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HISTORISCHER ATLAS 4, 14 VON BADEN-WÜRTTEMBERG Erläuterungen

Beiwort zur Karte 4,14

Ausbau- und Rodungssiedlungen Beispiele: Beinberg, Gallenweiler, Wildtal

Beinberg 1843 Reihensiedlung mit Waldhufenflur (Nordschwarzwald) von HERMANN GREES

Die ehemals selbständige Gemeinde, die seit Gericht zu unterhalten, was für eine einstige gemeind- 1.1.1971 zu gehört, zu dem sie schon liche Selbständigkeit des Ortes sprechen könnte, doch früher starke Bindungen hatte, gilt seit langem als ein war für die Beinberger mindestens seit dem Anfang besonders typisches und gut erhaltenes Beispiel für die des 16.Jh. immer das Gericht von Liebenzell Waldhufensiedlungen des nördlichen Schwarzwaldes zuständig. Trotzdem wird Beinberg in den Lager- und und ist als solches für den Historischen Atlas aus- Steuerbüchern durchweg als gemain oder dorf gewählt worden1. Dabei wurde in Kauf genommen, bezeichnet. daß die Quellenlage gerade für Beinberg nicht be- Über die Urbare von 1478, 1506, 1520, 1566, 1579, sonders günstig ist. Erst seit 1431 ist der Name des 1606 sowie das Steuerbuch von 1628 läßt sich seine Ortes schriftlich überliefert. Auf Grund der ganz Entwicklung in diesem Zeitraum gut verfolgen, dann ähnlichen Anlage dürfte aber kein Zweifel darüber aber klafft eine Lücke bis zum Lagerbuch von 1757, bestehen, daß Beinberg wie die Nachbarorte Mai- das überdies unvollständig ist und außer einer senbach und Unterlengenhardt, die bereits für die Zeit Namensliste der Grundbesitzer nur die Beschreibung um 1160 im Codex Hirsaugiensis erwähnt werden, etwa der Hälfte der Lehengüter enthält2. Dazu kommt, spätestens im Hochmittelalter gegründet wurde. daß die Landesvermessung erst relativ spät durchge- Es war, vielleicht schon seit seiner Gründung, führt (Flurkarte 1835) und das Primärkataster noch Bestandteil der Herrschaft Liebenzell, die aus dem später, erst 1843, angelegt wurde3. Ein älteres Gemein- Komplex des Herrschaftsgebietes der Grafen von degüterbuch fehlt, das einzige überlieferte ist das von stammte, als Erbteil der Uta von Calw über die 18574; 1860 folgt die relativ knapp gehaltene Ober- Herren von Eberstein im späten 13.Jh. an die amtsbeschreibung, und seit 1895 läßt sich die Ent- Markgrafen von Baden und 1603 von Baden-Durlach wicklung anhand der amtlichen an Württemberg kam. Beinberg gehörte auch zur Pfarrei Liebenzell, das selbst wohl einmal von Möttlingen abhängig war. Die Herrschaft hatte zwar 2 HSTAST H 127, Bd.35, 36, 37a; H 101, Bd. 1009, 1010, 1015, das Recht, in Beinberg ein eigenes 1022; A 371, Bü 6b. 3 Vermessungsamt Calw. Die Flurkarte von 1835 und das Primär- 1 WELLER S. 63 bezeichnet es als »Urbild«, »dessen Flur wohl ver- kataster liegen der Darstellung im Atlas zugrunde. diente, als Heimatdenkmal gegen jede Zerstörung geschützt zu 4 Ortsarchiv Beinberg 0842; leider fehlen auch die frühen Feuerver- werden«. Beinberg wurde schon in mehreren Atlanten abgebildet. sicherungsunterlagen. 1

4,14 HERMANN GREES / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: BEINBERG 1843

Gemeindestatistik verfolgen5, die Veränderungen des teilte Waldallmende gehörte, die den Bewohnern, wel- Siedlungsbildes mit Hilfe der Pläne von Gotthold che zu Frondiensten auf einem Herrenhof verpflichtet KNÖDLER (s. Karte 2) und Hans Peter HÄUSSER. waren, als gemeinsame Viehweide diente. Als Haupt- Die Waldhufendörfer des nordöstlichen Schwarz- momente, die für diese Entwicklung eine Rolle waldes gelten neben den Weilern mit Blockflur und den spielten, werden die Aufgabe der Villikationsverfas- Einzelhöfen seit Julius HARTMANN und Robert GRAD- sung und die zunehmende Bedeutung des Getreide- 6 MANN als typische Rodesiedlungen des jungbesiedelten anbaus, hier z.T. in der Form der Feld-Wald- oder Landes. In Baden-Württemberg ist ihr Vorkommen im Hackwaldwirtschaft, im Zusammenhang mit der wesentlichen beschränkt auf die vom Oberen Buntsand- steigenden Getreidenachfrage im Hochmittelalter stein bedeckten Randplatten im Norden und Osten des angesehen. Diese Form der Besiedlung von Wald- Nordschwarzwaldes7, wo die Böden infolge der hier gebieten, die sich offenbar bewährte, wurde nicht nur vorkommenden Röttone günstiger sind als auf dem von benachbarten Grundherren übernommen, sondern Hauptbuntsandstein weiter im Innern, aber weniger soll von hier aus auch in den Schwarzwald übertragen günstig als im altbesiedelten Muschelkalkgäu, das sich worden sein, wofür NITZ als Hauptargument der im Osten und Norden anschließt. An dem zweiten urkundliche Nachweis dient, daß Graf Adalbert von größeren Vorkommen von Waldhufensiedlungen in Calw um die Mitte des 11. Jahrhunderts Lehen des Südwestdeutschland im Odenwald hat Baden-Würt- Klosters Lorsch innehatte und Anführer des Lorscher temberg nur einen geringen Anteil im äußersten Heerbanns war. Die Grafen von Calw gelten über- Südosten. einstimmend als die wichtigsten Initiatoren für die Zur Erörterung der Entstehung und der typologi- Erschließung des nordöstlichen Schwarzwaldes durch schen Zuordnung dieser Plansiedlungsform, die ja be- Waldhufensiedlungen, die ihrerseits wieder Vorbild sonders auch bei der Besiedlung des östlichen Teils der wurden für die Siedlungsaktivität der Herren von mitteleuropäischen Mittelgebirgsschwelle im Zuge der Straubenhardt im Norden und der Nagoldgaugrafen im deutschen Ostsiedlung eine weite Verbreitung gefunden Süden. H.-J. NITZ rechnet sogar die sog. Zinken, bei hat, aber auch im Schweizer und Französischen Jura8, denen im mittleren Schwarzwald die gereihten Höfe in muß man natürlich über das vorliegende Beispiel wesentlich größerem Abstand aufeinanderfolgen, zu hinausgreifen. Als widerlegt kann die Hypothese gelten, den Waldhufensiedlungen, die sich ebenfalls am daß das Prinzip einer Verbindung von parallelen Beispiel der Grafen von Calw orientieren sollen, Hufenstreifen mit einer Reihensiedlung aus Hofstellen worin ihm aber Karl Albert HABBE mit überzeugenden auf den einzelnen Streifen aus den nordwestdeutschen Argumenten entschieden widerspricht9. Marschhufengebieten ins Mittelgebirge übertragen wor- Selbst wenn die Hypothese von der Übertragung der den sei. Heute wird allgemein eine polygenetische Ent- Waldhufensiedlungen aus dem Odenwald in den stehung solcher Reihensiedlungen angenommen. Hans- Schwarzwald viel für sich hat, so ist doch eine Jürgen NITZ vertritt mit guten Gründen die Ansicht, daß regionale Eigenentwicklung ebenfalls denkbar, da es das Entstehungs- und Ausbreitungszentrum für die ja auch in dem an den Nordschwarzwald im Osten und Waldhufensiedlungen Südwestdeutschlands der Oden- Norden angrenzenden altbesiedelten Gäuland schon wald sei. Hier im kristallinen Vorderen Odenwald hät- früh geplante Siedlungsformen gegeben haben muß10. ten sie sich aus mehr oder weniger regelmäßigen, Unbestritten aber ist, daß die hochmittelalterliche kleineren Vorformen, aus Weilern entweder mit kurzen Besiedlung des Schwarzwaldes, d.h. die Ausweitung Breitstreifenfluren oder mit hofanschließenden des Siedlungsraumes über die bis dahin weitgehend Blöcken, in den Waldmarken des Reichsklosters Lorsch stationäre Grenze des Altsiedellandes am Ostrand des seit dem 9. Jahrhundert zu den vollausgebildeten Schwarzwaldes hinaus, unter herrschaftlicher Lenkung Formen entwickelt, wie sie dann bei der Besiedlung des und im Interesse einer Ausweitung der Herrschaftsge- Buntsandsteinodenwalds im 11./12.Jahrhundert ver- biete erfolgte und daß dabei die starke Landnachfrage wendet wurden: von einem Herrenhof unabhängige im Zusammenhang mit der hochmittelalterlichen Siedlungen mit über 10 bis 20 wesentlich größeren Bevölkerungsexplosion eine entscheidende Rolle Hufen, in deren lange Hufenstreifen auch der Wald ein- spielte. Über die Art und Weise, wie diese Besiedlung bezogen war, während zu den Frühformen eine unge- im einzelnen erfolgte, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Sicher ist nur, daß an der Erschließung des Nordschwarzwaldes die Klöster, so auch das 5 Grundlagen einer württembergischen Gemeindestatistik. Württ. Kloster Hirsau, in weit geringerem Maße beteiligt Jb. f. Statistik u. Landeskde. Erg.bd.2. Stuttgart 1898. waren, als man ihnen früher zugeschrieben hat und als 6 HARTMANN, 1893, S. 3-16; GRADMANN, 1910, S. 183-186, es bei der 246-249. 7 S. Karte 4,16 in ds. Atlas; weitere, z.T. etwas voneinander abweichende Verbreitungskarten s. bei R. GRADMANN, 1914; 9 Vgl. auch K.A. HABBE, im Beiwort zur Karte 1,8 in diesem Atlas DERS., Süddeutschland 2, 1931, Abb.27, S.77; G.KNÖDLER, 1928, sowie ferner in diesem Beiwort zum Beispiel Wildtal. Abb. 7. 10 S. z.B. SCHÖMMEL, bes. K. 1. 8 S. dazu K.H.SCHRÖDER U. G.SCHWARZ, 1978, S. 60ff. 2

HERMANN GREES / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: BEINBERG 1843 4,14

Erschließung des Odenwalds durch die Klöster Lorsch zenhardter Hof, Spindlershof, Agenbach und Altburg und Amorbach nachweislich der Fall war11. z.T.)16. Diese Bezirke, die meist durch natürliche Für Robert GRADMANN bilden die Waldhufendörfer Leitlinien voneinander abgegrenzt wurden, lassen sich des Schwarzwalds »nicht bloß räumlich, auch zeitlich später oft als Kirchensprengel und Herrschafts- eine einheitliche Gruppe« ... »Ihre Gründung erfolgte komplexe identifizieren. In unserem Falle handelt es wohl durchweg im Lauf des 11. und zum Teil noch sich um die Filialen der Liebenzeller Kirche und die des 12.Jahrhunderts...«, und sie »waren im Augenblick Herrschaft Liebenzell, die zwischen Kollbachtal und ihrer Entstehung ohne Zweifel die äußersten Vorpos- Reichenbachtal liegen17. Nach dem Urbar von 1566 ten der Kultur in einem bisher unbewohnten Waldge- zählten dazu 15 Ortschaften, von denen Beinberg 12 biet« . Wenn diese Feststellung GRADMANNS wie neben Schömberg und Bieselsberg zu den größten auch die entscheidende Rolle, die er den Grafen von gehörte, nach dem Steuerbuch von 1628 war Beinberg Calw für die Gründung dieser Waldhufensiedlungen aber gleichzeitig mit einer Ausnahme (Ernstmühl) im zuschreibt, im großen und ganzen auch heute noch Verhältnis zur Zahl der Haushaltungen auch die gilt, so hat sie doch inzwischen einige Modifikationen ärmste. erfahren, nachdem sie zunächst in regionalen sied- lungsgeographischen Untersuchungen vor allem von 13 Gotthilf KNÖDLER (1925-30) und Friedrich PFROM- Tabelle 1 MER (1929) wie auch in systematischen Unter- suchungen (Karl Heinz SCHRÖDER 1941) im wesentlichen bestätigt und konkretisiert worden waren. Friedrich LUTZ (vor 1936, veröffentlicht 1938) weist vor allem auf Ansatzpunkte der Besiedlung be- reits aus der Karolingerzeit hin (Hirsau, Altburg, Kentheim) sowie auf Altwege in den Schwarzwald hinein und geht davon aus, daß mindestens die Rand- bereiche des Schwarzwaldes bereits damals als Hardt- wälder für die Weide von den Dörfern im Vorland aus genossenschaftlich genutzt wurden, was eine frühe Besiedlung erleichterte. Noch bevor der Streit um die Königsurkunde von 1075, in der die Schenkungen Erlafrieds von 830 an das wiedergegründete Kloster Hirsau aufgeführt sind, endgültig im Sinne der Echtheit dieser Urkunde entschieden war14, nahm er an, daß die -hardt-Orte Lützenhardt und das abgegangene Nagalthart bei Hirsau sowie Lützenhardt und Sommenhardt südlich Calw im Westen des Nagoldtals damals bereits bestanden, und zwar wohl als Weiler (villulae), vermutlich mit Blockflur. Sommenhardt wird zwar z.T. auch zu den Waldhufensiedlungen gerechnet, doch dürfte es sich bei seiner nicht sehr deutlich aus- geprägten Form um das Ergebnis einer nachträglichen Überprägung handeln. Außer den zeitlichen Etappen versucht F. LUTZ bei der Siedlungsausweitung in den Schwarzwald hinein auch einzelne räumlich von- Von Kollbach gehörten nur die auf der nördlichen einander abgegrenzte Vorstöße, für deren Bereiche Talseite (der »markgräflichen Seite«) liegenden z.T. die Bezeichnung »Waldgang« überliefert ist15, zu Häuser dazu, d.h. das spätere Unterkollbach. Als Aus- unterscheiden. Als Name für einen solchen gangspunkt für die erste Etappe ist Möttlingen Siedlungsabschnitt ist z.B. der Reichenbacher Wald- anzusehen, das wahrscheinlich die Mutterkirche für gang überliefert (mit Oberreichenbach, Oberkollbach, die Liebenzeller Kirche war. Das für das ausgehende Eberspiel, Lüt- 12.Jahrhundert

11 NITZ, 1962; DERS., 1963; W. MATZAT, Mark und Binnenkolonisa- tion im Bereich der Abtei Amorbach im östlichen Odenwald. In: 16 S. GREINER: Der Reichenbacher Waldgang. Calwer Zeitung v. Ber. z. dt. Landeskde. 49, 1975, S. 39-48. 28.9.1955. 12 R.GRADMANN, 1914, S. 108. 17 S. Anm. 1 und Tabelle 1. Die 15 Ortschaften bildeten bis 1824 die 13 Auch in: G. WAGNER, Nagolder Heimatbuch, 1925. S. 97-171. sog. Liebenzeller Corporation. Güterbuch Beinberg 1857. Ortsarchiv 14 TH.MAYER, 1950, S.50-112, jetzt auch: Karl SCHMID, 1959, und Beinberg 0842/1, S. XII. Hermann JACOBS, 1961. 15 LUTZ S. 156; zum Neuenbürger Waldgang s. REILE S.8ff. 3

