Plenarprotokoll 18/215

Deutscher

Stenografischer Bericht

215. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2017

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Dr . Michael Fuchs (CDU/CSU)...... 21466 D neten Rainer Hajek, Jutta Eckenbach, Sieg­ Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ mund Ehrmann und Barbara Woltmann. . . 21459 A DIE GRÜNEN)...... 21468 D Wahl des Abgeordneten als (Peine) (SPD) ...... 21470 C Schriftführer...... 21459 B (DIE LINKE) ...... 21472 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung ...... 21459 B Andreas G . Lämmel (CDU/CSU)...... 21474 A Die Tagesordnungspunkte 10, 13 und 17 wer- (DIE LINKE) ...... 21475 D den abgesetzt...... 21460 A (SPD)...... 21476 C (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21477 D Tagesordnungspunkt 3: Dr . (CDU/CSU)...... 21478 D a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den Bundesminister für Wirtschaft und (SPD)...... 21480 B Energie: Für inklusives Wachstum in Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU). . . . . 21481 A Deutschland und Europa b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: (CDU/CSU)...... 21482 A Jahreswirtschaftsbericht 2017 der Bun­ desregierung Drucksache 18/10990...... 21460 B Tagesordnungspunkt 4: c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Erste Beratung des von der Bundesregierung Jahresgutachten 2016/2017 des Sachver­ eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur ständigenrates zur Begutachtung der ge­ Ergänzung des Finanzdienstleistungsauf­ samtwirtschaftlichen Entwicklung sichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Drucksache 18/10230...... 21460 C Gefahren für die Stabilität des Finanzsys­ tems und zur Änderung der Umsetzung der d) Beschlussempfehlung und Bericht des Wohnimmobilienkreditrichtlinie (Finanz­ Ausschusses für Wirtschaft und Energie aufsichtsrechtergänzungsgesetz) zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Drucksache 18/10935...... 21483 C Andreae, , Katharina Drö- ge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Dr . , Parl . Staatssekretär BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jahres­ BMF ...... 21483 D wohlstandsbericht einführen Dr . (DIE LINKE) ...... 21485 B Drucksachen 18/7368, 18/7599...... 21460 D , Parl . Staatssekretär BMJV . . . . 21486 C , Bundesminister BMWi. . . . . 21461 A Dr . (BÜNDNIS 90/ Klaus Ernst (DIE LINKE) ...... 21465 C DIE GRÜNEN)...... 21487 C II Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Antje Tillmann (CDU/CSU)...... 21488 C c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge­ Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ setzes zur Neuregelung des Rechts zur DIE GRÜNEN)...... 21490 A Sicherstellung der Ernährung in einer Manfred Zöllmer (SPD)...... 21490 D Versorgungskrise Drucksache 18/10943...... 21509 D (CDU/CSU)...... 21492 A d) Erste Beratung des von der Bundesregie- (SPD) ...... 21493 B rung eingebrachten Entwurfs eines Zehn­ (CDU/CSU)...... 21494 C ten Gesetzes zur Änderung des Weinge­ setzes Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/10944...... 21509 D DIE GRÜNEN)...... 21495 A e) Antrag der Abgeordneten , , , weiterer Tagesordnungspunkt 5: Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN- KE: Entkriminalisierung des Fahrens a) Antrag der Abgeordneten , Re- ohne Fahrschein – Polizei und Justiz nate Künast, , weiterer Abge- entlasten ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ Drucksache 18/7374...... 21509 D DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Unter­ nehmensverantwortung – Wirksame f) Antrag der Abgeordneten , Sanktionen bei Rechtsverstößen von Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, wei- Unternehmen terer Abgeordneter und der Fraktion DIE Drucksache 18/10038...... 21496 B LINKE: Verordnung gegen Stress in der Arbeitswelt erlassen b) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Drucksache 18/10892...... 21510 A Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ g) Unterrichtung durch die Bundesregierung: DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Unter­ Bericht über die Tätigkeit der Verkehrs­ nehmensverantwortung – Menschen­ infrastrukturfinanzierungsgesellschaft rechtliche Sorgfaltspflichten im deut­ im Jahr 2015 schen Recht verankern Drucksache 18/9545...... 21510 A Drucksache 18/10255...... 21496 B h) Antrag des Bundesministeriums für Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). . . 21496 C Wirtschaft und Energie: Anpas­ sungsvertrag ERP-Förderrücklage Dr . Jan-Marco Luczak (CDU/CSU)...... 21497 C Einholung eines zustimmenden Be­ (DIE LINKE) ...... 21499 D schlusses des Deutschen Bundestages ge­ mäß § 6 Absatz 3 des ERP-Verwaltungs­ Dr . (SPD)...... 21501 C gesetzes Jürgen Klimke (CDU/CSU)...... 21503 A Drucksache 18/10825...... 21510 A Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21504 D Zusatztagesordnungspunkt 1: Stefan Rebmann (SPD)...... 21505 D Antrag der Abgeordneten , Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, wei- Dr .V olker Ullrich (CDU/CSU)...... 21506 D terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Christoph Strässer (SPD) ...... 21508 B NIS 90/DIE GRÜNEN: Klare CO2-Redukti­ onen im Flugverkehr schaffen Drucksache 18/9801...... 21510 B Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Tagesordnungspunkt 34: rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­ zes zur weiteren Verbesserung des Hoch­ a) Zweite und dritte Beratung des von der wasserschutzes und zur Vereinfachung Bundesregierung eingebrachten Entwurfs von Verfahren des Hochwasserschutzes eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer (Hochwasserschutzgesetz II) Anordnungen der Schriftform im Ver­ Drucksache 18/10879...... 21509 C waltungsrecht des Bundes Drucksachen 18/10183, 18/11007...... 21510 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­ b) Zweite und dritte Beratung des von der zes zur Änderung raumordnungsrechtli­ Bundesregierung eingebrachten Entwurfs cher Vorschriften eines Energiestatistikgesetzes (EnStatG) Drucksache 18/10883...... 21509 C Drucksachen 18/10350, 18/10999...... 21510 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 III

c) Zweite und dritte Beratung des von der 2227 (2015) und 2295 (2016) des Sicher­ Bundesregierung eingebrachten Entwurfs heitsrates der Vereinten Nationen vom eines Gesetzes zu dem Vorschlag für ei­ 25. April 2013, 25. Juni 2014, 29. Juni nen Beschluss des Rates über die Unter­ 2015 und 29. Juni 2016 zeichnung des Abkommens zwischen der Drucksachen 18/10819, 18/10967...... 21512 C Europäischen Union und der Regierung – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß von Kanada über die Anwendung ihres § 96 der Geschäftsordnung: Wettbewerbsrechts im Namen der Eu­ Drucksache 18/10988...... 21512 C ropäischen Union und zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Petra Ernstberger (SPD)...... 21512 D Abschluss des Abkommens zwischen der Niema Movassat (DIE LINKE) ...... 21513 C Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung ihres (CDU/CSU)...... 21514 D Wettbewerbsrechts (BÜNDNIS 90/ Drucksachen 18/10808, 18/11002...... 21511 A DIE GRÜNEN)...... 21516 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU)...... 21517 A Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- Dirk Vöpel (SPD)...... 21518 A nung der Bundesregierung: Verordnung Dr . (CDU/CSU)...... 21518 D zur Umsetzung der Richtlinie 2014/99/ EU und zur Änderung und Anpassung weiterer immissionsschutzrechtlicher Namentliche Abstimmung ...... 21519 C Verordnungen Drucksachen 18/10756, 18/10924 Nr . 2 1,. Ergebnis ...... 21523 C 18/10998...... 21511 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Tagesordnungspunkt 6: Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- – Beschlussempfehlung und Bericht des nung der Bundesregierung: Verordnung Auswärtigen Ausschusses zu dem An- zur Änderung der Chemikalien-Klima­ trag der Bundesregierung: Fortsetzung schutzverordnung der Beteiligung bewaffneter deutscher Drucksachen 18/10837, 18/10924 Nr . 2 3,. Streitkräfte zur Ausbildungsunterstüt­ 18/10997...... 21511 C zung der Sicherheitskräfte der Regie­ f)–j) rung der Region Kurdistan-Irak und Beratung der Beschlussempfehlungen des der irakischen Streitkräfte Petitionsausschusses: Sammelübersichten Drucksachen 18/10820, 18/10968...... 21520 A 400, 401, 402, 403 und 404 zu Petitionen – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Drucksachen 18/10885, 18/10886, § 96 der Geschäftsordnung 18/10887, 18/10888, 18/10889...... 21511 D Drucksache 18/10989...... 21520 A Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister Tagesordnungspunkt 21: AA...... 21520 B Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Vizepräsidentin Dr .h .c .. . . . 21522 C desregierung eingebrachten Entwurfs ei- Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi. . . . . 21522 D nes Fünften Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgesetzes (DIE LINKE) ...... 21526 A Drucksachen 18/10455, 18/10821, 18/10924 Jürgen Hardt (CDU/CSU)...... 21527 A Nr . 1 .18, 18/11005...... 21512 B Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21528 A Tagesordnungspunkt 7: Wilfried Lorenz (CDU/CSU)...... 21529 A – Beschlussempfehlung und Bericht des (CDU/CSU)...... 21530 A Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag Christine Buchholz (DIE LINKE) ...... 21530 D der Bundesregierung: Fortsetzung und Erweiterung der Beteiligung bewaffne­ Julia Obermeier (CDU/CSU)...... 21531 A ter deutscher Streitkräfte an der Mul­ tidimensionalen Integrierten Stabilisie­ Namentliche Abstimmung ...... 21531 B rungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Resolutionen 2100 (2013), 2164 (2014), Ergebnis ...... 21533 C IV Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Tagesordnungspunkt 8: (CDU/CSU)...... 21547 D Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Michaela Engelmeier (SPD)...... 21549 A schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten , Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abge- Zusatztagesordnungspunkt 2: ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bun­ deseinheitliche Netzentgelte für Strom Antrag der Abgeordneten , Ni- Drucksachen 18/3050, 18/3749 ...... 21531 C cole Maisch, , weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ (SPD) ...... 21531 D DIE GRÜNEN: zu den Entwürfen für (DIE LINKE)...... 21532 C eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäi­ Thomas Bareiß (CDU/CSU)...... 21536 A schen Kommission über das Inverkehrbrin­ Roland Claus (DIE LINKE)...... 21537 B gen von Saatgut zum Anbau der gentech­ nisch veränderten Maislinien MON 810, Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ 1507 und Bt11 DIE GRÜNEN)...... 21538 C (Dokumente SANTE/10702/2016, (SPD)...... 21539 C ­SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun­ Dr .Andreas Lenz (CDU/CSU)...... 21540 C desregierung gemäß Artikel 23 Ab­ satz 3 des Grundgesetzes (SPD)...... 21541 B Keine Zulassung der gentechnisch verän­ derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Tagesordnungspunkt 9: Drucksache 18/10976...... 21550 B a) Beschlussempfehlung und Bericht des Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, DIE GRÜNEN)...... 21550 B Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Zweite Ver­ (CDU/CSU)...... 21551 C ordnung zur Änderung der Sportanla­ Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE)...... 21552 B genlärmschutzverordnung Drucksachen 18/10483, 18/10696 Nr . 2, (SPD)...... 21553 B 18/11006...... 21542 A Rita Stockhofe (CDU/CSU)...... 21554 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Peter Meiwald, , Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ Dr . , weiteren Abgeord- DIE GRÜNEN)...... 21554 D neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Elvira Drobinski-Weiß (SPD)...... 21556 B GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dreizehnten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Zur Geschäftsordnung Drucksachen 18/10859, 18/11006...... 21542 B (BÜNDNIS 90/ c) Beschlussempfehlung und Bericht des DIE GRÜNEN)...... 21557 A Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag Ute Vogt (SPD)...... 21558 B der Abgeordneten Peter Meiwald, Monika Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE)...... 21559 A Lazar, Christian Kühn (Tübingen), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Sport und All­ Tagesordnungspunkt 11: tag verbinden – Lärmschutzregeln für Sportanlagen den heutigen Anforderun­ Zweite und dritte Beratung des von der Bun- gen anpassen desregierung eingebrachten Entwurfs eines Drucksachen 18/4329, 18/11006...... 21542 B Gesetzes über die Feststellung eines Nach­ trags zum Bundeshaushaltsplan für das Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin Haushaltsjahr 2016 (Nachtragshaushalts­ BMUB...... 21542 C gesetz 2016) Birgit Menz (DIE LINKE)...... 21543 B Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924 Nr . 1 .16...... 21560 A Karsten Möring (CDU/CSU) ...... 21544 A (CDU/CSU)...... 21560 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21545 D Roland Claus (DIE LINKE)...... 21561 B (SPD)...... 21546 D Johannes Kahrs (SPD) ...... 21562 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 V

Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ Sabine Zimmermann (Zwickau) DIE GRÜNEN)...... 21563 C (DIE LINKE) ...... 21579 C Alois Rainer (CDU/CSU)...... 21564 D Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU). . . . . 21580 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21581 A Tagesordnungspunkt 12: Dr . Martin Pätzold (CDU/CSU)...... 21582 B Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Zusatztagesordnungspunkt 3: weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Erfahrungen aus 14 Jahren „Krieg Zweite und dritte Beratung des von den Frak- gegen den Terror“ – Eine Bilanz in Irak, Af­ tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach- ghanistan, Pakistan ten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung Drucksachen 18/7991, 18/10364 ...... 21565 C der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz – Inge Höger (DIE LINKE)...... 21565 C ­SoKaSiG) (CDU/CSU)...... 21566 C Drucksache 18/10631, 18/11001...... 21583 B Inge Höger (DIE LINKE)...... 21566 D Bernd Rützel (SPD) ...... 21583 B (BÜNDNIS 90/ Matthias W . Birkwald (DIE LINKE)...... 21584 B DIE GRÜNEN)...... 21568 B (CDU/CSU) ...... 21585 B (SPD)...... 21569 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE)...... 21570 C DIE GRÜNEN)...... 21586 A Niels Annen (SPD)...... 21571 A (CDU/CSU)...... 21587 A Roderich Kiesewetter (CDU/CSU)...... 21571 C Tagesordnungspunkt 16: (CDU/CSU)...... 21572 A Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit zu dem Antrag Tagesordnungspunkt 15: der Abgeordneten , Sabine Zimmermann (Zwickau), , Erste Beratung des von der Bundesregierung weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Ge­ LINKE: Patientenberatung unabhängig und setzes zur Novellierung von Finanzmarkt­ gemeinnützig ausgestalten vorschriften auf Grund europäischer Drucksachen 18/7042, 18/9979 ...... 21588 B Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellie­ rungsgesetz – 2. FiMaNoG) Reiner Meier (CDU/CSU) ...... 21588 B Drucksache 18/10936...... 21573 C Kathrin Vogler (DIE LINKE)...... 21589 A Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär Helga Kühn-Mengel (SPD)...... 21590 A BMF ...... 21573 C Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Susanna Karawanskij (DIE LINKE)...... 21574 C DIE GRÜNEN)...... 21591 A (SPD)...... 21575 B Dr . (CDU/CSU) ...... 21592 B Matthias Hauer (CDU/CSU)...... 21576 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ Sarah Ryglewski (SPD) ...... 21577 B DIE GRÜNEN)...... 21593 A

Tagesordnungspunkt 19: Tagesordnungspunkt 14: a) Zweite und dritte Beratung des von der Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Bundesregierung eingebrachten Entwurfs schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- eines Gesetzes zur Verbesserung der trag der Abgeordneten Dr .W olfgang Streng- Handlungsfähigkeit der Selbstverwal­ mann-Kuhn, Christian Kühn (Tübingen), tung der Spitzenorganisationen in der Corinna Rüffer, weiterer Abgeordneter und gesetzlichen Krankenversicherung so­ der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: wie zur Stärkung der über sie geführten Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstär­ Bundesweite Statistik einführen kungsgesetz) Drucksachen 18/7547, 18/11000...... 21578 A Drucksachen 18/10605, 18/10817, (SPD) ...... 21578 B 18/10924 Nr . 1 .17, 18/11009...... 21594 B VI Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 b) Beschlussempfehlung und Bericht des täts- und Assoziationsräten EU – Republik Ausschusses für Gesundheit Albanien sowie EU – Republik Serbien im – zu dem Antrag der Abgeordneten Ha- Hinblick auf die Beteiligung der Republik rald Weinberg, Sabine Zimmermann Albanien sowie der Republik Serbien als (Zwickau), Matthias W . Birkwald, wei- Beobachter an den Arbeiten der Agentur terer Abgeordneter und der Fraktion der Europäischen Union für Grundrech­ DIE LINKE: Patientenvertretung in te und die entsprechenden Modalitäten im der Gesundheitsversorgung stärken Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 – zu dem Antrag der Abgeordne- des Rates ten Dr . Harald Terpe, Maria Klein- Drucksachen 18/9990, 18/10966 ...... 21602 D Schmeink, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Ver­ Tagesordnungspunkt 20: sicherten sorgsam umgehen – Mehr Antrag der Abgeordneten , Frank Transparenz und bessere Aufsicht Tempel, Dr .André Hahn, weiterer Abgeord- über die Selbstverwaltung im Ge­ neter und der Fraktion DIE LINKE: Anglei­ sundheitswesen chung der Entschädigungsleistungen für Drucksachen 18/10630, 18/8394, NS-Opfer 18/11009...... 21594 C Drucksache 18/10969...... 21603 A

Tagesordnungspunkt 18: Tagesordnungspunkt 23: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und trag der Abgeordneten , SPD: Biodiversität schützen – Taxonomi­ , Sabine Zimmermann sche Forschung ausbauen (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Drucksache 18/10971...... Fraktion DIE LINKE: Gute Ausbildung – 21603 B Gute Arbeit – Gute Pflege Drucksachen 18/7414, 18/11003...... 21595 A Tagesordnungspunkt 24: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem An- Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und trag der Abgeordneten Elisabeth Scharfen- SPD: Pharmazeutische Forschung gegen berg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Infektionskrankheiten stärken – Nationale Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Wirkstoffoffensive starten Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Drucksache 18/10972...... Integrative Pflegeausbildung – Pflegebe­ 21603 C ruf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten Drucksachen 18/7880, 18/11004...... 21595 A Tagesordnungspunkt 25: (CDU/CSU)...... 21595 A Erste Beratung des von der Bundesregierung Kathrin Vogler (DIE LINKE)...... 21596 B eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Bettina Müller (SPD) ...... 21597 B das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer straßenverkehrsrechtlicher Vor­ Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ schriften DIE GRÜNEN)...... 21598 D Drucksache 18/10937...... 21603 D Erwin Rüddel (CDU/CSU)...... 21599 C (SPD) ...... 21600 B Tagesordnungspunkt 26: Petra Crone (SPD)...... 21601 C Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Tagesordnungspunkt 22: Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes, Zweite und dritte Beratung des von der Bun- des Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur desregierung eingebrachten Entwurfs eines Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Gesetzes zu den Vorschlägen der Europä­ Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes ischen Kommission vom 7. März 2016 für und des Gesetzes über die Errichtung eines Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Kraftfahrt-Bundesamtes Standpunkten der Union in den Stabili­ Drucksache 18/10882...... 21604 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 VII

Tagesordnungspunkt 27: zes zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfahrensiche- Erste Beratung des von der Bundesregierung rungsgesetz – SoKaSiG) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur (Zusatztagesordnungspunkt 3)...... 21608 B Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten (CDU/CSU)...... 21608 B Drucksache 18/10938...... 21604 B Klaus Brähmig (CDU/CSU)...... 21609 A (CDU/CSU)...... 21609 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Anlage 5 von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschafts­ Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: partnerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten – von der Bundesregierung eingebrachten einerseits und der Europäischen Gemein­ Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung schaft und ihren Mitgliedstaaten anderer­ der Handlungsfähigkeit der Selbstverwal- seits tung der Spitzenorganisationen in der ge- setzlichen Krankenversicherung sowie zur Drucksachen 18/8297, 18/10950 ...... 21604 C Stärkung der über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) Nächste Sitzung ...... 21604 D – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Gesundheit: Anlage 1 – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Liste der entschuldigten Abgeordneten. . . . . 21605 A Matthias W .Birkwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Pati- entenvertretung in der Gesundheitsversor- Anlage 2 gung stärken Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- – zu dem Antrag der Abgeordneten chen Abstimmung über die Beschlussemp- Dr .Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeord- Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf- GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetz- te zur Ausbildungsunterstützung der Sicher- lich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr heitskräfte der Regierung der Region Kurdis- Transparenz und bessere Aufsicht über die tan-Irak und der irakischen Streitkräfte Selbstverwaltung im Gesundheitswesen (Tagesordnungspunkt 6)...... 21606 A (Tagesordnungspunkt 19 a und b)...... 21609 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21606 A Reiner Meier (CDU/CSU)...... 21610 A Dr. (CDU/CSU). . . . 21606 C (CDU/CSU) ...... 21610 C Bärbel Bas (SPD)...... 21611 C

Anlage 3 Harald Weinberg (DIE LINKE) ...... 21612 C Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ von der Bundesregierung eingebrachten Ent- DIE GRÜNEN)...... 21613 B wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Novellie- rung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanz- Anlage 6 marktnovellierungsgesetz – 2 . FiMaNoG) Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung (Tagesordnungspunkt 15)...... 21607 B des von der Bundesregierung eingebrachten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlägen DIE GRÜNEN)...... 21607 B der Europäischen Kommission vom 7 .März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Stabilitäts- und Assoziationsräten EU-Republik Albanien Anlage 4 sowie EU-Republik Serbien im Hinblick auf Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung die Beteiligung der Republik Albanien sowie über den von den Fraktionen der CDU/CSU der Republik Serbien als Beobachter an den und SPD eingebrachten Entwurf eines Geset- Arbeiten der Agentur der Europäischen Uni- VIII Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 on für Grundrechte und die entsprechenden Kathrin Vogler (DIE LINKE)...... 21630 B Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr . 168/2007 des Rates (BÜNDNIS 90/ (Tagesordnungspunkt 22)...... 21614 A DIE GRÜNEN)...... 21631 A (CDU/CSU)...... 21614 B Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU). . . . 21615 B Anlage 10 Norbert Spinrath (SPD) ...... 21616 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten (DIE LINKE)...... 21616 D Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrer- (BÜNDNIS 90/ wesen und zur Änderung anderer straßenver- DIE GRÜNEN)...... 21617 B kehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 25)...... 21631 D (CDU/CSU)...... 21631 D Anlage 7 (SPD) ...... 21633 D Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Thomas Lutze (DIE LINKE)...... 21634 C Tempel, Dr .André Hahn, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Angleichung Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer DIE GRÜNEN)...... 21635 B (Tagesordnungspunkt 20)...... 21617 D Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin Dr. André Berghegger (CDU/CSU) . . . . . 21618 A BMVI...... 21636 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU)...... 21618 D Dr. Hans-Ulrich Krüger (SPD)...... 21619 B Anlage 11 Ulla Jelpke (DIE LINKE)...... 21620 C Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten (Köln) (BÜNDNIS 90/ Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des DIE GRÜNEN)...... 21621 C Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahrperso- nalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, Anlage 8 des Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundes- des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und amtes SPD: Biodiversität schützen – Taxonomische (Tagesordnungspunkt 26)...... 21636 C Forschung ausbauen (CDU/CSU)...... (Tagesordnungspunkt 23)...... 21622 C 21636 C (CDU/CSU)...... 21622 C (SPD)...... 21637 A Dr. (CDU/CSU). . . . . 21623 B Herbert Behrens (DIE LINKE)...... 21638 B René Röspel (SPD)...... 21624 A Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)...... 21639 A Birgit Menz (DIE LINKE)...... 21625 B Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ BMVI...... 21639 D DIE GRÜNEN)...... 21626 A

Anlage 9 Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und des von der Bundesregierung eingebrachten SPD: Pharmazeutische Forschung gegen In- Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung fektionskrankheiten stärken – Nationale Wirk- der epidemiologischen Überwachung über- stoffoffensive starten tragbarer Krankheiten (Tagesordnungspunkt 24)...... 21627 A (Tagesordnungspunkt 27)...... 21640 C (CDU/CSU)...... 21627 A (CDU/CSU)...... 21640 C (CDU/CSU)...... 21628 B (SPD)...... 21641 C René Röspel (SPD)...... 21629 B Birgit Wöllert (DIE LINKE)...... 21642 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 IX

Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ partnerschaftsabkommen vom 15 . Oktober DIE GRÜNEN)...... 21643 B 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen Gemeinschaft Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretä- und ihren Mitgliedstaaten andererseits rin BMG ...... 21644 A (Zusatztagesordnungspunkt 4)...... 21644 D Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) ...... 21644 D

Anlage 13 Dr. (SPD)...... 21645 C Heike Hänsel (DIE LINKE) ...... 21647 A Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschafts- DIE GRÜNEN)...... 21648 A

Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21459

(A) (C)

215. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 26. Januar 2017

Beginn: 9 .02 Uhr

Präsident Dr. : Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet . schaffen Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie Drucksache 18/9801 herzlich zu unserer Plenarsitzung . Überweisungsvorschlag: Bevor wir in unsere Tagesordnung eintreten, möchte Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit (f) ich nachträglich einigen Kolleginnen und Kollegen zu ih- Finanzausschuss ren Geburtstagen gratulieren . Der Kollege Rainer ­Hajek Ausschuss für Wirtschaft und Energie hat gestern seinen 72 .Geburtstag gefeiert . Außerdem Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur haben seit der letzten Sitzungswoche die Kollegin Jutta Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Eckenbach und der Kollege Siegmund Ehrmann ihren ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald 65 . und die Kollegin Barbara Woltmann ihren 60 .Ge - Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, burtstag begangen . (B) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (D) (Beifall) NIS 90/DIE GRÜNEN Alle guten Wünsche des ganzen Hauses für das neue Le- zu den Entwürfen für eine Durchführungs­ bensjahr! verordnung und zwei Durchführungsbe­ Wir müssen noch eine Schriftführerwahl durchführen . schlüsse der Europäischen Kommission Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schlägt vor, für die über das Inverkehrbringen von Saatgut Kollegin Katharina Dröge den Kollegen Matthias Gas­ zum Anbau der gentechnisch veränderten tel als Schriftführer zu wählen . Können Sie sich das Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 vorstellen? (Dokumente SANTE/10702/2016, ­SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe: hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes­ Ja!) regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes – Aha, der Kollege weiß das offenbar noch gar nicht . Er ist aber von der überwältigenden Zustimmung quer durch Keine Zulassung der gentechnisch veränder­ das ganze Haus beeindruckt, hingerissen und offenkun- ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für dig hinreichend überzeugt . Ich bedanke mich . Damit ist den Anbau in der EU der Kollege Gastel als neuer Schriftführer gewählt . Drucksache 18/10976 Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages­ ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten ZP 3 Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Punkte zu erweitern: tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der So­ ZP 1 Weitere Überweisung im vereinfachten Ver­ zialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozial­ fahren kassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG) (Ergänzung zu TOP 33) Drucksache 18/10631 Beratung des Antrags der Abgeordneten Anna- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- lena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel ses für Arbeit und Soziales (11 .Ausschuss) Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 18/11001 21460 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) ZP 4 Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Überweisungsvorschlag: (C) von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspart­ Finanzausschuss nerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 Ausschuss für Arbeit und Soziales zwischen den CARIFORUM-Staaten einer­ Verteidigungsausschuss seits und der Europäischen Gemeinschaft und Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- ihren Mitgliedstaaten andererseits heit Drucksache 18/8297 Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- schätzung Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- lung Ausschuss für Tourismus wicklung (19 .Ausschuss) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Drucksache 18/10950 Ausschuss Digitale Agenda Haushaltsausschuss ZP 5 Eidesleistung der Bundesministerin für Wirt­ c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- schaft und Energie gierung Dem einen oder anderen wird aufgefallen sein, dass Jahresgutachten 2016/2017 des Sachverstän­ in diesem Zusammenhang morgen auch eine Vereidigung digenrates zur Begutachtung der gesamtwirt­ stattfindet. Ich mache darauf aufmerksam, auch was die schaftlichen Entwicklung Veränderungen dann im Ablauf der Tagesordnung be- trifft . Drucksache 18/10230 Wie immer soll von der Frist für den Beginn der Bera- Überweisungsvorschlag: tungen, soweit erforderlich, abgewichen werden . Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Die Tagesordnungspunkte 6 und 7 tauschen unter Bei- Finanzausschuss behaltung der vorgesehenen Debattenzeiten ihre Plätze . Ausschuss für Arbeit und Soziales Verteidigungsausschuss Der Tagesordnungspunkt 10 – hier geht es um eine Be- Ausschuss für Gesundheit schlussempfehlung zum Thema „gentechnisch veränderte Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab- Maislinien“ – soll abgesetzt werden, stattdessen der Antrag schätzung auf Drucksache 18/10976 bei unveränderter Debattenzeit Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- aufgerufen werden . Da geht es um das gleiche Thema . lung (B) Ausschuss für Tourismus (D) Der Tagesordnungspunkt 13 wird abgesetzt . Die nach- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union folgenden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktio- Ausschuss Digitale Agenda nen rücken entsprechend vor . Haushaltsausschuss Der Tagesordnungspunkt 17 – da geht es um den d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsaner- Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und kennungsrichtlinie – soll abgesetzt und stattdessen der Energie (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Ab- Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassen- geordneten , Oliver Krischer, verfahren im Baugewerbe auf den Drucksachen 18/10631 Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der und 18/11001 mit einer Debattenzeit von 25 Minuten ab- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schließend beraten werden . Jahreswohlstandsbericht einführen Schließlich soll der Tagesordnungspunkt 21 – hier Drucksachen 18/7368, 18/7599 geht es um die Änderung des Sprengstoffgesetzes – nun- mehr ohne Debatte zusammen mit dem Tagesordnungs- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für punkt 34 aufgerufen werden . die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä- rung 77 Minuten vorgesehen .– Auch das ist offensicht- Offenkundig gibt es dagegen keine Einwände . Dann lich einvernehmlich . Dann können wir so verfahren . ist das so beschlossen, und wir verfahren so . Bevor ich jetzt dem Bundeswirtschaftsminister das Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 d auf: Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung gebe, möch- a) Abgabe einer Regierungserklärung durch den te ich Ihnen, Herr Minister, ganz persönlich, sicher aber Bundesminister für Wirtschaft und Energie auch im Namen vieler Kolleginnen und Kollegen unse- ren Respekt für die Entscheidung zum Ausdruck bringen, Für inklusives Wachstum in Deutschland und die Sie getroffen haben . Europa (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- gierung NISSES 90/DIE GRÜNEN – Jahreswirtschaftsbericht 2017 der Bundesre­ [CDU/CSU]: Nein, auf gar keinen Fall!) gierung Das kann Ihnen nicht ganz leichtgefallen sein . Weil diese Drucksache 18/10990 Entscheidung erwartungsgemäß auch einige Kritik und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21461

