NOV.12

In den Achtzigern EINSCHLAUFEN Betrifft: Bunte Bilder aus trostlosen Zeiten Impressum Nº 09.12 DER MUSIKZEITUNG LOOP 15. JAHRGANG Das erste Jahr ist schrecklich: Ian Curtis erhängt tenrekordern, die zunehmend erschwinglicher sich in seiner Küche und John Lennon wird auf werden. Und während MTV die bewegten Bil- P.S./LOOP Verlag offener Strasse erschossen. Zwei gute Gründe, der zu den Klängen in die gute Stube überträgt, Postfach, 8026 Zürich das Jahrzehnt bereits 1980 zu den Akten zu le- entsteht hierzulande mit DRS3 ein Radiosender, Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 gen und in profunder Betäubung dem Anbruch der die hiesige Szene mobilisiert und in bislang [email protected] / www.loopzeitung.ch der Neunzigerjahre entgegen zu dämmern. Da- ungeahntem Mass auch vernetzt. mit hätte man sich natürlich einiges an Peinlich- Hier kommen nun Lurker Grand und André Verlag, Layout: Thierry Frochaux keiten ersparen können, doch gleichzeitig wären Tschan ins Spiel. Die beiden haben sich bereits einem Entwicklungen, Erscheinungen, Erschüt- mit ihrer Punk-Chronik «Hot Love» als um- Administration, Inserate: Manfred Müller terungen und Errungenschaften entgangen, ohne triebige Underground-Historiker einen Namen die sich die Gegenwart nur schwer denken lässt. gemacht, doch nun legen sie mit «Heute und Redaktion: Philippe Amrein (amp), Um den Tod kommt man dabei freilich nicht danach» ihr Meisterwerk nach – nicht weniger Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe herum, denn die Achtzigerjahre bedeuten auch als das endgültige Buch über die musikalische Aids und Äthiopien, Tschernobyl und die Chal- Subkultur der Schweiz in den Achtzigerjahren. Mitarbeit: Reto Aschwanden (ash), lenger-Katastrophe. Sie sind mitgeprägt von der In jahrelanger Kleinarbeit haben sie eine atem- Yvon Baumann, Thomas Bohnet (tb), anhaltenden Schockstarre des Kalten Krieges, beraubende Fülle von Fakten, Dokumenten, Christian Braun, Pascal Cames (cam), die sich erst gegen Ende der Dekade allmäh- Anekdoten und Details zusammengetragen, die Marcel Elsener, Michael Gasser (mig), lich lockert und – wenn man denn so will – das Zeitzeugen und Nachgeborenen gleichermassen Nino Kühnis (nin), Hanspeter Künzler (hpk), «Ende der Geschichte» einläutet. Ein beklem- einen vertieften Einblick in eine aufwühlende Tony Lauber (tl), Andreas Meier, mendes Klima, auf das die Menschen in der Epoche gewähren. Auf knapp 700 Buchseiten Sam Mumenthaler, Philipp Niederberger, westlichen Hemisphäre demonstrativ deprimiert (inklusive einer rund 1500 Scheiben umfassen- Stephan Ramming, Jürg Ramseier, oder aufgesetzt schrill reagieren, um nicht kom- den Diskographie) lässt sich nun nachlesen und Charles Seiler, Miriam Suter, Tina Uhlmann, plett durchzudrehen. -erleben, was damals war und wurde. Gertrud Vogler Aller vermeintlichen Trägheit zum Trotz markie- Ein paar ausgesuchte Textbeiträge aus dem mo- ren die Achtzigerjahre aber auch ein Jahrzehnt numentalen Werk fi nden sich auf den folgenden Druck: Rotaz AG, Schaffhausen des technologischen Fortschritts, der gerade Seiten in leicht gekürzten Fassungen – sozusagen auf dem Gebiet der Populärmusik eine unge- als Flexidisc-Vorauskoppelung, um die War- Das nächste LOOP erscheint am 13.12. heure Dynamik ermöglicht. Vom Triumphzug tezeit bis zum Erscheinen des Buches Anfang Redaktions-/Anzeigenschluss: 6.12. des Walkman über die Lancierung des Apple Dezember zu verkürzen. Und die Sehnsucht ein Macintosh und die Einführung der CD bis hin wenig zu kühlen. Titelbild: Boris Blank (© Charles Seiler) zu Samplern, Synthesizern und Vierspurkasset- Philippe Amrein Leserangebot HEUTE UND DANACH The Swiss Underground Music Scene of the 80’s Lurker Grand / André Tschan

Edition Patrick Frey, Deutsch/Französisch, Siebdruck-Umschlag, 672 Seiten, ca. 2000 S/W- und Farbabbildungen, 78 Franken Erscheinungsdatum: 1. Dezember 2012

Für Loop-Leser ist das Buch bis zum 13. Dezember zum Vorzugspreis von 50 statt 78 Franken plus Portokosten zu beziehen unter www.klangundkleid.com/books

Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, Postfach, 8026 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] IN BERLIN UND ANDERSWO Ans Ende einer Dekade – und darüber hinaus: Mit seiner Band Der Böse Bub Eugen reiste Stephan Ramming durch die Achtzigerjahren, nun blickt er auf diese bewegte Zeit zurück. Auf eine Untergrundkultur zwischen Distinktion und Dialektik.

Die Achtzigerjahre sind an ihr Ende gekommen. Im Som- mer 1989 bin ich in Berlin, wir mischen unser drittes Al- bum, «Himmel, Hölle und der Fisch», im Vielklang-Studio ab. Es ist eines der Aufnahmestudios, wie es sie heute noch überall auf der Welt gibt: ein Regieraum mit Mischpult und Technik, dahinter zwei grössere Räume, in denen die Inst- rumente und Verstärker stehen. Dort haben wir von Hand die Musik für unser Rock-Abum eingespielt. Das Beson- dere aber ist der Nebenraum. Dort wird ebenfalls Musik produziert, aber ganz anders. Ich setze mich manchmal in diesen Raum und staune: Ein Typ mit Glatze hockt hinter einem Mischpult und hört sich nichts anderes an als eine Bassdrum oder eine Hi-Hat. Es gibt keine Instrumente, nur Hunderte von Schallplatten, von denen der dicke Glatzen- typ kurze Soundfetzen in den Sampler lädt. Dann macht es wieder Bumm, Bumm, Bumm. Zischel, Zischel, Zischel. Tagelang, wochenlang. Nur Bassdrum und Hi-Hat, dazwi- schen Leere. Was ist das? Das Ende? Der Anfang? Im Berliner Vielklang-Studio. ner der Anführer der Technobewegung auf der Strasse des Der Typ im Nebenraum heisst Westbam alias Westfalia 17. Juni von einem Sattelschlepper herab mit den Bumms Bambaataa. Er hat damals einen ersten kleinen Hit – we- Der Böse Bub Eugen live. und Zischels auf die Love-Parade-Körper einwirken; im nige Jahre später wird er Millionen verdienen und als ei- Bilder: Christian Braun Dienste der kollektiven Selbstentgrenzung, im Strahlen- glanz der Siegessäule. Noch ist es nicht soweit, zuerst fällt wenige Wochen später die Mauer, zweihundert Meter von jenem Studio am Pots- damer Platz entfernt. Bevor ich wieder zurückfahre in die Schweiz, bringen wir ausgeliehene Geräte zurück ins Han- sa Studio. Dort, nur noch hundert Meter von der Mau- er entfernt, sitzen Nick Cave und die Bad Seeds in jenem altehrwürdigen Aufnahmeraum an der Köthener Strasse, in dem beispielsweise Iggy Pop und David Bowie in den späten Siebzigerjahren ihre legendären Berlin-Alben aufge- nommen haben; dort, wo nochmals viele Jahrzehnte früher SS-Offi ziere getanzt haben sollen, als die Berliner Mauer noch nicht gebaut und der Zweite Weltkrieg noch nicht ausgebrochen war. Ich steige in den Ford Transit, wir fah- ren heim, nach Schaffhausen, Schweiz.

✻✻✻

Das ist historisches Seminar, zugegeben, aber dort befi n- den wir uns nun mal, wenn wir über die Achtzigerjahre nachdenken. Auch dann, wenn wir selber in diesem Se- minar sitzen und gleichzeitig unser eigenes Studienobjekt sind; uns gleichsam zuschauen, wie wir als kleiner Punkt aus der Vergangenheit auftauchen, uns beim Stehen und Gehen betrachten und mit leisem Schrecken erkennen, wie wir selber irgendwo hinter dem Horizont vor uns wieder verschwinden. Wenn die St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter in einem Interview im Herbst 2010 von ihrer Jugend als Punkgirl erzählt und sagt, sie besuchte Konzer- te von The Clash oder The Lords Of The New Church

bitte umblättern von Resteverwertung, konservativem Blues, HipHop, Elek- IN BERLIN UND ANDERSWO tro, Rock mit den meisten damaligen Aushängeschildern der alternativen Musikszene. Darauf können sich alle eini- in London und höre diese Bands heute noch gerne, dann gen. Stop The Army schafft es in der Schweizer Hitparade empfi nden wir abermals mit leisem Schrecken, dass die auf Platz 3. Diese Geschichte fi ndet ihren Fortgang 1993 Popmusik der Achtzigerjahre mit all ihren Distinktions- in der «Stop F/A-18»-Abstimmung mit der entsprechenden versprechen klassisch geworden ist. Das ist nicht erst seit CD gegen den Kauf von Kampfjets, diesmal als noch er- Frau Keller-Sutter so. Die St. Galler Vorsteherin des Sicher- folgreicheres Doppelalbum, sie fi ndet ihren Fortgang aber heits- und Justizdepartementes ist nur ein Beispiel von vie- auch in Friedrich Dürrenmatts «Gefängnis-Rede» 1990 len. Aber die Klassizität der Achtzigerjahre ist auch nicht oder im Kulturboykott 1991. Die Mauern wollen und wol- nur dem üblichen Lauf der Zeit geschuldet, in dem sich len nicht fallen in der Schweiz, sie zerbröseln, langsam und alles Vergangene irgendwie zu «Geschichte» und zu einem geduldig. musikalisch-kulturellen Kanon kondensiert. Vielmehr war es bereits ein zentraler Teil der popmusikalischen Praxis ✻✻✻ der Achtzigerjahre, ästhetische und nicht zuletzt geschäft- liche Möglichkeiten für die eigene Klassik auszuprobieren. Schon 1980 fi nden meine Sommerferien in Berlin statt, Das bedeutet in der zeitlichen Längsperspektive kulturelle per Interrail in die Mauerstadt, wahrscheinlich auf der Su- Hegemonie, von ihrer Genese ist hier die Rede. Popmusik che nach dem Ostblock-Mädchen aus dem Lied der Band hat auch mit Gesellschaft oder Politik oder mit den Ver- Freiwillige Selbstkontrolle. In der Schweiz rebellieren jun- hältnissen zu tun; in unterschiedlichen und nur selten in ge Leute auf der Strasse und verlangen vom Staat mehr Kategorien von unmittelbarer Ursache und Wirkung zwar, kulturellen Freiraum. Die heute im Museum ausgestellten doch gibt es Zusammenhänge, die grösser sind als ein Auf- Versprechen der Popmusik werden öffentlich. Ich kauf’ mir nahmestudio in Berlin oder ein blauer Ford Transit zwi- im Zuberhör-Laden für Tanzmusik eine elektrische Gitar- schen Berlin-West und Deutschland-West auf der Korridor- re. «Der lange Mann», das erste bekanntere Lied von Der Autobahn durch die Zone. Böse Bub Eugen, kommt ohne Gitarre aus, ebenso danach Der Ford Transit ist gut angekommen daheim in der «Gaudenz meint». Stattdessen: Klarinette und Schwyzer- Schweiz. «Himmel, Hölle und der Fisch» ist unser erfolg- örgeli. Distinktion und Antithese – das alles ist nicht zu reichstes Album, die Tournee fast ausverkauft. Gleichzeitig haben mit Elektrogitarre und Krawall. Das weiss ich, aller- fi ndet im Oktober 1989 die Diamantfeier statt. Die Ak- dings nicht mit diesen Worten, damals, es passiert, es wird tivdienst-Generation feiert 50 Jahre Mobilmachung und gemacht, es macht, und es funktioniert. damit jene Verhältnisse, welche die Schweiz seit dem Ende Es ereignet sich Persönliches und Biografi sches. Freund- des Zweiten Weltkriegs geprägt haben – Antikommunis- schaften, wie die zum Bassspieler Lenz Müller, die dann mus, Kalter Krieg, Ost-West-Konfl ikt. Es gibt Proteste. Sie zerbrechen wird am Ende der Achtzigerjahre. Die Schule, werden vom Mauerfall links überholt. Elisabeth Kopp, die die erste Wohnung mit Holzheizung für den Winter, es gibt erste weibliche Bundesrätin, muss wegen dunkler Verstri- eine Frau, wegen der ich viele Nachtzüge nach Wien benut- ckungen ihres Mannes zurücktreten. Im November steht ze, in den Sackbahnhof des kapitalistischen Westens, hin- die Initiative zur Abschaffung der Armee zur Abstimmung. ter dem der Eiserne Vorhang hängt, eine Zugstunde weiter Im Abstimmungskampf wird zum ersten Mal in der Ge- bei den ungarischen Wachtürmen im Schilf des Neusiedler schichte der Schweiz mit Popmusik geworben: Der Sampler Sees. Das Grundgefühl, grösser als ich selber, ist ein dia- «Stop The Army» ist als Phänomen bemerkenswert, weil lektisches: Schüler und Schule, Dorf und Kleinstadt, Klein- es zeigt, wie Schweizer Pop am Ende der dialektischen Dis- Stephan Ramming 1989. stadt und Stadt, die Deutschschweiz und Deutschland. Es tinktionskette ankommt, also im Bundeshaus. Bild: Yvon Baumann gibt Ost und West, Kapitalismus und Kommunismus. Die SP-Nationalrat Andreas Reibung von These und Gross, der Anführer der Antithese erzeugt eine Hit- Armeeabschaffer, appel- ze, die Kalter Krieg heisst liert unter den Augen von in der grossen Welt. Verteidigungsminister Kas- par Villiger, Ulrich Bremi ✻✻✻ und anderen Granden der Kalten Krieger an einer Auch in der kleinen Welt FDP-Delegiertenversamm- von Schaffhausen ist die- lung an die gemeinsamen se Reibung spürbar. Ich Schweizer Werte der mo- stehe im Amtsraum des dernen Schweiz von 1848 FDP-Stadtpräsidenten Fe- – der Sohn fordert die An- lix Schwank. Ein mäch- erkennung des Vaters ein. tiger, mit Jahrhunderte Während sich also der po- altem Furnier getäferter, litisch-psychologische An- schlauchartiger Raum, an tagonismus in der Schweiz dessen Ende hinter einem symbolisch aufl öst im Bild grossen Tisch der Stadtva- des rebellischen Sohnes, der ter thront. «Doch, doch, vom Vater die Übernahme das unterstütze ich, junger des Hofes fordert, fi ndet Mann», sagt Schwank über gleichzeitig in Europa das die Lesebrille hinweg. Ich Gegenteil statt: Die realen hatte einen Brief geschrie- Mauern zwischen Ost und ben und eine Defi zitgaran- West brechen zusammen. tie von 1000 Franken für Die beiden Tonträger Stop ein Konzert erbeten. Unter- The Army Vol. 1 & 2 bil- stützung für Jugendkultur deten diese Verschiebung ist 1981 noch nicht geläu- zwischen der Schweiz und fi g, aber ich habe als armer Europa ästhetisch ab – ein Schüler den Bands etwas freundeidgenössisches Ne- gar hohe Gagen verspro- ben- und Durcheinander chen für mein Sackgeld- Portemonnaie. Ich sage: «Danke, Herr Stadtpräsident.» Mit Pirmin Zurbriggen. ✻✻✻ Das Konzert ist dann ausverkauft, von der Defi zitgarantie Bild: Andreas Meier brauche ich nur einen Bruchteil. Der FDP-Stadtpräsident Auch Stephan Eicher, The Young Gods oder Züri West, hat es mir nicht gesagt, aber die Botschaft ist deutlich: Un- die alle ihre Karrieren bis heute weiterverfolgen, arbeiten ternehmerische Initiative wird unterstützt, der Inhalt ist in ganz unterschiedlicher Weise damit, sich in die Popge- egal, der Markt wird am Ende richten. Die Synthese heisst schichte einzuschreiben. Die Young Gods stellen Gary Glit- Kapitalismus, glauben Sie mir, junger Mann. Für diese ter auf den Kopf oder drücken 1991 die germanistischen Lektion leiste ich gerne staatliche Anschubfi nanzierung. Klassiker Brecht/Weill durch den Sampler, Eicher benutzt Im Laufe der Achtzigerjahre erteilen denn auch alle Städte, das Chansonnier-Modell und verkuppelt es im Finale des Institutionen und Politiker diese Lektion – mit durchschla- Jahrzehnts im «Guggisberglied» und in «Hemmige» von gendem Erfolg. Mani Matter mit der Schweizer Volkslied-Klassik. Auch Aber ich mach’ ja auch Musik, und davon hat damals der Züri West aktivieren von Beginn an das Erbe von Matter. Stadtpräsident in Schaffhausen keine Ahnung. Ihn küm- Die Klassik ereignet sich also bereits in den Achtzigerjah- mert nicht, dass sich die Energie von Der Böse Bub Eugen ren, nicht erst im Heute, dreissig Jahre später, wenn man aus der Verliebtheit in die Antithese speist. In der Stadt wird darüber diskutiert und nachdenkt, was eigentlich war, die Dominanz von Bands oder Auftrittsorten aus den Sieb- damals. zigerjahren bekämpft, aber auch das Punk-Modell verlangt Auch Der Böse Bub Eugen besinnt sich zwei Jahre nach nach dem Gegenstück: Verzerrte Gitarren sind verboten «Gaudenz meint» auf Klassik, allerdings auf die eigene: bis in die zweite Hälfte des Jahrzehnts, Hochdeutsch bildet Lenz holt die Gaudenz-Handorgel aus dem Schaft, und wir das Gegenstück zu Englisch und zu Mundart, das bäuri- schreiben «Pirmin», unseren grössten Erfolg. Leider singe sche Gebaren von Landpomeranzen erzeugt Coolness, un- ich zu falsch, als dass das Lied heute noch der Erinnerung eigentliches Sprechen stiftet Verwirrung. Distinktion, also wert oder gar im allgemeinen Sinn klassisch wäre. Als dia- Unterscheidung und Differenz, heisst dieses Triebwerk, lektisches Modell aber ist es klassisch: Da ist einerseits die sein Benzin bezieht es aus dem blinden Glauben an den Idee von volkstümlicher Popmusik, andererseits der unei- Fortschritt der Geschichte und seinen Verheissungen. Die gentliche Text in der Gestalt einer Hommage an den Ski- verheissene Zukunft aber trägt eine lange Schleppe aus dem rennfahrer Pirmin Zurbriggen. Sportler sind damals nicht schimmernden Taft der Vergangenheit. Denn die Geschich- cool, also produziert das Setting im Kleid der Kritik, der te des Pop nimmt eine zentrale Rolle für die Erprobung von Affi rmation, des Lächerlichmachens oder anderer Miss- Distinktionsmodellen ein. Die Achtzigerjahre deklinieren verständnisse Distinktionsgewinn. Das Resultat ist grosse im Untergrund alles durch, was ein Surplus an Differenz mediale Aufmerksamkeit. Heute erzeugt die Vorstellung, abwerfen könnte: Rockabilly, Psychobilly, Cowpunk, Beat, eventuell ein wenig an Baschi oder Bligg mitschuldig zu Psychedelia, Ska, Soul, Schlager, Metal und Industrial – das sein, Betroffenheit, Wut und Trauer. Kein schönes Gefühl. alles stülpt sich nach- und nebeneinander als musikalische Zum Glück ist es nur Einbildung. Deshalb ist es gut, dass Antihesen zum gängig Geglaubten, obwohl die Postmo- die Achtzigerjahre an ihr Ende kommen, damals, im Som- derne noch gar nicht erfunden ist. Allein die Namen von mer 1989, in Berlin und anderswo. Schweizer Bands wie The Reaction, Hydrogen Candymen, Stephan Ramming The Magic Mushrooms oder The Teenbeats erzählen da- von. Oder die Geschichte meiner Frisuren von damals. SZENE

