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Forum für Wissen 2007: 87–90 87

Hochwasserschutzkonzept Reuss (UR)

Michael Fuchs CSD Ingenieure und Geologen AG, CH-6460 Altdorf [email protected]

Im Rahmen des Hochwasserschutzprojekts in Realp, Kanton Uri, wurde nach den – hochaufgelöste Messdaten in kurzen baulichen Massnahmen an der Reuss ein Notfallkonzept erstellt. Als Teilgebiet Zeitintervallen zu erhalten wurde die Mess- und Auswertungstechnik bearbeitet und in den Jahren 2006 bis – Auswertungen mit der Kombination 2007 umgesetzt. Zum Messkonzept zählen zwei Niederschlagsmessstellen im Ein- von verschiedenen Parametern zugsgebiet, zwei Pegelmessstellen, sowie eine weitere Niederschlagsmessung in (Wasserpegel – Niederschlag – Luft- Realp. Zusätzlich überwacht eine Videokamera die Reuss an der neuralgischen temperaturen) ausführen zu können Stelle des Rückstaus beziehungsweise der Entlastung. Die Messdaten werden mit- – übersichtliche Darstellungen und tels Lichtwellenkabel und/oder GSM-Verbindung zu einem Rechner im Bahnhof Entscheidungshilfen für die Einsatz- Realp übertragen. Neben den automatisierten Auswertungen und Visualisierun- kräfte vor Ort zu bieten gen vor Ort werden in einer späteren Projektphase die Daten zu den kantonalen – betriebssichere Datenübertragung Fachstellen geleitet. Somit werden sowohl lokale wie auch übergeordnete Ent- zu den kantonalen Fachstellen zur scheidungsträger mit den für Sie relevanten Hochwasserdaten in den geforderten übergeordneten Beurteilung der Zeitintervallen versorgt. Hochwassersituation garantieren.

1 Ausgangslage – Bereitschaftsalarm 2 (3. Stufe): Auf- gebot Pikettdienst, Kommunikation, 3 Hydrometrische Trotz verschiedener baulicher Mass- Einsatzbesprechung Messungen nahmen an der Reuss bleibt in Realp – Einsatzalarm (4. Stufe): Einbau von die Gefahr bei grösseren Hochwasser- Dammbalken, Durchführung von In Realp wurden in den letzen 20 Jah- ereignissen (> HQ50, je nach Geschie- weiteren Schutzmassnahmen. ren keine hydrometrischen Messungen beanfall) von Überschwemmungen be- durchgeführt (die Messstationen an stehen (HUNZIKER und ZARN 2000). Sämtliche Massnahmen und Konzepte der Reuss in Realp wurden beim ver- Insbesondere die tief gelegene Eisen- wurden im Rahmen des Hochwasser- heerenden Hochwasser 1987 zerstört). bahnbrücke der Matterhorn-Gotthard- schutzprojekts HW 87, Reuss - Es konnte deshalb nicht auf bestehen- Bahn (MGB) vor dem Furkatunnel tal, Abschnitt Realp unter Federfüh- den Anlagen aufgebaut werden. Auf- stellt einen neuralgischen Punkt dar. rung des Amt für Tiefbaus Kanton Uri, grund der kurzen Vorwarnzeiten und Im Ereignisfall sind daher temporäre Abteilung Wasserbau durchgeführt. der inneralpinen Lage wurde beschlos- Objektschutzmassnahmen wie der Ein- Seitens des Bundes zeichnete sich das sen, neben Pegelmessungen auch Nie- bau von Dammbalken notwendig. In BAFU, Sektion Hochwasserschutz ver- derschlags- und Temperaturmessungen einem Notfallkonzept (Bigler AG antwortlich. im Einzugsgebiet einzurichten. 2004) wurden die Alarmierungen und Die Pegelmessungen werden seit En- Abläufe der Umsetzung der Objekt- de 2006 berührungslos mittels Radar schutzmassnahmen definiert. Bedingt 2 Mess- und an der Eisenbahnbrücke MGB und ei- durch die relativ kurzen Vorwarnzeiten Auswertungskonzept ner Fussgängerbrücke redundant musste ein spezifisches Mess- und Aus- durchgeführt. Aus Gründen der Be- wertekonzept erarbeitet werden. Das Mess- und Auswertungskonzept triebssicherheit werden die Daten über Realp (CSD AG 2006) umfasst sämtli- getrennte Datenkabel zu zwei eigen- Das Notfallkonzept geht von vier che Massnahmen, die getroffen werden ständigen Logger geführt. Die Strom- Alarmstufen aus: müssen, um die Vorgaben aus dem versorgung der Geräte und Logger ist – Voralarm (1. Stufe): Sicherstellung Notfall- und Alarmkonzept Realp er- mittels Akku abgesichert. Zudem kann Alarmorganisation, Beginn Auswer- füllen zu können. mittels Wegaufnehmer (magnetisches tung hydrometrische und meteorolo- Schwimmerprinzip) der Hochwasser- gische Daten Ziele des Mess- und Auswertungskon- pegel bei der Eisenbahnbrücke gemes- – Bereitschaftsalarm 1 (2. Stufe): Auf- zepts waren: sen werden. Dies soll insbesondere im gebot Alarmorganisation, weitere – ein einfach gestaltetes, betriebssiche- Fall einer erhöhten Geschiebefracht Beurteilungen res Messsystem aufzubauen wertvolle zusätzliche Informationen liefern (Abweichungen der verschiede- nen Messwerte). 88 Forum für Wissen 2007

