Hölderlin in Homburg – Spurensuche (Vortrag im Stadtarchiv 22.1.2020) Barbara Dölemeyer

Titelfolie

Im Hölderlinjahr 2020 gedenken wir des 250. Geburtstags des Dichters Friedrich Hölderlin, der insgesamt etwa 3 ½ Jahre in Homburg vor der Höhe lebte (von Ende September 1798 bis Anfang Juni 1800 und Ende Juni 1804 bis 11. September 1806). Die Stadt Bad Homburg hat ein vielfältiges Jubiläumsprogramm organisiert, der Kulturfonds FrankfurtRheinMain tut dasselbe für die ganze Region. Denn: Hölderlin gehört nicht nur den Baden-Württembergern.

Folie 2 Lebensdaten

Wir sind ja noch ziemlich am Anfang des Hölderlin-Gedenkens und vielleicht kennen noch nicht alle unter Ihnen die Lebensdaten auswendig. Zunächst also hier eine ganz knappe Übersicht: Wie kam es, dass Hölderlin, der Dichter, der Philosoph, der studierte Theologe und hartnäckige Pfarrverweigerer, in unsere Region kam und eine Hofmeisterstelle bei der Frankfurter Familie Gontard annahm? Geboren wurde er am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar in eine Familie der württembergischen „Ehrbarkeit“, ein Geflecht aus angesehenen Pfarrers- und Beamtenfamilien. Er verlor bereits mit zwei Jahren den Vater und 1779 den Stiefvater Johann Christoph Go(c)k. Die Bindung an seine zweimal verwitwete, pietistische Mutter war zeitlebens sehr stark. Ab 1784 lernte er in den strengen Klosterschulen Denkendorf und Maulbronn, 1788 trat er als Stipendiat in das evangelische Stift in Tübingen ein, wo er Theologie, Philosophie und (griech.) Philologie studierte. Stubengenossen und Freunde waren u.a. Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) und Friedrich W. Joseph Schelling (1775-1854). Hölderlin legte 1790 das Magisterexamen, 1793 das abschließende Konsistorialexamen. Seine Mutter bemühte sich immer wieder, ihm zu einer Stelle im Württembergischen Pfarrdienst zu verhelfen, dem setzte er hartnäckigen Widerstand entgegen. Er verfolgte einen ganz anderen Lebensplan, den eines freien Dichters und Schriftstellers (er spricht vom „Dichterberuf“). Die finanziellen Mittel dazu hätte er aus dem väterlichen Erbe wohl gehabt. Dem standen zwei Faktoren entgegen: Zum einen die ganz spezielle Beziehung zu seiner Mutter, sie verwaltete das Geld und er hatte nie den Willen oder die Kraft, sich ihr offen zu widersetzen. Zum anderen war die Ausbildung im Tübinger Stift mit der Verpflichtung zum Pfarrdienst verbunden und dem konnte Hölderlin nur entgehen, wenn er eine adäquate Ausweichposition nachwies. Dazu gehörten eben Hofmeister- bzw. Hauslehrerstellen – er musste sich aber vom Konsistorium jeweils beurlauben lassen. Vor und nach der Stellung bei Gontard in hatte Hölderlin ähnliche Positionen inne: bei der Familie der Charlotte von Kalb in Waltershausen (1793-1795), später im schweizerischen Hauptwil (Januar-April 1801) und in Bordeaux (1801-1802), die jeweils in überstürzter Abreise endeten. 1794/95 studierte er in , wo er mit dem Freund Isaac von Sinclair zusammen wohnte. Die diesjährige Exkursion des Geschichtsvereins vom 21. bis 24. Mai wird nach Jena und Waltershausen, Weimar und Rudolstadt führen.

Folie 3 Frankfurt: Weißer Hirsch, Adlerflychthof, Gontard

Wir beginnen mit Frankfurt: Die Stelle bei dem Bankier Jakob Friedrich Gontard trat Hölderlin am 10. Januar 1796 an, sie war vermittelt durch den befreundeten Arzt Johann Gottfried Ebel. Der Ort, an dem seine schicksalhafte Begegnung mit Susette Gontard begann, existiert nicht mehr: es war das Haus zum „Weißen Hirsch“, das 1872 abgerissen wurde, heute steht dort der Frankfurter Hof. Auch die Sommeraufenthalte, welche die Gontards – wie viele Frankfurter – für die heißeren Monaten mieteten, gibt es nicht mehr: 1796 wohnte man in einem Haus auf der Pfingstweide (heute Zoogelände), 1797 und folgende war es der Adlerflychthof, der nach Hölderlins Flucht nach Homburg der Ort einiger kurzer, verstohlener Treffen mit Susette war. Nur die Namen Adlerflychtstraße und –platz erinnern noch daran. Nahe dem Zoo gibt es eine Hölderlinstraße.

Als junger Theologe aus einer angesehenen Familie befand sich Hölderlin nun in einer ziemlich prekären Situation: er war ein hoch gebildeter Angestellter, hatte partiell am herrschaftlichen Leben teil. Aber, wie er schließlich schrieb: „der Hofmeister ist immer das fünfte Rad am Wagen“, so empfand er dies zunehmend als bedrückend. Die Lebenssituation an sich war also nicht ungewöhnlich, auch Seelenverwandtschaften zwischen Hauslehrer und Hausherrin begegnen uns öfters: der Ehemann von Geschäften absorbiert, die Ehefrau zwischen Geist und Geld. Für Hölderlin war Frankfurt auch die Erfahrung einer Großstadt (Frankfurt hatte damals über 40.000 Ew), und einer Gesellschaft des Großbürgertums. Er äußert sich in seinen Briefen kaum über die Stadt selbst und zurückhaltend bis negativ über das Leben der „Frankfurter Gesellschaftsmenschen“. Er kritisiert ihre „Steifigkeit, und Geist- und Herzensarmuth“ und nennt sie in einem Brief an die Schwester „lauter ungeheure Karikaturen“. Susette war für Hölderlin der Gegenpol dazu, zu ihr zog ihn sein Empfinden hin, bekannt ist die Stelle aus einem Brief an den Freund Christian Ludwig Neuffer (16.2.1797): „Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem Wesen, das sich recht in diß arme geist- und ordnungslose Jahrhundert verirrt hat! Mein Schönheitssinn ist nun vor Störung sicher. Er orientirt sich ewig an diesem Madonnenkopfe. Mein Verstand geht in die Schule bei ihr, und mein uneinig Gemüth besänftiget, erheitert sich täglich in ihrem genügsamen Frieden.“ Er glaubte, in diesem geistigen Austausch in einer neuen Welt zu leben. Dies alles ging auf die Dauer nicht gut. Hölderlin verließ im September 1798 Frankfurt sehr schnell – offenbar nach einer Demütigung durch den Hausherrn – und folgte der Einladung seines Freundes Isaac von Sinclair nach Homburg vor der Höhe.

