Deutscher Drucksache 19/20565

19. Wahlperiode 30.06.2020 Vorabfassung - wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Vorabfassung

Antrag der Abgeordneten , Kordula Schulz-Asche, Katrin Göring-Eckardt, Dr. , Dr. , Dr. , , Beate Walter Rosenheimer, Katja Dörner, , Dr. Kirsten Kappert- Gonther, Maria Klein-Schmeink, , Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Britta Haßelmann, Tabea Rößner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Pandemierat jetzt gründen – Mit breiterer wissenschaftlicher Perspektive besser durch die Corona-Krise

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest: Um wirksam und differenziert auf ein Wiederansteigen der Infektionszahlen rea- gieren zu können und die gesundheitlichen, sozialen und ökonomischen Auswir- kungen der Pandemie und ihrer Bekämpfung gering zu halten sowie verfassungs- rechtliche Vorgaben bezüglich zu treffender Infektionsschutzmaßnahmen einzu- halten, braucht es eine koordinierte interdisziplinäre Strategie, die auf breiten wis- senschaftlichen Erkenntnissen basiert. Viele WissenschaftlerInnen melden sich zu dieser Frage in der Öffentlichkeit zu Wort und liefern mit ihrer Arbeit die wissen- schaftliche Grundlage für eine effektive Pandemiebekämpfung. Der bislang posi- tive Verlauf des Infektionsgeschehens ist insbesondere auch dem verantwortungs- vollen Verhalten der Bevölkerung, ihrem Vertrauen in die wissenschaftliche Ex- pertise sowie der frühen und breiten Verfügbarkeit von Testungen zu verdanken. Diese Expertise fließt jedoch häufig nicht ausreichend, umfassend, transparent und schnell genug in das Handeln der Bundesregierung ein. Die Corona-Krise hat uns auch vor Augen geführt, welch fundamentalen Stellen- wert eine qualitativ hochwertige Wissenschaftskommunikation sowie wissen- schaftliche Politikberatung haben. Zugleich wurde deutlich, welche komplexen Auswirkungen die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung hatten und haben. Während der Austausch zwischen Wissenschaft und politischen Ent- scheidungsträgerInnen zu Beginn der Krise häufig kurzfristig und ad hoc organi- siert wurde, ist er nun für das weitere Krisengeschehen zu verstetigen, zu institu- tionalisieren und zu verbreitern. Solange es keinen Impfstoff und keine wirksamen antiviralen Therapieoptionen gibt, ist die Pandemie nicht vorbei. Wir brauchen daher mit Blick auf den weiteren Fortgang der Krise und ein eventuelles Wiederansteigen der Infektionszahlen eine differenzierte Präventionsstrategie zur Bekämpfung des Virus und zur gleichzei- tigen Minimierung gesundheitlicher, sozialer und ökonomischer Folgeschäden Drucksache 19/20565 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

sowie im Hinblick auf die Grundrechtsrelevanz der Maßnahmen. Gerade mögli- Vorabfassung che nächste Pandemie-Phasen müssen gut vorbereitet werden: Viele gemein- schaftliche Aktivitäten können dann nicht mehr nach draußen verlagert werden, Betriebe, Kitas, Schulen, Hochschulen und andere gesellschaftliche und kulturelle Einrichtungen brauchen daher eine wissenschaftsbasierte Einschätzungen hin- sichtlich Wiederöffnung und Weiterbetrieb. Ein unabhängiger, wissenschaftlicher Pandemierat kann dabei eine wichtige Rolle einnehmen, eine Versachlichung befördern und die Transparenz der Debatte rund um die getroffenen Maßnahmen stärken. Ein Pandemierat, der das Wissen von Spitzen-WissenschaftlerInnen bündelt, kann durch eine interdisziplinäre Perspek- tive dabei helfen, differenzierte Präventionsmaßnahmen und -strategien unter Ein- bezug von umfassenden Folgenabschätzungen und mit Bezug zu klar formulierten Kriterien zu entwickeln. Dies stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in Wissen-

schaft und Forschung und hilft, Verschwörungsideologien und Desinformations- - kampagnen die Grundlage zu entziehen. Gleichzeitig muss die Entstehung von extremistischen Entwicklungen wissenschaftlich analysiert werden, um frühzeitig wird entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können. Im Gegensatz zu einigen anderen Ländern hat Deutschland kein wissenschaftliches Pandemie-Gremium, das der Bundesregierung bei der Empfehlung für Maßnahmen systematisch bera-

tend zur Seite stand bzw. steht. Ein Pandemierat kann Strategien basierend auf durch breiter wissenschaftlicher Expertise und einer Gesamtschau der zur Verfügung stehenden Evidenz entwickeln. Die strategischen Empfehlungen gewinnen Qua- lität und Akzeptanz, wenn das Gremium aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Fachdisziplinen besteht. Vor allem die vielfältigen gesundheitlichen und sozialen Folgewirkungen der Pandemiebekämpfung können hierdurch intensiver als bisher

