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5 – 26 47 – 266 91 – 116 143 – 157 199 – 228 253 – 265

Grußwort Mikrogeschichten einer MOSCOW, 1913: Migration, Exil, Diaspora. BEIRUT, 1948: Die nigerianische Moderne: Preface ex-zentrischen Moderne Lasar Segall als »Ewiger Reflektionen über Microhistories of an 92 – 101 Wanderer« und Grenzgänger 200 – 211 Zeit und Dimension Kulturstiftung des Bundes Ex-centric der Moderne Nigerian Modernism: Über das Vorgestern Migration, Exile, Diaspora: Transmoderne. Ein erneuter Reflections on Time and Scale Vorwort 48 – 58 ins Übermorgen. Lasar Segall as an “Eternal Blick auf den Modernismus Editor’s Preface Wanderer” and Crossover Artist Ein E-Mail-Gespräch zwischen Neoprimitivismus in der in der arabischen Welt Bea Gassmann de Sousa (London) PROLOG of Modernism und Frank Ugiomoh (Port Harcourt) / Susanne Gaensheimer russischen Avantgarde Transmodernism: An email conversation between als Botschaft und From the Day before Yesterday Melanie Vietmeier A Renewed Outlook on Bea Gassmann de Sousa (London) Modernism in the Arab World and Frank Ugiomoh (Port Harcourt) Dank Botschafter. Die Düsseldorfer to the Day after Tomorrow. Klee-Sammlung auf Reisen, Neo-Primitivism in the Russian Acknowledgments Sam Bardaouil 1966 bis 1985 Avant-Garde »Center, what?« PROLOGUE Aage A. Hansen-Löve 159 – 184 212 – 228 267 – 280 Paul Klee as Message and Eine Einleitung zum Forschungs- Messenger: The Düsseldorf Klee 102 – 115 und Aus stel lungsprojekt Collection on Tour, 1966 to 1985 CITY, 1923: »Der Schlüssel zum Werkliste MUSEUM GLOBAL Verständnis der arabischen List of Works Agnieszka Skolimowska 160 – 173 “Center, what?” »Long Live the Moderne liegt in der MUSEUM GLOBAL An Introduction to the Beautiful East!« modernen arabischen Kultur«. Biografien der ünstlerinnenK Research and Exhibition Project Niko Pirosmani und die Die politische Landschaft. Die libanesische Künstlerin und Künstler Moskauer Neoprimitivisten Zwei Spuren der Saloua Raouda Choucair Kathrin Beßen, Doris Krystof, 59 – 90 Biographies of the Artists Isabelle Malz, Maria Müller-Schareck “Long Live the Beautiful East!” mexikanischen Moderne “The Key To Understanding Modern Niko Pirosmani and the Moscow The Political Landscape. Arab Art is Modern Arab Cultures.” Impressum TOKYO, 1910: Neo-Primitivists Two Traces of Mexican Modernism The Lebanese Artist Saloua Raouda Choucair Colophon Nóra Lukács 27 – 46 60 – 71 Kathrin Beßen, Nóra Lukács Doris Krystof 174 – 184 Gedanken zum Schlüsselwörter der Konzept einer Transmoderne Modernität , am Beispiel 117 – 158 der Kunst des modernen Sich im »anderen« spiegeln: Thoughts on the Concept Luz Jiménez, ein Sinnbild 229 – 266 of Transmodernism Japan SÃO PAULO, 1922: der Moderne Keywords of : ZARIA, 1960: Christian Kravagna im Dialog The Case of Modern Japanese Art Reflecting Oneself in the “Other:” mit den Kuratorinnen der Ausstellung / 118 – 126 Luz Jiménez, Symbol of Modernity in conversation with the curators of the exhibition MUSEUM GLOBAL Mizusawa Tsutomu 230 – 252 Wilde Zivilisierte / Paula López Caballero Mikrogeschichten. 72 – 90 Zivilisierte Wilde »A New Art Culture for Die Routen Civilized Savages / a New Society«. »Ich beabsichtige, meinen Savage Civilized des transkulturellen 185 – 198 Verwobene Geschichten Modernismus eigenen Weg auszubauen«. einer postkolonialen Laymert Garcia dos Santos Microhistories: The Routes Moderne am Beispiel des Moderne in Nigeria SHIMLA, 1934: of Transcultural Modernism Malers Yorozu Tetsugorō 127 – 142 “A New Art Culture for a New “I intend to cultivate my own path.” Society:” Interwoven Histories Monica Juneja 186 – 197 Modernism through the Example of Postcolonial Modernism of the Painter Yorozu Tetsugorō »Nur der Kannibalismus in Nigeria eint uns«. Von der Woche Malerei als Übersetzung. Isabelle Malz Maria Müller-Schareck moderner Kunst in São Paulo Die Kunst von Amrita Sher-Gil

zur Kulturanthropophagie Painting as Translation: “Only Canni balism Unites Us:” The Art of Amrita Sher-Gil From the Week in São Paulo to Cultural Anthropophagy Sonal Khullar

