Der Größte Slum Asiens: Dharavi (Mumbai) – Von Fehlschlägen Der „Sanierung“ Zum Modellprojekt?1
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Dirk Schubert Der größte Slum Asiens: Dharavi (Mumbai) – Von Fehlschlägen der „Sanierung“ zum Modellprojekt?1 Im Jahr 2003 hatte die UN-Habitat (2003a) den (meist informellen) Ökonomien im Slum erstmals einen Bericht über den Stellenwert vielerlei Gewerbe entstanden sind, dass da- und die Entwicklung der Slums weltweit vor- mit (prekäre) Einkommen erwirtschaftet wer- gelegt. Demnach leben ca. 32 % der Welt- den können und das „Funktionieren“ der Me- bevölkerung in Slums. Es wird davon ausge- tropolen ohne die Dienstleistungen der Slum- gangen, dass die Zahl der in Slums lebenden bewohner (die neue „Dienerklasse“) kaum Menschen von derzeit ca. einer Milliarde mehr vorstellbar ist. Die Verbesserung der Menschen sich in den nächsten 30 Jahren Wohnverhältnisse und Lebensbedingungen verdoppeln wird. Im Bericht werden erstmals muss demnach die Erwerbsmöglichkeiten einheitliche Definitionen von „Slum“ entwi- berücksichtigen. Abriss, Verdrängung, Vertrei- ckelt: „A slum is an area that combines the bung und Neubau lösen die Probleme nicht, characteristics of a)inadequate access to safe sondern verlagern sie und sollten möglichst water; b) inadequate access to sanitation and vermieden werden (UN Habitat, 2003a:xxvii). other infrastructure; c) poor structural quality Hintergrund dieser Empfehlung sind jahr- of housing; d) overcrowding; and e) insecure zehntelange Erfahrungen der Slumsanierung residential status“ (UN-Habitat, 2003a). Frauen in allen Erdteilen und Evaluierungen der UN- und Kinder werden innerhalb der hetero- und Weltbankprogramme, die jahrzehntelang genen Struktur als besonders benachteiligte auf ähnlichen Strategien basierten. Vor dem Gruppen in den Elendsvierteln identifiziert. Hintergrund dieser globalen Erfahrungen er- „Der Mangel an Toiletten ist für Frauen ver- staunt es umso mehr, dass in Mumbai weiter heerend. Es ist eine schwere Beeinträchtigung auf die „Lösung“ Abriss der Hütten und Neu- ihrer Würde, Gesundheit, Sicherheit und Pri- bau in Form von Geschosswohnungen ge- vatsphäre und indirekt ihrer Bildung und Ar- beitsfähigkeit“ (zit. nach Davis, 2006:147). setzt wird. Das Ziel „Cities without Slums“ (Target 11) von In diesem Beitrag werden eingangs die Be- UN-Habitat ist hoch gesteckt. Eine Gruppe ist sonderheiten des Wohnungsmarktes in Mum- eingerichtet worden, um für die Erreichung bai beschrieben, die diversen Initiativen zur dieses Ziels mittels eines Monitoring-Verfah- Slumsanierung aufgeführt, die Bestands- rens zu kontrollieren. Vergleichbare Indika- strukturen im größten Slum in Dharavi dar- toren und Definitionen sind zur Evaluierung gestellt und die – für europäische Maßstäbe entwickelt worden. So werden in Mumbai die – ungewöhnlichen Initiativen zur „Sanierung“ pavement dweller („Bürgersteigbewohner“) ausgeführt und bewertet. Die im Beitrag an- und Bewohner von chawls (herunter gekom- gegebenen Daten sind nicht als statistisch mene Wohnbauten mit Kleinstwohnungen), „gesicherte“ Informationen zu interpretieren. obwohl es sich um slumähnliche Behau- Sie sind teilweise widersprüchlich, nur vom sungen handelt, in der amtlichen Terminolo- dem Hintergrund von unterschiedlichen In- gie nicht zu Slumbewohnern gerechnet (UN- teressen sowie von besonderen Entstehungs- Habitat, 2003b:70). Im Bericht wird allerdings und Verwertungszusammenhängen zu inter- ein bemerkenswerter Paradigmenwandel pretieren und in der Regel nicht kleinräumlich vollzogen: Es wird darauf verwiesen, dass in und aktuell belegt. 