Nummer 2/2017

BadKreuznacher Beilage Heimatblätter

Haben Franz von Sickingen und Ulrich von Hutten Luther vor der Verbrennung auf dem Scheiterhaufen bewahrt? Die Ebernburg als Strategiezentrum während Luthers schwerster Tage

VON DR. FRIEDRICH ULBRICHT, KOBLENZ

Einleitung ren, zum Ketzer verurteilt und verbrannt. Was sich Rom folglich vorgenommen hatte, „Sobald das Geld im Kasten klingt, die versuchte es durchzusetzen. So reichte ihm Seele in den Himmel springt“, verkündete die Erhebung zur Staatskirche nicht; es der päpstliche Ablasshändler Johann Tet- wollte auch die weltliche Macht. Auf lega- zel. Für den Kauf dieser „Versicherungspo- lem Wege nicht erreichbar, wurde das not- lice“ das Volk leiden sehend, verkündete wendige Edikt (Konstantinische Schen- am 31. Oktober 1517 der Mönch Martin Lu- kung) gefälscht. Seit dem Pioniergedanken ther 95 Thesen. Kern ihres Inhaltes: der Papst Innozenz III. von 1215 war gar Frei- Papst könne nicht durch Zahlung von Geld kauf von Verfehlungen bei Zahlung eines die Seele retten. Damit hatte Luther gegen Geldbetrages (Ablassgeld) möglich. das kirchliche Lehramt verstoßen. Anders als bei Hus, zeigte Leo X. drei Jahre Ge- duld. Zeit für Luther, zu widerrufen. Statt- Der Mönch dessen veröffentlichte er immer neue Denk- schriften. Schließlich riss Leo X. der Ge- Luther, am 10. November 1483 in Eisle- duldsfaden: er verhängte den Kirchenbann. ben geboren, im katholischen Glauben er- Um Luther nach Rom zu verschleppen, zogen, sollte Rechtsgelehrter werden. Nach musste vom Kaiser auch die Reichsacht ver- Beendigung seines Studiums an der Uni- kündet werden. Das sollte 1521 auf dem versität Erfurt wurde er kurz vor dem Ort Wormser Reichstag geschehen. Es sei denn, Stotternheim fast von einem Blitz getroffen Luther „käme endlich zur Vernunft“. Doch und schwor daraufhin, Mönch zu werden. Luther blieb wieder standhaft. Verunsi- Franz von Sickingen. Foto: Heimatwissenschaftliche Zent- Im Augustiner Kloster Erfurt hungerte, chert, weil einen Aufstand befürchtend, ent- ralbibliothek, Bad Kreuznach (HWZB) wachte und fror er mehr als seine Mitbrü- schloss sich der Kaiser gegen den Willen der, damit alles Menschliche in ihm abge- Roms die Acht erst auszusprechen, wenn tötet würde. 1510 reiste er nach Rom, glaub- Luther auf seine Weisung hin wieder abge- te dort die ständigen inneren Anfechtungen reist sei. So kam die Verkündung zu spät: riell irdischer Art, sondern eine spirituell endlich überwinden zu können; war aber Luther, bald in Sicherheit, war für Rom jenseitige. bald tief enttäuscht, als er die Ausschwei- nicht mehr greifbar. Für den Christenmenschen galt somit, fungen der Geistlichkeit sah. Versetzt ins Was im Einzelnen geschah und was für ei- sich für die Erlösung im Jenseits vorzube- Kloster Wittenberg, bewegt von Seelennö- ne besondere Rolle zwei Reichsritter spiel- reiten. Diese Vorbereitung gewährte die ten und Glaubensfragen, promovierte er ten, als Luthers Leben nur noch an einem durch den Zusammenschluss der Gemein- zum Doktor der Theologie und erhielt an seidenen Faden hing, soll nachfolgend – oft den entstandene Kirche. Mit der Zunahme der Universität Wittenberg eine Professur. verdichtet – aufgezeigt werden. der Christen bildeten sich feste Strukturen; Die ganze Bibel auswendig kennend, er- Zwei Fragen sind vorab zu klären: warum die kirchliche Hierarchie entstand. Nach- kannte er: Das ewige Heil ist nicht durch gu- reagierte die römische Kirche so unnach- dem das Christentum unter Kaiser Kons- te irdische Taten zu erwerben, es ist viel- giebig und was bewegte Luther, nicht von tantin (306–337) eine bestimmende Macht