Melanie Vietmeier Gestattet ein neuer Blick auf die Sammlungsgeschichte diversen Kooperationspartner*innen dieses Projekts in dieser Zeit Freunde, die nicht nur die Kunstszene 16 – 25 relevante Einsichten? Wer wird repräsentiert und wer fortzuführen. im Rheinland entdeckten und Kontakte knüpften, sondern nicht? Wo und unter welchen Bedingungen entwickelten Wichtigen Input gaben zwei von der Kunstsammlung auch wichtige Impulse für das Projekt MUSEUM sich »andere« Modernen? Kann man überhaupt von organisierte Symposien: Unter dem Titel »museum global? GLOBAL gaben und in ihren Heimatländern viele Türen einem Zentrum und seinen Peripherien sprechen? Ist die Multiple Perspektiven auf die Kunst, 1904 – 1950« fand öffneten. 1 Moderne nicht vielmehr »multi-zentrisch« oder »ex- im Januar 2016, unter der Federführung der wissenschaft- In diesem Zeitraum kamen zudem Künstler*innen, »Center, what?« zentrisch«? Wo entwickelten sich Kontaktzonen? Welche lichen Abteilung, die erste Konferenz statt, zu der zahlreiche Kurator*innen und Wissenschaftler*innen zu Vorträgen Künstler*innen sind als Vermittlerfiguren wichtig? Parallel junge Wissenschaftler*innen neueste Forschungser- und Diskus sionen ins Schmela Haus. Die Liste ist lang, stellten sich – angestoßen u.a. von den Teilnehmenden gebnisse zu diversen Bewegungen einer Moderne hier einige Namen: Achim Borchardt-Hume, Yilmaz Eine Einleitung zum der Bildungsprogramme – grundlegende Fragen, die die jenseits des »westlichen« Kanons beitrugen. Genau ein Dziewior, Florian Ebner, Dávid Fehér, Doris Frohnapfel, Institution Museum sowie seine Relevanz für eine sich Jahr später, im Januar 2017, folgte »Wem gehört das Diana Hodali, Rita Kersting, Peter Kubelka, Jean- Forschungs- und verändernde Gesellschaft betreffen. Museum?«, mit dem die Abteilung Bildung des Museums Jacques Lebel, Nana Leigh, Bernhard Lüthi, María do dazu heraus forderte, die Haltung von Museen und ihre Mar Castro Varela, Georgina Maxim, Mehreen Murtaza, Ausstellungsprojekt Das Forschungsprojekt – Rolle für die Gesellschaft zu reflektieren. In beiden Fällen Yvette Mutumba, Susanne Neubauer, Carmen Rohrbach, Versuch einer Chronologie regten die Gedanken und Forschungsergebnisse der Dorothea Schöne, Wendy Shaw, Nadine Siegert, Seit Juli 2014 hat das Forschungsprojekt MUSEUM Referent*innen unseren Denkprozess nachhaltig an. Dies Sarah Thornton. MUSEUM GLOBAL GLOBAL die Arbeit und die Denkprozesse in der vermochten auch einige herausfordernde Projekte der Zudem luden die Abteilungen Wissenschaft und Bildung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen geprägt und das Kolleg*innen aus dem Bereich Bildung: Die Arbeit mit eine Reihe von Wissenschaftler*innen zu thematisch möglich gemacht, wovon die Mitarbeiter*innen durchaus internationalen Klassen trug ungewohnte und unbequeme definierten Workshops mit dem Team der Kunst sammlung Kathrin Beßen, Doris Krystof, gelegentlich geträumt hatten: das Arbeiten im größeren Fragen in die Institution (»Wem gehört das Museum?«, Nordrhein-Westfalen ein: Partha Mitter, Chika Okeke- Isabelle Malz, Maria Müller-Schareck Team, die Möglichkeit zu ergebnisoffener Diskussion, »Wer entscheidet?«). Für das Projekt »Wegen Umbau Agulu, Laymert Garcia dos Santos, Ansgar Schnurr, thematisch vielseitige Fortbildung durch Workshops, geöffnet« luden die Kunstvermittler*innen diverse Reprä- Sam Bardaouil, Simone Wille, Christian Kravagna und Vorträge, Diskussionsrunden und offene Dialoge sowie sentant*innen der Stadtgesellschaft ein. In einer Reihe von Monica Juneja lieferten wichtigen Input und standen das Erkunden bisher unbekannter künstlerischer Posi- Workshops arbeiteten sie mit verschiedenen Fokusgruppen dem Team auch über die einzelnen Workshops hinaus tionen, Themen und kulturpolitischer Zusammenhänge. und präsentierten Ergebnisse in dem von den Sammlungs- beratend zur Seite. An dem Ansatz, die MUSEUM Gemeinsam befragten Kurator*innen und Kunstvermitt- räumen aus zugänglichen Labor. Letztlich konfrontierte GLOBAL- Ausstellung und das Programm für den lern*innen festgelegte Begriffe, Kunstgattungen sowie dieses Projekt mit der Frage: »Inwieweit sind wir bereit, begleitenden OPEN SPACE weitgehend selbstständig – Methoden und die eigene Fähigkeit zum Dialog mit den unsere Expertise infrage zu stellen beziehungsweise zu in enger Koope ration zwischen den Abteilungen Wissen- Besucher* innen. Eine abteilungsübergreifende Arbeits- relativieren und die Meinung externer Expert*innen zu schaft und Bildung – zu erarbeiten, hielten wir fest, Am Beginn unseres Forschungsprojekts stand eine gruppe fasste unter dem Titel »Das lernende Museum« akzeptieren, gar in eigene Denkprozesse zu integrieren?