99 Slums in Mumbai mehr gezählt, sondern ihre Dimensionen per Satellit geschätzt. Die Kehrseite des Booms der indischen Wirt- schaft ist die Horrorspirale von Bevölke- Der Nobelpreisträger John Kenneth Galbraith rungswachstum und Massenarmut (Imhals- hat Indien und Mumbai treffend als „funk- ly, 2008:15). Für städtische Zuwanderer bil- tionierende Anarchie“ gekennzeichnet. Die den Slums eine „Lösung“, nicht das Problem. über 5.000 Dabbawallas – ein komplexes Über 55 % der städtischen Bevölkerung lebt ausgefeiltes System von Kurieren, die täglich in Indien in Slums (Davis, 2006:29). Alle der- Hunderttausenden von Angestellten das Es- artigen Zahlenangaben sind problematisch, sen ihrer Frauen an den Arbeitsplatz bringen da die Zahl der Slumhaushalte dabei von den – sind ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie Behörden häufig und absichtlich klein ge- eine Versorgung unter derartig chaotischen rechnet wird. Belegt werden kann immerhin, Bedingungen funktionieren kann. Die Le- dass es sich nicht um „Minderheiten“ handelt, bensmittelversorgung und die Restaurants sondern in etlichen Großstädten die Mehr- basieren weitgehend auf Kinderarbeit (Appa- heit der Bevölkerung in Slums lebt. Eine Un- durai, 2001:27). tersuchung ergab, dass 2005 fast 5.000 Poli- zisten in Slums leben. Die Elendsviertel sind 1995 wurde der Stadtname portugiesischen nicht mehr das hässliche Nebenprodukt des Ursprungs, Bombay („Bom Bahia“), in Mum- urbanen Molochs, sie sind eher die Norm als bai – nach der hinduistischen Lokalgöttin die Ausnahme (Kriener, 2006:3). Diese Mehr- Mumbadevi – umbenannt, um die koloni- heiten sind auf ein Elendsdasein „am Ran- ale Vergangenheit aus dem Stadtnamen zu de“ verwiesen. Die Menschen in den gigan- tilgen. Mumbai weist eine junge Bevölke- tischen urbanen Wucherungen werden nicht rungsstruktur auf: Ein Drittel der Bewohner ist unter 20 Jahre alt. Die durchschnittliche Abb. 1 Land Use Plan Mumbai Region 1996-2011 Abb. 2 Zentral gelegene vormalige Fabrikareale (Mumbai Metropolitan Region, 2008) (Quelle: D’Monte, 2002) 100 Haushaltsgröße liegt bei 5,1 Personen pro dratkilometer, in Teilen über 48.000 Personen Haushalt. Ca. 40 % der Haushalte leben un- (Risbud, 2003:2), angegeben, einigen Autoren terhalb der Armutsgrenze von umgerechnet zufolge die zweithöchste Bevölkerungsdichte ca. 17 Euro im Monat. Um 1960 waren 30 % in allen Städten der Welt nach Hongkong. der Beschäftigten und 66 % der der Fabrik- angestellten aus dem Bundesstaat Maha- Es gibt einen dramatischen Mangel an Woh- rashtra in Großbombay lokalisiert, wo 75 % nungen für einkommensschwache Haus- des industriellen Outputs konzentriert waren halte, keine Trinkwasserversorgung, eine (Desai, 1995:21). Derzeit arbeiten ca. 80 % der unzureichende Gesundheitsversorgung und Menschen im „Dienstleistungs“-Sektor, der kaum (bezahlbare) öffentliche Verkehrsmittel. nicht