Universität Kassel Redaktion: Dietfrid Krause-Vilmar Band 21 Zum Autor: Heinz Vonjahr, geboren 1932 in Kassel, aufgewachsen im Stadtteil Betten- hausen. Abitur 1953 am Realgymnasium Wesertor in Kassel. Nach Studium der Evangelischen Theologie von 1961 bis 1995 Pfarrer in nordhessischen Gemeinden. Lebt seit der Pensionierung in Schauenburg-Elgershausen. Seit 1984 zahlreiche Aufsätze zur Heimatgeschichte und Heimatkunde. Vorsit- zender der Geschichtswerkstatt Schauenburg e.V. Heinz Vonjahr Kinderlandverschickung Kasseler Schulen 1943 - 1945 Dokumente, Berichte, Erinnerungen V E R L A G WINFRIED JENIOR Für die Online-Veröffentlichung durchgesehene Ausgabe 2011 © 2004 Verlag Winfried Jenior Lassallestr. 15, D-34119 Kassel Tel.: 0561-7391621, Fax 0561-774148 e-mail: [email protected] www.jenior.de ISBN: 3-934377-72-6 ISSN: 0175-1840 Einbandgestaltung: Stephan von Borstel unter Verwendung eines Fotos aus Privatbesitz Druck: Druckwerkstatt Bräuning und Rudert, Espenau Printed in Germany Inhaltsverzeichnis Vorwort 1 Einleitung 7 Kinderlandverschickung Kassel im Bombenkrieg Der Exodus aus Kassel 11 Eine Großstadt stirbt 13 Wandlungen der Kinderlandverschickung Kinderlandverschickung – seit Kaisers Zeiten 15 “Erweiterte” Kinderlandverschickung seit 1940 16 Unsere Kinder sind in guter Hut 19 Engpässe 20 Kurhessen als Aufnahmegau Lager anderer Gaue in Kurhessen 25 KLV-Lager Kasseler Schulen vor dem 22.10.1943 26 Kurhessen hilft sich selbst Eine Herkulesaufgabe 34 Die Kinderlandverschickung läuft an 37 Die Kinderlandverschickung im Februar 1944 38 Bericht vom 10. März 1944 41 Die KLV-Lager im Herbst 1944 46 Bericht vom 1. Februar 1945 49 Anspruch und Wirklichkeit Der Elternbrief im Gau Kurhessen 53 “Entfremdung?” 57 Mängel 60 Weltanschauung Schulung der Lehrerschaft 65 Weltanschauliche Ausrichtung der Lager 68 Kinderlandverschickung und Kirche 70 Flucht und offene Rechnungen 72 Die Kasseler Schulen und ihre KLV-Lager Bürgerschulen 76 Hilfsschulen 82 Mittelschulen 82 Oberschulen 84 Zusammenfassung 88 Erlebnisberichte Joachim Barnack (Schüler Wilhelmsschule) 92 Karl Birkenstamm (Lehrer Bürgerschule 5/15) 105 Werner Dettmar (Lagermannschaftsführer Hermann-Göring-Schule) 108 Elfriede Heyde (Lehrerin Luisenschule) 111 Ilse Knieling geb. Jakob (Schülerin Amalienschule) 119 Karl-Heinz Krause (Schüler Paul-von-Hindenburg-Schule) 122 Gudrun von Nida (Assessorin Wilhelmsschule) 153 Kurt Riebow (Rektor Hilfsschule III) 160 Heinz Vonjahr (Schüler Hermann-Göring-Schule) 167 Exkurse und Übersichten Die Hitlerjugend 175 Kleines Lexikon von Begriffen aus der NS-Zeit 179 Kasseler Schulen 1943 und 2003 185 KLV-Lager aus dem Gau Weser-Ems in Kurhessen 1943 und 1944 188 KLV-Lager Kasseler Schulen 1943 und 1944 192 KLV-Elternbrief: Titel und Themen 198 G. M. Vonau: Kasseler Kinder in Mandern 200 Fotos aus dem KLV-Lager Sonnenberg 201 Register der Personen 203 Register der Orte 220 Anhang Quellen: ungedruckte Quellen 234 gedruckte Quellen 234 Erlebnisberichte 235 Literatur 238 Abkürzungen 241 Nachwort 243 Korrekturen Vorwort Mit Heinz Vonjahrs Bericht über die Kinderlandverschickung Kasseler Schulen äußert