« denn nur so lässt sich die eigene Perspektive nachhaltig intensive Phase des Entdeckens und Befragens, nicht nur einige relevante Fragen im Blick auf den Alltag im verändern. Die diversen Kooperationen spiegeln sich der Sammlung, sondern auch der eigenen Haltung in Museum zusammen: Wie lässt sich intern und extern Ebenso unerlässlich für die kunsthistorische Recherche in diesem Katalogbuch. Monica Juneja, die unser Projekt Bezug auf die Kunst und Kunstgeschichtsschreibung die Trans parenz erhöhen? Wie können wir offenlegen, war das Eintreten in den Dialog mit Kolleg*innen aus von Beginn an begleitet hat, und Christan Kravagna sowie die Rolle des Museums in einer sich verändernden wer spricht, wer Entscheidungen fällt und mit welchen außereuropäischen Ländern. Zahlreiche Beziehungen steuern mit ihren Beiträgen wichtige und grundsätzliche Gesellschaft. Zwei Ziele des Projekts, das ausgehend Argumenten? Was ist zu tun, damit sich unsere Besu- zu Wissenschaftler*innen wurden geknüpft, die die Überlegungen zur Transmoderne und zur argumentativen von den Abteilungen Wissenschaft und Vermittlung viele cher*innen ernst genommen fühlen? Welche Themen Entwicklung der Ausstellung des MUSEUM GLOBAL- Unterfütterung der Erzählform Mikrogeschichte bei. Bereiche erfasste, waren früh formuliert: Der Prozess, sind im Blick auf eine sich verändernde Gesellschaft Projekts maßgeblich befruchtet haben. Im Rahmen des als wesentlicher Teil des Forschungsprojekts, sollte unter relevant? Welche Rolle will und wird das Museum in der Goethe Residency Program im Schmela Haus konnten Das Forschungsprojekt wurde eine Entdeckungsreise, die Teilhabe von Besucher*innen weitestgehend in die Öffent- Zukunft spielen? Auch hier galt es, den eurozentristisch zwischen 2014 und 2018 acht Kurator*innen für acht bis sukzessive erkennbar machte, dass zwischen dem Beginn lichkeit getragen werden. Und: Seine Ergebnisse sollten geprägten Blick – der Mitarbeiter*innen des Museums zwölf Wochen nach Düsseldorf eingeladen werden. des Jahrhunderts und dem Jahr 1960 vielfältiger künstle- in eine Ausstellung münden. Zwei Symposien, zahlreiche wie mancher Besucher*innen – zu sensibilisieren. Dieser Maria Veits aus Moskau, Sarah Rifky, Hamdy Reda und rischer Austausch − Reisebegegnungen, Korrespondenzen, Workshops und Vorträge im Rahmen des F3-Programms Prozess ist mit MUSEUM GLOBAL angestoßen und Maha Maamoun aus Kairo, Tadashi Kobayashi aus Kobe, Publikationen und Ausstellungsbeteiligungen − zu einer im Schmela Haus ebneten den Weg zu dieser Aus- dauert an. Er muss offen bleiben für neue Fragestellungen Laymert Garcia dos Santos aus São Paulo, Peju Layiwola Entwicklung der Avantgarden rund um den Globus geführt stellung. Sukzessive formten sich erste Fragestellungen: und Perspektiven und ist insofern im Austausch mit den aus Lagos und Vidya Shivadas aus Neu-Delhi wurden hatte. Einige dieser modernen Kunstbewegungen, die

16 17 include all of the venues initially considered. exhibition from Germany. Schmalenbach was of the founding of the museum and the fiftieth In some cases, the tour was modified on short very interested in the cooperation with Poland. anniversary of the Semana de Arte Moderna, notice due to the current geopolitical situation He believed that this could strengthen “local one of the key events of Brazilian modernism in the respective regions or organizational and liberal forces,” claiming that such an exhibition and the starting point for one of the microhis- conservational considerations. In order to was also in line with the cultural-political tories of the exhibition MUSEUM GLOBAL. reduce costs for insurance and transport, exhi- interests of the government in Bonn. 17 In his In Rio de Janeiro, the exhibition was presented bition venues were bundled by region. Many correspondence with Hans Müller, he elabo- on the occasion of the twentieth anniversary venues, especially the more distant ones, rated on his argument: “If it is indeed so that of the founding of the museum, which had were provided with financial support from the the interests of the East concur with those of risen to become one of the main centers of Federal Foreign Office. In most cases, this meant the West, it would be absurd if this rare har- Brazilian culture within this relatively short paying for the high insurance costs. The mony were to be disturbed by the interests of period of time. funding depended on whether, from a cultural- Switzerland,” he wrote to Müller and threatened that Klee “provided an important impetus to political point of view, there was an interest in that he would “endeavor to give maximum Filipino painting.” 