Mumien Im Film. Hans J. Wulff Von Lebenden Toten, Der Verfluchung
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Medienwissenschaft: Berichte und Papiere 169, 2016: Mumien im Film. Redaktion und Copyright dieser Ausgabe: Hans J. Wulff. ISSN 2366–6404. URL: http://berichte.derwulff.de/0169_16.pdf. Letzte Änderung: 12.11.2016. Inhalt: Hans J. Wulff: Von lebenden Toten, der Verfluchung der Lebenden und später Rache: Die Mumien der Filmgeschichte. Hans J. Wulff: Mumien im Film. Filmographie. Fiktionale Filme, Serien und Serienfolgen. Dokumentationen, Dokumentarfilme, Reality-TV-Sendungen. Eismumien im Film. Prähistorische Moorleichen. Die Mumienfilme der Universal Pictures (1940–1955). Die Mumienfilme der Hammer Film Productions. Die mexikanischen Mumienfilme. Adaptionen von Bram Stokers Roman Jewel of Seven Stars. Hans J. Wulff: Mumien im Film. Bibliographie. Hans J. Wulff Von lebenden Toten, der Verfluchung der Lebenden und später Rache: Die Mumien der Filmgeschichte Digging for History: Die Popularität von Archäologie und Ägyptologie Seitdem im 19. Jahrhundert nach der Ägypten-Expedition Napoleons die Archäologie die Faszination nicht nur eines Fach-, sondern auch eines Massenpublikums auf sich zog, wurde auch die Mumie zu einer Figur des kollektiven Gedächtnisses und der Imagination, wurde auch im Film schon früh thematisiert. Mumien fanden sich in den Berichten der Archäologen über geheimnisvolle Schatzkammern und reiche Grabbeiga- ben; sie wurden von Sammlern antiker Stücke weltweit gesucht, standen in Privatsammlungen wie auch in Museen [1]. Schriftsteller wie Arthur Conan Doyle, Bram Stoker und Agatha Christie romantisierten die Fi- gur des Archäologen – so, wie die Kolonisatoren und Weltreisenden in den Jahrhunderten zuvor zu Erkun- dern der Erde wurden, wurden sie zu Kundschaftern der Zivilisationsgeschichte. Ganze Hoch-Kulturen ge- wannen Gesicht, die schon vor Jahrtausenden untergegangen waren. Der Blick wurde frei auf Phasen eigener künstlerischer Produktion, auf rätselhafte Herrschaftssysteme und grausame religiöse Riten. Und Fragen nach dem Aufstieg und Fall dieser Kulturen stellten sich, gingen in die Produktion populärer Geschichtsmo- delle ein. Nun nimmt die Mumie eine Sonderstellung ein, weil nicht nur die exzesshafte bauliche Ehrung der toten Kö- nige weit über die abendländischen Beerdigungsriten hinausging, sondern die Konservierung des toten Kör- pers deutlich gegen die gewohnten Weisen des Umgehens mit Verstorbenen verstieß. Bereits im 19. Jahrhun- dert entstanden Mythen darüber, dass Pharaonengräber von Flüchen geschützt seien, vielleicht sogar von le- bend-untoten Wächtern bewacht würden. Eine der Erzählungen über die Gründe des Untergangs der Titanic berichtet von einem Sarkophag mit Mumie, die auf dem Schiff nach Amerika transportiert werden sollte, ei- ne Mumie, die während der Fahrt Rache nahm für die Störung ihrer Grabesruhe (allerdings enthält keine der Transportlisten der Titanic einen Hinweis auf einen Sarkophag). Ja, das Gewebe der Geschichten geht bereits in der frühen Geschichte des Stummfilms weiter: Da ist die Rede von Wissenschaftlern, die Mumien zu neu- em Leben erwecken, von mumifizierten Leichen, die in neuer Gestalt dem Forscher begegnen, von Verflu- chungen, die diejenigen heimsuchen, die Mumiengräber ausheben, und sogar von Betrügern, die sich als Mu- Mumien im Film // Medienwissenschaft, 169, 2016 /// 2 mien wissenschaftlichen Experimenten zur Verfügung stellen. Neue Nahrung erhielt dieser Komplex von Geschichten, als 1922 das nahezu unberaubt gebliebene Grab des Tut-Ench-Amun (KV62) im Tal der Könige in West-Theben durch den englischen Ägyptologen Howard Carter gefunden wurde. Nicht nur die Weltgemeinde der Wissenschaftler war durch den Fund euphorisiert – die Weltpresse zeigte reges Interesse, die „Ägyptomanie“ des 19. Jahrhunderts schien fröhliche Urständ zu feiern. Endgültig zum Thema der Boulevardpresse wurde der Fund, als sich nach der Grabentdeckung die Legende vom „Fluch des Pharao“ in großer Geschwindigkeit verbreitete (und bis heute immer wieder thema- tisiert und – sich immer mehr von Tut-Ench-Amun und Carters Grabungen entfernend – zu einem freien Ra- dikal populären Erzählens wurde): Einige Mitglieder aus Carters Grabungsteams starben innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Hebung des Sarkophags, darunter der Finanzier, Lord Carnarvon, der an einer Infektion verstarb; fünf Mitglieder des Entdeckerteams begingen auf Grund der Veröffentlichungen der anderen To- desfälle Selbstmord. Die Spekulationen über die Todesursachen (Schimmelpilzsporen in der Luft der Grab- kammer, Moskitostiche etc.) blieben ohne Befund – um so mehr bekam die Annahme Raum, dass sie durch das Wiedererwachen antiker Magie ausgelöst worden sein könnten. Ihren Ursprung hatte die Mär vom „Fluch des Pharao“ aber bereits im London der 1820er