Digitale Kommunikationskultur(en)?

Kommunikationskulturell-induzierte Veränderungen des Internet- nutzungsverhaltens von chinesischen Austausch-Studierenden in Österreich

Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Masters of Art (M.A.) an der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg Fachbereich Kommunikationswissenschaft

Betreuerin: Ass.Prof. Dr. Ursula Maier-Rabler

eingereicht von

Alexander Schimming Salzburg, Mai 2015

Gefördert durch die Internet Foundation Austria (IPA) im Rahmen der „netidee 2013“

Dieses Werk steht unter einer Creative Commons Namensnennung 3.0 Österreich (CC-BY) Lizenz Abstrakt

Die vorliegende Masterarbeit untersuchte die Veränderungen des Internetnutzungsver- haltens chinesischer Austausch-Studierender in Österreich. Dies diente dem forschungsleitenden Interesse, das auf der Makroebene das transkulturelle und deliber- ative Potentials des Internets, auf der Mesoebene kulturelle, politische und kommunika- tionswissenschaftliche Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen China und Öster- reich und auf der Mikroebene das Internetnutzungsverhalten von 20 chinesischen Aus- tausch-Studierenden während ihres viermonatigen Aufenthalts in Österreich im Rahmen des universitären Austausch-Programms „MCM“ der Universitäten Salzburg und Fudan in Shanghai erforscht.

Dazu wurden mit Hilfe der theoretischen Synthese der Theorie der Medienkultur, ICT&S-Theorien, welche das Spannungsfeld Informationstechnologien-Gesellschaft un- tersuchen, und dem anthropologischen Managementansatz nach Hofstede, zwei gegensätzliche Thesen konstruiert, welche den Schluss von Makro- auf Mikroebene und damit die empirische Untersuchung eines Einzelfalls ermöglichten: die transkulturelle Konvergenzthese und die nationalkulturelle Domestizierungsthese. Im Zusammenspiel mit dem empirischem Vorgehen, das aus qualitativen Befragungen und einer ethnographischen Selbstbeobachtung bestand, konnten folgende Ergebnisse erzielt werden:

Die bestehenden deliberativen Potentiale des Internets und digitaler Medien werden in China gezielt in die kulturellen und sozialen Strukturen integriert und tragen letztendlich zur Legitimation des politischen Systems bei. Dadurch kommt es bei den untersuchten Austausch-Studierenden zwar zu Veränderungen bei Praktiken und Motiven der Inter- netnutzung, nicht aber bei den Einstellungen, welche die individuelle, politische Per- spektive auf die Heimat und das Ausland beinhalten. Die politischen Strukturen des Internets haben fundamentalen Einfluss auf dessen Nutzung und vermögen es, dessen soziale Potentiale zu kontrollieren. Dadurch scheint eine transkulturelle und demokratisierende Wirkung des Internets zur Zeit noch aus- geschlossen, bei Österreich und China handelt es sich also um unterschiedliche Digitale Kommunikationskulturen.

Digitale Kommunikationskultur(en)? 2 Inhaltsverzeichnis

1. Entdeckungszusammenhang ...... 7 1.1 Einleitung ...... 7 1.2 Ziel, Forschungsfrage und Relevanz ...... 9 1.4 Begriffsdefinitionen ...... 11 1.5 Forschungsstand ...... 14 2. Begründungszusammenhang ...... 18 2.1 Theorie ...... 18 2.1.1 Medienkulturen...... 19 2.1.1.1 Kultur in den Medienkulturen...... 20 2.1.1.2 Digitale Medien in den Medienkulturen...... 21 2.1.1.3 Artikulationsebenen der Medienkulturen...... 22 2.1.1.4 Deterritorialisierung der Medienkulturen...... 24 2.1.1.5 Von den Medienkulturen zur Kommunikationskultur...... 27 2.1.2 Nationalkulturen...... 29 2.1.2.1 Der Anthropologische Management-Ansatz...... 29 2.1.2.2 Kritik...... 30 2.1.2.3 Die Hofstede-Dimensionen...... 32 2.1.2.3.1 Individualism vs. Collectivism ...... 34 2.1.2.3.2 Power Distance ...... 34 2.1.2.3.3 Uncertainty Avoidance ...... 35 2.1.2.3.4 Masculinity vs. Femininity ...... 35 2.1.2.3.5 Pragmatism vs. Normatism ...... 36 2.1.2.3.6 Indulgence vs. Restraint ...... 37 2.1.2.4 Anwendung an chinesischer und österreichischer Nationalkultur...... 38 2.1.2.4.1 Individualism vs. Collectivism in China und Österreich ...... 38 2.1.2.4.2 Power Distance in China und Österreich ...... 40 2.1.2.4.3 Uncertainty Avoidance in China und Österreich ...... 41 2.1.2.4.4 Masculinity vs. Femininity in China und Österreich ...... 42 2.1.2.4.5 Pragmatism vs. Normatism in China und Österreich ...... 43 2.1.2.4.6 Indulgence vs. Restraint in China und Österreich ...... 44 2.1.3 Digitalkulturen...... 46 2.1.3.1 Das deliberative Potential des Internets...... 46 2.1.3.2 Die digitale Kommunikationskultur in China...... 50 2.1.3.2.1 Historische Entwicklung ...... 51 2.1.3.2.2 Politische Strukturen ...... 54 2.1.3.2.2.1 Networked Authoritarianism...... 57 2.1.3.2.2.2 Internet Incidents...... 59 2.1.3.2.2.3 Autoritäre Deliberation...... 62 2.1.3.2.2.3.1 Central propaganda spaces...... 63 Digitale Kommunikationskultur(en)? 3 Inhaltsverzeichnis

2.1.3.2.2.3.2 Government-regulated Commercial Spaces...... 64 2.1.3.2.2.3.3 Emergent Civic Spaces...... 66 2.1.3.2.2.3.4 International Deliberative Spaces...... 67 2.1.3.2.2.3.5 Das demokratisierende Potential der Deliberations-Räume...... 68 2.1.3.3 Internetnutzung in China und Österreich...... 70 2.1.3.3.1 Chinesische Nutzungstrends ...... 70 2.1.3.3.2 Chinesische Internet-Nutzerinnen und –Nutzer ...... 71 2.1.3.3.3 SNS und SNMIS in China ...... 73 2.1.3.3.3.1 Weibo...... 73 2.1.3.3.3.2 WeChat...... 74 2.1.3.3.4 Internetnutzung in Österreich ...... 75 2.1.3.3.5 Vergleich der Internetnutzung in China und Österreich ...... 77 2.1.4 Synthese...... 79 2.2 Operationalisierung und Hypothesen ...... 81 2.2.1 Operationalisierung der Forschungsfrage...... 81 2.2.1.1 Begriffsdefinitionen und Indikatoren...... 82 2.2.1.1.1 Digitale Kommunikationskultur ...... 82 2.2.1.1.1.1 Politische Strukturen...... 83 2.2.1.1.1.2 Inhaltsebene des Internets...... 84 2.2.1.1.2 Internetnutzungsverhalten ...... 85 2.2.1.1.2.1 Indikatoren: Motive der Internetnutzung...... 85 2.2.1.1.2.2 Indikatoren: Einstellungen der Internetnutzung...... 86 2.2.1.1.2.3 Indikatoren: Praktiken der Internetnutzung...... 87 2.2.2 Die explanativen Hypothesen...... 89 2.2.3 Arbeitshypothesen...... 91 2.2.3.1 H1 - Digitale Kommunikationskultur und Internetnutzungsverhalten...... 92 2.2.3.2 H2 - Nationalkultur und die individuelle Perspektive...... 95 2.2.2.3 H3 - Politische Strukturen und die individuelle Perspektive...... 96 2.3. Empirie ...... 98 2.3.1 Konzeption...... 99 2.3.2 Ausgangslage, Forschungsdesign und Methoden...... 101 2.3.2.1 Empirische Phase I...... 104 2.3.2.1.1 Zur Wahl der Erhebungsmethode ...... 104 2.3.2.1.2 Zur Wahl der Untersuchungseinheiten ...... 105 2.3.2.1.3 Zur Durchführung der Erhebung ...... 106 2.3.2.1.4 Zur Dokumentation der Erhebung ...... 107 2.3.2.1.5 Zur Wahl und Anwendung der Auswertungsmethode ...... 108 2.3.2.1.6 Zum Vorgehen der Auswertung ...... 109 2.3.2.1.7 Darstellung der Ergebnisse ...... 110

Digitale Kommunikationskultur(en)? 4 Inhaltsverzeichnis

2.3.2.1.7.1 Praktiken der Internetnutzung in China...... 110 2.3.2.1.7.2 Motive der Internetnutzung...... 112 2.3.2.1.7.2 Einstellungen der Internetnutzung...... 113 2.3.2.2 Empirische Phase II...... 117 2.3.2.2.1 Zur Wahl der Untersuchungseinheiten ...... 117 2.3.2.2.2 Zur Wahl und Anwendung der Erhebungsmethode ...... 118 2.3.2.2.3 Zur Durchführung der Erhebung ...... 119 2.3.2.2.4 Zur Dokumentation der Erhebung ...... 120 2.3.2.2.5 Zur Wahl und Anwendung der Auswertungsmethode ...... 120 2.3.2.2.6 Zum Vorgehen der Auswertung ...... 120 2.3.2.2.7 Zur Darstellung der Analyse ...... 122 2.3.2.2.7.1 Praktiken der Internetnutzung...... 122 2.3.2.2.7.2 Motive der Internetnutzung...... 123 2.3.2.2.7.3 Einstellungen der Internetnutzung...... 124 2.3.2.3 Empirische Phase III...... 127 2.3.2.3.1 Zur Wahl der Erhebungsmethode ...... 127 2.3.2.3.2 Zur Wahl der Untersuchungseinheiten ...... 128 2.3.2.3.3 Zur Anwendung der Erhebung ...... 128 2.3.2.3.4 Zur Dokumentation der Erhebung ...... 129 2.3.2.3.5 Zur Wahl und Anwendung der Auswertungsmethode ...... 130 2.3.2.3.6 Zum Ablauf der Auswertung ...... 130 2.3.2.3.7 Darstellung der Analyse ...... 131 2.3.2.3.7.1 Praktiken der Internetnutzung...... 131 2.3.2.3.7.2 Motive der Internetnutzung...... 132 2.3.2.3.7.3 Perspektiven der Internetnutzung...... 133 2.3.2.4 Empirische Phase IV...... 134 2.3.2.4.1 Zum Design der Erhebungsmethode ...... 135 2.3.2.4.2 Zur Wahl der Beobachtungseinheiten ...... 139 2.3.2.4.3 Zur Durchführung der Erhebung ...... 139 2.3.2.4.4 Zur Dokumentation der Erhebung ...... 140 2.3.2.4.5 Zur Wahl und Anwendung der Auswertungsmethode ...... 141 2.3.2.4.6 Zur Durchführung der Auswertung ...... 141 2.3.2.4.7 Darstellung der Analyse ...... 143 2.3.2.4.7.1 Bezug des Forschenden zum Forschungsgegenstand...... 143 2.3.2.4.7.2 Aufenthalt in China...... 144 2.3.2.4.7.3 Das Internetnutzungsverhalten des Forschenden in China...... 145 2.3.2.4.7.3.1 Motive und Praktiken...... 145 2.3.2.4.7.3.2 Einstellungen...... 148 2.4 Überprüfung der Hypothesen ...... 150 2.4.1 H1 - Digitale Kommunikationskultur und Internetnutzungsverhalten..... 150

Digitale Kommunikationskultur(en)? 5 Inhaltsverzeichnis

2.4.2 H2 - Nationalkultur und die individuelle Perspektive...... 153 2.4.3 H3 - Politische Strukturen und die individuelle Perspektive...... 155 3. Verwertungszusammenhang ...... 156 3.1 Beantwortung der Forschungsfrage ...... 156 3.3 Diskussion und Ausblick ...... 160 4. Literaturverzeichnis ...... 166

Digitale Kommunikationskultur(en)? 6 1. Entdeckungszusammenhang

“Through the powerful influence of the new communication system, mediated by social interests, government policies, and business strategies, a new culture is emerging“ (Castells 2000: 358)

1.1 Einleitung

„… die Welt ist anders geworden.“ (Mao)

Die Idee war schon fast 100 Jahre alt, als er 2008 fertiggestellt wurde; 15 Jahre dauerte der eigentliche Bau, 1,5 Millionen Menschen mussten in neu errichtete Städte umge- siedelt werden, im Jahr 2014 generierte er fast 20% des jährlichen Energieverbrauchs des Landes: der Drei-Schluchten-Damm des Jiangtsekiang. Mao selbst hatte die Vision des Drei-Schluchten-Damms in einem Gedicht ausfor- muliert, nicht nur seitdem war das Bauprojekt eine der obersten Prioritäten der chinesi- schen Regierung, das strategisch und über Generationen hinweg langfristig geplant schlussendlich verwirklich wurde. Nur ein Beispiel, das symptomatisch ist für China.

„The small family sacrifices for the great family“ ist ein geflügelt Sprichwort in diesem Land, das in den letzten Jahrzehnten einen Wandel unterlaufen ist, der es innerhalb kürzester Zeit von einem verarmten Bauernstaat zu einer der größten und erfolgreich- sten Wirtschaftsnationen der Welt gemacht hat. Von außen erscheint es zerrissen: die Unterschiede zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Minderheiten und Mehrheiten sind nur einige der sozialen Faktoren, welche die Regierung dieses multiethnischen Staates auszugleichen hat, um eine „harmonische Gesellschaft“ zu erhalten. Die Mittel und Wege dazu, aus einer demokratisch-normativen Perspektive zu kritisieren, sind au- toritär, beschneiden westlich-geprägte Menschenrechte und räumen der Meinung des Einzelnen gegenüber der Mehrheit viel weniger Platz ein, als es in Europa oder Österre- ich der Fall ist. Doch: sie funktionieren. Die Globalisierung, welche eine weltweite Homogenisierung ökonomischer Strukturen bewirkt, macht auf vor China nicht halt, trotzdem scheint das politische System stabiler denn je. Dies wird mitunter auch in der Wirtschaftswissenschaft als große Gefahr gese- hen: bisher galt eine funktionierende Demokratie als grundlegend für einen funktion-

Entdeckungszusammenhang 7 ierenden liberalen Markt. In China aber sind die politischen Strukturen autoritär, wobei der Kapitalismus genauso gut funktioniert. Warum ist das so?

Vor allem im Zuge der globalen Diffusion der Technologien des Internets, hat diese Frage eine hohe Relevanz: das Internet als „westliche Erfindung“, der von vielen Kom- munikationswissenschafterinnen und -wissenschafter demokratisches und deliberatives Potential zugesprochen wird, wird in China auf ähnliche Weise genutzt, ist ähnlich struk- turiert und hat einen ähnlichen ökonomischen Wandel ausgelöst wie in Europa. Während es von seiner technischen Infrastruktur in China und Europa gleich zu sein scheint, differieren die politischen und kulturellen Systeme immer noch signifikant: in China beispielsweise unterliegt die Nutzung des Internets einer politischen und sozialen Kontrolle, die „ of China“ und Millionen von sogenannten „Internet- polizeikräften“ beweisen das.

Das führt zu auf die Kommunikationswissenschaft heruntergebrochene Fragen: Ist das Internet also nur ein globales, aber kein globalisierendes Medium? Und welchen Einfluss hat die jeweilige Kultur auf die Implementierung der Internet-Technologien in Gesellschaft, Politik und Ökonomie? Und wie steht es um das deliberative Potential des Internets? Kann eine Gesellschaft durch die Internetnutzung demokratisiert werden?

Im Jahr 2013 kamen 20 chinesische Austausch-Studierende im Rahmen eines univer- sitären Austausch-Programms aus China nach Österreich und boten somit die Möglichkeit, die genannten Fragen auf individueller Ebene empirisch zu untersuchen. Würde sich ihr Internetnutzungsverhalten an die österreichische Kultur anpassen, wenn die in China vorhandenen Einschränkungen wegfallen würden? Oder würde die nation- alkulturelle Sozialisation aus China überwiegen? Könnte also der Umgang mit dem „freiheitlichen“ Internet in Österreich zu mehr freiheitlichen Einstellungen des Einzelnen führen?

Entdeckungszusammenhang 8 1.2 Ziel, Forschungsfrage und Relevanz

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist spezifizierend strukturiert: Auf der Makroebene gilt das forschungsleitende Interesse dem deliberativen und trans- kulturellen Potential des Internets. Deliberativ deshalb, weil verschiedene Theorien das Internet als diskurs-veränderndes Medium sehen (vgl. u.a. Dahlgren 2005, Jarren/Do- gens 2006), transkulturell deshalb, weil Medien kulturdeterminierend wirken (vgl. u.a. Schudson 1995, Hepp 2009) und das Internet global (vgl. van Dijk 2014).

Auf der Mesoebene sollen China und Österreich kulturwissenschaftlich, politisch und kommunikationswissenschaftlich verglichen werden. Dies dient auch dem Vorhaben, den nationalkulturellen Ansatz der komparativen Kulturwissenschaft, dem transkul- turellen Ansatz der Theorie der Medienkultur (vgl. Hepp 2011) gegenüberzustellen und ebenfalls zum forschungsleitenden Interesse beizutragen. Um Kultur, Kommunikation und das Internet begrifflich zu fassen, wird dazu das Konstrukt der digitalen Kommu- nikationskultur generiert, das in der Arbeit seine Ausdifferenzierung erfährt.

Um den individuellen Faktor von Kultur und Mediennutzung zu integrieren, wird auf der Mikroebene anhand des universitären Austauschprogramms MCM der österreichischen Universität Salzburg und der chinesischen Fudan University das Internetnutzungsver- halten der teilnehmenden Austausch-Studierenden auf seine Veränderungen in der fremden digitalen Kommunikationskultur erforscht. Die fallbezogene Forschungsfrage lautet daher: Inwiefern verändert sich das Internetnutzungsverhalten von chinesischen Aus- tausch-Studierenden in Österreich?

Die Forschungsfrage lässt sich in fünf Subfragen aufteilen, welche das forschungsleit- ende Interesse ganzheitlich erfassen:

1. Was ist Internetnutzungsverhalten? 2. Kommt es grundsätzlich zu Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens? 3. In welchen Bereichen kommt es zu Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens? 4. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Internetnutzungsverhalten, China und Österreich? 5. Warum kommt es zu Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens? Entdeckungszusammenhang 9 Die kommunikationswissenschaftliche Relevanz ergibt sich aus der Verbindung der Theorien der Medienkultur, der Transkulturellen Kommunikation und dem interkulturellen Ansatz der komparativen Kulturwissenschaft. Die gesellschaftliche Relevanz ist im forschungsleitenden Interesse verankert, das die, durch die Diffusion des Internets aus- gelösten, gesellschaftlichen Wandlungsprozesse auf kultureller und politischer Ebene betrachtet.

1.3 Aufbau und Vorgehen

Um die Forschungsfrage zu beantworten und einen Beitrag zur Erkundung des forschungsleitenden Ziels zu leisten,ist die vorliegende Arbeit wie folgt ausgebaut: Nachdem der Entdeckungszusammenhang mit einer Begriffsdefinition und der exem- plarischen Darstellung verschiedener empirischer Studien, die Forschungsziele betref- fend, abgeschlossen wird, folgt der Begründungszusammenhang. In diesem werden die Theorien der Medienkultur vorgestellt, um weitere Differenzierun- gen der forschungsimmanenten Begriffe durchführen zu können. Als nächster Schritt folgt die Darstellung des Anthropologischen Management-Ansatzes und seiner nation- alkulturellen, komparativen Dimensionen. Diese werden dann auf China und Österreich angewandt, um die interkulturellen Unterschiede herauszustellen und die Wahl der bei- den Länder als Forschungsgegenstand zu begründen. Der dritte theoretische Abschnitt dient der Implementierung verschiedener Theorien aus dem Kontextfeld der ICT&S - also Theorien, welche Informationstechnologien und deren gesellschaftlichen Auswirkungen untersuchen-, der Deliberation und dem Vergleich Chi- na und Österreich in den Bereichen der politischen Strukturen, des Nutzungsverhaltens und der individuellen Ebene der Internetnutzung. In einer Synthese werden die verschiedenen theoretischen Ansätze zu zwei gegensät- zlichen Thesen verdichtet, was dem weiteren Vorgehen dienen soll. Danach folgt die Operationalisierung der Forschungsfrage, indem erst die Begriffe des Internetnutzungsverhaltens und der digitalen Kommunikationskultur aus der Theorie definiert werden, um daraus explanative Hypothesen und in Folge für die empirische Forschung notwendigen Arbeitshypothesen zu generieren. Im empirischen Teil werden diese anhand von vier empirischen Phasen untersucht, welche auf den Ablauf des genannten MCM Programms konstruiert sind: die erste Entdeckungszusammenhang 10 Phase verwendet die Methode des qualitativen Gruppeninterviews, die zweite Phase die Methode der qualitativen Einzelbefragungen und die dritte Phase erneut die Methode des qualitativen Gruppeninterviews. In der vierten Phase wurde ein Methodendesign aus teilnehmender Beobachtung und ethnographischer Selbstbeobachtung gewählt. Nach Darstellung der Ergebnisse der jeweiligen Phase werden die Arbeitshypothesen behandelt und anhand der Ergebnisse überprüft, womit der Begründungszusammen- hang abgeschlossen ist. Der letzte Teil der Arbeit ist der Verwertungszusammenhang, der einerseits der Beant- wortung der Forschungsfrage und ihrer Subfragen dient, andererseits die Ergebnisse aus Theorie und Empirie miteinander verknüpfend diskutiert und Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten bietet.

1.4 Begriffsdefinitionen

Es gibt zwei für diese Masterarbeit fundamentale Begriffe, die einerseits eine Schärfung durch die Darstellung der Theorie und die Anwendung der Empirie erfahren werden, an- dererseits aber hier im kurzen abgegrenzt werden sollen, denn:

„Die Definition des Untersuchungsbereiches ist unabdingbare Voraussetzung jeglicher empirischer Forschung und Basis jeder Diskussionsgrundlage.“ (Brosius/Koschel 2012: 17).

Die beiden näher zu definierenden Begriffe finden sich im Titel der Masterarbeit und in der Forschungsfrage: die digitale Kommunikationskultur und das Internetnutzungsver- halten.

Der Begriff der digitalen Kommunikationskultur wurde im Vorfeld gewählt um die in dieser Masterarbeit verwendeten Theorien unter einem Überbegriff zusammenzufassen: digital steht für die Theorien des Sammelbegriffs der ICT&S, welche digitale Kommu- nikationstechnologien und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft untersuchen (van Dijk 2014, Lievrouw 2012), Kommunikationskultur für die mögliche Synthese aus In- terkulturelle Kommunikation (vgl. Hofstede 1980, Luger 1999), Transkultureller Kommu- nikation (vgl. Hepp 2012, Herdin 2012) und den Theorien der Medienkultur (vgl. Hepp 2011). Auf die einzelnen Theorien soll im Begründungszusammenhang weiter einge- Entdeckungszusammenhang 11 gangen werden. Doch zum besseren Verständnis des Forschungsziels, dem folgenden Vorgehen und der Abgrenzung von anderen Teilbereichen der Kommunikationswis- senschaft soll hier eine kurze Definition vorgestellt werden:

Der Begriff der digitalen Kommunikationskultur kann in drei Bereiche zerlegt werden: Digital, Kommunikation und Kultur. Die beiden letzteren stehen laut den Cultural Studies in einer engen Verbindung, denn: „Kultur ist Kommunikation.“ (Hall 1990: 94). Kultur in diesem Kontext basiert fast ausschließlich auf Interaktion: Von einem soziologischen Standpunkt aus lässt sich sagen, dass Kultur auf gelernten, gelebten und geteilten Werten, Einstellungen und Motiven einer Gruppe von Individuen beruht, zwischen de- nen Kommunikation stattfindet (vgl. Bennet/Bennet 1998: 46). Die Art der die Werte definierenden Kommunikation wird durch die Sozialisation vermittelt. Auch diese Wis- senschaftstheorie folgt der Definition:

„Die kommunikative Kultur einer Gesellschaft besteht aus den kommunikativen Vorgän- gen sowie den dabei verwendeten Objektivierungen sowohl der unmittelbaren wie der mittelbaren Kommunikation.“ (Knoblauch 1995: 302)

Ebenfalls richtet die Organisationskommunikationswissenschaft ihre Definition des Be- griffs Kommunikationskultur auf den Werte-bildenden Interaktionskontext aus, sie ist „für das Erkennen und Geltendmachung moralischer Ansprüche von zentraler Bedeutung“ (Dobiasch 2014: 25).

Der Begriff „digital“ soll die Kommunikation innerhalb der Kultur, beziehungsweise die Kommunikationsstrukturen der untersuchten Kultur auf die digitale Kommunikation be- grenzen. Digitale Kommunikation soll hierbei rein technische verstanden werden und nicht in der Watzlawick’schen Unterscheidung von analoger und digitaler Kommunika- tion, die der digitalen Ebene, die dieser eine reine Inhalts-kommunizierenden Bedeutung zuweist (vgl. Watzlawick/Beavin/Jackson 1999: 64). Digitale Kommunikation wird durch die verwendete technische Infrastruktur und deren Medien geprägt: „Digitale Kommu- nikation ist der Austausch von Nachrichten über dafür spezialisierte digitale Kommunika- tionskanäle“ (Meinel 2009: 16). Und weiter ausdifferenziert:

„Digitale Kommunikation bedeutet zunächst Kommunikation mit Hilfe digitaler Medien. Unter den digitalen Medien steht das Internet an erster Stelle mit seinem vielfältigen

Entdeckungszusammenhang 12 Angebot an Publikationen und Wechselrede. Dass die Kommunikation selbst digital genannt wird, bringt zum Ausdruck, dass die Kommunikation über digitale Medien eine andere wird.“ (Grimm 2005: o.S.).

Um eine abschließende Synthese aus den drei Teilbereichen zu bilden, wird die digitale Kommunikationskultur wie folgt definiert:

Die digitale Kommunikationskultur ist die kommunikative Kultur einer Gruppe von Individuen, bestehend aus Motiven, Einstellungen und der daraus folgenden Prax- is, die durch Interaktion mit Hilfe digitaler Medien konstruiert wird.

Eng verzahnt damit ist das Internetnutzungsverhalten, da individuelles Verhalten laut der Soziologie immer von Motiven abhängig ist. Diese Motive können zweckrational, wertrational, affektuell oder traditionell sein (vgl. Weber 1968: 427ff). Soziales Handeln ist immer beeinflusst von der Gemeinschaft, in welcher das Individuum sozialisiert wurde, was mikrosoziologisch auch Gemeinschaftshandeln genannt wird:

„Von ‚Gemeinschaftshandeln‘ wollen wir da sprechen, wo menschliches Handeln sub- jektiv sinnhaft auf das Verhalten anderer Menschen bezogen wird. Bestandteil des Gemeinschaftshandelns ist die Erwartung gegenüber einem bestimmten subjektivem Verhalten anderer. Subjektiv sinnhaftes Verhalten kann daher erwartet werden, wo Ver- ständigung stattfindet oder Abmachungen getroffen werden.“ (Weber 1968: 430)

Zusammen mit dem makrosoziologischen „Gesellschaftshandeln“ - also dem von gesellschaftlichen Normen und Strukturen geprägten Handeln - ergibt sich daraus auch die Überleitung zur Kultur: Verhalten ist kulturell geprägt (vgl. ebd.).

Der zweite Teilbereich ist die Internetnutzung: Bruhn (vgl. 2009: 238) kategorisiert darunter das Verhalten von Individuen bezüglich dem zielbezogenem Nutzen und den Kommunikationsbedürfnissen von Individuen bei der Nutzung des Internets, digitaler Medien und deren Zugangsgeräten. Eine quantitative Studie, die im Auftrag des öster- reichischen Bundeslands Steiermark eine ähnliche Thematik behandelte, fasst unter den Oberbegriff die Nutzung des Internets in Hinsicht auf Frequenz, Dauer, Tools, Zu- gangsgeräte, Nutzungsmotive und -gewohnheiten, Funktionen und Zweckbestimmtheit (vgl. Lederer-Hutsteiner/Hinterreiter 2012: 81ff).

Entdeckungszusammenhang 13 Zusammenfassend daraus wird der in dieser Arbeit verwendete Begriff des Internet- nutzungsverhaltens wie folgt definiert:

Das Internetnutzungsverhalten umfasst individuelle und kulturelle Motive, Einstel- lungen und die daraus folgenden Praktiken der Nutzung des Internets, digitaler Medien und deren Zugangsgeräten.

Die Ausdifferenzierung und detaillierte Beschreibung und Benennung der impliziten Teil- begrifflichkeiten folgt im Kapitel „Operationalisierung der Forschungsfrage“.

1.5 Forschungsstand

In diesem Abschnitt sollen für jede Ebene des Forschungsziels exemplarisch eine ak- tuelle empirische Studie genannt werden um den aktuellen Forschungsstand anzuschneiden. Weitere Ergebnisse finden sich dann im theoretischen Teil der Arbeit.

Interkultureller Vergleich China/Österreich Eine der wenigen Studien, die im Kontext des interkulturellen Vergleichs zwischen Österreich und China als genannt werden soll, wurde im Jahr 2009 an chinesischen Studierenden in Salzburg durchgeführt (vgl. Herdin 2014). Forschungsgegenstand waren die sich verändernden kulturellen Grundwerte. Die chinesischen Studierenden waren von sich aus nur bereit, sich selbst in die neue Kultur zu integrieren, wie es ihrem universitären Leben Vorteile brachte. Ansonsten bleiben sie in einem „State of Separa- tion” (Herdin 2014: 166) mit dem Ziel, nach dem zweijährigem Auslandsaufenthalt wieder nach China zurückzukehren und sich in ihre Heimatkultur wieder einzufinden.

Vergleich Nutzungsverhalten aus dem interkulturellen Ansatz Der Dimensionsansatz Hofstedes (vgl. 1980), der in dieser Masterarbeit als einer der Grundsteine verwendet wird, hat seine empirische Berechtigung nicht nur aus sich selb- st generiert, sondern wurde auch schon oft in Studien angewandt, die den Einfluss von ICTs auf die Gesellschaft respektive auf die Kultur untersuchten. So vergleicht eine Studie Niederländische und US-amerikanische Gruppen anhand ihrer Nutzung von Mo- bilfunkgeräten (vgl. Mante-Meijer/Haddon 2001) und kam zu folgenden Ergebnissen: Entdeckungszusammenhang 14 Es gibt sowohl Unterschiede beim Nutzungsverhalten zwischen den Niederländischen und US-amerikanischen Untersuchungsteilnehmerinnen und -Teilnehmern. Beide Grup- pen waren in ihrer Nutzung und ihren Praktiken sehr mobil. Jedoch waren die US- Amerikanerinnen und Amerikaner in der Nutzung offensiver und aktiver, als die Nieder- ländischen Untersuchten. Grundfazit der Studie war also, dass es trotz Verwendung der selben Technologie zum selben Zweck immer noch Unterschiede , die die Durch- führenden kulturell konnotierten.

Eine andere Studie verglich europäische Staaten aus der Perspektive des Digital Di- vides und kam zu einem ähnlichen Ergebnis: obwohl die Nutzung einen ähnlichen As- pekt aufwies, waren die Unterschiede immer noch signifikant - national zu sehen ist also einerseits die Kultur, andererseits das Mediennutzungsverhalten (vgl. Thomas et al. 2005).

Thomas et al (vgl. 2005: 24) zählen noch weitere zentrale Ergebnisse komparativer auf, die zeigen, dass es immer einen nationalen Unterschied bei der Mediennutzung gibt:

• Zwischen Japan und Europa gibt es einen fundamentalen Unterschied bei der Nutzung von SMS. • Israel, obwohl eines der Länder mit dem weitaus aktivsten Nutzen von Mobilfunk nutzt den SMS Service ebenso wenig, obwohl dies in den anderen westlich-geprägten Län- dern der Fall ist. • Auch geographische Faktoren haben einen hohen Einfluss auf das Nutzungsverhal- ten, wie ein Vergleich von Korea und Norwegen zeigte. Diese lassen sich auf die technologische Infrastruktur zurückführen, die in jedem Land unterschiedlich ausge- baut ist.

Verhältnis Politik, Kultur, ICTs Andere Studien, die interkulturell komparativ vorgehen, kommen zu dem Schluss, dass vor allem der politische Sektor einen erheblichen Einfluss auf das Nutzungsverhalten innerhalb der Länder hat. So fanden Schäfer und Gerhards (vgl. 2010) heraus, dass die politische Diskussionskultur sich in westlichen Ländern schon fundamental unterschei- det, deren Werte wie Presse-, Redefreiheit und Demokratie im Regierungssystem ver- ankert sind. (vgl. Gerhards/Schäfer 2010: 156). Eine andere Studie verglich Länder in- nerhalb Asiens anhand des Internetnutzungsverhaltens von Jugendlichen in Japan,

Entdeckungszusammenhang 15 China, Taiwan und Südkorea und kam ebenso zu dem Ergebnis, dass - obwohl der Un- terschied zwischen den chinesischen und den anderen asiatischen Jugendlichen weitaus signifikanter ist - der Unterschied zwischen den kapitalistischen Kulturen eben- falls besteht (vgl. Jung/Lin/Kim 2012).

Verhältnis ICTs und Gesellschaft Wallis (2011), die den Einfluss von mobilen Endgeräten auf die ökonomische Situation von chinesischen Frauen und Wanderarbeiterinnen untersuchte, kam zu einem ähnlich ernüchternden Ergebnis: „This article shows that as much as the mobile phone is a lib- eratory and equalizing technology, it can also reinforce rather than upset patriarchal power relationships.“ (Wallis 2011: 16). Obwohl durch die Nutzung von mobilen Internet das Potential einer Veränderung der Gesamtsituation, und der individuellen Normen be- stand, „the phone was integrated into norms governing relationships that have existed long prior to the widespread use of mobile phones by migrant workers.“ (Wallis 2011: 12).

Einstellungen chinesischer Internetnutzenden Eine 2014 veröffentlichte Studie, welche individuelle Einstellungen und Verhalten von Nutzerinnen und Nutzern in 24 Ländern, darunter auch China, mit Hilfe einer Onlinebe- fragung miteinander vergleicht, kommt zu folgenden zentralen Ergebnissen (vgl. Bolsover et. al 2014): • Bei der Nutzung von kommerziellen und Unterhaltungsangeboten im Internet sind die chinesischen Nutzerinnen und Nutzer weltweit führend: 60% der befragten Nutzerinnen und Nutzer gaben an, mindestens einmal die Woche im Internet einzukaufen, was doppelt so viel wie der weltweite Durchschnitt ist. Auch Musik und Videos werden öfter im Internet konsumiert. • 86% der Befragten in China gaben an, ein Smartphone zu besitzen. Zum Vergle- ich: In den USA haben nur 35% der Befragten ein Smartphone. Interessant dabei ist auch, dass vor allem in China und Korea der Besitz von Smartphones vor allem bei älteren Leuten weiter verbreitet ist, als in Europa, den USA oder Japan. • Die Mehrheit der Chinesen glaubt, dass das Internet als „frei“ bezeichnet werden kann (70%). Dieser Wert ist aber der zweit niedrigste von allen 24 untersuchten Ländern.

Entdeckungszusammenhang 16 • 50% der befragten Chinesen gaben an, dass eine Regierung politische Inhalte im Internet nicht zensurieren sollte. Dahingegen waren 52% der Meinung, dass die Regierung Inhalte zumindest überwachen darf. • Die chinesischen Befragten waren mehr oder weniger neutral bei der Frage, ob sie es ablehnen oder zustimmen, dass offizielle Stellen, Regierungen oder Regu- latoren ihre Internetaktivitäten überwachen, politische Inhalte zensurieren oder wissen, mit wem sie online kommunizieren. • Chinesische Nutzerinnen und Nutzer sind nicht mehr darüber in Sorge, dass ihre Onlineaktivitäten überwacht werden, als Individuen in Japan oder Südkorea. In- teressant dabei ist, dass vor allem Chinesen zwischen 24 und 35 mehr über On- lineüberwachung besorgt waren, als ältere Gruppen. • Chinesische Nutzerinnen und Nutzer posten genau so oft politische Inhalte wie die Befragten in den anderen Ländern. 32% der Befragten gaben an, mindestens einmal in der Woche ein politisches Thema zu posten, was insgesamt sogar öfter ist, als in den westlichen Ländern.

Entdeckungszusammenhang 17 2. Begründungszusammenhang

Im Begründungszusammenhang werden auf Basis der Forschungsfrage einschlägige wissenschaftliche Theorien herangezogen und erkenntnisorientiert adaptiert. Die sich daraus ergebenden Grundbegriffe werden dann in Verbindung mit der Operational- isierung der Forschungsfrage in Arbeitshypothesen überführt, um darauf aufbauend das Forschungsdesign des empirischen Teils auszurichten. Danach folgt die Darstellung der Konzeption und Anwendung der empirischen Methoden, um zum Abschluss die Hy- pothesen zu bestätigen oder zu widerlegen.

2.1 Theorie

Im theoretischen Teil dieser Masterarbeit werden die zur Beantwortung der Forschungs- frage relevanten Theorien dargestellt, erklärt und teilweise angewandt. Dies dient dazu, die im Entdeckungszusammenhang genannte soziale Problematik in den Kontext der Kommunikationswissenschaft zu integrieren und in weiterer Folge Hypothesen aus der Theorie zu generieren, die im empirischen Teil überprüft werden.

In den folgenden Kapiteln werden drei grundlegende Theorien der interkulturellen Kommunikation, dem Kontextfeld der Information and Communication Technology and Society (kurz: ICT&S), Theorien, welche sich mit dem Spannungsfeld aus digitalen In- formationstechnologien und deren Auswirkung auf die Gesellschaft beziehen, und der Medienkulturen dargelegt. Wie im Entdeckungszusammenhang erwähnt (vgl. Kapitel 1.5: Begriffsdefinitionen), setzten sich sowohl immanente Begriffe der Forschungsfrage als auch des zu Grunde liegenden Forschungsinteresses aus den drei behandelten Theorien zusammen, was in bei der einzelnen Behandlung der Theorien näher ausge- führt wird.

Begründungszusammenhang: Theorie 18 2.1.1 Medienkulturen

Kultur und Medien sind interdependent miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Somit besteht ein Verhältnis von Interdependenzen, die nur verstanden werden können, wenn beide Seiten zugleich als unabhängig und abhängig voneinander betrachtet werden. Medien im Kontext von Kultur und im Kontext der Theorien der Me- dienkultur sind wie folgt definiert:

„Bei diesen handelt es sich um eine technische Vermittlungsinstanz von Kommunikati- on, die sich zumindest durch ein technisch basiertes Zwischensystem, eine bestimmte soziale Institutionalisierung und Organisation auszeichnet und als eine solche bestimm- te Leistungen für kommunikatives Handeln erbringt“ (Hepp 2013: 4).

Die enorme Relevanz von Medien – in diesem Kontext sind technische Kommunikation- smedium gemeint – für die jeweilige Kultur ist für die Identitätsbildung eines Individuums innerhalb einer Gesellschaft im 21. Jahrhundert offensichtlich:

„Die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft wird heute zentral über Medien verhandelt. Ob als Mitglied einer Clique oder einer Fangruppe, ob als Kriegsgegnerin oder als Akti- enbesitzer, als Mitglied eines Nationalstaates oder der Weltgesellschaft: Medien und spezifische Formen ihrer Nutzung sind unverzichtbare Bestandteile zur Konstituierung von Identität(en).“ (Klaus/Lünenborg 2004)

Medien, „sind einerseits Vermittler zwischen öffentlichem und privatem Leben, anderer- seits stellen sie die Mittel bereit für das identitätsstiftende Spiel zwischen kultureller Vereinheitlichung und subkultureller Besonderung“ (Klaus/Lünenborg 2004: 198) und sie erzeugen dadurch Struktur, Inhalt und Bedeutung von nationalen Kulturen. Ebenso sind alle sozialen, politischen und ökonomischen Vorgänge in einer kulturell differenzierbaren Gesellschaft medial beeinflusst, medial generiert und medial begründet: „Individuelle und kollektive Identitätsbildung, Verfahren der Inklusion oder Exklusion sind maßgeblich medial konstituiert“ (ebd.: 209).

Theorie: Medienkultur 19 2.1.1.1 Kultur in den Medienkulturen

Stuart Hall, der als Begründer der Cultural Studies gilt, definiert Kultur als ein selb- stauferlegtes Netz von Bedeutungsstrukturen (vgl. Hall 1986: 39). Dazu gehört die „gelebte Tradition der Praktiken, durch welche Verständigung erzeugt bzw. ausgedrückt wird (...) und sich im Verhalten der Menschen“ manifestiert (Luger/Herdin 2008: 2). Kul- tur setzt sich somit aus der Summe von Klassifikationssystemen und diskursiven For- mationen zusammen, wie die Cultural Studies besagen (vgl. Hall 1986: 36).

„Klassifikationssysteme sind letztlich Muster des systematischen Zusammenhangs von Zeichen (wobei Zeichen in einem sehr weiten Sinne verstanden wird, also nicht nur sprachliche Zeichen meint), Diskursive Formationen sind weitergehende, musterhafte Konstellationen des Gebrauchs dieser Zeichen in sprachlichen und nicht-sprachlichen Praktiken.“ (Hepp 2013: 4)

Eine Kultur integriert demnach Strukturen, Inhalte und vor allem die Bedeu- tungszuweisungen der Inhalte. Zusammengefasst bedeutet das: „Kultur ist die Art, wie die sozialen Beziehungen einer Gruppe strukturiert und geformt sind; aber sie ist auch die Art, wie diese Formen erfahren, verstanden und interpretiert werden.“ (Clarke u.a. 1981: 41, zit. n. Luger/Herdin 2008: 3).

Kultur kann sowohl passiv sein als auch aktiv, partizipierend als auch gestaltend, be- wusst als auch unbewusst, gelenkt als auch zufällig. Kultur ist alles darum, darüber und darin, also die Bedeutung und der Inhalt, die Struktur und die Nutzung. Kultur als Über- begriff schließt auch viele andere kleine Teilbegriffe in sich ein, die sich wie in einem Mosaik aus verschiedenen Perspektiven zu einem Bild zusammensetzten. Ein gutes Beispiel dafür ist die „transculturality“, welche verschiedene Entwicklungen wie das In- einanderwirken von gegensätzlichen Kulturen und das Verwischen oder Aufheben ihrer Grenzen, sowie folglich eine gewisse Teilhomogenisierung der Lebensstile weltweit bezeichnet: „Cultures today are extremely interconnected and entangled with each oth- er. Lifestyles no longer end at the borders of national cultures, but go beyond these, are found in the same way in other cultures“ (Welsch 1999: 197).

Diese Aussage bezieht sich vor allem auf den großen Einfluss digitaler Medien wie dem Internet, die sehr oft als Mittel der Globalisierung angesehen werden (vgl. van Dijk 2011, Theorie: Medienkultur 20 Livingstone 2011). Trotzdem muss hierbei angemerkt werden, dass nationale Grenzen immer noch ausschlaggebend sind für die jeweilige Kultur, die in den jeweiligen Natio- nen beziehungsweise Lebensräumen vorherrscht: „Medienkulturen werden (...) als spezifisch kulturelle Verdichtungen angesehen, die sich auf bestimmte Territorien beziehen“ (Hepp/Wessler 2011: 45). Man betrachte hier die Nennung der Territorien, die nicht als Nationen im engeren Sinn angesehen werden und im Kontext dieser vor- liegenden Masterarbeit die westliche und die asiatische Welt meinen. Hierauf wird im folgenden Kapitel näher eingegangen.

Wie lässt sich der Begriff der Medienkultur nun genau definieren? Andreas Hepp, einer der bekanntesten Theoretiker und Verfechter der Theorie der Medienkultur, ist grundsät- zlich der Ansicht, „unter Medienkultur nicht mehr oder weniger als die mediatisierte Kul- tur zu verstehen; oder – allgemeiner ausgedrückt – Medienkultur ist die Kultur medi- atisierten Welten.“ (Hepp 2013: 63). Damit drückt er aus, „dass Medienkulturen solche Kulturen sind, deren primäre Bedeutungsressourcen mittels technischer Kommunika- tionsmedien vermittelt werden und die durch diese Prozesse auf unterschiedliche, je zu bestimmende Weise ‚geprägt’ werden“ (Hepp 2013: 64).

2.1.1.2 Digitale Medien in den Medienkulturen

Hepp betont, dass Bedeutung und Einfluss der technischen Kommunikationsmittel als primäre Bedeutungsressourcen auf die Konstitution der Medienkultur äußerst wichtig ist. Medienkulturen wurden erst durch technologische Wandlungsprozesse ermöglicht – und mit jeder technologischen Medienrevolution wurde die Gesellschaft noch mehr medi- atisiert (vgl. Hepp 2013: 64ff):

„Während über einen langen Zeitraum Mediatisierung hieß, dass weitere Formen der wechselseitigen und produzierten Medienkommunikation verschiedene Präg- kräfte entfalteten, können wir sagen, dass wir es bei der virtualisierten Medien- kommunikation mit einem weiteren Schub von Mediatisierung zu tun haben, des- sen potenzielle Prägkräfte nur sehr schwer abzuschätzen sind.“ (Hepp 2013: 62).