22 The exhibition in Singapore The “worldwide nomadization,” as Werner establishing new or developing existing contacts publicity” to such a “disruptive attitude.” Müller, was even categorized on German television as Schmalenbach once called the exhibition tour, with the respective countries. 9 Generally, in in turn, referred to scholarly publications that “development aid in matters of culture” provided ended with the completion of the new building cases where good contacts already existed, describe Klee as being Swiss and added that to the “cultural wilderness.” 23 on Grabbeplatz in Düsseldorf. The worldwide no costs were covered. Diplomatic missions, Klee “did not place any im portance on being tour proves the fact that Paul Klee was not only consulates general, the Institute for Foreign considered a German.” 18 And he made it clear The host institutions in Australia wanted to extremely popular from the 1960s to 1980s but Cultural Relations (ifa), and the Goethe-Institut’s that Switzerland was not keen on supporting achieve their own goals with the exhibition: they was also considered one of the most important global network played a significant role in the the first major Western cultural manifestation in strove to establish themselves on the inter- artists of the twentieth century. Touring exhibi- selection of venues. Werner Schmalenbach also Warsaw after the Soviet in vasion of Czechoslo- national art scene and prove to be reliable tions can be understood as mobile contact made his own recommendations. He strove to vakia. This did not, however, prevent the partners for further exhibitions by renowned zones, which are conditioned by complex con- link his hope for the political effectiveness of the expressed the hope that, despite “numerous the Federal Foreign Office referred, in its brief ambassadors of Switzerland from attending the artists. 24 One journalist cheered that it was texts; they often “offer insights into the works of exhibition with the goals of foreign cultural policy. anti-German resentments, […] relations response to the embassy, to a Swiss source, openings in Belgrade and Bucharest. In Rome finally possible to bring art into the country that one’s own collection when presented in a Finally, the travel destinations were asses sed between the two countries would gradually namely a book published in 1960 that confirmed in 1970, Schmalenbach then referred to a responds to the “needs of Australia.” The completely different context than at home.” 26 by the Advisory Committee for Art Exhibitions normalize” through cultural cooperation. 11 Klee’s German nationality. 15 formulation already used in Belgrade, namely Australians regarded their own position on the The reception of the exhibition in the host Abroad, which included Schmalenbach and Thanks to the exhibition, “a big step in this The question of the nationality of the artist, first that Klee was a “European artist with two periphery as a matter of course. In the press on countries can be traced by numerous press other museum directors. direction” had been taken. 12 In a letter to the raised in Israel, would repeatedly become the fatherlands.” 19 the exhibition in New Zealand, hope was ex- articles and reports from the various diplomatic In most of the exhibitions, sixty to sixty-two Federal Foreign Office, Schmalenbach also focus of attention in the years that followed. 16 pressed that Klee could help the country escape missions to the Federal Foreign Office. In works were shown, the most conservationally rated the as “extremely successful” and It was given a political dimension when the tour It is not only the artist’s nationality which was its own provinciality. A very similar argument Europe, Klee’s role as an “epoch-making artist” sensitive works did not travel. In addition, not suggested that “this success was not entirely traveled on to the Eastern Bloc countries, which questioned in the course of the world tour of was made in Canadian newspapers. 