Der rote Abreißkalender Revolutionsgeschichte als Wandschmuck

Wolfgang Hesse Wolfgang Hesse

Der rote Abreißkalender Revolutionsgeschichte als Wandschmuck

Lübeck 2019 Inhalt

Dank 7

Einführung 9 Anmerkungen/Abbildungen 13

Genosse Thomas und der Verlag Carl Hoym Nachf. 17 Anmerkungen/Abbildungen 22

Ressourcen und Bündnislinien 27 Anmerkungen/Abbildungen 37

Jolán Szilágyi und die Kunst der Straße 43 Anmerkungen/Abbildungen 63

Eduard Fuchs und Honoré Daumier 71 Anmerkungen/Abbildungen 81

Fotogeschichten im Medienverbund 85 Anmerkungen/Abbildungen 97

Zensur und Bildkritik 103 Anmerkungen/Abbildungen 111

Die Gegenwart der Vergangenheit 115 Anmerkungen/Abbildungen 139

Honoré Daumier: Lithografen 1834 bis 1871 145

Personenindex 153

Die Geschichte ist Gegenstand einer Konstruktion, deren Ort nicht die homogene und leere Zeit sondern die von Jetztzeit erfüllte bildet. […] Das Bewusstsein, das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen, ist den revolutionären Klassen im Augenblick ihrer Aktion eigentümlich. Die Große Revolution führte einen neuen Kalender ein. Der Tag, mit dem ein Kalender einsetzt, fungiert als ein historischer Zeitraffer. Und es ist im Grunde derselbe Tag, der in Gestalt der Feiertage, die Tage des Eingedenkens sind, immer wiederkehrt. Die Kalender zählen die Zeit also nicht wie Uhren. Sie sind Monumente eines Geschichtsbe­ wußtseins […].

Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte (1940), These XIV

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 5

Dank

Die Materialsammlung für die vorliegen- Dank gilt Christian Joschke (Université de Studie ist vom Entgegenkommen der Paris-Nanterre), Nadine Kulbe (Dresden) mit Anfragen, Benutzungsdiensten und und Uwe Sonnenberg () für ihre Reproduktionen befassten Mitarbeiterin- klärende Kritik des Manuskripts. Nadine nen und Mitarbeiter zahlreicher Instituti- Kulbe hat ihm dankenswerterweise au- onen getragen, für deren freundliche Un- ßerdem seine sichtbare Form gegeben. terstützung angesichts ihrer vielfältigen Für weitergehende Auseinandersetzun- Aufgaben umso mehr zu danken ist. gen mit dem Arbeiterkalender bedeutsam Der Band ergänzt die Publikationen ist, dass die Sächsische Landesbiblio- aus dem von der DFG geförderten For- thek – Staats- und Universitätsbibliothek schungsprojekt „Das Auge des Arbei- Dresden alle Jahrgänge digitalisiert und ters“. Dieses war von 2009 bis 2015/16 im November 2017 online veröffentlicht am Institut für Sächsische Geschichte hat. Für ihre Unterstützung der vorliegen- und Volkskunde in Dresden angesiedelt, den Publikation im Wissenschaftsportal dem der Verfasser sich dankbar verbun- Qucosa sei namentlich Achim Bonte, den sieht. Jens Bove und Martin Munke gedankt.

Lübeck, im Herbst 2018

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 7 1

8 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Einführung

Die insgesamt 1 750 Abreißblätter des dere Wirkung auf den Beschauer ausübt. von 1923 bis 1933 jährlich im deutschen Denn ein illustriertes Buch wird leichter Verlag der Kommunistischen Internatio- gelesen und gekauft und eine illustrier­ nale, Carl Hoym Nachf. -Berlin, te Zeitung ist eine unterhaltendere Lek­ erschienenen Arbeiterkalenders vereinen türe als der Leitartikel einer politischen mehr als ebenso viele Reproduktionen Tageszeitung. Die Fotografe wirkt auf von Grafken, Zeichnungen, Plakaten, das Auge des Menschen, das Gesehe­ Gemälden, Plastiken, Vignetten, Statis- ne spiegelt sich im Kopfe wieder, ohne tiken, Dokumenten und – zunehmend dass der Mensch zu kompliziertem Den­ dominant – Fotografen mit erheblichen ken gezwungen wird. – Auf diese Wei­ Textmengen in den Datumskästen und se kommt die Bourgeoisie der Trägheit auf den Rückseiten.1 Die elf Ausga- breiter Volksschichten entgegen und au­ ben des Kalenders popularisierten An- ßerdem macht man ein gutes Geschäft – schauungs- und Studienmaterial zur denn die illustrierten Zeitungen erreichen Geschichte der Klassenkämpfe vor al- oft Millionenaufagen. Damit aber nicht lem seit der Französischen Revolution, genug, viel wichtiger ist die – letzten mit Rückblicken bis hin zum Deutschen Endes – politische Wirkung, die durch Bauernkrieg. Das Hauptaugenmerk je- die Zusammenstellung mehrerer Bilder, doch lag auf dem noch jungen und durch die Unterschriften und Begleittex­ schon so bewegten 20. Jahrhundert mit te erzielt wird. Das ist das Entscheiden­ dem Epochenbruch des Weltkriegs, mit de. Auf diese Weise kann ein geschickter der russischen Revolution und den Um- Redakteur jedes Foto in sein Gegenteil sturzversuchen in Deutschland sowie verfälschen, kann er den politisch nicht deren sozialen und politischen Voraus- geschulten Leser in jeder gewünschten setzungen und Folgen. Richtung beeinfussen. Diese Tatsachen Das in hoher Aufage produzierte Perio- müssen die revolutionären Arbeiter aller dikum markiert prominent die bald nach Länder klar erkennen. Sie müssen den deren Gründung im März 1919 propa- Klassenfeind mit allen Mitteln bekämp­ gierte Medienpolitik der Komintern. Als fen, ihn auf allen Fronten schlagen.2 eine der ersten massenhaft verbreiteten Mit seinem abwechslungsreichen Ne- Veröffentlichungen dieser visuell akzen- beneinander der reproduzierten Künste tuierten Strategie für Agitation und Pro- und als medialer Hybrid von Wandbild, paganda formte der Arbeiterkalender Wechselausstellung, Illustrierter und frühzeitig mit, was Willi Münzenberg 1931 Lehrbuch richtete sich der Arbeiterka­ in der Rückschau sowohl pressepolitisch lender gleichermaßen an ein revolutio- als auch in Hinblick auf die Verbindung när-proletarisches wie ein linkslibera- von Fotografe und Text charakterisieren les Publikum. Anders als die nach wie sollte: Die Fotografe ist ein unentbehr­ vor textzentrierten und nur sporadisch liches und hervorragendes Propaganda­ bebilderten Tageszeitungen, als gele- mittel im revolutionären Klassenkampf gentlich erscheinende Festpostkarten, geworden. Die Bourgeoisie hat bereits Broschüren und Bücher oder selbst als vor 30 und 40 Jahren verstanden, daß die Illustrierten der Arbeiterbewegungen das fotografsche Bild eine ganz beson­ hinterfng er den Alltag seiner Betrach-

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 9 ter und Leserinnen mit einer auf ihre Le- Parteimitgliedschaft nach außen, und benswelt zielenden Vergegenwärtigung gleichzeitig der Stärkung der Kohäsion von Geschichte – dank der sichtbaren innerhalb der Partei. Schließlich sollten Präsenz der immer wieder neuen Bild- die Parteimitglieder drittens mit einer seiten an Küchen- oder Stubenwänden, ‚Gebrauchsanweisung‘ nicht nur für den physisch durch den Seitenwechsel in politischen Alltag, sondern für das Leben den Tagesablauf eingebunden und mit insgesamt ausgestattet werden, also mit dem Angebot kursähnlicher Lektüre einer ‚Weltanschauung‘ im umfassends- knapper, pointierter Texte. So konnte ten Sinne.“4 der Arbeiterkalender noch vor der seit In ästhetischer Hinsicht steht der Ar­ 1924 erscheinenden Arbeiter Illustrierten beiterkalender als prominentes Element Zeitung (AIZ) aus dem Neuen Deutschen exemplarisch für eine Bildpraxis politi- Verlag oder der KPD-Parteiillustrierten schen Eingreifens. Sie hatte sich in der Der Rote Stern gelebtes Leben mit histo- deutschen Sozialdemokratie – in Ausein­ rischer Zeit und utopischem Denken ver- andersetzung mit der allgemeinen Me- binden – emotionalisierend, aufklärend, dienentwicklung – seit Aufhebung des unterhaltend. Parteiverbots in den 1890er Jahren etwa Dieses ebenso komplexe wie mit ins- mit Festzeitschriften zum 1. Mai oder gesamt etwa 3 500 Seiten Umfang vo- dem Satireblatt Der Süddeutsche Postil­ luminöse Periodikum wird in der vorlie- lon herausgebildet: Nicht minder klug be­ genden Publikation erstmals umfassend rechnet war die Massenwirkung von Ka­ untersucht.3 Das Interesse gilt dabei ins- lendern, die bis tief in die Kreise dringen, besondere den Jahren bis etwa 1926/27 in welche vielleicht niemals ein Zeitungs­ mit Blickrichtung auf die beteiligten Ak- blatt gelangt. Sie waren und sind bis in teurinnen und Akteure, auf Ressourcen den kleinsten Vers, bis in die unbedeu­ und Rezeptionsweisen. Damit wird zu- tendste Anekdote von der kommunisti­ dem ansatzweise unternommen, den schen Weltanschauung getränkt.5 Der Arbeiterkalender als Element „symbo- Arbeiterkalender steht in dieser Tradition lischer Integration der Mitglieder“ der eines inhaltsbezogenen Bildverständnis- KPD und ihrer Sympathisanten zu re- ses, das die heterogenen Stile, Techni- konstruieren: „Es handelt sich dabei um ken, Provenienzen und Gebrauchswei- einen komplexen dynamischen Kommu- sen nicht-hierarchisch nebeneinander nikationsprozess, über den den Partei- gelten lässt. Die Untersuchung entwi- mitgliedern im Rahmen der alltäglichen ckelt damit auch ein Element einer, nicht Interaktion innerhalb der Partei über auf die künstlerische Avantgarde fokus- Sprache, Medien und andere Symbole sierten, analytischen Betrachtungsweise die spezifschen mit der Parteiidentität der Bildkultur der Weimarer Republik verbundenen Werte, Normen, Einstel- insgesamt. Sie ergänzt so die Forschun- lungen, Konzepte, Wahrnehmungs- und gen zur proletarischen Amateurkultur der Verhaltensmuster vermittelt werden soll- „Arbeiterfotografe“ um die zu einer off- ten. […] So sollte erstens die Existenz ziösen Quelle.6 der Partei als solcher, ihre Struktur, ihre Mit Fug und Recht darf beim Arbeiterka­ Führung, sowie die vorrangig von ihr for- lender von einer „Visual History“ avant mulierte politische Strategie legitimiert la lettre gesprochen werden.7 Im Zeit- werden. Zweitens diente die symboli- sprung seiner Motive und der Aktualisie- sche Integration der Abgrenzung der rung der Ereignisse steht er prominent

10 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender für ein Verständnis von Geschichte nicht 19. Jahrhunderts vor allem im Verlag als Abfolge je in sich abgeschlossener von Iwan Sytin erschienen und dessen Phasen oder Epochen, sondern als eines 900 000 Exemplare für 1918 als Kalender sowohl retrospektiv wie prospektiv offe- der alten Zeitrechnung beschlagnahmt nen Prozesses. „Geschichte“ erscheint und eingestampft worden waren. Wie die als Allegorie der gelebten, „unerlösten“ politischen Potentiale dieses Mediums Gegenwart. Arbeit wird vergleichsweise angesehen wurden, geht nicht zuletzt selten thematisiert, im Vordergrund ste- daraus hervor, dass Alexander Helphand hen die visuelle Vergegenwärtigung von (Parvus) im Frühjahr 1918 – im Rahmen Armut und Verelendung, die damit ver- des gigantischen Unterfangens einer bundene Darstellung von und der Aufruf „transkontinentalen Nachrichten-Organi- zu Empörung und Rebellion: Agitation sation, das auf den illusionären Versuch und Propaganda. einer politisch-informationellen Über- Nach dem Scheitern der ersten Auf- nahme Russlands von innen hinauslief“ standsversuche in Deutschland hatten – in einer Denkschrift an das Auswärtige die Teilnehmer der Sitzung des Engeren Amt des Deutschen Reichs die opulente Bureaus der Exekutive der Komintern Finanzierung eines weitgespannten Ver- (E.K.K.I.) vom 16. August 1921 unter an- lags für einen solchen Kalender partei­ derem Ueber den Charakter unserer Zei­ losen Charakters in Russland vorschlug, tungen, hierbei vor allem über den Aufbau um ausgiebigste Propaganda zur Aufklä­ eines Arbeiterkorrespondentennetzes rung der Arbeiter u. Bauern treiben zu und die Rolle von Bildern debattiert: Der können. Er ging von einer Aufage von gewöhnliche Arbeiter schätzt insbeson­ mehreren Millionen Exemplaren aus: dere einen gelungenen Ausdruck, einen Denn für den russischen Bauern folgt der verdienten beissenden Spott über den Hauskalender unmittelbar hinter der Bi­ Gegner. Eine gute Karrikatur [!], die rich­ bel.10 Das Vorhaben scheiterte am Gang tig ins Ziel schlägt, ist bedeutend besser, der Ereignisse sowohl in Russland wie in als ein Dutzend schwerer sogenannter Deutschland. „marxistischer“ langweiliger Artikel.8 Im Doch wirkte dieselbe Erfahrungsgrund- Anschluss hieran fasste am 3. Dezem- lage nach, als man sich in der Kommissi- ber das Präsidium des E.K.K.I den Be- on der Komintern für diese Publikations- schluss, [e]ine Kommission, bestehend form aussprach: Die Kunst der Einleitung aus den Gen. Kuusinen, Brandler, Sou­ und der Durchführung […] politischer varine, Safarow und Rakosi, die für das Kampagnen ist bei den kommunisti­ Jahrbuch für Politik, Wirtschaft, Arbei­ schen Parteien sehr wenig entwickelt. terbewegung eingesetzt war, soll[e] die Die alten erfahrenen politischen Führer Frage der Ausgabe volkstümlicher kom­ sind grösstenteils bei den alten Arbeiter­ munistischer Arbeiterkalender untersu­ parteien geblieben. […] Die Mehrzahl der chen und den ausgearbeiteten Plan allen Mitglieder der kommunistischen Parteien Parteien zustellen.9 besteht aus jüngeren proletarischen Ele­ Gewiss dachte man dabei an die in menten, die fähig sind, mit grossem En­ Deutschland seit den späten 1860er thu­siasmus sich für den Kommunismus Jahren nach dem Muster der älteren zu schlagen, aber noch nicht die Kunst Volkskalender eingeführten, gebunde- gelernt haben, den Boden unter den nen Arbeiterkalender sowie an die rus- Füssen des Gegners zu minieren, oder sischen Hauskalender, die seit Ende des durch zweckmässige Konzentrierung

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 11 des Feuers auf einen Punkt seine Posi­ Der Arbeiterkalender hebt sich mit seiner tionen zu berennen.11 Der Arbeiterkalen­ opulenten Bildausstattung auffällig vom der gehörte damit zu den Mitteln, für die übrigen Angebot des deutschen Komin- es galt, die besten schriftstellerischen tern-Verlags und der Verlage der KPD Kräfte der Partei dafür zu sammeln, dass ab. Zwar wurde dort von 1921 bis 1925 sie diese Fragen in kurzen, klaren, schla­ parallel der gebundene Bauernkalender genden Artikeln verarbeiten und die sym­ Das freie Land produziert, mit den klas- pathisierenden Künstler zu mobilisieren, sischen Elementen von Kalendarium, damit sie Bilder, Karrikaturen, Vignetten Textbeiträgen und einer großzügigen […] zeichnen.12 Ausstattung durch Zeichnungen von Karl Die Arbeiten kamen rasch in Gang. „Be- Holtz in einem altväterlichen Stil. Dem- reits am 12. Oktober 1922 meldete Die gegenüber ist der Arbeiterkalender dezi- Rote Fahne auf ihrer Anzeigenseite: diert moderner. Er ist in politischer und ‚Soeben erschien! Arbeiter-Wandka- medialer Hinsicht angelegt auf Wirkung lender für das Jahr 1923.‘“13 Man hatte über den engen Parteikreis hinaus und sich damit gegen eine Buchform und für damit der, seit dessen Zeit als Vorsit- denjenigen der populären Kalenderty- zendem der Jugendinternationale, weit- pen entschieden, der sichtbare Präsenz gespannten Medienpolitik Willi Münzen- im Wohnraum mit größtmöglicher Ab- bergs verbunden. Hierfür steht vor allem wechslung verband: 1. Wandkalender, 2. sein Sowjetrussland im Bild (1921/1922), Abreißkalender, 3. Taschenkalender, 4. das zunächst als Kampagnenblatt der Buch- oder Hauskalender, Almanache.14 Internationalen Arbeiterhilfe (IAH) für die Die Reihe lief zunächst unter dem Namen Bekämpfung der Hungersnot im Wol- Arbeiter-Wandkalender, um ihn von den gagebiet thematisch begrenzt war, sich weiter erscheinenden (teilillustrierten) mit der Nachfolgezeitschrift Sichel und Taschenkalendern zu unterscheiden. Hammer (1922 – 1924) einem breiteren Zugleich konnte der Begriff Verwirrung revolutionären Themenspektrum zu- stiften, wurde doch als „Wandkalender“ wandte und schließlich mit einem der re- in der Regel derjenige Typus bezeichnet, lativen Konsolidierung der Weimarer Re- der nur aus einem (Karton-)Blatt besteht, publik angepassten Konzept 1924 in die das entweder mit einem Kalendarium für Publikumszeitschrift Arbeiter Illustrierte das ganze Jahr bedruckt ist oder in des- Zeitung überführt werden sollte. sen mehrfach verwendbare Rückwand Zusammen mit diesen Illustrierten und ein auszuwechselnder Kalenderblock mit ungeachtet der wechselnden politischen Datumszetteln eingesteckt werden kann. Schwerpunktsetzungen steht der Arbei­ Ab 1925 wurde der Kalender dann – Al- terkalender für die Anfänge dominant leinvertretungsansprüche reklamierend visuell ausgerichteter Agitation und Pro- – als Arbeiterkalender tituliert, und die paganda, einer lebendigen Mischung drei letzten Jahrgänge schließlich paral- von Anschauung und Refexion, Bildung lelisieren ihn deutlich zur viel gelesenen und Unterhaltung. Noch ein 1926 ge- und betrachteten Arbeiter Illustrierten fällter, geheimer Beschluss der Komin- Zeitung als Illustrierter Arbeiterkalender tern über Parteilose Verlagstätigkeit und – der nun zudem nahezu vollkommen mit Organisierung eines Massenvertriebes Fotografen (und Fotomontagen) ausge- belegt den Erfolg dieses Ansatzes, bei stattet ist.15 dem das Bild in einem stärkeren Mas­ se wie bisher verwendet werden solle.

12 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Zwar war das Exposé insbesondere in ung und ihren Ideen bekanntzumachen, Vorbereitung auf mögliche Illegalität und mindestens sie auf solche Ideen hinzu­ Beschlagnahme offen parteigebundener leiten. In Betracht kommen unter ande­ Verlage entwickelt worden. Doch treffen rem Bücher und Broschüren über das die Überlegungen nicht zuletzt auf den wirtschaftliche, kulturelle, künstlerische Arbeiterkalender zu: Solche parteilosen und andere Leben in Russland, über die Verlage werden vor allem solche Litera­ Kämpfe in den Kolonien, gegen die Re­ tur herausgeben, die, ohne Parteischrif­ ligion, historische Bücher, geeignete Ro­ ten zu sein, doch geeignet sind, die Leser mane, ein gut redigierter Arbeiter- und mit der kommunistischen Weltanschau­ Bauernkalender in Buchform etc. etc.16

Abbildungen Anmerkungen

1 Russische Zeichnung [zum 1. 1 Vgl. hierzu die vollständige Publikation unter http://digital. Mai]. Arbeiter Wandkalender Blatt 13. slub-dresden.de/werkansicht/dlf/174375/1/ (1923, 1924) und April 1924. Deutsche Nationalbiblio- http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/172696/1/ (1925- thek Leipzig. 1933). Vgl. den Nachweis von Originalen in der Zeitschriftendaten- bank ZDB www.zeitschriftendatenbank.de/. Nach Barbara Kontny, Der Rote Abreißkalender. Der Arbeiter-Wandkalender für die Jahre 1923 bis 1933 (Studien zum Buch- und Bibliothekswesen Bd. 2), Leipzig 1982, S. 5-28 sind erschienen: 1923: 166 ungez. Bl. (332 S.) 22 x 13,4 cm, Druck: Maurer & Dimmick, Berlin SO 16, Preis 200 Mk. (Organisationspreis 150 Mk); 1924: IX Bl., 344 S., 1 Bl. Beilage, Druck: Maurer & Dimmick, Berlin SO. 16, Preis 3 Mk.; 1925: Blockausg. V Bl., 268 S., 9 Beil. 22,3 x 14 cm, Buchausg. V Bl., 268 S., 17 Beil, Druck: Th. Schatzky A.-G. Tehaschag Bres- lau-Berlin; 1926: 384 ungez. Bl. 22 x 13,5 cm, Preis 2 Mk (satiniert), 3 Mk. (holzfrei); 1927: 287 S., 22,8 x 13,8 cm, Druck: Schatzdruck, Breslau, Preis 1,20 Mk.; 1928: 287 S. 22,3 x 13,6 cm, Druck: Peu- vag, Berlin, Filiale Essen, Preis 1,20 Mk.; 1929: 287 S., 22,6 x 13,6 cm, Druck: Peuvag, Berlin, Filiale Essen, Preis 1,20 Mk.; 1930: 288 S., 22,3 x 13,8 cm, Druck: Peuvag, Essen, Preis 1,50 Mk.; 1931: 288 S., 2 Bl. Beil. 22,2 x 13,3 cm, Druck: Carl Sabo Berlin S.W. 48, Preis 1,35 Mk.; 1932: 256 S. 22,3 x 14,4 cm, Rotationstiefdruck R. Boll, Buchdruckerei GmbH., Berlin NW, Preis 1 RM; 1933: 127 S. 23,2 x 18,1 cm, Druck und Verlag: Carl Hoym Nachf. Ham- burg-Berlin NW, Preis 75 Pf.

2 Willi Münzenberg, Aufgaben und Ziele der internationalen Arbeiter-Fotografen-Bewegung, in: Der Arbeiter-Fotograf 5 (1931) H. 5, S. 99-100, hier S. 99; vgl. auch Ders., Erobert den Film!, Ber- lin 1925.

3 Bis auf die verlagsgeschichtliche Darstellung von Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1) und die ganz auf Heartfeld fokussierte Passage bei Anthony Coles, John Heartfeld. Ein politisches Leben,

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 13 Köln/Weimar/Wien 2014, S. 89-93 verweist die bisherige Literatur nur gelegentlich und eher kursorisch auf den Arbeiterkalender: Eck- hard Siepmann, Montage: John Heartfeld. Vom Club Dada zur Ar- beiter-Illustrierten Zeitung. Dokumente – Analysen – Berichte, Ber- lin ³1977, S. 113-120; Roland Jaeger, „Lesen! Lernen! Kämpfen!“ Arbeiterpresse und Arbeiterbuch, in: Projektgruppe Arbeiterkultur Hamburg (Hg.), Vorwärts – und nicht vergessen. Arbeiterkultur in Hamburg um 1930, Berlin 1982, S. 135-144, bes. S. 144; Ders., Wechselnde Bilder. Kalender als Medium der gedruckten Fotogra- fe, in: Manfred Heiting/Roland Jaeger (Hg.), Autopsie. Deutsch- sprachige Fotobücher 1918 bis 1945, Göttingen 2014, S. 76-99, bes. S. 86-87; Ludwig Rohner, Kalendergeschichte und Kalender, 1978, bes. Kap. Revolutionäre Kalender und Der Ar- beiterkalender S. 54-68.

4 Ulrich Eumann, Eigenwillige Kohorten der Revolution. Zur regionalen Sozialgeschichte des Kommunismus in der Weimarer Republik (Europäische Hochschulschriften, Reihe II, Bd. 1040), Frankfurt a.M. u.a. 2007, S. 171.

5 Franz Mehring, Die deutsche Socialdemokratie. Ihre Ge- schichte und ihre Lehre. Eine historisch-kritische Darstellung, Bremen 1878, nach: Cäcilia Friedrich (Hg.), Kalendergeschichten, Berlin 1975, S. XIX-XX; Vgl. Rohner, Kalendergeschichte (wie Anm. 3) hier S. 58; Gerhardt Petrat, Einem besseren Dasein zu Diens- ten. Die Spur der Aufklärung im Medium Kalender zwischen 1700 und 1919, (Deutsche Presseforschung 27), München u.a. 1991; Ursula Brunold-Bigler, Kalender, Kalendergeschichte, in: Rolf Wil- helm Brednich (Hg.), Enzyklopädie des Märchens, Bd. 7, Berlin 1993, Sp. 861-878; Rolf Reichhardt/Christine Vogel, Kalender-Bil- der: Zur visuellen Dimension populärer Almanache im 18. und 19. Jahrhundert, in: York-Gothart Mix (Hg.), Der Kalender als Fibel des Alltagswissens, Tübingen 2005, S. 85-136 mit Auswahlbiblio- grafe S. 213-227. Vgl. den Hinweis auf einen Abreißkalender der Vorwärtsdruckerei- und Verlagsanstalt, der wohl identisch ist mit Sozialdemokratischer Abreißkalender für das Jahr 1927, in: Gra- phische Presse. Organ des Verbandes der Lithographen, Stein- drucker und verwandte Berufe 39 (1926) H. 51, S. 256; Alfred Eberlein, Internationale Bibliographie zur deutschsprachigen Pres- se der Arbeiter- und sozialen Bewegungen von 1830–1982, Mün- chen ²1996, Nr. 31059 gibt einen Erscheinungsverlauf 1922–1933 an, weist aber keine Exemplare nach; auch der Bibliothekskatalog der Friedrich-Ebert-Stiftung verzeichnet außer Hinweisen in der Graphischen Presse nur Kurzrezensionen aus der AFA-Bundeszei- tung sowie der Zeitschrift der Arbeiterwohlfahrt zwischen 1927 und 1933.

6 Vgl. für die internationale Entwicklung Jorge Ribalta (Hg.), The Worker Photography Movement (1926–1939): Essays and

14 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Documents, Madrid, 2011; für Deutschland v.a. das DFG-Projekt „Das Auge des Arbeiters“ vgl. www.arbeiterfotografe-sachsen.de/.

7 Vgl. die knappe Erwähnung bei Gerhard Paul, Von Feuer- bach bis Bredekamp. Zur Geschichte zeitgenössischer Bilddiskurse (Teil 1) www.visual-history.de/2015/09/28/von-feuerbach-bis-bre- dekamp-zur-geschichte-zeitgenoessischer-bilddiskurse/ (Aufruf 24.8.2018), jedoch mit Fuchs‘ „Sittengeschichte“ (1909) als inhalt- lichem und zeitlichem Referenzpunkt (Hinweis Gerhard Paul, Flens- burg).

8 Die Tätigkeit der Exekutive und des Präsidiums des E.K. der Kommunistischen Internationale vom 13. Juli 1921 bis 1. Februar 1922, Petrograd 1922, S. 71-85, hier S. 83.

9 Ebda, S. 288.

10 Die Darstellung folgt Gerd Koenen; „Rom oder Moskau“. Deutschland, der Westen und die Revolutionierung Russlands 1914–1924, Tübingen 2003, S. 261-263.

11 Exekutive der Kommunistischen Internationale, Die kommu- nistische Agitationswoche. Zirkularschreiben der Exekutive der Kommunistischen Internationale an alle kommunistischen Parteien (24.8.1921), in: Exekutive (wie Anm. 8), S. 153-161, hier S. 156.

12 Ebda, S. 160.

13 Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 7; nach Karl-Heinz Hädicke, Der Parteiverlag der Kommunistischen Partei Deutsch- lands und der Verlag der Kommunistischen Internationale in Deutschland von 1919 bis 1933, Diss. Berlin 1974, S. 351.

14 Vgl. Hansotto Löggow, Der sozialistische Kalender, in: Mit- teilungen des Vereins Arbeiterpresse 30 (1930) Nr. 299, 1. März 1930, S. 6-7. Vgl. zum Wandkalender als Werbemittel für Druck- betriebe Walter Hofmann, Der Wandkalender, in: Archiv für Buch- gewerbe und Gebrauchsgraphik 9 (1940), S. 283-290.

15 Vgl. Sabine Kriebel, Revolutionary beauty. The radical pho- tomontages of John Heartfeld, Berkeley u.a. 2014; Andrés Mario Zervigón, John Heartfeld and the agitated image. Photography, persuasion, and the rise of Avant-Garde photomontage, Chicago 2012; Ders., Photography and Germany, London 2017.

16 Parteilose Verlagstätigkeit und Organisierung eines Massen- vertriebes, Moskau Juni 1926, in: Hermann Weber/Jakov Drabkin/ Bernhard H. Bayerlein/Aleksandr Galkin, Deutschland, Russland, Komintern. I. Überblicke, Analysen, Diskussionen. Neue Perspekti- ven auf die Geschichte der KPD und die Deutsch-Russischen Be- ziehungen (1918–1943), Berlin 2014, Dok. 153, S. 509-511.

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16 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Genosse Thomas und der Verlag Carl Hoym Nachf.

In der Strategie der 1917 an die Macht Louis Cahnbley eingetragen,21 bis 1926 gekommenen Bolschewiki hatte der her- der Reichsanwalt gegen ihn wegen des beigesehnte Umsturz in Westeuropa, Vertriebs der Komintern-Schriften eine insbesondere im Deutschen Reich, eine Anklage als „geistiger und intellektu- entscheidende Bedeutung für das Über- eller Urheber sämtlicher Aufstände in leben ihrer Revolution.17 Seitens der von Deutschland“ mit einer drohenden Haft- den Interessen Sowjetrusslands domi- strafe von bis zu acht Jahren vorberei- nierten Kommunistischen Internationale tete, und er in die Sowjetunion auswich, (Komintern) wurden daher für die organi- von wo er nach der Amnestie 1928 zu- satorischen und publizistischen, legalen rückkehrte.22 „Der Gen. Hans Holm, wie verdeckten, zivilen wie militärischen von Beruf Maler, übernahm [bis zu sei- Aufstandsvorbereitungen ein aufwändi- nem Parteiausschluss 1924, W.H.] die ger Informationsaustausch gepfegt so- redaktionelle Bearbeitung und auch die wie immense Geldmittel bewegt. Hierfür Buchausstattung.“23 Doch handelte es und als Verbindungsbüro zur Leitung sich in Hamburg nur um eine Niederlage der KPD diente ihr Westeuropäisches des Unternehmens. Denn faktisch war Sekretariat (WES). Zentrales ideologi- seit 1921 Berlin der Verlagssitz – und sches und propagandistisches Element dort Genosse Thomas (Tauber, James von dessen Tätigkeit waren Publikatio- Thomas, James Gordon, Arnold Rubin- nen. Zunächst nutzte man „KPD-Verla- stein, d.i. Jakov Rejch; Kiew oder Lem- ge als Kommissions-Verlage“, gewann berg 1886–1955 New York) als Leiter hierfür „[a]uch andere Verlage, die nicht des WES schon zuvor der entscheiden- der KPD gehörten […]. Zudem gab das de Mann. Er blieb es bis 1925.24 WES Literatur ohne einen Verlag heraus Jakov Rejch war, nach illegaler und mi- und zeichnete als Herausgeber. Die dem litanter Aktivität in Russisch Polen wäh- WES gestellte Aufgabe war umfassend rend der dann gescheiterten Revolution, aber nur zu lösen, wenn es gelang, einen 1905 über Deutschland in die Schweiz eigenen Verlag zu gründen.“18 emigriert. Dort betätigte er sich politisch Daher erwarben Fritz Sturm (d.i. Sa- und publizistisch und fungierte ab 1917 muel Sachs-Gladnew) und Felix Wolf als „Mitarbeiter und faktischer Presse- (d.i. Werner Rakow)19 im Auftrag der sprecher der diplomatischen Vertretung Komintern am 3. Februar 1920 die Ver- Sowjetrußlands in der Schweiz. Wegen lagsbuchhandlung des zu jener Zeit in seines aktiven Engagements für die Bol- der Kommunistischen Arbeiterpartei schewiki – er war u. a. Gründer eines Deutschlands (KAPD) engagierten Ham- Verlages, der die Schriften Wladimir I. burger Buchhändlers und Antiquars Carl Lenins, Karl Radeks und Leo Trotzkis in (Henry) Hoym.20 Der Verlag Carl Hoym Deutsch herausgab – von der Schwei- Nachf. Louis Cahnbley Hamburg-Berlin zer Regierung vorübergehend verhaftet, vertrieb Produktionen aus Moskau oder ging Rejch im Januar 1919 nach Mos- Petrograd und baute parallel hierzu ein kau. Hier war er mitbeteiligt am Grün- eigenständiges Programm auf. Er war dungskongress der Komintern.“25 Dort auf den Tischler und KPD-Funktionär beauftragte ihn Lenin, nach Deutschland

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 17 zu gehen. 1935, und wiederum in der pel] I was born in Kiev (Russia) in 1888. I Schweiz, erinnerte sich Rejch an Lenins am now American citizen by naturalizati­ Anweisung: „Emportez autant d’argent on. After highschool I studied at the Uni­ que vous pourrez; envoyez des rapports versities of Charkov and St. Petersbourg, et, si possible, des journaux. D’une ma- where I got a degree. I mayored in history nière générale, faites ce que la situation and geography. Later on I did postgra­ permettra. Mais faites-le.“26 Hierfür qua- duate work with Prof. Gumplowicz (Graz. lifzierte ihn offenbar außer seinen poli- Austria) and Prof. Woker and Prof. Duerr tischen Erfahrungen seine Ausbildung, (Bern, Switzerland) and Prof. Schumann und es kamen ihm außer seinen illegalen (Zuerich, Switzerland) After my return seine legalen Tätigkeiten in der Schweiz to Russia I worked as a freelance writer und Österreich zugute. Ende Herbst in Moskow. After the Revolution 1917 I 1919 traf er in Berlin ein. Dort konnte worked in the Central State Archive in zu dieser Zeit wegen der zahlreichen Moskow and later on the Board of the Toten und Verhafteten nach den Janu- Editors of the Great Soviet Encyclopedia ar-Kämpfen in der Hauptstadt und den and furthermore as professor for History März-Niederlagen der Räterepubliken im at the University of Moskow. From 1922- Deutschen Reich aus seiner Sicht kaum 1926 I was advisor of the State Publis­ von einer kommunistischen Organisation hing House in Moskow. From 1926-1933 gesprochen werden. Er nahm, in enger I worked scientifcally in Berlin and from Absprache mit dem in Moabit inhaftier- 1933-1938 I worked at the Archive for ten Komintern-Beauftragten , Russian History of the Ministry for For­ die Arbeit auf: „Um seine Tätigkeit zu eign Affairs in Prague (Czechoslovakia). tarnen, gründete er eine Reihe von Fir- Besides Russian History, modern Euro­ men, u.a. in der Leibnizstraße, wo er eine pean History was my main feld of inte­ Buch- und Kunsthandlung mit bürgerli- rest. (Arnold Rubinstein).28 (Abb. 3) cher Fassade einrichtete, in deren Hinter- Entgegen dieser Legende seit 1919 in zimmer er Kuriere und Verbindungsleute Berlin ansässig, liefen bei Rejch alle Fä- empfng.“27 In einer dieser Dependancen den zusammen und wurden die Gelder befand sich die konspirative Zentrale aufbewahrt und verteilt, die die Komin- des Verlags Carl Hoym Nachf., als offzi- tern in die deutsche Revolution investier- elle Adresse stand „Filiale: Berlin NW 6, te. Die Kontrolle hierüber oblag von Mai Luisenstrasse 27-28“ in Berlin-Mitte auf 1921 bis 1926 Elena Dmitrievna Stasso- dem Briefkopf. va (Genossin Fritzmann, Hertha Sturm, Solcher langfristig angelegter konspirati- Lydia Konstantinowna Lipnizkaja, Lydia ver Umsicht Jakov Rejchs einerseits, sei- Wilhelm), die zugleich die Rote Hilfe auf- nen historischen Interessen andererseits baute:29 „Nach ihrer Ankunft beschränk- entspricht der Entwurf seiner Biografe te sich die Tätigkeit von James Thomas als Wissenschaftler und Autor in seinem offensichtlich auf die Verlagstätigkeit maschinenschriftlichen Lebenslauf, den der Komintern in Deutschland und ihre er ex post – nun Bürger der USA – zu Koordinierung mit der Verlagstätigkeit einem unbekannten Datum niederlegte der KPD.“30 Allein 1921 wurden für den und der von einem auf 1926 datierten Verlag Carl Hoym Nachf. „mehr als 10 Reisepass gestützt wurde: Arnold Ru­ Millionen Mark von der Komintern aus- binstein / 27 West 96th Street / New York gegeben, die Einnahmen beliefen sich 25, N.Y. / Tel. Riverside 9-2684. [Stem­ hingegen auf nur etwa eine halbe Milli-

18 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 3

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 19 on.“31 Andauernd heftige Auseinander- bis zu Lenins Todestag sind die Blätter setzungen um Rejchs Berichterstattung entfernt, weil er ihn bis zuletzt benutzt als „œil de Moscou“ über Interna der hat. Die Blätter vom 22. Januar 1924 an KPD-Führung,32 dazu wegen seines Fi- sind voll erhalten …“35 Gestützt wird dies nanzgebarens,33 vor allem jedoch die möglicherweise durch einen Eintrag im schwindende Macht Trotzkis und Ra- Katalog von Lenins Bibliothek im Kreml: deks in den Diadochenkämpfen nach „7497. Arbeiter-Wandkalender für das Lenins Tod am 21. Januar 1924 beende- Jahr 1924. Hrsg. von J. Thomas. Ham- ten seit 1925 sukzessive seine führende burg, Verl. C. Hoym Nachf. 1923. 344 Rolle. Diese „Bolschewisierung“ schlug S., Ill. Рабочий настенный календарь на sich unmittelbar in der Praxis des Ver- 1924 год. Под ред. И. Томаса. На шмуцтит. lags nieder. Anfang Juli des Jahres hatte дарственная надпись: ‚To Com. Lenin man der Zentrale der KPD mit einer 17 Happy New Year. M. Williams‘. (подпись). Posten umfassenden Liste angeboten, (‚Тов. Ленину счастливый Новый год. М. den Delegierten des Parteitages eine Вильямс‘).“36 Anzahl unserer Publikationen gratis zur Die letzte sichtbare Spur Jakov Rejchs im Verfügung zu stellen. Außer Veröffentli- Verlagszusammenhang ist seine Beteili- chungen über Kongresse der Komintern, gung an zwei, Ende der 1920er Jahre in Texten von Kamenew, Bucharin und Lieferungen herausgebrachten, Pracht- Sinowjew sowie der gebundenen Aus- werken. Sie repräsentieren auf ihre Wei- gabe des Arbeiterkalender 1925. Block se ebenfalls die strategische Konzepti- waren in dem Maschinenschreiben zwei on der Komintern in Deutschland, und Titel von Trotzki aufgeführt gewesen. Sie konnten zugleich – gefördert von Willi wurden, vermutlich im Org.-Büro, hand- Münzenberg und ungeachtet des stali- schriftlich durchgestrichen.34 nistischen Kurswechsels – noch die Rol- In den ersten Jahren seines Bestehens le Trotzkis und anderer Oppositioneller war der Arbeiterkalender, wenigstens für würdigen: „J. Thomas“ gab zusammen Kenner, nicht nur durch den Verlag der mit Walentin Nikolajewitsch Astrow und Komintern, sondern auch den nom de Alexander Nikolajewitsch Slepkow ab guerre von deren Residenten legitimiert 1928 die mit 225 Abbildungen versehe- gewesen: Während 1923 (1922) kein He- ne Illustrierte Geschichte der russischen rausgeber genannt ist, zeichnete 1924 Revolution 1917 (Neuer Deutscher Ver- (1923) und 1925 (1924) „J. Thomas“ ver- lag) heraus. Die Geschäftsführerin des antwortlich, und noch der 1926 für 1927 Verlags, Münzenbergs Lebensgefährtin produzierte Kalender nennt für die Tex- Babette Gross, hatte hierfür Foto- und tredaktion „Thomas“, wobei „Grau“ die Dokumentenmaterial „[…] in den Revo- Bildredaktion besorgte. Damit war die lutionsmuseen in Leningrad und Moskau Publikation offziös. Und wenn es sich [besorgt]. […] Damals herrschte in den nicht um eine Mystifkation handelt, so Museen und Archiven noch relativ viel mag die Anekdote dies bestätigen, nach Freiheit. Die überwiegende Mehrzahl der der „[d]ieser ‚Kalender‘ […] von seinem Angestellten gehörte der Partei nicht an, ersten Erscheinen an von Lenin hoch ge- man war hilfsbereit und legte das riesige schätzt und ständig benutzt [wurde]. In Material vor […]. Die Bilder und Bücher Lenins Schlafzimmer in Gorki, dort, wo der in Ungnade Gefallenen waren noch er am 21. Januar 1924 gestorben ist, nicht in die ‚Giftschränke‘ verbannt wor- liegt ein Exemplar dieses Kalenders, und den.“37 War dieser Band themenspezi-

20 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender fsch ganz aus russischen Bildarchiven keinen Zweifeln mehr [unterliegt]“,44 un- bestückt worden, so dürften für die von terstand „organisatorisch der Handels- „James Thomas“ von 1928 bis 1930 vertretung der UdSSR in Berlin“.45 Sie zusammen mit Paul Frölich und Rudolf war im Literaturexport und -import zwi- Lindau herausgegebene Illustrierte Ge­ schen Deutschland und der Sowjetuni- schichte der deutschen Revolution (In- on tätig und unterhielt eine Verlags- und ternationaler Arbeiter-Verlag) deutsche Sortimentsbuchhandlung mit russischer Ressourcen die wesentliche Rolle ge- Literatur in der Kurfürstenstraße 79.46 spielt haben. Dort habe Rejchs Aufgabe zunächst Zu deren Erscheinungstermin gehörten insbesondere in der Legalisierung aus der Herausgeber und etliche der Autoren Russland eingetroffener Gelder bestan- dann schon nicht mehr der KPD, sondern den.47 der KPO an38 – und spätestens 1928 war Spätestens 1928 aber war der Dissens Jakov Rejch „kaltgestellt […], weil er die mit dem Kurs von Komintern und KPD Einladung Stalins, nach Moskau zu kom- gegen den „Sozialfaschismus“ der SPD men, abgelehnt“ hatte.39 Gleichwohl ver- und für den „Aufbau des Sozialismus in band die Akteure wie die Bücher nach einem Land“ endgültig. Jakov Rejch ge- wie vor ihre „Tendenz“: In beiden Schrif­ hörte zu den Mitbegründern der Kommu- tenfolgen sind die Erfahrungen der russi­ nistischen Partei-Opposition (KPO), um schen Revolution und des Bürgerkriegs dann 1931 zur Sozialistischen Arbeiter- in Russland sowie die Revolutionskämp­ partei (SAP) zu wechseln – beides Ver- fe in Deutschland zusammengestellt, suche, in Abwehr des erstarkenden Na- und zwar derart, dass der Schulungs- tionalsozialismus eine Brücke zwischen und Unterrichtszweck deutlich erkennbar kommunistischen und sozialdemokra- wird.40 Beim Arbeiterkalender zeichneten tischen Positionen und Organisationen seit dem Ausscheiden Rejchs Funktionä- zu schlagen. Er lebte legal unter dem re, „die wahrscheinlich mit der Arbeit am Namen Arnold Rubinstein „in einem stil- Kalender kaum etwas zu tun hatten“,41 len Vorort , dorthin hatte er seine aber im Sinne der stalinisierten KPD ver- riesige Bibliothek und sein bedeutendes lässlich waren, „Für den Inhalt verant- Privatarchiv gebracht.“48 Beides musste wortlich“: 1928 Paul Wenzek, 1929 fehlt er nach seiner Flucht in die Tschechoslo- die Angabe, dann folgten zwei Reichs- wakei, wo er bis 1934 die Landesgruppe tagsabgeordnete, 1930 Paul Dietrich der SAP aufbaute und in der Gruppe Neu und 1931 bis 1933 August Creutzburg, Beginnen tätig wurde,49 weitgehend ver- wobei wiederum „Grau“ 1931 für die loren geben. Doch widmete er sich zu- „Bildredaktion“, 1932 für die „Gesamtre- mindest seit seiner Einwanderung 1938 daktion“ und 1933 für die „Anordnung“ in die USA der Geschichtsschreibung zuständig war.42 vor allem der russischen Revolutionen Allerdings: Jakov Rejch war nach wie vor – und fügte, gewiss als selbstironische im Verlagsgeschäft geblieben, in der am Referenz an frühere Zeiten, seinem Alias 5. Dezember 1921 in Berlin gegründeten Arnold Rubinstein als zweiten Vornamen und 1935 liquidierten Kniga Buch- und seine Parteiidentität „Thomas“ hinzu.50 Lehrmittelgesellschaft m.b.H.43 Die Fir- ma mit ihrem „faktischen Direktor“ V.P. Krjučkov, „[d]dessen langjährige Be- ziehung zum Geheimdienst […] heute

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 21 Anmerkungen Abbildungen

17 Vgl. Weber et al., Komintern (wie Anm. 16), passim. 2 Mihály Biró. Riese Proletari- at, nach Plakat für das Zentralorgan 18 Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 94. der Sozialdemokratischen Partei Un- 19 Vgl. Markus Wehner, Kaderkarrieren der Weltrevolution: Die garn, 1912. Arbeiter Wandkalender deutsch-russische Geschichte der Brüder Rakow, in: Internationa- Schmuckblatt nach 8.-10. Novem- le wissenschaftliche Korrespondenz zur Geschichte der deutschen ber 1923. Sächsisches Staatsarchiv – Arbeiterbewegung (künftig: IWK) 30 (1994) H. 1, S. 29-67, bes. S. Staatsarchiv Chemnitz. 36-37 und 41-43. 3 Passeport pour l’étranger, No. 20 Vgl. Roland Jaeger, Tore zur Bücherwelt: Hamburgs Anti- 49790, 1926 für Roubinchstein Arnold, quariate und Auktionshäuser der Zwischenkriegszeit (I), in: Aus in: Special Collections, Raymond H. dem Antiquariat N.F. 8 (2010) Nr. 4, S. 261-281, bes. Abschnitt Fogler Library, University of Maine, „Internationales politisches Antiquariat“, S. 275-287 (Hinweis Ro- Arnold Thomas Rubenstein Historical land Jaeger, Hamburg-Berlin). Papers, SpC MS 0441, Box 241, fol- 21 Laut Handelsregister Hamburg Carl Henry Hoym Verlag und der 1. Verlagsbuchhandlung am 3.2.1920 an Louis Carl Wilhelm Cahn- bley. Handelsregister AG Hamburg, Abt. A 20 373 (Urkunde 3894 vom 3.8.1960. Abschrift), nach Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 96-97.

