01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 189

Historische wasserbauliche Anlagen – erhaltenswertes Kulturgut oder Hindernis? Berücksichtigung von Kulturdenkmalen bei der Umsetzung der EU-Wasserrahmen- richtlinie

Mit der im Jahr 2000 in Kraft getretenen EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) sollen europaweit einheitliche Standards für den Gewässerzustand und den Gewässerschutz erreicht werden. Die Umsetzung dieser Richtlinie gehört zu den zentralen Projekten der Landesverwaltung. Nach einer umfassenden Bestandsaufnahme werden zurzeit für Fließgewässer Abschnitte festgelegt, in denen festgestellte Defizite vorrangig behoben werden sollen. Dabei werden konkrete Maßnahmen benannt, deren Umsetzung bis 2015 zum angestrebten Zustand der Gewässer führen soll. In diesem Zusammenhang werden entlang zahlreicher Flüsse umfangreiche bauliche Veränderungen stattfinden, von denen auch Kulturdenkmale betroffen sein werden. Erik Roth / Claudia Rodat / Sabine Schellberg / Petra Wichmann

Ein vorrangiges Ziel, das mit der Wasserrahmen- Im Leitfaden „Durchgängigkeit für Tiere in Fließ- richtlinie verfolgt wird, ist ein „guter ökologischer gewässern“, herausgegeben von der Landesan- Zustand“ der oberirdischen Gewässer. Wichtige stalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (seit Gesichtspunkte für die Beurteilung des ökologi- 2006 Landesanstalt für Umwelt, Messungen und schen Zustands bei Fließgewässern sind unter an- Naturschutz Baden-Württemberg), wird darauf derem die Gewässerstruktur bzw. -morphologie, hingewiesen, dass von den Maßnahmen Belange die bei Wassernutzung im Gewässer verblei- des Denkmalschutzes bzw. der Denkmalpflege bende Restwassermenge und die Durchgängig- berührt sein können: keit für wandernde Organismen, insbesondere Fi- „Kulturhistorische Anlagen, wie Stauanlagen zur sche und Fischnährtiere. Wiesenwässerung und Wasserkraftanlagen mit Vor allem quer zum Gewässer verlaufende Bau- Wasserrädern, stellen oft Wanderhindernisse dar. werke (Querbauwerke) sind Hindernisse für die Diese Bauwerke stehen zum Teil unter Denkmal- Fischwanderungen. Dabei kann es sich im Ex- schutz. Die Entfernung dieser Anlagen würde im tremfall um Flusskraftwerke oder Staudämme Einzelfall zu einem erheblichen kulturhistorischen handeln, häufig sind es Wehre oder Schützanla- Verlust führen. Hier sollte die Durchgängigkeit im gen zur Abflussregelung (Regelungsbauwerke), hinzu kommen die zahlreichen Sohlenstufen (Ab- stürze). Auch eine Ufer- oder Sohlenbefestigung kann die Durchgängigkeit im Gewässer und zu den angrenzenden Ufer- und Auebereichen be- hindern. Um die Durchgängigkeit wiederherzustellen und damit den ökologischen Zustand der Fließge- wässer zu optimieren, sollen solche Hindernisse beseitigt oder umgangen werden. In vielen Fäl- 1 Wehr bei Beuren an len wird es genügen, neben einem Wehr eine der Aach. Verzeichnis der Fischaufstiegshilfe bzw. ein Umgehungsgerinne Bau- und Kunstdenkmäler anzulegen oder einen Absturz durch eine für Fi- im Landkreis Stockach, sche passierbare „raue Rampe“ zu ersetzen. An Abschnitt „Baudenkmäler manchen Stellen wird dies aber nicht möglich der Technik“, 1930er sein. Jahre.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 189 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 190