25 was confirmed, and he was even proclaimed by all works in the collection met Schmalenbach’s inseparable from the fact that—an extremely should have begun with a venue in Warsaw in the Düsseldorf Klee collection, but also repea- The situation in Brazil was quite different: the press as a representative of “pan-European standards of quality. The works from Düsseldorf rare, if not unique event in Israel—German was 1968. As a result of protracted discussions with tedly the relationship between the center and works by Klee had already been prominently culture.” 27 In those countries where Klee was were often supplemented by loans from other spoken.” 13 However, in the final report to the the National Museum, the decision was made the peripheries. Several venues on the world featured in a special exhibition at the 2nd still relatively unknown, his work was presented collections. Federal Foreign Office, concern is expressed to present the collection first in Czechoslovakia. tour were located beyond the art centers of the Bienal de São Paulo in 1953. In 1972, the col- as one of the most important cultural treasures The extent to which the exhibition venues were that the audience at the opening had displayed When, on the night of August 20/21, 1968, time. The statements of the organizers reveal lection from Düsseldorf was presented in two of Europe. The various regional voices make it motivated by cultural-political considerations a “certain perplexity toward the works of Klee.” the Soviet invasion set out to suppress the that, from the perspective of a European Brazilian museums as part of an intensified clear that Klee’s international reception corres- is evidenced by the choice of the first stops on According to the report, the Hebrew-speaking Prague Spring, the works possibly were already museum, some venues were considered peri- cultural exchange between the Federal Republic ponded in essential aspects with interpretations the tour. In 1966, shortly after the establish- press made efforts to describe Klee as an “ex- on Czechoslovakian soil. The exhibition in pheral. An interest in the local art scene or in of Germany and Brazil. The hosts attached already long held in Germany. Depending on ment of diplomatic re la tions between Israel and clusively Swiss artist.” 14 A wide selection of Prague was thus postponed for several further cooperation projects rarely developed. particular importance to this. At the Museu de the respective art historical and cultural context, the Federal Republic of Germany, when no newspaper reports from the archives of the months, during which time the collection was Schmalenbach seemed to be aware of the Arte de São Paulo, the exhibition took place however, the focus was placed on different official agreement re gu lated cultural exchange Tel Aviv Museum of Art does not confirm this. presented in Belgrade and Bucharest. It was danger of cultural but felt powerless on the occasion of the twenty-fifth anniversary themes and aspects of his work: in Ireland, between the two countries, the collection was However, the nationality of the artist was of only on March 10, 1969, that a laconic letter of in the face of this. 20 A letter from the Embassy the unconscious and the affinity with James shown in Jerusalem (cat. 1, p. 50) and Tel crucial importance in the context of culture refusal arrived from Józef Kojdecki, Deputy in Manila to the Federal Foreign Office reveals Joyce and his major work ; in Aviv. This gesture was intended as a basic politics. Paul Klee was a German citizen, but Director of the National Museum in Warsaw. that Klee’s works were seen as a means of Czechoslovakia, the poetic and philosophical element in developing a relationship with Israel. his mother was Swiss. After his emigration, He justified this with the densely packed promoting the spread of Western-influenced aspects of his work; and in Latin America, From the other side, there had been a desire he had made efforts to obtain Swiss citizenship, program