Dirk Schubert Der größte Slum Asiens: () – Von Fehlschlägen der „Sanierung“ zum Modellprojekt?1

Im Jahr 2003 hatte die UN-Habitat (2003a) den (meist informellen) Ökonomien im Slum erstmals einen Bericht über den Stellenwert vielerlei Gewerbe entstanden sind, dass da- und die Entwicklung der Slums weltweit vor- mit (prekäre) Einkommen erwirtschaftet wer- gelegt. Demnach leben ca. 32 % der Welt- den können und das „Funktionieren“ der Me- bevölkerung in Slums. Es wird davon ausge- tropolen ohne die Dienstleistungen der Slum- gangen, dass die Zahl der in Slums lebenden bewohner (die neue „Dienerklasse“) kaum Menschen von derzeit ca. einer Milliarde mehr vorstellbar ist. Die Verbesserung der Menschen sich in den nächsten 30 Jahren Wohnverhältnisse und Lebensbedingungen verdoppeln wird. Im Bericht werden erstmals muss demnach die Erwerbsmöglichkeiten einheitliche Definitionen von „Slum“ entwi- berücksichtigen. Abriss, Verdrängung, Vertrei- ckelt: „A slum is an area that combines the bung und Neubau lösen die Probleme nicht, characteristics of a)inadequate access to safe sondern verlagern sie und sollten möglichst water; b) inadequate access to sanitation and vermieden werden (UN Habitat, 2003a:xxvii). other infrastructure; c) poor structural quality Hintergrund dieser Empfehlung sind jahr- of housing; d) overcrowding; and e) insecure zehntelange Erfahrungen der Slumsanierung residential status“ (UN-Habitat, 2003a). Frauen in allen Erdteilen und Evaluierungen der UN- und Kinder werden innerhalb der hetero- und Weltbankprogramme, die jahrzehntelang genen Struktur als besonders benachteiligte auf ähnlichen Strategien basierten. Vor dem Gruppen in den Elendsvierteln identifiziert. Hintergrund dieser globalen Erfahrungen er- „Der Mangel an Toiletten ist für Frauen ver- staunt es umso mehr, dass in Mumbai weiter heerend. Es ist eine schwere Beeinträchtigung auf die „Lösung“ Abriss der Hütten und Neu- ihrer Würde, Gesundheit, Sicherheit und Pri- bau in Form von Geschosswohnungen ge- vatsphäre und indirekt ihrer Bildung und Ar- beitsfähigkeit“ (zit. nach Davis, 2006:147). setzt wird.

Das Ziel „ without Slums“ (Target 11) von In diesem Beitrag werden eingangs die Be- UN-Habitat ist hoch gesteckt. Eine Gruppe ist sonderheiten des Wohnungsmarktes in Mum- eingerichtet worden, um für die Erreichung bai beschrieben, die diversen Initiativen zur dieses Ziels mittels eines Monitoring-Verfah- Slumsanierung aufgeführt, die Bestands- rens zu kontrollieren. Vergleichbare Indika- strukturen im größten Slum in Dharavi dar- toren und Definitionen sind zur Evaluierung gestellt und die – für europäische Maßstäbe entwickelt worden. So werden in Mumbai die – ungewöhnlichen Initiativen zur „Sanierung“ pavement dweller („Bürgersteigbewohner“) ausgeführt und bewertet. Die im Beitrag an- und Bewohner von chawls (herunter gekom- gegebenen Daten sind nicht als statistisch mene Wohnbauten mit Kleinstwohnungen), „gesicherte“ Informationen zu interpretieren. obwohl es sich um slumähnliche Behau- Sie sind teilweise widersprüchlich, nur vom sungen handelt, in der amtlichen Terminolo- dem Hintergrund von unterschiedlichen In- gie nicht zu Slumbewohnern gerechnet (UN- teressen sowie von besonderen Entstehungs- Habitat, 2003b:70). Im Bericht wird allerdings und Verwertungszusammenhängen zu inter- ein bemerkenswerter Paradigmenwandel pretieren und in der Regel nicht kleinräumlich vollzogen: Es wird darauf verwiesen, dass in und aktuell belegt.

99 Slums in Mumbai mehr gezählt, sondern ihre Dimensionen per Satellit geschätzt. Die Kehrseite des Booms der indischen Wirt- schaft ist die Horrorspirale von Bevölke- Der Nobelpreisträger John Kenneth Galbraith rungswachstum und Massenarmut (Imhals- hat Indien und Mumbai treffend als „funk- ly, 2008:15). Für städtische Zuwanderer bil- tionierende Anarchie“ gekennzeichnet. Die den Slums eine „Lösung“, nicht das Problem. über 5.000 Dabbawallas – ein komplexes Über 55 % der städtischen Bevölkerung lebt ausgefeiltes System von Kurieren, die täglich in Indien in Slums (Davis, 2006:29). Alle der- Hunderttausenden von Angestellten das Es- artigen Zahlenangaben sind problematisch, sen ihrer Frauen an den Arbeitsplatz bringen da die Zahl der Slumhaushalte dabei von den – sind ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie Behörden häufig und absichtlich klein ge- eine Versorgung unter derartig chaotischen rechnet wird. Belegt werden kann immerhin, Bedingungen funktionieren kann. Die Le- dass es sich nicht um „Minderheiten“ handelt, bensmittelversorgung und die Restaurants sondern in etlichen Großstädten die Mehr- basieren weitgehend auf Kinderarbeit (Appa- heit der Bevölkerung in Slums lebt. Eine Un- durai, 2001:27). tersuchung ergab, dass 2005 fast 5.000 Poli- zisten in Slums leben. Die Elendsviertel sind 1995 wurde der Stadtname portugiesischen nicht mehr das hässliche Nebenprodukt des Ursprungs, Bombay („Bom Bahia“), in Mum- urbanen Molochs, sie sind eher die Norm als bai – nach der hinduistischen Lokalgöttin die Ausnahme (Kriener, 2006:3). Diese Mehr- Mumbadevi – umbenannt, um die koloni- heiten sind auf ein Elendsdasein „am Ran- ale Vergangenheit aus dem Stadtnamen zu de“ verwiesen. Die Menschen in den gigan- tilgen. Mumbai weist eine junge Bevölke- tischen urbanen Wucherungen werden nicht rungsstruktur auf: Ein Drittel der Bewohner ist unter 20 Jahre alt. Die durchschnittliche