Folie 4 Frühere Besuche Homburgs von Frankfurt aus

Die kleine Residenzstadt hatte er bereits in der Frankfurter Zeit mehrfach besucht, erstmals war er in Homburg im Januar 1796 und er spricht auch schon von „sehr interessanten Menschen“, die er hier kennenlernte. Im Haus von Sinclairs Mutter, Frau von Proeck in der Dorotheenstraße 6 (heute noch bestehend: ein „authentischer“ Hölderlin-Ort) fanden Treffen mit Sinclair, Hegel und anderen Freunden statt, die Begeisterung für die französische Revolution hegten, es existierte in Homburg ein Kreis von „Hofdemokraten“ (dazu sogleich). Auch das Erlebnis des Taunus fällt bereits in diese Zeit., er erkundete die Gegend u.a. bei zahlreichen Wanderungen. Mit seinem Halbbruder Karl Gok war er z.B. im April 1797 auf dem Feldberg, worüber er seiner Schwester berichtete: „Er mußte gleich den andern Tag mit mir nach Homburg hinüber, zu Sinclair, einem ganz vorzüglichen jungen Manne, …. Tags darauf ging es auf das Gebirge der Gegend, von dessen Spitze wir viele Meilen hinauf den königlichen Rhein und seinen kleinen Bruder, den Main, sahn,… und Frankfurt mit den lieblichen Dörfern und Wäldchen, die drum herum liegen,...“.

In einer späteren Fassung der Ode „Der Wanderer“ (Spätsommer 1800) kommt dieses Erleben zum Ausdruck und hier findet sich der Begriff „Taunus“: Aber lächelnd und ernst ruht droben der Alte, der Taunus, und mit Eichen bekränzt neiget der Freie das Haupt.

Folie 5 Schloss, Ansicht Gustavie de Sinclaire, Landgrafenpaar

Nach der Flucht aus dem Hause Gontard, Ende September 1798 also: Ankunft in Homburg. Hier sehen Sie eine Ansicht um 1815, die die Hofdame Gustavie de Sinclaire gefertigt hat, Peter Lingens hat dazu im aktuellen Heft des Geschichtsvereins geschrieben. Das Schloss, obgleich im 19. Jahrhundert mehrfach verändert, lässt heute noch zT die Aura der Epochenwende um 1800, also der Zeit der Aufenthalte Hölderlins empfinden. Sinclair, der seit 1796 Regierungsrat war, lud ihn ein, in die kleine Residenzstadt mit damals etwa 3000 Einwohnern. Er vermittelte ihm eine Wohnung, wo Hölderlin ziemlich zurückgezogen lebte, doch liebte er es auch, im Kreise von Freunden aus der Studienzeit und anderen Gleichgesinnten zu „poetisieren“ und zu philosophieren. Hölderlin schrieb an seine Mutter über seinen fluchtartigen Ortswechsel: „Hiezu kam, daß mein Freund, der Regierungsrath von Sinklair in Homburg, der an meiner Lage in Frankfurt schon lange teilgenommen hatte, mir rieth, zu ihm nach Homburg hinüberzuziehen, …, und mir durch ungestörte Beschäfftigung endlich einen geltenden Posten in der gesellschaftlichen Welt vorzubereiten.“ Hölderlin an die Mutter 10.10.1798, StA VI, 1, Nr. 165, S. 283

Es war für den Dichter eine Zäsur in vieler Hinsicht: Zunächst eine gewisse Vereinsamung, er schrieb in der ersten Homburger Zeit viele und ausführliche Briefe. Dann der Versuch, durch geheime Treffen den Kontakt mit Susette in Frankfurt aufrechtzuerhalten. An seine Wanderungen dorthin erinnert der sog. Hölderlin-Pfad „in naher Ferne“, wo in diesem Jubiläumsjahr auch einige Veranstaltungen stattfinden werden.

Aber: Für Hölderlin begann in Homburg auch eine neue Periode seines Schaffens und sozusagen eine neue Begründung dieses Schaffens, deshalb sind auch die theoretischen Überlegungen poetischer und philosophischer Art, die er hier anstellte und im Freundeskreis diskutierte, so bedeutsam. Ich werde zum Schluss eine kleine Übersicht über die Werke bringen, die Hölderlin wirklich in Homburg geschaffen hat. Einige wenige davon werden im Laufe dieses Vortrags zitiert werden.

Folie 6 Stadtplan mit Hölderlin-Orten

Während es in Frankfurt keine authentischen Orte Hölderlins mehr gibt, kann man im heutigen Bad Homburg noch einige finden. Die Häuser allerdings, in denen der Dichter gewohnt hat, sind abgebrochen, eines davon ist rekonstruiert worden (dazu sogleich). Aber die Straßen rund um das Schloss, die Herrngasse, Schulgasse (heute Schulberg) und vor allem die Dorotheenstraße, lassen die Anmutung der Zeit um 1800 erspüren. Hier finden wir Häuser von Hofbeamten und Bürgern (etliche unter Denkmalschutz), darunter solche, in denen Homburger Bekannte Hölderlins gewohnt haben und in denen philosophische und literarische Zirkel stattfanden. Diesen Spuren wollen wir nun folgen. Ich möchte Sie zu Orten führen, die mit Hölderlins beiden Aufenthalten in Homburg vor der Höhe in Beziehung stehen. Diese Orte sind hierfür auf dem modernen Plan der Innenstadt markiert, und zwar mit roten Ziffern, wenn sie existent bzw. rekonstruiert sind, und mit grünen Ziffern, wenn nur auf alte Abbildungen zurückgegriffen werden kann. Wir gehen aus vom ältesten Stadtplan von Homburg vor der Höhe (Bruch’scher Plan, 1787), der 1991 rekonstruiert wurde und mit einem Verzeichnis der Hauseigentümer bis 1886 publiziert vorliegt (MittGVHG 41. Heft, 1993). Er bildet also die Situation zur Zeit der Aufenthalte Hölderlins ab und ich werde daraus Ausschnitte zeigen. Isaac von Sinclair schreibt 1804 an Hölderlins Mutter über ihren Sohn: „… befindet sich derselbe vollkommen wohl u. zufrieden, und nicht nur ich, sondern außer mir noch 6-8 Personen, die seine Bekanntschaft gemacht haben, … freuen sich sehr darüber seines Umgangs profitiren zu können.“

Diese Personen sind nur zum Teil bekannt und von einigen war es schwer, selbst rudimentäre Lebensdaten aufzufinden. Das gilt besonders für die Menschen, mit denen Hölderlin gewöhnlichen Umgang hatte, wozu Regierungsbeamte, Pfarrer und Lehrer sowie auch „Sinklairs Familie“ gezählt werden. Hier wird deutlich, wie eng das Beziehungsgeflecht dieser Personen in einer so kleinen Stadt wie Homburg war. Zum anderen ist auf die Personen am Landgrafenhofe einzugehen: Das Schloss [markiert A] soll separat betrachtet werden. Personen aus dem literarischen und philosophischen Umfeld des Dichters spielen hier nur eine Rolle, soweit sie in Homburg mit Hölderlin zusammentrafen.

