Schlachthof JUN JUL 19

The Damned Die Untoten kommen Endless Grind Old School Skateboard Session

für Stadtkultur

Nach Was war los der im Osten? Wende Thema Halbzeitwissen Freizeit inhalt editorial Aus’m Thema Für St adtkultur HAUS von Melanie Tesch 04 Nach der Wende 4 Treuhandanstalt: Die offene Wunde des Ostens | Florian Fabozzi 6 Born in the GDR| Renate Strümpel 7 Verboten aber machbar |Dierck Wittenberg 8 Das ›freiwillige Muss‹ | Interview: Maria Wokurka Ein magazin Halbzeit macht stadtkultur 10 10 Kulturelle Kurznachrichten Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als die Treuhandanstalt jeden Abend in den Trans Europe Halles Goldmann Gutdrun Foto: 11 Drawing-Future-Projekt Nachrichten auftauchte, meist in Verbindung mit DDR-Betrieben, die ›abgewickelt‹ 12 Ekiti Sound: Abeg No Vex (Crammed Discs) wurden. Nie ist mir in den Sinn gekommen, dass diese Firmen vielleicht volle Auftrags- Zweimal im Jahr machen wir uns auf zum Netzwerktreffen Listener’s corner | Andreas Schnell von Trans Europe Halles. Dieses Mal war das Ziel allerdings 13 PM Hoffmann/Bernd Lindner: bücher haben könnten oder technisch durchaus auf der Höhe der Zeit waren. Zu in Deutschland, wir sind zu den Kolleg*innen nach Dresden Anders sein oder Der Punk im Schrank stringent waren die Erzählungen von der maroden DDR-Wirtschaft, die nur durch die ins Zentralwerk gefahren. Immer im Gepäck: die Neugierde Writer’s corner | Jan-Paul Koopmann auf das Zentrum, das Umfeld, die Arbeitsweise und auf Unterstützung der Bruderstaaten am Leben erhalten wurde. Erst langsam setzt sich die vielen Kolleg*innen aus allen möglichen Ländern, mit die Erkenntnis durch, dass da auch massiv West-Interessen vertreten wurden, denen denen uns inzwischen eine jahrelange Freundschaft die Ost-Betriebe im Weg waren. Die sächsische Staatsministerin Petra Köpping hat in verbindet. In Dresden hieß das Thema Participation, sehr Freizeit passend für ein Zentrum, das gemeinsames Leben und ihrem Buch ›Integriert doch erst mal uns!‹ solche Beispiele zusammengetragen und Arbeiten in einer Genossenschaft verbindet. Wir haben setzt damit einige Puzzlesteine zusammen, die helfen können, das ganze Bild zu gelernt, dass man aus Papier auch sehr große Boote bauen 18 Juni sehen. Florian Fabozzi hat sich in seinem Artikel mit der Situation auseinandergesetzt. kann, dass es bei Upwording nicht darum geht, ungewöhn- 14 Mark Benecke | Silbermond | Maybebop | liche Wörter zu benutzen, sondern dass es eine Form der ElekTrAktions 2019: die Fortsetzung Ganz unaufgeregt erzählt Bernd Schmeisser von seinem Leben als Christ in der gewaltfreien Kommunikation auf Augenhöhe ist. Andere DDR. Er wäre gern Chirurg geworden, doch schaffte es nicht mal auf die Oberschule, Workshops thematisierten den Umgang mit Rechten, neue Juli Formen des Crowdfunding und warum wir eigentlich in 16 The Damned | Life of Agony | Endless Grind was nicht an seinen Noten lag, die waren sehr gut, sondern an seinem Glauben, den jeder Stadt eine Agora brauchen. Susanna hat mit Kathrins | Charlie Hunter & Lucy Woodward Trio | er nicht verheimlichte. Dennoch hegt er keinen Groll und sieht sich nicht als Opfer – Unterstützung in einem DIY-Workshop dafür gesorgt, dass Angstgesellschaft #2 eine bemerkenswerte Haltung. Eine andere Wirklichkeit hat Manja Präkels in ihrem GESUCHT: im Hof des Zentralwerks jetzt ganz viele Palettenmöbel entspanntes Chillen im Sommer ermöglichen. Es war mal Roman ›Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß‹ beschrieben: Wie in der Nachwende- Autorinnen und Autoren wieder schön, belebend und anstrengend. zeit die Rechten von den Untoten auferstehen und der frühere Schulfreund plötzlich gesucht. Die Z-Redaktion versteht sich als offene Mein Raum Hitler genannt wird. Renate Strümpel hat das Buch gelesen und ihre eigene DDR- Zeitungswerkstatt, Kulturgut Jugend reflektiert. Dass es auch Möglichkeiten gab, sich selbst zu verwirklichen, zeigt Interessierte bitte melden Gegensätze ziehen sich an bei : Am 30. April hatte ein ganz besonderes Theaterstück dagegen die Geschichte der Band Ornament und Verbrechen, die mit ihrer elek- Premiere. Karina Schieck arbeitete wieder mit Vorschul- Von Lena Stuckenschmidt [email protected] kindern zusammen. Gemeinsam mit dem Fif e.V, der tronischen Musik gar nicht erst versuchte, eine offizielle Anerkennung zu bekommen. ! Kindergruppe Sonnenstrahl und den Senioren der Martin- Es gibt sie bis heute. Luther-Gemeinde schufen sie sich einen gemeinsamen Viel Spaß bei der Lektüre. Raum: ›Mein Raum‹. Über mehrere Monate entwickelten die Teamer*innen und die Kinder gemeinsam ein Theater- stück. Ziel ist es, die Jüngsten früh an Theater heranzufüh- Gudrun Goldmann (Chefredakteurin) ren, unabhängig vom finanziellen Hintergrund ihrer Eltern. Das Projekt wurde von ›Bündnisse für Bildung‹ finanziert und war für alle kostenfrei. Außerdem sollen die Kinder die Gelegenheit bekommen, sich näher kennen zu lernen, um ihnen die bevorstehende Einschulung zu erleichtern. Unter den staunenden Augen des Publikums zeigten die Kleinen ihr Können. Begleitet wurden sie von Senior*innen, die einen Text sprachen, nachdem sich die Kinder bewegten. Jedes Kind hatte auch ein Bild gemalt und präsentierte es auf der Kesselhallenbühne. Alle Bilder zeigten ein Ereignis, Bei dem 7. und 8. ICMA International Creative Media Award wurde das ihnen viel Freude bereitet hatte. das Z-Magazin für das grafische Konzept und für die Covergestaltung mit den Awards of Excellence ausgezeichnet.