Abb. 1 Land Use Plan Mumbai Region 1996-2011 Abb. 2 Zentral gelegene vormalige Fabrikareale (Mumbai Metropolitan Region, 2008) (Quelle: D’Monte, 2002) 100 Haushaltsgröße liegt bei 5,1 Personen pro dratkilometer, in Teilen über 48.000 Personen Haushalt. Ca. 40 % der Haushalte leben un- (Risbud, 2003:2), angegeben, einigen Autoren terhalb der Armutsgrenze von umgerechnet zufolge die zweithöchste Bevölkerungsdichte ca. 17 Euro im Monat. Um 1960 waren 30 % in allen Städten der Welt nach Hongkong. der Beschäftigten und 66 % der der Fabrik­ angestellten aus dem Bundesstaat Maha- Es gibt einen dramatischen Mangel an Woh- rashtra in Großbombay lokalisiert, wo 75 % nungen für einkommensschwache Haus- des industriellen Outputs konzentriert waren halte, keine Trinkwasserversorgung, eine (Desai, 1995:21). Derzeit arbeiten ca. 80 % der unzureichende Gesundheitsversorgung und Menschen im „Dienstleistungs“-Sektor, der kaum (bezahlbare) öffentliche Verkehrsmittel. nicht mit dem tertiären Sektor in Ländern der Diverse Initiativen der Stadtverwaltung, des „Ersten Welt“ zu verwechseln ist. Der Anteil Bundesstaates (), der UNO und des rasch wachsenden informellen Sektors der Weltbank (Panwalkar, 1996:128) das Areal liegt bei 45 %. Mumbai ist in sechs Bezirke durchgreifend zu„sanieren“, scheiterten bisher aufgeteilt und wird von der Municipal Corpo- an ungeklärten Eigentumsverhältnissen, frag- ration of Greater Mumbai (MCGM) verwaltet. mentierten Zuständigkeiten, quasi-feudalen 1975 wurde die räumliche Einheit der Bom- Verhältnissen, Bürokratie und am Widerstand bay Metropolitan Region (BMR) eingeführt, der Menschen in Dharavi. Ein Umdenken wird die wiederum von der Bombay Metropolitan eingefordert: Die stadt-regionale Politik müs- Regional Development Authority (BMRDA, se wegkommen vom Reagieren auf Engpässe jetzt MMRDA) verwaltet wird. Über zehn Milli- und Missstände hin zu großen Schritten der onen Menschen benutzen täglich öffentliche vorausschauenden Planung. Verkehrsmittel, um zwischen Wohn- und Ar- beitsstätten zu pendeln (Mehta, 2006:249). „Bombay First“, eine Lobby-Organisation von einflussreichen Wirtschaftsführern, bestellte In den Slums stirbt jeder vierte Säugling im bei der Beratungsfirma McKinsey ein Gutach- ersten Lebensjahr, 250.000 Frauen sind in die ten, das der Stadt als Entwicklungsleitlinie Prostitution abgedrängt. Unterernährung, dienen soll (McKinsey Report 2003). Orientiert Hunger, Tuberkulose, Lepra, Rattenplage und an „London First“ geht es nicht um die Besei- Mückenplage sind die Schattenseiten der tigung von Engpässen und punktuelle Ver- Metropole (Nissel, 1999:404). besserungen, sondern um einen qualitativen Sprung vorwärts. Nach ehrgeizigen Plänen Es gibt in Mumbai ca. 2.000 Slums (in Mumbai („Mumbai Vision Plan 2003“) soll aus Mumbai auch „zopadpattis“ genannt; Risbud, 2003:7). bis 2013 eine „Weltklasse-Stadt“ werden. Das Von ca. 18,5 Millionen Menschen leben hier Shanghai auf dem indischen Subkontinent ca. 10 Millionen in Slums (das entspricht et- ist intendiert. Mumbai sei, so die Gutachter, wa der Bevölkerung Schwedens). Täglich an einem kritischen Punkt angelangt. Ohne kommen ca. 300 neue Familien in die Stadt Wende drohe der städtische Kollaps und ein der „großen Versprechungen“. Damit lebt et- 40 Milliarden US-Dollar umfassendes Investiti- wa die Hälfte der Bevölkerung in Mumbai in onsprogramm wird vorgeschlagen (ein Viertel Dörfern aus Wellblech, Planen oder haust in davon aus öffentlichen Budgets). Einen zen- Zelten. Über 40 % der „Häuser“ sind kleiner tralen Stellenwert haben dabei neben der Ver- als 10 qm und drei Viertel der Slumbewohner besserung der Infrastruktur die Verschlankung sind auf Gemeinschaftstoiletten verwiesen. der Verwaltung, ein effektiveres Governance- Eine funktionierende Müllabfuhr gibt es in system sowie vor allem der Wohnungsbau. den Slums nicht. Die Müllsäcke werden auf die Straße oder auf Bahngleise geworfen. Die Ungefähr 1,1 Millionen neue Wohnungen (durchschnittliche) Bevölkerungsdichte wird im mietpreisgünstigen Segment sollen ent- in Mumbai mit ca. 30.000 Personen pro Qua- stehen und der Wohnungsbestand aufge-

101 wertet werden. „In Mumbai you pay first Erfolgreich wird die „Vision Mumbai“ nur sein world prices for third world amenities and können, wenn es gelingt, den Kreislauf der services“(McKinsey, 2003:20). Der Anteil der Marginalisierung durch stärkere Teilhabe an Slumbewohner soll von 50 bis 60 % auf 10 bis der städtischen Ökonomie aufzubrechen. 20 % gesenkt und die Mietbelastungen sollen gesenkt werden. , Begründer Luftverschmutzung, Hitze, Unterernährung, einer neuen, eigenständigen indischen Ar- Dreck, vorbeirasende Lastwagen und Autos chitektur und ein Experte der Slumsanierung und unglaublicher Gestank kennzeichnen in Mumbai, bewertete den Plan wie folgt: das „Monster“ Mumbai. Bettelnde Kinder krat- „There’s very little vision. They’re more like zen an den Autoscheiben. Viele Elendsviertel, hallucinations“ (zit. nach Mehta, 2006:243). Im Straßenstreifen und Bereiche entlang der Mumbaier Stadtentwicklungsplan 2005-2025 Bahn werden von „Slum-Lords“ beherrscht, werden diese Zielvorstellung aufgenommen die den Zuzüglern „Sicherheit“ und Gebiets- und der Spagat zwischen Wirtschaftswachs- schutz versprechen und im Gegenzug für je- tum und Verbesserung der Lebensqualität den Quadratmeter „Mieten“ verlangen. Inzwi- propagiert sowie wiederum dienstleistungs- schen ist die Stadt ohne die Krankenschwes­ basierten Bereichen eine Schlüsselstellung zu- tern, Kindermädchen, Köche und Haushalts- gewiesen. Es wird auf Rankings verwiesen, bei bediensteten, die in Slums leben, nicht mehr denen Mumbai abgeschlagen auf Platz 124 funktionsfähig. Der Kollaps der Infrastruktur von 130 Metropolen weltweit aufgeführt wird ist inzwischen (besonders in Monsunzeiten) (Karmayog, 2008). „normal“. Die „Mumbaikas“ sind dennoch trotz des täglichen Überlebenskampfes durch Ähnlich wie Shanghai für China gilt Mum- eine Hassliebe mit ihrer Stadt verbunden bai als Sinnbild des wirtschaftlichen Auf- (Nissel, 1999:347). Für viele ist Mumbai immer schwungs Indiens. Etwa 30 % des indischen noch die „ of Gold“, in der die Millionen Steueraufkommens werden hier erwirtschaf- Zuwanderer das große Glück erhoffen. tet. Im Jahr 2015 wird Mumbai mit 22 Millio- nen Einwohnern auf Platz zwei der bevölke- Für die Slumbewohner ergibt sich ein fataler rungsreichsten Metropolen der Erde aufge- Zirkel: „The poor cannot live in Central Bom- rückt sein (BPB, 2008). Wie in ein kaum einer bay because the land is too expensive; they anderen Metropole treffen in Mumbai Luxus cannot live on the outskirts because they can- und Reichtum, Immobilienpreise wie in Man- not afford to commute. Slum settlement and hattan und unglaubliche Armut aufeinan- the pavements are their only alternative” (De- der. In Mumbai leben mehr Millionäre als in sai, 1995:112). Der Anteil der Slumbewohner allen anderen indischen Städten zusammen. an der Gesamtbevölkerung in Mumbai stieg Das Mietpreisniveau für Wohnraum ist hier von 1951 ca. 12 %, auf 1991 ca. 50 % und bis angeblich das dritthöchste in Asien und das 2001 auf über 63 %. sechshöchste weltweit. Das Elend „vor der Tür“ und der „Reichtum hinter dem klimati- Verwerfungen auf dem Wohnungsmarkt wer- sierten Hauseingang“ bilden eine funktionale den durch das Bombay Rent Act befördert. Einheit. Millionäre und Habenichtse leben Hiernach sind die Mieten auf dem Stand von dicht beieinander. Armut und Reichtum sind vor 30 Jahren eingefroren. Inzwischen ha- immer in Sichtweite. Die Slums verteilen sich ben sie sich teilweise verhundertfacht. Durch auf ärmere und wohlhabendere Wohnviertel. Mietpreisbegrenzung sind Instandhaltungen Im Stadtplan sind diese Elendsviertel diskret nicht möglich und Kündigungen unmöglich. (braun) als „Zoppadpattis“2 (zp) eingetragen. Das wiederum führt dazu, dass Eigentümer ih- Die Baukosten des 60-geschossigen Palastes re Wohnungen absichtlich leer stehen lassen. des Milliardärs Mukesh Ambani werden da- Die Mietpreisbindung hat zu einer Kriminali- gegen auf eine Milliarde Dollar geschätzt. sierung des Wohnungsmarktes geführt, un-