Folie 7 Sinclairhaus eigentlich eher Creuzhaus; Skizze aus Hamel, Notizen

Zunächst gehen wir die Dorotheenstraße vom Schlosseingang aus hinunter: In diesem wohlbekannten Haus Ecke Löwengasse 15, dem sog. Sinclairhaus, wurde 1724 Friedrich Carl Casimir von Creuz geboren, Homburger Regierungsrat und Dichter. Sein Vater Johann Chr. Creutz von Würth hatte es in den 1720er Jahren erworben; sein Bruder Claudius Justinian war mit Friederike Auguste von Ende verheiratet, die für zwei ihrer Schwestern die Hochzeiten in diesem Haus ausrichtete (die eine heiratete Alexander Adam von Sinclaire, die andere den Hofprediger Claude Louis Pache). Wir werden den vier Schwestern von Ende noch begegnen. Isaac von Sinclairs Geburtshaus ist es nicht (das hat Angelika Baeumerth nachgewiesen). Die Bronze-Gedenktafel, die dieses behauptete, ist nach der Renovierung nicht mehr dort zu finden. Mitglieder der Familie von Creuz wohnten in der Folge hier. 1796 kam es an Johann Christian Rind, den Kaufmann und Stifter. 1801 kaufte es Landgraf Friedrich V. Ludwig, der nicht zulassen wollte, dass dort das Rind’sche Stift eingerichtet werden sollte. Die Armen sollten ihm nicht zu nahe rücken. 1802 kam es an einen Kaufmann Georg Ludwig Leutwein und zur Zeit von Hölderlins zweitem Aufenthalt gehörte es diesem. Treffen Hölderlins und seiner Freunde haben dort wohl nicht stattgefunden.

Folie 8 Dorotheenstraße 6 Haus von Proeck

Viel wichtiger ist das Haus Dorotheenstraße 6 (rekonstruiert), das Sinclairs Mutter anlässlich ihrer zweiten Heirat mit August Leberecht von Proeck 1784 kaufte. Hier wohnten sie und ihr Sohn (wenn er in Homburg war). Es ist in den 1990er Jahren rekonstruiert worden. Zu Sinclairs Vita nur kurz: Er wurde 1775 geboren, verlor bereits 1778 seinen Vater Alexander Adam von Sinclaire, Erzieher Friedrichs V. Ludwig, (Parallele zu Hölderlin). Die Verbindung zum Landgrafenhof blieb eng, Sinclair wurde zus. mit Landgrafensöhnen Philipp und Gustav unterrichtet (zeitweise im Creuz-Haus); studierte Jura in Tübingen 1792, in Jena 1794/95 – dort schloss er Freundschaft mit Hölderlin, sie hörten gemeinsam Fichtes Vorlesungen und Hölderlin wurde auch mit Sinclairs Freundeskreis bekannt, „junge hoffnungsvolle Männer von Geist und Herz“ (und revolutionären Ideen). Sinclair verließ Jena 1795 weil er in Studentenunruhen verwickelt war; er trat 1796 in den Dienst des Landgrafen und machte schnell Karriere, 1797 Justizrat, 1798 Regierungsrat, 1805 Wirkl. Geh. Rat; seine diplomatischen Sendungen führten ihn u.a. 1798 zum Kongress in Rastatt, [wo die Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich und die Entschädigungsfragen verhandelt wurden], 1802 zum RT Regensburg, [Vorbereitungen zum RDHS] (zu beiden nahm er Hölderlin mit); 1805: sog. „Hochverratsprozess“ in Württemberg (Untersuchung wegen „Anschlag gegen das Leben des Churfürsten …“); ohne Verfahren musste er 4 Monate Haft auf der Solitude verbringen. Durch die Einverleibung der Landgrafschaft in das Ghzt. Hessen 1806 verlor er seine Ämter und damit auch die Möglichkeit Hölderlin zu schützen. Er starb 1815 als Vertreter Homburg auf dem Wiener Kongress.

Das Haus Dorotheenstraße 6 war auch – bereits in Hölderlins Frankfurter Jahren – ein wichtiger Treffpunkt des Freundeskreises um Sinclair, teils diskutierten hier Homburger „Hofdemokraten“ wie Franz Wilhelm Jung und Philipp Jakob Leutwein, teils Freunde aus Tübinger und Jenaer Studientagen (Georg Friedrich Wilhelm Hegel). Auch neue Freunde, die Sinclair und Hölderlin als Teilnehmer am Kongress in Rastatt 1798, kennen gelernt hatten (Friedrich Muhrbeck, Casimir Ulrich von Böhlendorff und Fritz Horn). Er nannte sie „Bund unserer Geister“.

Folie 9 Dorotheenstraße 11 Franz.-ref. Pfarrhaus, Pache; Löwengasse 17 Gerning

In der Dorotheenstraße 11 befand sich das Pfarrhaus der französisch-reformierten Gemeinde, hier wohnte Claude Louis (de) Pache (1734–1814), von 1779 bis zu seinem Tod Pfarrer dieser Gemeinde und Oberhofprediger. [Er war auch Mitglied der „Société patriotique de Hesse- Hombourg“, einer nur kurz (1775 bis 1781) existierenden Aufklärungsgesellschaft am Homburger Hof.] Wichtig in unserem Zusammenhang ist Claude Paches Heirat mit Sophie Amalie von Ende, einer Schwester von Sinclairs Mutter Auguste Wilhelmine von Proeck. Sie gehörten also zu “Sinklairs Familie“, die Hölderlin so positiv charakterisierte: „Sinklairs Familie besteht aus vortreflichen Menschen, die mich alle schon längst bei meinen Besuchen mit zuvorkommender Güte behandelten, und seit ich wirklich hier bin, mit so viel Theilnahme und Aufmunterung mich überhäufften, daß ich eher Ursache habe, mich um meiner Geschäffte und um meiner Freiheit willen zurükzuziehn, als zu fürchten, daß ich gar zu einsam leben möchte.“

Witwe Pache war als letzte überlebende Tante die Erbin Sinclairs.