Theorie: Medienkultur 21 Hepp bestätigt also die verschiedene Theorien im Kontext der Informationstechnologien und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft (vgl. van Dijk 2011, Livingstone 2012, Yang 2013), die besagen, dass Entwicklung, Diffusion und Implementierung des Inter- nets in gegenwärtige Gesellschaften und Medienkulturen, eine qualitativ und quantitativ messbar größere Veränderung der Strukturen, Inhalte und der Mediennutzung evozieren, als es bei anderen Medienrevolutionen zuvor der Fall war. Van Dijk nennt als Beispiel für die Fundamentalität der Veränderungen ihre Auswirkun- gen auf gesellschaftliche Zeit- und Raumbeziehung: „timeless time“ und „spaces of flow“. Die schon auf die Erfindung der Schrift zurückgehende „Ent-Räumlichung“ und „Ent-Zeitlichung“ der Kommunikation durch ein technisches Medium wird damit auf eine neue, noch nie dagewesene Stufe erhoben (vgl. van Dijk 2011: 25).

Hepp warnt aber davor, eine solche mediumszentrierte Perspektive zu konsequent anzuwenden, denn „Medienkulturen sind Verdichtungsphänomene, bei deren Betrach- tung sehr unterschiedliche Kommunikationsmedien zu berücksichtigen sind.“ (Hepp 2013: 66). Trotzdem kann, wenn auch etwas überzogen, davon ausgegangen werden, dass Kultur fast ausschließlich medial produziert und erfahren wird. Obwohl nicht alles durch oder von Medien kommuniziert und damit mit Bedeutung belegt wird, „artikulieren sich die Medien selbst in Kooperation mit anderen sozialen Institutionen in einem Prozess der fortlaufenden sozialen Konstruktion“ (Couldry 2008: 3). In diesem ist auch das Handeln und die Interaktion der Individuen eingeschlossen und stößt somit den Kreislauf weiter an.

2.1.1.3 Artikulationsebenen der Medienkulturen

Um die Theorien der Medienkultur empirisch anwenden zu können, wird ein mehrschichtiges Kreislaufmodell vorgeschlagen. Verschiedene Versionen wurden schon in den Cultural Studies verwendet, um den Kreislauf zwischen Medienproduktion, Medi- eninhalten und Mediennutzung – also der Zuweisung von Bedeutung dieser Inhalte durch die Nutzenden – wissenschaftlich erfassbar und überprüfbar zu machen (vgl. Hepp/Wessler 2009: 185): „Während in der Produktion von Medientexten bzw. in Pro- dukten bestimmte Erfahrungen öffentlich und damit auch abstrahiert werden, werden

Theorie: Medienkultur 22 diese über die Interpretation und Aneignung in der Kultur als Lebensweise von Men- schen in das Privatleben integriert und damit konkretisiert.“ (Hepp/Wessler 2009: 185).

Um diese Vorstellung aber auch innerhalb eines Kreislaufschemas aufrecht zu erhalten und valide zu gestalten, muss ein zu linearen Blick darauf vermieden werden: „Es geht also darum, einen linearen Blick auf die Medienkommunikation als Prozess des Herstel- lens, der Darstellung und der Rezeption von Inhalten zu überwinden zugunsten eines Zugangs, der Medien als Teil von Kultur insgesamt analysiert“ (Hepp/Wessler 2009: 185).

Neben der Produktion, der Repräsentation und der Darstellung, existieren noch zwei Ebenen der Medienkommunikation: einerseits die der Mediennutzenden, welche inner- halb des medienkulturellen Systems leben, wirken, produzieren und konsumieren, und andererseits die der Rahmenbedingungen, die durch Politik und Ökonomie gebildet werden. Hepp nennt diese Faktoren Artikulationsebenen: „Wichtige Artikulationsebenen von Kultur sind kulturelle Produktion, Repräsentation, Aneignung, Regulation und Identi- fikation.“ (Hepp 2004: 436).

Medienkulturen lassen sich also durch folgende Kategorien beziehungsweise Artikula- tionsebenen differenzieren:

• Produktion: Der Begriff der Produktion beschreibt die Artikulationsebene von Kultur, „die die Praktiken der Hervorbringung von Kulturprodukten fasst.“ (Hepp 2004: 435). Diese Ebene wird in der gegenwärtigen Medienkultur durch einen globalen Medi- enkapitalismus beschränkt, da nur noch wenige Medieninstitutionen und -konzerne die Deutungshoheit und damit die Produktionsmonopole auf der Ebene haben (vgl. Hepp 2004: 422). Dies ist ganz im Sinne der sogenannten Dependenztheorie, die besagt, dass die Globalisierung von Medienkommunikation zu einer Stärkung westlicher Markt- und Wirtschaftsmacht gegenüber Entwicklungsländern führt (Wuttke 2011). • Repräsentation: Unter Repräsentation sind unterschiedliche Medienprodukte differen- ziert nach ihrer Verfügbarkeit und Thematisierung zu betrachten (vgl. Hepp 2004: 422). Damit meint er die „Artikulationsebene von Kultur, die die Darstellung von Kultur in Kulturprodukten fasst“ (Hepp 2004: 436). • Aneignung: Die Aneignung meint hierbei die Artikulationsebene von Kultur, „die den Prozess des aktiven Sich-Zu-Eigen-Machens von Kultur als Lokalisierung im Alltag

Theorie: Medienkultur 23 fasst.“ (Hepp 2004: 435). Lokalisierung ist die Domestizierung – also die Integration einer Praktik oder eines Mediums in den jeweiligen Alltag – bestimmter Ressourcen. Damit sind Produkte oder Kulturwaren gemeint – und damit technisierte Kommunika- tionsmedien und deren Inhalte (vgl. ebd.). • Identifikation: Die Identifikation beschreibt die Artikulation von Identität. Identität ist „bezogen auf ein Subjekt (...) als ein fortlaufender Prozess der Identifikation zu fassen, bei dem verschiedene, zunehmend medienvermittelte Identitätsangebote sich zur Gesamtartikulation der Identität des Subjekt (...) fügen.“ (Hepp 2004: 434). • Regulation: Die Regulation ist die Artikulationsebene von Kultur, „die Einflussnahmen nicht-produzierender Institutionen und Formationen auf Kultur fasst.“ (Hepp 2004: 436). Damit sind politische und ökonomische Rahmenbedingungen gemeint, die ein- erseits durch Gesetzgebung und Regulierung den Medienmarkt beeinflussen, ander- erseits durch Deregulierung den Medienmarkt erweitern und globalisieren können.

2.1.1.4 Deterritorialisierung der Medienkulturen

Eine wichtige Frage die Thematik dieser Masterarbeit betreffend, ist die sogenannte Translokalität von Medienkulturen: „Um die mit der Globalisierung einhergehende Deter- ritorialisierung zu fassen, wird ein translokaler Kulturbegriff notwendig, der Kultur nicht auf ein Territorium rückbindet.“ (Hepp 2009: 433)

Translokalität wird hier als Gegensatz zur Transkulturalität begriffen:

„Während der Ausdruck der Transkulturalität also auf die Perspektive der Auseinander- setzung mit Medienkulturen in Zeiten der Globalisierung von Medienkommunikation verweist (...) ist ‚Translokalität’ als Analysekategorie zur Beschreibung von gegenwärti- gen Medienkulturen zu begreifen.“ (Hepp 2004: 421)

Translokalität richtet den Fokus auf das Lokale, wobei dies immer in Zusammenhang mit den nächstgrößeren Ebenen steht: dem Regionalen, dem Nationalen, dem Kul- turellen und dem Globalen (vgl. Hepp 2004: 421). Territorialität steht in engem Verhält- nis mit Lokalität, da sie beide nicht fassbar, sondern nur in Bezug auf die Artikulation- sebenen der Medienkulturen interpretierbar sind (vgl. Hepp 2004: 436).

Theorie: Medienkultur 24 Die Theorie der Translokalität von Medienkulturen geht davon aus, dass durch die glob- alisierten und globalisierenden technischen Kommunikationsmedien, die traditionellen nationalen und sozialen Räume und Grenzen, die früher durch nationalstaatliche Medi- enkulturen abgesteckt wurden immer mehr verschwimmen: „Vermittelt durch den Prozess der Globalisierung zeichnet sich ein zunehmendes Aufweichen der scheinbar natürlichen Beziehung zwischen Kultur und geografischen und sozialen Territorien ab.“ (Hepp 2013: 68). Hepp spricht in diesem Zusammenhang von Kommunikations- räumen, die entweder territorial sein können oder de-territorial (vgl. ebd.). Insgesamt statuiert er, „dass über verschiedene national-territoriale Grenzen hinausgehende Kon- nektivitäten mit der Globalisierung von Medienkommunikation zugenommen haben.“ (ebd.):

„Mit dem Aufkommen der Globalisierung der Medienkommunikation, d.h. mit der Zunahme kommunikativer Beziehungen bzw. Konnektivitäten über nationalstaat- liche Grenzen hinweg wie auch der Adressierung von Publika in verschiedenen Staaten durch bestimmte Medienprodukte, muss man vorsichtig sein, bestimmte kulturelle Muster der Medienkommunikation als charakteristisch für eine Nation zu konzeptionalisieren.“ (Hepp 2009: 1)

Zwar bieten Nation, nationale Kultur und das Territorium immer noch wichtige Referenz- punkte der Bedeutungsressourcen, jedoch verschwimmen diese, je mehr die Kommu- nikationsräume deterritorialisieren, was vor allem durch die globale Distribution des Kommunikationsmediums Internet der Fall ist (vgl. Hepp/Hasebrink 2014). Dadurch än- dert sich auch der Kulturbegriff als nationaler, geographischer Raum:

„Kultur in diesem Verständnis kann in ihren Konstruktionsmechanismen territoriale Refe- renzen haben. Mit der Globalisierung im Allgemeinen bzw. der Globalisierung von Medi- enkommunikation im Speziellen hat sie diese aber immer weniger.“ (Hepp 2004: 421.)

Um diesem gegenwärtigen Prozess gerecht zu werden, schlägt er in diesem Zuge wiederum die Anwendung des oben genannten Kreislaufmodells vor, um das Bestehen der Medienkulturen innerhalb des Prozesses der Mediatisierung und ihrer Verdichtung in ihrer jeweiligen Eigenheit sichtbar zu machen – wobei auf keinen Fall die Interdepen- denz die alle Aspekte immanent miteinander verbindet, außen vor gelassen werden darf

Theorie: Medienkultur 25 (vgl. Hepp 2004: 421f). Jedoch muss dieses Kreismodell an die globalisierten Gegebenheiten angepasst werden, da sich alle einzubeziehenden Faktoren durch das geänderte Referenzsystem ebenso verändern.

Doch welche dieser Faktoren können nun als Fixpunkte verwendet werden? Welche Aspekte in welchen Ebenen sind noch gültig, wenn sie die Grenzen von Medienkulturen von nationalen zu territorialen, von territorialen zu de-territorialen verschieben und nicht mehr durch medial produzierte, sondern auch durch meta-kulturell distribuierte, konsum- ierte und repräsentierte Referenzpunkte bedingt sind?

Zur Beantwortung lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit und auf die letzte Medien- revolution: das Fernsehen. Durch diese Medienrevolution des Fernsehens, die damals die nationalen Medienkulturen erst kreierte, gab es auch sehr viele Änderungen inner- halb des medienkulturellen Systems, das wiederum eine Änderung des Metaprozesses der Mediatisierung nach sich zog (vgl. Krotz 2010: 56). Fernsehen machte Kultur selbst zu einer kulturellen Institution, oder einer institutionalisierten Kultur (vgl. Schudson 1995). Vor allem veränderte es die lokale Repräsentation seiner Form selbst – das Medium wurde erst in die Lebenswelt der Nutzerinnen und Nutzer integriert, um dann interdependent wiederum eine neue Bedeutung zu bekommen:

„Erstens wurde das Fernsehen in den 1950er Jahren zuerst einmal als „global“ vermark- tet, indem es als ein ‚Fenster zur Welt’ dargestellt wurde. Zweitens musste das Fernse- hen lokal angeeignet werden, d.h. es musste seinen Platz im lokalen Leben finden. Und drittens hatte der Horizont seiner ersten Repräsentationen eine Tendenz zum National- Territorialen, indem die ersten wichtigen Fernsehereignisse nationale Feste, nationale Fußballspiele oder nationale serielle Produktionen waren, und auch die Grenzen des Sendegebiets von Fernsehanstalten waren nationale.“ (Hepp 2009: 4).

Fernsehen wurde global distribuiert (global hier im Sinne des westlichen Territoriums), war aber, trotz allem national: bedingt durch Sprache, Sprachraum, technische Infra- struktur der nationalen Sender und die ausgestrahlten Inhalte war Fernsehen noch technisiertes Kommunikationsmedium nationaler – und nicht etwa, wie die globale Dis- tribution vermuten lassen könnte – deterritorialer Medienkulturen. Zwar gab es hier schon die ersten Anzeichen von Territorialisierung, der Ausweitung nationaler Grenzen

Theorie: Medienkultur 26 hin zu territorialen Grenzen, aber die vorhandenen Tendenzen des nächsten Schritts, der Deterritorialisierung, waren noch marginal (vgl. Hepp 2004: 421ff).

2.1.1.5 Von den Medienkulturen zur Kommunikationskultur

Wie das Beispiel des Fernsehens zeigt, kann der Einfluss des Wandels technisierter Kommunikationsmedien auf die Entgrenzung früherer lokaler, regionaler und nationaler Räume in Prozessphasen eingeteilt werden: die Nationalisierung von Medienkulturen, die Territorialisierung von Medienkulturen und die Deterritorialisierung von Medienkul- turen. Doch durch die Potentiale des Internets auf globaler Ebene folgt auf die Deterrito- rialisierung von Medienkulturen eine weitere Phase, in welcher sich in den deterritorial- isierten Räumen eine eigene, erst virtuelle, später dann in den individuellen Handlungen materialisierte Kultur bildet. Hepp bezeichnet diesen Zustand als translokale, kommu- nikative Verdichtungen:

„(…) zur gleichen Zeit bestehen auf der anderen Seite kommunikative Verdichtungen über solche territorialen Grenzen hinweg, Verdichtungen, die den Raum für deterritoriale translokale Vergemeinschaftungen mit entsprechenden Identitäten und Kulturen eröff- nen.“ (Hepp 2009: 5f)

Es existiert noch ein weiterer wichtiger Faktor, der in den Prozess implementiert werden muss, damit die Fundamentalität der Veränderungen der Medienkulturen durch das In- ternet fassbar wird: die Nutzungsebene. Da das Internet nicht nur Auswirkungen auf Strukturen und Inhalte hat, sondern eben- falls auf die individuelle Bedeutungszuweisung, wird die Rolle der Nutzenden neu definiert. Früher fast ausschließlich begrenzt auf indirekten Einfluss auf den Artikulation- sebenen der Identifikation und Repräsentation, ermöglicht das Internet den Nutzerinnen und Nutzern nun vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und damit Einfluss auf der Artiku- lationsebene der Produktion.

Um diesen weitreichenden Wandel wissenschaftlich fassbar zu machen, wird der Begriff der Kommunikationskultur konstruiert. Der Teil-Begriff Kommunikation impliziert den Wandel auf der individuellen Nutzungsebene weg vom indirektem Einfluss durch Medi-

Theorie: Medienkultur 27 enrezeption, hin zu direktem Einfluss durch Produktion und Kommunikation. Der Teil- Begriff der Kultur, in der Einzahl verwendet, spiegelt die deterritorialisierenden Potentia- le des Internets wieder und impliziert, dass nach Deterritorialisierung und translokalen, kommunikativen Verdichtungen, ehemals kulturell verschiedene Räume zu einem globa- len kommunikationskulturellen Raum fusionieren.

Eine mögliche Definition lautet daher:

Die Kommunikationskultur umfasst die durch digitale Kommunikationsmedien ausgelösten, kulturellen und kommunikativen Wandlungsprozesse auf ganzheitli- cher Ebene, als Erweiterung des theoretischen Konstrukts der Medienkulturen.

Theorie: Medienkultur 28 2.1.2 Nationalkulturen

Vor allem zur Schärfung der Begrifflichkeit der vorliegenden Masterarbeit dient dieses Kapitel dem theoretischen und angewandten Vergleich zwischen Österreich und China aus einer komparativen kulturwissenschaftlichen Perspektive. Dabei wird hauptsächlich auf den Anthropologischen Management Ansatz von Geert Hofstede Bezug genommen, da dieser in der Lage ist, die für diese Masterarbeit immanenten Merkmale und Ausprä- gungen kultureller Besonderheiten und Teilsysteme systematisch darzustellen und zu erklären. Ebenfalls basiert dieser Ansatz auf einem interkulturellen, von Nationalstaaten geprägten Paradigma der Kultur und kann als Gegensatz zu den transkulturellen The- sen des vorherigen Kapitels aufgefasst werden. Somit wird ein ganzheitlicher Ausblick auf die kulturelle Thematik der Masterarbeit gewährleistet.

2.1.2.1 Der Anthropologische Management-Ansatz

Eine der am meisten verwendeten und angewandten theoretischen Modelle, um das soziale Wertesystem von Individuen auf einer kulturellen Ebene zu untersuchen, ist der anthropologische Management-Ansatz (vgl. Gouveia/Ros 2000). Ursprünglich wurde er vom niederländischen Sozialwissenschafter Geerd Hofstede entwickelt, der – und damit erklärt sich auch der Erfolg des Modells in Wissenschaft und Wirtschaft – durch eine empirische Anwendung relativ genaue Ergebnisse und Erkenntnisse über die kulturellen Unterschiede zwischen Ländern generieren konnte (vgl. ebd.).

Vorab sind zwei wichtige Aspekte zu beachten: erstens, dass die Methodik darauf aus- gerichtet ist, Länder miteinander zu vergleichen und nicht etwa Kulturkreise oder na- tional-interne Gruppierungen und Kulturgruppen (Hofstede 1983: 77); und zweitens, dass der Kulturbegriff, von dem das ganze Konzept abhängig ist, sehr viel weniger dif- ferenziert zu sein scheint, als beispielsweise der Kulturbegriff der Cultural Studies. Kul- tur im Sinne Hofstedes meint „the collective programming of the mind that distinguishes the members of one category of people from another“ (Hofstede/Bond 1988: 6). Oder ausführlicher:

Theorie: Nationalkulturen 29 „My favorite definition of ‚culture‘ is precisely that its essence is collective mental pro- gramming: it is that part of our conditioning that we share with other members of our na- tion, region, or group but not with members of other nations, regions, or groups.“ (Hofstede 1983: 72)

Dies stellt eine sehr stringente und konsequente Haltung und Auffassung eines Begriffs dar, dem eine ganze Wissenschaft gewidmet ist. Hierbei muss aber natürlich auch die Etymologie des Kulturbegriffs im Kontext des Hofstede-Modells in Betracht gezogen werden. Im Auftrag internationaler Wirtschaftsunternehmen führte Hofstede 1984 seine Studie „Culture’s Consequences“ anhand der Untersuchung von 40 Ländern sowie den Erfahrungen von Wirtschafts-Managerinnen und -Managern in diesen Ländern durch. Dies ist auch einer der großen Kritikpunkte an Hofstedes Arbeit, da er ein Modell vorschlägt, das ganzheitlich angesetzt ist, aber auf empirischen Ergebnissen beruht, die nur wenige Details untersucht haben (vgl. Gouveia/Ros 2000: 26). Hofstedes Modell beruht – wie erwähnt – auf einer Studie im Auftrag von IBM in den 1970er-Jahren, als er den Auftrag erhielt, die Einstellung der aus verschiedenen Ländern und Kulturkreisen stammenden und dort arbeitenden IBM-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unter- suchen. In Folge dessen wurden 116.000 Befragungen aus 72 unterschiedlichen Län- dern ausgewertet (vgl. Hofstede/Bond 1988: 9).

2.1.2.2 Kritik

Hofstede äußert sich auch selbst zu den Kritikpunkten der Pauschalisierung und Ober- flächlichkeit, die logischerweise aus seinem Kulturbegriff folgen: sein Hauptargument ist, dass alle anderen Kulturbegriffe keine – so wie es bei ihm unleugbar der Fall ist – sys- tematische und empirische Untersuchung in einem solchen Umfang nach sich ziehen können (vgl. Hofstede 1983: 77). In den letzten 35 Jahren wurden die Untersuchungen stetig re-evaluiert, adaptiert und weiterentwickelt und wurden dadurch zur umfassend- sten empirische Untersuchung in der komparativen Kulturwissenschaft, die existiert:

„The survey now covers more than 100 countries worldwide with a questionnaire inclu- ding more than 360 forced-choice items. Areas covered are ecology, economy, educati-

Theorie: Nationalkulturen 30 on, emotions, family, gender and sexuality, government and politics, health, happiness, leisure and friends, morality, religion, society and nation, and work.“ (Hofstede 2011: 14).

Um die generellen Unterschiede von Kulturen sichtbar zu machen, schlägt Hofstede das Gegensatzpaar von Individualismus und Kollektivismus vor, zwei Seiten einer Medaille, die einerseits die westliche Welt, andererseits die asiatische Kultur erklären sollen:

„Those cultures that emphazise the autonomy of the person are grouped under individ- ualism, while those cultures whose most important values place emphasis on the de- pency of the individual respect to in-groups are clustered under collectisism.“ (Gouveia/Ros 2000: 25)

Aber auch diese simple Schwarz-Weiß-Sicht auf Kulturen als nur individualistisch oder nur kollektivistisch wird von vielen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern kritisiert (vgl. Schwartz 1990: 10ff, El-Mafaalani 2008: 36ff):

1. Individuen können Werte haben, die sowohl persönlichen als auch kollektiven In- teressen dienen. Das ist beispielsweise bei Werten der Fall, die nach Sicherheit streben – für die eigene, die der Familie oder die der Nation. Solche Arten von Werten und Motivationen lässt sich bei beiden Kultur-Dimensionen finden: so- wohl individualistischen Kulturkreisen, als auch kollektivistischen. 2. Der Gegensatz an sich ist unzureichend ausdifferenziert, da er Werte nicht in die Berechnung mit einbezieht, die zwar kollektivistische Ziele verfolgen, die aber nicht charakteristisch für die oben genannte „In-Group“ sind. Das bezieht sich vor allem auf individualistische Kulturen, in denen trotz der Ausrichtung Ziele wie so- ziale Gerechtigkeit nicht nur aus egoistischen Motiven verfolgt werden. Schwartz schlägt hierbei eine weitere Ausdifferenzierung vor, um dieses offensichtliche Problem zu lösen. 3. Der Gegensatz zwischen Kollektivismus und Individualismus beruht auf einem polaren Grundansatz, was abzulehnen ist. Es kann sowohl individualistische als auch kollektivistische Interessen geben, die nicht im Konflikt zueinander stehen. Zum Beispiel kann Hedonismus individualistisch geprägt sein, schadet aber dem Kollektiv nicht. Das gleiche gilt für kollektivistische Motivationen.

Theorie: Nationalkulturen 31 Vor allem der letzte Punkt, der die Polarisation zwischen zwei Kultursystemen angreift, ist ein Hauptargument der Gegnerinnen und Gegner von Hofstedes Theoriemodell: Grundsätzlich ist bei der Betrachtung, welchem Wertesystem ein Individuum nun zuzuschreiben ist, wichtig, dass hierbei keine Schwarz-Weiß-Sicht angelegt werden darf: „It is commonly acknowledged that individualist and collectivist attitudes are not mutually exclusive.” (Green/Deschamps/Paez 2005: 322). Individuen haben je nach sozialem Kontext eine unterschiedliche Werte-Einstellung und können sich so oder so verhalten. Beispielsweise kann ein Individuum in einer Geschäftsbeziehung eher dem Individualismus, oder zusammen mit seiner Familie eher dem Kollektivismus zugeordnet werden (vgl. Green/Deschamps/Paez 2005: 321).

Trotzdem soll einer der theoretischen Faktoren in dieser Arbeit Hofstedes dichotomes Modell von Kollektivismus versus Individualismus sein. Obwohl er vielfach kritisiert wurde, gilt seine Theorie immer noch als die gültigste, da sie sich – im Gegensatz zu Alternativvorschlägen, die Kultur quantifizierbar machen sollen – durch ihre hohe Erfol- gsrate und Anwendung auszeichnet. Zudem bietet es eine Anlehnung an eine makro- ökonomische Perspektive und kann deshalb auch im Kontext von technologischen En- twicklungen verankert werden, in welchen zumindest einer der Hauptfaktoren ökonomisch bedingt ist (vgl. Gouveia/Ros 2000: 32). Ebenso ermöglicht Hofstedes Modell einen direkten Vergleich zwischen den beiden in dieser Masterarbeit untersucht- en Ländern zu ziehen: Österreich und China. Die vorhandenen Daten werden dabei in Korrelation gebracht und im weiteren Verlauf dieser Arbeit mit den Theorien und Ergeb- nissen der Empirie in Verbindung gesetzt. Hofstedes Modell dient hierzu als ein Baustein.

2.1.2.3 Die Hofstede-Dimensionen

Das komparative interkulturelle Modell von Hofstede wird auf Ebene der Individuen angewandt, um davon auf kulturelle Unterschiede in den folgenden Bereichen zu schließen und diese zu erklären (vgl. Green/Deschamps/Paez 2005: 1): Einstellungen, Werte, Verhalten, Denken, Kommunikation, Eigenschaften, Sozialisation, und Selbst-Konzepte beziehungsweise Identität.

Theorie: Nationalkulturen 32 Obwohl Hofstedes Ergebnisse große Ähnlichkeiten bei Ländern aufweisen, die im gle- ichen geographischen Cluster angesiedelt sind, ist eine seiner empirisch nachgeprüften Grundannahmen, dass es nicht etwa Kultur-Container gibt, wie es beispielsweise die Cultural Studies besagen (Hepp 2014), sondern dass die Landesgrenzen relevant genug sind, um Kulturen als Nationalkulturen zu definieren. Das geschieht aus drei Gründen:

1. „The first, very obviously, is political. Nations are political units, rooted in history, with their own institutions: forms of government, legal systems, educational sys- tems, labor and employer's association systems. Not only do the formal institu- tions differ, but even if we could equalize them, the informal ways of using them differ.“ (Hofstede 1983: 75). Er zeigt hierbei das Beispiel der unterschiedlichen Gesetzgebungen in den verschiedenen Ländern auf, die das Individuum, seine Rolle und die Rolle des Staates betreffen. 2. „The second reason why nationality is important is sociological. Nationality or re- gionality has a symbolic value to citizens. We all derive part of our identity from it; it is part of the 'who am I’. The symbolic value of the fact of belonging to a nation or region has been and still is sufficient reason for people to go to war, when they feel their common identity to be threatened. National and regional differences are felt by people to be a reality - and therefore they are a reality.“ (Hofstede 1983: 76). Sein zweiter Grund ist ebenso wichtig für das Verständnis und die Ziele seines Modells wie die anderen beiden: Hierbei geht es um die Identität des des Individuums und die Bedeutung, die es sich im sozialen Gefüge zugesteht. 3. „The third reason why nationality is important is psychological. Our thinking is partly conditioned by national culture factors. This is an effect of early life experi- ences in the family and later educational experiences in schools and organiza- tions, which are not the same across national borders.“ (Hofstede 1983: 76). Auch hier wird wiederum der Begriff der Identität wichtig. Nur bezieht er sich damit eher auf einen individuellen Faktor, als beim zweiten Grund auf einen makro-sozialen.

Die Terminologie Hofstedes, mit der er nationale Kulturen und deren Unterschiede beschreibt, beinhaltet sogenannte „Dimensionen“, die jeweils in zwei gegensätzliche Pole gegliedert sind. Generiert wurden sie einerseits durch eine Multi-Faktoren-Analyse basierend auf den von ihm durchgeführten Befragungen für IBM und andererseits einer

Theorie: Nationalkulturen 33 soliden theoretischen Herangehensweise, die auf anthropologischen und psychologis- chen Grundpfeilern steht (vgl. Hofstede 1983: 78). Diese Dimensionen sind im Kurzen dargestellt die folgenden:

2.1.2.3.1 Individualism vs. Collectivism

„This describes the degree to which individuals are integrated into groups. On the indi- vidualist side we find societies in which the ties between individuals are loose; (...). On the collectivist side, we find societies in which people from birth onwards are integrated into strong, cohesive in-groups“ (Hofstede/Bond 1986: 11)

Das Fundament, auf dem diese Dimension beruht, ist die Beziehung zwischen den Indi- viduen untereinander. In einer individualistisch geprägten Kultur liegt das Hauptinter- esse des oder der Einzelnen nur auf sich selbst oder ihrem oder seinem engsten Umkreis. Das ist laut Hofstede ermöglicht „by a large amount of freedom that such a so- ciety leaves individuals“ (Hofstede 1983: 79). Das andere Extrem ist die rein-kollektivis- tische Gesellschaft, in der das Individuum nur den Interessen seiner „In-Group“ (aus- gedehnte Familie, Dorf, Stamm, Nation) folgt und die eigenen Interessen denen der Masse unterordnet. Dafür bekommt das Individuum Schutz durch die Masse. Hofstede stellte bei seinen Forschungen fest, dass die Einordnung einer Kultur zu einem Pol statistisch mit dem Reichtum der Nation korreliert. Länder, die ein höheres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf vorweisen können, sind öfter unter den individualistischen Ländern zu finden, als Länder, die als Entwicklungsländer gelten. Vor allem die reichen und westlichen Länder sind individualistisch geprägt, Osteuropa, Asien und Afrika haben einen mehr kollektivistischen Ansatz (vgl. Hofstede 2011: 12).

2.1.2.3.2 Power Distance

„That is, the extent to which the less powerful members of organizations and institutions accept and expect that power is distributed unequally.“ (Hofstede/Bond 1986: 10)

Das Fundament, auf dem diese Dimension steht, ist die Frage, wie eine Gesellschaft damit umgeht, dass es keine Chancengleichheit gibt: „People are unequal in physical

Theorie: Nationalkulturen 34 and intelectual capacities. Some societies let these inequalities grow over time into in- equalities in power and wealth. (...) Other societies try to play down inequalities in power and wealth as much as possible.“ (Hofstede 1983: 81). Im Grunde geht es hier um die Einstellung der oder des Einzelnen, wie weit er die Ungleichheit und seine eigene Situa- tion akzeptiert. Hofstede kommt zu dem Ergebnis, dass Länder in denen beispielsweise autokratische politische Strukturen vorherrschen, die Power Distance relativ groß ist, da der oder die Einzelne akzeptiert, dass die Ungleichheit weiter besteht. Westlich- demokratische Länder dagegen haben einen geringen Wert auf der Skala (vgl. ebd.). Laut Hofstede korrelieren Power Distance und die Dimension des Individualismus/ Kollektivismus miteinander. Das zeigt sich beispielsweise daran, dass arme Länder meist autoritäre Strukturen aufweisen. Im Gegenzug haben aber nicht alle reichen Län- der demokratische Strukturen. Seine Hypothese ist also: Je ärmer das Land, desto größer die Power Distance. (vgl. ebd.: 88f).

2.1.2.3.3 Uncertainty Avoidance

„It indicates to what extent a culture programs its members to feel either uncomfortable or comfortable in unstructured situations.“ (Hofstede/Bond: 10)

Der zentrale Begriff ist hierbei die Angst vor der ungewissen Zukunft, die sich auf Ver- halten und Einstellungen der Individuen auswirkt. In Staaten mit einer schwachen Un- certainty Avoidance fühlen sie die Mitglieder der jeweiligen Gesellschaft relativ sicher und sind deshalb auch bereit, Risiken einzugehen und in die Zukunft zu investieren. Na- tionen mit stark ausgeprägter Uncertainty Avoidance hingegen versuchen durch die Schaffung von künstlichen Rahmenbedingungen die Sicherheit möglichst hoch zu hal- ten. Wichtig ist aber hierbei anzumerken, dass diese Dimension nur für westliche Län- der und nicht für asiatische Länder zutrifft (Hofstede/Bond 1988: 19).

2.1.2.3.4 Masculinity vs. Femininity

„The distribution between the sexes is another fundamental issue for any society“ (Hofstede/Bond: 11)

Theorie: Nationalkulturen 35 Im Grunde geht es bei dieser Dimension darum, ob dem Land im Durchschnitt eher männlich-konnotierte Werte oder weiblich-konnotierte Einstellungen nachgewiesen wer- den können. Unter männlichen Werten versteht Hofstede Charaktereigenschaften wie Dominanz und Durchsetzungskraft, weibliche Werte sind für ihn Altruismus und der Wille, andere zu unterstützen: „In more Feminine societies, the dominant values – for both men and women – are those more traditionally associated with the feminine role: not showing of, putting relationships with people before money, minding the quality of live and the preservation of the environment, helping others, in particular the weak (...)“ (Hofstede 1983: 85). Der Wert der Masculinity ist sehr hoch in Japan, den deutschsprachigen Ländern und in einigen Lateinamerikanischen Nationen. In den englischsprachigen Ländern hingegen ist der Wert im Mittelbereich. Niedrig ist er in Skandinavien, den Niederlanden, Asien und in Frankreich und Spanien (vgl. Hofstede 2011: 11).

2.1.2.3.5 Pragmatism vs. Normatism

„This dimension describes how every society has to maintain some links with its own past while dealing with the challenges of the present and future, and societies prioritise these two existential goals differently.“ (Hofstede 2015)

Diese Dimension kam erst im späteren Verlauf der Untersuchungen dazu und war maßgeblich beeinflusst vom Kontakt mit den asiatischen Ländern, in denen Hofstede eine hohe pragmatische Ausprägung feststellen konnte, was er mit dem philosophis- chen Einfluss von Konfuzius und seine Lehren auf die asiatischen Gesellschaften erk- lärte (vgl. Hofstede 2011: 14f). Er nannte dieses rein asiatische Phänomen Confuzianic Work Dynanism (vgl. Hofstede/Bond 1988: 19). Anfänglich hatte auch die Pragmatism- Dimension einen anderen Namen und eine leicht veränderte Bedeutung, wurde dann aber 2013 mit dem Dynamism verschmolzen und in die Pragmatismus-Dimension umgetauft (Hofstede 2014: o.S.). Grundbegriff dieser Dimension ist der Fortschrittsglaube der Menschen und die Per- spektive, die sie auf die Vergangenheit und Traditionen haben. Konkret geht es dabei darum, wie reaktionär bzw. positiv-pragmatisch die Menschen mit Veränderungen umgehen. Länder mit geringem Pragmatismus sind patriotischer, fatalistischer und

Theorie: Nationalkulturen 36 haben ein geringeres und langsameres Wirtschaftswachstum als Länder mit hohen Pragmatism-Werten. Pragmatische Länder befinden sich in Ost-Asien, sowie Ost- und Zentraleuropa. Mittlere Werte sind hauptsächlich in Nationen in Süd- und Nordeuropa anzutreffen. Länder mit einem hohen Wert von Normatism liegen in Nordamerika, Australien, Lateinamerika und muslimisch geprägten Gegenden (vgl. Hofstede 2011: 15).

2.1.2.3.6 Indulgence vs. Restraint

„Indulgence stands for a society that allows relatively free gratification of basic and nat- ural human desires related to enjoying life and having fun. Restraint stands for a society that controls gratification of needs and regulates it by means of strict social norms.“ (Hofstede 2011: 15).

Das Gegensatzpaar hat seinen Ursprung in der Glücksforschung und betrachtet den Unterschied, wie zufrieden sich die Mehrheit eines Landes fühlt. Die sozialen Normen haben dabei eine große Rolle, aber auch statistische Fakten wie die Geburtenrate, das Bildungsniveau und finanzieller und materieller Wohlstand spielen eine wichtige Rolle. In Ländern Süd- und Nordamerikas, Westeuropas und dem südlichen Afrika sind die In- dulgence-Werte relativ hoch. In Osteuropa, Asien und der muslimisch geprägten Welt sind die Werte hingegen niedrig (vgl. Hofstede 2011: 16).

Theorie: Nationalkulturen 37 2.1.2.4 Anwendung an chinesischer und österreichischer Nationalkultur

Da Hofstedes Theorie auch in der praktischen Anwendung ständigen Aus- und Weiter- bau erlebt, sind die Daten und Ergebnisse auf dem aktuellsten Stand und rechnen auch die historischen, politischen und ökonomischen Veränderungen der letzten 20 Jahre mit ein (Green/Deschamp/Paez 2005: 2f). Ungewöhnlich für die wissenschaftliche Welt sind die Daten frei zugänglich im Internet erhältlich (Worldvaluesurvey.org 2015). Beide As- pekte gewährleisten die Validität und die Reliabilität des nun folgenden Vergleichs zwis- chen den Ländern Österreich und China.

Dabei wird wie folgt vorgegangen: In einer komparativen Evaluation der verfügbaren Ergebnisse von Hofstedes Untersuchungen werden China und Österreich anhand der Hofstede-Dimensionen analysiert und anschließend mit Hilfe wissenschaftlicher Forschungsergebnisse interpretiert. Das Ziel der Analyse ist die nachvollziehbare Erfas- sung der kulturellen Unterschiede zwischen Österreich und China, um diese im für die Generierung der Hypothesen zu verwenden. Im gleichen Zug werden China und Öster- reich bezüglich politischer Strukturen näher erklärt. Auch auf Grund der Kritik am Hofstede-Modell, lässt das Vorgehen keine objektive Beschreibung der chinesischen und österreichischen Kultur zu. Doch eine im Rahmen der vorliegenden Arbeit ausreichende Annäherung an die Unterschiede zwischen den beiden Kulturen ist damit durchaus möglich.

2.1.2.4.1 Individualism vs. Collectivism in China und Österreich

Mit einem Individualism-Wert von 20 ist China ganz klar als kollektivistisch einzuordnen. Interessanterweise liegt es damit aber hinter Taiwan und Südkorea, die mit Werten von 17 beziehungsweise 18 die Spitzenplätze unter den asiatischen Ländern anführen. Beide Länder sind mit Japan ökonomisch und politisch die am westlichst-geprägten in Asien (vgl. Pohlmann 2004: 362). Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass Strukturen wie Wirtschaftssystem und Politik wenig Einfluss auf die Individualism-Di- mension haben. Charakteristika von kollektivistischen Kulturen sind Wir-Bewusstsein, Gruppenbezogen- heit der Individuen und die Tatsache, dass persönliche Beziehungen zur eigenen Gruppe für den sozialen Aufstieg weitaus wichtiger sind, als individuelle Leistung (vgl.

Theorie: Nationalkulturen 38 Hofstede 2011: 11). Diese Hauptunterschiede zwischen individualistischen und kollek- tivistischen Kulturen sind für China auch an anderen Stellen wissenschaftlich bestätigt. Das Phänomen des „Guanxi“, das als „informal norm of social ties that regulates and facilitates privileged access to personalized exchange at both dyadic and network lev- els“ (Ping Li 2005: 63) definiert wird, zeigt das exemplarisch: Sozialer Aufstieg ist nur mit den richtigen Kontakten möglich, diese generieren sich meist aus der eigenen sogenan- nten In-Group, also aus dem familiären Umfeld, dem Militär oder der Partei. Ein weiteres Charakteristikum ist das Ziel kollektivistischer Kulturen nach harmonischen Zusammenleben, bei dem sich meist die Minderheit der Mehrheit beugen muss. Chinas offizielles Regierungsziel ist seit Präsident Hu Jintao die „harmonische Gesellschaft“, eine gesamtgesellschaftliche Vision, die einen starken ideologischen, sozialen, ökonomischen und politischen Integrationsansatz aufweist:

„Das Konzept knüpft zum einen an die marxistisch-maoistische Denktradition (...) an, zum anderen sind darin Elemente der klassischen (konfuzianischen) Philosophie ent- halten. Die Rehabilitation der Tradition greift dabei populäre Strömungen in der Gesellschaft auf und »vereinnahmt« sie für den Aufbau der harmonischen Gesellschaft. Dies dient dem obersten Ziel der Kommunistischen Partei, nämlich dem Erhalt der Sta- bilität (im Sinne von Regimestabilität).“ (Wacker/Kaiser 2008: 6)

Das Konzept der harmonischen Gesellschaft wirkt sich unter anderem auf die politis- chen, ökonomischen, sozialen und individuellen Rahmenbedingungen der Medien- und Kommunikationskultur in China aus, was im weiteren Verlauf dieser Masterarbeit detail- liert nachgewiesen wird.

Österreich erreicht einen Individualism-Wert von 55 und ist damit im Mittelfeld der unter- suchten Ländern auf der Stufe von beispielsweise Israel (54) und Tschechien (58) anzutreffen. Zusammen mit Spanien (51) ist Österreich Schlusslicht der westlich geprägten Länder in Europa, Amerika und Australien. Obwohl im selben Sprachraum vertreten – und auch dadurch im selben Medienkultur- Territorium – wie die Schweiz und Deutschland, weisen diese beiden Länder weitaus höhere Werte auf als Österreich: Deutschland erreicht einen Mittelwert von 67, die Schweiz einen Wert von 69 von 100 Punkten. Das ist insofern interessant, da das die Frage aufwirft, welche Faktoren genau nun Einfluss auf die Einstellung der Individuen haben, da trotz ökonomischer, sprachlicher, politischer, ideologischer und medienkul-

Theorie: Nationalkulturen 39 tureller Gemeinsamkeiten eine signifikante Differenz von 10 Punkten zwischen Deutsch- land und Österreich besteht. Hofstede lieferte ein Erklärungsmodell, in dem er das Bruttosozialprodukt pro Kopf mit den Individualism-Werten korreliert (vgl. 1983: 80): Je ärmer das Land ist, desto niedriger ist der Individualism-Wert. Das mag für China mit einem Bruttosozialprodukt pro Kopf von 11.868 US-Dollar zutreffen, wird aber am Beispiel Taiwans und Südkoreas widerlegt, da sich beide Länder auf dem gleichen Niveau befinden wie die westlichen Länder (vgl. World Bank 2014).

Im Vergleich zu Österreich ist China eine sehr stark kollektivistisch geprägte Kultur. Im Umkehrschluss bedeutet das genauso, dass Österreich im Vergleich zu China starke individualistische Züge aufweist. Interkulturelle Besucherinnen und Besucher treten damit in eine andere und neue Kultur und Lebenswelt hinein, die trotz globaler medi- enkultureller Vermittlung eindeutig fremd für sie ist. Der von vielen transkulturellen Kommunikationswissenschafterinnen und -Wissenschafter negierte Gegensatz zwis- chen dem kollektivistischen China und dem individualistischen Österreich könnte in Bezug auf Hofstedes Dimensionen also angezweifelt werden: Die kulturellen Unter- schiede sind größer als die Gemeinsamkeiten, eine gewisse Polarisierung läge also im Bereich des Möglichen.

2.1.2.4.2 Power Distance in China und Österreich

Hinsichtlich dieser Dimension, welche die Akzeptanz der Bevölkerung von ungleicher Machtverteilung beschreibt, zeigen sich erneut wesentliche Unterschiede zwischen Österreich und China. Sogar so signifikant, dass beide als Gegenpole bezeichnet wer- den könnten. Österreich ist mit 11 Punkten die Kultur mit der niedrigsten Power Dis- tance aller 79 auf diese Dimension hin untersuchten Länder. China reiht sich mit einem Wert von 80 hingegen unter Nationen wie Russland, den Philippinen und den arabis- chen Ländern ein. Laut der qualitativen und quantitativen Ergebnisse der Studien Hofstedes ergeben sich für Österreich damit folgende im Mittelwert fast ausschließlich zutreffende Charakteristi- ka (vgl. Hofstede 2011: 9): Neben einer pluralistischen, demokratisch legitimierten und akzeptierten Regierungsform und wenig politischen Krisen ist die Einkommensverteilung relativ gleich. Hierarchien werden als notwendiges Übel betrachtet, während sich vor

Theorie: Nationalkulturen 40 allem in der Wirtschaft angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein gewisses Ein- flussrecht zusprechen. Das gilt auch für Schülerinnen und Schüler sowie Studierende, da das Erziehungsmodell auf die Lernenden ausgerichtet ist. Im Schluss daraus könnte statuiert werden, dass Österreich zumindest aus Sicht der Befragten eine Kultur ist, die politische Gestaltung mit einem Bottom-Up-Ansatz verbindet (vgl. Cornwall 2008: 275). Im relativen Vergleich dazu könnte China als Top-Down-Kultur bezeichnet werden (vgl. ebd.), denn die ungleiche Macht- und Einkommensverteilung wird vom Großteil der Bevölkerung akzeptiert. Obwohl es oft zu Korruptionsskandalen kommt, werden diese, wenn nicht überhaupt von einer gesellschaftlichen und damit medialen Thematisierung ausgeschlossen, nicht offen kritisiert. Älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern wird großer Respekt entgegengebracht, die Kinder zu Gehorsam und Konformität erzogen, was sich auch im Wirtschaftsleben widerspiegelt. Parallel dazu ist das politische System au- tokratisch und autoritär.