sich in unserer Schriftenreihe “Nationalsozialismus in Nordhessen” erstmalig ein im Nationalsozialismus aufgewachsener Zeitzeu- ge, der über seine Kinderjahre im Rahmen der Kinderlandverschickung be- richtet. Der Autor (Jahrgang 1932) wurde im Jahr des Kriegsbeginns einge- schult und machte nach dem verheerenden Luftangriff auf die Stadt Kassel am 22. Oktober 1943 die Verschickung aufs Land gemeinsam mit vielen an- deren Schülern aus der Stadt mit. Goebbels hatte nach diesem Angriff und der Zerstörung großer Teile der Stadt, auch vieler Schulgebäude, die Verle- gung aller Kasseler Schulen auf andere Orte persönlich angeordnet. Damit wurde Kassel – als letzte Großstadt im Deutschen Reich – in die “Erweiterte Kinderlandverschickung” einbezogen. Im Gegensatz zu der seit langem ge- übten Erholungsverschickung von Großstadtkindern aufs Land sollten mit der Verlegung ganzer Schulen die Folgen des Bombenkrieges verringert werden. Heinz Vonjahr war und ist es wichtig, diesen Abschnitt seines Le- bens und des Lebens zahlreicher seiner Altersgenossen festzuhalten, zu do- kumentieren, darüber zu berichten. Weil es sich bei dieser Dokumentation zugleich immer auch um einen Be- richt mit persönlichem Erfahrungshintergrund handelt, – und dies erhöht in meinen Augen den Wert der Darstellung – schreibt der Autor nicht in der Sprache eines aus der Ferne distanziert analysierenden Wissenschaftlers, der sich mühsam aus den Akten und Berichten ein Bild zu machen sucht, son- dern als Zeitzeuge, der das Geschehen zusammen mit Freunden und Klas- senkameraden, mit denen er zum Teil bis heute in Kontakt steht, erlebte. Es ist daher nur folgerichtig, dass er authentische Erlebnisberichte aus seinem Bekanntenkreis in herausgehobener Weise aufnahm. Zugleich werden wich- tige Informationen zur Geschichte der Kinderlandverschickung auf der Grundlage der einschlägigen Fachliteratur mitgeteilt. Als Chronist der erwei- terten Kinderlandverschickung verdeutlicht er einen gerade im einzelnen ge- nau prüfenden und differenzierenden Blick. Seine kritische Haltung etwa bestimmten Hitlerjugendführern und der “weltanschaulichen Ausrichtung” gegenüber verbirgt Vonjahr nicht – gleichwohl bestehen er und seine Zeit- zeugen auf dem je einzelnen Ereignis, der je besonderen Umstände in dieser oder einer ganz anderen Situation, in diesem oder in jenem Lager. Dabei stoßen sie neben der bekannten Struktur dieser Lager auch auf Widersprüch- liches, wie z.B. die Durchführung von Religionsunterricht oder den Vortrag eines Pfarrers im Lager. Der Autor dokumentiert einen Abschnitt seiner (und nicht nur seiner allein!) Jugend in der Nazizeit, in der er eben auch verantwortliche Lehrer und Leh- rerinnen kennen lernte, die sich – aus der damaligen Perspektive – schwieri- gen Organisations- und Versorgungsproblemen engagiert stellten: Wie plötz- lich in überwiegend kleinen Gemeinden über Nacht hundert und mehr Quin- taner unterbringen, versorgen und unterrichten? Heinz Vonjahr dokumentiert vergangene Wirklichkeiten, die heute bei der Thematisierung der Nazizeit nicht häufig zur Sprache kommen. Aber gerade diese Wirklichkeiten