Alpha-Forum-Extra: Stationen Der Literatur: Eduard Mörike Prof. Dr
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 18.06.2005, 20.15 Uhr alpha-forum-extra: Stationen der Literatur: Eduard Mörike Prof. Dr. Wolfgang Frühwald im Gespräch mit Dr. Walter Flemmer Flemmer: Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, willkommen zu einer der, wie ich meine, schönsten Stationen der deutschen Literatur, zu einem Gespräch über Eduard Mörike. Mein Gesprächspartner im Studio ist Professor Dr. Wolfgang Frühwald. Herr Frühwald, Mörike: Cleversulzbach, die Idylle am Bodensee, ein Männlein, ein Vikar, ein Pfarrer, der in seinem Leben über Schwaben eigentlich nicht hinausgekommen ist, der höchstens ein paar Schritte nach Bayern, nach Tirol und in die Schweiz hinein getan hat – und dieser Mann soll Weltliteratur sein? Der soll, wie Albrecht Goes gesagt hat, der Mozart der deutschen Sprache gewesen sein? Wie kommt man zu einem solchen Ruhm? Frühwald: Das ist ein sehr schönes Wort, das Albrecht Goes da gesagt hat. Und er war vermutlich wirklich der Mozart der deutschen Sprache. Die Dichter und die zeitgenössischen Kritiker haben ihn so eingeschätzt, wie Sie das soeben mit Ihrer Aufzählung ebenfalls gemacht haben. Obwohl immerhin Gottfried Keller schon gesagt hat, Mörike sei der Sohn aus einer Verbindung zwischen Horaz und einer feinen Schwäbin. Gottfried Keller wusste also bereits, wer ihm da entgegengetreten ist. Die Musiker jedoch haben diesen Eduard Mörike von Anfang an unter das Höchste gerechnet, was es in der deutschen Literatur gibt und was zu vertonen sich lohnt. Flemmer: Wobei man ihn eigentlich gar nicht vertonen hätte müssen, denn seine Sprache ist ja Musik: Sie klingt wie kaum eine andere. Und man darf vielleicht sagen: In der deutschen Lyrik kann man Goethe kaum jemand anderen als Mörike mit seinen Naturgedichten zur Seite stellen – wobei man sehr vorsichtig sein muss, wenn man "Naturgedichte" sagt. Ich schlage mal ganz kühn den Bogen zu den größten Dichtern der T'ang-Dynastie in China, zu Tu Fu und Li Po: Mörike kann sich sehr wohl an deren Seite stellen. Frühwald: Ja, das ist überhaupt keine Frage. Und natürlich ist er in Japan und in China einer der bekanntesten deutschen Autoren – wegen dieser Musikalität seiner Sprache und wegen seiner gemäldeartigen Sprache. Trotzdem sind die Musiker diejenigen gewesen, die ihn in das Bewusstsein des Volkes und in das Bewusstsein der Gebildeten hineingebracht haben. Flemmer: Schumann muss man hier wohl als Ersten nennen. Frühwald: Ja, Schumann vor allem, aber auch Brahms. Es gibt etwa 1800 Vertonungen von Mörike-Gedichten. Das ist nichts im Vergleich zu Heine oder Eichendorff, wo es jeweils um die 5000 Vertonungen gibt. Aber immerhin: Es gibt Gedichte von Mörike, die mehr als 100 Mal vertont worden sind – bis zu Hugo Distler, bis zu Othmar Schoeck, bis hinein in unsere neueste Zeit, also bis zu den Modernen. Für die Musiker war dieser "Mozart der deutschen Sprache" immer ein Geheimtipp – und das mit Recht. Flemmer: Man muss wohl auch zum Ursprung zurückgehen, nach Ludwigsburg, wo er 1804 geboren wurde als Sohn eines Arztes, dessen Geschlecht aus Brandenburg stammt und das bereits im 17. Jahrhundert nach Württemberg eingewandert war, und einer Schwäbin. Das war eine Familie, in der sechs Kinder gestorben sind und er das siebte von insgesamt 13 Kindern war. Und dies, obgleich der Vater Arzt gewesen ist. Frühwald: 13 Kinder bedeuteten natürlich eine große Familie. Das Wichtige dabei ist, dass diese Geschwister ein wirklich enges Verhältnis zueinander gehabt haben. Das Faktum, dass einer seiner Brüder wegen sträflicher Ehrsucht auf die Festung verbracht worden ist, hat Mörike unglaublich berührt. Es hat ihn ebenso sehr berührt, dass eine seiner Schwestern in relativ jugendlichem Alter gestorben ist und er ihr in ihrer Todeskrankheit, obwohl Pastor und Pfarrer, nicht sagen konnte, ob er denn an den Heiland und die Auferstehung glaubt. Es hat in berührt, dass einer seiner Brüder vermutlich Selbstmord begangen hat. Darüber hinaus hatte er ein ganz inniges Verhältnis zur Mutter, weil der Vater gestorben ist, als Mörike 13 Jahre alt war. All das gehört natürlich zum Bild dieses Mannes, der Zeit seines Lebens mit seiner Mutter und einer seiner Schwestern zusammengelebt hat. Flemmer: Man sagt ja, dass er schon in jungen Jahren der Erzähler für seine Brüder gewesen sei und ihnen Geschichten und Märchen erzählt hätte. Er hat damals wohl auch schon die Märchen der Gebrüder Grimm benutzt, um seine Geschwister zu unterhalten. Sie haben auf das unterschiedliche Verhältnis zu seinen Geschwistern bereits hingewiesen, auf seine Brüder Karl und August, auf seine Schwester Luise und schließlich auf seine Schwester Klara am Ende. Da zeichnete sich dann ja auch ein Konflikt ab, über den wir später sicherlich noch sprechen