Mythos »Lili Marleen« - Ein Lied Im Zeitalter Der Weltkriege1
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Aufsatz Katja Protte Mythos »Lili Marleen« - Ein Lied im Zeitalter der Weltkriege1 Einleitung 1915, im Ersten Weltkrieg, schrieb der junge Soldat und angehende Dichter Hans Leip ein Gedicht über Liebe, Abschied und Krieg. 23 Jahre später vertonte der auf- strebende Komponist Norbert Schultze die Zeilen. 1939, kurz vor Beginn des Zwei- ten Weltkriegs, sang es Lale Andersen auf Schallplatte. Die allabendliche Aus- strahlung von »Lili Marleen« über den deutschen Soldatensender Belgrad brach- te 1941 den Durchbruch. Das Lied berührte menschliche Grundbefindlichkeiten der Zeit: Trennung von geliebten Menschen, Sehnsucht nach zu Hause, Einsam- keit, Angst vorm Sterben - »Lili Marleen« gab diesen Gefühlen Raum, hob sie in wehmütiger Verklärung auf. Bald hörten und sangen es nicht nur deutsche, son- dern auch alliierte Soldaten. Ubersetzungen und Umdichtungen entstanden; das Lied wurde zur Waffe im Propagandakrieg. Heute ist »Lili Marleen« Menschen auf der ganzen Welt ein Begriff; fast jeder kennt die Melodie. Das Lied wird von Bundeswehrsoldaten auf dem Balkan gesungen2 und von Geschäftsleuten in ja- panischen Karaoke-Bars3; Schlager- und Chansonsängerinnen, aber auch Heavy- Metal- und Punk-Bands covern es immer wieder. Schiffe, Restaurants, Geschäfte, Rennpferde und Pornodarstellerinnen heißen nach der besungenen Geliebten4. »Lili Marleen« gehört nicht nur zu den international erfolgreichsten deutschen Lie- dern, sondern ist vielleicht auch das einzige, das sich sowohl im militärischen Be- ' Ein wichtiger Teil der Recherchen für diesen Aufsatz erfolgte im Rahmen meiner Tätig- keit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, für die Wechselausstellung »Lili Marleen. Ein Schlager macht Ge- schichte«. Diese war vom 7.12.2001 bis 10.2.2002 im Haus der Geschichte zu sehen und Wurde anschließend im Nationaal Oorlogs- en Verzetsmuseum Overloon (26.4.2002 bis 13.4.2003) und im Verzetsmuseum Amsterdam (3.5. bis 16.11.2003) gezeigt. Eine weniger umfangreiche Wanderausstellung war u.a. an den Goethe-Instituten in Tel Aviv und Je- rusalem zu sehen und ist weiterhin im In- und Ausland im Einsatz. Zur Ausstellung ist ein Begleitbuch erschienen: Christian Peters, Lili Marleen. Ein Schlager macht Geschichte, Bonn 2001. Ich danke dem Haus der Geschichte und insbesondere dem Projektleiter die- ser Ausstellung Herrn Dr. Christian Peters dafür, die Ausstellungsrecherchen für diesen Aufsatz nutzen zu dürfen. 2 Siehe Kapitel 6. 3 Vgl. Andrea Strunk, Überlebenstraining in Tokio, in: Frankfurter Rundschau/Magazin, 9.12.2000. 4 Ergebnisse einer Internetrecherche über die Suchmaschine »Google«. Die umfangreich- ste mir bekannte Zusammenstellung von unterschiedlichen Medien mit Bezug zu »Lili Marleen«, unter anderem eine Auflistung von über 100 Interpreten des Liedes, eine Zu- sammenstellung von Filmen und Fernsehsendungen, künstlerischen Darstellungen und Belletristik bietet Peter Gmachl, »Lili Marleen« - Gestern und Heute. Analyse eines her- ausragenden Phänomens in der Medien- und Kommunikationsgeschichte, unveröffent- lichte Diplomarbeit mit fünf CDs als Anlage, Salzburg 2001. Der