Obwohl vor allem die Charakteristika für Österreich auf Grund ihrer Extreme auf den er- sten Blick angezweifelt werden könnten, muss an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Hofstede zwar für sein Kulturverständnis kritisiert wurde, nie aber für die sorgfältige und objektive Durchführung seiner empirischen Studien. Auch die genannten Charakteristika für die chinesische Kultur können bestätigt werden, wie einerseits die theoretische Auseinandersetzung mit dem und auch die empirische qualitative Befragung der chinesischen Austauschstudierenden im weiteren Verlauf der Masterarbeit zeigen wird. Andererseits weist China mit einem Einkom- mensverteilung angebenden Gini-Koeffizienten von 0,47 eine global gesehen sehr hohe Ungleichverteilung auf. Ebenso wird das politische System Chinas von der westlichen Politikwissenschaft als autoritär beschrieben (vgl. Heilmann 2008: 2).

2.1.2.4.3 Uncertainty Avoidance in China und Österreich

Diese Dimension beschreibt, inwieweit es eine Kultur durch institutionalisierte Sicher- heitsmaßnahmen und Normen versucht, die Zukunft planbar zu machen. Mit einem Wert von 70 ist Österreich hierbei gleich auf mit den anderen deutschsprachigen und europäischen Ländern und liegt nahe beim Mittelwert aller untersuchten Länder: 69. Es gelten also keine Extremwerte für die österreichische Kultur, weder die starken, noch die schwachen Uncertainty Avoidance Strategien.

Theorie: Nationalkulturen 41 Obwohl China auch hier mit einem Wert von 30 einen signifikanten Unterschied zu Österreich aufweist, wäre ein Vergleich der beiden Länder in dieser Dimension nicht zulässig. Wie bereits erwähnt hat Hofstede für die konfuzianisch geprägten asiatischen Länder eine Art von Ausnahme generiert: den Confucian Work Dynamism (vgl. Hofst- ede/Bond 1988). Da dieser aber vor allem die Dimension des Pragmatism betrifft und mit dieser verschmolzen wurde, wird der Confucian Work Dynanism im Rahmen dessen detaillierter behandelt.

2.1.2.4.4 Masculinity vs. Femininity in China und Österreich

Die Dimension des Maculinity/Femininity zeigt an, welche Art von traditionellen männlich und weiblich konnotierten Werten in der jeweiligen Kultur überwiegt – bei Männern wie bei Frauen. Ebenfalls werden demographische Daten wie die Gender Diversity mit ein- gerechnet, da diese die in der Theorie verhafteten kulturellen Werte in der Praxis real- isieren. Der Mittelwert der 76 untersuchten Länder liegt bei 49 Punkten, China bei 66 und Öster- reich bei 79. Beide Kulturen sind also maskulin geprägt, wobei Österreich zusammen mit den anderen beiden deutschsprachigen Ländern einen relativ hohen Wert einnimmt. In maskulinen Kulturen hat die Arbeit generell einen höheren Stellenwert als die Familie. Die Gesellschaft ist insgesamt erfolgs- und leistungsorientiert und zeigt sich von Konkurrenzkampf und Druck geprägt. Ebenfalls sind Konfliktlösungsstrategien nicht auf einen Konsens, sondern auf Dissens ausgerichtet (vgl. Hofstede 2011: 12). Ein Punkt in dem sich China und Österreich demographisch unterscheiden ist die Gen- der Diversity in der Arbeitswelt, die auch einen kleinen Teil der Berechnung der Mas- culinity-Dimension ausmacht. 2010 arbeiteten ca. 357 Millionen Chinesinnen, was be- deutet, dass 75,2% aller Frauen in China eine Arbeitsstelle außerhalb ihres Zuhauses haben, die im Schnitt 31% weniger als männliche Erwerbstätige verdienen (vgl. Catalyst 2012). In Österreich sind es hingegen ein bisschen weniger: 67,3% der Frauen waren 2012 erwerbstätig, dafür ist die Gender Pay Gap leicht niedriger mit 23,4% geringerem Lohn im Durchschnitt (vgl. Statistik Austria 2014)

Theorie: Nationalkulturen 42 2.1.2.4.5 Pragmatism vs. Normatism in China und Österreich

Diese Dimension beschreibt den Umgang der jeweiligen Kultur mit ihrer Vergangenheit und der Zukunft. Im Grunde geht es darum, wie die jeweilige Kultur auf Veränderungen reagiert, die ihre Traditionen und Normen betreffen. Mit 60 Punkten ist Österreich eine pragmatische Kultur, die situationsabhängig flexibel auf Veränderungen reagiert. Somit ist es leichter für die Bevölkerung, Veränderungen zu adaptieren und damit mit der Zeit zu gehen.

Bei den 96 untersuchten Ländern liegt der Mittelwert bei 45 Punkten. China ist am oberen Ende der Skala und mit 87 Punkten die viert-pragmatischste Kultur unter allen untersuchten Ländern – was logisch im Aufbau der Dimension ist: Hofstede erklärt, dass die Integration der Pragmatism-Dimension erst im Zusammenhang mit der Unter- suchung der asiatischen Länder geschah. Da keine der davor bestehenden Dimensio- nen den rapiden wirtschaftlichen Aufschwung Japans, Südkoreas, Taiwans und Chinas erklären konnte und die genannte Untersuchung von asiatischen Wissenschafterinnen und Wissenschafter durchgeführt wurde, die plötzlich neue, von den westlichen Durch- führenden nie aufgeworfene Fragen in die Methodik mit hineinnahm, suchte Hofstede nach einem Erklärungsmodell. Er gibt dazu historische und philosophische beziehungsweise ideologische Normen und Faktoren als Einflüsse auf (vgl. Hofstede 2011: 13, Hofstede/Hofstede/Minkov 2010: 255ff): Asiatische Länder sind durch eine stark, die kulturellen und lebensweltlichen Praktiken homogenisierende Philosophie geprägt, dem Konfuzianismus. Dieser ist leistungsbezo- gen und erlaubt, die Fähigkeit sehr flexibel auf von außen und innen kommende Verän- derungen zu reagieren und diese zu adaptieren (vgl. Hofstede/Bond 1988: 16), also pragmatisch zu agieren und nicht an Normen festzuhalten.

Doch nicht nur auf Grund von Kritiken aus der sinologischen Wissenschaft, die einer- seits die Verhaftung der konfuzianischen Philosophie in den asiatischen, respektive chi- nesischen Kulturen bestreiten, sondern auch den selektiven Umgang mit dieser Hy- pothese durch die interkulturelle Kommunikationswissenschaft kritisieren (vgl. van Ess 2003: 13), wurde der Confucian Work Dynamism neu restrukturiert und global vergle- ichbar gemacht: die Pragmatism-Dimension. Bestätigt werden kann der hohe chinesische Wert durch die rapiden ökonomischen und technologischen Veränderungen, die in den letzten 20 Jahren das China von damals

Theorie: Nationalkulturen 43 konsequent und kurzfristig fundamental umschichteten, trotzdem aber nicht zu sozialen Krisen führten. China und sein politisches System wird deshalb auch als „lernendes au- toritäres System“ definiert, das durch seinen gekonnten Umgang mit Modernisierung und globaler Anpassung sogar ein Gegenmodell zu den westlich-demokratischen Län- dern bieten könnte, da das autoritäre Staatsmodell der freien Marktwirtschaft weitaus hilfreicher sei, als eine langsame und träge demokratische Entscheidungspolitik (vgl. Heilmann 2008).

2.1.2.4.6 Indulgence vs. Restraint in China und Österreich

Diese Dimension untersucht, wie normativ eine Kultur auf die persönliche Entfaltung ihrer Mitglieder reagiert, in dem sie vor allem danach fragt, wie glücklich sich die Indi- viduen fühlen. China hat einen relativ niedrigen Wert mit 24 Skala-Punkten. Im Vergleich dazu weist Österreich mit 63 Punkten einen hohen Wert auf. Dieser Unterschied zeigt sich in fol- genden Charakteristika (vgl. Hofstede 2011: 16): Während in Österreich die Rede- und Meinungsfreiheit als wichtig erachtet wird, sind diese in China eher untergeordnet. Gle- ichzeitig liegt in Österreich ein größerer Fokus auf der Freizeit als in China. Ein weiterer wichtiger Unterschied ist, dass in Österreich die öffentliche Sicherheit als nicht so wichtig erachtet wird wie in China, was sich auch in den Statistiken zeigt: In Österreich kommen 326 reguläre Polizeikräfte auf 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner in Chi- na 120 (vgl. Xinhua 2007), wobei dort weder die militärischen, die öffentlichen, die pri- vaten oder die Polizei- und Ordnungskräfte des Staatssicherheitsministerium in die Sta- tistik mit aufgenommen sind. Die eigentliche Anzahl dürfte also viel höher liegen (vgl. Heilmann 2009: 14).

Auch aufgrund des Mittelwertes von 45 Punkten ist die Dimension des Indulgence wiederum als eine der relevantesten zum kulturellen Vergleich der beiden Nationen zu sehen. Ein weiterer Grund ist die hohe individuelle Verankerungsrate der Dimension in den Individuen der jeweiligen Kultur. Dies wird aus der Berechnungsmethode der Indul- gence-Dimension gefolgert, die anders als die ersten vier Hofstede-Dimensionen auf einer stark in die Lebenswelt und die individuellen Werte abzielenden Erhebungsmeth- ode (vgl. Hofstede/Hofstede/Minkov 2010: 287, Hofstede 2011: 17) basiert. Die kul-

Theorie: Nationalkulturen 44 turellen Unterschiede der Indulgence-Dimension sind also auch mehr in den individu- ellen Praktiken abzulesen.

Theorie: Nationalkulturen 45 2.1.3 Digitalkulturen

Das folgende Kapitel dient der Darstellung der Kommunikationskultur (vgl. Kapitel: 2.1.1.5: Von den Medienkulturen zur Kommunikationskultur) in Österreich und China unter der besondereren Berücksichtigung des Internets anhand seiner politischen Struk- turen, ihren zu Grunde liegenden theoretischen Modellen, und der Nutzungssituation digitaler Medien und deren Empfangsgeräten mit einer zusätzlichen Perspektive auf die Internetnutzerinnen und -Nutzer. Dieses Konstrukt von Faktoren und Indikatoren wird in diesem Kapitel mit dem Begriff der digitale Kommunikationskultur besetzt. Eine aus der Theorie hergeleitete Definition findet am Ende des theoretischen Teils statt. Das genannte Vorgehen hat zwei Gründe: einerseits soll damit der Anspruch der Theo- rie der Medienkulturen erfüllt werden, diese durch Analyse der Strukturen, der Inhalte und der Bedeutungszuweisung durch das Individuum zu erklären. Andererseits sollen weitere, in Theorie und Realität liegende Unterschiede zwischen Österreich und China identifiziert werden, wodurch zum Abschluss des theoretischen Teils die Hypothesen- generierung und Begriffsdefinition möglich wird.

2.1.3.1 Das deliberative Potential des Internets

Dem Internet als globalen Medium werden aus der wissenschaftlichen Theorie teilweise demokratisierende und deliberative Eigenschaften zugesprochen (vgl. Becker 2011: 110). Zur Überprüfung dieser These anhand der Empirie wird in diesem Kapitel kurz auf die Grundlagen der Deliberation und die deliberativen Potentiale des Internets einge- gangen.

In einer sehr zweckgerichteten Definition stellt Lynn M. Sanders (1997) die Vorzüge der Deliberation in einfachen Worten vor:

„Deliberative democracy promises legitimate (...) solutions to vexing problems. Especial- ly when these problems are difficult, affording no clear way to arrive at unequivocally satisfactory solutions, deliberation recommends itself because it relies on a broad con- sideration of alternative solutions, increasing the likelihood that the perspectives held by all members of a heterogenous community will be given voice. And deliberation is also

Theorie: Digitalkulturen 46 clarifying and enlightening, highlightening the moral issues at stake in political debates and allowing citizens to elucidate these issues for themselves.“ (Sanders 1997: 347)

Deliberation vermag also diffizile gesamtgesellschaftliche Probleme zu lösen und ergebnis- und konsensorientierte Ansätze zur Vermeidung von Exklusion zu schaffen. Doch dazu benötigt es Kommunikation zwischen den betroffenen Parteien (vgl. Haber- mas 1996: 46) und eine Ebene, auf der Kommunikation stattfinden kann: die Public Sphere.(vgl. Cohen 1997). Der Begriff der Public Sphere wie er von Habermas (vgl. 1996) fast allgemeingültig formuliert wurde, besteht aus drei konstitutiven Dimensionen: den Strukturen, der Repräsentation und der Interaktion (vgl. Dahlgren 2005: 149f).

Die Strukturen haben mit den formalen Begebenheiten der institutionellen Umwelt zu tun. Dies integriert Kategorien von Medieninstitutionen wie die medienökonomischen Strukturen, die Besitz- und Eigentumsverhältnisse, die Kontrolle durch Öffentlichkeit und Staat, die Regulierungsbegebenheiten, die Finanzierung und die Rechtslage in den jeweiligen Ländern. Diese definieren gleichzeitig die Möglichkeiten und Hindernisse der Kommunikation im Rahmen der Medieninstitutionen. Aus einer demokratischen Perspektive werden die Strukturen der Public Sphere durch Umstände definiert wie Redefreiheit, Zugangsvoraussetzungen und die Inklusion beziehungsweise die Exklusion von Teilen der Bevölkerung. Darüber hinaus beschreibt die strukturelle Dimension auch die „political ecology“ der Medien, die gleichzeitig die Zirkulierung und die Entfaltung von Informationen bedingen. Die Strukturen der Öf- fentlichkeit können auch auf das Internet übertragen werden:

„In regard to the Internet, the structural dimension directs our attention to the way in which the communicative spaces relevant for democracy are broadly configured. This has to do with such things as the manner in which cyber-geography is organized in terms of legal, social, economic, cultural, technical, and even Web-architectural fea- tures. Such factors have an impact on the ways in which the Net is accessible (or not) for civic use.“ (Dahlgren 2005: 147)

Die zweite Dimension der Public Sphere ist die der Repräsentation. Diese ist direkt rückkoppelnd verbunden mit der ersten, den Strukturen:

Theorie: Digitalkulturen 47 „A society where democratic tendencies are weak is not going to give rise to healthy in- stitutional structures for the public sphere, which in turn means that the representational dimension will be inadequate.“ (Dahlgren 2005: 149)

Die Repräsentationsebene bezieht sich auf den Output der Medieninstitutionen, also auf das Produkt für die Nutzerinnen und Nutzer. Interessanterweise hakt hier eine andere Wissenschaftsschule ein, die Deliberation nicht als Zweck, sondern nur als Mittel betra- chtet sehen will; als ein Mittel, das der Demokratie und deren Vorteilen für die Gesellschaft eher schadet als nutzt (vgl. Sanders 1997), nämlich durch die fehlende Rückkopplung des Produkts auf die Produktionsbedingungen (vgl. Sanders 1997: 349). Das bedeutet aus dieser Perspektive, dass, sobald die Strukturen vorgegeben sind, keine der beiden anderen Dimensionen noch Einfluss auf die Bildung und den Bestand der Strukturen hat.

Die Dimension der Interaktion beruht auf einem diskursiven Modell (vgl. Habermas 2006): „Democracy resides, ultimately, with citizens who engage in talk with each other“ (Dahlgren 1997: 149). Die von Habermas als grundlegend und fundamental angesehene Kommunikation zwischen den beteiligten Parteien, die zur Konsensbildung führen soll, gilt als Prämisse der Demokratie und ist damit eine der Säulen, auf denen sie aufbaut. Interaktion beinhaltet dabei zwei Aspekte:

„First, it has to do with the citizens’ encounters with the media—the communicative pro- cesses of making sense, interpreting, and using the output. The second aspect of inter- action is that between citizens them- selves, which can include anything from two-per- son conversations to large meetings.“ (ebd.).

Was aber verändert sich nun durch die neue Struktur des Internets, also durch eine neue, für das Individuum viel potentere Plattform? Verändern sich durch die neuen Strukturen auch die anderen beiden Dimensionen, kommt es also zu einer Veränderung der Public Sphere – und damit letztendlich der Deliberation – selbst? Patelis (2000), einer der Pioniere der Untersuchung der ökonomischen Veränderungen durch das Internet, stellt fest, dass sich die Strukturen der Öffentlichkeit im Grunde nicht ändern, da die Vorgänge die gleichen Motive aufweisen, wie auch schon im massen- medialen System: Die Ökonomie des Internets gleicht sich immer mehr der Ökonomie

Theorie: Digitalkulturen 48 der „legacy media“ an. Diese sind geprägt von starker Kommerzialisierung, Ho- mogenisierung und Monopolisierung.

Auf Inhaltsebene stellt sich die Frage, ob die deliberativen Möglichkeiten des Internets überhaupt zu deliberativen Zwecken genutzt werden. In China, wie Studien zeigen (vgl. Qiu 2009), fällt der größte Anteil des Internet-Traffics auf Seiten und Tools, die der Un- terhaltung dienen. So beweisen auch die neuesten Zahlen der CNNIC (2014), dass über 90% der Internetserver durch Videounterhaltung, Textunterhaltung und Kommunikation auf persönlicher Ebene gefüllt sind. Politischer Diskurs in China findet kaum statt. Die Public Sphere als Fundament demokratischer Deliberation hatte in der Prä-Internet- Ära auch den Zweck konsensbildend und dadurch homogenisierend zu wirken (vgl. Habermas 2006). Den Massenmedien kam dadurch eine gesellschaftsbildende Funktion zu, wie es ohne sie zuvor nicht möglich war. Durch den gemeinsamen Konsum gleicher Inhalte wuchs die Gesellschaft zusammen (vgl. Jarren/Dongens 2006). Das Internet hingegen wirkt eher heterogenisierend, verschiedene Teilöffentlichkeiten bzw. Public Spheres entstehen (vgl. u.a. Landfried 2004).

Um das Thema der Deliberation – beziehungsweise dem Ideal der Deliberation – im Kontext der digitalen Kommunikationskultur abzuschließen, können zusammenfassend einige Punkte genannte werden:

• Das Ideal der Deliberation erfordert eine funktionierende Public Sphere. • Die Public Sphere ist vor allem durch die „Strukturen“ bedingt; eine Rückkop- plung der Handlungen und Bedeutungszuweisungen der Bürgerinnen und Bürger kann auf Grund der verwendeten wissenschaftlichen Theorien weder bestätigt noch ausgeschlossen werden. • Das Internet fragmentiert die Öffentlichkeit in Teilöffentlichkeiten. Dadurch gerät die demokratische Deliberation wiederum in Gefahr, gesellschaftsveränderndes Potential einzubüßen. • Trotzdem bietet das Internet deliberatives Potential, was bedeutet, dass die Strukturen dies zulassen. Dies könnte wiederum bedeuten, dass die Handlungen der Bürgerinnen und Bürger sowie die produzierten Inhalte und deren Bedeu- tungszuweisung nicht an die Strukturen gekoppelt sind.

Theorie: Digitalkulturen 49 2.1.3.2 Die digitale Kommunikationskultur in China

“The Chinese internet should not be viewed in isolation from its social, political, and cul- tural contents and contexts. The internet, and media technologies more generally, is ‘contentful’. Its contents include values, ideologies, meanings, practices, politics, history, culture, and above all, people. To understand the Chinese internet is to understand all its contents.” (Yang 2011: 148)

Dieses Zitat unterstreicht das Ziel dieser Arbeit. Ebenso beschreibt es das Vorgehen in diesem Kapitel: Um zu verstehen, von welcher Art die digitale Kommunikationskultur in China ist, müssen zuerst alle relevanten Faktoren, welche im vorgestellten Modell eine Rolle spielen, genannt und erklärt werden. Alle in dieser Arbeit behandelten Theorien finden in dieser Aussage Platz, denn:

„Internet as a cultural form refers to the various types of network services, user practis- es, and genres of writing, such as YouTube videos and blogs. These are used differently in different societies and necessarily carry the imprints of their users.“ (Yang 2012: 1)

Der Aufbau dieses Kapitels macht die Synthese aller drei verwendeter Haupttheorien deutlich: Zunächst wird die Geschichte des Internets in China beschrieben, um den his- torischen Kontext zu definieren, der sowohl soziale als auch politische Auswirkungen auf die Entwicklung des Internets und dessen Integration in die chinesische Kommu- nikationskultur hat. Anders als in Österreich müssen hier natürlich die strikten Zensur- und Kontrollmaßnahmen der politischen Akteurinnen und Akteure auf chinesischer Seite berücksichtigt werden. Diese nehmen schon seit Beginn der digitalen Medienrevolution geplanten und strategischen Einfluss auf Strukturen, Inhalte und Nutzung des Internets. Anschließend werden die sogenannten Theorien des Internets behandelt, die der ge- planten und strategischen Einflussnahme zu Grunde liegen. Hierbei werden ICT-Theo- rien, genauso wie Markt- und politische Theorien auf das chinesische Internet übertra- gen. Weitere Belege dafür bieten verschiedene empirische Arbeiten, die sich mit dem chinesischen Internet und der politischen Situation in China auseinandergesetzt haben.

Theorie: Digitalkulturen 50 2.1.3.2.1 Historische Entwicklung

„Across the Great Wall, we can reach every corner in the world.“ (Li 2005: 79, zit. n. Becker 2011: 56)

Die Entwicklung einer allumfassenden digitalen Informationsinfrastruktur war in China – ebenso wie im Westen – zuallererst militärisch motiviert. Erst im Laufe des Prozess wurden vor allem in der akademischen Welt Vorteile erkannt und der Ausbau aus diesen Gründen weiter voran getrieben (vgl. Tai 2006): Im Jahr 1987 wurde zwischen der Universität Peking und der Universität Karlsruhe das Computernetzwerk CANET (China Academic Network) aufgebaut und gipfelte am 20. September des selben Jahres in der ersten über eine Direktverbindung von China nach Deutschland versandten E-Mail (vgl. Becker 2011: 56). Doch abgesehen von einigen weiteren Direktverbindungen ins Ausland entwickelte sich die Infrastruktur zuerst inner- halb des Landes. China sicherte sich aber bereits die Domain-Endung .CN für chinesis- che Internetseiten.

Erst im Jahr 1994 gab die damals das internationale Computernetzwerk regulierende und kontrollierende amerikanische National Science Foundation (NSC) dem Antrag der chinesischen Regierung statt, das chinesische Computernetzwerk in das internationale zu integrieren (vgl. ebd. China News 2009), was als eigentlicher Beginn des chinesis- chen Internets gesehen werden kann (vgl. Becker 2011: 56). Auch wurde ein Web-Serv- er in Betrieb genommen, der die chinesischen Internetseiten hostet. Im Jahr 1995 wurde der allgemeinen Öffentlichkeit der Zugang gewährt, indem das damalige chinesische Ministerium für Post und Telekommunikation zusammen mit dem staatlichen Telekom-Unternehmen China Telecom den ersten öffentlichen Provider gründete, ChinaNet (vgl. Lokman 2003: 67). Bis in das kommende Jahr hinein, war das Internet in China noch komplett unreguliert, was sich erst durch den exponentiellen Anstieg der Nutzerzahlen änderte (vgl. ebd.): Im Jahr 1996 stieg die Zahl der mit Internetanschluss ausgerüsteten Haushalte von 3.000 auf 200.000 an. Im darauffolgenden Jahr dann schon auf 620.000 Haushalte (vgl. Becker 2011: 57).

Die chinesische Regierung, die nun das Massenpotential und die dahinterliegende Gefahr für den Status Quo der neuen Kommunikationsinfrastruktur erkannte, antwortete

Theorie: Digitalkulturen 51 darauf mit dem Projekt „Goldener Schild“, einem planwirtschaftlichen Prozess, der zur Kontrolle des neu entstehenden Internets und zur „Great Firewall of China“ führen sollte (vgl. Harwit 2008). Maßgeblich dafür waren die sogenannten Backbones des chinesis- chen Internets, technische Brücken, die auch immer noch die chinesische Infrastruktur mit der ausländischen verbinden und direkt vom Ministerium für Information kontrolliert werden:

„Ihre von der Regierung festgelegte niedrige Zahl (derzeit gibt es sechs Stück) und die strikte Überwachung der Backbones ermöglicht Partei und Regierung mit relativ ein- fachen Mitteln eine effektive Kontrolle des Informationsflusses sowohl innerhalb Chinas als auch des internationalen Datenverkehrs. Insofern ist die Architektur des chinesis- chen Internets mit seiner geringen Anzahl staatlich lizensierter Backbones bereits als grundsätzliches Element zur Ausführung von Zensur zu verstehen.“ (Becker 2011: 57f)

Gleichzeitig zeigte sich dabei auch ein Phänomen des chinesischen autoritären Kapital- ismus, der sowohl im Banken- als auch im Telekommunikationssektor anzutreffen ist: eine von der chinesischen Regierung durchgeführte Marktdiversifizierung. Das Minis- terium gründete zwei Konkurrenzprovider zu ChinaNet: den Satelliten-Kommunikation- sanbieter Jitong und das vom jetzt größten Mobilfunkanbieter China Unicom kontrollierte UniNET-Netzwerk (vgl. Becker 2011: 57f.). Die Infrastruktur sowie der Zugang dazu la- gen also von Beginn her in den Händen der Regierung.

Natürlich kam es auch zu einer Gründung von unterschiedlichen rein privat- wirtschaftlichen Netzanbietern, die jedoch – und das ist als weitere Besonderheit des Chinesischen Internets zu verstehen – einerseits von einer Lizenzierung durch das chi- nesische Ministerium für Informationstechnik (dem früheren Ministerium für Post und Telekommunikation) abhängig sind, andererseits Zugang zur Infrastruktur nur von den staatlich kontrollierten Kommunikationsunternehmen mieten können (vgl. Herold 2012: 2). Dadurch werden diese Provider doppelt kontrolliert.

Eine grundlegende Frage, die aber vorab gestellt werden sollte – vor allem in Bezug auf ein politisches System, in dem technologische Innovationen kontrollierbarer sind, als in anderen Ländern – ist, warum die chinesische Regierung 1994 entschied, das Internet als flächendeckende Kommunikationstechnologie zu diffundieren und ihren Ausbau sogar zu fördern. Wenn man in Betracht zieht, dass dem Internet schon vorab ein

Theorie: Digitalkulturen 52 gewisses Deliberations- und Demokratisierungspotential immanent war (vgl. Benkler 2006), ist die Beantwortung dieser Frage – auch in Bezug auf die heutigen Umstände – sehr relevant. Eine mögliche Antwort liegt innerhalb einer systemtheoretischen Perspektive (vgl. Tai 2006): Verschiedene Elitegruppen der chinesischen Machthabenden (sogenannte „Neo- Techno-Nationalisten“) spielten bei der kontrollierten und geförderten Diffusion eine große Rolle, da sie – trotz des politischen Risikos, das mit einherging – den Ausbau von digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien als einen essentiellen Faktor des chinesischen Modernisierungsstrebens der 90er Jahre des vergangenen Jahrhun- derts sahen. Diese Parteieliten glaubten, dass das Internet einen maßgeblichen Einfluss auf ökonomisches und technologisches Wachstum haben würde. Sie forcierten dazu eine kontrollierte Verbreitung, die zwar die technologischen und ökonomischen Vorteile max- imieren, das negative politische Risiko aber minimieren sollte, indem Regulierungs- und Kontrollmechanismen gleich von Anfang an implementiert werden sollten.

Theorie: Digitalkulturen 53 2.1.3.2.2 Politische Strukturen

„The western media has given birth to the common and prevalent misapprehension that the internet will result in a loss of control over the information flow by the Chinese gov- ernment. (...) this inability to control the information flow will have direct implications for the political structure of the Chinese government, suggesting the inevitable democrati- zation of the authoritarian regime (…).“ (Tsui 2004: 66)

Trotz der oft vertretenen Meinung, dass das Internet automatisch Demokratisierung be- wirken würde (vgl. Shirky 2008, van Dijk 2011), zeigt sich am Beispiel von China, dass durch eine geplante und nachhaltige soziale Kontrolle sehr wohl auch ein autoritärer Status Quo erhalten werden kann. Dies ist einerseits fundiert in der Struktur des chine- sischen Mediensystems, andererseits in der zu Grunde liegenden Philosophie der chi- nesischen Regierung, dem sogenannten Networked Authoritarianism.

Das ursprüngliche Mediensystem Chinas – ursprünglich bedeutet hier vor der Ein- führung des Internets in den 1990er Jahren – war wie jedes andere massenmediale System von zwei Charakteristika geprägt, nämlich „potency and vulnerability“ (vgl. Yawei 2011: 292). Aus einer demokratisch-normativen Perspektive ist ein unabhängiges Mediensystem der Grundpfeiler von politischer Kommunikation, da es in der Lage ist – kurz gesagt – objektive Informationen anzubieten, eine Öffentlichkeit zu generieren und damit auch zur Legitimierung des demokratischen Systems beiträgt (vgl. Habermas 2006). Dies hat vor allem in der massenmedialen Gesellschaft Bestand, in der die Medien als „vierte Macht“ auftreten und sie neben politischer, sozialer und wirtschaftlicher Macht auch eine sogenannte Medienmacht ausüben (vgl. ebd.). Die Ausübung der Medienmacht zeigt sich in der Auswahl der publizierten Information und ihrem Setting und Framing, sowie in der Herstellung von Identität (vgl. Mills 1956) und der Konstruktion von Realität (vgl. Bourdieu 2001). Dieses normative Leitbild gilt aber nur in einer idealen Gesellschaft (vgl. Habermas 2006), die den Einfluss von Wirtschaft und Politik und die Abhängigkeit des Mediensys- tems von diesen beiden gesellschaftlichen Ebenen ausschließt – was in diesem Kontext als „Vulnerability“, als Schwachstelle des Systems, bezeichnet werden kann.

Theorie: Digitalkulturen 54 Zwei große und diese beiden Charakteristika beeinflussende Faktoren sind einerseits die Beziehung zwischen Staat und Markt, die auch die Stärke des Einflusses von poli- tischer und ökonomischer Macht auf die Medien bestimmt, und andererseits der En- twicklungsstand der Technologie (vgl. Yang 2011: 292ff).

In einem autoritären Kapitalismus wie China, der sowohl eine hohe indirekte Macht des Marktes in demokratischen Systemen (vgl. Bourdieu 2001), als auch den direkten Ein- fluss des Staates in autoritären Systemen (vgl. Mills 1956) miteinander verbindet, kommt es dabei zu einem interessanten Novum:

„The combination of a capitalistic economy and an authoritarian regime makes China’s media system susceptible not only to the power of the state, but also to market forces. In essence, political and economic power similarly imperils the autonomy of the media system in both contexts, (...) but the mode of power that dominates the system is different.“ (Yang 2011: 293)

Die chinesische Regierung scheint also in der Lage zu sein, sowohl auf die Potency als auch die Vulnerability des chinesischen Mediensystems direkt Einfluss zu nehmen: Po- tency, indem sie die „vierte Macht“ direkt kontrolliert, und Vulnerability, weil Staat, Markt und Mediensystem in China untrennbar miteinander verbunden sind. Demokratie-nor- mative Medientheorien können also auf Grund des politischen Systems in diesem Land nicht auf China angewendet werden.

Das wird auch durch den weiters genannten Faktor, den Entwicklungsstand der Tech- nologie, bewiesen. Aus einer demokratischen Perspektive wäre dieser vom Markt bes- timmt und damit relativ unabhängig von der Politik. Wie aber bereits im vorhergehenden Kapitel zur Geschichte des Internets aufgezeigt wurde, sind die Verbreitung und En- twicklung des Internets in China bewusst und geplant vollzogen worden und unterliegen daher staatlicher Kontrolle.

Dennoch wurde es durch die Diffusion des Internets für viele Bürgerinnen und Bürger möglich, Inhalte selbst zu produzieren und damit eine Öffentlichkeit zu erreichen, oder sie gar zu generieren, was allgemein als demokratisierendes Potential angesehen wird (vgl. Benkler 2006). Daraus leitet sich die Frage ab, in wie weit sich das chinesische Mediensystem durch den bestehenden zivilgesellschaftlichen (hier: als Antipode zum

Theorie: Digitalkulturen 55 staatlichen) Einfluss verändert hat, und ob dadurch eine Anpassung der Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten des Staates auf die Öffentlichkeit stattgefunden hat.

In den vergangenen Jahren ließen sich drei fundamentale Trends identifizieren, die das chinesische Internet und das Verhältnis zwischen Staat und Öffentlichkeit sowie zwis- chen Politik und (Zivil-)Gesellschaft prägen (vgl. Yawei 2011: 295):

• Staatliche Regulierung und Kontrolle des Internets bleiben immanent. Dabei hat der Staat vor allem gezeigt, dass er nicht nur den Willen, sondern auch die Möglichkeiten hat, die Struktur, die Akteure und die Entwicklung zu kontrollieren. Der chinesische Staat sich gegen den freien Markt, ausländisches Kapital, inter- nationale Gesetze und globale Normen durchgesetzt. • Das Internet in China (und dessen Regulierung) ist sowohl in den Fokus einer weltweiten wie auch der chinesischen Öffentlichkeit getreten. • Chinesische Netz-Bürgerinnen und Bürger sind innerhalb des chinesischen poli- tischen Systems als einflussreicher Akteur und sozialer Faktor anerkannt worden.

In einer 2011 durchgeführten empirischen Studie, welche die politischen Konsequenzen der Einführung und Diffusion des Internets auf das chinesische Mediensystem unter- sucht, kommt der Autor zu grundlegenden und die Strategie der chinesischen Regierung betreffenden Ergebnissen, welche die genannten Trends stützen (vgl. Yang 2011: 65):

• Die chinesische Regierung ist sich der Unsicherheiten und des Kontrollverlusts durch die Einführung des Internets voll bewusst. • Durch die regulierte Diffusion, den Einfluss auf den Markt, Besitz von Kommu- nikationsunternehmen sowie die direkte und indirekte legislative und exekutive Kontrolle der Kommunikation versucht sie, die für sie negativen Folgen abzufed- ern. • Es liegt eine hohe Erfolgsquote vor, einzelne Akteure und deren Meinungen von der Öffentlichkeit auszuschließen, jedoch ist der Erfolg, die Verbreitung von In- formationen – wenn sie einmal veröffentlicht wurden – zu verhindern, nicht sehr hoch. Das ist der Regierung auch bewusst. Somit beschränken sich erfolgreiche Kontrollmaßnahmen hauptsächlich auf eine Vorabzensur.

Theorie: Digitalkulturen 56 2.1.3.2.2.1 Networked Authoritarianism

Das politische System der Volksrepublik China wird einhellig als autoritär bezeichnet (vgl. Petro/Schnier/Bellers 2006). Der moderne autoritäre Staat in einem globalisierten Kapitalismus wird aber nicht mehr von einer gesellschafts-normativen Ideologie zusammengehalten, sondern von einem flexiblen Mix aus Patriotismus, Nationalismus und marktwirtschaftlicher Leistung, die einerseits die Identität der Bevölkerung generiert, andererseits die politischen Macht- und Elitestrukturen legitimiert (vgl. Jiang 2012). Als solcher muss ein autoritärer Staat – um seine Legitimität weiter aufrecht erhalten zu können und auch um den wirtschaftlichen Fortschritt und das Wachstum nicht zu behin- dern, sondern im Gegenteil vielmehr zu fördern – ein gewisses Maß an öffentlich-politis- cher Diskussion, Partizipation und Deliberation für die Bevölkerung zulassen. Gerade im Kontext der Entwicklung und Diffusion des Internets, dem zumindest theoretisch das Potential zur Deliberation und zur Demokratisierung zugesprochen werden kann (vgl. Benkler 2006, Castells 2009, van Dijk 2012), liegt es also am Staat, eine Balance zwis- chen jenen Potentialen und den für ihn ausschlaggebenden Regulierungen zu finden, die eine weitere Diffusion des Internets nicht behindern. China hat dafür einen innova- tiven Weg gefunden, den Networked Authoritarianism (vgl. MacKinnon 2011):

„In the networked authoritarian state, the single ruling party remains in control while a wide range of conversations about the country’s problems nonetheless occurs on web- sites and social-networking services. The government follows this online chatter, and sometimes people are able to use the Internet to call attention to social problems or in- justices and even manage to have an impact on government policies.” (MacKinnon 2011: 33)

Im Gegensatz zum klassischen autoritären Staat wird hier dem Individuum mehr Freiheit eingeräumt, um sich auszudrücken und am politischen Leben teilzunehmen, obwohl es immer noch keine legislativ verankerte Garantie auf Meinungsfreiheit, westliche Men- schenrechte und andere demokratische Rechte gibt. Es können daher auch keine freien und geheimen Wahlen stattfinden und der Rechtsstaat ist immer noch in Abhängigkeit von der Regierung, respektive der Partei (vgl. MacKinnon 2011: 33ff). Trotzdem bewirkte die Diffusion des Internets in China Veränderungen:

„As residents of a networked authoritarian society, China’s more than four-hundred Theorie: Digitalkulturen 57 million Internet users are managing to have more fun, feel more free, and be less fearful of their government than was the case even a mere decade ago.” (MacKinnon 2011: 33)

Theorie: Digitalkulturen 58 2.1.3.2.2.2 Internet Incidents

„Internet Incidents refer to public events where large numbers of netizens participate in often unorganized, autonomous online efforts to express their sentiments and opinions, adress collective needs, or influence public opinion and policy.“ (Jiang 2010: 1)

Ein etwas älteres, aber von vielen Forscherinnen und Forschern als fundamental beze- ichnetes Beispiel eines wirkungsvollen Internet Incidents, ist der Fall „Sun Zhigang“ aus dem Jahr 2003. Ein 27-jähriger Chinese kam in Polizeigewahrsam zu Tode, nachdem er verhaftet worden war, weil er seine Ausweis-Papiere nicht vorzeigen konnte. Daraufhin reagierte die Netzöffentlichkeit so intensiv, dass das für die Verhaftung verantwortliche Gesetz geändert wurde. Eine von Bürgerinnen und Bürgern im Internet angestoßene virtuelle Demonstration war demnach so erfolgreich, dass die Politik darauf reagieren musste und eine Gesetzesänderung durchsetzte: eine rudimentäre Bestätigung des In- ternets als demokratisierendes Werkzeug (vgl. Shirky 2008).

Um einen kurzen Überblick über „Internet Incidents“ zu bieten, müssen zunächst einzelne Faktoren betrachtet werden, die durch ihr Zusammenwirken diese Handlung auslösen können (vgl. Jiang 2010: 5ff): Als Sender bzw. Kommunikator agiert das Netz an Bürgerinnen und Bürger, die Informa- tionen sammeln und diese im Internet publizieren. Dabei werden vor allem Informatio- nen publik, die in den staatskontrollierten Massenmedien nicht veröffentlicht werden, „for fear of triggering public anger and social unrest“ (Jiang 2010: 3). Obwohl es sich bei den Sendern meist um Amateure handelt, finden sich auch viele professionelle Journal- istinnen und Journalisten unter ihnen, wie eine 2008 durchgeführte Studie zeigte. Diese treten dann meist unter Pseudonymen auf, um ihre berufliche Existenz nicht zu gefährden. Manche von ihnen erlangen unter diesen Pseudonymen oft einige Bekan- ntheit (vgl. MacKinnon 2008). Es ist aber davon auszugehen, dass vor allem „Heavy Users“ zu der Gruppe der aktiven auslösenden Elementen gehört (vgl. Boulianne 2012). Das Themenspektrum ist breit gefächert, jedoch scheinen die wichtigsten inhaltlichen Themen dabei die Bürgerrechte und behördlicher oder staatlicher Machtmissbrauch zu sein, wie eine weitere chinesische Untersuchung zeigt (vgl. Wang/Russel/Shin 2006): Im Jahr 2009 fielen acht von neun der erfolgreichsten und öffentlichsten Internet Inci- dents in diese beiden Kategorien, darunter auch ein Fall, bei dem durch öffentlichen

Theorie: Digitalkulturen 59 Druck verhindert wurde, dass die sogenannte Anti-Porno Software „Green Dam Youth Escort“ auf allen in China verkauften Computern installiert wurde.

Der Ursprung von Internet Incidents kann auf Probleme der aktuellen gesellschaftlichen Umwälzungen in China zurückgeführt werden. Diese sind vor allem geprägt durch die sozialen Spaltungen, die mit der erst kürzlich zurückliegenden, sehr schnellen Umwand- lung eines sozialistischen Systems in ein kapitalistisches einhergehen. Dazu gehören unter anderem die klaffende Einkommenslücke, Korruption und veränderte ethische und moralische Werte (vgl. Yu 2009). Auch Umweltfragen werden zu einem immer dringlicheren Thema. Durch die sozialen Kontrollinstanzen der Regierung, die es im Vergleich zu westlichen Ländern erschwert, physische und öffentliche Demonstrationen durchzuführen, werden diese nun ins Internet verlagert. Dort finden sie dann umso mehr Anklang durch die Bürgerinnen und Bürger bzw. durch die chinesischen Netizens (vgl. Bouilianne 2012).

Laut Jiang können Internet Incidents in folgende Typen aufgeteilt werden, nämlich „1) those events that take place online only, 2) offline events amplified by the Internet, and 3) a hybrid oft the first two“ (Jiang 2012: 6). Die Events beziehen sich dabei auf die Wechselwirkung zwischen Massenmedien, In- ternet und Protesten, die in der Öffentlichkeit stattfinden. Das zuvor genannte Beispiel „Sun Zighangh“ gehört zum Typ 2, da die Geschichte erst in einer Zeitung publiziert und danach im Internet aufgegriffen und „erweitert“ wurde. In den letzten Jahren ist durch die stark steigende Diffusion des mobilen Internets und der mobilen Zugangsgeräte mit leistungsstarken Kameras ein signifikanter Einfluss auf die Entwicklung, Ausbreitung und Auswirkung der Internet Incidents zu erkennen (vgl. Jiang 2012: o.S.). Weil immer weniger Ressourcen benötigt werden, um ein Thema zu publizieren, sinken für das Individuum die Barrieren der politischen Partizipation (vgl. Shirky 2008). Dem gegenüber steht jedoch die Strategie der chinesischen Regierung, das Internet und seine Inhalte einer politischen Kontrolle zu unterwerfen:

„Viewed by Chinese authorities as something mire than conduits of public sentiments, demands, and opinions, Internet events are increasingly seen by authority as unstable, dangerous, rupture-prone, and thus need to be monitored, contained, and diffused.“ (Jiang 2012: 10)

Theorie: Digitalkulturen 60 Betrachtet man hingegen die andere Seite der Medaille, ist zu erkennen, dass sich die chinesische Regierung des Einflusses und der Macht von Internet Incidents durchaus bewusst ist und diese auch für eigene Zwecke nutzt. Dabei kommt vor allem der Begriff der autoritären Deliberation ins Spiel, ein Konzept, das die freie Meinungsäußerung in gewissen, kontrollierten und abgeschirmten Bereichen erlaubt (vgl. Jiang 2012) und diese damit bewusst in vorgegebene Bahnen lenken kann.

Theorie: Digitalkulturen 61 2.1.3.2.2.3 Autoritäre Deliberation

Im Gegensatz zu der weit verbreiteten Meinung, das chinesische Internet unterliege einer totalen Zensur und Kontrolle, die keine politische Diskussion möglich macht, ist Jiang anderer Ansicht, „Chinese online public discussion and debate of social, political, and policy issues are well and alive, at least largely within the expanding boundaries consented to by the state” (Jiang 2012: 2).

Diese vom Staat vorgegebenen Rahmenbedingungen lassen sich anhand des Konzepts der autoritären Deliberation (vgl. Jiang 2012) erklären, welche im Grunde vier ver- schiedene Deliberations-Räume klassifiziert. Je nach Nähe zum (autoritär-strukturierten) Kern ist eine unterschiedliche Qualität von Meinungsfreiheit und Diskussion erlaubt. Die autoritäre Deliberation, ursprünglich in Hinsicht auf reale bzw. Offline-Räume wie Kultur- oder Medienarenen innerhalb der Öffentlichkeit entwickelt (vgl. He 2006), geht von einer limitierten Public Sphere im Internet aus, deren Begrenzungen top-down fest- gelegt wird:

„Public deliberation in China is authoritarian because top leaders who are not competi- tively elected ultimately dominate decision making. As a result, the party-state sanctions and prescribes the boundaries of political discourses. However it is deliberative in the way that argumentation and reasoning are used (...) to discuss collective problems where evidence is presented, solutions are proposed and justified.“ (Jiang 2012: 6f)

Aus demokratisch-normativer Perspektive ist das keine wirkliche Deliberation, da es dieser Ansicht nach in autoritären Staaten keine „richtige“ Demokratie geben kann, doch „nevertheless authoritarian deliberation acknowledges greater civic and political speech freedom in a one-party state that trades a relaxed grip over political discourse for ist own legitimacy and survival“ (Jiang 2012: 8).