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) manche Häme nach sich gezogen hat, will ich Ihnen aus- – Herr Kauder, das war jetzt gar nicht als politische Dro- (C) drücklich zu der Souveränität gratulieren, mit der Sie sie hung gemeint . getroffen haben . Ich habe das gerne gemacht und will das auch gerne (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten so fortsetzen. Ich finde zwar, die parlamentarische De- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- battenkultur wird weniger, als wir es uns wünschen, im NISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder Fernsehen gezeigt und in der Öffentlichkeit wahrgenom- [CDU/CSU]: Nein!) men . Aber im Kern ist es das, was Demokratie ausmacht . Nur in Rede und Gegenrede schärfen sich das Argument Sie haben das Wort . und auch die Fähigkeit, das, was man will und ausdrü- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten cken will, besser und plausibler zu erklären . der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und DIE GRÜNEN und der Abg . Dr . Energie: [DIE LINKE]) Sehr geehrter Herr Präsident, ich gebe zu, dass mich das eben berührt hat . Auf der anderen Seite sage ich Ih- Meine Damen und Herren, wir haben im Deutschen nen: Manchmal ist man irritiert, wie viele Leute klat- Bundestag und, wie ich glaube, auch in der Bundesregie- schen, wenn man zurücktritt . rung wirklich gute Weichenstellungen vorgenommen für Wachstum, für Innovation, für Teilhabe und nicht zuletzt (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- dafür, dass die Energiewende nicht nur eine ökologi- KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sche, sondern endlich auch eine ökonomische Erfolgs- geschichte wird . Auch eine gewisse Erlösung ist zu spüren – auf beiden Seiten . Anlass unserer heutigen Debatte ist der Jahreswirt- schaftsbericht . Dreimal habe ich Ihnen diesen Bericht (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- vorgelegt, und ich bin dankbar dafür, dass ich das Glück KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hatte, in den vergangenen drei Jahren jedes Mal gute Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Nachrichten vermelden zu dürfen, und dass ich das auch Kollegen! Das ist in der Tat nicht meine letzte Rede hier, heute wieder tun kann: über 43 Millionen Beschäftigte – aber meine letzte Rede im Amt des Bundeswirtschafts- so viel wie noch nie –, eine Steigerung der sozialversi- ministers vor dem Deutschen Bundestag . Ich will des- cherungspflichtigen Beschäftigung und eine Abnahme wegen die Gelegenheit nutzen, Ihnen hier zu danken . Sie der prekären Beschäftigung, steigende Reallöhne, die (B) waren intensiv und auch streitbar mit mir hier unterwegs . niedrigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung (D) Von Ihrer Seite, aber auch – das gebe ich zu – von meiner und im letzten Jahr die höchste Rentenerhöhung seit Seite gab es viel Lust an Debatten . 20 Jahren . Ich glaube, wir haben hier gezeigt, wie eine ordent- Ich kenne ein paar meiner Vorgänger, die hätten des- liche parlamentarische Debattenkultur aussehen kann – halb jetzt eine flammende Rede darüber gehalten, ein und das, obwohl die Mehrheit der Großen Koalition im Feuerwerk abgeschossen, wie gut sie das alles hinge- Hause doch relativ groß ist. Trotzdem finde ich, haben kriegt haben . Wir alle miteinander wissen ja: Die Bun- wir der Opposition, vor allen Dingen der Linkspartei, desregierung und, wie ich glaube, auch die gemeinsa- mal gezeigt, dass es inhaltlich gut ist, aber auch Spaß me Finanz- und Wirtschaftspolitik mit dem Kollegen machen kann, wie wir hier unterwegs sind . Schäuble, aber auch mit allen anderen Kolleginnen und Kollegen haben dazu beigetragen, diesen ökonomischen (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Pfad zu erreichen . Aber im Kern ist das der Erfolg vieler, Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir wollen hier vieler Millionen Menschen, die ziemlich hart arbeiten mal nicht übertreiben!) in unserem Land, gute Ausbildungen haben, also kluger Ich finde, auch bei schwierigen Debatten muss der Hu- Unternehmerinnen und Unternehmer, Forscher, Ingeni- mor nicht völlig verloren gehen . Im zukünftigen Amt eure, Techniker, Facharbeiter, Verkäuferinnen, all derer, darf ich nicht mehr so humorvoll sein, hat mir Herr die das mit erarbeiten . Die sind sozusagen die Ursache Steinmeier gesagt; für diese gute wirtschaftliche Entwicklung . Und das ist unser gemeinsamer Erfolg . (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNIS- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- SES 90/DIE GRÜNEN) wie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) da muss ich diplomatischer werden . Dann müssen wir uns einfach außerhalb des Hauses treffen . Ich gebe zu: Ein bisschen fällt es mir schwer, darüber so zu jubilieren, wie das ja in Wahljahren bei solch ei- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der ner wirklich durchaus exzellenten Bilanz der wirtschaft- CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- lichen Entwicklung normalerweise der Fall ist . Das aus NISSES 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der zwei Gründen: SPD sowie bei Abgeordneten des BÜND- NISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder Erstens, weil das – ich glaube, das ist das Wichtigste, [CDU/CSU]: Das machen Sie sowieso schon!) was uns klar sein muss – nicht zwangsläufig so bleibt, 21462 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) wir nicht einfach davon ausgehen können, dass sich das Es geht um das Zusammenleben in unserem Land . Ich (C) fortsetzt . Die Unternehmerinnen und Unternehmer, mit finde übrigens, dass wir beim jetzt anlaufenden Wahl- denen man spricht, sagen immer: Na ja, wenn wir den kampf für die Bundestagswahl auch dahin gehend ein Eindruck haben, alles läuft sowieso gut, dann beginnt die Zeichen setzen müssen . Wir sind hier politische Wettbe- Krise, weil man sich dann nicht richtig auf das einstellt, werber; aber wir sind keine politischen Feinde . Dennoch was zu verändern ist, damit es uns in zehn Jahren noch kommen welche, die sich uns zum Feind gemacht haben . so gut geht . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- Das Zweite ist natürlich auch: Wir wissen ganz genau, wie bei Abgeordneten der LINKEN und des dass nicht alle Menschen in Deutschland davon profitie- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren – Gott sei Dank endlich mehr, aber bei weitem nicht Dass man im Wahlkampf in der Sache hart und klar vor- alle . geht, ist natürlich richtig; Wahlkampf ist keine Kloster- Ich sage auch, dass ich natürlich Sorge habe mit Blick schule . Wahlkampf darf aber auch nicht im Ansatz so auf das, was auf uns zukommt . Wir scheinen ja in einer persönlich, diffamierend und mit Lügen behaftet sein, Lage zu sein, in der die Welt neu vermessen wird, unter wie es in den Vereinigten Staaten der Fall gewesen ist . anderem auch deswegen, weil autoritäre Antworten auf Anstand und Respekt kann man sich im Wahlkampf auch dem Vormarsch und die liberalen und sozialen Demokra- zollen, wenn man unterschiedlicher Auffassung ist . tien auf dem Rückmarsch sind . Die Europafeindlichkeit (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- hat ein gefährliches Ausmaß angenommen, soziale Ver- wie bei Abgeordneten der LINKEN und des werfungen in dem einen Teil der Europäischen Union, BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Hochmut und nationale Stimmungsmache in dem ande- ren Teil sind eine riesige Gefahr auch für die wirtschaft- Ich finde, auch das gehört dazu. liche Entwicklung – nicht nur, aber auch . Diese Unsicherheiten sind der Grund, warum ich den Jahreswirtschaftsbericht unter das Leitmotiv der Teil- Die französischen Präsidentschaftswahlen in diesem habe und der Idee der sozialen Marktwirtschaft gesetzt Frühjahr sind bittere Schicksalswahlen für Europa . Wenn habe; denn trotz der unbestreitbar guten Zahlen müssen es den Europafeinden nach dem Brexit im letzten Jahr wir anerkennen, dass sich in unserem Land viele Men- ein weiteres Mal gelingt – etwa in den Niederlanden oder schen Sorgen machen: Sorgen um ihre Sicherheit, aber in Frankreich –, Erfolge zu verzeichnen, dann droht uns natürlich auch um ihre persönliche, um ihre wirtschaftli- wirklich das Auseinanderfallen des sozusagen größten che, um ihre soziale Zukunft . So beeindruckend die Zah- Zivilisationsprojekts des 20 . Jahrhunderts, nämlich der len hinsichtlich der Entwicklung der Arbeitslosigkeit und Europäischen Union . Das europaorientierte, das auf in- der Steigerung der Anzahl der sozialversicherungspflich- (B) ternationale Kooperation setzende Deutschland wäre iso- (D) tigen Beschäftigungsverhältnisse auch sind, gibt es na- liert und einsam, und nach Großbritannien und den USA türlich auch andere Zahlen, die in diesen Zusammenhang würden uns weitere Partner verloren gehen . Man kann gehören: 7,5 Millionen Menschen verdienen weniger als die Lage gar nicht dramatisch genug empfinden. 10 . Das sind 1 600 Euro Bruttoverdienst . Unter dem antieuropäischen, dem nationalegoisti- Ich bin so eine Art Beute-Ossi . Ich war letztens in der schen Mantel ist die Demokratiefeindlichkeit zurück- Verwandtschaft meiner Frau in Ostdeutschland unter- gekehrt, offene Feindschaft gegen Freiheit und gleiche wegs . Bei einer Familienfeier saß mir jemand gegenüber, Bürgerrechte . Der Rechtsstaat wird angegriffen – nicht der im Schichtdienst in einem Aluminiumpresswerk ar- nur international und an den Rändern, sondern auch beitet. Er bekommt 1 300 Euro netto. Ich finde, das ist ein im Herzen Europas . Sogar in einer so wohlhabenden unanständiger Lohn . und wirtschaftlich so aussichtsreichen Gesellschaft wie Deutschland sind hasserfüllte Töne und, wie wir seit ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nigen Tagen wissen, auch der Ruf nach Geschichtsrevisi- der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- onismus erneut möglich . NISSES 90/DIE GRÜNEN) Bürgermeister treten zurück, weil sie ihre Familie vor 18 Prozent der Menschen arbeiten im Niedriglohnsek- dem Hass schützen wollen . Wir merken, unser Land ist tor . nicht immun . Trotzdem – ich will das nicht kleinreden – (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die Beschrei- finde ich, dass man an einem solchen Tag auch sagen bung der Verhältnisse reicht aber nicht!) kann: Unser Job ist es, sich an die 80, 85 Prozent der Menschen in unserem Land zu wenden, die jeden Tag – Nein, deswegen komme ich im Laufe meiner Rede arbeiten gehen, die abends ihren Kindern am Bett eine noch darauf zu sprechen, was wir gemacht haben, um das Geschichte vorlesen, die am nächsten Tag Übungsleiter zu bessern . Aber Sie müssen bis dahin warten . im Sportverein sind, die zur Feuerwehr gehen, die sich (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der in Flüchtlingsinitiativen engagieren . Das sind die 85, SPD) 90 Prozent in unserem Land, die es so geschafft haben . Sie repräsentieren Deutschland und nicht die 15 Prozent Es gibt auch noch andere Entwicklungen, die einem Schreihälse in unserem Land . Sorge machen müssen, zum Beispiel, dass selbst Men- schen mit Normaleinkommen in Großstädten Mieten (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der LIN- nicht mehr bezahlen können oder dass es – überlegen Sie KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sich das einmal! – in 20 Prozent der Gemeinden in den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21463

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) ländlichen Räumen Deutschlands weder eine Bushalte- Insgesamt stehen heute 1 Million Menschen mehr in (C) stelle noch eine Grundschule noch einen Arzt noch einen Lohn und Brot als beim Amtsantritt dieser Regierung – Apotheker noch einen Supermarkt gibt . 1 Million Menschen mehr haben Arbeit! Ich erinnere da- ran, dass wir 2005 auf dem Weg zu weit über 5 Millionen Die Menschen fühlen sich zum Teil aus dem Blick der Arbeitslosen waren . Daran sieht man, was wir hinter uns Politik gefallen, und deswegen kommt es auch darauf an, gebracht haben – Vorgängerregierungen, dass wir in dieser Zeit Verbindlichkeit und Zusammen- halt in der Gesellschaft wieder fördern . Die OECD nennt (Dr . Michael Fuchs [CDU/CSU]: Rot-Grün!) das „inklusives Wachstum“ . Ludwig Erhard hat es sich vor 60 Jahren einfacher gemacht, indem er es ziemlich aber auch diese Regierung .– Michael, ich habe deinen klar in den Auftrag übersetzt hat: „Wohlstand für Alle“ . Zwischenruf freundlicherweise überhört; glaube nicht, Aber wir sind davon ein gutes Stück entfernt . mir würde nichts dazu einfallen . Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Legis- (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) laturperiode eine Menge auf den Weg gebracht, um diese Das bedeutet auch: Die Arbeitslosigkeit lag im vergange- Entwicklung zurückzudrängen, und damit ist nicht nur nen Jahr mit 6,1 Prozent auf dem niedrigsten Stand seit das Gesetz über den Mindestlohn gemeint . Der Mindest- der Wiedervereinigung . lohn ist ein schlechter Lohn . Eigentlich ist es schlimm, dass wir dieses Gesetz brauchen . Wir haben auch in der Übrigens: Von der Einführung des Mindestlohns ha- Bundesregierung dafür gesorgt, dass Tarifverträge mehr ben rund 4 Millionen Erwerbstätige profitiert. Gerade Gewicht bekommen . Wir haben das Tarifeinheitsgesetz viele Geringverdiener konnten aus prekären Beschäfti- auf den Weg gebracht . Wir haben jetzt im Zusammen- gungsverhältnissen wie Minijobs in eine sozialversiche- hang mit der betrieblichen Altersversorgung den tarifli- rungspflichtige Beschäftigung wechseln. chen Verabredungen wieder Vorteile verschafft . Wir ha- Auch 2017 werden die Einkommen der privaten ben dafür gesorgt, dass wir in Deutschland im Bereich Haushalte auf breiter Basis wieder deutlich wachsen . der Reallohnentwicklung vorankommen, und zwar auch Die verfügbaren Einkommen sind 2016 um knapp 3 Pro- dadurch, dass wir Belastungen nicht gesteigert und sogar zent gestiegen und werden auch 2017 in dem Rahmen zurückgenommen haben . steigen . Wir haben einmal geschaut, wie viel mehr der Wir haben des Weiteren ungeheuer in Bildung, in Kin- durchschnittliche Arbeitnehmer heute im Vergleich zum dertagesstätten, in Ganztagsschulen und in vieles andere Beginn der Legislaturperiode eigentlich jährlich in der mehr investiert . Übrigens: Wir haben gerade den kleinen Tasche hat . Es sind zwischen 1 000 und 2 000 Euro . Ich Gemeinden geholfen, indem wir in dieser Legislaturpe- finde, auch das ist ein guter Maßstab dafür, dass wir eine (B) riode die Kommunen in Deutschland um insgesamt fast vernünftige und gute Politik gemacht haben . (D) 80 Milliarden Euro entlastet haben . Nie in der Geschichte (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) der Republik gab es eine so kommunalfreundliche Po- litik wie in dieser Legislaturperiode, meine Damen und Natürlich hat das auch Rückwirkungen, die gut für die Herren . Konjunktur sind; denn Reallohnsteigerungen führen dazu, dass die Binnennachfrage zunimmt . Die kräftige (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Stärkung der Binnennachfrage macht Deutschland zum der CDU/CSU) Stabilitätsanker in einem sehr schwierigen Umfeld . Wir Wir haben den Abschluss von Werksverträgen er- sind stabil, aber wir geben auch unseren Nachbarn viel schwert sowie Leih- und Zeitarbeit eingeschränkt . Zuge- Stabilität . gebenermaßen geschah das nicht so, wie wir es als So- Meine Damen und Herren, Deutschland hat in dieser zialdemokraten eigentlich wollten; aber immerhin ist es Legislaturperiode wirtschaftlich wirklich gute Jahre er- gelungen, das Ganze zurückzudrängen . lebt . Darauf dürfen wir uns aber nicht ausruhen, gerade Wir haben eine Menge gemacht, um Recht und Ord- angesichts der Herausforderungen des demografischen nung auf dem Arbeitsmarkt wiederherzustellen . Ich wie- Wandels und der Digitalisierung . Wir müssen jetzt da- derhole: Wir sind nicht weit genug, aber wir sind ein für sorgen, dass wir diesen Wohlstand in zehn Jahren auf gutes Stück vorangekommen . Dass mittlerweile auf dem neue, zukunftsfeste Grundlagen stellen können . Weltwirtschaftsforum in Davos oder in der OECD über Sich auf die Herausforderungen der Zukunft vorzube- inklusives Wachstum geredet wird und gesagt wird: „Un- reiten, kann mit einem Begriff umschrieben werden: In- gleichheit ist schlecht für die Wirtschaft“, ist ein Para- vestitionen . Deshalb hat diese Regierung die öffentlichen digmenwechsel; denn noch vor ein paar Jahren ist das Investitionen massiv ausgeweitet . Die Investitionen des Höchstmaß an Ungleichheit als einziger Leistungsantrieb Bundes sind mit 36,1 Milliarden Euro stärker gestiegen formuliert worden. Ich finde, wir sind wieder auf einem als jeder andere Ausgabenbereich des Bundeshaushaltes, besseren Weg . Wir sind noch nicht am Ende angekom- nämlich um weit mehr als ein Drittel . Es geht um neue men, aber es ist gut, dass es wieder in die Richtung geht, Straßen, Schienen, Verkehrswege, gelegentlich auch um Wohlstand für alle zu organisieren . Flughäfen, digitale Infrastruktur und anderes mehr, In- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten vestitionen in Bildung, in Hochschulen . der CDU/CSU) Ich glaube, der Grund, warum Deutschland seit Auch in diesem Jahr wird es noch einmal einen Be- 200 Jahren als Industriegesellschaft so erfolgreich war, schäftigungsaufbau um 320 000 Erwerbstätige geben . ist – abgesehen davon, dass wir gute Leute haben, dass 21464 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) wir pfiffige Unternehmer haben –, dass wir die beste In- versprochen werden, passiert doch nur eins: Beide muss (C) frastruktur der Welt hatten . Da besteht heute Nachholbe- man nach der Wahl einsammeln . Und gebrochene Wahl- darf . 34 Milliarden Euro beträgt der Sanierungsstau an versprechen sind kleine Verbrechen an der Demokratie . deutschen Schulen, über 100 Milliarden Euro insgesamt, Lassen Sie uns auch da – das ist mein Rat – Maß und Mit- sagt die KfW . Deswegen ist es richtig, dass wir den In- te behalten, aufpassen, dass man das Richtige tut . Man vestitionsanteil deutlich hochgefahren haben und auch sollte nicht glauben, Wähler könne man kaufen . Wah- dafür gesorgt haben, dass die Kommunen wieder inves- lerfolg erreichen wir nicht dadurch, dass wir gigantische tieren können . Denn solche Investitionen sind es, die un- Versprechen machen, sondern dadurch, dass wir das, was ser Land zukunftsfähig und innovationsfreudig machen . wir versprechen, hinterher auch einhalten können . Ich freue mich über den wirtschaftlichen Erfolg und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten über die finanziellen Reserven, die dieser dem Bundes- der CDU/CSU) haushalt und übrigens auch den Länderhaushalten bringt . Übrigens sind die Beschlüsse, die wir jetzt fassen, nicht Meine Damen und Herren, wenn der Bund wie im nur die kommunalfreundlichsten, sondern auch die län- Jahr 2016 mit seinen Anleihen 1,2 Milliarden Euro Ge- derfreundlichsten seit 1948 . winn macht, weil die Schuldner Negativzinsen bezah- len, dann macht Schuldentilgung ökonomisch nur wenig (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Sinn . Es macht allerdings auch keinen Sinn, den Sanie- CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/ rungsstau an Schulen von 34 Milliarden Euro auf 68 Mil- CSU]: Und die teuersten! – Volker Kauder liarden Euro anwachsen zu lassen, um dann möglicher- [CDU/CSU]: Und die teuersten! Als Wirt- weise höhere Steuern erheben zu müssen . schaftsminister muss man auch über Preise re- den! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 16 Räu- (Beifall bei der SPD – ber!) [CDU/CSU]: Länderaufgabe!) – Ich habe ja, glaube ich, deutlich gemacht, dass ich das, Deshalb müssen Bund, Länder und Gemeinden Investiti- was wir da gemacht haben, für herausragend halte . onen Vorfahrt gewähren . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsche Wirt- schaft lebt jedoch nicht allein auf der Insel der Glück- Aber die Länder sind eben auch diejenigen, die Polizisten seligen . Keine andere Volkswirtschaft ist so eng mit der einstellen müssen, die Lehrerinnen und Lehrer einstel- Welt, besonders mit den europäischen Nachbarn, verbun- len müssen . Das ist natürlich erst einmal Voraussetzung; den . Die Weltwirtschaft wird im nächsten Jahr wachsen, denn nur dann werden wir mehr Sicherheit, mehr Bil- aber die Unsicherheiten bleiben hoch . Ganz interessant (B) dung und anderes schaffen . ist übrigens: Die Weltwirtschaft wächst, der Handel (D) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die nicht .– Das sind Hinweise auf Entwicklungen, die je- haben allerdings auch Rekordeinnahmen!) denfalls für Deutschland und Europa nicht gut sind . Die deutschen Exporte werden eher moderat zunehmen, die Ich bin aber unzufrieden über das, was hinsichtlich Importe dagegen werden der großen Binnennachfrage der Verwendung solcher Überschüsse diskutiert wird; wegen in diesem Jahr spürbar ansteigen . Der Leistungs- das gebe ich zu . Wir haben darüber, wie Sie wissen, eine bilanzüberschuss geht deshalb leicht zurück . Das wird Diskussion in der Bundesregierung . Ein Teil sagt: Lasst die Europäische Kommission freuen . uns die 6 Milliarden Euro nehmen und die Schulden oder die Steuern senken . – Wir glauben, dass wir investieren All das zeigt aber: Deutschland muss seine Bemühun- müssen . gen fortsetzen, die Binnendynamik bei Investitionen – übrigens auch bei der Forschungs- und Entwicklungstä- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des tigkeit – voranzubringen . Nur innovative Entwicklungen BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) in unserem Land sichern uns in diesem Umfeld wirt- schaftlichen Erfolg . Ich erinnere mich: Ende letzten Jah- Mit Blick auf den Bundestagswahlkampf will ich sagen: res hat Kollege Riesenhuber – er sitzt ja hier im Plenum – Meine Sorge ist, dass wir die Dinge zu alternativ sehen . zum Schluss der Haushaltsdebatte eine glänzende Rede Es wird natürlich auch Entlastungen geben müssen, aber zu diesem Thema gehalten . Vielleicht nehmen wir sie nicht mit der Gießkanne und nicht für Millionäre, mit in die Wahlkämpfe, Herr Kollege Riesenhuber, weil (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat ja auch sie zeigt, an welcher Stelle die Grundlagen für unseren keiner vor!) Wohlstand gelegt werden . aber für Familien und Alleinerziehende . Manchmal ist es (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der wichtiger, die Sozialabgaben zu senken, weil dann auch CDU/CSU) Menschen mit sehr kleinen Einkommen etwas davon ha- – Man merkt: Wenigstens ein paar haben zugehört, Herr ben, die von den Steuerentlastungen nichts haben . Riesenhuber . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Für uns ist klar: Der weltweit spürbare Hang zum Protektionismus ist der gefährlichste Weg . Abschottung Wenn aber riesige Steuersenkungspakete – das sage macht alle ärmer . Das Kommando „Schotten dicht!“ ist ich auch der anderen Seite des politischen Spektrums ja das Kommando eines Kapitäns auf einem sinkenden in meiner Partei –, riesige konsumtive Sozialausgaben Schiff . Ich bin Segler und kenne die Kommandos, die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21465

Bundesminister Sigmar Gabriel (A) man da setzen soll . Dieses Kommando ist jedenfalls kei- auch meiner Nachfolgerin im Amt viel Erfolg . Das waren (C) nes, was Zuversicht verbreitet, sondern dieses muss man gute Jahre im Wirtschaftsministerium . auf einem Schiff machen, wenn es schon fast gesunken ist . Deswegen: Das, was da aus Amerika kommt und was Vielen Dank . wir auch aus anderen Ländern der Welt hören, ist sehr, (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall sehr gefährlich für die Weltwirtschaft und auch für uns . bei der CDU/CSU – Die Fraktion der SPD (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Lieber erhebt sich – Volker Kauder [CDU/CSU], an TTIP!) die SPD gewandt: Jetzt steht ihr auf! Schämt euch! Er hat jetzt eine dienende Funktion! Be- Allerdings muss man nicht verzweifeln, vor allem nicht ruhigt euch! – Gegenruf der Abg . Christine ängstlich und unterwürfig sein; denn zurzeit gehen knapp Lambrecht [SPD]: Ja, ganz entspannt! Ganz 10 Prozent der deutschen Exporte in die USA, aber entspannt bleiben!) 60 Prozent gehen nach Europa . Vor diesem Hintergrund ist es richtig gewesen, dem Präsident Dr. Norbert Lammert: europäisch-kanadischen Abkommen zuzustimmen . Ich Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Ernst für die stelle mir vor: In einer Zeit, in der Donald Trump regiert, Fraktion Die Linke . indem er sozusagen Protektionismus verkündet, TPP kündigt, hätte ausgerechnet ein aus Deutschland oder (Beifall bei der LINKEN) aus Europa kommender Impuls, das CETA-Abkommen scheitern zu lassen, Erfolg gehabt . Die Welt würde sich Klaus Ernst (DIE LINKE): jetzt über uns totlachen angesichts unserer Kritik an den Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Vereinigten Staaten . Wir müssen fairen und freien Han- Herren! Lieber Herr Wirtschaftsminister, auch von mir del vorantreiben . Es darf nicht sein, dass wir sozusagen danke für die Zusammenarbeit . Leider habe ich nicht so in das gleiche Horn blasen, vielleicht aus anderen Grün- viel Redezeit, um das zu vertiefen . Deshalb möchte ich den . Solche Handelsbeziehungen sind die Voraussetzung nur eines sagen – und das meine ich so, wie ich es sage –: für das wirtschaftliche und soziale Überleben unseres Fade war es mit Ihnen nie . Landes, (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Allein das ist ja parlamentarisch etwas wert . und Kanada ist ein europäischeres Land als manche Mit- gliedstaaten der Europäischen Union . Meine Damen und Herren, der Jahreswirtschaftsbe- (B) richt hat den Titel „Für inklusives Wachstum in Deutsch- (D) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der land und Europa“ . Eigentlich war der Titel anders; er SPD) hieß: „Für inklusives Wachstum und mehr soziale Teil- Meine Damen und Herren, es gibt also eine Menge habe in Deutschland und Europa“ . zu tun . Die guten Zahlen, die wir jetzt für das vierte Jahr (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das heißt aber der Legislaturperiode vorhersagen, dürfen uns erfreuen; „inklusives Wachstum“!) aber sie müssen uns vor allen Dingen dazu motivieren, zu überlegen, was wir aus den Stärken unseres Landes Offensichtlich ist die „soziale Teilhabe“ auf Intervention machen können . Und es ist ein verdammt starkes Land . des Finanzministers – so das Handelsblatt – gestrichen Deutschland ist kein Land der Schwäche; es hat mit den worden . Genau das ist das Problem . Menschen, die hier leben, ungeheure Potenziale . Wir ha- Nebenbei, Herr Wirtschaftsminister, habe ich genau ben eine gute Ökonomie, aber auch einen sicheren Sozi- gemerkt, wer wo wann geklatscht hat . Beim Beispiel des alstaat, den wir da, wo er nicht gut ist, ausbauen müssen . Schichtarbeiters, das ich vollkommen richtig finde, hat Aber es gibt keinen Grund, hier alles in Grund und Bo- sich bei Ihrem Koalitionspartner zum Teil keine Hand den zu reden – im Gegenteil! gerührt . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt der CDU/CSU) gar nicht!) Menschen Mut zu machen, das Land auch zu umar- Das ist das Problem: Soziale Teilhabe ist offensichtlich in men und zu sagen: „Tolles Land! Lasst uns dafür sor- der Koalition umstritten . Deswegen sage ich Ihnen eines: gen, dass es unseren Kindern und Enkelkindern auch gut Falls die Sozialdemokraten die irre Idee haben sollten, geht“, und dann im Wahlkampf über die Frage zu strei- diese Koalition nach der Wahl fortzusetzen, dann wird ten, wie man dieses tolle Land so gut lässt, wie es ist, und alles so bleiben, wie es ist, und das wäre das Schlimmste, das, was nicht so gut ist, besser macht – das ist, finde ich, was diesem Land passieren kann . eine gute Aufgabe für 2017 . (Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger Lassen Sie uns nicht über jeden Stock derjenigen [CDU/CSU]: Das empfinden die Leute an- springen, die nur eines im Blick haben: Sie wollen die ders!) Uhr zurückdrehen – die meisten mindestens hinter Willy Brandt und, wie wir wissen, ein paar auch hinter Konrad Meine Damen und Herren, machen wir es genau: Das Adenauer . Das ist nicht unser Weg; wir haben einen an- Ziel, materielle Ungleichheit in Deutschland zu begren- deren Weg vor uns . Ich wünsche Ihnen, uns allen, aber zen und die Einkommensungleichheit zurückzuführen, 21466 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Klaus Ernst (A) stand ursprünglich in Ihrem Bericht – es ist deutlich ab- bei Ihnen der Fall ist – das Problem lösen zu können und (C) geschwächt worden. Bestenfalls im Vorwort finden sich nicht durch Taten, dann werden Sie mitverantwortlich für noch Hinweise darauf . Doch gerade die ungleiche Ein- die Rechtsentwicklung sein, die wir in unserem Lande kommens- und Vermögensverteilung – ja, ich sage: Ar- noch erleben werden . – Nebenbei bemerkt, weil ich Sie mut – in Deutschland ist ein zentrales Problem . gerade hier sitzen sehe, Herr Fuchs: Nachdem Sie bei der Rede des Wirtschaftsministers so finster geblickt haben, Meine Damen und Herren, Sie können zwar das Pro- muss ich sagen: An einigen Stellen war sie richtig gut . blem aus Ihrer Wahrnehmung streichen, aber Sie werden es mit dem, was Sie tun, nicht aus der Realität verbannen . (Beifall bei der LINKEN) Viele fühlen sich von der wirtschaftlichen Entwicklung Meine Damen und Herren, ich möchte einen zweiten abgehängt – einiges ist angesprochen worden –, zum Punkt ansprechen, den ich aufgrund meiner kurzen Rede- Beispiel viele der 21 Prozent der Beschäftigten im Nied- zeit allerdings nur kurz streifen kann . Auf Spiegel Online riglohnsektor . Da reichen die geringen Anhebungen eben gibt es eine lesenswerte Kolumne von Thomas Fricke . nicht aus, um das Problem zu lösen . Viele Leiharbeiter Er schreibt: und befristet Beschäftigte fühlen sich abgehängt . Auch hier reicht bei weitem nicht aus, was Sie auf den Weg ge- In der Kritik steht, dass wir gemessen an der beein- bracht haben . Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer druckenden Höhe unseres Exports viel zu wenig bei wissen, dass die Rente keinesfalls mehr ausreicht für ein anderen einkaufen . Die Bilanz zählt . einigermaßen vernünftiges Leben nach der Arbeit . Das, was bisher auf den Weg gebracht wurde, ist absolut un- Das haben ich und andere Vertreter meiner Partei oft an- zureichend, fast gleich null . gesprochen . Fricke schreibt weiter: Meine Damen und Herren: In der Frankfurter Rund- Über Jahre haben unsere Großökonomen die Kritik schau von heute heißt es – und das ist genau der Punkt, aus dem Ausland am deutschen Exportüberschuss der in Ihrer Rede, aber keinesfalls im Bericht der Bun- verspottet . Jetzt droht Amerikas neuer Präsident, desregierung zu finden ist –: das Problem zu erledigen – ein deutsches Drama . Die Ungleichheit in Deutschland wächst, das Ar- Er schreibt auch: mutsrisiko steigt – nicht nur für Arbeitslose, auch Da hilft auch der Halbstarkenspruch nur bedingt, für Rentner und Erwerbstätige . Und das trotz des dass sich die anderen halt „anstrengen“ sollen, da- Booms am Arbeitsmarkt . mit sie auch so „tolle“ Sachen exportieren . . Das ist die Realität, aber die blenden Sie aus . Wenn es so Meine Damen und Herren, wir können das Problem (B) weitergeht, dann stärken Sie den rechten Rand . Deshalb nicht lösen, indem wir es einfach ignorieren und sagen: (D) sage ich Ihnen: Tun Sie endlich etwas, statt die Realität Es wird schon nicht so dicke kommen .– Wir brauchen auszublenden! eine Änderung unserer wirtschaftspolitischen Strategie . (Beifall bei der LINKEN) Das Problem besteht darin, dass wir bei weitem mehr exportieren als importieren . Wenn wir mehr importieren Um das Problem noch einmal zu verdeutlichen: In- wollen, dann brauchen wir eine Steigerung der Nachfra- zwischen haben wir die Situation, dass eine Partei mit ge . Unsere Investitionen sind viel zu gering . 4 Prozent eindeutig rechtspopulistischen bis faschistischen Tei- ihrer Gewinne bringen die Unternehmen für zusätzliche len in Umfragen – zum Beispiel in Brandenburg – bei Investitionen nach Abschreibungen auf . 4 Prozent! Das 20 Prozent liegt – und damit stärker ist als die SPD – und waren einmal 30 oder 40 Prozent . Wenn wir das Pro- inzwischen in zehn Landesparlamenten sitzt, Tendenz blem nicht erkennen und nicht durch mehr Nachfrage in steigend . Selbstverständlich freut es auch uns Linke, unserem Land entsprechend gegensteuern, dann werden dass wir ein ansehnliches Wirtschaftswachstum und hohe die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte zunehmen, Beschäftigung haben . Aber Sie wissen genauso gut wie und wir werden noch ein größeres Problem haben als mit wir, dass Sie mit dem, was Sie bisher gemacht haben, die Trump . sogenannten Abgehängten nicht wieder in das normale demokratische Spektrum integrieren konnten . Danke fürs Zuhören . Der Direktor des Weltwirtschaftsforums in Davos – (Beifall bei der LINKEN) Herr Gabriel, Sie haben das Weltwirtschaftsforum ange- sprochen –, Richard Samans, sagte bei der Vorstellung Präsident Dr. Norbert Lammert: des Reports über inklusives Wachstum und Entwick- Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege lung – ich zitiere –: Michael Fuchs das Wort . Wirtschaftswachstum alleine reicht nicht . Die Stei- (Beifall bei der CDU/CSU) gerung der Wirtschaftsleistung muss inklusiv wir- ken … Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Also allen Bürgern zugutekommen . Wenn das nicht Verehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da- funktioniere – und jetzt kommt das Entscheidende –, men und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! dann „kündigen die Verlierer den Konsens der Gesell- Lieber Herr Bundeswirtschaftsminister – noch Bundes- schaft auf“ . Und genau das passiert bei uns . Wenn wir wirtschaftsminister –, ja, eines stimmt: Deutschland ist glauben, nur durch Worte oder durch Ignoranz – wie das in einer exzellenten Verfassung wie seit vielen Jahren Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21467