mit dem tertiären Sektor in Ländern der Diverse Initiativen der Stadtverwaltung, des „Ersten Welt“ zu verwechseln ist. Der Anteil Bundesstaates (Maharashtra), der UNO und des rasch wachsenden informellen Sektors der Weltbank (Panwalkar, 1996:128) das Areal liegt bei 45 %. Mumbai ist in sechs Bezirke durchgreifend zu„sanieren“, scheiterten bisher aufgeteilt und wird von der Municipal Corpo- an ungeklärten Eigentumsverhältnissen, frag- ration of Greater Mumbai (MCGM) verwaltet. mentierten Zuständigkeiten, quasi-feudalen 1975 wurde die räumliche Einheit der Bom- Verhältnissen, Bürokratie und am Widerstand bay Metropolitan Region (BMR) eingeführt, der Menschen in Dharavi. Ein Umdenken wird die wiederum von der Bombay Metropolitan eingefordert: Die stadt-regionale Politik müs- Regional Development Authority (BMRDA, se wegkommen vom Reagieren auf Engpässe jetzt MMRDA) verwaltet wird. Über zehn Milli- und Missstände hin zu großen Schritten der onen Menschen benutzen täglich öffentliche vorausschauenden Planung. Verkehrsmittel, um zwischen Wohn- und Ar- beitsstätten zu pendeln (Mehta, 2006:249). „Bombay First“, eine Lobby-Organisation von einflussreichen Wirtschaftsführern, bestellte In den Slums stirbt jeder vierte Säugling im bei der Beratungsfirma McKinsey ein Gutach- ersten Lebensjahr, 250.000 Frauen sind in die ten, das der Stadt als Entwicklungsleitlinie Prostitution abgedrängt. Unterernährung, dienen soll (McKinsey Report 2003). Orientiert Hunger, Tuberkulose, Lepra, Rattenplage und an „London First“ geht es nicht um die Besei- Mückenplage sind die Schattenseiten der tigung von Engpässen und punktuelle Ver- Metropole (Nissel, 1999:404). besserungen, sondern um einen qualitativen Sprung vorwärts. Nach ehrgeizigen Plänen Es gibt in Mumbai ca. 2.000 Slums (in Mumbai („Mumbai Vision Plan 2003“) soll aus Mumbai auch „zopadpattis“ genannt; Risbud, 2003:7). bis 2013 eine „Weltklasse-Stadt“ werden. Das Von ca. 18,5 Millionen Menschen leben hier Shanghai auf dem indischen Subkontinent ca. 10 Millionen in Slums (das entspricht et- ist intendiert. Mumbai sei, so die Gutachter, wa der Bevölkerung Schwedens). Täglich an einem kritischen Punkt angelangt. Ohne kommen ca. 300 neue Familien in die Stadt Wende drohe der städtische Kollaps und ein der „großen Versprechungen“. Damit lebt et- 40 Milliarden US-Dollar umfassendes Investiti- wa die Hälfte der Bevölkerung in Mumbai in onsprogramm wird vorgeschlagen (ein Viertel Dörfern aus Wellblech, Planen oder haust in davon aus öffentlichen Budgets). Einen zen- Zelten. Über 40 % der „Häuser“ sind kleiner tralen Stellenwert haben dabei neben der Ver- als 10 qm und drei Viertel der Slumbewohner besserung der Infrastruktur die Verschlankung sind auf Gemeinschaftstoiletten verwiesen. der Verwaltung, ein effektiveres Governance- Eine funktionierende Müllabfuhr gibt es in system sowie vor allem der Wohnungsbau. den Slums nicht. Die Müllsäcke werden auf die Straße oder auf Bahngleise geworfen. Die Ungefähr 1,1 Millionen neue Wohnungen (durchschnittliche) Bevölkerungsdichte wird im mietpreisgünstigen Segment sollen ent- in Mumbai mit ca. 30.000 Personen pro Qua- stehen und der Wohnungsbestand aufge- 101 wertet werden. „In Mumbai you pay first Erfolgreich wird die „Vision Mumbai“