Wie im Kapitel der Internet Incidents beschrieben, findet die autoritäre Deliberation ana- log zu den Teilöffentlichkeiten einer demokratischen Gesellschaft in verschiedenen virtuellen Räumen im Internet statt. Jeder Raum hat eine eigene Konzeption des Ver- hältnis von Staat und Gesellschaft, wobei die Räume insgesamt aber nicht als absolut getrennt voneinander zu betrachten sind: „Rather, they overlap, converge, and clash“ (Jiang 2012: 11). Theorie: Digitalkulturen 62 An dieser Stelle werden die vier „Spaces“ kurz beschrieben, um die Definition der Au- thoritarian Deliberation Spaces zu verdeutlichen, und andererseits auch aufzuzeigen, inwieweit die chinesische Regierung in der Lage ist, die soziale Stabilität alleine durch Strukturmaßnahmen aufrecht zu erhalten. Da die Räume alle Bereiche des Internets in China abdecken, werden sie gleichzeitig als Kategorien für eine Beschreibung der in ih- nen integrierten Kontroll- und Zensurmaßnahmen verwendet.

2.1.3.2.2.3.1 Central propaganda spaces

„Central propaganda spaces are online spaces where the Chinese government asserts ist official virtual presence through government websites and government online media over which the state has firm if not complete control.“ (Jiang 2012: 11f)

In diese Klassifizierung fallen alle direkt von der Regierung kontrollierten oder sogar er- stellten Websites und Social Media Angebote. Dazu gehören die bekannte offizielle Me- dienagentur Xinhuanet, die Online-Portale der Staatseigenen traditionellen Massenme- dien wie das Rundfunkunternehmen CCTV sowie alle angeschlossenen Kommentar- seiten und Auftritte im Social Web:

„Similar to the government’s manipulation of print and broadcast media for propaganda and mobilization of its citizens previously, the recent development and management of the government’s online presence helps solidify the government’s technical, symbolic, and political power in the digital age.” (Jiang 2012: 12) Auch auf Ebene der Länder und der Städte gibt es Regierungsangebote; so hat zum Beispiel jede Landesregierung einen eigenen Webauftritt mit Kommentarfunktionen. Diese Seiten werden von Exekutivbehörden kontrolliert, zensiert und reguliert. Obwohl hier auf den ersten Blick aufgrund der hohen Kontrollqualität nicht von Delibera- tion gesprochen werden kann, müssen die Central Propaganda Spaces differenziert be- trachtet werden: „despite these structural constraints, there is considerable amount of public deliberation even in such centrally controlled spaces.“ (ebd.: 12). Dabei liegen strategisch kommerzielle Interessen vor, die Bürgerinnen und Bürger durch eine gewisses Maß an Freiheit anzulocken und an die Portale zu binden (vgl. Jiang 2012: 13), wofür sogar auf werbende Maßnahmen wie der Teilnahme des damaligen Präsidenten Hu Jintao an einer Onlinediskussion zeigt. Ebenfalls belegt wird das Inter-

Theorie: Digitalkulturen 63 esse des Staates möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu integrieren durch die The- menvielfalt, die für die Diskussion zur Auswahl steht: „Tackling China’s economic prob- lems, fighting corruption, revisiting China’s one child policy, improving food safety, in- creasing social equality and so on.” (Jiang 2012: 13).

Zusammenfassend lässt sich in den Central Propaganda Spaces von einer top-down kontrollierten Deliberation sprechen, die zwar im höchsten Maße durch Mechanismen der Zensur und der Regulierung geprägt ist, dennoch den Bürgerinnen und Bürgern gewisse, auch nachhaltige Möglichkeiten der Mitsprache und der Partizipation bietet: “So the government’s infrastructure and strategies to influence public deliberation in the digital age have strenghtend, not withered.” (Jiang 2012: 14).

2.1.3.2.2.3.2 Government-regulated Commercial Spaces

Als zweiter Typ der Deliberation Spaces lassen sich die kommerziellen chinesischen Angebote klassifizieren: klassische Blogs, Microblog-Seiten, Foren, Community-Sites, Social Network Sites (SNS) – aber auch im immer größer werdenden Maße, Mobile In- stant Messaging Services (MIMS) mit SNS-Charakteristika, wie die in China sehr erfol- greiche App WeChat (vgl. Jiang 2012: 14ff). Diese von kommerziellen Unternehmen er- stellten Angebote werden von den Unternehmen selbst reguliert, die sich dabei nach den legislativen und exekutiven Vorgaben richten: Verschiedenste Selbstverpflichtungen von internationalen Anbietern, die in China operieren wollen, gingen in den letzten Jahren durch die Medien, darunter Microsoft, Google (aktiv in China bis 2009), Yahoo!, aber auch das bereits an der New Yorker Börse notierte Unternehmen – all diese Suchmaschinen haben sich dazu verpflichtet, ihre Suchergebnisse an Regierungsvorgaben anzupassen (vgl. MacKinnon 2009). Wie oben erwähnt, sind diese Seiten abhängig von der Regierung, da diese die sogenannten Backbones und dadurch die technische Infrastruktur, auch durch die Zen- sierung durch die Great Firewall, lizensiert und reguliert (vgl. Becker 2011: 53). Sollte eine Internetseite also gegen die staatlichen Vorgaben verstoßen, kann sie ganz einfach blockiert werden.

Weitere Governance-Strategien der Regierung finden sich in legislativen Maßnahmen wie den Detailed Rules on the Administration of Internet Websites und den Administra-

Theorie: Digitalkulturen 64 tive Measures on Internet Information Services (vgl. Jiang 2012: 16), die ganz klar den Einfluss von Regierungsbehörden auf Content und Design offenbaren:

„The State will implement a permit system in respect of operational Internet information services and a filing system in respect of non-operational Internet information services.“ (China.org.cn 2010)

Dabei muss aber auf kommerzieller Ebene eine wichtige Besonderheit hervorgehoben werden: Die Kontrolle ist nicht konsequent und wird von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich ausgeführt. Dies wird vor allem in einer Studie über Zensur von Blog-In- halten von MacKinnon deutlich (vgl. 2009: o.S.), die herausfand, dass das Ausmaß der Zensuranwendung und die Qualität der Kontrolle von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich angewandt wird. Es scheint also, dass „some companies appear to be able to ‚get away’ with less than others“ (ebd.), was von unterschiedlichen Faktoren wie dem geographischen Ort, der Größe und Bekanntheit und der Eigen- tumsverhältnisse des Unternehmens abhängig ist (vgl. ebd.):

Hinsichtlich Qualität von Kontrolle in den kommerziellen Spaces zeichnen diese Ergeb- nisse also ein sehr differenziertes Bild, das laut MacKinnon stark von einem individu- ellen Faktor abhängig ist: „It would appear that in China’s new media, individual values and choices similarly help to shape the extent to which Chinese netizens are able to engage in an informed public discourse.“ (MacKinnon 2009: o.S.)

Aus diesen Informationen lässt sich auch der Verdacht ableiten, dass es für die Un- ternehmen ein Marktvorteil ist, transparent und offen zu sein und die Nutzerinnen und Nutzer so wenig wie möglich einzuschränken: „There is plenty of economic incentive for Chinese Internet companies to provide a relative open environment to attract users.” (Jiang 2012: 15).

Die Größe der Government-regulated Commercial Spaces überwiegt die der Central Propaganda Spaces bei weitem, was auch durch folgende Zahlen bewiesen wird: Bei 18,44 Millionen in China registrierten Domains finden sich schon alleine 6,3 Millio- nen (34,2%) .COM-Domains, die rein kommerziell angeboten werden. Von den übrigen fast 11 Millionen .CN-Domains sind nur rund 150.000 als Government, Education oder

Theorie: Digitalkulturen 65 Organization-Domains registriert (vgl. CNNIC 2014: 33f). Natürlich muss hier, wie bere- its erwähnt, auch von Überlappungen ausgegangen werden, beispielsweise zwischen Seiten die von rein kommerziellen Unternehmen angeboten werden und Seiten, die von vom Staat kontrollierten Unternehmen publiziert werden und auch unter einer .CN-Do- main laufen. Das Verhältnis von reinen Government-Seiten, wie Regionalregierungs- seiten, zu halb- bis ganz-kommerziellen Seiten liegt aber bei weit unter einem Prozent.

2.1.3.2.2.3.3 Emergent Civic Spaces

„Emergent civic spaces here refer to online spaces where NGOs, civic groups and or- ganizations deliberate and coordinate collective actions around shared interests and values, relatively independent of the state and the market.” (Jiang 2012: 17)

Die hier genannten Civic Spaces oder Zivilgesellschaften können in China in folgende Themenkategorien eingeteilt werden (vgl. Yang 2007: 126): Wirtschaft, Umwelt, Frauen, Soziales, Gesundheit und Lokales und Religion und Kultur.

Das Thema Wirtschaft ist dabei am besten vertreten, darunter fallen Handels-Kammern und Arbeitgeber-Vertretungen (vgl. ebd.). Im Internet aber sind vor allem die unter- bezahlten “Grassroot”-Zusammenschlüsse aktiv, die in den Themen Umwelt und Soziales zu finden sind (vgl. ebd: 127).

Um einen gewissen Überblick zu geben, wie groß der Civic Space im Vergleich zu den anderen Spaces ist, um damit seine Bedeutung in Relation setzen zu können., werden wieder die Domains herangezogen werden, da von Civic Societies vor allem .ORG-Do- mains verwendet werden (Jiang 2012: 17). .ORG-Domains haben einen totalen Anteil von 0,9% im Chinesischen Internet mit knapp über 150.000 Registrierungen (vgl. CN- NIC 2014: 32).

Auch für die Civic Societies gibt es legislative Regulierungen, die ihren Auftritt im Inter- net bestimmen, darunter auch die Non-Commercial Website Registration Regulation, in der festgelegt wird, wer mit welchen Inhalten publizieren darf: „It provides that all non- commercial Web sites must register with the MII or face a significant financial penalty.“ (OpenNet 2006: o.S.)

Theorie: Digitalkulturen 66 Erst nach einem komplizierten Bewerbungsverfahren an einer Unterbehörde des MIIs kann eine Registrierung vollzogen werden. Die Inhalte der publizierten Seite werden dann jährlich auf Übereinstimmung mit den Vorgaben überprüft (vgl. ebd.). Hier findet also eine stärkere Kontrollqualität als in den Commercial Spaces statt. Interessanter- weise sind aber beispielsweise Blogs, die zwar die gleichen Themen behandeln, aber unter einer kommerziellen Dachfirma wie den kommerziellen -Angeboten gesammelt sind, nicht der Registrierungspflicht unterworfen – hier „haftet“ also wieder das Unternehmen selbst.

Obwohl marginal in Hinsicht auf die Stärke der anderen Spaces scheinen auch die Civic Emergent Spaces wieder ein gewisses Maß an Deliberation zuzulassen, dieses mal aber eher in der Zivilgesellschaft oder auch der Civil Society, einem Sektor, der vor allem in der westlichen wissenschaftlichen Tradition einen hohen Einflussfaktor auf eine gesamtgesellschaftliche Deliberation zugesprochen wird, vor allem mit Hilfe des Inter- nets in autoritären Systemen: „The thesis is that the political impact is all the stronger the more a state is at odds with political pluralism and the more it relies on control over media and the public sphere in the national arena“ (Hoffmann 2006: 6).

2.1.3.2.2.3.4 International Deliberative Spaces

Während die drei erstgenannten Räume sich geographisch, thematisch und hinsichtlich der Mehrzahl der Nutzerinnen und Nutzern innerhalb Chinas befinden, sind die In- ternational Deliberative Spaces zumeist außerhalb Chinas verortet und umfassen dabei Individuen, Organisationen und Unternehmen, sowie aber auch ausländische Regierun- gen, die durch die Teilnahme das (globalisierte) öffentliche Bild von und über China prä- gen (vgl. Jiang 2012: 21f). Da eine Einflussnahme auf Inhalte ausländischer Websites – also welchen, die nicht auf chinesischen Servern und nicht innerhalb des chinesischen legislativen Einflussbereichs liegen – aus technologischer Sicht nicht einfach ist, geht die chinesische Regierung eine Kontrolle durch zwei Hauptstrategien an, um einerseits zumindest chinesische Nutzerinnen und Nutzer vor kontroversen Inhalten zu schützen, andererseits aber auch, um auf die ausländische Image-Bildung über China Einfluss nehmen zu können (vgl. ebd):

Theorie: Digitalkulturen 67 • Die „Great Firewall of China“ ermöglicht es, ausländische Dienste, Websites oder spezifische Inhalte zu blockieren und zu zensieren. • Die Gründung von meist englischsprachigen Medien und Online-Portalen, die ein Gegengewicht zu global agierenden Unternehmen und Staatsdiensten wie BBC oder Voice of America bilden sollen und damit auch der chinesischen Perspektive im globalen Internet Gehör verschaffen

Bei Diensten und Seiten, die von China aus operieren, aber auch an den International Deliberative Spaces teilnehmen, kommen die bereits erwähnten Kontroll-Maßnahmen, wie die Selbstkontrolle, zum Einsatz (vgl. ebd.: 23). Obwohl es den meisten chinesischen Nutzerinnen und Nutzern durch die Blockierung seitens der Regierung nicht möglich ist, umfassend auf Informationen und Dienste außerhalb Chinas zuzugreifen und damit an den Internationalen Spaces teilzunehmen, darf hierbei nicht vergessen werden, dass eine Minderheit der chinesischen Bürgerin- nen und Bürger durch technische Dienste wie VPN-Server durchaus dazu in der Lage sind. Das demokratische Deliberations-Potential der internationalen Spaces ist also dennoch gegeben. Aber auch für die Mehrheit, die diese Möglichkeiten nicht nutzen, werden die internationalen Spaces immer wichtiger, da sie die Meinungsfreiheit auch in den inneren Spaces insgesamt erhöhen: „Despite online censorship, Chinese people do have more freedoms than before and there is a growing interest in the access and un- derstanding of foreign media content.“ (Jiang 2012: 23).

2.1.3.2.2.3.5 Das demokratisierende Potential der Deliberations-Räume

Trotz diesem, aus einer demokratischen Sicht, recht positiven Urteils, muss zusammen- fassend das Gegenteil statuiert werden: Die chinesische Regierung weiß um das Poten- tial und nutzt die Deliberation gegen ihren demokratischen Ursprung zum Ausbau ihres Einflusses und der Stärkung des Status Quos. Zusätzlich gibt es für die chinesische Regierung folgende Vorteile in der Umsetzung der autoritären Deliberation (vgl. Jiang 2012: 7ff):

• Das Angebot eines Ventils für die öffentliche Meinung, um Ärger und Probleme über gesellschaftliche Missstände anzuprangern

Theorie: Digitalkulturen 68 • Den öffentlichen Diskurs in Bahnen zu lenken und diesen gegebenenfalls kontrol- lieren und verändern zu können • Einen messbaren Einblick in die öffentliche Meinung zu haben • Die Legitimität der Regierung zu stärken, indem ein offenes und demokratisches Image, sowohl nach innen, als auch nach außen aufgebaut wird.

Bezüglich der Einstellung der Regierung auf das Internet und dessen Nutzung durch chinesische Bürgerinnen und Bürger lässt sich folgendes Fazit ziehen:

„Instead of being seen as a potential threat to its authority by the Chinese government, the internet is seen as presenting it with an opportunity to further cement ist legitimacy.“ (Tsui 2003: 66)

Theorie: Digitalkulturen 69 2.1.3.3 Internetnutzung in China und Österreich

Nachdem auf den vorangehenden Seiten die theoretischen Grundzüge und das zugrun- deliegende politische Vorgehen der chinesischen Regierung präsentiert wurden, muss hier auch auf die reale Seite – die Praxis der Internetnutzung in China wie in Österreich – eingegangen werden. Ein Blick auf die Wirklichkeit belegt im Grunde das bisher dargestellte. Doch zunächst zu den Fakten.

2.1.3.3.1 Chinesische Nutzungstrends

In China gibt es zur Zeit vier digitale Trends, die ökonomische, soziale, individuelle und technologischen Ebenen betreffen (vgl. CNNIC 2014: 6ff):

Mobile Nutzung des Internets steigt rasant Im Jahr 2013 lag die Rate der Internetnutzung bei 45,8%, das sind 3,7% mehr als im Jahr 2012. 2014 lag sie bei 47,9%, also eine Steigerung um 5% des Vorjahreswertes, was 31 Millionen mehr Nutzerinnen und Nutzer bedeutet. Jedoch stieg die Anzahl der mobilen Nutzerinnen und Nutzer um 57 Millionen auf 557 Millionen. Das sind 11,9 % mehr als im Vorjahr (vgl. CNNIC 2014, CNNIC 2015)

Steigende Qualität der Internetnutzung „On the whole, the theme of Internet development in China has transformed from ‚in- crease of penetration’ to ‚deepend degree of usage’“ (CNNIC 2014: 7). Das liegt laut der chinesischen Studie an drei Gründen: Erstens, dem politischen Willen, der die Imple- mentierung des Internets in Gesellschaft und Wirtschaft vorantreibt; zweitens, die Inte- gration des Internets und seiner Tools in die traditionelle Ökonomie wie Einkaufen, Lo- gistik und Finanzgeschäfte; und letztendlich drittens, die wachsende Rolle, die sich durch das Internet veränderte Kommunikationsverhalten auf die Lebenswelt der Bürg- erinnen und Bürger hat (vgl. CNNIC 2014: 7ff).

Wandel des chinesischen digitalen Markts in Richtung mobiles Internet Die Nutzung von Apps mit hohen Systemanforderungen oder mobilen Plattformen wie Youku, das chinesische YouTube, in dem Videos heruntergeladen werden können, steigen rasant. Die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer, die mit ihren Smartphones Videos

Theorie: Digitalkulturen 70 konsumieren, stieg von 2012 auf 2013 um 112 Millionen auf insgesamt 247 Millionen Menschen an. Mobiler Videokonsum wurde damit zur fünf-meist-getätigten Nutzung mit mobilen Internetgeräten. (vgl. CNNIC 2014: 8ff). Dies liegt laut der Studie wiederum an drei Gründen: Am Phänomen, dass Nutzerinnen und Nutzer das Internet ausschließlich mobil nutzen; dass die infrastrukturellen und technologischen Bedingungen adaptierbar wurden, durch verbreitete W-Lan-Stellen und die Entwicklung und Diffusion von High- End-Smartphones; und die sinkenden Mobilfunkgebühren, wodurch die Zugangshürden für mobiles Internet fallen.

Rasant steigende Nutzung von SNIMS Ein weiterer wichtiger Trend ist die steigende Nutzung von Social Network Instant Mes- saging Services. Im Jahr 2013 verwendeten 532 Millionen Chinesinnen und Chinesen WeChat und Alternativangebote (vgl. CNNIC 2014: 9). Der Service wird auf Grund der geringeren Kommunikationskosten, der mobilen Verankerung und der hohen Funk- tionsvielfalt genutzt..

2.1.3.3.2 Chinesische Internet-Nutzerinnen und –Nutzer

Zum Ende des Jahres 2014 lag die Zahl der chinesischen Internetnutzenden bei 649 Millionen, was einer Internetpenetration von 45,8% entspricht (vgl. CNNIC 2015). Im in- ternationalen Vergleich ist China damit das Land mit den größten Nutzerinnen- und Nutzerzahlen, vor der EU mit 370 Millionen und den USA mit 245 Millionen Menschen(vgl. Internetworldstats 2012). Die demographische Eigenschaften der chinesischen Internet-Nutzerinnen und -Nutzer spiegeln sich in jenen der jungen, aufstrebenden und städtischen Mitte der chinesischen Gesellschaft wieder – daraus bestehen sie hauptsächlich. 2014 lag das Geschlechter- verhältnis bei 56:44 und hat sich seit 2012 nicht geändert. (vgl. CNNIC 2014: 26). Das liegt in der Norm, da es in China ein Geschlechterverhältnis von 1,06 Promille männlich zu weiblich gibt (vgl. Länderdaten 2013). Die Altersstrukturen liegen auch weltweit in der Norm, da die Digital Immigrants natürlich das Internet mehr nutzen, als ältere Mitbürg- erinnen und Mitbürger: 31,2% der Nutzerinnen und Nutzer sind zwischen 20 und 29 Jahre alt, 23% sind 30-39 Jahre alt und nur 12% 40-49 Jahre. (vgl. CNNIC 2014: 27).

Theorie: Digitalkulturen 71 Die Verteilung nach Ausbildungslevel läuft parallel dazu: 88,1% % der Internet-Nutzerin- nen und -Nutzer haben einen höheren Abschluss als nur Grundschule (wie beispiel- sweise die Landbevölkerung oder die Wanderarbeiter), 10,8% sogar einen Univer- sitätsabschluss (vgl. CNNIC 2014: 27). Im Vergleich zum Vorjahr fielen diese Werte aber insgesamt, was bedeutet, dass das Internet nicht wie zuvor von Bildungseliten genutzt wurde, sondern immer mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommt.

Interessant ist weiters die Verteilung der Berufsfelder von Internet-Nutzerinnen und - Nutzern: ganze 25,5% sind Studierende, den nächst größten Teil bilden Selbstständige mit 18,8%, dann die Angestellten mit 11,4%. Auch das belegt den vom China Internet Network Information Center bereits oben erwähnten Trend, dass das Internet nun auch Zugang in die traditionelle Ökonomie gefunden hat (vgl. CNNIC 2014: 28).

Die Einkommensstruktur ist ähnlich gelagert: 17,8% der chinesischen Internet-Nutzerin- nen und -Nutzer haben ein monatliches Einkommen von 2001-3000 RMB, 15,8% verfü- gen über die nächste Stufe des Einkommens von 3001-5000 RMB (vgl. CNNIC 2014: 29). Da China über ein Brutto-Inlands-Produkt von rund 7000 US Dollar pro Einwohner verfügt (IMF 2014), sind die Einkommen hier als Mittel zu sehen und im Vergleich mit europäischen im Grunde ähnlich gelagert. Zu beachten ist hierbei aber das Phänomen, dass die Anschaffungskosten von Zugangsgeräten ungefähr in der gleichen Höhe wie in Europa liegt, was darauf hinweisen könnte, dass für viele chinesische Bürgerinnen und Bürger der Stellenwert des Zugangs zum Internet recht hoch liegt. Das wird auch durch das Phänomen des „poor Bloggers“ bestätigt, von dem Michael Anti in seinem TED Talk (vgl. 2013) spricht: Technologisch versierte Chinesinnen und Chinesen sind bereit, für einen hohen technischen Lebensstandard Einbußen in anderen Bereichen zu haben.

Es kann zusammengefasst werden: Der durchschnittliche chinesische Internetnutzende ist männlich, studiert, hat eine Einkommen von 1500 RMB im Monat, lebt in der Stadt und verwendet ein mobiles Gerät, um das Internet zu nutzen.

Theorie: Digitalkulturen 72 2.1.3.3.3 SNS und SNMIS in China

In den vorherigen Absätzen wurden oft Soziale Netzwerke wie Weibo und WeChat angesprochen. Diese sollen nun kurz vorgestellt werden, um einen Einblick auf den Ein- fluss dieser Tools zu bieten, die charakteristisch für die chinesisch geprägte Internet- nutzung geworden sind.

2.1.3.3.3.1 Weibo Die Alltagshandlungen der chinesischen Bürgerinnen und Bürger im Internet kombinie- ren moderne und existierende Kommunikationselemente mit kreativen Adaptionen von althergebrachten (vgl. Yang 2012: 53ff): Microblogging beispielsweise basiert auf An- schlagtafeln, auf denen im historischen China offizielle Verkündungen, so kurz wie mög- lich formuliert, angeschlagen wurden. Der digitale Microblogging-Dienst ist das erfolgreichste von Desktop und mobilen Zugangsgeräten erreichbare soziale Netzwerk Chinas. Die Hauptfunktionen können eher mit als mit verglichen werden (vgl. Yu/Asur/Hubermas 2011). Anfang 2014 gab es 308 Millionen Accounts auf Weibo, was ungefähr die Hälfte aller chinesischen Internet-Nutzerinnen und -Nutzer ausmacht. Sina Weibo gilt als Inbe- griff von Microblogging und wird als Deliberations-Tool kontrovers diskutiert: Einige Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die Weibo gesellschaftsveränderndes Potential zuschreiben, belegen dies mit den Internet Incidents, von denen viele ihren Anfang auf der Weibo-Plattform nahmen (vgl. Yu/Asur/Hubermas 2011, Tong/Lei 2013). Begründet liegt dies in den Tatsachen, die bereits in dem Exkurs über Internet Incidents aufgegriffen wurde: Jedoch gehen gegenteilige Meinungen davon aus, dass die meisten Internet Incidents von der chinesischen Zentralregierung zur Erfüllung eigener Motive inszeniert wurde. Auch sind virtuell und sozial verankerte Kontroll- und Zensurmaßnah- men eine hohe Barriere:

„Despite the elevated expectations that social media have engendered worldwide, the potential for microblogs to affect political behavior and political change in China is con- strained by conditions online and offline. (…)The government’s embracing and control of the information revolution continues to serve it well and it continues to keep the lid on the mobilization of either large-scale, cross-cutting protests or a viable opposition movement.“ (Sullivan 2014: 32)

Theorie: Digitalkulturen 73 Allein durch die für alle großen digitalen Service-Anbieter in China gültigen Selb- stverpflichtungen, werden unliebsame Meinungen und Publikationen im Vorfeld abge- blockt und kontrolliert (vgl. MacKinnon 2011: 56). Weibo beschäftigt für diesen Fall eine „Internetpolizei“ von zwei Millionen freiberuflichen Kontrolleurinnen und Kontrolleuren, die Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen überwachen, verfolgen, melden und blockieren (vgl. Sullivan 2014: 15). Diese Überwachungssituation hat zu einem interes- santen Phänomen geführt, das durch die chinesische Sprache möglich wird: Nutzerin- nen und Nutzer verwenden statt verbotener Begriffe phonetische Synonyme, die zwar von Gleichdenkenden verstanden, von offiziellen Stellen zumindest in der Anfangszeit aber nicht erkannt werden (Yu/Asur/Huberman 2011, Leibold 2011).

2.1.3.3.3.2 WeChat WeChat ist kein reiner Instant Messenger (IM), sondern ein SNIMS, ein Social Network Service (vgl. Wu/Yang 2013): Er implementiert nicht nur die klassis- che Instant Messaging Funktionen und damit die Möglichkeit, Bilder und Videos auszu- tauschen, sondern auch eine soziale Komponente wie das „sharen“ und „liken“ von Beiträgen auf einer personalisierten Wall – ähnlich wie bei Facebook. (vgl. WeChat 2015). WeChat ist der Messenger Service mit den meisten Nutzerinnen und Nutzern weltweit: 600.000.000 Menschen verwenden WeChat und machen es damit zur fünft-meist- genutzten App weltweit (Feng/Ying 2013). Der Marktwert des Mutterkonzerns Holdings lag 2012 bei 150 Milliarden US- Dollar (vgl. WeChat 2015), das Unternehmen liegt also auf der Stufe seiner westlichen Konkurrenten. Verwendet wird WeChat zur privaten und professionellen Interaktion, das deliberative Potential ist auf Grund der personenbezogenen Accounts und den daraus folgenden Möglichkeiten der Überwachung als gering einzuschätzen, wie wie etliche Fälle von Account-Sperrungen und nachfolgende Verhaftungen in der letzten Zeit be- weisen (ZeitOnline 2014: o.S.).

Theorie: Digitalkulturen 74 2.1.3.3.4 Internetnutzung in Österreich

Im folgenden werden die sozialen und politischen Strukturen der Internetnutzung in Österreich kurz aufgegriffen, um einen direkten demographischen Vergleich mit der In- ternetnutzung in China zu ermöglichen:

Österreich ist eine repräsentative Demokratie mit der Möglichkeit der direkten politis- chen Beteiligung seitens der Bevölkerung. Das Land ist von politischer und sozialer Stabilität geprägt, föderalistisch organisiert und hat Rechte wie Unverletzbarkeit des Eigentums, das Briefgeheimnis und das Recht auf freie Meinungsäußerung in seiner Verfassung verankert (vgl. Tálos 2000: 8). Seit 1993 befindet sich Österreich in der EU und hat deren Politik, die Europe 2020-Strategie zum Ausbau und der zukünftigen Gestaltung des Internets in Österreich und Europa übernommen. Eine der wichtigsten Grundpfeiler der Europe 2020-Strategie ist die Schaffung eines „digital single market“ (vgl. EU 2015: o.S.)

Im Jahr 2014 nutzen 82% der Bevölkerung das Internet, ca. 78% aller Haushalte verfügt dabei über einen Breitbandanschluss. 70% aller Internet-Nutzenden verwendeten dazu mobile Geräte. 51% der Nutzerinnen und Nutzer sind männlich, 49% weiblich (vgl. Sta- tistik Austria 2014: o.S.). Einer der demographischen Hauptfaktoren der Nutzung ist die Bildung, wobei sich hier das gesamtgesellschaftliche Verhältnis spiegelt: 30% der österreichischen Internet- Nutzenden haben Matura, wobei sie insgesamt 25% der Bevölkerung ausmachen. Ein weiterer Faktor ist das Alter, was sich in der Nutzung von Pensionistinnen und Pension- isten zeigt: obwohl diese mit 29% die größte Bevölkerungsgruppe bilden, liegt ihr Anteil an den Internet-Nutzenden nur bei 18% (vgl. AIM 2014: o.S.).

Die Motive zur Nutzung waren folgendermaßen verteilt (vgl. Statistik Austria 2014: o.S.):

• 85% der österreichischen Internetnutzerinnen und -Nutzer suchten Informationen über Waren und Dienstleistungen • 66,9% lasen Online-Nachrichten oder Zeitungen • 54,6% der Nutzerinnen und Nutzer nutzten soziale Netzwerke • 41,6% nutzen das Internet für Unterhaltungsangebote wie Spiele, Filme oder Musik

Theorie: Digitalkulturen 75 Die Nutzung von sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder aber auch Whatsapp lag 2014 bei 54,6% der österreichischen Internet-Nutzenden. Hier macht sich aber vor allem das Alter bemerkbar, 87% der 16-24-Jährigen, 73,9% der 25-34-Jährigen und 54,1% der 35-44-Jährigen nutzten regelmäßig soziale Netzwerke (vgl. Statista 2015: o.S.)

Im Zusammenhang mit der politischen Nutzung kann also davon ausgegangen werden, dass die nötige Infrastruktur zum Zwecke der politischen Information und Diskussion gegeben ist (vgl. Ringler et al. 2013: 7f). Obwohl dadurch Potentiale für eine gesteigerte politische Beteiligung der Bevölkerung besteht, zeigt die Forschung keine Belege, dass die Beteiligung steigen würde. Dies wird von Forscherinnen und Forscher als Risiko eines drohenden Democratic Divide gesehen:

„Durch ungleichen Zugang und die ohnehin recht anspruchsvollen Voraussetzungen, die BürgerInnen erfüllen müssen, wenn sie sich an politischen Debatten beteiligen möchten, kann sich das Gefälle zwischen jenen, die gehört werden und jenen, die nicht gehört werden, verstärken, wenn das Internet auf Kosten klassischer Beteiligungs- und Dialog- formen an Bedeutung gewinnt.“ (Ringer et al. 2013: 9).

Ebenso könnte dies zu einer Verstärkung der Fragmentierung der politischen Öf- fentlichkeit führen und damit „gesamtgesellschaftliche Diskurse und Debatten massiv behindern“ (ebd.: 10): die durchaus mögliche Deliberation durch das Internet scheint also am Mangel an Interesse der Bevölkerung zu scheitern.

Theorie: Digitalkulturen 76 2.1.3.3.5 Vergleich der Internetnutzung in China und Österreich

In Folge der sich fundamental unterscheidenden politischen Strukturen des Internets in China und im Westen zu dem auch Österreich gezählt wird, kann auch von ökonomis- chen Unterschieden gesprochen werden, obwohl sich diese auf Formalebene nicht au- genscheinlich zeigen: genau wie in China beherrschen einige wenige Großkonzerne den digitalen Markt, genau wie in China gibt es eine für diesen Markt zuständige Reg- ulierungsbehörde (vgl. Wiatschka 2011: 33f). Doch anders als in China ist der Einfluss der nationalen Politik - also der Einfluss der Regierung - auf den Markt beschränkt. Dies wird einerseits durch die Verfassung, andererseits durch die Mitgliedschaft Österreichs in der EU gewährleistet (vgl. Tálos 2000: 23).

Auch auf Nutzungsebene gibt es einige signifikante Unterschiede, die belegen, dass das „Internet chinesischer Prägung“ (vlg. Becker 2011) nicht mit dem Internet in Österre- ich, Europa oder den USA gleichzusetzen ist: China ist im internationalen ICT-Vergleich immer noch als Entwicklungs- oder Schwellenland zu sehen. In einer internationalen Studie (vgl. WEF 2014: 8) wird es als „New Internet World“ in einer Reihe mit Mexiko, Brasilien und Saudi Arabien eingeord- net. Obwohl die Internetpenetration im rasanten Maße ansteigt, hat noch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung eine Möglichkeit das Internet zu nutzen. Natürlich muss hier auch die Relation des starken Stadt-Land-Gefälles mit eingerechnet werden: die Inter- netpenetration in Megacities wie , Shanghai oder Guadong liegt durchschnittlich bei über 65%. Aber in den im Inneren des Landes gelegenen Provinzen wie der inneren Mongolei, Yunnan oder der Krisenregion Jiangxi liegt sie bei weit unter 33% (vgl. CNNIC 2014: 23).

Obwohl Österreich „im Bereich der neuen Medien als sehr aufgeschlossener und dy- namischer Markt betrachtet werden“ (Stark/Magin 2008: 3) kann, liegt China im Trend des mobilen Internets (vgl. Heinrichs/Hoffmann/Reuter 2012: 611ff) vorn: während in Österreich 70% der Internet-Nutzenden mobile Geräte dafür verwenden, sind es in Chi- na 85,5% - also rund 500 Millionen Menschen. Die hohen Nutzungszahlen machen sich auch schon auf dem chinesischen Markt durch die rasant wachsende Entwicklung und Implementierung von ‚high-flow mobile phone applications’ bemerkbar (vgl. CNNIC 2014: 8).

Theorie: Digitalkulturen 77 Ein weiterer, sehr auffälliger Unterschied, macht sich bei der Nutzung von Tools wie SNS und SNIMS bemerkbar: in Österreich verwenden 54,6% der Internet-Nutzenden Plattformen wie Twitter und Facebook, in China sind es 90%, die hauptsächlich die rein mobile Applikation WeChat verwenden. Ein Grund dafür sind sicherlich die Kosten für Telefonie und SMS, die in China relativ gesehen viel höher sind als in Österreich und viele der Nutzerinnen und Nutzer auf die billigere Variante der Instant Messages auf WeChat ausweichen lässt. Doch das allein kann den Erfolg der Applikation nicht erk- lären.

Theorie: Digitalkulturen 78 2.1.4 Synthese

Neben den forschungsleitenden Zielen, diente der Theorie-Teil dieser Arbeit auch dazu, die aktuelle Situation eines Landes abzubilden, das, obwohl in vielerlei Hinsicht gegen- sätzlich zu Österreich, den ökonomischen, sozialen und technologischen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Und das unter dem Aspekt der politischen Strukturen in China.

Vor allem Kapitel 2.1.3: Digitalkulturen, das aktuelle Theorien der ICT&S, dem Span- nungsfeld Informationstechnologien-Gesellschaft mit den Realitäten in China und Öster- reich in Verbindung setzte, war dazu gedacht, den Wiederstreit zwischen westlich-nor- mativem Ideal und chinesischen Realitäten zu erhellen. Es wurde gezeigt, dass die chi- nesische Regierung durch strategische, langfristige und nachhaltige Planung und Um- setzung in der Lage war, das gegebene, deliberative Potential des Internets nicht nur zu kontrollieren, sondern sogar zum Vorteil der sozialen Stabilität einzusetzen. Durch poli- tischen Einfluss auf Architektur, Markt und Gesellschaft werden Inhalte und Infrastruktur des Internets auf die soziale Situation Chinas adaptiert. Das führt nicht nur zur Stärkung der politischen Ordnung, sondern auch zu einem höheren ökonomischen Fortschritt im digitalen Sektor, wie der direkte Vergleich mit Österreich zeigte. Als integraler Be- standteil der Kommunikationskultur im Westen, wurde Österreich dabei als Vertreter des im „westlichen“ Internet materialisierten, demokratisch-kapitalistischen Wertesystems betrachtet.

Gleichzeitig konnte Österreich im interkulturellen Vergleich in verschiedenen Dimensio- nen als Gegenpol zur chinesischen Nationalkultur definiert werden. Im Kapitel 2.1.2: Nationalkulturen wurde der anthropologische Management-Ansatz als Methode der komparativen Kulturwissenschaft vorgestellt und auf den Vergleich zwischen China und Österreich angewandt, mit dem Ergebnis, dass sich beide Kulturen diametral voneinan- der unterscheiden. Das Kapitel bot auch eine nationalkulturelle Perspektive auf die Prozesse der Globalisierung und deren Auswirkungen auf Kulturen. Kultur wurde dabei als nationalbezogen beschrieben, die politischen und geographischen Grenzen bilden dabei die kulturellen ab. Zusammen mit den Ergebnissen aus dem Kapitel der Digitalkul- turen, lässt sich daraus ein auf die globale Diffusion des Internets bezogenes Theo- riekonstrukt ableiten, das mit Hilfe der empirischen Forschung überprüft werden soll. Das Konstrukt ist wie folgt benannt und definiert: Theorie: Synthese 79 Die nationalkulturelle Domestizierungsthese

Ausgehend von einer nationalkulturellen Perspektive, schreibt die Domes- tizierungsthese der Infrastruktur Internet keine globalisierende Funktion zu, son- dern setzt die Kultur als determinierend: das Internet wird in jeder Nationalkultur unterschiedlich kulturell, politisch, ökonomisch und sozial adaptiert. Somit entstehen verschiedene nationale digitale Kommunikationskulturen.

Die Kommunikationskultur wurden in Kapitel 2.1.1: Medienkulturen als Erweiterung des Begriffs der Medienkultur definiert, welche die fundamentalen Veränderungen der kul- turellen Artikulationsebenen durch die Diffusion des Internets integriert. Das Kapitel erk- lärt vor allem die Wirkung von Medien auf Kulturen, die sich durch die Nutzung und die Integration der Medien in ihre kulturellen Ressourcen von Kulturen zu Medienkulturen wandeln. Die Medienkulturen wachsen mit der Diffusion der Medien mit und ver- schmelzen mit der Zeit mit anderen Medienkulturen. Die Erkenntnisse aus diesem Kapi- tel können im Zusammenhang mit verschiedenen Theorien aus dem Kontextfeld der ICT&S, welche die Fundamentalität der durch das Internet ausgelösten Wandlung- sprozesse bestätigen, dazu verwendet werden, die Rolle des Internets von einer glob- alen Medienrevolution auf eine transkulturelle Kommunikationsrevolution zu erweitern. Im Zuge dessen kann als Gegensatz zur Domestizierungsthese, ein theoretisches Kon- strukt entwickelt werden, das auch empirisch fassbar ist und ebenso zum forschungslei- tenden Ziel beiträgt:

Die transkulturelle Konvergenzthese

Ausgehend von einer deterritorialen Perspektive definiert die Konvergenzthese das Medium Internet als transkulturell kulturdeterminierend und nimmt an, dass sich durch dessen globale Diffusion eine transnationale digitale Kommunikations- kultur bilden wird.

Theorie: Synthese 80 2.2 Operationalisierung und Hypothesen

Nach vollzogener Darstellung der forschungsimmanenten Theorien sollen nun in Folge die für die Anwendung der Empirie ausschlaggebenden Hypothesen generiert werden. Hypothesen sind ein Teilschritt der wissenschaftlichen Beschreibung und dienen der Lö- sungssuche für die sozialen Phänomene, nachdem diese in eine Fragestellung über- führt wurde:

„Im Unterschied zum gesellschaftlichen Diskurs, der in der Regel Einzelfälle heraus- greift, mit privaten Ansichten verquickt sowie politische und wirtschaftliche Opportu- nitäten je nach Standpunkt in die Argumentation einbaut, entwickelt die Wissenschaft in dieser ersten Phase unabhängig vom Einzelfall eine möglichst universelle, allgeme- ingültige Theorie über das spezielle soziale Problem.“ (Brosius/Koschel 2012: 4)

Das Problem ist das bereits hergeleitete Forschungsinteresse der Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Internets als globales, deliberatives Medium. Die daraus gebildete Forschungsfrage, die auf die empirische Erforschung eines konkreten Einzelfalls überführt wurde, lautet:

Inwiefern verändert sich das Internetnutzungsverhalten chinesischer Austausch- Studierender in Österreich?

2.2.1 Operationalisierung der Forschungsfrage

Als nächster Schritt folgt die Operationalisierung der Forschungsfrage, damit theo- riegeleitete Hypothesen generiert werden können, die im Anschluss mit Hilfe der em- pirischen Forschung überprüft werden. Das Vorgehen macht das deutlich: Zu erst wer- den die anfänglichen Begriffsdefinitionen der digitalen Kommunikationskultur und des Internetnutzungsverhaltens mit den Ergebnissen aus der Theorie erweitert, um dadurch die für die Hypothesengenerierung nötigen Indikatoren zu bilden. Danach werden die begriffsimpliziten theoretischen Überlegungen dargestellt, die zur Bildung der überge- ordneten explanativen Hypothese und der daraus hergeleiteten, direkt auf die Forschungsfrage bezogenen Arbeitshypothesen führten.

Operationalisierung und Hypothesen 81 2.2.1.1 Begriffsdefinitionen und Indikatoren

In diesem Kapitel werden die Begriffe der digitalen Kommunikationskultur und des Inter- netnutzungsverhaltens durch Erkenntnisse aus dem theoretischen Teil definiert. Das In- ternetnutzungsverhalten, das als Teil der digitalen Kommunikationskultur betrachtet wird, dient gleichzeitig der Bildung von Indikatoren, mit deren Hilfe Forschungsfrage und forschungsleitendes Interesse in Arbeitshypothesen übersetzt werden sollen.

2.2.1.1.1 Digitale Kommunikationskultur

Aufbauend auf den Theorien der Medienkultur, wurde folgende Definition des Begriffs der Kommunikationskultur vollzogen:

Die Kommunikationskultur umfasst die durch digitale Kommunikationsmedien ausgelösten, kulturellen und kommunikativen Wandlungsprozesse auf ganzheitlicher Ebene als Erweiterung des theoretischen Konstrukts der Medi- enkulturen.

Wie dargestellt, beruht der Begriffswechsel von Medien zu Kommunikation auf den fun- damentalen, gesamtgesellschaftlichen und globalen Wandlungsprozessen, welche durch das Internet angestoßen wurden. Auf einer Inhaltsebene sind die Wandlungs- prozesse nicht mehr nur medial, sondern kommunikativ, indem sie sowohl Rezeption, als auch Herstellung verändern. Auf einer gesellschaftlichen Ebene wirken sie nicht mehr nur politisch, ökonomisch oder technologisch, sondern ganzheitlich. Die weltweite Diffusion des Internets bedeutet also nicht nur eine globale Medienrevolu- tion, sondern eine transkulturelle Kommunikationsrevolution. Ob die transkulturelle Kommunikationsrevolution aber auch zu einer globalen Konvergenz der Kulturen führt, also zu einer deterritorialen, transkulturellen und damit globalen Kommunikationskultur, wird von der im theoretischen Teil destillierten, nationalkulturellen Domestizierungsthese negiert, von der transkulturellen Konvergenzthese aber bestätigt. Das Ziel der vor- liegenden Masterarbeit liegt auch darin, beide Thesen empirisch zu überprüfen.

Dazu muss jedoch erst der Begriff der Kommunikationskultur empirisch fassbar gemacht werden:

Operationalisierung und Hypothesen 82 Ebenso wie die Medienkultur, beinhaltet die Kommunikationskultur die Artikulationsebe- nen der Produktion, der Repräsentation, der Aneignung, der Identifikation und der Regu- lation, welche Wirkung und Ausprägung der Kommunikationskultur in einem kausalen Kreislaufmodell bedingen. Um einen, im Rahmen dieser Masterarbeit empirisch operationalisierbaren und über- prüfbaren Begriff zu konstruieren, wird der ganzheitliche Ansatz der Kommunikationskul- tur auf einen spezifischen Teilbereich eingegrenzt. Dazu werden die Artikulationsebenen der Kommunikationskultur auf die Hall’schen Kulturebenen reduziert. Das durch die In- dikatoren auf seinen Bedeutungsgehalt zu identifizierende Definiendum, wird als digitale Kommunikationskultur bezeichnet und so definiert:

Die digitale Kommunikationskultur umfasst die politischen Strukturen des Inter- nets, die Inhaltsebene des Internets und der digitalen Medien und das Internet- nutzungsverhalten, als Teilbereiche der Artikulationsebenen der Kommunika- tionskultur.