Dr. Michael Fuchs (A) nicht . Wir haben mittlerweile – Sie haben es eben völlig tragen . Die Niedrigzinspolitik kommt den Unternehmen (C) zu Recht gesagt – 43,5 Millionen Erwerbstätige . Was Sie zumindest bei Investitionen mit ziemlicher Sicherheit nicht gesagt haben, aber sicherlich genauso sehen und sehr entgegen . Wir haben auch dank der niedrigen Ener- was mich am allermeisten an der Sache freut: Wir haben giepreise – für Öl, Gas etc .– erhebliche Vorteile . Das de facto kaum noch Jugendarbeitslosigkeit . In meinem sind Konjunkturprogramme, wie sie besser nicht sein Wahlkreis haben wir null Jugendarbeitslosigkeit bzw . könnten . Wir haben einen Euro-Dollar-Wechselkurs, der keine vermittelbaren Jugendlichen mehr . Das ist eigent- unserer Wirtschaft, die in den Dollar-Raum exportiert – lich der größte Erfolg . Denn was gibt es Schlimmeres für das sind immerhin 42 Prozent unserer Exporte –, erheb- junge Leute, als keine Perspektive zu haben, wenn sie lich hilft und zu Windfall Profits führt – sie sind aber in das Berufsleben eintreten wollen? Auf diesen Erfolg nicht garantiert –, die so sonst nicht anfielen. Das muss bin ich also besonders stolz, und darüber können wir uns man deutlich sagen . meiner Meinung nach besonders freuen . Und last, but not least, Herr Kollege Ernst – ich gehe (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- normalerweise gar nicht mehr auf Sie ein –: Haben Sie ordneten der SPD) einmal nachgesehen, wie viel gerade das Binnenwachs- Meine Damen und Herren, die Große Koalition war tum in Deutschland zurzeit zum marktwirtschaftlichen mit Sicherheit keine Liebeshochzeit . Nein, sie war eine Erfolg dieses Landes beiträgt? Mehr als zwei Drittel des Arbeitskoalition, und wir haben gemeinsam auch einiges Wachstums kommen aus dem Binnenmarkt; er ist we- erreicht . Ich möchte mich an dieser Stelle ganz persön- sentlich stärker als in den Jahren zuvor . Das liegt daran, lich bei Ihnen, Herr Minister, für die faire Zusammen- dass die Löhne in den letzten Jahren erheblich gestiegen arbeit bedanken, auch wenn wir den einen oder anderen sind, wesentlich stärker als in allen Jahren zuvor . Streit – vor allen Dingen in der Energiepolitik – ausge- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) fochten haben; ich komme noch darauf zu sprechen . Ich baue natürlich auch darauf, Frau Zypries, dass das in den Auch das ist ein Erfolg von guten, vernünftig agieren- verbleibenden sieben, acht Monaten so weitergeht, und den Unternehmen . Das sollten wir uns bitte auch nicht freue mich auf diese gemeinsame Arbeit . schlechtreden lassen . Meine Damen und Herren, die EU 28 bildet nach Meine Damen und Herren, ich will einen Punkt erwäh- den USA den zweitgrößten Binnenmarkt der Welt . Die nen, der mir Sorge bereitet: die Digitalisierung . Wir sind USA haben ein Bruttoinlandsprodukt von 18,6 Billionen in diesem Bereich ziemlich rückständig . Heute 50 Mbit US-Dollar, die EU 28 haben eines von über 16,5 Billio- Downloadgeschwindigkeit im Jahre 2020 anzustreben, nen US-Dollar und ohne England – das müssen wir leider ist bei weitem zu wenig . Den auf uns zukommenden He- (B) zur Kenntnis nehmen – immer noch von über 14 Billio- rausforderungen werden wir damit mit Sicherheit nicht (D) nen US-Dollar . Das sind so starke Zahlen, dass wir keine gerecht . Im Gegenteil: Wir müssten über Gigabit reden Angst haben müssen und uns auch keine Angst machen und nicht über Megabit . Dass andere Länder das können lassen sollten . Das haben wir nicht nötig . Wir können und tun, das ist ein Faktum . Jeder, der sich im ostasiati- selbstbewusst sagen: Auch „Europe first“ kann uns wei- schen Bereich aufhält, der wird das sehr schnell feststel- terhelfen . len . Wichtig ist jetzt, dass wir die europäischen Länder näher zueinanderbringen, dass wir dafür sorgen, dass sie (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Süd- nicht auseinanderdriften . Im Gegenteil: Wir brauchen korea!) mehr Zusammenarbeit in Europa . Nur so werden wir die Verehrter Herr Präsident, mit Verlaub, dass der Deut- in den nächsten Jahren sowohl vonseiten der Regierung sche Bundestag noch kein WLAN hat, ist auch kein Zei- der Vereinigten Staaten als auch durch den Brexit auf uns chen allergrößter Modernität . zukommenden Herausforderungen meistern können . Das wird eine der zentralen Aufgaben der Politik in den kom- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und menden Jahren sein . der SPD) Aber es ist natürlich auch so, dass Lieferketten inten- Ich war vor kurzem im Parlament von Singapur und siv verwoben sind . Ich will nur ein Beispiel nennen: Die konnte feststellen, dass der WLAN-Empfang überall Firma BMW stellt in England den Mini her; jeder kennt wunderbar war . Aber nicht nur dort, selbst in Malaysia das Auto . Mehr als 50 Prozent der Teile, die in den Mini und Thailand gibt es das, und das sind Länder, von denen eingebaut werden, kommen aus Deutschland . Das zeigt man nicht sagen kann, dass sie auf unserem Entwick- sehr deutlich, wie die Lieferketten miteinander verwoben lungsstand sind . sind und dass man sie auch nicht so schnell trennen kann . Ich setze darauf, dass das auch sehr schnell Eingang in (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann soll die amerikanische Politik findet. Dobrindt mal hinnemachen!) Meine Damen und Herren – Herr Minister, da bin ich Wir müssen daran arbeiten, dass die digitale Versorgung nicht ganz mit Ihnen einverstanden –, nicht alles, was wir so schnell wie möglich besser wird und wir möglichst zurzeit haben, beruht auf Leistungen dieser Regierung auch in allen öffentlichen Bereichen WLAN haben . Das oder vorheriger Regierungen . Dazu hat auch eine Menge sollte bald der Fall sein . sogenannter – wie man es in der Volkswirtschaft nennt – exogener Faktoren, die Sie nicht erwähnt haben, beige- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 21468 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Mir bereitet das Thema Netze erhebliche Sorgen, weil es (C) Herr Kollege Fuchs, darf ich vielleicht dennoch darauf für einen zusätzlichen Kostenschub sorgen wird . aufmerksam machen, dass gleichwohl viele Parlamente Hinzu kommt – strafverschärfend, kann man sagen –, in der Welt trotz glänzend funktionierenden WLANs mit dass die großen Übertragungsnetze, also die Nord-Süd- diesem Parlament sofort tauschen würden? Netze, laut Aussage der Bundesnetzagentur frühestens (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der 2025 fertig sein werden . Was machen wir denn bis 2025? CDU/CSU und der SPD) Wir werden im Norden einen erheblichen Zuwachs beim produzierten Strom haben, aus den Offshoreanlagen, aber auch aus den Onshoreanlagen; den Verbrauch haben wir Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): aber vorrangig im Süden . Wenn wir den Transport nicht Auch da gebe ich Ihnen recht, Herr Präsident, wie hinbekommen, was passiert dann? Ganz simpel und ein- fast immer . Aber beim WLAN können wir noch ein ganz fach: Dann kommen die sogenannten Redispatch-Kosten klein bisschen nachholen . Im Europasaal haben wir das noch obendrauf . Ich kann hier ja Mitarbeiter des Bundes- ja immerhin schon geschafft . wirtschaftsministeriums völlig unbefangen zitieren . Herr Meine Damen und Herren, ein Bereich bereitet mir Rid hat gesagt, dass wir im letzten Jahr Redispatch-Kos- wirklich Sorgen, und bei diesem Thema sind wir uns mit ten von 1,1 Milliarden Euro hatten und wir dieses Jahr dem Bundeswirtschaftsminister nicht einig: Es geht um Redispatch-Kosten von 2 Milliarden Euro und demnächst die Energiepolitik . Die Kostenentwicklung läuft mittler- von 4 Milliarden Euro haben werden . Meine Damen und weile völlig aus dem Ruder . Herren, das wird alles auf die Netzkosten umgelegt wer- den müssen . Das geht alles in die Preise hinein . (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Danke, Schwarz-Gelb!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Danke, CDU!) Mein geschätzter Kollege Kauder hat vor wenigen Tagen zu mir gesagt, er würde mir den Hals umdrehen, Dann wird es irgendwann den Punkt geben, an dem wenn das mit dieser Energiekostensteigerung so weiter- wir zu teuer werden und die Wettbewerbsfähigkeit un- gehen würde, wie es jetzt ist . Da ich mir das ersparen serer Wirtschaft erheblich leidet . Da dies der letzte Jah- will, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass reswirtschaftsbericht ist, den ich hier mitdiskutieren darf, dringender Handlungsbedarf besteht . Wir haben zwei möchte ich darauf hinweisen, dass wir erheblichen Nach- EEG-Reformen gemacht; die haben aber nicht einmal holbedarf haben und intensiv daran arbeiten müssen . annähernd zu einer Abschwächung bei den EEG-Kosten geführt . Dieses Jahr geben wir 25 Milliarden Euro für Lieber Herr Gabriel, noch einmal herzlichen Dank (B) (D) die EEG-Umlage aus . 25 Milliarden Euro! Und das ist für die gute Zusammenarbeit, auch wenn ich nicht mit noch nicht einmal die ganze Wahrheit . Die Kosten für allem einverstanden war; das habe ich gerade deutlich die EEG-Umlage liegen zurzeit bei 6,88 Cent pro Kilo- gemacht . Es hat sich gelohnt, dass wir trotzdem so ver- wattstunde . Ich sage Ihnen voraus: Spätestens im Herbst nünftig miteinander umgegangen sind . dieses Jahres wird das eine ganz andere Größenordnung Liebe Frau Zypries, Deutschland braucht für die Zu- sein . Wir müssen ganz schnell reagieren . kunft eine an marktwirtschaftlichen Prinzipien orientier- Jetzt kommt der zweite Punkt . Die Bundesnetzagentur te Ordnungspolitik . Lassen Sie uns bitte alle gemeinsam hat vor einigen Tagen deutlich gemacht, dass die Netz- daran arbeiten . entgelte erheblich steigen werden . Wir werden bis 2024 (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- rund 45 Milliarden Euro nur für die Netze ausgeben müs- ordneten der SPD) sen . Das bleibt uns nicht erspart . Das ist notwendig . Das bedeutet aber – das sind alles Zahlen der Bundesnetz- agentur –, dass die Netzentgelte für die Haushaltskunden Präsident Dr. Norbert Lammert: um mindestens 25 Prozent steigen werden . Das Wort erhält nun der Kollege Cem Özdemir für die (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Röttgen, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . Rösler, Merkel!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Wirt- Das geht in Richtung von 10 Cent . Und jetzt kommt die schaftsexperte Özdemir!) noch viel dramatischere Zahl: Für große Industriekunden werden die Netzentgelte um 115 bis 130 Prozent steigen . Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich bin froh, dass Sie das Thema Netzausgleich ange- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen sprochen haben . Wir müssen da weitermachen . Es wird und Herren! Lieber Sigmar Gabriel, zunächst möchte ich höchste Zeit, dass wir bei den Netzen ein Level-Play- Ihnen unseren Respekt für Ihre Entscheidung ausspre- ing-Field in Deutschland schaffen; denn es kann nicht chen, die sicherlich keine einfache war . Wir wünschen sein, dass in einigen Bundesländern deutlich höhere Ihnen alles Gute im neuen Amt . Was die Vereinbarkeit Netzkosten zu zahlen sind als in anderen, weil wir da- von Familie und Beruf angeht – so habe ich mir sagen durch eine Ungleichheit im Wettbewerb schaffen . lassen –, soll das nicht das allerleichteste Amt sein . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- ordneten der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21469

Cem Özdemir (A) Aber wir wünschen Ihnen viel Erfolg dabei und sind laturperiode nicht mehr in den Mund . Denn damit haben (C) schon sehr gespannt auf die ersten Schilderungen, die wir Sie so ziemlich gar nichts am Hut . dann hoffentlich lesen können . Zu den zwei entscheidenden Herausforderungen habe Wir wünschen auch der designierten Nachfolgerin, ich in der Regierungserklärung, aber auch – das muss ich , alles Gute in dem neuen Amt .– Doch sagen – in der Debatte, Herr Fuchs, wenig gehört . zurück zur Gegenwart . Erstens . Wie stoppen wir den Klimawandel und er- Sie sagen, der Wirtschaft gehe es gut, die Staatsfinan- halten dabei unsere industriellen Arbeitsplätze? Völlige zen seien solide und das Beschäftigungsniveau sei hoch . Fehlanzeige in der Rede des Bundeswirtschaftsministers . Ich glaube, es gibt niemanden hier im Hohen Haus, der sich nicht darüber freut . Aber mit diesem Erfolg, mit die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sen Daten haben Sie, Herr Gabriel und die Große Koali- Zweitens . Wie gehen wir mit der angespannten Lage tion, herzlich wenig zu tun, in der Welt und natürlich auch in Europa um? Dazu, dass (Zuruf des Abg . Hubertus Heil [Peine] der Protektionismus auf dem Vormarsch ist, und auch zur [SPD]) Abschottung hätte ich gern etwas gehört . Wie sind hier Ihre Vorstellungen? sondern Ihr Erfolg beruht auf niedrigen Zinsen und bil- ligem Öl . Man kann, glaube ich, sagen: Es geht diesem Es war die Bundesregierung, die das Klimaschutzab- Land gut – nicht wegen der Großen Koalition, sondern kommen in Paris unterzeichnet hat, aber hier in diesem trotz der Großen Koalition . Haus tun Sie so, als ob Sie damit nichts zu tun hätten . Sie, Herr Gabriel, haben den Kohleausstieg an einem Tag (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) einfach vom Tisch gewischt . Gleichzeitig gibt es Länder Es gibt einen anderen Politikbereich, bei dem Sie ein wie Kanada, die sich verpflichtet haben, bis 2030 aus der bisschen so tun, als ob Sie gar nichts damit zu tun hät- Kohle auszusteigen . Sie sehen: Andere Industrieländer ten; aber damit haben Sie sehr viel zu tun . Ich meine den können es anders machen . Zustand der Infrastruktur in unserem Lande . Sie haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu wenig investiert . Der Besitz der gesamten Bevölke- rung verfällt . Die Bürger stehen im Stau . Sie warten auf Wir sollten uns Kanada zum Vorbild nehmen und eben- schnelles Internet . Europaweit nimmt der Populismus zu . falls zeigen, dass wir nach dem Atomausstieg in der Lage Doch was fällt dieser Großen Koalition ein? Die schwar- sind, auch aus der Kohle auszusteigen . ze Null, die Sie anbeten und wie eine Monstranz vor sich (Zurufe von der CDU/CSU) (B) hertragen . Unsere Probleme werden nicht gelöst, wenn (D) man sich auf Leistungen früherer Regierungen und der Was ich hier gehört habe, ist klassische Retro-SPD-In- Bevölkerung ausruht und nicht in die Zukunft investiert . dustriepolitik; diese wird hier reaktiviert . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Pei- Besonders absurd wird es, wenn Sie von den Sozial- ne] [SPD]: So ein dummes Zeug!) abgaben sprechen . Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber wir haben nicht vergessen, dass es diese Große Koa- Die Ökologie haben Sie offensichtlich aufgegeben . lition war, die eine Rentenreform mit einem Umfang von Ökologische Modernisierung wird als Bedrohung für 160 Milliarden Euro bis 2030 auf den Weg gebracht hat, den Standort wahrgenommen . Das ist das Gegenteil all die weder sozial gerecht noch generationengerecht ist; dessen, was Sie in den letzten Jahren selber einmal ge- denn die Erwerbsgeminderten, die Hauptbetroffenen, ha- sagt haben, meine Damen, meine Herren . Das sollten die ben Sie vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen von Wählerinnen und Wähler genau wissen . Wem der Erhalt der SPD . der natürlichen Lebensgrundlagen wichtig ist, der weiß, wen er nicht wählen kann, und der weiß bei der nächsten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wahl sicherlich auch, wen er wählen kann, meine Damen Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!) und Herren . Sie finanzieren das über die Mitgliedsbeiträge der Bei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tragszahlerinnen und Beitragszahler . Liebe Kollegen von der CDU/CSU, so viel zum Thema Wirtschaftskompe- Herr Fuchs, quasi der murmeltierpolitische Sprecher tenz . der Union, wiederholt in jeder Rede – wir haben eigent- lich schon darauf gewartet, wann das Thema Energie- Bei der Ost-West-Angleichung der Rente machen Sie preise kommt –, dass natürlich die erneuerbaren Ener- es wieder so . Anstatt die Sozialabgaben zu reduzieren gien schuld an allem Übel dieser Welt sind . Ich will hier oder dafür zu sorgen, dass sie nicht steigen, machen Sie einmal jemanden, der wohl über jeden grünen Verdacht das Gegenteil . Damit erweisen Sie dem Mittelstand einen erhaben ist, zitieren zu Ihren Klagen, dass die Energie- Bärendienst, Sie erweisen unserer Wirtschaft einen Bä- wende die Preise durch die Decke schießen lassen wird . rendienst und auch den Arbeitnehmern und Arbeitgebern . Ich zitiere Georg Müller, Chef der Mannheimer MVV, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) immerhin sechstgrößter deutscher Energieversorger: Eine Bitte habe ich noch: Bitte nehmen Sie das Wort Der Anteil der Stromkosten am Bruttoinlandspro- „Generationengerechtigkeit“ zumindest in dieser Legis- dukt liegt auf dem Niveau der 1990er-Jahre . 21470 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Cem Özdemir (A) Ich meine, dem ist nicht viel hinzuzufügen . Statt wie Sie wichtigsten Partner Frankreich dafür sorgt, dass Europa (C) die erneuerbaren Energien mit einem Ausbaudeckel zu verteidigt wird und weiterentwickelt wird . Auch darüber versehen, müssten wir eher im Gegenteil beim Ausbau hätte ich gern etwas gehört . Das ist das, worauf unsere der erneuerbaren Energien einen Zahn zulegen; Wirtschaft und unsere Arbeitgeber warten . Leider war auch dies Fehlanzeige . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herzlichen Dank . denn darin liegt die Zukunft des Standortes Bundesrepu- blik Deutschland . (Lebhafter Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE Dasselbe gilt für den Verkehrssektor . Wir müssen ge- GRÜNEN) rade im Interesse der Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland so schnell wie möglich einen Zahn zulegen, Präsident Dr. Norbert Lammert: damit es mit emissionsfreien Fahrzeugen klappt . Was Hubertus Heil ist der nächste Redner für die SPD-Frak- aber tut diese Bundesregierung? Sie verabschiedet sich tion . von dem eigenen Ziel, 1 Million Fahrzeuge CO2-frei auf die Straßen der Bundesrepublik Deutschland zu bringen . (Beifall bei der SPD) Ich darf Sie an Folgendes erinnern: Jörg Hofmann, der Hubertus Heil (Peine) (SPD): Chef der IG Metall, war kürzlich zu Gast bei uns und hat gesagt: Es scheitert nicht an den Gewerkschaften, es Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und scheitert nicht an den Unternehmen, sondern der Wille Herren! Titel dieses Jahreswirtschaftsberichts ist „Für der Großen Koalition, der Wille der Politik, die notwen- inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“ . Ich digen Vorgaben zu machen, anzupacken, damit wir auch gebe zu, das ist ein etwas sperriger Titel . Das Fachwort die Verkehrswende schaffen, fehlt eben . „inklusives Wachstum“ muss meines Erachtens übersetzt werden, damit allen klar ist, was das bedeutet, was es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) vor allen Dingen an wirtschaftspolitischem Paradigmen- Dann klappt es halt nicht, wenn man es nicht will; dann wechsel bedeutet . Denn heute diskutieren wir anders als bekommt man es auch nicht hin . der wirtschaftsradikale Mainstream, dem auch jemand wie Cem Özdemir zwischendurch einmal erlegen ist, als (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Eine Bierzelt- er noch mit Oswald Metzger befreundet war . rede!) (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Die Gefahren für unsere Volkswirtschaft durch die NEN) Wahl von Donald Trump – darauf wurde bereits hinge- (B) wiesen – werden uns alle betreffen . Damit sind wir bei An dieser Stelle haben wir heute eine andere Diskussion (D) einem zentralen Punkt für unsere Wirtschaft, nämlich bei auf der Welt . der Zukunft eines freien Handels und einer starken Euro- Inklusives Wachstum beinhaltet das Bekenntnis, dass päischen Union . Ich glaube, hier sind sich alle einig, dass wirtschaftliches Wachstum und soziale Gerechtigkeit wir freien Handel stärken müssen, dass wir Protektionis- keine Gegensätze sind, sondern wechselseitige Bedin- mus verhindern müssen . gung, meine Damen und Herren . (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach, die Grü- (Beifall bei der SPD) nen auch?) Das ist der Unterschied . Das Gegenteil passiert jetzt, wenn man dem Glauben schenken kann, was Präsident Trump angekündigt hat . Er Denn damals, als Frau Merkel beispielsweise noch die will die Finanzmärkte von der Kette lassen und die Real- neue soziale Marktwirtschaft, den steuerpolitischen Bier- wirtschaft an die Kette legen . Umgekehrt wird ein Schuh deckel und die Kopfpauschale gepredigt hat, war es tat- daraus . Also müssen zumindest wir in Europa unsere sächlich so, dass es zwei fundamentale Irrtümer gab, die Hausaufgaben machen; niemand wird das für uns tun . Wirtschaftsradikale unter das Volk zu bringen versucht Sowohl der Brexit als auch die Wahl von Trump müssen haben . Den einen hat Sigmar Gabriel angesprochen, näm- uns eine Lehre sein . Wir brauchen ein starkes, wir brau- lich dass Ungleichheit Motor wirtschaftlicher Dynamik chen ein offenes und vor allem ein geeintes Europa, und sei . Wenn jetzt auf dem Weltwirtschaftsforum im Glo- das ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit . bal Risks Report davon die Rede ist, das Ansteigen des Anti-Establishment-Populismus deute darauf hin, dass (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wirtschaftliches Wachstum allein nicht hilft, die Spaltung Es waren Politiker von beiden großen Volksparteien – von Gesellschaften zu überwinden, sondern dass – ich zi- Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl –, die dieses Eu- tiere das Weltwirtschaftsforum in Davos – „eine Reform ropa mit aufgebaut haben, und dieses Erbe steht jetzt in der kapitalistischen Marktwirtschaft“ auf die Agenda ge- Gefahr . Darum ist es wichtig, dass wir als die vielleicht hört, dann ist das eine andere Debatte, und das ist auch letzte Generation, die darüber entscheiden kann, welche gut so, meine Damen und Herren . Wirtschaftlicher Erfolg Richtung dieses Europa einschlägt, dieses Friedenspro- und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen . jekt Europa nicht nur sichern, sondern dahin führen, dass (Beifall bei der SPD) es wieder eine Erfolgsgeschichte wird . Dafür brauchen wir ein Deutschland, das seine Rolle in der Europäi- Der zweite Irrtum wirtschaftsradikaler Vorstellungen schen Union auch annimmt, das gemeinsam mit unserem war in den unglaublich dummen Satz eines Amtsvorgän- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21471