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genannte Cella (im 13. Jahrhundert libuncella u.ä.) hat im Verlauf von rund hundert Jahren das Urwaldgebiet seinen Namen von einem kleinen Kloster, dessen Ent- erschlossen und mit Waldhufendörfern durchsetzt stehung wohl wie im Falle Hirsaus in die Karolingerzeit (etwa 1050-1150). «22 zurückreichen dürfte. Daneben wurde, sicher von den Daß es sich dabei um ein herrschaftlich gelenktes Calwer Grafen, die neue Pfarrei eingerichtet sowie in Unternehmen handelte, steht außer Zweifel, wobei der Nähe eine Burg mit Burgsiedlung erbaut (oppidum man heute freilich nicht mehr davon ausgehen kann, Zell), von wo aus seit dem 11. Jahrhundert die Besied- daß das ganze Rodungsgebiet des nördlichen lung des im Westen gelegenen Teils der -- Schwarzwaldes zum Einflußbereich der Calwer Platte mit Waldhufensiedlungen gelenkt wurde. Ähn- Grafen gehörte.23 Daß die unterschiedlichen Formen liche Zusammenhänge lassen sich auch für andere Teile der Rodungssiedlungen in vergleichbaren Gebieten des Nordschwarzwalds feststellen, so für – auf herrschaftlichen Einfluß zurückgehen, und nicht Calw oder für Brötzingen – Neuenbürg. etwa nur auf spätere Auflösungserscheinungen im Durch Heranziehung weiterer Indizien kommt S. Zusammenhang mit fortschreitenden Teilungen24 oder GREINER zu dem Ergebnis, daß die -hardt-Orte am Ost- auf naturräumliche Unterschiede, ist ebenso un- 25 rand der Enz-Nagold-Platte, für die sich z.T. noch Brühl zweifelhaft, wie die Karte von F. SCHOLZ 1968 und Breite feststellen lassen, auf die Gründung herr- zeigt, z.B. auf dem Oberen Buntsandstein langstrei- schaftlicher Höfe in der Karolingerzeit zurückgehen fige Plangewannfluren im Rodegebiet der Grafen von müssen. Noch etwas älter dürften die -bronn-Orte sein, Eberstein, Kurzhufenfluren in dem der Edelfreien von die sich ostwärts der -hardt-Orte über dem Nagoldtal Straubenhardt und Langhufenfluren = Waldhufenflu- aufreihen. Wenn sich trotzdem bei solchen aus der ren i. e. S. im Einflußbereich der Grafen von Calw. Im Karolingerzeit stammenden Orten zum Teil Formen von ganzen zeigt sich offenbar eine größere Vielfalt der Waldhufensiedlungen feststellen lassen (z. B. in Otten- Formen, die sich nicht so eindeutig in ein Entwick- bronn oder in Unterlengenhardt), dann ist das nur so zu lungsschema einfügen lassen, wie dies H.-J. NITZ für erklären, daß diese Waldhufenformen das Ergebnis die Erschließung des Odenwaldes möglich war. Dies einer späteren Überprägung und Erweiterung sind, die mag neben der Anpassung an die Gegebenheiten des am Anfang der hochmittelalterlichen Rodungskolonisa- Geländes auch damit zusammenhängen, daß die tion durch die Anlage von Waldhufensiedlungen stehen. Durchführung des Rodungswerkes schon früh in die Und in der Tat gibt es eine ganze Anzahl von Wald- Hände von Lehensleuten und Ministerialen der gräf- hufensiedlungen, bei denen sich Hinweise auf ältere lichen Initiatoren gelegt wurde. So lassen sich z.B. Einzelhof- oder Weilersiedlungen finden, an die sich erste Schenkungen aus Waldhufensiedlungen an das die Waldhufenformen anschließen, so das abgegangene Kloster Hirsau durch calwische Ministerialen seit dem Steinenbronn bei Speßhardt und Sommenhardt sowie Anfang des 12. Jahrhunderts feststellen26. Zu der ge- rechts der Nagold, wo der Buntsandstein über das Tal nannten Formenvielfalt der Waldhufensiedlungen hinübergreift, Ottenbronn, Hohenwart und Schell- kommt die sehr unterschiedliche Größe (s. Tabelle 1) 18 bronn . SCHOLZ nennt als weitere Beispiele sowie die Tatsache, daß der Wald nur teilweise in die Aichhalden/Oberweiler, /Hofstett sowie Hufenstreifen einbezogen ist und daß die Gemeinden Agenbach19. Auch bei dem bei der Waldhufensiedlung teils über eine eigene Allmende verfügen, teils nur Würzbach abgegangenen Oberwürzbach20 könnte man Weide- und Holznutzungsrechte in den herrschaft- an eine solche Vorgängersiedlung denken; wie sich lichen Wäldern genießen. Im übrigen sind auch die zeigen wird, liefern Beinberg und vielleicht auch das Lehen27 oder Frönden28 in den verschiedenen Sied- benachbarte Maisenbach weitere Beispiele. Daraus lungen von sehr unterschiedlicher Größe. Im ganzen ergibt sich, daß mindestens ein Teil der Waldhufen- sind es, ähnlich wie die durch Aufteilung oder siedlungen keine völligen Neugründungen mitten im sonstwie sekundär entstandenen »Lehen« i.e.S. im Urwald waren, sondern daß man sich bei ihrer Altsiedelland, ziemlich kleine Einheiten. Besonders Gründung an bereits vorhandene Höfe oder Weiler an- wegen lehnte, mindestens anfangs. Einige der alten Höfe 22 GREINER S. 52. blieben auch als solche erhalten (z.B. Lützenhardt bei 23 SCHÄFER, 1964, S. 88ff. Hirsau, villula Altpuren = Spindlershof und Nagalthart 21 24 SCHRÖDER, 1941, S. 12 u. NEUGEBAUER-PFROMMER K.26, S. 104. =Alzenberger Hof bei Calw . Man wird GREINER auch Damit soll natürlich nicht bezweifelt werden, daß im Norden des rechtgeben können, wenn er die Entstehung der Wald- Verbreitungsgebietes sehr viel früher und stärker geteilt wurde als hufensiedlungen etwas früher als GRADMANN ansetzt: weiter im Süden. S. das Beispiel Waldrennach bei NEUGEBAUER- »Ein vom Heckengäu aus nach Westen fortschreitender PFROMMER S. 68ff. Rodungs- und Besiedlungsvorgang hat 25 SCHOLZ, 1968, Abb. 2-4, 6. 26 GREINER S. 53. 27 In den Lagerbüchern werden seit dem Spätmittelalter die Besitz- 18 GREINER S.46ff. u. S.54. einheiten nicht als Hufen, sondern als Lehen bezeichnet. 19 SCHOLZ, 1975, S.57. 28 Frönden oder gefröndte Güter heißen die Besitzeinheiten im Norden 20 NEUGEBAUER-PFROMMER, S. 20. des Verbreitungsgebietes. Definition s. bei W. HOFMANN, Adel 21 GREINER S.46, 48 u. 54. und Landesherren im nördlichen Schwarzwald (Darst. a. d. württ. Gesch. 40) S. 94. 4

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Karte 1: Beinberg (Ausschnitt aus Topograph. Karte 1:50000, Blatt L 7318) der relativ extensiven Nutzung in der Form der Feld- Gefälle von der Markungsgrenze gegen Maisenbach graswirtschaft, zu der die weniger günstigen Bunt- im Nordwesten bis etwa zur Hangkante des Kohlbach- sandsteinböden zwingen wie auch die klimatischen tals (heute Kollbach) im Südosten. Der Waldanteil der Verhältnisse auf der Enz-Nagold-Platte in einer Höhe, Streifen im Nordosten machte 1843 etwa ein Viertel die von Süden nach Norden und von Westen nach bis die Hälfte aus, heute bedeckt er durchweg knapp Osten von annähernd 800 m auf unter 600 m abnimmt, die Hälfte der Streifen (s. Karte 1). Die Ackerstreifen reichen diese Lehen nur knapp zum Unterhalt einer sind verschieden weit in den Wald hinein gerodet Familie aus. Auch darin zeigt sich, daß sie in einer worden, was ja als ein besonderes Merkmal der Wald- Zeit erhöhter Landnachfrage entstanden sein müssen. hufenflur gilt, zum Teil sind sie auch durch Wald- Damit ist ungefähr der Rahmen umschrieben, in den streifen unterbrochen. Ein gewisser Zusammenhang nun das Beispiel Beinberg eingefügt werden soll. zwischen der Größe der gerodeten Anteile im Nord- Diese Waldhufensiedlung gehört unter den möglichen westen der Ortsstraße und der Anteile der Lehen an Formtypen29 zum Typ der Ein-Reihensiedlung mit der Fläche zwischen der Straße und dem Kollbachtal durchgehenden hofanschließenden Streifen. Die Ge- im Sinne eines umgekehrten Verhältnisses könnte höfte der Lehen reihen sich an einer wohl eigens für bestehen. Der Flurname Hardt könnte außerdem die die Siedlungsgründung angelegten Straße auf, die auf Vermutung nahelegen, daß das Gebiet südlich der dem nach Südosten geneigten Riedel zwischen dem Ortsstraße zunächst als Weide genutzt und erst in einer Kollbachtal im Süden, dem Nagoldtal im Osten und späteren Phase der Siedlungsentwicklung gerodet dem Lengenbachtal im Norden ziemlich weit nach wurde. Daß der Wald im Nordwesten der Gemarkung Südosten gerückt ist. Die etwa parallelen Lehen- ursprünglich nicht den einzelnen Lehen zugeteilt und streifen sind 50-60 m breit und folgen mit einer Länge vielleicht sogar Allmendland war, ist unwahrschein- von 1500-2500 m etwa dem lich. Dagegen spricht auch die Bezeichnung Haus- wald, die dem Flurnamen Hausäcker entspricht.

29 Zur Typologie s. KRÜGER Beil. 4, u. W. KREISEL, Zum Problem der Nur wenig Dauergrünland gibt es auf der schmalen Waldhufen-Siedlungen am Beispiel des Schweizer Juras. In: Geogr. Talsohle des Kollbachtals, in einer flachen, nach Helvetica 29, 1974, S. l00ff. 5

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Nordosten ziehenden Talmulde innerhalb der west- Tabelle 2 lichen Hälfte der Streifen ungefähr in der Mitte Ungefähre Zuordnung der Lehen zu den Hausnum- zwischen der Ortsstraße und dem etwa parallel dazu 1 verlaufenden Weg im Nordwesten, auf einer vernäßten mern von 1843 Stelle jenseits dieses Weges (Flurname Rohr) sowie Hausformen und Besitzfläche (einschließlich Wald) vereinzelt zwischen dem Acker- und dem Waldanteil der Streifen. Die Wiesen im Kollbachtal gehören nicht unmittelbar zu den Lehen, sondern werden von den Inhabern als einzeln verliehene oder als eigene Grundstücke bewirtschaftet. Abgesehen von der Seite, auf der im Westen und Nordwesten die Nachbargemarkung Maisenbach an- grenzt, ist die ganze Beinberger Gemarkung von herr- schaftlichem Wald umgeben, d.h. für 1843 von würt- tembergischem Staatswald. Die der Gemeinde in diesen Wäldern zustehenden Weiderechte wurden 1850 abge- löst, das Recht der Streu- und Brennholznutzung be- stand zunächst weiter, wie der Vertrag von 1851 zeigt30. Ein erster Blick auf die Flurkarte von 1835 und auch noch ein modernes Luftbild vermitteln den Eindruck, als habe sich in dieser Siedlung seit ihrer Anlage wenig verändert, wenn man einmal von der Aufteilung einiger Hufenstreifen absieht, die erst seit dem Anfang des 19.Jahrhunderts erfolgte, sowohl in Längs- als auch in Querrichtung. In der Regel treten die alten Hufenstrei- fen noch deutlich in Erscheinung, besonders durch die mit Hecken und auch mit einzelnen Bäumen bestande- nen Grenzraine und -wälle, die vor allem aus Lesestei- nen bestehen dürften, und durch die Wege, von denen sie z.T. begleitet werden. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest, daß die Besitzparzellengrenzen nicht immer mit den alten Grenzrainen zusammen- fallen, die ebenfalls Streifen von unterschiedlicher Breite voneinander trennen, und auch die Gehöfte verteilen sich nicht so gleichmäßig auf die Streifen, wie man es eigentlich erwarten sollte. Dazu kommt eine deutliche Abweichung von der Streifengliederung am Westende der Siedlung bei Nr. 33 (s. Tabelle 2) sowie eine kleine Tagelöhner- und Handwerkerkolonie am östlichen Ende. Es muß also auch hier seit der Sied- lungsgründung zu Veränderungen gekommen sein, die sich anhand der überlieferten Quellen einigermaßen dem ein Fastnachthuhn von jedem Haus. Auf- und Ab- verfolgen lassen. fahrtsgebühren werden wie in den anderen Waldhu- Das erste, noch ziemlich undeutliche Bild von dieser fensiedlungen, auch solchen mit Frönden, nicht Siedlung vermittelt uns das markgräflich-badische erhoben – im Unterschied zu den bäuerlichen Lehen- Zinsbuch von 147831, das auch Rückschlüsse auf die gütern des Altsiedellandes –, worin man wohl ein Siedlungsgründung erlaubt. Das dorfflin ist gantz der Entgegenkommen den Rodesiedlern gegenüber sehen herrschafft und besteht aus 24 Lehen, die auch in den muß. Die Leibeigenschaftsabgaben sind folgender- späteren Urbaren immer wieder genannt werden. Rein maßen geregelt: Welcher da stirbet, der der herschafft rechnerisch sind die jährlichen Abgaben an die Herr- ist, der gyt ein houptrecht, und der nit der herschafft schaft gleichmäßig auf diese Lehen verteilt: 18 Pfund d, ist, der gyt ein houptrecht sinem herrn, des er ist, und also je 15 Schilling, 48 Hühner und 72 Käse, dazu davon geet das drittail widder an die burge von kommt eine Hafergült von insgesamt 17 Malter 2 Liebenzell. Außerdem erhält die Herrschaft die Ab- Simmeri, die sich nicht ohne weiteres entsprechend gaben für Frevel und Einungen sowie den Tehemen, aufteilen läßt, außer- eine Abgabe für die Eichelmast der Schweine im herrschaftlichen Wald. 30 Güterbuch 1857, Ortsarchiv Beinberg 0842/1, S.XXII. 31 HSTAST H 127, Bd. 35, fol. 18-20.