102 Abb. 3 Vermerk von Slumarealen auf dem Stadtplan: Abb. 4 Areal von Dharavi (Quelle: Sharma, 2000) Dvavari (Quelle: Mumbai City Map, 2006)

liebsame Mieter werden ermordet, vertrieben Gemeinschaftstoiletten für sechs Familien. oder eingeschüchtert. Vertreibungen sind Sie sind meist heruntergewirtschaftet und eine lukrative Nebenbeschäftigung der orga- unterscheiden sich kaum von den Elendsvier- nisierten Kriminalität. Eine durchaus im Sinne teln. Die Chawls wurden u. a. vom Bombay der Mieter intendierte wohnungspolitische Im­prove­ment Trust (BIT) für untere Bedien- Maßnahme wurde so ins Gegenteil verkehrt. stete wie Polizeiangestellte und Hafenarbei- ter gebaut, um ihre Wohnbedingungen zu Ähnlich entgegen der Intention wirkte das verbessern. Von den Chawls sind 20.000 mit Urban Land (Ceiling and Regulation) Act aus ca. zwei Millionen Menschen einsturzgefähr- dem Jahre 1976. Mit dem Gesetz wurde eine det, und wegen der Schlupflöcher im Rent- Grundbesitzobergrenze (500 m2) vorgege- Control-Gesetz wurden Reparaturen sträflich ben, die nicht überschritten werden sollte. vernachlässigt. Mit dem Gesetz wurde ein War dies der Fall sollte der überschreitende funktionierender Mietwohnungsmarkt fak- Teil gegen finanzielle Entschädigung in staat- tisch abgeschafft, mit dem Ergebnis geringer lichen Besitz übergehen und das Land zum Wohnungsneubautätigkeit, fehlenden Neu- Wohnungsbau für untere Einkommensgrup- baus für einkommensschwächere Haushalte pen genutzt werden. Ungeklärte Eigentums- und vollkommen unzureichender Instandhal- verhältnisse und Deals mit der Verwaltung tung des Bestandes. In der Monsunzeit sind haben bewirkt, dass diverse innerstädtische etliche in Einfachbauweise erstellte Chawls Areale nicht bebaut werden und wiederum bereits zusammengebrochen. Diverse Chawls von Slumbewohnern okkupiert werden. sind auch (illegal) zu Gewerberäumen um- genutzt worden. Die meist innenstadtnahe, verkehrsgünstige Lage der Chawls bietet den Slums zum Verkauf Bewohnern Vorteile auf dem Arbeitsmarkt; sie sind vor Räumungen sicher, aber vielfach Der Wohnungsmarkt in Mumbai ist wenig waren die Räume vollkommen überbelegt transparent. In Ensembles errichtete Chawls (Desai, 1995:112). sind Mietshäuser privater Unternehmen oder von Behörden mit 15-m2-Wohneinheiten Entlang von Bahntrassen sind Hütten – teil- mit Kochplätzen, in denen ein sechsköpfiger weise mit einem Abstand von weniger als Haushalt leben muss, mit breiten Fluren und einem Meter von den Gleisen entfernt – ent-

103 Abb. 5 Pavement Dweller (eigenes Foto) Abb. 6 Pavement Dweller (eigenes Foto) standen. Kürzlich wurden 60.000 Bewohner wollen wir in unser Dorf zurück. Was nützt so (freiwillig) aus der Nähe der Bahngleise umge- eine große Stadt? Lärm und Menschenmen- siedelt (Patel u. a., 2002:160). In Zügen, die für gen, kein Platz zum Wohnen, Wassermangel, max. 1.700 Personen ausgelegt sind, fahren überall Müll. Schrecklich“ (Mistry, 2004:19). teilweise bis zu 4.500 Menschen. Über 20.000 Es gibt Menschen, die bereits in der zweiten Haushalte haben eine Bleibe im Abstand von oder dritten Generation auf den Gehsteigen 25 Metern von Bahngleisen aufgeschlagen. ihr Dasein fristen müssen. Viele der „pavement Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Züge dweller“ sind „street children“, die für einen muss wegen der gefährlichen Nähe u. a. zu Abschnitt auf dem Gehsteig an einen „Kon- Kindern und unaufmerksamen Personen re- trolleur“ eine „Miete“ zahlen. duziert werden. Durch das Umsiedlungsvor- haben sollen mehr und schneller fahrende Über die Stadtregion Mumbai verteilt gibt Züge eingesetzt werden und die Kapazitäten es eine Vielzahl von kleineren und größeren um 35 % erhöht werden. Züge töten ca. 4.000 Slumbereichen wie z. B. Airport East. Viele Slumbewohner jährlich, täglich gibt es zehn dieser Elendsviertel weisen noch ungleich Tote zu beklagen. Die umgesiedelten Bewoh- schlechtere Lebens- und „Wohn“-Bedin- ner bildeten Genossenschaften, wurden in gungen als Dharavi auf. Ein Slum der Kol-Fi- mehrgeschossige Wohnblocks umgesiedelt scher gegenüber von wurde und erhielten eine einmalige Entschädigung achtmal von „Unbekannten“ gebrandschatzt in Höhe von 20.000 Rs (ca. 310 Euro). und entstand an der gleichen Stelle immer wieder (Nissel, 1999:402). Viele Menschen nächtigen auf den Bürger- steigen („pavement dwellers“) ohne ein Dach Für höhere Einkommensgruppen werden über dem Kopf. Kopf an Kopf schlafen Tau- Satellitenstädte, New Towns oder Integra- sende am Straßenrand auf dem Asphalt ohne ted Townships angeboten. Sie zeichnen sich schützende Behausung. Wenn es regnet, be- durch Abgrenzung nach Außen und ein Kom- decken Plastiktüten die Schlafenden. Ihre Zahl plettangebot im Inneren des Quartiers aus. wurde im Jahr 2000 auf ca. 500.000 bis 700.000 Derartige „islands of housing and commer- Menschen geschätzt (Nissel, 1999:404). Sie le- cial excellence“ sollen u. a. auf dem Gelände ben immer noch unter der ständigen Gefahr der Textilfabriken und im Bereich von Arealen ihre provisorische Bleibe zu verlieren und der Hafenbehörde entstehen. geräumt zu werden (Bapat, 1992:2217). In seinem Roman über Bombay 1975 lässt der Das größte Vorhaben in Mumbai bildete in Romanautor Rohinton Mistry seinen Akteur, diesem Kontext die Planung und der Bau einen Schneider, nach der Ankunft in der von Navi-Mumbai (Neu Bombay) auf einer Stadt sprechen: „Wir sind nur für kurze Zeit ge- Halbinsel östlich gegenüber Bombay (Ra- kommen, um etwas Geld zu verdienen, dann je, 2002:22). Das ambitionierte Projekt war

104 der Bahnlinien wurden nicht gezählt und können weiter unproblematisch geräumt werden (Sharma, 2000:164). Nach dem 2001 beschlossenen „Slum Areas Improvement, Clearance and Redevelopment Act“ haben auch Personen, die in Wählerlisten eingetra- gen sind einen gewissen Räumungsschutz.