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WES ANDERSON

NOVEMBER 2012

am Helvetiaplatz, Tel. 044 242 04 11, www.xenix.ch MEDIENSOUNDS! Aberdutzende Fanzines und die Kürzel DD, NME und FM sprengten muffi ge Heimatbegriffl ichkeiten – abseits der bürgerlichen Feuilletons.

«‹Reisender Krieger›, immer wieder», antwortet der spät- geborene Freund, Jahrgang 1980, verschmitzt auf die Fra- ge, was ihm denn zu den Achtziger-Medien in der Schweiz einfalle. «‹Reisender Krieger›, und dann: ‹Züri brännt›, na- türlich.» Es ist kein Zufall, dass der junge Historiker, der mit Tocotronic aufgewachsen ist und sich sehr wohl für Achtziger-Bands wie die Go-Betweens zu begeistern weiss, als exemplarische mediale Zeugnisse jener Zeit zwei Filme nennt, und zwar just jene, die präzis den Hintergrund proji- zieren, auf dem die Achtziger und ihre bewegte Kulturszene spielen: Christian Schochers phänomenale Schweiz-Odyssee schildert das Klima einer drögen «Arschlochhaftigkeit der Welt» in einer ewig grauwinterlichen Alpenrepublik; ein Meisterwerk zweifellos, wenn nicht sogar, wie der Nach- komme meint, «der beste Schweizer Film überhaupt». Und «Züri brännt», klar, es ist das fi lmische Dokument der Zür- cher Unruhen und jener Bewegung, die bis in die hintersten Winkel des Landes ausstrahlen sollte. Was er denn kennen müsse an sonstigen Medien? Ach, win- ke ich mit vorsorglich verzweifelter Erinnerung an die un- geordneten Achtziger-Schätze in meiner Seekiste im Estrich ab, und witzle: Bewegungsblätter! Aberdutzende Fanzines und Politblätter, englische Music Weeklies, das deutsche «Sounds» und «Spex», Magazine von «Tages-Anzeiger» und «Weltwoche», aber auch Sternschnuppen wie «Twen» und «Magma» sowie Hunderte Ausrisse stapeln sich in je- nem Behältnis, mit dem mein Vater in den Fünfzigerjahren auf einem Schiff in die USA auswanderte. Die lokalen Un- tergrundpublikationen von 1979–1981 hat er schon gese- hen, «Steinschleuder», «Rack» (Motto: «Let’s Go to Mos- kau») und «Umsturz», grandiose Serien von widerständigen Kunstblättern der St. Galler Marcel-Duchamp- und Serge- Stauffer-Fans, die muffi ge Heimatbegriffl ichkeiten spreng- ten, unter anderem mit dadaistischen Staubsaugerübungen.

MEHR ALS NUR DIE MUSIK cher Bubenquartett auf erster Londonreise in einer Woche 18 Bands erlebten, auch einen knochentrockenen El-Salva- Duchamp? Moskau? Staubsauger? Alles eine Frage der dor-Diskussionsabend einer lokalen Aktivistengruppe. Dis tinktion – zeitweise waren fast alle Mittel recht, sich abzugrenzen vom bedrückenden Mief eines Landes, das im STABILO-BOSS-MARKIERUNGEN IM «SWISS WAVE» Kalten Krieg und in den Konventionen seiner Gnomen-Ver- schwiegenheit und todlangweiligen Anständigkeit gefangen Ach wo, was für ein Bullshit, hör ich da einen angejahrten war. «Es war die grosse Zeit der U-Zeitungen, Fanzines und Punk rufen, und prompt purzelt mir aus der Seekiste die linken Postillen aller Schattierungen», wie es im Rückblick zweite Nummer des «Swiss Wave» vom Oktober 1980 ent- des Aarauer «Alpenzeiger», «Sprachrohr der Alternativen», gegen, in dem Arnold Meyer «200 Schallplattenkritiken» über die Glanzzeiten des Zürcher Kollektivbuchladens Pa- verspricht und unter anderem vom Jazz-Festival Montreux ranoia City heisst; 73 (!) Titel steckten 1979 angeblich «im berichtet, wo «zum ersten Mal in der Geschichte auch New- eigens angefertigten Ständer», 73 unabhängige Klein- und Wave-Gruppen» vertreten waren. Hier gehts wahrlich im Minipublikationen «abseits der bürgerlichen Medienpoli- engeren Sinn um Musik, und der junge Käufer in der Ost- tik, auch wenn der Absatz zu wünschen übrig liess». schweizer Provinz hat sich seinen Stabilo-Boss-Markierun- Dies muss man sich vor Augen halten, wenn es um die hie- gen nach offensichtlich nur daran gestossen, dass Athletico sige Musikszene und ihre damaligen Publikationen gehen Spizz 80 «noch nicht reif» seien für ein Album; nicht aber soll, also um den «Mediensound» jener Zeit. In den meisten an Vorbehalten gegenüber Bow Wow Wow, bei denen «der Fällen spielt da weit mehr als nur die Musik: Wer Joy Divi- geschäftstüchtige Jude Malcolm McLaren seine Finger im sion hörte, interessierte sich auch für die Filme von Herzog Spiel hatte». und Fassbinder, und natürlich waren Gang of Four nicht Fotokopierte Blättchen wie «Swiss Wave», die sich oft an ohne Engagement für den revolutionären Kampf in Zent- die frisch entstandenen Plattenvertriebe anhängen und lo- ralamerika hör- und denkbar. Tatsächlich besuchte ich als 17-Jähriger in jener Juliwoche 1981, in der wir als Rorscha- bitte umblättern MEDIENSOUNDS! gischerweise beim Plattenhändler des Vertrauens erstanden werden, sind lebensatemwichtig für eine quicklebendige, aber doch recht orientierungslose Szene, die noch nicht recht weiss, wie ihr geschieht: Punk hat augenscheinlich abgedankt, und New Wave kommt in allen erdenklichen Spielarten daher. QUELLEN AUS DEM AUSLAND