Herausgeber Visit Foto: Margrit Weidenkeller THE 4 5 MA Treuhandanstalt: Viele Menschen aus Westdeutschland dürften sich ratlos den Kopf Treuhand stand, ging an Westdeutsche, gerade mal 6 Prozent an Ostdeut- kratzen, wenn sie von der ›Treuhandanstalt‹ hören. Und das, obwohl ihr bei sche. Die aufkommende Arbeitslosigkeit führte zu Familienbrüchen und der Wiedervereinigung eine Schlüsselrolle zukam. Doch wie könnte es damit verbunden zu dramatisch sinkenden Geburtenraten Mitte der Neun- anders sein? Der Geschichtsunterricht endet beim Mauerfall, verantwort- zigerjahre, was sich heute in der Altersstruktur in den neuen Bundes- liche Politiker kehren die Anstalt unter den Teppich und die Leidtragenden ländern widerspiegelt. Ostdeutsche, die eigene Unternehmen gründen des Prozesses schweigen … wollten, hatten kaum Eigenkapital ›und wurden oft nicht als kreditwürdig Die Treuhandanstalt existierte von 1990 bis 1995 und hatte die eingestuft‹, erinnert sich Köpping. Aufgabe, DDR-Betriebe zu privatisieren. Schließlich waren in der sozialis- Viele Bürger aus dem Osten mussten in der Nachwendezeit Berufe Die tischen DDR sämtliche Betriebe staatlich organisiert, während in der ergreifen, für die sie überqualifiziert waren: die Älteren aus Mangel an Bundesrepublik Marktwirtschaft herrschte. Ihren Ursprung hat die Anstalt Alternativen oder weil ihre Leistungen nicht gewürdigt wurden; junge noch in der Endphase der DDR: Mit einem ihrer letzten Beschlüsse rief die Menschen, weil ihre in der DDR erworbenen Abschlüsse – abgesehen von Pegida-Aufmärsche in Dresden, Volkskammer die Treuhandanstalt ins Leben. Ihr ging es darum, den Universitätsabschlüssen – meist nicht anerkannt wurden. Petra Köpping Lynchmobs in Chemnitz – der Nähr- Ostbürgern einen gerechten Anteil des DDR-Volkseigentums zuzusichern selbst musste ihre politische Karriere aufgrund des unberechtigten boden für Ausländerfeindlichkeit und so zu verhindern, dass Reichtümer in die Hände scheidender SED- Verdachts auf Stasi-Aktivitäten nach 1990 zunächst auf Eis legen. War Eliten gelangten. Nach der Wiedervereinigung gingen die Pläne jedoch an sie bis dahin noch Bürgermeisterin ihrer Heimatgemeinde Großpösna, scheint vor allem im Osten des das westliche Bundesfinanzministerium – und das verfolgte vor allem arbeitete sie danach vier Jahre lang im Außendienst einer Krankenkasse. Landes zu liegen. Sind die Geflüch- westliche Interessen. Betriebsschließungen wie in Bischofferode, ungerechte Verteilung des offene ›Marktwirtschaftliche Schocktherapie‹ nennt Petra Köpping, die DDR-Vermögens und Geringschätzung der Arbeitsleistung des Einzelnen teten tatsächlich das Hassobjekt sächsische Integrationsministerin, den dann folgenden Prozess. Sie hat führten dazu, dass viele DDR-Bürger sich wie ›Bürger zweiter Klasse‹ der protestierenden Menschen? der Treuhandanstalt, deren Aufarbeitung eines ihrer wichtigsten Anliegen fühlten, erklärt Köpping. Einige fühlten sich betrogen, andere gar gedemü- Zum Teil sicherlich. Doch für viele ist, in ihrem Buch ›Integriert doch erst mal uns!‹ ein ganzes Kapitel tigt. Aus Scham über die eigene Versagensgeschichte im wiedervereinten sind sie eher wie Tropfen, die ein gewidmet. Deutschland werde im Osten bis heute nicht offen darüber gesprochen Dort kritisiert die 60-jährige SPD-Politikerin, wie ostdeutsche Betriebe und die Wut runtergeschluckt. Statt Solidarität mit Leidensgenossen ent- Fass von angestauter Wut zum durch die Treuhandanstalt geschlossen wurden, um sie als Konkurrenz stand oft Neid auf jene, die mehr Glück hatten. Überlaufen bringen. Eine Wut, die in für Westbetriebe ›aus dem Weg zu schaffen.‹ So erging es dem Kaliwerk Pegida, AfD & Co verstehen es, gekränkten Bürgern das Gefühl mora- der Zeit nach der Wiedervereini- Wunde ›Thomas Münzer‹ in Bischofferode, das zunächst mit dem Kasseler Berg- lischer Überlegenheit zu verleihen und sie für ihre Zwecke zu gewinnen. bauunternehmen K + S fusioniert und 1993 trotz großer Proteste still- Ungerechtigkeit nach der Wiedervereinigung kann nicht als Entschuldigung gung wurzelt. Denn diese brachte gelegt wurde. 700 Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Die offiziellen für Rechtsradikalismus dienen, doch sie erklärt, warum viele ehemalige vielen Ostdeutschen nicht nur Gründe der Schließung, nämlich ›unzureichende Auslastung‹ und ›Verluste‹, DDR-Bürger für populistische Gruppierungen so empfänglich sind. Ihren ›blühende Landschaften‹, sondern erwiesen sich als Notlüge: Dem Kalibetrieb ging es gut, K + S wollte Landsleuten wirft Köpping vor, zu selten politisch engagiert und organi- schlicht seine Monopolstellung bewahren. siert zu sein, und vor allen Dingen zu wenig Austausch und Solidarität Arbeitslosigkeit und Demütigung. Oftmals wurden Firmen aus dem Osten seitens der Treuhand als untereinander zu pflegen. Der fehlende Zusammenhalt und dass jeder die Mitverantwortlich dafür: marode gebrandmarkt, um ihre Schließung zu legitimieren. Die Keramik- Wut in sich reinfrisst, sieht sie als weitere Gründe dafür, dass Ostdeutsche die Treuhandanstalt. fabrik Margarethenhütte in Großdubrau war führend in Produktion und sich öfter radikalisieren. des Export von Hochspannungsisolatoren – bis sie 1991 urplötzlich geschlos- Für die Zukunft wünscht sich Köpping eine Kommission, die das Un- sen wurde. Seinen hohen Verkaufszahlen zum Trotz, hieß es, der Betrieb recht der Nachwendezeit aufarbeitet. Treuhand-Akten müssen ausgewer- sei veraltet gewesen. Köpping erinnert sich an ein Gespräch mit Ingenieu- tet, die Wahrheit ans Licht gebracht und die Menschen wieder versöhnt ren der Firma, die ihr gesagt hätten, dass nachts unter anderem Betriebs- werden. Auch Zeitzeugen sollten zu Wort kommen. Damit es so weit unterlagen und Porzellan-Rezepturen entwendet und wichtige Maschinen kommen kann, muss zunächst die Politik das Thema wieder aufgreifen. ausgebaut wurden. Wahrscheinlich zugunsten der Westkonkurrenz. Jahrzehntelang wurden die Umstände der Wiedervereinigung unter dem Knapp 800 Menschen verloren hier ihren Job. Teppich gekehrt. Im April hat die Linke einen ersten Vorstoß gewagt und Beispiele wie das Kaliwerk in Bischofferrode und die Keramikfabrik einen Untersuchungsausschuss der Treuhand beantragt. SPD, FDP und OstensVon Florian Fabozzi in Großdubrau zeigen: Statt das wirtschaftliche Potenzial der neuen CDU haben einen solchen jedoch bereits abgelehnt, weshalb die Chancen Bundesländer zu erkennen und für sich zu nutzen, wurden die neuen schlecht stehen. Bundesländer durch die Treuhandanstalt in weiten Teilen deindustrialisiert. So ist der 30-jährige Geburtstag des wiedervereinten Deutschlands in 80 Prozent des Produktionsvermögens, das unter der Verwaltung der diesem Jahr nicht für jeden ein Grund zum Feiern. Foto: Margrit Weidenkeller Margrit Foto: DDRJ THE 6 7 MA

Dierck Wittenberg

enate Strümpel enate Verboten, aber machbar Foto: R Foto: Mit ›tapetopia 001‹sind nun Aufnahmen von ›Ornament & Verbrechen‹ erstmals als Album erschienen, die ursprünglich in Kleinstauflage aufK assette vertrieben Renate Strümpel wurden. Die Geschichte der Band erzählt auch von der musikalischen Subkultur der untergehenden DDR der Achtzigerjahre.