2, 3 Der Krebsbach in Einklang mit den Anforderungen des Denkmal- gen (Lkr. Konstanz) sind zum Beispiel entlang des Eigeltingen, 1999. Die schutzes wiederhergestellt werden“ (Leitfaden Krebsbachs zwei Gemeindewaschhäuser und die Bachbetteinfassung mit Teil1 – Grundlagen, 6.3 Kulturhistorische Aspekte). Untere Mühle als Kulturdenkmale genannt, aber Sandsteinquadern und die Tatsächlich berühren die Planung und die bereits auch die Bachbetteinfassung mit Sandsteinqua- Sandsteinbogenbrücken beginnende Umsetzung der Richtlinie auch un- dern, Treppen zum Bach und fünf Sandsteinbo- sind ebenso Bestandteile mittelbar Belange des Denkmalschutzes und genbrücken über den Bach (Abb. 2, 3). der denkmalgeschützten Sachgesamtheit wie die der Denkmalpflege. Schon in der Planungsphase Als bedeutende Zeugnisse der historischen Kultur- über dem Bach errichteten bzw. im Rahmen der dafür erforderlichen Um- landschaft sind historische wasserbauliche Anlagen Gemeindewaschhäuser. weltprüfungen wird zu klären sein, bei welchen nicht nur für die Denkmalpflege von Interesse (vgl. Maßnahmen bzw. Objekten dies der Fall ist. den Beitrag V.Eidloth u. M. Goer „Historische Kul- Dass historische wasserbauliche Anlagen Denk- turlandschaftselemente als Schutzgut“, Denkmal- maleigenschaft besitzen können, ist den Denk- pflege in Baden-Württemberg, 25. Jg. (1996), malpflegern schon seit Langem bewusst. So sind S. 148–157), sondern auch für andere Disziplinen. im Verzeichnis der Bau- und Kunstdenkmäler im Am Institut für Landespflege der Universität Frei- (ehem.) Landkreis Stockach aus den 1930er Jah- burg wurden zum Beispiel kulturhistorische Ein- ren – im Abschnitt „Baudenkmäler der Technik“ flüsse auf die Fließgewässer im Münstertal (Lkr. – einzelne wasserbauliche Anlagen enthalten, Breisgau-Hochschwarzwald) als Beitrag zur Fließ ge- unter anderem ein Stauwehr in Beuren an der wässerbewertung untersucht. Die Wiesenwässe- Aach (Abb. 1) oder ein „altes Wasserwehr“ am rung an der zwischen Kenzingen und Rust (Lkr. Krebsbach bei der Unteren Mühle in Eigeltingen. Emmendingen) aus der zweiten Hälfte des 19. Jahr- Die Inventarisatoren der Bau- und Kunstdenk- hunderts ist ein Kulturdenkmal, zugleich aber auch malpflege gehen heute bei der systematischen wesentlicher Bestandteil des Natur- und Land- Erfassung der Kulturdenkmale vorrangig von den schaftsschutzgebietes „Elzwiesen“. historischen Gebäuden aus. Wasserbauliche An- Trotz vieler weiterer Beispiele ist festzustellen, lagen werden mit in die Listen der Bau- und dass wasserbauliche Anlagen von der Denkmal- Kunstdenkmale aufgenommen, wenn sie in ihrer pflege bisher nicht systematisch erfasst wurden, Zugehörigkeit zu einem Gebäude (Teil der Sach- sodass in den Listen der Kulturdenkmale, beson- gesamtheit) oder in ihrer eigenen Wertigkeit als ders in den älteren, solche Objekte nur unvoll- Kulturdenkmal erkannt werden. Wasserbetrie- ständig verzeichnet sind. Daher wird man im Zu- bene technische Kulturdenkmale wie Mühlen sammenhang mit der Umsetzung der Wasserrah- und Sägen werden mit den zugehörigen wasser- menrichtlinie eine Vielzahl von betroffenen baulichen Anlagen – Mühlteich, Wehr, Mühl - Querbauwerken – vor allem Wehr- und Schützan- kanal usw. – als Sachgesamtheit verzeichnet. In lagen – auf ihre Denkmaleigenschaft hin prüfen einzelnen Fällen kommt auch einem größeren müssen. Neben einer Bestandsaufnahme der Bau- Gewässerabschnitt mit Zeugnissen unterschiedli- werke selbst mit Begehung vor Ort ist dazu eine cher Nutzungen Denkmaleigenschaft zu. Im Ver- Untersuchung des räumlichen und funktionalen zeichnis der Bau- und Kunstdenkmale in Eigeltin- Zusammenhangs erforderlich, in dem sie stehen.

190 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 191

Regelungsbauwerke wie Wehr- und Schützanla- Umweltschutz und Schutz des kulturellen Erbes“ gen kommen meist in Kombination mit Wasser- herausgegeben. Das Deutsche Nationalkomitee kraftnutzungen (z.B. bei Mühlen oder Wasser- für Denkmalschutz hat in seiner Empfehlung „Zur kraftwerken) oder Wasserentnahmen (z.B. für Umsetzung der Europäischen Wasserrahmen- Wässerwiesen) zum Einsatz. Hier wird zu prüfen richtlinie (WRRL) in nationales Recht“ eindringlich sein, welchen geschichtlichen Zeugniswert das auf beide Belange hingewiesen. einzelne von geplanten Maßnahmen betroffene Bauwerk besitzt und ob es Bestandteil einer er- Beispiel haltenswerten Sachgesamtheit ist. 4 Plan der Gemarkung Mit den Planungen zur Umsetzung der Wasser- Alle Fließgewässer der Europäischen Union wur- Zizenhausen von 1876 rahmenrichtlinie kommt also auf die Denkmal- den im Rahmen der EU-Wasserrahmenrichtlinie, (Ausschnitt) mit den fachbehörden ein erheblicher Arbeitsaufwand je nach Maßstabsebene, in so genannte Fluss- Standorten der Wasser- zu. Um eine Grundlage für die Beurteilung dieses gebietseinheiten, Bearbeitungsgebiete bzw. Was - kraftanlagen an der Aufwands zu erhalten, hat das Referat Denkmal- serkörper eingeteilt. Die exemplarisch bearbei- Stockacher Aach. Die pflege im Regierungspräsidium Freiburg im vo - teten Wasserkörper 12–03 und 12–04 umfassen Nummern 1–6 sind im Text erläutert, „H“ mar- rigen Jahr zwei Gutachten in Auftrag gegeben. mit ca. 1050 km2 Einzugsgebiet und ca. 900 km kiert das ehem. herr- Sabine Schellberg (Universität Freiburg, Institut Gesamtgewässerlänge das „Bodenseegebiet west- schaftliche Hüttenwerk. für Landespflege) untersuchte wasserbauliche lich mit Stockacher Aach“ und Der Ausschnitt oben Bauwerke an der Hauensteiner im Landkreis das „Westliche Bodenseegebiet mit Radolfzeller rechts zeigt die enge Ver- Waldshut, Claudia Rodat (Hegau-Geschichtsver- Aach“. Die untersuchten Vorrangstrecken liegen zahnung der Nutzungen ein, Arbeitskreis Kulturlandschaft) Anlagen im im Landkreis Konstanz. Für den Wasserkörper 4 und 5. Einzugsgebiet der Stockacher und der Radolfzel- ler Aach sowie der im Landkreis Konstanz. Die Bestandsaufnahme beschränkte sich auf Ob- jekte im Bereich der ausgewiesenen Vorrang- strecken; Anlagen im Oberlauf der Flüsse wur- den nicht mit aufgenommen. Die beiden nach- folgenden Beiträge zeigen charakteristische Beispiele von Anlagen, die im Rahmen dieser Bestandsaufnahmen erfasst und dokumentiert wurden. Nach Prüfung der Dokumentation stell - te das Referat Denkmalpflege fest, bei welchen der Objekte es sich aus wissenschaftlichen oder auch heimatgeschichtlichen Gründen um Kultur- denkmale handelt. Aus den Untersuchungen wurde deutlich, dass eine systematische Erfassung der historischen wasserbaulichen Anlagen allein schon entlang der ausgewiesenen Vorrangstrecken im Rahmen der fortlaufenden Denkmalerfassung nicht zu be- werkstelligen sein wird. Umso wichtiger wird es sein, dass frühzeitig ein Austausch zwischen den planenden Behörden (für die Wasserwirtschaft zuständige Referate in den Regierungspräsidien und Landratsämtern) und den Denkmalbehörden erfolgt. Ziel der Denkmalpflege ist es, den histo- rischen Zeugniswert von schutzwürdigen Anla- gen zu erkennen, ihn zu vermitteln und an Lö- sungen mitzuarbeiten, die es erlauben, diese An- lagen möglichst weitgehend in Erscheinungsbild und Substanz zu erhalten. Ebenso wie Belange der Bau- und Kunstdenkmal- pflege können von den geplanten Maßnahmen auch Belange der archäologischen Denkmal- pflege betroffen sein. Zu dieser besonderen Pro- blematik hat der Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepublik Deutschland das Faltblatt „EU-Wasserrahmenrichtlinie und Archäologie –