Weil solche Fanzines höchst unregelmässig erscheinen und in den bürgerlichen Printmedien Pop- und erst recht Punkplat- ten kaum vorkommen, ist die helvetische Szene auf Print- Informationsquellen aus dem Ausland angewiesen: auf das deutsche «Sounds», wo zum Jahrzehntwechsel der bald einfl ussreichste deutschsprachige Popintellektuelle Died- rich Diederichsen (DD) und seine «Hamburger Kumpanei» übernommen haben, und die englischen Music Weeklies, die nicht nur in den Zentren Zürich und Genf, sondern auch in den meisten kleineren Schweizer Städten am Kiosk erhältlich sind. Der heute als Hype-Maschine leer gelaufene «New Musical Express» (NME) und seine – längst einge- stellten – Konkurrenten, der altehrwürdige «Melody Ma- ker» und das strassennahe «Sounds», erreichen in England in den frühen Achtzigern regelmässig Aufl agen zwischen 100 000 und 300 000 Exemplaren. Und auch hierzulande François «FM» Mürner. den europäischen Kontinent brachte. Weil FM in «Sounds!» gieren Hunderte Musikbewegte wöchentlich nach den mu- – zunächst auf DRS 2 im täglichen Vorabendprogramm vor sikjournalistischen Bekenntnissen zu Bands wie The Fall der Sendung für italienische Gastarbeiter, ab 1983 dann täg- oder Pere Ubu, die oft mit einer Dringlichkeit geschrieben lich zur «Prime Time» auf DRS 3 – kompromisslos auf die sind, als hinge die ganze Welt von ihnen ab. Schweizer Rockszene setzt, erhalten einheimische Bands in noch nie gekanntem Mass Raum im staatlichen Radio. Eh- SOUNDS MIT AUSRUFEZEICHEN rensache, dass er als auch technisch interessierter Innovator fast alle DRS-3-Signete mit Boris Blank von Yello produ- DD und NME also, aber vor allem FM und das hiesige ziert, in der bis zu jenem Zeitpunkt im Radio noch nie ver- «Sounds!», die Rockradiosendung mit dem Ausrufezeichen: wendeten digitalen Sampling-Technik. Wenn es bei allen widersprüchlichen Einschätzungen die Die schlagenden Vorteile sind der Standort in der Basler Pro- eine Figur gibt, auf die sich alle als zentrale Medienkraft in vinz, «off Broadway» mit einem herzhaften «Fuck it!» auch der Schweizer Musikszene der Achtzigerjahre einigen kön- als bewusstes Abseits gegenüber den etablierten Studios in nen, ist es François Mürner, kurz FM. Mürners «Sounds!» Bern und Zürich verstanden, und das Selbstverständnis als ist während der ganzen Achtziger der inspirierende Motor Band, um nicht zu sagen verschworene (Räuber-)Bande. und Dorfplatz, auf dem sich alle treffen und wiederfi nden; Zum «Sounds!»-Team gehören neben «Geburtshelfer» hier lief die heisse neue und legendär frech moderierte Mu- Schwegler, Redaktor Martin Schäfer und später den Mo- sik aus den Weltzentren des Postpunk, und: «Es war die deratoren Daniel Hitzig und Suzanne Zahnd auch Korres- Sendung, in die eine Schweizer Band reinkommen musste, pondenten wie Hanspeter «Düsi» Künzler (London), Chris- dann lief es», wie sich Stephan Ramming, Sänger und Gi- tian Gasser (Paris) oder Kuno «Comics» Affolter – es ist tarrist der Schaffhauser Band Der Böse Bub Eugen, erinnert. eine jederzeit vertrauenswürdige Bande, die die Künstler als Und Mürner spielte wirklich (fast) alles, von den baselländ- «Gewissen der Gesellschaft» ernst nimmt (Mürner), oder lichen Punks Vorwärts über die Zürcher TV-Personalities- wie es die Dangermice- und Eugen-Bassistin Zahnd später Dilettanten Nilp bis zu arrivierteren Bands wie Blue China formulierte: «Wir haben den Aufbruch dokumentiert, der und Mittageisen, für die er sich besonders begeisterte. Der auf der Strasse und in der Musik stattgefunden hat.» Ruf der Sendung strahlte bis nach Genf und weit über die Als Mürner sein «Baby» 1987 verlässt, um dem Morgen- Landesgrenzen hinaus; unzählige Bands, deren Demos da- radio Vitamin einzuspritzen, fragt Jean-Martin Büttner im mals gespielt wurden, kamen so zu unverhoffter Fanpost «Tages-Anzeiger»: «Braucht das Herz des Rock’n’Roll ei- aus Süddeutschland, die bisweilen zu ersten Auslandgigs nen neuen Schrittmacher?» Die Speerspitzen-Funktion ist in führte. unzähligen Fanzine-Artikeln belegt – «Sounds!» ist im Ge- Man habe «Sounds!» nicht nur angehört, sondern «aufge- gensatz zu allen anderen staatlichen und privaten Medien saugt», schreibt der «Bund»-Musikjournalist Ane Hebei- nie der sarkastisch beargwöhnte oder gar ernsthaft verhass- sen, es war «Wundertüte, kundiger Berater, Wegweiser und te Feind. Inspirationsquelle für sämtliche wegweisenden Musikschaf- fenden dieses Landes». Dass die Sendung zum unangefoch- «LEIDEST DU UNTER MINDERWERTIGKEITSGEFÜHLEN?» tenen Sprachrohr wird, liegt an der sprichwörtlichen Street Credibility ihrer Macher, den Baslern Urs Musfeld als Re- Derweil tun sich die Bewegungsblätter mit ihrer politischen daktor und François Mürner als Moderator – wohlgemerkt Stossrichtung schwer mit Rockmusik – oder jedenfalls mit als erster Moderator bei Radio DRS mit eigener täglicher allen, die sich nicht ausdrücklich zum revolutionären Kampf Sendung und ebenso als Pionier, der aus einem DJ-Studio bekennen. In einem Klima ständiger Grabenkämpfe, in dem («ein Keller in Basel, wir nannten es jugoslawisches Reise- sich die Spuckerei der Punks oft in der giftigen Schreibe ih- büro») im Alleingang sendet. FM geniesst aufgrund seiner rer Fanzines gegenüber allen möglichen «Verrätern» nieder- langjährigen England-Erfahrung und seiner piratenhaften schlägt, ist es vor allem das vierzehntägliche Alternativblatt Rocksendung «Musik aus London» (1974 – 1978) bereits «tell», das 1982 mit dem Blue-China-Musiker Rudolph Kultstatus; er hat «das ultimative gut feeling» und ist nach- (Rudi) Dietrich einen Szenevertreter als Kulturredaktor ein- weislich der erste Radio-DJ, der Punk-Singles und Inter- stellt. Und der ist weniger an Scheuklappen und destrukti- views mit den Sex Pistols, Sham 69 oder Bob Marley auf vem Geschimpfe als vielmehr am aufbauenden Verständnis für Prozesse und Phänomene interessiert. «Im Journalismus kultur gerecht zu werden. Doch was Christoph Schwegler wie in der Musik haben mich die Kommunikation und die oder Mani Hildebrand damals versuchten, wird heute von Interaktion fasziniert», meint Dietrich rückblickend. «Die Musikern wie Blue-China-Dietrich und Eugen-Ramming Printmedien haben sich dem kreativen Prozess entzogen durchaus milde, wenn nicht positiv bewertet. «Erstaunlich und stattdessen dröge Klischees zelebriert.» Was der Zür- offen und aktiv» erlebte Rudi das SF, und Rämi bestätigt cher Punk der ersten Stunde (Nasal Boys) von Rockjourna- die vorhandene «Bereitschaft, Schweizer Bands zu zeigen», listen hält, hat er 1983 im Buch zum «Tonmodern»-Festival und dies «immer eingebettet in ausländische Mainstream- ohne Rücksicht auf Verluste mit einem Fragenkatalog auf Popsachen», was dann «wirkte wie eingestreute Antithesen den Punkt gebracht: «Fällt es dir schwer, mit Leuten in Kon- zum Gängigen». Musikredaktor Hildebrand bekennt 1983 takt zu kommen? Leidest du unter Minderwertigkeitsgefüh- im «Weltwoche-Magazin» fast trotzig: «Rock ist Teil un- len? Hast du einen ausgeprägten Sinn für: Opportunismus, serer Kultur, auch sein kommerzieller Teil. Was wir von Arschleckerei, Ellbögeln, Egozentrik?» Und so weiter. TV DRS in dieser Beziehung bringen, steht top da, selbst Doch zurück zum «tell». Der wird 1984 mit der Integrati- verglichen mit Österreich und Deutschland.» Na ja, man- on von Michael Lütschers «Cut» als ständiger Beilage quasi che schwören bis heute auf «Formel 1». Dass gegen MTV zum verlässlichen Fanzine: Bereits in der ersten Nummer und Konsorten kein (Quoten-)Kraut gewachsen ist, sehen gibt da Santo Traffi cante alias Ruedi «Hotcha» Tüscher die Fernsehhäuptlinge Ende der Achtziger ein, als von drei einen Überblick über die rhizomatisch «weltumspannend» Sendungen lediglich noch die Clipschau «Barock» überlebt, wuchernde Szene rund ums Billigmedium Kassette, erklärt zum Ärger etwa der Jugendzeitschrift «2li»: «Affront gegen Stephan Ramming seine Begeisterung für die Toten Hosen das Rockpublikum.» – «die erfolgreichen Jungs von nebenan» – und berichtet Darüber kann der Genfer Musiker und Journalist Alain Martin Schori vom Smiths-Konzert in der Roten Fabrik, Croubalian nur lachen. Ihn holte man zum «Barock», weil einer «gelungenen Soirée» mit allerhand Szeneprominenz. die Deutschschweizer neidisch auf das vom «welschen FM» Ebenfalls mehr Raum erhält die einheimische Szene in dem Jean-François Acker bereits 1982 gegründete Radio Cou- seit 1982 dem Tagi beigelegten «Züri-tip», wo in der Ru- leur 3 und erst recht auf die welschen TV-Musiksendungen brik «Sounds» (!) wöchentlich (Zürcher) Bands vorgestellt wie «Rock et les belles oreilles» schauten. Croubalian meint und Konzerte ausführlicher angekündigt werden. Klar, dass allerdings freimütig, er hätte seine Sendung «selber auch da auch die linke «WochenZeitung» nicht länger die Nase nicht geschaut». Die Medien seien auch am Lac Léman, rümpfen darf: «WozRocky» nennt sich ab März 1986 vor- wo alle nach Paris blickten, «höchstens als Inspiration, aber sichtig ironisch «die neue Fraktion in der Kulturredaktion, nicht als Kommunikationsquelle wichtig» gewesen. Da- ein Versuch zweier vom Business Verdammten, einem Kon- mit belegt der Genfer die Einschätzung von Rudi Dietrich: sumenten und einem Rocker». «Wichtig waren für uns vor allem Fanzines und unabhängi- Tonangebend bleiben indes weiterhin die Fanzines, die für ge neue Medien. Vorab aber waren die Live-Präsenz und der das Selbstverständnis der Szene und die in- wie externe direkte Kontakt zum Publikum das Wichtigste.» Wie die Hackordnung bis spät in die Achtziger den mehr oder we- Schaffhauser oder Bieler Musiker schrieben auch die Genfer niger amüsanten Rohstoff liefern. «Die Aufl age durch die alle im selben Fanzine namens «Un Vraie Massacre», Mitte erste Hälfte der Achtzigerjahre wurde mit grossfl ächigen Se- der Achtziger von der Association Post Tenebraes Rock ins rien über Terror und Anarchie gehalten. Auch Schimpfka- Leben gerufen. nonaden wegen der Grünen und der Schweizer Rockmusik waren immer sehr beliebt», heisst es in der Rückschau des VOM FANZINE IN DIE TAGESPRESSE «Alpenzeiger». Neben dem Aarauer Anarchoblatt schwingt namentlich Jogi Neufelds «Skunk» (später «Shrunk») aus Ein Aufbruch mit Massakern – «No Future» hatte konkret dem St. Galler Rheintal in dem mit «Sensemann» und ande- mit Abbruch zu tun, positiv besetztem, aber sehr wohl auch ren Blättchen reichhaltig bestückten «Nahen Osten» oben- handfest bekämpftem, jenem durch Häuserspekulanten be- aus. Fast schon Magazinqualität hat das «Bleu Royal» rund triebenen nämlich. Croubalian erinnert an die Bedeutung um das Konzertlokal Fri-Son, das sich als ambitioniertes der Hausbesetzerszene in Genf und daran, dass «die so- Bindeglied zwischen Welsch- und Deutschschweiz positio- zialen Behörden vor den kulturellen da waren». Das mag niert. Wirklich herausragend ist allerdings das Bieler «An- ansatzweise auch erklären, warum nur ein Bruchteil der geldust». Zwar verwahrt man sich, «ein schweizerisches damaligen Fanzine-Schreiber am Ende in den Feuilletons Spex» zu sein, doch Berichte über Bands wie The Deep Free- landete. Doch war es selbstverständlich von Bedeutung, ze Mice stehen dem deutschen Vorbild in nichts nach. Umso dass die Themen der Bewegungsblätter und Fanzines in die selbstsicherer machen sich die Bieler über die Konkurrenz Tagespresse einzudringen begannen, wie Ramming, heute lustig, etwa das mittlerweile eine «New-Wave-Seite» füh- Fussballredaktor bei der «NZZ am Sonntag», feststellt: rende, aber noch immer hinterwäldlerische Kioskmusikheft «Sei es mit Musikgeschichten, sei es, vielleicht noch wichti- «Music Scene», das gefälligst nicht über Chur lästern solle, ger, durch Debatten wie Hausbesetzungen, Geld für Jugend- wo es doch dort «zuhauf Leser» habe. Und die feine Klin- räume, Drogenprobleme usw.» ge legt das «Angeldust» ganz beiseite, wenn es 1985 gallig Wie in den Achtzigern aufgewachsene und (Pop-)Theorie feststellt: «Radio 24 der Langeweile zu bezichtigen, ist wie geschulte jüngere Spezialisten den Musikjournalismus in Christoph Blocher als Arschloch zu betiteln. Also völlig den Feuilletons unterbrachten und mitunter auf atembe- überfl üssig.» raubende Höhen schraubten, ist eine andere Geschichte. Im Wissen, dass auch noch die schrulligsten Achtziger-Bands ANTITHESEN ZUM GÄNGIGEN wieder mit Re-Issues ans Licht gezerrt werden und auch das hinterletzte Fanzine dereinst als PDF auf irgendeiner So viel zum Thema Blocher, schon damals, und zu den eben Website landet, klappe ich die Seekiste wieder zu. Und be- erst konzessionierten Privatradios. Die bieten der Szene suche dann den grossartigen Blog «nationofswine.ch» und zwar hier und da ein regionales Türchen, doch overall sind suche in den Weiten des Internet noch ein wenig nach je- sie auf «Durchhörbarkeit» erpicht und also ein kommer- nem Science-Fiction-Festival in der Burgdorfer Fabrik, an zieller Graus. Ausnahmen wie das Zürcher Radio LoRa dem 1987 die irrwitzigen Very Things auftraten. Und schal- oder Förderband Bern und Canal 3 in Biel bestätigen nur te schliesslich «Sounds!» ein, auf DRS 3, das ist mal kurz die Regel. Und das Fernsehen? «Sounds! isch d’Sändig, wo weggewesen, aber schnell wieder installiert worden und üs vor em Fernsehprogramm rettet», hatte Mürner jeweils geblieben, unsterblich gut und nach wie vor aufmüpfi g, Dü- am Radio gespottet. Nicht der Rede wert, könnte man aus sis «Depesche aus London» inklusive. «Reisender Krieger» heutiger Sicht meinen, und mit etwelchem Schaudern an muss ich mir endlich auf DVD besorgen. tapsige Versuche mit «Ten O’Clock Rock», «Backstage», «Barock» oder «Downtown» zurückdenken, der Rock- Marcel Elsener HOFNARREN DER SZENE schneller und etwas schlech- ter und haben keine neuen Ideen und behaupten, alles andere sei Scheisse. Aber als ich dann ein paar Konzer- te gehört hatte – als erstes Sham 69 –, war ich beein- druckt. Und ich dachte mir: «Da spring ich jetzt auch voll rein!» 1978 gründete er mit drei Freunden die Band Nilp. Man spielte Punk, so gut und laut es ging, «aber auch Doors, Lou Reed und solche Sachen. Sogar ‹Last Time› von den Stones …» Als Baby Jail eine Bassistin suchten, die Bass spielen konnte, zupfte Bice Aeber- li die dunklen Saiten noch bei den Dampfnudeln, sang und tanzte bei Clan Miller and The Hot Kotz. Doch ihre Freundin Sacha Rohrer hatte bereits bei Baby Jail an- geheuert, Sänger Boni Kol- ler und Schlagzeuger Andy Gruenberg alias Candy Bassistin wurde nach vier Konzerten ausgewechselt und der Andy waren auch ganz sym- Die Zürcher Band Baby Jail war ihrer Tierschutz einem gewissen Pop-Appeal geopfert: Statt Bébés pathisch. Bice wurde Mrs. Phoques nannte man sich fortan Baby Jail. Für diesen Bandna- Baby Jail, irgendwann Bonis Zeit voraus – mit viel Humor, Handorgel men konnte Boni immer neue, so tiefschürfende wie einleuch- Freundin und mit ihm zum tende Erklärungen erfi nden. Bice Aeberli, die Frau, die bei doppelt starken Herzstück und Blockfl öte. Bice Aeberli und Boni den frisch getauften Baby Jail Bassistin Doris Seibold ersetzte einer Band, die vor allem ei- – «und ein bisschen handorgeln konnte ich auch» –, hatte nie nes wollte: unterhalten. Koller blicken zurück auf eine äusserst ein Problem mit Schlagern. Sie war damit aufgewachsen, im Nicht alle fanden Baby Jail Zürcher Oberland, während Boni nur im Kindergartenalter lustig, aber alle kamen an eigenwillige Karriere zwischen Klamauk auf Mireille Mathieu stand und spätestens bei seiner Einschu- ihre Konzerte. Da fühlte lung in Zürich-Wollishofen ein klares Berufsziel ins Auge ge- man sich wie an einem Kin- und Kommerzverdacht. fasst hatte: «Ich wollte der fünfte Beatle werden.» dergeburtstag, es war fröh- lich, laut, chaotisch, und Im Zürcher Sexkino Walche spielten Baby Jail ihren ersten Bice: Also in dem Alter habe ich eher Schlager gehört, war immer herrschte eine Affen- Gig, es war die Neujahrsnacht 1986, und irgendwer hatte verliebt in Howard Carpendale und Chris Roberts. Ich hitze. Auf der Bühne führten auch noch Geburtstag. Man frönte mit etwas Brennsprit der war in jeden verliebt. Dann kamen Smokie, Ilja Rich- die Musiker Sketches auf Pyrotechnik Marke Eigenbau, hatte jede Menge Spass und ter, Hits à gogo. «Rocky» fand ich immer das beste und spielten einander end- ohne Absicht schon den ersten Hit: «Sad Movies», eine oft Lied. los Impro-Scherzchen zu, gecoverte Sixties-Schnulze von Barbara Thompson in Schwei- Boni: Aha, jetzt kommts raus. wenn wieder mal eine Saite zer Mundart – weniger Punk geht nicht. Bald spielte DRS-3- Bice: Mich haben vor allem die Siebziger beeinfl usst. Meine gerissen oder das Schlag- DJ François Mürner die rührselige Falschtonparodie rauf und Mutter hörte Rolling Stones, Beatles, AC/DC, Deep zeug zusammengebrochen runter. Ohne den Titel anzumelden, produzierten Baby Jail Purple und so. Damit bin ich aufgewachsen, das fand war. Sie spielten Blockfl öte 1987 eine Flexi-Single mit dem Song, verschickten sie 2000 ich gut. Aber was mich dann extrem geprägt hat, wa- (!) und Handorgel (!!). Und Mal in den frankierten Rückantwort-Couverts ihrer Start-up- ren die Achtziger, als man drauf kam, dass man ja auch das Beste war: Niemand Fans und umschifften so auch die verpönte Hitparade. Ob- selber Musik machen kann. musste sich schämen dafür, wohl man gegen die eigentlich nichts hatte. Vielmehr nervte Boni: Für mir waren eindeutig die Sechziger am wichtigsten. bei diesen anachronistisch die anhaltend düstere Achtziger-Coolness, weitgehend humor- Dummerweise lösten sich die Beatles schon auf, als ich farbigen Happenings dabei frei und strikt angekotzt. neun war, und so durchforstete ich in meiner Not die zu sein, denn die Hofnarren «Alle waren bleich, mies gelaunt