Born in the berall in der DDR haben Musiker zum Lötkolben gegriffen und notfalls aus konnten die Punk- und Postpunk-Bands Ostdeutschlands, anders als ihre Manja Präkels’ Roman Röhrenradios Gitarrenverstärker gebaut, weil ein Marshall teuer und schwer Kollegen im Westen, nicht auf eine Struktur unabhängiger Plattenlabel ›Als ich mit Hitler zu bekommen war. Ornament & Verbrechen gingen einen Schritt weiter, bauen. Im Osten war ›Amiga‹ das Major-Label und zwar das einzige. Es GDR Schnapskirschen aß‹ Ü bei dem Avantgarde-Projekt stiegen die Alltagsgegenstände selbst zu hatte als Staats-Plattenfirma praktisch das Monopol auf Veröffentlichun- zeichnet ein denkbar Musikinstrumenten auf. Eine leere Großpackung ›Fit‹-Spülmittel (ein gen im Bereich Unterhaltungsmusik. Vereinzelt haben Bands aus dem unsentimentales Bild transparenter Plastikkanister) sorgte, mit Plastikbausteinen gefüllt, anstelle DDR-Untergrund geschmuggelte Aufnahmen auf westlichen Punklabels der Nachwendezeit. eines Schlagzeugs für die perkussiven Töne. Dazu noch ein Keyboard, herausgebracht, was der Stasi aber nie verborgen blieb und etwa dem und es konnte losgehen. Diese Wahl der Instrumentierung, die später um Sänger der Erfurter Band Schleim-Keim Otze Ehrlich Untersuchungs- Selbstgebasteltes wie ein Auspuff-Saxophon ergänzt wurde, war bei haft einbrachte (Zumal die Staatssicherheit nicht nur in der Szene, ein Telefon im Haus. Zettelblock an der Tür. Das Hausbuch Ornament & Verbrechen allerdings bewusst gewähltes Stilmittel, und nicht sondern auch innerhalb von Bands wie bei L’Attentat aus Leipzig IMs im Wohnblock, welches wie eine Concierge alle Besuche Ausdruck eines Mangels an Alternativen. anwerben konnte). Blieben also nur Veröffentlichungen im Selbst- dokumentiert, jedoch aus geheimdienstlichen Gründen. Nichts Das wiederum hatte mit Punk zu tun, weniger als Genre, aber als verlag auf Kassette, meist in Kleinstauflagen. ›Das war zwar auch Ksagen dürfen. Als Kind nicht verstehen, wieso man nichts Impuls, das in der Popmusik bis dato Geschaffene durchzureißen und verboten, aber machbar.‹ (Ronald Lippok) darüber sagen darf, dass zu Hause RIAS gehört wird. Altstoffe noch einmal neu anzufangen. Dem etwa in Westberlin die Einstürzenden Während die Behörden die Punk-Subkultur Anfang der Achtziger sammeln und Geld dafür bekommen. Für Angola einen Kuchen- Neubauten nachgingen, indem sie Baugeräte zu Instrumenten umfunktio- als ein ›negativ-dekante‹ Erscheinungsform repressiv bekämpft basar machen. Oder Nicaragua. Bei Oma einen Walkman be- nierten. Die popkulturelle Explosion, die sich 1976 in England ereignete, hatten, zeigte sich die DDR in ihren letzten Jahren fast altersmilde. stellen, den sie auf ihrer Westreise einkauft. Kassetten erreichte auch Ostdeutschland. Über mitgebrachte Platten und Bravos, Die ›anderen Bands‹, wie die Gruppen genannt wurden, die im Zuge tauschen. Haarspray und Depeche Mode. Isolierte christliche aber vor allem übers Radio. Wie viele andere haben auch die Brüder der Punkwelle auch ohne Spielerlaubnis begonnen hatten, drauflos Schüler. Heimlich getauft werden. Jugendweihe feiern. Politi- Robert und Ronald Lippok, die seit 1983 den Kern von Ornament & zu musizieren, wurden plötzlich im DDR-Jugendradio DT64 gespielt. sche Gesinnung an Schnürsenkeln festmachen. Stadtviertel Verbrechen bilden, damals auf BFBS gehört. ›Als das 1977 Mit Feeling B konnte sogar eine (Spaß-)Punkband ein Album auf meiden. In besetzten Häusern feiern. Wegrennen vor Glatzen in losging mit Punk und New Wave, hingen wir ständig am Radio und Amiga veröffentlichen. Und dann war es vorbei mit der Deut- Bomberjacken. Studieren. Wegziehen. Beobachten, wie in den waren fasziniert von und Cabaret Voltaire, die auch schen Demokratischen Republik. Die Zeit nach dem Mauerfall Medien über fremdenfeindliche Hetzjagden im Heimatbezirk nochmal einen anderen Ansatz hatten als Punk, weil es auch eher um beschrieb Ronald Lippok später als einen ›Glücksfall‹ und ›sehr berichtet wird. Elbterrassen Magdeburg 1992. Naziüberfall auf trennen. Oliver schließt sich nicht nur der aufkommenden Bewegung der Neonazis an, Geräusche ging‹, wie Robert Lippok im ›Jungle World‹-Interview erzählt. spannend, auch sehr befreiend‹. Mit ihrem sperrigen Sound einen Punkergeburtstag. Tiefe Stille. Torsten L., 23 stirbt an sondern wird prompt ihr ungnädiger regionaler Anführer. Fortan als Hitler bekannt, ver- Mit Geräuschmusik an eine sogenannte Spielerlaubnis zu kommen, und ihrer sporadischen Veröffentlichungs- und Auftrittspraxis den Folgen seiner Verletzung, 1992. Zu weit. Die Angst. setzt er die Bevölkerung in Angst und Schrecken. ohne die man in der DDR legal nicht auftreten konnte und für die ist Ornament & Verbrechen ›die bekannteste unbekannte Der Osten ist ein Gefühl? Die Kindheit im Pionierregime ver- Authentisch werden die persönlichen Stationen geschildert. Hobbies, Pionierlager, Musiker vor einer Kommission vorspielen mussten, stand völlig außer Band‹ der DDR geblieben. Anders als die allermeisten an- gisst eine nicht. Die Gebote sind tief im kollektiven Gedächtnis Hausaufgaben, Mathe-Olympiade. Mimi verschreibt sich dem Anti-Ehrgeiz. Irgendwie Frage. Also trat man in privaten Wohnungen, bei Kunst- oder Literatur- deren ›anderen‹ Bands, sind sie bis heute aktiv. Zu inter- eingraviert. Unsere Heimat, das sind nicht nur die Berge und passt sie nicht hinein. In der Kleinstadt ist die Stimmung exemplarisch für die kollektive veranstaltungen oder in Räumen der Kirche auf, die vielerorts nationalem Renommee haben es die Lippoks dann mit Täler, heißt es im Standardkinderlied der Deutschen Demokrati- Erinnerung anderer Städte in dieser Zeit: Magdeburg, Rostock, Dessau, Görlitz. Der Frust subkulturellen Bands ohne Spielerlaubnis Möglichkeiten bot. Freilich den Projekten und Tarwater gebracht. schen Republik. Nein. Die Heimat ist für jene, die die Kindheit ist vor dem Mauerfall bereits da. Eigenes Unglück wird auf die anderen geschoben, auf der Wendezeit er- und verlebt haben, ein zwiespältiges Ding. Minderheiten in Reichweite. Beispielsweise der angolanische Fabrikarbeiter. Der ist an Die Vergangenheit aus bunten Hahneneierbechern und wohli- allem schuld. Missstand in der Provinz. Schleichend kommt die wachsende Unzufrieden- gen Liedern. Die Vergangenheit, die aber auch den Verfall be- heit und schleichend der Hass. Wohin damit? Auf die Straße. Die kahl Geschorenen obachtet. Verrußte Häuser, Kohleeimer, Altbausanierung. werden im Roman nur Gorillas genannt. Arrivierte Vertreter*innen und Tristesse von Armut. Bauern- ›Alle hatten die Bilder gesehen. Nicht alle mussten weinen. Pünktlich zum dritten Okto- schläue, Schildbürgerei. Was geschah mit dem Begrüßungs- ber, dem Tag der ersten Einheitsfeier, überfiel eine Meute das Wohnheim der Vertrags-