Im höher gelegenen Einzugsgebiet dienen der Voralarmierung bis zu ei- wurden zwei Niederschlagsmessstellen nem allfälligen Zeitpunkt des Zusam- eingerichtet (Darstellung der Messstel- menbruchs des Netzes. Das Daten- le Ebnen in Abb. 1). Die Nieder- übertragungssystem für das Hochwas- schlagsmessung erfolgt mittels Präzisi- serschutzkonzept in Realp ist in der onswaage mit einem Gesamtinhalt von Abbildung 2 dargestellt. 1500 mm, das Messintervall beträgt ei- ne Minute. Das Messgerät wurde mit einem Windfang versehen, welcher zu- 5 Auswertungen sätzlich Schutz vor Beschädigungen bietet. Logger und Gerät werden mit- Die Auswertung der Daten erfolgt ei- tels Solarstrom versorgt. Zur Abschät- nerseits in Realp, anderseits kann sie zung der Schneefallgrenze – während auch bei den kantonalen Fachstellen in der kritischen Hochwassersituation ein Altdorf oder bei Bedarf an anderen entscheidender Faktor – wird an bei- Orten erfolgen. In Realp können die den Standorten die Lufttemperatur ge- Logger direkte SMS-Warnungen abge- messen. ben, welche zur Vorwarnung der Ver- In Realp wird der Niederschlag mit antwortlichen dienen. einem laser-optischen Distrometer Abb. 1. Niederschlagsmessstelle im höher Die Auswertungen und Visualisie- gelegenen Einzugsgebiet Ebnen (Witen- (Typ Parsivel von Ott Hydrometrie rungen werden auf einem Rechner in wasserental) mit Präzisionswaage und AG) gemessen. Mit dem Einsatz dieses Windfang (links), mit Logger, GSM-Verbin- Realp im Programm Hydras3 von Ott modernen Geräts wird es möglich sein, dung und Solarstromversorgung rechts. Hydrometrie AG durchgeführt. neben der Niederschlagsmenge auch die Art des Niederschlags festzustellen (Hagel während Hochwassersituatio- nen). Mittels Videokamera wird die Situa- tion an der neuralgischen Stelle bei der Eisenbahnbrücke aufgezeichnet. Durch die visuelle Kontrolle können die unmittelbaren Risiken vor Ort re- duziert werden.