Folie 10 Gerning Tauninum

Das Eckhaus Löwengasse 17, das für den Bau der Erlöserkirche abgerissen wurde, gehörte ab 1804 Johann Isaak von Gerning, Sammler, Gelehrter, Diplomat mit vielseitigen Verbindungen. 1804 hessen-homb. Geheimrat; 1805 erhielt er den Reichsadelsstand (er legte sich das schöne Prädikat „von Taunheim“ zu); 1816 Homburger Bundestagsgesandter in Frankfurt; auch als Schriftsteller betätigte er sich: „Skizze von Frankfurt am Main“, 1800; „Die Heilquellen am Taunus“, 1813. Über ihn und seine Beziehung zu Hölderlin hat Gregor Maier im neuen Mitteilungsheft des Geschichtsvereins geschrieben. Ähnlich wie Sinclair war Gerning einer der Akteure des regen Geisteslebens am und um den Homburger Landgrafenhof in der Zeit um 1800. In seiner Person werden die literarisch-gelehrten Netzwerke greifbar, in denen sich auch Friedrich Hölderlin bewegte. Gerning suchte bereits 1798 eine Verbindung zu Hölderlin, dachte an eine jährliche Zusammenkunft „teutscher Musenfreunde“ oder „verstreut lebender Griechen“, evtl. „bey Frankfurt in Homburgs Lustwäldern am Fuße des Taunus“. Er war auch mit Johann Caspar Zinck, dem Konrektor und Musiker verbunden, den er offenbar schon 1800 mit Hölderlin bekannt machen wollte. Dazu sogleich. Erst 1804 kam es zu einem Zusammentreffen in Homburg, unglücklicherweise wohl etwas zu spät, wie zwei Zitate bezeugen: „Sinclair brachte mir Hölderlin, der Bibliothekar geworden, aber ein armer Schlucker ist und trübsinnig. ‚quantum distat ab illo‘ schrieb mir Haug von ihm.“ Tagebuch Gerning, Homburg, 28. Juni 1804 „Hölderlin, der immer halb verrückt ist, zackert auch am Pindar“ Brief Gerning an Knebel 11. Juli 1805

Folie 11 Dorotheenstraße 8 Kaempf, Jung; Dorotheenstraße 10 Hofapotheke

Wir gehen nun weiter die Dorotheenstraße hinab: neben Sinclairs Wohnhaus folgen die Häuser 8 und 10, beide sind in unserem Zusammenhang von Interesse. Die Nummer 8 beherbergte seit den 1730er Jahren die aus Zweibrücken nach Homburg gekommene Familie der landgräflichen Leibärzte und religiösen Separatisten Kämpf (Kaempf). Ein Spross dieser Familie war Wilhelm Ludwig Kaempf (Kämpf) (1765-um 1811) ein Vetter von Sinclairs und Hölderlins Freund Franz Wilhelm Jung; auch er gehörte zu den sog. „Hofdemokraten“, einer Gruppe von landgräflichen Beamten, die aus ihrer republikanischen Gesinnung kein Hehl machten, aber lange vom Fürsten „toleriert“ wurden. Er studierte Jura, wurde 1787 Stadtkonsulent; 1791 Assessor; 1794 allerdings wurde er als zu revolutionär vom Landgrafen entlassen, ging dann nach , wo er Kontakte mit württ. Oppositionellen hatte. Diese Kontakte brachten ja 1805 auch Sinclair und dadurch mittelbar Hölderlin in Verdacht, gegen den Kurfürsten konspiriert zu haben.

Und dieses Faktum führt geradewegs in das Haus Dorotheenstraße 10:

In diesem Haus, erbaut 1716 durch Zacharias Müller, befand sich bis 1829 die zweitälteste Homburger Apotheke: die Hofapotheke zum Schwanen. Für Hölderlin spielte der damalige Inhaber Georg Friedrich Karl Müller (1761-1811) eine nicht unwichtige Rolle: er war als Dr. med. „Stadt- Land-Physikus“ (eine Art Amtsarzt) und Leibarzt der landgräflichen Familie; daneben 1787-1811 Leiter der Hof-Apotheke (heute wäre das natürlich nicht möglich). Er behandelte Hölderlin, der über ihn 1800 an seine Mutter: Am hiesigen Arzte habe ich … eine gar gute Bekanntschaft gewonnen, es ist ein immer heiterer, treuherziger Mann, der einen wenigstens auf Augenblicke schon durch sein gesundes menschenfreundliches Gesicht heilen kann. Er ist der Mann für alle Hypochonder.“

Später sollte Dr. Müller durch sein Gutachten 1805 entscheidend dazu beitragen, dass der Dichter nicht in das württembergische Untersuchungsverfahren gegen Sinclair verwickelt wurde. Er kannte den Dichter bereits von seinem ersten Aufenthalt und fand ihn 1804/05 sehr verändert vor: „…daß genanter Magister Hoelderlin im Jahr 1799 schon, als er sich hier aufhielte, stark an hypochondrie litte ... Von der Zeit an hörte ich nichts mehr von ihm bis im vergangenen Sommer, wo er wieder hier her kam, und mir gesagt wurde „Hoelderlin ist wieder hier allein wahnsinnig“. … Wie erschrak ich aber als ich den armen Menschen so sehr zerrüttet fande, kein vernünftiges Wort war mit ihm zu sprechen, und er ohnausgesetzt in der heftigsten Bewegung. … Und nun ist er, so weit daß sein Wahnsinn in Raserey übergegangen ist, und daß man sein Reden, das halb deutsch, halb griechisch, halb Lateinisch zu lauten scheinet, schlechterdings nicht mehr versteht.“