geld? Eine Schallplatte oder einen Kassettenrecorder? Manja arbeiter draußen auf der Ziegelei.‹ Weidenkeller Margrit Foto: Präkels, Jahrgang 1974, taucht mit ihrem Debütroman ›Als ich Oranges Futter in der Bomberjacke. Noch heute werden all jene, die damals diese Zeit mit Hitler Schnapskirschen aß‹ am Beispiel einer Brandenburgi- der unverhohlenen Gewalt miterlebt haben, beim Anblick von solchen Jacken zusammen- schen Kleinstadt tief in das Gefühl der Nachwendezeit ein. schrecken. Der Look ist jetzt High Fashion, genau so wie der Post-Soviet-Schick. Die Ohne jede Nostalgie. Angst bleibt, da kann die Mode nichts richten. Was soll nur werden, diese Furcht vor der Die Vorläufer des politischen Umbruchs, die persönlichen Zukunft ist allen Protagonist*innen gemein. Sie antworten auf ihre. Die Gorillahorde Bezüge und Schicksale Einzelner. Mimi und Oliver wachsen terrorisiert alles, jeden. Alle sollen folgen. Sie folgen. Mimi und Oliver bilden zwei Lager. zusammen in Brandenburg auf. ›Mein neuer Freund Hitler, der Oliver wird der Chef der Gorillabande. Mimi die Zecke. Verfolgung und Verzeihen ist die damals noch Oliver hieß, wohnte drei Häuser weiter, war eine große Klammer der Geschichte. Klassenstufe über mir und lief meist allein über den Schulhof. Eine so detaillierte und authentische Beschreibung der Post-Wende-Zeit wie in diesem Wir trafen uns nun öfter, wie zufällig, an der Havel oder auf dem Roman findet man nur selten. Ohne voyeuristisch-überhebliche Proll-Romantik. Mimi Weg nach Hause. Von ihm lernte ich, dass Schweigen nichts steht immer wieder auf und sieht dem Verfall zu. Manja Präkels‘ Roman ist auch eine Schlimmes sein muss. Er brachte mir bei, nicht alles laut Coming-of-Age Geschichte im Kontext der Neunzigerjahre. Nachbarn transformieren sich auszusprechen und im richtigen Moment zu fragen.‹ in einen Teil der unkritischen Masse. Eine absolute Leseempfehlung auch zur Analyse Oliver und Mimi gehen Angeln. Sind Nachbarskinder und zeitgenössischer Vorgänge. Manja Präkels: Als ich mit Hilter Schnapskirschen aß. irgendwie Freunde. Bis sich irgendwannDDR ihre Wege deutlich Berlin: Verbrecher Verlag. 280 Seiten. € 20 J 8 Fotos: Margrit Weidenkeller 9 Das ›freiwillige Muss‹ Interview: Maria W okurka Freie Entscheidung, Zwang oder etwas dazwischen: Herr Schmeisser, wie verlief Ihre Schulzeit? Wer sich dem politischen System der DDR nicht Das Bildungssystem in der DDR war recht stringent aufgebaut. Es gab keine Viel- ›Ich fühle mich nicht als Opfer des anpasste, wurde nicht gleich ins Gefängnis gewor- falt hinsichtlich der Schulen. Normal war die zehnjährige Ausbildung an der poly- fen, zu spüren war es dennoch. Bernd Schmeisser, technischen Oberschule, das war sozusagen der Hauptpfeiler des Bildungssystems. Systems. Ich nenne es Schicksal 1964 in Ostberlin geboren, war und ist bekennender In der achten Klasse wurden Schüler zur erweiterten Oberschule delegiert, um das Christ. Aus Überzeugung gehörte er keiner Partei Abitur zu machen. oder Gottes Führung. Ich war zu der und nicht der Freien Deutschen Jugend (FDJ) an. Wer wurde delegiert? Zeit da, wo ich hinsollte. Für mich Nach der zehnjährigen Schulbildung absolvierte er Als einer der drei Klassenbesten wurde man zum Abitur delegiert. War ich sogar, eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker und arbeitete aber ich war kein Mitglied der FDJ. Und ich war bekennender Christ. Ich wurde war die DDR durchaus ein Land, in 13 Jahre lang in dem Beruf. Chirurg wollte er werden. dementsprechend nicht delegiert. dem man leben konnte.‹ Mit 25 ist er verheiratet, hat eine kleine Familie Sie hätten also gern das Abitur gemacht und studiert? und lebt an der Oberspree, später in Potsdam. 1993 Mein ursprünglicher Traum war Chirurg. Ich hätte gerne Medizin studiert, aber das lichen wurden auf das System vereidigt. In der Freikirche gab es weder absolviert Bernd Schmeisser für anderthalb Jahre ging ohne Abitur natürlich nicht. Also könnte man sagen, meine politische oder Jugendweihe noch Konfirmation. Man wird Mitglied mit dem Glaubens- ein Vollzeitstudium für Sprachen an einer Privat- religiöse Einstellung ›hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht‹, beziehungs- bekenntnis. Auch dort wurden Entscheidungen kritisch hinterfragt. So gab universität. weise das System in der DDR hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es es ab Mitte, Ende der Siebzigerjahre die Möglichkeit für den Dienst ohne Waffe, man konnte sogenannter Spatensoldat werden. Wenn ein Mitglied Heute wohnt der 55-Jährige mit seiner Frau im gab ein nettes Gespräch, in dem mir nahe gelegt wurde, doch in die FDJ einzutreten Während der Ausbildung wurde ich der Kirche sagte ›Die sollen mich versetzen wohin sie wollen‹, also nicht Berliner Vorort Kleinmachnow und arbeitet als (lacht) und ich sagte, dass ich das nicht tun könne, weil ich Christ sei. gefragt: ›Sie sind ja nicht Mitglied bekennend als Spatensoldat diente, wurde da schon drüber diskutiert. Dolmetscher und Übersetzer. Im Interview erzählt er Wie ging es dann weiter? der FDJ, aber könnten Sie nicht von seiner Laufbahn, sein Bekenntnis zum Glauben, Ich absolvierte die Schule mit Auszeichnung. Mir fiel das Lernen ein bisschen zu. zumindest in die Gesellschaft für Gibt es den idealen DDR-Bürger? Jein. Als bekennender Christ wie ich, oder als jemand, der mit Kritik nicht über das System DDR sowie das ›freiwillige Muss‹ Ich lernte dann Kfz-Schlosser, heute wird das Kfz-Mechaniker genannt. Das galt als deutsch-sowjetische Freundschaft hinter dem Berg hielt, fiel man sicherlich nicht in diese Rubrik, sondern und darüber, warum er sich heute trotz Ungerechtig- sehr beliebter Beruf. eintreten? Dann gäbe es weniger hatte eher Probleme in der DDR. Im Lied der Partei hieß es unter anderem keiten nicht als Opfer des Systems sieht. Warum war das Eintreten in die FDJ und Christ zu sein ein Widerspruch für Sie? Fragen.‹ Die FDJ verstand sich als junge Garde der Partei, also der SED. Mit dem Gedan- Die Partei war also immer dabei? ›Die Partei hat immer Recht!‹ Ich glaube, wenn man zu Allem ›Ja und Amen‹ kengut der SED konnte ich nun mal nicht konform gehen und das habe ich auch offen Es gab ein geflügeltes Wort für die politische Indoktrination: Das sagte, passte das schon gut. gesagt. Dann wurde ich darüber informiert, dass ich für unseren Staat entsprechend freiwillige Muss. (lacht) Das Bildungssystem war komplett unter staatlicher Verurteilen Sie das System im Nachhinein? nicht opportun wäre und man meinem Wunsch zu studieren wohl nicht nachkommen Kontrolle und mindestens 90 Prozent der Betriebe hatten eine Parteileitung. Nicht alles am Sozialismus ist schlecht, die Umsetzung ist wohl das könne. Das wurde zwar alles etwas durch die Blume gesagt, aber es war schon offen- Es gab eine politisch-gesellschaftliche Einflussnahme in allen Bereichen. Problem. Es gab gute Ansätze und Ideen. Und es gab verschiedene sichtlich. (lacht) Man musste sich formell für die erweiterte Oberschule bewerben Natürlich kam nicht jeden Tag jemand auf einen zu und fragte, was man für Enthusiasten: Der Teil, der sich klar für das System aussprach und Men- und es hieß, mein Antrag sei nicht fristgerecht eingegangen. Meine Klassenlehrerin eine politische Gesinnung habe. Es war immer eine Sache, die sich im schen wie mich. Mindestens 80 Prozent lagen wohl dazwischen. Ich habe lächelte ganz freundlich. Auch ihr war klar, dass das nicht stimmte, aber auch wenn Hintergrund abspielte und latent da war. Besonders an den Wegkreuzungen nicht politisiert, aber ich habe Position bezogen. Wenn ich eine Ideologie es ihr unangenehm war, sie konnte da nichts machen. Die Entscheidung wurde an im Leben kam diese Frage ins Spiel. Mit einem schlechteren Notenschnitt wählen müsste, würde ich schon zu einer sozialdemokratischen Variante einer anderen Stelle gefällt. Wahrscheinlich im Parteiapparat der Schule. war es zum Beispiel schwierig, Kfz-Mechaniker zu werden. Es konnte sich tendieren. Den sozialen Gedanken vermisse ich heute oft. Keiner wurde gezwungen, aber …? aber als günstig erweisen, wenn man Anwärter auf einen Platz in der Partei Empfinden Sie es als ungerecht, dass Sie in der DDR geboren wurden? Es gab schon die Möglichkeit, sich öffentlich als Christ zu bekennen und trotzdem war oder sich für die NVA, die Nationale Volksarmee, verpflichtete. Ich fühle mich nicht als Opfer des Systems. Ich nenne es Schicksal in die FDJ einzutreten. Das haben nicht Wenige gemacht. Ca. 99,5 Prozent der Hatten Sie später noch Aussicht auf andere berufliche Chancen? oder Gottes Führung. Ich war zu der Zeit da, wo ich hinsollte. Für mich war Schüler, die in der DDR zur Schule gegangen sind, waren Mitglied der FDJ. Man wurde Mit etwa 25 wurde ich zum Betriebsdirektor gebeten und der sagte: die DDR durchaus ein Land, in dem man leben konnte. nicht gefragt, warum man Teil der FDJ ist. Man wurde erst gefragt, wenn man kein ›Mensch Bernd, du bist doch ein kluger Kopf und als Kfz-Schlosser bist du Aber? Mitglied war. Es war eine Art stiller Zwang oder vielleicht vorrauseilender Gehorsam, doch nicht glücklich. Wie wäre es denn mit einer Meisterausbildung? Du Es gab frustrierende Gabelungen oder Punkte. Man fragte sich schon: um sich zum Beispiel nicht die Karriere zu verbauen. würdest vom Betrieb gefördert werden. Wir könnten dir vielleicht auch ein Warum sägen die uns den Ast ab, auf dem wir sie auch weiterbringen Hielten viele ihr Fähnchen in den Wind? Studium zum Ingenieur ermöglichen.‹ Ich hatte schon Familie und war könnten? Mich ärgert es auch, dass volkseigene Betriebe nach der Wende Ja, das kann man schon so sagen. Viele waren ja nicht gleich Kommunisten, nur verheiratet, deshalb war ich am Meister interessiert. Der Betriebsdirektor ganz leicht ausgeknipst werden konnten. Generell hing in der DDR keiner weil sie der FDJ angehörten. Ist nur manchmal einfacher das Liedchen mitzusingen. sagte dann, ob ich nicht wenigstens in die CDU eintreten könne. Ich konnte am Hungertuch, aber die Auswahl war eher einseitig (lacht). Dennoch, ich Eine Art gesellschaftliches Syndrom. Niemand wurde zum Eintritt in die Partei aber nicht in etwas eintreten, das nicht meinen Glaubenssätzen entsprach. habe viele gute Dinge in meinem Leben erlebt. gezwungen, aber es gab so etwas wie Strategien, um die Menschen von der Partei zu Also wurde daraus nichts. Was war die größte Veränderung nach dem Mauerfall? überzeugen oder unter Druck zu setzen. Welcher Gemeinde gehörten Sie an und wie wurde dort über das Das war ein einschneidendes Erlebnis im Sinne der Orientierung. Wie äußerte sich das? Thema gesprochen? Plötzlich wählen zu müssen aus einer überwältigenden Vielfalt. Dennoch ist Es gab Fragen wie ›Wieso willst du nicht eintreten? Bist du mit der Politik und dem Ich war Teil der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde in Berlin-Köpenick nicht alles käuflich zu erwerben. Freiheitliche Gesinnung kann man sich nun System unseres Staats nicht einverstanden?‹ Sobald man sich dem politischen und mit circa 450 Mitgliedern. Großes Thema war die Jugendweihe. Mit der mal nicht kaufen. DDRgesellschaftlichen Mainstream entgegensetzte, war klar: Jemand macht nicht mit. Jugendweihe erklärte dich der Staat zum jungen Erwachsenen, die Jugend- J 10 11 halbzeitwissen