22 Cahnbley, Louis, in: Stiftung Archiv der Parteien und Mas- senorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin (künftig: SAP- MO BArch) Sammlungen SgY 30/0132 fol. 32.

23 Ebda fol. 16.

24 Vgl. Markus Wehner/Aleksandr Vatlin, „Genosse Thomas“ und die Geheimtätigkeit der Komintern in Deutschland 1919–1925, in: IWK 29 (1993) H. 1, S. 1-19; Unter gleichem Titel in: Alexander Watlin, Die Komintern 1919–1929. Historische Studien (Studien zur Geschichte der Komintern Bd. 1), Mainz 1993, S. 21-44.

25 Hermann Weber/ Andreas Herbst, Rejch, Jakov (Thomas), in: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin ²2008, S. 710-711, hier S. 710.

26 „Nehmen Sie so viel Geld mit, wie Sie können. Schicken Sie Berichte und, wenn möglich, Zeitungen. Unternehmen Sie alles, was die Situation erlaubt. Aber tun Sie es.“, vgl. Boris Nicolaevsky, Les premières années de L’Internationale Communiste. D’après le récit du „camarade Thomas“ recueilli, introduit et annoté par B.N., in: Jacques Freymond (Hg.), Contributions à l`histoire du Co- mintern, Genève 1965, S. 12; vgl. die englische Übersetzung der Encyclopedia of Trotskyism On-Line: Revolutionary History, Vol. 5 No. 2 https://www.marxists.org/history/etol/revhist/backiss/vol5/ no2/reich.html (Aufruf 24.8.2018).

27 Babette Gross, Willi Münzenberg. Eine politische Biogra- phie (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 14/15), Stuttgart 1967, S. 108.

22 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 28 Arnold Rubinstein: Lebenslauf (o.D.), in: Special Collections, Raymond H. Fogler Library, University of Maine, Arnold Thomas Rubenstein Historical Papers, SpC MS 0441, Box 241, folder 1. (Mitteilung Desiree Butterfeld Nagy, University of Maine). Der Nach- lass liegt dort als 1970 getätigte Schenkung seiner Stieftochter Eva Reich Moise, vgl. https://digitalcommons.library.umaine.edu/ fndingaids/74/; Aufruf 24.8.2018). Bei den im Lebenslauf Genann- ten handelt es sich vermutlich um den Staatsrechtler und Soziolo- gen Ludwig Gumplowicz, den Historiker Philipp Woker (zu dessen „nicht registrierten Hörern u.a. Wladimir Iljitsch Lenin und vielleicht auch Leo Trotzki“ gehörten, vgl. Historisches Lexikon der Schweiz www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D27127.php; Aufruf 24.8.2018) so- wie den Philosophen und experimentellen Psychologen Friedrich Schumann (vgl. F. Peter, Verzeichnis der Dozenten der Universität Zürich Sommersemester 1833 bis Wintersemester 1937/38, Phi- losophische Fakultät I, Ordentliche Professoren Nr. 40.)

29 Vgl. Markus Wehner/Aleksandr Vatlin, „Genosse Thomas“ und die Geheimtätigkeit der Komintern in Deutschland 1919– 1925. In: IWK, 29 (1993) H. 1, S. 1-19, hier S. 5-6; Wehner, Kader- karrieren (wie Anm. 19), S. 25-26; Vgl. Jelena Stassowa, Genossin „Absolut“. Erinnerungen, Berlin 1978 (Moskau 1969), S. 193-194, ohne Nennung des WES oder Jakov Rejchs.

30 Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 132.

31 Wehner/Vatlin, Genosse Thomas (wie Anm. 29), S. 6; vgl. auch Siegfried Lokatis, Weltanschauungsverlage, in: Ernst Fischer/ Stefan Füssel (Hg.), Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 2, Die Weimarer Republik 1918- 1933, Berlin 2012, S. 111-138, bes. S. 117-124 (Hinweis Andreas Horn, BArch); Lokatis stützt sich insbesondere auf Hädicke, Partei- verlag (wie Anm. 13) sowie auf Karl Retzlaw, Spartacus, Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters, Frankfurt 4 a.M. 1976; vgl. auch Weber et al., Komintern (wie Anm. 16), Bd. II Dokumente, Teilband 1, Dokument 33.

32 Nicolaevsky, L’Internationale (wie Anm. 26), S. 17

33 Nach Auseinandersetzungen mit Ossip Pjatnicki wegen unvollständiger Abrechnungen und etlichen Kommissionen, die dies untersuchten, würdigte die Internationale Kontrollkommissi- on am 14.7.1925 seine Tätigkeit und entlastete ihn, vgl. Michael Buckmiller/Klaus Meschkat (Hg.), Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale. Ein deutsch-rus- sisches Forschungsprojekt, Berlin 2007, CD-ROM mit Datenbank, Eintrag Reich (Thomas). (Hinweis Reinhard Müller, Småland).

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 23 34 Verlag Carl Hoym an Zentrale der KPD, Orgbüro, 7.7.1925, SAPMO BArch Kommunistische Partei Deutschlands RY 1/I 2/707/123, fol. 4.

35 Lilly Becher, „Arbeiterkalender“ in einem Exemplar erhalten, in: Neue Deutsche Presse 17 (1963) H. 3, S. 39; vgl. Nadezda Ni- kolaevna Zlacen, Lenin-Museen in der UdSSR, in: Neue Museums- kunde 17 (1974) H. 1, S. 21-36.

36 A.F. Bessonova/L. K. Vinogradov/E. G. Golonchova u.a., Bib- lioteka V. I. Lenina v Kremle : Katalog, Moskva : Isdatelstwo Vseso- juznoj Knižnoj Palaty 1961, S. 605. (Arbeiter-Wandkalender für das Jahr 1924 unter Redaktion J. Thomas mit persönlicher Widmung: Dem Genossen Lenin ein glückliches neues Jahr, M. Williams). (Übersetzung Lilli Musorin, Dresden). Vermutlich ist der Schenker „der unter dem Pseudonym ‚Williams‘ in den USA arbeitende Boris Michajlov“, vgl. Weber et al, Komintern (wie Anm. 16), S. 497, Anm. 43. Der Erinnerung Margarete Buber-Neumanns an ihre Ankunft im Hotel Lux im Mai 1932 zufolge wohnte einige Zimmer weiter „‚Williams‘, ein russischer Indienspezialist der Komintern, mit sei- ner Freundin, einer blonden, hochgewachsenen Amerikanerin [...].” Margarete Buber-Neumann, Kriegsschauplätze der Weltrevolution. Ein Bericht aus der Praxis der Komintern 1919–1943, Stuttgart 1967, S. 346.

37 Gross, Münzenberg (wie Anm. 27), S. 191.

38 Vgl. Thomas Huonker, Revolution, Moral & Kunst. Eduard Fuchs: Leben und Werk, Zürich: Limmat Verlag Genossenschaft 1985, S. 177.

39 Retzlaw, Spartacus (wie Anm. 31), S. 284.

40 Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung (künftig: RKO), Lagebericht 128, 20.2.1929, BArch R 134, Nr. 42, fol. 69, nach: Mikrofcheausgabe, hg. von Ernst Ritter, München 1979.

41 Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 7.

42 Die Identität von „Grau“ ließ sich nicht aufklären.

43 Vgl. Buckmiller/Meschkat, Handbuch (wie Anm. 33); vgl. Hä- dicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 58: „Klaus Zweiling schrieb, daß er Thomas im Jahre 1933 in der SAP als Rubinstein kennen- lernte. Letzteres wird auch von Hans Paul bestätigt, der Thomas in der Buchhandlung Kniga in Berlin nach 1924 unter dem Namen Rubinstein kannte.“

44 Efim A. Dinerštejn, Glavlit und die Emigrationsverlage, in: Karl Schlögel (Hg.), Russische Emigration in Deutschland 1917 bis 1941, Berlin 1995, S. 420-431 hier S. 426.

45 Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 95.

24 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 46 Vgl. Thomas R. Beyer/ Gottfried Kratz/ Xenia Werner, Rus- sische Autoren und Verlage nach dem Ersten Weltkrieg (Staats- bibliothek Preußischer Kulturbesitz, Veröffentlichungen der Osteu- ropa-Abteilung Bd. 7), Berlin 1987, S. 85-87; Claudia Scandura, Die Ursachen für die Blüte und den Niedergang des russischen Verlagswesens in Berlin in den 20er Jahren, in: Schlögel, Emigrati- on (wie Anm. 44), S. 403-410 (Hinweise Sabine Kaiser, Staatsbib- liothek Berlin).

47 Vgl. Buckmiller/Meschkat, Handbuch (wie Anm. 33).

48 Gross, Münzenberg (wie Anm. 27), S. 191. Einer Eingabe Rejchs aus Prag vom 12.5.1933 an das Berliner Polizeipräsidium zufolge war die Bibliothek in der Wohnung seiner Frau Ruth Oes- terreich untergebracht und dort am 11.5.1933 beschlagnahmt worden. Die verstreuten Angaben über die wenigstens teilweise Sicherung der Bücher und Dokumente sind widersprüchlich, vgl. Birgit Schmidt, Wer war Ruth Oesterreich? Auf den Spuren einer vergessenen Sozialistin (Widerständige Frauen Bd. 13), Lich 2011, S. 23-24; vgl. hierzu auch den Bericht von Boris Goldenberg über Rejchs Tätigkeit und Bibliothek in Prag bei Jörg Bremer, Die Sozi- alistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Untergrund und Exil 1933–1945, S. 51 mit Anm. 5.

49 Deren Auslandsleiter war zu dieser Zeit ein früherer Mitarbei- ter Rejchs im WES, Karl Frank, vgl. Udo Vorholt, Die Sowjetunion im Urteil des sozialdemokratischen Exils 1933 bis 1945, darin: Ex- kurs: Zur Person von J. Thomas, S. 161-165; zu den Funktionen Rejchs in der SAP in Berlin und Prag und seinem Übertritt zu Neu Beginnen vgl. Bremer, SAP (wie Anm. 48), passim.

50 Vgl. Rubinstein, Lebenslauf (wie Anm. 28), passim; zu ­Rejchs Ehe mit der Psychoanalytikerin Annie Pink, der Ex-Ehefrau von Wilhelm Reich, und dem Leben im amerikanischen Exil vgl. James ² Edward Martin, Wilhelm Reich and the Cold War, Ashland 2014, bes. S. 70-72.

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 25 4

26 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Ressourcen und Bündnislinien

Die Eigenproduktionen des Verlags Carl rarische Publikationen, etwa in der Rei- Hoym Nachf. und der Vertrieb der russi- he Das neue Russland in künstlerischer schen Importe wuchsen rasch derart an, Darstellung sowie Broschüren zu Ein- dass die KPD-Führung 1920 in Moskau zelthemen.53 Solche Veröffentlichungen dagegen protestierte, daß der kommu­ wurden mit einem zumeist typografsch, nistische Büchermarkt in Deutschland immer wieder aber auch bildlich gestal- fast nur aus Publikationen der Internati­ teten Einband oder Umschlag, gelegent- onale gedeckt und der Leiter des WES lich mit weiteren Illustrationen im Innern lediglich zu einem Verleger der Publika­ versehen. Diese Entwicklung zeichnet tionen der Kommunistischen Internati­ sich gleichfalls, allerdings verhaltener, onale geworden sei.51 Bremsen konnte bei der politischen Fachliteratur ab. Für diese Intervention die Aktivitäten aller- diese Ausstattungen versicherte man dings keineswegs, und die fnanziellen sich, neben anonym bleibenden Auto- Möglichkeiten des Westeuropäischen ren, gern der Mitarbeit auch beim linksli- 5 Sekretariats überstiegen bei weitem die der Zentrale der KPD. So berichte- te die Polizeibehörde Hamburg, Abtei- lung II am 22. Dezember 1922 an den Reichskommissar für Überwachung der öffentlichen Ordnung, dass, wie hier mit Sicherheit festgestellt werden konnte, die Buchhandlung von Carl Hoym Nachf. Hamburg, Inhaber Carl Wilhelm Cahn­ bley, Franke’s Verlag G.m.b.H., Seehof & Co., Phönix-Verlag in Bremen und Fe­ lix Wolff-Verlag in Berlin auf Beschluss des Reichssekretariats der K.P.D. zu ei­ ner internationalen Verlagsanstalt „Viva“ zusammengefasst worden sind. […] Die Oberleitung liegt dem Westeuropäischen Sekretariat ob […].52 Man konzentrierte sich zu allererst auf die Verbreitung von Basistexten für den Funktionärsapparat und politisch Inter- essierte in verschiedenen, teils umfang- reichen Reihen – Schriften von Marx, Engels und Lenin, von Liebknecht und Zetkin, von Trotzki, Radek, Bucharin, Sinowjew oder später Stalin, auf öko- nomische Arbeiten von Eugen Varga, die Kongress-Protokolle der Komintern oder deren Zeitschrift Die Internationale. Daneben traten, allerdings seltener, lite-

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 27 den Teil Reproduktionen entweder von russischen Originalphotographien oder von russischen Plakaten und Zeichnun­ gen. Original-Zeichnungen für diesen Band, die auch hier zuerst reproduziert werden, sind die beiden Zeichnungen von Deni, die beiden Zeichnungen von George Grosz und das Liebknecht-Blatt von Käthe Kollwitz. Einige andere Zeich­ nungen […] wurden aus revolutionären englischen und amerikanischen Zeitun­ gen reproduziert.55 (Abb. 7-9) Alle Ausgaben des Arbeiterkalenders waren in aufwändigen Recherchen zu- sammengestellt, redigiert und gedruckt, vorderseitig illustriert, mit Verweisen auf Gedenktage in den Datumskästen verse- hen sowie mit Textrückseiten ausgestat- tet: Der Kalender enthält in klarem Druck auf schönem Papier: Auf der Rückseite jedes Blattes gut ausgewählte Stellen aus der politischen Literatur; Abdrucke von Zeitungsausschnitten; Blamagen der Gegner; Mahnungen, Rufe, Erinnerun­ gen – sehr schätzenswerte und notwen­ dige Erinnerungen. Auf der Vorderseite das deutliche Datum, kommunistische Gedenkdaten und eben Das, weswegen er hier angezeigt werden soll: auf jedem 56 6 Blatt ein Bild. Aufagenhöhen sind nicht beralen Bürgertum renommierter Künst- verlässlich überliefert. Er sei in hoher ler wie etwa Rudolf Schlichter, George Aufage erschienen, hieß es 1925.57 „Für Grosz, Karl Holtz oder Käthe Kollwitz.54 Jahrgang 1929 wies ein Schreiben der (Abb. 5, 6) Vertriebszentrale der KPD eine Aufage Programmatisch hierfür waren von An- von 50 000 Exemplaren aus“58 und für fang an gelegentlich Publikationen wie 1930 soll sie 100 000 betragen haben.59 der Almanach des Verlages der Kommu­ Ähnlich weitgehend unklar sind die Iden- nistischen Internationale 1921, der außer titäten der Text- wie der Bildredakteure zahlreichen schwarzweißen Reproduk- sowie deren Quellen samt Bezugswegen tionen nach russischen Zeichnungen, geblieben. Doch es wird für die Selbst- Holzschnitten und Fotografen sogar wahrnehmung der Akteure gelten, dass 15 mehrfarbig formatfüllend gedruckte Umfang und Charakter des Werkes ge­ Abbildungen enthielt – einige von ihnen boten, es in kollektiver Arbeit zu schaf­ fanden den Weg in den Arbeiterkalender. fen.60 So berichtet die ab 1921 in der Ihre Quellen sind im Editorial vermerkt: Zentrale der KPD aktive und 1924/25 Die Illustrationen sind zum überwiegen­ als Vorsitzende amtierende Ruth Fischer

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 29 9 (d.i. Elfriede Eisler), sie sei 1920 von Karl rige Parteikarriere skizzierte, blieb Jakov Radek „als Lehrling zu James Thomas Rejchs Namen noch in der DDR unge- geschickt worden, um von Grund auf nannt: Geboren 27.1.1901 in Nuernberg. zu lernen, mich mit Fragen der interna- 1919 Mitglied des Spartakusbundes, tionalen Beziehungen zu beschäftigen Januar 1920 Mitglied der Komm. Partei, und daher Zeitungen lesen zu lernen und Muenchen, Sektion Schwabing. Herbst einige Archivarbeiten für das Sekretariat 1921 Mitglied der KPD, Berlin-Neukoelln.­ zu machen.“61 Des Englischen wie des Während dieser Zeit verschiedene klei­ Französischen mächtig, wertete sie im nere Funktionen, dann Frauenleiterin KPD-Pressebüro internationale Zeitun- und Mitglied der Bezirksleitung Neu­ gen aus und arbeitete im WES mit dem koelln, 1923 Frauensekretaerin von Ber­ Schriftsteller Valeriu Marcu zusammen. lin-Brandenburg u. Mitglied der Berliner Auch Lilly Korpus erinnerte sich – nun Bezirksleitung. Während des Parteiver­ Lilly Becher, Witwe des ersten Kulturmi- bots, Februar 1924 Gruenderin der Frau­ nisters der DDR – 40 Jahre später nicht enzeitschrift „Die Arbeiterin“. 1924 De­ allein daran, dass sie am „‚Arbeiterkalen- legierte zum Frankfurter Parteitag, Wahl der‘ als Mitarbeiterin [ihre] ersten jour- zur stellvertretenden polit. Sekretaerin nalistischen Erfahrungen gesammelt“ von Berlin-Brandenburg, Redaktions­ habe, sondern verwies nachdrücklich arbeit am „Funke“. 1926 Org-Leiter der darauf, dass dieser das erste in „Mas- Ortsgruppe Weissensee. 1927 IAH-Ar­ senaufage verbreitete Dokument unse- beit, hauptsächlich als Referent. Verlags­ rer revolutionären Pressearbeit Anfang arbeit. 1928 Auftrag in Paris die illustrier­ der 20er Jahre […]“ gewesen sei.62 Wie te Zeitschrift „Nos Regards“ zu gruenden aber schon 1941, als sie als Lily Paul für und einzurichten. Nach Rueckkehr von einen Fragebogen in Moskau ihre bishe- Paris Uebernahme der Chefredaktion der

30 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender AIZ, deren Leitung bis November 1932. ben und wurde auf diese Weise mit 1931 schwere Erkrankung, Gallenopera­ Lenins Philosophie weit besser bekannt, tion, von dieser Zeit an keine aktive Ar­ als das beim bloßen Lesen des Buchs beit mehr, besonders nach Rueckfall im der Fall gewesen wäre. Einmal schickte Herbst 1932.63 mich unser Freund J. zu Wladimir Maja- Rejch verfuhr organisatorisch mehrglei- kowski, der im Sommer 1924 nach Berlin sig und in vieler Hinsicht politisch un- gekommen war.“71 Cläre Jung erinner- orthodox. So fnanzierte er seit Beginn te sich 1977, sie und Jung hätten „den 1920 die unter Bedingungen der Illega- Mann kennen[gelernt], der im Auftrag der lität produzierte Russische Korrespon­ sowjetischen Regierung in Deutschland denz,64 deren Redakteur Franz Jung in für Propaganda zuständig war, ein enger der wegen ihres linksradikalen Aktio- Vertrauter Lenins noch aus der Zeit der nismus nur mit einem Beobachterstatus Züricher Emigration; er war ein überaus der Komintern verbundenen KAPD aktiv kluger Kopf und beschlagen auf ziemlich war.65 Als 1922 infolge der beginnenden allen Gebieten, außerdem ein Sprach- Infation der Parteiverlag der KPD, die genie. Mit ihm zusammen gaben Franz Vereinigung Internationaler Verlagsan- Jung und ich später die ‚Russische Kor- stalten (ViVA), in fnanzielle Schwierigkei- respondenz‘ heraus; er war auch Heraus- ten geriet und deshalb an die Komintern geber der Zeitschrift ‚Arbeiterliteratur‘, in übergeben wurde, setzte Rejch halbtags der zum ersten Male Majakowski-Ge- Karl Gröhl (d.i. Karl Friedberg, seit 1953 dichte in deutscher Sprache erschienen, Karl Retzlaw )66 als Leiter ein.67 Vor al- die ich übrigens damals, im Jahr 1924, lem aber lief aus Gründen der Abschir- von Majakowski erbeten und die Becher mung der Kontakt Rejchs zum ZK der nachgedichtet hatte.“72 Ob sich die Be- KPD über ihn, einen Parteigänger des teiligung beider Jungs „mit einem grö- aus der Partei ausgeschlossenen Paul ßeren Kollektiv […] Ende 1927“ an der Levi. Gröhl war anschließend maßgeb- Gründung des Deutschen Foto-Diens- lich am Aufbau des geheimen Nachrich- tes, der nachmaligen Dephot, dann wie- ten- und Militärapparats der KPD und an derum im Bildgebrauch des Verlags Carl der Vorbereitung des „Deutschen Okto- Hoym Nachf. oder anderer kommunis- ber“ 1923 beteiligt,68 1926 gefasst wor- tischer Verlage niedergeschlagen hat, den und nach zweijähriger Haft ab 1928 muss allerdings offen bleiben.73 als Stellvertreter der Geschäftsführerin Lassen sich für Textarbeiten somit we- Babette Gross von Willi Münzenbergs nigstens einige Spuren ausmachen, so Neuem Deutschen Verlag tätig.69 1924 können die Umstände der umfangrei- wurde – neben einigen anderen Zweig- chen Bildrecherchen bislang weitgehend verlagen zuvor, wie etwa Franke’s Verlag nur vermutet werden. Für zeitgenössi- in Leipzig – der Verlag für Literatur und sche Themen wurden zunächst vor al- Politik mit formellem Sitz in Wien unter lem aus Moskauer Archiven importierte der Leitung von Johannes Wertheim ge- Fotografen sowie Bildmaterial aus bür- gründet.70 Wiederum arbeitete Rejch hier gerlichen Presseagenturen eingesetzt.74 mit Franz und Cläre Jung zusammen – Wieweit eine mögliche Übernahme des dem Schriftsteller als Herausgeber und Archivs von Die freie Welt. Illustrierte Wo­ Autor, dessen Frau als Sekretärin: „So chenschrift der Unabhängigen Sozialde­ mußte ich einmal Lenins Werk ‚Materia- mokratie Deutschlands infolge der Verei- lismus und Empiriokritizismus‘ abschrei- nigung der USPD-Mehrheit mit der KPD

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 31 Karl Holtz,76 aus der Schweizer Illustrier­ ten Zeitung,77 aus der englischen Zeit- schrift The Graphic,78 dann Fotografen aus ungenannten Quellen wie „Lenin, in einem Hofe des Kremls in Moskau (Neu- este Aufnahme)“,79 „Friedrich Engels. Diese fast unbekannte Photographie von Engels stammt ungefähr aus dem Jah- re des obenstehenden Aufsatzes, also 1883/84“80 und „Das Antlitz des Krie- ges“.81 Dazu kamen Reproduktionen aus Büchern wie „Vincent van Gogh (1853- 1890) Gefängnishof“82 oder „Eduard Ma- net (1832–1883) (Großer französischer, moderner Maler) Die Granate“.83 Und sehr wahrscheinlich hatte die nicht un- beträchtliche Anzahl von Reproduktio- nen nach Lithografen Honoré Daumiers der während des Krieges der USPD und dann KPD und Komintern verbundene Sammler und Revolutionär Eduard Fuchs beigesteuert. Auch wird der Verlag für die Abdruckgenehmigung sich jeweils mit dem Kommunismus nahestehenden Künstlern in Verbindung gesetzt haben. Und zugleich müssen – etwa im Fall von Aufnahmen der Straßenkämpfe in Berlin vom Januar 1919, die eine wiederkeh- 10 im September 1920 eine Rolle gespielt rende Rolle im Motivkreis des Arbeiter­ haben mag, ist nicht belegt, angesichts kalenders bilden – einschlägige Arbeiten einer ganzen Reihe von Doppelverwen- von Berliner Berufsfotografen wie Robert dungen aber sehr wahrscheinlich. Je- Sennecke, Willy Römer (Photothek) und denfalls hatte diese Zeitschrift seit ihrer Alfred Grohs oder Verlagen bzw. Agen- Gründung Anfang 1919 intensiv mit Bil- turen wie der Neuen Photographischen dern gearbeitet, sowohl Reproduktionen Gesellschaft, der Photochemie GmbH, von Fotografen wie von Grafken ganz S. u. G. Saulsohn oder Michaelis ange- unterschiedlicher Herkunft abgedruckt kauft worden sein. und ganzseitig ihre Titelblätter mit Mo- Waren deren Postkarten als aktuellstes tiven ausgestattet, die dann 1923 im Ar­ Bildmedium während der Revolution von beiterkalender teilweise wieder publiziert tagespolitischer Bedeutung gewesen, werden sollten. (Abb. 10-12) so wurden sie nun in neuem Kontext für Gerade diese frühzeitige Verwendung neue Zwecke aktualisiert.84 Außerdem spricht für einen eher problemlosen Zu- brachte spezifschen Nutzen womöglich gang zum Material. Die Bilder stammten das seit 1922 belegte Archiv der Interna- beispielsweise aus Beständen der Pho- tionalen Arbeiterhilfe „mit tausenden von tothek (Willy Römer),75 von dem Zeichner Fotos aus den Hungergebieten, von Re-

32 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 11 12 volution und Bürgerkrieg in Rußland und chen, vergessenen Dokumenten, Reise- von den vielfachen Aktionen der IAH.“85 berichten der Vergangenheit ausgehen Bilder der Verheerungen allerdings, mit kann. Wir wälzten Folianten, durchstö- denen die IAH international um Hilfe für berten Archive, unsere Köpfe sprühten die Hungernden geworben hatte, haben Ideen, die eine Umsetzung in die unse- keine Aufnahme in den Arbeiterkalender ren Lesern leichtverständliche Bildspra- gefunden. che erlaubten.“86 Umso mehr dürfte für die bildredaktio- In kommunistischer Strategie entspra- nelle Arbeit am gleichermaßen gegen- chen Themen, Medienmischung und wartsbezogen wie historisch argumen- Publikationsform, außer der Grundaus- tierenden Arbeiterkalender gelten, was richtung auf proletarische Adressaten, Lily Becher rückblickend über die AIZ nicht zuletzt dem in der Komintern dis- schreiben sollte: „Von den Schwierigkei- kutierten „Bündnis“ der kommunistisch ten, die wir beim Finden geeigneten Fo- geführten Arbeiterklasse mit den Hand- tomaterials hatten, war schon die Rede. und Kopfarbeitern und dem kleinen Bür­ Wir halfen uns, indem wir aus den Fo- gertum.87 Diese, besonders durch die tos der bürgerlichen Agenturen Serien Infation 1923 und dann die Weltwirt- ‚bauten‘, oft in monatelanger, geduldi- schaftskrise ab 1929 deklassierten oder ger, mühsamer Arbeit. Wir entdeckten von Proletarisierung bedrohten Schich- die packende und aktuelle Wirkung, die ten, dazu bürgerliche Antimilitaristen und von historischen Bildern, alten Kupfersti- Freidenker oder von der SPD enttäusch-

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 33 te Republikaner, sollten im Vorfeld der Gesamtkonzept des Arbeiterkalenders.90 Partei punktuell und mehr oder weniger Bereits die erste Ausgabe für 1923 hatte lose an die KPD gebunden werden. Von dies programmatisch markiert: Sie wird zentraler Bedeutung hierbei waren Ver- eröffnet mit dem Holzschnitt „Arbeiter- bände wie die Rote Hilfe und vor allem kopf“ von Käthe Kollwitz, dem eine gro- die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) mit ße Sequenz zum „Spartakus-Aufstand“ der ihr verbundenen Künstlerhilfe, die vom Januar 1919 folgt. (vgl. Abb. 110- sogen. kommunistischen Hilfsorganisati­ 122) Im weiteren Inhalt fnden sich Blät- onen, die der Agitation und Zersetzung ter mit Porträts von Personen, die für innerhalb der politisch radikal eingestell­ ganz unterschiedliche Revolutionen und ten Kreise von Intellektuellen dienen.88 Positionen seit dem ausgehenden 18. Die soziale Grundlage der kommunis­ Jahrhundert stehen: Danton, ­Baku­nin tischen Intellektuellen-Propaganda zu- und Marx sowie die utopischen Sozi- sammenfassend, antwortete Willi Mün- alisten Fourier, Owen und St. Simon in zenberg als spiritus rector dieser Praxis grafschen Darstellungen, Engels, Bebel, vor allem auf publizistischem Gebiet in Mehring, Louise Michel, Wilhelm und Karl einem Gespräch mit Klaus Hermann, Liebknecht, Luxemburg, Lenin, Trotzki dem Redakteur von Die Neue Bücher­ und Sinowjew in Fotografen – wie bei- schau, auf dessen abschließende Fra- läufg verbinden sich die nahe Vergan- ge: Wie haben Sie es verstanden, einen genheit und vor allem die Gegenwart mit großen Teil der deutschen Intelligenz zur fotografscher Präsenz von Akteuren und Mitarbeit heranzuziehen, was bisher den Sachverhalten zu neuer Beweiskraft ihrer proletarischen Parteien Deutschlands Existenz und fortdauernden Bedeutung. nur in ganz geringem Maße gelungen Wenn auch Bakunin und Bebel nach dem ist? Münzenberg: Ich glaube, daß dies zweiten Jahrgang nicht mehr auftauchen: nur zum geringsten Teil mein Verdienst Insgesamt deckt die Bildauswahl, vor ist. […] Vielmehr glaube ich und vertre­ allem in den von Rejch verantworteten te diese Tese [!] auch immer wieder, daß Anfängen, ein breites thematisches, po- die sozialen Schichten zwischen Groß­ litisches und stilistisches Spektrum ab. bourgeoisie und Proletariat, also auch Außer zunehmend zahlreichen Fotograf- die Intellektuellen, durch wirtschaftliche en des 20. und einigen wenigen Porträts Notlage oder Erkenntnis immer mehr zu des 19. Jahrhunderts illustrieren anony- der Arbeiterbewegung gedrängt und ihr me Holzschnitte und Kupferstiche der fester verbunden werden. Daran zu ar­ frühen Neuzeit Ereignisse seit dem Bau- beiten, […] das halte ich für meine spe­ ernkrieg; Lithografen vor allem von Ho- zielle politische Tätigkeit, und ich glaube noré Daumier und Théophile Alexandre auch, daß diese Arbeit trotz aller gehäs­ Steinlen – dem als einzigem Künstler auf sigen Anfeindungen weiter vorwärts ge­ dem Datumsblatt vom 15. – 17. Dezem- hen wird.89 ber 1925 sogar ein ganzfguriges fotogra- Eine solche Linie, die Jakov Rejch of- fsches Porträt gewidmet wurde – stehen fenbar bei der Auswahl der für den Ko- für die sozial und politisch engagierte minternverlag mit der Produktion und bürgerliche Kunst des 19. Jahrhunderts. Verbreitung befassten Personen inner- Entsprechendes gilt für die kooperieren- halb der kommunistischen Strömungen den Künstler der Gegenwart, etwa von befolgt hatte, realisierte er entsprechend Anfang an den der USPD verbundenen bei der Auswahl des Bildmaterials im Karl Holtz91 und den zeitweise in der

34 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 13 KPD organisierten und vor allem in der dem Ausscheiden Rejchs und kurz vor Künstlerhilfe der Internationalen Arbei- der endgültig verschärften Gegnerschaft terhilfe aktiven George Grosz und Rudolf zum „Sozialfaschismus“ der SPD deute- Schlichter oder seit 1926 – bemerkens- ten sich zarte Kooperationen über zeit- wert oft – den belgischen Sozialisten genössische Parteigrenzen ab: „1928 Frans Masereel (dessen Holzschnitte übernahm die Büchergilde Gutenberg außerdem in sozialdemokratischen Pu- [sieben, W.H.] Reproduktionen von Li- blikationen erschienen).92 Daneben thographien Steinlens aus dem Arbei- stützte man sich auf Parteiaktivisten wie ter-Wandkalender.“ – eine Zusammen- die ungarischen Emigranten Griffel (d.i. arbeit, die allerdings ohne den auf dem Sandór Dallós) und Alex Keil (d.i. Sandór linken SPD-Flügel stehenden Geschäfts- Ék), den Bulgaren Bruno Fuck (d.i. Boris führer der Büchergilde, Erich Knauf, wohl Angeluschew), die Deutschen Peter Paul undenkbar gewesen wäre.95 (Abb. 13) Eickmeier, Alois Erbach, Max Gebhard, Für linksbürgerliche, zudem wenigstens Gü (d.i. Günther Wagner), Pewas (d.i. zeitweise mit der KPD sympathisierende, Peter Walter Schulz), John Heartfeld (d.i. Intellektuelle wie Kurt Tucholsky verwirk- Helmut Herzfeld)93 oder Red (d.i. Alfred lichte der Arbeiterkalender ein Ideal bis- Beier). Sie gehörten zum ab 1927 von siger Kritik in moderner Medialität: Unter Max Keilson geleiteten Zentralen Atelier den dreihundertfünfundsechzig Abreiß­ für Bildpropaganda der KPD, das vor al- kalendern, die nun auf uns herniederra­ lem anonyme Arbeiten beisteuerte, und scheln, empfehle ich den „Arbeiter-Ka­ bildeten den Kern der Assoziation Revo- lender 1931“ (erschienen im Verlag Carl lutionärer Bildender Künstler Deutsch- Hoym, Hamburg-Berlin). Auch wer kein lands (Asso) in Berlin.94 Und noch nach Arbeiter ist, kann sich den hinhängen.

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 35 Man soll nicht den Proletarier mimen, Tucholsky hatte frühzeitig zu den Pro- wenn man es nicht ist; hier haben sie motoren einer neuen Pressepolitik der aber unser aller Sache – alle drei Tage ein Linken (mit deutlichen Sympathien für Blatt – abgebildet. Gute Tendenz-Pho­ die KPD) gehört, und bereits fünf Jah- tos, geschickt gemacht, frech, aggressiv re zuvor in der Weltbühne gegen lang- und einprägsam. Auf der Rückseite je­ weilige Witzblätter wie den in die Jahre des Blattes immer ein höchst lehrreiches gekommenen Simplicissimus und die Zitat – in kleinen Dosen ist solche Infor­ Phantasiearmut der sozialdemokrati­ mation wenig zeitraubend, man liest das, schen Parteiredakteure mit ihren Bild­ und man hat etwas davon. Ein guter Ka­ beilagen […] wie zu Großmutters Zeiten lender. Abschließend warb Tucholsky für polemisiert und gefragt: Warum macht Spenden zugunsten der Roten Hilfe.96 sich von den Kommunisten Niemand da­ Hatte er im Jahr zuvor in Zusammenar- ran, im Bunde mit der Photographie zu beit mit John Heartfeld im Neuen Deut- kämpfen? (Anfänge sind in „Sichel und schen Verlag das Buch Deutschland, Hammer“ zu fnden.) […] Was uns fehlt, Deutschland über alles publiziert, so war ist die tendenzphotographisch illustrierte nun von ihm der einleitende Aufsatz zu Kampfzeitung.98 Die Reaktion war umge- dem 1930 erschienenen Prachtband Das hend eingetroffen: Ja, das macht doch Deutsche Lichtbild erschienen. Die Re- der Malik-Verlag [!] schon lange! […] Die zension des KPD-Funktionärs Max Pfeif- Arbeiterkalender mit dem Allerbesten, fer, der im Vorstand der Vereinigung der was an Vers und Prosa und gar an Bil­ Arbeiter-Fotografen Deutschlands aktiv dern – von Masereel, Daumier, Zille, Ro­ war, über das Vorwort unseres Freundes din, Meunier, Steinlen – existiert, können Peter Panter charakterisiert das zugleich niemals genug gelobt werden.99 Diese in umwerbende wie belehrende Verhältnis der darauffolgenden Ausgabe der Welt­ zu diesem wichtigen Multiplikator: […] bühne zitierte Einsendung der prominen- da stehen einige Fragen und Antworten ten Schauspielerin und Journalistin Lucy drin, die sich die Meister der Fotogra­ von Jacobi veranlasste ganz offenbar fe ein wenig vor die Augen halten soll­ Tucholsky zu einer ausführlichen Re- ten. Da können sie Sätze lesen: Es gibt zension. „Abreißkalender“ erschien zum keine unpolitische Fotografe. Und: Die Jahresende 1925 und stellt die Wendung Fotografe kann nicht aus der Epoche zur Fotografe als dem (neben dem Film) springen, auch sie ist ein Bestandteil des entscheidenden Medium ins Zentrum: zwanzigsten Jahrhunderts. Weltanschau­ Der Verlag Carl Hoym in Hamburg hat ung? Ja! […] Was aber der Endzweck ist, für das Jahr 1926 einen Arbeiterkalender welche Aufgaben die Fotografe erfüllen herausgebracht, der als eine Illustrierung solle, das steht auch bei Peter Panter unserer alten Forderung gelten darf: hier nicht geschrieben.97 haben wir die Tendenzphotographie in ihrer höchsten Vollkommenheit.100

36 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Abbildungen Anmerkungen

4 Verlag Carl Hoym Nachf.: Wer- 51 Watlin, Komintern (wie Anm. 24), S. 27 nach BArch IfGA I befaltblatt für Arbeiterkalender 1926, 2/3/207, Bl. 54. 4. Seite. Beilage zu: Jugendinternatio­ 52 Dossier des Reichskommissariats für die Unterstützung nale. Kampforgan der kommunisti- [recte: Überwachung] der öffentlichen Ordnung: Westeuropäisches schen Jugendinternationale 7 (1925) Sekretariat. Bolschewistische Propaganda im Auslande. Vom Mai H. 2 (Oktober-November). Privatbe- 1921 bis November 1922, in: Dokumentensammlung der deut- sitz. schen Geheimpolizeien und Nachrichtendienste 1912-1945, Rus- 5 Rudolf Schlichter: Titelillustration sisches Staatsarchiv für sozialpolitische Geschichte RGASPI, Be- für Jurij Libedinski: Eine Woche, Ver- stand 458, Findbuch 9, Akte 2, fol. 130-131, http://rgaspi-458-9. lag für Literatur und Politik Wien/Ber- germandocsinrussia.org; Aufruf 24.8.2018 (Hinweis Werner Abel, lin 1923, Arbeiterkalender Werbeseite Chemnitz). nach Blatt 29. April 1926. Deutsche 53 Vgl. Christa Schwarz, Die Stellung der sowjetischen Belle­ Nationalbibliothek Leipzig. tristik im deutschen Verlagsschaffen 1917 bis 1933, in: Beiträge 6 Karl Holtz: Titelillustration für zur Geschichte des Buchwesens IV, Leipzig 1969, S. 7-161, Teil II. Wse­wolod Iwanow: Farbige Winde, Die Verlage der Arbeiterklasse, S. 76-161. Verlag für Literatur und Politik Wien 54 Vgl. etwa Jurij Libedinski, Eine Woche, 1923 (Umschlag- / Berlin 1923, Arbeiterkalender Wer- zeichnung Rudolf Schlichter); Russische Erzählungen II, 1923 (Ein- beseite nach Blatt 27. August 1926. band und 4 Bildeinlagen Karl Holtz); Wssewolod Iwanow, Panzerzug Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. N° 14 = 69. Erzählung, 1923 (Einband und Initiale Karl Holtz); Eugen 7 Russischer Grafker: Die Geburt Varga (Hg.), Die sozialdemokratischen Parteien. Ihre Rolle in der der Arbeiter-und Bauernmacht, in: internationalen Arbeiterbewegung der Gegenwart, 1926 (Einband Verlag der Kommunistischen Interna- John Heartfeld). tionale: Almanach 1921, Vorsatzblatt. 55 Almanach des Verlages der Kommunistischen Internationale SLUB Dresden, Signatur 34.4.1837. 1921 [Moskau], Auslieferungsstelle Verlag Carl Hoym Nachf. 1921, Aufnahme: André Rous. S. X mit Abb. S. 167 und 279. 8 George Grosz: Kriegsbeschä- 56 Ignaz Wrobel [d.i. Kurt Tucholsky], Abreißkalender, in: Die digten-Fürsorge, in: Verlag der Kom- Weltbühne 21 (1925) H. 50, S. 891-894, hier S. 891. munistischen Internationale: Alma- nach 1921, S. 167. SLUB Dresden, 57 Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 8 nach Johannes Signatur 34.4.1837. Aufnahme: André Wertheim, Illustrierter Arbeiterkalender für das Jahr 1926, in: Inter- Rous (© Estate of George Grosz, nationale Pressekorrespondenz 5 (1925) H. 43, S. 1286.

Princeton, N.J. / VG Bild-Kunst, Bonn 58 Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 8 nach IML, ZPA, I 2018) 2/704/14.

9 Käthe Kollwitz: Gedenkblatt für 59 Vgl. Axel Eggebrecht, Wer weiter liest, wird erschossen!, in: Karl Liebknecht, in: Verlag der Kom- Die Weltbühne 28 (1932) H. 2, S. 51-53, hier S. 51. munistischen Internationale: Alma- 60 J. Thomas (Hg.), Illustrierte Geschichte der deutschen Revo- nach 1921, S. 279. SLUB Dresden, Sig- lution, Berlin 1929, Vorwort, o.p. natur 34.4.1837. Reproduktion: André Rous. 61 Hermann Lübbe (Hg.), Ruth Fischer/Arkadij Maslow. Abtrün- nig wider Willen. Aus Briefen und Manuskripten des Exils, München 10 Honoré Daumier: Europa vor 1990, S. 557 und 559; vgl. hierzu Mario Kessler, Ruth Fischer. Ein der Weltrevolution! Titelillustration Leben mit und gegen Kommunisten (1895–1961) (Zeithistorische zu Die freie Welt 1 (1919) H. 7. Fried- Studien Bd. 51), Köln/Weimar/Wien 2013, bes. S. 76. rich-Ebert-Stiftung Bonn.

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 37 62 Becher, Arbeiterkalender (wie Anm. 35). 11 Verlag Michaelis, Berlin: Berlin am Tage des internationalen Protest- 63 Lily Korpus an Wilhelm Pieck, Moskau 1.2.1941, Staats- streiks. Titelillustration für Die freie Welt archiv für Sozialpolitische Geschichte Moskau, Akte Lily Korpus 1 (1919) H. 11. Friedrich-Ebert-Stiftung (Paul), Signatur F.495/op. 205/ d.4801, fol. 31) (Mitteilung Reinhard Bonn. Müller, Småland). 12 Unbekannter Fotograf: Das 64 Nach Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 92 stellte die Antlitz des Krieges. Titelillustration Russische Korrespondenz den Beginn der eigenen Verlagstätigkeit für Freie Welt 2 (1920) H. 38. Fried- des EKKI dar. „Der verantwortliche Redakteur war der Mitarbei- rich-Ebert-Stiftung Bonn. ter des Literarischen Büros der Zentrale der KPD Dr. Alexander“ (Ebda, S. 96), weiter wird Paul Frassek sowohl als Mitarbeiter an 13 Alexandre Theophile Steinlen: der Korrespondenz wie von Franke’s Verlag in Halle genannt. Lithographie[n] (Aus dem Arbeiterka- lender im Verlag Karl Hoym Nachfg., 65 Vgl. Cläre Jung, Paradiesvögel. Erinnerungen, Hamburg Berlin), in: Erich Knauf: Empörung und [1987], S. 79. Jung sei „einer der engsten Vertrauten […] des ‚Ge- Gestaltung. Kunstprofle von Daumier nossen Thomas‘“ gewesen, der ihm dann nach dem Krieg zusam- bis Kollwitz, Berlin 1929, S. 32-33. men mit Ruth Fischer zur Einwanderung in die USA verhalf, vgl. SLUB Dresden, Signatur 24.8.3550. Fritz Mierau, Das Verschwinden von Franz Jung. Stationen einer Aufnahme: André Rous. Biographie, Hamburg 1998, S. 190 und 153-157.