mehr eine Gnade Gottes. Als die Öffent- seiner Sache abzugehen? wurde, betrachteten sich die Bischöfe von lichkeit durch Ablassprediger erregt wurde, Rom als Nachfolger Petri. Dies führte zum rief er mit seinen 95 Thesen zu einem bren- Papsttum. Um ihren Anspruch – alleinige nenden Protest auf. Die römisch-katholische Kirche Heilsverkünder zu sein – zu festigen, wur- den immer mehr Regeln – Riten, Gebote, Gründe für die nach Jesu Tod sich bil- Verbote – eingeführt. Mit diesem so ent- Luthers Leben gerät in Gefahr denden christlichen Gemeinden waren standenen Lehramt beanspruchte Rom das Endzeitstimmung und Messiaserwartung. Recht, über Wahrheit und Irrtum in Glau- Einer der Ablasshändler war der Domi- Als Christus nicht wieder kam und damit bensfragen verbindlich zu entscheiden. Wer nikaner Johann Tetzel. Zum Apostolischen die Erlösung ausblieb, wurde der Tod Chris- dagegen verstieß, wurde bestraft, in schlim- Kommissar für das Ablasswesen ernannt, ti umgedeutet: die Erlösung sei nicht mate- men Fällen, wie bei Hus und vielen ande- erwarb er sich mit seiner mächtigen Stimme 2 (Seite 6 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 2/2017

große Verdienste. Mit der Würde seines waren Gerechtigkeit und Freiheit für sein Amtes, auftretend, verkündete er, jeder der erniedrigtes, vom Verfall bedrohtes, deut- bereit sei, zu zahlen, erhalte einen „Versi- sches Vaterland. In einer Schlacht gegen Ul- cherungsschein“ für das Jenseits. Auch für rich von Württemberg lernte er Franz von Si- Verstorbene war der Erwerb eines Ablass- ckingen kennen. Der Kampf gegen Rom briefes möglich; sie konnten dann schnur- hinderte ihn nicht, eine Stellung beim mäch- stracks vom Fegefeuer in den Himmel fah- tigen Mainzer Kardinal Albrecht anzutre- ren. Das „Gute“ an diesem Ablassgeld: es ten. Das Rütteln Luthers an den Grundfes- wanderte nicht nur in die Kassen Roms, ten Roms deckte sich mit seinen Zielen: er auch Bischöfe und das bei Wahlen die Be- wandte sich Luther zu. Schon länger kri- stechungsgelder finanzierende Bankhaus tisch beobachtet, erfuhr er, sein Drucker sei der Fugger profitierten von dem Segen. Mit- auf Verlangen Roms in Gewahrsam ge- ten in den Geldsegen schlug Luther seine nommen worden und von zwei Briefen Leos Thesen an. Begünstigt durch Gutenbergs X.: Sein Dienstherr sei aufgefordert, ihn Erfindung des Buchdrucks, waren sie in kur- nach Rom schaffen zu lassen. Nur die Flucht zer Zeit im deutschsprachigen Raum be- auf die Ebernburg Anfang September 1521 kannt. Luther hatte mit einfachen Worten, rettete ihn vor dem Scheiterhaufen. so, dass es jeder verstand, einen Paradig- Der Reichsritter Franz von Sickingen, am menwechsel herbeigeführt: aus dem bösen, 2. März 1481 auf der Ebernburg geboren, er- strafenden, Buße verlangenden Gott wurde zogen wie Hutten, heiratete 1499 Hedwig Ulrich von Hutten. Quelle: HWZB ein gnädiger Gott. Das Volk jubelte, aber von Flörsheim. Mit dem Tod seines Vaters bei der römischen Geistlichkeit löste er ei- 1505 erbte er ein großes Vermögen (Besitz- nen Sturm der Entrüstung aus: Luther hatte tümer zwischen Kraichgau und Nahe, da- gegen das Lehramt verstoßen und – der runter Silber- und Kupfergruben). Von 1508 Aleander. Die große Gefahr für Rom se- Geldfluss versiegte. Von nun an war er ein bis 1511 war er Amtmann zu Kreuznach. hend, war er ständig bemüht, an den Kaiser Ketzer. Der Tod seiner Frau 1515 war ein großer und seine Räte heranzukommen. Luthers So vorverurteilt, fand sich noch niemand, Einschnitt. Von nun an entwickelte er sich Speerspitzen waren Hutten, Sickingen und der ihn nach Rom verschleppen wollte. Sei- zunehmend zu einem Raubritter (mehrere im Hintergrund wirkend sein Landesvater. ne Sache wurde vielmehr als Mönchsge- Fehden, ein Überfall auf Kaufleute). Im glei- Zunächst verhängte Leo Anfang Januar zänk betrachtetet. Keiner vom geistlichen chen Jahr, in dem die Freundschaft mit Hut- 1521 den Kirchenbann, Luthers Verurtei- Stand, auch nicht Papst Leo X. – er förderte ten begann, trat er in den Dienst des neuen lung als Ketzer. Für die Romtreuen das lang die Wissenschaften und liebte schöne Frau- Kaisers. 