Für St adtkultur Ein Projekt für Comic-Lover

Mi 08 – Sa 13 Juli Music Camp for Kids Workshops für 11-13 Jährige ›Formed a band / we formed a band / look at us / we formed a band‹, 2019 – Im ZeichenDRAWING des Klimawandels und sangen Art Brut einst voller Euphorie. Ein schönes Gefühl, immer wieder. Wer sich auf den Moment des Web-Comics machen wir uns auf eine vorbereiten will und zwischen 11 und 13 Jahre alt ist, hat beim Bandcamp 2019 die beste Möglich- illustrative Reise ins Reich der Bleistifte und keit. Die Teilnehmer*innen können in verschiedene Bereiche des Musikerdaseins eintauchen: Band- Zeichentablets. Thematisch blicken wir in coaching, Songwriting und Recording. Im Music Camp werden mit professionellen Teamer*innen die Zukunft: wie wird die Welt in 100 Jahren eigene Songs geschrieben, es wird gemeinsam geprobt und gejammt. Die Workshops sind so an- aussehen, wenn wir nicht aufhören soviel gelegt, dass die Teilnehmer*innen ihr neues Wissen gleich zu Hause und im Proberaum anwenden FUTURE Müll zu produzieren, wertvolle Rohstoffe zu Im Laufe des Jahres entstehen selbstgezeich- können. Am Ende der Woche wird es ein Konzert geben, auf dem die Ergebnisse präsentiert werden. plündern und Lebensmittel zu verschwenden? nete Comic-Reihen, die crossmedial (print Das Camp findet in Kooperation mit dem Jugendfreizeitheim Friese und im Rahmen des Projekts Wird es sie überhaupt noch geben? Vielleicht und digital/web, Instagram) veröffentlicht ›Pop To Go – unterwegs im Leben‹ des Bundesverband Popularmusik e.V. statt. Es wird aus dem hat sie sich einfach verdreifacht? Utopie und werden. Du erfindest gerne Geschichten, aber Programm ›Kultur macht stark – Bündnisse für Bildung‹ des Bundesministeriums für Bildung und Dystopie! Inhaltlichen und fundierten Input möchtest nicht so gerne zeichnen? Forschung gefördert. Anmeldung an: [email protected] erarbeiten wir mit Profis vom BUND. Zeichen- Kein Problem! Tue dich einfach mit jemandem Kulturzentrum Schlachthof, Beginn jeweils 10 Uhr stile werden entwickelt und kontinuierlich von zusammen und bildet ein Autor*innenteam, Künstler*innen begleitet. Und es wird auch dann könnt ihr die Aufgaben nach euren Musikschule ums Herausgeben und Veröffentlichen gehen. Fähigkeiten verteilen. Sie wollten immer schon mal Klavier spielen? Oder Jodeln? Mit Henning Pöplau. Kostenfrei. Vielleicht möchte sich auch die ganze Familie mal an der Medienwerkstat Ukulele austoben? All das – und noch viel mehr – geht Sommerprogramm während der Workshopwoche an der Musikschule Bremen. e Am 17. Juni wird im Kapitel 8 die Reportage ›Wir haben uns Vom 17.–21. Juni stehen dort die Zeichen auf ›Ausprobieren‹. einige Fragen gestellt‹ gezeigt, die sechs junge Menschen Wann: Na denn, viel Spaß! mit Fluchterfahrung im Workshop ›We, the Future‹ von //Sommerferien Fluchtraum Bremen e.V. mit Unterstützung der Medienwerk- //15.–19.07.2019, jeweils statt umgesetzt haben. Um 18 Uhr geht es los. 10–15 Uhr am Güterbahnhof e Am 4. Juli auf der Breminale: Die Foto-Geschichten-Rallye Bremen ›Gesucht – Erfunden‹. Ab 11 Jahre. Bei einer Entdeckungstour //Ab 19.08.19 immer

fairTauschen auf dem Breminale-Gelände mit Esel, Hund, Katze oder Hahn dienstags, 18–20 Uhr Wer seine persönliche Klimabilanz ein wenig verbessern werden Fotos aufgenommen und Aufgaben und Rätsel gelöst. im KUBO

möchte, könnte zum Beispiel Dinge und auch Leistungen Die Ergebnisse werden im Zelt und im Netz gezeigt. //+Blockwochenenden tauschen, statt sie gegen Geld zu erwerben. Ob Fremdspra- e Im Filmprojekt ›Über Grenzen‹ wird aus Erlebnissen der nach Absprache

chenkenntnisse, Kochkünste, Muskelkraft oder Zeit – jede mitwirkenden Jugendlichen eine Geschichte über Grenzerfah- Wer: Junge Menschen und jeder kann etwas einbringen, was gebraucht wird. Wie rungen entstehen – ein Kurzfilm über Konflikte und vielleicht zwischen 14–20 Jahren zum Beispiel die Hilfe beim Umzug gegen einen Haarschnitt auch über Lösungen. Die Dreharbeiten und der Schnitt am oder die Hilfe beim Ausfüllen von Dokumenten gegen Ende der Sommerferien werden gemeinsam an drei Treffen Musikunterricht. Nicht immer geht das eins zu eins, man im Juni vorbereitet (11., 18 und 25. Juni). Teilnehmen kann, kann auch mit Gutschriften arbeiten. Alle Infos direkt in der wer zwischen 12 und 16 Jahre alt ist, Lust hat, die Geschichte Münchener Straße 55 (Mi, Do, Fr 16–19 Uhr, Sa 12–16) zu erfinden und/oder sie vor oder hinter der Kamera zu einem Film zu machen. e Anmeldung / Info: [email protected] Das Projekt wird gefördert vorbehaltlich der Bundesmittel: Slow Fashion Bundesministerium für Bildung und Forschung durch die Bundes- Nicht jeder und jedem ist gleich klar, was sich hinter dem vereinigung Soziokultureller Zentren Begriff ›Slow Fashion‹ verbirgt, aber das kann man schnell im Rahmen von Bündnisse für ändern, wenn man sich ins Hafenmuseum begibt und dort Bildung/Kultur macht stark umschaut. Es wird gezeigt, wie Mode langlebig, ressourcen- schonend und schön gestaltet werden kann und was die Kooperation mit: Konsument*innen beitragen können. BUND, Schlachthof Bremen