66 Vgl. Retzlaw, Spartacus (wie Anm. 31), bes. Kap. „James Thomas, der Mann in Westeuropa“, S. 196-209.

67 Vgl. Ebda, S. 221.

68 Vgl. Joachim Paschen, „Wenn Hamburg brennt, brennt die Welt“. Der kommunistische Griff nach der Macht im Oktober 1923, Frankfurt a.M. u.a. 2010, bes. S. 91-93.

69 Vgl. Retzlaw, Spartacus (wie Anm. 31), bes. S. 285-286; Hermann Weber/Andreas Herbst, Deutsche Kommunisten. Biograf- sches Handbuch 1918–1945, Berlin 2008, S. 726; Eberhard Knöd- ler-Bunte, Aufzeichnungen nach einem Gespräch mit Karl Retzlaw über seine Mitarbeit bei der AIZ, in: Ästhetik und Kommunikation 3 (1973) H. 10, S. 84-86.

70 Vgl. Schwarz, Belletristik (wie Anm. 53), bes. S. 90-97; Geor- ges Wertheim, In memoriam Dr. Johannes Wertheim, in: Dokumen- tationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jahrbuch 1996. Wien 1996, S. 204-229 (Mitteilung Christine Schindler, Do- kumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien).

71 Jung, Paradiesvögel (wie Anm. 65), S. 123-125, hier bes. S. 124 f. Materialismus und Empiriokritizismus erschien allerdings erst 1927 im Verlag für Literatur und Politik.

72 Cläre Jung, Gefährten im Kampf (Gespräch mit Joachim Ret, Achim Roscher), in: NDL 1/1977, nach: Manfred Jendryschik (Hg.), Franz. Jung. Die Eroberung der Maschinen, Halle und Leip- zig 1990, S. 247-277, hier S. 252. Rejch unterstützte Jung wäh- rend dessen Zeit in den USA fnanziell, vgl. Franz Jung an Cläre Jung, 15.4.1955 mit der Nachricht, „unser Thomas“ sei vor einigen

38 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Wochen in New York gestorben, in: Franz Jung. Briefe und Pros- pekte. Dokumente eines Lebenskonzeptes (Werke, Bd. 11), Ham- burg 1988, S. 258-261, hier S. 258.

73 Jung, Paradiesvögel (wie Anm. 65), S. 134; zur De(ge)phot vgl. Herbert Molderings, Die Moderne der Fotografe, Hamburg 2008, Kap. Robert Capas Lehrjahre in Berlin, 1931–33, S. 311- 336, bes. S. 316, 317, 321; Ders., Eine Schule der modernen Fotoreportage. Die Fotoagentur Dephot (Deutscher Photodienst) 1928 bis 1933, in: Fotogeschichte 28 (2008) H. 107, S. 5-27.

74 Vgl. Kaderakte Willi Elberfeld (Max Pfeiffer) bei Reinhard Müller, Herbert Wehner – Moskau 1937, S. 264. Nach Mitteilung von Reinhard Müller (Småland) war Sojusfoto durch Elberfeld eine wichtige Quelle für Fotos aus der Sowjetunion; vgl. Christian Josch- ke, Fotografe als Ware im Klassenkampf. Münzenberg und die so- wjetischen Bildagenturen, in: Wolfgang Hesse/Holger Starke (Hg.), Arbeiter | Kultur | Geschichte. Arbeiterfotografe im Museum (Bau- steine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde Bd. 37), Leipzig 2017, S. 257-281.

75 „Berlin am Tage des internationalen Proteststreiks: Schutz der ‚sozialistischen‘ Regierung vor sozialistischen Demonstratio- nen in der Wilhelmstraße“, in: Die freie Welt 1 (1919) H. 11, Titelsei- te. Arbeiterkalender Blatt 11.-13.1.1923.

76 „Das Golgatha der Revolution“, in: Die freie Welt 1 (1919) H. 12, S. 5, Arbeiterkalender Blatt 4.-6.1.1923; „Die von Marloh ermordeten Matrosen weisen auf Noske als den wahren Schuldi- gen!“, in: Die freie Welt 1 (1919) H. 32, S. 8, Arbeiterkalender Blatt 11.3.1923; „Lügentanz der Presse“, in: Die freie Welt 2 (1920) H. 4, S. 3, Arbeiterkalender Blatt 26.-28.4.1923; „Zum Jahrestag der deutschen Kriegserklärungen. Die Bestien, die auf die Menschheit losgelassen wurden“, in: Freie Welt 2 (1920) H. 29, Titelseite, Ar- beiterkalender Blatt 30.7.-1.8.1923; vgl. zu weiteren Publikationen Holtz‘ http://www.karl-holtz.de/khdateien/khbibliobuch.php (Auf- ruf 3.9.2018).

77 „Aus der ‚vollendeten Demokratie‘ Amerikas. Kommunisten vor dem Abtransport nach Boston. Sie sind mit Ketten aneinander- gefesselt!“, in: Freie Welt 2 (1920), H. 8, S. 2, Arbeiterkalender Blatt 20.-22.8.1923.

78 C.R.W. Newinson: Arbeiter-Demonstration, in: Freie Welt 2 (1920) H. 24, S. 4, Arbeiterkalender Blatt 31.12.1923.

79 Freie Welt 1 (1919) H. 30, S. 2, Arbeiterkalender Blatt 4.11.1923.

80 Freie Welt 2 (1920) H. 15, S. 4, Arbeiterkalender Blatt 5.8.1923.

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 39 81 Freie Welt 2 (1920) H. 38, Titelseite, Arbeiterkalender Blatt 12.-14.4.1923, vgl. Wolfgang Hesse, Agitieren heißt bewegen. Ein Kriegsbild für die Revolution, in: Rundbrief Fotografe 24 (2017) No. 3, N.F. 95, S. 4-9.

82 Freie Welt 2 (1920) H. 15, S. 6.

83 Freie Welt 2 (1920) H. 25, S. 7.

84 Vgl. Diethart Kerbs, Die Fotopostkarte als aktuellstes Medi- um während der Revolution 1918/19, in: Neue Gesellschaft für Bil- dende Kunst (Hg.), Die Revolution und Fotografe. Berlin 1918/19, Berlin 1989, S. 203-210; vgl. Bernd Weise, Strukturen des Bilder- transports. Fotoagenturen im Deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Fotogeschichte 36 (2016) H. 142, S. 5-20.

85 Gross, Münzenberg (wie Anm. 27), S. 144; vgl. Ursula Schlude, Fundstellen in Moskau. Zur Überlieferung der kommunis- tischen Fotoamateurbewegung in russischen Archiven, in: Foto- geschichte 33 (2013) H. 127, S. 5-16; Dies., „Es wäre uns pein- lich, schlechte Fotos zu schicken.“ Die Austauschbeziehungen zwischen deutschen und sowjetischen Arbeiterfotografen 1926 bis 1933, in: Wolfgang Hesse (Hg.), Die Eroberung der beobachtenden Maschinen. Zur Arbeiterfotografe der Weimarer Republik (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 37), Leipzig 2012, S. 113-158.

86 Lilly Becher, Vorwort, in: Heinz Willmann, Geschichte der Arbeiter-Illustrierten Zeitung 1921–1938, Berlin 1974, S. 9.

87 RKO, Lagebericht 91,1.6.1923, BArch R 134 Nr. 20, fol. 68.

88 „Internationale Arbeiterhilfe“ in: RKO, Lagebericht 122, 15.7.1927, BArch R 134, Nr. 34, fol. 49-55, hier fol. 49 mit Bezug auf den 2. Reichskongress der IAH in Erfurt (14.-18.4.1927) unter „Teilnahme von Vertretern der Liga gegen koloniale Unterdrückung, der Liga für Menschenrechte und einer Reihe prominenter Vertreter des radikalen Pazifsmus“ (ebda. fol. 52) und in dessen Zusam- menhang die Vereinigung der Arbeiterfotografen Deutschlands ge- gründet wurde.

89 Klaus Hermann, Deutschland im Spiegel seiner Verleger. Neuer Deutscher Verlag. Gespräch mit Willi Münzenberg, in: Die Neue Bücherschau 6 (1928) H. 2, S. 93-94, hier S. 94.

90 Dies verbindet die kommunistische Strategie mit der der So- zialdemokratie, vgl. W.L. Guttsman, Art für the Workers. Ideology and the visual arts in Weimar Germany, Manchester / New York 1997, bes. Kap. Agitation and art: the press (S. 98-114) mit einem Vergleich von Arbeiter Illustrierter Zeitung (KPD) und Volk und Zeit (SPD); raschen Überblick gewährt die Tabelle „Artists featured in fve socialist or communist periodicals 1918–32“ (S. 213-214) mit

40 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 69 Künstlernamen und einer synoptischen Zusammenstellung von deren (quantitativ nicht hinterlegter) Nennung in Arbeiter Illustrier- te Zeitung (KPD), Freie Welt (USPD), Kulturwille (SPD), Eulenspie- gel (KPD) und Volk und Zeit (SPD); dort die Tabelle „Art exhibi- tions which adressed themselves specifcally to the working class, 1919–32“ (S. 215-217).

91 Vgl. Dieter Gleisberg/Helmar Penndorf, Karl Holtz. Das frühe Werk 1918–1933, Staatliches Lindenau Museum (Expositionen 2), Altenburg 1981.

92 Vgl. Paul Ritter (Hg.), Frans Masereel. Eine annotierte Biblio- graphie des druckgraphischen Werkes, München etc. 1992: C.c. Nr. 12 (1925, Buchausgabe: 6 Holzschnitte aus „Passion eines Menschen“, 8 Zeichnungen aus „La Feuille“); C.b. Nr. 47 (1926: 1 Zeichnung); C.c. Nr. 34 (1928: 2 Holzschnitte „Passion eines Men- schen“, 2 Zeichnungen „Bilder der Großstadt“); C.b. Nr. 57 (1930: 1 Zeichnung, 2 Lithografen).

93 Coles, Heartfeld (wie Anm. 3), S. 89-93 zählt im Arbeiterka- lender zwischen 1927 und 1933 12 signierte und 6 möglicherweise von Heartfeld stammende Zeichnungen und Montagen.

94 Vgl. die Aufistung von 107 Namen bildender Künstler bei Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 13 sowie von 88 Dichtern und Schriftstellern ebda. S. 14; hinzu kommt eine Vielzahl anony- mer Bild- und Textautoren. Zum Grafschen Atelier vgl. Harald Ol- brich, Geschichte der deutschen Kunst 1918–1945, Leipzig 1990, S. 297.

95 Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 13; vgl. Erich Knauf, Empörung und Gestaltung. Künstlerprofle von Daumier bis Koll- witz, Berlin 1928, S. 27-34 und 218; zur Biografe vgl. Wolfgang Eckert, Heimat, deine Sterne ... Leben und Sterben des Erich Knauf. Eine Biografe, Chemnitz 1998.

96 Kurt Tucholsky, Abreißkalender und kleine Bitte, in: Die Weltbühne 26 (1930) H. 51, S. 925.

97 M.Pf. (Max Pfeiffer, d.i. Willi Elberfeld), Das Deutsche Licht- bild. Jahresschau 1930, in: Der Arbeiter-Fotograf 3 (1929) H. 11, S. 231.

98 Ignaz Wrobel (d.i. Kurt Tucholsky), Die Tendenzphotogra- phie, in: Die Weltbühne 21 (1925) H. 17, S. 637.

99 Anonym (wohl Kurt Tucholsky), Antworten. Lucy v. Jacobi, in: Die Weltbühne 21 (1925) H. 18, S. 680.

100 Wrobel, Abreißkalender (wie Anm. 56), S. 891-894.

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42 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Jolán Szilágyi und die Kunst der Straße

„Thomas war ein begabter Verleger. Er Schmuckbilder von deutschen, unga- bestimmte Satz, Druck und Einband der rischen, französischen und russischen Bücher und Broschüren.“101 So war Ja- Künstlern auf stärkerem hochweißem kov Rejch, „der Kunstgeschichte studiert Papier mit freibleibender Rückseite. Bei haben soll“,102 ebenso für die redaktio- wichtigen Anlässen trat Rot als zweite nelle Zusammenstellung der Kalender Farbe hinzu, die Jahrgänge 1924 und unmittelbar verantwortlich wie für deren 1925 erschienen mit einem vorn einge- von Jahr zu Jahr moderat wechselnde hefteten, mehrseitigen Inhaltsverzeich- Gestaltung.103 Dabei war die technische nis; die Ausgabe für 1925 kam parallel und konzeptionelle Grundanlage bereits zur Abreißversion in Buchform heraus, konventionalisiert: „Die damals verbrei- und für 1926 stellte man – vollends opu­ teten Abreißkalender weisen in der Re- lent – auf einen Tageskalender um. Deu- gel ein Hochformat von etwa 24 x 16 cm tet sich hierin schon eine Auffassung des auf. Der Block der Wochenblätter ist da- Mediums „Kalender“ als hybride Form bei oberhalb der Perforation geklammert an, so wurde dies durchgängig im In- und mit einem Papier- oder Leinenstrei- nern der Ausgaben realisiert – insbeson- fen am Rückkarton befestigt. Zum Auf- dere im so weit wie möglich angelegten hängen dient entweder ein in den Über- wechselseitigen Bezug zwischen den stand des Rückkartons gestanztes Loch Illustrationen und den Gedichten, Tabel- oder eine montierte Öse beziehungswei- len, Karten und Texten. (Abb. 15-17) se Fahnenschleife.“ Auch „fotoillustrier- Kontinuität hatte außer der Grundan- te Kalender [existierten] schon vor dem lage, bei allen Experimenten, von 1923 Ersten Weltkrieg.“ Und nicht selten wa- bis 1929 das Titelblatt. Es zeigt als rote ren die Blätter „rückseitig noch mit Text Silhouette eine fahnenschwingende, bedruckt, um dem Käufer neben dem jugendlich-androgyne Figur in schönli- Schau- auch ein Leseerlebnis zu bieten nigem, pathetisch gespanntem Körper- und so den Nutzwert der Anschaffung gestus und mit expressiver Binnenzeich- zu erhöhen. Außerdem wurde mit Misch- nung. Das Motiv stammt von der in Berlin formen aus vergänglichem Kalender und lebenden ungarischen Künstlerin Jolán dauerhaftem Buch experimentiert.“104 Szilágyi.105 Ikonografsch steht es in ei- In diesem Rahmen lotete Rejch zunächst ner weitläufgen Motivtradition der Arbei- das Formrepertoire aus: Reproduktio- terbewegungen, stilistisch ganz in der nen von Grafken und Fotografen auf Nachfolge ihres Lehrers Károly Kernstok den Vorderseiten, das Kalendarium zwi- an der Freien Kunstschule in Budapest, schen einem und drei Tagen variierend bei dem sie nach ihrem Studium Deko- mit Datumskästen für Gedenktage, dazu rativer Malerei an der dortigen Kunst- Texte auf den Rückseiten. Diese Ele- werbeschule von 1917 bis 1919 studiert mente erscheinen in allen Ausgaben. In hatte.106 Während der Räterepublik in den ersten Jahrgängen wurde außerdem Ungarn vom 21. März bis 1. August 1919 experimentiert mit Gedichten, Karten, entwarf sie zumindest zwei Plakate, die Statistiken oder Textdokumenten selbst gedruckt wurden.107 Sie unterscheiden auf den Schauseiten. Dazu kamen ein- sich zwar motivisch und stilistisch von geschossene und zu Teilen mehrfarbige einer Arbeit für den privaten Gebrauch,

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die im Revolutionsjahr 1919 entstand das Motiv, angereichert um die Inschrift – einem Exlibris für ihren Mann, den „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ Schriftsteller und Volkskommissar Tibor auf der Fahne, von der KPD zentral pro- Szamuély. Doch ist ihnen diese Arbeit duziert und regionalen Parteizeitungen in ihrer romantischen Emphase ebenso verfügbar gemacht wurde, deutet seine verwandt wie der des Fahnenschwin- variantenreiche Verwertbarkeit ebenso gers. Dies gilt umso mehr für die deut- an wie seine und des Arbeiterkalenders lichen Verbindungen etwa zum Plakat Verankerung in der Bildpraxis der kom- „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ munistischen Medienpolitik: Noch etwa ihres Budapester Künstlerkollegen und 50 Jahre später reproduzierte der ehe- Mit-Revolutionärs Bertalan Pór zum 1. malige Arbeiterfotograf, nunmehrige In- Mai 1919.108 (Abb. 18-21) genieur und als freier Pressemitarbeiter Der im Linolschnitt ausgeführte, präg- („Volkskorrespondent“) tätige Kurt Beck nante Entwurf ist ihre verbreitetste Arbeit einen mit dieser (allerdings gekonterten) geworden. Er erschien beispielsweise Illustration ausgestatteten Aufruf der nahezu zeitgleich als Titelblatt der Bro- Chemnitzer KPD-Zeitung Der Kämpfer. schüre: Festschrift zum 5. Jahrestag Er warb für das „Internationale Grenztref- der russischen Revolution im Verlag der fen für die proletarische internationale Kommunistischen Internationale und im Verbrüderung, für die Stärkung der ro- KPD-Verlag Vereinigung Internationa- ten Klassenfront“ am 28. und 29. August ler Verlagsanstalten, zudem schmückte 1926 in Johanngeorgenstadt.110 Dabei er Anzeigen für den Kalender.109 Dass war die aufgrund des klaren und akti-

46 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender vistischen Gestus der Figuration nahezu universelle Einsetzbarkeit zudem darin sichtbar geworden, dass kurz zuvor das Motiv in derselben Zeitung schon einmal erschienen war – als Illustration eines Artikels über die „Weltlage der Arbei- tersportbewegung“ mit dem Appell: Die gesamte klassenbewußte Arbeiterschaft marschiert heute Freitag nachmittag ½ 6 Uhr zum Empfang der russischen Ar­ beitersportler auf!111 Wohl ab 1930 fand das bisherige Leitmotiv des Arbeiterka­ lenders – nach einer grundlegenden Um- gestaltung von dessen Konzept, Layout 22 und Titelblatt – dann in blockhaft moder- nisierter Form weitere Verwendung als Signet des Verlags Carl Hoym Nachf. 23 Damit hatte diese Arbeit eine deutlich länger anhaltende Präsenz als Szilágyis übrige, meist tagesaktuelle, Zeichnun- gen. (Abb. 22, 23) Jolán Szilágyi gehörte in Berlin zu den wenigen prominenten Frauen der revo- lutionären Künstlerszene.112 Nach der Niederlage der ungarischen Räterepu- blik war sie als Aktivistin wie als Witwe eines der Führer der Revolution, des bei seiner Flucht zu Tode gekommenen Tibor Szamuély,113 kurz inhaftiert gewe- sen, dann nach Wien gefohen und hatte über Italien 1921 Moskau erreicht. Dort zeichnete sie beim III. Kongress der Ko- mintern im Auftrag Béla Kuns Delegier- te für eine Broschüre: „Es erschien eine besondere Kongreßzeitung, für die auch ich Zeichnungen lieferte. Während der Sitzungen wurden Film- und Fotoauf- nahmen gemacht. Künstler zeichneten Lenin und die anderen Delegierten. […] Als ich eines Tages auf der Treppe des Podiums sitzend Delegierte zeichnete und aufblickte, saß Lenin, seine Noti- zen in der Hand, unmittelbar neben mir. Mir wurde heiß vor Verlegenheit. Lenin sah sich mein Zeichenheft an und nick- te freundlich. […] Während der Pause

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 47 wurde ich Lenin von Heckert, dem Lei- 1927 reiste ich für kurze Zeit zu einem ter der deutschen Delegation vorgestellt. Besuch nach Moskau. Zu meiner gro- Lenin reichte mir in seiner unmittelbaren ßen Überraschung schmückten dort die Art freundschaftlich die Hand.“114 „Un- vergrößerten Motive des Kalenders eine mittelbar nach dem Kongress bestellte Wand – und zwar ganz gut.“120 mich Béla Kun zu sich. Ein dicker Ge- Außer dem Titelblatt steuerte Szilágyi nosse mit schwarzen Augen saß bei ihm. zu den beiden ersten Jahrgängen des Thomas, der im Auftrag der Komintern Arbeiterkalenders eine Reihe von Zier­ in Deutschland arbeitete. […] Béla Kun zeichnungen bei. Allerdings lässt sich teilte mir den Beschluss mit, dass ich nicht zuordnen, welche dieser Motive in Berlin, bei Thomas arbeiten solle, in von ihr stammen mögen. Es handelt sich strikter Illegalität.“115 Sie folgte der Ent- um scherenschnittartige Signets mit va- sendung, ausgestattet mit einem in Wien riierenden, dekorativen Zusammenstel- ausgestellten österreichischen Pass auf lungen der Symbole Hammer-und-Si- den Namen Margit Dobry.116 chel, Stern, Aureole, Ähre und Fahne, „1922 arbeitete ich am Bayrischen Platz von Motiven wie Fabrikbauten oder in einem geräumigen Atelier und den Eisen­konstruktionen. Sie erschienen in dazugehörigen Zimmern in der zweiten den Datumskästen sowie auf den Blat- geheimen Buchhaltung des ‚Hoym‘-Ver- trückseiten. Zudem wurden einige Vig- lages. Diese diente dem Zweck, auch netten im größeren Querformat platziert: dann weiterarbeiten zu können, wenn Schmiede am Amboss, ein altarähnliches die Polizei den legalen Verlag liquidieren Arrangement aus einem Amboss und sollte. Außer dem Chef, seinem Stell- zwei Fahnen, eine expressionistisch-or- vertreter117 und einer blonden jungen namental gefasste Zusammenstellung Sekretärin durfte niemand seinen Fuß von Fahne und aufgehender Sonne, ein hierher setzen. Sogar das Sauberma- Panorama aus Stahlkonstruktionen mit chen übernahmen wir. In meinem Chef Förderturm, Gasometer und Bogen- lernte ich einen sehr vorausschauenden brücke als Zeichen des sozialistischen und erfahrenen Menschen kennen. Sei- Aufbaus. Mutmaßlich war Szilágyi zu ne deutsche Frau, eine ehemalige Haus- dieser Zeit die allein zuständige Grafke- angestellte, war schlank, groß und jung. rin, doch werden etliche Motive aus der Ich nannte sie Feenhand, weil sie sich Sowjetunion übernommen worden sein. in der verlegerischen und redaktionellen Außerdem war sie an der Bildredaktion Arbeit als ebenso schnell und gründlich beteiligt.121 erwies wie bei der Verrichtung ihrer Auf- Wohl mit der Produktion des Kalenders gaben als Hausfrau.118 Außer der verle- für 1924 endete Jolán Szilágyis Tätigkeit gerischen Arbeit entwarf und illustrierte für den Verlag Carl Hoym Nachf. Denn ich ‚nebenbei‘ noch Titelblätter, so z.B. seither arbeitete sie hauptsächlich für die zu John Reeds berühmtem Buch ‚Zehn im September 1923 gebildete Abteilung Tage, die die Welt erschütterten‘. Hier „Agitation und Propaganda“ der Zentrale wurde der ‚Arbeiterkalender‘ gemacht, der KPD, das „Zentralagitprop“.122 Hin- dessen Titelblatt zehn Jahre lang mein zu kamen organisatorische Aufgaben. Linolschnitt schmückte. Dieser Schnitt So gehörte sie 1924 zu den Initiatoren wurde sehr populär, viele Nachdrucke der bald wieder eingeschlafenen Roten wurden von ihm gemacht, und auch für Gruppe und einiger weiterer Vorstöße, Reklamezwecke wurde er verwendet.119 eine Künstlerorganisation in Gang zu set-

48 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender zen, um sich dann 1927/28 dabei zu en- Ganz Parteiarbeiterin, folgte Szilágyi in gagieren, innerhalb des Reichsverbands ihrer Praxis den Richtlinien unter der Pa- bildender Künstler eine kommunistische role Zu den Massen!, wie sie bereits 1921 Fraktion aufzubauen. Aus dieser ging vom Exekutivkomitee der Komintern ver- kurz darauf die Assoziation Revolutio- öffentlicht worden waren: Die Agitation närer Bildender Künstler Deutschlands und Propaganda solle nicht nur aus An­ (ARBKD, Asso) hervor, in deren Leitung lass grosser Ereignisse, sondern tagtäg­ sie berufen wurde.123 Dabei waren es lich […] alles anpacken, erklären und be­ offenbar vor allem sie und John Heart- rücksichtigen, was die Arbeitermassen feld gewesen, die die eher zögerlichen angeht und bekümmert. Denn sie haben übrigen Gründungsmitglieder überzeug- das grösste Interesse nicht für die soge­ ten: Yoli Shilagil [!] betont im Gegensatz nannte grosse Politik, dafür was die Re­ zum Vorredner [Alex Keil, d.i. Sandór Ék, gierungen sagen und tun, sondern in ers­ W.H. ], daß sie die Absicht eine Gruppe ter Linie dafür, was sie selbst tagtäglich revolutionärer Künstler zu schaffen sehr erleben, was sie tagtäglich bedrückt, was begrüßt und ihr Vorhandensein für sehr ihnen Freude oder Schmerz bereitet.125 wichtig und notwendig hält. Eine gut or­ Hierfür waren Formen aktuellen und di- ganisierte Gruppe könne der Partei au­ rekten Eingreifens zu fnden. So veröf- ßerordentlich wertvolle Dienste leisten fentlichte Szilágyi unter den Signaturen und zu einem unentbehrlichen Instru­ Sz., SzJ. oder Joli Karikaturen in Die ment der Partei heranwachsen.124 Rote Fahne (KPD), Tribunal (Rote Hilfe),

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 49 Welt am Abend (Münzenberg-Konzern) an die gescheiterte Märzaktion in Mit- und Illustrierte Neue Welt (Proletarische teldeutschland 1921 mit revolutionären Freidenker) sowie den Satirezeitschriften Ereignissen seit der Mitte des 19. Jahr- Der Rote Knüppel der KPD (1923–1927) hunderts verbinden sollte: dem Beginn und Eulenspiegel aus dem Neuen Deut- der Barrikadenkämpfe in Berlin 1848, schen Verlag (1928–1931, ab 1932 Roter der Ausrufung der Commune de Paris Pfeffer),126 entwarf Buchumschläge,127 1871, der Eröffnung des 3. Kongresses zeichnete für Flugblätter und Zellenzei- der Kommunistischen Partei Russlands tungs-Vorlagenhefte, engagierte sich 1919 in Moskau, der Unterzeichnung zudem als Lehrerin in der Arbeiterzeich- des Friedensvertrags zwischen Polen ner-Bewegung: „Von 1923 war ich in VI. und Sowjetrussland in Riga 1921 und Bez. (Hallisches Tor) in der Zelle Reichs- der Eröffnung der Tagung der Komintern druckerei zugeteilt. In VI. Bezirk wurde in Frankfurt am Main 1923: „Eine gros- ich Leiterin der Künstlerische Agitati- se Berliner Delegation bereitete sich für on. – / Ausgestaltung Demonstrationen, die Märzfeiern in Halle vor. […] Ich, als Häuserschmuck, Lastautos, Plakate für Mitglied der der Staatlichen Druckerei Landagitation u.s.w.“128 (Abb. 24-28) angegliederten Partei- und Bezirksor- Ihr in den 1960er Jahren verfertigter Er- ganisation, wurde delegiert. In unserem innerungsbericht „Im März 1927 mit Ge- ‚Jugendheim‘ genannten Parteilokal in nossen Thälmann“ skizziert diese Praxis der Alten Jacob-Strasse bereiteten wir und deren theatral-rituelle Seite anläss- das Agitationsmaterial zur Veranschauli- lich einer Massenveranstaltung in Halle chung vor, wählten wir die Fahnen, Pla- am 18. März 1927 – einem bewusst ge- kate, Bilder, die wir am Lastwagen be- wählten Datum, welches die Erinnerung festigen wollten, und die Parolen. […] Auf 26

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 51 ein Plakat, das getragen werden sollte, oft bei Eduard Fuchs, dem berühmten malte ich auf die Leinwand den Text ei- Kulturwissenschaftler und seiner Frau nes alten polnischen Revolutionsliedes: zu Gast. Sie wohnten in der Nähe von ‚Es kommt der Tag, der Tag der Rache, Berlin, am Schlachtensee in einer Villa. und dann werden wir Richter sein, dann Fuchs schrieb die Bände der berühmten werden wir Richter sein!‘“ Die Delegati- ‚Sittengeschichte‘, die Geschichte der on wurde von Ernst Thälmann geführt. Karikaturen der Welt. […] Bei ihnen be- „Dem zu Ehren malte ich ein grösseres gegnete ich mehrmals Georg Grosz und Lenin-Portrait auf Leinwand. Ich dachte, anderen Künstlern und Politikern.“130 es wird feierlicher sein, wenn Genosse Doch ungeachtet ihrer sozialen und or- Thälmann, unser geliebter ‚Teddy‘, den ganisatorischen Bedeutung verfolgte sie Arbeitern in Halle ein Geschenk über- keine Karriere im Kunstmarkt mit galerie- reicht. Das Portrait gelang gut. […] Ge- tauglicher Malerei oder Grafk wie ande- nosse Thälmann trat auf das Podium re Kollegen in der Asso.131 Jolán Szilágyi und zeigte mit einem Frontkämpfer zu- verschwand fast vollständig aus den Ge- sammen den Arbeitern das Geschenk schichten der Kunst der Weimarer Re- der Berliner Delegation, das von mir publik: „Leider viele vergessen mich, der gemalte Lenin-Portrait. Im Saal erklang Keil wird immer zu Ausstellungen u.s.w. mächtiges Klatschen und Lärm des Bei- gerufen. Es ist ungerecht.“132 Die Klage falles. Ich war stolz.“129 spiegelt gängige Praxis und ist zudem Mit ihren vielgestaltigen Aktivitäten ein später Nachhall der politischen wie gehörte Jolán Szilágyi innerhalb der ästhetischen Diskussionen der 1920er revolutionären Kunstszene zu den Jahre über Ziele und Vorgehensweisen ton­angebenden Künstlern, stand in innerhalb des Kunstbetriebs, um Akzep- persönlichem Kontakt mit wichtigen tanz eines spezifschen künstlerischen Intellektuellen: „Mit Ilonka waren wir Beitrags durch mühselige Kleinarbeit in 29

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 53 der Partei133 wie vor allem in der proleta- bungen, Demonstrationen, Plakatierun- rischen Öffentlichkeit: Die Richtigkeit der gen – eine vielgestaltige, massenhafte Anschauung möchte ich bestreiten, daß Praxis und ein Begriff, die nicht zuletzt in eine „Rote Künstlergruppe“ nur Künst­ dazu führten, dass 1925 der Neue Deut- ler aufgenommen werden, die sich be­ sche Verlag – mit prominenten ständi- reits als sogenannte Prominente öffent­ gen Mitarbeitern sowie Adolf Behne, lich durchgesetzt haben und nicht auch George Grosz und Franz Lehnhoff als unbekannte Genossen. Der proletarische Redaktionsausschuss – die auf 14-tä- Künstler ist nach anderen Gesichtspunk­ giges Erscheinen angelegte, allerdings ten zu beurteilen wie der bürgerliche. Es nur kurzzeitig existierende Zeitschrift der wurden seitens der Partei z.B. von stets Künstlerhilfe der Internationalen Arbei- denselben Künstlern wie Grosz, Dix, terhilfe so nannte: Die Strasse.137 Schlichter, Kollwitz, Baluschek, Zille in Prominent hatte dieses Konzept einer letzter Zeit Kunstausstellungen veranstal­ neuen Volkskunst – neben seiner diffe- tet, zu denen aber kein Unbekannter […] renzierenden Kritik anderer Entwicklun- zugelassen ist, während bei bürgerlichen gen – insbesondere der aus Avantgarde- Gruppen und Ausstellungsvorhaben letz­ zirkeln stammende und 1923 in die KPD teres durch Einsenden von Arbeiten und eingetretene Kunstkritiker der Roten jurieren derselben stets möglich war.134 Fahne, Durus (lat. Der Harte, d.i. Alfréd Außer dieser kulturpolitischen (und an Keményi) propagiert, den Szilágyi so die materielle Existenz der Künstler rüh- charakterisierte: Zu erst war er begeis­ renden) Grundsatzfrage dürfte eine vor tert von ‚Sturm‘ – und Weimarer abstrak­ allem an einem Kanon der Moderne in- te Kunstwerke – später schrieb er zuerst teressierte Rezeption ursächlich für das flmkritiken in die R. Fahne. Er hatte sich Vergessen Szilágyis wie anderer grenz- vollkommen umgeändert und war be­ gängerischer Akteure sein. Denn wohl geisterte und unermüdliche Helfer der mit Rücksicht auf den Geschmack des keimende neue Kunst in allen Gebieten! proletarischen Publikums bildet sich von In Bezirke und Betrieben: Schprechchö­ ihren Kontakten zu avantgardistischen re, Arb. Theater, Spieltruppen, Arbeiter Künstlern in der Moskauer Zeit – wie El Zeichner, und Künstler. Er lebte sehr arm Lissitzky, Alexander Rodtschenko, Ka- und war abgerissen, aber half mit Fa­ simir Malewitsch135 – oder innerhalb der natismus jeden Neuen Erscheinung der ungarischen Emigration in Berlin – wie zu Revolutionäre Kunst. […].138 Diesen nicht László Moholy-Nagy, Lajos Tihanyi, Lás- nur von ihr propagierten und gelebten zló Péri – außer etwa dem Umschlagent- Aktivismus unter Einschluss von Ama- wurf für Zehn Tage, die die Welt erschüt­ teuren hob Durus als neue Form hervor: terten (1925) nichts ab.136 (Abb. 29-31) Wohl nie sind Kunstwerke so verbreitet Ihr Werk ist durch einen primär von poli- worden und von so direkter lebendiger tischen Tagesaufgaben bestimmten Ha- Wirkung auf die Menschheit gewesen bitus der auktorialen Zurücknahme und wie diese einfachen satirischen und re­ der Entwicklung einer, von Laien mitge- volutionären Zeichnungen, die ohne Be­ tragenen, eingreifenden „Kunst der Stra- tonung ihrer Qualität in die Welt hinaus­ ße“ geprägt. Sie gründete in der ebenso gingen.139 (Abb. 32-35) spontan wie bewusst betriebenen sym- Ganz im Sinne einer solchen Massen- bolischen Besetzung des öffentlichen kunst setzte Jakov Rejch außer beim Raums in theatralen Aktionen, Kundge- Arbeiterkalender gerade im ersten Jahr

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 55 1923 weitere Mittel ein, um ein breiteres, überaus enge Zusammenarbeit, die mit visuell ansprechbares Publikum zu errei- der Tätigkeit Willi Münzenbergs als Se- chen. Denn der Vertrieb von Broschü- kretär der Jugendinternationale verbun- ren lief generell sehr zögerlich, der von den gewesen sein wird.143 (Abb. 36-38) umfangreichen Programmschriften so Auf lange Sicht konnte sich dieser male- gut wie gar nicht, wie beispielsweise die rische Stil bürgerlicher Hochkultur aller- „ausführlichste Übersicht über den Lite- dings im gegebenen sozialen Milieu nicht raturvertrieb […] aus dem Bericht der BL durchsetzen. Diese bereits im Nachre- [Bezirksleitung] Westsachsen über den volutionsjahr 1919 erschienenen Post- Zeitraum zwischen dem 1. April 1924 karten bilden eine Ausnahme unter den und dem 31. März 1925“ zeigt. Charak- Bildnissen internationaler Revolutions- teristischerweise war hier der Spitzenrei- führer unterschiedlichster Strömungen ter mit 3000 verkauften Exemplaren eine seit 1789 (und der wenigen prominenten Schmähschrift gegen den Reichspräsi- Frauen wie der Kommunardin Louise Mi- denten Ebert gewesen, dagegen hatte chel, von Clara Zetkin oder Rosa Luxem- man am 18. Juli 1923 für den ganzen burg): Präsentationsweisen herkömm- Bezirk wohlweislich nur sechs Exempla- licher Atelierfotografe seit den 1880er re des Protokolls des 4. Weltkongresses Jahren, Genreszenen am Schreibtisch der Komintern bestellt.140 oder auf Rednerpodesten, oft fernsich- Umso bedeutender waren andere Publi- tige Pressefotografen, die sowjetische kationsformen, die auf die modernen Me- Politiker als Teil des um sie versammel- dienentwicklungen reagierten und daher ten Volkes demonstrierten. Neben den leichter die Haltungen und Hoffnungen dominierenden Bildern der sozialen Lage der Mitgliedschaft und Sympathisanten und der ihr verbundenen Kämpfe sowie repräsentieren und verstärken konnten. Bildnissen in allen möglichen Techniken Hierzu zählt das seit den 1880er Jahren und Stilen sind allerdings zwei jener dra- zunehmend populäre Massenmedium matischen Porträts im Arbeiterkalender Bildpostkarte.141 Dessen Einsatz hatte publiziert worden.144 beispielsweise ab 1921 die Internatio- Dabei steht an prominenter Stelle die nale Arbeiterhilfe „als eines der ersten vermutlich in Deutschland überarbei- wirksamen Mittel, um den Gedanken tete Fotografe von Karl Liebknecht als der Hungerhilfe zu propagieren“ erprobt Redner (Aufnahme Paul Hoffmann & Co, und in ihrer Zeitschrift Sowjetrussland im 5. Januar 1919, andernorts bezeichnet Bild eigens mit der Abbildung von neun als „Letzte Ansprache in der Siegesal- Beispielen aus verschiedenen europäi- lee“).145 Hier wurde die Aufnahme aus schen Ländern hervorgehoben.142 Und dem Quer- ins Hochformat gebracht und die Freie Sozialistische Jugend, aus der statt der beiden links hinter Liebknecht kurz darauf der Jugendverband der KPD stehenden Zuhörer eine Säule mit Basis hervorgehen sollte, hatte 1920 in ihrer einretuschiert, zugleich die Zuhörermen- Zeitschrift Junge Garde mehrfach Post­ ge malerisch hin zum wolkig ausgepräg- karten von Marx, Lenin, Trotzki, Lunat­ ten Hintergrund erweitert. Sie war zuerst scharski –,15 M. beworben, darunter das zwischen 1920 und 1922 als Postkarte erste offzielle Bildnis Lenins von Mois- im Verlag der VKPD erschienen146 und sej Nappelbaum – alle im famboyanten gehörte mit ihrem auffordernden Wei- Stil des in Russland lange nachlebenden segestus bald darauf zu den insgesamt Piktorialismus, und ein Zeichen für die 14 Motiven einer Postkartenedition des

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58 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Verlags der Kommunistischen Internati- onale mit der Auslieferungsstelle Verlag Carl Hoym Nachf. Hamburg, der auf den gleichartigen Rückseiten vermerkt ist. Die Bilder dieser Serie sind alle außer- dem im Arbeiter-Wandkalender für 1923 veröffentlicht worden, einige davon spä- ter noch einmal. Ihre nach Fotografen entstandenen Motive zeigen außer „Karl Liebknecht“ den im Freien stehenden „N. Lenin“, das Denkmal für Ferdinand Las- salle in Petrograd sowie eine Formation „Rote Turner in Moskau“ – Aufnahmen, 42 die offenbar das Medium als Beweis- den Leitbildern wegweisender Führungs- mittel für Wirklichkeit nutzen und gerade persönlichkeiten. In Kritik und realer Uto- hierdurch die zukunftsweisenden Ge- pie werden sie, vielfach karikaturistisch genbilder zu den übrigen, anklagenden zugespitzt, visuell aufgerufen und durch Motiven im anderen Realitätsgrad graf- sarkastische, aktualisierende Betitelun- scher Techniken darstellen. (Abb. 39-42) gen agitatorisch hin zum Aktivierenden Bei den übrigen Postkarten der Serie gewendet: Die Tradition der Unterdrück­ handelt es sich um Reproduktionen von ten belehrt uns darüber, daß der „Aus­ Grafken unterschiedlicher Verfahren: nahmezustand“, in dem wir leben, die nach einer Aquatinta und einer Litho- Regel ist. Wir müssen zu einem Begriff grafe, nach Zeichnungen und Holzsti- der Geschichte kommen, der dem ent­ chen.147 Um sich drucktechnisch den spricht.149 unterschiedlichen Anforderungen der Dem entspricht auch, dass solche Pu- Bilder anzupassen, wurden die Halbton- blikationen außer im privaten Rahmen vorlagen auf gestrichenem Karton (fünf sowohl im kommunikativen Prozess zwi- in einem Braunton und zwei in blaugrün- schen Schreibern und Empfängern von licher Farbe), die übrigen in Schwarz auf Postkarten wie als Erinnerungsblätter im einfachem Karton gedruckt.148 Über Auf- privaten Raum, vor allem aber öffentlich lagen ist nichts bekannt. In den folgen- und kollektiv in einer „Kultur der Straße“ den Jahren sind dann allerdings solche auf aktive Resonanz stießen.150 Hierfür Postkarten offenbar nicht mehr produ- mag exemplarisch die demonstrative ziert worden. (Abb. 43-52) Verwendung einer Grafkreproduktion Ihr thematischer und emotionaler Gehalt bei der Gedenkveranstaltung für Lux- verbindet sie und fasst gewissermaßen emburg und Liebknecht am 15. Januar die Tendenz des Arbeiterkalenders em- 1921 in Berlin-Friedrichsfelde stehen. blematisch zusammen: Refexe sozia- Dort „trug ein Arbeiter auf einer Holztafel ler und politischer Demütigungen, der Käthe Kollwitzens Bild des ermordeten Erfahrung von Niederlagen und Macht- Karl Liebknecht auf dem Totenbett, die losigkeit, von Hunger und Opfern, He- blutige Binde über der Stirn“. 151 Ob für roismus und Verrat, Szenen unerlöster die öffentliche Inszenierung von einem Geschichte seit der Inquisition, in Mon- Berufskünstler reproduziert oder von ei- archie, Kapitalismus, Weltkrieg und ver- nem Laienmaler hergestellt, ist nicht zu lorener Revolution – doch aufgehoben in entscheiden – vermutlich aber handelt

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 61 53 es sich um das Blatt, das Kollwitz, eben- duktionstechnik. […] Den drei genannten so wie zwei Porträts des gleichfalls von Motiven ist eines gemeinsam: sie enthal­ Freicorps-Soldaten getöteten Leo Jo- ten eine Anweisung auf Erkenntnisse, die giches, „auf Bitten der Partei anfertigte sich an der hergebrachten Kunstauffas­ und ein Honorar abgelehnt hat“. Es war sung nicht anders erweisen können als schon 1919 in Die Freie Welt publiziert destruktiv. Die Befassung mit der Repro­ worden und erschien dann noch einmal duktionstechnik erschließt […] die ent­ 1921 in Karl Radeks Märtyrerbuch Rosa scheidende Bedeutung der Rezeption Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogi­ […]. Die Betrachtung der Massenkunst ches auf die Spartacus- und KPD-Führer führt zur Revision des Geniebegriffs […]. aus dem Verlag der Kommunistischen Endlich erweist sich die ikonographische Internationale.152 (Abb. 53) Auslegung nicht allein unentbehrlich Summierend kann für diese Produktio- für das Studium der Rezeption und der nen gelten, was Walter Benjamin spe- Massenkunst; sie verwehrt vor allem die zifsch zu Eduard Fuchs‘ Methode an- Übergriffe, zu denen jeder Formalismus merken sollte: Das grundsätzliche Neue bald verführt.153 der Intention kommt zu ungebroche­ nem Ausdruck vor allem da, wo ihr der stoffiche Vorwurf entgegenkommt. Das geschieht in der Deutung des Ikonogra­ phischen, in der Betrachtung der Mas­ senkunst, in dem Studium der Repro­

62 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Abbildungen Anmerkungen

14 Jolán Szilágy: Fahnenschwinger, 101 Retzlaw, Spartacus (wie Anm. 31), S. 198. Linolschnitt 1922 als Titelmotiv von Ar- 102 Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 7 ohne Quellenan- beiterkalender 1923 bis 1929. Deut- gabe. sche Nationalbibliothek Leipzig. 103 Nach Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 6 wurde der 15 Unbekannter Grafker: Die Ent- Kalender ausschließlich in Berlin erarbeitet und produziert; in Ham- wertung der Deutschen Mark 1913 – burg waren, außer Hans Holm, von 1920 bis 1924 als Leiter, Bruno Januar 1922. Arbeiter Wandkalender von Appen als Hersteller und Korrektor, Minni Pauli als Sekretärin, Blatt 26.-28. März 1923. Sächsisches Louis Cahnbley für den Vertrieb und Frieda Göde als Verkäuferin Staatsarchiv – Staatsarchiv Chemnitz. tätig, vgl. Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 98. 16 Unbekannter Grafker: Vignette 104 Jaeger, Wechselnde Bilder (wie Anm. 3), S. 78-79. zu „Die Carmagnole“. Arbeiter Wand- kalender Blatt 11. Februar 1923. Säch- 105 Helga M. Schwarz, Zeichenstift als Waffe, in: Junge Welt 68 sisches Staatsarchiv – Staatsarchiv (2015) 7.8.2015, S. 15; der Beitrag fußt auf Dies., Joli. Erinnerun- Chemnitz. gen an die revolutionäre Künstlerin Jolán Szilágyi, in: Das Maga- zin 26 (1981) H. 12, S. 50-53; Dies., Joli – die Frau, die mit ihrer 17 Unbekannter Grafker: Was Ruß- Kunst der Arbeiterklasse half, in: Neue Deutsche Presse 41 (1987) land vor dem Kriege importierte. Ar- H. 12, S. 16 (Mitteilung Helga W. Schwarz, Bad Breisig). Der Ent- beiter Wandkalender Blatt 23.-25. wurf (Tempera auf Karton, 190 x 130 mm) liegt in der Ungarischen April 1923. Sächsisches Staatsarchiv Nationalgalerie Budapest Inv. Nr. F.73.280, vgl. Hubertus Gassner – Staatsarchiv Chemnitz. (Hg.), Wechselwirkungen. Ungarische Avantgarde in der Weimarer 18 Unbekannter Grafker: Titelillus- Republik, Marburg 1986, S. 586. tration Die Junge Garde. Zentralor­ 106 Jolán Szilágyi, Künstlerische Ausbildung, Manuskript o.D. gan der Freien Sozialistischen Jugend in: Mscr.Dresd.App.2820, 3437, S. 1; nach ihrer Emigration aus Deutschlands 2 (1920) H. 21/22. SLUB Ungarn folgte 1921/22 in Moskau ein Jahr an der „Sztroganovszky Dresden, Signatur ZB.0403-2. Auf- Uscilischcse“ (Kunstschule der Grafk) bei „Prof. Kardovszky“, nach nahme: André Rous. der Flucht aus Deutschland 1934–37 ein höherer Weiterbildungs- 19 Jolán Szilágyi: Exlibris für Tibor kursus für Künstler an der Leningrader Kunstakademie. Szamuély, 1919, aus: Szamuely 107 Vgl. https://budapestposter.com/artists/szilagyi-jolan (Aufruf Tiborné Szilágyi Jolán, Emlékeim, Bu- 24.8.2018). Demgegenüber ganz lyrisch in einem späten Jugend- dapest 1966, S. 63. Universitätsbiblio- stil ihre Illustrationen zu Varnái Zseni, Örömök kertje, Budapest: Biró thek Göttingen. Miklós 1919. 20 Bertalan Pór: Világ Proletárjai 108 Vgl. „Biographie sommaire“, in: Ausst. Kat. Galérie Nationa- Egyesüljetek! (Proletarier aller Länder, le Hongroise: Exposition de Jolán Szilágyi, Budapest 1969, o.P.; vereinigt Euch!), Zweiteiliges Plakat Krisztina Passuth, Autonomie der Kunst und sozialistische Ideolo- zum 1. Mai 1919, Budapest. Wikimedia gie in der ungarischen Avantgardekunst, in: Gaßner, Wechselwir- Fortepan. kungen (wie Anm. 105), S. 13-26. 21 Jolán Szilágyi: Titelillustration zu: 109 Für die Broschüre war eine Aufage von 12.000 Stück ge- Festschrift zum fünften Jahrestag der plant, vgl. Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 400 nach IML, russischen Revolution, Berlin 1922. ZPA, 3/1/2972. Vgl. eine ohne Angabe des Verwendungsorts re- Privatbesitz. produzierte Anzeige in Szamuely Tiborné Szilágyi Jolán, Emlékeim, 22 Kurt Beck: Kleinbild-Reprodukti- Budapest 1966, S. 175. on von Grafsches Büro der KPD [?] nach Jolán Szilágy: Schmuckmotiv

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 63 110 Der Kämpfer (Chemnitz) 9 (1926) Nr. 177, 14.8.1926, 2. zum Internationalen Grenztreffen am Beilage; die Anzeige erschien ein zweites Mal am ersten Veranstal- 28./29. August 1926 in Johanngeor- tungstag in: Der Kämpfer 9 (1926) Nr. 189, 28.8.1926, 1. Beilage. genstadt (Erzgebirge) in: Der Kämpfer (Chemnitz) 9 (1926) Nr. 177, 14.8.1926, 111 Der Kämpfer (Chemnitz) 9 (1926) Nr. 169, 23.7.1926, 1. Bei- 2. Beilage, Deutsche Fotothek Dres- lage. den. 112 Eszter B. Gantner, Budapest – Berlin. Die Koordinaten einer 23 Grafsches Büro der KPD [?] Emigration 1919–1933 (Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- nach Jolán Szilágy: Signet des Verlags und Wissenschaftsgeschichte Bd. 39), Stuttgart 2011, S. 210- Carl Hoym Nachf., 1931. Illustrierter 221. Arbeiterkalender 1931, nach Blatt 31. 113 Vgl. Tibor Szamuely, Alarm. Ausgewählte Reden und Aufsät- Dezember 1931. Deutsche Nationalbi- ze. Mit einem Vorwort von Béla Kun (1932), Berlin 1959. bliothek Leipzig.