4 Datenübertragung

Erfahrungen aus den Hochwasserer- eignissen der vergangenen Jahre haben aufgezeigt, dass eine betriebssichere Datenverbindung für die Hochwasser- warnung von grosser Bedeutung ist. Zudem müssen die Entscheidungsträ- ger vor Ort die wichtigsten Komponen- ten eines Hochwasserwarnsystems je- derzeit überwachen können, unabhän- gig von Verbindungsproblemen im Internet, Fest- oder Mobilfunknetz. Aus diesem Grund wurden die Da- tenleitungen von den Pegelmessstellen zum Rechner in Realp mittels Licht- wellenkabel realisiert. In einer späte- ren Phase soll eine Lichtwellen-Ver- bindung bis zum Informatik-Netzwerk der kantonalen Fachstellen geführt werden. Zusätzlich können die Statio- nen via Mobilfunknetz von verschiede- nen Standorten aus abgefragt und pro- grammiert werden. Die Niederschlags- Abb. 2. Die Datenübertragung erfolgt via Lichtwellenkabel oder GSM-Abfragen über au- messstellen können zurzeit nur via tomatische Abfrageskripts oder manuell, je nach Standort und Situation. Gestrichelte Ver- Mobilfunknetz abgefragt werden und bindungen sind in Planung und noch nicht realisiert. Forum für Wissen 2007 89

Aufgrund der spezifischen Situation in Realp kann eine Hochwassersituati- on relativ schnell und unerwartet ein- treten. Aufgrund von Auswertungen von Daten aus der Messreihe der Lan- deshydrologie 1954 bis 1987 wird im Notfallkonzept von einem Zeitinter- vall zwischen Voralarm und Einsatz- alarm von 4 Stunden ausgegangen. Um die vielen Daten der verschiede- nen Messstationen rasch und über- sichtlich auswerten zu können, werden im Programm Hydras3 spezifische Auswerteskripts geschrieben, welche Abb. 3. Die Grenzwertaus- lösung kann entweder nur periodisch nach den automatisierten durch absolute Grenzwert- Datenabfragen ausgeführt werden. überschreitungen oder im Dadurch können neben den standard- Falle des Voralarms auch mässigen Grafiken und Grenzwertdar- durch kombinierte Aus- stellungen auch kombinierte Auswer- wertungen verschiedener tungen ausgeführt werden (vgl. Abb. Parameter erfolgen. Zur 3). Kombinierte Auswertungen dienen Entscheidungshilfe wer- den übersichtliche Out- einer frühen Erfassung von potentiel- puts generiert. len Hochwassersituationen und kön- nen zur Auslösung von Voralarmen herangezogen werden. Bereitschafts- und Einsatzalarme werden danach aber lediglich durch Pegelstände in der Reuss ausgelöst. In dieser Phase stehen den lokalen Verantwortlichen die wei- teren Daten wie Niederschlagsmengen und -intensitäten, sowie Lufttempera- turen als zusätzliche Information zur Verfügung. Von Bedeutung sind diese vor allem für die regionale Betrach- tung (Hochwassersituation Urserental) wie auch für die Situation im Gebiet des Unteren Urner Reusstals.