Folie 12 Dorotheenstraße 12: Horst, Louise de Sinclair

Es gibt einen Eintrag in Gernings Tagebuch aus dem Juni 1800, den die Hölderlinforscher, die ja allen Daten und Namen akribisch nachgehen, nicht auflösen konnten: „Den redlichen Zinck hab‘ ich getröstet und hin soll ich kommen, daß er mich Hölderlin, Horst und Sinclair zeigen kann.“ Hölderlin und Sinclair kennen wir ja, aber wer war Horst? Diesen habe ich nun tatsächlich identifizieren können. Christian Tobias Horst, 1772-1849, war in der Homburger Regierung als Assessor, später Justizrat tätig; versiegelte zusammen mit Kammerrat Mosengeil nach Sinclairs Verhaftung am 1.3.1805 dessen Papiere. Er betätigte sich auch als juristischer Autor. [Außerdem war mit dem Kammerrat F.E.F. Bausch verschwägert, den wir noch kennenlernen]. Hier Horsts Unterschrift. Aus diesen kurzen Bemerkungen kann man nicht allzuviele Schlüsse über den Grad der Bekanntschaft ziehen, aber sie zeigen doch, dass Hölderlin auch mit „einfachen“ Homburger Bürgern und Beamten Umgang hatte. Später gehörte das Haus der Hofdame Louise de Sinclair, deren Tochter Gustavie, Hofdame der Prinzessin Auguste wir die schönen Ansichten von Schloss und Stadt Homburg um 1815 verdanken, die ich eingangs gezeigt habe. Die Verwandtschaft der beiden Damen mit Isaac von Sinclair hat auch schon viele Biographen beschäftigt. Sie war wohl eher entfernt. Peter Lingens und ich haben darüber im Mitteilungsheft des GVHG geschrieben.

Folie 13 Dorotheenstraße 34-36 und 38

Wir gelangen nun die Straße abwärts zum rekonstruierten Haus 34-36, in dessen Vorgängerbau Hölderlins Wohnung in den Jahren 1804-1805 war, bei dem Uhrmacher Calame, wie wir aus einem Brief Sinclairs an Hölderlins Mutter wissen: „Er wohnt im Hause eines französischen Uhrmachers, Namens Calame, gerade in der Gegend, wo er es wünschte. Es sind sehr brave Leute, die alles für ihn besorgen und wo er sehr gut aufgehoben ist.“

Calame kam aus Valangin (Neuchâtel), 1768-1826, hatte das Haus 1794 gekauft, er war Kirchenvorsteher der franz.-ref. Gemeinde. Aus den Jahren des zweiten Homburger Aufenthalts sind keine Briefe Hölderlins überliefert. Als das Verhalten des Dichters, man bezeichnete es als Toben oder Irrsinn, zu belastend für die Familie wurde, musste er in sein letztes Homburger Domizil in der Haingasse 12 umziehen.

Auch das Nebenhaus Nr. 38, ebenfalls rekonstruiert, hat Bezug zu Hölderlins Aufenthalt: Karl August Varnhagen von Ense, der immer auf der Jagd nach Autographen war, notiert in seinem Tagebuch, Homburg 1845: „Breidenstein ist seit dreiundfünfzig Jahren hier im Amte, und hat Sinclair und Hölderlin sehr gut gekannt, jedoch keine Papiere mehr von ihnen.“ Dieser Johann Georg Breidenstein (1769-1847), damals Oberhofprediger, war eine der 6-8 Personen, von denen Sinclair an Hölderlins Mutter berichtete, dass der Dichter engeren Umgang mit ihnen hatte. Er war nach dem Theologiestudium 1793-1796 Hauslehrer in Lausanne; kam durch Vermittlung des Orgelbauers Philipp Heinrich Bürgy mit dem Homburger Landgrafenhof in Verbindung, 1796 nach Homburg v.d.H. berufen; seit 1800 franz.-ref. Pfarrer; 1814 (nach dem Tode Paches) Oberhofprediger. Neben dem Pfarramt betrieb Breidenstein seit 1798/99 im Hause der Hofapotheke, Dorotheenstraße 10, ein Lehrinstitut, das durch die Aufnahme junger Engländer, Franzosen und Russen bedeutenden Ruf genoss und sich später in der Dorotheenstraße 38 unterhalb Calame befand, Er war also damals Hölderlins nächster Nachbar. Beliebt waren von ihm arrangierte Konzerte und es war sicher vor allem die Musik, die den Dichter mit ihm verband.

Folie 14 Wiederholung Plan Innenstadt

Hier noch einmal der Plan, nun geht es um die gelb unterlegten Straßen Folie 15 Haingasse, Hölderlin-Wohnungen

Wie erwähnt, existieren die beiden Häuser in der Haingasse, wo Hölderlin zur Miete wohnte, nicht mehr. Von der ersten Wohnung, beim Hofglasermeister Wagner, die er 1798 bezog, kennen wir aus seinen Briefen einige Details: „Ein paar hübsche kleine Zimmer, … einen eigenen großen Tisch im Speissaal der auch zugleich mein Schlafzimmer ist, und eine Kommode daselbst, und hier im Kabinet einen Schreibtisch wo die Kasse verwahrt ist, und wieder einen Tisch, wo die Bücher und Papiere liegen, und noch ein kleines Tischchen am Fenster, an den Bäumen, wo ich eigentlich zu Hauße bin, und mein Wesen treibe, und Stühle hab‘ ich auch für ein paar gute Freunde, …“

Die Haingasse ging damals in einem Bogen zur Judengasse, hinter dem Haus, das schräg zum Straßenverlauf stand, gelangte man in unbebautes Gelände, in die Audenwiesen, von wo der Weg Hölderlin häufig Richtung Hardtwald oder Ellerhöhe führte. Das Haus wurde im Zuge der Stadterneuerung durch Landgraf Friedrich VI. Joseph und Landgräfin Elisabeth in den 1820er Jahren abgebrochen und dem Straßenverlauf folgend wieder aufgebaut. Auch Landgräfin Elisabeth (Eliza) hat in diesem Jahr 250. Geburtstag. Es wird eine Ausstellung im Schloss geben, die am 21. Mai eröffnet wird.

Der Dichter fühlte sich offenbar bei Wagner wohl, er schreibt u.a. von dessen Freundlichkeit ihm gegenüber, er durfte auch einmal das Petschaft des Glasermeisters verwenden, um einen Brief zu versiegeln, als er selbst keines zur Hand hatte.