Neuer Wein in alten Schläuchen?

Abb. 7 Behausungen in Dharavi (eigenes Foto) Die Slumsanierungspolitik in Mumbai lässt an den britischen New-Town-Planungen ori- sich grob in vier Phasen einteilen: entiert und sah klar definierte Siedlungsein- • 1950-70 Zwangsräumungen und Abrisse heiten mit Infrastrukturen und Arbeitsplät- • 1970-80 Aufwertung und Verbesserungen zen vor. Die Realisierung des von der City and • 1980-90 Kooperationen zwischen Bundes- Industrial Development Corporation of Ma- staat/Stadt und NGOs harashtra (CIDCO) als Entwicklungsträger be- • ab 1990 Private Public Partnerships triebenen Vorhabens verzögerte sich jedoch (projektiert für ca. zwei Millionen Einwohner, Im Jahr 1977 wurde die Maharashtra Housing Stand 1995: 770.000 Einwohner) und die Pla- & Area Development Authority (MHADA) ein- nungsziele wurden immer stärker verwäs- gerichtet, bei der die Befugnisse zur Slumsa- sert. Die geplanten Siedlungsbereiche sind nierung für Mumbai mit dem Mumbai Slum inzwischen von unkoordinierten privaten Improvement Board konzentriert werden Einzelbauvorhaben und zunehmend auch sollten. Umgehend waren viele ehrgeizige von Slums überformt (Shaw, 2004:238). Pläne begonnen worden, um mit den Slums „aufzuräumen“. 1985 wurde ein von der World Die Grundstücke der stillgelegten Textilfa- Bank finanziertes Slum Upgrading Program briken bilden eine andere attraktive inner- (SUP) initiiert („Shelter Project“), das von der städtische Grundstückreserve, die ungenutzt MMRDA „abgewickelt“ wurde. Um Popularität ist (D’Monte, 2002:187). Nach den Streiks und und Wählerstimmen zu gewinnen wurde das dem folgenden Zusammenbruch der Tex- Programm 1985 von Bombay auf Maharashtra tilindustrie in Mumbai nach 1982, einst der ausgeweitet. Aber Widerstand der Slumbe- Stolz Bombays, „strandeten“ viele Arbeiter wohner, unklare Prioritäten, fehlende Ersatz- und ihre Familien in Dharavi. In einer Studie flächen und bürokratische Hemmnisse ließen des Charles Correa Committee wurden 58 nur wenige Haushalte vom Programm profi- derartige Areale identifiziert. Die Auflage, im tieren, das schließlich 1994 eingestellt wurde. Rahmen der Umnutzung ein Drittel Sozial- wohnungen und ein Drittel für Parks, Schu- Ab 1985 wurde zusätzlich das 20 Millionen len und Spitäler einzuplanen, führte nur zum US-Dollar Sonderprogramm des - weiteren Verfall dieser eingezäunten Areale. ministers (Prime Minister’s Grant Project – PMGM) aufgelegt. Der damalige Ministerprä- Im Jahr 1976 wurde erstmals ein Zensus von sident Rajiv Gandhi hatte Dharavi besucht Slums auf öffentlichem Grund durchgeführt. und in der Folge ein groß angelegtes Sanie- Die damals registrierten Bewohner erhielten rungsprogramm initiiert, um Wählerstimmen einen „Photopass“ und damit ein Zertifikat, zu gewinnen und um den Stellenwert der dass sie im Falle einer Räumung umgesiedelt Slumsanierung für die Zentralregierung sym- würden. Viele Tausende von pavement dwel- bolisch zu dokumentieren. Der Fokus wurde lers und Haushalte mit Behausungen entlang dabei nicht zuletzt aus politischen Gründen

105 auf Bombay – in Dharavi war vorwiegend dominierende Partei bürokratische die national regierende Congress Party ge- Hemmnisse vor und suchte sich (wohnungs-) wählt worden – gelegt, wo auch punktuelle politisch gegenüber der Congress Partei zu Verbesserungen im Bereich der Versorgungs- profilieren. und Verkehrsinfrastruktur erzielt wurden. Dharavi würde zu einem indischen Singapur Diese Misserfolge beförderten aber einen umgebaut werden, proklamierte ein Bundes- Paradigmenwechsel weg von Abriss und minister. Genossenschaften von Slumbewoh- Neubau hin zur Bestandssicherung und Auf- nern wurden 18 qm große Wohneinheiten in wertung. Seit Ende der 1980er Jahre wird Mietblocks zur Verfügung gestellt. Ca. 35.000 ver­stärkt auf „Enabling“-Strategien gesetzt. Haushalte sollten neue Wohnungen erhalten, Es wurde deutlich, dass die Abrisse keine ca. 20.000 Haushalte umgesiedelt werden. (wohnungspolitische) Perspektive bildeten, sondern nur neue Probleme an anderer Stelle Die 1984 gegründete NGO „Society for the schufen. Im Kontext einer neuen nationalen Promotion of Area Resource Centre“ (SPARC) Wohnungspolitik (National Housing Policy, entwickelte 1987 einen „People’s Plan for NHP) sollten Wohnraum für untere Einkom- Dharavi“, der eine Wiederunterbringung von mensgruppen gebaut werden und die Slums mehr Haushalten als das PMGM-Projekt vor- (teil-)legalisiert werden. sah und auch die Gewerbeeinheiten bei der Umsetzung berücksichtigte. Anstelle von Das bundesstaatliche Slum Redevelopment den Wohneinheiten zugeordneten Toiletten Scheme (SRD) 1991 und das Slum Rehabi- waren im SPARC-Plan Gemeinschaftstoiletten litation Scheme (SRS) 1995 folgten (Mukhi- vorgesehen. Zur Kostenreduktion sollten im ja, 2003:19). Verstärkt sollte nun der private Rahmen von Selbsthilfe die Bewohner an den Sektor in die Sanierung und der Ersatzwoh- Bauarbeiten beteiligt werden. Damit sollten nungsbau einbezogen werden. Die Partei die Wohnungen unattraktiv für besser gestell- Shiv Sena, die die Wahlen 1995 gewann, hatte te Haushalte sein und eine mögliche „Gentri- als Wahlversprechen die Parole von vier Milli- fizierung“ ausgeschlossen werden. In Dharavi onen Neubauwohnungen für Slumbewohner eskalierten die Konflikte bei der Implementie- „umsonst“ ausgegeben. Alle Slumbewohner, rung in einem Teilbereich in Markandeya, wo auch die pavement dweller, sollten vom radi- sich die Markandeya Cooperative Housing kalen Umschwung in der Slumsanierungs- Society (MCHS) aus Slumbewohnern gegrün- politik profitieren. Das SRS sah kostenfreie det hatte. Unterschiedliche Stakeholder auf Neubauwohnungen und einen einmaligen nationaler, bundesstaatlicher, städtischer Zuschuss in Höhe von 20.000 Rs (ca. 310 Euro) und lokaler Ebene, neben parteipolitischen vor. Die Slumbewohner waren in Geschoss- Interessen und den Bemühungen interme- wohnungen „umzusetzen“ und die Woh- diärer Organisationen ließen zehn Jahre ins nungsbauunternehmen konnten dann die frei Land gehen, bevor in Markandeya die ersten geräumten Areale mit teureren Wohnungen Wohnungen endlich bezugsfertig waren. bebauen. Die nationalstaatliche Housing and Urban Development Corporation (HUD- Verzögerungen beim Neubau, Bürokratie, CO) und die bundesstaatliche Maharashtra Korruption, Probleme mit der Zwischen- Housing and Area Development Authority umsetzung, geringe Beteiligung, knappes (MHDA) waren und sind an der Umsetzung Bauland und gestiegene Baukosten ließen und Finanzierung der Programme beteiligt. zudem weniger Wohnungsneubauten als in- tendiert zu. In Mumbai wird bei Immobilien- Die Stadtverwaltung von Mumbai hat der geschäften üblicherweise die Hälfte („white“) Slumsanierung neuerdings einen hohen Stel- per Scheck und die andere Hälfte („black“) lenwert eingeräumt. Aufgaben, die von der bar bezahlt. Zudem schob die lokal damals Stadt nicht geleistet werden können, werden