›Useless‹ – bis zum 20. Oktober im Hafenmuseum Abbildung: © Henning Pöplau

Foto: Margrit Weidenkeller 12 13 halbzeitwissen

Für St adtkultur

LIstener’s WRITER’s corner corner Andreas Schnell Jan-Paul Koopmann Ekiti Sound: Abeg No Vex (Crammed Discs) PM Hoffmann/Bernd Lindner: Anders sein oder Der Punk im Schrank (Ch. Links Verlag) Mit afrikanischer Musik ist das ja so eine Sache. Was Im 21. Jahrhundert hat sich dank Internet und einer sollte es schon sein, das die Musik eines ganzen Konti- globalisierten Wirtschaft dieser Transfer von Ideen und Früher war weniger Zukunft, nicht nur im Punk. Und Resonanzboden gefunden: Kapital und Antikommunis- nents auf einen Nenner bringt? Seun Kuti, der jüngste Klängen enorm beschleunigt. Womit wir endlich bei natürlich bleibt einem die Nostalgie ein bisschen im mus. Im Osten war man hingegen Wohlstandsmüll Sohn und musikalische Erbwalter des legendären Fela Leke Chif Awoyinka wären. Der Mann hinter Ekiti Halse stecken, wenn man sich an diese letzten Tage der ohne Wohlstand. ›Anders Sein‹ erzählt dann etwa, wie Kuti, der in den Siebzigerjahren mit seinem Afrobeat Sound ist für das umrissene Phänomen ein besonders Menschheit erinnert, wo das System noch zusammen- Ostpunks sich die Haare mit Fußpilzmittel (ent-)färben, zum ersten afrikanischen Superstar wurde, hat da eine schönes Beispiel. Aufgewachsen in der nigerianischen brach und niemand 30 werden wollte – wo überhaupt weil es die grellen Kosmetika nicht gab. Drastischer relativ klare, wenn auch etwas unspezifische Vorstel- Metropole Lagos einerseits und London andererseits, alles so richtig im Arsch war. Was sich über diese heute (und für die Beteiligten viel wichtiger) sind die Flucht- lung: Für ihn ist nicht nur alle Musik, die aus Afrika zog er im Laufe seines jungen Lebens, den Eltern sei reaktionär oder bestenfalls albern wirkende ›No Future‹ und Spitzelgeschichten, zerrüttete Familien und ein kommt, afrikanische Musik, sondern auch noch die Dank, mehrmals zwischen Nigeria und England um Attitüde sehr leicht vergessen lässt: Es ist zu Punkzei- Netz brutaler Heime, die tatsächlich existenzbedrohend Musik der Nachkommen afrikanischer Sklaven und und pendelt bis heute zwischen beiden Großstädten. In ten tatsächlich eine Welt untergegangen, ein deutscher waren. Migranten in der Diaspora, wie der Reggae aus Jamaika, beiden Regionen ist er musikalisch gleichermaßen Staat vor die Wand gefahren und ein Wirtschaftssys- Bemerkens- und anerkennenswert ist, wie Kulturso- aber auch Blues und Jazz. Das hat etwas für sich, auch verwurzelt. Fela Kuti, dessen Musik Leke sozusagen mit tem implodiert. In der DDR nämlich, in der es ja auch ziologe Lindner es sich als Comicautor verkneift, diese wenn natürlich wieder einmal alles ein bisschen kom- der Muttermilch aufsog, und Drum & Bass seien hier Punk gab, und an deren Ende rebellische Kiddies einen Repressionsgeschichte noch dramaturgisch zuzuspitzen. plizierter ist. Zumindest sind die letztgenannten Genres als Eckpunkte und wesentliche Einflüsse genannt. doch größeren Anteil hatten als hier an … irgendwas. Die meisten Charaktere haben dann doch noch irgendFoto: Jens- Schlenker bereits hybride Formen, die auch nichtafrikanische Zwischen diesen Polen bewegt sich ›Abeg No Vex‹, Doch auch wenn das Thema in der großen Pop- wie Glück im Unglück und nicht jede reale Katastrophe Einflüsse aufgreifen. borgt sich traditionelle Percussion aus der einen Heimat geschichte nach wie vor eher unterbelichtet bleibt: Neu muss nun zwingend auch die Figuren dieses Comics Die Kolonialherren wiederum haben ihrerseits über und die Kulturtechnik des Rap aus der anderen. Und ist das alles nicht. Es gibt diverse Bücher zum Thema, treffen. Dass darüber der Eindruck eines illustrierten Jahrhunderte Instrumente und Formate in die unter- auch sprachlich spiegelt sich der eine Hintergrund im Ausstellungen und Fernsehstücke. Für ihren just Sachbuchs entsteht, liegt auch an den Bildern: PM worfenen Regionen gebracht, allen voran die Gitarre, anderen, Yoruba, Englisch und Pidgin als deren erschienenen Comic ›Anders Sein, oder der Punk im Hoffmann zeichnet technisch versiert, aber uninspiriert. die ihrerseits Gegenstand einer urafrikanischen Spiel- gemeinsames Kind. Oft kulminieren diese verschiede- Schrank‹ haben Zeichner PM Hoffmann Autor Bernd Die archetypischen Figuren haben starre Gesichter, weise wurde. Während die verschleppten Afrikaner nen Spuren in einem Song, innerhalb weniger Takte, Lindner diese Vorläufer nun augenscheinlich gründlich werden in bruchlose Positur gebracht. Gelegentliche auch immaterielle kulturelle Praktiken in die neue Welt wenn, wie in ›Timeless‹, Afrobeat auf die Tieftonästhe- gelesen und eine personalisierte Erzählung daraus ge- Farbsprenkler im größtenteils schwarz-weiß gehalte- mitnahmen. Die Samba beispielsweise geht, wenig tik neuer Bassmusik trifft. Gewiss, Puristen unterschied- strickt. Entlang der fiktiven Band ›Die Haftung‹ erzählt nen Buch sollen die Insignien des Punk betonen: Ein überraschend, auf afrikanische Prinzipien zurück. Und licher Couleur, aber auch Anhänger von so etwas wie der Comic diverse Biographien und Klischees nach. paar bunte Haarsträhnen, Plattencover, die Nieten- auf verschiedenen Wegen gelangten afrikanisch geprä- Weltmusik dürften hier fremdeln. Dabei erfüllt dieses Dass Punk in Leipzig nun erstmal nicht so ganz jacke. Punk ist wortwörtlich ein bunter Ausbruch aus gte Spielweisen dann wieder nach Afrika. Die Rumba, Album den geschundenen Begriff eigentlich weit besser anders aussieht als der von West, ist schon interessant. einer kalten, grauen Welt. Das ist ein bisschen kitschig beispielsweise, die vom heutigen Kongo aus in den als das, was die einschlägigen Fächer vieler Plattenläden Was in Hannover als Protest gegen Konsum und Post- und recht platt, bestimmt keine Dekonstruktion von Sechzigerjahren zur populärsten Musik in weiten Teilen vorhalten. faschismus durchgeht (›Schlachtrufe BRD‹ und so) Mythen, sondern ein recht defensives Erinnern, dass Afrikas aufstieg, war sozusagen ein Reimport via Kuba. ist im realexistierenden Sozialismus eine ganz andere man ›drüben‹ überhaupt dabei war. Verdienstvoll ist Nummer. Musste der Punk zwar auch im deutschen das Buch trotzdem, eine sicher wichtige Ergänzung Westen erstmal aus London und New York eingeimpft zur bundesrepublikanischen Punkhistorie. Es ist nur werden, hat er dort wenigstens einen vergleichbaren eben kein sonderlich schöner Comic daraus geworden.

Foto: Margrit Weidenkeller Frei 14 15 zeit freizeit 05 jun Mi // Schlachthof Silbermond Highlight 0610 Clubkonzert 0720 Bei einer Band dieser Größenordnung firmiert ein Gig im Schlachthof als Clubkonzert. 201917 Und ausverkauft ist es auch schon. Gut, ansonsten füllen Silbermond gerne 10.000er- Hallen. Das geht, weil die Band von Anfang an den kleinsten gemeinsamen Nenner zwi- schen Indiepop-Ästhetik und massenkompatiblem Deutschpop gefunden hat. Schön, wenn eine derart populäre Musik dann nach all den Jahren politisch wird: In dem Song ›Mein Osten‹ geht es um Ostdeutschland, und die Band aus Bautzen findet da noch einmal einen anderen Tonfall als die Musikerkolleg*innen aus dem Westen: ›Ris- se gehen durch Familien / Und ein Riss geht auch durch mich / Denn ich weiß, mit Mittelfingern / Lösen wir dieses Problem hier nicht / Werden reden müssen, streiten / Um Kompromisse ringen müssen und so weiter / Aber was nicht hilft, sind wir uns da einig / Ideen von 1933‹. Dazu eine melancholische Gitarre, die anzeigt, dass hier jemand die Leute nicht verloren geben will, so bescheuert sie mitunter auch sind. Martin Steinert ➟ Kesselhalle, 20 Uhr

07 jun Fr // Schlachthof Maybebop Ziel:los!