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 191 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 192

5 Ehemaliges Hammer- werk des Eisenwerkes Zi- zenhausen, heute Säge- mühle (bergaufwärts) und Wohngebäude (tal- wärts), samt zugehörigen wasserbaulichen Anla- gen. Erstere tradiert im massiven Erdgeschoss mit segmentbogigen Sand- steinrahmungen um Tür- und Fensteröffnungen noch Teile des Hammer- werks des 18. Jahrhun- derts.

12–03 ist, neben zahlreichen kleineren Boden- licher Bedeutung und zeitlicher Überprägung des seezuflüssen, die Stockacher Aach das zentrale Einzelelementes und des betroffenen Ensembles. Fließgewässer: Sie ist ein mittelgroßer Mittel- gebirgsbach, der in seinem knapp 40 km langen Tabelle 2: Auswertung der Bauwerke und ihrer Verlauf viele kleinere Bäche aufnimmt und bei Funktions-/ Nutzungstypen Bodman-Ludwigshafen (Lkr. Konstanz) in den Bo- densee mündet. Durch die Wasserwirtschafts - Nutzung/Bauwerk Absturz Wehr verwaltung wurden im Wasserkörper 12–03 ins- Hochwasserschutz 13 gesamt 146 Querbauwerke erhoben, davon 76 Wasserkraft 11 als signifikant eingestuft. Ebenfalls wurden an Wässerwiesen 3 31 km Fließlänge so genannte Vorrangstrecken Brauchwasser 1 definiert, an denen Verbesserungsmaßnahmen Pegel 1 bis 2012 mit höchster Priorität durchgeführt wer- gesamt 15 14 den sollen (Tab.1).

Tabelle1: EU-Wasserkörper 12–03 „Bodensee- Fachliche Grundlage der Erfassung und Bewer- gebiet westlich Seefelder Aach mit Stockacher tung waren Begriffe und Methoden der Kultur- Aach“ landschaftsforschung als Teilgebiet der wissen- schaftlichen Disziplin der Historischen Geografie. Gesamter Vorrang- Die untersuchten Bauwerke sind als einzelne Kul- Wasserkörper strecke turlandschaftselemente anzusprechen. Ohne die Gewässerlänge 540 km 31 km Betrachtung in einem übergeordneten Gesamt- (inkl. Quellbäche) zusammenhang aber kann ihr wirklicher, kultur- Querbauwerke 146 45 geschichtlicher Wert nicht bestimmt werden davon signifikant 76 29 (untersuchte (vgl. Eidloth u. Goer 1996). Kulturlandschafts- Bauwerke) elemente, die für eine bestimmte Funktion zu- sammen erbaut/erstellt wurden, bilden eine Die an der Vorrangstrecke im Wasserkörper 12– Funk tionseinheit, ein Ensemble. Die im Untersu- 03 untersuchten 29 Bauwerke konnten zum ei- chungsgebiet typischen oberschlächtigen Müh- nen allgemeinen Hochwasserschutzmaßnahmen len besitzen zum Beispiel grundsätzlich ein (Abstürze) und zum anderen Hauptwehren histo- Hauptwehr (das für den Aufstau des Gewässers rischer Wasserkraft- und Wässerwiesenanlagen sorgt), ein Kanalwehr (von dem Wasser aus dem zugeordnet werden (Tab.2). Die Bewertung er- Gewässer entnommen wird), einen Oberwasser- folgte je nach Vollständigkeit, Funktionsfähigkeit, kanal (der das Wasser vom Kanalwehr zur Mühle Erhaltungszustand, kultur- bzw. regionalgeschicht- transportiert), ein Übereichwehr (das im Ober-