Der Begriff der digitalen Kommunikationskultur kann damit in folgende drei Kategorien aufgeteilt werden:

2.2.1.1.1.1 Politische Strukturen Die Politik, als Teilbereich der Gesellschaft, hat folgende Einflussbereiche, um die politi- schen Strukturen des Internets zu konstruieren (vgl. Lessing 1999: o.S.):

• Die gesetzlichen Rahmenbedingungen, indem legislative, judikative und exekutive Sanktionsmöglichkeiten verankert werden • Die ökonomischen Rahmenbedingungen, indem der Markt legislativ und finanziell gesteuert wird • Die sozialen Normen, indem die Herstellung eines gesellschaftlichen Konsens beein- flusst wird • Die technische Architektur, indem die technologische Infrastruktur und die Zu- gangsmöglichkeiten durch politische und ökonomische Steuerungsmaßnahmen bed- ingt wird

Die vier Einflusssphären sind nicht singulär, sondern im Gesamtzusammenhang aufzu- fassen.

Operationalisierung und Hypothesen 83 2.2.1.1.1.2 Inhaltsebene des Internets Das Internet kann sowohl als Medium als auch als Infrastruktur gesehen werden. Als Infrastruktur zerfällt es „schon technisch in eine Vielzahl von Protokollen und Dien- sten und soziotechnisch in eine kaum zu überblickende Vielzahl von Protokollen und Diensten und Nutzungskontexten“ (Strübing 2004: 4). Dabei bedingen sich Angebote und Nutzungskontexte gegenseitig und sind in virtuellen Clustern verdichtet. Wie auch in der Theorie erkannt wurde, könnte - bedingt durch nationales Servernetz und die kon- trollierten Knotenpunkte zum internationalen Servernetz - das Internet in China damit nicht nur als Infrastruktur, sondern sogar als chinesisches Internet oder Internet chine- sischer Prägung (vgl. Becker 2011) bezeichnet werden, was eine nationalkulturelle Trennung von verschiedenen „Internetzen“ belegen würde.

Das Internet als in der Tradition von McLuhans Mediumstheorie stehende Verbindung aus technologischer Infrastruktur, Inhalten und Bedeutungen (vgl. McLuhan 1964), belegt als gedankliches Konstrukt, vor dem Hintergrund der digitalen Trennung von Raum und Zeit (vgl. Giddens 1992: 79), die transkulturelle Konvergenzthese: auf die Deterritorialisierung virtueller Räume würde automatisch früher oder später ein homo- gener kultureller Raum entstehen, die sogenannte Cyberculture (vgl. Ellrich 2002).

In Hinblick auf diese Diskrepanz, werden folgende zwei Aspekte angenommen, die eng mit den Indikatoren des Internetnutzungsverhalten in Verbindung stehen, da Inhalt inter- dependent mit der individuellen Nutzung und der kulturellen Bedeutungszuweisung in Verbindung steht (vgl. McLuhan 1964, Hall 1989, Hepp 2011):

Motive der Internetnutzung: da die Motive der Internetnutzung, wie gleich noch näher ausgeführt wird, vor allem auf individuellen Bedürfnissen beruhen, welche aber kulturell bedingt sind, würde die Deckung der Motive von Internetnutzenden aus verschiedenen Kulturen, das Internet als Medium klassifizierbar machen: die Motive haben sich an In- frastruktur, Inhalt und Bedeutung angepasst. Praktiken der Internetnutzung: Zwar beruhen die Praktiken der Internetnutzung auf Motiven und Einstellungen der Internetnutzung, jedoch würde auch hier eine Deckungs- gleichheit das Internet als globales, immer ähnliches, Medium definieren. Ist das Inter- net aber eine reine, nationalkulturell-beeinflussbare Infrastruktur, würden sich die Prak- tiken erheblich unterscheide.

Operationalisierung und Hypothesen 84 2.2.1.1.2 Internetnutzungsverhalten

Das Internetnutzungsverhalten umfasst individuelle und kulturelle Motive und Einstellungen und die daraus folgenden Praktiken der Nutzung des Internets, digi- taler Medien und deren Zugangsgeräten.

Das Internetnutzungsverhalten wird hierbei als Teilbereich der digitalen Kommunikation- skultur gesehen. Die Definition des Internetnutzungsverhaltens setzt sich auf diesen Teilbereichen zusammen: Individuell und kulturell meint dabei den Zusammenhang zwischen kultureller Vermit- tlung von Verhaltensweisen (der digitalen Kommunikationskultur) und dem gelebten Verhalten des Individuums (der Praxis der Internetnutzung): „Der Mensch steht in einer grundsätzlichen dynamischen Wechselbeziehung mit seiner Umwelt, so dass die Umwelt als Einflussfaktor der Internetnutzung gesehen werden kann“ (Roll 2002: 80). Internetnutzung wird dazu in folgende Kategorien von Indikatoren aufgeteilt:

2.2.1.1.2.1 Indikatoren: Motive der Internetnutzung Motive setzten sich mit der Frage des „wozu/wofür“ menschlichen Handelns auseinan- der und umfassen die individuelle „Wahrnehmung und Interpretation der Handlungssitu- ation sowie Überlegungen zur Ziel-Mittel-Beziehung“ (Kroeber-Rierl/Weinberg 2003: 143). Motive werden „als relativ konstante Persönlichkeitsdispositionen aufgefasst, die eine grundlegende handlungsleitende Funktion haben“ (Roll 2002: 68), meist sind die individuell begründet. Motive sind das leitende Interesse des Verhaltens und damit „übergeordnete, globale Ziele, aus denen konkrete Handlungsziele abgeleitet werden können“ (Roll 2002: 71). Auf die Internetnutzung bezogen, fragen die Motive nach dem Zweck der Internetnutzung.

In einer 2014 in den Niederlande durchgeführten Studie, identifizieren die Autoren sieben Cluster der Motive von Internetnutzung (vgl. van Deursen/van Dijk 2014): Per- sönliche Entwicklung, Freizeit, Kommerzielle Transaktionen, Soziale Interaktionen, In- formation, Nachrichten und der Cluster des Spielens. Parallel dazu ergab die Befragung von asiatischen Internetnutzenden drei zusammen- fassende Dimensionen von Motiven der Internetnutzung (vgl. Ji/Fu 2013: 412): Informa- tion, Interaktion und Erreichbarkeit für andere.

Operationalisierung und Hypothesen 85 Diese Ergebnisse zusammengefasst und mit den in dieser Masterarbeit verwendeten Theorien kombiniert, werden im Kontext der Forschungsfrage zu folgenden Indikatoren kategorisiert:

• Informationsgewinnung: Die Motiv-Kategorie der Informationsgewinnung beinhaltet die Nutzung des Internets, um damit Informationen für die private und die profes- sionelle Lebenswelt zu gewinnen. Die Verwendung von Suchmaschinen, Nachricht- enportalen, Blogs und Wikis sind Nutzungsweisen, die zu dieser Kategorie gehören. • Interpersonelle Kommunikation: Die Motiv-Kategorie der Interpersonellen Kommu- nikation umfasst die Nutzung des Internets, um direkt oder indirekt mit anderen Indi- viduen zu kommunizieren. Dazu gehört die Nutzung von SNS und anderen Kommu- nikationstools wie Instant Messengers, eMail oder IP-Telefonie. • Unterhaltung: Die Motiv-Kategorie der Unterhaltung beinhaltet die Nutzung des In- ternets zu Zerstreuungs- und Eskapismuszwecken. Das inkludiert Nutzungsweisen wie dem Gebrauch von digitalen Video- und Musikplattformen und der Verwendung des Internets, um damit Computerspiele gemeinsam mit anderen zu spielen. Darunter fallen auch internetbasierte Applikationen für Mobilgeräte, die nur Indirekt mit anderen Nutzerinnen und Nutzern zusammen gespielt werden.

2.2.1.1.2.2 Indikatoren: Einstellungen der Internetnutzung Einstellungen können gleichwertig mit dem Begriff der Meinungen behandelt werden. Ihr zentraler Aspekt ist die Bewertung eines Bezugsobjekts, „eine psychologische Tendenz, die durch die Bewertung einer speziellen Entität mit einem bestimmten Ausmaß der Zustimmung oder Ablehnung ausgedrückt wird“ (Eagly/Chaiken 1993: 1). Im Gegensatz zu den Motiven sind Einstellungen aber nicht einfach aus den persönlichen und indi- viduellen Bedürfnissen generiert, sondern „konstitutiv an ein Objekt gebunden. Der Ob- jektbegriff ist hierbei aber relativ weit gefasst und schließt nicht nur physische Gegen- stände wie z.B. Autos, sondern auch Handlungsweisen und immaterielle bzw. psychis- che Objekte mit ein“ (Roll 2002: 73f). Natürlich sind Einstellungen durch die individuellen Erfahrungen geprägt, jedoch auch durch gesellschaftliche und damit kulturelle Kommu- nikation vermittelt. Vor allem auf die Internetnutzung bezogen, bestehen empirische Studien, die besagen, dass „einige Einstellungen zum Internet möglicherweise nicht auf eigene Erfahrungen zurückzuführen sind, sondern stark auf vermittelte Erfahrungen zurückgehen“ (Roll 2002: 74). Operationalisierung und Hypothesen 86 Diese Tatsache bestätigt auch die vollzogene Differenzierung des Internetnutzungsver- haltens in eine individuelle und kulturelle Dimension. Einstellungen helfen dabei, „in neuen Situationen konstante und effiziente Hand- lungsmuster an den Tag zu legen“ (Roll 2002: 75), so auch in der interkulturellen Kom- munikation: „Interkulturell sind alle Beziehungen, in denen die Beteiligten nicht auss- chließlich auf ihre eigenen Codes, Konventionen, Einstellungen und Verhaltensformen zurückgreifen, sondern andere Codes, Konventionen etc. verwenden und diese als fremd erleben.“ (Luger 2004: 171). Daraus folgend werden die Indikatoren für die kul- turvermittelten Einstellungen des Internetnutzungsverhaltens wie folgt kategorisiert:

• Die Perspektive auf die fremde digitale Kommunikationskultur: Diese Kategorie umfasst die Einstellungen und Meinungen bezüglich der fremden Kommunikations- kultur im Allgemeinen und ihrer digitalen Ausprägung im Speziellen. Darunter fallen wahrgenommene Handlungen, beobachtete Prozesse sowie die Bewertung der frem- den Kultur anhand des Bezugssystems der eigenen Erfahrungen und kulturellen Sozialisation. • Die Perspektive auf die eigene digitale Kommunikationskultur: Diese Indika- toren-Subkategorie ist bereits auf die empirische Forschung ausgerichtet und soll die individuelle Bewertung der politischen Strukturen des Internets in der eigenen digital- en Kommunikationskultur behandeln.

2.2.1.1.2.3 Indikatoren: Praktiken der Internetnutzung Die aus Motiven und Einstellungen folgende Praktiken resultiert aus der Synthese der individuellen und kulturellen Motive der Internetnutzung und der kulturell-vermittelten und durch individuelle Erfahrungen konstruierten Einstellung dazu. Sie meint damit die Nutzung unterschiedlicher Angebote und die unterschiedlichen Nutzungsweisen gleicher Angebote auf individueller Ebene, darf aber nicht unabhängig vom kulturellen Kontext verstanden werden: „Vielmehr repräsentieren sie gleichsam die Verwirklichungspoten- ziale unterschiedlicher Motive und Interessen unterschiedlicher NutzerInnen in unter- schiedlichen (virtuellen) Arrangements“ (Iske/Klein/Kutscher 2008: 219). Die hier genannten virtuellen Arrangements werden als Ausprägungen der digitalen Kommunika- tionskultur verstanden, die sich neben Struktur und Inhaltsebene auch entlang der Mo- tive und Einstellungen der Nutzenden kulturell differenzieren lassen (vgl. Lenz/Zillien 2005: 250). Operationalisierung und Hypothesen 87 Analog zum Definitionsweg des Internetnutzungsverhaltens (vgl. Kapitel 1.2.2: Die Defi- nition des Internetnutzungsverhaltens) können sechs verschiedene Gruppen von Aktiv- itäten in die Operationalisierung integriert werden, welche Teilbereiche der Internet- nutzung zusammenfassen (vgl. Tan/Cheng-Yi 2014: 27ff):

• die Gruppe der Basics (z.Bsp. die Verwendung von Suchmaschinen, von eMails als Kommunikationsmedien und von Online-Nachrichten-Portalen) • die der Unterhaltung (z.Bsp.: digitale Video- und Musikplattformen) • die Gruppe der Sozialen Netzwerke und darauf basierender Tools • die Gruppe der Spiele und Freundschaftsbörsen • die Gruppe der Transaktionen (Amazon, eBay, etc.) • die Gruppe der Finanzen (z.Bsp.: Onlinebanking)

In Kombination mit den Ergebnissen aus der Theorie und in Zusammenhang mit den Indikatoren der Motive des Internetnutzungsverhaltens können die genannten Gruppen auf sechs Indikatoren reduziert werden:

• Nutzung von Suchmaschinen und Nachrichtenportalen • Nutzung von SNS und darauf basierender Tools • Nutzung von Unterhaltungsangeboten wie Spielen, Video- oder Musikplattfor- men • Nutzung von Tools zur Umgehung von Zensur- und Kontrollmaßnahmen • Orte der Internetnutzung • Geräte der Internetnutzung

Obwohl Motive als auch Nutzungsweisen finanzielle und ökonomische Aspekte aufweisen, wurde in der Operationalisierung bewusst darauf verzichtet, diese als Indika- toren zu verwenden. Fokus der vorliegenden Masterarbeit liegt wie erwähnt mehr auf der politischen als auf der ökonomischen Dimension. Ebenfalls wäre ein Vergleich der ökonomischen Strukturen und ihrer Praktiken zwischen Österreich und China nicht valide, da die ökonomischen Strukturen des Internets in China im Gegensatz zu denen in Österreich stark politisch determiniert sind, während in Österreich der Bezugsrahmen sehr international ausfällt. Für eine detailliertere Beschäftigung mit dieser Thematik wird auf Peter Dickens Band „Global Shift“ (vgl. Dickens 2007) verwiesen.

Operationalisierung und Hypothesen 88 2.2.2 Die explanativen Hypothesen

Wie bereits erwähnt, impliziert die Forschungsfrage auf ihrer Metaebene kulturelle, kommunikationswissenschaftliche und politische Dimensionen, die nun mit Hilfe von ex- planativen Hypothesen zusammengefasst und ausgedrückt werden sollen. „Die expla- native Hypothese dient dem Aufdecken von Wenn-dann-Beziehungen zwischen zwei oder mehr Sachverhalten“ (Brosius/Koschel 2012: 6) und will somit theoretisch-fundierte Zusammenhänge zwischen Phänomenen abbilden. Die Formulierung einer solchen ex- planativen Hypothese dient einerseits der Generierung daraus folgender und in der Em- pirie anwendbarer Arbeitshypothesen. Andererseits aber auch der zusammenfassenden Darstellung von verwendeten Theorien, der Forschungsfrage und den daraus opera- tionalisierten Indikatoren.

Das forschungsleitende Meta-Ziel dieser Arbeit ist es, anhand der empirischen Unter- suchung der Internetnutzung zu prüfen, ob durch die globale Diffusion des Internets na- tionalkulturelle digitale Kommunikationskulturen entstehen, oder ob durch transkulturelle Konvergenzen zu einer globalen digitalen Kommunikationskultur kommt. Die Unter- scheidung beruht dabei auf der im theoretischen Teil synthetisierten, transkulturellen Konvergenzthese und der nationalkulturellen Domestizierungsthese des Internets.

In Verbindung mit den im direkten Forschungsinteresse stehenden Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens von Individuen, während des Aufenthalts in einem anderen Land, dessen Kultur sich von der eigenen unterscheidet, kann für jede These eine ex- planative Hypothese erstellt werden. Diese lauten:

EH1: Wenn die nationalkulturelle Domestizierungsthese zutrifft, dann kommt es zu geringen Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens von Individuen beim Aufenthalt in einer fremden Kultur.

Sollte das Internet nicht als Medium wirken, sondern als Infrastruktur bestehen, dürfte durch die Nutzung in einem anderen Land, deshalb keine Veränderungen angestoßen werden, weil - wie auch im Forschungsstand ergeben - während eines zeitlich begrenz- ten Aufenthalts nicht davon ausgegangen werden kann, dass das Individuum die Verhal- tensweisen der einheimischen Internetnutzenden übernimmt: es wird angenommen, dass das Individuum eher die bekannten Dienste aus bekannten Motiven nutzt. Somit Operationalisierung und Hypothesen 89 dürfte es nur geringe Anpassungen des Internetnutzungsverhaltens und damit zu keinen bis geringen Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens kommen.

EH2: Wenn die transkulturelle Konvergenzthese zutrifft, dann kommt es zu großen Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens von Individuen beim Aufenthalt in einer fremden Kultur.

Sollte das Internet hingegen als Medium wirken, müsste sich durch die Nutzung des Mediums in einem anderen Land das Internetnutzungsverhalten eines Individuums aus einer fremden Kultur anpassen. Somit käme es zu großen Veränderungen des Internet- nutzungsverhaltens.

Es muss angemerkt werden, dass die Thesen als schematische und extreme Positionen verstanden werden, deren Wahrheitsgehalt wahrscheinlich auf einer Skala zwischen ih- nen liegt. Aus diesem Grund werden die Arbeitshypothesen probabilistisch formuliert, um graduelle Aussagen treffen zu können.

Operationalisierung und Hypothesen 90 2.2.3 Arbeitshypothesen

Aus den explanativen Hypothesen werden nun probabilistische Arbeitshypothesen en- twickelt. Dies liegt auch in der Tradition der Kommunikationswissenschaft begründet, denn: „Aussagen der empirischen Kommunikationswissenschaft sind probabilis- tisch.“ (Brosius/Koschel 2012: 9). Dadurch wird es möglich, die explanativen Haupt-Hypothesen in Teilbereiche zu zer- legen, um damit die Irrtumswahrscheinlichkeit zu minimieren und eine Eingrenzung des Gültigkeitsbereiches zu vollziehen: „Die Formulierung von Arbeitshypothesen zerlegt ein komplexes Problem in konkrete, überprüfbare Untersuchungsschritte“ (Brosius/Koschel 2012: 13). Einerseits um den Ansprüchen des Kritischen Rationalismus (vgl. Popper 1982) gerecht zu werden, andererseits um Aussagen mit Allgemeingültigkeitsanspruch zu vermeiden, werden die Arbeitshypothesen probabilistisch formuliert womit nicht ihre Gültigkeit, sondern der Grad des Zusammenhangs gemessen werden kann:

„Aus allgemeinen Aussagen – also aus Hypothesen oder Theorien – werden deduktiv- logisch Basissätze abgeleitet, die in falsifikatorischer Absicht mit empirisch gewonnenen Aussagen über die Realität verglichen werden.“ (Brosius/Koschel 2012: 24)

Arbeitshypothesen verbinden also aus der Theorie generierte Aussagen mit möglichen, diese Theorien bestätigenden Ergebnissen aus der Empirie und bringen diese in einen Zusammenhang, der es möglich macht, die forschungsleitende explanative Hypothese relativ zu falsifizieren, zu bewähren oder zu belasten.

Operationalisierung und Hypothesen 91 2.2.3.1 H1 - Digitale Kommunikationskultur und Internetnutzungsverhalten

H1: Je ausgeprägter die nationalen Unterschiede des Internets zwischen zwei Ländern, desto geringer die Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens eines Individuums während des Aufenthalts im anderen Land.

Diese Hypothese behandelt die Frage nach dem deliberativen und deterritorialisierten- Potential des Internets aus einer individuumszentrierten Perspektive. Ihr liegt der Gedanke zu Grunde, dass nationale Kommunikationsräume Medien mit deterritorial- isierendem Potential eher domestizieren, als selbst globalen kulturellen Konvergenzen zu unterliegen, solange die kulturellen und politischen Besonderheiten groß genug sind. Bezogen auf den Forschungsgegenstand China und Österreich, belegt die Theorie, dass China das Internet - trotz theoretischer deliberativer Potentiale - in sein politisches und soziales System integrieren konnte, ohne dass es dabei zu Nachteilen für die soziale Stabilität und politische Ordnung gekommen war. Der chinesischen Zentral- regierung ist es dabei nicht nur gelungen, mögliche negative Folgen abzufedern, son- dern das Internet sogar zum Zweck der eigenen Legitimierung einzusetzen. Ein Individuum, dessen Internetnutzungsverhalten durch die Sozialisierung in der chine- sischen Kultur geprägt wurde, hätte keinen Bedarf, seine Internetnutzungsmotive, -Ein- stellungen oder Praktiken bewusst grundlegend zu ändern, da aus einer Gratifikations- sicht keine individuellen Vorteile daraus erwachsen würden.

Gleichzeitig behandelt H1 die Konstituierung des Begriffs der digitalen Kommunikations- kultur. Folgt man der Definition des Begriffs als deterritorialisierte und translokale Weit- erentwicklung der Medienkulturen, ausgelöst durch die globalen und kulturellen Wand- lungsprozesse des Internets, würde das von der Falsifizierung der Hypothese belegt werden. Der translokale Ansatz der Medienkulturen geht vereinfacht gesprochen davon aus, dass Medien kulturdeterminierend sind. Somit bestimmt die Zusammensetzung der Gesamtheit an Medien, die einer Kultur zur Verfügung stehen, die Ausprägungen ihrer Artikulationsebenen: Produktion, Repräsentation, Aneignung, Regulation und Identifika- tion. Würde ein Individuum nun eine andere Kommunikationskultur betreten, würde es sein Verhalten deshalb ändern, weil die Nutzung im Grunde mediumsdeterminiert ist.

Die Faktoren zur Darstellung der nationalen Unterschiede des Internets sind die sich aus der theoretischen Behandlung ergebenen politischen, ökonomischen, geographis-

Operationalisierung und Hypothesen 92 chen, linguistischen, sozialen und individuellen Ebenen. Die Theorie hat gezeigt, dass sich das Internet in China und Österreich auf diesen Ebenen fundamental unterscheidet:

• politisch dadurch, dass das Internet in China durch das angewandte und exekutiv, legislativ und judikativ repressiv verankerte Modell der autoritären Deliberation (vgl. Kapitel 2.1.3.2.2.1: Networked Authoritarianism, Kapitel 2.1.3.2.2.3: Autoritäre Delib- eration) eine andere Art der Public Sphäre für die Nutzerinnen und Nutzer bietet, als das durch ein relativ idealtypisch gestaltetes deliberatives System des Internets in Österreich (vgl. Kapitel 2.1.3.1: Das deliberative Potential des Internets, Kapitel 2.1.3.3.4: Internetnutzung in Österreich). • ökonomisch dadurch, dass einerseits die durch die sozial-ökonomischen Strukturen bedingte Situation des chinesischen Digitalmarkts (vgl. Kapitel 2.1.3.3.1: Chinesische Nutzungstrends, Kapitel 2.1.3.3.3: Chinesische SNS und SNIMS), andererseits die durch die politischen Strukturen vorgegebenen ökonomischen Rahmenbedingungen (vgl. Kapitel 2.1.3.2.2: Politische Strukturen) sich fundamental von den relativ offenen und vom Einfluss des Staates geschützten Digitalmärkten in Österreich (Kapitel 2.1.3.3.4: Internetnutzung in Österreich) unterscheiden. • geographisch dadurch, dass die Serverstruktur des Internets in China auch in den Grenzen des Landes liegt (vgl. Kapitel 2.1.3.2: Die digitale Kommunikationskultur in China), während sich dieser Kontext in Österreich international verrotten lässt. • linguistisch dadurch, dass das Internet in China durch Verortung der Serverstruktur und natürlich auch den Nutzerinnen und Nutzern hauptsächlich chinesisch-sprachig ist (vgl. Becker 2011: 24). Das Internet in Österreich und damit in Europa kann ohne weitere Begründung als deutsch- bzw. international-sprachig bezeichnet werden. • sozial dadurch, dass sich demographische Nutzerinnen- und Nutzerstruktur in China signifikant von der in Österreich unterscheiden (vgl. Kapitel 2.1.3.3.5: Vergleich - der Internetnutzung in Österreich und China). • individuell dadurch, dass sich die Motive der Internetnutzung in China (vgl. Kapitel 2.1.3.3.2: Die chinesischen Internet-Nutzerinnen und Nutzer) ebenfalls signifikant von den österreichischen (vgl. Kapitel 2.1.3.3.4: Internetnutzung in Österreich) unterschei- det.

H1 vermag es, durch graduelle Bestätigung oder Falsifizierung weitere grundlegende Aussagen zum Zusammenhang von Nationalkultur, Kommunikationskultur und dem in- dividuellen Internetnutzungsverhalten zu treffen: erstens, wie nachhaltig kommunika-

Operationalisierung und Hypothesen 93 tions-kulturelle Sozialisierung wirkt und zweitens, ob die Nutzung des Internets beein- flusst ist durch strukturelle Einschränkungen, beziehungsweise Freiheiten, oder durch individuelle Faktoren wie den Motiven der Internetnutzung.

Die Indikatoren, die eine Veränderung anzeigen würden, sind sowohl die Kategorien der Motive, der Einstellungen als auch der Praktiken des Internetnutzungsverhaltens.

Operationalisierung und Hypothesen 94 2.2.3.2 H2 - Nationalkultur und die individuelle Perspektive

H2: Je geringer die individuelle Freiheit in einer Kultur, desto weniger Verän- derungen in den Einstellungen der Internetnutzung.

Diese Hypothese untersucht auf einer interkulturellen komparativistischen Ebene den Zusammenhang zwischen der durch die Hofstede-Dimensionen vorgegebenen individu- ellen Freiheit eines Individuums in einer Kultur und prüft deren Richtigkeit durch die em- pirische Erforschung der Einstellungen von Individuen hinsichtlich politischer Strukturen ihrer eigenen digitalen Kommunikationskultur. Die zu überprüfenden Faktoren für das Definiendum der individuellen Freiheit in einer Kultur sind die sich aus der theoretischen Behandlung ergebenen Unterschiede zwis- chen Österreich und China auf der individualistischen, der Power-Distance- und der In- dulgence-Dimension. Wie in der Theorie festgestellt wurde sind es diese Dimensionen, welche die höchsten Unterschiede zwischen der Kultur Chinas und der Kultur Österreichs ausmachen (vgl. Kapitel 2.1.2.2: China und Österreich im interkulturellen Vergleich). Alle Dimensionen beziehen einen Faktor mit ein, der auch auf das politische System des jeweiligen Lan- des zurückgeführt werden kann:

• ein kollektivistisches Land hat eine andere soziale Struktur als ein individualistisches, wodurch das Individuum beispielsweise anderen Aspekten bei der sozialen Mobilität unterworfen ist. • ein Land mit weniger Power Distance hat eher eine politische Bottom-Up Entschei- dungskultur, ein Land mit mehr einen Top-Down-Ansatz. Österreich und China konn- ten bei dieser Dimension als Gegenpole bezeichnet werden (vgl. Kapitel 2.1.2.4.2: Power Distance in China und Österreich) • in einem Land mit niedrigen Indulgence-Werten reagiert die Gesellschaft normativer auf die Selbstverwirklichung und persönliche Entscheidungsentfaltung des Individu- ums, als in einem Land mit hohen Werten. Dies ist bei China und Österreich der Fall, Länder, die in dieser Dimension signifikante Unterschiede aufwerfen (vgl. Kapitel 2.1.2.2.6: Indulgence). Eine Gesellschaft reagiert in gewisser Weise immer auf politis- cher Ebene, wenn sie Strukturen verankert, die die Einzelne oder den Einzelnen betr- effen.

Operationalisierung und Hypothesen 95 Sollten die interkulturellen Hofstede-Dimensionen zutreffen, müssten Individuen auch Einschränkungen bezüglich ihres Internetnutzungsverhaltens und damit der digitalen Medienkultur mehr akzeptieren, als andere, die nicht in diesem Land aufgewachsen sind.

Operationalisierte Indikatoren, welche zur Überprüfung von H2 dienen, sind die Kate- gorien der Einstellungen der Internetnutzung.

2.2.2.3 H3 - Politische Strukturen und die individuelle Perspektive

H3: Je autoritärer die Strukturen des Internets in der Heimatkultur, desto geringer die Veränderung der Motive und der Praktiken der Internetnutzung während des Aufenthalts in einem freiheitlich strukturierten Land.

Diese Hypothese behandelt den Zusammenhang zwischen den kulturellen politischen und gesellschaftlichen Strukturen des Internets und dem Internetnutzungsverhalten der Individuen und behandelt direkt die theoretisch gegebenen deliberativen Potentiale des Internets. Im Grunde wird danach gefragt, ob die theoretischen Möglichkeiten des Inter- nets als deliberalisierendes und demokratisierendes Medium Wirkung auf das Individu- um während des Aufenthalts zeigen.Auch die Umkehrung der Hypothese würde diese Frage unterstützen: je freiheitlicher die Strukturen des Internets während des Aufenthalts, desto höher die Veränderung der Motive und Praktiken der Internet- nutzung. Auch Hepp fordert diesen Zugang, um die Deterritorialisierung von Medienkulturen em- pirisch fassbar zu machen:

„Entscheidender Ausgangspunkt sollte immer die Frage sein, inwieweit bestimmte Strukturierungen, Prozesse und Strategien zu einer Einschränkung von Handlungsmög- lichkeiten Einzelner bzw. bestimmter Gruppen von Menschen beitragen.“ (Hepp 2004: 433)

Handlungsmotive sind zweckrational, wertrational, affektuell oder traditionell. Zweckra- tionales Handeln ist das Abwägen von Zweck und Konsequenzen, wertrationales die

Operationalisierung und Hypothesen 96 Einbeziehung von gesellschaftlichen Normen, affektuelles die individuelle Bedürfnissitu- ation und traditionelles das mitunter auch kulturell-geprägte regelgeleitete Verhalten basierend auf Gewohnheiten (vgl. Weber 1968: 430). Normativ-angepasster bedeutet im Kontext von H3, dass das Internetnutzungsverhalten und dessen Motive in der Heimatkultur nicht die von politischen Strukturen vorgegeben Grenzen überschreiten dürfte: beispielsweise dürfte kein Interesse daran bestehen, Suchmaschinen zu verwenden, um politisch sensible Informationen einzuholen, oder Methoden zur Umgehung von Zensur- und Kontrollmaßnahmen zu nutzen. Trifft das In- dividuum dann aber auf eine digitale Kommunikationskultur, in der die deliberativen Po- tential verwirklicht sind, müssten sie die Motive und die Praktiken ändern.

Wie die Anwendung der Hofstede Dimension Power-Distance auf China und Österreich ergab, sind die Motive der chinesischen Bürgerinnen und Bürger durch das kulturelle Grundkonstrukt der Akzeptanz ihrer Situation geprägt (vgl. Kapitel 2.1.2.3.2: Power-Dis- tance). Interessanterweise lässt die reale Situation in Österreich jedoch den Umkehrschluss nicht zu: Österreicherinnen und Österreicher verwenden das Internet sehr wenig, um am politischen Diskurs teilzuhaben (vgl. Kapitel 2.1.3.3.4: Internet- nutzung in Österreich), obwohl sie einerseits durch die hohe Power-Distance, anderer- seits durch die politischen Strukturen des Internets in Österreich die Gelegenheit dazu hätten. H3 dient also dazu, diese Lücke zwischen Theorie und Praxis zu schließen, indem sie an der Realität der chinesischen Austausch-Studierenden geprüft werden soll.

Indikatoren, welche für die Überprüfung von H3 dienen, sind die Kategorien der Motive des Internetnutzungsverhaltens und der Praktiken des Internetnutzungsverhaltens.

Operationalisierung und Hypothesen 97 2.3. Empirie

Die im folgenden beschriebene Durchführung der empirischen Forschung in Österreich und in China dient zur Überprüfung der aus der Haupt-Hypothese generierten Arbeit- shypothesen H1, H2 und H3. Empirische Forschung ist folgendermaßen zu verstehen:

„Empirisch vorzugehen heißt, Erfahrungen über die Realität zu sammeln, zu systemati- sieren und diese Systematik auf den Gegenstandsbereich der Kommunikationswissen- schaft anzuwenden. Dabei wird das Vorgehen so dokumentiert, dass es intersubjektiv nachvollziehbar ist und somit prinzipiell von Anderen wiederholt werden kann.“ (Brosius/Koschel 2012: 2)

Diese Definition beinhaltet die drei grundlegenden Charakteristika empirischer Forschung: die Sammlung von Erfahrungen, die dabei verwendete Systematik und die intersubjektive Nachvollziehbarkeit des Vorgehens. Die folgenden Kapitel sollen genau diese drei Grundcharakteristika erfüllen. Durch die Darstellung der Methoden und der dabei verwendeten Systematik soll die intersubjek- tive Nachvollziehbarkeit des Vorgehens hergestellt werden:

„Intersubjektive Nachvollziehbarkeit bedeutet, dass sozialwissenschaftliche Aussagen im Rahmen empirischer Forschung mit von jedermann nachvollziehbaren, offen gelegten empirischen Methoden gewonnen werden, d. h. die empirische Untersuchung läuft unabhängig von der Person und den persönlichen Vorlieben des Forschers ab.“ (Brosius/Koschel 2012: 16).

Der Aufbau des empirischen Teils ist wie folgt: In der Konzeption wird die Wahl qualitativer Methoden für die Forschung begründet Im darauf folgenden Kapitel des Forschungsdesigns wird der Untersuchungsgegenstand dargestellt und in verschiedene zeitliche Phasen eingeteilt, die durch einen Methoden- mix untersucht werden. Danach folgt analog zu den vier Empirie-Phasen die Darstellung des jeweiligen methodischen Vorgehens, indem erkenntnisleitende Fragestellung, Wahl der Erhebungs- und Auswertungsmethode und deren Anwendungen und Ergebnisse angeführt werden. Zum Abschluss des empirischen Teils dieser Masterarbeit folgt die Diskussion der Ergebnisse anhand der drei Arbeitshypothesen um diese überprüfen zu können. Empirie 98 2.3.1 Konzeption

Zur Beantwortung der Forschungsfrage der Masterarbeit, musste ein Verfahren ange- wandt werden, das einerseits in der Lage war, die individuelle und interkulturelle Ebene des sich verändernden Internetnutzungsverhaltens der chinesischen Austausch- studierenden in Österreich, als auch die dazugehörige kommunikationskulturelle Di- mension abzubilden. Gerade dieser im Grunde explorative Ansatz machte die Wahl von Methoden aus der qualitativen Sozialforschung notwendig: „Qualitative Sozialforschung ist ein Sammelbe- griff für zum Teil sehr verschiedenartige methodologische Ansätze in Psychologie, Sozi- ologie und Pädagogik.“ (Kleining 1991: 11). Darunter ist auch die Kommunikationswis- senschaft zu finden, da diese soziale Prozesse in Bezug auf durch Kommunikation - sei sie nun interpersonell, interkulturell, technologisch, politisch oder ökonomisch - deter- minierte soziale Strukturen, Praktiken und Einstellungen innerhalb der Gesellschaft un- tersucht. Das Fundament qualitativer Forschung ist:

„Qualitative Forschung hat ihren Ausgangspunkt im Versuch eines vorrangig deutenden und sinnverstehenden Zugangs zu der interaktiv ‚hergestellt‘ und in sprachlichen wie nicht-sprachlichen Symbolen repräsentiert gedachten sozialen Wirklichkeit.“ (Kardoff 1991: 4)

Qualitative Methoden lassen sehr detaillierte Aussagen auf Basis kleiner Stichproben zu und liefern „die Tiefe“ (Brosius/Koschel 2012: 4). Ihre „Methoden und Instrumente zielen auf wissenschaftliche Erkenntnis und auf objektive Diagnose gesellschaftlicher Struk- turen und Prozesse“ (Atteslander 2006: IV). Sie vermögen es, die Reichhaltigkeit der Qualität der Daten zu sichern, die nötige Mehrdimensionalität neben einer Perspek- tivenvielfalt abzubilden und die Forschende oder den Forschenden in den Datenerhe- bungsprozess mit einzubinden, um damit in die Tiefe des Forschungsgegenstands einzudringen, wie es beispielsweise durch Nachfragen oder Reflexion möglich ist (vgl. Mayring 2002: 7). Genauso sollte es möglich sein, adaptiv zu forschen, das heißt ungeahnten Besonderheiten, sollten diese unerwartet auftauchen, spezifisch nachzuge- hen. Jedoch stoßen die Methoden der qualitativen Sozialforschung vor allem im interkul- turellen Kontext an ihre Grenzen:

Empirie 99 „Die qualitative Sozialforschung steht vor dem Problem, dass die soziale Welt in moder- nen Gesellschaften in ihrer Bedeutungsstruktur nicht mehr auf einem common-sense beruht. Im Zuge der Globalisierung, zunehmender Mobilität und die dadurch bedingte kulturelle Vervielfältigung der modernen Alltagswelt haben sich die Lebensformen der Menschen ausdifferenziert und damit auch die soziale Wirklichkeit.“ (Bettmann/Roslon 2013: 10)

Bezogen auf die Forschungsfrage sind sie zwar grundsätzlich durchaus in der Lage, die individuellen Veränderungen des Internetnutzungsverhalten der chinesischen Aus- tauschstudierenden abzubilden, zu erforschen und zu erklären, ihnen fehlt aber die Möglichkeit, den möglicherweise bestehenden transkulturellen Kontext des Internets als globalisierendes Medium zu integrieren.

Auch aus diesem Grund wurde versucht die Methoden der qualitativen Sozialforschung auf die interkulturelle Ebene adaptiert zu verwenden. Dazu boten sich Verfahren der in- teraktionistischen Ethnographie an, wie sie beispielsweise in der Anthropologie zu find- en sind. Diese bringen gleichzeitig den Vorteil mit sich, eng mit dem Ansatz der Ground- ed Theory verzahnt zu sein und damit mit einem einem relativ offenen und situativ flexi- blem Forschungsvorgehen, das während der Forschung jederzeit angepasst werden kann (vgl. Dellwing/Pruss 2012). Durch eine Synthese beider Ansätze soll auch die genannte kulturelle Dimension mit in die empirische Forschung integriert werden. Das Ziel transkultureller Forschung ist es, „den Einfluss der Kommunikation auf die Entwicklung einer neuen Kultur zu verstehen“ (Matoba/Scheible 2007: 12f) und damit dem fernen Ziel dieser Masterarbeit zu unterstützen, Bausteine für ein unabhängig anwendbares Modell zur Beschreibung und Analyse der digitalen Kommunikationskultur zu liefern.

Um diese Ziele zu erreichen, wurde ein Set verschiedener Methoden zusammengestellt. Diese sollten auf der einen Seite die wissenschaftlichen Gütekriterien des qualitativen empirischen Forschens wie die Verfahrensdokumentation, die Nähe zum Gegenstand, die kommunikative Validierung und die Regelgeleitetheit (vgl. Mayring 2002: 17) er- füllen. Gleichzeitig aber sollten sie auch in der Lage sein, auf den spezifischen Ablauf und die zeitlichen Strukturen des Veränderungs-Prozesses einzugehen und letztendlich der Überprüfung der Arbeitshypothesen dienen.

Empirie 100 2.3.2 Ausgangslage, Forschungsdesign und Methoden

Laut Atteslander (vgl. 2006: IV) müssen drei Prinzipien bei der Anwendung qualitativer Forschung beachtet werden: das Prinzip der Angemessenheit, das Prinzip des Messens und das Prinzip des Ermessens. Während erster so verstanden werden kann, „dass Methoden der Zielsetzung der Forschung gemäss (sic) einzusetzen sind, wofür ausre- ichend Mittel und Zeit zur Verfügung stehen müssen“ (Atteslander 2006: ebd.), zielen die beiden letzteren auf den angemessenen und ergänzenden Mix von Methoden im Forschungsdesign und die Frage, welchen Beitrag die erhobenen Daten gesamtge- sellschaftlich leisten.

Das Prinzip der Angemessenheit ist im empirischen Teil dieser Masterarbeit erfüllt: es standen sowohl ausreichend Zeit und Mittel zur Verfügung den Forschungsgegenstand - also das sich verändernde Internetnutzungsverhalten der chinesischen Austausch- Studierenden in Österreich - und das übergeordnete Forschungsziel zu untersuchen.

Das MCM-Programm Die empirische Forschung dieser Masterarbeit wurde im Rahmen des MCM-Programms 2013 der Universität Salzburg im Zeitraum von Oktober 2013 bis Juni 2014 durchge- führt. Das Master-Austausch-Programm „Media and Communication Management“ ist eine Kooperation zwischen der journalistischen und kommunikationswissenschaftlichen Fakultät der Fudan University in Shanghai, China und der kommunikationswis- senschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. Das Programm ermöglicht es- Studierenden beider Institutionen und weiterer ausgewählter Partner-Institutionen, jew- eils ein Semester in Salzburg und Shanghai zu studieren.

20 chinesische Studierende im Bereich Journalismus und Kommunikationswissenschaft aus Shanghai und Beijing im Alter zwischen 20 und 26 Jahren besuchten im Winterse- mester 2013/2014 die Universität Salzburg. Dort nahmen sie einerseits an speziell im Rahmen des Programms angebotenen Kursen teil, andererseits an allgemein zugänglichen Kursen der kommunikationswissenschaftlichen Fakultät. Sie lebten in Studierendenwohnheimen und nahmen damit auch am sozialen Leben teil. Mit Ende Januar reisten die 20 Studierenden wieder zurück nach China um an der chinesischen Universität weiter zu studieren.

Empirie 101 Ende Februar markierte einen neuen Abschnitt im MCM-Programm: 20 Studierende der Universität Salzburg besuchten für viereinhalb Monate die Fudan University in Shang- hai, um dort an Kursen der Journalistik-Fakultät teilzunehmen.

Der Verfasser dieser Masterarbeit war selbst Teilnehmer am Programm. Dadurch konn- ten die Kriterien der interaktionistischen Ethnographie erfüllt werden, die von den Forschenden zusammenfassend fordert, sie sollen dahin „wo es action gibt/wo was los ist“ (Dellwing/Pruss 2012: 9). Gleichzeitig war es möglich, durch den persönlichen Um- gang und engeren Kontakt mit den chinesischen Austausch-Studierenden, im Verlauf des Programms ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, das Einblicke zuließ, die von außen nicht möglich gewesen wären. Eigentlich sollte eine Beteiligung der Forschenden am zu erforschenden Prozess aus der Perspektive der qualitativen Sozialforschung weitgehend zu vermeiden ist, um einerseits eine objektive Sicht zu bewahren, anderer- seits den Prozess selbst nicht zu beeinflussen (vgl. Bettmann/Roslon 2013: 14). Die Teilnahme des Verfassers am Programm war aber eine geplante und berechenbare Störung, weil dadurch beispielsweise auch Literaturquellen zugänglich wurden:

Ein weiterer Grund war, dass durch die Teilnahme die Umkehr der Situation und damit des Prozesses generiert werden konnte: Der Verfasser dieser Masterarbeit verbrachte unter den gleichen Umständen wie die chinesischen Austausch-Studierenden ihren Österreichaufenthalt im späteren Verlauf in China und konnte dort mit Hilfe der ethno- graphischen Methoden weitere Ergebnisse sammeln, die gleichzeitig als Evaluierung der in Österreich erzielten Daten diente.

Auch das zweite Atteslander’sche Prinzip, das Prinzip des Messens ist erfüllt. Das Forschungsdesign wurde an den zeitlichen Verlauf des MCM Programms angepasst und durch einen Mix von befragenden und beobachtenden Methoden untersucht. Der zeitliche Ablauf des Untersuchungszeitraums lässt sich grob in vier Phasen ein- teilen, die im Forschungsdesign mit aufgenommen und durch die gewählten Methoden wissenschaftlich erforschbar und interpretierbar gemacht wurden. Diese sollen nun in Folge definiert werden, wobei eine Erklärung und Interpretation des Zeitraums und das daraus folgende Ziel der anzuwendenden Methode dargestellt wird. Anschließend wird jeweils im Kurzen die Forschungsmethode dargestellt, die vorab und im Laufe der Un- tersuchung adaptierend gewählt wurde, um diese Ziele zu erreichen.

Empirie 102 Das dritte Prinzip von Atteslander, das Prinzip des Ermessens, stellte sich im Kontext der Erforschung als wandelbar heraus: das ursprüngliche Problem der qualitativen Forschung - vom Kleinen aufs Große zu schließen - ist zumindest in der Wahl der Meth- oden, Untersuchungseinheiten und Untersuchungsgegenstände verwirklicht. Jedoch kann durchaus Kritik geäußert werden: Qualitative Forschung im ethnographischen Kontext hat gewisse Begrenzungen, die einen erweiterten Rahmen des Forschungsde- signs benötigen würden. Trotzdem wurde insgesamt eine ausreichende Erfüllung der Forschungsziele gewährleistet, indem die Beantwortung der Forschungsfrage in den Fokus gesetzt wurde.

