Ruhm und Rausch Legenden Ein Besuch bei , der traurigen Heldin des Rock ’n’ Roll. Sie tritt wieder als Sängerin auf und zeigt die Bilder ihres Lebens.

och bevor sie den Raum betritt, ist da ihre Stimme. Dunkel, rau, bo - Ndenlos tief. „Wo ist meine E-Ziga - rette?“ Dann erscheint Marianne Faithfull, in Schwarz, gestützt auf einen Stock mit silbernem Knauf, der bei jedem Schritt auf das Parkett ihrer Pariser Wohnung klackt. „Ich selbst wäre ja nie auf die Idee ge - kommen, so ein Buch zu machen“, sagt sie, als sie sich ein bisschen wackelig vom Stock löst und auf einen Stuhl setzt. Bei einem Sturz auf Rhodos hat sie sich die linke Hüfte zertrümmert. Jetzt ist sie aber doch zufrieden mit dem Buch, es sei „kein Marketing-Scheiß“ geworden. „Bilder meines Lebens“ heißt das Werk, von dem sie redet, es ist gerade auf Deutsch erschienen*. Faithfull hat einige der Bilder, die der Band zeigt, kommen - tiert, mit Filzstift: „In den Siebzigern, be - kifft in einem Flugzeug“. Das Vorwort hat der Schriftsteller Sal - man Rushdie geschrieben, er nennt sie da - rin „eine Überlebende“. Wem das zu fei - erlich klingt: Sie ist eine heitere Überle - bende. Aber es stimmt natürlich, dass ihre Geschichte nicht märchenhaft klingt, son - dern eher wie eine, an der auch der düste - re Dichter William Blake Gefallen gefun - den hätte. Das Buch bebildert Faithfulls Leben, es ist zugleich eine Rückblende auf das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts, in dem sie erst Ikone und dann gefallener En - gel war. Popstar, Freundin von von den Rolling Stones, Geliebte von von den Rolling Stones, schließ - lich obdachloser Junkie. Von Bildern ist Faithfull auch in ihrem Pariser Wohnzimmer umgeben, neben ei - nem Ölbildnis ihrer Mutter hängt eine Col - lage mit Artikeln und Fotos aus der Klatsch - presse. Einer der Artikel erzählt die ewige Geschichte, wie sie mit nichts als einem Fell bekleidet von Polizisten bei einer Razzia im Haus von Keith Richards aufgefunden worden war. Dass die alten Storys sie un - endlich nerven, das erzählt sie immer wie - der. An diesem regnerischen Oktobertag ist Marianne Faithfull aber gut gelaunt, die

* Marianne Faithfull: „Bilder meines Lebens“. Verlag Sängerin Faithfull, Alain Delon um 1967 Edel Books, Hamburg; 304 Seiten; 49,95 Euro.