und schwarz gewandet», er- Plattensammlungen meiner älteren Geschwister. Die des Postpunk waren trotz innert sich Boni Koller, der nach Erlahmen der Bewegung und Stones und Zappa sah ich 1976 – es waren meine ers- allem politisch korrekt. Mit Aufl ösung seiner Band Nilp 1984/85 ein halbes Jahr als Ma- ten Konzerte. Ansonsten gab es damals nur Schüler- Vorliebe spielten Baby Jail in trose auf See gewesen war und zurück in Zürich das Terrain bands im Kirchgemeindehaus, die man bewundert hat. besetzten Häusern, von der sondierte. «In der Roten Fabrik hatte sich einiges verändert, Bäcker- und Zweierstrasse und davon war ich positiv überrascht. Das AJZ war endgültig Die Jahre gingen ins Land wie der Kalte Krieg, alles lag auf Mitte der Achtzigerjahre zu den Akten gelegt, die Voraussetzungen waren anders, we- Eis. David Bowie liess man gelten, T. Rex, ein bisschen Bom- bis zum Wohlgroth in den niger obligatorisch politisch.» bastrock – aber das war nur eine Phase, zum Glück. Dann frühen Neunzigern, wo sie Bonis neue Band Les Bébés Phoques (Robbenbabys) wurde kamen AC/DC. Und dann: Punk. «Endlich!» Für Boni war dem Publikum das Gefühl 1985 zwar im Geist des Punk gegründet – «Doris, unsere es die Offenbarung. «Endlich gibt es etwas für mich, jetzt, gaben, zu Hause zu sein und Bassistin, konnte nicht Bass spielen» –, liebäugelte aber unver- wo ich 17 bin und nicht erst ein sechsjähriger Knirps. In der dennoch alles versiffen zu hohlen mit Leuten wie der Tierschützerin Brigitte Bardot. Die Berichterstattung über Punk hiess es: Die spielen alles etwas dürfen. auf der ersten Tour ja schwanger mit Fi- del. Die ganze Band wähnte sich in den Ferien, es wurde gefei- ert und gesoffen nach den Konzerten – ich war trocken, hor- monbedingt schlecht gelaunt und wollte nur noch ins Bett. Auf der zweiten Tour war ich schwanger mit Max, und dann hat- ten wir zwei Kinder und haben in der glei- chen Band gespielt. Es wurde schwierig, ich war im Kopf dauernd damit beschäftigt, wie ich die beiden los- werden könnte, und fand: Das kanns nicht sein. Als es dann so richtig losgegangen wäre, auch noch mit Deutschland, wurde mir klar: Ich will nicht Boni: Die politische Szene war uns gegenüber dennoch skep- oder Feindbilder ging. Lustvoll verhunzten Baby Jail den mehr. Da haben wir tisch. Die fanden, wir seien eben diese Sauglattisten, AC/DC-Song «TNT», ungefragt lieferten sie mit «Lila Wol- aufgehört. Ich mach- die von gar nichts etwas wissen – gerade mal gut ge- kenmeer» 1990 einen Beitrag zum Concours Eurovision ab, te Pause, eine grosse nug, um Leute an ein Fest zu holen und Stimmung zu bärbeissig legten sie sich mit Polo Hofer an, und brüderlich Pause. machen. In der Roten Fabrik in Zürich spielten wir erwiesen sie im Stück «Der Böse Bub Ernst» dem Schaffhau- Boni: Ich hatte in dieser Zeit bis 1987 in der Dronenhalle oder im Ziegel oh Lac, ser Eugen die Reverenz. Die Zürcher Szene war kein Thema. mit Bubi Rufener aus noch nicht in der Aktionshalle. Aber dann kam ja «Sad Bern ein Projekt – erst Movies» raus, und wir durften in der ganzen Schweiz Boni: Wir waren nicht so verbandelt wie etwa die Bands in Boni & Bubi, daraus überall auftreten. Bern, die einander ja immer gegenseitig unterstützt ha- ist dann Allschwil Bice: Wir wurden auch fl eissig am Radio gespielt – igitt, das ben. Die Szene war immer stark fragmentiert, die einen Posse entstanden. Da- war gar nicht angesagt. haben in Kloten draussen ihr Dark-Metal-Ding ge- neben arbeitete ich Boni: Und wir wollten in die Hitparade, auch das hat man macht, die anderen etwas anderes irgendwo in Zürich. bei Radio DRS im uns vorgeworfen: Die sind untalentiert und wollen erst Bice: Von uns hiess es immer, wir könnten nicht spielen. Das «Sounds». Wir hatten noch erfolgreich sein. hat mich angeschissen, total! Alle fanden das, auch die völlige Narrenfrei- Bice: Und womöglich noch Geld verdienen! Presse. Wir waren die «genialen Dilettanten» – erst heit: Suzanne Zahnd, Boni: Damals glaubte man noch nicht, nur mit Musik oder nur Dilettanten, später dann plötzlich genial. Ich fand: Christian Gasser und Fussball so richtig reich werden zu können. Man Gopfertami, wir haben uns entwickelt. Wir waren bis ich als Moderation, musste erst etwas Rechtes lernen, dann konnte man zum Schluss keine Supermusiker, aber wir sind besser dazu Pascal Hunke- weitersehen. geworden. ler und Urs Musfeld Bice: Ich habe eine Lehre als Dekorationsgestalterin ge- als Musikredaktoren. macht. Was nach dem Zerfall der Stammformation kam, war eine Aber Ende 1994 war Boni: Ich habe die Matura gemacht und dann nichts mehr. rasante Zweierseifenkiste. Bice und Boni – Bonnie and Cly- dann schlagartig fer- Halbtags Hilfsarbeiterjobs, daneben Musik. Das de mit Gitarren statt Knarren. Wer an Baby Jail dachte, sah tig lustig, die ganze stimmte so für mich. Auch später, mit Baby Jail, woll- bald nur noch das unermüdliche Paar vor sich. Drummer «Sounds»-Redaktion ten wir nicht ums Verrecken Erfolg haben. Wir mach- Candy Andy war schon 1987 ausgestiegen, um in China Si- wurde weggeputzt, ten das zum Spass. nologie zu studieren. Er hatte eine ganze Reihe Nachfolger. meine 50-Prozent- Bice: Das war der Zeitgeist. Man hat nicht so viel überlegt, Stelle gekündigt. Die sondern einfach gemacht. Bice: Wir haben lange keinen Schlagzeuger gefunden, der zu Spielwiese, die wir uns passte. Nur Hepl Caprez blieb länger dabei, un- gehabt hatten, war Baby Jail machten weiter. Sie liessen sich nicht abbringen von ser Oldie. Dreissig war der damals schon, oder drü- auf einen Chlapf weg. ihrem Kurs und reichten auch bierernstem Publikum ihren ber – einfach alt! Gut gespielt hat er, dafür schaltete er Das war blöd, der Be- Cabaretcocktail. Mit «Tubel Trophy», ihrem zweiten gros- manchmal auf stur. scheid kam gleichzei- sen Hit, der es 1992 in die TopTen der Schweizer Hitparade Boni: Wenn man Hepl beleidigte, etwa im Auto seines tig mit der Aufl ösung schaffte, reagierten sie auf rechtsdumpfe Stammtischpolitiker Schwiegervaters, in dem er uns immer zu den Gigs von Baby Jail. und nahmen gleichzeitig das Format der Reality Shows und fuhr, dann konnte der rechtsumkehrt die Kurve krat- Fernsehwettbewerbe aufs Korn, die einige Jahre später die zen und wieder nach Hause fahren. Schliesslich stieg Ihre beiden letzten regulä- Wohnstuben zu fl uten begannen. Der Tubel wird hier mittels er aus der Band aus – wir hatten etwa zwei Auftritte ren Konzerte spielten Baby einer Überlebensübung im Urwald kurzerhand entsorgt. pro Woche plus Proben, das war neben der Familie zu Jail am 28. Mai 1994, nach- «Baby Jail waren extrem wichtig, weil sie aufzeigten, dass viel für ihn. mittags in Bern, abends in man als Schweizer Band nicht nur englisch oder berndeutsch Solothurn. Kurz zuvor hat- singen konnte», urteilt Andreas «Moe» Mösli, ein Winter- Dass dies tatsächlich nicht einfach ist, merkten Bice und Boni ten sich Bice und Boni auch thurer Gitarrist, der die Band im Song «Ritter der Strasse» schon wenig später selber. Ihre Söhne Fidel und Max kamen als Paar getrennt. (Album «Primitiv», 1990) als Gast unterstützte. Viele Win- zur Welt – und veränderten die Dynamik innerhalb der Band. terthurer trieben sich damals in Zürich herum, wo die Bands Text Tina Uhlmann selbst keinen richtigen Zusammenhalt untereinander hatten. Bice: Zweimal haben wir eine längere BRD-Tour gemacht, Bilder Gertrud Vogler Lieber orientierte man sich nach aussen, egal, ob es um Vor- obwohl das immer ein grosser Aufwand war. Ich war www.babyjail.com BERNER BEBEN Dass etwas geht im Bern, in dem Lauener und seine Band Die Stadt Bern erlebte vor 25 Jahren verkehren, hört man in den geradlinigen Botschaften, aber auch im Sound von Züri West. Das Tempo ist (fast) immer den «heissen Herbst». Das musikalische auf 180, sodass Lauener so schnell singen muss, dass man kaum eine Zeile versteht. Die Musik bricht mit dem Behä- Sprachrohr und zugleich die PA-Bude bigen und Bekifften im Berner Rock, zitiert die Pretenders, Police, Joe Jackson, Nina Hagen. Den Freiraum, den auch der Bewegung: Züri West. sie suchen, fi nden Züri West nicht in erster Linie an organi- sierten Demos, Protest-Festivals oder bierseligen Abbruch- Am 14. April 1982 wird das Autonome Begegnungszen- partys: Den Freiraum fi nden sie in ihrer Musik. trum in der Berner Reitschule polizeilich geräumt. Nicht einmal ein halbes Jahr ist es offen gewesen. Nun wird die AKT DER EMANZIPATION Reithalle mit Stacheldraht eingezäunt und von der Polizei rund um die Uhr bewacht. Die Berner Jugend steht auf der «Damals gab es diese Schweizer Szenenpostille namens Strasse. Es beginnt die Zeit der Stadt-Nomaden. In Erman- ‹Music Scene›», erinnert sich Lauener. «Ich kaufte sie jeden gelung eines Treffpunkts dienen besetzte Häuser als tem- Monat, fand die Szene dahinter aber eigentlich beschissen. poräre Treffpunkte der Bewegung: Im Mai 1984 wird das Als Neuling hatte man da keine Chance. Da waren all diese ZAFF im Mattenhofquartier besetzt, im Juli 1985 muss es vermeintlich etablierten Schweizer Bands, Flame Dream, der Abrissbirne der Stadtbehörden weichen. Im Juli 1985 Stitch und wie sie alle hiessen – und sie standen für mich lassen sich die vertriebenen Bewohner des ZAFF auf einem für einen fl achen, pathetischen, platten Mainstream-Sound. Gelände im Gaswerkareal nahe der Aare nieder und grün- International gab es diese Comebacks von Tina Turner und den das «Freie Land Zaffaraya» – das heute, wenn auch in Konsorten, dazu den hemdsärmligen Pop-Rock von Huey anderer Form und an anderem Ort, immer noch existiert. Lewis. Das war genau dieser ‹Music Scene›-Sound, dem ich 1987 trifft sich die Berner Jugend vorübergehend an rau- mich vorerst fast nicht entziehen konnte, das waren genau schenden Festen in der Ohm-8-Bar an der Mattenhofstras- die Platten, die dort abgefeiert wurden. Als Züri West zu- se. Doch auch hier fahren bald die Bagger vor. Im Mai wird sammenfanden, war das auch ein Befreiungsschlag, und ich für eine Nacht die Dampfzentrale besetzt, die zuvor von freute mich, als bald auch die ‹Music Scene› nicht mehr um- den Behörden als Veranstaltungsraum «für Kulturschaffen- hin kann, über uns junge Rüpel zu schreiben. So gesehen de mit angemessener Erfahrung auf ihrem Tätigkeitsgebiet» waren Züri West eben doch eine politische Band: Der Akt auserkoren worden ist. Der Sommer sieht überall spontane der Emanzipation der unabhängigen Musikszene, zu der Aktionen unter dem Titel Straf-Bar. Am 24. Oktober 1987 wir uns damals klar zählten, war durchaus politisch – auch fi ndet die bisher grösste davon in der Reithalle statt: Sie wenn das jetzt ein bisschen pathetisch tönt.» ist der Auftakt zum «heissen Herbst». Tausende fordern Eine Weile gehen das Aufbäumen der Berner Jugend und nun die Wiedereröffnung der Reithalle, die anlässlich des die Z.W.-Erfolgsgeschichte Hand in Hand. Im «heissen Kulturstreiks vom 31. Oktober erneut für eine Anzahl von Herbst» 1987 veröffentlichen Züri West ihr Debüt – «Sport Konzerten geöffnet wird. An Weihnachten ist der Druck und Musik» steht noch heute als Zeugnis des bewegten Bern. von der Strasse endgültig zu gross geworden: Die Reithalle Ausgerechnet Mani Matter, einst Rechtskonsulent der ist wieder offen. Stadt, liefert das stärkste Statement: Züri West bringen «Dy- namit», Matters Lehrstück über die Demokratie, in einem AN VORDERSTER FRONT ganz neuen Umfeld: Zu Demolärm und Polizeisirenen ver- packen sie Matters Zeilen in ein gefährliches Rock-Arran- Für die jungen Musiker der Stadt sind die fünf Jahre zwi- gement: Noch nie hat ein Matter-Lied so erregend getönt. schen Räumung und Wiedereröffnung der Reithalle eine wichtige und umtriebige Phase. Wer spielen will, kann spie- DIE PA-BUDE DER BEWEGUNG len, obschon es eigentlich keine Auftrittsorte gibt. Die Mu- siker sind an vorderster Front dabei, wenn die Bewegung Züri West sind nun an vorderster Front dabei, wenn es den Freiraum nicht nur fordert, sondern ihn einfach nimmt darum geht, den Behörden ein Schnippchen zu schlagen – ohne fi xe Strukturen, auch ohne den Willen, zu bleiben: und ein spontanes Fest zu organisieren. Doch Lauener, der Das Bewusstsein, dass ein Fest nur diese eine Nacht dauert, ehemalige kaufmännische Angestellte, weiss auch, wann macht das Erlebnis umso intensiver. es Zeit ist, zu gehen: Ein Leben in einem von Autono- In der heissen Phase der Berner Bewegung gelten Züri West men besetzten Haus, ein direkter Schlagabtausch mit der als das eigentliche musikalische Sprachrohr. Der Ruf, «po- «Schmier», das ist nicht, was er sucht – er habe das auch litisch» zu sein, eilt der Gruppe voraus. Doch es gibt auch seinen Eltern nicht zumuten wollen, räumt er ein. eine Kehrseite: «Meistens ging die Wahrnehmung der Leute «Kaum konnten wir uns eine eigene Anlage leisten, waren völlig an dem vorbei, was wir eigentlich wollten oder was Züri-West-Gitarrist Küse Fehlmann und ich die PA-Bude wir machten», sagt Kuno Lauener, der Sänger und Texter der Bewegung. Als Dienstleister konnte man etwas Rele- der Band im Rückblick. «Es wurde sehr viel in uns hinein- vantes machen, ohne selber der grosse politische Typ zu interpretiert. In der Stadtgärtnerei Basel gab es damals eine sein. Ich wohnte mit Küse in einer WG in der Altstadt. Dort ähnliche alternative Szene wie in Bern. Dort realisierte ich, wurden jeweils die Sitzungen der Aktivisten von ‹Hans- dass Züri West einen Ruf hatten, der uns nicht wirklich dampf› abgehalten, dort wurde abgemacht, wo die nächste entsprach. Die Leute erwarteten eine Ober-Polit-Band. Sie Straf-Bar stieg. Ich kann mich an ein Fest auf der Kleinen kamen und suchten in jedem unserer Texte die politische Schanze erinnern. Wir waren 1000 Leute, Fehlmann und Message. Dabei war der Anteil von politischen Songs in ich machten mit unserem gelben Ford Transit die Vorhut, unserem Repertoire ausgesprochen klein. In jedem ‹politi- dann haben wir unsere Anlage aufgestellt, alle haben gehol- schen› Song von mir beschreibe ich ein Erlebnis, bei dem fen. Während des ersten Gigs wurde eine Bar gemauert, mit ich dabei war: Ich hätte nie einen Song nur um ‹des Poli- Pfl astersteinen. Die etablierten Politiker und Journis konn- tischen willen› geschrieben – über den viel bemühten Bor- ten da nicht mehr folgen. Das offi zielle Bern musste aber kenkäfer etwa.» bald merken, dass da nicht nur einige Spinner am Werk wa- ren. Man muss sich das auch einmal logistisch vorstellen: Züri West und ihr Ford Transit. «Bümpliz-Casablanca» (1989), die erste Züri-West-Platte Damals gab es noch kein Handy. Dass man den jeweiligen Bild: Jürg Ramseier nach der «Eroberung» des Freiraums (und die erste Num- Treffpunkt für die Straf-Bars bis zum letzten Moment ge- mer 1 einer Schweizer Indie-Band in der Hitparade), ist heimhalten und doch jedesmal 500 bis 1000 Leute mobili- denn auch ein eher introspektives Stück Musik, das vom sieren konnte, das war schon eine Leistung.» kleinen Leben im Arbeiterquartier Bümpliz und Abstechern ins Lorraine-Bad handelt und schon wieder Ausbruchsfan- «UNENDLICH VIELE SCHEISSBANDS» tasien beschwört – diesmal aber richtige –, zum Beispiel im Titelsong «Bümpliz – Casablanca». Am Kulturstreik, jener denkwürdigen Wiederbesetzung der Von den Achtzigern sind bei Kuno Lauener vor allem die Reithalle, an der rund 10 000 Leute erschienen, sind Züri Sturm-und-Drang-Jahre seiner Band, das unreglementier- West die logische Band. Nach der defi nitiven Eroberung des te Draufl os-Machen hängen geblieben. Er glaubt, dass der Freiraums trifft man die Musiker aber seltener in der Reithal- damalige Auf- und Ausbruch etwas Zwingendes hatte, le. Das liegt zunächst daran, dass die Band nun oft auf Tour- mag aber nichts überhöhen: «Die Routine und der Alltag nee ist: Das Unterwegssein eröffnet Freiheiten, die man auch in Bern hatten in den Achtzigern etwas Bedrückendes», ohne illegal oder legal okkupierten Freiraum in Anspruch sagt Lauener. «Es ist erschreckend, im Dokumentarfi lm nehmen kann, das Ankommen, Aufstellen, Spielen und Wei- ‹Berner Beben› von Andreas Berger, der diese Zeit thema- terreisen wird zum prägenden Alltag für Züri West. Lauener tisiert, wieder die Sprache der Autoritäten von damals zu blickt heute nicht ganz ohne Wehmut auf die ausgedehnten hören. Man hat das Gefühl, es sei eine völlig andere Welt, frühen Konzerttouren durch schäbige Mehrweckhallen und die Ausstrahlung ist völlig anders. Es kam nicht von unge- billige Pensionen zurück. Doch nicht nur das befreiende Ge- fähr, dass sich damals weltweit etwas zugespitzt hat. Man fühl eines Lebens «on the road» entfremdet Züri West von sehnte sich nach einer Befreiung, hatte genug vom Kalten der Bewegung, auch mit der Institutionalisierung des Frei- Krieg, man war die althergebrachten Weltanschauungen raums tun sie sich schwer: «Das ideologische Gequassel in leid. Die Jugendbewegungen der Achtziger konnten etwas der Szene war nichts für mich», sagt Lauener. «Die Zeit vor anschieben, und mit ihnen die Musik. Musikalisch haben der Reithalle, dieser durch und durch provisorische Auf- sich die Achtziger aber auch dadurch ausgezeichnet, dass es bruchgeist hat mir mehr entsprochen als die Zeit danach. In unendlich viel Ramsch gab. Damals hatte plötzlich sehr viel den Spontanzeiten musste man sich selber helfen, man ging nebeneinander Platz. Darum gab es auch unendlich viele einfach spielen, das Programm hat sich dank coolen Leuten Scheissbands. Heute wird ja wieder viel geschwärmt vom von selbst ergeben. In der Reithalle redeten dann plötzlich ‹Sound der Achtziger› – aber kaum von denen, die dabei alle mit, viele Leute meldeten Besitzansprüche an. Es war waren.» Zeit für mich, ins hintere Glied zurückzutreten.» Sam Mumenthaler SZENE On ne vit pas sans rêves