Hölderlins letzte Wohnung befand sich in der Haingasse 12, bei Sattlermeister Lattner (das Haus wurde 1962 durch einen Neubau ersetzt), viel ist darüber nicht bekannt. Georg Schudt schreibt 1865: „…dann zog er in die Haingasse zu einem Sattlermeister […] Sein zeitweise eintretender Irrsinn steigerte sich manchmal zu Wutanfällen, während er schrecklich auf sein Clavier, ein Geschenk der Prinzessin Auguste, loshämmerte.“

Von hier wurde der Dichter 1806 nach Tübingen abtransportiert

Folie 16 Haingasse 1 Boehlendorff, junge Männer von Geist

Ein Haus ist noch zu erwähnen, hier wohnte Hölderlins Freund Casimir Ulrich von Böhlendorff April bis Juni 1799 beim Metzger Fischer, Anfang der Haingasse, in Hölderlins unmittelbarer Nachbarschaft. Auf dem Kongress in Rastatt 1798, zu dem Sinclair Hölderlin eingeladen hatte, hatten sie die Bekanntschaft von Geistesfreunden gemacht, die Hölderlin als junge Männer voll Geist und reinen Triebs …“ bezeichnete: Böhlendorff, Muhrbeck und Fritz Horn; sie trafen später in Homburg wieder. Böhlendorff beschrieb damals seine Freunde folgendermaßen – es ist eine sehr interessante Charakterisierung: „Ich habe hier einen Freund, der Republikaner mit Leib und Leben ist [Sinclair] – auch einen andern Freund, der es im Geist und in der Wahrheit ist – die gewiß, wenn es Zeit ist, aus ihrem Dunkel hervorbrechen werden; der lezte ist Dr. Hölderlin, der Verfasser des Hyperion, einer Schrift, die Epoche zu machen, im tiefsten Sinne verdient.“

Folie 17 Schulgasse (heute Schulberg) 3 und 5

Hier im lutherischen Pfarrhaus Schulgasse 3 wohnte Philipp Jakob Leutwein, 1764-†9.9.1800 (starb an der 1800 in Homburg grassierenden Ruhr), er wurde 1786 zweiter evangel.-luth. Pfarrer und Direktor des Waisenhauses in Homburg; war religiöser Erzieher Sinclairs sowie der Prinzessinnen Amalie und Auguste. Als Freund Franz Wilhelm Jungs und Sinclairs, teilte er zunächst ihre revolutionären Ansichten und zählte zu den „Hofdemokraten“; er wandte sich aber dann ganz seiner Pfarrtätigkeit zu. Sinclair schreibt aus Jena an Franz Wilhelm Jung über Leutwein und über seine Begegnung mit Hölderlin „Für diese Legion von Bekannten, die ich verlohr, habe ich aber die Zeit einen Herzensfreund instar omnium erhalten, den M. Hölderlin. Es ist Jung und Leutwein in einer Person.“ Sinclair an F.W. Jung, Jena 26.3.1795, StA VII, 2, Nr. 156

Das Nebenhaus Schulgasse (heute Schulberg) 5 diente im Laufe der Zeit vielen Zwecken, um 1800 war es Schule, zeitweise Rathaus, heute Standesamt. Der bereits mehrfach erwähnte Johann Conrad Caspar Zinck (1741-1807) war eine der Personen in Homburg, die in engeren Beziehungen zu Hölderlin standen, er kam 1781 als Konrektor an die Homburger Knabenschule, der vielseitige Mann war auch Organist und Glöckner der Stadtkirche, 1784 wird er als Klavierlehrer des Landgrafen und seiner Töchter genannt. Der Musiker und Instrumentenmacher erfand ein neuartiges Instrument mit drei Klaviaturen, die Harmonica coelestina, damit trat er anlässlich der Krönung Franz II. in Frankfurt 1792 auf; 1801 reiste er nach Wien, und führte die Harmonica vor Haydn und Salieri vor; 1803 konnte er sie schließlich der Kaiserin verkaufen. Er war befreundet mit Johann I. von Gerning, mit dem er auch Taunuswanderungen unternahm. Mit Hölderlin verband ihn vor allem die Musik.

Folie 18 Engelapotheke

Hier begegnen wir einer Person, die durch ihre amtliche Tätigkeit mit Hölderlins Schicksal mehrfach verbunden war: dem Kammerrat Friedrich Ernst Franz Bausch, 1771-1825. Er hatte 1804 durch Heirat mit der Witwe des Engelapothekers Schwerter die älteste Apotheke Homburgs erworben. Wie erwähnt, war er dadurch auch Schwager von Assessor Christian Tobias Horst. 1804-1810 war er Eigentümer der Engel-Apotheke (die allerdings durch einen Provisor geführt wurde). Als Kammerrat, ab 1816 Kammerdirektor in Homburg hatte er wichtige Positionen inne, so verhandelte er den hessen- homburgischen Hausvertrag 1816; 1820 wurde er Geheimer Rat; er war auch Administrator der Rind‘schen Stiftung. In unserem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass er Hölderlins Bibliothekars-Bezüge ab 1.1.1805 verwaltete und für die Bestreitung seiner Ausgaben sorgte; er war also sozusagen sein Betreuer. Hier sehen Sie eine Quittung darüber, die im HHStAWiesbaden aufbewahrt wird. Nach Sinclairs Tod in Wien 1815 nahm er dessen Papiere in Verwahrung (wie erwähnt erbte Wwe Pache).

Folie 19 Bruchscher Plan: Schloss, heutige Ansicht, Zitat Gerning, Silhouetten Nun kommen wir auf unserer Spurensuche zum Landgrafenschloss.

Hölderlin schrieb kurz nach seinem Eintreffen in Homburg im Oktober 1798 an seine Mutter:

„Am Hofe hat mein Buch [der erste Band des Romans „Hyperion“] einigermaaßen Glük gemacht und man hat gewünscht, mich kennen zu lernen. Die Familie des Landgrafen besteht aus ächtedeln Menschen, die sich durch ihre Gesinnungen und ihre Lebensart von andern ihrer Klasse ganz auffallend auszeichnen. Ich bleibe übrigens entfernt, aus Vorsicht und um meiner Freiheit willen, mache meine Aufwartung und lasse es dabei bewenden.“

Er spricht von freundlicher Aufnahme durch einige Mitglieder der Landgrafenfamilie; „echt edle Menschen“. Allerdings waren damals nur die Landgräfin Caroline mit den Töchtern Auguste und Marianne (*1785) sowie die jüngsten Söhne (Ferdinand *1783, Leopold *1787) in Homburg. Der Landgraf verbrachte die meiste Zeit in Schlangenbad und in Frankfurt, sozusagen auf der Flucht vor französischer Besatzung. Landgräfin Caroline hielt in Schloss und Regierung die Zügel in der Hand, sie bewunderte Napoleon und pflegte geselligen Verkehr mit den Revolutionsgeneralen, die im Schloss Quartier nahmen. Unterstützung erfuhr sie aus dem Kreis der „Hofdemokraten“ um Franz Wilhelm Jung und Wilhelm Ludwig Kämpf, die sich um Vermittlung mit den Franzosen bemühten.