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Diese klaren Regelungen gehen ziemlich sicher bis dazugekommen, frühestens im 18. Jahrhundert, wie in die Gründungszeit zurück, werden auch beim Über- sich nachweisen läßt. An der Fortsetzung des Streifens gang an Württemberg 1603 übernommen und gelten im Süden der Ortsstraße hat die Gemeinde keinen im Prinzip bis zur Ablösung im 19.Jh., abgesehen von Anteil. Es fällt auf, daß die Gemeinde für den Herd- einer Umrechnung in württembergische Maßeinheiten weg die vollen Abgaben für ein Lehen entrichtet, ob- und z.T. von einem Ersatz der Natural- in Geldab- wohl er nur als Viertellehen gilt, allerdings nur 1478, gaben. Daraus läßt sich auf eine ursprüngliche Anlage später, 1506 und 1520, ist allgemein von einem Lehen mit 24 gleich großen und gleichwertigen Lehen die Rede, 1566, 1606 und 1757 heißt es: so vor alters schließen. Bereits 1478 lassen sich aber deutliche Ab- ein Lehen gewest ist. Ob das benachbarte halbe Lehen weichungen in der Aufteilung der jährlichen Abgaben (Nr. 18 + 19), das sich ebenfalls seit 1478 nachweisen auf die Lehen feststellen, auch wenn die Gesamt- läßt, und vielleicht noch der südlich anschließende summe gleichgeblieben ist. Die Standardabgaben, die Streifen, der 1843 wie die beiden Streifen rechts davon sich bei 14 Lehen finden, betragen je Lehen außer dem zu Nr. 16 gehört, den Rest des einstigen ganzen Le- Geldzins 2 Hühner, 4 Käse und 5 Simri Hafer; in 5 hens ausmachen, ist ungewiß, denn im Westen des Fällen fehlt die Käseabgabe, dafür ist die Hafergült halben Lehens schließt sich, auch schon 1478, ein höher, in den anderen Fällen ergeben sich relativ Güterkomplex von 1 1/2 Lehen an. geringfügige Abweichungen vom Standardsatz. Dabei Übrigens gab es in Beinberg, das ja zur Pfarrei Lie- handelt es sich durchweg um geteilte und zusammen- benzell gehörte, auch einmal eine Kapelle. Sie stand gelegte Lehen, wobei die Zusammenlegungen über- am Anfang des Herdwegs auf einem Platz, von dem wiegen; 1478 gibt es nämlich nur noch 17 Stellenin- der Inhaber des zu Nr. 16 gehörigen Lehens einen Zins haber in Beinberg, die im geringsten Fall ein halbes, an die geistliche Verwaltung Liebenzell entrichten im höchsten Fall drei Lehen bewirtschaften (s. Tabelle mußte (1757: ...darauf vor Jahren ein Cappelin ge- 3). Die Größe der einzelnen Lehen schwankt nach den standen). Nach dem Zinsbuch von 1478 sind folgende Angaben des Urbars von 1566 zwischen 10 und 14 Einheiten in bäuerlicher Hand: 1 halbes Lehen, 2 Ein- Jauchert einschließlich des Waldes, wobei man nicht heiten aus 1 1/2 Lehen, 2 Einheiten aus 1 3/4 Lehen, 8 von einer Flächengleichheit, sondern eher von einer einfache, 3 Doppel- und ein Dreifachlehen, insgesamt Gleichheit der Ertragsmöglichkeiten ausgehen muß. (ohne den Herdweg) 24 Lehen, 1506 und 1520 sind es Nach der vor der Anlage des Urbars von 1757 mit dem Herdweg 24 Lehen, die genannt werden, in offenbar vorgenommenen Vermessung liegen z. B. die ähnlicher, aber nicht gleicher Verteilung auf 18 Äquivalente für eine Größe von 12 Jauchert etwa bäuerliche Inhaber, wie die folgende Tabelle zeigt. zwischen 29 und 39 Morgen. Aus allen Größenan- 1506 kommt noch eine Ölmühle am Kollbach hinzu gaben dieses Urbars ergibt sich eine mittlere Größe für (Der Müller in der Kolbach gyt jerlich 5 ß d Zinß von 1 Jauchert von 2,6 Morgen oder 0,82 ha. Bei der Ver- siner ölslägen), 1520 außerdem ein Bruderhaus in wendung dieses Mittels kommt man zur mittleren deren Nähe (Die brüder in der Colbach geben jerlich Größe eines Lehens von knapp 10 ha oder einer 1 ß d usser irem gartten ob dem brüderhus an der Gesamtfläche der 24 Lehen von rund 240 ha Kolwisen gelegen). Das Bruderhaus ist bereits 1566, (einschließlich der Fläche von Nr. 33, die möglicher- die Mühle wahrscheinlich 1606, mit Sicherheit aber weise dazukommt, von 245 ha). Die gesamte Gemar- 1628 wieder abgegangen. kung umfaßte 1860 zusammen mit dem über 55 ha Zu der Anordnung der Tabelle muß noch folgendes großen Staatswald32 299 ha, so daß sich beim Ver- angemerkt werden: Die Zinsbücher von 1478, 1506 gleich eine recht gute Übereinstimmung ergibt. und 1520 sind in ihren Beschreibungen sehr knapp und Besonders interessant ist es, daß 1478 auch die enthalten außer den Abgaben nur die Namen der In- Gemeinde ein Lehen innehat: die gantz gemein des haber, nicht aber die der Nebenlieger. Nun müßte man dorffs git vom Hertwege, ist ein virtl eins lehens, 5 an sich bei einer solchen regelmäßigen Reihensiedlung simri, 2 hüner und 4 keese. Es handelt sich dabei um schon mit Hilfe der Reihenfolge der Einträge die Le- den gelben Streifen etwa in der Mitte der Siedlung, hen rekonstruieren und in den verschiedenen Quellen den die Gemeinde offenbar als Weide für die Ge- identifizieren können. Wenn dies nicht ohne weiteres meindeherde und als Triebweg zur Waldweide im möglich ist, dann hängt das damit zusammen, daß die Nordwesten an sich gebracht hat, wohl in einer Zeit miteinander verkoppelten Lehen nicht immer neben- geringer Landnachfrage, als welche ja allgemein das einander liegen und der jeweilige Inhaber nur einmal 14.Jahrhundert gilt. In den gleichen Zusammenhang genannt ist, und zwar an der Stelle, an der er wohnt. dürfte auch die Zusammenlegung von Lehen gehören. Die Lage der Lehenstreifen ohne Haus läßt sich also Auf diese Weise hat sich die Gemeinde nachträglich nicht ausmachen. Das Auftreten von Bruchteilen eine Allmende zugelegt – so wird der Herdweg später hängt, abgesehen von dem halben Lehen neben dem auch gelegentlich bezeichnet – die anfänglich sicher Herdweg, wohl damit zusammen, daß die kurzen Strei- gefehlt hat. Die große Waldfläche außerhalb des fen südlich der Ortsstraße gelegentlich getrennt von Streifens, die die Karte von 1843 zeigt, ist erst später dem übrigen Lehenstreifen, zu dem sie ursprünglich gehörten, verliehen wurden. Auf Grund dieser Verhält- 32 Nach dem Primärkataster. nisse wurde bei der Anordnung der Tabelle so vor- 7

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Tabelle 3

gegangen, daß jeweils vom Herdweg als Ausgangs- destens seit 1478, in einer Hand vereinigt sind. Dazu punkt aus die davor und danach genannten Lehenin- gehört z.B. der 1843 in drei Streifen unterteilte Parzel- haber mit ihrem ganzen Besitz in der Reihenfolge ihrer lenverband der Häuser Nr. 28, 29 und 30, innerhalb Nennung aufgeführt wurden, so daß sich im großen dessen ein alter Grenzrain wahrscheinlich schon sehr ganzen die Reihung von Westen nach Osten ergibt, früh beseitigt bzw. gar nicht angelegt wurde, oder die wobei aber nicht ausgeschlossen werden kann, daß zu durch einen Grenzrain noch unterteilte Parzelle des den verkoppelten Lehen auch Streifen gehörten, die auf Hauses Nr. 13, die aus zwei Streifen besteht. der anderen Seite des Herdweges lagen, wo sie aber Man kann diese Zusammenlegungen und die Redu- dann in der Aufzählung fehlen. zierung der Zahl der Leheninhaber als eine Folge des Seit 1566, seitdem in den Urbaren auch die Nebenlie- Nachlassens der Landnachfrage im Spätmittelalter ger genannt sind, läßt sich dies sogar belegen. So ge- deuten, man kann darin aber auch einen Hinweis da- hörte der Lehenstreifen mit dem Haus Nr. 2 sicher von rauf sehen, daß es ein starkes Bestreben der Betriebe 1566 (wahrscheinlich schon von 1506) an bis 1628 zu gab, ihre Fläche zu vergrößern, weil die ursprünglich Haus Nr. 27/28, erst 1728 erscheint er wieder mit einem zugeteilte Fläche relativ klein war. Auf jeden Fall aber eigenen Haus, in dem der Besitzer wohnt; dasselbe gilt läßt sich eine Tendenz zur zunehmenden Differen- von dem Streifen mit dem Haus Nr. 22, und der zierung der ursprünglichen sozialen Gleichrangigkeit benachbarte Streifen im Osten war noch 1843 ohne der Bewohner feststellen. Haus. Es gibt aber auch benachbarte Lehenstreifen, die schon seit langem, nachweislich seit 1566, aber wahr- scheinlich schon min-

Tabelle 4

Dies zeigt sich neben den unterschiedlichen Besitz- Häuschen auf herrschaftlichem Grund am Ostrand der größen besonders auch in den Steueranschlägen von Siedlung erbauen durften. Während des Dreißigjähri- 1628, die bei den Leheninhabern eine Spanne von 1500 gen Krieges verschwand dieser Siedlungsansatz fast bis 250 Gulden umfaßte und sogar bis 20 Gulden herun- ganz, wurde aber dann seit der ersten Hälfte des terreichte, wenn man die vier Tagelöhnerfamilien hin- 18.Jahrhunderts erneut aufgegriffen; 1757 gab es zunimmt, die sich zwischen 1615 und 1622 ein eigenes wieder 4 Tagelöhnerhäuser, womit dann die Zahl der

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Haushalte, die zur Zeit der Gründung bestanden hat- 14 Tagelöhner, 8 Handwerker (darunter 1 Schneider, ten, wieder erreicht war, 1843 gehörten zu dieser 1 Schuster und 6 Weber, wahrscheinlich im Dienste Kolonie 11 Häuschen, darunter mehrere aufgeteilte. von Calwer Verlegern), sowie 4 Ausdinger34. Die Ver- Daneben gab es noch einige weitere Handwerker- und teilung des Grundbesitzes nach dem Primärkataster Tagelöhnerhäuser, die auf den aufgeteilten Hofgrund- von 1843 zeigt eine weitere Zunahme der sozialen stücken einiger Lehen erbaut worden waren (s. Tabelle Differenzierung im landwirtschaftlichen Bereich vor 2). Eine ähnliche Entwicklung ist in fast allen Orten allem im Zusammenhang mit der Aufteilung von auf der Enz-Nagold-Platte zu beobachten33; 1857 gab Lehen, die mit ihren Anfängen noch in das aus- es in Beinberg unter den 44 eingesessenen Güterbe- gehende 18. Jahrhundert zurückreicht. sitzern 18 Bauern,

Tabelle 5

Bevor die jüngere Entwicklung Beinbergs skizziert ßende, streifenförmig aufgeteilte Wald, der aber nicht wird, die sich nun anhand der amtlichen Statistik zu den normalen Maisenbacher Lehenstreifen gehören verfolgen läßt, muß noch auf eine Besonderheit am kann, heißt Hofäckerwald. Da für die Lehen der Wald- Westrand der Siedlung eingegangen werden, die hufensiedlungen niemals die Bezeichnung Hof ver- nochmals in die Entstehungszeit zurückführt. Hier hört wendet wird, kann es sich hierbei nur um die Über- ja die für die übrige Siedlung kennzeichnende Strei- reste eines abgegangenen Hofes handeln, der älter sein fenstruktur mit den Nutzflächen des Hauses Nr. 33 dürfte als Beinberg und Maisenbach, d. h. der zu den auf, das sich seit 1566 als halbes Lehen nachweisen Einzelhöfen gehörte, die der Anlage der Waldhufen- läßt und zeitweilig im Besitz des Nachbarlehens war. siedlungen vorausgegangen sein müssen. Höchstwahrscheinlich gehört dieses halbe Lehen nicht Ganz in der Nähe, aber nicht mehr im Kartenaus- zu den ursprünglichen 24 Lehen des Dorfes, es ist schnitt, gibt es noch ein weiteres ähnliches Indiz. Das auch nicht an den Hühner- und Käsegülten beteiligt, unmittelbar benachbarte Zainen gilt als eine Tagelöh- sondern hat jährlich nur 5 Simri Hafer abzuliefern. Als ner-, Waldarbeiter- und Handwerkersiedlung, die um weitere Besonderheit kommt hinzu, daß jenseits der 1725 aus wilder Wurzel »innerhalb des staatlichen Markungsgrenze gegen Maisenbach weitab und durch Forstes« gegründet wurde35. Damit gehört es zweifel- eine große Waldfläche von dieser Ortschaft abge- los zu den zahlreichen Tagelöhnersiedlungen, die da- sondert, einige Parzellen ackerbaulich genutzt wurden mals im Nordschwarzwald entstanden und zu einer (inzwischen wurden sie aufgeforstet). Auch der In- starken haber von Nr. 33 und ein weiterer Beinberger Bauer nutzten hier zusätzlich zu ihrem Lehenbesitz ein 33 NEUGEBAUER-PFROMMER S. 105ff. weiteres Grundstück. Diese Parzellen tragen den 34 Güterbuch 1857, Ortsarchiv Beinberg 0842/1, S.XII. Flurnamen Hofäcker, der daran anschlie- 35 NEUGEBAUER-PFROMMER S. 110ff. 9

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Karte 2: Beinberg 1928 (aus KNÖDLER, Tafel II)

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HERMANN GREES / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: BEINBERG 1843 4,14