EIN FILM VON NICOLAS WADIMOFF

SONGS: The Stranglers RICHARD HELL BASEMENT 5

WWW.OPERATION-LIBERTAD.COM AB 25. OKTOBER IM KINO & LIVE 2.11. Phillip Boa and the Voodooclub (D) Independent / Rock 9.11. Dem Slackers (NL) Electronic

10.11. Müslüm (CH) Balkanpop IRASCIBLE DISTRIBUTION

11.11. I Like Trains (UK) Postrock / Indie next: die toten, die besten 2012 16.11. Jack Slamer (CH) Rock 17.11. Lovebugs (CH) Pop / Indie 7.12. Shantel & Bucovina Club Orkestar (D) Balkanpop 20.12. Patent Ochsner (CH) Mundart 23.12. Disco Doom (CH) Peter Kernel (CH) Rock 16.2. The Raveonettes (DK) Indie 1.3. Phenomden (CH) Reggae salzhaus.ch SALZHAUS WINTERTHUR starticket.ch DIE NEUEN PLATTEN

Coldeve Clinic Cate Le Bon Beth Orton Benjamin Blinded by the Hu-Uh Free Reign Cyrk Sugar Season Biolay (kuenschtli.ch) (Domino/MV) (The Control Group Co) (Anti/Phonag) Vengeance (Naïve/MV) «Schweizer Band» impli- Auf seinem letzten Album Zu guten Platten werden Beth Orton war 40, allein- zierte lange Zeit, dass eine «Bubblegum» kehrte das ja immer mal wieder die erziehend und ohne Plat- Seit Serge Gainsbourg ge- Gruppe durchaus Charme Liverpooler Quartett den abenteuerlichsten Analo- tendeal. Sie lebte in einer storben ist, wurden immer hatte, im internationalen angestammten Old-School- gien verfasst. Eine Platte umgebauten Scheune in wieder «legitime Erben» Vergleich aber doch etwas Synthis den Rücken, um klingt wie ein Sommerre- Norfolk und war sich al- des grossen Liederschrei- hausbacken wirkte. Das sich am Klang akustischer gen, eine andere wie ein les andere als sicher, ob sie bers ausgerufen. Meist hat sich geändert, seit di- Instrumente zu erfreuen. Feuerwerk, die nächste wie je wieder Musik machen entpuppten sich die Nach- gitale Methoden professi- Die näselnde Stimme von ein opulentes Mahl. Auf würde. «Ich begann fast folger des Nationalheilig- onelle Produktionen ohne Ade Blackburn wollte zu die neue Platte von Cate schon zu glauben, meine tums dann schnell zwar Riesenbudget ermöglichen. diesen Liedern allerdings Le Bon trifft keiner dieser Karriere sei am Ende», als begabte Popschreiber, Zudem zeigt die jüngere nicht mehr so recht passen, Vergleiche zu. «Cyrk» ist erzählte sie im September aber keinesfalls als wür- Schweizer Musikergene- zumal er auch noch mit viel eher alles zusammen. der Sonntagszeitung «The dig, dem grossen SG auch ration viel künstlerischen der von Jeffrey Lee Pierce Müsste man den Zweitling Observer» – anlässlich der nur annähernd das Wasser Formwillen. Das macht erfundenen Methode ar- der Waliserin mit nur ei- überraschenden Veröf- zu reichen. Bis Benjamin sie international konkur- beitete, eher um die Töne nem Adjektiv beschreiben, fentlichung ihres sechsten Biolay aufgetaucht ist, der renzfähig, manchmal aller- herumzusingen, als selbige käme wohl einfach nur Albums «Sugar Season». seit seinem Debüt «Rose dings auch austauschbar. im Stile eines Dart-Spielers «gut» in all seiner Grös- Sechs Jahre sind seit ihrem Kennedy» an der eigenen Solche Gedanken können ins Herz zu treffen. Hier se infrage. Verantwortlich letzten Werk, «Comfort Legendenbildung arbeitet, aufkommen beim Hören nun kehren sie auf gera- dafür ist einerseits die in of Strangers», ins Land famose Songs und Alben des Zweitwerks der Zür- dem Weg zurück zu den unterschiedlichen Regis- gezogen, und doch ist Or- veröffentlicht, andere Sän- cher Elektropopper Cold- Ursprüngen – sprich: die tern absolut überzeugende ton, mittlerweile 42, ihrem gerInnen produziert und eve. Das Debüt brachte Analog-Synthis fi epen und Stimme Le Bons. Verant- Sound treu geblieben. Es dabei auch noch glamourös das Trio ins Vorprogramm furzen, dass es die reine wortlich sind andererseits ist nicht mehr der Trip- rüberkommt. Seit seinem von grossen Stars (The Freude ist. Ein wichtiges aber auch die rhythmischen Hop ihrer Anfangstage, Jahrzehntalbum «La Su- Ting Tings) und auf kleine Element im so eigenwilli- Wendungen und klangli- aber eine Fortführung des perbe» (2009) ist allerdings Openair-Bühnen, das neue gen Sound von Clinic be- chen Finessen, die in die fragilen, kühlen und mit- lediglich ein Soundtrack Album könnte den Zu- stand immer – ausser eben neun Songs eingestreut unter frostigen Folk-Pop, erschienen, so dass der spruch durchaus erweitern. beim letzten Wurf – in ihrer wurden. Da gibt es eine aus den die Engländerin nach BB-Fan nach Neuem dürs- Der rockig aufgemotzte Verehrung konsequenter dem Nichts auftauchen- der Jahrtausendwende zu tet. Und diesen Durst stillt Synthiepop macht Laune, Monotonität. Und auch de Tattoo-Trompete mit fertigen begann. Orton, die Biolay mit «Vengeance», und Songs schreiben kön- zu dieser haben sie hiermit stampfendem Marschge- früher in Interviews schon einem Album, das mit dem nen sie auch. Ohrwürmer zurückgefunden. Diverse trommel, die das perlende mal den inneren Drachen letzten Meisterwerk fast wie «Callous Sun» haben Songs scheinen beim ersten «Julia Greta» zum Schluss durchfeuern liess, klingt mithalten kann. Neben ty- das Potenzial fürs Radio- Anhören auf einem einzi- in eine andere Richtung auf «Sugar Season» vor al- pisch Biolay’schem Chan- Tagesprogramm. Zum Pop- gen, vom cheesy Synthi ge- schickt. Oder das schrullig- lem ausgeglichen. In ihren son-Rock hören wir auch appeal gibts allerdings auch tragenen Akkord aufgebaut schöne «Ploughing-Out Songs schwingt zwar un- Stücke, die sehr nah an ein paar Widerhaken: tras- zu sein – und das ist gut so. 1+2», das zunächst trip- verändert die Melancholie den Achtzigern sind: Von hige Drumsounds, spinner- Sehr gut sogar. Und auf ein- pelt, dann schlendert, dann mit, dafür aber auch eine Post-Punk und New Wave te Soundspielereien und vor mal auch näselt Blackburn trampelt und schliesslich gesunde Abgeklärtheit. Stü- beeinfl usster Stoff, wo The allem Sängerin Fay Stor- nicht mehr, sondern singt, wild im Kreis rumwuselt. cke wie das still walzernde Cure oder Sisters Of Mer- me, die allerlei Kapriolen aber eben auch monoton, Die LoFi-Indiepop-Juwelen «Dawn Chorus», das mit cy durchschimmern. Dazu schlägt und im Zweifelsfall ein bisschen wie ein Priester auf «Cyrk» hauen einem Music-Hall-Elementen auf- gibt es, wie immer, Sound- lieber hobelt als schleift. in der Messe, nur ein, zwei den Kiefer ebenso sanft wie trumpfende «See Through trackartiges und eleganten So drückt trotz Mix durch Tonlagen höher. Der Effekt nachhaltig nach unten und Blue» oder «Poison Tree», Chanson-Pop. Wenn man Prodigy-Produzent Dave ist hypnotisch und zutiefst sorgen durch ihre Überra- das seinen Nick-Drake- 2012 ein französisches Al- Pemberton der eigene eigenartig. Und das ist ein schungen dafür, dass er lan- Einfl uss nicht verstecken bum kaufen möchte, dann Charme einer Schweizer Kompliment. ge, lange unten bleibt. Die mag, zeigen eine gereifte sollte es dieses sein. Band durch. Und das ist Platte des Jahres für Fans Beth Orton. Ein bescheiden gut so. hpk. von Laura Stevenson, Kate auftretendes Album – und tb. Sikora und – ganz einfach – doch eins voller Klasse. ash. von guter Musik. mig. nin. DIE NEUEN PLATTEN Marina Abramovic Wer Marina Abramovics Auftritte kennt, denkt dabei vor allem an ihren nackten Körper, an Selbstverstümmelung und das Ausreizen der körperlichen Möglichkeiten bis ins Extreme. Nun kommt der Film in die Kinos, der die Künst- lerin intim und verletzlich zeigt: «Marina Abramovic: The Artist Is Present». Sechs Monate wurde Marina vor, während und nach ih- Meshell Diana Krall Françoise rer Performance «The Artist Is Present» im New Yorker Ndegeocello Glad Rag Doll Hardy MoMA begleitet. Dort zeigte die 64-jährige Künstlerin die Pour une âme (Verve/Universal) L’amour fou andere, nachdenkliche Seite ihres Schaffens: Für die Per- souveraine – (EMI) formance sass sie während den drei Monaten der Ausstel- A Dedication to «Jetzt will ich auch mal lungsdauer jeweils sieben Stunden pro Tag in der Mitte Nina Simone verrucht und sexy klingen Vor der letzten französi- des Atriums bewegungslos auf einem Stuhl. Die Besucher (Naïve/MV) – und auch so aussehen!» schen Präsidentschaftswahl konnten sich Marina gegenüber setzen und so lange blei- Wenigstens halbwegs so war die Grande Dame des ben, wie sie wollten. Oder konnten. Der Film zeigt junge Nina Simone war nicht aufreizend wie Nicole Kid- französischen Pops eher Mädchen, die in Tränen ausbrechen, Männer, die voller bloss eine talentierte Mu- man in «Moulin Rouge» fragwürdig in die Schlag- Andacht dasitzen und gedanklich in ein anderes Universum sikerin, sondern vor allem zu posieren, das gelingt der zeilen geraten. War die le- abzudriften scheinen – und alle versinken sie in Marinas eine Ikone der US-amerika- kanadischen Jazzsängerin. bende Legende doch mit tiefbraunen Augen. Der emotionalste Moment: Marinas nischen Bürgerrechtsbewe- Was jedoch den adäquaten jammernden Statements Ex-Freund und langjähriger Arbeitspartner, der Künstler gung. Eine stolze, mutige Gesang betrifft, müssen aufgefallen, sie werde Ulay, sitzt ihr als letzter Gast gegenüber. Marina schaut auf schwarze Frau – in Zeiten, Abstriche gemacht werden. Frankreich verlassen, falls und zeigt zum ersten Mal eine kleine Gefühlsregung, ein in denen schwarze Frau- «Glad Rag Doll» ist eine François Hollande an die kaum wahrnehmbares Zucken der Lippe. Sie beugt sich enstimmen oft zum Ver- wunderbare Kollektion Macht käme und seine vor, nimmt Ulays Hände und weint. Marina weint. Die stummen gebracht wurden. von Ragtime-, Jazz- und «Reichensteuer» einführen Godmother of Performance, die über eine extreme Körper- Ähnlich wie Simone, die Blues-Songs aus den ers- werde. Das hat der Hardy beherrschung verfügt, weint. sich nie auf ein Genre festle- ten drei, vier Dekaden des etliche Kritik eingebracht, «Marina Abramovic: The Artist Is Present» ist ein persön- gen lassen wollte, hat auch 20. Jahrhunderts, grossar- auch von ihr ansonsten liches Porträt, das einem nahe geht. Und einen zum Nach- Meshell Ndegeocello kei- tig produziert von T-Bone wohlgesinnten KollegIn- denken bringt. Man möchte Marina noch besser kennen- ne Lust mehr zu erklären, Burnett. Die Musiker sind nen. Mit dem Alter wird lernen, mit ihr einen Nachmittag lang plaudern, ihr Wesen ob sie sich als Jazz- oder exzellent: Gitarrist Marc man nicht immer schlau- erkunden. Ich für meinen Teil durfte mit ihr 20 Minuten Popmusikerin defi niert. Ribot, Drummer Jay Bel- er, wie auch das Beispiel lang telefonieren – und war danach hin und weg. Abramo- «Pour une âme souverai- lerose, Howard Coward Brigitte Bardot zeigt. Nun vic ist eine feinfühlige, intelligente Frau mit schlagfertigen ne» ist nach «Weather» ihr (alias Elvis Costello) und folgt also das neue Album Antworten. Auf die Frage etwa, ob sie sich als Feministin zehntes Album. Dafür hat Bassist Dennis Crouch be- der 68-Jährigen, das wie bezeichnen würde, meinte sie schlicht: «I’m not a feminist. die amerikanische Singer/ gleiten mit hörbarem Gus- schon das vor zwei Jah- I am an artist» Und zwar eine meiner liebsten. Songwriterin und Bassistin to Kralls Spiel am uralten ren erschienene «La pluie 14 Songs aufgenommen, Steinway-Piano. So aus- sans parapluie» ein feines Miriam Suter die Nina Simone in den gelassen die Band swingt, Werk geworden ist. Deut- Fünfziger- und Sechziger- fehlt Kralls Performance lich ruhiger als die letzten «The Artist is Present» ist ab 25. Oktober in den Arthouse-Kinos zu sehen. jahren populär gemacht das Kecke: Ihre zuweilen Platten, hören wir hier eine hatte. Die subtil in Szene monotone Stimme ver- Hardy, deren wunderschö- gesetzte Hommage präsen- spricht weder sexuelles ne Stimme sich über fast tiert das ganze Spektrum Abenteuer, noch vermittelt schon klassischen Chan- ihres Werks – Standards sie tief erfahrenes Leid. sons austoben darf. Wie («Feeling Good», «House Die emotionale Bandbreite schon auf den letzten Al- of the Rising Sun»), eige- zwischen Unglück, Humor ben hat Françoise Hardy ne Songs («Real Real») und Intimität vermag sie auch hier wieder einige oder solche, die speziell nicht zu füllen. Meistens junge Songschreiber um für sie geschrieben wurden klingt Krall bloss kühl und sich geschart. Diese liefern («To Be Young, Gifted and clever. Die besten Momente alle gediegene Popsongs, Black»). Für dieses Projekt gelingen, wenn Standards etwa das atmosphärisch lud Meshell Gastsängerin- wie «Lonely Avenue» oder sehr schöne «Normandia» nen wie Sinead O’Connor, «Let It Rain» dank ver- (Text und Musik: Julien Lizz Wright, Valerie June blüffenden Arrangements Doré). Verglichen mit ihren sowie Toshi Reagon ein. zu neuem Leben erwachen. letzten Platten hätte ich mir Highlights: Meshells un- Perfekt ins Repertoire fügt persönlich gerne den ei- ter die Haut gehenden sich der einzige zeitgenössi- nen oder anderen fl otteren Interpretation von «Turn sche Song ein: «Wide River Song gewünscht. Dennoch, Me On», dazu «Nobody’s to Cross», eine wunderba- ein schönes Album. Fault But Mine» mit der re Ballade über spirituelle göttlichen Lizz Wright. Sinnsuche. tb.