192 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 193

6 Wasserbauliche Anla- gen im Oberwasserkanal. Um Hochwasserschäden im nachfolgenden verdol- ten Teilstück des Ober- wasserkanals zu vermei- den, wurde kurz vor dem Doleneinlauf (unten links) eine mechanische Hoch- wasserentlastung einge- baut: Ab einer bestimm- ten Wasserspiegelhöhe läuft das von oben kom- mende Wasser über die Betonschwelle und fließt nach unten rechts wieder in die Aach zurück. Zu- sätzlich konnte mit dem Hochwasserwehr (links) der gesamte Oberwasser- kanal abgelassen und ggf. unterhalten werden.

wasserkanal kurz vor der Mühle überschüssiges fasste zahlreiche kleinindustrielle Wasserkraftnut- Wasser ableitet), den Übereichkanal (der über- zungen aus dem 19. Jahrhundert (z.B. mechani- schüssiges Wasser vom Übereichwehr meist in sche Werkstätten, Sägewerke). das Gewässer leitet), das Mühlengebäude (in An der Stockacher Aach in Zizenhausen reihten dem die eigentliche Nutzung über Wasserrad sich Ende des 19. Jahrhunderts auf einer Strecke oder Turbine erfolgt) und den Unterwasserkanal von 2,1 km sechs Anlagen wie Perlen an einer (der das genutzte Wasser in das Gewässer zu- Schnur (Abb. 4): Hammerwerk, später Sägewerk rückleitet). und Holzwarenfabrik (1697–1953, Nr. 1), Säge- Seit 1225 sind im Gebiet der Stockacher Aach werk (ca. 1885–1985, Nr. 2), Baumwollspinnerei zahlreiche Wasserkraftanlagen und vereinzelt (ca. 1800–1911, Nr. 3), Ölmühle (ca. 1835–1936, auch Wässerwiesen archivalisch dokumentiert. In Nr. 4), Getreidemühle (ca. 1710–1930, Nr. 5) und der zurzeit laufenden Dissertation über die histo- mechanische Werkstatt/Elektrizitätswerk (ca. 1881– rischen Wassernutzungen am westlichen Boden- 1930, Nr. 6). see konnten bisher unter anderem allein ca. 100 In dieser Zeit des maximalen Ausbaus floss das ge- Mühlenstandorte nachgewiesen werden. nutzte Wasser nach den Unterwasserkanälen der Zentraler Ort dieser ländlich geprägten Kulturland- oberhalb liegenden Anlagen nur kurz im natürli- schaft am westlichen Bodensee war und ist Stock- chen Bachbett und wurde sofort wieder in den ach, die frühere Hauptstadt der vorderösterrei- nächsten Oberwasserkanal geleitet. Die Länge der chischen Landgrafschaft Nellenburg. Das heutige Kanäle und damit das maximale Nutzgefälle ge- Stadtgebiet und die angrenzende Gemeinde Or- ben heute noch Hinweise auf das Alter und die singen-Nenzingen weisen mit 24 Wasserkraftanla- Entstehungsreihenfolge der einzelnen Anlagen: gen auf insgesamt 12,7 km Gewässerstrecke an Während die im Süden, bereits auf Hindelwanger der Stockacher Aach und ihrem Nebenbach Win- Gemarkung liegende älteste Getreidemühle eine terspürer Aach die höchste Konzentration an tech- Zuleitung von 1000 m (7,6 m Fallhöhe) und das im nischen Kleinanlagen im nördlichen Hegau auf Norden gelegene Hüttenwerk 880 m (20,5 m Fall- und können deshalb als „His torische Mühlen- höhe) besaßen, musste sich der jüngste Betrieb ei- region Zizenhausen-Stockach-Nenzingen“ ange- ner mechanischen Werkstatt (Nr. 6) mit 35 m sprochen werden. Hier waren nicht nur die ältes- Oberwasserkanal und 1,15 m Fallhöhe begnügen. ten Wasserkraftanlagen, sondern neben Getreide- Das wohl umfangreichste Ensemble ist das seit und Sägemühlen auch Sondernutzungen wie Pa- 1697 nachgewiesene ehemalige herrschaftliche pier-, Loh- und Weißmühlen vorhanden. Der be- Eisenwerk Zizenhausen. Dessen Hammerwerk nachbarte Ortsteil Zizenhausen besaß zwischen wurde 1872 zu einem Sägewerk umgebaut und 1699 und 1866 das bedeutende Eisenhüttenwerk war zwischen 1898 und 1953 Sitz der „Holzhand- mit Schmelze, war regionaler Vorreiter der Pro-In- lung, Sägewerk und Holzwarenfabrik Heyd & Co.“ dustrialisierung (Baumwollspinnereien) und um- Der aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammende

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 193 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 194

