Georg Baselitz
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Hommage à GEORG BASELITZ Realisiert von SIEGFRIED GOHR Für unseren Freund Johannes Gachnang 69 CONTEMPORARY FINE ARTS BERLIN Hommage à GEORG BASELITZ SNOECK Realisiert von SIEGFRIED GOHR Der Sessel Im Atelier von Georg Baselitz steht ein alter, sichtlich abgenutzter Ledersessel; eine Decke schützt ihn vorsorglich vor weiterer, zu schneller Alterung. Dieses Möbel stand schon in Derneburg, jetzt bietet es eine Aussicht auf den Ammersee. Natürlich stehen Sitze in Ateliers, eine scheinbar banale Beobachtung, aber Baselitz’ Sessel hat ein stattliches Volumen und gleicht eher einem Thron als einem nur nützlichen Inventar. Der Sessel zeigt an, wer in diesem Raum Regie führt, wer etwas zu sagen hat und von wo das Geschehen seine Energie erhält. Aber es hat noch eine andere Bewandtnis mit dem Sitz; denn er symbolisiert die Zeit der Reflexion zwischen den eigentlichen Malhandlungen. Langes Nachdenken, schnell malen – dieses Prinzip bestimmt den Arbeitsrhythmus des Künstlers; es steht quer zu der immer wieder behaupteten emotionalen Direktheit seiner Malerei. Reflexion und Malen bedingen sich gegenseitig und sind unauflöslich ineinander verschränkt. Hier ist kein „Mal-Schwein“ am Werk, das vor lauter Expression seinen Baselitz Verstand verloren hätte. Splitter Konzentrische Kreise Am 23. Januar 1938 wurde Hans-Georg Kern in einem Ort weit im Osten Deutschlands geboren: Deutschbaselitz! Warum der Zusatz „Deutsch“? Weil es auf der anderen Seite eines Waldstückes einen Zwillingsort gab, nämlich „Wendisch baselitz“. Hier wohnten keine Sachsen, sondern Sorben, denen die DDR einen besonderen Status gab, so dass ihnen die Beibehaltung ihrer sorbischen Trachten und Gebräuche erlaubt wurde. Als Hans-Georg Kern sich seit 1961 Georg Baselitz nannte, bezog er sich auf diese doppelte Herkunft, die ein stetiger Bezugspunkt seiner Orientierung und ständige Quelle der Inspiration werden sollte. Das Schulhaus, in dem er aufwuchs, die Landschaft, Spuren aus vorhistorischen und wendischen Schichten, denen er später intensiv nachgehen wird, Volkskunst, Erlebnisse und Prägungen aus Dresden, der alten Residenzstadt und zugleich Zentrum der Malerei seit der Romantik. Um diesen Kern herum legte Baselitz immer neue Kreise, die sich in andere Räume und unterschiedliche Zeiten ausdehnten. 5 Außenseiter Nachdem Baselitz von der Akademie in Berlin- Ost wegen „politischer Unreife“ verwiesen worden war, begann er 1957 ein Studium an der West- Berliner Hochschule in der Klasse von Hann Trier. Dieser Lehrer war ein Vertreter des Informel in der westdeutschen Prägung, entwickelte die Methode, beidhändig zu malen, und stärkte auf diese Weise eine Art Strukturbildung im gestischen Farbauftrag. Obwohl Baselitz einige der Möglichkeiten des dort herrschenden Stils ausprobierte, zielte seine Arbeit auf andere Ergebnisse. Es entstanden die „Rayski-Köpfe“ als erste Verfestigungen menschlicher Motive aus dem Farbwucher des Gestischen. Bezeichnenderweise gab ein sächsischer Maler des 19. Jahrhunderts zwischen Romantik und Realismus den wegweisenden Impuls, Ferdinand von Rayski, ein bedeutender Porträtist und Landschafter. Die Dresdner Galerie bot das Inspirationsmaterial für Baselitz. Schon die Wahl seines künstlerischen Ausgangspunkts mitten im sächsischen 19. Jahrhundert musste damals befremdlich bis arrogant wirken. Aber Baselitz fand sich im Westen isoliert und einsam. Hann Trier versorgte den jungen Mann aus dem Osten mit Lektüre-Empfehlungen. Deshalb war dessen Reaktion, andere Außenseiter als Verbündete zu wählen, verständlich und aus seiner Sicht logisch. Das jetzt entstehende Ensemble von Dichtern, Künstlern, Schriftstellern erstaunt wegen der Sicherheit des Zugriffs und der langen Wirkung mancher dieser imaginären Begegnungen. Antonin Artaud nahm einen bedeutenden Platz ein, ebenso Isidor Ducasse alias Lautréamont. August Strindberg als Maler, Charles Meryon, Ernst Josephson und verschiedene mehr stützten die Haltung des Außenseiters und sorgten für Motive, Anregungen und Abwendungen. Die Kunst der Geisteskranken aus Hans Prinzhorns Sammlung in Heidelberg wurde genau betrachtet. Baselitz las viel, sah viel, z. B. in Paris, sammelte dasjenige um sich, was sein Werk nähren konnte. Alles dies mit der ihm eigenen Sorgfalt und Rayski, 1959 Gründlichkeit. Kopf, 1963 6 7 ohne Titel (Hommage à Wrubel), 1963 ohne Titel, 1964 8 9 Manifeste Pathetisch und humorlos – das sind die Grundzüge von Literatur im Gewand des Manifestes. Dessen eigentliche Geschichte begann mit dem „Kommunistischen Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels von 1847/48. Die Künstler des 20. Jahrhunderts haben ständig in Manifesten Forderungen erhoben oder Provokationen verbreitet, vor allem seit die italienischen Futuristen sich in dieser Weise an die Öffentlichkeit gewandt hatten. Oft waren es Künstlergruppen, die ihre Ziele und Interessen mit Manifesten publik machten. Baselitz hat sein erstes Manifest zusammen mit Eugen Schönebeck geschrieben: „I. Pandämonisches Manifest“ von 1961. Es folgte eine Fortsetzung als „Pandämonisches Manifest II“ im folgenden Jahr. Die Anregung für eine solche Art der Äußerung stammte von Künstlern aus Wien, die damals enge Kontakte nach Berlin hatten. Versehen mit Zeichnungen und Handgeschriebenem, zeigten diese Manifestationen einen sehr persönlich-existenziellen Stil. Antonin Artaud wurde mit der Sentenz zitiert: „Alles Geschriebene ist Schweinerei.