1520 lernte er in Wittenberg zu- ersehnte Zeichen, ihn bei passender Gele- en – wollte zunächst erkennen, wie ernst es sammen mit Hutten Luther kennen. Sickin- genheit nach Rom zu schaffen. Luther be- Luther meinte: „Man möge das Mönchlein gen befehligte zu dieser Zeit bis zu 15 000 zweifelte die Rechtmäßigkeit der Bulle. beruhigen, bevor ein Brand ausbreche!“ Mann. Vielfach wird die Parteinahme Si- Schon im August 1520 hatte er vom Kaiser Zweimal wurde er deshalb aufgefordert, ckingens für Luther als „politisch“ motiviert verlangt, gehört zu werden und die kirchli- seine Ansichten zu widerrufen. Zunächst angesehen. Einerseits strebte er nach „fürs- chen Übeltäter von einem weltlichen Ge- nach Heidelberg bei den Augustinern, dann tenähnlichen Weihen“, andererseits stellte richt bestrafen zu lassen. Luther wurde da- nach Leipzig zu dem romfanatischen Pro- er sich eine Säkularisierung kirchlicher raufhin auf den Wormser Reichstag gela- fessor Eck. Doch Luther blieb standhaft. Güter vor: sie hätten an seine durch die den. Was machte Aleander? Er mischte sich Auch hatte er zweimal Glück. Nach der Vor- neue Kriegstechnik (Einsatz von Schuss- in den Vorgang ein: „Rom hat entschieden, ladung nach Heidelberg vom Papst nach waffen) teils verarmten, weil nicht mehr be- Luther muss vor das Inquisitionsgericht!“ Er Rom zitiert, weigerte sich sein Landesvater, nötigten Standesgenossen übergeben wer- drohte gar mit einem Interdikt, d. h.: Sak- Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen, den können. ramente und kirchliche Begräbnisse würde ihn auszuliefern. Dann, nach dem Disput in Luther, Hutten und Sickingen hatten es nicht mehr geben. So verunsichert, zog Leipzig, starb Maximilian I. Nach langem folglich unterschiedliche Motive, aber ein der Kaiser die Einladung zurück. Jetzt be- Tauziehen bestieg der streng im römischen gemeinsames Ziel: die Macht Roms im fürchtete ein Teil der Fürsten einen Volks- Glauben erzogene, 20-jährige Karl V. den Reich auf das geistliche Wirken zu be- aufstand. Thron. Nun musste Luther bald damit rech- schränken. Luther hatte die größere Popu- nen, dass Rom der Geduldsfaden reißt. larität; nur ein freier Luther konnte ihnen Schon wurde ihm prophezeit, er werde in nutzen. Hutten übernimmt die geistige Führung zur spätestens drei Wochen brennen. Da bekam Es sollte noch gut ein Jahr vergehen, bis Rettung Luthers er im Februar 1520 von zwei Reichsrittern Luthers schwerste Tage anbrachen. Hilfe angeboten: Ulrich von Hutten und In diesen unsicheren Zeiten tauchte zum Franz von Sickingen. Was waren die Motive ersten Mal die Ebernburg nicht mehr nur der Ritter, ihm eine Heimstätte auf der – Luther beruft sich auf die Worte der Bibel, als Herberge für Verfolgte auf. Es wurde heute im Bad Kreuznacher Stadtteil Bad der Papst verhängt den Kirchenbann vielmehr erkennbar, dass ein Mann die Münster am St.