Hubertus Heil (Peine) (A) gers von Sigmar Gabriel, eines liberalen Wirtschaftsmi- Ergebnis des Chaos der schwarz-gelben Vorgängerregie- (C) nisters, gegossen, der einmal gesagt hat: „Wirtschaft wird rung . Wir haben in dieser Legislaturperiode mit Sigmar in der Wirtschaft gemacht “. Richtig ist, dass in einer so- Gabriel versucht, hier aufzuräumen . zialen Marktwirtschaft im Wesentlichen Unternehmerin- nen und Unternehmer sowie Arbeitnehmerinnen und Ar- (Beifall bei der SPD) beitnehmer zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen . Aber Wir hatten den Mut zu Reformen, den Sie unter klar ist auch, dass ohne einen starken und handlungsfä- Schwarz-Gelb nie hatten . Wir haben Ausschreibungen higen Staat und ohne eine aktive Wirtschaftspolitik wirt- durchgesetzt, und wir haben die Voraussetzungen für schaftlicher Erfolg und soziale Gerechtigkeit nicht zu den Netzausbau, der jetzt stattfindet, geschaffen. Wenn gewährleisten sind . Das, meine Damen und Herren, ist wir vier Jahre vorher mit unserer Arbeit hätten begin- etwas, was wir für uns in Anspruch nehmen . nen können – Sigmar Gabriel hatte in der Energiepolitik eine Herkulesaufgabe zu bewältigen –, dann hätten wir Die in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik die Probleme, die Sie zu Recht beschrieben haben, heute SPD-geführte Bundesregierung hat in dieser Legislatur- nicht . periode dafür gesorgt, dass der Schalter umgelegt wur- de . Unser Erfolg lässt sich auch in Zahlen messen . Die (Beifall bei der SPD) gute wirtschaftliche Lage – darauf hat Sigmar Gabriel hingewiesen – ist nicht allein ein politisches Verdienst . Durch das Versagen und den fehlenden Mut von Natürlich haben wir Sonderfaktoren, die genannt wur- Schwarz-Gelb wurde Chaos in die Energiewende ge- den, und natürlich ist sie das Verdienst von fleißigen bracht, und zwar durch Ihre Zickzackpolitik und das Menschen, die diesen Erfolg erarbeitet haben . Wir haben Verfehlen der drei wichtigsten Ziele der Energiewen- die niedrigste Arbeitslosenquote seit 25 Jahren und die de . Wenn wir 2013 nicht angefangen hätten, Reformen höchste Zahl von Erwerbstätigen – in diesem Jahr sind es durchzuführen, dann wären alle drei Ziele der Energie- 43,5 Millionen Menschen und damit 1,5 Millionen mehr wende – sicher, sauber und bezahlbar – verfehlt worden . als 2013 –, und es gibt eine ordentliche Entwicklung bei (Beifall der Abg . Dr . [SPD]) den Löhnen . Das, meine Damen und Herren, ist auch das Verdienst von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Dieser Bundeswirtschaftsminister hat Grund und Ord- Gabriel . Dafür danken wir ihm . nung in die Energiewende gebracht, damit sie als Inno- vationsprojekt ein Erfolg für unsere Gesellschaft wird: (Beifall bei der SPD) sozial, ökologisch und auch ökonomisch . Auch dafür sind wir ihm dankbar, meine Damen und Herren . Er hat durch seine Arbeit dafür gesorgt, dass das Bun- deswirtschaftsministerium in der Bundesregierung wie- (Beifall bei der SPD) (B) der eine aktive Rolle spielt . In den letzten Jahren war es (D) Wir reden hier zu Recht über die Arbeit des Bundes- ja verkommen . Denn seine Amtsvorgänger, die nach dem wirtschaftsministers und über den wirtschaftlichen Er- Motto „Wirtschaft wird von der Wirtschaft gemacht; der folg dieses Landes . In diesem Zusammenhang werden Staat muss sich überall heraushalten“ gehandelt haben, und müssen wir auch über den Freihandel reden . Ich war haben die Rolle einer aktiven Wirtschaftspolitik nicht ja ganz erstaunt, Cem Özdemir, wie sehr Sie sich eben unterstützt . Dieser Turnaround lässt sich auch an den zum freien Handel bekannt haben . Investitionsquoten des Bundeshaushalts ablesen . Die Investitionen des Bundes sind seit Beginn dieser Le- (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gislaturperiode auf 36 Milliarden Euro im Bundeshaus- NEN]: Richtig!) halt 2017 gesteigert worden . Meine Damen und Herren, wenn wir außerdem noch die Entlastung der Kommunen Letztes Jahr, als es um CETA ging, hatten wir Sie nicht berücksichtigen, deren Höhe Sigmar Gabriel vorhin be- an unserer Seite, sondern da haben wir erlebt, dass Sie ziffert hat – ihre Investitionen machen den größten Anteil sich sogar mit Populisten zusammengetan haben, die an den Investitionen der öffentlichen Hand aus –, kann nicht erkannt haben, dass wir sowohl freien als auch fai- man zu Recht sagen: Auch bei den Investitionen haben ren Handel brauchen . wir den Schalter umgelegt, weil unser Land wirtschaft- CETA ist durch die Arbeit dieses Wirtschaftsminis- lich nicht von der Substanz leben kann . ters ein Abkommen geworden, das hohe Maßstäbe setzt, Arbeitnehmerrechte sichert, den Weg hin zu anonymen Zu den Maßnahmen, die wir ergriffen haben, gehören Schiedsgerichten beendet und Verbraucherschutz- und die Förderung des Ausbaus, der Sanierung und der Mo- ökologische Standards sichert . Wir haben ein gutes dernisierung von Schulen sowie Investitionen auch der Abkommen geschaffen, und in Zeiten des aufziehen- privaten Hand, die wir beispielsweise durch erleichterte den Protektionismus war dieses Verdienst von Sigmar Abschreibungsmöglichkeiten – Stichwort: geringfügige Gabriel zum Wohle der deutschen Exportwirtschaft, der Wirtschaftsgüter – noch weiter unterstützen wollen . Das Arbeitsplätze und fairer Globalisierungsstandards eine ist die richtige Richtung, wenn es darum geht, gute Zei- Riesenleistung, meine Damen und Herren . Das waren ten für Investitionen zu nutzen, damit die Wirtschaft auch nicht Sie, das war dieser Minister . in schwierigen Zeiten brummt . (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Axel Herr Fuchs, bei aller Freundlichkeit: Ich finde, dass Sie Knoerig [CDU/CSU]) ein etwas kurzes Gedächtnis haben, wenn Sie hier über die Energiepolitik reden . Die Steigerung der EEG-Umla- Wenn ich mir die Linkspartei, Herr Kollege Ernst, in ge und der Netzkosten, die Sie beschrieben haben, ist das diesen Zeiten anhöre, fällt eines auf: Sie haben in der 21472 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Hubertus Heil (Peine) (A) weltwirtschaftlichen Debatte ganz neue Verbündete, mit erfolgt eine Entmachtung der Demokratie durch den (C) denen Sie nie gerechnet haben . CETA-Ausschuss, nach wie vor gibt es eine nicht ak- zeptable vorläufige Inkraftsetzung und einen Abbau von (Zuruf des Abg . Michael Grosse-Brömer Standards, der inzwischen allenthalben zur Kenntnis ge- [CDU/CSU]) nommen wird . Das sind die Gründe, warum wir dieses Mauern rechtfertigen, Protektionismus predigen und die und andere Abkommen ablehnen . NATO auflösen wollen – das haben wir bisher nur von Trump hat eine völlig andere Idee: der Kommunistischen Plattform der Linkspartei gehört . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! – denn jetzt?) Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Was haben wir damit zu tun? Das ist doch affig!) Trump will Protektionismus, und Freihandel ist der Ge- gensatz von Protektionismus . Wir wollen fairen Handel, Das ist jetzt die Position von Donald Trump, und wir und wir unterscheiden uns gravierend von Trump . Mit werden erleben, dass das zum Schaden der Welt ist . Sie dem haben wir nichts am Hut, und ich möchte, dass dies als Linkspartei haben ja nicht die Möglichkeit, die Welt- zur Kenntnis genommen wird . politik zu beeinflussen, aber Sie werden erleben, dass Ihre Rezepte jetzt von Rechtspopulisten in der Weltwirt- (Beifall bei der LINKEN) schaft ausprobiert werden . (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Unglaublich! Hubertus Heil (Peine) (SPD): Unverschämtheit!) Herr Kollege Ernst, ich habe darauf hingewiesen, dass wir die Töne, eine Mauer zu rechtfertigen, Protektionis- Meine Damen und Herren, ich bin heilfroh, dass das mus zu predigen und gleichzeitig die NATO infrage zu nicht die Politik dieser Bundesregierung ist . Wir werden stellen, bisher von der Kommunistischen Plattform Ihrer unsere europäischen Werte, unsere Vorstellungen von Partei gewohnt waren . Demokratie, Marktwirtschaft und Sozialstaatlichkeit in diesen schwierigen Zeiten gegenüber solchem rechtem (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Einfach unglaub- Populismus und Protektionismus behaupten müssen, und lich! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das ist dafür brauchen wir alle Kraft und nicht diese Rezepte der doch albern!) Linkspartei oder die von Donald Trump . Donald Trump will jetzt eine Mauer an der Gren- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ze zu Mexiko bauen . Die Rechtfertigung für den Bau der CDU/CSU) einer Mauer habe ich bei Ihnen vor kurzem ebenfalls (B) noch einmal gehört, und zwar – ich darf, mit Verlaub, (D) Frau Wagenknecht vom 23 .März 2016 gegenüber der Vizepräsidentin : TP-Presseagentur zitieren –: Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Klaus Ernst? Die Mauer – sie meinte die Mauer durch Berlin – Hubertus Heil (Peine) (SPD): stabilisierte den Status quo der europäischen Nach- Sehr gerne . kriegsordnung und somit unter den damaligen Be- dingungen den Weltfrieden . Klaus Ernst (DIE LINKE): (Dr . [DIE LINKE]: Das hat Herr Kollege Heil, ich habe gerade wirklich mit Er- Strauß gesagt!) schrecken vernommen, wir hätten hier neue Verbündete: den Trump . Ich gehe davon aus: Die Verbindung soll sein, Meine Damen und Herren, wer Mauern bauen will, dass er jetzt die Handelsabkommen mit dem Pazifikraum­ wer abschotten will, der ist auf dem falschen Weg . kündigt und wir gegen CETA sind . Dazu möchte ich ei- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr .Petra nes eindeutig feststellen und bitte Sie, das wirklich zur Sitte [DIE LINKE]: Das ist Unsinn!) Kenntnis zu nehmen: Dieses In-einen-Topf-Werfen ist wirklich unanständig, richtig unanständig . Ich behaupte ja nicht, dass Sie sich mit denen gemein machen wollen, aber Ihre Rezepte sind die dieses Herrn, (Beifall bei der LINKEN) und es sind die falschen Rezepte . Deshalb werden wir Denn dass Veränderungen im CETA-Abkommen über- das bekämpfen . haupt möglich waren, das waren wir . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie (Lachen bei der CDU/CSU und der SPD – bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Dr .Michael Fuchs [CDU/CSU]: Um Gottes GRÜNEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Un- willen!) verschämtheit! Eine dreiste Unverschämtheit! Das ist ja wirklich unerträglich!) Das waren der Druck der Öffentlichkeit und der Druck der Verbände . Wir wollen eine offene Gesellschaft . Wir wollen fai- rere Regeln für die Globalisierung . Wir wollen keinen Und herausgekommen ist: Nach wie vor besteht die Protektionismus . Hier wächst wirklich manchmal an Sondergerichtsbarkeit für Unternehmen, nach wie vor den Rändern zusammen, was zusammengehört . Aber ich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21473

Hubertus Heil (Peine) (A) sage Ihnen an dieser Stelle sehr deutlich: Das ist nicht Ich will auch etwas zur Haltung sagen, die dieser Bun- (C) der Kurs von Sozialdemokraten . Sigmar Gabriel war in deswirtschaftsminister hatte, als es um das Schicksal von Kanada und hat mit Trudeau und Frau Freeland, der da- zehntausend Arbeitsplätzen bei Tengelmann und Edeka maligen Handelsministerin, gesprochen . Ich war dabei . gegangen ist: Ich kann mich erinnern, dass die Grünen hier auf der falschen Seite waren . Ich weiß nicht, ob sich (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eine unglaubli- die Grünen anders verhalten hätten, wenn es eine Bioket- che Entgleisung ist das! – Dr .Petra Sitte [DIE te gewesen wäre; LINKE]: Demagogie!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Cem Sie ist übrigens jetzt Außenministerin geworden; ab mor- Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gen deine Kollegin, Sigmar . Ich habe erlebt, wie er in Das kannst du besser! – Zurufe vom BÜND- Europa dafür gekämpft hat, die Staats- und Regierungs- NIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!) chefs und die Wirtschafts- und Handelsminister hinter sich bzw . zu dieser Position zu bringen, die wir am Ende ich weiß nur eines: In dieser Situation war dem Bundes- durchgesetzt haben – ich sage es noch einmal –: keine wirtschaftsminister das Schicksal von Verkäuferinnen anonymen Schiedsgerichte, und Verkäufern, von Menschen, die hart arbeiten, nicht (Volker Kauder [CDU/CSU], an die LINKE egal . Das ist möglicherweise ein Unterschied zu der kal- gewandt: Ihr Mauerbauer!) ten Art, wie ihr manchmal Wirtschaftspolitik betreibt . hohe Arbeitnehmerstandards, faire Gestaltung der Glo- (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- balisierung, offene und freie Märkte, aber auch im Inte- NEN]: Was tut ihr denn für die Langzeitar- resse dieses Landes . beitslosen?) Klaus Ernst, dir sage ich es einmal sehr deutlich: Dir Ich bin stolz darauf, dass Sigmar Gabriel da gehandelt persönlich glaube ich, dass du auch für internationalen hat . Handel bist . Du müsstest aber einmal mit größeren Teilen (Beifall bei Abgeordneten der SPD) deiner Partei, die Protektionismus predigen, Verdi hat uns damals geholfen . Wir haben dafür ge- (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sind Fake sorgt, dass die Arbeitsplätze – und zwar tarifvertraglich News!) geschützt und ordentlich entlohnt – erhalten bleiben . Das anständig darüber reden, dass sie zum Schaden von Ar- ist das Verdienst von Sigmar Gabriel . Er hatte den Mut, beitsplätzen – zum Beispiel von IG-Metall-Kollegen, die sich mit all den Leuten anzulegen, die das kritisiert ha- bei Volkswagen oder woanders arbeiten und auf Export ben, und er hat richtig gehandelt; das wissen wir heute . (B) angewiesen sind – handeln . Das ist deren Existenzgrund- Auch dafür sind wir sehr dankbar . (D) lage . Diese Erkenntnis ist in der Linkspartei leider nicht (Beifall bei der SPD) Allgemeingut .– Das meinte ich damit, und dabei bleibe ich auch . Ich komme zum Schluss . Deutschland ist wirtschaft- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie lich stark, aber wir müssen viel tun, damit es auch stark des Abg . Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE bleibt . Deshalb bin ich mir sicher, dass die gute Arbeit, GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: die Sigmar Gabriel geleistet hat – zum Schutz auch der Und mit denen wollt ihr koalieren? – Weiterer industriellen Arbeitsplätze, zur Modernisierung dieses Zuruf von der CDU/CSU: Es kann nur schlim- Landes, für Investitionen, für soziale Gerechtigkeit und mer kommen! – Dr .Petra Sitte [DIE LINKE]: wirtschaftlichen Erfolg –, durch seine Nachfolgerin, Wenn Sie das nötig haben! Oje!) Brigitte Zypries, fortgesetzt wird . Es wird hier keinen Phasenriss geben . Auch ein Wort an die Grünen: Cem Özdemir, du hast bisher ja nicht oft an den wirtschaftspolitischen Debatten (Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?) dieses Hauses oder der Ausschüsse teilgenommen, Sie ist Staatssekretärin bei ihm und wird das sehr gut (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- machen, und ich bin auch sehr dankbar, dass ein junger NEN]: Daran wirst du dich gewöhnen!) Kollege aus unserer Fraktion, der Kollege , als Parlamentarischer Staatssekretär an ihrer Seite stehen weshalb du bestimmte Sachen – zum Beispiel in der Ren- wird . tenpolitik – nicht mitbekommen hast . Du beklagst, dass im Rentenpaket der Zugang zur Erwerbsminderungsren- Meine Damen und Herren, die Sozialdemokratie te nicht verbessert worden sei . Ich würde mir das Ren- macht sehr deutlich: Wir werden den Kurs in der Wirt- tenpaket noch einmal angucken; genau das ist nämlich schaftspolitik, den Sigmar Gabriel begonnen hat, im Inte- passiert . resse dieses Landes fortsetzen, weil wirtschaftlicher Er- folg und soziale Gerechtigkeit zusammengehören . Danke (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- an Sigmar Gabriel, dass er hier in der Wirtschaftspolitik NEN]: Minimal! – Cem Özdemir [BÜND- den Schalter in die richtige Richtung umgelegt hat! NIS 90/DIE GRÜNEN]: Um 160 Milliarden Euro bis 2030!) Herzlichen Dank . – Das ist an dieser Stelle passiert, und mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wird das übrigens noch ausgebaut . der CDU/CSU) 21474 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Vizepräsidentin Michaela Noll: hinter der deutschen Wirtschaft stehen die Menschen; (C) Herzlichen Dank, lieber Kollege .– Das Wort hat jetzt auch das wurde heute schon gesagt . Das sind die Unter- Andreas Lämmel von der Fraktion der CDU/CSU . nehmer, die Selbstständigen, die Handwerker, die Ange- hörigen der freien Berufe und natürlich die Arbeitneh- (Beifall bei der CDU/CSU) mer, die alle gemeinsam diesen großen Erfolg für sich verbuchen können . Ich glaube, wenn man diese Dinge Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): immer schlechtredet, macht man auch die Menschen Frau Präsidentin! Ich darf Ihnen ganz herzlich zu Ih- schlecht, die dahinterstehen . rer ersten Sitzungsleitung gratulieren und wünsche Ihnen Meine Damen und Herren, Herr Ernst fing ja wieder große Erfolge und dass Sie das Haus immer im Griff be- mit dem Thema Handelsüberschüsse an . Das ist sein halten – auch bei hitzigen Debatten . Lieblingsthema, und die Linken können offensichtlich (Beifall bei der CDU/CSU) überhaupt keine anderen Einlassungen zur Wirtschafts- politik mehr machen . Deutschland ist eine Exportnation . Vizepräsidentin Michaela Noll: (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ach was!) Vielen Dank, Herr Kollege . Ein wesentlicher Pfeiler des wirtschaftlichen Erfolges Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): sind die Exporte . Sie selbst wissen ganz genau, dass die Handelsüberschüsse nicht nur deswegen entstehen, weil Meine Damen und Herren! Es geht heute um den Jah- Deutschland im Ausland zu wenig kauft, sondern das hat reswirtschaftsbericht . Herr Kollege Heil, Ihre Rede war auch viel mit den Ölpreisen zu tun . In den Jahren des ja eine Huldigungsrede für unseren Wirtschaftsminister . hohen Ölpreises gab es in der Leistungsbilanz große De- Ich hatte es eigentlich nicht so verstanden, dass er das fizite. Heute verzeichnen wir Überschüsse. Haus verlässt, sondern er wird weiterhin auf der Regie- rungsbank sitzen . Deutsche Exporte sind auch für die Entwicklung vie- Herr Kollege Heil, eines muss ich Ihnen schon noch ler Nationen in der Welt sehr wichtig . Im Jahreswirt- einmal sagen, weil Sie das Thema Energiepolitik ange- schaftsbericht steht, dass der Anteil von Exporten in die sprochen haben, das ich jetzt aber nicht zum Mittelpunkt mittel- und osteuropäischen Staaten überdurchschnittlich meiner Rede machen will: Ich möchte Sie bitten, noch gewachsen ist . Die mittel- und osteuropäischen Staaten einmal ein paar Jahre weiter als nur die letzten vier Jahre haben mittlerweile einen größeren Anteil am Exportvo- zurückzudenken . lumen Deutschlands als China . Es ist doch sehr positiv, dass deutsche Exporte in vielen Teilen Europas einen (B) Der Kollege Gabriel war ja mal Umweltminister, Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung leisten, weil (D) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Frau Merkel es letztendlich – darauf hat der Kollege Fuchs hingewie- auch!) sen – um die Verknüpfung der Lieferketten geht . Export bedeutet ja nicht nur, Waren in Länder zu exportieren, und während dieser Zeit sind zum Beispiel die Funda- sondern er bedeutet auch, Teile und Leistungen für die mente für die Probleme, die wir heute bewältigen, mit Zulieferung zu importieren . gelegt worden . Dass der Herr Gabriel in seinem Amt als Wirtschaftsminister zu neuen Erkenntnissen gekommen Deutschland braucht den freien Handel . Herr Özdemir, ist und dass wir gemeinsam einige Dinge verrichten ich habe sehr darüber gestaunt, dass die Grünen jetzt konnten, halte ich für sehr positiv . Hier kann ich Sie auch plötzlich zur Freihandelspartei werden . nur unterstützen . (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) NEN]: Was erstaunt Sie daran?) Meine Damen und Herren, dass es Deutschland gut Was ist denn das? Das ist ja etwas ganz Neues bei Ihnen . geht, haben heute schon alle Redner beschrieben . Man Sie sind doch in der Allianz der Gegner von TTIP und kann es aber eben nicht oft genug sagen, weil die Kolle- von allen anderen Abkommen gewesen . gen der Linken und der Grünen immer dazu neigen, die Situation trotzdem schlechtzureden . (Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Fairer Handel! Darum geht es!) Acht Jahre Wirtschaftswachstum hintereinander! Es muss mir einmal jemand in der Geschichte der Bundes- Genauso wie die Linken: Sie haben es bis heute noch republik Deutschland Zeiten zeigen, in denen wir acht nicht begriffen . Bei Herrn Özdemir scheint zumindest Jahre hintereinander kontinuierlich ein Wirtschafts- ein Umdenken eingesetzt zu haben, was erst einmal ein wachstum hatten, Fortschritt ist . (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: 60er-Jahre!) NEN]: Ich musste gar nicht umdenken!) und die Projektion für 2017 sieht ein weiteres Wirt- Wir werden unter den neuen globalen Gegebenhei- schaftswachstum voraus. Das finde ich sehr gut. ten wesentlich mehr darum kämpfen müssen, den freien Für die gute Gesamtsituation ist nicht nur der gute Zu- Handel zu erhalten . Herr Ernst, Sie haben gesagt: Wir stand der deutschen Wirtschaft verantwortlich, sondern brauchen keinen freien Handel, sondern fairen Handel .– Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21475

Andreas G. Lämmel (A) Erklären Sie mir den Unterschied . Das müssen Sie wirk- nicht mehr ausgeschöpft werden, wenn es darum geht, in (C) lich einmal machen . Deutschland zu investieren . (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das mache ich Wir müssen vor allen Dingen – das ist für mich ein gern! – Lachen bei Abgeordneten der LIN- wichtiger Punkt – den deutlichen Anstieg des Staats- KEN) konsums bremsen . Investitionen des Staates müssen aus meiner Sicht gefördert werden . Aber der Staatskonsum Sie diskreditieren mit diesem Satz jede Art von freiem kann nicht der Gradmesser einer positiven Entwicklung Handel als nicht fairen Handel . sein; denn konsumtive Ausgaben rentieren sich nicht (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das sagt kein unbedingt, wie wir alle wissen . Wir müssen zudem die Mensch!) Staatsquote im Blick behalten . Auch das ist in den letzten Jahren mehr oder weniger gut gelungen . Das ist einfach Quatsch, das ist blanker Unfug . Freier Handel ist im Prinzip genau das, was wir in Deutschland Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der mir be- wollen . sonders wichtig ist, weil es um das Einkommen der Men- schen geht . Der Jahreswirtschaftsbericht weist aus, dass (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir wollen fairen die Schere zwischen Brutto- und Nettoeinkommen der Handel! Das ist der Unterschied!) Menschen weiter auseinandergeht . Das heißt, die Brut- toeinkommen sind deutlich stärker gestiegen als die Net- Trotzdem handelt Deutschland fair . Ihr Satz ist reine Po- toeinkommen . Hier sehe ich ein großes Problem; denn lemik und entbehrt jeglicher Grundlage . höhere Bruttoeinkommen helfen den Menschen nicht, Wir brauchen das CETA-Abkommen . Auch das Bun- wenn nicht mehr Geld in der Tasche bleibt, das sie für desverfassungsgericht hat uns mit Blick auf dieses Ab- sich verwenden können . Die Entwicklung ist insgesamt kommen recht gegeben . Ich weiß gar nicht, warum Sie aber erst einmal positiv . morgen noch einmal diese uralte Debatte darüber führen Herr Gabriel, wir wünschen Ihnen in Ihrem neuen wollen . Amt alles Gute . Das Thema Afrika habe ich jetzt nicht so (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das werden Sie dezidiert angesprochen . Aber wir werden, wenn Sie Ihr dann schon hören!) neues Amt angetreten haben, sicherlich noch viele Be- rührungspunkte haben . Aber gut, das ist Ihre Sache . Vielen Dank . Wir brauchen aber auch die Wirtschaftspartnerschafts- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (B) abkommen mit Afrika . Ich kann überhaupt nicht verste- (D) hen, dass jetzt wieder darüber diskutiert wird, dass man ordneten der SPD) diese Abkommen nicht schließen solle oder dass man sie umschreiben müsse . Wir brauchen mit Afrika Nachfol- Vizepräsidentin Michaela Noll: geabkommen, die WTO-gerecht sind . Deshalb kann ich Das Wort hat jetzt Thomas Lutze, Fraktion Die Linke . hier nur noch einmal dafür plädieren, diese Wirtschafts- partnerschaftsabkommen mit Afrika endlich zu ratifizie- (Beifall bei der LINKEN) ren, um sie in Kraft setzen zu können . Thomas Lutze (DIE LINKE): Meine Damen und Herren, wenn es darum geht, die Globalisierung zu gestalten, die Globalisierung weiter- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! zuentwickeln, dann bietet sich dieses Jahr dafür eine her- Dass der Minister natürlich voll des Lobes über die wirt- vorragende Chance . Deutschland hat die Präsidentschaft schaftliche Situation der Bundesrepublik ist, verwundert der G 20: In Hamburg wird der G‑20‑Gipfel stattfinden. nicht . Die Zahlen hören sich zuerst einmal gut an . Aber Die deutsche G‑20‑Präsidentschaft hat sich das Ziel ge- er hat auch richtigerweise gesagt, dass Euphorie nicht setzt, über die Chancen und Risiken der Globalisierung angebracht ist . Die Probleme Binnennachfrage und Ex- einen neuen Diskussionsprozess anzustoßen. Das finde portüberschüsse wurden bereits von mehreren Rednern ich sehr wichtig, gerade angesichts der aktuellen Politik angesprochen, allerdings unterschiedlich bewertet . Wir in den Vereinigten Staaten . sagen ganz deutlich: Wer seine eigene Wirtschaft so einseitig auf den Export ausrichtet und die reine Wachs- Im Jahreswirtschaftsbericht gibt es ein paar Punkte, tumslogik propagiert, kann ein böses Erwachen erleben, auf die ich kurz eingehen möchte: Es drohen Gefahren nämlich dann, wenn sich die politische Großwetterlage für die weitere Entwicklung . Ein Beispiel ist das The- verändert . Genau das passiert gerade . Weil Deutschland ma Bankenregulierung . Banken sind ja der Hauptgegner so abhängig vom Welthandel ist, müsste die Bundesre- der Linken . Banken sind aber für die Entwicklung der gierung viel mehr dafür tun, ihn fairer und damit stabiler Wirtschaft wichtig . Vor allem der Mittelstand braucht ein zu gestalten . funktionierendes Bankensystem . Wir dürfen daher den (Beifall bei der LINKEN) Bankensektor nicht überregulieren . Globaler Austausch von Waren und Dienstleistungen Wir müssen die Investitionsquote des Staates stärken . muss fair, sozial gerecht und umweltpolitisch verant- Wir müssen gemeinsam mit den Unternehmen an einer wortlich gestaltet werden . Stärkung der Investitionsquote arbeiten . Es ist sehr be- denklich, dass selbst die Mittel der Wirtschaftsförderung (Beifall bei der LINKEN) 21476 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Thomas Lutze (A) Die riesigen Überschüsse im innereuropäischen Han- Dabei muss man auch den Mut haben, den Weg der rei- (C) del haben ganze Volkswirtschaften in Europa an den nen Lehre des Neoliberalismus und des Freihandels – es Rand des Ruins geführt . Es gibt nämlich keine Über- gibt nämlich wirklich einen Unterschied, Herr Lämmel, schüsse ohne entsprechende Defizite auf der anderen zwischen Freihandel und fairem Handel – zu verlassen . Seite . Jahrzehntelang haben wir unseren Nachbarn mehr Ansonsten sitzen dort drüben – nicht auf der Bank der verkauft, als sie uns verkauft haben . Damit zum Beispiel Bundesregierung, sondern ganz rechts – demnächst Ty- die Länder Südeuropas unsere Produkte kaufen, leihen pen, die hier keiner haben will . Liebe Kolleginnen und wir ihnen auch noch das Geld, damit sie diese Produk- Kollegen, denken Sie wenigstens einmal darüber nach . te und Dienstleistungen bezahlen können . Was passiert, wenn sie ihre Kredite und Zinsen nicht mehr zahlen Vielen Dank . Glück auf! können? Dann diktieren wir ihnen unter unseren Bedin- (Beifall bei der LINKEN) gungen die Sanierung ihrer Haushalte . Die Folgen sind dramatischer Sozialabbau und Massenarbeitslosigkeit in vielen Ländern Südeuropas . Übrigens stand der zukünfti- Vizepräsidentin Michaela Noll: ge SPD-Boss Schulz in der ersten Reihe der Befürworter Der nächste Redner: Bernd Westphal, SPD-Fraktion . einer solchen Politik . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bei uns gibt es der CDU/CSU) den Begriff „Boss“ nicht!) Auch hierzulande haben viele Menschen und gan- Bernd Westphal (SPD): ze Regionen Angst davor, von der aktuellen positiven Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wohlstandsentwicklung abgehängt zu werden . Die Zahl Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der der Langzeitarbeitslosen, die in der Statistik gar nicht letzte Jahreswirtschaftsbericht in dieser Legislaturperio- mehr auftauchen, steigt . 2016 war auch ein Rekordjahr de gibt Anlass, Bilanz zu ziehen, Bilanz über das, was er- für Leiharbeit und befristete Beschäftigung . Die Quote reicht worden ist . Diese Bilanz fällt sehr positiv aus . Die derer, die akut von Armut bedroht sind, steigt . Das ist Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt sind hier in der De- eine politische, eine wirtschaftliche und eine sozialpoliti- batte schon genannt worden . Das Wirtschaftswachstum sche Entwicklung, die dringend korrigiert werden muss . ist positiv, der Beschäftigungsaufwuchs ist positiv, wir haben eine gute Entwicklung, was die Arbeitslosenquote (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . angeht, aber auch die Renten sowie die Löhne und Ein- Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- kommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind NIS 90/DIE GRÜNEN]) gestiegen . Im Grunde ist das eine Jobmaschine, für die (B) (D) Die Bundesrepublik muss aber endlich auch mehr die Politik des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel ver- für den Schutz bestimmter Branchen unternehmen . Die antwortlich ist . Ganz herzlichen Dank für diese Bilanz . einheimische Stahlindustrie zum Beispiel konkurriert (Beifall bei der SPD) unter verschärften Bedingungen mit der chinesischen Stahlindustrie . Diese hat derzeit weit schwächere Um- Lieber Sigmar Gabriel, Sie haben in Ihrer Zeit als weltauflagen, und viele Produkte werden de facto vom Bundeswirtschaftsminister eine erfolgreiche Arbeit ge- chinesischen Staat subventioniert . Wollen wir diesen leistet . Es gab wichtige Impulse für die Modernisierung industriellen Kern in Deutschland in unserer Wirtschaft unseres Wirtschaftsstandorts Deutschland, und Sie haben erhalten, dann müssen wir handeln und dürfen nicht nur vor allem im Bereich der Energiepolitik viel erreicht und über die Probleme reden . den Industriestandort Deutschland gesichert . Wenn ich von meiner Heimatstadt Saarbrücken aus Nicht nur national, sondern vor allem auf interna- 20 Kilometer nach Norden fahre, dann sehe ich Hütten, tionaler Ebene sind viele Dinge nach vorne gebracht Stahlwerke, Walzwerke, Maschinenbau- und Fahrzeu- worden . Beeindruckt haben mich zwei Punkte: auf der gindustrie und viele Zulieferer . Hier arbeiten Zehntau- einen Seite, dass Sie es geschafft haben, das, was die sende Menschen zu guten tariflichen Bedingungen. Fahre Vorgängerregierungen energiepolitisch liegen gelassen ich aber 20 Kilometer von Saarbrücken aus nach Westen, haben, europakompatibel zu gestalten . Die wettbewerbs- dann sehe ich im benachbarten Frankreich die verroste- rechtlichen Dinge, die wir regeln mussten, sind erfolg- ten Überreste einer untergegangenen Epoche . Im Gegen- reich umgesetzt worden . Auf der anderen Seite möchte satz zu Ostdeutschland war hier noch nicht einmal das ich daran erinnern, dass wir als Sozialdemokraten und Geld vorhanden, um das Alte wenigstens wegzuräumen . mit Ihrer Person beim Freihandelsabkommen CETA – das wurde in der Debatte schon erwähnt – ein modernes Viele Menschen in unserem Land haben Ängste, die Freihandelsabkommen mit einer Menge von Instrumen- es ernst zu nehmen gilt . Die Rattenfänger auf der ganz ten gestaltet haben, und zwar nicht nur mit 28 europäi- rechten Seite haben hier leichtes Spiel, wenn nichts oder schen Mitgliedstaaten, sondern auch mit der kanadischen zu wenig passiert . Überall gingen industrielle Kerne Regierung . Das war wirklich internationale Politik auf verloren, weil man tatenlos zugesehen hat, wie sich die höchstem Niveau . Herzlichen Dank dafür . Märkte weltweit veränderten . Es ist die Aufgabe der Po- litik, einzugreifen, und zwar im Interesse der Beschäftig- (Beifall bei der SPD) ten und der kleinen und mittleren Unternehmen . Ich freue mich auch auf die weitere gute Zusammenar- (Beifall bei der LINKEN) beit mit Brigitte Zypries, die ab morgen im Amt ist . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21477