“ Als Baselitz 1966 für das Plakat seiner Ausstellung in der Galerie Rudolf Springer in Berlin ein Manifest verfasste, hatte sich der Gestus verändert: „Warum das Bild ,Die großen Freunde‘ ein gutes Bild ist.“ Nach den Erfahrungen mit der skandalhaften Wirkung seiner ersten Ausstellung 1963 nahm Baselitz das Existenzielle zurück. Er schrieb dem Bild ironisch die Merkmale zu, die Hans Prinzhorn als Eigenart der „Kunst der Geisteskranken“ herausgearbeitet hatte. Viel später folgte, manifestartig verfasst, „Das Rüstzeug der Maler“ im Jahr 1985. Immer wieder äußerte sich Baselitz seitdem in lapidaren Texten und gab auch seinen Ausstellungen ironisch-programmatische Titel. Mit der sehr eigenwilligen, assoziationsreichen Sprache, mit der Knappheit der Sätze und der bildnerischen Prägnanz der verwendeten Wörter und Begriffe etablierte Baselitz eine Möglichkeit, jene Öffentlichkeit zu provozieren oder zu Georg Baselitz’ 70. Geburtstag, 23. Januar 2008, v.l. Georg Baselitz, Christa Dichgans, unterrichten, die ihm im Laufe der Jahre immer mehr Rudolf Springer (1909–2009), Nicole Hackert Aufmerksamkeit schenkte. und Elke Baselitz 10 11 Helden In der Reihe der „Helden“-Bilder, die Baselitz 1965/66 malte, erscheint zum Beispiel unter dem Titel „Ein moderner Maler“ eine männliche Figur vor schwarzem Hintergrund auf dem Boden sitzend, die Hände in Erdspalten gefangen. Die abgerissene Kleidung könnte ehemals als Soldatenuniform gedient haben. Blockiert, gequält nach oben blickend, verloren im Niemandsland entspricht die Figur nicht der üblichen Vorstellung von Helden. Seit der Antike galten Menschen mit außergewöhnlichen charakterlichen und körperlichen Kräften als Heroen. Sie galten als Vorbilder, wurden aber auch immer wieder benutzt, um vor allem in Krisen- und Kriegszeiten alle Kräfte von Menschen, Völkern und Staaten zu mobilisieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war in Westdeutschland ein solches Heldenverständnis unmöglich geworden, und selbst das Wort Held verschwand für lange Jahre aus dem Sprachgebrauch. Das war in der DDR anders; denn hier wurde als neue Kategorie der „Held der Arbeit“ eingeführt. Weder mit der westlichen noch mit der östlichen Haltung zum Heldentum haben die Figuren von Baselitz etwas zu tun. Obwohl es sich nicht um Selbstbildnisse handelt, reflektierte der Künstler seine als Außenseitertum empfundene Lage zwischen Ost und West, zwischen Erinnerung und Gegenwart. Inmitten der Wirtschaftswunderjahre mussten diese Bilder mit den seltsam verletzten, hilflosen Gestalten als fremd und verstörend wirken. Während ihrer Entstehungszeit fanden diese Erfindungen deshalb kaum Resonanz. Aber mit seinen fiktiven Helden oder „Neuen Typen“ fand Baselitz Formulierungen für das Unbehagen, das trotz der glitzernden Konsumoberfläche der Bundesrepublik von wachen Künstlern und Schriftstellern registriert wurde. Während dieser Jahre, die scheinbar ohne Geschichte auskamen, brachten Bilder wie diese das Verdrängte der deutschen Situation zwischen Drittem Reich, Teilung und Zukunft ins Sichtbare. Der moderne Maler kann nichts vergessen, er bleibt bei Baselitz in der Bindung an sein Land stecken. Das Prinzip Teilung beherrscht schmerzhaft auch das Abschlussbild der eigentlichen „Helden“-Phase, nämlich „Die Großen Freunde“ von 1966. Auf dem schwarz-weiß gehaltenen Plakat der Galerie Springer-Ausstellung wird die Isolation innerhalb des Paares der beiden „Freunde“ noch stärker sichtbar. Schon hier herrscht zwischen den Figuren die Fraktur, die später als neues Bildverfahren eingeführt werden wird. Ein moderner Maler, 1966 12 13 Teilungen Über Berlin an der Frontlinie zwischen Ost und West und vor allem über die Stadt nach der Teilung im Jahr 1961 gibt es so viel Literatur, dass eine ansehnliche Bibliothek bestückt werden kann. Ebenso zahlreich sind die Werke der bildenden Kunst zur Berliner Situation, die ein Museum bilden könnten. Die Werke von Georg Baselitz aus den Jahren 1961 bis 1966 gehören dazu, jedoch in einer Art, wie sie Maurice Blanchot in Bezug auf die Bücher von Uwe Johnson beschrieben hat: „Vielleicht könnte der eilfertige Leser und der eilfertige Kritiker sagen, dass in Werken dieses Typs [‚weder politisch noch realistisch‘]