114 Jolán Szamuely-Szilágyi, Erinnerung an Lenin und Klara Zet- 24 Joli [Jolán Szilágy]: Keine Koh- kin auf dem Kongreß der Komintern (22. Juni 1921), in: BArch SgY le für England. Titelzeichnung für Der 30/1225, fol. 1-3. Knüppel, 1926. © Szépművészeti Mú-

115 Gantner, Budapest (wie Anm. 112), bes. S. 172-174, 208- zeum / Museum of Fine Arts Buda- 211, hier S. 208, nach: Szilágyi, Emlékeim (wie Anm. 109), S. 163. pest, 2019.

116 Nach Gantner, Budapest (wie Anm. 112), S. 210; Franz-Ed- 25 Jolán Szilágyi: Amnestie. Titel- win Gehrig-Targis, Entwicklung der revolutionären bildenden Kunst zeichnung für Rote Hilfe Deutschland, in der Zeit der Weimarer Republik von 1918–1933, Typoskript o.O., 1926. © Szépművészeti Múzeum / „Dobri“. Ihre Ausweisung aus Deutschland am 24. Februar 1933 Museum of Fine Arts Budapest, 2019. „Auf Grund des § 14 Ziffer 3. der Ausländerpolizeiverordnung vom 26 Jolán Szilágyi: Bildplakat bei 27.4.1932“ durch den Polizeipräsidenten in Berlin ist adressiert an der Straßenagitation, aus: Szamuely „Fräulein Jolan Szilagy-Dobry, Berlin-Friedenau, Taunusstr. 5 Ate- Tiborné Szilágyi Jolán, Emlékeim, Bu- lier“, vgl. Szilágyi, Emlékeim (wie Anm. 109), S. 263. dapest 1966, S. 172. Universitätsbib- 117 Ob als Stellvertreter Felix Wolf (d.i. Werner Rakow) oder sein liothek Göttingen. Nachfolger Karl Friedland (Gröhl/Retzlaw) gemeint sind, muss offen Abb. 27 Jolán Szilágyi: Agitati- bleiben, vgl. Wehner, Kaderkarrieren (wie Anm. 19), bes. S. 6; als onslokal für die Volksabstimmung zur weiterer Mitarbeiter von 1920 bis 1924 wird Karl Borromäus Frank Fürstenenteignung im Juni 1926, aus: als Herausgeber der „Internationale“ genannt, vgl. Reinhard Müller Szamuely Tiborné Szilágyi Jolán, Em- (Graz), Karl B. Frank alias Paul Hagen 1893–1969, in: Archiv für lékeim, Budapest 1966, S. 194. Univer- die Geschichte der Soziologie in Österreich, Newsletter 12 (1995), sitätsbibliothek Göttingen. S. 11-19. 28 Jolán Szilágyi: Karikaturen für 118 Wohl Ruth Österreich-Jensen, vgl. Weber/Herbst, Kom- Zeitungen und Handzettel, um 1930, munisten (wie Anm. 29), S. 710; Sie hatte als SPD-Mitglied seit aus: Szamuely Tiborné Szilágyi Jolán, 1912 bis zu ihrem Eintritt in die KPD 1919 als Redaktionssekretärin Emlékeim, Budapest 1966, S. 248- der sozialdemokratischen Dresdner Volkszeitung gearbeitet, vgl. 249. Universitätsbibliothek Göttingen. Schmidt, Oesterreich (wie Anm. 48), bes. S. 16-36. 29 Jolán Szilágyi: Umschlag für 119 Abb. ohne Quellenangabe in Szilágyi, Emlékeim (wie Anm. John Reed: Zehn Tage, die die Welt 109), S. 175 sowie Projektgruppe Arbeiterkultur, Hamburg (wie erschütterten, Hamburg-Berlin 1923. Anm. 3), S. 144. Privatbesitz.

120 Szilágyi, Emlékeim (wie Anm. 109), S. 165-166 (Mitteilung 30 Jolán Szilágyi: Umschlagentwür- Helga M. Schwarz, Bad Breisig). Trotz des Drängens Szilágyis und fe für Isa Strasser: Frauenarbeit und Bemühungen Ullrich Kuhirts in den 1960er Jahren kam eine Über- Rationalisierung, wohl 1927. © Szép-

64 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender művészeti Múzeum / Museum of Fine setzung dieser Erinnerungen nicht zustande, vgl. Nachlass Ullrich Arts Budapest, 2019. Kuhirt, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbi- bliothek Dresden Mscr.Dresd.App.2820, 3425, 3428, Szilágyi an 31 Jolán Szilágyi: Umschlag für Isa Kuhirt, 15.9.1966: „Ich danke sehr für Deine Bemühungen wegen Strasser: Frauenarbeit und Rationa- Übersetzung. Ich wollte Ihnen (den Verlag) auch mein Vorschlag lisierung, Moskau 1927, Vorder- und unterbreiten, weil der Lektor vieles von deutschen Teil gestrichen Rückseite. Bibliothek der Ludwig-Ma- hat, was aber für Euch Deutsche Interesse haben sollte.“ Offenbar ximilians-Universität München. fruchtete selbst eine Intervention Szilágyis bei dem ZK-Mitglied, 32 Unbekannter Fotograf: Proletari- stv. Vorsitzenden des Ministerrates und dort für Kultur und Erzie- sche Propaganda-Arbeit, Arbeiterka- hung zuständigen Alexander Abusch im Jahr 1970 nicht (Szilágyi lender Blatt 14. Oktober 1926. Deut- an Kuhirt 25.7.1970, Mscr.Dresd.App.2820, 3434). sche Nationalbibliothek Leipzig. 121 Vgl. Szilágyi, Ausbildung (wie Anm. 106). 33 Unbekannter Fotograf: Kom- 122 Vgl. Christa Hempel-Küter, Die kommunistische Presse und munistische Propaganda [mit einem die Arbeiterkorrespondentenbewegung in der Weimarer Republik. Motiv nach George Grosz], Arbei- Das Beispiel „Hamburger Volkszeitung“ (Hamburger Beiträge zur terkalender Blatt 30. Oktober 1926. Germanistik 11), Frankfurt a.M. u.a. 1989, bes. S. 115 und 126- Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. 142. 34 Unbekannter Fotograf: Arbei- 123 Gantner, Budapest (wie Anm. 112), S. 209; vgl. dazu zwei terdemonstration gegen den Rathe- ohne Quellenangabe publizierte Dokumente in: Dirk Rose (Hg.) Die nau-Mord in Berlin, Arbeiterkalender Kunst den Massen. Verbreitung von Kunst 1919–1933. Originalgra- Blatt 4. Juli 1926. Deutsche National- phik als Zeitung, Flugblatt, Postkarte und Plakat. Dokumentation bibliothek Leipzig. von Objekten und Bildtransparenten (Ausst. Kat. Ladengalerie Ber- 35 Unbekannter Fotograf: Nieder lin 8.8.-30.9.1977), Berlin 21978: Reproduktion einer handschrift- mit dem imperialistischen Krieg! Aus lichen „Teilnehmerliste. 1. Versammlung der Arbeitsgemeinschaft einem Demonstrationszug des Roten kom. Künstler“ mit dem Eintrag an Position 1 „Yoli“ ohne Adressan- Frontkämpfer-Bundes, Arbeiterkalen- gabe und mit Bejahung von Mitgliedschaft in Partei und Reichsver- der Blatt 8.–10. August 1927. Deut- band bildender Künstler (ebda S. 48); vgl. Liste „Genossen Mitglie- sche Nationalbibliothek Leipzig. der der A.R.B.K.D. 1928“, in: Gehrig-Targis, Entwicklung (wie Anm. 36 Moissej Nappelbaum: Lenin. 116), S. 75 mit Eintrag „Dobri (K. Jolli) Friedenau, Taunusstr. 2.“ Postkarte aus dem Verlag Junge Gar- 124 „Protokoll der I. Versammlung (Gründungsversammlung) de, 1919/1920. Sammlung René Se- der Arbeitsgemeinschaft kommunistischer Künstler Deutschlands“ nenko. [30.1.1928] mit Joli Shilagil (!), John Heartfield, Heinz Tischauer, Mia 37 Moissej Nappelbaum: Lunat- Tichauer, Alex Keil, Alfred Beier, Spotarcyk, Günter Wagner, Urban, scharski. Russ. Volkskommissar für Gehrig-Targis, Heinrich Vogeler entschuldigt., in: Gehrig-Targis, Bildungswesen. Postkarte aus dem Entwicklung (wie Anm. 116), S. 62.

Verlag Junge Garde, 1919/1920. 125 Exekutive, Zirkularschreiben (wie Anm. 8), S. 153-161, hier Sammlung René Senenko. S. 155.

38 Moissej Nappelbaum: Trotzki. 126 Szilágyi an Kuhirt, 10.11.1960, Mscr.Dresd.App.2820, Postkarte aus dem Verlag Junge Gar- 3421; Gassner, Wechselwirkungen (wie Anm. 105), S. 586 nennt: de, 1919/1920. Sammlung René Se- Joli, Yoli, Dobri, Do. nenko. 127 Z.B. für Janos Gyetvai, Eine Nacht. Erzählung aus der Zeit 39 Unbekannter Fotograf: Karl der ungarischen Räterepublik, 1926 (Titel); Irene Róna, Was Paul­ Liebknecht. Postkarte aus dem Verlag chen werden will. Märchen, Berlin 1926 (Titel und Textillustratio- nen); Béla Illés, Baracke No. 43, 1929; B. Wassiljew, In der Illegali-

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 65 tät. Aus dem Leben eines Berufsrevolutionärs, 1934 (Titel; Abb. bei Carl Hoym Nachf., 1923. Sammlung Gassner, Wechselwirkungen [wie Anm. 105], S. 52). René Senenko.

128 Szilágyi, Ausbildung (wie Anm. 106); vgl. die Übernahme 40 Unbekannter Fotograf: N. Lenin. dieser Informationen bei Ullrich Kuhirt, Entwicklungswege der Postkarte aus dem Verlag Carl Hoym fortschrittlichen deutschen Kunst in der Periode von 1924 bis Nachf., 1923. Sammlung René Senen- 1933 und die Hilfe der Kunstkritik im Zentralorgan der KPD bei ko. der Heraus­bildung einer proletarisch-revolutionären realistischen 41 Unbekannter Fotograf: Ferdi- Kunst, Diss. Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der nand Lasalle [!]. (Denkmal in Petro- SED, Berlin 1962, bes. S. 258-265, hier S. 259. Ohne Quellen- grad). Postkarte aus dem Verlag Carl nachweise sind in Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (Hg.), Wem Hoym Nachf., 1923. Sammlung René gehört die Welt? Kunst und Gesellschaft in der Weimarer Republik, Senenko. Berlin ²1977 zwei weitere Arbeiten abgebildet: Ein Plakat für die Rote Hilfe, 1931 (S. 182, Abb. 11) und „Glasfensterartige Tafeln“ 42 Unbekannter Fotograf: Rote in einer Rauminstallation der IFA-Ausstellung 1930 (S. 192, Abb. Turner in Moskau. Postkarte aus 34); Zeichnung „Keine Kohle für England“ aus Der Knüppel 1926, dem Verlag Carl Hoym Nachf., 1923. in: Prof. Alfred Beier-Red, Kühn kämpfende Künstler. Die Karikatur Sammlung René Senenko. als Kampfmittel der revolutionären Arbeiterklasse in der Weimarer 43 Francisco de Goya: Die Kul- Zeit, in: Neue Deutsche Presse 17 (1963) H. 1, S. 37-39 und H. turmittel der kapitalistischen Gesell- 2, S. 35-37, hier S. 37; Reproduktionen von 12 Zeichnungen in: schaft. Postkarte aus dem Verlag Carl Nachlass Kuhirt, Mscr.Dresd.App.2820, 5096 „Prol.-rev. Künstler Hoym Nachf., 1923. Sammlung René IV S-Z“ fol. 277-288. Senenko.

129 Jolán Szamuely-Szilágyi, Erinnerung an Lenin und Klara Zet- 44 K. Wagner: Kapitalistische Ju- kin auf dem Kongreß der Komintern (22. Juni 1921), in: SAPMO gendfürsorge, 1907. Postkarte aus BArch SgY 30/1225, fol. 8-11. dem Verlag Carl Hoym Nachf., 1923.

130 Szilágyi, Emlékeim (wie Anm. 109), S.183, nach: Gantner, Sammlung René Senenko. Budapest (wie Anm. 112), S. 209; die Identität von „Ilonka“ ist un- 45 Karl Holtz: Noske. Postkarte aus bekannt. dem Verlag Carl Hoym Nachf., 1923.

131 Vgl. zu dieser Doppelstrategie Britt Schlehahn, Kunst ist kei- Sammlung René Senenko. ne Berufsfrage, sondern konzentrierter Willensausdruck des Ge- 46 Amerikanischer Zeichner: Kapi- fühls. Kunstprofession, Agitprop und die Asso in Leipzig, in: Wolf- talistische Nächstenliebe. Postkarte gang Hesse (Hg.), Das Auge des Arbeiters. Arbeiterfotografe und aus dem Verlag Carl Hoym Nachf., Kunst um 1930, Leipzig 2014, S. 163-174; Johannes Schmidt, „Den 1923. Sammlung René Senenko. Kampfwillen versinnbildlichen“. Otto Griebel und die Kunst der Agi- 47 Honoré Daumier: Angeklagter! tation, in: Hesse/Starke, Kultur (wie Anm. 74), S. 343-374. Erklären Sie, daß sie frei sind. Sie dür- 132 Szilágyi an Kuhirt, 19.2.1969, Mscr.Dresd.App.2820, 3430. fen doch sprechen! Postkarte aus Ebenso klagte sie ein, Künstler wie George Grosz und Rudolf dem Verlag Carl Hoym Nachf., 1923. Schlichter ungeachtet deren späterer Distanzierung von der KPD Sammlung René Senenko. wegen ihrer Bedeutung für die Parteipropaganda zwischen 1921 48 Karl Holtz: Das Golgatha der und 1925 angemessen zu würdigen. deutschen Revolution. Postkarte aus 133 Heinrich Vogeler an F.E. Gehrig-Targis, 27.6.1927, in: dem Verlag Carl Hoym Nachf., 1923. Gehrig-Targis, Entwicklung (wie Anm. 116), S. 40. Sammlung René Senenko.

134 F.E. Gehrig-Targis an Sekretariat der Betriebs- und Ge- 49 Karl Holtz: Der Lügentanz der werkschaftsleitung der KPD, Karl-Liebknecht-Haus, 10.8.1927, in: Presse. Postkarte aus dem Verlag ebda. S. 43.

66 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Carl Hoym Nachf., 1923. Sammlung 135 Vgl. Oliver A.I. Botar, From the Avant-Garde to „Proletarian René Senenko. Art“. The Emigré Hungarian Journals Egység and Akasztott Ember, 1922–23, in: Art Journal 52 (1993) H. 1, S. 34-45, hier S. 34. 50 Unbekannter Holzstecher: Die gefangenen Kommunarden (Pariser 136 Vgl. die Erinnerung Margarete Buber-Neumanns an ihre Stu- Kommune 1871) von den weißen Off- dienzeit in Heidelberg, 1921: „An der schmalen Wand meiner Dach- zieren zum Erschießen ausgemustert. kammer hing als einziger Schmuck ein großes Plakat mit kubistisch Postkarte aus dem Verlag Carl Hoym gezeichneten Industrieanlagen. Von Schornstein zu Schornstein Nachf., 1923. Sammlung René Senen- zog sich die Losung ‚Moskau – Berlin bringt Rettung!‘“, in: Mar- ko. garete Buber-Neumann, Von Potsdam nach Moskau. Stationen ei- nes Irrweges, Stuttgart 1957, S. 65. Offenkundig handelt es sich 51 Unbekannter Zeichner: Drei Stu- hierbei um das farblithografsche Plakat „Bündnis Moskau Berlin fen: Erbarmen! – Soziale Reformen – bringt Rettung“, [Entwurf von: Lászlo] Péri. Berlin [1921], vgl. Irina Kampf! Postkarte aus dem Verlag Carl Antonowa/Jörn Merkert (Hg.), Berlin – Moskau 1900–1950, Mün- Hoym Nachf., 1923. Sammlung René chen/New York 1995, S. 116. (Dank an Anikó Katona, Ungarische Senenko. Nationalgalerie, Budapest, für weitere Hinweise). 52 George Grosz: Kriegsbeschä- 137 Klaus Fritz Neukrantz (Verantwortl. Redakteur), Die Strasse 1 digtenfürsorge. Postkarte aus dem (1925) H. 1 (mehr nicht nachweisbar)(Hinweis Friedrich-Ebert-Stif- Verlag Carl Hoym Nachf., 1923. tung Bonn, Bibliothek); vgl. Matthias Warstat, Theatrale Gemein- Sammlung René Senenko. (© Estate schaften. Zur Festkultur der Arbeiterbewegung 1918–33, Tübingen of George Grosz, Princeton, N.J. / VG 2004; Wolfgang Hesse, Auge und Archiv. Mediale Ressourcen der Bild-Kunst, Bonn 2018) Arbeiterfotografe der Weimarer Republik, in: Alf Lüdtke/Tobias 53 Käthe Kollwitz: Karl Liebknecht, Nanz (Hg.), Laute, Bilder, Texte. Register des Archivs, Göttingen Zeichnung mit Aquarell 1919, aus: Karl 2014, S. 47-63. Radek: Rosa Luxemburg, Karl Lieb- 138 Szilágyi an Kuhirt 22.8.1960, Mscr.Dresd.App.2820, 3422. knecht, Leo Jogiches, Hamburg: Carl Hoym Nachf. 1921, Vorsatzblatt. SLUB 139 Durus [?], in: Die Rote Fahne 27.2.1930, in: Kuhirt, Entwick- Dresden, Signatur 35.8.3310. Aufnah- lungswege (wie Anm. 128), S. 265; vgl. Jolán Szilágyi, Erinnerun- me: André Rous. gen an Alfréd Keményi (Durus), in: Neues Deutschland 18 (1963) 15.6.1963, Beilage Nr. 21, S. 2.

140 Vgl. Eumann, Kohorten (wie Anm. 4), S. 224-225.

141 Vgl. Marlies Ebert, Bildpostkarten als Mittel der ideologi- schen Massenbeeinfussung. Gedanken zur Kartensammlung des Märkischen Museums, in: Jahrbuch des Märkischen Museums 10/1984, S. 35-51 mit Abb. 212-219; Klaus-D. Pohl, Arbeiter- bewegung auf Postkarten, in: Monatsanzeiger. Museen und Aus- stellungen in Nürnberg, 86 (Mai 1988), S. 685-686; Eric J. Evans/ Jeffrey Richards, A Social History of Britain in Postcards 1870- 1930, London New York 1980; Andrew Roberts, Postcards from the Russian Revolution, Oxford 2008; vgl. allgemein Timm Starl/ Eva Tropper, Format Postkarte. Illustrierte Korrespondenzen, 1900 bis 1936. (Beiträge zur Geschichte der Fotografe in Österreich; 9), Wien 2014. Eine spezifsche Auswahl bietet www.postcard-social. de; vgl. René Senenko, Gegen Faschismus, Kriegsgefahr und Kapi- tal: Ein Postkarten-Projekt, in: Rundbrief Fotografe 23 (2016), No. 2, N.F. 90, S. 49-55 (mit weiterer Literatur).

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 67 142 Propaganda-Postkarten für Sammlungen zugunsten der Hungernden in Rußland, in: Sowjetrussland im Bild 1 (1921) H. 9; vgl. Willi Münzenberg, Solidarität. Zehn Jahre Internationale Arbei- terhilfe 1921–1932, Berlin 1932, S. 199.

143 Vgl. Junge Garde. Zentralorgan der Freien Sozialistischen Jugend Deutschlands 2 (1920) H. 13/14, S. 112; das Porträt Trotzkis erschien als Titelbild der USPD-Illustrierten Die freie Welt 1 (1919) H. 8; vgl. das Porträt Lunatscharskis in: Galerie Berin- son (Hg.), Moissej Nappelbaum (1869–1958). Portraits of Soviet Intellectual Life | Моисей Наппельбаум (1869–1958). Портреты советского духовного мира, Berlin 2012; zum russischen Pik- torialismus vgl. Maria Gourieva, Pictorialist Photography in the Col- lection of the State Museum and Exhibition Centre Rosphoto,­ vgl. http://piktorialismus.smb.museum/images/lecture_10.pdf?1534 492188 (Aufruf 24.8.2018).

144 Eine späte Nachblüte stellt das Porträt von M.W. Frunse, in: Arbeiterkalender 7.12.1926 dar.

145 Hinweis Norbert Ludwig, bpk Berlin.

146 In der USPD-Illustrierten Die freie Welt 1 (1919) H. 1, S. 2 war ein Porträt Liebknechts erschienen, sitzend als Hüftstück mit auf die Hand gestütztem Kopf und direktem Blick zum Betrachter. Die KPD brachte es in zwei Varianten als Postkarte heraus: einmal vor neutralem Hintergrund mit einkopiertem Autograf „Liebknecht“, zum anderen mit bewegt gemaltem Fond ähnlich den Fotografen Nappelbaums und dem unter dem Bildfeld platzierten Schriftzug.

147 Honoré Daumier: Angeklagter! Erklären Sie, daß Sie frei sind, Sie dürfen doch sprechen! Arbeiterkalender 21.–23.6.1923; Francisco Goya: Die Kulturmittel der kapitalistischen Gesellschaft. Arbeiterkalender 5.–7.4.1923, 21.–23.6.1925, 20.11.1926; Ge- orge Grosz: Kriegsbeschädigtenfürsorge. Arbeiterkalender 1.– 3.10.1923; Karl Holtz: Noske. Arbeiterkalender 11.3.1923; Karl Holtz: Der Lügentanz der Presse. Arbeiterkalender 26.–27.4.1923; Karl Holtz: Das Golgatha der deutschen Revolution. Arbeiterkalen- der 4.–6.1.1923; K. Wagner: Kapitalistische Jugendfürsorge. Ar- beiterkalender 16.12.1923, 24.–26.7.1925; Unbekannter amerika- nischer Zeichner: Kapitalistische Nächstenliebe. Arbeiterkalender 28.10.1923; Unbekannter Grafker: Drei Stufen: Erbarmen! – So- ziale Reformen – Kampf! 3.–5.5.1923; Unbekannter Grafker: Die gefangenen Kommunarden (Pariser Kommune 1871) werden von den weißen Offzieren zum Erschießen ausgemustert. Arbeiterka- lender 10.6.1923; Unbekannter Fotograf: Rote Turner in Moskau. Arbeiterkalender 22.7.1923; Unbekannter Fotograf: N. Lenin. Ar- beiterkalender 4.11.1923; Unbekannter Fotograf: Ferdinand Las- salle (Denkmal in Petrograd). Arbeiterkalender 9.–11.4.1923 und

68 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 21.8.1924; Unbekannter Fotograf: Karl Liebknecht. Arbeiterkalen- der 14.1.1923, 13.–14.1.1924.

148 Die Karten gelangten aus der Sammlung Karl Stehle (Mün- chen) in einigen außerordentlich großen Konvoluten mit Motiven aus der Arbeiterbewegung 2013 in das Auktionshaus Christoph Gärt- ner (Bietigheim-Bissingen) (vgl. Auktionshaus Christoph Gärtner, Die Ansichtskarten Karl Stehle, Katalog 26. Auktion, 18.10.2013) und von dort an das Auktionshaus Veuskens (Hildesheim), wo sie erworben werden konnten.

149 Walter Benjamin, Über den Begriff der Geschichte [1940], These VIII, nach: Ders. Gesammelte Schriften I. 2, Frankfurt a.M. 1974, S. 691-704, hier S. 697.

150 Vgl. Nadine Kulbe, Die Stadt als Palimpsest. Schrift im öffent- lichen Raum, in: Hesse/Starke, Kultur (wie Anm. 74), S. 215-254; Wolfgang Hesse, „Wir wollen montieren.“ Fotomontagen als pro- letarische Volkskunst, in: Zeitschrift für Volkskunde 106/2010, 2. Bd., S. 163-196; als PDF unter www.arbeiterfotografe-sachsen. de; Andrés Mario Zervigón, Die anderen Bildamateure. Agitprop, Werbung und Bildmontage, in: Hesse, Auge (wie Anm. 131), S. 55- 72.

151 Buber-Neumann, Kriegsschauplätze (wie Anm. 36), S. 7; vgl. Karl Radek, Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Leo Jogiches, Hamburg 1921.

152 Der Auftrag geht aus einem Brief von Mathilde Jakob an Clara Zetkin hervor, vgl. Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 347; vgl. auch Die Freie Welt 1 (1919) H. 3, S. 6.

153 Walter Benjamin, Eduard Fuchs, der Sammler und der His- toriker (1937), in: Ders., Gesammelte Werke II. 2, Frankfurt a.M. 1977, S. 465-505, hier S. 479-480. Zur Entstehung des Aufsatzes und dessen begeisterter Aufnahme durch Fuchs vgl. Ulrich Weitz, Der Mann im Schatten. Eduard Fuchs: Sitten-Fuchs, Sozialist, Konspirateur, Sammler, Mäzen, Berlin 2014, S. 353-356.

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 69 54

70 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Eduard Fuchs und Honoré Daumier

Angesichts der politischen Bedeutung, linksbürgerlichen Milieu aktiv – und es ist der Komplexität des Arbeiterkalenders schwer vorstellbar, dass Fuchs sich als als Bild-Text-Hybrid und der Orientie- bloß administrativer Bildlieferant verstan- rung auf sozial heterogene Zielgruppen den haben könnte.157 (Hierfür allerdings ist für die Text- und Bildredaktion der verfügte er in seinem Zehlendorfer Haus Beitrag belesener Kenner der Revo- wohl über eine fotografsche Reproanla- lutions- wie der Kunstgeschichte der ge.158) Fuchs, der seit 1886 Mitglied der Neuzeit vorauszusetzen, zu allererst von zu jener Zeit verbotenen Sozialdemo- Jakov Rejch. Zugleich ist „zu vermuten, kratie war, sammelte, von kunstsozio- daß er zur Erarbeitung des Kalenders, logischen und kulturhistorischen Über- wie bei anderen Titeln, Künstler und legungen geleitet, ausgesprochen breit Wissenschaftler aus der internationalen und nicht allein mit dem Fokus auf „Spit- Arbeiterbewegung heranzog.“154 Namen zenwerke“. Bereits in seiner Münchner sind bisher ungenannt geblieben; zum Zeit der 1890er Jahre hatte er begonnen, fraglichen Personenkreis könnten jedoch mit starkem Gewicht auf Bilder wissen- in beruficher Funktion die Mitarbeiter schaftlich wie propagandistisch zu pu- des Literarischen Büros der Zentrale blizieren. Diese Überschneidung politi- der KPD – Gertrud Alexander und Max scher und bildgeschichtlicher Interessen Barthel sowie Fanny Jeczierka und der fand ihren Niederschlag in der Redak- russisch sprechende Lebensgefährte teurstätigkeit für das sozialdemokrati- von Ruth Fischer, Arkadij Maslow (deren sche Witzblatt Süddeutscher Postillon Tätigkeit für das WES belegt ist) – gehört von 1893 bis 1901 und als Autor zahl- haben. Bestand doch ihre Arbeit darin, reicher Bände zur Karikaturgeschichte. „Texte für Flugblätter, Flugschriften, Bro- Seinen Ansatz erläuterte Fuchs 1901 in schüren und Bücher entweder selbst zu einer für den Vorwärts-Verlag besorgten schreiben oder zu begutachten und zu Publikation zum 30. Jahrestag der Pa- bearbeiten.“155 Bei der den Arbeiterka­ riser Commune: Wir haben uns bei der lender tragenden Bedeutung von Bildern vorliegenden Nummer das Ziel gesteckt, mag aber eine weitere – und durch star- vornehmlich in den bildnerischen Beiträ­ ke Indizien gestützte – Vermutung zuläs- gen die Commune durch sich selbst zu sig sein: Die wesentliche, konzeptionelle verherrlichen, d.h. sie möglichst in ihren wie konkrete, Mitwirkung von Eduard eigenen Werken vorzuführen.159 Fuchs, dem ‚Sammler und Historiker‘.156 Dieser dominant visuelle und Bilder als Dies anzunehmen ist zum einen aufgrund „Dokumente“ und „Argumente“ be- von dessen jahrzehntelanger Auseinan- trachtende Ansatz fndet sich dann 20 dersetzung mit europäischer politischer Jahre später im Arbeiterkalender prak- Karikatur, mit ausufernden Gemälde- und tiziert wieder, und man darf vermuten, Grafksammlungen und einer umfangrei- dass Fuchs‘ buchkonzeptionelle Erfah- chen Bibliothek plausibel. Zugleich war rungen hierin ebenso Eingang gefunden er auf dem sozialrevolutionären Flügel haben mögen wie Reproduktionen aus der Vorkriegs-Sozialdemokratie, dann in seinen Sammlungen: Bei einem wissen­ KPD und Komintern sowie nicht zuletzt schaftlichen Werk, das die objektiven in einem weitgespannten Netzwerk im Künste teils zum Gegenstand der Un­

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 71 tersuchung hat, teils sie bei jeder Gele­ schaft der Freunde des neuen Russland, genheit als Beweismittel heranzieht, und Nachlassverwalter und Herausgeber der bei dem obendrein die Vorführung eines Gesammelten Werke Franz Mehrings möglichst umfangreichen Bildmaterials (über dessen Tod am Tode seiner Freun­ […] angestrebt wird, erhält der Verfasser de Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg naturgemäss das Gesetz für den Aufbau am 28. Januar 1919 der Arbeiterkalender seiner Arbeit bis zu einem gewissen Grad auf der Rückseite des Blatts zum 29. Ja- von den vorzuführenden bildlichen Do­ nuar 1926 einen Gedenktext Aus dem kumenten; umso mehr, wenn bei deren Vorwort von Eduard Fuchs zu Mehrings Vorführung ausserdem eine harmonisch Buch „Karl Marx“ veröffentlichte).162 künstlerische Wirkung im Gesamtein­ Fuchs war ohne formelles Parteiamt ein- druck des Buches erstrebt wird.160 fussreich, und es ist ein starkes Indiz für Neben dieser öffentlichen Tätigkeit als seine Mitwirkung am Arbeiterkalender, Bildwissenschaftler hat Fuchs‘ bewusst dass er anfangs, zusammen mit Paul unauffälliges politisches Agieren als Levi (Frühjahr 1919 bis Ende Februar „Mann im Schatten“, wie ihn Lenin titu- 1921 Vorsitzender der VKPD),163 August lierte, vielfach dazu geführt, diese Seite Thalheimer und Hermann Remmele (Mit- seines Wirkens hintanzustellen – doch glieder der Zentrale), Mieczysław Brons- greifen beide Bereiche untrennbar in- ki als Emissär der Komintern sowie Willi einander. Seit 1901 in Berlin ansässig Münzenberg (Vorsitzender der Kommu- und bald durch die Einkünfte aus seiner nistischen Jugendinternationale bis Juli zwischen 1906 und 1912 erschienenen, 1921), mit Zuständigkeit für die Finanzen sechsbändigen Illustrierten Sittenge­ im WES tätig gewesen war.164 Und noch schichte wohlhabend geworden,161 war bei der Neugründung des westeuropäi­ er kulturell, politisch wie persönlich im schen Sekretariats der III. Internationale linken Bürgertum ebenso wie in interna- und dessen Vorbereitungssitzung am tionalen revolutionären Kreisen verwur- 15. Mai 1924 gehörten unter der Leitung zelt: 1913 Mitbegründer und bis Kriegs- von Franz Aeorri zum Büro des W.E.S. ende Vorstandsmitglied des Deutschen als Finanzverwalter der bekannte Schrift­ Hilfsvereins für die politischen Gefange- steller Eduard Fuchs, Verfasser der Sit­ nen und Verbannten Russlands, während tengeschichten und als Propagandalei­ des Krieges im pazifstischen Bund Neu- ter der bekannte Kommunist Franz Jung. es Vaterland (seit 1922 Deutsche Liga […] Ausserdem wohnten der Sitzung bei für Menschenrechte) aktiv, Mitglied und für Deutschland […] Bernhard Reichen­ Spendenbeschaffer der Spartakusgrup- bach, Dr. Alexander Schwab und Dr. Al­ pe, mit prominenten Revolutionären wie fons Goldschmidt.165 dem Ehepaar Käthe und Hermann Dun- 1928 verließ Fuchs ebenso wie Jakov cker, mit Leo Jogiches, Karl Liebknecht Rejch die KPD, um in der Kommunisti- und Rosa Luxemburg befreundet, Dele- schen Partei Opposition (KPO) zusam- gierter der USPD bei der Dritten Zimmer- men mit anderen nicht-stalinistischen walder Konferenz in Stockholm 1917, Aktiven politisch im Sinne einer realen Ende Dezember 1918 Reise nach Mos- Einheitsfront gegen den Nationalsozia- kau, um Lenin über die Lage in Deutsch- lismus tätig zu sein – so hoffte etwa der land zu informieren und ihm ein Schrei- anarchistische Zürcher Arzt und Schrift- ben Luxemburgs zu übergeben, dann steller Fritz Brupbacher, der 1922 im Ver- Mitbegründer der KPD, 1923 der Gesell- lag Carl Hoym Nachf. seine Aufklärungs-

72 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender schrift Um die Moral herum publiziert 41-seitige Typoskript einer professionel- hatte, in einem undatierten Schreiben len deutschen Übersetzung eines zuerst an den Lieben Genossen Fuchs, […] ich 1924 in der sowjetischen Fachzeitschrift sehe bei Ihnen auch Brandtler, Fröhlich Pečat‘ i revoljucija (Druck und Revoluti- [sic!] und Thalheimer. Nicht wahr? Und on) erschienenen Aufsatzes über Honoré der liebe Genosse Brupbacher erhielt Daumier.168 Autor ist der bedeutende am 25. Dezember 1929 zur Antwort: Alle russische Kunsthistoriker und -kritiker Freunde, nach denen Sie fragen, freuen Jakov Aleksandrovič Tugendchol‘d.169 sich, Sie hier begrüssen zu dürfen.166 Zwar hatte Rejch sein umfangreiches Insbesondere aber werden Fuchs‘ in- Archiv 1933 nur zum geringsten Teil aus tensive Beschäftigung mit den europäi- Deutschland ins Exil retten können, und schen Revolutionen von 1830 in Frank- die aufgefundenen Bestände dürften reich und besonders der deutschen von mehrheitlich erst in Prag und dann in 1848, deren Karikaturen er schon zum den USA zusammengekommen sein.170 40. Jubiläum 1898 veröffentlicht hatte, Doch liegt es hier nahe, von Rejchs Zeit seine Kontakte zu Künstlern wie Käthe in Deutschland auszugehen – womög- Kollwitz und die langjährige Freund- lich war eine Publikation in einem der schaft mit Max Slevogt Eingang in die von ihm kontrollierten Verlage in Planung ersten Jahrgänge des Arbeiterkalenders gewesen, und dann wäre es wiederum gefunden haben. Hierfür ist vor allem die naheliegend, an eine Kooperation mit Veröffentlichung von 32 Lithografen Ho- Eduard Fuchs zu denken.171 noré Daumiers auf insgesamt 45 Kalen- Auf jeden Fall aber hatte Rejch damit derblättern ein starkes Indiz. War für ihn nachweislich eine gewichtige Position doch Daumier der bedeutendste Künst- der sowjetrussischen Daumier-Rezepti- ler des 19. Jahrhunderts, dessen Werk er on zur Kenntnis genommen.172 Dessen nahezu vollständig besaß und das er in Urteil dürfte seine Motivation treffen, mehreren teils umfangreichen Veröffent- Daumier die bedeutende Position inner- lichungen publizierte. Zwar lassen die halb des Arbeiterkalenders einzuräumen: abgedruckten Werke keine eineindeuti- „Die Aufgaben der politischen Illustrati- ge Herkunftsbestimmung zu, doch stützt on, die Aufgabe der Genremalerei hatten die Überlegung, dass in der seit 1928 in in unseren Augen noch nie eine so gros- Lieferungen erscheinenden Illustrierten se Bedeutung gehabt wie gerade heute. Geschichte der deutschen Revolution In dieser Hinsicht steht Daumier vor uns Daumiers Tonfgur des Ratapoil abge- als lebendiger Lehrer der graphischen bildet ist, die Fuchs 1927 erstmals dem Meisterschaft, als Meister der kämpfen- deutschen Publikum vorgestellt hatte.167 den Satyre, als unerbittlicher Entlarver Sowohl mit der Illustrierten Geschich­ der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, te der Deutschen Revolution wie zuvor als Anatom, der die kleinsten Geschwü- schon dem Arbeiterkalender verbunden re der kleinbürgerlichen Daseinsformen ist ein weiteres Indiz, welches die zei- aufzudecken vermag.[…] Diese Kunst tenübergreifende, aktualisierende Kon- ist eine fammende Legierung von Re- zeption, die Zusammenarbeit des Ge- alismus und Romantik, von Genrehaf- nossen Thomas mit Eduard Fuchs und tem und Heroischem.“173 Dabei war für die herausragende Rolle Daumiers in Tugendchol’d wie für Fuchs (den Tu- beiden Hinsichten unterstreicht. In Ja- gendchol’d allerdings nicht kennt oder kov Rejchs Nachlass befndet sich das bewusst als einen der „gierigen und oft

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 73 spekulativen“ westlichen Sammler ig- Zeichnungen von M. Wagner („Gefange- noriert174) das Stilistische seiner Bilder- ne auf dem Weg zur Arbeit“) und Walde- fndungen entscheidend dafür, ihn nicht mar Köhler („Schlachtfeld bei Messines“) allein als Illustrator sondern als Künst- enthält. Hierbei wurde „Un paysage de ler zu bewerten, der „das dynamische 1870“ (H.-D. 3438) mit „Honoré Daumier, Weltempfnden unserer Epoche“ zum Eine Landschaft von 1870. Lithographie. Ausdruck brachte: „Er war der Erste, der Sammlung Eduard Fuchs“ untertitelt, mit einer Andeutung von Strichen das während „L’Empire c’est la paix. Allégo- Blinken eines Wagenrades zeigte, als rie tragique“ (H.-D. 3426) und „L’Epou- Erster brachte er in seine Komposition vantée de l’Héritage“ (H.-D. 3447) außer Elemente der Asymetrie und des Uner- dem Künstler- und dem Sammlerhinweis warteten hinein und nahm den Impres- nur die kamoufierenden Titel „Der Krieg“ sionismus der späteren Epoche vorweg und „1871“ tragen. Den Abschluss bildet (sogar die Vorliebe der Japaner für die eine Vignette von Eduard Fuchs‘ Freund diagonale Konstruktion der Komposition Max Slevogt, „Kunst und Künstler im fndet sich bei ihm wieder). Und endlich – Kriege“: Ein monumentaler, gesichts- er war der Erste, der die Helden unserer loser Soldat stülpt dem neben ihm trip- Epoche auf das Piedestal der Kunst hob pelnden Künstler einen großen preußi- – die monumentalen Gestalten der Ar- schen Helm über den Kopf und verdeckt beiter und Wäscherinnen. Daumier ent- ihm damit die Sicht. (Abb. 55-60) deckte das Pathos der Moderne – das Obgleich die nicht allein allgemein ge- ist sein Verdienst, das ist seine Revolu- gen den Krieg, sondern eine sowohl ge- tion.“175 gen das untergegangene französische Die dem entsprechende Methode, Moti- wie das allzu gegenwärtige deutsche ve politisch zu aktualisieren und in erns- Kaiserreich gerichtete „Tendenz“ un- ten oder satirischen Bildgeschichten zu schwer gelesen werden konnte, unter- entwickeln, hatte Fuchs bereits während liefen der Sammler wie der Herausgeber des Krieges als Teil seiner antimilitaristi- Bruno Cassirer mit dieser aus der Jetzt- schen Aktivitäten im Bund Neues Vater- in die historische Zeit zurückspringen- land angewandt: In der im Verlag Bruno den Präsentationsform die Zensur. Die Cassirer erscheinenden Zeitschrift Kunst nachgestellte redaktionelle Bemerkung und Künstler stellte er 1915 drei Blätter umschrieb das Verfahren: Die drei Li­ Daumiers zum Deutsch-Französischen thographien Daumiers […] passen ohne Krieg zu einer knappen Bildgeschich- weiteres auch für unsere Tage, weil die te zusammen.176 Die Reproduktionen künstlerische Form darin allgemeingül­ sind blattfüllend und als Kommentar tig geworden ist, weil Daumier von allem rechtsseitig eingeschossen in den natio- aktuell Gefälligen abgesehen hat und nur nalistischen Text „Kriegserlebnisse eines das immer wieder Charakteristische – Berliner Malers. Mit zwei im Felde ange- das ist stets auch das lebendig Symboli­ fertigten Radierungen“ von Max Neu- sche – dargestellt hat.177 mann, die im kleinen Format vignetten- Um solch aktualisierenden Bildge- artig in den Text eingesetzt sind sowie brauch Betrachtern mit nicht mehr als in die anschließende „Chronik“ der Zeit- historischem Grundwissen möglich zu schrift, die einen Nachruf auf den Dresd- machen, wurden für den Arbeiterkalen­ ner Akademiemaler Gotthardt Kühl von der Motive Daumiers ausgewählt, die Julius Elias mit zwei hierin eingesetzten ohne Bildungsapparat mit der Kenntnis