vorliegende Aufsatz greift diese mediale Rezeption nur punktuell auf; Vollständigkeit ist nicht angestrebt. Mililärgeschichtliche Zeitschrift 63 (2004), S. 355-400 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam 356 MGZ 63 (2004) Katja Protte Lili Marleen Vor der Kaserne vor dem großen Tor stand eine Laterne, und steht sie noch davor, so wolln wir uns da wiedersehn, bei der Laterne wolln wir stehn, wie einst, Lili Marleen. Unsere beiden Schatten sahn wie einer aus. Daß wir so lieb uns hatten, das sah man gleich daraus., Und alle Leute solin es sehn, wenn wir bei der Laterne stehn, wie einst, Lili Marleen. Schon rief der Posten, sie blasen Zapfenstreich, es kann drei Tage kosten, Kamerad, ich komm ja gleich. Da sagten wir auf Wiedersehn, wie gerne wollt ich mit dir gehn, mit dir, Lili Marleen. Deine Schritte kennt sie, deinen zieren Gang, alle Abend brennt sie, mich vergaß sie lang. Und sollte mir ein Leids geschehn, wer wird bei der Laterne stehn mit Dir, Lili Marleen? Aus dem stillen Räume, aus der Erde Grund hebt mich wie im Traume dein verliebter Mund. Wenn sich die späten Nebel drehn werd ich bei der Laterne stehn wie einst, Lili Marleen5. Zit. nach Hans Leip, Die kleine Hafenorgel. Gedichte und Zeichnungen, Hamburg 1937, S. 32 f. Die Schreibweise des Liedtitels variiert stark. Mehr als fünfzehn Varianten lassen sich über die Suchmaschine »Google« im Internet nachweisen. Abgesehen von Zitaten wird in diesem Aufsatz, dem ursprünglichen Gedicht von Hans Leip folgend, die Schreib- weise »Lili Marleen« verwendet. Mythos »Lili Marleen« - Ein Lied im Zeitalter der Weltkriege 357 reich als auch in der Unterhaltungsbranche anhaltender und weitreichender Po- pularität erfreut. Die wenigsten Menschen kennen mehr als einige Zeilen des Lie- des; doch allein der Name »Lili Marleen« weckt nostalgische Gefühle und evoziert Bilder einer Traumfrau. Gleichzeitig ruft der enge Bezug zum Zweiten Weltkrieg und zur NS-Zeit aber auch Ablehnung hervor. Als Propagandalied, als verharm- losende Schnulze, als Deckmantel für Militarismus und Kriegsverherrlichung gilt das Lied bei seinen Kritikern. In der deutschen zeithistorischen Forschung wurde das Phänomen »Lili Mar- leen« bisher kaum wahrgenommen. Monographische Arbeiten zur Geschichte des Liedes liegen sehr verstreut, zum Teil unveröffentlicht vor und stammen meist aus anderen Fachrichtungen6. In den USA ist bereits vor 25 Jahren eine Arbeit des Hi- storikers Carlton Jackson erschienen, die interessante Ansätze zur Analyse des Phänomens bietet, im Detail aber sehr unzuverlässig ist7. In Deutschland hat sich im universitären Bereich besonders die musikalische Volkskunde mit »Lili Mar- leen« beschäftigt8. Den Fokus auf die Rolle des deutschen Soldatensenders Belgrad legen zwei von Veteranen verfaßte Arbeiten9. In jüngerer Zeit sind zwei univer- sitäre Abschlußarbeiten zum Thema »Lili Marleen« entstanden10. Peter Gmachls Arbeit stammt aus dem Bereich der Kommunikationswissenschaften und hebt be- sonders die Breite der Rezeption in Musik- und Unterhaltungsbranche hervor; Alan Popes Studie legt den Schwerpunkt auf Copyright-Fragen und - unter Auswer- tung unveröffentlichter Quellen der BBC Written Archives - auf die Herausforde- rung, die das Lied für die britische Rundfunkpropaganda im Zweiten Weltkrieg bedeutete. 