langgestreckte, zwei- bzw. talwärts dreigeschos- Die untersuchten Wasserkörper spiegeln einen ge- sige, parallel zur Aach errichtete Gebäudekomplex nerellen Trend kleinerer Fließgewässer im ländli- (Abb. 5) wurde in den letzten Jahren aufwendig sa- chen Raum wider: Einerseits reduzierte die starke niert und steht unter Denkmalschutz. Die dazuge- Überprägung in den letzten 50 Jahren die Zeug- hörenden, heute noch sichtbaren wasserbaulichen nisse der historischen Wassernutzungen. Gerade Anlagen umfassen das untersuchte Hauptwehr, an größeren Bächen und damit oft in den Vorrang- Teile des Oberwasserkanals, das Übereich- und Do- strecken wurden Wasserkraftanlagen inklusive der leneinlaufwehr (Abb. 6), eine Hochwasserentlas- Querbauwerke entfernt, umgenutzt oder durch tung (Überfall) und zahlreiche punktuelle Sohlen- moderne Techniken ersetzt. Teilweise sind die ver- und Uferverbauungen in der Stockacher Aach. Das bliebenen, häufig verfallenen Ufer- und Sohlenver- einfeldrige Hauptwehr (8 m breit) besitzt eine bauungen die einzigen Hinweise auf frühere Stand- Schütztafel aus Holz, einen eisernen Abstandhalter orte. Die wenigen, heute noch genutzten Anlagen und Betonpfeiler inklusive Führungsschienen. Der mit historischen Bestandteilen sind auf jeden Fall Schützenantrieb erfolgte manuell über zwei Zahn- hinsichtlich der Denkmaleigenschaft zu prüfen. stangen/Zahnräder. Als Besonderheit ist die gute Andererseits wurden viele wasserhistorische Klein- Dokumentation der Umbauten 1905 bzw. 1934 ode aufgrund der oft begrenzten monetären Mög- mit zahlreichen Plänen und Skizzen in den Trieb- lichkeiten jahrzehntelang kaum verändert. Diese werksakten zu erwähnen (Abb. 7). finden sich meist abseits der größeren Gewässer Trotz sorgfältiger Erfassung der Kulturdenkmale und damit außerhalb der Vorrangstrecken in abge- 7 „Gesuch der Fa. Heyd in diesem Gebiet (Altkreis Stockach) zwischen legenen Gebieten jenseits wirtschaftlicher Interes- und Co. in Zizenhausen 1998 und 2001 war bisher nur das Gebäude des sen. Betrachtet man allein den Wasserkörper 12– um Genehmigung zum Hammerwerks als Kulturdenkmal erfasst. Die zu- 03, so ist bei einem Verhältnis von 540 km Gesamt- Umbau der Wehranlage gehörigen wasserbaulichen Anlagen liegen weit gewässerlänge zu untersuchten 31 km Vor rang- und teilweisen Verlegung des Oberkanals in Rohr- oberhalb, die letzten 140 m vor dem Hammer- strecke und insgesamt ca. 100 Mühlenstandorten leitung 1934/38“. Nach werk sind heute verdolt. Die Wasserkraft hatte, zu kartierten 11 Hauptwehren die Notwendigkeit dem ungenehmigten wie man aus der Flurbezeichnung „Schmelze“ einer guten Zusammenarbeit von Denkmalpflege Ersatz der Holzwehre entnehmen kann, zunächst die Blasebälge der und Wasserwirtschaft vor Ort auch außerhalb der durch das heutige Eisen- Hochöfen bedient, ehe sie zum Hammerwerk ge- EU-Wasserrahmenrichtlinie offensichtlich. wehr musste 1935 ein leitet wurde. Der Zusammenhang ließ sich erst nachträgliches Gesuch durch die Bestandsaufnahme mit dem Schwer- Beispiel Tiefenstein mit Lageplänen und Skiz- punkt „wasserbauliche Anlagen“ und die Aufar- an der Hauensteiner Alb zen eingereicht werden. beitung der entsprechenden Quellen feststellen. Die wasserbaulichen Anlagen des Eisenwerks Die Hauensteiner Alb liegt im WRRL-Bearbei- 8 Stauwehr an der Alb oberhalb von Tiefenstein wurden inzwischen aus wissenschaftlichen und tungsgebiet Hochrhein, im Teilbearbeitungsge- mit seitlicher Holzgleit - heimatgeschichtlichen Gründen als Teil der Sach- biet . Dieses umfasst die Gewässer im Süd- tafel zur Regelung des gesamtheit in das Verzeichnis der Kulturdenk- schwarzwald, die zwischen Lörrach und Walds- Restwassers. male nachgetragen. hut in den Hochrhein münden. In diesem Bereich