Bevölkerungsvermehrung beitrugen. Aber es entstand Die Naturalabgaben (ausschließlich Käse, Hühner, nicht im Wald, »hinter dem Zaun, der Wald und Feld Hafer; seltsamerweise fehlt der Roggen ganz, ebenso trennte«36, sondern auf einer fast 200 Morgen großen Flachs und Hanf, die jedenfalls im 19. Jh. angebaut Fläche, die nach den Angaben des Urbars von 1606 wurden) wie auch die Beschreibung der Lehen lassen landwirtschaftlich genutzt wurde, einer Egartten, die Rückschlüsse auf die Wirtschaftsweise zu. Die Urbare Zainen genantt, auf der die zu Beinberg, zugleich nennen bei den einzelnen Lehen: Garten (Gemüse- denen zu Maysenbach, Collbach und Ygelsloch Macht garten und Baumwiese), Acker (ackerbaulich genutzt), zu bauen und zu irem Vychtrieb zu brauchen haben, Feld, Wildfeld oder Mähfeld (als Grünland genutzt) und wellicher uff solcher Zainen bauett, der soll von und Wald oder Holz, in aller Regel alles aneinander. jedem Morgen zway Simmeri glatter Früchtten zu Ob im Hauswald Hackwaldbau betrieben und ge- Landacht geben37. Es handelt sich also um sogenannte weidet wurde, läßt sich aus den Quellen nicht erken- Landachtäcker, eine Form der Überlassung von herr- nen. Nach dem Ergebnis der Landesvermessung gab schaftlichen Grundstücken zur Bewirtschaftung, wie es um 1840 in Beinberg 103 ha gebaute und 17 ha sie auch sonst bei Wüstungsfluren häufig zu beo- ungebaute Wechselfelder sowie 9 ha zweimähdige bachten ist38. Ob das Areal der Zaine zu dem Komplex Wiesen. Der Wechsel zwischen Acker- und Grünland- der Hofäcker gehört oder der Überrest eines zweiten nutzung war nicht streng geregelt, i. a. folgten aber auf abgegangenen Hofes ist, kann vorerst nicht entschie- eine siebenjährige Nutzung als Baufeld (Roggen, den werden, jedenfalls ist kaum anzunehmen, daß es Hafer, etwas Dinkel und Weizen, Kartoffel, Flachs sich dabei um ein ursprünglich zum Zweck der Nut- und Hanf, Kraut, Rüben und Kohlraben, Erbsen, zung durch Angehörige von vier Gemeinden gerodetes Wicken und Rotklee) vier Jahre Graslandnutzung. Stück Land handelt. Im übrigen haben sich die Bauern Auch darin erweist sich die starke viehwirtschaftliche von Beinberg auch sonst um die Bewirtschaftung aus- Orientierung wie auch die weitgehende Beschränkung märkischer Grundstücke bemüht, wie z.B. das Steu- auf anspruchslosere Getreidearten, was mit gewissen erbuch von 1628 zeigt, vor allem um Wiesen, die auf Modifikationen bis heute gilt. Inzwischen sind verhält- der eigenen Markung knapp waren und beim Steuer- nismäßig große Flächen aufgeforstet worden, und anschlag hoch bewertet wurden. zwar Die Quellen für Beinberg bestätigen, was U.NEUGE- BAUER-PFROMMER bereits 1969 gerade für die Sied- lungen der Enz-Nagold-Platte festgestellt hat. Zu den Tabelle 61 Lehen der Waldhufensiedlungen gehören ursprünglich Gehöfte, die aus gestelzten Wohnstallgebäuden (Stall im Erdgeschoß, darüber Wohngeschoß) und gesondert stehenden Scheuern bestehen. Das Einhaus, das alle drei Funktionen unter einem Dach vereinigt, kommt erst später auf. Im Urbar von 1566, das erstmals die Erfassung der Hausformen erlaubt, ist als Ausnahme in zwei Fällen ein Haus und Scheuren unter einem Tach genannt (Nr. 28/29, 32), wobei es Hinweise da- rauf gibt, daß hier Anwesen, die vor längerer Zeit ab- gegangen waren, wieder neu errichtet wurden. Diese beiden Einhäuser erscheinen 1606 wieder, 1628 nur noch eines (Nr. 32), vom anderen steht allein die Scheuer, das Lehen gehört zu Nr. 26/27; 1747 wird der Neubau eines Einhauses für dieses Lehen angegeben. Ferner hat ein inzwischen gesondert verliehener Lehenstreifen ebenfalls ein Einhaus erhalten (Nr. 3). Das Einhaus ist also die jüngere und sicher auch billi- gere Hausform. Selbstverständlich sind auch alle Ta- gelöhner- und Handwerkerhäuser Klein-Einhäuser, und auch die im Zusammenhang mit Teilungen ent- standenen Neubauten haben in der Regel keine beson- deren Scheuern. Trotzdem überwiegt noch 1843 bei den Bauernhäusern eindeutig das Gehöft, das z.T. noch mit weiteren Nebengebäuden (Schweinestall, Holzhütte, Backhaus, Wagenhaus, Kellerhütte, Bienenstand) versehen ist (Primärkataster 1843). 36 SCHOLZ, 1969, S. 313. 37 HSTAST H 101, Bd. 1010, fol.800. 38 GREES S. 62. 11

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schon vor 1930, wie die Karte von G.KNÖDLER zeigt. Literatur: Daß es danach zu einer starken Ausdehnung des Dauer- grünlandes kam, wie sich auf der heutigen Topographi- schen Karte 1:25 000 erkennen läßt, bedeutet eine wei- Beschreibung des Oberamts Neuenbürg. Hg. v. d. Kgl. Statistisch- tere Extensivierung der Bodennutzung und hängt natür- topographischen Bureau. 1860. lich auch aufs engste mit der wirtschaftlichen und GRADMANN, R.: Die ländlichen Siedlungsformen Württembergs. In: sozialen Entwicklung Beinbergs zusammen, die sich in Petermanns Mitteilungen 51 (1910) S. 183-186, 246-249. der Bevölkerungsentwicklung spiegelt. Die Teilung von DERS.: Siedlungsgeographie des Königreichs Württemberg. 1914. landwirtschaftlichen Betrieben ging auch nach der DERS.: Süddeutschland. Bd. 2. 1931. Mitte des 19.Jh. noch weiter, aber nicht mehr mit der GREES, H.: Die Auswirkungen von Wüstungsvorgängen auf die über- gleichen Häufigkeit, dasselbe gilt von der Entstehung dauernden Siedlungen. In: Beiträge zur Genese der Siedlungs- und nichtbäuerlicher Stellen (s. Tabellen 4 und 5). Agrarlandschaft. In: Geographische Zs. Beiheft. 1968. Die Landwirtschaft wurde in zunehmendem Maße GREINER, S.: Beiträge zur Geschichte der Grafen von Calw. In: Zeit- schrift für württ. Landesgeschichte 25 (1966) S.35-58. zum Nebenerwerb, in jüngster Zeit wurde sie von vielen HABBE, K.A.: Die Waldhufensiedlungen in den Gebirgen Südwest- ganz aufgegeben. Von den landwirtschaftlichen Betrie- deutschlands als Probleme der systematischen Siedlungsgeographie. ben, die bis 1970 verblieben waren (24 mit mindestens In: Berichte zur dt. Landeskunde 37, 1966. 1 ha Betriebsfläche), wurden nur noch 5 hauptberuflich DERS.: Beiwort zur Karte 1,8, in: Histor. Atlas von Baden-Württem- geführt39. Die Einwohnerzahl pendelte sich im Laufe berg. des 19. Jahrhunderts auf etwa 250 ein, wuchs bis zum HÄUSSER, H.P.: Die wirtschafts- und siedlungsgeographische Ent- Ersten Weltkrieg auf etwa 270 an, erreichte 1939 mit wicklung von Beinberg seit 1950 (Geograph. Examensarbeit) 231 einen Tiefpunkt und wuchs dann nach dem Zweiten Masch. 1974. 40 HARTMANN, J.: Über die Besiedlung des württembergischen Schwarz- Weltkrieg erneut bis 289 (1970) . Mit dieser Entwick- waldes, insbesondere des oberen Murgtals. In: Württembergische lung war bei einem starken Geburtenüberschuß eine Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, 1893, S.3-16. entsprechende Abwanderung verbunden (Wande- JAKOBS, H.: Die Hirsauer. Ihre Ausbreitung und Rechtsstellung im rungsverlust z.B. 1895-1905: 31, 1933-1939: 40, 1961- Zeitalter des Investiturstreits. 1961. 1970: 3 Personen). Wer im Dorf verblieb und auf einen KNÖDLER, G.: Die Besiedlung des nordöstlichen Schwarzwalds. In: außerlandwirtschaftlichen Erwerb oder Zuerwerb ange- Verh. u. Wiss. Abh. d. 22. dt. Geographentages zu . 1928. wiesen war, konnte diesen schon im 18.Jh. infolge der DERS.: Wirtschafts- und Sozialgeographie des nordöstlichen Schwarz- zunehmenden Bedeutung der Forstwirtschaft als Wald- waldes und der angrenzenden Gäulandschaften (Erdgeschichtl. und arbeiter finden oder im Hausgewerbe vor allem als We- landeskdl. Abh. aus Schwaben und Franken 11) 1930. KREISEL, W.: Siedlungsgeographische Untersuchungen zur Genese der ber, erst sehr viel später als Pendler in der sich im Na- Waldhufensiedlungen im Schweizer und Französischen Jura goldtal entwickelnden Industrie (1910:20, 1925:45, (Aachener Geographische Arbeiten 5) 1972. 1933:30 bei 17 Arbeitslosen, 1950:38, 1961:88, 1970:96 KRÜGER, R.: Typologie des Waldhufendorfes nach Einzelformen und gewerbliche Auspendler). deren Verbreitungsmustern (Göttinger geographische Abhand- Dem Fremdenverkehr, der auf der Enz-Nagold-Platte lungen 42) 1967. Fuß faßte, hat sich Beinberg erst relativ spät zugewandt, LUTZ, FR.: Beiträge zur Besiedlungsgeschichte des nördl. Schwarz- doch ist es heute ein prädikatisierter Erholungsort inner- waldes. In: Jb. für Statistik und Landeskunde 1936/37 (1938) S. halb der Gemeinde Bad Liebenzell. So wurde auch 151-165. Beinberg von dem allgemeinen Wandel der ländlichen NEUGEBAUER-PFROMMER, U.L.: Die Siedlungsformen im nordöstli- chen Schwarzwald und ihr Wandel seit dem 17.Jh. (Tübinger Orte des Nordschwarzwaldes erfaßt. Geblieben aber ist Geographische Studien 30) 1969. der eigenartige Reiz des Reihendorfes mit seinen zu NITZ, H.-J.: Die ländlichen Siedlungsformen des Odenwalds (Heidel- einem guten Teil noch erhaltenen Gehöften und seiner berger Geographische Arbeiten 7) 1962. Waldhufenflur, deren Besitzparzellen zwar vielfach DERS.: Entwicklung und Ausbreitung planmäßiger Siedlungsformen bei zerstückelt sind, deren Bild aber durch die alten der mittelalterlichen Erschließung des Odenwaldes, des nördlichen Grenzraine und Wege noch deutlich in Erscheinung tritt Schwarzwaldes und der badischen Hardtebene. In: Heidelberg und und die Gäste des Ortes auf dessen Herkunft hinweist. die Rhein-Neckar-Lande. FS. z. 34. Dt. Geographentag Heidelberg. 1963. S.210-236. PFROMMER, FR.: Der nördliche Schwarzwald (Bad. geograph. Abh. 3) 1929. REILE, A.: Die Frühgeschichte von Burg, Stadt und Amt Neuenbürg. In: Zeitschrift für Württembergische Landesgeschichte 14 (1955) S.8ff. SCHÄFER, A.: Waren die Grafen von Eberstein die Gründer der Stadt Neuenbürg an der Enz oder der ehemaligen Stadt Neuburg am 39 Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft, Weinbau und Forsten Rhein. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 112 (1964) Baden-Württemberg, Agrarstrukturelle Rahmenplanung, S.81-95. Strukturkarten. 1972. Karte 6.3. 40 Diese und die folgenden Zahlen nach der amtlichen Gemeindesta- tistik.

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HERMANN GREES / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: BEINBERG 1843 4,14

DERS.: Staufische Reichslandpolitik und hochadlige Herrschaftsbil- DERS.: Die Schwarzwald-Randplatten (Forschungen zur dt. Landes- dung im Uf- und Pfinzgau und im Nordwest-Schwarzwald vom kunde 188) 1971. 11.-13.Jh. (Oberrheinische Studien 1) S. 179-244. DERS.: Die Tagelöhnersiedlungen des 18.Jahrhunderts im Nord- SCHMID, K.: Kloster Hirsau und seine Stifter (Forschungen zur ober- schwarzwald und ihr Strukturwandel bis zur Gegenwart. In: Ber. rheinischen Landeskunde 9) 1959. z. dt. Landeskunde 42 (1969). SCHNEIDER, E. (Hg.): Codex Hirsaugiensis (Württ. Geschichtsquel- DERS.: Die hochmittelalterliche Besiedlung und die Anfänge der Ter- len 1) 1887. ritorienbildung im nördlichen Schwarzwald. In: Ber. z. dt. Lan- SCHÖMMEL, H.-R.: Straßendörfer im Neckarland (Tübinger geogra- deskde. 49 (1975) S.49-61. phische Studien 63) 1975. SCHRÖDER, K.H.: Die Flurformen in Württemberg und Hohenzol- SCHREINER, K.: Hirsau. In: Die Benediktinerklöster in Baden-Würt- lern. Diss. Tübingen 1941. temberg (Germania Benedictina 5) 1975. S.221-303. SCHRÖDER, K.H. und SCHWARZ, G.: Die ländlichen Siedlungsformen SCHOLZ, FR.: Die Besiedlung und die Flurformen am Nordrand des in Mitteleuropa (Forschungen zur dt. Landeskunde 175) 1969. Schwarzwalds. In: Zeitschrift für die Geschichte des Ober- 2. Aufl. 1978. rheins 116 (1968) S.407-418. WELLER, K.: Besiedlungsgeschichte Württembergs Bd.3. 1938.

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HUGO OTT / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: GALLENWEILER 1783 4,14

Gallenweiler 1783 Weiler mit Block- und Streifenflur (Südliche oberrheinische Tiefebene) von HUGO OTT

Das seit der baden-württembergischen Kommunal- Zusammenhang mit der Säkularisation eingetretene reform zur Stadt Heitersheim geschlagene Dorf Gal- Umschichtung in den Besitzverhältnissen eine erste lenweiler mit einer Gemarkungsfläche von 214 ha und gründliche Veränderung der Agrarstruktur der Gemar- einer Einwohnerzahl von 175 (Stand 1967) ist in kung gebracht hat, die dann durch die 1936 erfolgte seiner geographischen Position durch eine typische Feldbereinigung (Umlegung der Ackerfluren) fortge- Lage in der Ebene gekennzeichnet: bei einem Höhen- setzt worden ist. unterschied zwischen 237,8 m und 266,9 m befindet Die Frage nach dem Alter der Weiler-Orte ist seit sich der Dorfkern auf 246 m. Gallenweiler gehört zum den grundlegenden Untersuchungen von TH. ILGEN, F. Bereich der das Markgräfler Hügelland einrahmenden STEINBACH und K. WÜHRER dahingehend beantwortet, lößbedeckten Flachlandschaften, wobei der südliche daß die Weiler-Orte im Altsiedelland in eine frühe Gemarkungsteil bereits an die Lößriedellandschaft des Siedlungsstufe eingeordnet werden können. Gallen- nördlichen Markgräfler Hügellandes heranreicht. Die weiler, das zunächst ohne Verbindung mit einem Gemarkung ist ohne Waldbestand, Weinbau ist im Personennamen bzw. vielleicht mit einem verlorenen Mittelalter nicht nachgewiesen, wurde jedoch im Personennamen belegt ist, kann mit hoher Wahr- 18.Jh. auf einer kleinen Fläche von 1,17 ha betrieben. scheinlichkeit als frühe grundherrliche Ausbausied- Etwa 2/5 der Gemarkung waren und sind graswirt- lung des 7. oder 8.Jh. angesehen werden und ist damit schaftlich genutzt, bedingt durch die Bachniederung nahezu synchron den -heim-Orten des oberrheinischen des Eschbachs, während 3/5 des sehr fruchtbaren Siedlungsgebietes. Bei der Diskussion der möglichen Lößbodens im Ackerbau umgetrieben wurden und schriftlichen Belege für Gallenweiler aus dem Früh- werden. mittelalter erscheint als große Schwierigkeit der Um- Wenig abseits der alten rechtsrheinischen Straße stand, daß mit Badenweiler, Oberweiler und Nieder- (heute B 3) gelegen, ist Gallenweiler einbezogen in weiler drei weitere mit Sicherheit alte Weilerorte in den Nexus von sicher alten Gemarkungen (Krozingen, unmittelbarer Nachbarschaft zu Gallenweiler liegen. Eschbach, Tunsel, Heitersheim, Dottingen, Ballrech- Die schriftlichen Zeugnisse für wilare – in erster Linie ten, Grunern und Staufen), grenzt jedoch auch an jün- aus dem Codex Laureshamensis stammend, aber auch gere Ausbaugemarkungen (Schmidhofen, Wettelbrunn ein im Zusammenhang mit der Datierung St.Cyriaks in und an das ausgegangene Muttighofen zwischen Tun- Sulzburg genanntes wilare – sind nicht ohne weiteres sel und Krozingen). Die Situation wird aus der beige- mit einem dieser vier Weiler-Orte in Verbindung zu gebenen Übersichtskarte 1:50000 recht deutlich (vgl. bringen. Vielleicht darf wenigstens das im Lorscher Nebenkarte 1). Codex genannte Gisinwilare mit Gallenweiler identi- Betrachtet man die Anlage des Dorfes, so läßt sich fiziert werden, da nachgewiesen ist, daß die Personen- auch aus dem modernen Bild unschwer feststellen, daß namen-Weiler-Orte hinsichtlich ihrer eindeutigen Fest- der Ort nicht nur im Namen den siedlungsmäßigen legung größeren Schwankungen unterworfen sind. Charakter eines Weilerortes trägt, sondern eine Unser Weiler-Ort begegnet im hohen Mittelalter Weileranlage nach den Kategorien von R. GRADMANN wiederum als einfaches wilare, damals bereits im darstellt: d.h. die unter dem Gradmannschen Limit von Besitz und eingeordnet in den grundherrschaftlichen 400 ha liegende Gemarkung hat die Flureinteilung Verband der Klostergrundherrschaft St. Blasiens, das einer Weileranlage, nämlich lockere Gemengelage, auch eigen-kirchenrechtliche Ansprüche auf die deshalb Flurzwang nur in gemilderter Form, Fehlen Kirche in Gallenweiler hatte. Auf diese Zusammen- der Allmende (nur Wege und Dorfstraßen galten in hänge wird in der Erörterung des 2. Abschnittes Gallenweiler als Allmende!) – die Dorfanlage im einzugehen sein, wenn Siedlungs- und Flurstruktur engeren Sinn ist zwar nicht so weitläufig strukturiert nach den mittelalterlichen Quellen rekonstruiert und wie im eigentlichen Weiler, sondern geschlossener, zugleich Elemente frühmittelalterlicher Agrarverfas- aber doch deutlich gelockert. sung herausgearbeitet werden. Im ersten Abschnitt gilt Die Überprüfung der historischen Zeugnisse er- es, den Bestand nach der Vermessung aus dem Jahre weist, daß das mittelalterliche Bild bis in das frühe 1783 zu beschreiben und zu analysieren und damit die 19. Jh. weitgehend unverändert geblieben ist und erst Festlegungen in der Hauptkarte zu erklären. die im 15