Wie oft sich Hölderlin im Schloss aufhielt, ist schwer nachzuweisen. Durch Sinclair kam er in Kontakt mit der Landgrafenfamilie. Berühmt sind seine Widmungsgedichte an Prinzessin Auguste (Geburtstag 1799), an ihre Schwester Amalie (An eine Fürstin von Dessau), und die Hymne „Patmos“ mit der Widmung „dem Landgrafen von Homburg“ 1803. Die beiden erstgenannten sind in Homburg entstanden. Patmos überreichte Sinclair dem Landgrafen zu dessen 55. Geburtstag.

Das Schloss bildet auch den Übergang zum zweiten Aufenthalt Hölderlins 1804-1806: Als die Pläne zur Herausgabe der Zeitschrift „Iduna“ scheiterten und die finanzielle Lebensgrundlage nicht zu schaffen war, kehrte er im Sommer 1800 zurück nach Nürtingen, es folgten die erwähnten Reisen nach Hauptwil und dann Bordeaux, beides in Hauslehrerstellen, die er nach kurzer Zeit verließ. Als Hölderlin von dem Tod Susette Gontards (22.6.1802) nach seiner Rückkehr aus Frankreich erfuhr, verschlimmerte sich sein geistiger Zustand. Sinclairs erneuten Einladungen nach Homburg folgte er erst 1804. Sinclair verschaffte dem Freund nominell eine Stellung als Hofbibliothekar, die er aus seinem eigenen Gehalt finanzierte und die Hölderlin sicher nie ausgeübt hat, jedoch hatte er Zugang zur landgräflichen Bibliothek. Es waren bereits die Jahre seiner stärker ausbrechenden Krankheit, er musste die Wohnung in der Dorotheenstraße 36 verlassen und umziehen. Im September 1806 erfolgte sein Abtransport nach Tübingen, zum einen wegen der Schwere der Krankheit, zum anderen infolge der politischen Umwälzungen der napoleonischen Zeit: Hessen-Homburg wurde 1806 in das nunmehrige Großherzogtum Hessen eingegliedert; Sinclair als Regierungsbeamter verlor seine Position. Landgräfin Caroline schrieb am selben Tag, als Homburg von Darmstadt eingenommen wurde, 11.9.1806 an ihre Tochter Marianne „Le pauvre Holterling a été transporté ce matin pour etre remis a ses parens“.

Schloss: Geschichtstag für Taunus und Main, Hochtaunuskreis und Main-Taunuskreis u.a., 4.4.2020 „Hölderlins Zeit – Taunus und Main um 1800“

Folie 20 Schlosskirche

Die Schlosskirche wurde bekanntlich weitgehend originalgetreu restauriert und 1989 als Raum für Kulturveranstaltungen wieder eröffnet. Dabei ist auch für den Eingang zur Landgrafengruft die historische Situation wiederhergestellt und die Abdeckung neu gestaltet worden. Der Kasseler Künstler Horst Hoheisel (* 1944) schuf eine Bronzeplatte mit Zeilen aus Friedrich Hölderlins Hymne „Patmos“: Berühmt die Anfangszeilen: Nah ist/ und schwer zu fassen der Gott./ Wo aber Gefahr ist, wächst/ das Rettende auch./ Im Finstern wohnen/ die Adler und furchtlos gehen/ die Söhne der Alpen über den Abgrund weg/ auf leichtgebaueten Brüken

Die Schlosskirche ist heute etwa im Zustand der Zeit Hölderlins zu erleben und deshalb m.E. ein besonders passender Ort für die Verleihung des Friedrich-Hölderlin-Preises der Stadt Schlosskirche: Hölderlin-Preis 2020 ist es genau der Todestag, 7. Juni 28.3. – 28.5.2020 Textrauminstallation von Corinna Krebber

Folie 21 Auguste Widmung und Antwort

Über die geheime Zuneigung, die die damals 21jährige Prinzessin Auguste zu Hölderlin hegte und über die sie viele Jahre später ihrer am preußischen Hofe lebenden Schwester Marianne schrieb, haben zuerst die Hölderlinforscher Werner Kirchner und Ernst Georg Steinmetz berichtet. Auguste schätzte den ersten Band von Hölderlins Briefroman „Hyperion“ (1797) und verehrte den Dichter insgeheim. Hölderlin widmete der Prinzessin zu ihrem 23. Geburtstag die Ode „Der Prinzessin Auguste von Homburg. Den 28 ten Nov. 1799“ und zugleich schenkte er ihr die Handschrift seines „Gesang des Deutschen“. Die Prinzessin antwortete Hölderlin auf das Widmungsgedicht: Die Empfindungen der Dankbarkeit bei Erhaltung Ihrer Geschenke nötigen mich Ihnen diese Zeilen zu senden, auch der Wunsch begleitet sie, Ihres schmeichelhaften Lieds nicht unwürdig zu sein: doch das bin ich nicht.- Ihre Laufbahn ist begonnen, so schön und sicher begonnen, daß sie keiner Ermunterung bedarf: nur meine wahre Freude an Ihre Siege und Fortschritte wird Sie immer begleiten.

Die Geburtstagsode hielt sie zeitlebens geheim. Außerdem hat Hölderlin ihr einen oder sogar beide Bände des „Hyperion“ als Widmungsexemplare zugeeignet. In der Landesbibliothek Mecklenburg-Vorpommern befindet sich ein Exemplar des zweiten Bandes des Hyperion von 1799 mit der eigenhändigen Widmung des Dichters, das bislang in der Forschung eher unbeachtet blieb. Die Zeilen „Den deutschen Frauen danket!/ Sie haben uns/ Der Götterbilder freundlichen Geist/ bewahrt.“ stammen aus dem „Gesang des Deutschen“. Für die Restaurierung dieses Hyperion- Widmungsexemplars hat die Stadt Bad Homburg eine Buchpatenschaft übernommen. Das Museum kann in seiner Ausstellung im Gotischen Haus ab 16. Februar 2020 leider nicht das restaurierte Original, aber ein Faksimile zeigen.

Folie 22 Marianne Wie hattest Du Hölderlin geliebt?