tl. tl. DIE NEUEN PLATTEN

Jeff Lynne Brian Eno Sacri Cuori Alex Highton Sera Cahoone Long Wave Lux Rosario Woodditton Wives Deer Creek Canyon (Frontiers Records) (Warp/MV) (Décor Records) Club (Sub Pop/Irascible) (BB Island) Die Alben von Brian Eno Der Sound des zweiten Al- Aufgewachsen ist Sera Jeff Lynne, Jahrgang 1947, lassen sich in drei Kategori- bums von Sacri Cuori ist Wie im Märchen: Da hat ein Cahoone am Fusse der der weiss Gott schon was en einteilen. Erstens: Alben irgendwo zwischen Ennio Musiker die Schnauze voll Colorado Hills, in einer gerissen hat, will es noch mit Liedern – gesehen aus Morricone, Surfmusik, von der Grossstadt London ebenso abgelegenen wie einmal wissen. Mit ELO ist der merkwürdigen Pers- Angelo Badalamenti, Link und zieht aufs Land, in ein waldreichen Gegend. Eine es ja schon lange aus, und pektive eines Künstlers, der Wray, Calexico, Ry Coo- Kaff neben Cambridge, Umgebung, die ihre Mu- auch das letzte Lebenszei- es immer wieder schafft, der und Tom Waits einzu- Woodditton. Dort leckt er sik – so die Amerikanerin chen der Band («Zoom», ausserhalb der gebräuchli- ordnen. Das italienische seine Wunden und nimmt – mindestens so beeinfl usst 2001) war im Grund Lynne chen Kategorien zu denken. Trio – Gitarrist Antonio in der Scheune Demos auf habe wie die Tatsache, solo. Und so geht es auch Zweitens: vornehmlich Gramentieri, Multiinstru- und stellt sie auf MySpace. dass ihr Vater mit Dynamit weiter auf seiner sentimen- instrumentale Alben, wo mentalist Christian Rava- Dann hört ein Schauspie- handelte und ihre Mutter tal journey mit Songs aus Rhythmik und Strukturen glioli, Bassist Francesco ler (Ashton Kutcher) die sie schon als 12-Jährige den Sechzigerjahren, die er eine Brücke schlagen zu Giampaoli, Perkussionist Songs und tweetet darüber. in lokale Blues-Clubs mit- komplett alleine eingespielt herkömmlichen Musikfor- Diego Sapignoli – war in Jetzt weiss es die Welt, und schleppte. In einer früheren hat. Die elf Lieder aus dem men am Rand von Jazz und Italien, Virginia und Los schnell sind zwei Crowd- Bio Cahoones stand zu le- Fundus sind mal rockiger, Gegenwartsmusik. Drit- Angeles mit hochkarätigen funding-Unternehmen ge- sen, dass es ihr Ziel sei, wie mal kitschiger, mal für tens: Alben mit Musik, die Sessionmusikern wie Jim funden, die dem schnauz- das «musikalische Liebes- die Tanzhalle und mal für aus einer weit ausgespann- Keltner, David Hidalgo, bärtigen Neo-Folkie das kind von Buck Owens und die Goldene Hochzeit ge- ten Abfolge von ineinander Marc Ribot, Isobel Camp- Album ermöglichen, das Cat Power» zu klingen. macht. Kanten und Ecken fl iessenden Klängen besteht, bell, Joey Convertino, dann auch gleich die besten Bei ihr soll sich also tun- kann man suchen, man deren Rhythmus in derart Stephen McCarthy und Kritiken bekommt. «The lichst klassischer Country wird sie aber nicht fi nden. abstrakte Breite gezogen JD Foster im Studio. Das best album of the decade», & Western mit kratzbürs- Der Stimme ist der Schneid wird, dass er kaum mehr Endprodukt klingt nach jubelt «Rock Classics» et- tigem Singer/Songwriter- (oder auch die Penetranz) wahrnehmbar ist. Am An- Spaghetti-Western-Sound- was verfrüht, das Jahrzehnt Sound paaren. Mit ihrem abhanden gekommen, nur fang bezeichnete Eno solche tracks, amerikanischem ist ja noch jung. Aber: Der dritten Album «Deer Creek wenn Lynne quasi als Chor Musik als «Ambient». Heu- Wüstenrock, Tex Mex mit Brite hat 13 wunderschöne Canyon» hat die 37-Jährige auftritt, ist noch etwas te nennt er sie «Musik zum einem Schuss Nancy und Gitarre-und-Stimme-Songs dieses Ansinnen endgültig von der alten Macht der Denken». «Lux» gehört in Lee. Auf «Rosario» trifft eingespielt, zum Teil mit verwirklicht. Das im Ame- ELO’schen Harmonie in diese Kategorie. Zwar soll Musik, wie wir sie von Ca- Orchester und klassischen ricana verwurzelte Lieder- Pop zu spüren. Der Sound dieses Solo-Album aus ei- lexico kennen, auf europä- Instrumenten (Cello, Gei- dutzend verzichtet auf jegli- scheppert ein bisschen, ner 75 Minuten dauernden ische Einfl üsse. Zu nennen ge) aufgewertet, die vom ches Brimborium und baut wenn Lynne in Rock’n’Roll «Komposition» in zwölf wäre hier Nino Rota, des- Abschied aus der Stadt, auf gänzlich Unaufgeregtes macht. Allerdings driftet er Sektionen bestehen, aber sen atmosphärisch starke vom Landleben, dem Herz- von Banjo, Gitarre und Pe- zu oft in süssliche Gefi lde dem zufälligen Hörer wird Musik viele Fellini-Filme brechen und seiner Frau dal Steel. Selbst Cahoones ab, etwas weniger Key- kaum eine «erzählerische» prägte. Diese beschwingte, handeln. Der klassische warme Stimme gibt sich board und dafür öfter mal Entwicklung auffallen. An- gleichzeitig melancholische Stoff also, der auch schon völlig entspannt – ohne da- eine warme Gitarre (die er dererseits wäre es schwierig Zirkusstimmung und die einen Stephen Stills oder bei schlaff zu wirken. Songs sehr schön spielt!) hätten bis unmöglich, sich hinzu- schwerblütigen Bläser erin- Paul Simon zu Höchstleis- wie «One to Blame» oder dem Album sehr gut getan. setzen und dem Album von nern an sein Werk. An an- tungen angetrieben hat. «Nervous Wreck» erzählen «Long Wave» ist ein Al- A bis Z zu lauschen. Die deren Stellen entdecken wir Mit seiner unglaublich zwar Trauriges, akzeptie- bum für alte Fans und die Gedanken würden in die den Science-Fiction-Sound warmen, nuancenreichen ren aber auch: Das gehört ELO-Forschung, die sich Ferne wandern, dann und eines Joe Meek, manchmal Stimme könnte Alex High- zum Leben. Ein Selbstver- jetzt den Kopf darüber zer- wann zu den Klängen zu- schimmert auch Krzysztof ton so einiges bewegen. ständnis, das sich durchs brechen kann, wie viel von rückkehren, nur um gleich Komeda durch (Polanskis Männer lassen sich wieder ganze schöne Werk zieht «Let it Rock» in «Hold on wieder loszumarschieren. Lieblingskomponist), oder Bärte wachsen und Frauen und «Deer Creek Canyon» Tight» steckt. Wem allerdings elektro- der Late Night Jazz der vergessen mal für einen Au- zu einer der stimmigsten nisch erzeugter Klingklang Lounge Lizards. Herrliches genblick Zalando und träu- Platten des Jahres macht. cam. nur auf die Nerven geht, Kopfkino. men vom Landleben. Der der wird schleunigst den Herbst ist dort so schön, mig. Exit aus dieser Gedanken- tl. und Sänger gibts dort… welt suchen. Kurz: Ein Album zur Zeit.

hpk. cam. SZENE

Nov

Donnerstag «Camera Obscura» XIII – Filme bei TapTab 01 The Nightmare After Halloween Di. 30.10.12 Ziegel oh Lac 21:30 Film «The Raven» (R: Roger Corman, USA, 1963), «Return Of The Living Dead» Ziischtigmusig (R: Dan O’Bannon, USA, 1985) DJ Tentacolo DOPE BODY Freitag Here Come The Kids From The Nineties 02 Indie Rock For Hipsters Live Oh No! Yoko (CAN) Fr. 2.11.12 Aktionshalle 21:00 Swatka City (BE) Enter The Dancehall DJs Atomic Nick & Le Frère (ZH) Samstag «Too Big To Fail» ROMAIN VIRGO, LOYAL FLAMES 03 Pop, Punk, Soul, Wurstbrot, Alternative Live Die Aeronauten (SH/ZH) MOSA Nature (SH) So. 4.11.12 Aktionshalle 19:00 DJ Doublechin Fabrikjazz Donnerstag Radioshow 08 Rasa Live From Planet TapTab Part III Radio Rasa-Sendungen GÜNTER SOMMER & SAVINA im bzw. aus dem TapTab Freitag 10 Years Pete Bamboo – The Festival YANNATOU 09 Ska, Reggae, Punk, Dub, Indie pp. Live Pete Bamboo & Secret Special Guests Di. 6.11.12 Ziegel oh Lac 21:30 DJs Sh4bb4, Lunk, Donk Ziischtigmusig Samstag «Erdloch» Label Night 10 Soul, Rap, HipHop, Mehr PIERRE OMER & THE STEWARTS Live J-Who, Rapslang, Ael, Leonard2, MoshFeratu, GARAGES CONSPIRACY CREW S-Kimo, Damian, Sani DJs Leonard, Antic-J, Herr Mehr Guests: DerJoshi So. 11.11.12 Clubraum 20:30 Sonntag Drei Jahre «Lappi» Verleihung des «Lappi» 2012 Woo-Hah! 11 Gala «Lappi»-Gala feat. Preisverleihung, SHABAZZ PALACES, THEESATIS- musikalische Gäste: Joscha Schraff Trio Freitag «Colors» FACTION, OC NOTES 16 Good HipHop Music At TapTab Tanz DJ Tray (Delinquent Habits) DJs Mack Stax, Real Rock Sound, Pfund 500 Di. 13.11.12 Ziegel oh Lac 21:30 Samstag «Jungle Café» Ziischtigmusig 17 Drum&Bass, Breakbeats Tanz Soulscream (DSCI4/Citrus/Basswerk) BALTHAZAR Chriz Haze und MC RESC (Elevation Music) Support: Credo & Buko, Karc Mensa

Do. 15.11.12 Aktionshalle 20:30 Sonntag «Innerorts» Lieder und Dias Sugarshit Sharp 18 Live Manuel Stahlberger (SG) GODSPEED YOU! Donnerstag «Kurz&Knapp» 22 Kurzfilme im TapTab BLACK EMPEROR Film Schweizer Kurzfilme Freitag «Aykaïsm» präsentiert 23 Breakbeats, Electro, NuFunk, Mash-ups So. 18.11.12 Aktionshalle 20:30 Tanz Bongo Kids (Larry King & Bazooka/BS/SH) A Thousand Leaves The Funky Spanking (PlushGrizzly & Instant P/ZH) BAT FOR LASHES Samstag «What A Bam Bam» 11 Years Real Rock Sound 24 Reggae, Ragga, Dancehall, HipHop Tanz/Live Live-Showcase: Maikal X (NL) Di. 20.11.12 Ziegel oh Lac 21:30 DJ Lady Louise (SWE), Magic Tuts (VD) Real Rock Sound Ziischtigmusig Freitag «GUTE» präsentiert 30 Deep House, Tech House THE SLOW SHOW Live Francesca Lombardo (Crosstown Rebels/UK) Support: Lennix Music, Selim & Armin, Mi. 21.11.12 Clubraum 20:30 Marc Maurice Sugershit Sharp www.taptab.ch DZ DEATHRAYS Tap Tab Musikraum Baumgartenstrasse 19 Postfach 1583 CH-8200 Schaffhausen musik im briefkasten – loopzeitung.ch So. 25.11.12 Clubraum 20:00 JackSoul CRIOLO