106 damit in Form von private-public partnerships an private Träger übergeben. Der Umbau von Dharavi wird dabei als besonders dringliche Aufgabe eingestuft, da damit Mumbai das Image als die Metropole mit dem größten Slum Asiens zu gelten, zugewiesen erhält.

Dharavi, „das Harlem von Mumbai“?

Dharavi in Mumbai gilt als der größte Slum in Abb. 9 Hütten an über Sielanlagen in Dharavi Asien (Desai, 1988:69) und liegt in unmittel- (eigenes Foto) barer Nähe zum Finanzviertel -, eingepfercht zwischen zwei Eisenbahntras- Zentralregierung, der Bundesstaat Maha­ sen in der Nähe des Flughafens. Dharavi hat rashtra, die Stadt, Bahngesellschaften, die dabei einen besonderen Status unter den Flughafengesellschaft und diverse private Ei- Armutsvierteln in Indien. Mit einer Mischung gentümer (Sharma, 2000:165). aus Stolz und emotionalen Bindungen ist ein Mythos von einem Harlem in Mumbai – nicht Um Wasser zu bekommen, müssen Frauen ohne Romantisierung des Elends – entstan- bis zu zwei Kilometer laufen, anstehen und den. Einige Familien leben bereits in der drit- Nummern ziehen. Häufig werden Wasserlei- ten Generation in Dharavi. Viele der illegal tungen angezapft, um an Wasser zu gelan- und behelfsmäßig errichteten Hütten sind gen. Ein Drittel des städtischen Leitungswas- mit (gestohlenen) Telefonen und Farbfernse- sers gehen damit „verloren“. Aber Mumbai hern und (abgezapftem) Strom versorgt. Ein hat es bezogen auf die Wasserversorgung Fernsehapparat steht in fast jeder Hütte. und Abwassersysteme („politics of shit“) nie zu einer Grundversorgung für alle Bevölke- Eine Definition und räumliche Abgrenzung rungsgruppen gebracht. „Unsichtbare“ In- von Dharavi ist fast unmöglich. Auch klaf- vestitionen in die unterirdische Infrastruktur fen die Schätzungen der Bevölkerungszahl taugen wenig gut zu symbolischer Politik in „offiziellen“ und „inoffiziellen“ Daten weit und erbringen selten große Wahlerfolge. Die auseinander. Dharavi bildet keine homogene Trinkwasserknappheit ist eklatant. Im Jahre Struktur, sondern ergibt sich aus Clustern 2005 verloren vierhundert Menschen ihr Le- sehr unterschiedlicher ethnischer, religiöser, ben, weil ihre Notunterkünfte vom Wasser gewerblicher und baulicher Einheiten mit le- weggespült, unter Erdmassen verschüttet galen, semilegalen und illegalen Strukturen. oder einfach überschwemmt wurden, da die Dharavi bildet damit einen Spiegel des Mo­ Wassermassen nicht ablaufen konnten (Gan- saiks der Landstriche und Ortschaften ganz dy, 2007:26). Die Hütten der Armen und der Indiens. Anfang der 1990er Jahre wurden Abfall der Reichen verstopfen Rinnsteine und 72 Tempel, sechs Kirchen und elf Moscheen Kanäle. Zur Monsunzeit versinken viele Hüt- gezählt. Als Sprachen sind Hindi, Urdu, Ma­ ten im Schlamm. Meterhohe Überschwem- rathi und Englisch, häufig auch Mischformen, mungen verwandeln während der Regenzeit präsent. Ein Survey durch die Regierung er­ Straßen in Müllkloaken. Es stehen inzwischen gab 1987 55.000 Haushalte, während durch ca. 80 Latrinengebäude zur Verfügung. Aber die National Slum Dweller’s Foundation die öffentlichen Großtoiletten sind eklig und (NSDF) 106.000 Familien mit einer durch- werden ungern benutzt (Fuchs, 2007:77). Der schnittlichen Haushaltsgröße von 6,2 Per- Kanal, der Dharavi entwässern soll, ist eine sonen gezählt wurden (Sharma, 2000:173). Kloake mit Plastikflaschen, Blechdosen, Kü- Grundeigentümer sind in Dharavi neben der chenabfall und Exkrementen.

107 Die ethnische Vielfalt und das Zusammenle- Gewalt, Kriminalität, Slumlords und die Hilf- ben von Hindus und Moslems gestalten sich losigkeit der Polizei herausgestellt. Gegenü- nicht unproblematisch. Knapp ein Drittel ber dieser Darstellung in der Presse und den der Bevölkerung sind Moslems die übrigen Medien ist Dharavi ein relativ „sicherer“ Slum. Bewohner mehrheitlich Dalit (die Unberühr- Ohne Eingreifen der Polizei haben sich Struk- baren im indischen Kastensystem), margi- turen und Mechanismen herausgebildet, nalisierte Gruppen mit niedrigem sozialen die das staatliche Gewaltmonopol teilweise Status (Fuchs, 2007:75). Bei der von der natio­ überflüssig machen (Sharma, 2000:131). nalistisch-hinduistischen Partei Shiv Sena geschürten Fremdenfeindlichkeit, die sich Der Zugang zu Krediten ist ein großes Pro- zu einer Moslemfeindlichkeit entwickelte, blem für die Slumbewohner ohne regelmäßi­ und den folgenden Aufständen 1991/93 gab ges Einkommen und ohne Aufenthaltsrechte. es viele Tote und die Lage blieb angespannt. Kleinkredite („small loans“) sind eine wich- Tendenziell und vor allem bei Ausschrei- tige Starthilfe für das lokale Gewerbe und zur tungen fliehen die Gruppen aus den Wohn- Aufwertung und Reparatur von Hütten und gebieten, wo sie eine Minderheit bilden, in Gebäuden. SPARC hat insgesamt zwischen Gebiete, wo ihre Religionsgruppe die Mehr- 1993 und 2005 fast 17.000 derartige Kredite heit bildet und sich damit eine „ethnische in der Höhe von fast einer Millionen Euro ver- Sauberkeit“ herausbildet (Eckert, 1999:11). geben können (Sparcindia, 2008b). SPARC hat Die von Nehru oft gebrauchte Multikulti-For- zudem mittels einer gemeinnützigen NGO mel von der „Einheit in Vielfalt“ verschleiert (Nirman SSNS) in Mumbai über 5.000 Mo- die Widersprüche und Konflikte, die sich vor dellwohnungen errichten lassen, die mit Re- allem in den Elendsvierteln zuspitzen und finanzierung über hochpreisige Wohnungen sich für religiöse und (partei-)politische Zwe- erstellt wurden. cke instrumentalisieren lassen.