bestimmen vermutlich für manche Angehörige der Generation, der Vonjahr angehört, – derjenigen, die als Kinder und Jugendliche Krieg und Nazizeit unmittelbar erfahren haben – nicht zuletzt auch das Bild jener Zeit bis ges- tern und heute. Es sind eben in jenen Jahren auch “Leistungen” im Kleinen, in der Bewältigung des Alltags, vollbracht worden, die Teil der Lebensge- schichte dieser Generation – und damit auch Teil ihres Geschichtsbildes – sind. Und hier liegt meines Erachtens das Verdienst dieser Chronik. Heinz Vonjahr bringt in dieser historischen Darstellung ein lebensgeschichtliches Fragment zur Sprache, das für manche damaligen Kinder und Jugendliche charakteristisch erscheint und das man vielleicht in der folgenden Erfahrung zusammenfassen kann: Wir haben diese schweren Kriegsjahre gemeinschaft- lich durchgestanden. Von daher ist es für den Autor naheliegend gewesen, die organisatorischen Seiten der Kinderlandverschickung in den Mittelpunkt seiner Darstellung gestellt zu haben. Heinz Vonjahr hat in aufwendigen Re- cherchen und in zahlreichen Gesprächen mit Zeitzeugen alles erreichbare Wissen zu den Kasseler KLV-Lagern zusammengetragen und in vorbildli- cher Weise (nicht zuletzt auch im Anhang mit den hilfreichen Übersichten und Registern) dokumentiert. Ein schönes Beispiel von Selbstbehauptung unter diesen Bedingungen teilte Gudrun von Nida, eine junge Studienasses- sorin, die mit ihren Schülern in das Lager Knüllwald abgeordnet wurde, mit: Als sie wegen der Teilnahme am Gottesdienst – sie hatte dort die Orgel ge- spielt – zur HJ-Gebietsführung zitiert wurde, habe sie entgegnet “Meine vorgesetzte Behörde ist der Regierungspräsident, nicht die HJ” (S. 158); sie folgte der Aufforderung nicht. Der Autor belegt auch überzeugend, dass die Ziele der NS-Kinderland- verschickung zahlenmäßig bei weitem nicht erreicht wurden; ein großer Teil der Eltern wusste dies zu verhindern, sei es durch Nichtanmeldung ihrer Kinder zur Verschickung, sei es durch privaten Wegzug aus der Stadt aufs Dorf. Gelegentlich werden die Strukturen der für die Nazizeit so charakteris- tischen “Lagergesellschaft” sichtbar. Die erweiterte Kinderlandverschickung wurde von der Hitlerjugend organisiert und allüberall gab es Führer, Gehor- sam und Disziplin. Man sieht ganze Klassen in HJ-Uniform. Ausscheren war undenkbar. In einem Bericht des Kasseler Oberbürgermeisters vom März 1944 an den Regierungspräsidenten findet sich z.B. in bestem Bürokraten- deutsch der Satz: “Alle unbegründeten Herausnahmen von Kindern aus der Lagergemeinschaft sind nicht allein bedenklich für die betroffenen Kinder sie haben auch Beunruhigung der übrigen Schüler und Schülerinnen zur Fol- ge und stören die planvolle Organisation” (S. 45). Wir heute können diese “kleinen Welten” nicht mehr getrennt sehen von dem, was zur selben Zeit in Deutschland und in Polen, in der Sowjetunion, in Italien und an vielen anderen Orten im deutschen Namen an Verbrechen ge- schah. Wenn wir an das Jahr 1944 denken, sehen wir Graf Stauffenberg und die Männer des 20. Juli, Dietrich Bonhoeffer in Tegel, Auschwitz, die Depor- tationen ungarischer Jüdinnen