Mit diesem Hyperion-Exemplar hängt auch die wunderschöne Geschichte um Marianne und Auguste zusammen. Im Sommer 1816 hielten sich zur Feier des 50jährigen Regierungsjubiläums des Landgrafen alle noch lebenden Landgrafensöhne und die drei Töchter Amalie, Auguste und Marianne in Homburg auf. Bei einem der Spaziergänge im Schlosspark kam es zu einem vertrauten Gespräch zwischen Auguste und Marianne, auf das diese in einem Brief anspielt und sie fragt schließlich die Schwester: Wage ich zuviel, wenn ich nun noch um etwas bitte, …, liebe Schwester, und du das einmal ausgesprochen hast, so darf ich vielleicht? ... Wie hattest du Hölderlin geliebt? Wie tausendmal schwebte mirs in jener Nacht beim Spaziergang auf den Lippen“. Auguste sandte ihrer Schwester ein ausführliches Schreiben, das sie selbst als ihr „Testament“ bezeichnete und das eine Art Lebensbekenntnis enthält. Marianne antwortete mit einem langen Brief, in dem das o.e. Hyperion-Exemplar als Erinnerungs-Moment eine wichtige Rolle spielte. „Ich sehe noch den Hyperion hell grün eingebunden auf Deinem schattigen Fenster liegen. Hölderlin gefiel mir sehr wohl…“ Heute noch kann man sich bei einem Blick aus einem Fenster des Königsflügels des Homburger Schlosses in die Kastanienallee, die (wieder) zum Eingang der Dorotheenstraße führt, diese Situation vergegenwärtigen. Laut Inventar von 1772 befanden sich die Zimmer der landgräflichen Kinder im zweiten Obergeschoß des Eckpavillons.

Folie 23 Plan außen Nun ein kurzer Blick auf die Hölderlin-Orte außerhalb der Innenstadt.

Folie 24 Hölderlin-Denkmal

Das Hölderlin-Denkmal im Kurpark, 1883 vom Bad Homburger Geschichtsverein gestiftet, ist das dritte in der Chronologie, nach Lauffen 1873 und Tübingen 1881. Entwurf Louis Jacobi (1870), das Marmorrelief fertigte Jacob May (1872) nach dem Portrait von F. K. Hiemer v. 1792, das Louis Jacobi 1870 in Homburg kopiert hatte. Auf der Freiheitsscheibe von 1870 ist der ursprünglich beabsichtigte Platz zu sehen. Eine ausführliche Geschichte dieses Denkmals im aktuellen Mitteilungsheft des Geschichtsvereins.

Folie 25 Wingertsberg

Im Park der Werner Reimers Stiftung wurde 1985 ein Pavillon mit einer Hölderlin- Gedenktafel errichtet. Der Weg durch die Audenwiesen, durch die seine Spaziergänge oft führten, ist auf der Lithographie von Reinermann gut zu erahnen. Von hier aus hatte Hölderlin den freien Blick auf Frankfurt, Heimat seiner Susette. Die Tafel zitiert aus einem Brief an seine Schwester: „Da geh ich dann hinaus, wenn ich von meiner Arbeit müde bin, steige auf den Hügel und setze mich in die Sonne, und sehe über Frankfurt in die weiten Fernen hinaus, und diese unschuldigen Augenblicke geben mir dann wieder Mut und Kraft zu leben und zu schaffen.“ Hölderlin an die Schwester, Frühsommer 1799

Werner Reimers Stiftung: Ausstellung 3.9. – 23.10.2020 „Hölderlins Orte“ – Fotografien von Barbara Klemm

Folie 26 Villa Wertheimber, Gotisches Haus

Zu den Orten der Erinnerung an Hölderlin gehören auch die Villa Wertheimber (hier im Stadtarchiv: Hölderlin-Kabinett, Hölderlin-Wohnung, Geschichtsverein) und das Gotische Haus (Städtisches historisches Museum: Hölderlin-Objekte, Sammlung Hölderlin-Medaillen) – jedenfalls bis zum Umbau. Frühjahr/Sommer 2020: Gustavsgarten - Offenes Atelier mit Installationen von Professoren und Studenten der Hochschule für Gestaltung Offenbach

Das Städtische historische Museum bewahrt nicht nur das einzige Porträt Isaac von Sinclairs, sondern auch die einzige Sammlung von Porträtmedaillen Hölderlins, die einen speziellen Beitrag zur künstlerischen Hölderlin-Rezeption bietet. Soeben ist ein Katalog „Hölderlin im Medaillenbild“ erschienen. Die Ausstellung wird diese Sammlung zeigen, dazu Objekte des Hölderlin-Gedenkens in Homburg, außerdem die Rezeption Hölderlin in der modernen Kunst (über den Zyklus Hölderlin von Alfred Hrdlicka hat Ursula Grzechca-Mohr im Mitteilungsheft des Geschichtsvereins publiziert). Gotisches Haus: Ausstellung „Hölderlin ein geprägtes Bild“: Eröffnung 16. Februar 2020, 11 Uhr

Folie 27 Übersicht: Personen

Hier möchte ich Ihnen abschließend noch eine Übersicht der Personen, die ich erwähnt habe, in einer Gruppierung zeigen, die wir quasi als Folie, auf der sich Leben und Schaffen Hölderlins in den Homburger Jahren abspielte, betrachten können. Folie 28 Werke

Und ganz zum Schluss eine Auswahl der Werke, an denen Hölderlin in Homburg arbeitete, soweit genaue Datierungen überhaupt möglich sind. Nur eine Bemerkung zum Homburger Folioheft: Über Datierung, Anordnung und Entstehung dieser Sammelhandschrift, die nach dem Eigentümer, der Stadt Homburg benannt ist, haben sich Generationen von Hölderlinforschern den Kopf zerbrochen und verschiedene Theorien entwickelt. Man kann sicher von einer „Dichter-Werkstatt“ sprechen. Hölderlin hat seine Schriften immer wieder neu geordnet, für Publikationen vorbereitet, immer wieder überarbeitet und verändert, auch wenn Werke schon in Reinschrift oder im Druck vorlagen. Nur wenige Beschriftungen des Foliohefts können nach ihrer Entstehung sicher Homburg zugeordnet werden.

Einige Werke Hölderlins kann man aber auf die Homburger Schaffensperiode, die eine sehr wichtige war, eingrenzen: Hier vollendete der Dichter den 2. Teil des Briefromans Hyperion (erschienen 1799), er arbeitete am Drama „Tod des Empedokles“, an den Sophokles- Übersetzungen (Antigonae, Ödipus der Tyrann). Neben wesentlichen Werken seiner Lyrik verfasste er auch theoretische Schriften. Das aber wäre Gegenstand eines anderen Vortrags.

Besonders möchte ich Sie darauf hinweisen, dass am 10. März im Geschichtsverein Prof. Dr. Gerhard Kurz, Ehrenpräsident der Hölderlin-Gesellschaft, langjähriges Mitglied der Hölderlinpreisjury und Träger der Ehrenplakette der Stadt Bad Homburg zum Thema Hölderlin und die Deutschen sprechen wird.