Empirie 103 2.3.2.1 Empirische Phase I

Die Erhebung wurde im Oktober 2013 vorgenommen, zwei Wochen nach Ankunft der chinesischen Austausch-Studierenden in Österreich. Durch die kurze Zeit konnte angenommen werden, dass das Internetnutzungsverhalten noch nicht beeinflusst war.

Die erkenntnisleitende Ziel in dieser Phase galt zum ersten einem explorativen Einblick in die Einstellungen, Motivationen und Praktiken der Internetnutzung der chinesischen Austausch-Studierenden in China. Zum zweiten sollte der Beginn des zeitlichen Verlaufs des Untersuchungszeitraums markiert werden, damit der Anfangspunkt des Veränderungsprozesses mit dem End- punkt des Prozesses in Phase drei direkt verglichen werden konnte. Drittens galt es, durch die Durchführung des Gruppeninterviews Einblick in die sozialen Dynamiken der Gruppe zu gewinnen, um so einzelne Teilnehmende zu identifizieren, die sich für die weitere Fokussierung bereit erklärten. Obwohl keinesfalls als repräsenta- tiv zu sehen, wurde darauf geachtet, einen subjektiven Querschnitt der Gruppe abzu- bilden, um möglichst große biographische, geographische und demographische Unter- schiede unterzubringen. Ein letztes Ziel war es, das Vertrauen der Gruppenmitglieder zu gewinnen, indem ihnen, den Grundsätzen vollständiger Transparenz qualitativer Forschung folgend (vgl. Lamnek 1998: 118), vorab über Umfang, Durchführung, Dauer und die Grundthematik der Unter- suchung Auskunft gegeben wurde.

2.3.2.1.1 Zur Wahl der Erhebungsmethode

Als Erhebungsmethode wurde das leitfadengestützte Gruppeninterviews gewählt. Am Anfang jeder Forschung sollte immer eine genaue und umfassende Beschreibung des Gegenstandsbereiches stehen (vgl. Bortz/Döring 2006: 74). Dazu eignet sich der qualitative, kommunikationsorientierte Ansatz, weil er mit der Verbalisierung von Er- fahrungswirklichkeiten arbeitet und damit Lebenswelten abzubilden vermag (vgl. Mayring 2001: 12). Ein Vorteil des Gruppeninterviews ist es, für die Forschenden eine möglichst offene Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand und die Unter- suchungsteilnehmerinnen und -teilnehmer zu bieten:

Empirie 104 „Ein Thema wird aus verschiedenen subjektiven Blickwinkeln betrachtet, Aussagen wer- den geprüft, bestritten, bestätigt, Behauptungen mit Beispielen untermauert, mit Gegen- beispielen neutralisiert und so fort.“ (Schnurr 1997: 53).

Ein weiterer Vorteil des Gruppeninterviews ist die Möglichkeit, ein gewisses Level an Vertrauen zu kreieren, indem sich die Teilnehmenden durch die Zugehörigkeit zu einer Gruppe viel sicherer fühlen, als sie es in einem Einzelgespräch tun würden (vgl. Schnurr 1997: 62). Gleichzeitig kommt es durch die Gruppenkonstellation zu einem relevanten Phänomen: es werden gleichzeitig individuelle und kollektive Lebenswelten aufgezeigt. Menschen, die als Gruppe über ein gemeinsames Reservoire an Wissen, Einstellungen und Motiv- en verfügen (zu betrachten auf einer kulturellen Ebene), teilen Gemeinsamkeiten des Erlebens und des Verstehens. Dies kreiert nicht nur einen sozial-geteilten Bedeu- tungsraum der Gruppenmitglieder, sondern bildet auch den kollektiven Habitus der Gruppe und ihrer Kultur ab: Menschen, die den gleichen kulturellen Hintergrund haben und in einer Gruppe aufeinander treffen, verstärken ihre Gemeinsamkeiten auf einer kollektiven Ebene (Schnurr 1997: 71).

Somit kann der gemeinsam geteilte kommunikative Raum der Teilnehmerinnen und Teilnehmer als gemeinsam geteilter kultureller Raum analysiert werden. Die Methode des Gruppeninterviews ist dadurch eine geeignete qualitative Methode, um kulturelle Gemeinsamkeiten aufzudecken und zu erforschen, ohne das Individuum aus den Augen zu verlieren.

2.3.2.1.2 Zur Wahl der Untersuchungseinheiten

Untersucht wurden die zur erkenntnisleitenden Fragestellung gehörenden Begriffe und Begrifflichkeiten ebenso, wie die biographischen und sozialen Hintergründe der Teil- nehmerinnen und Teilnehmer im Bezug auf internetbasierte Kommunikation. Die durch die Operationalisierung der Forschungsfrage generierten Indikatoren standen dabei im Mittelpunkt des Leitfadens. Die Fragen zielten also auf die Motive, die Einstellungen und die Praktiken der Internetnutzung in China ab.

Empirie 105 Unter den neun chinesischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Gruppeninterview befanden sich zwei männliche Studierende, die beide weit über dem Altersschnitt von 23 Jahren lagen. Alle waren Studierende der Kommunikationswissenschaft beziehungsweise des Journalismus und waren damit bereits in Kontakt mit der abstrak- ten Behandlung der in der Befragung angesprochenen Themen gekommen. Darüber hinaus hatten alle ein fundiertes Fachwissen, was die Internetdiffusion, -Nutzung, und Praktiken der chinesischen Bevölkerung betraf. Genauso waren alle bedingt durch ihr Alter schon in frühester Kindheit mit digitalen Kommunikationsmedien in Berührung gekommen und hatten durch ihr Studium und ihre beruflichen Tätigkeiten auch ein ho- hes praktisches Verständnis der Materie. Die Auswahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer geschah auf freiwilliger Basis. Alle 20 am MCM-Programm Teilnehmenden waren gebeten worden, am Gruppeninterview teilzunehmen, woraufhin sich die neun angesprochenen Personen dazu bereit erklärten.

2.3.2.1.3 Zur Durchführung der Erhebung

Das Gruppeninterview fand am 08. Oktober, zwei Wochen nach Ankommen der chine- sischen Austausch-Studierenden in Österreich statt. Das Gruppeninterview wurde so offen wie möglich durchgeführt, während ein Leitfaden bereit lag, in das Gespräch dirigierend einzugreifen, sollten relevante Punkte auftreten, die näherer Auseinandersetzung bedurft hätten. Dies folgt auch den allgemeinen Grundsätzen der offenen Herangehensweise qualitativer Forschung (vgl. Kromrey 2000: 364), wodurch gewährleistet wird, dass weder der Gesprächsfluss unterbrochen, noch wichtige Themen ausgelassen werden. Die oft strittige Rolle des Moderierenden wurde weich besetzt: „weich ist ein Interview, wenn der Interviewer versucht, ein Vertrauensverhältnis zum Befragten zu entwickeln, indem er der Person des Befragten seine Sympathie demonstriert“ (Grunow 1978: 786). Gleichzeitig wurde darauf geachtet Flicks Aufgaben der Leitung eines Gruppeninter- views zu erfüllen (vgl. 2002: 174): die formale Leitung durch das Festlegen des Ablaufs, die thematische Leitung durch das indirekte und weiche Lenken der Diskussion und die dynamische Leitung durch die gezielte Ansprechen von zurückhaltenden Teilnehmerin- nen und Teilnehmern zu erfüllen.

Empirie 106 Um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine möglichst vertraute Umgebung zu bi- eten, wurde ein ihnen bekannter Raum der Universität als Standort gewählt. Eine feste Zeit, die im vorab kommuniziert worden war, wurde erneut bestätigt, auch um den wissenschaftlichen Standards zu genügen (vgl. Lamnek 1998: 116). Die Konversationssprache war englisch, was aber durch das gemischte Sprachniveau der einzelnen Studierenden oftmals den Gang der Diskussion aufhalten konnte. Die Datenerhebung wurde von der Datenerfassung begleitet, die mit Hilfe eines Ton- bandgeräts durchgeführt wurde. Dessen Verwendung wurde den Teilnehmerinnen und Teilnehmern unter Hinweis auf ihre vollständige Anonymität zu Beginn des Gesprächs mitgeteilt.

Wie Flick betont, soll in einer Forschungssituation der Einfluss von Aufzeichnungs- geräten auf die aktive Teilnahme der Interviewpartnerinnen und -partner so weit wie möglich minimiert werden (vgl. Flick 2002: 36). Diese sogenannte Sparsamkeitsregel konnte aber auf Grund der Situation nicht angewandt werden: nur durch eine Tonban- daufzeichnung des Gespräches war es im Nachhinein möglich, die Auswertung so sys- tematisch und strukturiert wie möglich anzugehen. Obwohl das Aufnahmegerät zu Be- ginn des Interviews noch leichte Zurückhaltung auslöste, änderte sich das im Lauf der Erhebung. Die Aufzeichnung des Gruppeninterviews hat eine Dauer von 1,5 Stunden, wobei Vor- und Nachbesprechung nicht aufgezeichnet wurden.

2.3.2.1.4 Zur Dokumentation der Erhebung

Wie erwähnt, wurde das Gruppeninterview auf Tonband aufgezeichnet. Dadurch folgte das Vorgehen den von Mayring (vgl. 2002: 85)) und Flick (vgl. 2002) vorgegebenen Etappen, beziehungsweise den Themenkreise der Dokumentation qualitativer Erhe- bungsmethoden. Eine Tonbandaufzeichnung hat dabei den Vorteil, das Gesagte in einer zeitlich unab- hängigen Situation erneut darstellen und wiedergeben zu können, gleichzeitig aber auch den Nachteil, dass Kontext und nonverbale Bedeutungen nicht gespeichert werden können (vgl. Mayring 2002: 92). Diese Vor- und Nachteile waren im Vorfeld gegeneinander abgewogen worden und wurden im Nachhinein ebenso durch die Menge an Datenmaterial bestätigt: ohne Aufzeichnung vorzugehen, beispielsweise nur mit einem Notationsprotokoll, wäre auf Grund der Fülle an Daten nicht möglich gewesen.

Empirie 107 Das aufgezeichnete Datenmaterial wurde mit Hilfe der Technik der wörtlichen Transkrip- tion protokolliert (vgl. Mayring 2002: 89). Hierbei wurde darauf geachtet, das Gesagte in literarischer Umschrift wiederzugeben und etwaige Fehler in Grammatik, die durch die Wahl der Fremdsprache englisch auftreten konnten, zu relativieren, ohne die semantis- che Ebene des Gesagten zu verändern. Obwohl der Aufwand im Vergleich zu anderen Protokollierungsmethoden hoch war, konnten somit doch Kontext und Qualität der In- formationen weitestgehend erhalten und damit auswertbar gemacht werden. Die Tran- skription ist im Anhang (Kapitel 5:Anhang) zu finden.

2.3.2.1.5 Zur Wahl und Anwendung der Auswertungsmethode

Als Methode der Auswertung des erhobenen und protokollierten Materials wurde die qualitative Inhaltsanalyse (vgl. Mayring 2010: 48ff) gewählt. Diese vermag es durch ihren nicht linear strukturierten Ablauf, eine immer wiederkehrende Evaluierung des Datenmaterials zu bieten, um somit auch die nächsten Phasen des Forschungsdesigns nutzbringend zu beeinflussen. Hierbei war vor allem die Thematisierung der forschungsleitenden Fragen genauso wie die Struktur und der Ablauf im Fokus. Die Auswertung der erhobenen Daten zu nutzen, um die weiteren Methoden darauf hin zu adaptieren, fordert auch Flick von der Erhebungsmethode, der er zwei Ziele zu Grunde legt: sie dient der Interpretation der Daten und als Entscheidungsgrundlage für das Vorgehen in den weiteren Phasen des Forschungsdesigns (vgl. Flick 2002: 390).

Die Auswertung folgte dabei eng angelehnt an das Mayring’sche Ablaufmodell, das schrittweise mit anhand der Daten und im Verlauf der Analyse entwickelten Kategorien vorgeht (vgl. Mayring 2002: 116). Ziel des Ganzen ist es, „das Material so zu reduzieren, dass die wesentlichen Inhalte erhalten bleiben, durch Abstraktion einen überschaubaren Corpus zu schaffen, der immer noch Abbild des Grundmaterials ist.“ (Mayring 2002: 115). Dazu wurde das folgende Schema (vgl. Lamnek 1993: 216ff) angewandt, das hi- ermit auch als Zusammenfassung des Gruppeninterviews und seines methodischen Hintergrunds dienen soll.

Empirie 108 2.3.2.1.6 Zum Vorgehen der Auswertung

1. Festlegung des Materials: es wurde das ganze Gruppeninterview ausgewertet. 2. Analyse der Entstehungssituation: am Gruppeninterview nahmen neun chinesis- che Austausch-Studierende teil, die durch das universitäre Austauschprogramm MCM der Universitäten Salzburg und Fudan in China für einen viermonatigen Aufen- thalt nach Österreich gekommen waren. Es handelte sich ihnen um sieben weibliche und zwei männliche Studierende im Alter von 21 bis 26. Alle studierten Kommunika- tionswissenschaft oder Journalismus. Es war davon auszugehen, - was sich auch in der Befragung bestätigte - dass alle aus einer als Mittelschicht zu beschreibenden demographischen Bevölkerungsschicht stammten. Zum Zeitpunkt der Befragung be- fanden sie sich zwei Wochen in Österreich. 3. Formale Charakterisierung: das Material lag als wörtliche Transkription in englis- cher Sprache vor. 4. Richtung der Analyse: Die Richtung der Analyse war deduktiv. 5. Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung: Die durch die Operational- isierung der Forschungsfrage vorgegeben Kategorien betrafen die Motive, Einstel- lungen und Praktiken der Internetnutzung der chinesischen Austausch-Studieren- den, ihre Erwartungen auf die Internetnutzung in Österreich und ihre Perspektiven auf die politischen Strukturen des Internets in China. Ebenso wurden Kontextinfor- mationen, wie beispielsweise Bildung, sozial-demographischer Hintergrund und digi- tale Skills in die Analyse integriert. 6. Bestimmung der Analysetechnik: Das für die Analysetechnik gewählte Verfahren war die Zusammenfassende Inhaltsanalyse bezüglich den Indikator-Kategorien.

Empirie 109 2.3.2.1.7 Darstellung der Ergebnisse

Die folgende Darstellung der Ergebnisse der Analyse ist nach den drei Kategorien des Internetnutzungsverhalten strukturiert, wobei zusätzliche relevanten Ergebnisse adäquat zugeordnet wurden. Eine abschließende zusammenfassende Behandlung aller Einzelpunkte findet am Ende des empirischen Teils in der Überprüfung der Hypothesen statt..

2.3.2.1.7.1 Praktiken der Internetnutzung in China

• Um mit ihren Studienkolleginnen und -kollegen und sozialen Bekanntschaften in Verbindung zu treten, wurde meist der SNIMS WeChat verwendet:

Everyday, everytime, wechat. (#00:02:34-7#)

• WeChat wird deshalb verwendet, weil es sich durch die Verbindung zwischen den Vorteilen von Sozialen Netzwerken und den Vorteilen direkter internetbasierter Kom- munikation auszeichnet. Damit übersteigt der Nutzen des Tools, den anderer Alterna- tiven:

because wechat have this some social function. like i show you i can take a foto and show on the weibo, there is a function calles in english its friendshipcircle, so i can show the many things happen- ing around me and i take foto and maybe write something about that and post that on my friendscircle, because this function is ___ and everyday we use wechat so everyday we use this kind of so- cial function. (#00:06:31-1#)

• Im Gegensatz zu anderen SNS und SMIS, die sowohl im Browser und mit mobilen Zugangsgeräten erreichbar sind, kann WeChat nur auf mobilen Empfangsgeräten verwendet werden. Die Funktionsvielfalt des SNIMS wird von den Befragten aber nur eingeschränkt genutzt, da die Kosten des Datentransfers in China relativ hoch sind.

, das oft als direkter Konkurrent zu Facebook galt, wird fast nicht mehr benutzt .Laut den Befragten war die direkte Konkurrenz von Weibo zu groß, viele der Nutzerinnen und Nutzer wanderten ab, was weiters zum sogenannten Matthäus-Effekt führte. Auch war die RenRen mit der Zeit nicht mehr altersgemäß, da es vor allem auf Kinder im Schulalter ausgerichtet war. Eine andere Plattform, die oft benutzt wird ist

Empirie 110 Weibo, das vor allem durch seine erweiterten Funktionen im Vergleich zu RenRen heraussticht.

• Streaming Plattformen werden auch oft genutzt, um Filme und Serien zu sehen, wobei es bei diesen in China sich meist um legale Angebote handelt, die mit Werbung finanziert werden.

• Die Teilnehmenden wurden auf die Art ihres Zugangs zum Internet befragt: beispiel- sweise, ob sie mit den Smartphones oder Desktop-Computern surfen. Es stellte sich heraus, das dies kontext-, orts- und situationsabhängig war, wobei alle der Befragten sowohl über Laptop-Computer als auch über internetfähige Mobilgeräte verfügten. Die Verwendung war Orts- und Zweckorientiert: Desktop-Computer und Laptops wurden vor allem zu Hause benutzt, Smartphones eigentlich immer genutzt.

• Es wurde die Frage gestellt, welche Kommunikationsmedien zu welchem Zweck ver- wendet wurden. Dabei stellte sich heraus, dass eMails vor allem in der Arbeit und in der Kommunikation zu offiziellen Stellen wie Professorinnen und Professoren genutzt wurden. Obwohl eMails im privaten Rahmen fast gar keine Nutzung fanden, hatten alle Teilnehmenden mehrere Accounts:

Everybody has several email adresses. (#00:09:06-8#)

• eMails wurden ebenfalls kontextbezogen genutzt, es gab meist einen offiziellen Ac- count, der für die Kommunikation zu offiziellen Stellen verwendet wurde und mehrere Accounts, die für private und Unterhaltungszwecke in Verwendung waren.

• Angesprochen auf das in China weit verbreitete Phänomen der Internetcafes erk- lärten die Teilnehmenden, diese wenn dann sehr ungern zu nutzen. In den gehobeneren sozialen Schichten sind Internetcafes verpönt, weil vor allem Kinder und ärmere Menschen Internetcafes besuchen, da sie selbst über keine internetfähigen Geräte verfügen.

And in this city like shanghai there are many bars to but the people are playing in the bar, who are, but there were two kinds of people. one kind is the poor worker, the worker the offspring of the farmer and the other kind are middle school students, yes and maybe you can find some little families to play game there. (#00:02:17-0#)

Empirie 111 • Internetcafes werden auch vor allem von Computerspielerinnen und Computerspielern aufgesucht, die kollaborative Spiele wie das weit verbreitete World of Warcraft oder Counter Strike spielen. Sie sind dienen also meist zur Unterhaltung.

• Angesprochen auf die Nutzung von Suchmaschinen im WWW gaben die meisten der Befragten an, sie würden Baidu, die größte chinesische Suchmaschine nutzen. Alle kannten Google und alle wussten von den Umständen, als diese den chinesischen Markt verlassen hatten, aber nur manche nutzen Google manchmal, andere über- haupt nicht. Grund dafür war meist der sprachliche Kontext: Baidu war nicht für nicht- chinesisch-sprachige Inhalte geeignet, während Google und andere englischsprachige Suchmaschinen für den internationalen Kontext verwendet wurden:

Google is more international. (#00:04:44-1#)

2.3.2.1.7.2 Motive der Internetnutzung

• Angesprochen auf die Frage, wofür die Teilnehmenden in China ihre Smartphones nutzen würden, erklärten sie, dass der Hauptfokus auf interpersoneller Kommunika- tion und auf Unterhaltung lag. Darunter fielen Computerspiele, das Konsumieren von audiovisuellen Medien und das Hören von Musik.

• Die internetbasierten Kommunikationsgeräte wurden orts-spezifisch genutzt, vor allem in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dies spielt auch wieder in den Fokus der Unterhal- tung hinein: meist wurden in den orts-spezifischen Situationen Unterhaltungsprodukte konsumiert.

• Das Internet wurde - zumindest auf den mobilen Geräten - von den Befragten fast nie zur Informationssuche genutzt, dies dient noch mehr der Unterhaltung und der direk- ten Kommunikation beziehungsweise der Nutzung von SNS.

• Die Teilnehmenden wurden gefragt, welchen Medien sie am meisten vertrauen wür- den, ihnen relevante und richtige Informationen zu liefern. Im Ranking ganz oben standen Newswebsites, offizielle Accounts auf Weibo und RenRen und vor allem die Micro-Bloggerinnen und Blogger in den chinesischen sozialen Netzwerken. Fernsehen

Empirie 112 und Zeitungen hingegen wurden als von externen Interessen und Faktoren beein- flusste Medien angesehen:

In china the newswebsite dont have the right to write the news just copy the content from the newspaper, but in weibo there are many personal journalism accounts, maybe a reporter, a journalist they also have many views on their account and some of them is more reliable.“ (#00:02:04-7#)

2.3.2.1.7.2 Einstellungen der Internetnutzung

• Die Teilnehmenden wurden auch direkt auf ihre Perspektive auf die politischen Struk- turen des Internets in China angesprochen. Dazu wurde direkt der Begriff der Rede- freiheit verwendet und um die Meinung der Befragten dazu gebeten. Diese gaben an, sie würden die Regierungsmaßnahmen in gewisser Weise verstehen, da sie der öf- fentlichen Sicherheit und der Stabilität des Landes dienen würden:

I think we have the right to say what we think, but the government or the other institutions they also have the right to control this situ- ation for their management or other necessity.“ (#00:04:52-2#)

• Eine der teilnehmenden Personen gab an, dass es zwar ein allgemeines Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit auch im Internet gäbe, dieses aber beschränkt sei durch die Grenzen, welcher der Staat durch Sanktionen festsetzt.

• Alle Teilnehmenden wussten, dass Facebook im Internet in China blockiert wird. Als Grund dafür gaben sie politische Strukturen an. Dies wurde aber wieder in Verbindung mit dem Schutz der Bevölkerung gebracht, da es viele ausländische und feindliche Kräfte gab, welche die Bevölkerung sonst über Facebook negativ beeinflussen kön- nten:

For example maybe there are many taiwanese have the face book account maybe they can speak many some bad information for the government or some american guys on the facebook. (#00:07:23-1#)

• Als weiterer Grund warum die chinesische Politik Facebook im Internet in China block- iert, wurde genannt, dass durch den Standort der Facebook-Server außerhalb Chinas, die chinesische Regierung keinen Einfluss auf die Inhalte und die Nutzung von Face- book hat. Als direkter chinesischer Ersatz wurde die Plattform Weibo genannt. Diese

Empirie 113 hätte zwar Probleme, ein ähnliches Finanzierungsmodell wie Facebook zu generieren, wäre aber bei chinesischen Internetnutzenden sehr beliebt.

• Laut den Befragten gibt es verschiedene Zensurmaßnahmen in China, die auf ver- schiedenen Ebenen ansetzen. Zum ersten die Great Firewall, die ausländische Tools und Services durch reine Blockiermaßnahmen von der Nutzung ausschließt. Diese ist aber durch technische Maßnahmen leicht zu umgehen.

• Eine andere Ebene der Zensur liegt innerhalb des Internets in China und setzt auf den Plattformen selbst an: Dort sind gewisse Begriffe und Kontexte verboten und dürfen nicht gepostet werden. Während die erste Stufe der Zensur durch die Firewall keine judikativen Konsequenzen nach sich zieht, wusste eine der Befragten bei der zweiten Stufe sogar von einem Vorfall in der persönlichen Umgebung zu berichten:

B3: this remember me of this, my ____ he posted some informa- tion ,that were unbearable for the government for the politic. then he has been arrested, by the police. B1: national security police (#00:03:20-8#)

• Eine dritte Stufe findet nicht im Internet, sondern auf einer abstrakten Ebene statt. Alle Befragten wussten nicht nur, dass es sensible Begriffe und Themen gibt, die zensiert, also verboten sind, sie wussten teilweise auch genau welche das sind. :

when you are in this environment you just know. (#00:04:26-7#)

• Die Angst vor Repressionen ist in der Generation der Befragten aber nicht so vorhan- den, wie beispielsweise in der älteren. Vor allem aber hätten Si keine Angst, da sie einsehen, dass es dem ganzen Land schadet, wenn sie Begriffe diskutieren, die ver- boten sind:

B1: afraid? B3. Afraid. All: no B1: the older are afraid yes. B3: I think i you dont do think to do some bad thing for the gov- ernment, maybe you must be careful. take care. but we dont mean to do anything bad for our government, so i think we dont be afraid. (#00:05:18-2#)

• Viele Websiten in China sind aus Österreich nicht erreichbar, da diese ebenso von der Firewall blockiert werden. Das liegt aber, nach Meinung der Befragten, nicht an

Empirie 114 politischen Gründen, sondern vor allem ökonomischen: da viele westliche Produkte auf chinesischen Plattformen angeboten werden (Serien, Filme, etc.) sind diese von Österreich aus nicht erreichbar.

B7: its this one. Alex i think the reason is, the copyright this kind of websites buy is just for chinese, living in china. So if the fireball dont forbidden the foreigner watch this the foreigner can watch this kind of film, the video free. so they have this kind of manner to escape this kind of copyright, but its very bad thing for the other countries copyright. so this kind of thing is forbidden for the for- eigners. foreign users, like the football play, the . B1: like the football league of england, many website in china buy the copyrights, and but this copyright just for us, its the people living england can watch this match on chinese website they are free. so its ___ (#00:02:52-7#)

• Die Frage betreffend, ob die Teilnehmenden die Möglichkeit hätten, Zensur-Maßnah- men zu umgehen, kam eine geteilte Antwort zurück. Die Möglichkeit gibt es und alle der Befragten wissen, dass sie besteht. Hier machte sich aber eine interessante Teilung breit: der Großteil der weiblichen Befragten gab an, dass sie nicht wissen, wie es genau zu bewerkstelligen wäre, die Maßnahmen zu umgehen. Wenn sie wollten, könnten sie es herausfinden, es gibt aber keinen Grund dafür, weil alle Medien und Tools, die sie nutzen, nicht blockiert sind:

I dont need some extra informations, but get from foreign media, or foreign country. so it dont jump. (#00:02:01-7#)

• Die männlichen Befragten gaben beide an, dass sie wissen, wie die Umge- hungsmöglichkeiten funktionieren und dass sie dies schon des Öfteren gemacht haben. Auf die Frage wozu war die Antwort: um ausländische Informationsmedien zu nutzen, weil diese Informationen liefern würden, die sonst in China nicht erhältlich wären:

yes we can search many ways on the internet. there are many manners to..yes. I do it because I need some information from the foreign media. (#00:00:56-8#)

• Die gesellschaftliche Akzeptanz des Vorgangs wäre zumindest in Kreisen der Neti- zens gegeben, doch politisch nicht erwünscht - jedoch auch nicht verboten:

B1: Jumping is no crime. B1: If you want you can. B7: If you want to try it.

Empirie 115 B1: but the speed is very slow. (#00:02:39-7#)

• Die Gründe dafür liegen in der Usability, den persönlichen Bedürfnissen aber auch den individuellen Skills:

B1: It there is a firewall, set up by the government it is not so con- venient for the people to get the information abroad. so like this guy, and these girls. they think it is technical but it is very easy. but they are very lazy and so they think they dont need this kind of in- formation but if there is no the wall anymore in the future maybe they will go use the facebook, it is very convenient, why not yes. and maybe they will go to search many information on the google. yes. B3: because only a few people. the majority of chinese people dont know how to jump the wall (#00:07:49-3# )

• Ein weiterer interessanter Aspekt war, dass ausländische Firmen durchaus keinen Beschränkungen unterlegen sind. Chinesische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wären also innerhalb ihres Arbeitsplatzes durchaus in der Lage, die Umgehungsmaß- nahmen zu nutzen, ohne große technische Vorkenntnisse haben zu müssen, die sonst dem Ganzen im Weg stehen.

Empirie 116 2.3.2.2 Empirische Phase II

Die chinesischen Austausch-Studierenden verbrachten vier Monate in Österreich und kamen dabei mit allen in einem solchen Zeitraum stattfindenden Faktoren der Integra- tion in Berührung. In dieser Zeit sollten sich schon mögliche Veränderungen abzeich- nen. Nach Durchführung des Gruppeninterviews im ersten Abschnitt konnten drei einzelne Studierende dafür gewonnen werden, sich in dieser Zeit für die weitere em- pirische Forschung zur Verfügung zu stellen.

Die erkenntnisleitende Fragestellung in Phase zwei galt grundlegend den individuellen Veränderungsprozessen, denen Einstellungen, Motive und Praktiken der Internet- nutzung in Österreich unterworfen waren. Ein weiteres Ziel sollte vor allem die individuelle Ebene beleuchten, indem die befragten Einzelpersonen gebeten wurden, ihre Sicht auf die digitale Kommunikationskultur in Österreich zu beschreiben und anzugeben, was sie als größte Unterschiede zwischen China und Österreich in Bezug auf die digitale Kommunikation sehen. Ein viertes Ziel war es, zu eruieren, ob sich die Perspektive auf die politischen Strukturen des Internets in China durch die Berührung mit der österreichischen digitalen Kommunikationskultur verändert hatte.

2.3.2.2.1 Zur Wahl der Untersuchungseinheiten

Untersucht wurden die zu den erkenntnisleitenden Fragestellungen gehörenden Be- griffe, der biographische und individuelle Hintergrund und die Meinungen und Sichtweisen der Befragten auf Internetnutzung, politische Strukturen und Unterschiede diese beiden Themenbereiche betreffenden Begrifflichkeiten. Befragt wurden drei der chinesischen Austausch-Studierenden, die sich bereit erklärt hatten, an der Unter- suchung teilzunehmen. Kriterium war neben der Bereiterklärung das Geschlecht und das Alter, sowie biographische Hintergründe, die einen demographischen Durchschnitt der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des MCM Programms abzubilden vermochten. Außerdem wurde ebenfalls versucht, einen Meinungs- und Einstellungsquerschnitt herzustellen, der auf rein subjektiven Eindrücken von Vorgesprächen mit dem Forschenden basierte. Da den Teilnehmenden zugesichert wurde, sie anonym zu be- handeln, wird in Folge nur eine Abkürzung ihres englischen Namens angegeben, ihr

Empirie 117 Geschlecht und Alter, der soziale Status ihrer Eltern, sowie die Herkunftsregion in Chi- na. Die drei Teilnehmenden waren:

• B1, 22 Jahre alt, weiblich. Ihr Vater war Angestellter in einem chinesischen Großkonz- ern, ihre Mutter Hausfrau. Sie war aus Shanghai. • B2, 24 Jahre alt, weiblich. Ihr Vater war ein hoher General in der chinesischen Volks- befreiungsarmee, ihre Mutter war Hausfrau. Sie war aus dem Westen Chinas. • B3, 26 Jahre alt, männlich. Sein Vater war Geschäftsführer einer Bank, seine Mutter Hausfrau. Als einer der wenigen Austausch-Studierenden arbeitete er neben dem Studium in einer Werbeagentur. Er war aus dem Süden Chinas.

Alle drei waren Studierende der Kommunikationswissenschaft und dadurch mit Theorie und Praxis digitaler Medien vertraut. Dies wurde aber eher als Vorteil gesehen, weil sie dadurch auch einen gesamtgesellschaftlichen Blickwinkel mit in die Erhebung brachten.

2.3.2.2.2 Zur Wahl und Anwendung der Erhebungsmethode

Als Erhebungsmethode wurde die Technik des qualitativen Leitfaden-Interviews gewählt. Diese werden auch oft als teilstandartisiertes Interview bezeichnet und haben den Vorteil, dem Interviewenden eine gewisse Gestaltungs- und Strukturierungs- möglichkeit zu geben, während durch das halboffene Setting des Gesprächs die Inter- viewten Ansichten und Erfahrungen frei äußern können (Hopf 1995: 177). Weitere Vorteile sind die Offenheit für neue, unerwartete Informationen, das Zulassen von Metakommunikation, die einerseits die Qualität der erhobenen Daten hebt, anderer- seits zur Klärung von Missverständnissen beiträgt und die Möglichkeit für die Befragten- oder den Befragten sich selbst zu widersprechen (vgl. Hopf 2000: 144). Es wurden relativ offene Fragen gestellt:

„diese sollen den Befragten zur Selbstexploration anregen, um so eine möglichst gehaltvolle, umfassende Darstellung seiner Gefühle, Einstellungen, Deutungsmuster, etc. zu bekommen.“ (Hohl 2000: 143)

Die Fragen waren einem Leitfaden unterworfen, der auf den themenspezifischen und erkenntnisleitenden Fragestellungen beruhte. Der Leitfaden diente dabei als Struktur

Empirie 118 und Gerüst „und soll sicherstellen, dass nicht wesentliche Aspekte der Forschungsfrage im Interview übersehen werden“ (Mayring 2013: 37).

Außerdem ermöglichte es der Leitfaden, den verschiedenen Befragten ähnliche The- menkomplexe anzubieten, wodurch die Auswertung und die spätere Einteilung in Kate- gorien nicht nur erleichtert wurde, sondern auch das Suchen und Benennen von Gemeinsamkeiten, die wie anfangs angegeben falls möglich mit einer kulturellen Di- mension verbunden werden sollten, erst ermöglicht wurde. Durch die Einzelinterviews war es ebenso möglich, den Zeitraum von vier Monaten ef- fizient zu überbrücken, indem die Interviews in Zeitabständen durchgeführt wurden um somit einen zeitlichen Verlauf der Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens unter- suchbar zu machen.

2.3.2.2.3 Zur Durchführung der Erhebung

Das Einzelinterview mit M fand am 21. November statt. Das Einzelinterview mit A am 21. Dezember und das Einzelinterview mit S am 10. Januar. Es wurden wieder die in Phase I verwendeten Grundsätze angewandt, was heißt, die Moderation beziehungsweise Rolle des Interviewenden wurde weich besetzt (vgl. Grunow 1978: 786). Zu Beginn des Interviews wurde allen Teilnehmenden der Themenkomplex mitgeteilt. Ebenfalls wurde versucht, Fragen so offen wie möglich zu stellen und weder durch Zus- timmung oder Ablehnung Teile des Gespräches zu lenken (vgl. Hopf 2000: 182). Vor allem bei der Wahl und Formulierung der Fragen wurde darauf geachtet, diese ohne Antwortalternativen anzubieten, da dies sonst dazu tendiert, „den narrativen Fluss des Befragten eher zu hemmen als zu fördern“ (Hohl 2000: 145).

Die Teilnehmenden wurden in dem selben Universitätsraum befragt wie schon im Grup- peninterview. Damit sollte eine vertraute Umgebung angeboten werden. Auch wurde wieder eine feste Zeit kommuniziert, die bei keinem der drei überschritten wurde. Genauso wie im Gruppeninterview wurde auf die Aufzeichnung des Gesprächs auf Ton- band hingewiesen und ebenso nochmals betont, dass die Auswertung und Darstellung der Untersuchung völlig anonym bleiben wird.

Empirie 119 Die aufgezeichneten Gespräche dauerten jeweils eine Stunde, wobei eine halbe Stunde vorab ein Vorgespräch geführt wurde, in dem soziale und biographische Hintergründe nochmalig eruiert wurden. Dies wurde weder aufgezeichnet noch protokolliert um dieses Gespräch so intim wie möglich zu führen und die Befragten auf das qualitative Interview vorzubereiten.

2.3.2.2.4 Zur Dokumentation der Erhebung

Ebenso wie in Phase I wurden die Interviews per Tonbandaufzeichnung dokumentiert. Auch hier gelten die Mayring’schen Vor- und Nachteile (vgl. Mayring 2002: 115), die sich jedoch in Phase I als adäquat erwiesen hatten. Die Protokollierung fand wiederum durch die Technik der wörtlichen Transkription statt, wobei der Interviewende eigene schriftliche, während des Gesprächs gemachte Aufze- ichnungen in die Auswertung mit einfliessen ließ, um einige verbale Missverständnisse auszuräumen und den Kontext zu re-affirmieren.

2.3.2.2.5 Zur Wahl und Anwendung der Auswertungsmethode

Zur Auswertung wurde erneut auf die Technik der qualitativen Inhaltsanalyse zurückge- griffen. Es wurde darauf geachtet, die Erfahrungen jedes Interviews zu evaluieren, um diese dann im kommenden zu integrieren. Die Auswertungsmethode war erneut die Zusammenfassung, die diesmal auf die Ergebnisse des Gruppeninterviews als kate- gorisierenden Input zurück greifen konnte. In Folge nun das Lamnek’sche Schema (vgl. 1993: 216ff), um zusammenfassend auf die Analyse der drei Gespräche überzuleiten:

2.3.2.2.6 Zum Vorgehen der Auswertung

1. Festlegung des Materials: Es wurden alle drei Einzelinterviews einzeln ausge- wertet. Zusätzlich wurde noch die Browser-History von zwei Teilnehmenden in die Analyse mit einbezogen. 2. Analyse der Entstehungssituation: die drei an den Befragungen teilnehmenden chinesischen Austausch-Studierenden hatten sich freiwillig dazu bereit erklärt, an

Empirie 120 den Einzelinterviews teilzunehmen. Wie angegeben wurden auch Auswahlkriterien wie demographische, geographische, soziale und subjektive Aspekte mit in den Auswahlprozess integriert. Durch die Situation der Einzelgespräche war es möglich, Kontext und Bedeutung des Gesagten in umfassender Weise zu erfassen. Die Einzelsituation ermöglichte auch eine individuellere Fragestellung die Befragten selbst betreffend. Die Teilnehmenden wurden gebeten, dem Interviewenden einen Auszug aus ihrer Browser-History zu geben, um ihr Surfverhalten in Österreich zu dokumentieren. 3. Formale Charakterisierung: Das Material lag als wörtliche Transkription in englis- cher Sprache vor. Zusätzlich waren Aufzeichnungen des Forschenden in schriftlicher Form gegeben. Als drittes wurden zwei Browser-Histories mit integriert, die von zweien der Befragten im Zeitraum zwischen 1. Januar und 12. Januar angelegt wur- den. Die Histories sind im Anhang (Kapitel 5: Anhang) zu finden. 4. Richtung der Analyse: Die Analyse sollte der forschungsleitenden Fragestellung folgen. Wichtig waren dabei Perspektiven, Meinungen und Ansichten der Befragten. 5. Theoriegeleitete Differenzierung der Fragestellung: Die Fragestellungen wurden mit den Ergebnissen der Empirie-Phase I unterfüttert. Dadurch war es möglich, ziel- und themenorientierter vorzugehen, gleichzeitig aber explorativ und qualitativ-ver- ankert, die individuelle Perspektive der drei Befragten mit aufzunehmen. 6. Bestimmung der Analysetechnik: Die Analysetechnik war die Zusammenfassung (vgl. Mayring 2002: 116), mit Hilfe der aus der Theorie generierten Indikatoren-Kate- gorien.

Empirie 121 2.3.2.2.7 Zur Darstellung der Analyse

Die folgende Analyse wird zusammengefasst und nach den vorgegeben Kategorien strukturiert dargestellt.

2.3.2.2.7.1 Praktiken der Internetnutzung

Die Befragte wurde nach Veränderungen im Internetnutzungsverhalten gefragt. Diese Fragen hatten vor allem im Sinn, die individuelle Perspektive herauszufiltern. Heißt: zu fragen, welche Veränderungen die Befragten an sich selbst feststellen konnten. Die Befragten gaben an, in folgenden Bereichen ihr Nutzungsverhalten geändert zu haben:

• Nutzung von Zugangs-Geräten Die Nutzung von mobilen Geräten ist leicht nach oben gegangen, die Nutzung von Desktop-Geräten leicht nach unten. Insgesamt stellten die Befragten hier keine größere Veränderung fest, vor allem der Zweck der Nutzung blieb gleich: Decktop-Geräte für akademische Zwecke und mobilen Geräte zur Kommunika- tion mit SNS-Plattformen und dem SNIMS WeChat.

• Nutzung von Videoplattformen und Unterhaltungsangeboten: Eine Befragte, die in China gewöhnlich viele Videos auf der chinesischen Plat- tform Youkou konsumierte, gab an, nun vermehrt englisch-sprachige Videos auf YouTube anzuschauen. Dies macht sie zur Unterhaltung.

• Nutzung von SNS und SNIMS Die Befragten gaben einstimmig an, zur Kommunikation mit den österreichis- chen Kontakten rein die Plattform Facebook zu verwenden. Zwei von ihnen waren schon seit längerem registriert, eine hatte sich beim Beginn des Aufen- thaltes in Österreich registriert. Die Nutzung von chinesischen Plattformen ist stark zurück gegangen, weil die Kommunikation auf diesen in China vor allem die unmittelbare Lebenswelt bet- rifft.

Empirie 122 Zur Kommunikation untereinander und mit den sozialen Kontakten in China wurde vermehrt ausschließlich auf WeChat gesetzt, was durch die niedrigen Kosten des mobilen Internets in Österreich begründet wurde. Es waren sich aber alle einig, dass sich diese Nutzungsveränderungen zurück in China wiederum ändern würden, da beispielsweise Facebook dort blockiert ist und keiner ihrer sozialen Kontakte auf der Plattform einen Account hat:

yeah. but i dont know how many of my friends has facebook in china but i think little. because they cant use facebook. and if all their friends dont have facebook, we also dont chose facebook, because the all my friends dont have, so i have a facebook, if there is not a friend on my facebook its lonely, so we will chose communication, social media, we have friends, we have a lot of friends on it, we can share thinks, we can enjoy things, can talk about thinks, you know and you can find a topic, we all know the topic, and we can have a talking. but if we dont have a topic, if we dont have friends to pay attention to this topic to this things we will quick give it up. (#00:06:18-3#)

• Nutzung anderer Suchmaschinen Da die in China hauptsächliche genutzte Suchmaschine Baidu bei englisch- oder deutschsprachigen Suchergebnissen schlechter abschneidet als Google, wurde vermehrt Google genutzt. Das lag nicht nur daran, dass mit Hilfe von Google und anderen westlichen Suchmaschinen, für die akuten Lebensumstände relevan- teren Informationen entdeckt werden konnten, sondern auch an der User Expe- rience.

2.3.2.2.7.2 Motive der Internetnutzung

• Informationssuche Das Internet wurde vermehrt dazu genutzt um Informationen zu akademischen Zweck zu finden. Die Befragten stellten auch fest, dass sie keine Unterhaltungs- seiten mehr, sondern eher informative Angebote nutzten.

• Interpersonelle Kommunikation Um mit der Heimat oder Bekanntschaften in Österreich zu kommunizieren, wurde vermehrt auf eMail gesetzt. Auch IP-Telefonie-Software fand mehr Nutzung als in China. IMS wie QQ wurden fast gar nicht mehr benutzt.

Empirie 123 Eine der Befragten gab an, dass, seit sie in Österreich ist, sie insgesamt viel mehr mit anderen Menschen kommuniziert, sei es nun digital oder auf face-to- face Ebene.

• Unterhaltung Die Befragte gab an, fast gar keine Spiele mehr auf ihrem Smartphone zu spie- len, was sie selbst als eine sehr fundamentale Veränderung beschrieb

Games are a waste of time i think. #00:01:24-5#.

2.3.2.2.7.3 Einstellungen der Internetnutzung

Auf Österreich

• Vor allem durch den Aufenthalt in Österreich stellten die Befragten fest, wie wichtig ihnen digitale Kommunikation und der Zugang zum Internet ist:

yeah, but its very important to us. its very interesting, one people come to one place they will find no wifi first. #00:09:09-5#

• Die Interviewten wurde gebeten, aus einer subjektiven Perspektive Unterschiede in der digitalen Kommunikation und Internetnutzung in Österreich zu benennen. Der ih- nen am auffallendste Unterschied war die hohe Nutzung von eMails in Österreich.

• Ein weiterer Unterschied war die geringe Nutzung von Smartphones in der Öf- fentlichkeit.

• Die Befragten glaubten, dass Österreicherinnen und Österreicher dem Internet viel weniger Bedeutung zuweisen, als es die Austausch-Studierenden aus China gewöhnt sind.

• Die Kommunikation zwischen den Menschen am Telefon oder per Text kam ihnen in Österreich quantitativ gesehen viel kürzer vor.

• Das Mediensystem Österreichs wurde als pluralistischer als das chinesische gesehen.