Bernd Westphal (A) Diese gute wirtschaftliche Situation hat natürlich vor das Wertschöpfung vor Ort hier in Deutschland generell (C) allem damit zu tun, dass wir fleißige, gut ausgebildete schafft und ein erhebliches Potenzial für Exporte sichert . und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land haben, Unternehmerinnen und Unterneh- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns mer, die mutig investieren, die Ideen haben, die kreativ derzeit in einer Position der Stärke . Diese Stärke sollten ihren Job machen . Dafür gilt ihnen unser besonderer wir bewusst nutzen . Sicherlich müssen Schulden getilgt Dank . und abgebaut werden, aber wir müssen auch weiterhin an die Zukunftsinvestitionen denken . Eine Straße wird (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der nicht besser, nur weil wir keine Schulden haben . Kinder CDU/CSU) können nicht in moderne Schulen gehen, nur weil wir keine Schulden haben . Auch eine Internetleitung über- Auf drei Bereiche möchte ich besonders eingehen . trägt nicht mehr an Leistung, nur weil wir keine Schulden Wir dürfen uns natürlich nicht auf dem Erreichten aus- haben . Dafür sind Investitionen notwendig . Es ist eine ruhen; das wäre ein Fehler . Deshalb geht es darum, die Sache, Zurückhaltung zu üben, wenn kein Geld da ist, Investitionen des Bundes zu erhöhen . Das ist in dieser Legislaturperiode gelungen . Die Investitionen sind um (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kann weit mehr als ein Drittel auf 36,1 Milliarden Euro ange- es sein, dass dafür die Länder zuständig sind?) stiegen . Das ist eine gute Entwicklung . Jetzt liegt es an der Wirtschaft, wieder Geld in die Hand zu nehmen und aber in der jetzigen Situation – bei niedrigen Zinsen und zu investieren – und zwar in Deutschland zu investieren . Haushaltsüberschüssen – ist es wichtig, Wir brauchen nicht nur Ersatz-, sondern auch Erweite- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die rungsinvestitionen . Die globale Situation zeigt deutlich, Überschüsse in den Länderhaushalten einmal dass es kein absolut sicheres Marktumfeld gibt und auch richtig einzusetzen! Genau!) noch nie gab . Deshalb brauchen wir eine Rückbesinnung genau diese Zukunftsfähigkeit zu sichern . Deshalb dür- darauf, dass vor allem auch die Standortvorteile Deutsch- fen wir die Grundlagen für den Wohlstand von morgen, lands bei Investitionsentscheidungen mitberücksichtigt Herr Grosse-Brömer, nicht aus den Augen verlieren und werden . müssen diese Zukunftsinvestitionen tätigen . Wir haben eine gute Infrastruktur, gut ausgebilde- (Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/ te Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch die CSU]: Die SPD will zentralisieren! – Michael Mitbestimmung . Gute Arbeit, gute Sozialpartnerschaft Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig! führen zu diesen Standortbedingungen . Die SPD steht Aber die Länder auch daran beteiligen!) (B) für technischen und gesellschaftlichen Fortschritt . Der (D) fällt nicht vom Himmel, sondern muss politisch gestaltet Das ist unsere jetzige Aufgabe . werden . Dafür werden wir die Weichen stellen . Wir als SPD werden dafür die Weichen stellen, diese Die Digitalisierung wird in den nächsten Jahren das Zukunftsinvestitionen einfordern und durchsetzen . bestimmende Thema auf der politischen Agenda sein . Herzlichen Dank fürs Zuhören . Herzliches Glückauf! (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Sollte es jetzt sein!)

– Ja, Brigitte Pothmer, sollte es jetzt sein, ist es ja auch Vizepräsidentin Michaela Noll: schon . Vielen Dank, Herr Kollege .– Als Nächster hat Dieter Die Haushaltsmittel für die Breitbandförderung sind Janecek, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . auf 4 Milliarden Euro bis 2020 aufgestockt worden . Das ist ein wichtiger Schritt . Viele weitere Schritte werden Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): und müssen noch folgen . Unser Ziel muss sein: Glasfaser Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Mi- in jedes Haus in Deutschland . Davon hängt die zukünfti- nister, auch ich möchte mich persönlich bedanken, und ge Innovationskraft von Wirtschaft und Gesellschaft ab . zwar besonders dafür, dass Sie in diesem Parlament und Ebenso wichtig ist die Ausweitung des Angebots von im Ausschuss immer zum Streiten bereit waren . Auch ich Wagniskapital, um damit auch Start-up-Unternehmen bin jemand, der gern streitet, und das machen wir jetzt und neue Ideen zu unterstützen . hier in der Debatte noch ein letztes Mal . Denn das tut uns allen und insbesondere dem Parlamentarismus gut . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Digitalisierung, Innovation und Investitionen hel- fen uns, nachhaltiger zu werden . Die Energiewende ist Herr Heil, Sie haben ja zu Recht Frau Wagenknecht deshalb eines der zentralen Klimaschutzprojekte der angegriffen und gesagt, dass wir eine Politik des Mauer- Bundesregierung . Wir haben in den letzten Jahren und hochziehens beim Freihandel nicht gebrauchen können . Monaten bereits einiges erreicht und die Energiepolitik Die können wir wirklich nicht gebrauchen . Aber ich muss langfristig ausgerichtet . Trotzdem werden wir auch in Zu- Sie auch auf etwas hinweisen, das wir ebenso wenig ge- kunft noch viel investieren müssen . Diese Investitionen brauchen können: Wir können in der Handelspolitik nicht fördern jedoch nicht nur die Nachhaltigkeit in Deutsch- so weitermachen, dass wir NAFTA verteidigen, dass wir land, sondern sind auch ein riesiges Infrastrukturprojekt, nicht anerkennen, dass es Globalisierungsverlierer gibt . 21478 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Dieter Janecek (A) Vielmehr müssen wir etwas dafür tun, dass der Handel nämlich von der totalen Fixierung auf das Bruttoinlands- (C) fair wird . Darum gehen die ganzen Debatten, produkt wegkommen . Wir sagen – Kerstin Andreae hat diesen Ansatz für unsere Fraktion federführend entwi- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ckelt –: Wir müssen den Wohlstand neu messen . die Bündnis 90/Die Grünen um TTIP und CETA geführt haben, und für den fairen Handel werden wir auch weiter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kämpfen . Der Handel muss frei sein, aber er muss auch Wir brauchen einen Jahreswohlstandsbericht der Regie- fair sein . rung . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wir dürfen nicht nur darüber reden, ob die Kennzahlen Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sind Sie für der Produktion steigen . Eine solche Steigerung ist zwar oder gegen TTIP?) gut, aber, ökologisch betrachtet, nicht das einzig Gute; Herr Gabriel, ich habe Ihrer Rede sehr wohl zugehört . vielmehr müssen wir schauen, ob etwas nachhaltig ist, Ich habe darin zwei Wörter vermisst: Ökologie und Er- ob es gut für unsere Bildung und für den Kampf gegen neuerbare . Sie kamen nicht vor . die soziale Spaltung ist . Beantwortet werden müssen die Fragen: Was passiert in unserem Land? Ist der Wohlstand (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- für alle da, oder ist er nur für wenige da? Darauf antwor- SES 90/DIE GRÜNEN) tet unser eigener Jahreswohlstandsbericht; zum zweiten Was ist denn die Fortschrittsaufgabe, die wir haben? Mal legen wir ihn nun vor . Ich zitiere Sie einmal aus 2006 – da waren Sie noch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Umweltminister –: Umwelttechnik als Leitindustrie, er- neuerbare Energien als Exportschlager, die Entkopplung Wir glauben, dass wir in diese Richtung gehen müssen . von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch als Wir glauben, dass sich die ganze Debatte über das Wirt- industriepolitische Notwendigkeit und als Chance für die schaften der Zukunft verändern muss; denn Wachstum deutsche Wirtschaft .– Das war der Ton, den Sie ange- allein bedeutet eben nicht Wohlstand . Das müssten wir schlagen haben, auch wenn Ihre Politik der letzten Jahre gelernt haben . dem nicht entsprach . Zum Abschluss noch ein Wort zur veränderten weltpo- Schauen wir einmal hin: Der Klimaschutzplan der litischen Situation . Wir als Bundesrepublik Deutschland Bundesumweltministerin wurde zusammengekürzt . Das können uns die Partner nicht aussuchen . Die USA sind Klimaziel 2020 werden wir verfehlen . Für den Kohleaus- uns kulturell mit am nächsten . Das heißt, die Kontakte stieg gibt es keinen verlässlichen Fahrplan . Erneuerba- müssen fortbestehen . Wir müssen mit den USA reden . (B) re Energien: Hier standen Sie immer auf der Seite der Wir sehen auch, dass es in den USA eine Zivilgesell- (D) Konzerne und nicht auf der Seite der Mittelständler, der schaft gibt, die groß ist, die die Mehrheit der Gesellschaft vielen Marktteilnehmer, die da etwas einbringen können . ausmacht . Mit ihr gemeinsam müssen wir auf dem Feld der Wirtschaftspolitik über die Erneuerbaren, über fairen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Handel reden . Das zu fördern, wäre auch eine Aufgabe Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein Quatsch!) für eine Bundesregierung, ich hoffe, für eine, der wir in Die Rohstoffeffizienz ist für Sie nicht mehr relevant. der nächsten Legislaturperiode angehören; denn wir kön- Handelspolitik: Ja, Sie haben verhandelt; aber Sie haben nen das besser . nie wirklich dafür gekämpft, dass wir einen fairen globa- len Handel bekommen, Vielen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ein Unsinn! Vizepräsidentin Michaela Noll: Das ist kontrafaktisch! Oder ist das postfak- Vielen Dank .– Als nächster Redner spricht Dr .Andreas tisch?) Lenz, CDU/CSU-Fraktion . sondern Sie haben sich lediglich dem angeschlossen, was von der EU und von der US-Seite kam . Sie wollen Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): ein Handelsabkommen durchdrücken, das uns am Ende Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen nicht hilft . Elektromobilität: Andere Länder weisen hier und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die deut- die Richtung: China, Norwegen, Frankreich, Kalifornien . sche Wirtschaft steht nach wie vor gut da . Das geht natür- Wir sind es nicht; wir schaffen es mit dieser Politik nicht, lich auch aus dem Jahreswirtschaftsbericht mit dem Titel die Automobilindustrie auf die Spur zu bringen . „Für inklusives Wachstum in Deutschland und Europa“ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) hervor . Das geht aber auch aus allen Beiträgen, die ich heute gehört habe, hervor . Sie haben gestern im Ausschuss gesagt – was ich rich- tig finde –: Wir müssen die Welt neu vermessen; denn Auch die Berichte des Statistischen Bundesamtes spre- mit Brexit und Trump verschiebt sich tektonisch etwas . – chen eine eindeutige Sprache . So hieß es dort: „Deutsche Aber wir müssen auch die Wirtschaft neu vermessen und Wirtschaft in solider Verfassung“ im Jahr 2014, „Deut- einmal überlegen, wie wir sie messen . Dazu haben wir sche Wirtschaft im Jahr 2015 weiter im Aufschwung“ Grüne etwas, wie ich finde, Kluges vorgelegt; wir wollen und 2016 „Deutsche Wirtschaft setzt Wachstumskurs Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21479

Dr. Andreas Lenz (A) fort“ .– Dennoch sagt Herr Ernst, wir sollen eine neue zepte, die gerade die Mittelschicht, aber auch Familien (C) Wirtschaftspolitik betreiben und unsere Strategie ändern . entlasten, sprechen . Man gewinnt jedoch anhand der ak- tuell geführten Debatte eher den Eindruck, dass es nicht (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Auch die Über- um die Frage „Schuldentilgung oder Investitionen“ geht, schriften!) sondern darum, dass Sie von den Linken die Überschüsse Ich glaube, wir müssen schauen, dass es so bleibt, wie es lieber konsumieren wollen . ist, und wir dürfen die Kritik nicht in den Vordergrund Es wird ja vom Bund so viel investiert wie noch nie . stellen . Wir erleben einen nie dagewesenen Investitionshochlauf . So viele Probleme es auf anderen Gebieten auch Insgesamt wurden die Investitionen in dieser Legislatur gibt: Die vergangenen Jahre können, rein wirtschaftlich um ein Drittel auf über 36 Milliarden Euro erhöht . Da- betrachtet, durchaus als goldene Jahre bezeichnet wer- von entfallen 2017 13,7 Milliarden Euro auf die zen- den . Der wichtigste Wachstumsmotor war der Inlands- tralen Treiber für Wachstum und Wohlstand eines auch konsum . So stieg das verfügbare Einkommen 2016 um zukünftig erfolgreichen Investitionsstandortes, nämlich 2,8 Prozent . Erfreulich ist auch, dass das Wachstum im die Verkehrsinfrastruktur und die digitale Infrastruktur . Euro-Raum mit 1,7 Prozent in 2016 auch aufgrund der Wir müssen Güter, Personen und Datenströme möglichst expansiven EZB-Politik endlich spürbar anstieg . Auch schnell und sicher transportieren, um auch zukünftig er- für 2017 rechnet die Bundesregierung mit einem posi- folgreich zu sein . Mit insgesamt 4 Milliarden Euro bis tiven Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent . Im Jahres- 2020 wird der Breitbandausbau in unterversorgten Re- wirtschaftsbericht 2017 heißt es: gionen unterstützt . Auch in den Kommunen steigen die Investitionen: Über 50 Prozent der Investitionen werden Der leichte Wachstumsrückgang ist nicht Ausdruck hier getätigt . Es gilt auch, zu betonen, dass die öffent- einer sich eintrübenden wirtschaftlichen Perspekti- lichen Investitionen insgesamt lediglich 10 Prozent der ve, sondern lässt sich fast vollständig auf den Effekt gesamtwirtschaftlichen Investitionstätigkeit ausmachen . einer geringeren Anzahl von Arbeitstagen gegen- Insofern ist es erfreulich, dass auch die privaten Investi- über 2016 zurückführen . tionen anziehen . Es heißt so schön: Man kann die Pferde Jetzt muss ich schon einmal anfügen, dass der Frei- zur Tränke führen, saufen müssen sie von alleine .– Sie staat Bayern mit 13 gesetzlichen Feiertagen mindestens beginnen zu nippen, wenn nicht schon zu trinken, und vier Feiertage mehr hat als das Land Berlin . das ist ein sehr positives Signal . (Max Straubinger [CDU/CSU]: Zu Recht!) Natürlich profitieren Deutschland und auch der Staats- haushalt von der Niedrigzinssituation . Jens Weidmann Trotzdem ist Bayern innerhalb Deutschlands die Wachs- meinte neulich, dadurch, dass die durch die Zinseinspa- (B) tumslokomotive mit einem Wachstum von 12,3 Prozent rungen freigewordenen Mittel weitestgehend ausgege- (D) seit 2010 . ben würden, sei der Haushalt sogar expansiv . Der Sach- (Beifall der Abg . Barbara Lanzinger [CDU/ verständigenrat empfiehlt die schnellere Beendigung des CSU]) Anleihekaufprogramms der EZB, und zwar auch deshalb, weil die Inflation mittlerweile anzieht. Wir brauchen die Stellen Sie sich einmal vor, Bayern würde auf einige Zinswende, aber wir brauchen sie so, dass dadurch nicht Feiertage verzichten . Dann wäre ja der Abstand zu den neue Finanzkrisen entstehen können . Der Sachverstän- anderen Ländern noch größer . digenrat mahnt zu Recht die fehlenden strukturellen (Max Straubinger [CDU/CSU]: Undenkbar!) Reformen innerhalb der Euro-Länder an . Die Zeit muss natürlich jetzt genutzt werden . Gleichzeitig müssen wir Aber keine Angst: Das machen wir natürlich nicht . Un- mehr denn je die europäischen Strukturen stärken . Wir sere Feiertage sind Teil unserer kulturellen und natürlich brauchen den Mut, auch hier langfristige Konzepte zu auch unserer christlichen Identität . entwickeln . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Angesichts der Flüchtlingskrise brauchen wir auch weiterhin einen flexiblen, aufnahmefähigen Arbeits- In Deutschland arbeiten erstmals über 43,5 Millionen markt . Gerade deshalb war es so wichtig, dass ein In- Menschen, so viele wie noch nie in der Geschichte der tegrationsgesetz mit den Inhalten Fordern und Fördern Bundesrepublik . Gleichzeitig waren so wenige Menschen in dieser Legislatur umgesetzt wurde . Sprache ist der arbeitslos wie noch nie . Auf diese Entwicklung können Schlüssel zur Integration . Oft sind wiederum Arbeit, in- wir stolz sein, meine Damen und Herren . Wir legen das klusives Wachstum und Beschäftigung der Schlüssel für vierte Jahr in Folge einen ausgeglichenen Haushalt vor . die Sprache . Auch auf diese Entwicklung sollten wir stolz sein und uns darüber freuen . Damit nimmt die Schuldenquote Sicherheit – gerade die innere Sicherheit – ist die weiter ab . Sie liegt momentan bei 68 Prozent im Verhält- Voraussetzung für Stabilität, auch für wirtschaftliche nis zum Bruttoinlandsprodukt . Es ist jedoch absehbar, Stabilität . Unsicherheit ist Gift für die wirtschaftliche dass der demografische Wandel und andere Herausforde- Entwicklung . Deshalb müssen wir uns natürlich die Ent- rungen auf uns zukommen . Deshalb ist die Tilgung von wicklungen – Stichworte „Brexit“ und „US-Wahl“ – an- Schulden in der jetzigen Situation ein Gebot der Stunde, schauen . Diese müssen uns umtreiben . Der Sachverstän- damit der Staat bei zukünftigen Herausforderungen und digenrat weist zu Recht auf die negativen Auswirkungen etwaigen Krisen jederzeit handlungsfähig bleibt . Wir von Renationalisierungstendenzen hin . Eines ist klar: dürfen und müssen natürlich trotzdem über Steuerkon- Protektionismus schadet letztlich allen, und Globalisie- 21480 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Dr. Andreas Lenz (A) rung nutzt nicht allen; nicht alle sind Globalisierungsge- politik – auch das sagte Sigmar Gabriel – ist auch immer (C) winner . Darüber muss mehr gesprochen werden . Gesellschaftspolitik, meine Damen und Herren . Deutschland hat sich zu einer ehrgeizigen Umsetzung (Beifall bei der SPD) der globalen Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung Der Jahreswirtschaftsbericht macht es deutlich: Die der Vereinten Nationen verpflichtet. Die neue Nachhal- wirtschaftliche Entwicklung ist bei den Menschen ange- tigkeitsstrategie der Bundesregierung setzt Maßstäbe . kommen . Die Arbeitslosigkeit ist gesunken, die Zahl der Wir sind hier schon weiter, als die Grünen es propagie- sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist gestiegen, ren . der Trend zu immer mehr prekärer Beschäftigung ist ge- Um in einer globalen Welt bestehen zu können, brau- bremst . Das sind Themen, die heute schon angesprochen chen wir nach wie vor Ideen, Kreativität und Innovatio- worden sind, die ich nicht wiederholen will . Aber es nen . Gerade die Verbesserungen hinsichtlich der Nutzung zeigt, dass gute Wirtschaftspolitik Positives für die Men- von Wagniskapital und der Verrechnungsmöglichkeit schen bewirken kann . Dieser Erfolg – auch das wurde von Verlustvorträgen sind vielversprechend . Wir werden heute schon angesprochen – reicht jedoch nicht aus . Wir uns natürlich auch weiterhin dafür einsetzen, Professor müssen weiter daran arbeiten; denn wir wissen: Wer ste- Riesenhuber, dass die steuerliche Forschungsförderung hen bleibt, fällt zurück . in Zukunft kein frommer Wunsch bleibt, sondern auch Der deutschen Wirtschaft geht es gut . Dennoch nimmt Realität in Deutschland wird . Roman Herzog meinte zu die Ungleichheit zu . Sozialer Aufstieg und gleiche Teil- Recht: Die Fähigkeit zu Innovationen entscheidet über habe für alle sind noch nicht realisiert . Uns muss es da- unser Schicksal . Genau diese Zukunftsfähigkeit wollen rum gehen, dass die Wirtschaft stabil bleibt, nicht um wir erhalten . Mit dem Jahreswirtschaftsbericht stellen ihrer selbst willen, sondern für die Menschen in diesem wir uns den Herausforderungen der Zukunft, um diese Land . zu meistern . (Beifall bei der SPD) Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Gute Wirtschaftspolitik hat viele Facetten, und dies (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- zeigt der Jahreswirtschaftsbericht . Investitionen, auch ordneten der SPD) des Staates, sind der Schlüssel dazu . Gute Wirtschaftspo- litik investiert jetzt in Bildung . Investitionen in Bildung fangen an bei den Schultoiletten, vor denen man sich Vizepräsidentin Michaela Noll: nicht ekeln muss, und bei dem dichten Dach Vielen Dank .– Als Nächstes kommt die Rednerin (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, (B) (D) Frau Gabriele Katzmarek von der SPD-Fraktion . dann rufen Sie doch bei den Ländern an, damit (Beifall bei der SPD) sie endlich anfangen!) – eigentlich Selbstverständlichkeiten –, Gabriele Katzmarek (SPD): (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen sind hier doch nicht für jede Schultoilette zu- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der vor- ständig!) liegende Jahreswirtschaftsbericht zeigt: Bundeswirt- sie gehen weiter bis zur Ausstattung der IT-Infrastruktur . schaftsminister Sigmar Gabriel hat in den letzten drei Jahren richtige Akzente für eine wirtschaftliche Entwick- Sie haben vorhin schon einmal in Ihrem Zuruf gesagt: lung in Deutschland gesetzt . Er hat dabei die Menschen Das ist Ländersache . in diesem Land in den Mittelpunkt gestellt . (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Manfred Ich glaube, wir haben uns darauf verständigt, dass es bei Grund [CDU/CSU]: Schade, dass er jetzt ge- dieser Frage nicht alleine reicht, wenn der Bund sagt: „Es hen muss!) ist Ländersache“, sondern es ist unser aller Aufgabe, dort zu handeln . Ich komme noch darauf zurück . Der Grundsatz sozialdemokratischer Wirtschaftspo- litik – das wurde heute schon einmal erwähnt – heißt: (Beifall bei der SPD) wirtschaftlicher Erfolg, soziale Gerechtigkeit und ökolo- Es gibt einen Überschuss im Haushalt . Was spricht gische Vernunft . dagegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, diesen (Beifall bei der SPD) Überschuss zu investieren?

Das sind keine Gegensätze, meine Damen und Herren, Vizepräsidentin Michaela Noll: sondern sie bedingen sich gegenseitig; denn sie sind der Sehr geehrte Frau Katzmarek, erlauben Sie eine Zwi- Garant für Wohlstand und für eine bessere Zukunft für schenfrage? uns alle . Soziale Sicherung, Teilhabe und gute Arbeit bei fai- Gabriele Katzmarek (SPD): rem Lohn sind zentrale Voraussetzungen für wirtschaft- Sofort . Ich will nur zu Ende reden . Dann darf er ger- lichen Fortschritt, keine Hindernisse; denn Wirtschafts- ne fragen . – Was spricht dagegen, diesen Überschuss zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21481

Gabriele Katzmarek (A) investieren? Oder glauben Sie, dass die Menschen in wir Verantwortung für dieses Land und für die Men- (C) diesem Land, was marode Schulen und Berufsschulen schen, die in diesem Land leben . angeht, mit der Antwort zufrieden sind, das sei Länder- (Beifall bei der SPD) sache? Wir müssen doch dort eingreifen und unterstützen, wo es (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker im Interesse der Menschen in diesem Land ist, Kauder [CDU/CSU]: Das können Sie bei der Landtagswahl dann sagen!) (Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann schafft doch die Länder ab! Das spart Geld!) Das geht doch gar nicht . und können uns nicht hinsetzen – das will ich noch mal (Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!) sagen –, – Natürlich nicht . – Jetzt dürfen Sie fragen . (Beifall bei der SPD) (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Augen zumachen und auf die Länder verweisen . So NEN]: Super Koalition! – Gegenruf des Abg . geht es nicht . Genau deshalb ist es richtig, dass wir sa- Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist Demokra- gen: Wenn die Gelder vorhanden sind, müssen sie im In- tie!) teresse der Menschen in diesem Land investiert werden .

Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, von den Ländern! – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Vielen Dank für das Zulassen der Zwischenfrage, Frau Sind die Länder denn nicht vorhanden?) Kollegin Katzmarek . In der Tat interessiert es mich, dass sich an den von Ihnen beschriebenen Zuständen etwas Wir müssen Zukunft gestalten und dürfen uns nicht hin- ändert . Aber meine Frage ist: Könnte es sein, dass die setzen, uns in Formalitäten ergießen und die Zuständig- Länder angesichts ihrer finanziellen und steuerlichen Re- keit von den Ländern zum Bund und vom Bund zu den kordeinnahmen selbst in der Lage sind, solche Missstän- Ländern schieben . Denn damit ist den Menschen nicht de in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich zu beheben? geholfen, Würden Sie mir auch zustimmen, dass es möglicherwei- (Beifall bei der SPD) se gerade mit Blick auf die Wahlentscheidung bei Land- tagswahlen und Bundestagswahlen für die Menschen und sie verlieren jeden Glauben, aber wirklich jeden von Vorteil ist, wenn jeder sich um seinen Kompetenz- Glauben, an die Politik . und Zuständigkeitsbereich kümmert? (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die (B) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gemeinsame Zuständigkeiten stehen in der Verfassung!) (D) Kraftanstrengung!) Dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn andere Grup- Dann kann man nämlich politisch entscheiden, welches pierungen Zulauf erhalten . – So . Land im Rahmen des Wettbewerbsföderalismus in der Lage ist, erfolgreich die ihm übertragenen Aufgaben (Beifall bei der SPD) zu erfüllen, und wer dabei permanent auf die Hilfe des Ich glaube, das war die richtige Antwort auf Ihre Frage . Bundes angewiesen ist, weil er möglicherweise vor Ort Hier zu investieren, ist im Interesse dieses Landes . falsche politische Entscheidungen trifft . Also macht es sowohl unter demokratischen als auch unter steuer- und (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die finanzpolitischen Gesichtspunkten Sinn, dass die Länder verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten gel- die Aufgaben in ihrer Zuständigkeit selbst erfüllen, an- ten nicht mehr? – Gegenruf des Abg . Hubertus statt permanent die Forderung zu erheben, dass alles in Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt doch nicht! die Zuständigkeit des Bundes fallen muss, der im Üb- Es gibt Gemeinschaftsaufgaben im Grundge- rigen, was Verteidigungs- und Sozialausgaben betrifft, setz! – Gegenruf des Abg . Michael Grosse- auch über ganz wichtige Punkte selbst zu entscheiden Brömer [CDU/CSU]: Für Schultoiletten? – hat . Gegenruf des Abg . Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das heißt Bildungsinfrastruktur!) (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nehmen Sie doch Redezeit, – Herr Grosse-Brömer, das ist doch Unsinn . Aber ich will wenn Sie etwas sagen wollen!) jetzt nicht mehr darauf eingehen . – Ich weiß, das war eine schwierige Frage . Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Ant- wort hat deutlich gemacht, dass es wichtig ist, nicht nur die Antwort zu geben, dass wir sparen, sondern den Men- Gabriele Katzmarek (SPD): schen auch die Antwort auf die Frage zu geben, wie wir Das ist keine schwierige Frage . – die Zukunft gestalten . Sigmar Gabriel hat da etwas vor- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein, gelegt, mit dem wir alle uns mal intensiver beschäftigen der Kollege Heil meinte das!) sollten: Es geht um die Frage, wie wir die Zukunft für die Menschen in diesem Land gestalten – für mehr Ar- Selbstverständlich sind auch die Länder dafür verant- beit, mit Investitionen in die Zukunft . Denn dann brau- wortlich; das ist doch keine Frage, das stellt doch auch chen wir uns über manch populistische Worte, die immer niemand in Abrede . Aber selbstverständlich tragen auch wieder draußen fallen und mit denen Zukunftsängste ge- 21482 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Gabriele Katzmarek (A) schürt werden, keine Gedanken mehr zu machen . Des- 2008 wurden über 1 200 neue bürokratische Vorschriften (C) halb fordere ich alle in diesem Haus auf: Lassen Sie uns eingeführt . Das bestätigt auch das, was in der Debatte gemeinsam die Zukunft für die Menschen in unserem über CETA und TTIP herausgekommen ist, nämlich dass Land gestalten . der Sinn für Welthandelspolitik in der Öffentlichkeit und auch in Fachkreisen stetig abnimmt . Herzlichen Dank . Gerade mit Blick auf das Abkommen mit Kanada will (Beifall bei der SPD) ich sagen: Die Grünen und die Linken haben über Mona- te dagegengehalten . Vizepräsidentin Michaela Noll: (Klaus Ernst [DIE LINKE]: Immer noch!) Als letzter Redner in dieser Aussprache spricht jetzt Axel Knoerig für die CDU/CSU-Fraktion zu uns . Zu dieser Politik gegen den Freihandel sagen wir als Uni- on ganz deutlich: Wir brauchen die offenen Märkte; denn (Beifall bei der CDU/CSU) gerade diese Offenheit treibt die wirtschaftliche Dyna- mik an . Wir sind eine Exportnation . Aus dem Export Axel Knoerig (CDU/CSU): wird letztendlich unser Wohlstand generiert . Wir verdan- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und ken unseren Wohlstand einem offenen Welthandel . Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Zugleich sind globale Marktentwicklungen unbere- Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung belegt ein- chenbarer geworden – wir sehen das an den Bilanzen der deutig, dass die deutsche Wirtschaft weiter wächst . Er- Firmen –: Von satten Gewinnen in einem Quartal bis zum wartet wird ein durchschnittliches jährliches Wachstum totalen Einbruch – alles ist in einer Jahresbilanz möglich . von 1,4 Prozent . Aber diese Dynamik kann an Stabilität Deswegen ist es ganz wichtig, dass wir uns auf unseren verlieren . Das liegt an den – wir haben es heute schon gemeinsamen EU-Binnenmarkt konzentrieren . In Zu- angesprochen – zahlreichen existenziellen Entwicklun- kunft wird das noch viel wichtiger; denn wir wissen, dass gen in der nahen Zukunft . Ich will sie kurz in Stichworte der US-Markt weitaus schwerer zugänglich sein wird . zusammenfassen: der Brexit, der Rechts- und auch der Linkspopulismus in Europa, die neue Trump-Regierung, Wir brauchen auch eine offene und sozial ausgewo- das schwierige Verhältnis zu Russland und die damit ver- gene Wirtschaftspolitik . Das ist ein Markenkern gerade bundene Neuausrichtung der EU . der Union . Der Jahreswirtschaftsbericht zeigt, dass sich die Ergebnisse sehen lassen können . Die Arbeitslosig- Wir müssen uns die einzelnen Branchen genauer an- keit liegt bei 6,1 Prozent und damit auf dem niedrigs- schauen; denn das Wirtschaftswachstum ist sehr unter- ten Stand seit der Wiedervereinigung . Wir haben eine schiedlich einzuschätzen . So ist die Auftragslage in der (B) Rekordbeschäftigung: Die Zahl der Beschäftigten liegt (D) Stahlindustrie besser als erwartet . Diese deutsche Kern- bei über 43 Millionen . Die Gehälter steigen, und der pri- branche mit 87 000 Arbeitnehmern ist durch die Billig­ vate Konsum zieht ebenfalls an . Die Start-up-Szene in importe aus China gefährdet . Die Große Koalition hat Deutschland ist gut gewachsen, und entgegen den Be- hier im Bundestag zeitnah einen Antrag eingebracht, um fürchtungen der Ökonomen hat der Mindestlohn nicht zu das entsprechend zu thematisieren . mehr Arbeitslosigkeit geführt . Im Gegenteil: 4 Millionen Die Prognosen für die Automobilbranche sehen deut- Arbeitnehmer profitieren vom gesetzlich geregelten Min- lich schlechter aus . Herr Cem Özdemir, ich habe Ihnen destlohn . gut zugehört . Sie wollen die Verbrennungsmotoren in Wir müssen uns die Frage stellen: Deutschland verbieten . Wir als Union können da nur ganz klar gegenhalten; das sage ich als Niedersachse (Zuruf von der SPD) gerade mit Blick auf meine Region . Ihre Verbotspolitik schadet den Zulieferindustrien . Ihre Politik führt zu mehr – Nein, Herr Kollege, das habe ich immer so beantwor- Arbeitslosigkeit und zu weniger Ausbildung . tet .– Was brauchen wir jetzt, damit unsere Wirtschaft auch in Zukunft gut aufgestellt ist? Wir brauchen eine (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gute Kombination aus Investitions- und Industriepolitik NEN]: Die gefährden Sie doch, wenn Sie sowie Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik . Dazu gehören Elektromotoren nicht ausbauen!) vor allem eine moderne Infrastruktur und Fördermittel Das ist mit der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bun- für Innovationen, die direkt in den Unternehmen und vor destag nicht zu machen . allem unbürokratisch ankommen . (Beifall bei der CDU/CSU) Wir müssen fragen: Wie sieht der aktuelle Stand der Digitalisierung unserer Wirtschaft aus? Deutschland ist Es ist heute viel über Protektionismus gesprochen weiterhin Weltmarktführer bei der Fabrikausstattung – worden . Wir müssen nicht nur die Entwicklung in den Stichwort „Industrie 4 .0“ –, aber wir müssen im Zuge der Vereinigten Staaten beobachten, wo womöglich Schutz- industriellen Standortpolitik weitere Maßnahmen ergrei- zölle auf ausländische Waren erhoben werden, wir müs- fen, um die Entwicklung zu stärken, damit wir weiterhin sen auch die Entwicklung in den G-20-Staaten beobach- vor den USA und vor China liegen . Wir brauchen also ei- ten . Wir wissen, dass die G-20-Staaten Befürworter des nen Wissens- und Technologievorsprung und müssen ihn Freihandels sind . Nach Angaben der Welthandelsorga- ausbauen . Die Unternehmen investieren zu wenig in IT nisation ist die Zahl der Handelshemmnisse in den ver- und TK . Wenn wir betrachten, was die öffentliche Hand gangenen Jahren stark gestiegen . Seit der Finanzkrise auf diesem Gebiet in Deutschland investiert, stellen wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21483

Axel Knoerig (A) fest, dass es lediglich 14 Prozent sind, und da sage ich: gen .– Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Über- (C) Das ist schlichtweg zu wenig . Deswegen müssen wir die weisungen so beschlossen . digitale Entwicklung in den Zukunftsbereichen voran- treiben . Ich will das an vier Punkten umschreiben: Tagesordnungspunkt 3 d . Wir kommen zur Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- Erstens zur digitalen Infrastruktur . Wir müssen den gie zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Ausbau von Breitband und Mobilfunk beschleunigen . mit dem Titel „Jahreswohlstandsbericht einführen“ . Der Da muss es einfach schneller vorangehen . Wir sind auf Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf dem Weg in eine Gigabit-Gesellschaft und dürfen nicht Drucksache 18/7599, den Antrag der Fraktion Bünd- bei 50 Megabit stehen bleiben . nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7368 abzuleh- Zweitens . In der digitalen Bildung sind nicht nur nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Whiteboards­ und Tablets in den Schulen gefragt, sondern stimmt dagegen? – Damit erübrigt sich die Frage nach vor allem Lehrer mit Know-how . Wir müssen auch auf Enthaltungen . Die Beschlussempfehlung ist angenom- Quereinsteiger setzen . Die Wirtschaft braucht Zigtausen- men . Zugestimmt haben die CDU/CSU und die SPD, de von Programmierern; wir brauchen also mehr Infor- dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . matikstudiengänge . Wenn ich in mein Bundesland, Nie- Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf – ein langer Titel; dersachsen, schaue, stelle ich fest, dass dort jedes Jahr ich hoffe, ich kriege es hin –: lediglich 20 Quereinsteiger für den Informatikunterricht ausgebildet werden, also eine sehr geringe Anzahl . Wir Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- brauchen ferner die digitale Berufsschule, um die Auszu- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ergän­ bildenden auch im IT-Bereich fit zu machen. zung des Finanzdienstleistungsaufsichtsrechts im Bereich der Maßnahmen bei Gefahren für Drittens müssen wir den digitalen Mittelstand ermu- die Stabilität des Finanzsystems und zur Än­ tigen, innovative Geschäftsmodelle anzugehen . Hier ist derung der Umsetzung der Wohnimmobilien­ Potenzial bei Wertschöpfung und Effizienzsteigerung. kreditrichtlinie (Finanzaufsichtsrechtergän­ Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstech- zungsgesetz) nik, das BSI, kann als Dienstleister für den Mittelstand auftreten, damit gerade im Bereich der Sicherheit bessere Drucksache 18/10935 Grundlagen gelegt werden können . Überweisungsvorschlag: Finanzausschuss (f) Viertens . An letzter Stelle – da steht sie tatsächlich – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz nenne ich die digitale Verwaltung . Schon seit 20 Jahren Ausschuss für Wirtschaft und Energie sprechen wir über E-Government . Wir haben es nicht Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (B) zuletzt auch bei der Flüchtlingskrise erlebt, dass es zu Haushaltsausschuss (D) wenig Vernetzung auf Bundes-, Landes- und kommuna- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ler Ebene gibt . Da müssen wir handeln . In der nächsten Dr . h . c . [CDU/CSU]: Sehr Legislaturperiode muss das wesentlich stärker angegan- gut!) gen werden . – War gut? Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hal- te fest: Die Rahmenbedingungen des Welthandels sind Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für komplizierter geworden . Wir müssen noch stärker und die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre und kontinuierlich auf Märkte und Branchen eingehen und sehe keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . sie intensiver beobachten, um auch neue Wirtschaftsräu- me zu erschließen . Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Parlamenta- rischen Staatssekretär Dr . Michael Meister das Wort . Ergänzend und abschließend möchte ich sagen: Wir brauchen einen digitalen Ruck in unserem Land . Nur auf (Beifall bei der CDU/CSU) dem digitalen Fundament sichern wir Wohlstand, Stand- ort und auch Wettbewerbsfähigkeit . Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . desminister der Finanzen: Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) legen! Das Bundeskabinett hat am 21 .Dezember 2016 den Entwurf des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgeset- Vizepräsidentin : zes beschlossen . Wir bringen den Entwurf heute in den Vielen Dank, Kollege Knoerig . – Schönen guten Mor- Bundestag ein . gen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Dieser Gesetzentwurf hat zwei Teile . Der eine Teil (Zurufe von der CDU/CSU: Guten Morgen!) befasst sich mit der rechtssicheren Gestaltung des Ver- braucherschutzes beim Erwerb einer Wohnimmobilie Ich schließe die Aussprache . bzw . bei der Vergabe von Krediten zur Wohnimmobilien- Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 3 b und finanzierung. Zu dem Teil wird gleich der Kollege Kelber 3 c . Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen in die Inhalte des Gesetzentwurfs einführen . Der zweite auf den Drucksachen 18/10990 und 18/10230 an die in Teil des Gesetzentwurfs befasst sich mit vorsorglichen der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Aufsichtsbefugnissen . Darüber diskutieren wir nun . 21484 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister (A) Wir wollen die Empfehlungen des Ausschusses für die notwendige Ausrüstung gegeben haben . Ansonsten (C) Finanzstabilität umsetzen . Wir haben den Ausschuss für ist das Drücken des Feuermelders relativ wirkungslos . Finanzstabilität als eine Konsequenz im Jahre 2012 ein- Entsprechend wollen wir vorgehen: Wir wollen jetzt die gerichtet, als wir die Ursachen der Finanzkrise analysiert nötigen Instrumente schaffen, die Werkzeuge schaffen, und festgestellt haben, dass es zwischen den verschiede- um für den Fall, dass eine kritische Lage eintritt, gerüs- nen Akteuren, die Aufsicht betreiben, einer noch besse- tet zu sein . Wir wollen diese Instrumente aktuell nicht ren Abstimmung, einer noch besseren Vernetzung bedarf . aktivieren und zum Einsatz bringen . Ich habe dargelegt, Dieser Ausschuss hat am 30 .Juni 2015 vorgeschlagen, dass wir dafür noch nicht die Notwendigkeit sehen . Wir für eine bessere Finanzstabilität bei der Kreditvergabe bitten allerdings die Bundesbank und die BaFin darum, für Wohnimmobilien zu sorgen . gemeinsam mit uns die drei Parameter, die ich geschil- dert habe, im Auge zu behalten und uns die Information Wenn man sich diesen Sektor anschaut, stellt man fest, zu geben, wann es nach ihrer Einschätzung mit Blick auf dass es drei Entwicklungen gibt, die man im Blick haben diese drei Parameter zu einer Gefahrenlage kommt, wann muss: es zu einer Blasenbildung mit Gefahren für die Finanz- Die eine Entwicklung bezieht sich auf die Frage: Wie stabilität kommt . Dann würden wir in einem gemeinsa- entwickeln sich eigentlich die Preise für Wohnimmobi- men Entscheid, über den wir auch den Bundestag infor- lien im Lande? Wenn wir uns das anschauen, stellen wir mieren würden, zur Aktivierung dieses Werkzeugkastens fest, dass wir im ersten Halbjahr 2016 einen Preisanstieg kommen . Das ist unsere Vorgehensweise an der Stelle . um 5 Prozent hatten . Diese Entwicklung hat sich aller- Was sind die Mindeststandards, die wir im Blick ha- dings nicht mehr, wie bis 2014, auf die Ballungsräume ben? Zum einen geht es um das Verhältnis zwischen Dar- konzentriert . Wir haben vielmehr gesehen, dass die Wohn­ lehenshöhe und dem Wert der Immobilie . In den USA ha- immobilienpreise mittlerweile im ganzen Land steigen . ben wir vor der Finanzkrise Finanzierungen jenseits von Ein Anstieg der Immobilienpreise ist für sich genom- 100 Prozent gesehen . Ein solches Verhalten haben wir in men allerdings noch kein Problem . Man muss eine zwei- Deutschland nicht . Aber, ich glaube, hier einen Mindest- te Entwicklung im Auge haben: Wie finden diese Finan- standard zu setzen, um bei denen, die solche Standards zierungen statt? Wenn die Immobilien mit Eigenkapital nicht einhalten, für eine gewisse Besinnung zu sorgen, finanziert werden, ist das für die Finanzmarktstabilität re- ist kein Fehler . lativ ungefährlich . Denn wenn jemand sein eigenes Geld Zum Zweiten . Wir haben momentan Zinssätze, die in den Kamin wirft, dann ist das sein eigenes Vergnügen . sehr niedrig sind . Wenn man bei niedrigen Zinsen einen Wenn er aber mit fremdem Kapital finanziert, muss man Kreditvertrag mit 1 Prozent Tilgung abschließt, dann ist die Auswirkungen möglicher Verluste auf diejenigen, die das Volumen der Tilgung, das man über die Laufzeit ge- die Kredite vergeben haben, im Blick haben . 2016 ver- (B) winnt, relativ gering im Vergleich zu früheren Zeiten, in (D) zeichneten wir beim Volumen der Fremdfinanzierung, denen die Zinsen höher waren . Da hat man, wenn man also bei den Wohnimmobilienkrediten, ein Wachstum mit 1 Prozent Tilgung angefangen hat, über die Laufzeit von 3,7 Prozent in Deutschland . Wir hatten langfristig – natürlich einen höheren Tilgungsanteil erreicht . Deshalb wenn man sich die letzten drei Jahrzehnte anschaut – ein ist der zweite Punkt, dass wir einen Zeitraum für eine Wachstum von etwa 5 Prozent . Das heißt, das Tempo hat Mindesttilgung des Kredits als Standard setzen wollen . sich reduziert . An dieser Stelle ist eine Beruhigung ein- getreten . Der dritte Punkt betrifft das Verhältnis des Schul- dendienstes zum Einkommen des Kreditnehmers . Auch Es gibt noch einen dritten Punkt: Nach welchen Maß- diese Frage ist plausibel . Kann der Mensch eigentlich stäben, nach welchen Standards vergeben die Banken aus seinem eigenen Einkommen den Kredit, den er auf- Wohnimmobilienkredite? Wenn wir uns das anschauen, nimmt, bedienen? Es kann ja auch sein, dass er nicht nur stellen wir fest – das sagen uns diejenigen, die näher an einen Kredit hat, sondern mehrere . Das heißt, wir wollen den Banken sind, diejenigen, die dort Aufsicht führen –, uns auch die Gesamtleistungsfähigkeit, bezogen auf die dass die Kreditvergabestandards im vergangenen Jahr im Gesamtverschuldung, und das Verhältnis von Gesamt- Allgemeinen eher geschärft worden sind, als dass man verschuldung zum Einkommen anschauen . sie schleifen gelassen hätte . Da wir hier allerdings nicht den einzelnen Kreditneh- Das ist zunächst einmal die Lagebeschreibung . Wenn mer im Auge haben, da unser Interesse vielmehr der Fi- wir eine Gefahrenanalyse, eine Risikoanalyse machen, nanzstabilität und damit der Stabilität der Bankinstitute müssen wir diese drei Entwicklungen im Blick haben . gilt – das andere Thema wird Kollege Kelber beleuchten, Nur wenn wir in allen drei Bereichen gleichzeitig ein nämlich den Schutz des einzelnen Kreditnehmers –, sagen Problem feststellen, also ein Ansteigen der Wohnimmo- wir: Wir wollen Ausnahmen für Ausbau, Umbau und Sa- bilienpreise, ein Ansteigen bei der Fremdfinanzierung nierung schaffen . Wir wollen den sozialen Wohnungsbau und ein Absinken der Mindeststandards bei der Vergabe komplett ausnehmen und das Thema Anschlussfinanzie- von Krediten, dann haben wir ein Problem . rung aus diesen Betrachtungen herauslassen . Es geht uns Deshalb kann man die Frage stellen: Warum ergreifen um die Stabilisierung von Banken . Wir wollen auch jeder wir die Initiative? Warum wollen wir jetzt dieses Gesetz Bank ein gewisses Freikontingent an Kreditvolumen, für beschließen? Der Grund ist folgender: Wenn bei Ihnen ein das die Mindeststandards nicht gelten, zugestehen . Denn Brand ausbricht und Sie auf den Feuermelder drücken, wenn nur ein kleines Volumen an Krediten in Gefahr ge- hilft Ihnen das nur dann, wenn Sie vorher eine Feuerwehr rät, wird das nicht die Bank und damit das Finanzsys- eingerichtet, das Personal ausgebildet und der Feuerwehr tem in Gefahr bringen . Wir wollen ferner Bagatellkredite Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21485

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister (A) außen vor lassen, das heißt, es soll eine Bagatellgrenze Wir stellen fest – das ist eben auch gesagt worden –, (C) geben; denn durch Kleinstkredite wird die Finanzmarkt- dass der Gesetzentwurf im Wesentlichen einem Bericht stabilität natürlich nicht in Gefahr geraten . des Ausschusses für Finanzstabilität folgt, der auf die wachsenden Risiken hingewiesen hat . Dieser Ausschuss, Diese Überlegungen haben wir auf den Weg gebracht . in dem das Bundesfinanzministerium zusammen mit der Jetzt kann man sagen: Warum kommen die Deutschen Bundesbank und der BaFin die laufende Finanzmarktent- auf den Gedanken? Zum einen weil wir den Hinweis un- wicklung untersucht, soll also jetzt beim Thema Immo- serer Aufsichtsorgane haben, zum Zweiten weil uns die bilienfinanzierung tatsächlich seine Funktion erfüllen. Er Europäer, die sich mit Risiken im Finanzmarkt beschäf- soll durch gemeinsame Analysen die zuständigen Institu- tigen, darauf hingewiesen haben, dass es notwendig ist . tionen frühzeitig und vor einer akuten Finanzkrise auf die Auch der Internationale Währungsfonds hat uns darauf Gefahren aufmerksam machen . hingewiesen, dass es notwendig ist, einen solchen Instru- mentenkasten zu schaffen . Außerdem sind andere Länder Das hört sich irgendwie selbstverständlich an; aber die in Europa bereits in diesem Sinne tätig geworden . Des- Erfahrungen haben gezeigt, dass wir ähnliche Gremien halb würde es die Bundesregierung für nachlässig hal- bereits zuvor hatten, dass sie aber in der Zeit vor und ten, wenn wir diesen Empfehlungen nicht nachkommen nach der großen Finanzkrise 2007/2008 entweder nicht würden . Aber das ist immer in dem Sinne gemeint: Wir vernünftig gearbeitet haben oder im Extremfall sogar gar bereiten uns auf Risiken vor . Das heißt nicht, dass wir nicht erst einberufen worden sind . Das soll sich jetzt än- Risiken, die noch nicht eingetreten sind, jetzt schon be- dern . kämpfen wollen . Eigentlich sollte es auch wünschenswert sein, dass Ich bitte Sie um eine konstruktive Beratung dieser wir jetzt wirkliche Maßnahmen ergreifen, was Finanzsta- Überlegungen . Ich hoffe, Sie würdigen auch den zweiten bilität angeht . Man sieht, dass sich hier die Grundlagen Teil, den Kollege Kelber nachher vorträgt . geändert haben, dass sich vieles verändert hat, und das ist ja angesichts des vielen Lehrgeldes auch notwendig, Vielen Dank . das wir, das die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuer- zahler in den letzten zehn Jahren gezahlt haben . Ich sage (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nur die Stichworte: IKB, HRE, Commerzbank oder auch WestLB . Vizepräsidentin Claudia Roth: Wir halten das Gesetz und seine Vorgeschichte inso- Vielen Dank, Dr .Meister .– Nächster Redner: Dr .Axel fern regulatorisch für einen Schritt in die richtige Rich- Troost für die Linke . tung; aber die ergriffenen Maßnahmen sind unzurei- (B) (Beifall bei der LINKEN) chend . (D) Gerade in der Euro-Zone kann die Geldpolitik das Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Problem von isolierten Preisblasen in einzelnen Ländern Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! bzw . Branchen mithilfe ihres bisherigen Instrumenten- Wir haben gehört: Es geht um die Verhinderung von Spe- kastens nicht lösen . Es ist daher grundsätzlich erst ein- kulationsblasen, von Immobilienblasen . „Immobilien- mal richtig, dass das Gesetz zum Beispiel zusätzliche blasen“ heißt: Es handelt sich um eine Spekulationsblase, Eigenkapitalanforderungen oder auch Obergrenzen bei bei der es auf einem Teilbereich des Immobilienmarktes den Banken für die Vergabe von Wohnimmobilienkredi- zu sehr stark ansteigenden Preisen kommt . Irgendwann ten gezielt vorsehen und damit die Entwicklung bremsen ist diese Preisentwicklung zu Ende, sie bricht zusammen . kann . Bislang bleibt die Bundesregierung allerdings die Das führt dann zu Unternehmenszusammenbrüchen und Antwort schuldig, ab wann sie wirklich von einer Blase Insolvenzen bis hin zu Bankenkrisen . am Immobilienmarkt ausgeht und wann sie diese Instru- mente denn auch einsetzen will . Schlimmstenfalls pas- Grundsätzlich begrüßen wir den vorliegenden Gesetz- siert uns dann dasselbe wie bei der Terrorabwehr, dass entwurf, weil die Bundesregierung damit auf potenzielle wir zwar bestehende Gesetze haben, diese aber nicht Risiken bei der Blasenbildung eingehen und reagieren wirksam nutzen . will und gesetzliche Eingriffsmöglichkeiten schaffen Wir sind uns einig, dass in Deutschland die Gefahr möchte, um besser handlungsfähig zu sein . Das ist die von Immobilienblasen im Wesentlichen in bestimmten gute Nachricht . Ballungsräumen und insbesondere in Universitätsgroß- Die schlechte lautet: Wir haben erhebliche Zweifel, städten vorkommt . Es wird abzuwarten sein, ob die im ob die in dem vorliegenden Gesetzentwurf vorgesehe- Gesetzentwurf enthaltenen Bremsen dann auch wirklich nen zusätzlichen Eingriffsrechte reichen, um eine solche so zielgenau wirken können . Neben den erweiterten Ein- Blase wirklich wirksam abwenden und vorausschauend griffsbefugnissen der BaFin bedarf es aus unserer Sicht schon genug Druck ablassen zu können, damit die Blase je nach Region sehr unterschiedlicher fiskalisch-adminis- nicht platzt . Als eine Schwäche des Gesetzentwurfes sei trativer Maßnahmenpakete, die auf drohende Blasen am nur beispielhaft genannt, dass die Finanzierung gewerb- Immobilienmarkt vor Ort zugeschnitten sind . licher Immobilien unberücksichtigt bleibt und dass auch (Beifall bei der LINKEN) im Hinblick auf die mangelnde Datengrundlage keine Initiative ergriffen wird . Das wäre für eine umfassendere So könnte man beispielsweise über Hebesätze bei der Prävention aber notwendig . Grunderwerbsteuer in verschiedenen Kommunen nach- 21486 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Dr. Axel Troost (A) denken, zum Beispiel dann, wenn die Häuserpreise vor dass Stabilität notwendig ist, jetzt wirklich beibehalten (C) Ort in den drei Jahren zuvor um mehr als 20 Prozent ge- und nicht rückgängig gemacht wird . stiegen sind . Formal müsste man dann aber natürlich das Problem lösen, dass die Grunderwerbsteuer eine Länder- Danke schön . steuer ist und sie bisher überhaupt nicht auf Steuerungs- (Beifall bei der LINKEN) wirkungen ausgerichtet ist . Ich bin gespannt, wie wir in den Anhörungen im Finanzausschuss diese Instrumen- Vizepräsidentin Claudia Roth: tendebatte führen werden . Vielen Dank, Axel Troost .– Der nächste Redner: für Bei allem Wohlwollen muss ich aber natürlich noch die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär einmal darauf hinweisen, dass sich Preisblasen auf Ver- Ulrich Kelber . mögensmärkten – da ist es egal, ob es um Wertpapiere, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten um Edelmetalle, um Rohstoffe, um Immobilien oder der CDU/CSU) anderes geht – notwendigerweise immer wieder bilden werden, solange die ungerechte und immer weiter zu- nehmende Ungleichheit der Vermögen und Einkommen Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär beim Bundesmi- nicht korrigiert wird . nister der Justiz und für Verbraucherschutz: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und (Beifall bei der LINKEN) Herren! Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, zur Wohn- Die Reichen stecken ihre wachsenden Vermögen in ei- immobilienkreditrichtlinie und ihrer Umsetzung in nati- nen kaum wachsenden Bestand an Vermögensgütern, und onales Recht Stellung zu nehmen . Das deutsche Gesetz dadurch werden Aktien oder Immobilien immer teurer; zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie geht aber es entstehen dadurch keine neuen Unternehmen und auf die Erfahrungen der Finanzkrise zurück . Richtlinie keine neuen Wohnungen . Wer das ändern will, kommt und Umsetzung sollen verhindern, dass sich unseriöse an einer ernsthaften Umverteilung von oben nach unten Finanzierungspraktiken wiederholen, die unter anderem nicht herum; denn damit hätten wir wieder mehr Geld bei in den USA und in Spanien zu Immobilienblasen geführt der Mehrheit der Bevölkerung, das dann für neue Woh- haben . Als diese platzten, gingen keineswegs nur Banken nungen und neue Produkte ausgegeben werden kann . pleite, sondern vor allem verloren auch viele Verbrau- cherinnen und Verbraucher ihre kreditfinanzierten und (Beifall bei der LINKEN) selbstbewohnten Immobilien . Die neuen Regeln stärken das Prinzip der verantwortungsvollen Kreditvergabe . Die Noch eine Bemerkung zur europäischen Wohnimmo- Kreditinstitute müssen also im Interesse ihrer Kunden (B) bilienkreditrichtlinie, auf die gleich eingegangen wer- prüfen, ob Kreditnehmer die vertraglich vereinbarten (D) den wird . Natürlich ist es sinnvoll, dass Banken daran Raten zahlen können . Ich halte das für eine verbraucher- gehindert werden, unverantwortliche Kreditrisiken ein- politische Errungenschaft . zugehen . Es ist aber nicht Sinn der Sache, dass Banken Menschen im Rentenalter kaum mehr Immobilienkredite (Beifall bei Abgeordneten der SPD) gewähren . Die ganze Finanzmarktregulierung muss da- Jedoch zeigte sich bereits kurz nach Inkrafttreten, dass rauf abzielen, den Banken verantwortungslose und von die Umsetzung der EU-Richtlinie nicht nur Verbraucher Renditegier getriebene Risiken wie zum Beispiel win- effektiv schützt, sondern auch einige Banken tief verun- dige Geschäfte mit komplexen Wertpapieren zu verbie- sichert hat . Da die Banken jetzt für eine ordnungsgemäße ten . Es bleibt aber natürlich sehr wohl Teil des seriösen Kreditprüfung haften, Bankgeschäftes, verantwortungsvolle Kreditrisiken in ökonomisch sinnvollem Maße einzugehen und damit (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das Unternehmen und auch Privatpersonen überhaupt Inves- haben sie schon immer gemacht!) titionen oder auch Immobilienkäufe zu ermöglichen . hinterfragten sie ihre Kreditvergabeprozesse sehr gründ- Lassen Sie mich ganz zum Schluss noch darauf hin- lich, weisen, dass mich die ersten drei Tage des neuen US-Prä- (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das sidenten und seiner Mannschaft mit großem Schrecken haben sie schon immer gemacht!) erfüllen, nicht nur, weil Mauern gebaut werden, weil Fraueninstitutionen nicht mehr gefördert werden, weil zum Teil überzogen . Sie stellten dabei auch bewährte die Gesundheitsversorgung deutlich verschlechtert wird, Kreditvergabestandards infrage und verschärften diese sondern auch, weil im Bereich der Finanzmarktstabilität eigenständig weiter, was bei einigen Banken wiederum und -regulierung Rückschritte eingeleitet werden . Wenn zu weniger Kreditvergaben führte; andere haben ihr Kre- ich lese, dass die Bestimmungen zum Eigenhandel von ditvergabevolumen sogar ausgedehnt . Banken jetzt wieder gelockert werden sollen, dann meine (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: ich: Das geht in genau die falsche Richtung und wird na- Welche Bank ist denn das?) türlich dazu führen, dass die Stabilität des Finanzsektors weltweit wieder infrage gestellt wird . Deswegen kann Ich möchte ein Beispiel für etwas nennen, was weder ich nur hoffen, dass sich sowohl wir, der Deutsche Bun- von der Richtlinie noch von der nationalen Gesetzge- destag, das Finanzministerium, die BaFin, als auch alle bung vorgesehen war . Wir wurden zum Beispiel gefragt, anderen massiv dagegen wenden und massiv deutlich ob die neuen Regeln verhindern sollten, dass ein Kredit machen werden, dass unsere gemeinsame Erkenntnis, an jemanden vergeben wird, der diesen Kredit nicht in- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21487

Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber (A) nerhalb seiner statistischen Lebenserwartung zurück- se zu Krediten gibt . Ich werbe für die vorgesehenen Klar- (C) zahlen kann . Das war weder von Richtlinie noch vom stellungen und bitte Sie um Ihre Unterstützung für diesen Gesetz vorgegeben . Denn Erbschaftsteuer hin oder her: Gesetzentwurf . Die Richtlinie sollte natürlich nicht Erben ein schulden- freies Haus garantieren, sondern ermöglichen, Verträge Vielen Dank . über die Nutzung abzuschließen . Wir haben im Hinblick (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten auf diese Kritik auf Schnellschüsse verzichtet, sondern der CDU/CSU) mit der deutschen Kreditwirtschaft und der Verbraucher- schutzseite einen intensiven Dialog darüber geführt, wie diese Unsicherheiten bei den Banken beseitigt werden Vizepräsidentin Claudia Roth: können . Wir wollen erreichen, dass Verbraucherinnen Vielen Dank, Ulrich Kelber . – Nächster Redner: und Verbrauchern uneingeschränkt Zugang zu Krediten, Dr . Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen . die sie sich ohne das Risiko einer Überschuldung leisten können, gewährt wird . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben Ihnen einen Gesetzentwurf vorgelegt, in Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- dem wir Klarstellungen vornehmen wollen, die sowohl legen! Vielem von dem, was Sie, Herr Kelber, gerade europarechtlich zulässig sind als auch den Verbrauche- gesagt haben, können wir Grünen zustimmen . Ich frage rinnen und Verbrauchern dienen . mich nur, wenn ich mir die Umsetzung dieser Richtlinie Drei Punkte: anschaue: Warum greift man eigentlich nur den Bereich auf, in dem es Unschärfen gibt und Fehler gemacht wor- Erstens . Wir wollen klarstellen, dass die Wertsteige- den sind und über den sich die Banken beklagen, und rung durch Baumaßnahmen oder Renovierungen natür- zwei wichtige Punkte, die für die Verbraucherinnen und lich berücksichtigt werden darf . Verbraucher wichtig wären – ich nenne insbesondere Koppelprodukte, also mit Restschuldversicherungen ver- (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: sehene Produkte –, greift man nicht auf? Das verstehen Hört! Hört!) wir nicht . Dort muss nachgesteuert werden . Meine Kol- – Das war von vornherein Intention, Herr Kollege legin Nicole Maisch wird dazu später noch ausführlicher Michelbach .– Aber natürlich – wahrscheinlich liegt sprechen . Ich werde mich auf den ersten Teil konzentrie- die Richtlinie vor Ihnen – müssten Sie den Erwägungs- ren . grund 55 der Richtlinie, dass sie nicht allein ausschlag- gebend sein darf, auch in der nationalen Gesetzgebung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) (D) berücksichtigen . Das hört sich jetzt nach großem Konsens an . Der (Dr .h .c .Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber Ausschuss für Finanzstabilität hat empfohlen, ein ent- andere Länder haben es noch nicht gemacht!) sprechendes Gesetz vorzulegen . Auch der Internationale Währungsfonds und der Europäische Ausschuss für Sys- Zweitens soll im Gesetz explizit geregelt werden, temrisiken empfehlen dies; die Experten scheinen sich dass, wie schon bisher, die Regelungen für Verbraucher- alle einig zu sein . darlehensverträge nicht auf die sogenannten Immobilien- verzehrkreditverträge anwendbar sind, also in dem Fall, Aber: So ist es ja nicht ganz . Vielmehr gab es einen dass jemand einen Teil der Immobilie, in der er wohnt, CSU-Parteitagsbeschluss, der sich explizit – auf die Ini- an die Bank übereignet . Das soll auch die Unsicherheit tiative, wie ich lese, des Kollegen Michelbach – gegen der Rechtsabteilungen einiger Banken beenden und die dieses Gesetz gewandt hat, und Kollege Zöllmer sagte Kreditvergabe an ältere Menschen erleichtern . für die SPD im Handelsblatt Ende des Jahres: Wir kön- nen nicht auf der einen Seite Wohnungsbau fördern und Drittens . Wir bitten Sie um eine Ermächtigung für auf der anderen Seite die Kreditvergabe einschränken . – eine gemeinsame Rechtsverordnung des Bundesfinanz- So groß scheint die Einigung nicht zu sein . ministeriums und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz . Wir wollen in weiteren praktisch Deswegen ist jetzt die Frage: Um was geht es hier relevanten Fällen eine Leitlinie für die ordnungsgemäße eigentlich? Es geht darum, dass man in der Finanzkrise Kreditvergabe an die Hand geben . Auch hierzu zwei Bei- gemerkt hat: Selbst wenn man bei jeder einzelnen Bank spiele: Wir wollen deutlich machen, wie mit befristeten genau hinschaut, ob sie das alles korrekt macht und stabil Arbeitsverhältnissen und vorübergehenden Gehaltsein- ist, sieht man nicht alles; denn möglicherweise basieren bußen durch Elternzeit umgegangen werden soll, da eini- die Immobiliensicherheiten, die die Bank bei sich kalku- ge Banken nur die Negativannahmen verwendet haben . liert, auf aufgeblasenen Werten, da man sich in einer Im- Außerdem wollen wir insbesondere beim altersgerechten mobilienblase befinden kann. Deswegen reicht es nicht, Umbau, der den Wert von Immobilien erhöht, die Wert­ auf die einzelnen Institute zu schauen, sondern man muss steigerungen in angemessener Form berücksichtigen . auch auf den Gesamtmarkt schauen, und wenn dieser in die falsche Richtung geht, muss man rechtzeitig eingrei- Wir meinen, dass damit – das will ich bewusst sagen – fen . Auch das ist eine Aufgabe der Finanzaufsicht, nicht die bei einigen Banken – also keineswegs durchgehend – nur der Blick auf die einzelnen Banken . vorgekommene schlechtere Kreditvergabe an junge Fa- milien sowie Seniorinnen und Senioren beendet wird und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN es wieder einen gesicherten Zugang dieser Personenkrei- sowie des Abg . Dr .Axel Troost [DIE LINKE]) 21488 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Dr. Gerhard Schick (A) Dem stimmen wir ausdrücklich zu . Deswegen kann Mein Appell an Sie: Hören Sie hier nicht auf die Ban- (C) ich die Kritik an dieser Stelle nicht richtig nachvollzie- ken, die uns schon wieder raten, alle Lehren aus der Fi- hen . Ich komme mir schon ein bisschen komisch vor, nanzkrise zu vergessen, sondern sorgen Sie dafür, dass wenn ich den Entwurf des Bundesfinanzministeriums die Erkenntnisse, die hier einmal fraktionsübergreifend gegen die Kritik aus den Koalitionsfraktionen verteidige . vorhanden waren – wir brauchen eine makroprudenzielle Aufsicht, also eine Aufsicht quer über die Institute, für ( [Erfurt] [SPD]: Da hat den gesamten Markt, und die entsprechenden Instrumen- doch keiner was gesagt!) te –, jetzt auch im Gesetz verankert werden! Aber an dieser Stelle geht es um die Sache und nicht um Danke schön . die parteipolitische Zugehörigkeit . Ich mache mir jedoch Sorgen, dass die wichtigen Argumente, die früher – übri- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gens auch aus Ihrer Partei, Herr Michelbach – vorgetra- und bei der LINKEN) gen worden sind, nicht mehr gelten . Der frühere Staats- sekretär Koschyk hat das hier 2012 in der Debatte zum Gesetz zur Stärkung der Finanzaufsicht sehr deutlich ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: sagt: Die mikropotenzielle Aufsicht muss durch eine ma- Vielen Dank, Gerhard Schick .– Nächste Rednerin: kropotenzielle Aufsicht ergänzt werden . Man kann sich für die CDU/CSU-Fraktion . dann nicht dagegen wehren, wenn genau das umgesetzt werden soll . Nehmen Sie die Lehren aus der Finanzkrise (Beifall bei der CDU/CSU) im Jahr acht nach Lehman bitte immer noch ernst! Sonst sind wir bald in der nächsten . Antje Tillmann (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Im letzten Jahr erreichten viele von Es ist richtig, dass wir heute nicht generell sagen kön- uns Zuschriften von jungen Familien und Senioren . Der nen, dass in Deutschland eine einzige große Immobilien- Tenor war immer derselbe: Meine Bank hat mir den Kre- blase besteht . dit für den Kauf oder den Umbau meiner Immobilie ver- weigert . (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hört! Hört!) Was ist passiert? Seit März 2016 gilt in Deutschland An verschiedenen Stellen gibt es aber gefährliche Ent- eine neue EU-Richtlinie, die die Vergabe von Wohnim- (B) wicklungen, und deswegen ist es richtig, die notwendi- mobilienkrediten verschärft . Die Richtlinie wurde in (D) gen Instrumente vorzubereiten . Experten sagen uns – ich der EU als Reaktion auf die spanische Immobilienkrise beziehe mich hier auf den Chefvolkswirt des Bankhauses beschlossen, die durch zahlreiche leichtfertig vergebene Metzler –, dass es hierzulande bereits Finanzierungen Kredite verursacht wurde . Banken müssen seither ihre von 110 Prozent des Kaufpreises gibt . Das ist nicht seri- Kreditnehmer vor Vertragsabschluss besser informieren . ös, und das sind genau die Fehlentwicklungen, die man Außerdem wurden undurchsichtige Kopplungsgeschäf- bei den Immobilienblasen in den anderen Ländern beob- te, bei denen ein Darlehen nur in Verbindung mit ande- achtet hat . Wir sehen daneben, dass die Immobilienpreise ren Finanzprodukten ausgegeben wurde, eingeschränkt . in wichtigen Teilen des deutschen Immobilienmarkts in Diese Neuerungen waren gut und richtig, und sie dien- den letzten Jahren massiv schneller angestiegen sind als ten dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher . die Einkommen . Auch das ist ein Indiz dafür, dass man Neben dem Wert der Immobilie müssen Banken künf- aufpassen muss . tig auch andere Faktoren, wie etwa das Einkommen des Kreditnehmers oder die Verschuldungsquote, verstärkt Aber selbst wenn es nicht so wäre: Ein solch vorbe- berücksichtigen . reitendes Gesetz braucht man, damit die Finanzaufsicht rechtzeitig eingreifen kann . Es ist auch richtig, das re- Leider hat die zu weit gehende Umsetzung in deut- gional differenziert zu machen . Man darf aber diesem sches Recht durch Bundesjustizminister Maas zur Folge Gesetz jetzt nicht Hürden in den Weg legen, bloß weil die Banken sagen: Wir wollen keine Einschränkungen .– (Dr .Johannes Fechner [SPD]: Sie haben doch Im Gegenteil ist es richtig, eine Kritik, die Axel Troost zugestimmt!) genannt hat, aufzugreifen und auch die gewerblichen – das stimmt –, dass gerade Altersgruppen mit weniger Immobilienmärkte einzubeziehen . Zudem muss – auch berechenbarem Einkommen zunehmend Schwierigkeiten wenn man das nicht in diesem Gesetzentwurf regeln haben, einen Hauskredit zu bekommen . Herr Staatsse- muss – die Datengrundlage kretär Kelber, wenn Sie sagen: „Das war ja alles so nicht (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Besser wer- gemeint“, dann kann ich nur sagen: In einem Rechtsstaat den!) ist es eigentlich üblich, dass man das, was man meint, ins Gesetz schreibt . Und ja, wir haben dem zugestimmt; wir besser werden, damit man einen klaren Überblick erhält . haben einen Fehler gemacht, und wir werden das korri- Es kann ja wohl nicht sein, dass sich die Finanzaufsicht gieren . hier auf private Datenanbieter verlassen muss . Eine ent- sprechende Datengrundlage ist also notwendig . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21489

Antje Tillmann (A) Wir behaupten ja nicht, dass die bisherige Regelung rich- Verbraucher Auswirkungen hätte . Natürlich besteht die (C) tig ist . Dann brauchten wir das Gesetzgebungsverfahren Gefahr, dass Kredite für den Verbraucher teurer werden . nicht . Deshalb ist es wichtig, dass wir uns genau ansehen, was in dieser Verordnung steht . (Beifall bei der CDU/CSU) Wir wollen, dass junge Familien und ältere Menschen Aus meiner Sicht muss in dieser Verordnung geregelt Kredite für den Umbau oder die Renovierung ihres Ge- sein, was ein vernünftiger Kaufmann sowieso tun wür- bäudes bekommen, und wir wollen – das meint Herr de . Es sind nicht alle Banken der Meinung, dass diese Staatssekretär Kelber offensichtlich auch –, dass das so Gesetzgebung ihnen Schwierigkeiten bereiten wird . Ein im Gesetz steht, um Rechtssicherheit für Banken und verantwortungsbewusster Banker würde auf eine Krise Verbraucherinnen und Verbraucher herzustellen . reagieren . Wir müssen sicherstellen, dass sich alle Ban- ker verantwortungsbewusst verhalten . Deshalb werden (Beifall des Abg . [CDU/CSU]) wir am 6 .März in einer Anhörung mit den Betroffenen Wie Herr Dr .Schick sind auch wir noch nicht zufrie- die Verordnungsgegenstände diskutieren und dann fest- den mit diesem Gesetzentwurf . Wir glauben nämlich, stellen, ob dieser Gesetzentwurf das leistet, was wir uns dass darin auch die Anschlussfinanzierungen geregelt erhoffen . werden müssen . Es kann nicht sein, dass, sollte es zu ei- ner Krise kommen, wir diese bei einer anstehenden An- Ich persönlich bin der Meinung, dass wir die Bereit- schlussfinanzierung dadurch verschärfen, dass Veräuße- stellung dieser Instrumente besser innerhalb Deutsch- rungen notwendig sind . Auch hier haben wir erheblichen lands regeln, als dies erneut der EU-Kommission zu Diskussionsbedarf . Dazu dient dieses Gesetzgebungsver- überlassen . Was passiert um uns herum? In 18 anderen fahren ja auch; wir stehen heute erst am Anfang . europäischen Staaten gibt es diese Aufsichtsinstrumente schon . Wenn wir nicht handeln, besteht die Gefahr, dass (Beifall bei der CDU/CSU) die EU-Kommission eine europäische Regelung vor- Was ist der zweite Teil dieses Gesetzentwurfs, der Teil, schlägt, die – diese Erfahrung haben wir schon gemacht – der dem Gesetz seinen Namen gibt? Der Ausschuss für die Besonderheiten des deutschen Kreditmarktes und die Finanzstabilität, dem auch Vertreter von BaFin und Bun- gute deutsche Kreditsituation nicht berücksichtigen wird . desbank angehören, ist der Meinung, dass es hinsichtlich Es wäre also besser, dies innerdeutsch zu regeln . Deshalb der Aufsicht Handlungsbedarf gibt, falls es irgendwann – begeben wir uns auf den Weg, diesen Gesetzentwurf zu rein theoretisch – zu einer Immobilienkrise kommt . Um diskutieren . es deutlich zu sagen: Weder die Bundesbank noch die BaFin sieht aktuell eine solche Krise . Beide empfehlen Es ist ja nicht so, dass der BaFin keine Instrumente (B) aber, Instrumente einzuführen, bevor eine schwierige Si- zur Verfügung stehen, um in einer Krise einzugreifen . (D) tuation wirklich akut wird . Herr Staatssekretär Meister Natürlich könnte die BaFin einer Bank bestimmte Ei- hat dies mit einem Feuermelder verglichen . Ich teile die genkapitalvorlagen auferlegen . Aber das hätte den Nach- Auffassung, dass wir Instrumente haben müssen, bevor teil, dass davon alle Branchen betroffen wären, obwohl eine Krise ausbricht . Wir müssen daher intensiv darüber mittelständische Produktionsunternehmen vielleicht gar beraten, wie solche Instrumente aussehen können . nicht in Schwierigkeiten sind . Ich glaube, wir sollten uns Die BaFin soll handlungsfähig gemacht werden und sehr genau ansehen, ob wir für den Immobiliensektor dafür neue, zielgenaue Instrumente zur Bekämpfung konkretere und spezifischere Instrumente brauchen. Ob bzw . Bewältigung einer eventuellen Immobilienkrise be- der vorliegende Gesetzentwurf der richtige Weg ist, wer- kommen . Die BaFin soll Kreditgebern bestimmte Min- den wir nach umfangreichen Beratungen entscheiden . deststandards für die Vergabe von Neukrediten für den Wir werden uns nach der Anhörung dazu positionieren . Erwerb oder den Bau von Wohnimmobilien vorgeben Herr Dr .Meister, wie immer können Sie sicher sein dürfen . Die genauen Festlegungen hierzu sollen aber in und damit rechnen, dass wir dieses Gesetzgebungsver- einer umfangreichen Verordnung geregelt werden, die fahren konstruktiv begleiten . Das beginnen wir heute, noch in der Bearbeitung ist . und wir werden es zu einem guten Abschluss führen . Herr Dr .Schick, ich wundere mich, dass Sie den Ge- setzentwurf schon verteidigen, obwohl Sie noch gar nicht Herzlichen Dank . wissen, was tatsächlich geregelt wird; denn die konkre- ten Details werden in einer sehr umfangreichen Verord- (Beifall bei der CDU/CSU) nung dargelegt werden . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsidentin Claudia Roth: der SPD) Danke, Frau Tillmann .– Herr Meister hat sich ent- Wir haben darum gebeten – ich danke dem Staatssekre- schuldigt . Der Mann, der hier sitzt, ist nicht der verjüng- tär, dass er dem zugestimmt hat –, dass wir noch im Ge- te Herr Meister, sondern Herr Spahn . Aber er nimmt all setzgebungsverfahren erfahren, was in dieser Verordnung das mit, was Sie gesagt haben, und wird es an den Herrn steht; denn erst dann können wir tatsächlich die Auswir- Staatssekretär weitergeben . kungen auf Banken und Verbraucher beurteilen . Es ist eine Milchmädchenrechnung, zu glauben, wir könnten Nächste Rednerin: Nicole Maisch für Bündnis 90/Die bei Banken immer weiter regulieren, ohne dass es für die Grünen . 21490 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Andere EU-Mitgliedstaaten wie Belgien und Frankreich (C) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor gut haben verbraucherfreundliche Regelungen geschaffen . elf Monaten haben wir hier die Umsetzung der Wohn- Wir sind der Meinung, dass es nun an der Zeit ist, Trans- immobilienkreditrichtlinie beschlossen, und schon jetzt parenz bei den Berechnungen herzustellen und eine kon- bessern Sie nach . Aber leider ist es so, dass das, was Sie krete Obergrenze festzulegen . korrigieren, nicht etwa Ihr Eingriff in die Verbraucher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – rechte beim Widerruf von Verträgen ist oder in die unzu- Dr . h . c .Hans Michelbach [CDU/CSU]: Dafür reichenden Instrumente gegen Abzocke bei den Dispo- gibt es die Langfristfinanzierung!) zinsen . Vielmehr machen Sie wieder relativ einseitig und auf Zuruf Politik für einzelne Kreditinstitute, vor allem – Ich habe das Mikro . Deshalb kann ich lauter schreien . für die Sparkassen . Wir sind zudem der Meinung, dass die Regelung für Der Staatssekretär hat es ausgeführt: Die Heerscharen gekoppelte Produkte noch strenger sein müsste . Gekop- verzweifelter Rentner und junger Familien, die keinen pelte Produkte sollten nur vertrieben werden, wenn es Kredit mehr bekommen, was die empirische Grundlage einen objektiven Nutzen für die Verbraucherinnen und für diese Gesetzesänderung ist, waren zwar überall in den Verbraucher gibt . Medien, aber in der Realität schwer zu finden. Kollegin Last, but not least fordern wir Transparenzvorschrif- Tillmann, die Waschkörbe voller Zuschriften, die Sie in ten für die Restschuldversicherungen . Das wäre echter diesem Zusammenhang bekommen haben, interessieren Verbraucherschutz und nicht nur Politik auf Zuruf ein- mich sehr . Bei uns haben sich hauptsächlich die Sparkas- zelner Kreditinstitute . sen gemeldet . Wir werden uns im anstehenden Gesetzgebungsver- (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was fahren sehr genau anschauen, ob die Neuregelung, die haben Sie denn gegen Sparkassen?) Sie nun machen, nicht den Sinn der Richtlinie und des ur- sprünglichen Gesetzentwurfs, Menschen davor zu schüt- – Ich habe überhaupt nichts gegen die Sparkassen . Mel- zen, ihr Haus zu verlieren, weil sie sich mit einem Kredit den Sie sich doch, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen übernommen haben, verwässert . wollen! (Antje Tillmann [CDU/CSU]: Wir schützen Auch der Finanzmarktwächter der Verbraucherzen- Menschen davor, ein Haus zu kaufen!) tralen hat vor fünf Monaten aufgerufen: Leute, meldet euch bei uns, wenn ihr Schwierigkeiten habt, Kredite zu Wir werden Sie daran erinnern, was in diesem Bereich bekommen . – Ganze 16 Bundesbürger haben sich gemel- des Verbraucherschutzes noch alles zu tun ist . (B) (D) det . Am 8 .Dezember letzten Jahres hat mir der Parla- Vielen Dank . mentarische Staatssekretär Herr Kelber auf meine Frage, welches die Grundlagen für eine solche Gesetzesände- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rung sind und ob es wirklich Probleme bei der Kreditver- gabe gibt, geantwortet: Vizepräsidentin Claudia Roth: Aussagekräftige und belastbare Zahlen über den be- Vielen Dank, Nicole Maisch . – Nächster Redner: haupteten Rückgang der Kreditvergabe und die Ur- Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion . sächlichkeit des Gesetzes zur Umsetzung der Wohn- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten immobilienkreditrichtlinie liegen nicht vor . der CDU/CSU) Man braucht aber keine empirische Grundlage, um Politik zu machen . Es gibt sicherlich gute Gründe, die Manfred Zöllmer (SPD): Sparkassen noch besser gegen Falschberatung abzusi- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chern . Wenn Sie aber schon Politik auf Zuruf machen, Ich werde mich bei meinen Ausführungen schwerpunkt- dann sollten Sie auch auf den Zuruf der Verbraucher- mäßig auf das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz be- schützer hören . schränken . Wir haben gehört, worum es geht . Es geht um den Problemkreis, durch aufsichtsrechtliche Maßnahmen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) das Entstehen von Immobilienblasen zukünftig zu ver- Hier möchten wir Ihnen vor allem zwei Punkte besonders hindern . Ich betone: Dies ist eine gute und wichtige Ziel- ans Herz legen . setzung zur Verbesserung der Finanzmarktstabilität . Wie wir alle wissen, ging die Finanzmarktkrise 2007/2008 in Das erste Thema ist die Vorfälligkeitsentschädigung . den USA im Wesentlichen vom Platzen einer Immobili- Wie wir alle wissen, spielt das Leben nicht immer so, enblase aus . In Deutschland sind nur Wertpapiere über wie man es sich denkt . Man nimmt einen Kredit auf, Immobilienkredite und Verbriefungen geplatzt, die an und plötzlich gibt es einen Todesfall, oder es kommt deutsche Banken, insbesondere an Landesbanken, ge- zur Scheidung . Dann muss man eventuell den Kredit gangen sind. In den USA gab es das geflügelte Wort: vorzeitig ablösen . Die Vorfälligkeitsentschädigungen in Diese Schrottpapiere kannst du gut den deutschen Lan- Deutschland sind konkurrenzlos hoch . desbanken andrehen; die sind dafür dankbar . (Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: In Düsseldorf Dafür gibt es die Langfristfinanzierung!) vor allen Dingen!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21491