4,14 HUGO OTT / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: GALLENWEILER 1783

Nebenkarte 1: Gallenweiler (Ausschnitt aus Topograph. Karte 1:50000, Blatt L8112)

Gallenweiler nach der Bann- Vermessung 1783 jährigen Krieges (vor allem in der Phase 1635-1638) sehr schwer betroffen, wie der Pfarrer von Laufen bei Gallenweiler, zur Markgrafschaft Baden-Durlach ge- der Neuanlage der Kirchenbücher vermerkte: durch hörig, dem Oberamt Badenweiler mit Amtssitz in den verderblichen Krieg (ist) dieses Filial also ruiniert Müllheim unterstellt und der Vogtei Laufen zugeordnet, worden, daß in langer Zeit nicht mehr ein einziger besaß in diesem territorialen Zuschnitt eine Exklaven- Mensch dort gewohnt, nicht mehr als zwei Häuser und Funktion, d. h. auch hinsichtlich des konfessionellen eine Scheuer überblieben, Matten und Felder aber Charakters waren die Bewohner von Gallenweiler in also verwüstet sind, daß es einer Wildnis ähnlich einer Insellage, umgeben von katholischen Ortschaften. worden ist. Anno 1648 ist das erste Mal ein einziger Sowohl unter herrschaftlichem wie kirchlichem Aspekt Mann, Michel Widmar von Signau, ein Schweizer, ist auf diese isolierte Position abzuheben, wenn auch hinzogen und anfangen zu haußen, dem nachgehens deren Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur nicht etliche gefolget. Die Erholungsphase setzte nur gemessen werden können: jedenfalls war das entfernter zögernd ein: 1662 sind sechs Gallenweiler Bürger als liegende Laufen als Sitz der Vogtei wie der (neuen) Abgabenleistende im Kirchenbuch nachgewiesen, zu Mutterkirche für Gallenweiler zuständig. Der Filialcha- denen noch weitere drei Familien aus den Registern rakter der Kirche von Gallenweiler ist erst im Zusam- erschlossen werden können. Die neuen Bewohner menhang mit dem Übergang der Markgrafschaft zur stammten vorwiegend aus dem Baselbiet, der Gegend Reformation eingetreten – von 1658 bis 1842 ist die um Thun und aus dem Wiesetal. Im Gefolge der Pfarrei Gallenweiler vom Laufener Pfarrer mitversehen Reunionskriege Ludwigs XIV. wurde der Ort nach worden. 1690 erneut erheblich in Mitleidenschaft gezogen (vgl. Die landesherrschaftliche Komponente war in Gal- Karte 6,12, die Charakterisierung von Gallenweiler als lenweiler nur wenig ausgeprägt, weil die aus dem Mit- nahezu total zerstörter Ort freilich läßt sich nach telalter rührenden Grundherrschaften bzw. ihre Nach- Auswertung der Kirchenbücher so nicht aufrecht er- folger bis zum Beginn der badischen Agrarreform halten). dominant blieben. Gallenweiler wurde während des 1783, dem Jahre der Vermessung, kann eine Ein- dreißig- wohnerzahl von ca. 138 Personen angenommen werden, die sich in der Folgezeit nur unwesentlich erhöht hat, so daß 16

HUGO OTT / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: GALLENWEILER 1783 4,14

von einem normalen Bevölkerungsbesatz ausgegangen 10 als vollbäuerliche Einheiten angesprochen werden werden kann, der der wirtschaftlichen Tragfähigkeit können, während die unterbäuerliche Schicht zahlen- der Gemeinde entsprochen haben dürfte. mäßig stark ins Gewicht fällt. Die Familien aus den Die 1783 von Geometer und Ingenieur G.W. v. beiden ersten Größenklassen verfügten über 78 % der Weissensee vorgenommene Vermessung des Bannes Gesamtfläche. Daß Nebenerwerb (vor allem dörfliches von Gallenweiler steht im Zusammenhang mit einer Handwerk, Taglöhnerarbeit und Gesindedienst) erfor- über Jahrzehnte sich erstreckenden kartographischen derlich war, um vielen Familien das Existenzminimum Gesamtaufnahme der Markgrafschaft Baden-Durlach zu sichern, liegt auf der Hand. So erklärt sich eine für (und ab 1771 auch der Markgrafschaft Baden-Baden). Gallenweiler spezifische Arbeitsverfassung, die anson- G.W. v. Weissensee war 1773 in badische Dienste ge- sten in dem im Südwesten vorherrschenden Real- treten und hat viele Gemarkungspläne als Vorarbeiten teilungsgebiet nicht üblich war. für die badische Generalkarte gezeichnet. Der Bannriß Den Hintergrund dieser etwas aus dem Rahmen des von Gallenweiler konnte bereits nach dem 1782 in Umlandes fallenden Agrarstruktur bildeten die in bäu- Urkundenform erlassenen Direktorium des Markgrafen erlicher Leihe (Erbleihe) ausgetanen Höfe des soge- vorgenommen werden, das für die Oberämter Baden- nannten Arlesheimer Lehens (ehemals sanktblasiani- weiler und Hachberg galt. Das Original des im Maß- scher Besitz, damals im Besitz des Domstiftes Basel), stab von 100 Ruten angefertigten Bannrisses sowie des des Frh. Wittenbachschen Lehens (ehemals Beuroner Meßprotokolls befindet sich im Gemeindearchiv von Besitz), des sogenannten Klosterlehens (ehemals ver- Gallenweiler. Diese günstige Quellenlage ermöglicht mutlich St. Trudperter Besitz, damals zur Geistlichen einen außerordentlich detaillierten Einblick in die Verwaltung Sulzburg gehörig) und des Kirchenlehens. Besitz- und Flurverhältnisse, da jede Parzelle einem Das Arlesheimer und das Wittenbachsche Lehen in der Besitzer zugewiesen und zugleich die grundherrschaft- Nachfolge von St. Blasien und Beuron hatten beson- liche Relation vermerkt ist. In Verbindung mit den Kir- deres Gewicht. 1783 machten neun sogenannte Lehen- chenbüchern und weiteren Gemeindearchivalien läßt maier nahezu den Anteil aller Vollbauern aus. sich ein deutliches Bild der Wirtschafts- und Sozial- Während für den Besitz außerhalb der grundherrlichen struktur von Gallenweiler am Vorabend der Agrarre- Leihegüter das Prinzip der Freiteilbarkeit galt mit der formen gewinnen, das jedoch nur sehr allgemein im Folge sehr starker Flurzersplitterung, vermochten die Folgenden gezeichnet werden kann. Grundherren in den Leihebriefen weitgehend die Der Etterbereich (11 Juchert = ca. 4,3 ha) umschloß geschlossene Übergabe der Höfe durchzuhalten, damit 25 Häuser (samt Pfarrhaus und Schulhaus) mit Hofrei- ein quasi-Anerbenrecht zu gewährleisten, wenn dies ten, Nebengebäuden und Gärten sowie die alte Kirche. auch nur auf der Ebene der Erbsitte möglich war, weil Die beherrschende Lage von zwei Haupthöfen im Et- die gesetzliche Handhabe fehlte. terbereich ist zu erwähnen. Zwei Häuser gehörten So präsentiert sich als Ergebnis dieser Kräftever- nicht ortsansässigen Ausmärkern. 29 Familien wohn- hältnisse die Flurstruktur von Gallenweiler 1783 hin- ten in Gallenweiler, wovon sieben Haushaltungsvor- sichtlich der Flurformen als eine vielgewannige Flur in stände ohne Hausbesitz waren; außerdem sind zwei einer Kombinationsform von Blockgemenge mit unverheiratete Frauen mit unehelichen Kindern erfaßt. Block- und Streifengewannen, wobei die bis zu 22 Von der 533 Juchert (= 204 ha) zählenden Gesamt- Juchert umfassenden Blöcke ausschließlich zu den gemarkung sind 422 Juchert (= 162 ha) ortsansässigen Lehensgütern gehörten. Überdies sind auch noch 1783 Bauern zugeteilt, während der Rest Ausmärkerbesitz die Umrisse von ehemals um den Etterbereich liegen- darstellte. Hinsichtlich der Betriebsgrößenstruktur ge- den geschlossenen Großblöcken zu erkennen. Die im modernen Flurbild sich spiegelnde Entwick- lung steht im Zusammenhang mit der Grundentlastung im frühen 19.Jahrhundert und der vorherrschenden Erbsitte der Realteilung.

Die Siedlungs- und Flurstruktur von Gallenweiler nach den mittelalterlichen Quellen (vgl. Nebenkarte 2) Neben den oben diskutierten frühen Belegen besteht für Gallenweiler seit dem 12.Jh. die ununterbrochene Kette schriftlicher Zeugnisse, seitdem das Kloster staltete sich das Bild von Gallenweiler 1783 wie folgt: St. Blasien im Besitz der Kirche (zunächst als

Eigenkirche, dann im Patronatsrecht), von zwei Nach einer Bereinigung (Zurechnung von nichtselb- Dritteln des Großzehnten und des Meierhofes, auf dem ständigen Familienangehörigen aus den Zwergstellen- das Recht an der Niederkirche von Gallenweiler ruhte, und Parzellenbetrieben) ergibt sich eine Gesamtzahl war. Es kann vermutet werden, daß mit diesem von 31 bäuerlichen Betrieben, von denen freilich nur Besitzkomplex der

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Kern der frühmittelalterlichen Siedlung, des wilare, Erbteilungen zu rechnen ist, obwohl für Gallenweiler gefaßt wird, daß also die Kirche aus der grundherr- im Spätmittelalter die Flurzersplitterung längst nicht lichen Hofkirche erwachsen ist, die der alemannische den Stand von 1783 aufzuweisen hatte. bzw. fränkische Grundherr für den Hofverband, für die Von den 533 Juchert der 1783er Vermessung kön- familia, errichtet hatte, daß weiter der Kern einer früh- nen für den spätmittelalterlichen Zustand ca. 312 mittelalterlichen Villikation erkannt werden kann. St. Juchert parzellenweise belegt werden unter der An- Blasien baute im späteren Mittelalter den Meierhof zu nahme, daß der Beuroner Hof und das Widemgut aus einem zentralen Dinghof aus, in den die sanktblasia- der späteren Vermessung als jeweils identische nischen Eigenleute und Hintersassen eines weiten Größen zurückgeschrieben werden dürfen, d.h. die Umkreises dingpflichtig waren. Das Schwarzwald- Belegbarkeit von etwa 3/5 der Gemarkung im Spätmit- kloster teilte Besitz und Rechte mit anderen geistli- telalter ist ein sehr interessantes Ergebnis. Berücksich- chen Grundherrschaften, vor allem mit dem Kloster tigt man den Umstand, daß die 1783 als Klosterlehen Beuron, dessen breisgauischer Besitz über eine hoch- ausgewiesenen Fluranteile, die nicht durch mittelalter- adlige Familie als Gründungsausstattung an das Au- liche Zeugnisse belegt sind, nach einem bestimmten gustinerchorherrenstift gekommen sein dürfte. Jeden- methodischen Verfahren überwiegend als mittelalter- falls bildet der Beuroner Hof in Gallenweiler zusam- liche Blockfluren dargestellt werden können, so ergibt men mit dem sanktblasianischen Hof das Hauptkon- sich für die Kennzeichnung der mittelalterlichen Flur- tingent bei der nach der Methode der Rückschreibung formen der Weilerflur von Gallenweiler: es handelt zu gewinnenden mittelalterlichen Flurstruktur von sich um eine Blockgemengeflur mit wenigen streifig Gallenweiler. vermessenen Flurstücken und mit geringen Lang- Dabei geht es um die Frage, wieweit agrargeschicht- streifen-Einsprengseln. Ansätze für eine Gewannflur liche Quellen (vor allem Urbare des 14.Jh.) für die waren nur gering ausgebildet. Kennzeichnung mittelalterlicher Flurformen und der Demgegenüber läßt sich die Flurverfassung der Flurstruktur operationalisiert werden können: sinnvol- Weiler-Gemarkung aus den urbariellen Nachrichten lerweise nur dann, wenn die Kartierung der Flur, also nur schwer herausarbeiten. Aus den Abgabearten kann in unserem Beispiel die Vermessung mit Protokoll von die Existenz der Dreifelderwirtschaft nachgewiesen 1783, in einen Kausalzusammenhang mit den mittelal- werden (Weizen, Roggen, Gerste und Hafer wurden terlichen Belegen gebracht werden kann. Möglich ist angebaut). Wie aus einer Quelle von 1497 hervorgeht, dies durch die Kombination historischer mit agrargeo- wurde die Dreifelderwirtschaft in einem Dreizelgen- graphischer Methode. system betrieben, was sich gut in die Bodennutzungs- Die Rückschreibungen in den Fluren mit Hilfe von systeme der benachbarten Gemarkungen einfügt. Der schriftlichen Quellen ermöglichen natürlich auch Aus- für Weiler-Gemarkungen anzunehmende lockere Flur- sagen hinsichtlich der Genese der Flurformen. Für zwang kennzeichnete auch die Flurverfassung von Gallenweiler gilt, daran festzuhalten, daß die 1783 Gallenweiler. In der Neuzeit wurde wohl die zelgliche erfaßbaren Haupthöfe (Arlesheimer und Wittenbach- Verfassung aufgegeben – und dies im Zusammenhang sches Lehen) eindeutig mit dem ehemaligen Besitz mit verbesserten Anbaumethoden und veränderten von St. Blasien und Beuron zu identifizieren sind und Fruchtfolgen (laut einer »Anblümungsliste« der Jahre damit das Gerüst einer kontinuierlichen Flurstruktur 1780-1787 wurden neben den herkömmlichen abgeben, zumal 1783 diese beiden Haupthöfe als Getreidearten auch Ackerbohnen, Kraut, Kartoffeln, geschlossene Leihegüter ausgetan waren – und zwar Rüben sowie Klee angebaut, was auf intensivere an jeweils einen Träger. Viehhaltung schließen läßt; darüber informieren auch Die kartographische Fixierung der bei der Bannver- die Oberamtsberichte des 18.Jahrhunderts, wonach in messung diesen beiden Höfen zugehörigen Flurstücke Gallenweiler ganzjährige Stallfütterung Eingang ge- und Wirtschaftsgebäude ergibt bei Kollationierung mit funden hatte, sehr im Unterschied zu den übrigen dem Urbarmaterial des 14. und 15. Jh. eine nahezu Orten des Oberamtes). vollständige Kontinuität in Umfang und Verteilung Wichtige Aufschlüsse über die mittelalterliche Flur- der Meierhof-Flurstücke. Da für den Beuroner Hof struktur von Gallenweiler erhalten wir bei der Analyse kein Urbarmaterial vorliegt, mußte mittels soge- der grundherrschaftlichen Verhältnisse: der dominie- nannter Anstößernennungen nach dem Flurplan von rende Meierhof St. Blasien (80 Juchert Ackerland, 16 1783 die Rekonstruktion vorgenommen werden. Juchert Matten), wozu der Beuroner Hof mit 42 Auf diese Weise ließ sich das Flurbild bis in das Juchert Ackerland und 8,5 Juchert Matten trat. Letzte- späte Mittelalter zurückverfolgen, wenigstens für die rer Hof fällt durch die »Breiten« und den »Brühl« in Fluranteile der Haupthöfe. Weiter kann das Widemgut dorfnaher Lage auf. Beide Höfe lassen mit den soge- der Aufzeichnung von 1783 mit dem Pfarrgut des nannten Schupposengütern (abhängige, ehemals in die Mittelalters gleichgesetzt werden (Kirchengut weist in Arbeitsverfassung der eigenbewirtschafteten Höfe ein- der Regel einen besonderen Grad von Kontinuität auf). gebundene Grundholden-Betriebe) sehr klar das Die übrigen Fluranteile sind indes nicht ohne weiteres Gepräge der alten Villikationsverfassung erkennen, rückschreibbar, da mit erheblichen Veränderungen die im 14.Jh. natürlich längst aufgelöst war. So enthält durch eine Aufzeichnung für St. Blasien von 1337 noch vier 19