-Ebernburg liegenden – geistige Führung zur Rettung Luthers über- Ebernburg anzubieten? Beide hatten sich Langsam erkannte die römische Geist- nommen hatte: Hutten. Denn bald began- nie mit Fragen der Religion auseinander ge- lichkeit, dass ihre Autorität schwand, über- nen die „langen Winterabende“, in denen setzt und ihre Wirkungsstätte lag etwa 12 all zeigte sich nun starker Widerstand ge- er Sickingen von Luthers Sache zu über- Tagesritte von Wittenberg entfernt. gen ihre Machtposition. Das konnte sie zeugen versuchte. Das gelang ihm, weil Si- nicht dulden: wer Christ sei, habe seinen Ei- ckingen vor allem seine weltlichen Ziele im genwillen in allen Angelegenheiten des Kopf hatte. Konnte Hutten sicher sein, dass Die Reichsritter Ulrich von Hutten und Franz Glaubens an sie abzugeben. Aber Luther sein Freund jederzeit bereit war, loszu- von Sickingen wusste um Gottes Wort; der Kampf wurde schlagen? Ja, aber nicht, um eine Revoluti- deshalb immer verbissener. Er schrieb ein on herbeizuführen! Vier Monate vor Lu- Ulrich von Hutten, am 21. April 1488 auf Werk nach dem anderen, so „Von der Frei- thers Reise nach Worms schrieb ihm Hut- Burg Steckelberg als ältester Sohn eines heit eines Christenmenschen“ und lehnte ten: Sickingen, den die Gegner neulich fast Reichsritters geboren, erzogen in der ka- alles ab, was der Kirche als „gute Werke“ zum Abfall gebracht hätten, habe er fest- tholischen Tradition seiner Vorfahren, sollte galt: Fastenzeiten, Wallfahrten, Marienver- gehalten! Karl V. lud wegen des Drängens Mönch werden, riss, 17-jährig, von der Ful- ehrung. Von den Sakramenten ließ er nur der Reichsstände Luther nun erneut auf den daer Klosterschule aus und studierte zu- drei – Taufe, Beichte und Abendmahl – gel- Reichstag ein. Die Vorladung enthielt die nächst an verschiedenen deutschen Uni- ten. Während Luther die Einladungen auf Zusage eines – in der Literatur nur gestreift versitäten, dann in Italien. Nach Wander- die Ebernburg ausschlug, kamen immer – Geleites. Eine nähere Betrachtung der jahren in Deutschland und einer weiteren mehr Anhänger seiner Bewegung dorthin: Struktur des Geleites zeigt: Es hatte nur Reise nach Italien, fing er an, Kampfschrif- unter anderem der ehemalige Dominika- symbolischen Charakter, denn es bestand ten gegen Rom (das waren für ihn alle geist- ner-Mönch . lediglich aus einem Herold (hier kaiserli- lichen Glieder der römischen Kirche) zu ver- Mit der Verbrennung der Bannandro- cher Botschafter) und in Worms aus zwei fassen, hatte er doch in Italien das un- hungsbulle durch Luther begann der „End- spanischen Reitern. Der Grund: Karl fand christliche Leben von Kurie und Klerus ken- kampf“. Speerspitze des Papstes war der im sich nur widerwillig zu diesem Geleit bereit. nen gelernt. Treibende Kräfte für sein Tun November in Worms eingetroffene Nuntius In den Augen des kaiserlichen Hofes aber Bad Kreuznacher Heimatblätter - 2/2017 (Seite 7 des Jahrgangs) 3

lehnte auch dieses Angebot ab, obwohl er jetzt mit dem Schlimmsten rechnen musste. So traf er schließlich am 16. April in Worms ein, von Hofbeamten seines Lan- desherrn und hundert Reitern, vermutlich Sickinger, begleitet. Werden die Römlinge jetzt einen Streit anzetteln wie damals in Konstanz? Sie taten es nicht; es fehlte der Mut. Aleander schrieb entschuldigend an den Papst: „Der Ketzeroberst ist von acht Berittenen umgeben. Der Jubel des Volkes kennt keine Grenzen, ein Priester faßt drei- mal an sein Gewand, als berühre er eine Re- liquie!