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 77 verfossener Politiker, historisierender religiös geprägten ‚Kitsch in Arbeiter- Kostümierungen oder der anspielungs- wohnungen‘“179 sein – Indiz nicht nur für reichen Ikonografe von Allegorien ver- die allgemeine politische Intention sowie ständlich sein konnten. Sie sollten sich eines Beitrags zur Geschmacksbildung, gerade nichtbürgerlichen Betrachtern sondern konkret einer Funktion einzelner erschließen, bei denen orientierende Ge- Blätter als Wandschmuck, hierin ganz schichtskenntnisse zur Französischen dem Arbeiterkalender und vor allem des- Revolution, zur Julimonarchie, zur Re- sen Beilagen der beiden ersten Jahrgän- volution von 1848 und der Commune ge 1923 und 1924 verwandt. de Paris oder über Herrscherfguren des Insbesondere das Blatt Nr. 3 dieser 19. Jahrhunderts vorausgesetzt werden Mappe, „Rue Transnonain, le 15 Avril konnten – aufgeladen durch eigenes Er- 1834“ (H.-D. 310), stand in einem mehr- leben von Weltkrieg, Armut, Revolution, fachen Gedenkbezug: motivisch zum aufgrund von Körpererfahrungen und 90. Jahrestags des Massakers von Re- Alltagswissen oder populären Ikonogra- gierungssoldaten nach Beendigung des fen. Aufstands in Paris vom April 1834 und Ein eindrückliches Beispiel der hier- als Allegorie, als Memento der Toten al- mit verbundenen Vorstellung, wie so- ler und insbesondere der zeitlich nahe- mit Kontinuum der Geschichte auf[ge] liegenden, von den Betrachtern selbst sprengt würde, bietet die Mappe von erfahrenen Klassenkämpfe:180 Es gibt 16 Grafken Honoré Daumiers, die nichts Bestialischeres als den von einer „[w]ahr­scheinlich [Eduard Fuchs] im bürgerlichen Demokratie entfesselten Auftrag der jungen Kommunistischen weißen Terror, wenn die Bourgeoisie ihre Partei Deutschlands […] mit kurzen ungeheuerlichen Besitzrechte durch ein Bild­erklärungen sowie einer Biographie freies Volk nur im geringsten gefährdet Daumiers“ zusammengestellt hatte. Sie sieht […]. Man denke an die ruchlose erschien wegen des KPD-Verbots nach Abschlachtung der 15–20000 deutschen dem gescheiterten Oktoberaufstand Proletarier durch den Sozialdemokraten 1923 dann 1924 im Agis-Verlag Wien – Noske, den Blutbevollmächtigten der einem der ausgelagerten und nicht als deutschen Kriegs- und Revolutionsge­ solchem kenntlichen Parteiverlage der winnler. Das erschütternde Bild Dau­ KPD, denn, so erinnerte sich Hans Holm mier’s, „ein Sieg der demokratischen als ehemaliger Leiter des Verlags: „Ers- Ordnung“, zeigt ein Gegenstück aus der tens wollte man mit den Büchern auch französischen Geschichte. Die Massen ein bürgerliches und linksbürgerliches waren unruhig geworden durch die Rück­ Publikum erreichen, zweitens war die wärtsrevidierung der im Juli 1830 errun­ KPD zwischen 1924 und 1926 erhöhten genen Volksrechte, außerdem klopfte im Verfolgungen ausgesetzt […]. Drittens Gefolge der Arbeitslosigkeit der Hunger konnten im Agis-Verlag Bücher auch an die Türen der Proletarierwohnungen. erscheinen, die den KPD-eigenen Verla- Also mußte regierungsseitig „beruhigt“ gen nicht unbedingt in jedem Falle gut zu werden.181 Gesicht gestanden hätten.“178 Spezifsch Im Arbeiterkalender unter Datum vom aber sollte die Daumier-Mappe der Erin- 16. April 1926 konkretisierte der Titel nerung von Rosa Luxemburgs Nachlass- Wie man das Volk zur Ruhe bringt die verwalterin Rosi Wolfstein zufolge „auch ikonografsch lesbare Verallgemeinerung ein Beitrag von Fuchs gegen den häufg des Blatts in einer jener wiederholt ge-

78 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 61 nutzten Formulierungen, die bei Bildern tatur überschriebenen Rückseitentexte, des Reichswehrministers Noske, von dabei Lenins Brief an die ungarischen Freikorpssoldaten oder von Toten der Arbeiter, 27. Mai 1919.182 (Abb. 61-63) Berliner Januarkämpfe 1919 ihre pole- Außer solchen Einzelblättern durchzieht mische Kraft entfalten konnten. Die di- vor allem die Zusammenstellung knapper rekte Brücke in die Gegenwart schlug Bildgeschichten, zumeist parallel zum der rückseitige Text Lenins Der Sinn der Verlauf realen historischen Geschehens bulgarischen Ereignisse mit seinem Be- über mehrere Blätter entwickelt, den Ar­ zug auf den dortigen kommunistischen beiterkalender als eins seiner inhaltlich Aufstand vom 12. September 1923, der wie medial entscheidenden, dramaturgi- wenige Blätter später unmittelbar bild- schen Elemente. Es gilt sowohl für Zy- lich, und diesmal mit einer Fotografe klen grafscher Blätter wie insbesondere massakrierter Kommunisten, vergegen- für den Gebrauch von Fotografen, auch wärtigt wird. Der aufgebahrte Leichnam für Reihungen im Medienwechsel, ver- Tibor Szamuélys auf dem Blatt zum 1. ankert die Bilder im historischen Kontext August 1926 wiederum weist zurück auf der Datumskästen und bezieht meist die die Niederschlagung der ungarischen Texte auf den Rückseiten ein – Anleihen Räterepublik an diesem Tag des Jahres bei der Erzählstruktur von Bildgeschich- 1919 – als Vorbild und Exempel nobili- ten, insbesondere aber der zeitgenös- tiert durch die programmatisch mit Dik­ sisch entstehenden Bildreportagen. Gut

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vorstellbar, dass Eduard Fuchs als Ken- tionen hinter sich zu lassen vermag; wie ner und erfahrener Publizist hierbei betei- die Aufnahme durch seine Zeitgenossen ligt gewesen ist: Diese Werke integrieren ein Bestandteil der Wirkung ist, die das für den, der sich als historischer Dialek­ Kunstwerk heute auf uns selber hat, und tiker mit ihnen befaßt, ihre Vor- wie ihre wie die letztere auf der Begegnung nicht Nachgeschichte – eine Nachgeschichte, allein mit ihm, sondern mit der Geschich­ kraft deren auch ihre Vorgeschichte als in te beruht, die es bis auf unsere Tage hat ständigem Wandel begriffen erkennbar bekommen lassen.183 wird. Sie lehren ihn, wie ihre Funktion ih­ ren Schöpfer zu überdauern, seine Inten­

80 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Abbildungen Anmerkungen

54 Honoré Daumier: Bismarck und 154 Kontny, Abreißkalender (wie Anm. 1), S. 7. die Opfer seiner Henkerdienste an der 155 Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), S. 112-113. Pariser Kommune, Arbeiterkalender Blatt 2.-4. Juni 1924. Deutsche Natio- 156 Vgl. Benjamin, Fuchs (wie Anm. 153). nalbibliothek Leipzig. 157 Vgl. Huonker, Revolution (wie Anm. 38); Ulrich Weitz, „Unser 55-60 Max Neumann, M. ­Wagner, Zeitalter lechzt nach dem Bilde...“. Eduard Fuchs und die Bildspra- Waldemar Köhler, Max Slevogt, Ho- che der deutschen Arbeiterbewegung vom Sozialistengesetz bis noré Daumier: Illustrationen zu: zur Novemberrevolution, Diss. Univ. Stuttgart, 1990.

Kriegserlebnisse eines Berliner Ma- 158 Vgl. Weitz, Schatten (wie Anm. 153), S. 286. Selbst ohne lers, in: Kunst und Künstler 13 (1915) eine gute Reproanlage könnte für Schriften, Strichzeichnungen H. 7, S. 326-335. SLUB Dresden, Si- oder bereits gerasterte Halbtonvorlagen zumindest für Arbeitsko- gnatur Eph.art.0055s. Aufnahmen: pien der Refexdruck gedient haben, vgl. M.B. (d.i. Max Baumgar- André Rous. ten), Refexdruck, in: Der Arbeiter-Fotograf 2 (1927/28) H. 9, S. 13 61 Honoré Daumier: Wie man das (mit Literaturhinweisen).

Volk zur Ruhe bringt. Arbeiterkalen- 159 [Eduard Fuchs], Unsere Bilder, in: Die Kommune 1871–1901, der Blatt 16. April 1926 mit Rückseite: Berlin 1901, nach: Weitz, Schatten (wie Anm. 153), S. 129. Der Sinn der bulgarischen Ereignisse. 160 Eduard Fuchs, Geschichte der erotischen Kunst, Bd. 2, Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. München 1923, Einleitung, S. 2, nach: Huonker, Revolution (wie 62 Unbekannter Fotograf: Opfer Anm. 42), S. 449. des weißen Terrors in Bulgarien. Ar- 161 Vgl. Weitz, Schatten (wie Anm. 153), bes. S. 150-152. beiterkalender Blatt 21. April 1926. Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. 162 Vgl. Weitz, Schatten (wie Anm. 153), S. 203-235; Ottokar Luban, Die Finanzierung der illegalen Antikriegsfugschriften im Ers- 63 Unbekannter Fotograf: Tibor ten Weltkrieg: Spartakusgruppe und linksbürgerliche Pazifsten im ­Szamuély. Arbeiterkalender Blatt 1. Bund „Neues Vaterland“, in: Jahrbuch für historische Kommunis- August 1926. Deutsche Nationalbib- musforschung (2008), S. 33-45, bes. S. 38-43; vgl. Franz Mehring, liothek Leipzig. Karl Marx. Geschichte seines Lebens, Leipzig ²1919 (1918).

163 Nach Retzlaw, Spartacus (wie Anm. 31), S. 189 gehörten zum Freundeskreis Paul Levis in Berlin u.a. Eduard Fuchs, Valeriu Marcu, Fritz Schönherr und Joseph Bornstein. Im Nachlass Levi in der Friedrich-Ebert-Stiftung Bonn ließen sich keine Spuren dieser Zusammenarbeit nachweisen (Mitteilung Sabine Kneib, FES).

164 Vgl. Wehner/Vatlin, Genosse Thomas (wie Anm. 29), S. 4 nach Nicolaevsky (wie Anm. 26), S. 15. Unklar ist, wie sich hierzu ein wohl auf 1922 zu datierendes Dokument verhält, das als Verant- wortlichen für das WES und die Zentral-Exekutive in Deutschland I. Franz Aorri nennt (mit biografscher Skizze), II. Finanzen: W.E.S. Eduard Fuchs, alias Gordon, Schriftsteller Adr. siehe Telefonbuch. Exek. Dr. Alfons Goldschmidt, Adr. s. Telefonbuch. III. Presse: W.E.S. Maholy Nagy. Exek. Franz Jung. IV. Militär: Gesamtleitung Heinrich Kagan, Wassily Popowitsch (Anm. dies ist jedenfalls sein Pseudonym) für Berlin: Albert Müller Brandenburg, in: Dossier RGASPI (wie Anm. 52) Akte 3, fol. 26-27. Aorri erscheint in einer Kurznotiz in der Schreibweise Franz Aeoni, Ebda. fol. 48.

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 81 165 Neugründung des westeuropäischen Sekretariats der III. In- ternationale, Berlin, 20.5.1924, in: Ebda fol. 50-51.

166 BArch Nachlässe Fuchs, Eduard, Korrespondenz mit ver- schiedenen Partnern N 2085/9 fol. 74 und fol. 75; die Gäste waren die ehemaligen leitenden KPD- und jetzigen KPO-Führer Heinrich Brandler, Paul Frölich und August Thalheimer.

167 Huonker, Fuchs (wie Anm. 42), S. 176-177; Fuchs‘ Samm- lungen wurden nach seiner Flucht aus Deutschland beschlag- nahmt und 1937/38 in sechs Auktionen zwangsversteigert, die Grafk am 23. und 24.5.1938 in 1149 teils umfangreichen Lots bei C.G. Boerner, Leipzig, vgl. Kat. Sammlung E.F., Berlin. Daumier – Graphik – Kulturgeschichte, Leipzig 1938; lt Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste vom 20.12.2017 (www. kulturgutverluste.de) wird für die „Rekonstruktion der Sammlung Fuchs“ erstmals eine Privatperson gefördert: „Antragsteller ist der Nachfahre Dr. Bernhard Kosel“, wissenschaftlicher Projektleiter Ul- rich Weitz, Stuttgart.

168 Jakov Aleksandrovič Tugendchol‘d, Honoré Daumier, in: Pečat‘ i revoljucija. Zhurnal Literatury Iskusstva Kritiki I Bibliograph (Druck und Revolution) 4 (1924) H. 5, September 1924, S. 101- 133 (Reprint Lichtenstein1970, S. 101-133 (Sprachliche Unterstüt- zung Birgit Balbajewa, Dresden).

169 J. Tugendhold, Honoré Daumier, in: Arnold Thomas Ruben- stein Historical Papers, Box 245, Folder 12 (Übermittlung Desirée Butterfeld-Nagy, Maine).

170 Vgl. Nicolaevsky, L‘Internationale (wie Anm. 26), S. 14. Ni- colaevsky, der das Parteiarchiv der SPD nach Prag gerettet hatte, scheiterte beim Versuch, das Archiv Rejchs zu sichern; bis auf we- nige Bücher sei es verlorengegangen, vgl. Ebda. S. 2.

171 Wiederabdruck in Jakov Aleksandrovič Tugendchol‘d, Chu- dožestvennaja kul‘tura Zapada (Westliche Kunst und Kultur), Mos- kau/Leningrad 1928, Kap. Vorläufer: Honoré Daumier, S. 3-41.

172 Vgl. zur russischen/sowjetischen Daumier-Rezeption Ada Ackerman, La réception de Daumier en Russie (1830–1917), in: Nouvelles de l’éstampe 242 (2013), S. 28-40, 107; Dies., Eisen- stein et Daumier: des affnités électives, Paris 2013.

173 Tugendhold, Daumier (wie Anm. 169), S. 3.

174 Ebda, S. 2.

175 Ebda, S. 40.

176 Kunst und Künstler 13 (1915) H. 7, S. 326-335.

177 Vgl. Weitz, Schatten (wie Anm. 153), S. 207.

82 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 178 Wolfgang U. Schütte, Der Agis-Verlag Berlin und Wien, in: Marginalien 30 (1987) H. 2, S. 64-74, hier S. 64 (mit einer Bibliogra- fe des Verlags); vgl. auch Siegfried Lokatis, Weltanschauungsver- lage, in: Börsenverein des Deutschen Buchhandels / Historische Kommission (Hg.), Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 2: Die Weimarer Republik 1918–1933, Berlin 2012, S. 111-138.

179 Weitz, Bildsprache (wie Anm. 157), S. 309-312.

180 Vgl. Rolf Zbinden/Juerg Albrecht, Honoré Daumier. Rue Transnonain, le 15 avril 1834, Frankfurt a.M. 1989.

181 [Eduard Fuchs], Beschreibung der Bilder. Bild 3. Ein Sieg der demokratischen Ordnung, in: Honoré Daumier, Mappe mit 16 Bild- tafeln, Wien 1924, nach: Weitz, Bildsprache (wie Anm. 157).

182 Vgl. zu kommunistischen Märtyrerbildern Wolfgang Hesse, Körper und Zeichen. Arbeiterfotografen aus Dohna, Heidenau und Johanngeorgenstadt 1932/33 (Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde 24), Dresden 2012; Ders., „Dolchstoß von rechts.“ Visuelle Deutungen des Dresdner SA-Fe- memords von 1932, in: Volkskunde in Sachsen 22 (2010), S. 87- 159; Ders., Agitieren heißt bewegen. Ein Kriegsbild für die Revolu- tion, in: Rundbrief Fotografe 24 (2017) No. 3, N.F. 95, S. 4-9.

183 Benjamin, Fuchs (wie Anm. 153), S. 467.

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84 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Fotogeschichten im Medienverbund

Die politische Funktion wie die Positio- von einem der Mitglieder der Zentrale nierung des Arbeiterkalenders als Ele- ausgesprochene Meinung, dass die sog. ment der Medienmoderne hatten sich Russische Literatur kein Interesse mehr bereits in der ersten Ausgabe für 1923 darstellt, hat sich im Laufe dieses Publi­ abgezeichnet. Zwar war diese sichtbar kationsjahres als unrichtig erwiesen. Das von der knappen Produktionszeit ge- Interesse war da, wurde nicht befriedigt, prägt. Doch blieben wesentliche kon- wuchs und wächst sichtlich. Freilich, ein zeptionelle und gestalterische Prinzipien Minus der Publikationen ist, dass sie fast über die gesamte Zeit bis 1933 bestehen ausschliesslich Sowjetrussland gewid­ und wandelten sich erst mit dem Jahr- met sind.184 gang 1930 markant. Allerdings verän- 1924 und 1925 konnte demgegenüber derte sich die Repräsentation von Foto- zwar der Anteil internationaler Motive grafen in diesem Zeitraum grundlegend. vergrößert werden, doch blieb der Anteil Dies war wohl nicht allein von redaktio- von Fotografen mit einem Fünftel (1924) nellen Vorstellungen über die Bedeutung und einem Siebtel (1925) der Seiten zurückliegender historischer Ereignisse ­schmal. Dies änderte sich erst mit der oder die Vorliebe für künstlerische Gra- Ausgabe für 1926 grundlegend, bei der fk, sondern zugleich von Schwierigkei- auf 384 Blättern mit Ein-Tageskalenda- ten bei der Beschaffung zeitgeschicht- rium 270 fotografsche Motive mit einem licher oder aktueller Fotografen über Porträtanteil von 40 trugen; insgesamt Agenturen oder Archive verursacht. Ihr 60 Motive zeigten Politiker, Genresze- Einsatz geschah zunächst zögerlich, und nen und Aufmärsche aus der Sowjetuni- es mussten offenkundig erst noch Res- on. Zugleich war die geografsche Band- sourcen in Deutschland und internatio- breite der Motive erweitert worden: sie nal erschlossen werden. So waren die stammten aus Bulgarien, England oder 166 Kalenderblätter des Jahres 1923 do- Jugoslawien, aus Südamerika, Marokko minant mit Reproduktionen von Zeich- oder China. Die Fotografen lösten alle- nungen und Bilddrucken belegt, mit Fo- gorische Darstellungen von Ausbeutung, tografen nur knapp 60, davon fast 20 Repression und Verelendung in den gra- Politikerporträts; insgesamt zwei Drittel fschen Künsten zwar nicht völlig ab, der Fotografen zeigten Motive aus der doch wurden sie dominant. Die Bilder Sowjetunion. Anspruch wie Problem hat- richteten das Augenmerk auf den Ers- te Jakov Rejch bereits zuvor in Bezug auf ten Weltkrieg, auf den Kolonialismus der das literarische Programm des Verlags europäischen Großmächte, auf den Ras- geschildert: Meine Linie: systematische sismus in den USA, auf nationale Unab- und ununterbrochene Veröffentlichung hängigkeitsbestrebungen wie in Indien, des Orientierungsmaterials über Sow­ die revolutionären Kämpfe in China, auf jetrussland, wenigstens in einer europä­ Massaker und die Todesstrafe weltweit isch[en], verständlichen Sprache, halte (die Sowjetunion ausgenommen) und ich für richtig und notwendig. Bis zu der hatten zugleich deutsche soziale und Zeit, wo es uns gelungen ist, dies syste­ politische Verhältnisse im Blick. Zwar matisch zu tun, geschah fast nichts, oder gingen die folgenden Jahrgänge wie- ziemlich Unwesentliches. Die seinerzeit, der zu ein- bis dreitägigen Kalendarien

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 85 zurück und der fotografsche Anteil war diese fotografschen Dokumente über­ nicht mehr ganz so hoch. Doch waren haupt unmöglich.185 nun ganz offenkundig auch für nicht-rus- Für eine damit verbundene Vermischung sische Themen ausreichende Bildres- unterschiedlicher sozialer Gebrauchs- sourcen erschlossen. Ihre zu guten Tei- weisen wie für die Aufhebung der Gat- len sarkastischen Bildlegenden schienen tungsgrenzen unter dem assimilierenden geeignet, die emotionale Wirkung der Schirm ihrer fotografschen Reproduk- Motive zu verstärken. (Abb. 65-72) tionsform erscheint die Eröffnungsse- Bis zu diesem Zeitpunkt hatte in inhaltli- quenz im Arbeiterkalender für 1923 nach- cher Hinsicht der Einsatz von Fotografe gerade modellhaft. Und wiewohl auf den und Grafk damit für zwei Konzepte von ersten Blick deren Zusammenstellung Wirklichkeitsbezügen gestanden – für aus stilistisch, zeitlich und inhaltlich he- „Dokument“ und „Deutung“, die jeweils terogenem Material befremden mag, so einer der beiden Gattungen zugewie- steckt doch gerade hierin Methode: Es sen waren. Die „Tendenz“ der Fotogra- wird nicht nur die Geschichte eines be- fen im Arbeiterkalender lag angesichts stimmten Ereignisses in Symbolbildern solch medialer Mischung und stilistisch erzählt, sondern es werden die Ereignis­ eher konventionellem Formapparat aller- ebenen von der Großen Französischen dings nicht zu allererst in der Erzählhal- von 1789 und die europäischen Auf- tung der Fotografen, und ebenso wird stände der Jahre 1830/31 und 1848/49 es keine Rolle gespielt haben, welche über die Commune de Paris 1871, die Haltung die Fotografen (oder Maler und russischen Revolutionen von 1905 und Zeichner) zur dargestellten Situation ein- 1917 bis zu den Berliner Januarkämp- genommen hatten. Sie lag in der mit der fen und den Münchner Räterepubliken Personen oder Ereignissen verbundenen 1919 verschränkt in einem Kontinuum, Sache selbst, also einer Abstraktion von zu einer Zeit und Raum übergreifenden der konkreten Form der bildlichen Dar- Geschichte permanenter Revolutionen stellung. Und obwohl sich Aufnahmen – ganz gemäß dem Eröffnungssatz zum proletarischer Amateurfotografen nicht ersten Kapitel des Kommunistischen haben nachweisen lassen, so wird doch Manifests: Die Geschichte aller bisheri­ eine Rezension Max Pfeiffers der Illust­ gen Gesellschaft ist die Geschichte von rierten Geschichte der deutschen Revo­ Klassenkämpfen. (vgl. Abb. 110-122) lution eine Grundströmung repräsentie- Dies Verfahren hat noch vor der kontem- ren: Während ältere Geschichtsbücher plativen Seite eine aktivierende, in der mit fantasievollen Zeichnungen, Stichen sich die Vorstellung, aus der Geschichte und Radierungen illustriert wurden, fn­ für die Auseinandersetzungen der Ge- den wir hier Hunderte von Originalfoto­ genwart lernen zu können, manifestiert. grafen, die alle und jede für sich Doku­ So berichtet in erkennbarer Parallelität mente der Wahrheit sind. Sie beweisen des sowohl geschichtsphilosophischen erst die Richtigkeit des geschriebenen wie didaktischen Ansatzes Karl Retz- Wortes. So mancher Amateurfotograf law von seinen Überlegungen aus dem wird hier seine Bilder wiederfnden, von Jahr 1922 für die militärpolitische Zeit- denen er im Augenblick der Aufnahme schrift der KPD: „Es sollten in den Hef- nicht annehmen konnte, daß sie einst ein ten ‚Vom Bürgerkrieg‘ keine Rezepte, Geschichtskapitel illustrieren würden. – keine Kampfanweisungen, keine ‚Exer- In Zukunft sind Geschichtswerke ohne zierreglements‘ gegeben werden, son-

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88 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender dern Beispiele aus der revolutionären und Dokument sowie im die Zeitenfol- Geschichte aller Zeiten. Die Funktionäre ge aufhebenden Geschichtsverständ- sollten anhand dieser Beispiele lernen, in nis; medienhistorisch: mit reproduzier- ihrem Gebiet entsprechend dem Gebot ten Grafken, Gemälden, Skulpturen, der Stunde zu handeln. […] Die Themen Texten und Fotografen (in den ersten meiner Vorträge vor den O-D-Gruppen Jahrgängen außerdem Tabellen und entnahm ich den Thesen der innerpar- Schautafeln); technisch: im mittels fo- teilichen Opposition; ‚Aufrollung der tochemischer Klischeeherstellung und Machtfrage‘. […] Ich benutzte keine mi- Druck erzeugten Verbund der Bildmedi- litärische Literatur, sondern die Aufsätze en. Hierin erst erweist sich das Potential Lenins und Trotzkis über die Revolution der Fotografe als gesellschaftliches Dar- von 1905 bis 1917 […], den Bericht des stellungs- wie als Transformationsmittel. Amerikaners John Reed, ‚Zehn Tage, die Die dialektische Aufhebung der Proveni- die Welt erschütterten‘, meine eigenen enzen und je unterschiedlichen sozialen Erfahrungen im Weltkrieg und aus den Gebrauchsweisen der Ursprungsmate- Jahren 1918 bis 1923, Episoden aus der rialien im Massenmedium bildet sowohl französischen Revolution und der Pa- die Wirkmächtigkeit der modernen Bild- riser Kommune. […] Natürlich ging ich produktion als auch einen erweiterten stets von der Situation aus, in der wir uns Begriff von Fotografe. Sie ist erst in die- befanden.“186 sem Sinne ganz „Medium“, Durchgangs- Ganz vergleichbar fand der Arbeiterka­ membran für die osmotischen Prozesse lender als Resonanzkörper mentaler und zwischen unterschiedlichen zeitlichen intellektueller Verfasstheit seinen Ge- und gesellschaftlichen Sphären, die we- brauchswert. Das hob etwa der Rezen- sentlich durch sie als Katalysator mitein- sent H.L., (vermutlich der Filmkritiker der ander verschränkt werden. Die mediale Roten Fahne Heinz Luedecke) in seiner Angleichung und die Aufhebung der his- Besprechung der Ausgabe 1928 für die torischen Chronologie bei der Bildregie Internationale Presse-Korrespondenz des Arbeiterkalenders sind zwei Seiten hervor: […] der Kalender hält unseren derselben Medaille. Geist nicht in einer abgeschlossenen Zei­ Im Rückblick auf die Erfahrungen der tepoche fest. Er leitet ständig zur Gegen­ 1920er Jahre als Entwicklungszeit sol- wart über […] Wir sehen Bilder von den cher Medienformen innerhalb der pro- Kämpfen in China. Wir sehen grauenvolle letarischen Amateurkultur hatte Heinz Bilder vom letzten Weltkriege. Und gera­ Luedecke 1931 am Beispiel einer be­ de diese Bilder führen uns in die Gegen­ sonders mustergültige[n] Wandzeitung wart und zur Zukunft.187 einen Vorschlag zur Zusammenarbeit Solcher Verbindung entspricht, dass der von Fotografen und Schriftstellern skiz- Arbeiterkalender insgesamt als Monta- ziert, der Weiteres perspektivieren soll- ge von aufeinander bezogenen und in- te: Es ist also hier, und darauf kommt es einander verschränkten Bild- und Tex- uns an, ein ganz enges Zusammenwir­ terzählungen gelesen werden kann. ken von Schrift und Foto, von „Literatur“ Dabei erfolgt eine Amalgamierung des und „Bild“ erzielt worden. Eines dieser visuellen Materials sowohl in inhaltli- Elemente wäre ohne das andere, wenn cher, medienhistorischer wie techni- auch nicht gerade nichts, so doch erheb­ scher Hinsicht. Inhaltlich: ikonografsch, lich weniger. Diese Mischform von Bild im Realitätsverhältnis zwischen Allegorie und Literatur sei etwas Neues […], was

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 89 sich in deine traditionellen Schubkästen Problemen meistenteils auf neue Bei­ nicht mehr mühelos einordnen lässt. Eine träge verzichten und aus Büchern und neue Form der Mitteilung und Werbung, Zeitungsausschnitten zusammenstellen. für die es natürlich noch andere Beispie­ Ausserdem versagen diverse Autoren le gibt als nur die Wandzeitungen. – ein und Institutionen regelmässig. Das ist die Typus von Buch oder Zeitschrift, dessen eine Schwierigkeit. Die zweite Schwie­ agitatorisch-propagandistische Wirkun­ rigkeit ist die, dass man einmal auch gen groß sind.188 die typographische Anordnung ändern Dementsprechend setzte, mit der ersten müsste, aber dies ist bei der bisherigen Fotomontage im Jahrgang 1926 mar- Druckart, in der der Kalender ausgeführt kiert, in der Folgezeit ein allmähliches wurde, nicht möglich und wir mussten Abrücken von einem uneingeschränk- bisher immer davon absehen, ihn in Kup­ ten dokumentarischen Charakter der fer-Tiefdruck drucken zu lassen. Wir wer­ verwendeten Fotografen ein. Diese den jedenfalls in diesem Jahr Gelegen­ Modernisierung des Erscheinungsbilds heit nehmen, und rechtzeitig mit Euch in sollte sich ab dem folgenden Jahrgang Verbindung zu setzen und den Plan der 1927 mit einer ganzen Reihe Montagen Textaufteilung und Illustrierung Euch vor­ John Heartfelds manifestieren – wenn her einmal zur Begutachtung vorlegen.189 auch hier der Anteil der Fotografen et- Damit begann für die Ausgabe 1931 als was unter der Hälfte der Illustrationen Illustrierter Arbeiterkalender eine um- blieb – wobei allerdings der Anteil der fassende Revision des Gestaltungskon- Porträts wie der der sowjetischen Moti- zepts: Die Blätter zum Monatsbeginn ve ebenfalls niedriger als bisher ausfel. brachten nun ganzseitige Porträts un- Von 1927 bis 1931 blieb der Umfang des genannter Arbeiterinnen und Arbeitern Kalenders gleich, nämlich 288 Seiten. in Halbfgur in Nahsicht – eine Würde- Von deren Vorderseiten war mit Foto- form, die bislang nur wenigen prominen- grafen immer ungefähr die Hälfte belegt, ten Politikern, voran Lenin, vorbehalten und der Anteil fotografscher Motive aus gewesen war; zugleich erhöhte sich Russland bzw. der Sowjetunion betrug der Anteil von Fotomontagen. Doch er- hiervon jeweils etwa 25 Prozent, bis in schien offenbar eine weitaus tiefgehen- den letzten Ausgaben schließlich Foto- dere Überarbeitung in gestalterischer grafen oder Fotomontagen fast völlig Hinsicht wie in der technischen Ausstat- dominieren sollten. tung dringend angezeigt. Ganz offen- Unter Datum des 6. Januar 1930 antwor- sichtlich wurden entsprechende Schritte tete der Verlag Carl Hoym Nachf. Mit pro­ unternommen, ein neues Erscheinungs- letarischem Gruß auf ein Schreiben der bild erarbeitet und der Kupfertiefdruck Geschäftsabteilung des Z.K. Gen. Ernst für den Jahrgang 1931 eingeführt: Das Schneller: Werte Genossen! Wir bestäti­ Titelmotiv des Fahnenschwingers von gen den Eingang Eures Schreibens vom Jolán Szilágyi wurde durch eine Foto- 3. I. und gehen mit Euch grundsätzlich grafe ersetzt, die Bilder im Inneren des in der Frage der Kritik einig. Allerdings Kalenders nahmen seither immer wie- ist die Frage der Beiträge stets etwas der die gesamte Blattfäche ein, das Ka- kompliziert, weil das Werk sehr billig her­ lendarium erschien nicht mehr in Kästen gestellt werden muss und deshalb nur separat sondern wurde neben das Mo- wenig Geld für Honorar zur Verfügung tiv plaziert, der Anteil der nicht auktorial steht. Man muss also bei den aktuellen bezeichneten Montagen – oft Überblen-

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dungen von Zeichnungsfragmenten oder Tendenz zur Umgewichtung des Verhält- Statistiken mit Fotografeausschnitten nisses von Grafk und Fotografe: von – nahm signifkant zu. Als Methode war den 128 Bildseiten des Jahrgangs 1932 dieses Modell im Arbeiterkalender von waren 80 fotografsch, 1933 von den 64 Beginn an – also seit fast zehn Jahren Bildseiten gar nur noch 17 Grafkrepro- – angelegt gewesen. In seinen letzten duktionen vorbehalten und 29 Fotomon- drei Jahrgängen jedoch wurde sie noch tagen. Damit war eine wiederum inten- durch die Einpassung in die aktuellste sivierte Anpassung an die Entwicklung Medienentwicklung verstärkt – bildlich der zeitgenössischen Bildpropaganda getragen von bisher kaum je gezeigten erreicht. Totalen, Nahaufnahmen, Auf- und Un- Zugleich hatte sich die Präsentations- tersichten oder Überblendungen – und form immer wieder, allerdings eher punk- Teil des Modernisierungskonzepts, um tuell, über die bisher schon praktizierten gerade in der Zeit der sich zuspitzenden Bildgeschichten hinausgehend, Elemen- politischen Krise das Agitpropinstrument ten flmischer Erzählweise angenähert. Arbeiterkalender visuell wieder auf die Hatte doch die Integration des Films in Höhe der Zeit zu bringen. (Abb. 73-82) die Alltagskultur nicht zuletzt zu anderen Mit dem Jahr 1932, vermutlich zum Aus- Erzählformen wie der Bildreportage und gleich der gestiegenen Kosten, wurde zu neuen Leseformen geführt: Blättern der Umfang auf 256 Seiten und für 1933 wir Seite für Seite um, so rollen an un­ auf 127 Seiten reduziert (allerdings für seren Augen wie ein Film die Ereignisse 1933 mit einer Formatänderung auf 23,2 des Jahres 1918 vorüber. Bild für Bild, x 18,1 cm). Zugleich verstärkte sich die ein Stück Geschichte rollt vor uns ab.190

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 95 Und schließlich war 1930 ein Farbeffekt Malik-Verlag (1926) fort.192 Und die ver- hinzugekommen – man druckte den bis- gleichbare Verwischung der Medienzo- her fast ausnahmslos einfarbig schwarz nen und Realitätsgrade trifft für die Ge- mit gelegentlichem Rot als zweiter Farbe genüberstellung einer menschenleeren produzierten Arbeiterkalender bogen- Aufnahme „Die große Kai-Treppe von weise in zwei unterschiedlichen Farbtö- Odessa“ mit der ebenso als „Dokument“ nen, in Rotbraun und Schwarzgrün. Bei gezeigten Aufnahme vom Massaker an der buchbinderischen Verarbeitung ver- den dort 1905 versammelten Demons­ teilten sich dann zwar diese Farben dem tranten in Otto Rühles Die Revolutionen Bogenfall entsprechend, so dass in der Europas (1927) zu. Allerdings: Ist die fast bunten Blätterfolge keine Sequenzen zu- menschenleere Hafentreppe andern- sammenhängend eingefärbt erscheinen. orts als „Originalaufnahme“ nachgewie- Hinter diesem Abwechslungseffekt aber sen,193 so stammen die Szene des Ko- schimmern gleichwohl die Viragierun- sakenangriffs bei Rühle wie das Porträt gen schwarzweißer Spielflmsequenzen des Wakulintschuk im Arbeiterkalender durch, mit denen fallweise Stimmungen aus Eisensteins Film. Ihre Herkunft wird verstärkt werden konnten. Das Verfahren dieselbe sein wie bei der Publikation des galt offenbar ebenso für andere, mas- Neuen Deutschen Verlags zum „Panzer- senhaft verbreitete Druckschriften: Auch kreuzer Potemkin“: Die Bilder verdanken die in Millionen Exemplaren verbreiteten, wir der Prometheus-G.m.b.H., der Fir­ rund 4000 Ausgaben des Illustrierten ma Russ-Photo und der Zeitschrift „Das Film-Kuriers waren „in monochromem neue Rußland“, sämtliche in Berlin.194 Druck (meist das für den Kupfertiefdruck Und doch verschwindet der bedeuten- charakteristische braunschwarz, in den de Unterschied zwischen Film- und Fo- späten 1920ern aber gerne auch Rot-, toaufnahme im Arbeiterkalender wie in Grün- oder Blautöne)“ produziert wor- Rühles Publikation hinter dem Gestus den.191 (Abb. 83-87) der Augenzeugenschaft – womöglich Der zunehmenden Durchlässigkeit der und paradoxerweise noch befördert Mediengrenzen entspricht, dass im Ar­ durch die aufwühlende Erfahrung des beiterkalender schon zuvor gelegentlich Filmbesuchs. Standbilder aus Spielflmen unkommen- Als Aushangfotos für die Schaukäs- tiert wie Reportagefotografen publiziert ten der Kinos, als Pressebilder wie als worden sind – etwa die Nahaufnahme Druckvorlagen, entweder als Vergröße- des Streikführers Wakulintschuk aus rungen aus den Filmstreifen oder von Panzerkreuzer Potemkin von Sergej M. Studiofotografen bei den Dreharbeiten Eisenstein (1925, in Deutschland 1926) aufgenommen, sind Filmstills in ihrem oder die Inszenierung von Demonstrati- Realitätsgrad hybrid: „Die Filmstandbil- onen des Jahrs 1905 aus dem Film Der der sind […] ein Mittel, den substanziel- Schwarze Sonntag (Devjatoe Janvarja) len und unübersehbaren medialen Bruch von Wjatscheslaw Wiskowskij (1925, in zwischen Film und Presse zu überwin- Deutschland 1926). Diese doppelte An- den.“195 Wenn sie auch in Buchpubli- verwandlung im flmischen Reenactment kationen wie Slangs Panzerkreuzer Po­ und der Übernahme des hieraus genom- temkin, dem opulent im Kupfertiefdruck menen Standbilds setzt sich dann in ei- produzierten Werk Russische Filmkunst nem Buchumschlag von John Heartfeld von Alfred Kerr (1926)196 oder eben in zu Maxim Gorkis Der 2. Januar aus dem den Schaukästen der Kinos als Filmbil-

96 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender der kenntlich waren, so erschienen sie gab. Doch gilt dies auch grundsätzlich. hier isoliert, zudem durch die Umwand- Die an Ort und Zeit eines bestimmten lung des Quer- in ein Hochformat ihre Geschehens gebundene Qualität der Bil- Herkunft verschleiernd, und neu defniert der transformierte sich in eine neue, rein – als Fotografen. Von ihren bisherigen ikonische Funktion: Die Fiktion wurde Kontexten abgelöst, sollten und konnten zum Dokument, die Wirklichkeit des Vi- sie nun im Zeitsprung Ereignisse foto- suellen zum Argument. grafsch vergegenwärtigen, von denen es keine fotografschen Überlieferungen

Abbildungen Anmerkungen

64 Unbekannter Fotograf: Rykow 184 Weber et al., Komintern (wie Anm. 16), Bd. 1, Dok. 33. Be- und Bucharin während einer Sitzungs- richt des Genossen Thomas (Ps.), d.i. Jakov Rejch an das Exeku- pause des 15. Parteitages der KPdSU tivkomitee der Kommunistischen Internationale, z. Hd. des Gen. [2.-19. Dezember 1927]. Arbeiterka- G. Sinowjew. [Berlin], 26.9.1920. Maschinenschriftliche Kopie in lender Blatt 20.-22. Juli 1929. Deut- deutscher Sprache. RGASPI, Moskau, 499/1/3, 80–85. Erstveröf- sche Nationalbibliothek Leipzig. fentlichung, S. 135-138, hier S. 137.

65 Unbekannter Fotograf: Proletari- 185 M. Pf. (Max Pfeiffer, d.i. Willi Elberfeld), Büchermarkt. Illust- sches Feierstündchen. Arbeiterkalen- rierte Geschichte der deutschen Revolution, in: Der Arbeiter-Foto- der Blatt 20. Januar 1926. Deutsche graf 3 (1929) H. 11, S. 231. Nationalbibliothek Leipzig. 186 Retzlaw, Spartacus (wie Anm. 31), S. 233 und 235. 66 Unbekannter Fotograf: Kapitalis- 187 H.L. (d.i. Heinz Luedecke), Arbeiter-Kalender, in: Internatio- tische Fleischbeschau. Versteigerung nale Presse-Korrespondenz 7 (1927) Nr. 126, S. 2944. von Arbeitskräften in Amerika. Arbei- terkalender Blatt 1. Juli 1926. Deut- 188 Heinz Luedecke, Bild-Wort-Montage. Ein Vorschlag zur Zu- sche Nationalbibliothek Leipzig. sammenarbeit von Fotografen und Schriftstellern, in: Der Arbei- ter-Fotograf 5 (1931) H. 9, S. 211-213. 67 Unbekannter Fotograf: Republi- kanische Altersfürsorge. Arbeiterka- 189 SAPMO BArch Kommunistische Partei Deutschlands RY 1/I lender Blatt 13. Oktober 1926. Deut- 2/707/123 fol. 16. sche Nationalbibliothek Leipzig. 190 H.L., Arbeiter-Kalender (wie Anm. 187).

68 Unbekannter Fotograf: „Wie 191 Patrick Rössler, Geronnene Leinwandträume. Deutsch- bleibe ich jung und schön“ – für Prole- sprachige Filmprogrammserien zwischen den Kriegen, in: Aus tarierfrauen. Arbeiterkalender Blatt 17. dem Antiquariat, N.F. 12 (2014) H. 6, S. 253-268, hier S. 256; vgl. November 1926. Deutsche Nationalbi- Winfried Pauleit, Filmstandbilder: Zwischen Fotografe, Zusatz des bliothek Leipzig. Films und Zeichenmodell der Kinematografe, in: Anna Zika (Hg.), 69 Unbekannter Fotograf: Auch the moving image. Beiträge zu einer Medientheorie des bewegten eine Lösung der Negerfrage. Steini- und bewegenden Bildes, Weimar 2004, S. 135-149; Ders., Film- gung eines Negers in den Vereinig- standbilder. Passagen zwischen Kunst und Kino, Frankfurt a.M. ten Staaten. Arbeiterkalender Blatt 12. 2004; Walter Moser (Hg.), Film-Stills. Fotografe zwischen Wer- Dezember 1926. Deutsche Nationalbi- bung, Kunst und Kino, Heidelberg/Berlin 2016 (Hinweis Patrick bliothek Leipzig. Rössler, Erfurt); vgl. Klaus Kreimeier, Können Arbeiter flmen? Do-

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 97 kumentarisches Kino und Arbeiterbewegung in Deutschland vor 70 Unbekannter Fotograf: In ei- 1933, in: Hesse/Starke, Kultur (wie Anm. 74), S. 321-341; zu den nem chinesischen Bergwerk. Arbei- Filmen der Internationalen Arbeiterhilfe vgl. Günter Agde/ Alexander terkalender Blatt 30. Dezember 1926. Schwarz (Hg.), Die rote Traumfabrik: Meschrabpom-Film und Pro- Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. metheus (1921-1936), Berlin 2012. 71 Unbekannter Fotograf: Kompa-

192 Mitteilung Hans Rudolf Gabathuler, Diessenhofen. Vgl. René nie Hackepeter auf Spartakistenjagd. Fülöp-Miller, Geist und Gesicht des Bolschewismus, Wien 1926, Arbeiterkalender Blatt 13. Januar 1926. bes. Kap. Das theatralisierte Leben, S. 182-206 mit Abbildun- Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. gen einer Aufführung „Erstürmung des Winterpalais“ am Original- 72 Unbekannter Fotograf: Ordnung schauplatz, Tafeln 121-124 nach S. 198. herrscht wieder in Berlin. Arbeiterka-

193 Vgl. Slang, Panzerkreuzer Potemkin. Der Matrosenaufstand lender Blatt 14. Januar 1926. Deutsche vor Odessa 1905. Nach authentischen Dokumenten mit 5 Origi- Nationalbibliothek Leipzig. nalphotographien und 10 Filmbildern, Berlin 1926, S. 36 (Waku- 73 Unbekannter Fotograf: … und lintschuk), S. 39 (Hafentreppe, bez. „Originalaufnahme“), S. 44 wofür? Arbeiterkalender Blatt 1. Au- (Massaker). gust 1931. Deutsche Nationalbiblio-

194 Ebda. S. 78; vgl. Joschke, Ware (wie Anm. 74), passim. thek Leipzig.

195 Rössler, Leinwandträume (wie Anm. 191), S. 254. 74 Eduard Manet: Für den Proft. Arbeiterkalender Blatt 2.-3. August 196 Alfred Kerr, Russische Filmkunst, Berlin 1927, S. 123 und 1931. Deutsche Nationalbibliothek S. 131. Leipzig.

75 George Grosz / Unbekannter Fotograf: o.T. Arbeiterkalender Blatt 4. August 1931. Deutsche Nationalbi- bliothek Leipzig.