Instrumente sind schwer und sperrig, und eigentlich braucht man sie nicht. Es geht auch ohne, zumindest dann, wenn man mit so begnadeten Stimmorganen gesegnet ist wie die vier Herren – Countertenor, Tenor/Vocal Percussion, Bariton, Bass – von Maybebop, der nach den Comedian Harmonists wohl bekanntesten A-cappella-Formation des Landes. Und die Harmonists gibt es schon seit 1935 nicht mehr, die Stelle war also ein paar Jahre lang offen. Es hat aber eh gedauert, bis sich A cappella als Kunstform wieder auf Dr. Mark Benecke den mittelgroßen Bühnen etablieren konnte. Seit 1992 tourt das Quartett in wechseln- der Besetzung um das Gründungsmitglied Oliver Gies durch den deutschsprachigen jun // Schlachthof Auf der Leichenf arm 26 Mi Raum und verschönert eben diesen mit glasklarem Gesang. Ziel:los! ist das zehnte Büh- nenprogramm von Maybebop nach siebzehn gemeinsamen Jahren. Wieder unberechen- bar – mal berührend tiefgründig, mal herrlich albern und mit dem Finger in den kleinen und großen Wunden der Gegenwart. Musikalisch grenzenlos und vor allem auf sänge- Einmal im Jahr reist der Kriminalbiologe Mark Benecke zur Leichen- machen. ›Es wird weder eklig noch gruselig‹, behauptet Dr. Mark risch sagenhaft hohem Niveau. farm nach Knoxville, Tennessee. 40 Tote zersetzen sich an diesem Benecke. Und das stimmt, erstaunlicherweise. Benecke redet über Ort und wenn ein Leichnam nicht mehr zu gebrauchen ist, rückt der seine Arbeit als Kriminalbiologe, doch das erklärt nicht, warum sei- Hans Ast nächste nach. Die toten Körper sind in verschiedenen Versuchsan- ne Lesungen so schnell restlos ausverkauft sind. Vielleicht liegt es ➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK 27,– € (zzgl. Gebühren) ordnungen drapiert: in Kofferräumen, in der prallen Sonne, andere daran: Dr. Benecke hat eine Weise, über den Tod und das, was auf sind verscharrt. An Halloween klettern immer wieder Jugendliche ihn folgt, zu sprechen, in der sich Wissen, Nüchternheit und Klar- über die Zäune, um Schädel von der Body Farm zu stehlen. heit verbinden. Der Skandal, der der Tod für uns ist, relativiert sich, 08 jun Sa // theaterSCHLACHTHOFstudio Benecke wiederum unterrichtet hier FBI-Agentinnen und -Agen- es ist nun einmal so, wie es ist. Das alles gehört zur Natur und je ElekTrAktions 2019: die Fortsetzung ten und ist nicht zum Spaß hier. Anders als das Publikum seiner mehr man weiß, desto einfacher wird es. Maden zum Beispiel ›sind Mit Ma gali Sander Fett (Tanz) und Gabriele Shows. Niemand kann so unterhaltsam und Augen öffnend von Tod aufrechte, coole, vernünftige Gegenüber. Sie sind wichtige, schöne, Lattuada (Schla gzeug & Elektronik) und Verwesung erzählen; kaum jemand kann so überzeugend und informative, biologisch sinnvolle Lebewesen. Sie helfen uns, die in aller Seelenruhe vom Schrecklichen und Ekelhaften berichten. Liegezeiten von Leichen zu bestimmen‹. Dann ist ja gut. Gemeinsam mit dem theaterSCHLACHTHOF hat Riccardo Castagnola eine neue Form Es geht um verschiedene Arten von Fäulnis, Leichenliegezeitbe- Jedenfalls wird es an dieser wissenschaftlich fundierten Gelas- der Klangaufnahme entwickelt. Insgesamt sechs Künstler*innen aus Bremen, Hamburg, stimmung, Speck- und Schinkenkäfer oder schrotschussartige senheit liegen, dass Lesungen mit Benecke immer über ihren kon- Hannover, Berlin werden sich in der ElekTrAktions-Reihe zum ersten Mal begegnen und Hautdurchtrennungen durch Madenbefall. Kurz vor Schluss kommt kreten Gegenstand hinausweisen: Es geht um unseren Umgang mit gemeinsam schöpferisch arbeiten. In jeweils maximal 24 Stunden entsteht eine multi- es noch einmal knüppeldick: Benecke zeigt die Verwesungsstadien dem Tod und damit auch um unsere Art zu leben. Der Trost des mediale Performance, die den Zuschauern präsentiert wird. Die Klänge werden umge- eines menschlichen Kopfes im Zeitraffer: Wasserverlust und Gas- Insektenforschers: ›Der Tod ist nicht das Ende, danach passiert setzt in Bewegung und in buntes Licht getaucht. Völlig neue Wege der Musik und des bildung verformen den Kopf, dann fallen Fliegenmaden über Augen, noch ganz, ganz viel mit Ihnen. Sie werden auf jeden Fall nicht al- Empfindens strömen durch den Raum. Magali Sander Fett (Tanz) und Gabriele Lattuada Nasenschleimhäute und Mund ein, bis der ganze Kopf von einem lein sein.‹ (Schlagzeug & Elektronik) begeben sich im ACT 5 auf die Suche nach Klängen des All- Madenteppich bedeckt ist, dann der verweste Schädel. Martin Steinert tags. Diese dienen als Werkzeug zur Entwicklung elektroakustischer Musik. Sie ver- Er selbst untersucht auf der Leichenfarm in Knoxville, wann wel- ➟ Kesselhalle, 19.30 Uhr // Ausverkauft wandeln dabei den Raum des theaterSCHLACHTHOFS in der Ladestraße 1 in eine Quel- che Insekten sich wie an den Körpern der Verstorbenen zu schaffen le neuer Erfahrungen. Als besonderen Service holt ein Bus um 20 Uhr die Besucher*innen am Horner Eck im Viertel ab (Friesenstraße 95). So wird auch das scheinbar weit ent- fernte Theater zum nahegelegenen Hotspot. Hans Ast Melanie Tesch ➟ theaterSCHLACHTHOFstudio (Ladestraße 1), 21 Uhr // Tickets: 12,– / ermäßigt 6,– € Frei 16 Frei 17 zeit freizeit zeit 0610 Highlights 0720 201917

The Damned Life of Agony Die Untoten kommen 30 jul di // Schlachthof Unverwüstlich 31 jul Mi // Schlachthof

Dass Punk einfach mit allen Anderen mitaltern würde, man hätte Sondern aus Spaß am Quatsch. Und einer ausgeprägten Vorliebe Das Leben in Qualen, es währt nun auch schon wieder recht lange, 2005 ging es weiter, kurz nach dem nicht sonderlich gelungenen es nicht gedacht. Aber es machen alle einfach immer weiter, als für die Ästhetik des klassischen Horrorfilms. seit 1993. Life of Agony sind eine idealtypische Band der Neunzi- Album ›Broken Valley‹ war dann wieder Schluss. wäre ein wesentlicher Impuls der Frühzeit des Genres nicht die Das hat sich im Rückblick, erstaunlich genug, als das nachhalti- gerjahre und eine, die zurecht ganz oben auf der Welle dessen surf- 2011 outete Keith Caputo sich als transsexuell und firmierte von Attacke auf alte Männer gewesen, die von den Bühnen nicht wei- gere Konzept erwiesen. Viele Punks der ersten Stunde reisen mit te, was man damals Alternative Rock nannte. Die Band war damals da an unter dem Namen Mina Caputo. Das ist im Pop immer noch chen wollten. Eigentlich undenkbar, aber das Modell ›Wütender einer Retro-Idee durch die Lande. ›Evil Spirits‹, eines von vielen so etwas wie die perfekte Symbiose von Helmet und Type 0 Nega- die Ausnahme und kollidiert mit den gängigen Männlichkeitsste- junger Mann‹ ist im Punk vom in gewisser Weise ungleich anfor Comeback-Alben der Band in den letzten Jahrzehnten, wurde ein tive: präzise sägende Riffs und dazu ein ernstlich düsterer Gestus reotypen vor allem in den härteren Spielarten des existenziell ver- derungsreicheren Modell ›Renitenter alter Sack‹ abgelöst worden. veritabler Erfolg in Großbritannien – das erste Top-10-Album der (wobei bei heutigem Hören die Klassiker viel mehr durchscheinen, zweifelten Gitarrenrocks. Manchmal geht das schief, zum Beispiel bei John Lydon, früher Sex Band. St. Vitus vor allem). ›Word‹ zum Beispiel klang wie ein vergessener Aber es läuft, die Fans sind zugewandt geblieben. Und die Musik Pistols, heute unter anderem in ›I’m a Celebrity… Get Me Out of Der Musikkritiker Ingo Scheel war begeistert und schrieb auf Type-O-Negative-Klassiker, personelle Überschneidungen zwischen kommt endlich wieder voll auf den Punkt. Auf ›A Place Where Here!‹, der britischen Ausgabe des Dschungelcamps zu sehen und Laut.de unter anderem von einer ›Hymne mit Don-Kosaken-Chor beiden Bands gab es auch. There’s No More Pain‹ von 2017 fand die Band wieder zum Groove fröhlich weiter am Pöbeln. und einem freigemeißelten Riff für die Ewigkeit‹, einem ›opernhaf- Das Debüt-Album ›River Runs Red‹, das als ewiger Klassiker bis der Anfangstage zurück, wenn auch vieles noch skizzenhaft und Bei den etwa zur selben Zeit wie die Sex Pistols gegründeten ten Intro mit einer somnambulen Jazz-Trompete‹ und überhaupt heute Fluch und Segen für diese Band darstellt, handelt von der unausgegoren wirkte. Ein Album als Versprechen an die alten und The Damned verhält es sich noch einmal anders, würdevoller. The dicken Gitarrenriffs. Abschließend: ›Vergöttert, verspottet, igno- Woche eines jungen Mannes, die im Selbstmord endet. Nur wenig neuen Fans. Die für den Sommer 2019 angekündigte Platte ›The Damned hatten den Spaß an Camouflage und Karneval und die riert und innigst geliebt. Während die meisten ihrer Zeitgenossen heller gestimmt war der Nachfolger ›Ugly‹, der die Überballade Sound of Scars‹ könnte es endlich einlösen. Zumal der Titel wie Selbstironie schon immer im Gepäck. Von den ersten Singles an verblichen, in Rente oder beim Backkatalog-Abtanzball Rebellion ›Let's pretend‹ enthielt. Bis heute der größte Hit der Band. eine Zusammenfassung des Bandkonzepts klingt: Life of Agony ha- war die Band immer ein bisschen näher am Rock'n'Roll als ihre Festival gelandet sind, haben wir es hier mit einer Band im Hier und Life of Agony verbanden auf ihren drei ersten Alben tonnen- ben es im Insistieren darauf, dass das Leben schwer und der Mitstreiter, immer eine Idee weniger ernst und aggressiv. Eine ein- Jetzt zu tun. Einer musikalischen Institution, die schon mal zehn schwere Riffs mit melodiösem Klagegesang. Danach wurde es Mensch schief in die Welt gestellt ist, immer schon ernst gemeint. heitliche Kleidung gab es nicht, der eine ging als Bela Lugosi ver- Jahre braucht, um ein neues Album zu stemmen, dann aber derart dann kompliziert: Sängerin Mina Caputo (damals noch unter dem Gut, dass diese Band wieder da ist. kleidet, der andere im Kleid, der dritte mit bunter, maximal be- liefert, dass man jetzt schon gespannt sein darf, wie es wohl wei- Namen Keith Caputo) stieg aus der Band aus, es folgte ein eher Hans Ast kloppter Sonnenbrille auf die Bühne. tergehen mag.‹ unglücklicher Sängerwechsel. 1999 lösten Life of Agony sich auf, ➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK 34,05 € (zzgl. Gebühren) Bei The Damned regierte von Anfang die ungebremste Lebens- Wie das weitergeht, kann man auf der Bühne der Kesselhalle freude. Die Vitalität der Band speiste sich, anders als beim sonsti- beobachten. Martin Steinert gen Punk der Siebzigerjahre, nicht aus performativer Aggression. ➟ Kesselhalle, 20 Uhr // Tickets: VVK 27,15 € (zzgl. Gebühren) Frei 18 zeit