Di. 27.11.12 Clubraum 20:30 Sugarshit Sharp Zum 22. Mal: Grösster Schweizer DJANGO DJANGO Musik-Flohmarkt Do. 29.11.12 Clubraum 20:30 So. 4. Nov. 2012, 4914 Roggwil (BE) JackSoul Eventhalle Paddock, Race-Inn EBO TAYLOR & AFROBEAT Schallplatten, Vinyl, CD, DVD, HiFi, DJ-Stuff, ACADEMY Akustische und elektrische Musikinstrumente, Vorverkauf:www.starticket.ch Musik- und Studio-Equipment, Licht, Audio, Musikalien, Antikes, Raritäten, Occasionen, Neues, Schnäppchen ... Musik-Beiz. Alles rund um die Musik! Von 9 – 17 Uhr. www.musik-flohmarkt.ch Tel. 062 892 83 44 DIE NEUEN PLATTEN London Hotline Gerade habe ich mich wieder einmal über die Themse gewagt, das heisst, nicht über die Themse bin ich gegan- gen, sondern unten durch, per U-Bahn, in den Süden. Das kommt nicht oft vor. Denn die Themse ist so etwas wie der Röstigraben von London. Im Norden sitzen die Kultur und der Zaster, im Süden gibts Reihenhäuschen, so weit Seapony Thomas Monotales das Auge reicht. Natürlich ist das leicht übertrieben. Brix- Falling Wydler Hidden Thrills ton ist eine Oase der Kreativität, der politischen Militanz (Hardly Art) On the Mat – (1901 Records/Irascible) und der Selbsthilfeorganisationen. Domino Records und and Off Beggar’s Banquet sind beide im mit Gourmet-Burger-Die- Das gleissende Gold der (Soul Sheriff/Irascible) Das Debüt der Monotales, len und Boutiquen gespickten Wandsworth daheim. Auch Klangfarbe, die sanfte «Call Me a Stealer, Call Clapham soll der Rede nach ganz lustig sein, davon merkte Brise des Vorwärtszugs, Am berühmtesten ist Tho- Me a Thief» (2010) bot ich allerdings nur insofern etwas, als ich beim Sprint durch die leichte Körnigkeit der mas Wydler als Drummer viel Feines, der Nachfolger die verregneten Strassen unter meinem Hoodie hervor be- Produktion: Die Platte, der Bad Seeds. Bekannt «Hidden Thrills» vermag obachtete, wie sich zu meiner Rechten die Edelbäckereien die den anhaltend fabulö- ist er auch als treibende das Qualitätslevel nicht und Antiquitäten-Shops nur so jagten. sen Spätherbst perfekter Kraft bei Die Haut sowie bloss zu halten, sondern Indes war ich nicht zum Shoppen nach Clapham gekom- widerspiegelt als das neue als Kollaborateur von Les zu steigern. An ihrer Re- men. Vielmehr wurde ich im Ilkatron Studio erwartet. Hier Album von Seapony, muss Hommes Sauvages, Gem- zeptur hat die Band nichts hatte sich eine Woche lang das Lofi Dogma eingemietet. erst einmal geschrieben ma Ray oder jüngst Dieter Grundlegendes verändert, «Less is the new more» lautet das Motto dieser Organi- werden. Das treblelastige Meier. Zu entdecken bleibt aber man hat nochmals sation. Sie ist in Zürich daheim und schleudert dem Per- Beachpop-Trio aus Seattle der Solokünstler Thomas an den Rädchen gedreht, fektionswahn, dem sich das Musikgeschäft so lammfromm um Sängerin und Gitarris- Wydler. Über die Jahre hat an der Justierung. Sänger ergeben hat, die Faust der Spontaneität ins Auge. Die neun tin Jen Weidl meint es auf er mehrere, weitgehend in- Mauro Guarise, der sich Regeln, die dabei zu befolgen sind, stehen alle im Sinne der «Falling» abermals gut mit strumentale Alben sowie klanglich gut zwischen El- Simplizität. Sie gebieten nicht, sie verbieten – und zwar das der Welt. Und auch wenn Soundtrack-Beiträge pro- vis Costello und Tom Petty musikalische Pendant zur Völlerei. auf dem Beipackzettel der duziert. Sein neustes Werk einbetten lässt, treibt seine Finanziert von einem privaten Kulturfonds, tut Lofi Dog- Plattenfi rma etwas von ist seinem Urgrossvater Monotales durch ein musi- ma seit rund fünf Jahren Gutes. So fl ogen mir vor einiger «Liveenergie» zu lesen ist, August W. Johnson gewid- kalisch sehr dichtes Werk, Zeit sechs Mini-LPs ins Haus mit den Resultaten von den die sich auf diesem Album met. Dieser wanderte Ende das nicht im wilden, aber rund fünfzig in Zürich entstandenen Aufnahmen. Combos deutlich abzeichnen würde: des 19. Jahrhunderts von im weiten Westen angesie- wie The Bianca Story, Weyermann, Evelinn Trouble, Sein an die Wand geblasen wird Schweden in die USA aus, delt ist. Es dominieren die und Fai Baba tauchen darauf auf. Nun also London – mit hier nichts und niemand. wo er als Kraftathlet auf- Gitarren, die Gefühle und dem Fernziel, auf der ganzen Welt Lofi -Dogma-Ablagen Viel eher nehmen Seapony trat und auch als Cafébesit- eben dieser Gesang, der zu lancieren und damit ein Netzwerk von Gleichgesinn- einen mit auf die Veranda zer und Importeur schwe- gerne in schöner Mehrstim- ten zu schaffen. Im Ilkatron Studio – hinter Garagen und und bieten Schaukelstuhl discher Spezialitäten tätig migkeit mündet. Das, was frisierten Motorrädern tief in einem Hinterhof vergraben und Tomatensaft an, mit war. Wydler setzt diese Le- das Quintett bietet, hätte – haben früher Morcheeba ihre Sachen aufgenommen. Es dem es sich entspannt in bensgeschichte mit Ehefrau man in den Siebzigern als ist von Ben Williams übernommen worden, einem jungen die Sonne blinzeln lässt. Bei Beate Bartel, Rosie West- Country-Rock bezeichnet. Produzenten, der es umgebaut hat und jetzt davon träumt, Seapony geht es nicht um brook, Gitarrist Kristof «Over This Mountain», daraus seinen Hauptjob zu machen. die Revolution. Es gibt hier Hahn, einigen Bad Seeds der Auftaktssong, erinnert Fünf Tage Lofi Dogma – fünf Bands: The Wave Pictu- nichts Gefährliches, nichts sowie Gastsängerinnen in also nicht von ungefähr res, Jamie Harrison, Laish, Red Kite und Nimmo & The Krummes, nichts Anrüchi- mal melancholisch, mal an Bands wie Poco, wäh- Gauntletts. Am zweiten Tag zeigen sich die beiden Lofi - ges, nichts Brüchiges. Was vertrackt swingende Musik rend «Heart of Goldbars» Dogmatiker, die aus Zürich eingefl ogen sind, noch eher es gibt, sind süffi ge Melodi- um. Das träumerisch ver- bestens dem Nachlass der gespannt als erfüllt. Am Freitag herrscht dann aber vollste en, sanftes Wogen und viel huschte «Even a Man Like Traveling Wilburys ent- Begeisterung. Die Bands hätten sich alle mit Gusto in die Hall, der die harte Reali- Me» mit Sara Lunden am stammen könnte. Die Mo- Arbeit gestürzt, die Songs seien grandios herausgekommen. tät in weite Fernen rücken Gesang und der fordernde notales geben keineswegs Einen Unterschied zwischen Zürich und London hat man lässt. Irgendwie bedenk- Film-Noir-Jazz «Crack-G- vor, modernes Liedgut zu indes auch bereits geortet: derweil Schweizer Bands sich lich, irgendwie aber auch Man» mit tollem Trompe- kreieren – müssen sie nicht. eher daran gewöhnt seien, im Studio lang am Sound zu verständlich, dieser Eska- ten- und Saxspiel von Terry Ihre Stücke funktionieren hobeln, sei für die Londoner Bands – vor allem solche, die pismus. Zumal er in einem Edwards ragen heraus. Sei- auch so. Die zwölf Tracks nicht dem Big Business angehören – diese Spontanmethode Land produziert wurde, ne Kraft entfaltet «On the sind derart rund, griffi g und sogar fast die Norm. So erzählen es mir auch Nimmo & in dem noch immer jeden Mat – and Off» aber als eingängig, dass man sich The Gauntletts: Sie sind begeistert, einen Gratistag im Stu- Monat knapp 60 000 Häu- Gesamtpaket aus impressi- beim Wunsch ertappt, sie dio zu geniessen und wissen vor allem auch die Gourmet- ser zwangsversteigert wer- onistischer Perkussion und am liebsten mal auf grosser Hamburger zu schätzen. Normalerweise würden sie nicht den und mindestens eben- geheimnisvoll schweben- Cabrio- und Highway-Fahrt halb so luxuriös verköstigt. Ausserdem haben sie einen so viele Menschen auf der den Melodien. auszuprobieren – notfalls neuen Fan geangelt: Dem Produzenten gefällt die Band so Strasse landen. Wer würde auch ohne Führerschein. gut, dass er ihr gleich ein paar Gratistage in seinem Studio da nicht gerne weghören? ash. verspricht. Vernetzung für einmal auch ganz undigital. Ja, mig. es geht auch so noch. nin. Hanspeter Künzler SZENE

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09.11.2012 OH MY F*CKING GOD! 10.11.2012 SHABAZZ PALACES, THEESATISFACTION 11.11.2012 TINDERSTICKS THOMAS BELHOM : 12.11.2012 THE MACCABEES 13.11.2012 FLYING LOTUS : 14.11.2012 WOODKID 17.11.2012 XIU XIU 23.11.2012 CHATEAU RÖSTI 26.11.2012 KREATOR MORBID ANGEL 30.11.2012 PLASTER

P R E I E W S

Festival TWO GALLANTS FATHER JOHN MISTY BENGA DJ SET THE YOUNG GODS SAINT GHETTO GREIS 22.–24. November 2012 PATENT OCHSNER TUXEDOMOON PHANTOM GHOST BB BRUNES SOAP & SKIN THE LEGENDARY PINK DOTS LILLY WOOD AND THE RHYS CHATHAM’S BERN PROJECT PRICK HILDUR GUDNADOTTIR SVEN KACIREK BENJAMIN BIOLAY DAVID MARANHA & Z ’ E V llondonWWW.FRI-SON.CHondon ESPLENDOR GEOMETRICO Route de la Fonderie 13 | P.o.Box 15 | 1705 Fribourg [email protected] aam |m www.fri-son.ch 112.7.2.7. aabotalonbotalon sseiteeite 22.. www.dampfzentrale.ch +41 (0)26 424 36 25 sounds better with you – www.loopzeitung.ch DIE NEUEN PLATTEN 45 Prince Die Juke-Box-Hersteller müssen Hochkonjunktur haben, werden wir doch von einer Singles-Wiederveröffentli- chungswelle überfl utet. 1965 nahmen The Avengers aus Bakersfi eld «Be a Caveman» auf. Da die von The Animals gestohlene Vox-Continental-Orgel nie richtig funktionie- ren wollte, wird der Song getragen von einer Farfi sa. Der Schöftland Ormonde Heart Attack Höhlenmensch bezieht sich auf den Umgang mit Frauen, es Schöftland Machine Alley wird in die Hände geklatscht, und neben mehreren Begeis- (Chop Records/Irascible) (Hometapes) Living in Hell terungsschreien hats noch Tarzan- und Affengeschrei. The (Voodoo Rhythm/Irascible) Seeds haben an ihnen grosse Freude gehabt, und uns geht Wo andere ihre CDs immer Platten mit blutten Frauen es genau so. 1966 schrieb der Label-Inhaber für sie «I Told schlanker gestalten, han- und blutten Männern auf Herzblut wie der Ätna und You So», womit er wohl auf der englischen Sympathiewelle deln Schöftland antizyk- den Covers sind ja prinzi- eine unbestechliche Nase reiten wollte. Nun ist das Stück wiederveröffentlicht auf lisch und bringen ihr drittes piell verdächtig. Man fragt für «Stil» in einer musika- dem Klasselabel Mighty Mouth Music, das uns ja auch den Album im geschmackvol- sich, was mit einer Platte lischen Umgebung, wo Ka- unverschämt berührenden Aussenseiter-Country von Char- len DVD-Digipack heraus nicht stimmt, dass sie mit tegorien wie «guter» und lie Tweddle geschenkt hat. – gespickt mit Zeichnungen nackten Ärschen, Bäuchen «schlechter» Geschmack Die Gizmos spielten grossartigen Punk, ohne den gängi- im Plakatstil des Frühtou- und Brüsten «Schau! Mich! längst aufgehoben sind gen Klischees zu entsprechen. Genau diesen Aussenseiter- rismus. Womit die Berner An! Nimm! Mich! Mit!» – das kennzeichnet Reve- Charme versprühen auch Michigans No Bails. «Sound- zum Ausdruck bringen: schreien muss. Wenig über- rend Beat-Man aus Bern proof Room» (Orgone Toilet) hat die stupide Einfachheit Unsere Musik ist uns etwas raschend folgt dem Brüllen und sein Plattenlabel Voo- eines Spits-Songs, für deren hohes Tempo ist das Trio aber wert. Schöftland schreiten in der Regel substanzielle doo Rhythm. Rockabilly, viel zu zugedröhnt und lässt sich lieber vom Wah-Wah-Pe- unbeirrt weiter voran auf Mediokrität. Aber: Wie Rock’n’Roll, rauhe Psy- dal zur nächsten Ebene teleportieren. Ob «Werthers Origi- ihrem Weg, der hochdeut- bei jedem Ausschlusskri- chedelik, Blues und andere nal» etwas mit dem Bonbon zu tun hat, versteht man nicht, sche Texte mit kantigem terium verpasst man bei «alte» Musikformen aus da der Bart grad zu lang ist. Doch in «Skate or Die» wird Folk/Pop/Rock verbindet. kategorischer Nichtbeach- den renitenten, rebellischen gegen alle daheimgebliebenen Computer-Gamer gewettert «Sicherheit gibts nicht», tung auch hier die regel- Randgebieten der Zivili- und Black Sabbath mit in die Bowl genommen. singt Frontmann Floh von bestätigende Ausnahme. sation, kurz: Bereiche, wo Wenn ein Trio wie die Devil Dogs D ohne seinen damaligen Grünigen und erklärt da- Im konkreten Fall das Groove, Gitarren-Soli und Sänger und Bassisten auf Tour geht, ist das nun mal, als ver- mit auch gleich die Bandde- schlichtweg umwerfende Texte längst in den Gra- suchten die Shangri-Las oder Dr. Feelgood ohne ein Origi- vise. Kompromisse kennen Debüt des Duos Ormon- nit der Unveränderlichkeit nalmitglied die Oldies-Hallen zu begeistern. Zu Hause war Schöftland keine, da wird de. Drauf: eine blutte Frau, gemeisselt zu sein schei- Andy G. aber nicht untätig und hat für Juvie den grossarti- keine Ecke gerundet, da die auf einem schlecht fri- nen. Hier schafft es Beat- gen Sweet-Rock’n’Roller «Chugga Bang Bang» (Surfi n’ Ki) wird nichts glanzpoliert. sierten Spielzeugpferd sitzt Man, just die Künstler zu geschrieben – was sich dementsprechend anhört, als wä- Der Auftakt ist relaxt und und gelangweilt aus einer erschnüffeln, welche die ren die Roller Kings wieder auf Achse. Für «Everybody’s herbstlich, doch mitten im Pseudoaquarelllandschaft Spinnennetze wegblasen Rockin’» wird Dave Edmunds zitiert, und für «You Did it Lied unterwirft sich «Wenn glotzt. Drin: kurzweilige, und die Lebensgeister von Again» zieht Sänger und ehemals The Fevers Songschrei- es läuft» kakophonischen gespenstische, dissonant- Robert Johnson, Buddy ber Travis Ramin gleich noch mehr 80s-Teddy-Boy-Rama- Gitarrenklängen und bringt harmonische Kleinode voll Bolden und Link Wray wie- Lama aus dem Sack. so zum Ausdruck: Schön- entrückter Klarheit und der zur Auferstehung brin- heit bleibt nicht lange atonaler Grazie. Anna gen können. Heart Attack Philipp Niederberger ungetrübt. Entsprechend Lynne-Williams und Ro- Alley – Caoimhe Macfehin, ist kaum eines der Lieder bert Gomez ist es gelungen, Kristal G. und Dr. Karl ohne Ausbruch, gerade mit zwei Stimmen, Gitarre, Steven – präsentieren sich mal «Die alten Bretter» Piano, Harmonium und al- auf dem Cover wie Bonnie bleibt ganz auf der balla- lerlei Krimskrams eine urei- & Clyde, nur düsterer. Sie desken Seite. Wodurch der gene kleine Klangwelt auf- stammen aus Auckland, Text nach vorne gedrängt zubauen, die mal bei Laurie Neuseeland, und schöpfen wird und düster festhält: Anderson Anleihen macht, punkto Trotz, Rotznasig- «Was dich nicht stärker mal bei Nick Cave und mal keit und Charme aus dem macht, bringt dich um.» bei Portishead. Das Ergeb- Vollen. «Someone’s been Schöftland experimentie- nis ist eine golden schim- fucking with my shit/Now ren, lassen zwischendurch mernde Welt, in der man in I’m troubled ... So stay out gar Papier rascheln oder Bars keine coolen Drinks, of my way», singt Caoimhe die Waldhörner rufen. Ein sondern ein Glas trübes und provoziert damit den mitunter sperriger und for- Wasser bestellt und sich da- genau gegenteiligen Effekt. dernder Ritt, den die Band bei ertappt, wie man zwar Hier wird kein Rad neu er- da bietet. Aber: Ihre Musik interessiert aus dem Fenster funden, dafür rollt das alte ist es goldwert, gehört zu schaut, aber doch immer umso freudiger. werden. nur sich selbst sieht. hpk. mig. nin. NACHTSCHICHT