76 Unbekannter Fotograf: Rinn- stein-Idyll aus einer demokratischen Republik. Arbeiterkalender Blatt 13.- 15. Februar 1932. Deutsche National- bibliothek Leipzig.

77 Unbekannter Fotograf: o.T. Ar- beiterkalender Blatt 2.-4. Mai 1932. Deutsche Nationalbibliothek Leipzig.

78 Unbekannter Fotograf: Kano- nen des sozialistischen Aufbaus. Le- nin-Petrowski-Werke in Dnjeprope- trowsk. Arbeiterkalender Blatt 20.-22. Mai 1932. Deutsche Nationalbibliothek Leipzig.

79 Unbekannter Fotograf: Die Ar- mee des Proletariats. Arbeiterkalen- der Blatt 1.-3. Juni 1932. Deutsche Nationalbibliothek Leipzig.

98 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 80 Unbekannte Fotografen: Die Mörder beim Saufgelage, das nach der Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts veranstaltet wurde. Jäger Runge (×), Ltn. Vogel (××). Arbeiterkalender Blatt 14.-20. Januar 1933. Sächsische Landesbib- liothek – Staats und Universitätsbiblio- thek Dresden.

81 Unbekannter Fotograf: Lenin (Denkmal in Mobilew). Arbeiterkalen- der Blatt 21. Januar 1933. Sächsische Landesbibliothek – Staats und Univer- sitätsbibliothek Dresden.

82 Unbekannter Fotograf: Die Ku- lisse. Jedesmal, wenn die Reaktion die Gewehre lädt, spricht die SPD von „Sozialisierung“. Rechts: Text eines sozialdemokratischen Plakates 1919. Arbeiterkalender Blatt 22.-26. Janu- ar 1933. Sächsische Landesbibliothek – Staats und Universitätsbibliothek Dresden.

83 Filmstill aus „Panzerkreuzer Po- temkin“ (Sergej. M. Eisenstein, 1925): Tod oder Freiheit! Arbeiterkalender Blatt 27. Juni 1927. Deutsche Natio- nalbibliothek Leipzig.

84 Filmstill aus „Der schwarze Sonn- tag“ [9. Januar 1905] (Wjatscheslaw Wiskowskij, 1925): Aber es gibt Nie- derlagen, die Siege sind. Truppen schießen auf Demonstranten vor dem Winterpalais. Arbeiterkalender Blatt 22.-23. Januar 1928. Sächsisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Chemnitz.

85 Filmstill aus „Der schwarze Sonntag“ von Wjatscheslaw Wiskow- skij (1925), in: Alfred Kerr: Russische Filmkunst, Berlin 1927, S. 123. SLUB Dresden, Signatur 6.A.2924. Aufnah- me: André Rous.

86 John Heartfeld: Buchumschlag für Maxim Gorki: Der 9. Januar, Berlin

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 99 1927, Vorder- und Rückseite. Photobi- bliothek.CH. (© The Heartfeld Com- munity of Heirs / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

87 „Die große Kai-Treppe in Odes- sa“ als „Originalaufnahme“ und „Die Kosaken auf der Kai-Treppe“ als Film- still aus „Panzerkreuzer Potemkin“ (Sergej M. Eisenstein 1925), in: Otto Rühle: Die Revolutionen Europas, Bd. 3, Dresden 1927, S. 258/259. SLUB Dresden, Signatur Z.4.252-3. Aufnah- me: André Rous.

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102 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Zensur und Bildkritik

Bald nach seiner Übernahme durch die litischen Thesen. […] (Verlag Carl Hoym Komintern war der Verlag Carl Hoym Nachfolger Hamburg-Berlin NW 6).200 Nachf. ins Visier des Reichskommissars Das WES (im August 1920 offziell auf- für Überwachung der Öffentlichen Ord- gelöst und als Westeuropäisches Büro nung geraten, der feststellte, dass die WEB weitergeführt) wird erstmals 1921 Sowjetunion über ihn an den Behörden erwähnt,201 doch blieb das Büro von vorbei Druckschriften zu importieren wie polizeilicher Durchsuchung unbehelligt: umgekehrt deutsche Militärliteratur für „Thomas, ein wahrer Meister der konspi- die Rote Armee zu beschaffen suchte.197 rativen Arbeit, brachte es fertig, während So 1921, als der mit dem Staats-Han- der Jahre seiner Tätigkeit im WEB nicht delsschiff Argun, das bolschewistische ein einziges Mal verhaftet zu werden.“202 Druckschriften in grosser Menge an Die Aufmerksamkeit der Zensurbehör- Bord hatte, in Hamburg eingetroffene den jedoch und des letztlich zuständigen Volkskommissar Joffe der kommunisti­ Senats IV des Reichsgerichts in Leipzig schen Buchhandlung Karl Hoym, Inhaber galt außer dessen sonstigen Unterneh- Karl Cahnbley […] den Auftrag gegeben mungen nicht zuletzt dem Arbeiterkalen­ [habe], ihm alle einschlägigen Werke über der. Drohenden Verboten versuchten die das deutsche Heer und die Marine zu be­ Herausgeber vorzubeugen: In diesen Ta­ schaffen. Die Werke sollen als Material für gen kommt der allgemein bekannte und die roten Offziersschulen dienen.198 Im beliebte „Arbeiter-Wandkalender“ zum Gegenzug erwarb der Reichskommissar Versand. Die Redaktion hat bei der Aus­ beim Verlag für seine nachrichtendienst- wahl der Bilder und Unterschriften alles liche Auswertungsarbeit unverzichtbare versucht, um keine Veranlassung zur Be­ Materialien, wenn es etwa 1924 hieß: schlagnahme zu geben. Als Kommunis­ Dort [in Thüringen und Sachsen, W.H.] ten sind wir jedoch trotzdem verpfichtet, regierte Moskau und nach dessen Be­ damit zu rechnen, daß der Pressechef fehl und dessen Direktiven die ‚Minister‘ der Abt. I.A. aus alter Gewohnheit den der K.P.D. […] Diese Tatsachen ergeben Kalender auch in diesem Jahre beschlag­ sich aus den Ausführungen der im Ver­ nahmt.203 Sicher nicht erst für die Ausga- lage der kommunistischen Internationa­ be 1927 sollte daher eine Aufteilung der le Verlag Carl Hoym, Nachf. Hamburg Lieferung in mehrere Partien und deren 8, unter der Ueberschrift „Die Lehren dezentrale Lagerung den Transport und der deutschen Ereignisse“ erschienenen die Verbreitung sichern. Exemplare für Broschüre (nicht im Buchhandel erhält­ Kolporteure und KPD-Literaturobleute, lich), in der über die im Januar ds. Js. auf die sich der Vertrieb vor allem stütz- stattgehabte Sitzung des Präsidiums des te, hatten bei der möglichst raschen Ver- Exekutivkomitees der kommunistischen teilung vor dem erwarteten Verbot mit Internationale zur deutschen Frage be­ seinen scharfen Sanktionen gegenüber richtet wird.199 Oder 1929: Die Bericht­ Verkäufern Vorrang.204 Erst nach der Ver- erstattung vom VI. Weltkongress der KI sorgung der Parteimitglieder und der di- kam erst in den letzten Wochen in Fluss; rekten Ansprache weiterer Käufer durch sie stützt sich in der Hauptsache auf die die Kolporteure sollte der Kalender in nun endlich im Druck vorliegenden po­ den Auslagen der Buchstuben und über

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 103 redaktionelle Hinweise der Parteizeitun- „Vorbereitung des Hochverrats“ emp- gen angeboten werden. Gleichwohl war fndliche Strafen. Mehrfach erschien offenbar in den ersten Jahren die öffent- der Arbeiterkalender in Aufistungen in- liche Wahrnehmung nicht allein durch kriminierter Publikationen bei Urteils- die staatlichen Repressionen, sondern begründungen, die zu mehrmonatiger durch eine noch mangelnde Abschot- Festungshaft gegen Vertriebsverant- tung des Vertriebsapparats nach außen wortliche führten. Dieser Kalender dient hin gekennzeichnet. seiner ganzen Tendenz nach der Förde­ Erst im Zuge der ‚Bolschewisierung‘ ihrer rung des Funktionärskörpers der K.P.D., Pressearbeit stellte die KPD 1927/28 ihr soweit diese eine verfassungsunter­ Vertriebssystem um, um mit den Druck- grabende Tätigkeit entwickelt, und der schriften besser als bisher außerhalb der Vorbereitung des Bürgerkriegs, den die engeren Organisation wirken zu können: K.P.D. als ein zu gelegener Zeit zu ver­ „Mit den traditionellen Vertriebssyste- wirklichendes Ereignis betrachtet, mit men – Kolportage und Buchhandel – allen Mitteln herbeizuführen bestrebt ist wurden nur die etwa 2.000 größeren der und in jeder Weise, namentlich auch li­ etwa 62.000 Orte und Gemeinden des terarisch vorbereitet.207 Entsprechend Reichs erfaßt. […] Anfang 1928 wurde wurden bis auf die Jahrgänge 1927 und die ‚Vertriebszentrale der KPD‘ […] ge- 1930 alle beschlagnahmt, zumeist mit gründet, die unter direkter Kontrolle und zahlreichen zur Vernichtung bestimmten Anleitung der Abteilung Agitprop beim Seiten. Einzig die Ausgabe 1929 wurde ZK der KPD mit dem Ziel arbeitete, den mit der Aufage freigegeben, nur ein ein- gesamten kommunistischen Literatur- zelnes Blatt zu entfernen.208 vertrieb zu vereinheitlichen und zu ver- Bei der Zensur wirkten örtliche Poli- billigen.“ Funktionäre und Zellen wurden zeistellen und Amtsgerichte sowie die nun direkt beliefert, hierdurch „der Tätig- Nachrichtenstellen – die politischen Ab- keitsbereich der Kolporteure verändert: teilungen – der Polizeipräsidien der Län- Sie mußten nun ihre Abnehmer nicht der mit zentralen Staatsschutzorganen mehr unter den Parteimitgliedern suchen zusammen: dem Polizeipräsidium Berlin […], sondern unter den Unorganisier- Abt. I.A., dem 1920 etablierten Reichs- ten.“ Dafür gab es den beinahe doppelt kommissar für Überwachung der öffent- so hohen Rabattsatz.205 Dennoch war lichen Ordnung beim Reichsinnenmi- offenbar noch 1930 der Hinweis des nisterium, dem Oberreichsanwalt sowie Zen­tralkomitees nötig: Für die Litstellen dem Staatsgerichtshof zum Schutz der steht selbstverständlich die oberste Auf­ Republik in Leipzig.209 „Was gedrucktes gabe, in allererster Linie den zentralen Propagandamaterial angeht, nahmen Kalender zu vertreiben und nicht die in die Gerichte vor allem an solchem Agita- einzelnen Bezirken herausgegebenen. tionsmaterial Anstoß, das die Russische Der Vertrieb unseres Wandkalenders darf Revolution als ein nachzuahmendes Bei- unter keinen Umständen leiden.206 spiel verherrlichte, für kommunistische Konspiration war jedenfalls geboten, Organisationen warb, eine Aufforderung drohten doch dingfest gemachten Ver- zum Klassenkampf enthielt oder staatli- breitern verbotener Druckschriften, che Einrichtungen wie die Reichswehr, später außerdem an der technischen die Polizei oder die Justiz beschimpf- Herstellung beteiligten Personen, in te.“210 Die Sanktionen beruhten auf dem Staatsschutzangelegenheiten wegen Gesetz zum Schutze der Republik vom

104 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 21. Juli 1922 (1927 verlängert und 1930 den Künstlern als ein hervorragendes neu beschlossen), dem Pressegesetz künstlerisches Produkt bezeichnet wur­ vom 7. Mai 1874 und dem Strafgesetz- de, erregt in jedem Jahre wegen seiner buch (Hochverrat, Landesverrat, Belei- glänzenden Wirkung die besondere Auf­ digung von Personen, gegen Behörden merksamkeit und Wut der Polizei. Das und Körperschaften), meist in Kombina- wird seine größere Verbreitung unter den tion mehrerer Faktoren.211 Arbeitern natürlich nicht [hindern].214 Of- Allerdings verhinderten offenkundig fenbar vorab juristisch instruiert, erklärte die Beschlagnahmebeschlüsse keines- – ebenso wie die Verdächtigen in allen wegs, dass die überwiegende Mehrzahl übrigen Fällen – der Geschäftsführer der der Kalender den Weg zu ihren Nutzern Bücherstube, Kurt Sebastian, am 2. De- fand. Das war einerseits den konspira- zember, daß er den Inhalt der Kalender tiven Vorkehrungen bei Druck und Ver- noch nicht gekannt habe. Die Kalen­ trieb geschuldet, wodurch die Behörden der seien erst am 30.11. in einer Anzahl vielfach erst spät – aus ihrer Sicht: zu von 600 Stück vom Verlag in Hamburg spät – Exemplare ausmachen und dann hier eingegangen. Er habe in der kurzen erst Beschlagnahmebeschlüsse erwir- Zeit nicht die Möglichkeit gehabt, sich ken konnten. Zugleich zogen sich die mit dem Inhalt zu beschäftigen.215 Vier juristischen Verfahren teilweise lange Tage später erklärte der Reichsanwalt hin. Deshalb felen trotz zentraler Ko- die Argumente des Amtsgerichts Gotha ordinierung reichsweiter Razzien meist als nicht schlagend: Das Verfahren wird eher kleine Restbestände in die Hände eingestellt. […] Das Bild des Reichsprä­ der Polizei, und offenbar nur ausnahms- sidenten ist zwar nicht einwandfrei, aber weise konnte die Verbreitung merklich immerhin nicht so verletzend, dass § 8 eingeschränkt werden. Zudem war das Rep.Sch.Ges. vorläge.216 Der Beschluss Handeln der Staatsschutzorgane nicht wurde aufgehoben – am 22. Dezember völlig homogen. Diese Umstände stie- erhielten die Leipziger ihre beschlag- ßen beispielsweise Ende 1927 zusam- nahmten Exemplare zurück,217 und am men. Am 30. November d.J. hatte die 28.12. d.J. übermittelte die sächsische Kriminalpolizei Gotha über die Weimarer Polizei einen Funkspruch aus Berlin, Polizei An Alle gefunkt: „Arbeiterkalender [s]ämtliche beschlagnahmten Stücke 1928“ gem. § 20 des Republikschutz­ sind dem Empfangsberechtigten gegen gesetzes pol.[izeilich] beschlagnahmt. Quittung zurückzugeben.218 Die Rote Richterbestätigung liegt vor.212 Am Fol- Fahne feierte dies als Sieg: Alles, was getag konnte das Polizeipräsidium Leip- einen roten Umschlag trägt und den Na­ zig Abt. IV vermelden, [b]ei der auf Grund men Arbeiter…. ist für die Staatsanwälte umstehenden Funkspruches […] vorge­ der Hindenburg-Republik beschlagnah­ nommenen Durchsuchung der Uns-Bü­ mereif.219 cherstube, hier […] wurden 585 Stück Doch war dies eine Ausnahme. Wäh- Kalender vorgefunden und beschlag­ rend für 1923 über ein Verbot des Arbei­ nahmt.213 Vermutlich waren Sicherheits- terkalenders bisher nichts und für 1924 regeln nicht beachtet worden, weshalb nur die Tatsache der Beschlagnahme eine ungenannte Zeitung außerordent- bekannt ist, geben die in dieser Unter- lich beschönigend berichtete: Einige Ex­ suchung herangezogenen Akten der emplare wurden gefunden […]. Dieser Staatsarchive Bremen, Leipzig und Wei- Abreißkalender, der von ernstzunehmen­ mar für den Arbeiterkalender der Jahre

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 105 1925, 1926 und 1927 detaillierteren Auf- beiterkalender 1925 11 Seiten genannt. schluss. Hierauf folgte der freigegebene Bei acht von ihnen handelt es sich um Jahrgang 1928; 1929 und 1931 wie 1932 reine Schriftseiten: drei von Lenin, einen wurden beschlagnahmt und für 1933 lie- Auszug aus einem Vortrag Wilhelm Lieb- gen keine Informationen mehr vor. Für knechts (1889) und ein Manifest Auguste die drei Jahrgänge von 1925 bis 1927 Blanquis (1848) sowie drei literarische sind jeweils Urteile in Hochverratspro- Texte: Die Warschawjanka, die Kommu- zessen des 4. Strafsenats des Reichsge- nistische Marseillaise von Demjan Bed- richts Leipzig überliefert, in denen nicht ny und ein Gedicht von Erich Mühsam. nur die dem Verbot zugrunde gelegten Dem stehen fünf Bildseiten gegenüber: Paragrafen der einschlägigen Gesetze Das in schwarz und rot gedruckte Vor- und Verordnungen, sondern die inkrimi- satzblatt eines russischen Grafkers, das nierten Seiten aufgeführt sind. So hatte den Weg weisenden Lenin zeigt und das nach einer Beschlagnahme in Gotha und darauf folgende Blatt einer Federzeich- dem nachfolgenden Urteil des dortigen nung übereinander getürmter Särge, um Amtsgerichts der Ermittlungsrichter am die herum Schwurhände den Satz veran- Staatsgerichtshof zum Schutze der Re- schaulichen „Es kommt der Tag, da wir publik auf Antrag des Oberreichsanwalt uns rächen! Dann werden wir die Richter in seinem Beschlagnahmebeschluss sein!“. Im Innern des Kalenders ist eine gegen den Arbeiterkalender 1925 ge­ Strecke von drei Fotografen mit Barri- mäß §§ 41 StGB, 94 ff. StPO., 13, 20 kaden und einem Schützengraben aus des Gesetzes zum Schutze der Republik, dem Hamburger Aufstand vom Oktober 27 Preßgesetzes (1874) festgestellt: Die 1923 inkriminiert. (Abb. 89-95) Druckschrift dient […] der Vorbereitung Am selben Tag wurden die nämlichen des Bürgerkrieges, den die KPD. als ein Angeklagten in einem weiteren Verfah- unmittelbar bevorstehendes Ereignis be­ ren nach den gleichen Paragrafen wie- trachtet, mit allen Mitteln herbeizuführen derum zu 10 Monaten Festung und 100 bestrebt ist und in jeder Weise – Nament­ RM Geldstrafe verurteilt; diesmal war lich auch literarisch – vorbereitet. Zu ei- unter Punkt 21 der Arbeiterkalender des ner Verurteilung kam es dann 1927 in Folgejahrs 1926 aufgeführt. Im Unter- einem Sammelverfahren: Das „Urteil des schied zum Vorjahr wurden nun keine 4. Strafsenats des Reichsgerichts vom 5. Rückseitentexte mehr, sondern nur noch Februar 1927 gegen Reimann und Dom- die Vorderseiten von 10 Blättern zum ning“ – beide waren Sortimentsbuch- Argument: Die Zeichnung eines Hof- händler aus den Partei-Verlagen Junge gangs im Gefängnis von George Grosz Garde bzw. Vereinigung Internationaler mit dem Titel „Aus einer demokrati- Verlagsanstalten VIVA220 – wertete eine schen Republik“ (Abb. 94), eine weitere umfangreiche Schriftgutsammlung als von Rudolf Schlichter, die einen mit der Vorbereitung eines hochverräterischen Faust drohenden Arbeiter und die Bild- Unternehmens (§ 86 des St.G.Be.) in Ta­ unterschrift „Januar 1919: Denkt immer teinheit mit einem Vergehen gegen § 7 dran!“ (Abb. 95) zeigt und außerdem Ziffer 4 und § 8 Ziffer 1 des Republik­ acht Fotografen mit ihren Unterschrif- schutzgesetzes und verurteilte die Ange- ten – so betrachtet, voll entwickelte klagten zu einer Festungshaft von je 10 Bild-Text-Montagen, die zumindest aus (zehn) Monaten und einer Geldstrafe von Sicht des Reichsgerichts keinen Blick je 100 RM. Unter Punkt 12 sind vom Ar­ auf die Rückseite mehr nötig machten,

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um die Vorbereitung eines hochverräteri­ schen Unternehmens erkennen und ahnden zu können. Allerdings standen – wie bei der proleta- rischen Käuferschaft des Kalenders – bei den Gerichten weniger die unterschied- lichen Medieneigenschaften oder histo- rischen Entstehungszusammenhänge im Zentrum des Interesses, sondern die Pöna- lisierung bezog sich einmal auf die darge- stellten Sachverhalte und deren mögliche langfristige Aussagekraft wie zum anderen auf ihre durch Betitelung vergegenwärtigte politische Bedeutung. Dabei galt das Urteil des Reichsgerichts gegen den Schlosser und Buchstubenleiter Franz Georg Cavier aus Bremen, pp. wegen Vorbereitung zum Hochverrat nach § 41 Absatz 2 StGB bei 22 inkriminierten Blättern des Arbeiterka- lenders für 1927 insbesondere den abge- druckten Fotografen und aktuell bezoge- nen Grafken. Doch fndet sich darunter

108 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender die „Hinrichtung Karls I von England“ tographien aus Sowjet-Rußland oder in einem Stich (mit einem Rückseiten- dem demokratisch-kapitalistischen Eu­ text Lenins „Die 3. Internationale“) (Blatt ropa, Zeichnungen von George Grosz, 1.-2. März), wurde Delacroix‘ Gemälde Rudolf Schlichter, Bob Minor u.a.), gibt „Die Freiheit führt das Volk auf die Barri- auch dem Außenstehenden ein kla­ kaden“ (1831) (Blatt 18. März) wohl auf- res Bild proletarischer (Kampf-) Kultur, grund des darunter stehenden Verses bringt die wichtigsten Stellen aus Schrif­ „Wenn mächtig wie das Meer im Sturm, ten von Marx, Engels, Lassalle, Lenin, / Das Volk zum Kampfe geht, / Bereit Liebknecht, Rosa Luxemburg, in grellem zum Tod – dann kommt der Tag, / Wo Gegensatz dazu „klassische“ Aussprü­ die Kommune ersteht.“ indiziert, geriet che der Ebert, Scheidemann, Noske, eine zeitgenössische Darstellung zur Severing. Unter Arbeitern ist der Kalen­ „Klassenjustiz im Preußen Friedrich des der gut eingeführt, doch auch Deutsch­ Großen“ wohl wegen des rückseitig ab- lands Intellektuelle könnten daraus ler­ gedruckten Artikels „Klassenjustiz“ von nen, wenn sie sich „herabließen“, darin Werner Möller, der am 11. Januar 1919 zu blättern.222 Dem konnte sich auch ein als Parlamentär vor dem Vorwärts-Ge- Beamter in der für die politische Über- bäude erschossen worden war, auf die wachung zuständigen, geheimdienst- Liste (Blatt 16.–18. September), während lich arbeitenden „Nachrichtenstelle“ der schließlich sogar eine gegen die Jesuiten Polizei-Direktion Bremen anschließen: gerichtete Karikatur Honoré Daumiers Die in ihm enthaltenen Bilder stellen ein mit der Betitelung „Lakaien des Kapitals“ Meisterwerk kommunistischer Verhet­ als Verbotsargument aufgeführt wurde zung dar. Zweifellos hat der Kalender in (Blatt 25.-27. Dezember). kommunistischen Kreisen grosse Ver­ Einzig für die Ausgabe 1926 haben sich, breitung gefunden.223 Derselbe Beamte über die juristischen Verbotsbegründun- wiederholte sein Urteil in Bezug auf die gen hinausgehend, einige Hinweise auf Ausgabe für 1928 dann nochmals: Diese die Wahrnehmung des Arbeiterkalenders Arbeiterkalender, die ein ausserordent­ in unterschiedlichen politischen Lagern lich wirkungsvolles Propagandamittel nachweisen lassen. So etwa eine Buch­ für die K.P.D. darstellen und die mit gro­ besprechung. Illustrierter Arbeiter-Ka­ ßer Sorgfalt zusammengestellt wurden, lender für das Jahr 1926 in Der Syndi­ werden schon seit Jahren regelmäßig kalist, dem Organ der anarchistischen beschlagnahmt. Trotzdem läßt sich die Freien Arbeiterunion: Der Kalender ist Partei nicht davon abhalten, die gleichen sehr gut hergestellt und mit geschichtli­ Methoden fortzusetzen.224 Und dann chen Daten versehen. Außerdem befn­ am 7. Dezember 1929 noch einmal: Die den sich auf der Rückseite jedes Blattes Arbeiterkalender, die ein ausserordent­ Zitate und Aussprüche von bekannten lich wertvolles Propagandamittel für die Sozialisten und Revolutionären aller Län­ K.P.D. darstellen und die sehr geschickt der und aller Zeiten. Die Anschaffung ist zusammengestellt werden, sind wegen empfehlenswert.221 Dem entspricht das ihres verhetzenden Inhalts in den letzten außerdem auf die Bildausstattung ein- Jahren mehrfach beschlagnahmt, teil­ gehende Urteil von Rudolf Förster in Die weise jedoch später wieder freigegeben Neue Bücherschau: Der „Arbeiterkalen­ worden. Über den diesjährigen Kalender der“ […], agitatorisch äußerst geschickt ist ein Beschlagnahmebeschluss noch zusammengestellt (auf jedem Blatt Pho­ nicht ergangen.225

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 109 Prominenter, ausführlicher und differen- tionsschriften in aller Entschiedenheit zu zierter ist die Rezeption in der Weltbühne bekämpfen.227 Differenzierter – aber im als einem weiteren Podium der linksre- politischen Urteil ebenso klar – fel das publikanischen Publizistik. So hatte Kurt Urteil des Leipziger Kulturwille aus, ei- Tucholsky nicht nur diese Ausgabe für ner 1924 gegründeten Monatszeitschrift 1929 hymnisch gelobt, sondern zugleich links-sozialdemokratischer Orientierung, seine kritische Distanz verdeutlicht: […] in der immer wieder Anzeigen der kom- Der Kalender aber ist ein Zeugnis und munistischen Literaturverlage Malik, ein Dokument. Ein Zeugnis für eine Par­ Neuer Deutscher Verlag, Verlag für Lite- tei, die trotz der allerelendesten Führung ratur und Politik oder Werke kommunis- eine immanente Kraft besitzen muß, grö­ tischer Künstler wie George Grosz, Texte ßer als die Sturheit ihrer Bezirksfeldwe­ von Egon Erwin Kisch, Johannes R. Be- bel. Ein Dokument unserer Zeit – unserer cher, Ernst Toller oder Erich Mühsam ge- Kämpfe, dessen, was uns angeht.226 We- druckt wurden. Im Novemberheft 1925 gen der nicht zuletzt hiermit gemeinten war eine ganzseitige Anzeige für den Angriffe auf die SPD (Zustimmung zu Arbeiterkalender 1926 erschienen, der den Kriegskrediten 1914, Burgfriedens­ im Januarheft 1926 besprochen wurde: politik gegenüber reaktionärem Militär Mit Kalendern ist es dieses Jahr über­ und Beamtenschaft) hatte sich schon haupt schlecht bestellt. Der gute Frei­ Ende 1925 die Redaktion der Verbands- denker-Kalender bleibt aus. Da schickt zeitung des sozialdemokratisch orien- uns der kommunistische Verlag Hoym tierten Allgemeinen freien Angestell- diesen Arbeiter-Kalender. Wir vermögen tenbunds zu einer Nachricht in eigener ihn leider nicht zu empfehlen, denn die Sache genötigt gesehen: In das Heft 11 vielen, guten Bilder und Gedichte, die unserer AFA-Bundeszeitung ist bedau­ er zweifellos enthält und die bei einem erlicherweise eine Anzeige des Verlages recht niedrigen Preise und guter Ausstat­ Carl Hoym Nachf. für den Illustrierten tung ihn wahrhaftig zu d e m Arbeiter-Ka­ Arbeiterkalender für das Jahr 1926 auf­ lender machen könnten, werden in ihrem genommen worden. Man sei durch den Werte durch den Geist der Verhetzung Text getäuscht worden. Es handelt sich und des bewußten Zerreißens der deut­ bei dem Kalender um eines der üblichen schen Arbeiterbewegung herabgesetzt. kommunistischen Machwerke, das in ei­ Auch in einem Kalenderwerk hätte sich ner einseitigen Einstellung und Tendenz von dem neuen Geiste einer wahren Ein­ nur als gewerkschaftsfeindlich und or­ heitsfront des Proletariats, wenn es ehr­ ganisationsschädlich bezeichnet werden lich gemeint wäre, etwas zum Ausdruck kann. Die Redaktion […] hält es für ihre bringen lassen.228 Pficht, diese Art kommunistischer Agita­

110 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Abbildungen Anmerkungen

88 Unbekannte Fotografen: Fo- 197 Vgl. Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13), Bd. 1, S. 88. tomontage mit „Eine Schaufenster- 198 RKO, Lagebericht 54, 6.9.1921, BArch R 134, Nr. 14, fol. anlage beschlagnahmter Literatur in 135-136, hier fol. 136. Berlin“ der Buchhandlung der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) 199 RKO, Lagebericht 103, 16.4.1924, BArch R 134, Nr. 23, fol. in der Weimarer Straße, Berlin-Fried- 63. richshain, in: Roter Stern 4 (1927) H. 6. 200 RKO, Lagebericht 128, 20.2.1929, BArch R 134, Nr. 42, fol. SLUB Dresden, Signatur Z.gr.2.1030. 20. Aufnahme: André Rous. 201 Westeuropäisches Sekretariat der Kommunistischen Inter- 89 Unbekannter Grafker: N. Lenin nationale, in: RKO, Nachrichtenblatt Nr. 1, 28.11.1921, BArch R 1870-1924. Arbeiterkalender 1925, 134, Nr. 45 fol. 3 mit Bericht über Umstrukturierungsmaßnahmen. Vorsatzblatt. Deutsche Nationalbiblio- 202 Gross, Münzenberg (wie Anm. 27), S.109. thek Leipzig. 203 Ministerium des Innern, I. Abteilung, I.A. Berlin: Rundschrei- 90 Unbekannter Grafker: Doch ben Nr. 4 des Zentralkomitees der K.P.D. (Geschäftsabteilung) betr. kommt der Tag, da wir uns rächen! / „Arbeiter-Wandkalender“, 29.10.1926, in: Sächsisches Staatsar- Dann werden wir die Richter sein! Ar- chiv, Staatsarchiv Leipzig 20031 Polizeipräsidium Leipzig PP-St beiterkalender Blatt 1.-3. Januar 1925. 106, fol. 189. Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. 204 Zum Vertriebssystem und dessen Professionalisierung vgl. 91 Unbekannter Fotograf: Barrika- Hempel-Küter, Arbeiterkorrespondenten (wie Anm. 122) bes. S. de in Hamburg. Arbeiterkalender Blatt 137-142 und 277-286. 24. Oktober 1925. Deutsche National- bibliothek Leipzig. 205 Ebda, S. 278-279.

92 Unbekannter Fotograf: Aus den 206 IML, ZPA, I 2/707/146 nach: Kontny, Abreißkalender (wie Barrikadenkämpfen in Hamburg. Ar- Anm. 1), S. 7. beiterkalender Blatt 25.-27. Oktober 207 Beschluss Amtsgericht Gotha vom 7.12.1926, in: Sächsi- 1925. Deutsche Nationalbibliothek sches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig 20031 Polizeipräsidium Leipzig. Leipzig PP-St 106, fol. 196.

93 Unbekannter Fotograf: Aus den 208 Polizei-Direktion Bremen, Nachrichtenstelle in Staatsarchiv Hamburger Kämpfen 1923. Und was Bremen 4, 65-2256 Arbeiterkalender1925, 1926, 1927, 1928, du auch tust, nie tu dir genug / im 1929, 1931, 1932, hier 1929 fol. 3. Hassen, im Wühlen, im Werben. / Sei 209 Vgl. Klaus Petersen, Zensur in der Weimarer Republik, Stutt- Kämpfer mit jedem Atemzug – Bereit gart, Weimar 1995. zum Leben und Sterben! Arbeiter- kalender Blatt 28.-30. Oktober 1925. 210 Ebda, S. 108. Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. 211 1923 keine Information; 1924 handschriftlicher Eintrag [Be- 94 George Grosz: Aus einer demo- schlagnahmt] im Exemplar der Deutschen Nationalbibliothek Leip- kratischen Republik. Arbeiterkalender zig; 1925 Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik 29.6.1925 Blatt 3. Januar 1926. Deutsche Natio- [!] nach §§ 41 StGBs., 13, 20 des Reichsgesetzes zum Schut- nalbibliothek Leipzig. (© Estate of Ge- ze der Republik vom 21.7.1922, 27 des Reichsgesetzes über die orge Grosz, Princeton, N.J. / VG Bild- Presse vom 7.5.1874, 94 fg.; 1926: Staatsgerichtshof zum Schut- Kunst, Bonn 2018) ze der Republik 23.12.1925 gemäß § 41 St.G.B., §§ 13, 20 Gesetz

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 111 zum Schutze der Republik, § 27 Reichspressegesetz, § 94 St.P.O.; 95 Rudolf Schlichter: Januar 1919. 1927: Amtsgericht Gotha 7.12.26 wegen§ 84 Ziffer 2, § 86 St.G.B.; Denkt immer dran! Arbeiterkalender § 7 Ziffer Republik-Schutzgesetz; § 27 Pressegesetzes; 1928 Blatt 7. Januar 1926. Deutsche Natio- Amtsgericht Gotha 31.11.1927 § 20 Gesetz zum Schutze der Re- nalbibliothek Leipzig. publik, nach Intervention Oberreichsanwalt am 28.12.1927 aufge- hoben; 1929 Strafsenat Leipzig 9.1.1929 [!], Beschlagnahme von S. 236; 1930 nach Eggebrecht, Wer weiterliest (wie Anm. 59) nicht beschlagnahmt; 1931 Amtsgericht Gelsenkirchen 31.12.1930 auf Grund 81 86 St.G.B.; 1932 Amtsgericht Berlin Mitte 22.10.1931 wg. 81 86 St.G.B. und Verordnung des Reichspräsidenten vom 10.8.931; 1933 Amtsgericht Berlin-Mitte 22.11.1932 wegen § 81, 82, 85, 86 u.m.St.G.B.. Vgl. Petersen, Zensur (wie Anm. 209), S. 72-73, Kap. „Linksradikale Parteizeitungen“ S. 134-144.

212 Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig 20031 Poli- zeipräsidium Leipzig PP-St 106, fol. 203 r.

213 Ebda. fol. 203 v.

214 Ebda. fol. 205.

215 Abt. IV, den 2. Dezember 1927, in: Ebda. fol. 204.

216 Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar, Thü- ringisches Ministerium des Innern P 125, Bl. 8v.

217 Sächsisches Staatsarchiv, Staatsarchiv Leipzig 20031 Poli- zeipräsidium Leipzig PP-St 106, fol. 206.

218 Ebda fol. 209.

219 Ebda fol. 8 Rote Fahne 307, 31.12.27: „Ein abgewehrter Angriff“

220 Petersen, Zensur (wie Anm. 209), S. 194-195.

221 Der Syndikalist 1926/3 in: https://hood books.wordpress.com/2013/07/28/521/ (Aufruf 24.8.2018)

222 Rudolf Förster, Almanache und Kalender für 1926, in: Die Neue Bücherschau 5 (1925) 3. Folge 6. Schrift, S. 37; vgl. auch Werner Baumann, Kalender und Almanache auf das Jahr 1927 (Einheit von Gesinnung, Wort, Bild.), in: Die Neue Bücherschau 4 (1926/27) H. 4, S. 189; Hans Wichmann, Kalender und Almanache auf das Jahr 1928 ([…] die beste Bestätigung des Marxschen Satzes, daß Weltgeschichte die Geschichte von Klassenkämpfen ist.), in: Die Neue Bücherschau 5 (1927) H. 6, S. 302-303, hier S. 302; Anonym, Bemerkenswerte Neuerscheinungen [1929] (wieder gut zusammengestelltes Bildmaterial und knappe, klare Texte, […], die man nicht oft genug lesen kann.), in: Die Neue Bücherschau 6 (1928) H. 12, S. 666.

223 Polizei-Direktion Bremen, Nachrichtenstelle, 10.3.1926 an Polizeipräsident, Oberregierungsrat Dr. Patt, Senator von Spre-

112 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender ckelsen, Staatsrat Dr. Tack, Kommando der Abtl. O, Staatsarchiv Bremen 4,65 – 2256, II 1926 fol. 11 b.

224 Polizei-Direktion Bremen, Nachrichtenstelle, 15.12.1927 an Polizeipräsident, Oberregierungsrat Dr. Patt, Senator v. Spreckel- sen, Staatsrat Dr. Tack, Kommando Abt. C: Staatsarchiv Bremen 4,65 – 2256, IV 1928, fol. 4.

225 Ebda, V. Arbeiterkalender 1929, fol. 1

226 Wrobel, Abreißkalender (wie Anm. 56).

227 Redaktion der AFA-Bundeszeitung, Illustrierter Arbeiter- kalender für das Jahr 1926, in: AFA-Bundeszeitung 7 (1925) H. 12, S. 170. Andere sozialdemokratische Zeitschriften, wie der in Leipzig erscheinende „Kulturwille“, brachten hingegen offenbar un- beanstandet große Anzeigen etwa des ebenfalls kommunistischen Malik-Verlags, allerdings mit dessen literarischem Programm.

228 H. G., Arbeiterkalender 1928, in: Kulturwille. Monatsblätter für Kultur der Arbeiterschaft 3 (1926) H. 1, S. 20.

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114 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Die Gegenwart der Vergangenheit

Über solchen juristischen und publizis- Emil Bresse (* 1896) (Bresse ist Funkti­ tischen Schlagabtausch hinausgehend, onär der K.P.D. und hatte den Kalender übermitteln die Protokolle der Bremer in einem Schrank aufbewahrt, welcher Polizei von über 20 Wohnungsdurchsu- in seiner Wohnung stand); bei dem Li- chungen Hinweise auf den Gebrauch des teraturobmann Heinrich Busch (* 1904) Arbeiterkalenders im proletarischen Mili- am 19. Januar 1927 vier Exemplare für eu, bei Mitgliedern wie örtlichen Funkti- 1927; am 8. Januar 1931 bei drei Litera- onären der unteren Ebenen. Sie reichen turobleuten, dem Arbeiter Franz Heinrich damit in den gelebten, widerständigen Schulze (* 1902) sieben und dem Tisch- Alltag hinein.229 Der Kalender bot ihnen ler August Nagel (* 1898) zwei Exemp- offenbar mit seinen einprägsamen Bil- lare für 1931, bei dem Hauptkassier der dern, knappen Texten und der Verteilung Roten Hilfe Hermann Heitmann (* 1902) auf Tagesrationen der Lektüre gerade für keines; am 15. November 1931 wurden Leser in schweren Lebensverhältnissen [i]n der Wohnstube des [Schneidermeis­ eine leichter wahrnehmbare Publikati- ters Heinrich Johann August] Ladenthin onsweise als umfangreiche Abhandlun- [* 1868] die verbotenen Arbeiterkalender gen und selbst als illustrierte Zeitschrif- 1931 u. 1932 gefunden und eingezogen; ten. Auf diese spezifsche, in den Alltag am 23. Februar 1932 je ein Exemplar je- eingebundene Medienform hatte Kurt nes Jahrgangs bei dem Tischler Heinrich Tucholsky 1927 hingewiesen: Ich kann Mindermann (* 1892), dem Kraftwagen- mir denken, daß man vor dem Schlafen­ führer Hans Wilhelm Manthey (* 1905) gehen ein Blatt abreißt (oder tust du das sowie dem Monteur Wilhelm Runkel (* morgens?), es langsam und bedächtig 1895) (Der Inhalt ist mir nicht bekannt liest und sich manches bedenkt … Spie­ und habe ich den Kalender im Keller auf­ lerisch blättere ich ihn durch. Ich frage bewahrt, wo er jetzt von der Polizei auf­ mich, was wohl an diesem Tage gesche­ gefunden worden ist.); am 8. März wurde hen wird und was an jenem – an welchem die Wohnung von [Cord] Bollmann nach Tage und zu wie viel Jahren Zuchthaus illegalen Schriften durchsucht. In der der Niedner [Alexander N., Senatsprä­ Wohnstube hing ein verbotener Arbeiter­ sident am Reichsgericht Leipzig, W.H.] kalender 1932, ebenso bei einer Haussu- einen Leser dieses Kalenders verurteilen chung in anderer Sache am 6. April 1932 wird; wie gewissermaßen die Blätter die­ beim Stadtteilleiter der K.P.D., Wilhelm ses neuen Jahres noch weiß sind, bis sie von Hörsten (* 1905), in meinem Zimmer vollgelebt werden.230 offen an der Wand; am 14. Juni wurde ein Es wurden vorgefunden und beschlag­ Exemplar bei dem Schuhmacher Josef nahmt: bei dem Schlosser Jakob Asmus Molke (* 1904) beschlagnahmt, und am Hansen (* 1884) am 26. Februar 1927 14. Juli bei dem Arbeiter August Krieter (* ein Exemplar der gebundenen Ausga- 1907) (In der Küche hing an der Wand ein be des Arbeiterkalenders für 1925; bei verbotener Arbeiterkalender.); ebenfalls dem Kassier der KPD Paul Böttjer (* dem Jahrgang 1932 galt die Beschlag- 1892) am 3. März 1926 eine Ausgabe nahme bei den Eheleuten Heinrich (* un- für 1926, ebenso am 18. März dessel- bek.) und Anne Bergande (* 1905) am 3. ben Jahres bei dem Kupferschmied Paul Oktober, wozu die Ehefrau erklärte: Den

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 115 Kalender habe ich gleich in der Küche Haushaltsführung für zwei Erwachsene aufgehangen und habe auch die Abreiss­ und fünf Kinder mit der Arbeitslosen­ blätter zum Teil gelesen. Über den Inhalt unterstützung ihres Mannes, 15 Mark habe ich mir keine Gedanken gemacht 85 Pfennig in der Woche, dass sie auf und habe auch anderen Personen den 1 Mark 30 für Zeitungen und 1 Mark Par­ Kalender nicht zum Lesen gegeben; der teibeitrag nicht zu verzichten bereit war: am 1. November beschlagnahmte Ka- „Aber warum“, rief ich aus, „warum denn lender der Eheleute Pusch hing ebenfalls 1 Mark 30, fast zehn Prozent von Ihrem [i]n der Küche, an der Wand, und Frieda Einkommen, für Zeitungen?“ „Wir haben Pusch (* 1869) erklärte bei der Anhörung die Rote Fahne, die Rote Post und die am 11. November: Ich wusste nicht, dass Arbeiter-Illustrierte. Als gute Kommu­ der Arbeiter-Kalender verboten war. Den nisten müssen wir die Parteiorgane le­ Inhalt habe ich nicht gelesen. Ich habe sen.“231 Doch verdeutlicht dies zugleich, mir nur die Bilder angesehen. […] Über dass das Bedürfnis nach einem lebendi- den Inhalt habe ich mir keine Gedanken geren, informativeren Journalismus als gemacht. Chronologisch am Schluss dem des Funktionärsorgans Rote Fahne, steht die Beschlagnahme bei dem Prä- nach weltzugewandter Unterhaltung und parator Karl Heinrich Kohlmüller (* 1877), vor allem nach den Bildern der beiden wo am 3. März 1933 ein Exemplar des Wochenzeitschriften dominierte – offen- Jahrgangs 1927 aufgefunden und be- bar hatte sich seit den für die Funktionäre schlagnahmt wurde, das er über die Jah- ernüchternden Umfragen bei der Leser- re aufbewahrt hatte. Für alle Beschlag- schaft 1924 nicht allzu viel geändert.232 nahmungen von Einzelstücken wird nach Die gefahrvolle Wertschätzung des Ar­ der Rechtslage gegolten haben, was die beiterkalenders wird besonders greifbar Zentralpolizeistelle am 11. November in dem Protokoll der Hausdurchsuchung 1932 bei den Eheleuten Pusch festhielt: bei dem Friseur Franz Friedrich Petry (* Da der Kalender nur in einem Exemplar 1904) am 3. August 1932 in Wilhelms- vorgefunden ist, wird der Beweis einer haven: Gelegentlich einer pers. Zustel­ Vorbereitung zum Hochverrat nicht ge­ lung einer Ladung in einer polit. Sache führt werden können. in der Wohnung des Petry […] sah ich im Wie übereinstimmend (und sicherlich in- Wohnzimmer des P. einen verbotenen Il­ struiert) die Befragten angaben, die Ver- lustrierten Arbeiter-Kalender an der Zim­ käufer nicht zu kennen, vom Verbot nichts mertür hängen. Da Petry als Kommunist gewusst zu haben, die Lektüre leugne- hier bekannt ist und auch weitere Bro­ ten oder völlige Ignoranz vortäuschten, schüren in der Wohnung sich befanden, so bedrohlich waren diese Situationen wurde heute durch Krim. Ass. Heinz und doch für sie. Nichtsdestoweniger, und den Unterzeichneten [Krim. Ass. Rei­ ungeachtet der politischen Repression bestein, W.H.] die Wohnung überholt. und der Notlage in der Zeit der Zuspit- Auf dem Wege zur Wohnung des Petry zung der wirtschaftlichen und politischen trafen wir in der Buchstrasse Petry […]. Krise gehörte – jedenfalls für engagierte Als ich Petry sagte, dass ich nach seiner Parteimitglieder – der Bezug von Partei- Wohnung müsste, lief er eiligst in seine literatur zu den Genossenpfichten. So Wohnung. Wir folgten P. sofort und tra­ berichtete dem amerikanischen Jour- fen P. und dessen Frau im Wohnzimmer nalisten Hubert Renfro Knickerbocker an. Auf die Frage, warum er weggelau­ 1932 eine Berliner Arbeiterfrau über ihre fen sei, konnte er nichts entgegnen. Der