4,14 HUGO OTT / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: GALLENWEILER 1783

Schupposen unterschiedlicher Größe, jedoch mit ein- Literatur heitlicher Abgabenbelastung. BOESCH, BR.: Zur Frage der Ortsnamenstrahlung am Beispiel der ale- Wenn auch die abhängigen Schupposengüter nicht mannischen Weiler-Orte, in: DERS.: Kleine Schriften zur Namen- nach der Rückschreibemethode identifiziert werden forschung (Beiträge zur Namenforschung. N.F. Beiheft 20) 1981. können, sind sie gleichwohl als Element der Flurverfas- S.219-225. sung wichtig. Im Gesamtergebnis kann festgehalten DERS.: Ortsnamensprobleme am Oberrhein, ebd.: S. 245-265. werden: abgeleitet aus den geschichtlichen Vorausset- GRADMANN, R.: Süddeutschland. 1-2. 1931. Nachdruck 1956. zungen ist mit einer sehr erheblichen Konstanz der ILGEN, TH.: Die Grundlagen der mittelalterlichen Wirtschaftsverfas- grundherrlichen Struktur auf der Gemarkung Gallen- sung am Niederrhein, in: Westdeutsche Zs.32 (1913), S. 1-132. weiler zu rechnen, die, was die Einheit der beiden Her- OTT, H.: Studien zur spätmittelalterlichen Agrarverfassung im Ober- renhöfe St. Blasiens und Beurons bzw. deren Rechts- rheingebiet (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 23). 1970, bes. S. 18ff. nachfolger anlangt, bis in die Zeit der Säkularisation SEITH, K.: Die Einwanderung der Schweizer nach dem 30jährigen bzw. der Grundentlastung durchgehalten worden ist. Krieg, dargestellt an der Markgräfler Gemeinde Gallenweiler, in: Diese beiden Haupthöfe, absolut gesehen nicht allzu Markgräflerland 11 (1940) S. 20-25. groß, in Relation zur kleinen Weiler-Gemarkung jedoch SCHÄDER, A.: Die erste amtliche Vermessung und Landesaufnahme in dominierend, bestimmten das Gemarkungsbild. Sie tru- der Markgrafschaft Baden im 18. Jahrhundert, in: Beiträge zur gen auch dazu bei, daß das Übergewicht der Blockflur- geschichtlichen Landeskunde-Geographie, Geschichte, Kartogra- formen noch im 18.Jh. bestehen blieb. Freilich begann phie. Festgabe für Ruthardt Oehme. 1968. S. 141-165. schon im späten Mittelalter durch die fortschreitende SCHWAB, B.: Die Sozialstruktur eines Dorfes im Markgräflerland zu Auflösung der Schupposengüter und die damit verbun- Ende des 18.Jahrhunderts. Magisterarbeit (unveröffentl.) an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg. 1971. dene Teilung der Parzellen der Prozeß der Ausbildung SEITH, K.: Die Einwanderung der Schweizer nach dem 30jährigen von Gewannfluransätzen. Krieg, dargestellt an der Markgräfler Gemeinde Gallenweiler, in: Markgräflerland 11 (1940) S.20-25. STEINBACH, F.: Ursprung und Wesen der Landgemeinde, in: Die Anfänge der Landgemeinde und ihr Wesen I (Vorträge und For- schungen 7). 1964. S.245-288. WÜHRER, K.: Beiträge zur ältesten Agrargeschichte des germanischen Nordens. 1935.

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KARL ALBERT HABBE / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: WILDTAL 1774 4,14

Wildtal 1774 Einzelhöfe mit Einödflur (Mittlerer Schwarzwald) von KARL ALBERT HABBE

Wildtal liegt – den nördlichen Vororten von Frei- Als schwierig erwies sich auch die Übertragung der Gebäulichkeiten, burg i. Br. benachbart – am Westrand des Mittleren und zwar gleich aus mehreren Gründen. Einmal sind von den 1774 Schwarzwalds. Der Ort war bis zum 31.12.1971 existierenden Gebäuden nur noch zwei auf die heutige Zeit über- selbständige Gemeinde und ist heute Ortsteil von Gun- kommen: das Wohnhaus des Murstehofs und das ehemalige Wohnhaus delfingen. Die Lage Wildtals dicht an der Grenze zur des Weilerhofs. Alle anderen sind jüngere Bauten, die z.T. in etwas anderer Position als 1774 errichtet wurden. Zweitens ist aber im Plan Freiburger Bucht hat seine Entwicklung nicht uner- von 1774 die Darstellung der Gebäude etwas schematisch erfolgt, so heblich beinflußt, so daß Orts- und Flurbild von dem daß auch bei genauer Nachmessung nicht immer feststellbar ist, ob die aus dem Hohen Mittelschwarzwald Gewohnten (vgl. Neubauten an der gleichen Stelle und in der gleichen Größe wie die dazu etwa in diesem Atlas die Karte 1,8 – Schonach abgebrochenen errichtet wurden oder nicht. Drittens war auch 1774 1783) abweichen. schon bei mehreren Höfen anstelle der traditionellen Eindach- Die hier vorgelegte Karte ist eine Umzeichnung Schwarzwaldhöfe eine Trennung von Wohnhaus und Wirtschafts- wesentlicher Teile1 von Grundrüss und Erklärung gebäude getreten, nämlich beim Murstehof, beim Sonnenhof, beim über den Berlendingischen Bahn Wildthaal, eines Ge- Lehenhof, beim Leimenstollen und beim Weilerhof. Der Plan unter- markungsplans also, den der Feldmesser Mathias scheidet jedoch Wohn- und Wirtschaftsgebäude nicht. Andererseits ist sicher, daß die Funktion der Gebäude z.T. gewechselt hat, ehemalige Reichenbach 1774 im Zuge der Katasteraufnahme der Wohnhäuser also zu Wirtschaftsgebäuden wurden. Es war nicht österreichischen Vorlande vorgelegt hat. Er gehört möglich, alle diese – im einzelnen nur teilweise faßbaren – Ver- heute zu den älteren Planbeständen des Generallandes- änderungen kartographisch darzustellen. Bei der Umzeichnung wurde archivs in Karlsruhe. Neben den Grundstücksgrenzen daher so verfahren, daß in allen Fällen nur ein Gebäude dargestellt und der – etwas schematischen – Darstellung der wurde, und zwar in der Position des heutigen Hofgebäudes oder – wo Gebäulichkeiten und der Flächennutzungsarten enthält heute mehrere Gebäude vorhanden sind – in der Position des Wohnge- er – anders als die meisten gleichzeitigen Pläne – auch bäudes. Abgegangene Gebäulichkeiten sind also nur dort eingetragen, eine genaue Aufstellung der Flächengrößen der wo die Hofraite aufgegeben (beim Haitzler- und Willmannshof) oder als ganzes verlegt wurde (beim Rufe-, Merz- und Vogtshof). einzelnen Besitzparzellen. Auf der Gemarkung Wildtal existierten 1774 13 Hö- Die Übertragung der Grenzlinien aus dem alten Plan auf die moderne fe (»Rustical-Güter«), die in der zum Plan gehörigen Katasterplankarte bereitete im großen und ganzen wenig Schwierig- keiten, da der heutige Grenzverlauf in der Regel der gleiche ist wie Relation jeweils mit dem Namen der Besitzer und – 1774. Auch wo sich kleinere Änderungen ergeben haben – so etwa als teilweise – auch mit dem Hofnamen bezeichnet Folge der Meliorierung bei den Wiesen am Talausgang – ist die Über- werden, – in der Reihenfolge der Relation tragung des alten Zustands in die moderne Karte relativ leicht möglich. - des Martin Haitzlers zugehörig Guth Probleme ergeben sich nur dort, wo Hofbesitz in Staatshand über- gegangen ist und die alten Grenzen ausgelöscht wurden. Hier wurde (abgegangener Haitzlerhof im Oberen Schopbach), versucht, durch eine möglichst genaue Ausmessung des alten Plans und - des Jerg Willmann (abgegangener Willmannshof unter Zuhilfenahme weiterer Indizien – insbesondere alter Wege, die im Oberen Schopbach), häufig den Grenzen folgen – den alten Grenzverlauf zu rekonstruieren. - Michael Thoma, sog. Ruofbaur (Rufehof), Anders als bei den Besitzgrenzen ist die Rekonstruktion der alten - Martin Gehry, sog. Willerbaur (Weilerhof), Nutzungsgrenzen nur teilweise möglich. Denn hier sind die Verände- - Andreas Flamm, sog. Leimstoller Hof (Leimen- rungen doch ganz erheblich, die moderne Katasterplankarte bietet daher stollen), nur wenige Anhaltspunkte für den ehemaligen Verlauf der Nutzungs- - Mathias Gehry, dermaliger Vogtshof (Gehrihof), grenzen. Hinzukommt, daß die Vermessung vor gut 200 Jahren die - Christian Merz, alter Vogtshof (Merzhof), Nutzflächen wesentlich weniger genau aufgenommen hat als die Besitz- grenzen, auf die es ja vor allem ankam. Selbst wenn man die alten - Blasius Mayer, Michelbacher Hof (Michelbach- Grenzlinien in allen Details in den modernen Plan übertrüge, käme Hof), dabei nur ein sehr ungefähres Bild der damaligen Wirklichkeit heraus, - Johannes Flamm, Waldbrunner Hof (Waldbrunnen- der Vergleich mit den heutigen Verhältnissen wäre entsprechend wenig Hof), aussagekräftig. Deswegen wurde nur die für das Nutzflächengefüge - Caspar Miller, Schimberlins Hof (Schümperlehof), wichtigste Grenze – die zwischen Wald und landwirtschaftlichen - Mathias Gehry, Flammbaur (Flammhof), Nutzflächen – in die vorliegende Darstellung übernommen. - Adam Scherzinger, Leebaur (Lehenhof), - Mathias Miller, Murstbaur (Mursthof). 1 Für den Gesamtzusammenhang vgl. die Nebenkarte.

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4,14 KARL ALBERT HABBE / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: WILDTAL 1774

Nebenkarte 1: Wildtal (Ausschnitt aus Topograph. Karte 1:50000, Blatt L 7912)

Dazu kam das »Spenglerische Dominical-Guth«, der hof. Weiterer Kleinbesitz – zumeist von Ausmärkern – heutige Vogtshof, der von einem Pächter bewirtschaftet, lag an der Gemarkungsgrenze am Talausgang beim später an den Beständer – Christian Merz vom Merzhof Gundelfinger Rebberg (Wiesen und Gärten), beim – verkauft und 1794 wieder ins Rusticale übergeführt heutigen Vorstädtle (das damals noch ganz unbebaut 2 wurde (STÜLPNAGEL 1964, S.67). war, – es handelte sich auch hier um Wiesenparzellen Neben den Höfen verzeichnet der Plan von 1774 für und um »Obst-, Gras- und Krautgärten«, von denen das Wildtal sieben Taglöhnergüter: vier unter dem Gun- einer der Grundherrschaft gehörte), bei den heutigen delfinger Rebberg am Nordwestrand der Gemarkung, Schloßhäusern nahe der Zähringer Burg (Wiesen und zwei – darunter die zum Spenglerischen Dominikalgut Wald) und an der Grenze gegen Heuweiler (Wald). gehörige sog. Untere Mühle – am Talweg unterhalb des Waldbesitz (vgl. dazu die Nebenkarte 2) hatten neben Mühlebergs, eines am Talbach gegenüber dem Vogts- den Wildtaler Bauern auch die Grundherrschaft – seit 1652 die Freiherren von Beroldingen – an der 2 Die Übernahme des Spenglerischen Dominikalguts durch den Gemarkungsgrenze gegen Zähringen und Ebnet im Hofbauern des Nachbarhofs hat zu einer bis heute andauernden Süden, zwei Freiburger Klöster – St. Clara und Aller- Verwirrung bezüglich der Hofnamen geführt. In der Literatur heiligen – im Oberen Schopbach, der Deutsche Orden erscheint auch der heutige Vogtshof als Merzhof, weil die Familie im Oberen Michelbach (»Kommenthurwald«) und die sich auf diesem Hof bis heute gehalten hat. Andererseits werden Gemeinde Gundelfingen im Oberen Schopbach. An Merzhof und Vogtshof gemeinsam als Vogtshöfe bezeichnet und ein diesem – den »Markgräfischen Gundelfingern« gehö- Unterer Vogtshof (der eigentliche Vogtshof) und ein Oberer Vogtshof rigen – Wald beanspruchte die Grundherrschaft das (der Merzhof) unterschieden. Die vorliegende Kartengrundlage schließlich wies für das Hofgebäude des Merzhofs (irreführend) die Bodenrecht, also Eckericht und Weidenutzung, was Bezeichnung Vogthof, für das zugehörige Gelände (richtig) die schon seit dem 14. Jh. zu immer wieder neuen Aus- Bezeichnung Merzhof auf, während andererseits die sonst übliche einandersetzungen führte, weil die Gundelfinger auch Bezeichnung für das Hofgebäude des Vogtshofs fehlte, im zuge- das Waldweiderecht in Anspruch nahmen. Ähnlich hörigen Gelände jedoch (richtig) Vogthof eingetragen war. Die Dar- waren die Verhältnisse bei Waldstücken, die im Obe- stellung wurde entsprechend korrigiert. ren Michelbach beiderseits des Kommenthurwalds und zwischen bäuerlichen Eigenwäldern