22 jun sa // Schlachthof Charlie Hunter & Noch mehr Lucy Woodward Schlachthof Die Schönheit der Jazzgitarre Kultur

Da haben sich zwei gefunden. Charlie Hunter ist einer der umtriebigsten Jazzgitarris- in der Stadt ten zurzeit. Ein Mann, der den Eindruck erweckt, er könne auf seinem Instrument schlicht alles. Die schiere Vielfalt seines Schaffens bildet sich ab in der langen Reihe an Kooperationen. Darunter sind Künstler*innen wie Bobby Previte, Norah Jones oder Scott Amendola. Aber auch HipHopper wie Mos Def oder The Disposable Heroes of Hiphoprisy. Im Verbund mit der unheimlich seelenvollen Stimme von Lucy Woodward entsteht eine Schönheit, wie man sie auch im an Schönheit nicht armen Jazz selten findet. Woodward hat bereits mit Rod Stewart, Celine Dion oder Carole King zusam- mengearbeitet. Die beiden kennen sich aus dem Umfeld von Snarky Puppy, einem etwa 25-köpfigen Jazz/Rock/Funk-Kollektiv. Im Trio mit dem Schlagzeuger Niek de Bruijn spielen Hunter und Woodward verträumte Jazz-Standards wie ›Angel Eyes‹ oder rauchige R&B-Perlen wie ›I Don’t Know‹. Aber auch alles sonst, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Ein Fest. Martin Steinert 16. Mai bis 30. August 2019 ➟ Kesselhalle, 20 Uhr

06 jul Sa // Schlachthof Endless Grind Old School Skatebo ard Sieben auf einen Streich Session / Mit Pos tford Fotografien vonToma Babovic, Fritz Haase, Christine Henke, Rüdiger Lubricht, Jürgen D. Schmidt, Beim 23. Endless Grind wird der Alten Schule des Skateboarding gehuldigt. Von 12 bis Jochen Stoss und Helmut Wieben 21 Uhr finden vier Contests statt: Pool, Street, Weit- und Hochsprung. Zusätzlich wird der Longest (Endless) Grind im Pool prämiert. Wichtig ist: Es sollen die klassischen Arbeitnehmerkammer Bremen, Bürgerstraße 1, 28195 Bremen Tricks vorgeführt werden; und es kommt nicht auf den Schwierigkeitsgrad an, sondern Montag bis Donnerstag 8 Uhr bis 18.30 Uhr, auf den Style. Wer auf alten Boards fährt und in entsprechenden Klamotten gekleidet Freitag 8 Uhr bis 13 Uhr ist, hat gute Aussichten auf einen Preis. Dazu werden alte Platten mit Surf-, Punk- und Hardcoresongs aufgelegt. Live kommt es knüppeldick: Die Bremer Band Postford hat ihr zweites Album ›Keine Lichter‹ draußen. Und es ist wieder ganz wunderbar geworden. Man merkt den im deutschsprachigen Punk inzwischen omnipräsenten Jens-Rachut-Einfluss. Aber Postford haben von Anfang an einen ganz eigenen Ton gefunden. Nix Epigonentum – treibender Punkrock, drei Stimmen (hyperventilierend und durcheinander) und intelligente Texte, die trotzdem wirken wie aus dem Arm Foto: Fritz Haase Fritz Foto: geschüttelt. www.arbeitnehmerkammer.de Melanie Tesch ➟ Außengelände Schlachthof, ab 12 Uhr // Eintritt frei

Postford

20–22/23+26 Jun & 07+09 Jul Schlachthof Angstgesellschaft #2 Raum21 und theaterSchlachthof

2019 residiert Raum21 erneut im theaterSchlachthof und setzt das erfolgreiche Format ›Angstgesellschaft‹ fort. Es wird interaktiv. Und unheimlich. Die zweite Runde beginnt im Juni: Vom 20. bis 22. geht es unter dem Titel ›NightCall‹ auf eine nächt- liche Expedition durch eine postapokalyptische Welt, auf der die Zuschauer*innen NACH 1918 selbst vergangenen Geschehnissen auf den Grund gehen. Am 23. und 26. Juni findet BRE MEN die künstlerische Intervention ›Das TechnoTarot‹ statt: Das Zelt des TechnoMediums wird an verschiedenen Orten auftauchen und den Zuschauer*innen einen kurzen aber intensiven Tauchgang ins Unbewusste ermöglichen. Und am 7. und. 9. Juli fin- den alle diejenigen, die unter dem Druck des modernen, neoliberalen Kapitalismus Jetzt verlängert bis zusammenzubrechen drohen, eine Anlaufstelle in der ›Echokammer‹ – einem Jeden Di ab 19 Uhr: 4.8.19 Konzerttheater, angeführt von Mitgliedern des Ensemble New Babylon. Eintritt frei! Martin Steinert ➟ ›NightCall‹ (Ladestraße 1) // Tickets: 12,– /ermäßigt 6,– € ➟ ›Das TechnoTarot‹ (Außengelände Schlachthof), Eintritt frei Katapult-Flugzeug vor dem Start, Hans Finsler, 1929. Foto: Kulturstiftung Sachsen-Anhalt © Hans Finsler Nachlass ➟ ›Echokammer‹ (Ladestraße 1) // Tickets: 12,– /ermäßigt 6,– € ➟ Ticketvorbestellungen: [email protected] X Juni / Juli 2019 schlachthof

Juni Mi 05 Silbermond | KonzertAUSVERKAUFT! | Kesselhalle, 20 Uhr Fr 07 Maybebop | Konzert | Kesselhalle, 20 Uhr Simon & Jan 15/06 Sa 08 ElekTrAktions 2019: die Fortsetzung | Mit Magali Sander Fett & Gabriele Lattuada | Ladestraße 1, 21 Uhr Sa 15 Simon & Jan | Konzert | Kesselhalle, 20 Uhr Do 20 Fack Juh Figaro | Jugendtheater | Kesselhalle, 19.30 Uhr Sa 22 Charlie Hunter / Lucy Woodward | Konzert | Kesselhalle, 20 Uhr So 23 Freak Show| Tanz von Michele Endless Grind 06/07 Cantanna Styles | Kesselhalle, 19 Uhr Mi 26 Dr. Mark Benecke | Body FarmAUSVERKAUFT! | Kesselhalle, 19.30 Uhr

Juli Fr 05 The Cat Empire | Konzert | Kesselhalle, 20 Uhr Sa 06 The Cat Empire 05/07 23. Endless Grind – Old School Skateboard Session | Live: Postford | Vorplatz, ab 12 Uhr Mo–Sa Music Camp for Kids | Workshops für 08 – 13 Kinder zwischen 11 und 13 Jahren |verschiedene Räume Di 30 The Damned | Konzert | Kesselhalle, 20 Uhr Mi 31 Life of Agony | Konzert | Kesselhalle, 20 Uhr

// impressum Schlachthof Herausgeber: Kulturzentrum Schlachthof, Findorffstraße 51, 28215 Bremen, Büro: Mo–Fr: 10–19 Uhr, Fon: 04 21/37 77 50, Fax: 3 77 75 11, zett@schlachthof-bremen. de, Z-Magazin im Internet: www.schlachthof-bremen.de Redaktion: Gudrun Goldmann (V.i.S.d.P.), Jörg Möhlenkamp, Benjamin Moldenhauer, Marlis Schuldt Grafische Gestaltung: Jörg Möhlenkamp, Marlis Schuldt Beiträge: Hans Ast, Florian Fabozzi, Jan-Paul Koopmann, Andreas Schnell, Martin Steinert, Renate Strümpel, Melanie Tesch, Dierck Wittenberg, Maria Wokurka Fotos/Illustration: Margrit Weidenkeller (Titel), Lena Stuckenschmidt (Kulturgut), Al Bello, Johannes Goergens, Harald Hoffmann, Michael J. Ruettger, Pixelina-EHay-HVerbeuren-KeithAinsworth-JMacmillan, Henning Pöplau, Margrit Weidenkeller, Z-Magazin Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Druck: Girzig & Gottschalk