116 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender am Tage zuvor gesehene Kalender war häusern, die von insgesamt 160.000 Be- von der Tür verschwunden. Bei der vor­ suchern frequentiert wurde: Die Stellung genommenen Durchsuchung wurde der der großen Masse zur Kunst überhaupt verbotene Kalender 1932 unter dem ist durchaus uneinheitlich. Der größte Teppich versteckt vorgefunden. Ausser­ Teil steht jeder künstlerischen Leistung dem wurde im Nachttisch ein Illustrierter vollständig passiv gegenüber. […] Es gibt Kalender Jahrgang 1931 in abgerissenen aber daneben eine große Schicht künst­ Abschnitten verpackt vorgefunden. An­ lerisch empfndender Menschen, meist dere verbotene Broschüren wurden bei Proletarier der jüngeren Generation. […] der Durchsuchung nicht mehr vorgefun­ Bevorzugt werden von ihnen Künstler, die den. Es wurden aber eine Menge Wahl­ in ihrem Schaffen ein enges Verhältnis zur plakate von der Reichspräsidenten Wahl Masse aufweisen. In solchen Fällen sind und der jetzigen Wahl, ausserdem viele sie zu einer außerordentlich starken Be­ Zeitschriften der kommunistischen Par­ geisterung fähig. Sie werten besonders tei, die nicht verboten sind, vorgefunden. die künstlerische Leitung in einer durch […] Die verbotenen Arbeiter Kalender sie gegebenen Kraftäußerung. In solchen wurden eingezogen.233 Fällen ist auch die Kategorie der künstle­ Ob jedoch dieser Gebrauch, der au- risch Passiven begeisterungsfähig, ohne ßer der Nutzung als Wandschmuck das aber die künstlerische Leistung zu er­ sorgsame Sammeln und Aufbewahren kennen. Ein Beweis hierfür sind die Aus­ zwecks späterer oder wiederholter Be- stellungen, die vor einiger Zeit von einer trachtung und Lektüre einschloss,234 mit Gruppe der Arbeiterklasse nahestehen­ dem gleichfalls programmatischen Er- der Künstler in Berliner Warenhäusern ziehungsprogramm einer Geschmacks- veranstaltet wurden. […] Was sich ergab bildung einherging, steht dahin – bei war aufschlußreich: […] daß die meisten einer Befragung von 63 (sozialdemokra- Besucher vor allem das Dargestellte und tischen) Funktionären im Rahmen einer weniger das Künstlerische interessier­ Studie von Erich Fromm in den Jahren te.237 Zwar waren die im Besucherbuch 1929/30 „gaben zehn an, in ihrer Woh- festgehaltenen Kommentare sehr unter- nung Bilder von ‚Sozialistischen Führern‘ schiedlich, doch einte sie vor allem die- hängen zu haben, während weitere 30 se im proletarischen Habitus verankerte Bilder ‚Sozialistischer Führer und Fami- Haltung, auf welche insbesondere die lienbilder‘ dort aufgehängt hatten.“235 Bildpolitik des Arbeiterkalenders mit sei- Entsprechend resümierte etwa 1927 der ner Themenzentrierung und der zuneh- Maler Otto Nagel seine Erfahrungen, menden Rolle von Reproduktionen nach die Schwellen der Ausstellungshäuser Fotografen reagierte – und dabei bis auf zu unterlaufen und Bilder zum proletari- ganz wenige Ausnahmen Experimentel- schen Publikum zu bringen. So 1926 im les im Sinne der ästhetischen Avantgar- Vereinszimmer eines Arbeiterlokals am de aussparte: „Alles spricht dafür, daß Wedding – bei deren Eröffnung Käthe ‚populäre Ästhetik‘ sich darauf gründet, Kollwitz und Hans Baluschek demons­ zwischen Kunst und Leben einen Zu- trativ anwesend waren und wo Hermann sammenhang zu behaupten (was die Sandkuhl sprach (der 1911 die Juryfreie Unterordnung der Form unter die Funkti- Kunstausstellung in Berlin begründet on einschließt), oder, anders gesagt, auf hatte)236 – oder im großen Maßstab in ei- der Weigerung, jene Verweigerungshal- ner Ausstellungsreihe in Berliner Waren- tung mitzuvollziehen, die aller theore-

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 117 tisch entfalteten Ästhetik zugrundeliegt, und so sehen, wie sie die gegenwärtige d.h. die schroffe Trennung zwischen Gesellschaftsordnung plaziert hat: als gewöhnlicher Alltagseinstellung und ge- ausgebeutete Lohnarbeiter, hungernde nuin ästhetischer Einstellung.“238 Es ist Erwerbslose, kämpfende Revolutionä­ daher mehr als fraglich, ob Nagels eige- re.241 ne Polemik vom selben Jahr gegen das Diesem, dem Programm einer militan- berühmte Vertikow mit seinem Muschel­ ten „Volksbildung“ verpfichteten An- aufsatz – der Häkeldecke – den wahllos satz entsprechend waren im Arbeiter­ aufgebauten Gipsfgürchen – Vasen und kalender von 1923 und 1924 zusätzlich Familienphotos von Erfolg gekrönt war. zu den wechselnden Abbildungen mit Er meinte nicht nur die Haussegen in der Kalendarien fast 20 auf gutem, hoch- Vorkriegszeit, wo eine Arbeiterwohnung weißem und gestrichenem Papier pro- ohne sie undenkbar war. […] Gerade bei duzierte Kunstreproduktionen ohne den Haussegen mit sozialistischem The­ Rückseitentexte eingebunden gewesen ma stehen Tendenz und Form wie Wasser – schwarz, oder mit Rot als zweiter Far- und Feuer gegenüber. Es gibt genügend be gedruckt und ausnahmsweise sogar künstlerisch und politisch gleichwerti­ vierfarbig –, die ganz offenkundig dafür gen Ersatz für diesen „Wandschmuck“. gedacht waren, separat und womög- Fast alle Arbeiterbuchhandlungen haben lich unter Rahmen aufgehängt zu wer- Kunstblätter anerkannter proletarischer den. Über den kulturpolitischen Ansatz Künstler für ein paar Mark zum Verkauf. der Geschmackshebung hinausgehend, Man kann Rahmen und Glas der Hausse­ sollten wohl diese Werke eine Brücke gen dabei verwerten.239 zwischen der nichtformalen, inhalts­ Nicht zuletzt handelte es sich hierbei orientierten Lesart von Bildern und da- um ein paternalistisches Erziehungs- mit der Lebenslage des proletarischen programm, das politische Ziele mit Publikums wie zu dessen historischen geschmacksbildenden Intentionen Kenntnissen bilden (und wie nebenbei vereinte: Immer wieder wird darauf hin­ ein Gegengewicht zur bürgerlichen Be- gewiesen, daß die Werktätigen endlich einfussung, sei sie nun retrospektiv oder jeden kitschigen Wandschmuck in den in den experimentellen Formen der äs- Orkus werfen sollen. In die heutige Zeit thetischen Avantgarde formuliert). Das passen eben ganze Ahnengalerien an sollte gleichermaßen für die Fotografe den Wänden nicht mehr, ebensowenig gelten: Der Arbeiter-Fotograf hat Doku­ kitschige bunte Bilder, Bildchen und Bil­ mente der Zeit zu schaffen, nicht wertlo­ derchen.240 Aus Sicht von Funktionären se Spielereien. Wollte er das, dann wäre wie des ZK-Mitglieds Edwin Hoernle ent- es einfacher, er würfe seinen Apparat fort sprangen jene einem falschen Bewusst- und kaufte sich eine Laubsäge, mit der sein: Zeigt das nicht, dass selbst bei vie­ er allen möglichen unnützen Kram und len, sonst durchaus klassenbewussten Kitsch, Staubfänger und Hausgreuel her­ Proletariern kleinbürgerliche Hoffnungen, stellen kann.242 (Abb. 97-100) Lebensanschauungen, Sehnsüchte sich Ob nun aus Kostengründen oder auf- irgendwo in einem Seelenwinkel aufhal­ grund politischer Erwägungen das ten, bereit, in entscheidenden Kampf­ Programm dieser Schmuckblätter ein- situationen den Angriffs- und Opfermut gestellt wurde – der proletarische Wand- lähmend zu beeinfussen? Lehren wir schmuck in den 1920er Jahren war unsere Klassengenossen sich dort sehen außer von parteilinienkonformen ganz

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 119 entschieden und offenbar von anderen sellschaftlichen Sphären weit verbreitet: Wünschen und Konventionen geprägt: Es gibt wohl keine Parteizeitung, wie In den Wohnungen hängt auf der Blu­ überhaupt keine Tageszeitung, die ihren mentapete neben den Familienphoto­ Lesern nicht einen Wandkalender kos­ graphieen der Öldruck243, aber eben tenlos beigegeben hätte.246 So erinnerte nicht nur. So zeigt das runde Dutzend sich Margarete Buber-Neumann an ihre Innenraumaufnahmen der im westlichen Jenaer Zeit (1922): „Ich lebte […] sehr Erzgebirge im Raum Aue/Schwarzen- einsam, hatte kaum eine Verbindung mit berg südlich Chemnitz lebenden Arbei- der dortigen kommunistischen Bewe- terfotografen Kurt Beck (Bermsgrün) gung. Manchmal nur besuchte ich Ge- und Erich Meinhold (Markersbach), das nossen, eine Arbeiterfamilie. Als Zeichen „Wandschmuck“ erkennen lässt, vor al- ihrer klassenkämpferischen Gesinnung lem unterschiedliche, fast ausschließlich hing bei ihnen im Wohnzimmer der Ka- geometrische Schablonenmalereien auf lender der kommunistischen Zeitung und dem Putz der Küchen und Stuben so- über dem Türrahmen, für alle sichtbar, wie teils sorgfältige Arrangements von ein Schild mit der Losung: ‚Denn das sei Hausgerät, Kleinmöbeln, Textilien oder aller Menschen Pficht, daß niemand es Bildern.244 Im engeren Sinne sind ideale an Brot gebricht.‘”247 Und einen Hinweis Flusslandschaften, ein gestickter Sinn- auf die entsprechenden internationalen spruch „Meine Küche ist mein Stolz“ Gepfogenheiten gibt ihre Erinnerung an oder Familienfotografen identifzierbar. die Kontaktaufnahme in einem „kleinen (Abb. 101, 102) Ungeachtet aber der Spitzenladen in der Calle de Fuentes“ Tatsache, dass die beiden Fotografen in Madrid als illegaler Anlaufstelle, An- Mitglieder der KPD waren und sich in fang 1933: „Gleich neben der Tür lag ein diesem kulturellen und politischen Mili- Haufen Zeitungen, ‚Mundo Obrero‘, das eu bewegten, überliefert nur eine einzige Organ der spanischen KP, und an der Aufnahme ein explizit kommunistisches Wand hing ein mit wehender roter Fahne Motiv: In einem sorgsam arrangierten verzierter Kalender des Parteiverlages. Lebenden Bild erscheint ein Leninporträt In Spanien schien man eigenartige Vor- über dem mit Maschinenornamentik de- stellungen von illegaler Arbeit zu haben korierten Sofa der guten Stube, während [...].“248 ein Exemplar der Arbeiter Illustrierten Eine Spur dieser Praxis fand sich in dem Zeitung mit der Parole „Streik“ auf der bewusst konservativ gestalteten, an die Titelillustration die konkrete Situation Volkskalender des 19. Jahrhunderts des Schlafenden erläutert.245 (Abb. 96) angelehnten, und von 1919 bis 1926 in Bei drei Fotografen schließlich hängen Heftform produzierten Bauernkalender Kalender als Messinstrumente der Ar- der KPD, Das freie Land.249 Offenbar beitsamkeit an der Stuben- oder der wurden solche Kalender gegen Jahres- Küchenwand, die für Waren oder Über- ende von Organisationen wie der Roten zeugungen werben: ein christlicher Hilfe ihrer Zeitschrift Tribunal beigelegt, Wandkalender mit einem eingesteckten von der Internationalen Arbeiterhilfe ver- Datumsblock, zwei Firmenkalender und breitet und auch die Arbeiter Illustrierte ein sozialdemokratischer in der einfa- Zeitung produzierte einen einseitigen chen Ausführung der plakatähnlichen Wandkalender im Format der Illustrier- Form, der nur für den betreffenden Jahr- ten. Er ist, wie der Rote-Hilfe-Kalender, gang gültig war. Sie waren in allen ge- charakteristischerweise fotografsch ge-

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122 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender staltet.250 Doch sind Exemplare hiervon werkschaftsopposition Der Rufer. Organ auf den Aufnahmen der Arbeiterfotogra- der RGO. Erwerbslosen-Abteilung für die fen aus dem Erzgebirge ebenso wenig Arbeitsamts-Gebiete von Erzgebirge und auszumachen wie der Arbeiterkalender. Vogtland vom April 1931. Die Schlagzei- (Abb. 103-105) le „Faschistische Diktatur über Deutsch- Umso mehr bildet sich in ihnen die kom- land“ bezieht sich auf die nach Artikel 48 plexe Lebenslage der Akteure im regi- der Reichsverfassung verhängte „Ver- onalen Kleinbauern-, Handwerker- und ordnung des Reichspräsidenten zur Be- Arbeitermilieu ab: Die für die Kinderseite kämpfung politischer Ausschreitungen“ der Arbeiter Illustrierten Zeitung foto- vom 28. März 1931 mit weitreichenden graferte Tochter der Familie Beck beim Möglichkeiten zum hoch sanktionierten Schreiben der Parole „Streik“ für einen Verbot von Versammlungen, Drucker- Schulstreik in Bermsgrün (Westerzgebir- zeugnissen, Uniformen und Abzeichen ge) mit dem Wecker vor und dem Tages- – während hier auf die sozialen Folgen abreißkalender hinter sich,251 (Abb. 106) fortschreitender Verelendung hin argu- die Heimarbeiterin beim Flechten von mentiert wird. Zunächst im Widerspruch Wollfäden für die Mützenherstellung hierzu steht die Rückwand des Wand- mit dem Kalender eines sozialdemo- kalenders mit Abreißkalendarium direkt kratischen Volksblatts für 1931 im Hin- dahinter. Sie stammt aus der Reihe Der tergrund und der Hausbibel und einem Familienfreund und trägt das Motto „Je- Gewicht zum Fixieren des Materials sus Christus gestern und heute und der- (Abb. 107) oder die Heimarbeiterfamilie selbe auch in Ewigkeit“. Der Kalender aus Markersbach/Erzgebirge mit einem der Bischöfich Methodistischen Kirche dieser Wandkalender – hier einer Leipzi- in Deutschland Buchhandlung und Ver- ger Firma – und der in protestantischen lag253 zeigt den wohl nach dem Vorbild Regionen weit verbreiteten Chromolitho- aus Julius Schnorr von Carolsfelds Bi­ grafe „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast“ bel in Bildern (1861) über das bewegte nach Fritz von Uhde aus dem Verlag May Meer wandelnden Christus – nicht zu- in Dresden.252 (Abb. 108) letzt alltagstheologisch verbunden mit Bei einer weiteren Aufnahme aus dem der Botschaft „Fürchtet euch nicht!“.254 ähnlichen Milieu wird das Ineinander Ob allerdings der Kontrast zwischen der der unterschiedlichen ideologischen hierin vergegenwärtigten religiösen Hoff- und ästhetischen Bezugssysteme der nung und dem Kampfaufruf der R.G.O. sichtbaren wie der unsichtbaren Akteu- als bewusst vom Fotografen im Sinne re besonders deutlich: in einer szeni- der Gottlosenpropaganda der Proleta- schen ‚Realmontage‘ des arbeitslosen rischen Freidenker gestalteter Wider- Tischlers Erich Meinhold. (Abb. 109) Ein spruch gemeint ist, ob der Kalender eher offenbar hungriger Junge – der Überlie- beiläufg ins Bild geriet oder ob er nicht ferung nach ein Kind der Familie Vetter doch ausdrücklich die Koexistenz von in Scheibenberg/Erzgebirge, zwischen Kirche und Kommunismus anzeigen soll- Annaberg-Buchholz und Schwarzen- te, lässt sich nicht eindeutig entscheiden. berg bei Aue gelegen – öffnet die Brot- Doch mag eine Aufnahme des Drehers büchse in der Küche. Hierin entdeckt Max Winkler, ebenfalls Arbeiterfotograf er statt Essbarem ein Exemplar der in in der Bermsgrüner Ortsgruppe, die den Chemnitz erschienenen Zeitung der Griff von fünf Händen nach einer leeren kommunistischen Revolutionären Ge- Brotbüchse mit dem Vaterunser-Zitat

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Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 127 „Unser täglich Brot gib uns heute“ zeigt, wie der Publikationspraxis insbesonde- auf eine Verbindung der beiden Welt- re durch die Arbeiter Illustrierte Zeitung deutungssysteme hindeuten: Es ist eine in der Kombinatorik von Bilderzählung chiliastische Allegorie – und es wird so und Explikation im Text seinen medialen sein, dass das „Und erlöse uns von dem Ausdruck fndet. Bei der Modernisierung Übel“ in beiderlei Sinn auch in diesem der Pressearbeit der KPD standen sich Milieu mitgedacht worden ist. zwar Positionen gegenüber, wie dieses Dass derselbe Junge neben einer älteren Verhältnis genauer bestimmt werden Frau und dem Fotografen Erich Mein- sollte – ob die Bilder durch die Texte hold zu den Akteuren einer weiteren, oder jene durch diese defniert würden, diesmal mit der Arbeiter Illustrierten Zei­ ob man also aus fotografsch-medien- tung zum 60. Jahrestag der Commune kritischer Sicht den Sieg der Bildbericht­ von Paris und dem beigelegten Manifest erstattung über die reine textliche Jour­ der Kommunistischen Partei unzweideu- nalistik [als] einwandfrei entschieden257 tig arrangierten Szenerie gehört, spricht ansah, oder ob demgegenüber aus der zusätzlich dafür, hier die Suche nach in Perspektive der Programmatiker […] ihrer „Tendenz“ eindeutigen program- gute Tendenzfotografe […] ein nicht zu matisch-didaktischen Bildformulierun- unterschätzendes Hilfsmittel zur Unter­ gen zu vermuten.255 (Abb. 110) Überdies stützung des geschriebenen Wortes der ist in dieser als Allegorie der drei Lebens- Revolutionäre, das wir nebenbei, neben alter angelegten Variante auf zahlreiche unserer Tagesarbeit, produzieren sollen Lektüreszenerien in der Arbeiterfotogra- sei, demzufolge [e]in an sich „tendenz­ fe256 die kleintaktige Strukturierung des loses“ Bild […]seine Tendenz auch durch Alltags, so wie sie die Wandkalender den begleitenden Text erhalten [kann], generell und in spezifscher Ausprägung die es „enthüllt“.258 der Arbeiterkalender anbieten, innerbild- Umso mehr belegen diese ‚Realmonta- lich ins Große und Historische gewen- gen‘ die Gleichzeitigkeit unterschiedli- det. Die beiden Druckwerke erinnern mit cher allgemein-ideologischer wie spezi- der Entstehung des Kommunistischen fsch-medialer Orientierungshorizonte. Manifests in der Revolution von 1848 so- Solches Neben- oder besser: kombina- wie dem 18. März 1871 als dem Grün- torische Ineinander der in diesen Bildern dungstag der Commune an bedeutende formulierten Ideologien für den nicht- Ereignisse der Geschichte der internatio- bürgerlichen Wandschmuck der 1920er nalen Klassenkämpfe, wie sie diese aus Jahre systematisch zu erforschen, steht der Retrospektive in Handlungsgegen- noch aus.259 Für kommunistische Funkti- wart wie Zukunftshoffnung wenden; ein onäre allerdings stellte sich solcher Bild- Verfahren, wie es, die Zeitebenen ver- gebrauch – wenigstens im Nachhinein bindend, gerade für die Erzählweise im – als Indikator der sozialen und kulturel- Arbeiterkalender bezeichnend ist. len Grundlagen des eigenen politischen Und ebenso charakteristisch ist das dort Scheiterns dar: Das Programm der Ko- bereits realisierte Prinzip des auf der mintern „war eine Überschätzung des vielfältig beschrifteten modernen Um- revolutionären Wollens selbst der lin- welt und proletarischer Alltagserfahrung ken, radikalen deutschen Arbeiter. In der bei Demonstrationen oder Lektüre und deutschen Arbeiterschaft hat es immer Bildkonsum aufruhenden montierenden nur kleine Gruppen revolutionär Gesinn- Denkens, das in der Arbeiterfotografe ter gegeben, bei der großen Mehrheit

128 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender überwogen die kleinbürgerlichen Nei- geringen Zahl von 58 Drucken nach Fo- gungen und die Folgen der militärischen tografen diese mit 21 Blättern überpro- Erziehung und Tradition. Ich habe oft portional auf Sonntagen. Dass hiervon genug gesehen, wenn ich am Sonntag- wiederum 19 Motive aus der Sowjetuni- vormittag zu Arbeitern in die Wohnungen on zeigen (davon sechs Politikerporträts, kam, um mit ihnen über die Partei zu vier von Meetings und vier mit Einrich- sprechen, daß ihr ‚Eisernes Kreuz‘ un- tungen der Kinderversorgung) spricht ter Glas und Rahmen an der Wand hing, für einen gezielten Einsatz des natura- daneben oft auch das Kompaniebild aus listischen Versprechens der Fotografe, der Rekrutenzeit mit dem Kompanie- „Dokument“ zu sein, und in diesem Zu- hauptmann in der Mitte. ‚Das hängt nur sammenhang für den intendierten Be- dort, weil meine Frau es so will‘, sagte leg vorbildhafter Verhältnisse. Wiewohl der eine und der andere verlegen zu mir, in der überlieferten Form, so markierten wenn er meinen Blick auf das Bild be- damit die Platzierung wie der Bildin- merkte.“260 halt den Anspruch, die bisher gültigen Wie aber vereinbart sich die kalendari- Machtverhältnisse und Deutungen der sche Verwaltung von Zeit in ihrer Regel- Welt zu überwinden, wie ihn der Revolu- haftigkeit mit der vom revolutionären Ziel tionär Franz Jung nach zweijähriger Tä- geleiteten Darstellung historischer wie tigkeit als Fabrikleiter in Sowjetrussland zeitgenössischer Personen, Ereignisse skizzierte: Der historische Materialismus und Sachverhalte in ganz unterschiedli- ist eine Philosophie, und wenn es, um die chen Orten, Zeiten und Zusammenhän- Begriffswirkung deutlicher zu machen, gen? Wie verbinden sich in ihm populare erlaubt ist zu sagen, eine Religion. Marx – nicht zuletzt religiöse – Traditionen und und Engels sind ihre großen Propheten die sozialen Erfahrungen der Arbeitsor- […]. Es ist jetzt die Zeit gekommen, den ganisation mit den politischen Zwecken historischen Materialismus als Lebens­ von Unterhaltung, Belehrung und Agita- form und Lebensinhalt in die Praxis den tion? Wie also zeigt sich im Arbeiterka­ menschlichen Lebens umzusetzen, eine lender „Geschichte“? (Abb. 111-124) neue Religion breitet sich aus – das ist Mit programmatischer Deutlichkeit tritt der Grundcharakter der Umwälzung in die Konkurrenz der Zeitsysteme im ers- Rußland und ihrer zukünftigen Bedeu­ ten Jahrgang 1923 des Arbeiterkalen­ tung für die Gleichgewichtsentwicklung ders zutage. Seine Grundstruktur folgt der Völker.261 ungebrochen dem durch christliche Im Sinne dieses kulturellen Wandels al- Konventionen und die Arbeitsverhält- lerdings wird zugleich der Mangel des nisse geprägten Schema von sechs starren, konventionellen Zeitrasters of- Werktagen und einem Ruhetag. Nur die fenkundig: So ist etwa das Kalenderblatt Sonntage sind mit einem Ein-Tages- für Sonntag, 14. Januar 1923 mit einem Blatt hervorgehoben, alle übrigen Blätter Porträt Karl Liebknechts als Redner be- gelten jeweils drei Tage lang. Der Ras- legt – der Datumskasten nennt als Re- ter ist konsequent durchgehalten, sogar ferenzereignis die Verhängung des Aus- Wochentage mit äußerst bedeutenden nahmezustands über Berlin am selben historischen Bezügen wie der 1. Mai Tag 1919. Das entscheidende Memo- oder Karl Marx‘ Geburts- und Todestag rialdatum mit dem 15. Januar, an dem sind Dreitagesblättern integriert. Hinge- Rosa Luxemburg und Liebknecht von gen liegen ungeachtet der bei 166 Seiten Freikorpssoldaten ermordet wurden, ist

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hier dann allerdings nur im Datumskas- new (Datum unspezifsch), 4. November ten des Drei-Tage-Blatts mit einem Por- Lenin (Datum Oktoberrevolution). Auf trät Luxemburgs erwähnt. Ähnlichen ka- Wochentage plaziert sind außer weite- lendarischen Umständen unterliegt die ren Nennungen Lenins: Franz Mehring, Zuordnung der Protagonisten revolutio- August Bebel, Grigori Sinowjew, Leo Jo- närer Ereignisse seit dem ausgehenden giches, Karl Marx, Ferdinand Lassalle, 18. Jahrhundert. Auf einen Sonntag fal- Eugen Leviné, Wilhelm Liebknecht, Ma- len nur die mehr oder minder präzise da- ximilien de Robespierre, Louise Michel, tierten Verweise bei neun von insgesamt die Utopisten Henri de Saint Simon, Ro- 23 im Jahrgang 1923 als bedeutend ge- bert Owen und Charles Fourier sowie würdigten Politikern: 21. Januar Danton Georgi Tschitscherin. (Hinrichtung Ludwigs XVI 1793), 8. April Von wem auch immer wie kritisiert – in Leo Trotzki (II. Kongress der Arbeiter- der 1923 vorbereiteten Ausgabe für 1924 und Soldatenräte in Berlin 1919), 6. Mai veränderte sich das starre Schema: Es Rakowski (ohne Datum), 1. Juli Michail kamen Blätter mit zweitägiger Gültigkeit Bakunin (Todestag 1876), 5. August hinzu, und Sonntage wurden nur noch Friedrich Engels (Todestag 1895), 8. Juli fallweise als Eintagesblätter ausgestat- Lenin (Sowjets in italienischen Städten tet. Außerdem wurden 12 Gedenktage 1919, Streiks in Berlin 1919), 15. Juli Ka- an Wochentagen hervorgehoben. Die linin mit Dorfbewohnern (Datum unspe- sich hier andeutende Aufösung des zifsch), 30. September Lenin und Kame- Zeitrasters zugunsten einer historischen

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 133 Hierarchie der Sujets wurde dann für zesses und als Publikum des Kalenders: 1925 vollends realisiert. Es blieben nur Mit Kollwitz‘ „Arbeiterkopf“ (1922) wird noch 11 Gedenktage übrig, unabhängig in Form eines Selbstbewusstsein aus- vom Wochentag mit Eintagesblättern strahlenden, Einfühlung heischenden und zumeist mit Rot als Schmuckfarbe Idealporträts die Leitfgur des Kalenders hervorgehoben: die Commune von Paris bestimmt. Dem folgt Holtz‘ „Das Golga- 1871 (2 Blätter), Lenins Todestag 1924 tha der deutschen Revolution“ (1919), (2 Blätter), die Gründung der Kommunis- die mit Heines Gedicht „Jammertal“ tischen Internationale 1919, Karl Marx‘ (1857), Rethels Holzschnitt „Der Tod auf Todestag 1883, der 1. Mai, die Franzö- der Barrikade“ (1849) den Bogen dann sische Revolution 1789, der Beginn des über 60 Jahre spannt zu den Kämpfen Weltkriegs 1914, der Hamburger Auf- in Berlin 1919. Die Fotografe von einem stand von 1923, die Novemberrevolu- Auftritt Kalinins als Staatsoberhaupt So- tion 1917 in Russland. Vorübergehend wjetrusslands bei einem Dorfsowjet er- wurden diese Systeme völlig aufgelöst, öffnet die Zukunftsperspektive, politisch indem 1926 jeder Tag ein Kalenderblatt wie medial – und nicht ohne Grund folgt erhielt. Allerdings kehrte man 1927 wie- als Schmuckblatt auf gutem Papier mit der zu der 1925 gefundenen Lösung dem Holzschnitt „Hunger“ von Käthe zurück, bis 1930 die Blätter zum jeweils Kollwitz, das 1923 im Zusammenhang 1. eines Monats mit Porträts unbekannt der IAH-Kampagne zur Hungerhilfe im gebliebener Arbeiterinnen und Arbeiter Wolgagebiet entstand und damit das hervorgehoben wurden – der Versuch, Schicksal der deutschen und der rus- das bisher eher lehrhafte Konzept mittels sischen Revolutionen humanitär wie Heroisierung und Monumentalisierung politisch miteinander verbindet (und auf diese Weise vorbildlich werdender zugleich die grauenhaften Bilder Verhun- Genossinnen und Genossen stärker mit gerter vermeidet, wie sie auf Postkarten gegenwärtigen Alltagserfahrungen zu verbreitet wurden). Der mit dem Porträt verbinden. Dantons (wohl vor 1794) bezeichne- Parallel zu den unterschiedlich akzen- te Rückblick auf die Große Revolution tuierten, datumsbezogenen Organisa- wird übergeleitet auf die Revolutionen tionsformen von Zeit aber eröffnet der von 1905 und 1917 in Russland, de- Arbeiterkalender noch eine weitere, fui- ren Sieg mit Daumiers Blatt „Der letzte de Ebene: die sequentielle Erzählform. Ministerrat“ (1. Januar 1848) das Ende Beginnend mit dem Eröffnungsblatt des bürgerlicher Herrschaft verheißt, die das Jahrgangs 1923 lesen sich die Seiten Schlussblatt mit dem Gedenken an Franz des Januars als Bildergeschichte. Ihren Mehring als historische Notwendigkeit inneren Zusammenhang bilden die eu- feiert (und dies mit dem Rückseitentext ropäischen Revolutionen und Gegenre- Mehrings über „Karl Marx und die Pa- volutionen seit 1789 als niederlagenrei- riser Commune“ bestätigt). Zugleich ist cher Weg zur verkündeten Aufhebung das Porträt ein Memorial für die Toten der gesellschaftlichen Widersprüche im der Berliner Januarkämpfe 1919. Sieg des russischen Proletariats. Das Er- Solche Amalgamierung der Ereignisse öffnungsblatt für den 1.-3. Januar deu- fndet ihre Entsprechung in der im Druck tet an, was auf den folgenden Seiten zu zusammengeführten Einheit der Vielfalt sehen sein würde und an wen man sich des ästhetischen Materials. Die beiden wandte, als Träger des historischen Pro- zeitgenössischen Holzschnitte von Käthe

134 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Kollwitz als nichtkommunistischer Sym- letarischer Alltagserfahrung. Entspre- pathisantin der russischen Revolution, chend solch sozialem Habitus dürften die die antimonarchistisch, pazifstisch, die Blätter des Arbeiterkalenders einzeln kritisch-republikanisch gesinnten Bürger wie in ihrer Summe als Allegorien des repräsentiert; die Lithographie Daumiers Noch nicht der sozialen Befreiung wie (von den im Jahrgang 1923 immerhin fünf als Erlebtes spiegelnde Bestätigung der auf den Sonntagsblättern vertreten sind) eigenen Haltung hierzu erschienen sein als historische „Dokumente“ des revo- – als Einheit belehrender Propaganda lutionären Bürgertums des 19. Jahrhun- und auffordernder Agitation: Der Klas­ derts und seiner kritisch-realistischen senkampf […] ist ein Kampf um die ro­ Kunst; schließlich die der sowjetischen hen und materiellen Dinge, ohne die es Gegenwart gewidmeten Fotografen. keine feinen und spirituellen gibt. Trotz­ Die Verbindung zwischen der Bilderzeit dem sind diese letztern im Klassenkampf – der irritierenden Gegenwärtigkeit von anders zugegen denn als die Vorstellung Holzschnitten des 16. Jahrhunderts über einer Beute, die dem Sieger zufällt. Sie Kupferstiche und Radierungen des 17. sind als Zuversicht, als Mut, als Humor, und 18. bis zu Lithografen und Holzsti- als List, als Unentwegtheit in diesem chen des 19. Jahrhunderts – und der Zu- Kampf lebendig und sie wirken in die weisung aktueller politischer Bedeutung Ferne der Zeit zurück. Sie werden immer wurde zwar durch textliche Information von neuem jeden Sieg, der den Herr­ konkretisiert und in knappster kalendari- schenden jemals zugefallen ist, in Frage scher Form mit den Datumskästen, aus- stellen.262 greifender in den rückwärtigen Zitaten, Als ganz in diesem Sinne eben nicht in zur Lektüre bereitgestellt. Dieser gewis- einer einzigen Zeitschicht befangener sermaßen nachrichtliche Gestus, der un- Wandschmuck, sondern assoziativ einer abhängig von Bildstilen und historischen Kontinuität revolutionärer Handlungen Verwendungszusammenhängen einen verbunden, vergegenwärtigte der Arbei­ direkten Personen- oder Handlungs- terkalender Szenen von „Geschichte“, bezug benennt und die innerbildlichen die sich den großen Gefühlen der Gegen- Deutungsebenen vernachlässigt, prägt wart, ihrem Selbstbewusstsein und ihrer auch die Haltung zu Fotografen. Selbstüberschätzung erschließen konn- Außerdem kam der Arbeiterkalender mit ten. So erscheint die Meldung der Roten seinen Reihungen zu bestimmten Ereig- Fahne vom 2. Februar 1929 über einen nissen den Erfahrungen des Publikums tagesgenauen Zugriff der Politischen mit den Erzählformen von Bildreporta- Polizei im und auf den Arbeiterkalender gen in den Illustrierten weit entgegen. als Projektion dieser Geschichtspolitik – Überdies hatte die zunehmende Durch- kurz vor der Niederlage der Arbeiterbe- dringung der Alltagskultur durch den wegungen 1933: Film zu neuen Leseformen geführt. Ent- sprechend changiert die Wahrnehmung Zörgiebel beschlagnahmt einen Kalen­ der Einzelbilder, mehr noch aber die dertag. Folge der Blätter, zwischen einem „Do- Ein neues Bravourstück des sozialdemo­ kument“ und einer sich von historischer kratischen Polizeipräsidenten. Anbindung ablösenden „Visualität“. Die Zörgiebel erfndet in seinem Kampf ge­ Szenerien erschließen sich weniger iko- gen die KPD. immer drolligere Metho­ nografsch, als aufgrund (nicht nur) pro- den. Gestern erschienen zwei geheime

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 135 136 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 125

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 137 Kriminaloberwachtmeistersanwärter im derseite des inkriminierten Einzelblatts Sekretariat der KPD des 1. Berliner Ver­ für den 22. [!] Oktober: Eine von prole- waltungsbezirks […]. Sie suchten und tarischen Kappenträgern dicht bevöl- fanden schließlich 54 Exemplare des kerte Straße, am Rand ein brennendes vom Hoym-Verlag herausgegebenen Ar­ Haus, in der Mitte eine Gewalt- und Ra- beiterkalenders für 1929. Aber nicht auf chephantasie. „An die Laterne mit den den ganzen Kalender hatten sie es abge­ Blutsaugern“ von George Grosz ist eine sehen, sondern unzufrieden war Zörgie­ kaum verhüllte Reminiszenz an die san- bel mit dem 23. Oktober, dem Tag des sculottischen Exzesse des „Ça ira!“ von Hamburger Aufstandes. Zörgiebels Man­ 1793 im Kostüm der 1920er Jahre – und nen erklärten, sie hätten den Auftrag, in unserem Zusammenhang eine Meta- diesen Tag zu beschlagnahmen, er müs­ pher für die Geschichtspolitik der KPD. se aus dem Kalender gestrichen werden. Als auf diese Weise eben nicht in einer […] Zörgiebel ist nun fest überzeugt, daß einzigen Zeitschicht befangener Wand- der Hamburger Oktoberaufstand aus der schmuck, sondern assoziativ zu einer Weltgeschichte und aus den Köpfen der Kontinuität revolutionärer Haltungen und revolutionären Arbeiter gestrichen ist. Handlungen verbunden, vergegenwär- Wir aber sind anderer Meinung. (Abb. tigte der Arbeiterkalender in seinen Sze- 125) nen von „Geschichte“ Pathos und Elend, Juristisch war die Beschlagnahme Stolz und Verzweifung, Haß und Mitleid, schon durch den bereits seit 1925 ver- Mut und Solidarität, Opfer und Hoff- botenen rückseitigen Ausschnitt aus nung, die sich den großen Gefühlen der dem Buch Hamburg auf den Barrikaden. Gegenwart, ihrem Selbstbewusstsein er- Erlebtes und Erhörtes aus dem Hambur­ schließen konnten. Und denen zugleich ger Aufstand 1923 von Larissa Reissner die Selbstüberschätzung der Agitatoren legitimiert gewesen. Hinzu kam die Vor- entsprach.

138 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Abbildungen Anmerkungen

96 Kurt Beck: Schlafender Proleta- 229 Einen knappen Überblick über die Geschichte der Bremer rier, 1931 [?]. (Reproduktion nach Pa- Arbeiterbewegung gibt Peter Brandt, Antifaschismus und Arbei- pierabzug 1980er Jahre). SLUB Dres- terbewegung. Aufbau – Ausprägung – Politik in Bremen 1945/46 den / Deutsche Fotothek. (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte XI), Hamburg 1976, S. 15-22. 97 Unbekannter Grafker: Proletari- er aller Länder vereinigt Euch! Arbei- 230 Peter Panter [d.i. Kurt Tucholsky], Abreißkalender (Kalender terkalender nach Blatt 22. April 1923. „Neues Deutschland“ des Verlags Friede durch Recht, Wiesbaden: Sächsisches Staatsarchiv – Staatsar- „Kollwitz und Willibald Krain; schöne Verse und lehrreiche spritzige chiv Chemnitz. Stellen und Essais und Proklamationen, Gedanken und Erinnerun- gen“), in: Die Weltbühne 23 (1927) H. 51, S. 945-946. 98 Unbekannter Grafker: Vignette zu „Die Schmiede“, Spritztechnik. Ar- 231 H.R. Knickerbocker, Deutschland so oder so?, Berlin 1932, beiterkalender nach Blatt 16. Dezem- S. 13-14 (Hinweis Achim Bonte, Dresden). ber 1923. Sächsisches Staatsarchiv – 232 Vgl. Eumann, Kohorten (wie Anm. 4), Kap. 4.2 Die Deutungs- Staatsarchiv Chemnitz. angebote der Parteiführung, 4.2.1 Die Parteipresse, S. 204-220. 99 Unbekannter Grafker: Wacht 233 Polizei-Direktion Bremen, Nachrichtenstelle in Staatsar- auf, Verdammte dieser Erde! Arbei- chiv Bremen 4, 65-2256 Arbeiterkalender1925, 1926, 1927, terkalender nach Blatt 5.-7. Mai 1924. 1928, 1929, 1931, 1932, hier Protokoll Krim.Polizei, Z. Stelle vom Deutsche Nationalbibliothek Leipzig. 3.8.1932 100 Unbekannter Grafker: Der 7. No- 234 Dem entspricht, dass die Jahrgänge 1928 und 1929 im Be- vember 1917. Arbeiterkalender nach stand der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universi- Blatt 4.-6. November 1924. Deutsche tätsbibliothek Dresden, die 1965 katalogisiert worden sind, eben- Nationalbibliothek Leipzig. falls in Einzelblättern vorliegen. 101 Erich Meinhold: Familie am Kaf- 235 Eumann, Kohorten (wie Anm. 4), S. 180, vgl. Erich Fromm, feetisch, um 1930. SLUB Dresden / Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches. Eine Deutsche Fotothek. sozialpsychologische Untersuchung [1930/31], München 1983 102 Erich Meinhold: Lesende Arbei- [engl. 1935/36], S. 53-54. ter, 1928-1932. SLUB Dresden / Deut- 236 Vgl. Anonym, Otto Nagel, Leben und Werk, Berlin: Aufbau sche Fotothek. Verlag 1952, S. 34. 103 Wandkalender „Schafft Rote Hil- 237 Otto Nagel, Die Krisis der bildenden Kunst und das Volk, fe“ für 1927, 22,8 x 29,7 cm. Landes- in: Sozialistische Monatshefte 33 (1927) H. 10, S. 827-830, hier archiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv S. 829 und 830; vgl. die weiteren Beiträge Nagels ebda: Käthe Weimar, Kalender und Plakatmappen Kollwitz und die junge Generation (33 (1927) H. 9, S. 726-728); K 69, Bl. 1r bzw. Bl. 1v. Das werktätige Volk und seine Maler (34 (1928) H. 5, S. 409-410); 104 IAH Kalender für 1928 oder 1929, Heinrich Zille (35 (1929) H. 9, S. 821-822); Das Ende der bildenden Industriemuseum Elmshorn. Kunst? (38 (1932) H. 2, S. 152-154); Der Fall des Emil Strauß (38 (1932) H. 4, S. 340-343). 105 AIZ-Kalender für 1933, Tuchols- ky-Museum Rheinsberg. 238 Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede, Frankfurt a.M. ³ 1984 (1979), S. 64; vgl. auch Ders. et al, Eine illegitime Kunst. Die 106 Kurt Beck: Tochter der Fami- sozialen Gebrauchsweisen der Photographie (suhrkamp taschen- lie Beck beim Schreiben der Parole buch wissenschaft 441), Frankfurt a.M. 1983 (1965), passim. „Streik“ für den Schulstreik in Berms- grün, 1932. SLUB Dresden / Deutsche Fotothek.

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 139 239 Otto Nagel, Hauskitsch in Arbeiterwohnungen, in: Arbeiter 107 Erich Meinhold: Heimarbeiterin Illustrierte Zeitung 6 (1927) H. 21, nach: Rose, Kunst (wie Anm. beim Flechten von Wollfäden für die 123), S. 27. Herstellung von Mützen, 1931. SLUB Dresden / Deutsche Fotothek. 240 Fritz Enge, Berlin-Norden, Proletarischer Wandschmuck, in: Der Arbeiter-Fotograf 3 (1929) H. 4, S. 71-72, hier S. 71. 108 Kurt Beck: Herstellung von Pfei- fenreinigern in Heimarbeit, 1928-1932. 241 Edwin Hoernle, Der Mensch vor deinem Auge, in: Der Arbei- SLUB Dresden / Deutsche Fotothek. ter-Fotograf 4 (1930) H. 11, S. 251-253, hier S. 253. 109 Erich Meinhold: Hungriger Jun- 242 Franz Hoellering, Fotomontage, in: Der Arbeiter-Fotograf 2 ge, 1931. SLUB Dresden / Deutsche (1927/28) H. 8, S. 3f: Fotothek. 243 Nagel, Krisis (wie Anm. 237), S. 829. 110 Erich Meinhold: Familie Stelzel 244 Statt nur Bilder als „Wandschmuck“ zu betrachten, plädiert (Markersbach) beim Lesen der Ar- Andrea Holthusen, Was hing bei Arbeitern im Kaiserreich an der beiter Illustrierten Zeitung, 1931. SLUB Wand? Ein Beitrag zur historischen Wandschmuckforschung, in: Dresden / Deutsche Fotothek. Tübinger Korrespondenzblatt 33 (1988), S.3-21 zu Recht für deren 111 Käthe Kollwitz: Arbeiterkopf. Kontextualisierung. Holzschnitt 1922. Arbeiterkalender 245 Arbeiter Illustrierte Zeitung 6 (1927) H. 46. Blatt 1.-3. Januar 1923. Deutsche Na-

246 Löggow, Kalender (wie Anm. 14), S. 6 tionalbibliothek Leipzig.

247 Buber-Neumann, Irrweg (wie Anm. 136), S. 76. 112 Karl Holtz: Das Golgatha der deutschen Revolution. Arbeiterka- 248 Ebda, S. 352. lender Blatt 4.-6. Januar 1923. Säch- 249 Vgl. Hädicke, Parteiverlag (wie Anm. 13) Bd. 3 Nr. 23 (1920) sisches Staatsarchiv – Staatsarchiv 2 Beilagen von Hans Baluschek und Käthe Kollwitz, 80 S., Auf. Chemnitz. 10.000; Nr. 109 (1921), Beilage Käthe Kollwitz Bauernkrieg „mit 113 Heinrich Heine: Jammertal. Ar- Genehmigung der Künstlerin“, 1 Wandkalender, Frankes Verlag beiterkalender Blatt 7. Januar 1923. Leipzig, Auf. 30.000; Nr. 266 (1922), 2 Kunstbeilagen, 1 Wandka- Sächsisches Staatsarchiv – Staatsar- lender, 80 S., Frankes Verlag Leipzig, Auf. 30.000; Nr. 401 (1923), chiv Chemnitz. 2 Kunstbeilagen dreifarbiger russischer Bilderbogen, Sämann von Egger-Lienz, 1 Wandkalender, Vereinigung Internationaler Verlags- 114 Alfred Rethel: Aus dem „Toten- anstalten Berlin, Auf. 40.000; Nr. 438 (1923) sowie im Bestand der tanz“ 1849. Arbeiterkalender Blatt 8.- Bibliothek SAPMO die Jahrgänge 1921 bis 1926. 10. Januar 1923. Sächsisches Staats- archiv – Staatsarchiv Chemnitz. 250 Vgl. zum IAH Kalender für 1928 oder 1929 Industriemu- seum Elmshorn https://www.industriemuseum-elmshorn.de/ob- 115 Photothek (Willy Römer): Aus jekt-des-monats-januar-2012/ und zum AIZ-Kalender für 1933 Tu- der deutschen Republik. Arbeiterka- cholsky-Museum Rheinsberg https://nat.museum-digital.de/index. lender Blatt 11.-13. Januar 1923. Säch- php?t=objekt&oges=64490 (Aufrufe 23.8.2018). sisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Chemnitz. 251 Vgl. Korinna Lorz, Das Dorf im Blick. Arbeiterfotografe im Westerzgebirge, in: Wolfgang Hesse (Hg.), Die Eroberung der be- 116 Unbekannter Fotograf: Karl obachtenden Maschinen. Zur Arbeiterfotografe der Weimarer Re- Liebknecht. Arbeiterkalender Blatt 14. publik (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 37), Januar 1923. Sächsisches Staatsar- Leipzig 2012, S. 67-112, hier S. 91-93. chiv – Staatsarchiv Chemnitz.