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Hüfte tut nicht zu sehr weh, Schmerzmittel Erst jetzt könne sie sich eingestehen, Berappelt hat sie sich, als sie zu ihrer nimmt sie nicht. Das käme nicht infrage, wie schön sie früher war, und es klingt Arbeit zurückfand. 1979 veröffentlichte sie bei ihrer Drogenabhängigkeit. überhaupt nicht kokett, wie sie das sagt, ihr Album „Broken English“, ein großer Ihre Beziehung zu Jagger sei nach wie sondern ehrlich. 67 Jahre alt ist sie jetzt. Erfolg, bei Kritik und Publikum. Auf den vor nicht toll, aber „okay“. Und man müs - Ihre Bilanz fällt trocken aus: „Ich bin Bildern aus dieser Zeit ist sie gezeichnet se ja auch nicht mit allen Expartnern eine clean, ich bin nicht gestorben“, sagt sie von ihrem Drogentrip. Harte Gesichtszüge, Freundschaft pflegen, nicht wahr? Keith mit dieser Stimme, die ja auch der perfekte ein mitgenommener Körper. Nur der Blick Richards, mit dem sie zumindest eine Soundtrack ihrer Biografie ist. ist immer noch derselbe, entrückt oder zu - Nacht verbrachte, ist allerdings ein Freund Ziemlich genau ein halbes Jahrhundert gedröhnt. Auch damals war sie nicht clean. geblieben. Manchmal telefoniert sie auch ist es her, dass der Stones-Manager An - Bis zu seinem Tod teilte sie sich den Dealer noch mit Anita Pallenberg, Richards’ Ex - drew Oldham sie auf einer Party gesehen mit Sid Vicious von den Sex Pistols. gefährtin, die ihrerseits wiederum eine Af - hat und wusste, dieses Mädchen da, 17 Seit 20 Jahren aber lebt Faithfull ohne färe mit Jagger gehabt haben soll, während Jahre alt, würde seiner Mühe wert sein. Heroin, sie trägt einen geföhnten Bob, hat er mit Faithfull zusammen war. Die Wahl - Die Stones selbst waren 1964 kaum mehr ein glattes, nicht zu sehr bearbeitetes Ge - verwandtschaften des Swinging London. als prominentere Schulbuben. Faithfull je - sicht. Sie ist eine schöne Dame, die, wie sie Die Bilder im Buch zeigen die beiden Frau - denfalls saß während dieser Feier derart sagt, nur noch auf eines neugierig sei: zu en mit den Stones auf Tour, beim Urlaub wunderschön auf einem Heizkörper, dass sehen, wie ihre drei Enkelkinder aufwach - in Südfrankreich oder in Rom: Pallenberg Oldham sie erst quer durch den Raum un - sen. Seit zwölf Jahren lebt sie in Paris; ab eher hexenhaft anziehend, Faithfull mit ih - verwandt anstarrte und kurz darauf zu ihr und zu geht sie mit der Schauspielerin Char - rem Engelsantlitz, beide berauschend sagte: „Ich kann aus dir einen Star ma - lotte Rampling Kaffee trinken oder mit dem schön – natürlich beide auch selbst dauer - chen, Baby.“ Später beschrieb er das deutschen Künstler Anselm Kiefer. berauscht. Gemeinsam bilden sie die Ma - trix aller It-Girls späterer Jahrzehnte, aber ohne Photoshop und Personal Trainer. Vor ihr auf dem Tisch liegt ein Stapel

CDs, Faithfulls jüngstes Album, „Give My ) . R .

N Love to London“, ist im September er - . L . V (

schienen. Der Titel des Albums sei „inten - O N I

D sely sarcastic“, und so, wie sie es sagt, N O

M klingt es wahrscheinlich noch böser, als es Immer nur schön sein, immer nur Zierde, das war nichts für

E T S

I gemeint ist. In Faithfulls Erinnerungen je - T

P sie – „den Job wollte ich nicht haben“. A

B denfalls kommt die Stadt nicht gut weg. - N A

E Jahrelang lebte sie als registrierte Heroin - Faithfull-Phänomen unverblümter: „Ich Je älter sie wird, desto gesünder sieht J

; L L süchtige auf einer Mauer im Londoner habe einen Engel mit großen Titten gese - sie aus, sogar den Tabak hat sie vor ein U F H T

I Stadtteil Soho. Ab und zu kam der Maler hen und ihn unter Vertrag genommen.“ paar Monaten aufgegeben. „Und jetzt, mit A F

E Francis Bacon vorbei und lud sie zum Oldhams Kalkül ging natürlich auf, Mari - 67, werbe ich sogar mit meinem Gesicht N N A I Essen ein. Nie habe er versucht, sie vom anne sang, damals noch mit Jungmäd - für Yves Saint Laurent“, sagt sie und muss R A M

; Fixen abzubringen, erzählt sie, nicht vor - chenstimme, das von Jagger und Richards darüber lachen. Schließlich geht es in die - X U

A wurfsvoll, sondern dankbar. geschriebene „As Tears Go By“ und wur - ser Kampagne ja nicht mehr um bloße H A M Trotz der kaputten Hüfte tourt sie zur - de damit zum Star. Schönheit, sondern auch um ihr Leben. E N I

G zeit durch Europa, in diesem Monat wird Aus ihrer Mitgliedschaft im inneren Kreis Während der Pariser Fashion Week ist E R