of his institution. The true background culture in the Philippines: “At the moment, there the importance of his pedagogical writings. In to organize a comprehensive Klee presentation which was, however, only awarded post- of this revision is revealed in an exchange of is hardly another country in Asia that would contrast, in Canada, Australia, and New Zealand, at least since 1955, when four works by the humously. Although he was forced to flee letters between Werner Schmalenbach and be better prepared for a German exhibition the theme of reparations for artists and the artist, shown in the context of surrealist and Germany and was never fully recognized in Hans Müller of the Swiss Federal Political than the Philippines. With an emerging cultural cultural-political aspects of the tour were empha- expressionist art, had aroused great interest Switzerland, both countries later laid claim Department in Bern: the exhibition in Warsaw scene, in a situation between nearly overcome sized. The relationship between Paul Klee and in Tel Aviv. 10 Whether the 1966 exhibitions met to his work. Seen from the perspective of the failed as a result of the argument over the provincialism and a not yet fully processed as pillars of twentieth-century these expectations is open to question. In an cultural-political goals of the exhibition, artist’s nationality. The Swiss Embassy adaptation of modern tendencies, the Philippines art runs like a golden thread throughout the interview which Schmalenbach gave to the this seemed highly problematic. To provide apparently attempted to dissuade the National are more open to artistic inspiration than any publications surrounding the tour. In fact, German press after his return from Israel, he arguments for the artist’s German nationality, Museum from the idea of hosting a Klee other country.” 21 In a final report, one can read international traveling exhibitions of works by

Einladung zur Eröffnung der Ausstellung / Eröffnung der Ausstellung / Opening of Eröffnung der Ausstellung / Opening of Invitation to the opening of the exhibition the exhibition PAUL KLEE im / the exhibition PAUL KLEE in / at The Art PAUL KLEE in / at National Gallery of at Museu Calouste Gulbenkian, 7.11.1972 56 Gallery of South Australia, Adelaide, 1974 Victoria, Melbourne, 1974 57 50 Tarsila do Amaral AUTORETRATO / SELBSTPORTRÄT / 51 Tarsila do Amaral SELF-PORTRAIT, 1924 ANTROPOFAGIA / Öl auf Hartfaserplatte (Eucatex) / ANTHROPOPHAGIE / Oil on Eucatex fiberboard, ANTHROPOPHAGY, 1929 41 × 37 cm Öl auf Leinwand / Oil on canvas, Artistic-Cultural Collection of 126 × 142 cm the Governmental Palaces Fundação José e Paulina Nemirovsky, of the State of São Paulo Pinacoteca do Estado de São Paulo, Brazil 137 Juni 2018 Bewohner von Santa Ana solche Tänze einzig mit Barbarei Das Erlebnis, das diese Ausstellung den Besuchern bietet, und Unsittlichkeit in Verbindung bringen, die aus einer 174 – 184 konvergiert mit der nachfolgenden Geschichte. Diese habe Welt stammt, der sie ohne jeden Zweifel nicht abstam­ ich in meiner ethnografischen Arbeit in Milpa Alta, dem men. Tatsächlich sehen sich die »Danzantes«­Tänzer Geburtsort von Luz Jiménez und vielleicht dem letzten gezwungen, die Zeremonie vorzeitig zu beenden, weil sich ländlichen Bezirk der gigantischen Metropole Mexiko­ Stadt, das Publikum langsam zerstreut. Der Zeremonienmeister selbst erlebt und greife sie hier wieder auf. Dort besuchte ruft die Leute zur Ordnung, und man fährt mit der Ehrung ich einen jährlich stattfindenden Wettbewerb, bei dem der Flagge und der Nationalhymne fort, wofür sich alle Sich im »anderen« spiegeln: Lyrik auf Nahuatl vorgetragen wird. Nahuatl war noch bis zum Zeichen des Respekts erheben. Danach entspannt vor wenigen Jahrzehnten die Muttersprache eines Groß­ sich die Atmosphäre wieder und die ersten Rezitatoren von teils der dortigen Bevölkerung, weshalb die Bewohner von Nahuatl­ Gedichten bereiten sich auf ihre Vorträge vor. Luz Jiménez, ein Sinnbild Milpa Alta oft als von den Azteken abstammende indigene Wenn man mit verschiedenen Personen über das Nahuatl­ Nahua bezeichnet wurden, womit sich viele von ihnen Erbe von Milpa Alta spricht und darüber, wie es von auch identifizieren. den heutigen Bewohnern gepflegt wird, überrascht, welch Ohne Ankündigung