“ Aber, dachte er, es wird noch Mög- lichkeiten geben, des Ketzers habhaft zu werden. Die Stadt war voll: Fürsten, Ritter, Landsknechte, Bischöfe, Priester, viel Volk und dunkle Gestalten. Es „geht drunter und drüber“. „Selten“, so der Wormser Zeit- zeuge Dietrich Butzbach, „vergeht eine Nacht, in der nicht drei oder vier Menschen ermordet werden“. Luther hatte ein Quar- tier bei den Johannitern. Bereits einen Tag nach seiner Ankunft musste er vor dem Kai- ser erscheinen und bekam einen weiteren Tag zum „Nachsinnen“. Was sich im ein- zelnen „auf der Bühne“ abspielte, ist be- kanntlich in einer kaum zählbaren Literatur behandelt. Daher sei nur Folgendes er- wähnt: Aleander war während der Verhöre, vermutlich weil er befürchtete, es könne ihm etwas zustoßen, nicht anwesend. Statt- dessen stänkerte er ständig „hinter den Ku- lissen“: Luther sei ein „Satan“, ein „Hund“, Luther vor Kaiser und Reich. Bildquelle: Dr. Martin Luther der deutsche Reformator: In bildlichen Darstellungen von Gustav König. ein „Ungeheuer“; er müsse endlich un- Hrsg. Julius Koestlin, Berlin Reuther und Reichhard, o. J. schädlich gemacht werden. So ist auch die Mimik Karls V. verständlich: aus ihr glaub- ten Beobachter die Frage zu entnehmen, warum ist dieser Ketzer nicht längst auf den genügend Respektspersonen, denen stets Luther in Worms Scheiterhaufen geworfen worden? Aber al- Ehrfurcht entgegen zu bringen war. Alean- les nutzte nichts: Luther widerrief nicht. der von dem Geleit erfahrend, drohte sofort Am 4. April reiste Luther voller Zuver- Auch weitere Versuche ihn umzustimmen, mit der Frage, ob einem verurteilten Ketzer sicht in Begleitung dreier Freunde – des Rei- zum Beispiel durch den Erzbischof von Geleit gewährt werden dürfe. ches Herold ritt voraus – aus Wittenberg ab. , scheiterten. Rom brannte jetzt die Vernichtung Lu- „Denke an Hus!“ ermahnten ihn noch seine Wie stand es bei dieser angespannten Si- thers auf den Nägeln. Kein Wunder, die verbliebenen Freunde. Damit öffnete sich tuation um die Sicherheit Luthers? Bot das Zahl seiner Anhänger wurde immer größer. der Vorhang zum entscheidenden Akt. Geleit wirklich Schutz? Welche Intrigen Aleander berichtete dem Papst: „Neun- Hauptdarsteller waren: Luther, Karl V., Ale- spann Aleander noch? Was damals bei Hus zehntel der Deutschen schreien Luther, ein ander, Hutten und Sickingen. Für Aleander gelang, muss doch auch jetzt gelingen? Hat- Zehntel Tod dem Papst!“ Was konnte Lu- stand fest: wenn sich schon das Geleit nicht te nicht ein spanischer Söldner einen An- ther vom Kaiser erwarten? Schon im No- verhindern ließ, musste es – koste es was es hänger Luthers wütend mit dem Schwert vember war erkennbar geworden, der wolle – unwirksam gemacht werden. Schon verfolgt? Wurde Luther nicht von ihnen ver- Fremdling, Herr der Niederlande und Spa- während der Reise bestand die Gefahr, We- höhnt? Hatten sie nicht seine Schriften ver- niens, machte Ansprüche auf Mailand gel- gelagerer, denen von Mönchen das See- brannt? Waren sie überhaupt Willens, Lu- tend. Auch brauchte er den Papst als Ver- lenheil versprochen wurde, könnten Luther ther im „Ernstfall“ zu schützen? Lassen sie bündeten gegen Frankreich. Alles Gründe, überfallen und verschleppen. Aber es ge- sich nicht bestechen? Oder: was könnte un- sich ihm gefällig zu zeigen. schah nichts. Vielerorts wurde Luther gar ternommen werden, damit Karl V. so Am 28. Januar wurde der Reichstag er- gebeten, zu predigen. Am 15. April 1521 er- verfährt, wie einst Kaiser Sigismund? War öffnet. Kirchliche und weltliche Angele- reichte er Oppenheim, die letzte Station vor er wirklich an dem Schutz des Oberketzers genheiten standen zur Verhandlung. Für Worms. Hier bekam er Besuch von dem be- interessiert? Ja! Denn der Hof ließ verbrei- Aleander bot sich bald Gelegenheit, die reits erwähnten Martin Bucer. Bucer – auch ten: „Die Umgebung des Kaisers hat es für Reichsversammlung durch eine flammende sonst für Dienste von und nach Worms ein- angezeigt gehalten, dass man trotz der ge- Anklage zur Verdammung Luthers ohne gesetzt – überbrachte ihm eine Einladung harnischten Erklärung Karls V., die er am Verhör zu bewegen. Anlass für Hutten, In- Sickingens. Vorausgegangen war ein Ge- 19. April gegen den ketzerischen Mönch ge- vektiven (Kampfschriften) zu verfassen. Die schehnis von dem wenig bekannt ist. Soviel richtet hatte, das Geleit zu halten beab- erste – voller Zorn – traf den römischen Dip- scheint sicher: Sickingen und Hutten wur- sichtige.