Werden Hütten geräumt, werden sie sofort Netzwerke und informelle Ökonomien wieder aufgebaut. Einige Hütten wurden zweimal am Tag abgerissen und dreimal wie- Dharavi unterscheidet sich von anderen ähn- der aufgebaut. Nicht nur die elenden Verhält- lichen Slums vor allem durch eine vielfältige nisse, sondern die ständige Unsicherheit be- gewerbliche Struktur. Es gibt Champagner zu lastet das Leben der Menschen. Viele leben kaufen, aber keine Versorgung mit sauberem in ständiger Angst „aus öffentlichem Interes- Trinkwasser. Es gibt an Bücherständen Ratge- se“ geräumt zu werden. „Demolition Man“, ber- und Managementliteratur von Kindern G. R. Khairnar, kommunaler Beamter, brü- zu kaufen, obwohl viele nicht lesen können. stet sich damit 285.000 Hütten „abgeräumt“ In den Zeitungen ist neben brutalen Verbre- zu haben (Mehta, 2004:86). Überraschende chen von funktionierenden Nachbarschaften Räumungen gehören weiterhin zum „Reper- und Nächstenliebe zu lesen. In den 1960er toire“ der Verwaltung, um die Unsicherheit Jahren trug während der Prohibition die ille- unter den Slumbewohnern zu befördern und gale Schnapsproduktion zum Negativimage um ihren niedrigen sozialen Status zu doku- bei. Das Areal von Dharavi war zunächst ein mentieren. Allein 2004 wurden 60.000 Fami- Mangrovensumpf, wo entlang des lien durch Räumungen unter Polizeischutz Creek Fischer lebten. Ohne ein Boot konnten obdachlos und aus ihren Unterkünften ver- Fische aus dem kristallklaren Wasser gezogen drängt (Sparcindia, 2008a). werden (Neuwirth, 2005:120). Bald stießen Töpfer hinzu und Dharavi bot den Ankömm- Die Presse, die Medien und die Filmindustrie lingen aus dem ländlichen Uttar Pradesh eine („Bollywood“) haben erheblich zum Negativ­ erste Bleibe und Arbeitsmöglichkeiten in den image von Dharavi beigetragen. Hier werden bis in die 1970er Jahre boomenden Textilfa-

108 Abb. 8 Zuständigkeiten und Stakeholder in Mumbai (McKinsey, 2003)

briken in der Nähe. Die Nähe zum (später nach mer Amit Singh gilt als „Richard Branson von Deonar verlagerten) Schlachthofgelände in Dharavi“ (Jacobson, 2007:2). Bandra bot Möglichkeiten zur Einrichtung von Gerbereien und der Lederwarenherstel- Die etwa 2.000 Töpferfamilien gehören da- lung. Selbst Juweliergeschäfte und Schmuck- bei zu den relativ besser gestellten Gruppen, läden gibt es in Dharavi, wo Goldschmiede da ihnen teilweise auch Land gehört. An auf südindische Stücke spezialisiert sind. vielen Nähmaschinen werden Jeans produ- ziert und die Lederwaren werden auch nach In Dharavi haben sich Netzwerke der Selbst- Deutschland exportiert. Diese „heim“-basier- hilfe im informellen Sektor herausgebildet ten Jobs bilden für viele Haushalte – denen und lokale Ökonomien, die auf Recycling, „nur“ eine bessere Wohnung kaum weiter Müllsammeln, Lederwarenproduktion, Le- helfen würde – die Lebensgrundlage (Pan- bensmittelherstellung, Wäscherei, Druckerei walkar, 1998:2644). und Töpferei basieren (Sharma, 2000:107). Viele Menschen, der ländlichen Armut ent- Ca. 50 % der Bewohner, so Schätzungen, ver- kommen, arbeiten als fliegende Händler, dienen sich in Dharavi ihren Lebensunterhalt Dienstboten oder Träger, die Nahrungsmit- und es werden zwischen 300 und 400 Milli- tel und Wasser bis in die oberen Stockwerke onen Euro jährlich umgesetzt. Allein in der der Hochhäuser schleppen. Ca. ein Drittel der Plastikrecyclingindustrie arbeiten mehr als Erwerbstätigen ist außerhalb von Dharavi 5.000 Menschen und an jedem Tag werden beschäftigt. Häufig handelt es sich um ange- mehr als 3.000 Säcke mit Plastikmüll angelie- lernte Beschäftigungsverhältnisse bei öffent- fert. „Turning waste into wealth“ ist das Motto lichen Einrichtungen wie den Eisenbahnbe- von Recyclingbetrieben, und der Unterneh- trieben, im Hafen oder bei der Müllabfuhr.