252 Vgl. Wolfgang Brückner, Elfenreigen – Hochzeitstraum. Die 117 Unbekannter Fotograf: Rosa Öldruckfabrikation 1880-1940, Köln 1974, S. 87 Abb. 37 mit Bild- Luxemburg. Arbeiterkalender Blatt legende „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, nichtfarbige Chromo-

140 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender 15.-17. Januar 1923. Sächsisches lithographie vor 1892“ aus dem Verlag A. May, Dresden. Die Er- Staatsarchiv – Staatsarchiv Chemnitz. scheinung Jesu in der Familie geht auf ein Lied von Joh. Rud. Ahle „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast“ (1669) und ein Tischgebet 118 Unbekannter Fotograf: Ein der Brüdergemeine London (1753) zurück; vgl. Joseph Th. Müller, Dorfsowjet. Rechts am Tische N. Ka- Hymnologisches Handbuch zum Gesangbuch der Brüdergemeine, linin, Vorsitzender des Allruss. Zen- Herrnhut: Verlag der Brüdergemeine 1916, S. 167 (Mitteilung Olaf tral-Exekutivkomitees der Sowjets. Nippe, Unitätsarchiv Herrnhut). Die Szenerie ist wohl erst durch Arbeiterkalender Blatt 18.-20. Janu- Fritz von Uhde 1885 zu einer populären Bildform gefasst worden. ar 1923. Sächsisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Chemnitz. 253 Hinweis Sigrid Nagy, Berlin.

119 Käthe Kollwitz: Hunger, Holz- 254 Das Motiv des über den stürmischen See Genezareth wan- schnitt 1923. Arbeiterkalender Blatt delnden Christus beruht auf neutestamentarischer Überlieferung nach 18.-20. Januar 1923. Deutsche im Gefolge von Ps. 107, 29 bei 1. Mt. 14, 25-33, 2. Mk. 6, 48-51 Nationalbibliothek Leipzig. und 4. Joh. 6, 19-21 mit einer alten, reichen Ikonografe, vgl. Sigrid Nagy, Schnorr von Carolsfelds „Bibel in Bildern“ und ihre Popula- 120 Unbekannter Kupferstecher: risierung (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschich- Danton. Arbeiterkalender Blatt 21. Ja- te 70), Würzburg: Bayerische Blätter für Volkskunde 1999, bes. nuar 1923. Sächsisches Staatsarchiv – S. 164-167. Staatsarchiv Chemnitz. 255 Vgl. hierzu etwa Wolfgang Hesse, Auge und Archiv. Mediale 121 Unbekannter Zeichner: Straßen- Ressourcen der Arbeiterfotografe der Weimarer Republik, in: Alf kämpfe in Petersburg am 22. Januar Lüdtke/Tobias Nanz (Hg.), Laute, Bilder, Texte. Register des Ar- 1905. Arbeiterkalender Blatt 22.-24. chivs, Göttingen 2014, S. 47-63. Januar 1923. Sächsisches Staatsar- chiv – Staatsarchiv Chemnitz. 256 Vgl. Wolfgang Hesse, Ressourcen und Resonanzen. Ein Fotoalbum als utopischer Raum, in: Hesse/Starke (wie Anm. 74), 122 Unbekannter Fotograf: Eine S. 183-214. Gruppe Rotgardisten in Petrograd. Arbeiterkalender Blatt 22.-24. Janu- 257 Erstes Preisausschreiben des „Arbeiter-Fotografen“, in: Der ar 1923. Sächsisches Staatsarchiv – Arbeiter-Fotograf 1 (1926/27) H. 2, S. 7-8, hier S. 7. Staatsarchiv Chemnitz. 258 Lex Breuer, Arbeiter-Sanatorium in der Krim. Die Tendenz 123 Honoré Daumier: Der letzte Mi- der „tendenzlosen“ Bilder, in: Der Arbeiter-Fotograf 2 (1927/28) nisterrat, Lithografe 1848. Arbeiter- H. 1, S. 3-4. kalender Blatt 25. Januar 1923. Säch- 259 Wieweit die allgemeineren Schlussfolgerungen der Arbei- sisches Staatsarchiv – Staatsarchiv ten etwa von Brückner, Schenda und Scharfe für diese Periode Chemnitz. Aussagekraft haben, wäre im empirischen Material zu prüfen, vgl. 124 Unbekannter Fotograf: Franz Wolfgang Brückner, Massenbilderforschung. Eine Bibliographie, Mehring. Arbeiterkalender Blatt 29.- bis 1991/1995 (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturge- 31. Januar 1923. Sächsisches Staats- schichte 96) Würzburg 2003. Vgl. hierzu Guttsman, Art (wie Anm. archiv – Staatsarchiv Chemnitz. 90) Kap. Art, ideology and the working class, S. 1-20, bes. S. 2-4. Methodisch weiterführend hierzu etwa der Beitrag von Holthu- 125 George Grosz: An die Laterne sen, Kaiserreich (wie Anm. 244). Zur Wohnungsuntersuchung der mit den Blutsaugern und Rückseite: Berliner Ortskrankenkasse von 1901 bis 1920 vgl. Gesine Asmus/ Larissa Reissner: Oktober in Ham- Hartmut Diessenbacher, Einleitung, in: Gesine Asmus (Hg.), Hin- burg. Arbeiterkalender Blatt 22. Okto- terhof, Keller und Mansarde. Einblicke in das Berliner Wohnungs- ber 1926. Deutsche Nationalbibliothek elend 1901-1920, Reinbek 1982, S. 7-9, hier S. 7 Abb. S. 47-221, Leipzig. (© Estate of George Grosz, Bilderläuterungen S. 222-241 sowie Gesine Asmus, „Mißstände … Princeton, N.J. / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 141 an das Licht des Tages zerren“ Zu den Photographien der Woh- 126 Honoré Daumier: Europa vor der nungs-Enquete, ebda. S. 32-43.. Revolution, Lithografe 1867. Arbeiter- kalender Blatt 5.-7. März 1923. Säch- 260 Retzlaw, Spartacus (wie Anm. 31), S. 186-187. sisches Staatsarchiv – Staatsarchiv 261 Franz Jung, Das geistige Rußland von heute, Berlin 1924. Chemnitz. S. 6. 127 Inhaltsverzeichnis Arbeiterkalen- 262 Benjamin, Geschichte (wie Anm. 149) These IV, hier S. 694. der 1924. Deutsche Nationalbibliothek Leipzig.

142 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 143 126

144 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Honoré Daumier: Lithografen 1834 bis 1871

Dokumentation der im Arbeiterkalender werkschaften; Lenin: Revolutionäre reproduzierten Lithografen Daumiers und Opportunisten. in der Reihenfolge ihres Erscheinens mit Titel, Datum und Seite, Gedenkta- 3. „Angeklagter! Erklären Sie, daß gen (Auszüge) und Kurzangaben zu den Sie frei sind. Sie dürfen doch spre- Rückseitentexten. Die Werkverzeich- chen!“, 21.-23.6.1923, o.P. (Nr. 301, nis-Nummern, Originaltitel und Daten der Vous avez la parole, expliquez-vous, Erstpublikation folgen N.A. Hazard/Loys vous êtes libre!, 4.5.1835). Delteil, Catalogue raisonné de l’Œuvre Gedenktage: 22. Juni 1922: Max lithographié de Honoré Daumier, Orrouy Hölz zu lebenslänglichem Zucht- (Oise): Hazard 1904. haus verurteilt. Bis zu diesem Tage wurden von Sondergerichten insge- samt verurteilt: 8 Arbeiter zu lebens- 1923 länglichem Zuchthaus, 400 Arbeiter zu 1500 Jahren Gefängnis. 1. „Der letzte Ministerrat“, 28.1.1923, Rückseite: Zum Kapitel Klassenjus- o.P. (Nr. 462, Dernier conseil des ex tiz. ministres, 4.3.1848). Gedenktage: 28. Januar 1918: Be- 4. „Ihr könnt das Wort verbieten, ihr ginn des politischen Massenstreiks tötet nicht den Geist!“, 5.-7.7. 1923, in ganz Deutschland (Demonstratio- o.P. (Nr. 278, Moderne Galilée –Et nen gegen d. Krieg u. Belagerungs- pourtant elle marche, 6.11.1834). zustand, geheime Bildung von Ar- Gedenktage: 5. Juli 1920: Prozess beiterräten). gegen zehn Volkskommissare in Rückseite: Samobytnik: Dem neuen Budapest – 1921: Revaler Kriegs- Kameraden. gericht verurteilt zwei Kommunisten zum Tode. Urteil sofort vollstreckt. 2. „Europa vor der Revolution“, 5.-7.3. 5. Juli 1920: Erwerbslosendemonst- 1923, o.P. (Nr. 3134, Equilibre eu- ration vor dem Berliner Rathaus. – 7. ropéen, 3.4.1867). Juli 1894: Polizeisoldaten erschie- Gedenktage: 5. März 1915: Erste ßen in Chicago streikende Bahnar- Reichskonferenz der Opposition der beiter. Sozialdemokratischen Partei in Ber- Rückseite: Karl Marx, Friedrich En- lin – 1919: Massaker von 60 revoluti- gels: Die proletarische Revolution. onären Arbeitern durch Reichswehr. – 6. März 1910: Wahlrechtsdemons- 5. „Das europäische Gleichgewicht“, tration in Berlin Tiergarten. – 7. März 9.-11.7.1923, o.P. (Nr. 3120, Nouvel- 1915: Parteiausschuß der Sozialde- le suspension aérienne, 7.1.1867). mokratischen Partei billigt [Kriegs-] Gedenktage: Spaa-Abkommen un- Kreditbewilligung mit 35 gegen 5 terzeichnet. Stimmen. Rückseite: Karl Liebknecht: Die Me- Rückseite: Karl Marx: Verlängerung chanik der Revolution. der Arbeitszeit; Die Aufgabe der Ge-

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 145 6. „Eine Landschaft im Jahre 1870“, Gedenktage: 4. Januar 1920: Sit- 29.7.1923, o.P. (Nr. 3438, Un pay- zung des ersten Zentralausschus- sage en 1870, 10.12.1870). ses der K.P.D. in Berlin. – 1921: Gedenktage: 29. Juli 1914: Sitzung Zusammenstöße mit Arbeitslosen des Internationalen Sozialistischen in England. – 5. Januar 1919: Rie- Büros in Brüssel. sendemonstration gegen die Ab- Rückseite: Weltrevolution des Prole- setzung des Berliner Polizeipräsi- tariats gegen Weltimperialismus ist denten Eichhorn. Besetzung der unser Feldgeschrei, die alle Völker Zeitungsdruckereien in Berlin und in brüderlicher Gemeinschaft um- Beginn der „Spartakus“-Kämpfe. fassende sozialistische Weltrepub- Rückseite: Louis Blanc: Das Ge- lik ist unser Ziel. Karl Liebknecht. spenst der Revolution; Friedrich En- gels: Das Recht auf Revolution. 7. „Das verfuchte Jahr“, 2.9.1923, o.P. (Nr. 3376, La Maudite!, 1.1.1872) 11. „Mann, geh nicht ans Fenster! Es schießt!“, 24.-26.3.1924, S. 79. (Nr. 8. „Das Kaiserreich ist der Friede“, 586, Je crois qu‘on bat le rappel. 7.10.1923, o.P. (Nr. 3426, L’Empi- Adolphe n‘y va pas. au nom des re c’est la paix.. Allégorie tragique, enfans que nous aurions pu avoir!, 19.10.1870). 3.6.1848). Rückseite: Friedrich Engels: Die Gedenktage: 24. März 1920: Allge- Rolle des Staates; Ferdinand Lasal- meiner Deutscher Gewerkschafts- le: Das Klassenbewußtsein; N. Le- bund beendigt die Kämpfe zwi- nin: Die demokratische Republik. schen Reichswehr und Roter Armee im Ruhrgebiet mit dem Bielefelder 9. „Der Friede, eine Idylle“, 22.- Abkommen, dessen Bedingungen 24.11.1923, o.P. (Nr. 3464, La Paix. von der Regierung nie erfüllt wer- Idylle, 6.3.1871). den. Gedenktage: 22. November 1920: Rückseite: Heinrich Heine: Michel Abbruch der russisch-polnischen nach dem März. Friedensverhandlungen in Riga. – 23. November 1918: Gründung 12. „Bismarck und die Opfer seiner des Roten Soldatenbundes in Ber- Henkerdienste an der Pariser Kom- lin – 24. November 1870: Bebel und mune“, 2.-4.6.1924, S. 143. (Nr. Liebknecht gegen die Annexion El- 3414, Un cauchemar de M. de Bis- saß-Lothringens. marck. Merci!, 22.8.1870). Rückseite: N. Lenin: Die Rolle des Rückseite: Wir Kommunisten sind Kapitalismus; N. Lenin: Die Natural- alle Tote auf Urlaub. Eugen Levinés steuer. letzte Rede vor dem Schwurgericht in München.

1924 13. „Wo kommt denn diese bewaffnete Bande her? Komm, wir wollen füch- 10. „Das europäische Gleichgewicht“, ten!“, 15.6.1924, S. 153. (Nr. 581, 3.-5.1.1924, S. 3. (Nr. 3333, L‘Equi- Ou peut aller cette bande d‘hommes libre Européen, 1.12.1866).

146 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender armés!. rentrons, ma femme, c‘est Rückseite: N. Lenin (20. August effrayant!, 10.4.1848). 1918). Rückseite: John Henry Mackay: Atheismus. 18. „Der letzte Ministerrat“, 4.-6.5.1925, S. 97. (Nr. 462, Dernier conseil des 14. „Der Friede, eine Idylle“, 28.- ex ministres, 4.3.1848). 30.8.1924, S. 225. (Nr. 3464, La Rückseite: Erich Mühsam: Das neue Paix. Idylle, 6.3.1871). Deutschland (Melodie: Preisend mit Rückseite: N. Lenin: Lage und Auf- viel schönen Reden …). gaben der sozialistischen Internati- onale, 1. November 1914. 19. „Das europäische Gleichgewicht“, 27.-29.7.1925, S. 155. (Nr. 3333, L‘Equilibre Européen, 1.12.1866). 1925 Gedenktage: 27. Juli 1794: IX. Ther- midor, Sturt Robespierres. – 1830: 15. „Mann, geh nicht ans Fenster! Es Julirevolution in Paris. – 28. Juli schießt!“, 25.-27.1.1925, S. 23. (Nr. 1900: König Humbert von Italien er- 586, Je crois qu‘on bat le rappel. schossen. – 1914: Kriegserklärung Adolphe n‘y va pas. au nom des Österreichs an Serbien. – 29. Juli enfans que nous aurions pu avoir!, 1914: Sitzung des Internationalen 3.6.1848). Sozialistischen Büros in Brüssel. Gedenktage: 25. Januar 1919: Be- Rückseite: Instruktion für die Spezi- erdigung von Karl Liebknecht und al-Kommission zur Bekämpfung der 32 Revolutionsopfern in Friedrichs- Konterrevolution während der Fran- felde bei Berlin. zösischen Revolution. Rückseite: Karl Liebknecht: Die Nie- derlage des deutschen Proletariats. 20. „Das europäische Gleichgewicht“, 11.-13.8.1925, S. 167. (Nr. 3120, 16. „Europa vor der Revolution“, 21.– Nouvelle suspension aérienne, 23.2.1925, S. 41. (Nr. 3134, Equilib- 7.1.1867). re europeen, 3.4.1867). Rückseite: G. Sinowjew; Vorwort zu Gedenktage: 22. Februar 1787: Be- „Gegen den Strom“, 28. März 1918. ginn der großen französischen Re- volution. – 1848: Beginn der Febru- 21. „Wo kommt denn diese bewaffne- arrevolution gegen den Bürgerkönig te Bande her? Komm, wir wollen in Frankreich. – 23. Februar 1923: füchten!“, 10.-12.9.1925, S. 187. Fünfter Jahrestag der Gründung der (Nr. 581, Ou peut aller cette ban- Roten Armee. de d‘hommes armés!. rentrons, ma Rückseite: N. Lenin: Die Lehre von femme, c‘est effrayant!, 10.4.1848). Marx. Gedenktage: 11. September 1920: Blutige Kämpfe zwischen Militär 17. „Bismarck und die Opfer seiner und Arbeitern in Italien. – 12. Sep- Henkerdienste an der Pariser Kom- tember 1921: Streik der städtischen mune“, 19./20.3.1925. (Nr. 3414, Arbeiter und Angestellten in Berlin. Un cauchemar de M. de Bismarck. Merci!, 22.8.1870).

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 147 Rückseite: Heinrich Heine: Erin- 26. „Wie man das Volk zur Ruhe bringt“, nerungen aus Krähwinkels Schre- 16.4.1926, o.P. (Nr. 310, Rue Trans- ckenstagen. nonain, le 15 avril 1834, Juli 1834). Gedenktage: 1925: Der Kurdenauf- 22. „Der Friede, eine Idylle“, 24.- stand niedergeworfen. 1921 Max 26.11.1925, S. 243. (Nr. 3464, La Hölz in Berlin verhaftet. 1919 Gene- Paix. Idylle, 6.3.1871). ralstreik in Bremen. Gedenktage: 24. November 1870: Rückseite: Lenin: Der Sinn der bul- Bebel und Liebknecht gegen die garischen Ereignisse. Annexion Elsaß-Lothringens. Rückseite: Rosa Luxemburg und 27. „Dunkelmänner“, 30.4.1926, o.P. Karl Liebknecht über die deutsche (Nr. 2886, Ils voudraient éteindre Revolution. jusqu‘au Soleil, 15.8.1851). Gedenktage: Mussolini verbietet 23. „Ich lasse es mir schmecken. Wer Feier des 1. Mai in Italien. nicht arbeitet, der soll auch gut Rückseite: Giovanoli über den Ur- essen.“, 3.-5.12.1925, S. 249. (Nr. sprung der Maifeier. 3461, Moi, je suis ravitaillé! … Le reste m’est égal, 27.2.1871). 28. „Der Omnibus des Imperialismus“, Rückseite: Multatuli über Kinder. 28.5.1926, o.P. (Nr. 3376, La mau- dite!, 1.1.1872). Gedenktage: 1871: Ende der Pari- 1926 ser Kommune, Beginn der Massen- hinrichtungen. 24. „Der ‚Umzug‘ der Konstitution (Kari- Rückseite: Franz Mehring: Zum Ge- katur auf die Flucht Louis Philipps)“, dächtnis der Pariser Kommune. 24.2.1926, o.P. (Nr. 459, Grrrrand déménagement du Constitutionnel, 29. „Wer den Rücken krumm macht, 8.6.1846). dem wird viel aufgeladen“, Gedenktage: 1848 Flucht Louis Phi- 21.7.1926, o.P. (Nr. 3169, Exercices lipps (gest. 1850 in England) Prokla- de l’Hercule prussien. Le lèvra-t-il? mation der Zweiten Französischen ne le lèvra-t-il pas? 16.4.1866). Republik. Gedenktage: 1923 Unruhen in Bres- Rückseite: Karl Marx: Freiheit, lau. Belagerungszustand. 1921 Gleichheit, Brüderlichkeit; Lenin Landarbeiterstreiks in Pommern über die Revolution 1848. und Mecklenburg. 1918 Liquidie- rung des weißen Aufstands in Ja- 25. „Es lebe die Kommune!“, 18.3.1926, roslaw. o.P. (Nr. 462, Dernier conseil des ex Rückseite: Price: Der Aufstand in ministres, 4.3.1848). Jaroslaw. Boris Sawinkow vor Ge- Gedenktage: 1871 Proklamierung richt. der Pariser Kommune. 1848: Barri- kadenkämpfe in Berlin und anderen 30. „Bismarck-Bilanz“, 22.8.1870), deutschen Städten. 30.7.1926, o.P. (Nr. 3414, Un Rückseite: Karl Marx: Die Kommu- cauchemar de M. de Bismarck. ne. Merci!, 22.8.1870).

148 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Gedenktage: 1898: Bismarck in pour une lettre de trois sous. j‘ai eu Friedrichsruh gestorben. une frayeur!. j‘ai cru qu‘on venait me Rückseite: Bismarck-Heringe [Aus- demander mes armes, 16.5.1848). züge aus drei Reden Bismarcks]. Gedenktage: 11. April 1919: Eintritt der Kommunisten in den provisori- 31. „Einst kommt der Tag“, 1.9.1926, schen Zentralrat der Bayrischen Rä- o.P. (Nr. 3373, Les témoins, unver- terepublik. – 12. April 1919: Blutige öffentlicht). [Die Inschrift über dem Straßenkämpfe in Düsseldorf und Türsturz „Conseil de Guerre“ im Bild Dresden. – 13. April 1919: Putsch ist ersetzt durch „Welt-Gericht“]. der gegenrevolutionären Garnison Rückseite: G. Pottier: Die heilige München von der Arbeiterschaft Dreieinigkeit. niedergeschlagen. Konstituierung der 2. Räterepublik. Rückseite: Ferdinand Lassalle [Vier 1927 Zitate über Revolution und Pfahl- bürgertum]. 32. „Der Traum von der Abrüstung“, 9.– 11.1.1927, S. 7. (Nr. 3238, Renou- 36. „Lakaien des Kapitals“, 25.– velé de Turenne, 15.6.1868). 27.12.1927, S. 283. (Nr. 3466, Gedenktage: 10. Januar.1920: Aus- Une invasion remplace l’autre“, tausch der Ratifkationsurkunden in 14.3.1871). Paris. Inkrafttreten des „Versailler Rückseite: G. Sinowjew: Die Welt- Friedens“. partei des Leninismus. Rückseite: Lenin über den Krieg.

33. „Der Weg über die Erde wird immer 1928 beschwerlicher“, 16.-18.2.1927, S. 37. (Nr. 3124, Galilée très-surpris du 37. „Es gibt keine Gemeinheit in der nouvel aspect qu‘offre la surface de Weltgeschichte, an der die Kirche la terre, 21.2.1867). nicht beteiligt wäre“, 12.-13.1.1928, Rückseite: Heinrich Heine: Hymnus. S. 9. (Nr. 3402, En Espagne – Cha- rité chrétienne, 29.5.1872). 34. „Bilanz der Monarchie“, 24.2.1927, Gedenktage: 12.1.1927: Katholi- S. 45. (Nr. 3426, L’Empire c’est la scher Klerus organisiert Aufstände paix. Allégorie tragique, 19.10.1870). geg. Calles-Regier. in Mexiko. Gedenktage: 1848: Flucht Louis Rückseite: Der Dollar räubert. Philipps (gest. 1850 in England.) – Proklamierung der Zweiten Franzö- 38. „Gebt dem Kaiser, was des Volkes sischen Republik. ist. Spottbild auf die französischen Rückseite: N. Lenin: Zum Brester Monarchisten“, 1.–3.2.1928, S. 27. Frieden, 1918. (Nr. 2805, La Souscription napoléo- nienne telle que l‘auraient compri- 35. „Ruhe ist die erste Bürgerpficht“, ses les membres de la Société du 11.-13.4.1927, S. 87. (Nr. 585, M‘si- Decembre — Pour les frais du culte, eu, c‘est une lettre de trois sous — s‘il vous plaît, 22.2.1872. Est-il permis de frapper à une porte

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 149 Gedenktage: 1.2.1926: Regierungs- Rückseite: Thesen des 6. Weltkon- entwurf z. Fürstenabfndung. gresses der KI 1928. Die Rolle der Rückseite: Kommunistisches Mani- Sozialdemokratie. fest: Die Geschichte der Klassen- kämpfen; N. Lenin: Die Diktatur des Proletariats. 1930

39. „Wenn die Imperialisten Krieg wol- 42. „Nur Geduld, bald bin ich eben- len, sprechen sie von Frieden. so groß wie mein Vater“, 16.- Ein zeitgemäßes Spottbild auf die 18.1.1930, S. 13. (Nr. 3212, J‘ai eu Abrüstungs-Konferenzen des Völ- beau le bercer, impossible de l‘en- kerbundes, 16.-18.5.1928, S. 117. dormir, 21.6.1866). (Nr. 3274, La Penelope moderne. Gedenktage: 18. Januar 1871: Pro- Un fusil qui chasse l’autre, 6.8.1868) klamation des deutschen Kaiserrei- Gedenktage: 17.5.1923: Neuer In- ches in Versailles. 1919: Beginn der terventionsplan 18.5.1926: Abrüs- Friedensverhandlungen in Paris. tungskonferenz in Genf. – 1925: Rückseite: Friedrich Engels: Prokla- große kommunistische Protest- mation des deutschen Kaiserreichs. kundgebungen gegen den Marok- kofeldzug in Paris. 43. „Das deutsche Volk einig in seinen Rückseite: Die Rote Hilfe. Stämmen“, 23.-25.11.1930, S. 261. (Nr. 2295, Allons messieurs ... allons donc …. disputez vous c‘est bien, 1929 mais ne vous battez pas ... songez donc que nous nous sommes réunis 40. „Aus Steuermilliarden erhebt sich pour organiser défnitivement not- der blutige Krieg“, 19.-21.9.1929, S. re Société de Paix universelle! …, 213. (Nr. 3477, Je t‘en avais com- 23.12.1844.) blé, je t‘en veux accabler (Vers con- Rückseite: Ungarische Kerkerge- nu), 2.8.1871). heimnisse. Gedenktage: 20.9.1918; Ermordung von 26 bolschewist. Kommissaren (Schauenjan) durch Interventionst- 1931 ruppen und Sozialrevolutionäre bei Kraßnowodsk. 44. „Die SPD auf der Höhe ihrer Erfolge. Rückseite: Der Mord der 26 Kom- O. Landsberg, einer der führenden missare in Baku. Männer der Sozialdemokratie“, 30.- 31.1.1931, S. 25. Unter Verwendung 41. „Die Bilanz der Monarchie“, 28.- eines Details von Nr. 3411, Le prin- 30.11.1929, S. 263. (Nr. 3411, Le ce de Hohenzollern trouvant que prince de Hohenzollern trouvant décidément l‘escalier est trop raide, que décidément l‘escalier est trop 8.8.1870). raide, 8.8.1870, Ausschnitt). Gedenktage: 31. Januar 1925: Bil- Gedenktage: 28. November 1918: ligung des Horthy-Pakts der unga- Offzieller Verzicht Wilhelm II aus rischen Sozialdemokratie durch die den Thron II. Internationale. – 1918: Unterdrü-

150 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender ckung des Berliner Generalstreiks 1932 durch Militär. Rückseite: Thesen des 6. Weltkon- 1933 gresses der KI 1928. Die Rolle der Sozialdemokratie. 46. „Der Pariser Kommune zum Ge- dächtnis. Der Aufstand“, 15.- 45. „Vorhang runter! Die Komödie ist 19.3.1933, S. 27. (L’émeute, Öl auf aus. Karikatur auf den politischen Leinwand, seit 1925 Philipps Col- Bankrott des Bürgerkönigs Louis lection Washington, D.C.) Philipp.“, 23.-25.2.1931, S. 45. (Nr. Gedenktage: 18. März 1871: Prokla- 271, Baissez le rideau, la farce est mierung der Pariser Kommune. jouée, 11.9.1834). Rückseite: Karl Marx: Das Wesen Gedenktage: 24. Februar 1848: der Kommune; Lenin: Die histori- Flucht Louis Philipps (gest. 1850 in sche Initiative der Massen. England). Proklamierung der Zwei- ten Französischen Republik. Rückseite: Friedrich Engels: Wie sich das Klassenbewußtsein bildet.

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 151 127

152 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Personenindex

Abusch, Alexander (Kulturminister) | GND Bronski, Mieczysław (Wirtschaftspolitiker) | 11850035X GND 117632309 Aeorri, Franz (WES) Brupbacher, Fritz (Arzt) | GND 118516310 Ahle, Johann Rudolph (Lieddichter) | GND Buber-Neumann, Margarete (Schriftstellerin) 104325453 | GND 118516485 Alexander, Gertrud (Kulturredakteurin) | Bucharin, Nikolai I. (Wirtschaftspolitiker) | GND 11775319X GND 118516574 Angeluschew, Boris (Bruno Fuck) (Grafker) | Busch, Heinrich (Literaturobmann) GND 118649337 Cahnbley, Louis Carl Wilhelm (Funktionär) Appen, Bruno von (Hersteller) Cassirer, Bruno (Verleger) | GND 118869000 Astrow, Walentin Nikolajewitsch (Herausge- Christus Creutzburg, August (Reichstagsab- ber) geordneter) | GND 129708275 Bakunin, Michail (Revolutionär) | GND Dallós, Sandór (Griffel) Grafker) | GND 118506102 105227501 Baluschek, Hans (Maler) | GND 118652230 Danton, Georges (Justizminister) | GND Barthel, Max (Schriftsteller) | GND 118523732 118652818 Daumier, Honoré (Grafker) | GND Baumgarten, Max (Arbeiterfotograf) 118523880 Bebel, August (Parteivorsitzender) | GND Delacroix, Eugène (Maler) | GND 118524461 118507893 Dietrich, Paul (Reichstagsabgeordneter) Becher, Johannes R. (Dichter) | GND Dobry, Margrit (Jolán Szilágyi) (Grafkerin) | 118507931 GND 140691901 Beck, Kurt (Arbeiterfotograf) | GND Domning, Fritz (Buchhändler) 1027234143 Duncker, Hermann (Schriftsteller) | GND Bedny, Demjan (Dichter) | GND 119017873 116251700 Behne, Adolf (Architekt) | GND 119191164 Duncker, Käthe (Schriftstellerin) | GND Beier, Alfred (Red) (Grafker) | GND 118528149 118654950 Durus (Alfréd Keményi) (Journalist) | GND Benjamin, Walter (Philosoph) | GND 1183970005 118509039 Ebert, Friedrich (Reichspräsident) | GND Bergande, Anne (Arbeiterin?) 118528610 Bergande, Heinrich (Arbeiter?) Egger-Lienz, Albin (Maler) | GND 118529072 Biró, Mihály (Grafker) | GND 119390531 Eichhorn, Emil (Polizeipräsident) | GND Bismarck, Otto von (Reichskanzler) | GND 117497797 11851136X Eickmeier, Peter Paul (Grafker) | GND Blanc, Louis (Sozialist) | GND 118663704 1037439554 Blanqui, Auguste (Revolutionär) | GND Eisenstein, Sergej M. (Filmregisseur) | GND 118663755 118529684 Bollmann, Cord (Arbeiter?) Eisler, Elfriede (Ruth Fischer) (Parteivorsit- Bornstein, Joseph | GND 124395694 zende) | GND 118691392 Böttjer, Paul (Kassierer) Ék, Sandór (Alex Keil) (Grafker) | GND Brandler, Heinrich (Parteivorsitzender) | 119376555 GND 118514350 Elberfeld, Willi (Max Pfeiffer) (Funktionär) Bresse, Paul Emil (Kupferschmied) Elias, Julius (Schriftsteller) | GND 116447710

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 153 Engels, Friedrich (Nationalökonom) | GND Helphand, Alexander (Parvus) (Politiker) | 118530380 GND 118710249 Erbach, Alois (Grafker) | GND 1139500228 Hermann, Klaus (Redakteur) | GND Fischer, Ruth (Elfriede Eisler) (Parteivorsit- 128939982 zende) | GND 118691392 Hoelz, Max (Revolutionär) | GND 118552031 Förster, Rudolf (Schriftsteller) | GND Hoernle, Edwin (ZK-Mitglied) | GND 1038026687 118705660 Fourier, Charles (Sozialist) | GND 118534572 Holm, Hans (Verlagsleiter) Frank, Karl Borromäus (Redakteur) | GND Holtz, Karl (Grafker) | GND 118706705 11637974X Hörsten, Wilhelm von (Stadtteilleiter) Frassek, Paul (Verleger) Hoym, Carl Henry (Buchhändler) Friedberg, Karl (Karl Gröhl, Karl Retzlaw) Humbert, König von Italien | GND (Funktionär) | GND 118599909 118803131 Friedrich der Große | GND 118535749 Ilonka Frölich, Paul (Politiker) | GND 123562155 Jacobi, Lucy von (Journalistin) | GND Fromm, Erich (Soziologe) | GND 118536389 105080152 Frunse, Michail W. (Militärkommissar) | GND Jakob, Mathilde (Übersetzerin) | GND 119254891 1030581428 Fuchs, Eduard (Sammler) | GND 118693956 Jeczierka, Fanny (Literarisches Büro) Fuck, Bruno (Boris Angeluschew) (Grafker) | Joffe, Adolf A. (Volkskommissar) | GND GND 118649337 120372258 Gebhard, Max (Grafker) | GND 116473711 Jogiches, Leo (Parteivorsitzender) | GND Gehrig-Targis, Franz Edwin (Maler) | GND 118712276 1024591484 Jung, Cläre (Schriftstellerin) | GND Genosse Thomas (Jakov Rejch) (WES) | 118714104 GND 1072154668 Jung, Franz (Schriftsteller) | GND 118558757 Genossin Fritzmann (Elena Dmitrievna Stas- Kagan, Heinrich (WES) sova) (WES) | GND 109075285 Kalinin, Michail I. (Staatsoberhaupt) | GND Göde, Frieda (Verkäuferin) 118559524 Gogh, Vincent van (Maler) | GND 118540416 Kamenew, Lew. B. (ZK-Mitglied) | GND Goldschmidt, Alfons (Wirtschaftswissen- 118904442 schaftler) | GND 118696173 Kardovszky, Dmitry (Maler) | GND Griffel (Sandór Dallós) (Grafker) | GND 1057701424 105227501 Karl I. von England | GND 118720856 Gröhl, Karl (Funktionär) | GND 118599909 Keil, Alex (Sandór Ék) (Grafker) | GND Grohs, Alfred (Fotograf) 119376555 Gross, Babette (Verlegerin) | GND Keilson, Max (Grafker) 116868651 Keményi, Alfréd (Durus) (Journalist) | GND Grosz, George (Grafker) | GND 118542672 1183970005 Gü (Günther Wagner) (Grafker) Kernstok, Károly (Maler) | GND 122045009 Gumplowicz, Ludwig (Soziologe) | GND Kerr, Alfred (Schriftsteller) | GND 11856157X 118719475 Kisch, Egon Erwin (Journalist) | GND Hansen, Jakob Asmus (Schlosser) 118562533 Heartfeld, John (Grafker) | GND 118547437 Knauf, Erich (Verleger) | GND 116250097 Heine, Heinrich (Dichter) | GND 118548018 Knickerbocker, Hubert Renfro (Journalist) | Heitmann, Hermann (Kassierer) GND 124370551 Köhler, Waldemar (Grafker)

154 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Kohlmüller, Karl Heinrich (Präparator) Malewitsch, Kasimir (Maler) | GND Kollwitz, Käthe (Grafkerin) | GND 118640836 118564943 Manet, Eduard (Maler) | GND 11857700X Korpus, Lilly (Lily Paul) (Redakteurin) | GND Manthey, Hans Wilhelm (Kraftwagenführer) 116099607 Marcu, Valeriu (Schriftsteller) | GND Krieter, August (Arbeiter) 116762357 Krjučkov, V.P. (Buchhändler) | GND Marloh, Otto (Freicorpsoffzier) | GND 103443894 133600017 Kuhirt, Ullrich (Kunsthistoriker) | GND Marx, Karl (Nationalökonom) | GND 1069074454 118578537 Kühl, Gotthardt (Maler) | GND 118934783 Masereel, Frans (Grafker) | GND 118578669 Kun, Béla (Politiker) | GND 118778218 Maslow, Arkadij (Politiker) | GND 118940244 Kuusinen, Otto Wille (EKKI-Sekretär) | GND Mehring, Franz (Schriftsteller) | GND 124552765 118579975 Meinhold, Erich (Arbeiterfotograf) | GND Ladenthin, Heinrich Johann August (Schnei- 102723349X dermeister) Meunier, Constantin (Bildhauer) | GND Lassalle, Ferdinand (Politiker) | GND 118733222 118569910 Michel, Louise (Schriftstellerin) | GND Lehnhoff, Franz Lenin (Parteivorsitzender) 118582127 Levi, Paul (Parteivorsitzender) | GND Mindermann, Heinrich (Tischler) 118572318 Minor, Bob (Grafker) | GND 143943766 Leviné, Eugen (Räterepublikführer) | GND Moholy-Nagy, László (WES) | GND 11696507X 118583204 Liebknecht, Karl (Reichstagsabgeordneter) | Molke, Josef (Schuhmacher) GND 11857275X Möller, Werner (Schriftsteller) | GND Liebknecht, Wilhelm (Reichstagsabgeordne- 1041358156 ter) | GND 118572768 Mühsam, Erich (Schriftsteller) | GND Lindau, Rudolf (Redakteur) | GND 118584758 130089168 Müller, Albert (WES) Lipnizkaja, Lydia Konstantinowna (Ele- Multatuli (Eduard Douwes Dekker) (Schrift- na Dmitrievna Stassova) (WES) | GND steller) | GND 118679279 109075285 Münzenberg, Willi (Verleger) | GND Lissitzky, El (Maler) | GND 118573470 118585541 Louis Philippe I. | GND 11864064X Mussolini, Benito (Politiker) | GND Ludwig XVI. | GND 118574949 118585967 Luedecke, Heinz (Journalist) | GND Nagel, August (Tischler) 104675365 Nagel, Otto (Maler) | GND 118586300 Lunatscharski, Anatoli (Volkskommissar) | Nappelbaum, Moissej (Fotograf) | GND GND 118818694 136482538 Luxemburg, Rosa (Politikerin) | GND Nicolaevsky, Boris (Schriftsteller) | GND 118575503 121572110 Mackay, John Henry (Schriftsteller) | GND Niedner, Alexander (Senatspräsident) | GND 118575856 11700071X Majakowski, Wladimir (Dichter) | GND Noske, Gustav (Reichswehrminister) | GND 118640801 118588761

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 155 Österreich, Ruth (Sekretärin WES) | GND Robespierre, Maximilien de (Wohlfahrtaus- 1016726236 schuß) | GND 118601563 Owen, Robert (Sozialist) | GND 118591010 Rodin, Auguste (Bildhauer) | GND Parvus (Alexander Helphand) (Politiker) | 118601717 GND 118710249 Rodtschenko, Alexander (Grafker) | GND Patt, Dr. (Oberregierungsrat) 118641999 Paul, Hans Römer, Willy (Fotograf) | GND 118814184 Paul, Lily (Lilly Korpus) (Redakteurin) | GND Rubinstein, Arnold (Jakov Rejch) | 116099607 GND1072154668 Paul, Minni (Sekretärin) Rühle, Otto (Schriftsteller) | GND 118750275 Péri, László (Grafker) | GND 118592734 Runge, Jäger (Freicorpssoldat) Petry, Franz Friedrich (Friseur) Runkel, Wilhelm (Monteur) Pewas (Peter Walter Schulz) (Grafker) | Rykow, Alexei I. (Ministerpräsident) | GND GND 118593447 118904450 Pfeiffer, Max (Willi Elberfeld) (Funktionär) Sachs-Gladnew, Samuel (Fritz Sturm) (Jour- Pjatnicki, Ossip (EKKI-Mitglied) nalist) | GND 1011349949 Popowitsch, Wassily (WES) Safarow, Georgi I. (Komintern) | GND Pór, Bertalan (Grafker) | GND 140091076 1037717686 Pottier, G. Price Sandkuhl, Hermann (Maler) | GND Pusch, Frieda (Arbeiterin?) 116800771 Radek, Karl (EKKI-Mitglied) | GND Sawinkow, Boris (Sozialrevolutionär) | GND 118597639 118804855 Rakosi, Mátyás (Volkskommissar) | GND Scheidemann, Philipp (Politiker) | GND 118748939 118754351 Rakow, Werner (Felix Wolff) (Funktionär) | Schleicher, Kurt von (General) | GND GND 124999832 118608037 Red (Alfred Beier) (Grafker) | GND Schlichter, Rudolf (Grafker) | GND 118654950 118759388 Reed, John (Schriftsteller) | GND 118598937 Schneller, Ernst (Reichstagsabgeordneter) | Reibestein (Kriminalassistent) GND 11875873X Reich, Annie, geb. Pink (Psychoanalytikerin) Schnorr von Carolsfeld, Julius (Maler) | GND | GND 139894306 118609815 Reich, Wilhelm (Psychoanalytiker) | GND Schönherr, Fritz 118599097 Schulz Peter Walter (Pewas) (Grafker) | Reichenbach, Bernhard (Politiker) | GND GND 118593447 116398450 Schulze, Franz Heinrich (Arbeiter) Reimann (Redakteur?) Schumann, Friedrich (Psychologe) | GND Reissner, Larissa (Schriftstellerin) | GND 117294500 118873237 Schwab, Alexander (WES) Rejch, Jakov (Leiter WES) | GND Sebastian, Kurt (Bücherstubenleiter) 1072154668 Sennecke, Robert (Fotograf) | GND Remmele, Hermann (ZK-Mitglied) | GND 1075913195 129413836 Severing, Carl (Innenminister) | GND Rethel, Alfred (Maler) | GND 118744615 11879678X Retzlaw, Karl (Karl Gröhl) (Verlagsangestell- Sinowjew, Grigori (Politbüromitglied) | GND ter) | GND 118599909 118904477

156 Wolfgang Hesse | Der rote Abreißkalender Slepkow, Alexander Nikolajewitsch (Heraus- Uhde, Fritz von (Maler) | GND 118816632 geber) | GND 12757509X Urban (Maler) Slevogt, Max (Maler) | GND 118614940 Varga, Eugen (Ökonom) | GND 118626124 Souvarine, Boris (Kominternpräsidium) | Vetter, Familie GND 11887389X Vogel, Leutnant (Freicorpsoffzier) Spotarcyk (Maler) Vogeler, Heinrich (Maler) | GND 118627481 Spreckelsen, Albert von (Senator) | GND Wagner, Günter (Gü) (Grafker) 133761703 Wagner, K. (Grafker) St. Simon, Henri de (Sozialist) | GND Wakulintschuk (Streikführer) 118604937 Wenzek, Paul (Funktionär) Stalin, Joseph (Generalsekretär) | GND Wertheim, Johannes (Verleger) | GND 118642499 120273144 Stassova, Elema Dmitrievna (Hertha Sturm) Wilhelm II. (Kaiser) | GND 118632892 (WES) | GND 109075285 Wilhelm, Lydia (Elena Dmitrievna Stassova) | Steinlen, Théophile Alexandre (Grafker) | GND109075285 GND 118753320 Winkler, Max (Arbeiterfotograf) Stelzel, Familie Wiskowskij, Wjatscheslaw (Filmregisseur) Sturm, Fritz (Samuel Sachs-Gladnew) (Jour- Woker, Philipp (Historiker) | GND 117458155 nalist) | GND 1011349949 Wolff, Felix (Werner Rakow) (Funktionär) | Sturm, Hertha (Elena Dmitrievna Stassova) GND 124999832 (WES) | GND 109075285 Wolfstein, Rosi (Reichstagsabgeordnete) | Sytin, Iwan (Verleger) | GND 1158253362 GND 119399016 Szamuély, Tibor (Volkskommissar) | GND Zetkin, Clara (Politikerin) | GND 118636618 130045772 Zille, Heinrich (Grafker) | GND 118636863 Szilágyi, Jolán (Margrit Dobry) (Grafkerin) | Zörgiebel, Karl (Polizeipräsident) | GND GND 140691901 127678719 Tack, Johannes (Staatsrat) | GND Zweiling, Klaus (Redakteur) | GND 1125141417 137269684 Tauber (Jakov Rejch) | GND 1072154668 Thalheimer, August (Zentrale) | GND 11862153X Thälmann, Ernst (Parteivorsitzender) | GND 118621505 Thomas, James (Jakov Rejch) | GND1072154668 Tichauer, Heinz (Maler) Tichauer, Mia (Malerin) Tihanyi, Lajos (Grafker) | GND 122284119 Toller, Ernst (Dichter) | GND 118623230 Trotzki, Leo (Volkskommissar) | GND 118642979 Tschitscherin, Georgi (Volkskommissar) | GND 118666185 Tucholsky, Kurt (Schriftsteller) | GND 11862444X Tugendhold, Jakov Aleksandrovič (Kunst- historiker) | GND 128818913

Revolutionsgeschichte als Wandschmuck 157