“ Was war unter dieser Absicht zu lomaten: „Wir“ – dahinter steht der Söld- den einige Tage vorher von des Kaisers verstehen? Und warteten nicht die Bischöfe nerführer Sickingen – „beobachten alle dei- Beichtvater, dem Mönch Glapion und dem darauf, dass Luther etwas Falsches sagte, ne Schritte“, um zu enden mit: „Du wirst Kämmerer Armstorff aufgesucht. Sie baten um ihn doch „ausgeliefert“ zu bekommen. nicht lebendig aus Deutschland kommen!“ Sickingen, Luther auf seine Burg einzula- Ohne Zweifel hatte Luther auf dem Weg Aleander war entsetzt. Später wird er dem den; der Kaiser sei um die Einheit des Rei- zu oder von seinen Verhören einen gewis- Kaiser schreiben, er begegne ständig Nach- ches besorgt und hielt es für besser, die An- sen Schutz: Seine Anhänger – die Untaten stellungen und fühle sich an Leib und Le- gelegenheit auf der Ebernburg zu verhan- der Spanier sehend – achteten darauf, dass ben bedroht. In einer weiteren Invektive deln. Auch brachten sie Hutten ein Angebot auch der Herold zum Geleit gehörte. Wenn hielt Hutten den in Worms weilenden Bi- mit: für 400 Gulden Jahresgehalt in den also nicht der Herold und spanische Reiter schöfen ihr lasterhaftes Leben vor und er- Dienst des Kaisers einzutreten. Doch nicht Luthers Leben sicherten, wer war es dann? schreckte sie mit seinem bekannten Satz: der Kaiser steckte hinter der Sache, sondern Es waren Sickingens Söldner! Ihre Führer „Seht Ihr nicht, daß die Luft der Freiheit – Aleander. Ein Zeichen, Roms Nerven la- waren auf der Ebernburg für diesen „Ernst- weht!“ Wenn Hutten mit diesen Invektiven gen inzwischen blank. Sickingen, das Spiel fall“ verpflichtet worden. Gibt es hierfür Be- seinen Zielen auch nicht näher gekommen nicht durchschauend, schickte Bucer los, lege? Keine unmittelbaren; welcher war; eines hatte er erreicht: die hohen Wür- während Hutten schwankte: verfolgt, krän- Schreibkundige wusste schon um die Ein- denträger waren nun völlig verunsichert. kelnd, nahezu ohne Mittel. Luther dagegen zelheiten? Aber es gibt Hinweise. So ein An- 4 (Seite 8 des Jahrgangs) Bad Kreuznacher Heimatblätter - 2/2017

schlag am Wormser Rathaus: danach hatten weiteren 1540. Beide Male erwähnten die sich 400 Ritter gegen Luthers Feinde ver- Schreiber dieser Reden nichts von dem schworen. Oder die erwähnte, schwammige Schutz, der Luther von der Ebernburg aus Erklärung aus der Umgebung des Kaisers: gewährt wurde. Luther starb am 18. Febru- Sie musste Sickingen und Hutten schnellst- ar 1546. möglich zur Kenntnis gebracht werden. Auch Rom blieb bei seinem Lehramt und Denn beide Ritter – das war dem kaiserli- missbrauchte weiterhin seine Macht: 1523 chen Hof inzwischen bekannt – warteten wurden die ersten beiden Märtyrer des neu- nur darauf, im Notfall sofort einschreiten zu en Glaubens in Brüssel verbrannt. Trotz sol- können. Diese Absicht hatte Hutten schon cher Gefahren wandten sich immer mehr in einem Brief vom 17. April an Luther an- Menschen vom alten Glauben ab. gedeutet: „Ich werde Dir bis zum letzten Ausgelöst durch die Ausuferung des Ab- Atemzug anhangen!