109 Es gibt 25 traditionelle Bäckereien mit Holzö- ner peripheren zu einer zentralen Lage in der fen, diverse Lokale und Lebensmittelbetriebe Stadtregion. u. a. zur Sodawasserherstellung. Während ei- nige Firmen für den lokalen Markt arbeiten, In Mumbai existiert ein gut ausgebildetes, sind andere exportorientiert. Die Anstellung kaum überschaubares intermediäres Netz- und Bezahlung erfolgen in der Regel tage- werk mit über 100 NGOs (Burra, 2005:67; Ris- weise. Über 10.000 „Betriebe“ wurden bei bud, 2003:4). Einzelne gut organisierte Grup- einer Erhebung ermittelt. Niedrigste Löhne, pen haben durchaus eine starke Lobby in der Lärm, Gestank und kaum vorstellbare (ge- Stadt, so die Railway Slum Dwellers Federati- sundheitsgefährdende) Arbeitsbedingungen on, die Airports Authority Slum Dwellers Fe- kennzeichnen die Lage in den Betrieben. Kin- deration, die Pavement Dwellers Federation derarbeit bei schmutzigen und gefährlichen und das Dharavi Vikas Samiti (Dharavi Deve- Tätigkeiten und Aktivitäten wie Schmuggel, lopment Committee) sowie die überörtlich Schwarzbrennerei und Prostitution sind ver- agierenden SPARC (Society for the Promotion breitet (Sharma, 2000:86). of Area Resource Centres), die auch in Ma- dras, und vertreten ist, die Eine wichtige Institution sind die Dalais, Mit- NSDF (National Slum Dwellers Federation) telsmänner (Local Leader), an die Zahlungen und die SDI (Slum/Shack Dwellers Internati- für „Gefälligkeiten“ zu leisten sind. Bei diesen onal). Während einige NGOs als Vertreter der „Gebühren“ geht es u. a. um Zulassungen, Li- Armen zu agieren versuchen, wird anderen zenzen für Kleinbetriebe und Schutz. Sie ist Manipulation und das Einfangen von Stim- verkoppelt mit politischer Patronage, womit menpotential vorgeworfen. Stimmen gekauft werden. Die Kontrolle über viele Wohnungen beinhaltet daher mehr Der Architekt Mukash Mehta meint nun das Wählerstimmen und größeren Einfluss auf Patentrezept gefunden zu haben, gleich die Administration und Lokalpolitik. Dadas sind ganze Welt von Elendsvierteln erlösen zu dagegen lokale Gangster, die eine Gang „ein- können: „If I can make Bombay slum-free, setzen“ können. Zur Räumung müssen die I can make slum-free. And if I can do Landeigentümer vor dem Hintergrund dieser that, we can make the world slum-free“(The Gemengelage häufig auf die Dienstleistungen Globe and Mail, 2007:1). Mit der Philosophie von Gangs zurückgreifen (Eckert, 1999:4). der „Transferable development rights“ (TDRs) sollen Entwicklern besondere Möglichkeiten zugestanden werden, um die Sanierung Slum zum Verkauf – voranzutreiben (Municipal Corporation of Von der Hütte ins Hochhaus? Greater Mumbai, 2005:o.S.). Das planerische Instrument bilden die TDFs (Transferable De- Der zwei Quadratkilometer große Stadtteil velopment Rights), übertragbare Bebauungs- Dharavi soll nun einem modernen Viertel rechte mit höheren Dichten. Der Floor Space mit Büro- und Wohntürmen weichen und Index (FSI) beträgt z. B. 2,0, wenn ein 100 m2 die Blaupause für die weitere Slumsanierung großes Grundstück mit 200 m2 Nutzfläche bilden. Die Lage von Dharavi zwischen drei überbaut werden kann. Die diesbezüglichen Eisenbahnlinien (Central, Western und Har- Ausnutzungsziffern liegen bei vielen Slumsa- bour mit den Stationen , Mahim und nierungsvorhaben um 2,5 FSI. Sion), zwischen Flughafen und Stadtzentrum angrenzend an die Bürostadt Bandra-Kurla In diesem Kontext sehen die ambitionierten weckt Begehrlichkeiten der Immobilienwirt- Pläne von privaten Entwicklern und vom Ar- schaft. Größere Eingemeindungen in das chitekten Mukash Mehta für Dharavi nun administrative Gebiet Mumbais veränderten eine Flächensanierung und die Beseitigung für Dharavi die Lagegegebenheiten von ei- des „Schandflecks“ vor, neue Straßen, Infra-

110 strukturen, Schulen, Parks und Wohngebäu- Viele sind skeptisch, da sie sich die neuen de sollen entstehen. Mehta beklagt, dass Wohnungs- und Gewerbeflächenmieten ver- die Thematik der Slums in der Öffentlichkeit mutlich nicht leisten können, andere hoffen nicht wahrgenommen wird: „Talk about do- endlich auf eine durchgreifende Verbesse- ing something about Mumbai slums, and no rung ihrer Lebensbedingungen. Viele Gewer- one pays attention“ – „mission impossible“ be wie Töpfereien werden in den geplanten (zit. nach Jacobsen, 2007:2). Hochhäusern in einer Wohnung von 20 m2 nicht mehr möglich sein. Zwar sollen nach Mehr als hundert private Entwicklungsgesell- dem neuen Plan Gewerbegebiete ausgewie- schaften haben sich um die „Sanierung“ be- sen und Kellerräume für Gewerbe vorgese- worben (Petersen, 2007b:300). Das Vorhaben hen werden, in denen aber die alten Brennö- wurde von der Regierung mit dem Slogan fen nicht mehr genutzt werden können. Diese „the opportunity of the millenium“ beworben. Gruppen haben daher Widerstand im großen Es geht um ein Ausschreibungsvolumen von Stil angekündigt. Es stellt sich die Frage, ob zwei Milliarden Euro. Die größten indischen eine Aufwertung mit Berücksichtigung der Immobilienentwickler DLF, Tata Housing und Bewohnerinteressen möglich ist, ohne Ver- Reliance Energy haben sich neben über drei- drängung und die intendierte Planung eines ßig anderen ausländischen Gesellschaften wie „Weltklasse-Vororts“ mit Hochhäusern. Emaar aus Dubai und dem US-Unternehmen Tishman Speyer um den Zuschlag beworben. Gegner werfen der Regierung von Maha- rashtra vor, das Vorhaben ohne hinreichende Die Pläne für den neuen „Weltklasse-Vorort“ Voruntersuchungen und Befragungen der sehen auch Flächen für Gewerbebetriebe Bewohner „durchzupeitschen“. Auch intellek- nach der Sanierung vor. Etwa 57.000 Familien tuelle Kritiker wie Richard Sennett und Saskia sollen umgesiedelt werden. Bei Haushalts- Sassen haben sich an den indischen Premier- größen mit durchschnittlich fünf Personen minister Manmohan Singh gewandt, um die bekommen demnach nur 285.000 Menschen Pläne zu verändern. Auch wird diese Initiative nach der Umsetzung eine neue Wohnung, durch den Mumbaier Stadtentwicklungsplan der Rest wird wieder obdachlos. Mukeshs 2005-25 gestützt, und demnach soll Dharavi Plan teilt das Areal in zwölf Teilgebiete und mittels eines Masterplans zu einem belebten, sieht kostenfreie Wohnungen für die Umzu- gut geplanten städtischen Zentrum werden. setzenden vor. Wenn sie zwischen 350 und Die Strategie der Quersubventionierung mit- 700 Euro zahlen, werden sie auf dem Areal tels der TDRs wird im Stadtentwicklungsplan umgesetzt, sonst werden ohne Gegenlei- als das neue Patentrezept gesehen. stungen Wohnungen auf dem vormaligen Gelände der Salzgewinnung in Kanjur bereit- Der Präsident der National Slum Dwel- gestellt (Mukesch Mehta, 2009). lers Association erklärte dagegen: „Wir ha- ben die Macht, den Plan zu stoppen“ (Pe- Die indischen Behörden sehen in Dharavi die tersen, 2007a:28). Eine Blockade der angren- einmalige Chance aus einem Slum ein Mo- zenden Eisenbahnlinien würde den gesam- dellprojekt zu entwickeln. Die eingeschos- ten Nahverkehr zum Erliegen bringen. 6.000 sigen Hütten sollen durch siebenstöckige Slumbewohner blockierten im Juni 2007 das Häuser ersetzt werden, in denen die Slum- Regierungsgebäude, um gegen die Pläne zu bewohner eine kleine Wohnung zugewiesen demonstrieren. bekommen. Die übrigen Flächen sollen „op- timal“ verwertet werden, um die Slumsanie- rung zu refinanzieren. „Slumbai“ oder ein zweites Shanghai?