194 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 195

findet man zahlreiche wasserbauliche Einrichtun- Der parallel zur Alb geführte Hangkanal (Abb. 10) gen. Neben der Brauchwassernutzung (hölzerne ist teils als Stollen durch den Felsen ausgeformt. Deichelleitungen) und der landwirtschaftlichen Die unregelmäßige Bogenform des Stollens weist Nutzung (Wiesenwässerung) stand die gewerbli- auf Handarbeit hin. Zwei Auslässe dienen zur Rei- che Nutzung bzw. die Wasserkraftnutzung im nigung des Kanalbetts, damit es nicht versandet. Vordergrund. Historisch spielte die Nutzung der Nach rund 570 m endet der Kanal an der Tiefen- Wasserkraft schon seit dem Mittelalter eine große steiner Spinnerei, der Einmündung des Rolle, was angesichts der Höhenunterschiede im Schildbachs in die Alb (Abb. 11). 1998 hat der gesamten Albgebiet (inklusive Nebentäler) und heutige Eigentümer den Kanal vom Bewuchs frei- des saisonalen Wasserreichtums naheliegt. Im gelegt und gereinigt. Er zeigt sich deshalb sehr Zuge der im Herbst 2007 durchgeführten Be- anschaulich in seiner Funktion. standsaufnahme im Unterlauf der Alb, einer tief Der Kanal versorgte die ehemalige Spinnerei mit eingeschnittenen Granitfelsenschlucht, wurden Brauchwasser und nutzte das Wasser zur Energie- durch das Institut für Landespflege der Universi- gewinnung. Schon im Zuge der ersten Bestands- tät Freiburg die wasserbaulichen Bauwerke ent- aufnahme wurde festgestellt, dass die Spinnerei lang der Vorrangstrecke erfasst und dokumentiert. mit gewerblicher Nutzung von Wasser aus der Die Bedeutung bzw. der Denkmalwert mancher Hauensteiner Alb bereits im späten 19. Jahrhun- wasserbaulichen Einrichtung erschließt sich aller- dert existierte. Sie ist im sechsten Heft der „Bei- dings erst im Zusammenhang mit der Kenntnis träge zur Hydrographie des Grossherzog thums Ba- über weitere zum Bauwerk gehörige Objekte und den“ aus dem Jahr 1889 aufgeführt; die wesentli- die Nutzungsgeschichte im regionalen Kontext. chen, noch heute bestehenden Fabrik gebäude und In Tiefenstein (Gemeinde Görwihl, Lkr. Waldshut) wasserbaulichen Anlagen südlich des Schildbachs wurde an der Alb ein Stauwehr aus Beton mit ei- sind im Gemarkungsatlas (Urkataster) der Gemar- ner Natursteinrampe unterhalb des Stauwehres kung Niederwihl von 1889–94 differenziert darge- erfasst. Zur Restwasserregelung ist das Bauwerk stellt (Abb. 12). Das Wehr an der Hauensteiner Alb am westlichen Rand mit einer beweglichen klei- ist also Bestandteil eines größeren Ensembles, des- nen Holzgleittafel ausgestattet (Abb. 8). Das sen Kernstück die ehemalige Spinnerei bildet. Querbauwerk ist auf den ersten Blick ein unspek- Von Seiten der Denkmalpflege existiert keine ak- takuläres Bauwerk aus dem 20. Jahrhundert, das tuelle Liste der Bau- und Kunstdenkmale in diesem für sich betrachtet keinen Denkmalstatus hätte. Bereich. Ergänzend zur Bestandsaufnahme der Unmittelbar vor dem Stauwehr befindet sich aber wasserbaulichen Anlagen war daher die Überprü- ein großes massives Holzschütz, an dem ein Ka- fung der Kulturdenkmaleigenschaft erforderlich. 9 Holzschütz am Ab- nal abzweigt (Abb. 9). Dimension und Bautyp des Diese hat zu Recherchen über 400 Jahre Industrie- zweig des Hangkanals. Holzschützes und der unmittelbar dazugehören- geschichte, den Industrieweiler mit 23 Gebäuden den Elemente lassen auf eine Bauzeit im 19. Jahr- sowie insgesamt drei zugehörige wasserbauliche 10 Der parallel zur Alb hundert schließen, als die Alb zu Spitzenzeiten Anlagen geführt. Bei Tiefenstein kommt hinzu, geführte Hangkanal deutlich größere Wassermengen abführte. dass Industriegebäude und wasserbauliche Anla- („Betriebskanal“).

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 195 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 196

11 Die ehemalige Spin- nerei in Tiefenstein. Im Vordergrund verläuft der Schildbach.

Glossar

Oolithisches Eisenerz, auch Doggererz: Dogger ist ein geologischer Begriff und bezeichnet die mittlere Abteilung des Jura; wegen seiner Eisenhaltigkeit ist die- ses Gestein häufig braunrot gefärbt und wird deshalb auch als „brauner Jura“ be- zeichnet. Es ist aufgebaut aus kleinen kugeligen Mine- ralkörnern, die Fischeiern gleichen und deshalb als gen bis 1975 auf mehreren Gemarkungen lagen nem Weiher aufgestaut wurde. Auf dem „Plan „Ooid“ bezeichnet werden. und so das historische Kartenmaterial und die ent- über den Bann der Gemeinde Gerweil in der Graf- Gestein, das aus solchen Ooiden zusammengesetzt sprechende Ortsliteratur zu vier Gemarkungen schaft Hauenstein“ von 1784 (Generallandesarchiv ist, nennt man „oolithisch“. eingesehen werden mussten. Es folgte eine einge- Karlsruhe) ist die Kluse noch nicht eingetragen. Das Tiefensteiner Eisenerz hende Besichtigung des Gewerbeareals. Das Er- Heute ist der Weiher mit einem neuen Wehr aus- kam aus dem Fricktal. gebnis, dass eine so bedeutende wasserbauliche gestattet, aber noch in Funktion erhalten (Abb. 13). Bohnerz: Geologischer Anlage in ihrer Wertigkeit erkannt und als Denk- Unter den neuen Eigentümern wurde das Eisen- Begriff. Bohnerz stammt mal ausgewiesen werden kann, rechtfertigt letzt- werk erheblich ausgebaut. Teile des Werks lagen aus dem Tertiär und findet lich diesen Arbeitsaufwand. nun auch südlich des Schildbachs, am schmalen sich im Kalk bzw. in Karst- Deutlich wurde, dass die gewerbliche Wassernut- Hochufer der Alb. Als der badische Staat 1843 das bildungen als größere An- häufung von erbsen- bis zung in Tiefenstein weiter zurückreicht als zunächst Eisenwerk erwarb, wurden im Vertrag „das in der kartoffelgroßen Eisenkon- angenommen. Von Westen kommend mündet der Alb gelegene Wehr und sämtliche Betriebskanäle“ kretionen, oft mit einem Schildbach in die Alb. Nördlich des Schildbachs, eigens aufgeführt. Offenbar war das Eisenwerk in beträchtlichen Anteil an Ei- hangaufwärts an der Straße von der Albbrücke der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts so finanz- senoxyden. Hauptabbauge- nach Görwihl, lag bereits im 17. Jahrhundert ein stark gewesen, dass es die um ein Vielfaches grö- biet für den Südschwarz- Hammerwerk. Mit dem Auffinden von Eisenerz ßere, in der Erschließung aber sehr aufwendige wald ist der Klettgau. 1599 im nahen Unteralpfen begann die Suche nach und teuere Wasserkraft der Alb nutzbar machen Schappegarne: Im Kamm- einem nahe gelegenen geeigneten Ort zur Eisen- konnte. Der Hangkanal parallel zur Alb muss da- garnverfahren aus dem be- verarbeitung. 1630 wird Tiefenstein erstmals als mals von Hand in den Fels gehauen worden sein. reits abgehaspelten Mittel- teil des Kokons der Seiden- Hammer bezeichnet. Um 1670 ließ das Kloster Er steht in der Tradition der Wuhre, großer was- raupe hergestellte, glatte, St. Blasien einen neuen Hammer erbauen. Es han- serbaulicher Anlagen, die bereits im 12./13. Jahr- regelmäßige, leicht glän- delte sich um ein Hammerwerk, das Eisen aus der hundert im Zusammenhang mit den Hammerwer- zende Seidengarne. Schmelze des Klosters St. Blasien in Kutterau, wei- ken am Ufer des Hochrheins von den Höhen des Kaplan-Turbine: 1913 vom ter oben im Albtal, verarbeitete. Im 18. Jahrhundert Südschwarzwaldes bis nach Laufenburg und Bad österreichischen Ingenieur betrieb der 1739 in diesem Zusammenhang erst- Säckingen geführt wurden. Der Tiefensteiner „Be- Viktor Kaplan entwickelt. mals genannte Johannes Mayer aus Murg das triebskanal“ steht in dieser Tradition, und er ent- Ein lamellenförmiger Leitap- Hammerwerk. Spätestens 1801 kam ein Schmelz- stand wie seine Vorgänger für die Eisenverarbei- parat lenkt die einströmen- den Wassermassen axial auf ofen hinzu. Das Werk arbeitete vorwiegend für ein tung. Er ist eine technische Meisterleistung. das einem Schiffspropeller Eisenhandelshaus in Basel und verarbeitete zu- Der badische Staat betrieb das Eisenwerk Tiefen- ähnelnde Laufrad. Schau- nächst oolithisches Eisenerz aus dem Fricktal, spä- stein als Filialbetrieb des damals größten badi- feln und Leitapparat sind ter auch aus der Schweiz importiertes Bohnerz. schen Eisenwerks wenige Kilometer flussabwärts verstellbar und so den Was- 1816, beim Verkauf des Eisenwerks an die Brüder in Albbruck, das dem Staat nach der Säkularisa- sermengen anzupassen. Die Trötschler aus Todtmoos, wird der Wasserbehälter tion aus St. Blasianischem Besitz zugefallen war. Kaplanturbine eignet sich oder die so genannte Kluse erwähnt. Zu dieser Zeit An beiden Standorten wurde die Eisenproduktion besonders für Flüsse, bei de- nen große Wassermengen war die Hauptenergiequelle des Eisenwerks das wegen der Konkurrenz des mit der Eisenbahn an- bei geringem Gefälle zur Wasser des Schildbachs, das am Zusammenfluss gelieferten koksverhütteten, billigeren Eisens aus Verfügung stehen. des Lochmühlenbachs mit dem Schildbach in ei- dem Rheinland 1864 bzw. 1866 aufgegeben.