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KARL ALBERT HABBE / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: WILDTAL 1774 4,14

lagen: hier hatte die Grundherrschaft das Bodenrecht, Kamm herkommend zunächst nach Nordnordwest verschiedene Wildtaler Höfe das Recht der Holznut- zieht und dann beim Rufehof nach Westnordwest zung. Dem Freiburger Kloster Allerheiligen gehörte umbiegt, eine ganze Reihe von kurzen, aber breiten außer seinem Wald im Schopbach auch der Schöne- Nebentälern auf, die die Gemarkung in mehrere Tal- hof, der jenseits der Wasserscheide auf Gundelfinger kammern gliedern. Im Haupttal – und damit mehr oder Gemarkung im Oberen Reutebach lag, mit seinem Be- weniger in der Nähe des Talwegs – lagen 1774 nur sitz aber über die Grenze auf Gemarkung Wildtal neun der vierzehn Wildtaler Höfe, abseits in den übergriff.3 Nebentälern oder auf Geländespornen dazwischen im- Diese Art der Besitzverteilung ist für eine Gemar- merhin fünf: der Lehenhof, der Leimenstollenhof, der kung des Mittelschwarzwalds in dieser Zeit unge- Weilerhof nördlich des Haupttales, Waldbrunnen-Hof wöhnlich. Nichtbäuerlicher Besitz ist im Mittel- und Michelbach-Hof in den südlichen Nebentälern. schwarzwald sonst eher selten (vgl. dazu HABBE 1960, Für die Abgrenzung der Höfe kam daher nur z.T. die S. 55). Selten – wenngleich nicht ganz ohne Parallelen sonst übliche Wasserscheidengrenze in Frage. (so gibt es etwa die Oberglottertaler »Gummenall- Es fällt jedoch auf, daß selbst da, wo sich eine Zwi- mend« auf Gemarkung St. Peter; weitere Beispiele s. schentalwasserscheide als natürliche Grenze angeboten HABBE 1960, S.53) – ist auch der Allmendbesitz einer hätte, sie im Wildtal keineswegs immer auch zur Ab- benachbarten, betriebswirtschaftlich ganz anders orga- grenzung benutzt wurde. So ist etwa die Grenze des nisierten und zudem einer anderen Grundherrschaft Murstehofs über die Wasserscheide hinüber gegen das unterstehenden Gemeinde, zumal die Wildtaler Bauern Waldbrunnentälchen zu verschoben, und auch der Hof- selbst 1774 nicht über Allmendbesitz verfügten. Unge- streifen des Vogtshofs greift weit in das obere Wald- wöhnlich ist schließlich auch das Übergreifen des brunnentälchen hinein. Im Schopbach laufen die Hof- Schönehofs aus dem Reutebach über die Gemarkungs- streifen von Haitzler- und Willmannshof auf der West- grenze (und damit über die Herrschaftsgrenze seite des Tälchens nicht bis zur Wasserscheide durch, zwischen der Markgrafschaft und vorderösterreichi- sondern werden hier vom Allerheiligenwald bzw. vom schem Territorium) hinweg, – obgleich auch dafür Grundbesitz des Rufehofs abgeschnitten. Die Beispiele Parallelen aus dem Hohen Mittelschwarzwald beige- ließen sich vermehren. Sie zeigen, daß das Relief auf bracht werden könnten (so für die Grenze von Gemarkung Wildtal zwar die Grundzüge der Sied- Breitnau gegen Wagensteig und St. Märgen (vgl. lungsverteilung bestimmt, nicht aber – oder wenigstens HABBE 1966, S.48) oder von Rohrhardsberg gegen nicht in erster Linie – die Leitlinien für die Besitz- Yach (vgl. HABBE 1979, S. 71 ff.)). grenzen geliefert hat. Auffällig ist aber auch das Verteilungsmuster der Derartige von der Natur vorgegebene Grenzen kom- Wildtaler Höfe und die Art der Abgrenzung ihrer men zwar in weiten Teilen des Mittelschwarzwalds Grundstücke gegeneinander. Anders nämlich als bei verbreitet vor, sie sind aber keineswegs selbstverständ- den meisten anderen Gemarkungen des Mittelschwarz- lich und vor allem nicht sehr alt, gehen jedenfalls nur walds – für die etwa das benachbarte Reutebach ein ausnahmsweise bis in die Besiedlungszeit zurück. typisches Beispiel ist (vgl. die Nebenkarte 2) – weist Dafür ist der Reutebach (vgl. die Nebenkarte 2) ein das Flurbild von Wildtal nicht den räumlich geschlos- sprechendes Beispiel. Dessen klare Flurgliederung senen Besitz aller Hofgüter aus, sondern zumeist verschleiert die Tatsache, daß hier bis in die Re- mehrere Parzellen, und außerdem haben die einzelnen formationszeit die Mutterkirche für die Siedlungen des Hofgüter nicht den sonst meist üblichen gleichmäßi- Zähringer Burgbezirks stand, zu deren Sprengel ur- gen, sondern einen z.T. ganz bizarr verzipfelten sprünglich neben Reutebach und Wildtal auch die Grundriß. Der Flur von Wildtal fehlt also das Element Dörfer Zähringen und Gundelfingen gehörten, und um der Regelmäßigkeit, das den Flurplan so vieler anderer die sich eine Reihe kleinerer Güter gruppierte, wie das Gemarkungen des Mittelschwarzwalds auszeichnet, – ähnlich auch bei anderen alten Kirchorten im Mittel- was dazu verführt hat, für die Anlage der Rodungs- schwarzwald der Fall war und ist. Kirche und Klein- siedlungen des Mittelschwarzwalds eine hochmittelal- güter sind heute verschwunden und nicht mehr zu terliche grundherrliche Planung anzunehmen (zur Dis- lokalisieren, die Flur ist ganz regelmäßig auf die vier kussion darüber vgl. GOTHEIN 1886, NITZ 1963, Höfe aufgeteilt. Daraus ergibt sich aber ganz ein- HABBE 1966). deutig, daß die klaren Flurgrenzen von Reutebach sich Im Falle Wildtal ist die Unregelmäßigkeit der Be- erst seit dem 16. Jahrhundert herausgebildet haben sitzgliederung sicher z.T. geländebedingt. Denn das können. Ähnliches kann für den ganzen übrigen Wildtal hat nicht wie die meisten anderen Schwarz- Mittelschwarzwald unterstellt werden (vgl. dazu waldtäler im wesentlichen nur einen Hauptbach, längs HABBE 1966). Aus diesem Sachverhalt läßt sich aber dem die Hofgüter aufgereiht liegen, sondern weist ne- umgekehrt auch der Schluß ableiten, daß wenn ein ben dem Haupttal, das vom Ochsenlager im Roßkopf- Flurbild von dem Regelfall der gleichmäßigen Flaunser- Fluraufteilung mit natürlichen (oder – ungegliederten 3 Seit 1774 haben sich die Besitzverhältnisse auf Gemarkung Wildtal im Kern Hängen – glatt durchlaufenden) Grenzen abweicht, wenig, stark dagegen – das zeigt auch die Hauptkarte – im Bereich der Tal- sich darin Reste einer älteren Flurgliederung mündung und in den höheren Lagen verändert (vgl. dazu die AMTLICHE KREISBESCHREIBUNG 1974). ausprägen dürften, die 23

4,14 KARL ALBERT HABBE / AUSBAU- UND RODUNGSSIEDLUNGEN. BEISPIEL: WILDTAL 1774

Nebenkarte 2:

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ihrerseits möglicherweise wieder Rückschlüsse auf nichtbäuerliche Ausmärker, neben dem Deutschen Or- den Gang der wirtschaftlichen Erschließung der Ge- den zumeist Freiburger Bürger. So stammten die markung erlauben. So gesehen gewinnt das unregel- Waldflächen, die das Kloster Allerheiligen 1590 im mäßige Flurbild von Wildtal eine besondere Be- Schopbach erwarb, aus Freiburger Bürgerbesitz deutung. (STÜLPNAGEL 1964, S.66). Sie umfaßten damals etwa W. STÜLPNAGEL (1958) hat gezeigt, daß das ehe- 100 Jauchert. 1774 waren es jedoch nur noch 36 malige Reichsgut um die Burg Zähringen – deren Ru- Jauchert, der Klosterwald hatte also – ohne daß auch inen auf Gemarkung Wildtal liegen – bis weit in das dies in Urkunden faßbar wäre – im Laufe von knapp späte Mittelalter hinein eine geschlossene Besitzeinheit 200 Jahren nahezu zwei Drittel seines ursprünglichen bildete, zu der neben den Dörfern Zähringen und Gun- Umfangs eingebüßt. Der Allerheiligenwald stieß aber delfingen im Altsiedelland auch die Ausbausiedlungen 1774 ringsum entweder an bäuerlichen Besitz oder an Wildtal und Reutebach gehörten. STÜLPNAGEL ist grundherrlichen Wald. Nach Lage der Dinge kann der sicher auch darin zu folgen, daß das Gebiet der spä- Verlust an Waldfläche nur durch den Übergang in teren Ausbausiedlungen von den Altsiedelorten zu- bäuerliche Nutzung erklärt werden. Auch hier zeichnet nächst extensiv als Allmende genutzt wurde, ehe – sich also ein Vordringen bäuerlichen Besitzes in den vermutlich im 10. und 11.Jh. – dort die ersten Sied- herrschaftlichen – oder aus ursprünglich herrschaft- lungen entstanden. Die Waldnutzungsrechte der Gun- lichem Besitz herrührenden – Wald ab. delfinger im oberen Schopbach gehen mit Sicherheit Möglicherweise erklärt sich aus dieser schleichen- auf diese frühe Zeit zurück. Andererseits stand das den Veränderung der Besitzverhältnisse, daß die Verfügungsrecht über Grund und Boden der Grund- Grundherrschaft – damals die Bernlapp von herrschaft zu, und sie hielt daran zäh fest. Bollschweil – im Berain von 1598 so entschieden das Das hing – unter anderem – mit dem Besitz der Burg grundsätzliche Recht der Herrschaft an Grund und zusammen. Solange nämlich die Burg als militärische Boden vertrat (STÜLPNAGEL 1964, S.64). Denn ande- Anlage in Funktion war – und das ist wohl bis zum rerseits hatte sie das von ihr auf der ganzen Gemar- Bauernkrieg der Fall gewesen (STÜLPNAGEL 1958, kung – also auch in den »ausländischen« Wäldern – S.32) –, mußte deren Gelände in grundherrlicher Hand beanspruchte Bodenrecht (Eckericht und Weidgang) bleiben. Diese Burganalge war wesentlich ausgedehn- gegen einen Hühnerzins an Wildtaler Bauern vergeben ter als die heutige Ruine vermuten läßt. Sie wurde (STÜLPNAGEL 1964, S.65). Es ist mehr als wahrschein- durch einen trockenen Graben abgeschlossen, den man lich, daß es dies ihnen überlassene Nutzungsrecht war, im Schloßwald heute noch sehen kann und den auch das den Bauern die Handhabe gab, im Laufe der Zeit die Karte zeigt. Er verlief etwa 30 m unterhalb des immer ausgedehntere Flächen zu okkupieren, bis höchsten Punkts in einem Abstand von 150 bis 200 m schließlich das Nutzungsrecht zu Besitzrecht gerann. um die heutige Ruine herum. Mindestens bis an diesen Wie dieser Vorgang im einzelnen ablief, wissen wir Graben – vermutlich aber noch wesentlich weiter nicht, doch liefert der Gemarkungsplan von 1774 dafür abwärts – muß der herrschaftliche Besitz noch Anfang zumindest Anhaltspunkte. Zunächst ist dazu festzuhal- des 16.Jh. gereicht haben. ten, daß die Zahl der Hofgüter sich seit dem 16. Jh. Die Karte zeigt nun aber auch, daß sich in den nicht verändert hat. Die Brandschatzung nach dem folgenden 250 Jahren im engeren Burgbezirk ein Bauernkrieg 1525 verzeichnete für Wildtal »XV húser ähnlicher Vorgang abgespielt haben muß wie im von gmeynen lútten« (KRIEGER 1905, S.1455). Da- Reutebach. Denn 1774 reichte der Besitz sowohl des runter sind sicher die 14 Wildtaler Höfe von 1774 zu Murstehofs im Westen wie der des Waldbrunnen-Hofs verstehen, dazu kommt als fünfzehnter der Spitalhof im Osten über den trockenen Graben hinweg bis dicht (»Spillhof«), der 1764 mit dem Flammhof vereinigt unter die Ruine und der herrschaftliche Besitz war auf wurde (STÜLPNAGEL 1964, S. 60). Es handelt sich also eine kleine – nunmehr als Wald genutzte – Parzelle bei dem vermuteten Vorgang allein um eine Aus- geschrumpft. Das kann nur so gedeutet werden, daß dehnung des Besitzes bestehender Hofgüter. Das be- die Herrschaft – ohne daß das durch Urkunden belegt deutet umgekehrt, daß die Hofgrundstücke ursprüng- wäre – die Nutzung ihres Eigenbesitzes weitgehend lich wesentlich kleiner gewesen sein müssen als 1774. den interessierten Bauern überlassen hatte. Vergleich- Eben dieser Schluß ergibt sich auch aus der so auf- bares dürfte bei den herrschaftlichen Wäldern im fälligen Gliederung der Wildtaler Hofgüter in mehrere Oberen Michelbach geschehen sein, deren Nutzung Parzellen. Denn wenn in einer Gemarkung des Mittel- 1774 den Bauern vom Murstehof, vom Schimperlehof, schwarzwalds, wo der räumlich geschlossene Besitz vom Gehrihof und vom Michelbacherhof überlassen der Höfe die Regel ist, Streulage der Besitzparzellen war, – wegen der Beteiligung mehrerer Nutzungsbe- auftritt, dann heißt das, daß dieser Streubesitz ent- rechtigter ist es hier freilich zu einer anderen Art der weder so früh oder so spät in den festen Besitz des Flächengliederung – in mehrere Parzellen – gekom- Hofguts übergegangen ist, daß sich die sonst überall men. erkennbare Tendenz, den Hofanschluß aller zum Hof Waldbesitzrechte – und zwar sehr ausgedehnte – gehörigen Flächen herzustellen, nicht durchsetzen hatten im Wildtal aber nicht nur die Grundherrschaft konnte. Wenn sich also für bestimmte Parzellen ein und die Bauern, sondern früh auch zahlreiche relativ spät anzusetzender 25