Empirie 124 Auf China

Angesprochen auf die Frage, ob sich ihre Einstellung bezüglich der politischen Struk- turen des Internets in China geändert hat, gab es unterschiedliche Meinungen. Eine der Befragten gab an, ihr eigener Begriff von Freiheit hätte in Österreich einen anderen Widerhall gefunden. Für sie war Freiheit:

yeah its very interesting for us, its owned by the person and dont have any relation with the state. but when we came here , oh its also related to the state. so in my own opinion, we dont think its so freedom. i think the freedom you must have, dont have any rela- tionship with the state thats the freedom. #00:05:32-6#

Bei der Frage, was die Befragten von den politischen Strukturen des Internets in China, respektive Blockierung und Zensurierung kritischer Inhalte, halten würden, gab es dif- ferenzierte Aussagen, die vom Forschenden bezüglich des biographischen Hintergrunds der Befragten interpretiert werden: die beiden weiblichen Befragten, die zum ersten Mal im Ausland waren und dabei zum ersten Mal mit einer anderen Kultur in Berührung gekommen waren, gaben sehr objektiv durchdachte Antworten:

because there are too many people in china. if everybody have a different opinion, some opinion is wrong and if you write this com- ment, it may cause some bad thing, so the government block it and i think its good for the society. #00:01:39-7#

Durch die Größe und Vielfältigkeit der chinesischen Gesellschaft muss es also einen korrigierenden Einfluss durch die Regierung geben, um den inneren Zusammenhalt nicht zu gefährden. Zu diesem Punkt gab es eine weitere interessante Aussage: obwohl es bei der Mehrheit der chinesischen Bevölkerung durchaus legitim ist aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität repressiv einzugreifen, hätte eine in- tellektuelle und sozial-gehobenere Minderheit der Chinesen durch technische und formelle Bildung die Möglichkeit, die Blockierungsmaßnahmen zu umgehen, sei es durch das „Überspringen der Mauer“, oder die Umformulierung von sensiblen Begriffen und Insider-Phrasen. . Eine andere Befragte sprach davon, dass die Blockierung von gewissen Informationen, nicht legitim ist:

but its a bad thing, we cant find anything on the internet. #00:04:39-9#

Empirie 125 Dies wurde durch eine weitere Aussage bestätigt, die beinhaltete, dass es durch die politischen und ökonomischen Veränderungen in China in den letzten zehn Jahren zu sozialer Ungleichheit gekommen ist, die eine Gefahr für die politische Stabilität darstellt:

let me think. I think the government don’t want you to know more about the other countries opinion about china, yes. they want to, yes you know, now china there is many contradicts, poor people rich people the government the publics many contradicts in china and there is many angry publics ,i think especially the poor guys the poor folks, yes and they don’t want let these the public sees the contradicts to know about how the other country like the west- ern country yes, say about china, yeah, so they only say some bad thing about party, i think the internet freedom is based on the media freedom, the media freedom is based on the journalism freedom, but now china the journalism freedom don’t have any possibility to change a thing now, until now or in five or six year, yes. only the journalism free- dom has been changed, has been more free, more open, yes i think. internet freedom will go to reality. so yes the internet, the firewall is because it got, they dont wanna publish that information from the foreign country and now the journalism means the chi- nese can in the mass communication market talk more about the chinese, the china the government the party. only the things in chi- na has been solved, all of the things about foreign country cant be solved you know, yes. #00:02:03-7#

Angesprochen auf die Frage, ob sich im Laufe des Aufenthalts in Österreich gewisse Einstellungen bezüglich der politischen Strukturen des Internets verändert hätten, gaben die Befragten an, dass es nur in gewissen Details so sei. Eine der Befragten war zu der Meinung gekommen, dass Meinungspluralismus eine gewisse Legitimität aufweist, wobei der Grad an Meinungen nicht zu weit auseinander differenzieren darf und immer noch auf dem Fundament des Gedankens der sozialen Stabilität stehen sollte.

Die zweite Befragte gab an, erst in Österreich von den Ereignissen am Tiananmen-Platz in Beijing 1989 gelesen zu haben. Sie war verwundert, dass dies in chinesischen Medi- en und auch in der Schulerziehung nicht thematisiert wurde, obwohl die ganze restliche Welt das Ereignis stark mit China assoziiert. Sie hatte sich für die Zukunft vorgenom- men, mehr ausländische Medienangebote zur Informationssuche zu nutzen, um auch Dinge mitzubekommen, zu denen sie sonst keinen Zugang hat:

I think everybody have right to speak there thoughts about this country this world, they have the right, but the government or the public they should give the people the right #00:09:53-2#

Empirie 126 2.3.2.3 Empirische Phase III

Die chinesischen Austauschstudierenden reisten Anfang Februar 2014 von Salzburg zurück nach China, wo sie fast unmittelbar wieder mit dem Studium an ihrer Heimatuni- versität weitermachten. Kurz vor ihrer Abreise war damit der untersuchte Verlauf abgeschlossen. Deshalb sollte an diesem Punkt eine weitere Erhebung durchgeführt werden.

Die erkenntnisleitende Fragestellung der dritten Empirie-Phase galt grundlegend den Veränderungen des Internetnutzungsverhalten der chinesischen Austausch-Studieren- den und der Frage, ob diese auch nach ihrer Rückkehr nach China von Dauer sein kön- nten. Es wurde also nach Veränderungen im grundsätzlichen Kommunikationsverhalten, dem Einsatz von Tools und der Suche nach Informationen gefragt. Weiters wurde der Frage nachgegangen, ob sich die Motive der Internetnutzung verän- dert haben. Dies geschah auch auf Grund der Ergebnisse der ersten beiden Phasen, die ergeben hatten, dass das Motiv der Unterhaltung eine der wesentlichsten Verän- derungen war. Ein drittes Ziel lag darin, herauszufinden ob durch die Konfrontation mit der österreichis- chen Kommunikationskultur auch Interesse am Land Österreich entstanden war. Die Frage stand im Zeichen der in dieser Masterarbeit angestrebten Völkerverständigung. Ein viertes Ziel war durch die angewandte Erhebungsmethode des Gruppeninterviews vorgegeben: die Darstellung der drei erwähnten Ziele in einem kulturellen Kontext.

2.3.2.3.1 Zur Wahl der Erhebungsmethode

Ähnlich zur Phase eins wurde die Technik des Gruppeninterviews als Erhebungsmeth- ode gewählt. Es wurde teil-standartisiert mit Hilfe eines Leitfadens vorgegangen, der die forschungsleitenden Fragestellungen behandelte. Die Wahl der Erhebungsmethode hatte den gleichen Grund wie in Phase I, nämlich die individuellen Meinungen und Aussagen zu einem kulturellen Kontext verdichten zu kön- nen (vgl. Schnurr 1997: 71). Das Gruppeninterview ist, wie erwähnt, die geeignetste Methode um qualitativ kulturelle Besonderheiten und Gemeinsamkeiten erheben zu können. Die möglichst offene Perspektive war ebenso ausschlaggebend (vgl. Mayring 2002: 12).

Empirie 127 2.3.2.3.2 Zur Wahl der Untersuchungseinheiten

Es wurde versucht, die Gemeinsamkeiten der Befragten hinsichtlich der genannten Ziele zu erforschen: möglicherweise dauerhafte Veränderungen in den Motiven, Einstel- lungen und Praktiken des Internetnutzungsverhaltens der chinesischen Austausch- Studierenden. Teilgenommen hatten drei der Teilnehmenden an Phase I, die nicht an Phase II teilgenommen hatten; dies wurde aus dem Grund der Gesamtheit vollzogen: je mehr Befragte, desto objektiver die Ergebnisse (vgl. Mayring 2002: 87). Das Auswahlkriterium war neben der obligatorischen Bereiterklärung der Befragten ebenfalls Vorgespräche, in denen sich Unterschiede zu den Teilnehmenden der Phase II herauskristallisierten: obwohl sie sich in Alter und sozialem Hintergrund ähnelten, studierten die Befragten nicht an der Universität in Shanghai, sondern in Beijing. Dadurch war eine gewisse geographische Varianz der endgültigen Forschungsergeb- nisse gegeben. Interessanterweise formierten sich die Studierenden aus Beijing, die eine Minderheit in der Gruppe der am MCM Programm teilnehmenden Austausch-Studierenden bildetet, auch im Alltag und auf Reisen in Europa als eigene, von den anderen abgetrennte Gruppe. Das wurde in den Vorgesprächen thematisiert. Die Befragten studierten Kommunikationswissenschaft, was ihre Perspektive gesamt- gesellschaftlicher machte, da sie über wissenschaftliches Vorwissen von Praktiken in der chinesischen digitalen Kommunikationskultur verfügten. Die drei Teilnehmenden hatten folgenden biographischen und sozialen Hintergrund:

• B1, 21 Jahre, weiblich. Ihr Vater war Beamter in der Provinzregierung von Beijing, ihre Mutter Grundschullehrerin. Sie war gebürtig aus Beijing. • B2, 20 Jahre, weiblich. Ihr Vater war Professor an einer Universität in Beijing. Ihre Mutter Hausfrau. Sie war gebürtig aus Beijing. • B3, 24 Jahre, weiblich. Ihr Vater war Bauingenieur, ihre Mutter war bei einer Ver- sicherung angestellt. Sie war aus der inneren Mongolei.

2.3.2.3.3 Zur Anwendung der Erhebung

Das Gruppeninterview fand am 29. Januar 2014, wenige Tage vor Rückkehr der chine- sischen Austausch-Studierenden nach China statt. Im Gegensatz zum Gruppeninter-

Empirie 128 view in Phase Eins wurde vermehrt unter Vorgabe des Leitfadens in das Gespräch eingegriffen, um die Ergebnisse und Antworten thematisch konzentrieren zu können. Dies wurde nach den Vorgaben von Flick (vgl. 2002: 174) vollzogen: die Leitung war weich, obwohl gezielt Personen angesprochen wurden, die relativ wenig Beiträge liefer- ten.

Das Gruppeninterview fand im selben Raum statt, wie die Erhebungen von Phase I und II. Der Raum hatte sich vom Aufbau und der technischen Infrastruktur her als geeignet erwiesen und lag nicht weit entfernt von der Fakultät, an der die Teilnehmenden studierten. Vorab wurde die Thematik des Gesprächs kommuniziert, ebenso wie die Versicherung, die Personen anonym zu halten. Das Gespräch wurde mit Hilfe einer Tonbandaufzeich- nung dokumentiert, was ebenfalls im Voraus und mit Einverständnis der Teilnehmenden klar gestellt wurde. Die Konversationssprache war wieder englisch, wobei sich interessanterweise zeigte, dass die Studierenden aus Beijing höhere Fremdsprachenskills aufwiesen als die aus Shanghai. Durch die Vorgespräche und den persönlichen Umgang des Forschenden mit den Teilnehmenden machte sich von Anfang an eine vertraute und offene Atmosphäre bemerkbar, die sich positiv auf das Gespräch auswirkte. Es wurden sonst keinerlei Aufzeichnungen geführt.

2.3.2.3.4 Zur Dokumentation der Erhebung

Das Gruppeninterview wurde auf Tonband aufgezeichnet um das Gesagte zur späteren Auswertung darstellen und wiedergeben zu können (vgl. Mayring 2002: 92). Es wurde versucht, innerhalb des Gespräches Kontext und non-verbale Kommunikation durch Nachfragen und Spezifizieren zu minimieren. Die Technik der Aufzeichnung hatte sich schon in Phase I und II bei der Auswertung als geeignet erwiesen, was ein Hauptgrund der Wahl war.

Das auf Tonband aufgezeichnete Gruppeninterview wurde wörtlich transkribiert, ohne viele literarische Anpassungen zu vollziehen. Die semantische Dimension des Gesagten ist also erhalten geblieben. Die Transkription ist im Anhang (Kapitel 5: Anhang) zu fin- den.

Empirie 129 2.3.2.3.5 Zur Wahl und Anwendung der Auswertungsmethode

Es wurde erneut die qualitative Inhaltsanalyse gewählt (vgl. Mayring 2010: 48ff), um die Ergebnisse kategorisiert auf die forschungs- und erkenntnisleitende Fragestellung hin zu strukturieren und zu analysieren. Es wurde die Technik der Zusammenfassung gewählt, um das der Phase zugrunde liegende Ziel der Darstellung von Gemein- samkeiten erfüllen zu können.

2.3.2.3.6 Zum Ablauf der Auswertung

1. Festlegung des Materials: das ganze Gruppeninterview wurde durch die qualitative Inhaltsanalyse ausgewertet. 2. Analyse der Entstehungssituation: drei der schon an Phase I teilgenommenen Austausch-Studierenden wurden bezüglich der erkenntnisleitenden Fragestellungen befragt. Dies geschah im Einvernehmen mit den Studierenden, die aus Gründen der geographischen Varianz und einer gesamtheimlichen Forschung ausgewählt wur- den. Dabei handelte es sich um drei weibliche Studierende aus Beijing, die wie alle anderen Kommunikationswissenschaft und Journalistik studierten. Sie waren 20, 21 und 24 Jahre alt und aus der sozialen Mittelschicht Chinas. Zum Zeitpunkt der Be- fragung befanden sie sich fast vier Monate in Österreich und standen kurz vor ihrer Rückkehr nach China. 3. Formale Charakterisierung: das Material lag als wörtliche Transkription vor, die fast keinen Änderungen unterlegen war. 4. Richtung der Analyse: die Analyse wurde deduktiv anhand der Indikatoren der Forschungsfrage durchgeführt 5. Theoriegeleitete Differenzierung: Neben den theoretischen Kategorien wurde wieder auf die Veränderungen aus einer persönlichen Sicht gefragt. 6. Bestimmung der Analysetechnik: Das gewählte Verfahren war das der Zusam- menfassung. Dadurch konnten vor allem Gemeinsamkeiten bei den Antworten her- ausgestellt werden.

Empirie 130 2.3.2.3.7 Darstellung der Analyse

Die Ergebnisse der Analyse werden strukturiert nach den Kategorien des Internet- nutzungsverhaltens dargestellt.

2.3.2.3.7.1 Praktiken der Internetnutzung

• Es war eine erhebliche Veränderung im Nutzen der Tools zu bemerken. Die SNS RenRen und Weibo wurden für die Kommunikation innerhalb Österreichs von Face- book abgelöst, für die Kommunikation mit sozialen Kontakten im Ausland von WeChat. Vor allem sie sozialen Funktionen des Tools WeChat, das als SNIMS sowohl durch Chatfunktionen, one-to-one-Kommunikation anbietet, wie auch durch soziale Tools, one-to-many, wird als legitimer Nachfolger von anderen SNS genannt. Zusätzlich ist der Faktor wichtig, dass WeChat rein mobil basiert ist.

• Auch die Suche nach Informationen wird vor allem durch WeChat vollzogen: viele der Informationsanbieter und Massenmedien haben in China einen WeChat-Account, der - ähnlich wie Twitter - als Organ dient, Informationen anzubieten.

All people are prefer to use wechat. #00:04:28-9#

• Digitale Kommunikation fand vor allem mobil statt. Das ist „more conve- nient“ (#00:05:24-7#) für den Lebensstil der Austausch-Studierenden in Österreich. Eine der Befragten gab an, hierbei einer fundamentalen Veränderung unterlegen zu sein: in China hat sie ihr Smartphone nur zum telefonieren benutzt.

• Durch die chinesische Firewall, die nach innen und nach außen blockt, konnten sie auch nicht auf gewohnte Informationsangebote zugreifen, weshalb sie versuchten, Al- ternativen im englischsprachigen Internet zu finden.

• Die Nutzung von Suchmaschinen hatte sich ebenso geändert, auch Informationen be- treffend, die China thematisieren. Dies wurde erneut durch die Firewall begründet, die auch nach außen blockt.

Empirie 131 2.3.2.3.7.2 Motive der Internetnutzung

• Die chinesischen Austausch-Studierenden gaben als weitere Veränderung an, Unter- haltungsangebote - seien es nun Filme, Spiele, Serien - in Österreich viel weniger zu nutzen, obwohl sie mehr Zeit dazu haben. Für die geringere Filmnutzung gaben sie als Begründung an, dass in China die Copyright-Situation von chinesischen wie auch europäischen oder US-amerikanischen Serien und Filmen viel weniger restriktiv ist als in China. Auch konnten sie keine Sportgroßereignisse im Internet sehen, weil diese gesperrt sind. In China ist das anders, dort ist es möglich, legal Inhalte dieser Art zu konsumieren.

• Alle Befragten gaben an, aus Neugierde Informationen gesucht zu haben, die in Chi- na nicht verfügbar sind. Sie gaben auch an, diese Informationen durch soziale Platt- formen nach China kommuniziert zu haben. Einer der Befragten versuchte sogar, zu Ereignissen in China, von denen sie durch WeChat erfahren hatte, Angebote aus- ländischer Medien zu suchen. Sie begründete das damit, dass er verschiedene und möglichst offene Perspektiven auf die politischen Vorgänge haben will:

So i research something in the middle. I think it is very important for me to do this on different aspects to know.... (#00:07:58-1#)

• Politische Informationen betreffend, gaben die Befragten an, dass sie nach dem Aufenthalt in China voraussichtlich mehr und tiefer nach solchen suchen würden. Eine der Befragten hatte sich sogar darüber informiert, wie es technisch leicht und einfach wäre, die Firewall zu überwinden. Eine der Befragten gab an, sich einen VPN zulegen zu wollen um auf Plattformen wie YouTube und Facebook zugreifen zu können.

• Für akademische Zwecke wurde Google Scholar genutzt, was eine völlig neue Er- fahrung für die Studierenden bot: in China ist es selten, dass wissenschaftliche Arbeit- en und Forschungsergebnisse im Internet publiziert werden.

• Zwei der Befragten gaben an, aktuelle Informationen und Berichterstattungen fast nur in chinesischer Sprache zu suchen, nicht in englischer.

Empirie 132 2.3.2.3.7.3 Perspektiven der Internetnutzung

• Keiner der Befragten nutzte österreichische Medien, was natürlich auch durch die Sprache bedingt war. Andererseits mangelte es ihnen am Interesse für die Vorgänge in Österreich. Ihr Hauptfokus lag immer auf China und darin, für sich neue Perspektiv- en auf diese Vorgänge zu eröffnen, was in China durch die politischen Strukturen nicht möglich gewesen wäre.

• Für die Befragten war es auffällig, dass in Österreich die Kommunikation eher auf schriftlicher und digitaler Ebene ablief. Telefongespräche waren sehr selten und im Vergleich zu China gering.

• Ihnen fiel auch im Umgang mit Österreicherinnen und Österreichern auf, dass diese sehr wenig Spiele am Smartphone spielen.

• Sie bemerkten, dass die Anmeldung für eine SIM-Karte in Österreich anonym ist. In China hingegen muss jede SIM-Karte mit den persönlichen Daten verknüpft wer- den: um eine SIM-Karte zu kaufen braucht man also einen Ausweis.

• Die Breitband-basierte Internetgeschwindigkeit in Österreich ist im Vergleich zu China gleich schnell. Die mobile ist in Österreich jedoch erheblich langsamer, da in China alle schon das LTE-Netz nutzen, das zum Zeitpunkt der Erhebung in Österreich erst eingeführt wurde.

• Für die Befragten war es auffällig, dass Ereignisse und Vorgänge, die in China offen publiziert, aber jedoch geringe Aufmerksamkeit gefunden hatten, in Europa in den Massenmedien im großen Umfang publiziert wurden:

News is not new… (#00:00:36-9#)

Empirie 133 2.3.2.4 Empirische Phase IV

Der Verfasser dieser Masterarbeit reiste selbst von Februar bis Juli 2015 nach Shang- hai, China und nahm dort am universitären Programm, sowie am Alltagsleben in China teil. Er integrierte sich damit in die digitale Kommunikationskultur in China, da er das In- ternet und digitale Medien zur sozialen und akademischen Kommunikation nutzte.

Die erkenntnisleitende Fragestellung in der vierten Phase des Forschungsdesigns galt grundlegend der digitalen Kommunikationskultur in China und den individuellen Verän- derungen, denen der Forschende bezüglich seines Internetnutzungsverhaltens unter- worfen war. Dies sollte die Forschungsfrage umkehren und die Bestätigung der Arbeits- hypothesen auf diese Weise untersuchen. Die Ziele waren durch die vorherigen Phasen und Kategorisierungen festgelegt und können damit einzeln wie folgt benannt werden: Einerseits sollte erforscht werden, ob es zu grundsätzlichen Veränderungen im Kommu- nikations- und Internetnutzungsverhalten gekommen ist. Dies geschah unter den Vorzei- chen, dass sich auch bei den chinesischen Austausch-Studierenden in Österreich Veränderungen ergeben hatten. Die Kategorien die zuvor gebildete wurden, galten dabei als Forschungsgegenstände. Das zweite Ziel war die Perspektive auf die chinesische digitale Kommunikationskultur. Dazu sollte die individuelle und subjektive Perspektive des Forschenden, der vier Monate in China verbrachte, ausgewertet werden und im Zusammenhang mit den Ergebnissen aus den anderen Empirie-Phasen verglichen werden.

Da beide Teilziele nicht durch eine bestehende Methode abdeckbar waren, wurde für den Aufenthalt in China ein eigenes Methodendesign entworfen, das mit Hilfe der kul- turanthropologischen Ethnographie, der kommunikationswissenschaftlichen Ethnogra- phie der Kommunikation und Teilbereichen aus teilnehmender Beobachtung und Selb- stbeobachtung gebildet wurde.

Empirie 134 2.3.2.4.1 Zum Design der Erhebungsmethode

Als Erhebungsmethode wurde die qualitative Technik der ethnographischen teil- nehmenden Beobachtung mit der Variante der Selbstbeobachtung kombiniert. Die Beobachtungssituation war offen, ohne Stimulus und fand in einer Feldsituation statt. Zur Erhebung wurde die unstrukturierte Protokollierung gewählt, die Beobachtungen waren indirekt, heißt also die Auswirkungen des Aufenthalts auf das Verhalten.

Zur Erklärung dient folgende Hinführung: Neben den befragenden Methoden und der Inhaltsanalyse der qualitativen Sozialforschung, die linguistische - also verbale und lit- erarische - Daten oder Dokumente als Untersuchungsgegenstand fokussieren, nimmt die Beobachtung Praktiken und Handlungen von Individuen oder Gruppen als Aus- gangslage, um die forschungsleitenden Fragestellungen zu beantworten und soziale Prozesse sinngemäß zu erfassen und wissenschaftlich-fundiert zu erklären:

„Die wissenschaftliche Beobachtung ist die systematische Erfassung und Protokol- lierung von sinnlich oder apparativ wahrnehmbaren Aspekten menschlicher Handlungen und Reaktionen, solange sie weder sprachlich vermitteln sind noch auf Dokumenten basieren. Sie dient einem wissenschaftlichen Ziel, dokumentiert ihr Vorgehen und legt alle relevanten Aspekte offen.“ (Gehrau 2002: 25f, zit. n. Brosius/Koschel 2012: 169)

In dieser Definition liegen die Grundsätze der Methode der Befragung offen: Wie jede andere Methodik erfordert die Beobachtung objektive Überprüfbarkeit durch maximale Transparenz. Sinnlich bedeutet das Zugegensein eines oder einer Beobachtenden, welche die durch das Verhalten sichtbaren Phänomene wahrnimmt und protokolliert. Apparativ als Option bedeutet, dass die Protokollierung durch Messgeräte aufgezeich- net wird. Der Kern der Definition liegt aber in der Unterscheidung der erhobenen Daten die sprachlich oder literarisch vermittelt sind: „Dies ist deshalb notwendig, damit wir die Inhaltsanalyse und die Befragung als eigenständige Methoden von der Beobachtung abgrenzen können.“ (Brosius/Koschel 2012: 170). Jedoch ist es wichtig anzumerken, dass sprachlich vermittelte Daten, solange sie innerhalb der Beobachtung stattfinden - also innerhalb der beobachteten sozialen Situation - als valide gelten und deshalb auch in die Erhebung und Auswertung mit einfließen dürfen. Eine auf der genannten Defini- tion von Beobachtung aufbauende und die genannte Unschärfe integrierende, ist fol- gende:

Empirie 135 „Die wissenschaftliche Beobachtung ist die selektive und systematische Erfassung und Protokollierung von sinnlich wahrnehmbaren Aspekten prinzipiell sichtbaren men- schlichen Verhaltens. Die Erfassung beruht auf einem hierfür konzipierten Erhebungsin- strument und kann durch menschliche Beobachter oder apparative Vorrichtungen erfol- gen. Sie beruht auf einer wissenschaftlichen Fragestellung, ist in ihrem Vorgehen inter- subjektiv nachprüfbar und wiederholbar, indem alle relevanten Aspekte offen gelegt werden.“ (Brosius/Koschel 2012: 171).

Die Beobachtung wird auf drei Ebenen systematisiert (vgl. Brosius/Koschel 2012: 182): Auf der Beobachter-Ebene kanadischen drei Varianten gewählt werden: dem internen beziehungsweise dem extern beauftragen Beobachter, der Selbst- oder der Fremd- beobachtung und der teilnehmenden oder nicht teilnehmenden Beobachtung. Auf der Ebene der Beobachtungssituation wird zwischen der offenen und der verdeckten Beobachtung, dem Feld- beziehungsweise Feldversuch und der Beobachtung mit Stim- ulus oder ohne gewählt. Die Ebene des Erhebungsverfahrens differenziert zwischen vier Aspekten: der Protokollierung, der direkten Beobachtung oder der indirekten Beobach- tung über die Verhaltensresultate, der unvermittelten Beobachtung oder der durch Aufzeichnungen vermittelten Beobachtung.

Eine Variante welche den kulturellen Kontext in die Erforschung mit einbezieht, ist die ethnographische Beobachtung. Mit den Methoden der Ethnographie werden die sozialen, kommunikativen Situationen erforscht. Ihr Kernstück ist die „fundamentale Re- flexivität“:

„Jede Sozialforschung basiert auf der menschlichen Kapazität zur teilnehmenden Beobachtung und der Fähigkeit zu deren Reflexivität.“ (Leontiy 2009: 209)

Die Ethnographie ist vor allem im englisch-sprachigen Raum vertreten und ist dort kein Gegensatz, sondern Teil qualitativer Forschungsmethoden (vgl. Knoblauch 2001: 123). Ziel dieser anthropologischen Methode ist es „to grasp the native’s point of view, his Re- lation to life, to sense his vision of his world“ (Malinowski 19922: 25, zit. n. Rauffelder 1999: 120). Es geht dabei darum, das menschliche Leben in seiner Gesamtheit zu er- fassen und kulturelle Strukturen und Regeln aufzuzeigen.

Empirie 136 In der Kommunikationswissenschaft kommt dabei die Methode der Ethnographie der Kommunikation zur Anwendung, die Strukturen und Muster von Interaktion, Kommu- nikation und Situationen untersucht (vgl. Knoblauch 2001: 125). Anstatt zu versuchen, ganze Kulturen zu beschreiben, wird dabei der Teilaspekt der Kommunikation betrachtet - was im Sinne Halls eigentlich das gleiche ist.

Eine der dabei häufig angewandten Erhebungsmethoden ist die teilnehmende Beobach- tung. Durch die Teilnahme der oder des Forschenden am sozialen Leben der Unter- suchten, wird es für sie oder ihn möglich, die Perspektive der Untersuchten einzunehmen. Ein wichtiger und immanenter Grundsatz der teilnehmenden Beobach- tung ist auch in der Grounded Theory verortet: die Datenanalyse stellt „keine isolierbare Forschungsphase dar, sondern ein dialektisches Zusammenspiel von Datenerhebung und Datenanalyse“ (Leontiy 2009: 210.).

Ebenso Variante der teilnehmenden Beobachtung ist die Selbstbeobachtung. Hierbei wird aber nicht die Umgebung beobachtet, sondern die Reaktion des oder der Forschenden auf die Umgebung. Diese Vorgehensweise wirft gewisse Kritikpunkte auf. Dadurch, „dass das Vorgehen und die Ergebnisse schlecht intersubjektiv nachvol- lziehbar und somit auch nicht durch andere replizierter sind“ (Brosius/Koschel 2012: 183), kann nur die oder der Beobachtende nachvollziehen, wie die Ergebnisse zustande gekommen sind. Das soll aber nicht bedeuten, dass diese Methode keinen wis- senschaftlichen Bestand hat, lediglich muss versucht werden, die die Vorgehensweise und die Ergebnisse so intersubjektiv wie möglich darzustellen, gerade weil bei der Forschung bewusst eine subjektive Perspektive gewählt wurde (ebd.).

Grundsätzlich ist keine genaue Abtrennung der Selbst- und der Fremdbeobachtung möglich, da die Veränderungen im Internetnutzungsverhalten natürlich am Forschenden selbst erforscht, seine Perspektive auf die digitale Kommunikationskultur in China durch viele aus dem Alltag gezogene Erfahrungen und Eindrücke gewonnen wurde und eigentlich auch als teilnehmende Beobachtung definiert werden könnte. Doch es ist durchaus möglich, gewisse Mischformen der Methode Beobachtung zu en- twerfen (vgl. Stier 1999: 165). Außerdem würde eine stringente Trennung beider Teil- methoden dem Ziel ethnographischer Forschung entgegen stehen, einen gesamt- heitlichen Eindruck zu gewinnen, zu erheben, darzustellen und zu interpretieren (vgl. Bettmann/Roslon 2012: 23).

Empirie 137 Eine dieser Mischformen ist die Methode der beobachtenden Selbstbeobachtung, deren Grundprinzip es ist, „den Forscher, der im Selbstversuch die zu untersuchende Praxis zu seiner eigenen macht und sich dabei selbst beobachtet“ (Heimerdinger/Scholtz 2007: 93). Dieses Verfahren ist aber nur unter zur Hilfenahme einer oder eines zweiten Forschenden möglich, der die oder den erfahrenden und selbstbeobachtenden Forschenden regelmäßig und systematisch zu dessen Erfahrungen interviewt. Das war im Fall der Phase IV nicht möglich. Auch konnte eine weitere Voraussetzung der beobachtenden Selbstbeobachtung nicht durchgeführt werden: im Fall von China als Beobachtungsfeld, war es vor allem bedingt durch die Sprache nicht möglich, im an- thropologisch und ethnographisch-korrekten Sinn in die Kultur einzutauchen. Es musste also eine weitere Mischform gewählt werden, die im Methodendesign der ethnographischen, teilnehmenden Selbstbeobachtung ihren Ausdruck fand:

Die in einer normalen teilnehmenden Beobachtung oft nicht explizit ausgewiesenen El- emente der Reflexion und des Selbstversuchs wurden dabei in den Fokus gerückt, in- dem Erlebnisse und Erfahrungen des Forschenden bei der Nutzung des Internets, aber auch in alltäglichen Situationen, welche die Nutzung des Internets und digitaler Medien durch Chinesinnen und Chinesen betraf, in introspektiven Berichten protokolliert und mit Fotografien und Aufzeichnungen der Internetnutzung durch Browser-Histories kom- biniert wurde. Das Methodendesign stellt dabei auf keinen Fall eine Entschärfung der Subjektivismus- Gefahr dar (Bortz/Döring 1995: 240), kann aber im Rahmen des Forschungsdesigns durchaus zur Beantwortung der forschungsleitenden Fragen beitragen.

Empirie 138 2.3.2.4.2 Zur Wahl der Beobachtungseinheiten

Bevor auf die weiteren Schritte der methodischen Vorgehens eingegangen wird, müssen die Beobachtungseinheiten dargestellt werden, um den wissenschaftlichen Standards der qualitativen Methode der Beobachtung zu genügen.

„Die Einheit der Beobachtung ist die Beobachtungseinheit. Sie wird über Beobachtungs- feld, Beobachtungsobjekt und Beobachtungsfall definiert. Die Beobachtungseinheit entspricht dem Merkmalsträger, über den später Aussagen getroffen werden.“ (Brosius/Koschel 2012: 189)

Das Beobachtungsfeld, das durch räumliche und zeitliche Begrenzungen vorgegeben wird, ist der Aufenthalt des Forschenden zwischen März und Juni 2014 in der digitalen Kommunikationskultur in China. Das Beobachtungsobjekt ist der Forschende selbst, also sein Internetnutzungsverhal- ten, seine Motive und Einstellungen der Internetnutzung. Ebenfalls fallen darunter Er- fahrungen des Forschenden, die er während seines Aufenthalts in Alltagssituationen beobachten konnte. Der Beobachtungsfall ist ebenso das Internetnutzungsverhalten des Forschenden während des Aufenthalts. Damit wird sicher gestellt, dass die Handlungen des Forschenden insgesamt erfasst wird (vgl. Brosius/Koschel 2012: 190).

2.3.2.4.3 Zur Durchführung der Erhebung

Der Erhebungszeitraum wurde auf den Zeitraum von März bis Ende Juni 2014 festge- setzt. Durch die konstruierten Kategorien waren die Fokuspunkte der Erhebung bereits im Vorfeld klar: das Nutzen des Internets bezogen auf Art, Tools und Dienste, Zweck, und Ort sowie die dazu verwendeten Zugangsgeräte. Zusätzlich wurde darauf geachtet, Veränderungen festzustellen, indem introspektiv ein Vergleich mit dem Internet- nutzungsverhalten in Österreich gezogen wurde. Das war auch dadurch möglich, weil sich die Motive der Internetnutzung nicht grundlegend unterschieden: Das Internet wurde hauptsächlich zur interpersonellen Kommunikation, zur Informationssuche und zur Unterhaltung genutzt.

Empirie 139 Ebenso wurde in normalen Alltagssituationen darauf geachtet, wie sich Chinesinnen und Chinesen bezüglich der Internetnutzung verhalten. Dies ist laut Geertz (vgl. 1983: 23ff) durchaus möglich, da ethnographische Forschung immer nur von der Mikroebene auf die Makroebene schließen kann:

„Die Herangehensweise des Ethnographen ist dabei eine mikroskopische, d.h. Aus- gangspunkt der Analyse sind alltäglich kleine Situationen.“ (Raufelder 1999: 137)

Es muss angemerkt werden, dass der ethnographische Ort der Erhebung hauptsächlich auf die chinesische Megacity Shanghai beschränkt war, die mit ca. 24 Millionen zwar dreimal so viele Einwohner wie Österreich fasst, aber nur 15% der Einwohner Chinas. Auch gilt sie als die kosmopolitischste und internationalste Stadt Chinas, was urbane Kultur, Geschichte, Ausländeranteil, ökonomische Situation, Modernisierung und „Men- talität“ der Bevölkerung betrifft (vgl. Schwaiger 2006). Sie kann dadurch nicht als typisch für China beschrieben werden. Die dort beobachteten Verhaltensweisen wurde aber auch in ruralen Gegenden und in anderen Städten wie Beijing oder Suzhou gemacht.

2.3.2.4.4 Zur Dokumentation der Erhebung

Die Beobachtung lässt eine Varianz von Techniken zur Dokumentation und Protokol- lierung zu, die Spanne reicht dabei von vollkommen strukturiert bis vollständig unstruk- turiert (Brosius/Koschel 2012: 187): Unstrukturierte Beobachtungsprotokolle kommen dann zum Einsatz, wenn der Unter- suchungsgegenstand wenig erforscht ist. Die Beobachtenden protokollieren dabei frei in ihren eigenen Worten, entweder in Echtzeit oder im Nachhinein aus ihrem Gedächtnis. Die strukturierte Beobachtung hingegen wird eingesetzt, wenn der Beobachtungsge- genstand im Vorhinein klar ist und es schon gewisse Studien gibt, die sich mit ihm au- seinandergesetzt haben. Dadurch ist es möglich, im Vorfeld ein Beobachtungsschema zu erstellen, das mit Hilfe festgelegter Kategorien der Einordnung des beobachteten Verhaltens dienen. Die teilnehmende Beobachtung wird mit Hilfe von Feldnotizen, Tagebuchführung und Protokollen, sowie Gedankennotationen, Fotografien und Sprachaufnahmen dokumen- tiert (vgl. Leontiy 2009: 210).

Empirie 140 Für diese Forschung wurde die Protokollierung mit Hilfe von Tagebuchführung, der nachträglichen Auswertung von Browser-Histories und Fotografien dokumentiert: Während des gesamten Aufenthalts wurden handschriftliche introspektive Tagebuch- Aufzeichnungen verzeichnet. Diese orientierten sich der Form nach den Feldnotizen teilnehmender Beobachtungen (vgl. Strauss/Corbin 1969) und beinhalteten die Beschreibung der Handlungen und deren Motive, sowie das Benennen von uner- warteten Krisen. Fotografien wurden in normalen Alltagssituationen gemacht, wenn dem Forschenden Besonderheiten ins Auge fielen. Die Browser-Histories des Surfverhaltens wurden im Nachhinein vor allem für die Analyse verwendet, um genauere Anhaltspunkte und Zeiten nachweisen zu können.

2.3.2.4.5 Zur Wahl und Anwendung der Auswertungsmethode

Im Sinne der Methoden der Kultur- und Sozialanthropologie wurden die erhobenen Dat- en mit Hilfe der aus der Theorie konstruierten Kategorien kodiert. Das Kodieren von Feldnotizen bedeutet:

„Unter dem Kodieren der gesammelten Daten versteht man einen Prozess, bei dem Teile der Daten z.B. bestimmte Textausschnitte aus den Feldnotizen mit ausgewählten Begriffen bzw. Kategorien verknüpft werden. Diese Begriffe bzw. Kategorien werden Kodes genannt. In der Bezeichnung des Kodes kommt der Inhalt des Datenausschnitts auf eine kurze, prägnante und vergleichsweise abstrakte Weise zum Ausdruck.“ (Halbmayer/Salat 2011: o.S.)

2.3.2.4.6 Zur Durchführung der Auswertung

1. Festlegung des Materials: es wurden alle aufgezeichneten Feldnotizen und Daten analysiert 2. Analyse der Entstehungssituation: die Erhebung fand im Zeitraum von März bis Juni 2014 in Shanghai, China statt und inkludiert dabei selbstbeobachtete Verän- derungen des Internetnutzungsverhaltens sowie Beobachtungen in Alltagssituatio- nen

Empirie 141 3. Formale Charakterisierung: das Material lag in Form von handschriftlichen Noti- zen, Fotografien und digitalen Daten den Browser-Verlauf beinhaltend vor. 4. Richtung der Analyse: die Analyse sollte die Daten hinsichtlich der aus den vorherigen Phasen gezogenen Ergebnissen evaluieren und bezogen auf die theo- retischen Kategorien untersuchen. 5. Theoriegeleitete Differenzierung: Hauptfokus lag auf den Veränderungen, die durch die Selbstbeobachtung erhoben wurden. Die Differenzierung der Daten fand anhand der Kategorien Motive, Einstellungen und Praktiken der Internetnutzung statt. 6. Bestimmung der Analysetechnik: Das gewählte Verfahren war das der zusam- menfassenden Kodierung.

Empirie 142 2.3.2.4.7 Darstellung der Analyse

In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der ethnographischen Methode dargestellt, wobei im Sinne des reflexiven Forschungsberichtes als Technik der Darstellung auf eine konkrete Einteilung der Kategorien verzichtet wird. Es wird dabei die Darstellung in einem subjektiven aber neutralen Stil gewählt, was eine zulässige Weise der Darstellung ethnographischer Forschungsergebnisse ist und damit die Intersubjektivität fördert (vgl. Reichertz 1992: 333). Somit stellen die folgenden Ab- schnitte den Versuch dar, den ethnographischen Forschungsaufenthalt des Forschen- den auch reflexiv zu beschreiben. Reflexiv deshalb, weil die Reflexivität zu einem der vier Grundpfeiler des ethnographischen Arbeitens gehört: „Die Forschende sollte in ihrer Eigenschaft als Forschungsinstrument betrachtet werden“ (Leontiy 2013: 134). Damit soll letztendlich eine Position zwischen Korrespondenz und Konstitution eingenommen werden, die zugleich innere und äußere Situation der ethnographischen, teilnehmenden Selbstbeobachtung beschreibt.

2.3.2.4.7.1 Bezug des Forschenden zum Forschungsgegenstand

Als Studierender der Kommunikationswissenschaft, der im Wintersemester 2014/2015 mit den chinesischen Austausch-Studierenden bereits Kontakte knüpfen konnte, hatte ich sowohl akademisches wie privates Interesse an meinem Aufenthalt in China und der dortigen Situation die digitale Kommunikationskultur. Durch die Interviews mit den Aus- tausch-Studierenden hatte ich einen fundierten Einblick in das digitale Leben in China gewonnen und war gespannt, ob es sich wirklich so sehr von dem in Österreich unter- schied, wie die Interviews und die theoretischen Vorarbeiten ergeben hatten. Ich bezeichne mich selbst als Digital Native: ich benutze die gängigen Tools, nutze SNS wie Facebook und habe darüber hinaus durch mein Studium einen theoretischen Zu- gang zu Thematik der Digitalisierung. Mein Lebensmittelpunkt liegt seit Beginn meines Studiums in Österreich, weshalb ich mir selbst ein österreichisches Internet- nutzungsverhalten zuschreibe. Ich nutze das Internet hauptsächlich zur privaten wie professionellen Kommunikation, zur Unterhaltung durch Videos und Musik und zur In- formationssuche durch Blogs und digitalen Nachrichtenanbietern. Dabei suche ich vor allem nach politischen, ökonomischen und kulturellen Informationen. Ich nutze das In- ternet ebenfalls zur Zeit- und Freizeit-Verwaltung und Gestaltung. Ich verfüge dabei

Empirie 143 über einen mobilen Computer und ein internetfähiges Mobiltelefon, Zugangsgeräte, die ich auch beide mit nach China nahm. Gerade durch den genannten theoretischen Zugang sind für mich die politischen Poten- tiale des Internets als globalisierendes und demokratisierendes Medium sichtbar, wobei die Beschäftigung mit dieser Perspektive meinen anfänglichen Enthusiasmus über die Zeit hinweg gedämpft hat.

2.3.2.4.7.2 Aufenthalt in China

Obwohl ich einen Kulturschock (vgl. Luger 1999) erwartet hatte, traf dieser trotz der so gänzlich anderen Kultur nicht merkbar ein. Vor allem die von mir bereisten Megacities Shanghai, Beijing und Suzhou präsentierten sich anfänglich wie europäische Großstädte, nur in viel größeren Dimensionen. Erst mit der Zeit wurden mir die funda- mentalen Unterschiede zwischen österreichischem und chinesischem Zusammenleben bewusst. China zeigte sich mir zusammengefasst als Land der Unterschiede und des Wandels. Im Gegensatz zu Shanghai, das auf Grund seiner Geschichte eng mit den damaligen Besatzungsmächten England und Frankreich verbunden ist, war es die chinesische Hauptstadt Beijing, die mir erst die Augen für das chinesische Leben öffnete. Am inter- essantesten dabei waren die Hutongs, die meiner Ansicht nach die Materialisierung der Hofstede’schen Kollektivismus-Dimension darstellen: Hutongs sind kleine selbst-verwal- tete Viertel, in denen eine Gemeinschaft von Menschen zusammenlebt und ein eigenes soziales Teilsystem in der 20 Millionen-Einwohner Stadt bildet. Die Viertel sind von einem engen Zusammenhalt geprägt und symbolisieren das traditionelle China inmitten der modernisierten Stadt (vgl. Goldman 2013: 5). Shanghai hingegen merkt man die westliche Prägung deutlich an: die Architektur der Gebäude, der hohe Anteil an internationalen Gästen wie Touristinnen und Touristen oder sogenannten Expats und das große Freizeit-Angebot für diese zeigen das meiner Mein- ung nach deutlich. Ich selbst lebte den Aufenthalt über in einem Studierendenheim für ca. 500 interna- tionale Studierende in der Nähe des Campus der Fudan University und besuchte dort mehrere Kurse im Rahmen des Austauschprogramms MCM.

Empirie 144 2.3.2.4.7.3 Das Internetnutzungsverhalten des Forschenden in China

Einer der ersten und wichtigsten Schritte nach Ankunft in Shanghai war für mich die Or- ganisation des Zugangs zum Internet. Ich brauchte vor allem Zugriff auf meinen Univer- sität-eMail-Account, den die chinesischen Organisatorinnen und Organisatoren des MCM-Programms zur Kommunikation mit den österreichischen Teilnehmenden verwen- deten. Das Studierendenheim in dem ich lebte, bot für eine monatliche Zahlung von ca. 10 € Internetzugang per Heimnetzwerk an. Die Universität bot in den einzelnen Fakultäten ebenfalls Internetzugang an, dieser konnte nur mit Hilfe der individuellen, personenbe- zogenen Studierenden-Nummer verwendet werden. Für mein Smartphone erwarb ich eine Guthaben-Wertkarte mit der Datenbegrenzung von 1GB im Monat, die monatlich auch ungefähr 10 € kostete. Hierbei musste ich die Hilfe eines der Austausch- Studierenden in Anspruch nehmen, da SIM-Karten nur unter Vorzeigen eines chinesis- chen Passes und dem Abgleich der persönlichen Daten mit einer Kartei verkauft wer- den. Die Nutzung des Internets durch ein mobiles Zugangsgerät, solange diese über die Netze der chinesischen Mobilfunkanbieter läuft, ist in China also nie anonym.

2.3.2.4.7.3.1 Motive und Praktiken

Die Erfüllung meiner eigenen Bedürfnisse und Motive, die Nutzung des Internets betref- fend (interpersonelle Kommunikation, Informationssuche für akademischen und persön- lichen Alltag, Unterhaltung), erwies sich als schwierig:

Während Websites und Web-Angebote wie Google, Twitter, YouTube und Facebook gesperrt und nur über die Verwendung eines schon in Europa eingerichteten VPN- Servers begrenzt zugänglich waren, gab es einen großen Unterschied in der Zugriffs- geschwindigkeit bei Inhalten, die auf chinesischen oder ausländischen Servern gespe- ichert waren. Dies ist theoretisch auf die Infrastruktur des chinesischen Servernetzes zurückzuführen, da dieses nur durch wenige Knotenpunkte (sogenannte „Backbones“) mit den internationalen Servern verbunden ist. Ebenfalls werden diese Knotenpunkte durch die „Great Firewall of China“ automatisiert und manuell überwacht und kontrolliert (vgl. Becker 2011: 61), wodurch Daten in zweifacher Hinsicht begrenzt werden.