nimmt vor Beginn des Ereignisses hohen gesellschaftlichen Wert man diesen Wurzeln der Moderne eine Gruppe von »Danzantes«­Tänzern, die auch »Con­ beimisst – nicht nur seitens der Dorfbewohner, sondern cheros« oder »Mexicaneros« genannt werden, den auch von Personen von anderswo und mit sehr unter­ Hauptplatz ein und beginnt Tänze aufzuführen, die die schiedlichem Hintergrund. Sie alle werden geeint durch traditionellen aztekischen Tänze aus der Zeit vor der eine gemeinsame Vorstellung davon, was die indigene Paula López Caballero Eroberung nachahmen sollen. Die Tänzer, Männer und Kultur ausmacht. Und ohne Zweifel ist bei der Eröffnungs­ Frauen, tragen eine ziemlich freie – und lyrische – Inter­ veranstaltung unfreiwillig ein »Unfall« passiert. Der Stolz, pretation der Kleidung aus präkolumbischer Zeit: Federn, den die Milpaltenser normalerweise angesichts ihrer Lendenschürze, Muscheln und Glöckchen an den Beinen. »aztekischen« oder Nahuatl­Wurzeln empfinden, vertrug Sie führen einen Tanz auf, der aus der fernen präkolonialen sich nicht mit einer anderen Form der Inszenierung der­ Zeit stammt und über 500 Jahre bis zum heutigen Tag selben Vergangenheit – nämlich jener der »Danzantes«­ überlebt hat. Die Gruppe kommt aus dem urbanen Teil der Tänzer. Dieser Clash ließ alle verstört zurück: Die Bewoh­ Hauptstadt und wurde von einem der ausdauerndsten ner von Santa Ana, die sich mühelos den katholischen Teilnehmer des Nahuatl­Sprachkurses, der jeden Samstag Heiligen und Äußerungen von Nationalgefühl gegenüber in diesem Dorf stattfindet, nach Santa Ana eingeladen. der vorkolonialen Vergangenheit zugehörig empfinden, Angesichts dieser fast nackten Tänzer, die mit ihren konnten sich in jenen »präkolumbischen« Tänzen langen Haaren barfuß zu den Rhythmen einer riesigen nicht wiederfinden. Die »Danzantes«­Tänzer verließen Trommel immer wieder in die Luft springen und auf dem ihrerseits ernüchtert die Bühne und zweifelten an der Kopf beeindruckende bunte Federbüsche zur Schau Authentizität dieser Dorfbewohner, die sich mehr mit der stellen, lassen Erstaunen, verhaltenes Lachen und leise Nationalhymne als mit den Tänzen ihrer »wahren« Vorväter Bemerkungen der Zuschauer nicht lange auf sich warten. identifizieren konnten. Diese Episode bringt deutlich In meiner Umgebung schwanken die Reaktionen der zum Ausdruck, wie zwei (oder noch viel mehr) Versionen Hilfskräfte – Dorfbewohner, von denen viele Bauern oder dessen, was »indigen sein« bedeutet, nebeneinander Handwerker sind – zwischen einer Art belustigtem existieren – und in dieser speziellen Situation aufeinander­ Fremdschämen, einer gewissen Herablassung und einer prallen – können: Was die einen für »indigen« halten, ist Prise Geringschätzung. »Warum tragen sie Federn, als es für andere nicht. Etwas kann im einen Moment als sehr wären sie Apachen?« »Und diese Frauen! In dem Aufzug alt erscheinen, in einem anderen Moment neuartig; etwas zeigen sie ja ihren ganzen Körper!« »Hast du diese Lang­ kann von den einen als etwas Eigenes angesehen werden, haarigen schon gesehen?« Die Kommentare der Leute, von anderen als fremd. die mir zu Ohren kommen, geben zu verstehen, dass die

102 Diego Rivera LA TORTILLERA / TORTILLA-BÄCKERIN / TORTILLA BAKER, 1926 Öl auf Leinwand / Oil on canvas, 107,3 × 89,5 cm University of California, San Francisco School of Medicine Priscilla Chan and Mark Zuckerberg San Francisco General Hospital and Trauma Center 175 Die sechste Mikrogeschichte einer »ex­zentrischen sie auf Gleichgesinnte, die, wie Victor Vasarely oder 212 – 228 Moderne« führt in das Jahr 1948 und in die Hauptstadt Alberto Magnelli, mit geometrischen Strukturen einen des Libanon, Beirut. Von dort brach die damals 32-jährige ähnlich nüchtern konkreten Ansatz in der Malerei verfolgen Künstlerin Saloua Raouda Choucair 2 zu einer Reise wie sie selbst. nach Paris auf. Es war Ende Juli, und sie reiste mit ihrem Schwager, einem Geschäftsmann, der in Frankreich, bis 1951 ist ein besonders ereignisreiches Jahr für Choucair. 1942 Mandatsmacht des Libanon, zu tun hatte. 