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Übergang in bäuerlichen Eigenbesitz nachweisen läßt, kann man neben der relativ späten Phase der Überfüh- dann ergibt sich daraus umgekehrt ein Hinweis auf den rung hofferner Gemarkungsteile in bäuerlichen Besitz früheren – geringeren – Umfang der Hofgüter. auch noch eine frühere erkennen. Bei der Betrachtung Bei dem Plan von Wildtal von 1774 fällt nun sogleich der hofnahen Grenzen der Wildtaler Hofgüter fällt ins Auge, daß die von den Hofgrundstücken getrennten nämlich auf, daß der Besitz der Höfe im Haupttal Besitzparzellen entweder im feuchten Wiesengrund der zwischen Rufehof und Flammhof nie am Talbach Talmündung liegen oder abseits in den Quelldobeln der endet, obwohl dieser auf dem größten Teil seiner Seitentäler oder – und darauf kommt es in diesem Laufstrecke deutlich eingeschnitten ist – seinen Lauf Zusammenhang zunächst an – in einem Saum nahe den also nicht etwa verlegt haben kann – und sich Wasserscheiden gegen Heuweiler im Norden und gegen deswegen als Grenzlinie anböte. Der Hofbesitz greift Föhrental im Osten. Gleichzeitig weisen nämlich die vielmehr regelmäßig über den Bach hinüber, auf- Hofgrundstücke, auch wenn sie Hofanschluß haben, in fallend häufig aber nur mit einem schmalen diesem Höhensaum auffallende Knicke ihrer Grenzen Geländestreifen. In mehreren Fällen – so heute noch auf. Daraus muß geschlossen werden, daß dieser hof- beim Flammhof, 1774 auch beim Vogtshof und beim ferne, etwa 200 m breite Grenzstreifen ursprünglich nur Merzhof – liegt die Hofraite auf eben dieser schmalen extensiv – eben durch Weidgang – und z. T. von mehre- Parzelle jenseits des Baches, dem weitaus größeren ren Hofgütern gemeinsam genutzt und erst relativ spät Teil des Hofbesitzes gegenüber, sie erscheint hier zwi- in bäuerlichen Eigenbesitz überführt wurde. Dabei schen Bach und Hofgrenze regelrecht eingeklemmt. konnten die Nutzungsrechte an den gemeinsam genutz- Rationell war das bei der Besitzverteilung von 1774 ten Flächen nur teilweise durch hofanschließende, teil- nicht, und es ist daher auch nicht verwunderlich, daß weise mußten sie durch Zuteilung von räumlich vom die Hofgebäude von Vogts- und Merzhof im frühen Hof getrennten Besitzparzellen abgegolten werden. 19. Jh. in ihre heutige Position verlegt wurden. Diese Überführung hoffernen, von mehreren Höfen Man kann die frühere Hoflage eigentlich nur verste- gemeinsam genutzten Geländes in Eigenbesitz der Höfe hen, wenn man unterstellt, daß der ursprüngliche Hof- ist sicher nicht gleichzeitig und in einem Zuge erfolgt. besitz nicht nur nicht die Ausdehnung von 1774 und Denn im Oberen Schopbach – oberhalb des späteren, auch nicht den um den spät gewonnenen hoffernen heute abgegangenen Uhrenhäusles, das einmal Berg- Besitzanteil verminderten Umfang hatte, sondern noch häusle des ebenfalls abgegangenen Willmannshofs war wesentlich kleiner war: so klein, daß bei dem – lag noch 1774 eine Waldparzelle, die die Relation als damaligen Grenzverlauf die Hofraite in eine einiger- »dem Martin Haitzler und Jerg Willmann zugehörig (je maßen zentrale Position rückte. Diese Vorstellung 1/2)«, also als gemeinsamen Besitz von Haitzler- und gewinnt an Substanz, wenn man den hofnahen Willmannshof, als Hofallmende ausweist. Das beweist, Grenzverlauf beim Rufehof auswertet. Auch dieser daß der beschriebene Vorgang noch in der zweiten Hof lag 1774 nicht dort, wo er heute liegt (die heutigen Hälfte des 18.Jh. nicht zum Abschluß gekommen war, Gebäude stammen aus der Zeit um 1790), sondern zugleich aber auch, daß es sich dabei um eine relativ etwas talab unterhalb der Einmündung des Weiler- späte Entwicklung handelte. Ähnlich wie in dem Grenz- bächles. In dieser Lage war er an drei Seiten durch die streifen gegen Heuweiler und Föhrental dürfte sie sich hofnah – in einem Abstand von 50 bis maximal 200 m in den hoffernen, hochgelegenen Teilen der Gemarkung – verlaufenden Besitzgrenzen eingeengt, dagegen auch sonst abgespielt haben, – so unter anderem auch erstreckten sich die Wirtschaftsflächen des sehr großen im Oberen Michelbach und im Bereich der Ruine Besitzes – der Rufehof war 1774 nächst dem Zähringen. Murstehof der größte auf Gemarkung Wildtal – Auch das Übergreifen des Schönehofs aus dem kilometerweit schopbachaufwärts. Auch der Rufehof Reutebach über die Gemarkungsgrenze auf die wasser- lag damals also ausgesprochen peripher auf seinem scheidennahen Bereiche der Wildtaler Seite kann nur als Grundstück. Man wird diese Lage des Hofes ähnlich Ergebnis einer allmählichen Umwandlung von Nut- deuten müssen wie die von Vogts- und Merzhof, also zungsrechten in Besitzrecht erklärt werden. Da der – als Zentralposition innerhalb eines ursprünglich viel noch 1774 nicht endgültig entschiedene – Streit darüber, kleineren Besitzes. Anders aber als beim Vogts- und ob der gesamte Besitz des Schönehofs zu Reutebach Merzhof lassen die den Hof an drei Seiten umgeben- und damit zur Markgrafschaft gehöre oder nicht, 1624 den Grenzen von 1774 noch den älteren Grenzverlauf (aber eben erst 1624 und nicht schon 1507, als der erkennen. Als vierte Grenze muß man sich dazu eine Markgraf Gundelfingen mit dem Reutebach erwarb!) Linie von dem Punkt an, wo die Grenze gegen den aufkam (STÜLPNAGEL 1964, S. 58), ergibt sich für den Gehrihof auf den Schopbach trifft, längs dem Weiler- Beginn der Entwicklung auch ein terminus ante quem: bächle bis zur Grenze gegen den Leimenstollenhof man wird ihn grob zwischen Bauernkrieg und denken, – dann gewinnt man eine Vorstellung davon, Dreißigjährigen Krieg einordnen können. wie die Grundstücke der Wildtaler Höfe ursprünglich Hat man einmal begonnen, den Gemarkungsplan von aussahen: kleine Parzellen von nur wenigen Hektar 1774 als Dokument einer allmählichen Ablösung Größe in einem weiten, nur extensiv genutzten Um- grundherrlicher durch bäuerliche Besitzrechte zu lesen, land, mit festen Grenzen – wenn überhaupt – nur ge- dann gen die benachbarten Höfe und nur im Wiesen- und 26

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Ackerland. Von solch kleinen Besitzeinheiten ist seit spät, sondern besonders früh erworbene Grundstücke dem 16.Jahrhundert die Entwicklung ausgegangen, die vorliegen, an denen die Höfe offenbar deswegen fest- zu dem Flurbild von 1774 führte. hielten, weil sie für die Heugewinnung – und damit für Aus der Kenntnis dieser Zusammenhänge lassen die Leistung des Heuzehnts – wichtig waren. In diesem sich weitere Unregelmäßigkeiten der Wildtaler Flur- Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß auch die gliederung von 1774 deuten. So ist der Grundriß des Wiesen am Talbach außerhalb der Gemarkungsgrenze Willmannshofes – der dadurch auffällt, daß er schein- seit alters her gutenteils von Wildtaler Bauern genutzt bar nach dem Muster der im Mittelschwarzwald sonst werden. Diesem Übergreifen von Wildtaler Besitz auf verbreiteten Besitzstreifen von Wasserscheide zu Was- Gundelfinger Gemarkung entspricht (Gundelfinger und serscheide angelegt ist, aber auf der Westseite des Zähringer) Ausmärkerbesitz an den Wiesen auf Wild- Schopbachtales nicht bis zum Kamm gegen das taler Gemarkung. Hier liegt eine Besitzverzahnung Michelbachtälchen durchzieht – damit zu erklären, daß vor, die vermutlich bis in das Spätmittelalter zurück- der Besitz des Hofes ursprünglich nur das westlich des reicht, als der Zähringer Burgbezirk noch eine Einheit Baches gelegene Grundstück mit der Hofraite umfaßte bildete, die Gemarkungsgrenze also noch keine Herr- und erst später jenseits des Baches den Dobel gegen schaftsgrenze war wie später. Auch die Entstehung der den Hasenkopf aufwärts erweitert wurde, während eine Taglöhnergüter am Nordwestrand der Gemarkung ist Ausdehnung auf der Westseite wohl deswegen unter- in diesem Zusammenhang zu sehen. Aus den wirt- blieb, weil dem bestehende Nutzungsrechte des Rufe- schaftlichen Bedürfnissen der Wildtaler Höfe ist sie hofs entgegenstanden, dem das Gelände dann zuge- jedenfalls nicht zu erklären. Sie hängt mit der Nutzung schlagen wurde. Auch der so merkwürdig dreizipflige des Gundelfinger Rebbergs zusammen, der stets außer- Grundriß des Flammhofs ist nun erklärbar. Das Hof- halb der Wildtaler Gemarkung lag. Hier hatte im grundstück war 1764 durch die Vereinigung mit dem 16.Jahrhundert das Kloster Waldkirch auf Wildtaler Spitalhof entstanden. Dessen Lage ist unbekannt, läßt Gemarkung ein Stück Land mit einer Trotte, – es mag sich jetzt aber erschließen. Wenn nämlich der Flamm- sein, daß der Kleinbesitz an dieser Stelle darauf zu- hof ursprünglich eine ähnlich kleine Besitzfläche hatte rückzuführen ist. wie sie für die talauf gelegenen Höfe erschlossen Das Flurbeispiel Wildtal zeigt, daß ein Flurplan un- wurde, dann muß dieser Besitz gegenüber dem Hof auf ter günstigen Umständen manches über die Geschichte den flachen Hängen jenseits des Talbaches gelegen eines Ortes auszusagen vermag, was sich aus dem haben, denn der Südostzipfel des Hofbesitzes an den schriftlichen Urkundenbestand nicht herauslesen läßt. steilen Nordhängen des Mühlebergs kommt für eine Auch am Plan von Wildtal läßt sich belegen, daß das intensivere landwirtschaftliche Nutzung nicht in Frage Flurbild der Rodungssiedlungen des Mittelschwarz- und ist sicher erst spät zum Hof gekommen. Dann aber walds nicht in einem Zuge, nicht schon zu Beginn der liegt es nahe, den Spitalhof talauf zu vermuten, und Besiedlung und vor allem nicht als Ergebnis grund- zwar wahrscheinlich auf dem schmalen Besitzstreifen, herrlicher Planung entstanden ist, sondern allmählich, den der Flammhof 1774 jenseits des Baches unterhalb verhältnismäßig spät – nämlich erst seit dem Ausgang des Walds des Vogtshofs am Längehardt besaß. Die des Mittelalters – und wesentlich durch die Initiative Nutzflächen des Spitalhofes hätten dann südlich des der Hofbauern, die es verstanden, Nutzungsrechte Zug Baches im Bereich des heutigen Oberen Flamm- um Zug in Besitzrecht umzuwandeln. hofackers gelegen, – wodurch sich das sonst kaum ver- ständliche Ausgreifen des Flammhofes nach Südosten Quellen: erklären würde. Die zum Flammhof gehörigen Wald- stücke am Längehardt schließlich dürften im Zuge der Grundrüss und Erklärung über den Berlendigischen Bahn Wildthaal, Auseinandersetzung über die Waldnutzungsrechte mit Relatio über den Berlendigischen Bahn Wildthaal, beide von 1774, dem Lehenhof (und vielleicht auch dem Vogtshof) GLA Karlsruhe. Wildtal 1-2, vgl. auch 229/114141. zum Hofbesitz gekommen sein. Katasterplankarte 1:5000, Bl.7913/23 Gundelfingen, 7913/24 Ein letztes Problem der Flurgliederung von Wildtal Wildtal, 7913/25 Föhrental, 7913/30 Zähringen, 7913/31 Schloßhäuser, 7913/32 Rufehof. 1774 bildet der Streubesitz am Talausgang. Er ist heute nur noch in Teilen erkennbar: bereits die Wie- senmeliorierung hat ihn verändert, die Überbauung Literatur: nach dem 2. Weltkrieg die ehemalige Besitzverteilung GOTHEIN, E.: Die Hofverfassung auf dem Schwarzwald, dargestellt an weitgehend verwischt. Hier hatten neben den an- der Geschichte des Gebiets von St. Peter. In: Zeitschrift für die stoßenden Hofgütern – Murstehof und Lehenhof – Geschichte des Oberrheins 40 (1886) S.257-316. auch das Spenglerische Dominikalgut und der Flamm- HABBE, K. A.: Das Flurbild des Hofsiedlungsgebiets im Mittleren hof verstreut liegenden Besitz in den Wiesen, dazu Schwarzwald am Ende des 18.Jahrhunderts. Forsch. z. dt. Lan- kam Kleinbesitz von Taglöhnern. Derartiger Streu- deskunde 118 (1960). besitz ist – wie gesagt – in Gemarkungen des Mittel- DERS.: Die »Waldhufensiedlungen« in den Gebirgen Südwest- schwarzwalds sonst selten. Man wird – soweit es sich deutschlands als Problem der systematischen Siedlungsgeographie. um Hofbesitz handelte – annehmen dürfen, daß hier – In: Ber. z. dt. Landeskunde 37 (1966); S.40-52. anders als bei den hoffernen Waldparzellen – nicht 27

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DERS.: Rohrhardsberg 1785- 1958- 1978. In: Siedlungsgeographi- STÜLPNAGEL, W.: Zur Geschichte der Veste Zähringen und ihrer sche Studien – Festschrift für G.Schwarz; hg. v. W.Kreisel, Umgebung. In: Schau-ins-Land 76 (1958) S. 19-32. W.D.Sick, J.Stadelbauer. 1979; S.71-89. DERS.: Wildtal – ein breisgau-ritterschaftlicher Ort. In: Schau-ins- KRIEGER, A.: Topographisches Wörterbuch des Großherzogtums Land 82 (1964) S. 58-72. Baden. 1-2. 21904-05. ND 1972. Wildtal. In: Freiburg im Breisgau, Stadtkreis und Landkreis – Amtli- Nitz, H.J.: Entwicklung und Ausbreitung planmäßiger Siedlungs- che Kreisbeschreibung; 2,2. 1974. S.1155-1174 (Verf.: K.HASE- formen bei der Erschließung von Odenwald, nördlichem Schwarz- RODT und W. STÜLPNAGEL). wald und Hardtwald. In: Heidelberg und die Rhein-Neckar- Lande – Festschrift zum 34. Dt. Geographentag 1963. S. 210-235.

Historischer Atlas von Baden-Württemberg: Erläuterungen Herausgegeben von der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg Zeichnung der Abbildungen: Ludwig Schwarzenbek, Stuttgart 9. Lieferung 1982 Druck der Erläuterungen: Offizin Chr. Scheufele, Stuttgart

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