In Dharavi sind die Bewohner gespalten: Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die

111 (Wohnungsmarkt-)Strukturen in Mumbai, gal zugewanderten Bangladeshi wurden u. a. wenn man sich vergegenwärtigt, dass dort für die Überschwemmungen verantwortlich ca. 100.000 Wohnungen leer stehen. Den gemacht: „Their filth blocked the gutters“ (zit. Slumbewohnern (nicht nur) in Mumbai sind nach Eckert, 1999:5). Die Ineffizienz und Un- schon vielerlei Versprechung gemacht und zulänglichkeit rechtsstaatlicher Institutionen immer neue Sanierungspläne aufgelegt schafft rechtsoffene Räume, die mittels klien­ worden, die nie implementiert wurden (Pa- telistischer Machtbeziehungen der Slum- tel, 1995:2476). Patel (1996:1047) spricht von Lords und von lokalen Führern ausgenutzt einer kuriosen, risikoreichen Mischung aus werden. ambitionierten, dubiosen, hastig zusam- men gewürfelten Elementen, deren Umset- Ob nun Chinas boomende Städte wie Shang- zungsprobleme nie hinreichend bedacht hai mit ihren glitzernden Bürofassaden als wurden. Korruption und Bürokratie ließen Vorbild für Mumbai taugen, wird kontrovers die Slums immer weiter anwachsen und Ent- diskutiert. Dekontextualisert wird von Symp­ täuschungen bei den Betroffenen entstehen. tomen ausgegangen, ohne die vollkommen Mehrfach hat sich inzwischen auch Mehtas unterschiedlichen politischen und gesell- Konzept verändert, die Ausschreibung wurde schaftlichen Systeme zu bedenken. Es wird verzögert und nicht entschieden. darauf verwiesen, dass der Gini-Koeffizient – ein Index für ungleiche Einkommensvertei- Mehtas Konzept basiert auf der Annahme ei- lungen; 0 ergibt eine perfekte Gleichvertei- ner Win-win-Situation. Die Developer erhal- lung, 100 die größte Ungleichheit – in China ten innenstadtnahe Areale, um hochwertigen mit ca. 45 deutlich höher liegt als in Indien Wohnungsbau zu erstellen und zu verkaufen. mit ca. 37 (Deutschland 28). Ob ein kommu- Die Slumbewohner werden mit Gratis-Ein- nistisches Wirtschaftssystem mit Top-down- fachwohnungen in vertikalen Slums befrie- Planungen und ohne freie Wohnortwahl dem det und die Stadtverwaltung kann sich mit demokratischen System Indiens vorzuziehen „erfolgreichen“ Sanierungsmaßnahmen brü- ist, wird hinterfragt. sten. Wer macht den Anfang? „No one wants to be that unhappy guy driving the Bulldozer“, Bei aller Einzigartigkeit steht Mumbai als Mi- erklärt Mehta (Jacobsen, 2007:3). krokosmos für den ganzen Subkontinent. „Bombay is the future of urban civilisation on Die lokalen Eliten haben durchaus eine ge- the planet. God help us” (Mehta, 2004:3). Die- wisse Sympathie für die „Methode Bulldozer“. se Zukunft ist vor dem Hintergrund wachsen- Nach den Parlamentswahlen 2004 wurden der Polarisierung der städtischen Gesellschaft unter starkem Polizeischutz 91.000 Hütten eher als beängstigend einzuschätzen (Nis- zerstört und die Stadt hatte 350.000 Ob- sel, 1997:110). Strategien auf dem „Wege nach dachlose mehr. Vor der Wahl war eine Lega- Shanghai“ müssen in den Slums beginnen. lisierung in Aussicht gestellt worden. Aber Ziel war nicht die Lösung des Wohnungspro- Auch das Projekt von Mehta droht wie al- blems, sondern die Abschreckung weiterer le Sanierungsprojekte zuvor zu scheitern. Zuzügler. Der Führer der hinduistischen Lo- Gleichwohl wächst der Druck auf Dharavi. kalpartei Bal Thackerey sucht die Jugend auf Pläne für ein Megaunterhaltungszentrum in der Straße zu instrumentalisieren: „Junges Bandra-Kurla liegen in der Schublade und Blut, junge Männer, Jünglinge ohne Arbeit die Aufwertung beginnt am Rande des Slums sind wie trockenes Schießpulver. Sie können mit neuen Apartmentwohnungen. Neue, hö- jederzeit explodieren“(Süddeutsche Zei- heren sanitären Standards entsprechende tung, 2008). Diese Bewegung macht die ar- Wohnbedingungen – selbst wenn sie kosten- men ländlichen Zuwanderer für die sozialen frei gestellt werden – können die Lebensum- Probleme in Mumbai verantwortlich. Die ille- stände der Bewohner von Dharavi allerdings

112 nur in einem Teilbereich verbessern; es gilt Anmerkung zugleich die Erwerbsbedingungen zu sichern und zu verbessern. Dazu ist ein integrierter 1 Nun hat der Slum Dharavi es sogar in die Kinos ge- Ansatz erforderlich, der neben der Slumsa- schafft: Der mitreißende Film des Engländers Danny nierung auch die lokale Ökonomie (z. B. mit Boyles „Slumdog Millionär“ gewann in Hollywood acht Mikrokrediten) einbezieht. Oscars! Die strapaziöse Existenz indischer Kinder und Jugendlicher, Kinderarbeit auf Müllhalden, brutale Kin- Unlängst kündigte Premierminister Singh ei- derbettlersyndikate, kriminelle Gangs, Zuhälter sowie Konflikte zwischen Moslems und Hindus in Mumbais ne „Urban Renewal Mission“ und ein neues Slum Dharavi stehen im Zentrum des in Indien durch- Milliardenprogramm an, um die Lebens- und aus umstrittenen Films. Die Glitzerwelt der Reichen Wohnbedingungen in 60 Großstädten Indi- und die elenden Lebensverhältnisse der Armen mit ens und damit zugleich das Investitionsklima den wuchernden Slums werden an Originalschauplät- für ausländische Investoren zu verbessern. zen in der „Maximum City“ erkundet. Zwei Waisenjun- gen und ein Mädchen aus Dharavi bilden die zentralen Kofi Annan erklärte 2000 auf der Weltkon- Figuren einer Liebesgeschichte um die dramatisch in- ferenz „Urban 21“, die „Zukunft der Mensch- szenierte indische Variante der Fernsehquizshow „Wer wird Millionär?“. Der sich als Callcentermitarbeiter heit liegt in den Städten“. In Mumbai gibt es ausgebende pfiffige Teediener Jamal mischt die Show zeitgleich die Superlative von Reichtum und auf. „Das war unser Slum“ erklärt Jamals Bruder auf ei- Armut und eine weiter zunehmende Pola- ner Baustelle vor dem Hintergrund des abgerissenen risierung. Vergegenwärtigt man sich die Di- Slums und der schönen neuen Wohnhochhäuser. Neue mensionen der Not in Mumbai, so sind vor Realitäten oder Wunschdenken und Scheinwelten, wo allem die Probleme der Armut und der Slums sind die Orte für Werkstätten der Gerber, Töpfer und zu lösen. Hier wird die Schlacht gewonnen Schneider geblieben? Wird die Armut in Mumbai und oder verloren. Die terroristischen Anschläge anderen Slums wie Dharavi weiter tabuisiert werden, bleiben die Elendshütten, weiter alles wie gehabt, oder 2008 in Mumbai sind nicht nur vor dem Hin- gibt es eine Veränderungsperspektive: „Yes, we can“? tergrund religiöser und (außen-)politischer 2 „Ein Zoppadpatti ist keine Adresse. Das Gesetz ver- Spannungen zu bewerten, sondern auch In- langt, dass Lebensmittelkarten nur an Personen mit dikatoren für extreme soziale Ungleichheiten richtigen Adressen abgegeben werden können“ (Mi- in Mumbai und Indien. stry, 2004:255)

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