“ Oder am 20. April: lasshandels, hatte der Mönch Martin Luther Luther soll seinen Gegnern Trotz und Ver- am 31. Oktober 1517 mit dem Anschlag von achtung entgegensetzen und sich auf seine 95 Thesen zentrale Aussagen der katholi- Beschützer verlassen. Deutlicher ging es schen Theologie verworfen und an ihre Stel- nicht; wusste er doch, Luther lehnte jede le seine Erkenntnisse gesetzt: einzig die kriegerische Maßnahme ab. So war die La- Luthers Empfang in Worms. Bildquellle: Dr. Martin Luther Gnade Gottes sichert das Heil der Seele ge inzwischen so brenzlig, dass der Kaiser der deutsche Reformator: In bildlichen Darstellungen von Gustav und nur in der Schrift ist die Wahrheit zu fin- handeln musste: Er ließ Luther entnervt, König. Hrsg. Julius Koestlin, Berlin Reuther und Reichhard, o. J. den. Der daraufhin mit der römischen Amts- weil immer zwischen Rom und den Ständen kirche entstandene Konflikt dauerte drei- hin und her schwankend, mitteilen, er be- einhalb Jahre. Beenden sollte diesen Kon- fehle, dass er abreise und binnen 21 Tagen flikt der Anfang Januar 1521 über Luther wieder in Wittenberg einzutreffen habe, so vollzählig anwesend waren. Die Sache fliegt verhängte Kirchenbann. Um rechtskräftig lange gelte das Geleit. auf; Teile der Stände erkennen das Edikt zu werden, musste auch die Reichsacht ver- Luther verließ Worms am 26. April. Ale- nicht an. kündet werden. Dies sollte mit Hilfe der Ku- ander tobte und musste dem Papst geste- rie auf dem Wormser Reichstag erfolgen. hen: „So ist denn der Schurke gestern ab- Aber das Spiel der Kurie wurde ihr kräftig gereist!“ Auch die anderen Romtreuen wa- Epilog verdorben: durch Kampfschriften Ulrich von ren entsetzt. Ab Oppenheim übernahm der Huttens und die Entsendung von Söldnern Herold wieder das Geleit. Über Mit Luthers Aufenthalt auf der Wartburg Franz von Sickingens zum Schutze Luthers. ging es nach Friedberg. In Eisenach pre- änderte sich die Bedeutung der Ebernburg: Dadurch entstand eine derart explosive La- digte er, obwohl vom Kaiser verboten, reiste Aus dem Militärzentrum wurde bald ein ge, dass der Kaiser die Acht erst verkünde- über Schloss Altenstein und kommt in den Zentrum der Reformationsbewegung im te, als Luther bereits in Sicherheit war. Die Thüringer Wald. Dort passiert es: Luthers oberen Rheintal. Zuvor erhielt Sickingen im begann. Sie reichte weiter, als Wagen wird von fünf Reitern zum Stehen Juni 1521 einen Brief Luthers mit einer Luther gedacht hatte. gebracht, er selbst aus dem Wagen gezerrt, „Widmungsrede“. Der Text zeigt, Sickin- ins Unterholz verschleppt und – auf die gen wusste von dem „Überfall“. Ein Indiz Wartburg in ritterliche Haft gebracht. Drei dafür, einige seiner Reiter könnten daran Quellen: Gerüchte waren bald im Umlauf: Sickinger beteiligt gewesen sein. Auch bekannte sich haben ihn an einen sicheren Ort entführt, Sickingen bald öffentlich zur Sache Luthers: • D. Martin Luthers Werke, Briefwechsel Luther ist tot und schließlich: Luther sei Der Burgkaplan Johannes Oecolampad fei- Bd. II 1520–1522, Weimar 1931 nach Rom verschleppt. So fehlte nicht viel, erte am 25. Mai 1522 den ersten evangeli- • Hagedorn, Günter: Erläuterungen und Do- und Luthers Anhänger wären gegen die schen Gottesdienst auf der Ebernburg. Si- kumente – Heinrich von Kleist: Michael Römlinge tätlich geworden; keiner von ih- ckingen starb, schwer verletzt, am 7. Mai Kohlhaas, Stuttgart 1970 nen fühlte sich mehr sicher. In Wirklichkeit 1523 auf seiner Burg Nanstein bei Land- • Kalkoff, Paul: Ulrich von Hutten und die war der Überfall ein „abgekartetes“, von stuhl; mit seinem Feldzug gegen das Erzstift Reformation, Leipzig 1920 seinem Landesfürsten veranlasstes Spiel. Trier hatte er sich übernommen. Die Ebern- • Mc Grath, Alister: Der Weg