Jahre, als in bizarrem Theaterambiente Mumien aus- gewickelt und sogenannte „Mumien-Parties“ gefeiert wurden [2]. Entwicklungen kollektiver Bilder der Mumien im Erzählen des Kinos Schon vor 1922 wurden die ägyptische Antike wie auch andere historische Epochen im Film zum Schauplatz von Verbrechen und Machtkämpfen, von Liebes- und Eifersuchtsdramen. Die Mumien wurden zu gegen die Zeit resistenten Zeugen vergangenen und sich oft in der Gegenwart verlängernden oder gar wiederholenden Dramas. Und sie wurden zugleich zu Unterhaltungsmasken, mit fester Ikonographie. Eingehüllt in weiße Mullbinden, schwerfälligen Gangs, ohne Angst sich bedrohlich auf ihr Ziel zubewegend, die Erstarrung des Mumienkörpers mit roboterhafter Gestik und Bewegung kombinierend – schon früh finden sich Hinweise auf Maskenbälle, auf denen auch Gäste in der Maske von Mumien auftraten. Die Mumien des Films wurden gewissermaßen zu Mittler-Figuren zwischen den Kulturen, der Faszination von Europäern am Exotischen und der Gegenwehr der Kulturell-Anderen. Ernst Lubitschs Die Augen der Mumie Mâ (Deutschland 1918) ist ein frühes Beispiel dieser zwischen dem Erotischen, dem Exotischen und dem Historischen schwanken- den Form eines nie genau benannten Begehrens: Der europäische Maler, der das Grab einer altägyptischen Pharaonin aufsucht, sodann auf eine Frau trifft, die wie eine Wiedergeburt jener aussieht, die er mitnimmt und als exotische Tänzerin vermittelt; dazu ein finsterer Ägypter, ein Grabwächter, der der Wiedergeborenen folgt und sie tötet – eine Geschichte, die den Stoff populären Imaginierens um 1920 auf den Punkt bringt. Endgültig wird die Mumie als Figur des Universums filmischen Erzählens mit Boris Karloff als versehent- lich von Archäologen wiedererweckte, fluchbeladene Mumie des altägyptischen Priesters Im-Ho-Tep eta- bliert. Im-Ho-Tep will sich eines Mädchens (Zita Johann als Helen Grosvenor bzw. als Prinzessin Anck-es- en-Amon) bemächtigen, das er für die Wiedergeburt der vor 3.700 Jahren frevelhaft geliebten Pharaonen- tochter hält: The Mummy (USA 1932, Karl Freund) formt ein neues, deutlich vom deutschen Expressionis- mus beeinflusstes Bild der erwachten Mumie. Und etabliert sie als Figur des filmischen Horrors. Mit der oft so genannten Mummy Series der Universal Studios aus den 1940ern wurde diese generische Zuordnung ver- stetigt. The Mummy – wie auch der kurz vorher entstandene Film Frankenstein (USA 1931, Frank Whale) – etablier- te Boris Karloff als einen der Bösewichter-Stars Hollywoods. „The Man You Love to Hate“ war neben „Kar- loff, the Uncanny“ einer der Werbeslogans, die für ihn in Umlauf gebracht wurden. Ein Star, dessen Kapital und Publikumsbindung darin besteht, dass er gehasst wird? Dieser Widerspruch bedarf genaueren Nachden- kens, weil Karloff offenbar die Ankerfigur der Zuschauer war, die den Zugang zu den Lust-Gratifikation des Films ermöglicht. Es ist nicht die Schöne, die in Gefahr gerät (Zita Johann ist heute so gut wie vergessen), und auch nicht die Wissenschaftler, die ihre Arbeit machen, die Zuschauer an den Film binden. Nein, es ist der Bösewicht. Man ist geneigt, an Arno Schmidt zu denken, der den Bösewicht Conte Fosco in Wilkie Col- lins’ mystery novel „The Woman in White“ (1860) als die einzige starke Figur des Romans bezeichnete, ein Faszinosum in sich, auf den sich alle teilnehmende Energie der Leser konzentrieren kann. Lon Chaney, Jr., Mumien im Film // Medienwissenschaft, 169, 2016 /// 3 der die Bösenfigur des Kharis in den Universal-Filmen der 1940er spielte, und Christopher Lee – wiederum in der Rolle des Kharis in The Mummy (Großbritannien 1959, Terence Fisher) – setzten diese Funktion des Primats der Angstfigur in den Mumienfilmen der Zeit fort. Der Bösewicht als Ankerfigur ist insofern interes- sant, als sich die Beziehung zum Star in einer eigenartigen Spannung zwischen Sympathie (es ist der Star!) und Abwehr (er macht mich schaudern!) aufspannt. Es ist eine der Manifestationen der ambivalenten Positi- on des „perversen Zuschauers“ [3], möchte man fortsetzen, wie sie vor allem im Gewalt- und Horrorfilm konstituiert wird und die eine Affekterwartung zwischen Angst-, Ekel- und Lust nominiert. Das hat sich in den 1960ern geändert, nun werden die Mumiendarsteller wieder zu reinen Funktionsfiguren, die „perverse“ Gratifikationserwartung löst sich vom Star und verbündet sich mit dem Genreversprechen. Die Mumie wurde zu einer stock figure des Horrorfilms und wird oft mit den anderen Monsterfiguren Holly- woods (der Vampir / Dracula, der Werwolf / Wolfman, Frankensteins synthetischer Mensch, der Zombie) zusammen genannt: alles Figuren zwischen Mensch und Nicht-Mensch, alle dem Tod gegenüber gefeit und einer Welt entsprungen, die quasi wie eine Geheimwelt mitten in oder unterhalb der Menschenwelt angesie- delt ist. Ist es eine Neuauflage und Modernisierung der mythischen