;

L sie in München, Berlin und Hamburg auf - der sich damals formierenden Rock-Bo - sie bei der Chloé-Party aufgetreten und L U F

H treten. Sie lebt von ihren Konzerteinnah - heme floh sie durch konsequente Selbst - hat dort ein paar ihrer neuen Lieder ge - T I A F men, ansonsten ist da nicht mehr viel zerstörung. Auch jetzt, in ihrem Wohnzim - sungen. Auf dem Wohnzimmertisch liegt E N N

A Geld. Auf dem neuen Album befindet sich mer, sagt sie, Mick Jagger hätte sie wohl noch die Dankeskarte: „Marianne, du I R A

M eine betörende Coverversion von Leonard nicht gehen lassen, wäre sie nicht zum Jun - warst göttlich.“ Sie nimmt die Karte, auf

; S

S Cohens „Going Home“. Ein anderes kie geworden. Die kleine Frau eines großen ihrem linken Handrücken prangt die E R P Stück, düster trotz der Geigen, hat der Mannes zu sein war ihr zu wenig, und mit Schwalbentätowierung, die sie sich mit 19 A R E

M Musiker Nick Cave für sie geschrieben, es dem Ruhm der Stones konnte sie nicht mit - in Positano von einer lesbischen Italienerin A C

/

handelt von ihrer Drogensucht. „Late halten. Immer nur schön sein, immer nur hat stechen lassen. H T I

M Victorian Holocaust“ habe nur jemand Zierde, das war nichts für sie: „Den Job Auf den hinteren Seiten des Buchs gibt S

M schreiben können, der dieselben Erfah - wollte ich nicht haben.“ es eine Aufnahme, die sie zusammen mit O T

: 1 rungen wie sie gemacht habe, sagt sie. Es muss tatsächlich wenig Platz an Jag - Kate Moss auf einer Grillparty von Stella 2 1

. S

Auch Cave ist Exjunkie. Faithfull redet gers Seite gewesen sein, all die Jahre nach McCartney zeigt. Auf dem nächsten Bild ; S S

E nicht gern über ihre Lieder, dafür sind ihr ihr hielt er sich überwiegend an Models. zersäbelt sie einen Hühnerschenkel, neben R P

E die Texte zu persönlich. Es ist dieser Das Heroin war Faithfulls Erfüllungsgehil - ihr schaukelt Keith Richards’ Enkeltochter R U T

C Trotz, der manchmal aufblitzt im Ge - fe. Die folgenden Jahre verbrachte sie in den Armen ihrer Mutter. Solche Partys I P

/ spräch, sie kann brüsk werden. Es mag „eingehüllt wie in einem dicken Watte - seien ja nett, sagt Marianne Faithfull da, S S E

R eine Weile gedauert haben, bis sie sich kokon“. Wie das war? „Da war vor allem aber sie gehe nicht mehr oft aus. P

A R

E diesen Selbstschutz antrainiert hat. Zu eine große Schmerzlosigkeit.“ Nichts zähl - „Ich trinke nicht, ich nehme kein Kokain, M A

C früh wurde sie zur Projektionsfläche, im te mehr, nichts drang mehr durch. Totale ich bin jetzt eine Spaßverderberin.“

/

Y

L Julia Amalia Heyer

L Guten wie im Schlechten. Erst der Pop- Auszeit. Sie habe das gewollt, sagt sie, es E K

N engel, in den sich, wie Rushdie in seinem sei die richtige Entscheidung gewesen. H

O Video: So klingt J

: Vorwort schreibt, alle verliebten. Schließ - Heute ist sie froh, ihre Entscheidung über - 0

2 Marianne Faithfull 1

lich die abgehalfterte „Sister Morphine“ – lebt zu haben. Das Mantra dazu stammt . S

S so heißt der Song, den sie gemeinsam mit von William S. Burroughs: Die einzige O spiegel.de/sp452014faithfull T O

F Jagger und Richards geschrieben hat. Heilung liegt in der Krankheit. oder in der App DER SPIEGEL

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