196 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 18.11.2008 17:10 Uhr Seite 197

Die Wasserkraft aus dem Schildbach und dem an; diese Francis-Turbine soll von 1904 stammen. 12 Ausschnitt aus dem Albwasserkanal wurde nun für eine Baumwoll- Danach wird das Wasser in die Alb zurückgeleitet. Gemarkungsatlas Nieder- spinnerei genutzt. 1873 kam die Anlage an drei Heute besteht die Anlage in Tiefenstein aus den wihl von 1889–94 mit Schweizer Unternehmer aus dem Kanton Glarus. Gebäuden der Spinnereifabrik aus der zweiten der „Fabrik“ in Tiefen- Sie wurde in eine Spinnerei für Schappegarne Hälfte des 19. und dem frühen 20. Jahrhundert stein südlich des Schild- bachs. umgewandelt. Besitzer und Produkte wechselten und aus den Wasserkraftanlagen, die zum Teil in der Folgezeit mehrfach. In den 1950er Jahren noch auf das Eisenwerk zurückgehen und im spä- 13 Die Kluse an der Ein- war die Spinnerei mit bis zu 400 Arbeitskräften ten 18. bzw. in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun- mündung des Lochmüh- das bedeutendste Unternehmen im Hotzenwald, derts entstanden. Es handelt sich also um eine lenbachs in den Schild- musste aber in den 1970er Jahren schließen. Nur Sachgesamtheit „Spinnereifabrik“, die die hervor- bach. Dank der Wasserkräfte und der früher noch vor- ragenden wasserbaulichen Anlagen des vorange- handenen Dampfreserve war es möglich gewe- henden Erzwerkes erhalten und weiterbetrieben sen, so lange gegen die Großkonzerne zu be - hat. Diese Sachgesamtheit ist insgesamt in großer stehen. 1941 wurden durch das Schluchseewerk Anschaulichkeit konserviert und als bedeutendes Glossar große Teile des Albwassers für das Schluchsee- Zeugnis der langen gewerblichen Nutzung an die- Francis-Turbine: Be- elektrizitätswerk abgeleitet. Die Wasserrechte sem Standort ein Kulturdenkmal aus wissenschaft- nannt nach dem anglo- hatte man der Spinnerei abgekauft und als Ersatz lichen und heimatgeschichtlichen Gründen. amerikanischen Ingenieur Strom geliefert. Trotzdem lassen sich bis heute Vor allem das Wehr an der Alb oberhalb von Tie- James B. Francis, der mit dem Restwasser drei Turbinen betreiben. fenstein, am Abzweig des Hangkanals, stellt ein 1849 eine 25 Jahre zuvor entwickelte, durch wei- Auf einem Plan von 1926, der das Betriesgelän- Hindernis für wandernde Fische und Fischnähr- tere Erfindungen verbes- de mit den zugehörigen wasserbaulichen Anlagen tiere dar. Hier soll nach den Zielvorgaben der serte Turbine auf den darstellt (Abb. 14), sind im Krafthaus (früher als Wasserrahmenrichtlinie die Durchgängigkeit her- Wirkungsgrad von 90% Kessel-Dampfmaschinen-Turbinenhaus bezeich- gestellt und die Restwassermenge erhöht wer- brachte. Die Wasserzu- net) zwei Turbinen eingezeichnet. Eine wird von ei- den. Bei den Planungen wird eine enge Abstim- fuhr erfolgt über ein ner Druckrohrleitung aus der Kluse am Schildbach mung zwischen den Wasser- und den Denkmal- schneckenförmig ge- gespeist, die zweite mit Wasser aus dem Hangka- behörden erforderlich sein, um Eingriffe in den krümmtes Rohr, die sog. Spirale. Das Wasser nal, das in einem Druckrohr unter dem ursprüngli- historischen Bestand zu minimieren und das Kul- strömt durch einen Leit- chen Gerinne des Schildbachs geleitet wurde. Das turdenkmal möglichst umfassend zu erhalten. apparat mit verstellbaren ist bis heute so geblieben. Am Albwasserkanal läuft Schaufeln radial auf die eine Francis-Turbine von 1924, die noch zum Erst- Literatur gegenläufig gekrümmten bestand gehört. Mit Wasser aus der Kluse wird Schaufeln des Laufrades. heute eine Kaplan-Turbine von 1952 betrieben. Das Claudia Rodat: Denkmalpflegerische Bewertung der Der Leitapparat ist ver- stellbar und den Wasser- Wasser beider Zuläufe wird vom Kraftwerk in einen wasserbaulichen Anlagen WRRL-Wasserkörper 12– mengen anzupassen. Die parallel zur Alb geführten Gewerbekanal geleitet, 03 (Einzugsgebiet Stockacher Aach), 12–04 (Ein- Francis-Turbine ist, da der früher auch als Garnwäsche genutzt wurde. Es zugsgebiet ) und 20–01 (Einzugs- universell einsetzbar, die treibt dann eine weitere Turbine im so genannten gebiet Biber). dcr geoinformatic, Konstanz, 2008 am weitesten verbreitete Bürogebäude am südlichen Eingang zur Fabrik (Dokumentation mit Erläuterungsbericht). Turbine.

Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008 197 01_nb408_187_258.qxd:Nabla 14.11.2008 14:08 Uhr Seite 198

14 Das Betriebsgelände der Spinnerei in Tiefen- stein mit den zugehöri- gen wasserbaulichen An- lagen, 1926. Im Nord- westen die Kluse am Schildbach, parallel zur Alb der Hangkanal.

Sabine Schellberg: Wasserbauliche Bauwerke an der Quellen Alb und am Andelsbach. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Institut für Landespflege, 2007 (Dokumen- Plan über den Bann der Gemeinde Gerweil in der tation mit Erläuterungen). Grafschaft Hauenstein, 1784. Generallandesarchiv Verband der Landesarchäologen in der Bundesrepu- Karlsruhe, Gemarkungspläne, Görwihl (WT) 1. blik Deutschland, EU-Wasserrahmenrichtlinie und Uebersichts-Plan der Gemarkungen Braunenberg, Archäologie – Umweltschutz und Schutz des kultu- Nellenburg, Hindelwangen, Berlingerhof und Burg- rellen Erbes (Faltblatt), 2007, http://www.landesar- thal sowie Zizenhausen, Maßstab 1:10000, 1876. chaeologen.de/kommissionen/wrrl-folder_vla.pdf Gemarkungsatlas Niederwihl, Plan 9 (Tiefenstein), Korinna Thiem: Die Historische Landschaftsanalyse Maßstab 1:1500, 1889–94. als Methode für die Fließgewässerbewertung am Wasser- und Strassenbaudirektion Karlsruhe, Stock- Beispiel des Münstertals im Schwarzwald. Culterra, Aach. Badischer Wasserkraftkataster, Heft Nr. 3, Schriftenreihe des Instituts für Landespflege, Bd. 46, 1928. Freiburg 2006. Kreisarchiv Konstanz, Triebwerksakten. Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württem- berg: Durchgängigkeit für Tiere in Fließgewässern. Leitfaden Teil1 – Grundlagen. Karlsruhe 2005. Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz: Zur Dr. Erik Roth, Umsetzung der Europäischen Wasserrahmenricht- Dr. Petra Wichmann linie (WRRL) in nationales Recht (Empfehlung), Saar- Regierungspräsidium Freiburg brücken 2004, http://www.nationalkomitee.de/ Referat 25 – Denkmalpflege appelle/29112004_Empfehlung.htm Volkmar Eidloth und Michael Goer: Historische Kul- Claudia Rodat turlandschaftselemente als Schutzgut, in: Denkmal- dcr geoinformatic pflege in Baden-Württemberg, 25/2, 1996, S. 148–157. Gabelsbergerstraße 11 Rudolf Metz: Geologische Landeskunde des Hotzen- 78467 Konstanz waldes. Lahr 1980. Jakob Ebner: Aus der Geschichte von Tiefenstein. Sabine Schellberg Waldshut 1950. Institut für Landespflege Centralbureau für Meteorologie und Hydrographie: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Beiträge zur Hydrographie des Grossherzogthums Tennenbachstraße 4 Baden. Karlsruhe 1889. 79106 Freiburg

198 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 | 2008