einbezogen werden. Dies ist unbedingt notwendig, anderenfalls besteht auch das die Risiko, dass die gesundheitliche und soziale Ungleichheit durch die Pandemie weiter verstärkt wird. Gleiches gilt für (verfassungs-) rechtliche Expertise als Teil einer umfassenden Folgenabschätzung bezüglich getroffener und zu treffender Maßnahmen. lektorierte Notwendig ist vor diesem Hintergrund eine umfassende Betrachtung der Pande- mielage, bei der neben ökonomischen und medizinischen Aspekten insbesondere auch Expertise aus dem gesundheitswissenschaftlichen Bereich (Public Health), Bildungswissenschaft, Gender Studies und weiterer Sozialwissenschaften sowie ethische und ökologische Perspektiven in die wissenschaftliche Politikberatung einfließen. Ebenso muss verfassungsrechtlicher Sachverstand herangezogen wer- den. Rechtsstaatlichkeit muss gestärkt und stets geachtet werden. Bei der Besetzung des Pandemierats wird dessen Einbettung in die Landschaft der Wissenschaftsorganisationen sichergestellt, deren Expertise für die Bekämpfung Fassung der Pandemie unerlässlich ist. Hierzu zählt auch die Sicherheitsforschung, die sich mit Fragen des Bevölkerungsschutzes befassen. Ebenso ist hinsichtlich der Be- richte und Ergebnisse ein enger Austausch mit dem Bundestag sicherzustellen, so dass die Empfehlungen schnell in die politische Debatte einfließen und zugleich unabhängig bleiben. Unverzüglich sollten Empfehlungen zu weiteren Maßnah- men zur Pandemiebekämpfung erarbeitet, Regierung und Parlament vorgelegt und anschließend im Bundestag debattiert werden.

ersetzt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, einen Pandemierat als wissenschaftliches Beratungsgremium für die Zeit der Corona-Pandemie einzuberufen. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/20565

Die Aufgaben des Pandemierates umfassen: Vorabfassung 1. Das interdisziplinäre Monitoring der Auswirkungen der Pandemie und ihrer Bekämpfung in Deutschland mit den zuständigen Bundesbehör- den, dem Bundestag, nationalen Wissenschaftsorganisationen und inter- nationalen Kooperationspartnern, 2. Das Verfassen von Empfehlungen zum weiteren Vorgehen in der Coronakrise. Dazu soll das Gremium wissenschaftsbasierte Empfehlun- gen entwickeln und abgeben, mit welchen (nichtpharmazeutischen) Prä- ventionsmaßnahmen zielgerichtet und wirksam ein erneutes unkontrol- lierbares Anwachsen der Infektionszahlen und schwere gesundheitliche, ökonomische und soziale Folgen sowie gesellschaftliche Herausforde- rungen durch weitgehende Freiheitseinschränkungen in den nächsten Monaten verhindert werden können. Ein erstes Gutachten mit einer grundlegenden Strategie soll unverzüglich erstellt werden. Weitere Gut- -

achten und Empfehlungen werden eigeninitiativ oder auf Initiative der wird Bundesregierung oder des Bundestages erarbeitet. Alle Gutachten und Empfehlungen werden unverzüglich dem Deutschen Bundestag vorge- legt, um so eine öffentliche Debatte im Parlament zu ermöglichen.

3. Eine begleitende, wissenschaftliche Evaluierung der Maßnahmen auch durch mit Unterstützung durch nationale Wissenschaftsorganisationen und weiterer externer WissenschaftlerInnen, um die Maßnahmen-Empfeh- lungen auch dynamisch im Verlauf der Pandemie anpassen zu können. 4. Die Vernetzung des Gremiums sollte international mit der Weltgesund- heitsorganisation WHO, Forschungseinrichtungen und Pandemieräten die anderer Länder erfolgen, um die evidenzbasierten Empfehlungen der WHO für Deutschland zu begutachten und anzupassen sowie von Bei- spielen und Erfahrungen aus dem Ausland lernen zu können. lektorierte

Das Gremium ist wie folgt auszugestalten: 1. Das Gremium ist interdisziplinär und wissenschaftlich unabhängig auf- gestellt und mit WissenschaftlerInnen aus unterschiedlichen Fachdiszip- linen besetzt. Neben der Virologie, Epidemiologie und Gesundheitswis- senschaften (Public Health) sollen insbesondere auch weitere Sozial- wissenschaften, Psychologie, Wirtschaftswissenschaften, Rechtswis- senschaften, Bildungswissenschaften, Sicherheitsforschung, sowie Klima- und Nachhaltigkeitsforschung vertreten sein, um eine möglichst Fassung ganzheitliche Perspektive auf die Pandemieentwicklung sowie die Corona-Maßnahmen sicherzustellen, die neben der medizinischen auch soziale, ökonomische und ökologische Folgen einbezieht. Bei der Be- setzung ist auf Diversität zu achten und ein Frauenanteil von mindestens 50 Prozent zu gewährleisten. 2. Die Besetzung durch die Bundesregierung in engem fachlichem Aus- tausch mit der Allianz der Wissenschaftsorganisationen. Die Bundesre- gierung stellt sicher, dass Interdisziplinarität und Diversität in der Be- setzung gewährleistet sind. ersetzt. 3. Das Gremium ist formal am Bundeskanzleramt anzusiedeln und durch eine Geschäftsstelle zu unterstützen.

Berlin, den 30. Juni 2020 Drucksache 19/20565 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode

Katrin Göring-Eckardt, Dr. und Fraktion Vorabfassung

- wird durch die lektorierte Fassung ersetzt.