Empirie 145 Gerade diese Geschwindigkeitsbegrenzungen machte die Ausübung des aus Österreich gewöhnten Internetnutzungsverhaltens sehr mühsam und wird deshalb von mir als einer der Hauptgründe der Veränderungen bezeichnet.

Die Kontrolle des Zugangs auf Inhalte und Angebote, die auf ausländischen Servern lagerten, machte sich in allen drei Motivbereichen meiner Nutzung bemerkbar. Im Bere- ich der Informationssuche war die Blockierung der Suchmaschine Google ein erster ein- schränkender Faktor. Obwohl der Zugang zu google.hk - die auf Servern in Hongkong lagernde, chinesisch- und englischsprachige Version der Suchmaschine, die als einzige Version von China aus erreichbar ist - grundsätzlich möglich, beziehungsweise erlaubt war, war diese oft gar nicht, oder nur unter mehreren Versuchen erreichbar.

Andere englisch- oder deutschsprachige Suchmaschinen wie Bing oder Yahoo waren hingegen schneller zu erreichen, da ihre Betreiberunternehmen die chinesischen Vor- gaben und Bestimmungen zur Selbstkontrolle akzeptieren und ausführen (vgl. Kapitel 2.3.3). Bei Wikipedia waren vor allem meist die englischsprachigen Unterangebote gar nicht zu erreichen, die deutschsprachigen brauchten lange Zeit, bis sie sich aufgebaut hatten. Die von mir gewohnt-benutzten deutschsprachige Online-Nachrichten-Portale (presse.com, süddeutsche.de, standard.at, etc.) waren - verbunden mit einiger Wartezeit - grundsätzlich alle zu erreichen, englischsprachige wie BBC und USA Today hingegen komplett blockiert.

Fallbeispiel 4. Juni Um die wahrscheinlich auch von lingualen Faktoren abhängige Auswahl von zu blockierenden und nicht-zu-blockierenden Inhalten durch die chinesischen Zen- surierungs-Systeme zu illustrieren, wird folgender am 4. Juni 2014 stattgefun- dene Selbstversuch angeführt: Im Vorfeld des 25. Jahrestages der politischen Vorfälle auf dem Tiananmen-Platz in Beijing am 4. Juni 1989 wurde von vielen, von mir in China rezipierten, öster- reichischen und deutschen Online-Medien kolportiert, China würde seine Inter- netzensurmaßnahmen verstärken, um zu verhindern, dass chinesische Bürg- erinnen und Bürger mit ausländischen Interpretationen der Ereignisse in Berührung kommen (vgl. SpiegelOnline 2014). Auch aus wissenschaftlicher Per- spektive wird durch empirische Studien bestätigt, dass ausländische Inhalte im Kontext der Vorfälle 1989 als politisch sensibel gesehen und deshalb blockiert

Empirie 146 werden. Im Jahr 2005 90 Prozent aller chinesischen und 32 Prozent aller englis- chsprachigen Inhalte (vgl. ONI 2005: 31). Das nahm ich zum Anlass, die Reichweite der Zensurmaßnahmen individuell zu prüfen, indem ich am 4. Juni mit Hilfe der Suchmaschinen Baidu, bing.cn und yahoo.cn (bei beiden letzteren in englischer Sprachversion) nach Kontextbegriff- en wie „Tiananmen 1989“ suchte und die Ergebnisse testete. Während Bing und Yahoo als Ergebnisse zwar Links lieferten, die auf ausländische Inhalte von CN- N.com, ABC Online und Huffington Post zielten, waren diese direkt nicht zugänglich. Baidu verlinkte hingegen neben chinesisch-sprachigen nur auf en- glisch-sprachige Inhalte zugänglicher chinesischer Seiten, in deren angegebe- nen Kurzbeschreibungen das von vielen westlichen Angeboten zu r Beschrei- bung der Ereignisse verwendete Wort „Massaker“ keine Erwähnung fand. Bei Wikipedia war der englisch-sprachige Artikel über die Vorfälle gesperrt, wobei sowohl der deutsch- als auch der französisch-sprachige zugänglich waren.

Interpersonelle Kommunikation In Österreich versuche ich, interpersonelle Kommunikationsplattformen professioneller und privater Natur in gewisser Weise voneinander abzutrennen. Während ich in Öster- reich hauptsächlich die digitalen Angebote Facebook und WhatsApp zur interperson- ellen Kommunikation auf privater Ebene benutze, konzentrierte sich dieses Motiv in China auf den Social Network Instant Messaging Service WeChat. Facebook wird neben Twitter in China seit 2009 blockiert, wofür es sowohl politische, ökonomische als auch datenschützende Gründe gibt (vgl. Wauters 2009: o.S.). WhatsApp ist zwar ver- fügbar, konnte aber mit meiner chinesischen Handynummer nicht verknüpft werden. Da fast 90% der chinesischen Internetnutzerinnen und -Nutzer auf ihren Mobilgeräten die WeChat-Applikation nutzen, lag diese Veränderung der Nutzung von Tools auch am bekannten Matthäus-Effekt (vgl. Merton 1985: 141) begründet: Zur Kommunikation mit chinesischen wie auch mit österreichischen sozialen Kontakten in China musste ich WeChat verwenden.

Unterhaltung Während die Videoplattform YouTube grundsätzlich gesperrt ist und andere österreich- ische, europäische und US-amerikanische digitale Unterhaltungsangebote durch die geringe Zugriffsgeschwindigkeit für mich an erheblichem Reiz verloren, konnte ich in

Empirie 147 Hinblick auf Filme und TV-Serien Alternativen finden, die ebenso geeignet waren, mein Motiv der Unterhaltung zu erfüllen: es standen verschiedene chinesische Videoplattfor- men zur Verfügung, die, öffentlich zugänglich und werbefinanziert, viele neue Medien- produkte in englischer Sprache anboten. Ob diese durch die Produzenten lizensiert waren, konnte ich nicht feststellen. Die Qualität und vor allem die Verbreitung der Pro- dukte ließ aber den Schluss auf Copyright-Verstöße nicht zu. Trotzdem gab es hier natürlich wiederum eine Einschränkung des Angebots, was auch eine Einschränkung meines Internetnutzungsverhaltens bezüglich dem Beweggrund der Unterhaltung nach sich zog, da die augenblickliche Verfügbarkeit von gewünschten In- halten nicht mehr gegeben war.

2.3.2.4.7.3.2 Einstellungen

Vor allem im öffentlichen Raum unterscheidet sich die Interaktion zwischen den Men- schen in China von der Interaktion in Österreich. Kleine Details, die in der Summe doch einen großen Unterschied ausmachen; ob es nun das freundliche Gespräch zwischen zwei Geschäftsmännern in der vollbesetzten U-Bahn in Ruflautstärke ist, oder die Smartphone-Fixierung von Chinesinnen und Chinesen im persönlichen Gespräch.

Fallbeispiel Tohee-Gruppe An einem Fallbeispiel kann die Sicht der österreichischen Austausch-Studieren- den auf die politischen Strukturen des Internets in China nachvollzogen werden: Wie erwähnt, war das soziale Leben stark durch die Nutzung des SNMS WeChat verknüpft. So auch im Studierendenheim, wo viele der dort lebenden interna- tionalen Studierenden in WeChat-Gruppen organisiert waren. Diese dienten all- gemein dem Erfahrungsaustausch und dem Planen von Freizeitaktivitäten. In einer dieser Gruppen, in der auch mit ca. 50 anderen Personen Mitglied war, wurde eines Tages von einem der internationalen Studierenden die Thematik von illegalem Suchtgift angesprochen. Innerhalb von wenigen Stunden verließen alle österreichischen Mitglieder die Gruppe aus Angst, diese könnte von chine- sischen Sicherheitsbehörden überwacht und die Mitglieder dadurch kriminalisiert werden. Das Thema der Überwachung fand sich in den meisten Gesprächen über das Internet in China wieder. Von einigen der österreichischen Austausch-Studieren- den wurden Beispiele genannt, in denen Informationen, die höchstwahrschein-

Empirie 148 lich auf chinesischen Servern lagerten, über Nacht nicht mehr zugänglich waren. Die Angst vor der totalen Überwachung der Kommunikation im chinesischen In- ternet machte sich bei manchen auch im Verhalten bemerkbar, indem gewisse ausländische Angebote nicht mehr genutzt wurden.

Meine eigene Perspektive auf die chinesische Kommunikationskultur war natürlich durch die Einschränkungen meiner Nutzungsgewohnheiten geprägt. Auf Grund der zeitlichen Begrenzung meines Aufenthalts, stand ich diesen aber gelassen gegenüber. Trotzdem hatte ich teilweise das Gefühl einer möglichen Einschränkung, die sich dadurch bemerkbar machte, dass ich mein digitales Verhalten im Vorab auf kritische Handlungsweisen überprüfte. Die großen real-sozialen Widersprüchlichkeiten, die ich in China beobachten konnte (arm/reich, ländliche Bevölkerung/urbane Bevölkerung, westlicher Lebensstil/asiatischer Lebensstil, Minderheitensituation), weckten in mir aber auch den Eindruck, dass es eine erhöhte soziale und politische Kontrolle bedarf, die gesellschaftliche Stabilität zu erhal- ten. Diese Meinung wurde auch in vielen Gesprächen mit Einheimischen bestätigt.

Meine Sicht auf die digitale Kommunikationskultur änderte sich während und durch den Aufenthalt nicht. Auch hat sich mein Internetnutzungsverhalten wieder an den Vor-Zus- tand angepasst, die Veränderungen, die nur in den Praktiken abzusehen waren, hatten keine nachhaltige Wirkung. Die Befragten gaben an, ein grundsätzliche Veränderungen im digitalen Kommunika- tionsverhalten aufzuweisen. Dies macht sich hauptsächlich im Nutzen der Tools be- merkbar. Sie posten weniger auf sozialen Plattformen, sondern nehmen eher Tools wie WeChat in Anspruch, um interpersonelle Kommunikation mit Einzelpersonen zu be- treiben. Das Kommunikationsverhalten mit Kontakten in China wurde insgesamt schriftlicher und digitaler, da die Kosten für mobiles Internet in Österreich viel geringer sind als in China.

Empirie 149 2.4 Überprüfung der Hypothesen

Zum Abschluss des Begründungszusammenhangs folgt nun die Überprüfung der Ar- beitshypothesen anhand der Ergebnisse der empirischen Forschung.

2.4.1 H1 - Digitale Kommunikationskultur und Internetnutzungsverhalten

Die erste Arbeitshypothese untersucht den Einfluss der digitalen Kommunikationskultur auf das individuelle Internetnutzungsverhalten. Aus der Theorie konnte gezeigt werden, dass in der politischen Strukturierung des Internets, hohe Unterschiede zwischen Öster- reich und China existieren. Ebenfalls wurde auf Grund der Domestizierungsthese angenommen, dass Internet nicht als Medium die Nutzung beeinflusst, sondern nur als Infrastruktur in den kulturellen Rahmenbedingungen verwendet wird. Dadurch würde es zu keinen signifikanten, individuellen Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens während des Aufenthalts in einer anderen digitalen Kommunikationskultur kommen. Die Arbeitshypothese lautete deshalb:

H1: Je ausgeprägter die nationalen Unterschiede des Internets zwischen zwei Ländern, desto geringer die Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens eines Individuums während des Aufenthalts im anderen Land.

Die zur Beschreibung der Veränderung des Internetnutzungsverhaltens nötigen Indika- toren, konnten in den Feldern Motive, Einstellungen und Praktiken der Internetnutzung kategorisiert werden. H1 geht also davon aus, dass es bei den chinesischen Austausch- Studierenden in diesen Kategorien zu keinen signifikanten Veränderungen gekommen ist. Darauf bezogen, lassen die Ergebnisse der Empirie folgende, auf H1 bezogene Zusammenfassungen zu:

Veränderungen in den Motiven Die Motive der Internetnutzung werden in Informationssuche, Unterhaltung und inter- personelle Kommunikation eingeteilt. Insgesamt konnten in der Empirie zwar Verän- derungen festgestellt werden, diese sind aber nur als graduell und nicht als fundamental zu sehen. Die größte Veränderung war im Faktor der Unterhaltung zu finden, wobei

Überprüfung der Hypothesen 150 diese nur auf die Praktiken der Unterhaltung bezogen sind. Sowohl in China als auch in Österreich waren die Motive und deren Ausprägung grundsätzlich gleich.

Veränderungen in den Einstellungen Bei den Einstellungen der Internetnutzung kam es auf Seite der chinesischen Aus- tausch-Studierenden zu gewissen Veränderung, was der Vergleich zwischen Anfangs- und Endzustand des Internetnutzungsverhaltens während des Aufenthalts in Österreich belegt. Die Einstellungen zur österreichischen Kultur änderten sich im Verlauf des Aufenthalts dahingehend, dass die vorherige Unwissenheit einer positiven Betrach- tungsweise wich. Vor allem die Pluralität und Meinungsfreiheit wurden also positive As- pekte der digitalen Kommunikationskultur in Österreich herausgestellt. Auch die Meinung über die politischen Strukturen des Internets in China änderten sich mit der Zeit im geringen Maße: wo vorher noch Beschränkungen im Internet durch die soziale Stabilität begründet wurden, wurden nachher die Möglichkeiten der un- eingeschränkten Suche und der Redefreiheit in Österreich als positiv bewertet. Dieses Ergebnis muss jedoch differenziert betrachtet werden, da das Argument der sozialen Stabilität immer noch auf einer gesellschaftlichen Ebene angewandt wurde, nur nicht mehr auf der persönlichen.

Veränderungen in den Praktiken Innerhalb der Praktiken waren die größten Veränderungen festzustellen. Die Nutzung von SNS und SNIMS war nicht mehr ausschließlich auf chinesische Angebote begrenzt, auch im Internet in Österreich zugängliche Plattformen wurden genutzt. Innerhalb des Aspekts der Nutzung von Unterhaltungsangeboten gab es eine Um- schichtung von Spielen auf Videos und Musik. Sehr interessant war der Aspekt der Nutzung von Tools zur Umgehung von Zensurmaß- nahmen: während in Phase I bei den meisten der Befragten zwar das Wissen bestand, dass es solche Tools gab, erklärten die Befragten von Phase II und III ihren Willen, solche Tools in China auch zu nutzen. Diese Aussage konnte aber aus im Forschungs- design liegenden Gründen nicht valide überprüft werden. Eine erhebliche Veränderung konnte bei der Nutzung von Suchmaschinen und Nachrichtenportalen verzeichnet werden: es wurde bewusst nach Informationen gesucht, die in China nicht zugänglich sind, mit der Begründung, die eigene Perspektive erweitern zu wollen.

Überprüfung der Hypothesen 151 Synthese Aufgrund der Ergebnisse aus der Empirie muss H1 widerlegt werden. De facto kam es zu Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens während des Aufenthalts im anderen Land. Jedoch sind diese differenziert zu betrachten: während die Motive die gleichen blieben, passten sich die Praktiken an die Möglichkeiten an. Die Einstellungen waren nur geringeren Veränderungen unterworfen. Eine Umkehr der Arbeitshypothese (je höher die Unterschiede, desto höher die Verän- derungen…) würde also genauso eine Widerlegung erfahren.

Überprüfung der Hypothesen 152 2.4.2 H2 - Nationalkultur und die individuelle Perspektive

H2 diente vor allem dazu, die Validität der Hofstede-Dimension anhand Internet- nutzungsverhaltens zu überprüfen. Da die Individuen durch kulturelle Prägung in den die individuelle Freiheit betreffenden Dimensionen, feststehende Meinungen, Perspek- tiven, Identitäten und Einstellungen aufweisen müssten, dürften sich diese bei Kontakt mit einer anderen Kultur nicht maßgeblich ändern. Würde es aber zu einer Veränderung kommen, müsste sich diese im Internetnutzungsverhalten materialisieren und durch die Einstellungen der Internetnutzung nachweisbar sein. H2 lautete daher:

H2: Je geringer die individuelle Freiheit in einer Kultur, desto weniger Verän- derungen in den Einstellungen der Internetnutzung während des Aufenthalts in einer fremden Kultur.

Nach Hofstede unterscheiden sich die Kulturen Österreichs und Chinas maßgeblich in den Dimensionen, welche die individuelle Freiheit betreffen. Das drückt sich auch in den politischen Strukturen des Internets aus. Die Indikatoren der Einstellungen der Internet- nutzung wurden in die individuellen Perspektive auf die fremde digitale Kommunikation- skultur und die Perspektive auf die eigene digitale Kommunikationskultur aufgeteilt. Veränderungen würden sich also feststellen lassen, wenn sich die beiden Bereich im Laufe des Aufenthalts geändert hätten. Zusammengefasst und auf H2 bezogen, lassen die empirischen Ergebnisse folgende Aussagen zu:

Veränderungen in Einstellungen auf die fremde digitale Kommunikationskultur Der Anfangszustand der chinesischen Austausch-Studierenden war von einer hohen Unkenntnis der Situation in Österreich geprägt. Jedoch wurden im Vergleich mit der eigenen digitalen Kommunikationskultur einige Unterschiede herausgestellt, welche die Behauptung Hofstedes, unterschiedliche Kultur manifestiere sich in allen Bereichen des Lebens, unterstützen könnten. Jedoch lassen diese keinen Rückschluss auf eine Veränderung in der Perspektive auf Österreich zu, nur einen Vergleich zwischen Öster- reich und China. Phase IV ließ auch keine Schlüsse auf Veränderungen der Einstellun- gen zu, da Anfangs- und Endzustand im Grunde gleich blieben.

Überprüfung der Hypothesen 153 Veränderungen in Einstellungen auf die eigene digitale Kommunikationskultur Bei den chinesischen Austausch-Studierenden konnten Veränderungen festgestellt wer- den: beispielsweise sprach eine der Befragten davon, dass sich ihr Begriff von Freiheit im Verhältnis zum Staat geändert habe. Auch konnte durchwegs festgestellt werden, dass die chinesischen Austausch-Studierenden kritischer in Bezug auf Informationen und Informationskontrolle wurden, wobei die grundsätzliche Haltung immer noch als, auf ihre Heimatkultur angepasst beschrieben werden kann. Dies zeigt sich daran, dass zwar Meinungsfreiheit gefordert wurde, diese aber im, von der Zentralregierung, abgesteck- ten Rahmen stattzufinden habe. Die Ergebnisse aus Phase IV lassen auch nicht darauf schließen, dass fundamentale Veränderungen stattfanden

Synthese Es kann klar statuiert werden, dass die Hofstede-Dimensionen Auswirkungen auf die Einstellungen der Internetnutzung haben. Jedoch lässt sich nicht feststellen, ob diese kulturdeterminiert oder strukturdeterminiert sind, da die Korrelation von Phasen I-III und Phase IV widersprüchliche Ergebnisse ergibt. De facto kam es zu Veränderungen der Einstellungen der Internetnutzung bei den chi- nesischen Austausch-Studierenden, jedoch waren auch diese nicht fundamental. Eine Bestätigung von H2 ist deshalb genauso wenig möglich, wie eine Widerlegung.

Überprüfung der Hypothesen 154 2.4.3 H3 - Politische Strukturen und die individuelle Perspektive

Diese Arbeitshypothese untersuchte den Zusammenhang zwischen politischen Struk- turen des Internets und dem Internetnutzungsverhalten als Teilbereiche der digitalen Kommunikationskultur. Da die drei Teilbereiche der digitalen Kommunikationskultur (Strukturen, Inhaltsebene, Nutzung) interdependent wirken, müsste die Struktur Auswirkung auf die Nutzung haben - und im Grunde auch Rückschlüsse auf die Inhalts- ebene zulassen. Auf die Möglichkeiten der empirischen Untersuchung bezogen, negativ formuliert lautete H3 deshalb:

H3: Je autoritärer die Strukturen des Internets in der Heimatkultur, desto geringer die Veränderung der Motive und der Praktiken der Internetnutzung während des Aufenthalts in einem freiheitlich strukturierten Land.

Die Strukturen des Internets in China können ganz klar als autoritär bezeichnet werden, wie sowohl Theorie als auch Empirie bestätigen. Der Zugang zu Informationen ist durch staatlichen Einfluss begrenzt, die Redefreiheit im Internet ebenso.Würden aber die Be- grenzungen wegfallen, müsste sich aus Sicht der Konvergenzthese das Nutzungsver- halten stark ändern, da das Internet deliberativ wirken könnte. Die Bestätigung von H3 würde aber umgekehrt bedeuten, dass politische Strukturen als Teil der Kultur so prä- gend Einfluss auf das Individuum nehmen, dass eine geänderte Umwelt, keine Verän- derungen des Verhaltens nach sich ziehen würde.

Veränderungen der Motive und Praktiken Die Motive der chinesischen Austausch-Studierenden waren in ihrer Gesamtheit keinen Veränderungen unterworfen, jedoch in ihrer Zusammensetzung. Das fand Ausdruck in den Praktiken der Internetnutzung. Vor allem Phase II und III ergaben, dass Suchmaschinen vermehrt genutzt wurden, um Informationen, die in China blockiert sind, zu suchen. In einem Fall wurden diese Infor- mationen sogar durch SNS-Kanäle in China publiziert.

Synthese In einem politischen Kontext kann also ganz klar von bestehenden Veränderungen gesprochen werden. H3 muss damit also widerlegt werden.

Überprüfung der Hypothesen 155 3. Verwertungszusammenhang

Der Verwertungszusammenhang der vorliegenden Arbeit gilt einerseits der Beantwor- tung der Forschungsfrage, andererseits der Interpretation aller Ergebnisse im Kontext des forschungsleitenden Interesses. In einem Fazit werden die Ergebnisse der Arbeit abschließend diskutiert und dazu ver- wendet, einen Ausblick auf weitere Forschungsmöglichkeiten zu bieten.

3.1 Beantwortung der Forschungsfrage

Das forschungsleitende Interesse der vorliegenden Arbeit war die Überprüfung des transkulturellen und des deliberativen Potentials des Internets. Von dieser Makroebene auf die Mikroebene transformiert, wurde anhand der empirischen Untersuchung eines Einzelfalls, folgende Forschungsfrage formuliert:

Inwiefern verändert sich das Internetnutzungsverhalten von chinesischen Aus- tausch-Studierenden in Österreich?

Der erforschte Einzelfall war eng an das universitäre MCM-Programm gebunden, ein Austauschprogramm zwischen Studierenden der Universität Salzburg und der Fudan University in Shanghai. Die Forschungsfrage sollte dazu dienen, das Internet- nutzungsverhalten der chinesischen Austausch-Studierenden auf kulturell-induzierte Veränderungen zu überprüfen, die durch den zeitlich begrenzten Aufenthalt in der digi- talen Kommunikationskultur in Österreich angestoßen wurden.Die ganzheitliche For- mulierung der Forschungsfrage impliziert dabei verschiedene Teilfragen, die im An- schluss, die Ergebnisse dieser Arbeit zusammenfassend, beantwortet werden:

1. Was ist Internetnutzungsverhalten? 2. Kommt es grundsätzlich zu Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens? 3. In welchen Bereichen kommt es zu Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens? 4. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Internetnutzungsverhaltens, China und Österreich? 5. Warum kommt es zu Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens?

Verwertungszusammenhang 156 Was ist Internetnutzungsverhalten?

Das Internetnutzungsverhalten ist in den Kategorien Motive, Einstellungen und Prak- tiken der Internetnutzung systematisiert. Grundsätzlich hat es eine kulturelle und eine individuelle Dimension, da Motive, sowie Einstellungen unter anderem kulturell bedingt werden, während die Praktiken deren Materialisierung im individuellen Handeln sind.- Das Internetnutzungsverhalten ist, neben den politischen Strukturen und der Inhalt- sebene des Internets, Artikulationsebene des Konstrukts der digitalen Kommunikations- kultur. Die digitale Kommunikationskultur ist eine, auf das Internet, die digitale Medien, die Zu- gangsgeräte und deren inhaltlicher Ausprägung und Nutzung bezogene, Perspektive der Kommunikationskultur. Die Kommunikationskultur ist die theoretische Weiterent- wicklung der Medienkultur und integriert deren transkulturellen und deterritorialisieren- den Ansatz durch die These, dass Internet nicht nur medial wirkt, sondern ganzheitlich kommunikativ.

Kommt es grundsätzlich zu Veränderungen?

Diese Frage ist mit einem klaren Ja zu beantworten. Es kommt zu Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens der chinesischen Austausch-Studierenden während ihres Aufenthalts in Österreich, was qualitativ nachgewiesen wurde.

In welchen Bereichen kommt es zu Veränderungen?

Die Veränderungen finden hauptsächlich auf der Ebene der Praktiken statt. Darunter fällt die Nutzung von Suchmaschinen und Nachrichtenportalen mit dem Motiv der Infor- mationssuche, die Nutzung von Social Network Services und darauf basierenden Tools mit dem Motiv der interpersonellen Kommunikation und die Nutzung von Unterhal- tungsangeboten mit dem Motiv der Unterhaltung. Obwohl durch Aussagen, den zukün- ftigen Willen zur Nutzung bestätigt, konnte eine Veränderung in der Nutzung von Tools zur Umgehung von Zensur- und Kontrollmaßnahmen empirisch nicht erfasst werden. Die Orte der Internetnutzung blieben gleich, während es bei den Geräten der Internet- nutzung zu geringen, den jeweiligen Kontext betreffenden Veränderungen kam.

Verwertungszusammenhang 157 Die erwähnten Motive der Internetnutzung, Informationsgewinnung, interpersonelle Kommunikation und Unterhaltung, bleiben in ihrer Gesamtheit gleich, obwohl die Zusammensetzung leicht schwankte. Die Einstellungen der Nutzung, also die durch individuelle und kulturelle Erfahrungen bedingte Perspektive auf die digitale Kommunikationskultur, veränderten sich nur ger- ing. Positive Aspekte der freiheitlichen politischen Strukturen des Internets in Österreich wurden positiv konnotiert, während die autoritären Strukturen in China mit der Notwendigkeit der sozialen Stabilität legitimiert wurden.

Welcher Zusammenhang besteht zwischen Internetnutzungsverhalten, China und Österreich?

Wie im theoretischen Teil der Arbeit festgestellt wurde, unterscheiden sich China und Österreich auf einer interkulturellen und einer kommunikationskulturellen Ebene. Die Möglichkeit, durch qualitative Forschung während des Austauschprogramms zu er- heben, inwiefern diese kulturellen, politischen, kommunikativen und individuellen Unter- schiede, durch den Kontakt eines Individuums mit der jeweils anderen Kultur eine Veränderung anstoßen würde, war auf zwei Ebenen kommunikationswissenschaftlich relevant: auf der Mikroebene, indem die Auswirkung der Kommunikationskultur auf das Individuums beleuchtet wurde und auf der Makroebene, indem das Internet auf transkul- turelle und deliberative Potentiale hin überprüft werden konnte.

Warum kommt es zu Veränderungen?

Die vorliegende Arbeit versuchte, zur Beantwortung dieser Frage partiell beizutragen. Dazu wurden aus der Theorie zwei gegensätzliche Thesen konstruiert: Die transkulturelle Konvergenzthese und die nationalkulturelle Domestizierungsthese. Während die Konvergenzthese dem Internet als Medium ein kulturdeterminierendes Po- tential zuschreibt, weist die Domestizierungsthese dem Internet die Rolle einer Infra- struktur zu, die je nach Nationalkultur eine andere, kulturell und politisch bedingte, Aus- prägung findet.

Bezogen auf die Forschungsfrage, gaben die Thesen zwei Richtungen vor, die Grund der Veränderungen sein könnten. Die Domestizierungsthese negiert eine große Verän- derung, oder auf nachhaltiger Basis, da die Individuen durch die heimatliche Kommuni-

Verwertungszusammenhang 158 kationskultur geprägt sind. Die Konvergenzthese geht davon aus, dass das Medium die Nutzung beeinflusst und es dadurch zu großen Veränderungen kommen müsste, da sich politische Struktur und Nutzungsebene in Österreich und China diametral unter- scheiden. Während die Ergebnisse der Empirie zumindest die Domestizierungsthese widerlegen konnten, waren die Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens der Austausch- Studierenden nicht signifikant genug, um die Konvergenzthese bestätigen zu können.- Das „Warum“ liegt also zwischen beiden Polen und muss durch weiteres, empirisches Vorgehen erforscht werden.

Verwertungszusammenhang 159 3.3 Diskussion und Ausblick

„We should bear in mind that globalization does not necessarily lead to homogenization.“ (Herdin 2014: 160)

Wissenschaft soll dazu beitragen, Strukturähnlichkeiten zwischen Theorie und Wirk- lichkeit zu finden, was auch Ziel dieser Arbeit war. Durch die empirische Forschung und die Beantwortung der Forschungsfrage, konnte ein kleines Puzzleteil in das wis- senschaftliche Rätsel der aktuellen, digitalen Wandlungsprozesse und ihrer globalen Wirkung eingebracht werden.

Die vorliegende Arbeit versuchte anhand der Forschungsfrage, inwiefern sich das Inter- netnutzungsverhalten chinesischer Austausch-Studierender in Österreich verändert, auf drei Ebenen zu neuen Erkenntnissen und weiteren Forschungsmöglichkeiten beizutra- gen: auf einer gesamtgesellschaftlichen Makroebene wurden zwei gegensätzliche Ten- denzen gegenübergestellt.

Auf der einen Seite stand die eng mit dem Social Shaping of Technology-Ansatz verzahnte nationalkulturelle Domestizierungsthese. Diese basiert auf den Theorien des Anthropologischen Managementansatzes, der dezidiert von national geprägten und be- grenzten kulturellen - und damit technologischen, politischen und ökonomischen - En- twicklungen ausgeht. Dieser basiert auf den Untersuchungen des niederländischen Wissenschafters Geerd Hofstedes, der seit den 1980er Jahren individuelle Werte auf interkultureller Basis zwischen über 150 Ländern vergleicht. Der in seinen empirischen Forschungen immanente Kulturbegriff ist klar umgrenzt: so spricht er von einer na- tionalen Programmierung, die auch national bleibt, da sie historisch, philosophisch und von einer - polemisch zu bezeichnenden - Mentalität geprägt ist. Hofstedes Unter- suchungen waren in dieser Arbeit Basis für einen direkten Vergleich zwischen China und Österreich und kamen zu dem Schluss, dass beide Länder in verschiedenen, poli- tisch bedingten Dimensionen, als Gegensätze bezeichnet werden können. Ein weiteres Argument für die Domestizierungsthese findet sich in den Untersuchungen der politis- chen Strukturen beider Länder, die in dieser Arbeit anhand verschiedener Theorien der Deliberation durchgeführt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass trotz gleicher technol- ogischer Fundamente, China, als autoritär-strukturiertes Land, durch strategisch ge- plante und vor allem konsequent-durchgeführte Implementierung autoritärer Strukturen Verwertungszusammenhang 160 in die technologische Infrastruktur des Internets in China, einen Weg gefunden hat, die nicht zu bestreitenden deliberativen Potentiale des Internets als Medium abzufangen und dabei sogar legitimierend einzusetzen. Der darüber stehende Sammelbegriff ist der „Networked Authoritarianism“. Dieser vereint Tendenzen wie die über die Grenzen Chi- nas hinaus bekannten „Internet Incidents“, welche als im digitalen Raum begonnene und später von den traditionellen Massenmedien übernommenen politischen Unruhe- bewegungen bezeichnet werden können, aber im weiteren Verlauf durch die chinesis- che Politik abgefangen und für den Erhalt des Status Quo eingesetzt werden konnten. Ebenso Teil des „Networked Authoritarianism“ sind die verschiedenen Stufen der In- halts-Kontrolle: es gibt die „Great Firewall of China“, die die chinesische Serverstruktur von der internationalen beidseitig trennt: es gibt die „Binnen-Kontrolle“, die durch Verbindungen der Politik und der ökonomischen Netzakteure zu Stande kommt und Inhalte innerhalb des chinesischen Internets durch manuelle und automatische Maßnahmen kontrolliert und es gibt, wie der empirische Teil dieser Arbeit eruieren konnte, eine individuelle Ebene der Zensurierung: die chinesis- chen Nutzenden wissen meist, welche Begriffe und Thematiken durch die Politik als kri- tisch erachtet werden und verzichten somit auf eine Diskussion dieser Themen im digi- talen Raum. Als weitere Säule des „Networked Authoritarianism“ kann der komplexe und interes- sante Ansatz der sogenannten „autoritären Deliberation“ angesehen werden: die chine- sische Politik bietet den Bürgerinnen und Bürgern gewisse digitale Freiräume, wobei diese meist entpolitisiert sind, aber ausreichend scheinen, das oberste Ziel, der Erhalt einer harmonischen Gesellschaft, weitgehend zu unterstützen.

Als Gegenpol scheint die transkulturelle Domestizierungsthese geeignet, die das Inter- net als Medium mit homogenisierender und globalisierender Wirkung sieht. Als Basis zu dieser These diente vor allem die Theorie der Medienkultur von Andreas Hepp, der Transterritorialität als eine der Hauptaktionen von globalen Medienstrukturen sieht. Ob- wohl nicht dezidiert genannt, scheint die Transterritorialität als Vorstufe zur Global- isierung zu dienen, da Internet im Gegensatz zu vorherigen globalen Medien wie dem Fernsehen, sowohl auf der strukturellen, der Inhalts- und vor allem der Nutzungsebene fundamentale Unterschiede mit sich bringen. Das wird auch von verschiedenen kom- munikationswissenschaftlichen Theorien aus dem Kontext der Informationstechnologien und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft unterstützt. Zu Grunde liegen zwei An- nahmen: Kultur wird fast ausschließlich medial erfahren, wobei sich durch das Internet

Verwertungszusammenhang 161 die Produktion von Kultur dahingehend verändert, dass nun alle Individuen in der Lage sind, Kulturgüter und damit Kultur zu produzieren. Als weitere gegensätzliche Eigenschaft kann die enge Verzahnung der These mit dem Technodeterminismus genannt werden. Durch die technologischen und damit sozialen Potentiale des Internets passen sich alle Gesellschaften, frei von kultureller „Program- mierung“ über kurz oder lang, den Potentialen an.

Auf der Mesoebene versuchte die Arbeit einen Beitrag zum kulturwissenschaftlichen, politischen und kommunikationswissenschaftlichen Vergleich zwischen China und Österreich zu leisten. Auf der politisch-kommunikationswissenschaftlichen Ebene be- sagen verschiedenste Theorien, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen dem Internet im Westen, respektive in Österreich und in China gibt: dort befindet sich das Internet chinesischer Prägung. Dieses ist einerseits infrastrukturell durch die Serverstruktur, die Sprache, die Inhalte und den politischen Einfluss bedingt, anderer- seits durch das fundamental unterschiedliche Internetnutzungsverhalten. Während in Österreich eine liberale Strukturierung vorherrscht und die Internetpenetration fast voll- ständig vollzogen ist, kann China im Sinne der Diffusion digitaler Kommunikationstech- nologien immer noch als „Developing Country“ bezeichnet werden. Interessanterweise sind die chinesischen Internetnutzerinnen und -Nutzer in der Nutzung aber viel „sozialer „und vor allem mobiler. Fast 90% nutzen das Internet mobil, ebensoviele nutzen SNS und SNIMS; Dienste, die in Europa und in Österreich noch lange nicht so weit in Quan- tität und vor allem Qualität verbreitet sind, wie das Beispiel von WeChat zeigt. Neben den politischen Strukturen ist diese Verteilung auch als Hauptunterschied zu nennen, der die Frage nach einer möglichen Anpassung aufwirft. Hierbei scheint China gewisse Stufen der Diffusion übersprungen zu haben und auf anderen Stufen weiter en- twickelt zu sein, als Europa und damit auch Österreich.

Ausgehend von diesen Unterschieden auf der Mesoebene stellen sich auch die Ergeb- nisse der empirischen Forschung dar, womit die Mikroebene des Forschungsinteresses behandelt wurde: es wurden die Veränderungen des Internetnutzungsverhaltens von chinesischen Austausch-Studierenden während ihres Aufenthalts in Österreich im Rah- men des MCM-Programms 2013/2014 der Universitäten Salzburg und Fudan University Shanghai untersucht. Dabei konnten folgende zentrale Ergebnisse herausgestellt wer- den, die einerseits die Theorie bestätigten, aber andererseits ebenso die Frage nach der Validität der beiden Thesen weiter verstärkte:

Verwertungszusammenhang 162 Innerhalb der Praktiken der Internetnutzung konnten starke Veränderungen eruiert wer- den, da die mobile Nutzung stieg, es Veränderungen in der Nutzung von Unterhal- tungsangeboten, von sozialen Medien wie SNS und SNIMS und vor allem in der Nutzung von Suchmaschinen zur Informationssuche gab. Auch die Motive der Internetnutzung veränderten sich, wenn auch nicht so stark: es gab eine Umschichtung der Informationssuche von reinen Unterhaltungsangeboten auch zu politischen Angeboten. Dies wurde durch ein individuelles Beispiel erheblich verstärkt: eine der Befragten gab an, erst in Österreich von den Vorfällen auf dem Tianenmen Platz 1989 erfahren zu haben und dann die unzensurierten Möglichkeiten des Internets in Österreich dazu verwendet, weitere Informationen über diese in China politisch als kritisch eingestufte Thematik zu erhalten - und diese letztendlich nach China weiter zu geben. Trotzdem darf auf Grund dieses Einzelfalls nicht der Schluss gezogen werde, dass sich die Einstellungen der chinesischen Austausch-Studierenden auf die Strukturen in der Heimat und die Strukturen in Österreich während ihres Aufenthalts stark veränderten. Obwohl es natürlich Aussagen gab, das Internet und das gesamte Mediensystem in Österreich wäre pluralistischer und meinungsfreiheitlicher gestaltet - und damit individu- ell erstrebenswert -, überwog am Ende immer noch die Meinung, dass in einem Land wie China in Bezug auf eine harmonische Gesellschaft gewisse Begrenzungen und Kontrollen der Meinungsfreiheit notwendig sind. Natürlich können die Befragten nicht als Durchschnitt des chinesischen Volkes gesehen werden, aber vielleicht können Sie ein Meinungsbild der Netz-Elite abbilden, die das In- ternet in China im Grunde ausmacht.

Durch die Verknüpfung des empirischen Teils mit den die Gegensätzlichkeiten der Theo- rie fassenden Konstrukte der transkulturellen Konvergenzthese und der nationalkul- turellen Domestizierungsthese, war es möglich, beide Modelle empirisch zu prüfen. Ob- wohl nur auf einen Einzelfall mit gewissen Besonderheiten bezogen, lassen es die Ergebnisse aus der qualitativen Forschung zu, die Domestizierungsthese in ihrer ex- tremen Ausprägung zu widerlegen: das Internet kann zwar bis zu einem gewissen Grad durch politische Strukturen und Einfluss auf die Inhaltsebene konstituiert werden, wie das Beispiel Chinas zeigt, jedoch trägt das in der digitalen Kommunikationskultur ver- wirklichte, transkulturelle Potential zu einer gewissen Homogenisierung der Nutzung bei. Dies war in den Praktiken und in den Motiven zu sehen. Die Einstellungen jedoch, also Aspekte des Internetnutzungsverhaltens, welche am meisten kulturell - sei es durch

Verwertungszusammenhang 163 Sozialisierung, Bildung oder die an die Allgemeinheit angepasste Nutzung selbst - bed- ingt sind, waren nur marginal Veränderungen unterworfen, wie die empirische Unter- suchung deutlich zeigt. Dies könnte nun auf die kulturelle Programmierung - die pop- ulärwissenschaftlich-formulierte kollektivistische Mentalität - rückbezogen werden, aber genauso mit dem durch Herdin gezogenen Schluss des „State of Separation“ (vgl. 2014): da die chinesischen Austausch-Studierenden nur eine begrenzte Zeit in Österre- ich verbracht, war es für sie nicht effizient, sich eine Haltung anzueignen, welche in Chi- na selbst individuelle Vorteile mit sich bringen würde.

Auf der anderen Seite kann die Konvergenzthese aber auch nicht bestätigt werden, da weder die empirischen Ergebnisse, noch die gegenwärtigen politischen und interna- tionale Vorgänge eine totale Konvergenz der digitalen Kommunikationskulturen, hin zu einer globalen Kommunikationskultur anzeigen. Kultur- auch im Sinne der transkul- turellen Kommunikation - ist in vielen Fällen immer noch territorial, oder sogar national und viele augenscheinliche Gemeinsamkeiten sind ein Phänomen der „cultural surface synchronization“ (vgl. Herdin 2014: 167).

Um zumindest ein Fazit zu ziehen, das sowohl durch die theoretische wie auch die em- pirische Vorgehensweise gestützt wird - und auch von der Erfahrungen des Forschen- den in China selbst seine Begründung findet - kann statuiert werden: Eine eurozentrische Perspektive mit einem demokratisch-normativen Ansatz ist nicht dazu geeignet, ein Land und dessen interne soziale Prozesse zu verstehen, welches sich so sehr in vielen Dimensionen vom Gekannten und Gewohnten unterscheidet. Forschende sollten also so objektiv und neutral wie möglich vorgehen, ohne in Gefahr zu geraten, in eine positivistische Haltung zu verfallen. Denn eines kann über das chi- nesische System gesagt werden: es funktioniert.

Hierzu sollte, um die Diskrepanz aufzulösen, ähnlich wie im Streit zwischen Technikde- terminismus und Social Shaping-Ansatz, ein Mittelweg gefunden werden, der beide Pole zu Eckpunkten macht und das Internet weder als kulturdeterminierend noch kulturde- terminiert, sondern auf eine Skala dazwischen setzt. Und genau hier könnte auch weit- ere Forschungsarbeit ansetzen: Beispielsweise besteht die Möglichkeit, die empirische Forschung zu spiegeln und das Internetnutzungsverhalten österreichischer Austausch-Studierender in China viel um- fassender zu überprüfen, als es im Rahmen dieser Masterarbeit möglich war. Ebenso

Verwertungszusammenhang 164 könnte der Zeitraum ausgeweitet werden und europäische Emigrantinnen und Emi- granten als Gegenstand der Forschung verwendet werden. Ebenso wäre es interessant, andere Länder mit ähnlich rasanter Diffusion des Internets, aber mit weniger autoritären Strukturen zu untersuchen: Indien und Brasilien, welche genau wie China zu den Developing Countries in Sachen Internet zählen, seien hier nur als zwei Beispiele genannt. Eine Frage, die durch diese Arbeit angestoßen wurde, bleibt offen: inwieweit wirkt Internet transkulturell?

Grundsätzlich kann nämlich von einem gewissen Grad transkultureller Konvergenz aus- gegangen werden, die durch die Diffusion des Internets wirkt: beispielsweise gleichen sich die Motive der Internetnutzung in China und Österreich und die Praktiken der Inter- netnutzung unterscheiden sich nur in den genutzten Angeboten - die wiederum die glei- chen Bedürfnisse erfüllen. Auch die Nutzung ändert sich, sobald das Individuum mit einer anderen Ausprägung des Internets in Berührung kommt: das Internet hat also Wirkung auf seine Nutzung und kann in dieser Hinsicht als ein Medium bezeichnet wer- den.

Der Hauptunterschied, der alle anderen Unterschiede auf Inhalts- und Nutzungsebene beeinflusst, scheint also vor allem in den politischen Strukturen zu liegen. Solange diese ganzheitlich genug in Architektur, Markt und der sozialen Perspektive des Internets ver- ankert werden, besteht beispielsweise in autoritären Systemen die Chance, das deliber- ative Potential des Internets, entgegen seiner ursprünglichen Bedeutung einzusetzen. Die Frage, die sich in Verbindung mit dem transkulturellen Ansatz des Internets nun aber stellt, ist: in welche Richtung wirkt es? Denn in einem ist sich die Kulturwis- senschaft einig: „Kultur unterläuft einem Wechsel des Flusses und der Fluss unterläuft einem Wechsel seiner Richtung“ (Lagerkvist 2009: 370). Ebenso liegt die demokratische Herausforderung am Erfolg des chinesischen Systems nicht etwa nur mehr darin, dass es ein nicht-normativ-demokratisches Wertesystem aufweist, sondern, dass es als Erfolgsmodell für andere Staaten gesehen werden kön- nte, die autoritären Strukturen selbst zu übernehmen:

„Chinas Entwicklung wird in anderen Entwicklungs- und Schwellenländern inzwischen häufig als Gegenmodell zu der marktwirtschaftlichen Demokratie diskutiert, die von der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten zur Lösung von Entwicklungsproble- men vertreten wird.“ (Heilmann 2008: 1) Verwertungszusammenhang 165 4. Literaturverzeichnis

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