3 Mit dem In der Galerie von Colette Allendy findet ihre erste Pariser Jahr 1948 steht aus mitteleuropäischer Perspektive die Einzelausstellung statt, und sie nimmt auch am jährlichen »Der Schlüssel zum Verständnis unmittelbare Nachkriegszeit vor Augen, die als »Stunde Salon des Réalités Nouvelles teil, wo jeweils das Neueste Null« bezeichnete Totalverwüstung Europas nach dem aus dem Bereich der abstrakten Kunst zu sehen ist. Sie ver­ Zweiten Weltkrieg. Im Nahen Osten ist das Jahr 1948 vor fasst mit der Streitschrift »Kayfa fahima al­’arabi fann al­ der arabischen Moderne liegt allem mit der Staatsgründung Israels am 14. Mai und der taswir« (»Was Araber unter bildender Kunst verstehen«.) 4 NAKBA, der Vertreibung und Enteignung der Palästinenser, einen dezidiert arabischen Standpunkt der Moderne, der 1 verknüpft, wodurch sich das gesamte politische und kultu­ als »Quasi­Manifest« 5 der modernen Kunst in der Beiru­ relle Gefüge der Region nachhaltig verschiebt. Bereits im ter Intellektuellenszene zirkuliert. Im Sommer 1951 kehrt in der modernen arabischen Kultur«. November 1947, als sich die britische Mandats macht aus Choucair nach Beirut zurück, wo sie den Weg einer konkret­ Palästina zurückzieht, beginnen die blutigen Auseinander­ abstrakten Kunst konsequent fortsetzt. Ende der 1950er­ setzungen zwischen Arabern und Israelis, die bis heute Jahre gibt sie die Malerei zugunsten der Skulptur vollständig Die libanesische Künstlerin unvermindert andauern. auf und entwickelt in mehr als vier Dekaden ein reich­ haltiges plastisches Werk. 6 Choucair gehört als Künstlerin, Es ist eine extrem unruhige Zeit, in der Choucair nach Pädagogin, Kunstprofessorin und Autorin zu den wichtigen Saloua Raouda Choucair Europa aufbricht, und sie beschließt, zunächst in Paris zu und angesehenen Akteur*innen im Kulturleben des bleiben. Die noch immer vom Zweiten Weltkrieg gezeich­ modernen, kosmopolitischen Beirut, 7 das ab den 1950er­ nete französische Hauptstadt ist dabei, an ihren Ruf als Jahren enorm prosperiert, bis der Libanesische Bürger­ Zentrum der bildenden Kunst in der ersten Jahrhundert­ krieg (1975 – 90) vieles zerstört. Mit zunehmendem Alter Doris Krystof hälfte anzuknüpfen. Obwohl Choucair ihr Studium in Beirut erfährt die Künstlerin auch überregional Anerkennung. bei den renommierten libanesischen Malern Moustafa Ausstellungen in Qatar, Großbritannien und Deutschland Farrouk und Omar Onsi längst abgeschlossen hat, nimmt zeigen ihre Werke, 8 und anlässlich ihres 100. Geburtstags sie in Paris das Kunststudium wieder auf. Sie schreibt sich am 24. Juni 2016 richtet ihr das Sursock Museum in an der akademisch ausgerichteten École des Beaux­Arts ein, besucht aber auch die fortschrittlichere Académie de la Grande Chaumière und die Klasse von Fernand Léger (Kat. 125). Dort trifft sie auf eine internationale Schar von Studierenden, die sich bei dem erst kurz zuvor aus New York zurückgekehrten Meister der Moderne weiterbildet. 3 Choucair saugt Légers Ansatz einer sozial engagierten Kunst auf, setzt sich aber auch kritisch mit seiner Hinwendung zur Figuration auseinander. Ihre eigene Malerei ist zu diesem Zeitpunkt bereits von einem starken Interesse an der abstrakten Kunst geprägt. Im Atelier d’Art Abstrait, einem 1950 von den Künstlern Jean Dewasne und Edgard Pillet am Montparnasse gegründeten Recherche­ und Veranstaltungsort, nimmt sie eine Anstellung als wissenschaftlich­künstlerische Assistentin an. Dort trifft

125 Unbekannter Fotograf / Unknown photographer Saloua Raouda Choucair (zweite Reihe, zweite von links) in der Klasse von 124 Saloua Raouda Choucair Fernand Léger / Saloua Raouda Choucair SELBSTPORTRÄT / SELF-PORTRAIT, (second row, second from left) 1943 in Fernand Léger’s class, Paris 1949 Öl auf Leinwand / Oil on canvas, Schwarzweißfotografie / × 45,5 × 42 cm Black­and­white photograph, 10 13 cm Saloua Raouda Choucair Foundation, Beirut Saloua Raouda Choucair Foundation, Beirut 213 141 Uche Okeke ANA MMUO (LAND OF THE DEAD) / 140 Ben Enwonwu ANA MMUO (LAND DER TOTEN), 1961 139 Clara Ugbodaga-Ngu STILL LIFE / STILLLEBEN, 1948 Öl auf Holz / Oil on board, ABSTRACT / ABSTRAKT, ca. 1958/60 Öl auf Leinwand / Oil on canvas, 92 × 121,9 cm Öl auf Hartfaser / Oil on hardboard, 60,5 × 50,9 cm National Museum of African Art, 60 × 90 cm National Museum of African Art, Smithsonian Institution Research and Cultural Collections, Smithsonian Institution, Gift of Joanne B. Eicher and Cynthia, University of Birmingham Washington DC Carolyn Ngozi and Dina Eicher 245