werden. Der junge Mörike war ja eigentlich gar kein guter Schüler, als er in die Schule gekommen ist. Er hatte nur... Frühwald: ... mittelmäßige Noten. Und deswegen sollte er auch nicht in das unteres Seminar aufgenommen werden, also in die Vorbereitungsschule für eine Theologenlaufbahn. Aber wegen seiner Phantasiebegabung und insbesondere wegen seines guten Betragens ist er dann doch in dieses untere Seminar aufgenommen worden. Flemmer: Seine Mutter ist dann ja aus Ludwigsburg zum Onkel gezogen, zu einem hohen Justizbeamten. Mörike traf dort wohl auf einen sehr gebildeten Haushalt, denn dort hatte er seine ersten Begegnungen mit der Literatur und natürlich auch mit der Musik. Mörike kam dann auf das bereits angesprochene untere Seminar. Das war ja ein Seminar mit einer bestimmten Richtung, denn dort lief es wohl auf die Theologie hinaus. Frühwald: Ja, es ging in Richtung Philosophie und Theologie. Vor allem aber ist damit die Ausbildung zum Theologen möglich geworden, denn der ganze Promotionsjahrgang, also der ganze Jahrgang dieses unteren Seminars ist dann in das Tübinger Stift aufgenommen worden. Und das war ja doch wohl das Vornehmste und Beste, was man jedenfalls in Württemberg an Erziehung bekommen konnte. Flemmer: Für die evangelische Kirche war das seinerzeit das Institut. Frühwald: Albrecht Goes, ein Stiftler, schreibt dann eines Tages eine Biographie über den Stiftler Eduard Mörike. Er sprach auch in einer Rede im Tübinger Stift über den Stiftler Eduard Mörike. Flemmer: In Tübingen, aber auch davor schon in Urach, in dieser Klosterschule sind Freundschaften entstanden, die bei Mörike ein Leben lang gehalten haben. Uns sind aus diesem Grund viele, viele Briefe erhalten geblieben. Manche Freunde hat er meinetwegen mal ein Jahr lang nicht wahrgenommen, hat nicht auf ihre Briefe zurückgeschrieben, aber die Versöhnung... Frühwald: ... war dafür dann umso prächtiger. Flemmer: Da gab es ja wohl ein paar herausragende Freunde. Frühwald: Ja, da gab es die Freundschaft mit Hartlaub, die Freundschaft mit Ludwig Bauer, die Freundschaft mit Wilhelm Waiblinger. Das sind im Grunde genommen zunächst einmal schon rein schwäbische Freundschaften. Aber diese Freundschaften haben dann wirklich ein Leben lang gedauert. Freundschaft war in Mörikes Leben fast noch wichtiger als Liebe. Flemmer: So ist es. Frühwald: Er hat auf die Freunde als Lebensführer mehr vertraut als auf alles, was ihm an weiblicher, fraulicher Liebe begegnet ist. Flemmer: Dieser Wilhelm Waiblinger hat ihn ja zu Hölderlin und zu Shakespeare und zu Goethe geführt. Frühwald: Ja, Mörike hat den kranken Hölderlin auch noch persönlich gesehen, diesen Hölderlin im Turm in Tübingen. Aber er wollte nicht so dichten, wie Hölderlin gedichtet hat, obwohl er ihn sehr bewundert hat. Aber dieses Poetenschicksal, als geisteskranker und gemütskranker Mensch dann jahrzehntelang in einem Turm und betreut von einem ganz einfachen Mann zu überleben und ab und zu noch eine Erinnerung an das Frühere zu haben, das hat Eduard Mörike sehr beeindruckt. Und viele Gestalten haben dann auch so ein Schicksal. Flemmer: Waiblinger war ja ein etwas verlottertes Genie, wenn ich das so sagen darf. Er ist dann nach Italien verschwunden und dort regelrecht zugrunde gegangen. Damit war natürlich auch die Freundschaft zwischen den beiden beendet. Aber Mörike hat wohl nie vergessen, was ihm dieser Freund nahe gebracht hatte. Frühwald: Ja, auch an Genialität nahe gebracht hat, an Genialität und auch an Beziehung zur Sprache, denn dieser Mörike war im Leben nicht sehr befestigt. Mir scheint er einer der traurigsten Dichter der deutschen Literatur zu sein. Das ist zwar ein Dichter, der auch in unglaublichen Humor ausbrechen konnte, aber dieser Humor ist doch abgerungen einem Untergrund von Traurigkeit und Schwermut. Es gibt von ihm eine wunderschöne Briefstelle, wo er dies beschreibt. Dort heißt es: "Ich freute mich zuletzt nur auf eine einsame Stunde, wo ich nach Herzenslust unter ungehemmten Tränen meine eigene Trauer gleichsam würde umarmen und erschöpfen dürfen. Denn so bin ich: Aug in Aug noch mit dem geliebtesten Gegenstand bleibt der äußere Teil meines Wesens meistens ohne lebhaften Ausdruck, so gierig sich auch der Schmerz aus der Tiefe hervorsehnt und auf eine stürmische Erlösung wartet." Er war ein trauriger Dichter. Flemmer: Ein trauriger Dichter, ein Dichter, der auch immer wieder an seinem Beruf beinahe verzweifelte. Er wanderte von einer Vikarsstelle, also einer niedrigen theologischen Stelle zur anderen: Ein Dutzend Stellen in den kleinsten Orten Württembergs musste er über sich ergehen lassen. Er ist herumgeschoben worden und landete schließlich in Cleversulzbach. Frühwald: Wo er dann immerhin neun Jahre lang Pfarrer war. Flemmer: Ja, dort ist er dann neun Jahre lang geblieben. Frühwald: Aber er war evangelischer