Preisgeben mit Betinko Jubilieren mit Constellation

Betinko Social Muzík Orkestar, das klingt nach einer Grossformation. Nach zwei Ausgaben in Vevey und KünstlerInnen wie Timber Timbre, Howe Und das war das Ensemble um Sängerin Betinko alias Bettina Klöti vor Gelb oder Broken Social Scene zieht das Heartland-Festival in die Berner einigen Jahren auch. Doch so, wie die Musiker zwanglos zusammenge- Reitschule. Der Grund ist ein jubilierender: Das kanadische Label Constel- funden haben, so schrumpfte die Formation seither zum Duo. Nun bilden lation feiert seinen 15. Geburtstag. Die Independent-Trutzburg, die in der Betinko und Lukas Mantel das Orkestar. Sie singt, spielt Gitarre, Banjo Montrealer Hausbesetzerszene ihre Basis hat und noch immer jedem per- und Yamaha-Örgeli, er betätigt Drums, Klangstäbe und allerlei Geräte, sönlich georderten Plattenpaket eine kleine handgeschriebene Notiz beifügt, um Groove unter die Melodien zu bringen. Das Repertoire bilden die Lie- schickt aus diesem Anlass gleich elf Bands und Formationen auf die Reise. der von Betinko: In Züritüütsch oder Englisch fl eht sie um Erlösung und Allen voran steht das Kollektiv Godspeed You! Black Emperor, das nach schwört Rache, singt vom Sterben, der Liebe und dem lieben Gott. Die zehn Jahren Plattenpause eben das mächtige Epos «’Allelujah! Don’t Bend! Stimme klingt rau und doch rührend, schöpft aus dem Jazz und ist in ihrer Ascend!» mit heiligen und ernsten und tröstenden Hymnen veröffentlichte. Preisgabe durch und durch Blues. Intensive, bewegende und schonungslose Auch dabei ist die GY!BE-Subband Thee Silver Mt. Zion sowie Do Make Musik, die im Helsinkiklub den passenden Rahmen fi ndet. Gelegentlich Say Think, die dem eigentlich schon lange überlebten Post-Rock immer wei- unterstützt von Pianistin Vera Kappeler, mit der Klöti bei Bergerausch zu- tere Verfeinerungen abringen können. Natürlich geht es an den drei Festi- sammenspielte, und dem Bassisten Valentin Dietrich werden Betinko und valtagen auch weniger episch: Etwa beim grandiosen Liedzusammenbastler Mantel pro Abend jeweils drei kurze Sets spielen, dazwischen ist Zeit für Sandro Perri, den Free-Jazz-Forschungen der Saxofonistin Matana Roberts Gedanken, Gespräche und Getränke. (ash) oder den stillen Liedminiaturen des Gitarristen Eric Chenaux (Bild). Ergänzt wird das Festival mit einer Plattencover-Ausstellung sowie einem Gespräch 1./8./21. und 28.11., Helsinki, Zürich mit den beiden Gründern Ian Illavsky und Don Wilkie, die dieses so wertvol- le Label immer noch führen und prägen – ohne Kompromisse. (bs)

16.-18.11., Dachstock (Reitschule), Bern; www.heartland.ch. Godspeed Improvisieren mit You! Black Emperor spielen zusätzlich am 15.11. in der Roten Fabrik.

Über die Neunzigerjahre hatten sich Dirty Three in den Randzonen der Po- pulärmusik eine überschaubare, aber ergebene Gefolgschaft erspielt. Nach Augenzwinkern mit Brigitte «Cinder» (2005) verstummte die australische Band. Dafür waren die Mu- siker anderweitig fl eissig – an der Seite von Nick Cave, Mick Der Songtitel «Coeur de Chewing Gum» sagt eigentlich schon ziemlich ge- Turner als Maler und Solomusiker und Ausnahmeschlagzeuger nau, was bei Brigitte Sache ist. Das aus Sylvie Horau und Aurélie Saada mit Indie-Prominenz wie Bonnie Prince Billy, Cat Power oder PJ Harvey. bestehende Indie-Folk-Duo spielt am liebsten mit Charme, laszivem Augen- Dem Vernehmen nach scheiterten verschiedene Versuche des gemeinsamen zwinkern und musikalischen Versatzstücken, die sich am amerikanischen Musizierens, bevor Anfang Jahr mit «Toward the Low Sun» ein neues Al- Sechzigerjahre-Pop, an französischen Chanson und den drei Vorbildern bum erschien dessen Auftakt eher abschreckt als einlädt, denn so nah am Brigitte Bardot, Brigitte Lahaye und Brigitte Fontaine orientieren. «Brigitte, Free-Jazz haben auch Kenner das Instrumental-Trio selten erlebt. Danach c’est rétro», betonen die beiden Musikerinnen. Und haben damit in ihrer kommen aber auch zum Schöngeistigen neigende Hörer auf ihre Kosten. Heimat gehörig Erfolg: Von ihrem Debüt «Et vous, tu m’aimes» (2011) ha- In «Moon on the Land» verbreitet die Violine kratzige Wärme und irische ben Brigitte bereits über 150 000 Stück verkauft – Platin. Horau und Saada Melancholie. «That Was Was» ist wuchtiger Post-Rock ohne Sauereien, schnurren auf der Platte von weiblichen Wesen, die in ihrer Unterwäsche «Ashes Snow» ungewohnt leise und zum Schluchzen schön. All das entsteht Messer verbergen, von ausgeklügelter Rache oder der Erkenntnis: «Je veux aus dem ureigenen Bandgemisch aus traumwandlerischen Rumpel-Drums, un enfant.» Brigitte tönen wie eine überdrehte Mischung aus Keren Ann, schlauen Schrammel-Riffs und Warren Ellis’ Geige der unbegrenzten Mög- Camille und France Galle und scheuen sich nicht, auch mal auf billige, aber lichkeiten. Man habe wieder improvisierter und intuitiver zusammenspie- zweckdienliche Mittel zu setzen. Da fi ndet sich selbst für Disco-Gestöhn, len wollen, heisst es aus Bandkreisen. Das ist im Studio geglückt. Und auf Oden an Jesus oder Häppchen von der Kinderorgel ein Sonnenplätzchen. der Bühne war das für Dirty Three noch nie ein Problem. (ash) Das klingt nicht nur nach viel Spass, das bereitet auch solchen. (mig)

17.11., El Lokal, Zürich 22.11., Plaza, Zürich NACHTSCHICHT

Englischsprechen mit Phantom Ghost Gratwandern mit Françoiz Breut

Alljährlich lädt die Dampfzentrale ins Saint Ghetto. Und alljährlich ist das Nach wie vor ist sie eine der Sängerinnen der Nouvelle Scene, die auch in Festival ein Treffen zwischen alten, sturen Meistern der Musikgeschich- internationalen Musikerkreisen hoch geschätzt wird – ob nun bei Calexi- te und einer jüngeren Mitstreiterschaft, die Pop-Positionen hinterfragt. So co, den Walkabouts oder Herman Düne. waren der Grantler Mark E. Smith und der Klangschamane Charlemagne Vier Jahre sind vergangen seit «A l’aveuglette», dem letzten Studioalbum Palestine schon da, gleich wie die alles niederreissenden Ja, Panik oder die der 42-Jährigen. Im Gegensatz zu anderen jüngeren Sängerinnen des Nou- eisige Bristol-Adeptin Anika. Bei der fünften Ausgabe ist die alte No-Wave- velle Chanson ist die Breut aufs erste Ohr weniger zugänglich, weniger nett und Post-Punk-Garde mit dem Gitarrentheoretiker Rhys Chatham und den und mädchenhaft, gerne auch mal sperriger und musikalisch interessanter. kalifornischen Tuxedomoon reich und wertvoll vertreten, Anja Plaschg alias So ist auch das neue Album «La chirurgie des sentiments» ein gelunge- Soap&Skin inszeniert mit einem Ensemble ihre dunklen, dunklen Lieder, ner Mix aus Nouvelle Chanson und Indie-Pop, man mag sogar ein wenig und die spanischen Esplendor Geométrico erinnern an die abenteuerliche Electro-Pop heraushören wie beim sehr schönen Titelsong. Breut gelingt Zeit, in der Industrial geboren wurde. Zum Festivalbeginn sind die Augen die Gratwanderung zwischen Pop und Experiment sehr gut, und bei aller auf die zwei Salonlöwen Dirk von Lowtzow und Thies Mynther gerichtet. gelegentlichen Entrücktheit driftet sie nie ins Esoterische ab. Während die Gemeinsam sind die beiden Phantom Ghost und singen über Kunst, Kunst- Texte von Françoiz Breut stammen, hat sie die Musik mit ihrem Gitarristen schulen, Kritiker, Modepäpste und Matrosenfreundschaften. Nach drei Stéphane Dauberay entwickelt. Produziert haben die Gebrüder Laureau, Jahren Schweiz-Abstinenz kehren der ergraute Tocotronic-Sänger und der die sich hinter dem Projekt Don Nino verbergen. Einzige Fremdkomposi- Hamburger Studiomann nun wieder ein. Und das freut nicht nur den auf tion und englischsprachig ist «Werewolf» des famosen US-amerikanischen dem neuen Album «Pardon My English» besungenen Dr. Schadenfreud. (bs) Songwriters Michael Hurley – sehr schön umgesetzt. Nun geht sie auf Tour – und legt für zwei Konzerte auch hierzulande einen Halt ein. (tb) 22.-24.11., Dampfzentrale, Bern 24.11., El Lokal, Zürich; 25.11., Le Bourg, Lausanne; 6.12., Kammgarn, Schaffhausen Kulminieren mit den Swans

Den Swans begegnete unsereiner zum ersten Mal bei einem Freund, der sei- nerzeit auch die frühen Neubauten und Sonic Youth goutierte. Der Gast war also Grenzgängiges gewohnt, der No-Wave der New Yorker Band schockte Unterhalten mit Jens Lekman trotzdem. Hielt man stand, offenbarten sich im Getrümmer bisweilen Ka- thedralen aus Krach. Über die Jahre erweiterte man das Stilspektrum in Mehr Mist in Zürich: Dieser Aufgabe stellten sich die Sensler vom Bad Avantgarde- und Folk-Gefi lde, wobei es auch einmal etwas stiller werden Bonn im vergangenen Jahr und karrten anlässlich der ersten Kilbi im urba- durfte. Gemütlich freilich nie, denn Bandkopf Michael Gira blieb ein schau- nen Exil eine dampfende Traktorladung Mist auf den Schiffbauplatz. Nun dern machender Finsterling mit Grabesstimme. 1997 löste er die Band auf. weiten die Veranstalter um Daniel «Duex» Fontana die Mistzone aus und Seit 2009 sind die reformierten Swans wieder aktiv. Das neue Album «The programmieren im zweiten Stadt-Jahr das Überall: Zum Exil und Moods Seer» markiert nun den Kulminationspunkt einer dreissigjährigen Karriere: gesellen sich der Bogen F und das Helsinki sowie das Volkshaus, wo mit zärtlich und zerstörerisch, abgründig und erhaben, monolithisch und fein- Cat Power eine alte Freundin des Stammhauses in Düdingen ihre neue sinnig. Zwei Stunden dauern die sieben Stücke, allein der Titelsong sprengt Platte «Sun» vorstellt. Weiter locken das tiefe Soundmeer von Grouper, die Halbstundengrenze und jede rationale Rezeption. «Platte des Jahres, ihr die Lieblingsunterhaltungslieder des Schweden Jens Lekman, die akade- Würmer!», schrieb «Spiegel online». Das Grosswerk steht auch im Zentrum mischen Kampfsongs von Mission of Burma, die afrofuturistische Jazz- der laufenden Tournee. Gitarrist Kristof Hahn, der unter anderem mit zwei Big-Band The Pyramids, der ewige Wruackenrooll der Jon Spencer Blues Lap-Steels hantiert, erzählte in einem Interview: «Das ist kein schöngeisti- Explosion, hiesige Grössen wie Disco Doom und natürlich Kilbi-Klassiker ges Steelgitarrenspiel mehr, sondern richtig barbarisch. Die Tour ist auf acht DJ Fett. Angesagt ist auch ein «Escort-Service», der die Besucherschaft von Monate angesetzt, wobei ich mich frage, ob alle bis zum Ende durchhalten.» Club zu Club bringen soll. Obs wieder eine Mistaktion geben wird, steht Hoffen wir, dass es die Herren mindestens bis nach Bern schaffen (ash) im Übrigen noch im Raum. (bs)

3.12., Dachstock (Reitschule), Bern; 4.12., Les Docks, Lausanne 6.12.-8.12., Diverse Clubs, Z ürich, www.kilbi-im-ueberall.ch SZENE SZENE SZENE SZENE SZENE

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