6 Ausblick

Das Messsystem in Realp ist seit Früh- ling 2007 in Betrieb. Die automatisier- Abb. 4. Beim kleineren Hochwasserereignis vom 15. Juni 2007 wurde am frühen Nachmit- ten Auswertungen mit den entspre- tag durch eine Überschreitung des Grenzwertpegels ein Voralarm (1. Stufe) ausgelöst. chenden Programmierungen werden Massgebend zu diesem Zeitpunkt war die mittlere Ganglinie (Pegel MGB). Der Pegel Loi- penbrücke dient zur Kontrolle und redundanter Überwachung. Die 10-Minutensummen auf Ende 2007 in Realp installiert. des Niederschlags (Messstation Ebnen) waren flächendeckend, aber nicht intensiv (kein Das Messsystem hatte bereits bei ei- Voralarm durch intensive Niederschläge). Der Grenzwert zum Bereitschaftsalarm (2. Stufe: nem kleineren Hochwasserereignis am 1.51 mWs) wurde beim Pegel MGB knapp nicht erreicht. 15. Juni 2007 (dargestellt Abb. 4) seine Tauglichkeit bewiesen: nach flächen- deckenden, jedoch nicht sehr intensi- ven Niederschlägen stieg der Pegel der Fachstellen koordinieren. Neben der derschläge (zusammen mit einer mar- Reuss ab den Mittagsstunden kontinu- Beobachtung der Messdaten konnte kanten Abkühlung) konnte am späten ierlich an. Die Beobachtung der Mess- die überregionale Wettersituation über Nachmittag schnell eine Entwarnung daten wurde intensiviert. Während des die üblichen Kanäle überwacht werden gegeben werden. Nachmittags wurden die ersten Vor- (Radarbilder, Niederschlagsmengen, Es zeigt sich bereits heute, dass mit alarme (1. Stufe des Notfallkonzepts) Lufttemperaturen). Die Auslösung ei- dem gewählten System die spezifische per SMS ausgelöst. In den folgenden nes Bereitschaftsalarms (2. Stufe des lokale Hochwassersituation gut erfasst Stunden konnten sich die lokalen Ent- Notfallkonzepts) stand unmittelbar be- oder beherrscht werden kann. Un- scheidungsträger und kantonalen vor. Nach dem abrupten Ende der Nie- sicherheiten bestehen insbesondere 90 Forum für Wissen 2007 aufgrund der noch kurzen aktuellen 7 Literatur Messreihe, der kurzen Reaktionszeit bei Extremsituationen mit sehr intensi- Bigler AG, P. Leu, 2004: Kanton Uri, Amt ven, flächendeckenden Niederschlägen für Tiefbau; Objektschutz / Dammbal- (z.B. bei stehenden Gewitterzellen) kenkonstruktion Realp West im Bereich oder bei grosser Geschiebefracht der MGBahn; Grundlagen zum Notfallkon- Reuss während einem Hochwasser. zept. Durch die Erweiterung des Pro- CSD Ingenieure und Geologen AG, M. gramms mit zusätzlichen Berechnungs- Fuchs, 2006: Kanton Uri, Amt für Tief- routinen können Anpassungen und bau, Abteilung Wasserbau; Mess- und Verbesserungen am Auswertungssy- Auswertekonzept Hochwasserschutz stem vorgenommen werden. Durch die Reuss; Alarmkonzept Realp. automatisierte Übertragung der Mess- HUNZIKER, R.; ZARN, B., 2000: Kanton Uri, daten zu den kantonalen Fachstellen Amt für Tiefbau, Abteilung Wasserbau; stehen ihnen die für die übergeordnete Reuss Realp, Hydraulische und sedimen- Beurteilung der Hochwassersituation tologische Berechnungen für die Abklä- benötigten Daten laufend zur Verfü- rungen von Detailfragen im Rahmen des gung und können die lokalen Entschei- Bauprojektes. dungsträger im Bedarfsfall – und so- lange die Kommunikation funktioniert – unterstützen.

Abstract Flood protection concept for Realp () In Realp (canton Uri, Switzerland) inundations can take place if the Reuss has a high water level (> HQ50, depending upon sediment discharge). Such situa- tions can happen rather fast and unexpectedly. In order to prevent inundations, temporary safety measures for buildings are installed. For the monitoring of the water level of the river Reuss and the alerting of the task forces, different measuring instruments were installed. For preliminary warning in the catchment area, precipitation and temperature measuring points were built. The measuring data are transferred by means of light wave cables and/or GSM connection to a computer in the train station of Realp. Beside the automated evaluations, visualizations and alerting on location, the data will be led to the specialist department of the canton in a later project phase. Thus both local as well as superordinate decision makers are supplied with the relevant flood data in the demanded time intervals, relevant for them. Keywords: temporary safety measures, preliminary warning, automated evaluations, relevant flood data