der christli- Es zeigt, Friedrich der Weise traute weder burg wurde am 6. Juni 1523 zerstört. chen Theologie, Gießen 2013 dem Kaiser noch den Römern. Und es zeigt, Hutten hatte schon in der zweiten Mai- • Meisner, Michael: Martin Luther, Lübeck wie leicht Luther zu entführen gewesen wä- hälfte 1521 – enttäuscht von der rom- 1981 re. Auf der Wartburg war er endlich in Si- freundlichen Haltung des Kaisers, aber zu- • Röhr, Helmut: Ulrich von Hutten, Disser- cherheit. frieden, zu der sicheren „Rückkehr“ Lu- tation Heidelberg, Hamburg 1936 thers beigetragen zu haben, – die Ebern- • Schauder, Karlheinz: Womit ich Euch Ge- burg verlassen. Doch sollte er nirgends fallen kann erzeigen, Heimatjahrbuch des Karl V. verhängt die Reichsacht mehr eine dauerhafte Bleibe finden. Sich Landkreises 2016, S. 139–143 gegenüber seinen Freunden verteidigen zu • Soldau, Friedrich: Der Reichstag zu Worms Anfang Mai hebt sich auf der Reichs- müssen, weil die kirchlichen Würdenträger 1521, Worms 1883 tagsbühne der Vorhang zum letzten Akt. Worms unversehrt verlassen konnten und in • Türcke, Christoph: Jesu Traum, Springe Hauptdarsteller: Karl V. und – Aleander. kleinere Fehden verstrickt, um eine Ver- 2010 Endlich bekommt der Kirchenmann Ge- bindung zwischen der Ritterschaft und den • Ulbricht, Friedrich: Was verbindet die nugtuung: Von der weltlichen Macht be- freien Städten zu erreichen, verschlimmerte Ebernburg mit der Stanford University? Bad auftragt, fasst er ein Strafedikt gegen Lu- sich schließlich sein Leiden. Aufgenommen Kreuznacher Heimatblätter 5/2015 ther ab. Mit Feuereifer macht sich Alean- von dem Zürcher Reformator Zwingli, starb • Wulfert, Heiko: Die Kritik an Papsttum der, glaubend, er könne noch der Reform- er am 29. August 1523 auf der Insel Ufenau und Kurie bei Ulrich von Hutten, Berlin bewegung den Todesstoß versetzen, darü- im Zürichsee. 2009 ber und schreibt unter anderem: „Der Kai- Luther, nach einem Jahr wieder in Wit- ser habe darüber zu wachen, dass im Heili- tenberg, hielt weiter unnachgiebig an den Der Verfasser dankt Dr. Horst Silbermann gen Römischen Reich der heilige Glaube Bibelworten fest. Als sich zum Beispiel für die Durchsicht des Manuskripts und nicht durch Ketzer befleckt werde. Des Wei- Hans Kohlhase, von seinem örtlichen wertvolle Verbesserungsvorschläge. Dank teren werde über Luther die Acht verhängt Machthaber finanziell geschädigt und auf ferner Jörg Julius Reisek für nützliche Lite- und angeordnet, Luther solle gefangen ge- dem Rechtswege gescheitert, wegen der raturhinweise. nommen und wohl bewahrt Rom zugesandt Frage der Rache an ihn wandte, wies er ihn werden. Ebenso werden seine Verwandten, auf das Bibelwort hin: „Die Rache ist mein, Anhänger und Gönner in Acht geworfen“. ich will vergelten, spricht der Herr“ (Röm. Der Kaiser vollzieht das Edikt am 26. Mai. 12,19) und fügte hinzu: „Setzt Euch zufrie- Einige Fürsten hatten Worms bereits ver- den, und lasset Euch den Schaden von Gott Die Bad Kreuznacher Heimatblätter erscheinen lassen. Es hätte jedoch nur rechtskräftig zugefügt sein!“ Wer nun glaubt, Luther er- monatlich in Zusammenarbeit mit dem Verein werden können zu einem Zeitpunkt, an innere sich in späteren Jahren an die Ebern- für Heimatkunde für Stadt und Kreis Bad Kreuznach dem alle Stände anwesend waren. Was burg, sieht sich getäuscht. Zweimal hatte er e.V. (i. A. Anja Weyer M.A., Richard-Wagner-Str. macht Aleander? Er setzt den 8. Mai unter sich zu seiner Reise nach Worms geäußert: 103, 55543 Bad Kreuznach, Telefon 0671/757 48, das Edikt, ein Tag, an dem die Stände noch während einer Tischrede 1533 und einer E-Mail [email protected]).