2001 erschien ein Begleitbuch zur Ausstellung »Lili Marleen. Ein Schla- ger macht Geschichte« des Hauses der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- 6 Angesichts der unübersichtlichen Forschungslage kann der folgende Uberblick keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Dies gilt insbesondere fur das nicht anglo-ame- rikanische Ausland und den Bereich unveröffentlichter Abschlußarbeiten. Erwähnt wer- den hier auch nur Arbeiten, die selbständig erschienen sind, und bzw. oder ihre Aus- führungen wissenschaftlich belegen. Die zahlreichen kürzeren Ausführungen, die nur punktuell Neues bringen, werden im weiteren jeweils an gegebener Stelle zitiert. Auto- biographien und Arbeiten über an Entstehung und Verbreitung des Liedes Beteiligte werden in Kapitel 1 angegeben. 7 Carlton Jackson, The Great Lili, San Francisco 1979. 8 Wilhelm Schepping, Zeitgeschichte im Spiegel eines Liedes. Der Fall »Lili Marleen«. Ver- such einer Summierung, in: Festschrift fiir Ernst Klüsen zum 75. Geburtstag. Hrsg. von Günther Noll und Marianne Bröcker, Bonn 1984, S. 435-464. Dieser Aufsatz ist, ergänzt um einige Quellen zur Lili-Marleen-Rezeption in Italien, vor einigen Jahren erneut ver- öffentlichlicht worden: La storia che si riflette in una canzone: il caso »Lili Marleen«, in: Il de Martino, 1998, Nr. 8: Canto sociale e Resistenza, S. 9-46. 9 Kurt Schneider und Georg Steigner, Lili Marlen bezaubert Völker, Armeen und Könige. Ein Lied schlägt die kostbarste Brücke der Welt. Die Geschichte eines Liedes und eines Senders, Zweibrücken 1954; Johann Holzem, Lili Marleen und Belgrad 1941. Der lange Weg zum Ruhm, 3., erg. Aufl., Meckenheim 1997 (Erstdruck in der Zeitschrift des Ver- bandes deutscher Soldaten e.V. Bonn »Soldat im Volk«, Hefte 10/1990 bis 1/1991). Bei Schneider/Steigner handelt es sich um eine anekdotenreiche, essayistische Schilderung; Holzem zeichnet sich durch große Detailgenauigkeit aus. 10 Gmachl, »Lili Marleen« (wie Anm. 4); Alan David Pope, The Story of Lili Marleen - a Nazi Conquest?, unveröffentl. Diplomarbeit (BA), Oxford 2001. Popes Arbeit entstand im Rahmen eines Studiengangs, der »Contemporary Studies« und »Publishing and Copy- right in a Business and Legal Context« verbindet. Ich danke beiden Autor für die freund- liche Erlaubnis, ihre Arbeiten für diesen Aufsatz nutzen zu dürfen. 358 MGZ 63 (2004) Katja Protte land in Bonn, das wichtiges Bild- und Quellenmaterial enthält". Eine CD-Edition mit unterschiedlichen Versionen von »Lili Marleen« sowie einem Begleitband von Rainer E. Lötz und Horst J.P. Bergmeier ist in Vorbereitung12. Der wissenschaftlichen Auseinandersetzung steht eine ungleich stärkere jour- nalistische13, literarische und filmische14 Beschäftigung mit dem Thema gegenüber, die noch während des Zweiten Weltkriegs einsetzte und bis heute anhält. Bekannte Künstler wie der US-Schriftsteller John Steinbeck in einer Kriegsreportage von 194315 oder der westdeutsche Regisseur Rainer Werner Fassbinder in seinem Spiel- film »Lili Marleen« von 1980/81 haben ebenso zur Tradierung beigetragen wie die mündliche Überlieferung durch zahllose Veteranen und Zivilisten. Kennzeichnend ist die