Manfred Zöllmer (A) Eine Immobilienblase in Deutschland gab es nicht; Manfred Zöllmer (SPD): (C) das muss man feststellen . Sie hat es auch in der Vergan- Nein, das erlaube ich nicht . Ich will das jetzt ausfüh- genheit nicht gegeben; denn das deutsche Geschäftsmo- ren .– Nehmen wir das Beispiel Berlin: Die Stadt Berlin dell der Banken bei Immobilienkrediten ist völlig anders wächst jedes Jahr um 50 000 Personen . Es ist natürlich als das Geschäftsmodell in den USA . Die amerikani- völlig logisch, dass deshalb die Nachfrage am Immobili- schen Banken überwälzen ihre Risiken an die Institu- enmarkt steigt, und es ist völlig logisch, dass dann auch tionen Fanny Mae und Freddie Mac, die quasi staatlich die Preise steigen . abgesichert sind . Das ist in Deutschland nicht der Fall . Natürlich wäre ein Immobilienmarkt, der sich überhitzt, (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ für den Bankensektor ein großes Risiko . Daher war es DIE GRÜNEN]: Das hat doch nichts damit zu vernünftig, dass sich der Ausschuss für Finanzstabilität tun!) im Jahre 2015 mit diesem Thema beschäftigt und einige Vorschläge gemacht hat, aus denen hervorgeht, wie man Ist das jetzt eine Blase oder nicht? Das Problem, das ich eine Überhitzung des Immobilienmarktes in Deutschland mit diesem Gesetzentwurf habe, besteht darin, dass der verhindern kann . Statistikteil einfach ausgeklammert worden ist. Dazu fin- Der Chefvolkswirt der EZB hat im letzten Monat in den wir keine Regelungen; die wären aus meiner Sicht einem Interview mit der Zeitung Die Zeit festgestellt: aber auf jeden Fall notwendig . … in Frankfurt sind Immobilienpreise innerhalb ei- (Beifall bei der SPD) nes Jahres um 20 Prozent gestiegen … Richtig ge- fährlich ist ein solcher Boom … erst dann, wenn er Die Kollegin Tillmann hat eben darauf hingewiesen: auf Pump finanziert wird. Die Vergabe von Baukre- Wir werden uns sehr sorgfältig mit diesem Entwurf und diten wächst aber nur sehr langsam . mit den Instrumenten, die darin vorgeschlagen sind, aus- einandersetzen . Wir werden uns sehr sorgfältig fragen: Lieber Kollege Schick, das ist ein Punkt, den Sie in Ih- Was ist sinnvoll? Was hilft in Zukunft, eine Immobilien- ren Ausführungen völlig vergessen haben . Wir haben blase zu verhindern, und was nicht? Wir müssen auf der in Deutschland einen regional sehr unterschiedlichen anderen Seite aber auch im Blick behalten, dass wir den Immobilienmarkt: Wir haben einige Ballungszentren – Wohnungsbau fördern . In diesem Haus sind viele Förder- München, Hamburg, Berlin, Frankfurt –, in denen die maßnahmen für den Wohnungsbau beschlossen worden . Immobilienpreise sehr deutlich steigen . Wir haben eben noch gehört, wie groß die Problematik ist . Die Linkspartei hat steigende Mieten beklagt . Wir (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Universitäts- wissen, dass das ein Problem ist . (B) städte!) (D) In anderen Bereichen haben wir aber fallende Immobili- (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Ja, sozialer enpreise . Es gibt Regionen in Deutschland, in denen Sie Wohnungsbau! Gemeinnütziger Wohnungs- Ihr Haus gar nicht loswerden, weil dort keine Nachfrage bau!) besteht. Sie finden dort keinen Käufer. Das heißt, wir dürfen diesen Bereich nicht regulatorisch Eine vernünftige Regulierung der Baufinanzierung erdrosseln . Deutschland braucht auch in Zukunft stabile müsste diese regionalen Aspekte berücksichtigen . Ich Immobilienmärkte . glaube, dass wir das beim vorliegenden Gesetzentwurf sorgfältig prüfen müssen . Meiner Ansicht nach werden (Dr .Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist ein diese Aspekte im Gesetzentwurf zu wenig berücksichtigt . anderes Marktsegment!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb ist es sinnvoll, sehr sorgfältig mit diesem Ge- setzentwurf und mit den vorgeschlagenen Instrumenten Die Instrumente müssen dort ansetzen, wo der Schmerz umzugehen und sie zu prüfen . entsteht – sprich: eine Immobilienblase entsteht . Eines der Hauptprobleme auf diesem Feld bleibt aber Darüber hinaus wollen wir als Parlament aber auch in die Diagnose, das heißt die Frage: Ist es wirklich eine wesentliche Entscheidungen eingebunden werden . Das Blase, ja oder nein? Ich beschäftige mich seit vielen sieht der Gesetzentwurf ebenfalls nicht vor . Wir wollen Jahrzehnten mit der Ökonomie und habe festgestellt: Die Fehlentwicklungen verhindern, eine ordnungsgemäße Ökonomen haben es in der Vergangenheit nicht ein einzi- Kreditwürdigkeitsprüfung ohne Diskriminierung sicher- ges Mal geschafft, eine Blase richtig vorherzusehen . Das stellen und überzogene Anforderungen auf das richtige ist ein großes Problem . Ein Teil der Ökonomen hat im- Maß zurückführen . Was wir nicht wollen, ist, den nor- mer gesagt: „Dies ist eine völlig normale Marktentwick- malen Immobilienkleinkredit, um die Renovierung oder lung“, während ein anderer Teil der Ökonomen immer den altersgerechten Umbau eines Hauses zu bezahlen, gesagt hat: Das ist aber gefährlich . – Nur, was macht man unmöglich zu machen . dann als Aufsicht? Wir werden diesen Gesetzentwurf im parlamentari- schen Verfahren sorgfältig prüfen . Es gilt nach wie vor Vizepräsidentin Claudia Roth: der Grundsatz: Kein Gesetz verlässt das Parlament so, Herr Zöllmer, erlauben Sie eine Frage oder Bemer- wie es hineingekommen ist . Wir werden unsere Hausauf- kung von Gerhard Schick? gaben machen . 21492 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Manfred Zöllmer (A) Vielen Dank . hätte . Es sah eine Weile so aus, dass Senioren und Fami- (C) lien zu Verlierern dieser Regelung werden könnten . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Zuruf von der SPD: Quatsch!) Viele, auch CDU/CSU, haben nach Inkrafttreten des Ge- Vizepräsidentin Claudia Roth: setzes auf die Probleme hingewiesen . Jetzt geht es mit Vielen Dank, Manfred Zöllmer .– Nächster Redner: der Lösung endlich voran . Matthias Hauer für die CDU/CSU-Fraktion . Wenn die Regelung in § 505b so toll ist – Herr Staats- (Beifall bei der CDU/CSU) sekretär Kelber hat darauf gerade Bezug genommen und von „Unsicherheit bei einigen Banken“ gesprochen; er hat das so ein bisschen ins Lächerliche gezogen –, dann Matthias Hauer (CDU/CSU): frage ich Sie: Warum bessern wir denn dann nach? Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten heute in erster Lesung den Entwurf (Dr .Johannes Fechner [SPD]: Weil es in der des Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetzes . Das Gesetz Richtlinie so steht!) besteht aus zwei Teilen; das haben wir bereits gehört . Im Wenn man in den Gesetzestext schaut, kann man ja ein- ersten Teil geht es darum, Immobilienblasen zu vermei- mal überlegen, ob der so schlau ist . Zählen wir einmal die den . Dazu ist bereits viel gesagt worden . Was die Positi- unbestimmten Rechtsbegriffe! Hier wird davon geredet, on der CDU/CSU-Fraktion angeht, verweise ich auf das, was meine Kollegin Antje Tillmann vorhin gesagt hat . (Dr . Johannes Fechner [SPD]: Ja, weil das die Richtlinie ist! Das ist der Text aus der Richt- Ich werde mich hier auf den zweiten Teil konzen- linie!) trieren . Dabei geht es um die nationale Umsetzung der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie . Hier wollen wir dass „auf der Grundlage notwendiger, ausreichender und die Rechtsunsicherheiten und Probleme beseitigen, die angemessener Informationen zu Einkommen, Ausgaben im Zuge der Umsetzung Anfang 2016 entstanden sind . sowie anderen finanziellen und wirtschaftlichen Umstän- Seit September letzten Jahres befasse ich mich als Be- den des Darlehensnehmers eingehend zu prüfen“ ist . Da richterstatter der AG Finanzen mit diesem für die Kredit- wird von „Angemessenheit“, von „Relevanz“, von „vo- vergabe wichtigen Thema . raussichtlich“ geredet . All das sind unbestimmte Rechts- begriffe . Man muss auch einmal selbstkritisch sein – das Frau Maisch hat gerade gesagt, die Grünen hätten nur hätte ich mir auch von Ihnen gewünscht, Herr Kelber – einige Anfragen dazu erreicht . Mich haben sehr viele An- und sagen, dass eine Regelung nicht so gut gemacht wor- (B) fragen erreicht und, so glaube ich, viele Kolleginnen und den ist . (D) Kollegen im Hause ebenfalls .– Sogar Kollege Dr .T roost von den Linken nickt .– Aber vielleicht trauen ja den Grü- (Zurufe der Abg . [Heidelberg] nen nicht so viele zu, hier eine gute Lösung zu erzielen . [SPD] und Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich verweise auf die Kollegin Tillmann, die gesagt hat: Sicherlich wurden auch viele von Ihnen in den Wahl- Das ist keine gute Regelung gewesen; da haben wir Feh- kreisen auf die bestehenden Probleme angesprochen . Oft ler gemacht . – Das muss man aber auch offen zugeben . ging es darum, dass Menschen Kredite versagt wurden, oft mit Verweis auf die Umsetzung der Wohnimmobilien- Ich möchte auch die gute Zusammenarbeit mit den Fi- kreditrichtlinie . Es ist richtig, dass wir als Gesetzgeber nanzpolitikern unseres Koalitionspartners erwähnen, die eingreifen, dass wir Rechtssicherheit herstellen und das da sicherlich intern Überzeugungsarbeit geleistet haben . Gesetz verbessern; denn hier besteht Nachbesserungsbe- Ebenso bedanken möchte ich mich für die gute Zusam- darf . menarbeit beim Kollegen Dr .Heck aus der AG Recht . Das alles dürfte dazu beigetragen haben, dass wir heute Zunächst aber ein Blick zurück: Im März letzten Jah- die Nachbesserung in erster Lesung beraten und dann si- res ist das Gesetz in Kraft getreten . Bereits kurz darauf cherlich bis März beschließen können . gab es jede Menge Kritik an der nationalen Umsetzung . Was wurde kritisiert? Das deutsche Gesetz würde viel (Dr . Johannes Fechner [SPD]: Es war unse- weiter greifen, als es die europäischen Regelungen vor- re Initiative, nachzubessern! – Gegenruf der sehen . Dazu kommt Rechtsunsicherheit durch viele un- Abg . Antje Tillmann [CDU/CSU]: Eure Ini- bestimmte Rechtsbegriffe im Gesetzestext; dazu gleich tiative war das ganz bestimmt nicht!) mehr . Junge Familien und ältere Menschen hatten viel- Aber nun zu den wesentlichen Details des Gesetzent- fach Probleme, einen Kredit für eine Wohnimmobilie zu wurfs . Wir stellen klar, dass bei der Finanzierung für den bekommen . Ich sage sehr deutlich: Wir als Union wollen, Bau oder die Renovierung des Eigenheims wieder maß- dass gerade auch junge Familien und ältere Menschen geblich auf den Wert der Immobilie abgestellt werden ein Eigenheim erwerben oder es altersgerecht umbauen darf . Damit korrigieren wir, dass diese Ausnahmerege- können . lung der EU-Richtlinie bislang nicht ins deutsche Gesetz (Beifall bei der CDU/CSU) Aufnahme gefunden hat . Wir wollen, dass Seniorinnen und Senioren auch dann in ihrem Eigenheim wohnen Deshalb hätten wir uns auch gewünscht, dass bleiben können, wenn sie einmal finanzielle Mittel brau- als der zuständige Bundesminister hier schneller reagiert chen, zum Beispiel für eine Renovierung oder für einen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21493

Matthias Hauer (A) barrierefreien Umbau . Es ist daher richtig, dass der Wert ihr Leben lang begleitet . Das kann man, glaube ich, so (C) der Immobilie bei der Kreditwürdigkeitsprüfung berück- sagen . sichtigt wird, und zwar in starkem Maße . Das stellen wir hiermit nun im BGB und im KWG klar . Die Menschen treffen diese Entscheidung meistens – das hoffen wir – wohlabgewogen, auch wenn die Gründe (Beifall bei der CDU/CSU) durchaus emotionaler Natur sind: Man möchte ein schö- nes Umfeld für sich und seine Familie schaffen, in das ei- Darüber hinaus ist es wichtig, dass wir Leitlinien zur nen niemand hereinredet . Man möchte lieber für sich als Kreditwürdigkeitsprüfung bekommen . Dazu wird es für seinen Vermieter zahlen . Oder man sagt – dann wird zeitnah eine gemeinsame Rechtsverordnung von Finanz- es ein bisschen rationaler –: In Zeiten niedriger Zinsen ist ministerium und Justizministerium geben . Die Leitlinien es das Einzige, wo ich die Möglichkeit habe, mein Geld sollen für weitere Rechtssicherheit sorgen . Es gibt dazu vernünftig anzulegen . Außerdem sind die Zinsen gerade noch offene Fragen; die werden wir im Verfahren klären . so günstig, dass sich einige Leute eine Finanzierung leis- Die beteiligten Ministerien haben zugesagt, dass wir den ten können, die das vorher nicht konnten . Entwurf bis zur Anhörung vorliegen haben . Das ist wich- tig, weil Gesetz und Verordnung eng ineinandergreifen (Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE sollen . GRÜNEN]: Aber das ist in den Preisen ent- halten!) Wir müssten noch einige andere Fragen klären, zum Beispiel ob bei einer Anschlussfinanzierung – Kollegin – Genau . Darauf komme ich gleich .– Grundsätzlich sa- Tillmann hat es gerade angesprochen – wirklich eine er- gen wir: Eine Immobilie ist eine gute Investition . Aber neute Kreditwürdigkeitsprüfung stattfinden muss oder wir wissen – Herr Kollege Schick hat es in seiner Rede nur dann, wenn der Kreditbetrag deutlich erhöht wird . gesagt und mit seinem Zwischenruf bestätigt –: Angebot Welchen gesetzgeberischen Spielraum wir hier haben, und Nachfrage – das ist trivial – bedingen sich . Deswegen werden wir EU-rechtlich noch beantwortet bekommen gibt es in einigen Großstädten und auch in anderen Berei- müssen . Auch die Themen „Immobilienverzehrkredite“ chen unseres Landes mittlerweile deutliche Preissteige- und – Herr Dr . Schick hat es gerade angesprochen – „ge- rungen, die den Kauf einer Immobilie erschweren . koppelte Produkte“ werden wir uns noch einmal im De- tail ansehen . Viele Leute haben im Zuge dieses Booms das Gefühl: Wenn sie jetzt keine Immobilie kaufen, dann vertun sie Ich gehe mit Zuversicht, aber auch mit dem gebote- eine Chance . Das kann durchaus dazu führen, dass Men- nen kritischen Blick in die anstehenden parlamentari- schen ihre finanziellen Möglichkeiten optimistischer ein- schen Beratungen . Am Ende der Beratungen muss eine schätzen, als sie es tun würden, wenn die Zinsen höher (B) Lösung stehen, die für mehr Rechtssicherheit sorgt, die wären, wenn es nicht so einen Boom gäbe . Außerdem (D) aber gleichzeitig den Bogen hinsichtlich der Kreditwür- führt es dazu – das muss man dazusagen –, dass Banken digkeitsprüfung nicht überspannt . Hier muss eine Lösung eher geneigt sind, Kredite für ihre Kundinnen und Kun- her, die gerade jungen Familien den Weg in die eigenen den möglich zu machen . Für die Banken ist das eine gute vier Wände erleichtert und älteren Menschen die Sa- Möglichkeit, Kredite zu vergeben, womit sie Gewinne nierung ihres Eigenheims ermöglicht . Dafür setzen wir, erzielen; das machen sie ja nicht uneigennützig . Deswe- CDU/CSU, uns ein . gen müssen wir da genau hinschauen . Vielen Dank . Das Thema 110-Prozent-Finanzierung wurde schon angesprochen . Aber es gibt auch andere Kreditkonstruk­ (Beifall bei der CDU/CSU) tionen, bei denen wir sehr genau hinschauen müssen . Deswegen ist es richtig, dass wir diese Richtlinie um- Vizepräsidentin Claudia Roth: gesetzt haben . Bisher konnte es dazu kommen, dass Vielen Dank, Kollege Hauer .– Nächste Rednerin: auch die Deckung von Nebenkosten auf Pump finanziert Sarah Ryglewski für die SPD-Fraktion . wurde oder dass parallel der Dispositionskredit erhöht wurde . Es gibt durchaus Kredite – das ist gar nicht tri- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten cky, sondern normales Geschäft – mit einer Tilgung von der CDU/CSU) 1 Prozent, und das bei den niedrigen Zinssätzen, obwohl man weiß, dass die Menschen einen neuen Kredit mit an- gestiegenen Zinssätzen nicht werden bedienen können . Sarah Ryglewski (SPD): In diesen Fällen ist auch die Sicherheit durch den Wert Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- einer Immobilie nichts, was dem Kunden hilft; das hilft ten Damen und Herren! Liebe Gäste! Ich will die Emo- nur der Bank . Die Bank hat die Sicherheit; aber der Kun- tionen jetzt ein bisschen senken und daran erinnern, de steht möglicherweise vor dem finanziellen Ruin. Des- worüber wir hier eigentlich reden . Der Grund, weshalb wegen, glaube ich, war es richtig, dass wir die Richtlinie die Wohnimmobilienkreditrichtlinie trotz ihres sperrigen umgesetzt haben . Aber es ist auch richtig, dass man sich, Namens eine solche Emotionalität erzeugt, ist der glei- wenn man so etwas macht, noch einmal anschaut, welche che Grund, weshalb Menschen sich Immobilien kaufen: Auswirkungen das auf die Entwicklung hat . Für die meisten Menschen ist der Kauf eines Hauses oder einer Eigentumswohnung die schwerwiegendste finanzi- Von Herrn Hauer kam die Kritik, warum man nicht zü- elle Entscheidung, die sie im Laufe ihres Lebens treffen, giger reagiert habe . Ich persönlich muss sagen: Ich halte und es ist eine Entscheidung, die die meisten von uns nichts davon, dass wir uns jetzt hier gegenseitig zurufen, 21494 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Sarah Ryglewski (A) wer wie viele Zuschriften bekommen hat und wer dem- Vielen Dank . (C) entsprechend wie viele Waschkörbe bei sich im Büro hat . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Ich habe nicht der CDU/CSU) von Waschkörben gesprochen!) – Na ja, andere aber . – Ich halte es vielmehr für verant- wortliche Politik, dass wir von der Kreditwirtschaft, aber Vizepräsidentin Claudia Roth: auch von den Verbrauchern Informationen einholen . Vielen Dank, Sarah Ryglewski .– Der letzte Redner in (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Welcher Mi- der Debatte: Alexander Radwan für die CDU/CSU-Frak- nister hat denn das Gesetz gemacht?) tion . – Wir haben alle zugestimmt . Es ist schön, dass Sie die (Beifall bei der CDU/CSU) unbestimmten Rechtsbegriffe vorhin vorgelesen haben . Aber wenn Sie jetzt so überzeugt sind, hätten wir diese ja auch damals schon aufnehmen können . Alexander Radwan (CDU/CSU): (Matthias Hauer [CDU/CSU]: Immerhin bin Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi- ich selbstkritisch im Vergleich zu Ihrem Mi- dentin! Das Finanzaufsichtsrechtergänzungsgesetz wird nister!) heute hier in die Diskussion eingebracht . Es beruht auf der Empfehlung des Ausschusses für Finanzstabilität – Der hat das Gesetz ja eingebracht . vom Juni 2015 . Natürlich sind auch die Anmerkungen Ich glaube, dass es richtig war, dass wir uns Zeit ge- des IWF und des Ausschusses für Finanzstabilität etwas, lassen haben . Es nützt nichts, wenn wir jetzt Dinge ver- mit dem man sich beschäftigen muss . Im Mittelpunkt ändern oder Regelungen noch einmal angreifen, die am steht die Entwicklung an den Immobilienmärkten . Die Ende niemandem etwas bringen, weil sie schlecht und Frage ist: Werden wir zukünftig auf eine Blase zurol- überhastet gemacht sind . Ich weise noch einmal darauf len oder nicht? Eines ist klar: Zurzeit haben wir keine hin, dass wir aufpassen müssen . Wir sollten hier wirk- Überhitzung auf den Immobilienmärkten . Somit ist lich sehr gründlich arbeiten, weil sich sonst durchaus der das, was wir heute debattieren, letztendlich etwas, was Verdacht einschleicht, dass es Banken geben könnte, die rein präventiv gemacht werden soll . In der Umsetzung, sagen: Wir haben jetzt eine gute Begründung, bestimmte im Ablauf sollen dann BaFin und Bundesbank dieses Kredite abzulehnen .– Zu einer verantwortlichen Finanz- im Einvernehmen feststellen . Sie sollen entsprechende beratung gehört, dass man Leuten vielleicht auch einmal Maßnahmen ergreifen können, so zum Beispiel in der (B) sagt: Ich verstehe, dass du ein Haus haben möchtest, aber Frage „Relation zwischen Kredit, Immobilienwert und (D) diesen Kredit wirst du dir nicht leisten können . Schau, ob Mindestamortisation“ oder der Frage, wie viel zur Til- du eine kleinere Immobilie findest oder ob du etwas an- gung herangezogen werden muss, wobei es auch hier deres machst . Warte lieber eine Zeit .– Da sagen wir: Das entsprechend notwendig ist, dass der Einzelfall geprüft wollen wir mit diesen Regelungen sicherstellen . Insofern wird . Jemand mit einem Einkommen von 1 000 Euro ist halte ich das, was wir hier vorgeschlagen haben, für eine sicherlich anders zu bewerten als jemand mit einem Ein- gute Sache . kommen von 5 000 Euro oder 10 000 Euro . (Beifall bei der SPD) Neben diesen grundsätzlichen Fragen finde ich bei Was ich mir persönlich zusätzlich noch wünschen diesem Gesetz spannend, dass wir einmal die Gelegen- würde – damit komme ich dann auch zum Schluss –, heit nutzen können, zu betrachten, wo wir heute stehen . wäre, dass wir in der Tat die Gelegenheit nutzen und uns Wir haben jetzt zehn Jahre der europäischen, internatio- die Fragen – das ist insbesondere der Punkt – „Was macht nalen und nationalen Regulierung hinter uns . Zehn Jah- man eigentlich mit befristeten Beschäftigungsverhält- re nachdem wir in der Folge der Subprime-Krise diese nissen?“, „Wie geht man mit solchen Ausnahmen um?“ Regulierungen angestoßen haben, sind wir mit einem noch einmal anschauen und auch einmal überlegen: Was solchen Gesetz konfrontiert, in dem es sinngemäß heißt: ist eigentlich mit einer Gruppe wie den Selbstständigen, Trotz aller Regulierung werden wir zukünftig mit einer die es auch schon vor der Wohnimmobilienkreditrichtli- entsprechenden Krise zu rechnen haben . Das ist jetzt erst nie schwer hatten, einen Kredit zu bekommen? Wie kann einmal nichts Aufregendes; denn jeder rechnet ja damit, man da möglicherweise Erleichterungen schaffen? Denn dass irgendwo eine Krise hochkommt . natürlich wollen wir, dass jeder, der sich einen Kredit leisten kann und der einen braucht, einen bekommt . Aber Lassen Sie mich an dieser Stelle betonen: Ich bin er- wir wollen nicht, dass Leute einen Kredit bekommen, staunt gewesen, dass keiner der Vorredner darauf hinge- die ihn sich nicht leisten können und bei denen dann am wiesen hat: Die Zinspolitik der Europäischen Zentral- Ende die Bank als Sicherheit das Haus hat, oder dass je- bank ist daran nicht ganz unschuldig . mand seine Wohnung renoviert und dann am Ende für die Bank renoviert hat . (Dr .h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Ich freue mich auf die weiteren Beratungen, wo wir alle ganz genau hinschauen werden . Ich glaube, dann ha- Selbst die Mitglieder der Europäischen Zentralbank, aber ben wir am Ende eine richtige Richtlinie gut angepasst auch die BIZ sagen, dass momentan entsprechende Bla- und weiter verbessert . sen entstehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21495

(A) Vizepräsidentin Claudia Roth: Vizepräsidentin Claudia Roth: (C) Herr Radwan, erlauben Sie eine Frage oder Bemer- Was mache ich jetzt? Dann kriegen Sie ein paar Se- kung von ? kunden mehr Redezeit . (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Schick!) Alexander Radwan (CDU/CSU): Noch einmal zum ersten Punkt, den ich erwähnt habe: Alexander Radwan (CDU/CSU): Wo stehen wir zehn Jahre nach der Regulierung? Das ist mir ernst, weil wir jetzt damit konfrontiert sind, zu sagen, Von mir aus auch von beiden . dass Blasen entstehen . Ich habe auf die EZB hingewie- sen . Sowohl bei der jetzigen Entwicklung als auch beim Vizepräsidentin Claudia Roth: Ausstieg werden wir mit Verwerfungen am Finanzmarkt Weil Sie so groß sind, Herr Radwan, haben Sie Herrn rechnen müssen . Darum ist es für mich ein Paradigmen- Schick verdeckt . wechsel, indem wir sagen: Zukünftig braucht die BaFin, braucht die Finanzaufsicht gewisse Flexibilitäten .– Des- halb ist es zu wenig, den Immobilienbereich alleine an- Alexander Radwan (CDU/CSU): zuschauen . Herr Schick hat gesagt, man sollte es von pri- Ich bin nicht groß, sondern breit . vaten Immobilien auf Gewerbeimmobilien ausdehnen . Meine Damen und Herren, wenn dieses Gesetz verab- Vizepräsidentin Claudia Roth: schiedet ist, wird es weitere Ausdehnungen geben, um Ihr breiter Rücken hat ihn verdeckt .– Gestatten Sie es entsprechend präventiv darauf hinzuwirken . Von daher oder nicht? haben wir ganz klare Bedingungen an ein solches Gesetz . Die parlamentarischen Berichts- und Kontrollpflich- Alexander Radwan (CDU/CSU): ten müssen gecheckt sein . Es darf keinen Freifahrtschein Ja . geben . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Vizepräsidentin Claudia Roth: der SPD) Gut . – Herr Schick . Es muss klar sein, unter welchen Bedingungen und mit welchem Verfahren die BaFin und die Bundesbank han- Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): deln dürfen . Hier könnten wir nach Frankreich schauen . In (B) Herr Radwan, wenn ich richtig informiert bin, hat die Frankreich gibt es einen Rat zur Lage des Finanzmarktes . (D) CSU beschlossen: Bei uns würde das bedeuten, dass Experten von Bundes- bank, von BaFin, von Bundestag – bei uns könnten auch Ein Ermächtigungsgesetz, das der Bundesanstalt für der Bundesrat, BMF und auch Marktteilnehmer berufen Finanzdienstleistungsaufsicht . . selbständige Ein- werden – regelmäßig etwas zur Lage am Finanzmarkt griffsmöglichkeiten gibt, lehnen wir ab . sagen . Gleichzeitig halte ich es für dringend notwendig, Gilt das in Bezug auf das heute vorliegende Gesetz? dass wir die existierende Regulierung anschauen . Dieses Finden Sie es richtig, dass man dieses Gesetz macht? Gesetz zeigt uns, dass wir mit allen gesetzgeberischen Was heißt diese Position? Maßnahmen, die wir bisher ergriffen haben, weiß Gott nicht alle Eventualitäten abdecken können . Wir haben auch in manchen Bereichen zu viel gemacht . Darum ist Vizepräsidentin Claudia Roth: es parallel dazu notwendig, sich anzuschauen, wo wir Sie können antworten . zu viel gemacht haben, was nicht zur Finanzstabilität geführt hat, sondern Bürokratie erzeugt hat und somit Alexander Radwan (CDU/CSU): kundenunfreundlich und bankenunfreundlich ist . Wenn Antworten muss ich auf diese Frage nicht . Herr Schick etwas bankenunfreundlich ist, meine Damen und Herren, hätte nur warten müssen, bis meine Rede zu Ende ist . dann kann es auch kundenunfreundlich sein . (Dr .Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE Hier bin ich beim nächsten Gesetz, das wir entspre- GRÜNEN]: Dann hätte ich nicht mehr fragen chend überprüfen – Kollege Hauer ist sehr intensiv da- können!) rauf eingegangen –: die Umsetzung der Wohnimmo- bilienkreditrichtlinie . Wir sind hier mit der Situation konfrontiert, dass entsprechende Gesetze unklar sind und Vizepräsidentin Claudia Roth: dass aufgrund dessen, dass unklar ist, wie in einigen Jah- Nein, Ihre Redezeit wird doch angehalten . ren die Rechtsprechung sein wird, die Marktteilnehmer bereits heute entsprechend reagieren . Das richte ich ins- Alexander Radwan (CDU/CSU): besondere an Minister Maas und seinen Staatssekretär, Die Antwort ergibt sich aus meiner Rede, ganz ein- die intensiv zuhören . Schauen wir uns im Bankenbereich fach . die Rechtsprechung bei den AGBs bezüglich der Zinsen an . Nicht die armen schützenswerten Verbraucher, son- (Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE dern hochfindige Juristen haben herausgebracht, wie ich GRÜNEN]: Dann sind wir gespannt!) rückwirkend aus meinem Darlehensvertrag durch Kün- 21496 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Alexander Radwan (A) digen herauskommen und die jetzt interessanten Zinsen Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) bekommen kann . Wir, der Gesetzgeber, müssen heute Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen konkret arbeiten, um nicht eine Verselbstständigung nach und Kollegen! Es geht heute um die Verantwortung von fünf oder zehn Jahren durch die Rechtsprechung zuzulas- Unternehmen, um verbindliche Sorgfaltspflichten, um sen . Das ist der Anspruch an ein solches Gesetz . soziale und ökologische Leitlinien für Wirtschaftsbetrie- (Beifall bei der CDU/CSU – Dr . h . c . Hans be. Es geht aber nicht nur darum, diese Pflichten zu nor- Michelbach [CDU/CSU]: Nicht unbestimmt!) mieren, sondern auch darum, wie damit umzugehen ist, wenn Unternehmen sich nicht daran halten . Sowohl zur Darum werden wir dieses Gesetz intensiv beraten . Normierung internationaler Standards als auch zur Frage Noch einmal: Wir sagen schlicht und ergreifend: Es darf der Sanktionen nach deutschem Recht haben wir heute keinen Blankoscheck an die BaFin durch das Parlament jeweils eine grüne Initiative aufgesetzt, die wir mit Ih- geben . Wir müssen die Regulierung entsprechend kon- nen debattieren wollen . Zu den internationalen Standards trollieren . Das erwarten wir durch die Expertise der An- wird mein Kollege Kekeritz anschließend sprechen . hörung und durch eine kritische Beratung . Zunächst zur deutschen Rechtslage . Warum müssen Besten Dank, meine Damen und Herren . wir über Sanktionen sprechen? Viele deutsche Unterneh- men bemühen sich heute bereits, gesetzestreu zu wirt- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Ab- schaften und Umwelt- und Sozialstandards einzuhalten . geordneten der SPD – Dr .Axel Troost [DIE Umso wichtiger ist es aber, solche Unternehmen, die ge- LINKE], an den Abg . Uwe Kekeritz [BÜND- gen die Rechtsordnung verstoßen, zur Verantwortung zu NIS 90/DIE GRÜNEN] gewandt: Jetzt hast du ziehen . Denn diese Unternehmen verzerren den Wettbe- es herausgehört!) werb und schaden den Unternehmen, die sich rechtstreu verhalten . Vizepräsidentin Claudia Roth: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vielen Dank, Kollege Radwan .– Damit schließe ich NEN sowie des Abg . Niema Movassat [DIE die Aussprache . LINKE]) Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Nur wenn Rechtsverstöße konsequent verfolgt und effek- wurfs auf Drucksache 18/10935 an die in der Tagesord- tiv geahndet werden, können Sanktionen auch präventive nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Ich sehe Wirkung entfalten . und höre keine anderen Vorschläge . Dann ist das so be- schlossen . Der VW-Skandal hat es uns noch einmal vor Augen (B) geführt: Unternehmen werden für Rechtsverstöße in an- (D) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b auf: deren Ländern durchaus härter sanktioniert, als es bei uns in Deutschland der Fall ist . In den USA läuft das vielfach a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja über einen Strafschadensersatz, der unserer Rechtsord- Keul, Renate Künast, Uwe Kekeritz, weiterer nung fremd ist . Seit Jahren gibt es daher eine Diskus- Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ sion um ein sogenanntes Unternehmensstrafrecht oder DIE GRÜNEN Verbandsstrafrecht für Deutschland . Konkrete Entwürfe konnten allerdings bislang nicht überzeugen . Zukunftsfähige Unternehmensverantwor­ tung – Wirksame Sanktionen bei Rechtsver­ Ich halte es auch für wenig aussichtsreich, die Nor- stößen von Unternehmen men unseres Strafgesetzbuches, das auf die individuelle Schuld eines Menschen ausgerichtet ist, auf juristische Drucksache 18/10038 Personen zu übertragen . Im Gegenteil: Konzerne würden b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe als Beschuldigte in einem Strafverfahren Schutzrechte Kekeritz, Katja Keul, Renate Künast, weiterer wie das Schweigerecht und das Recht, sich nicht selbst Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ zu belasten, erhalten . Das kann nicht sein . Ein Schwei- DIE GRÜNEN gerecht für Wirtschaftsunternehmen darf es schon rein denklogisch nicht geben . Dadurch würde man die Un- Zukunftsfähige Unternehmensverantwor­ ternehmen nämlich von sämtlichen Aufklärungs- und tung – Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten Mitwirkungspflichten entbinden, und Ermittlungsmaß- im deutschen Recht verankern nahmen würden dadurch erschwert . Drucksache 18/10255 Deswegen wollen wir Grüne einen anderen Weg ge- hen . Basis für eine wirksame und effektive Sanktionie- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für rung von Unternehmen soll weiterhin das Gesetz über die Aussprache 60 Minuten vorgesehen .– Auch da höre Ordnungswidrigkeiten sein, auch wenn der Name dieses ich keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . Gesetzes zu Unrecht suggeriert, dass hier nur Lappalien Wenn Sie die Plätze getauscht oder eingenommen ha- erfasst wären . Das OWi-Gesetz hat nämlich den Vorteil, ben, kann ich die Aussprache eröffnen . dass der Staat nicht erst die individuelle Schuld einer Person ermitteln muss, um Sanktionen zu verhängen; es Ich eröffne die Aussprache und gebe als erster Red- reicht, dass der Schaden nachweisbar aus dem Unterneh- nerin Katja Keul für Bündnis 90/Die Grünen das Wort . men heraus verursacht wurde . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21497

Katja Keul (A) Auf der anderen Seite haben die Vorschriften im Vielen Dank . (C) OWi-Gesetz etliche Schwachstellen, die dringend beho- ben werden müssen, um eine effektive Rechtsdurchset- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zung sicherzustellen . Vizepräsidentin Claudia Roth: Da ist zum einen das Legalitätsprinzip, das im Straf- Vielen Dank, Katja Keul .– Nächster Redner: Dr .Jan- recht gilt und bedeutet, dass der Staat kein Ermessen hat, Marco Luczak für die CDU/CSU-Fraktion . sondern ermitteln muss, wenn er von einer Straftat er- fährt. Diese Ermittlungspflicht muss künftig auch gegen- (Beifall bei der CDU/CSU) über juristischen Personen gelten . (CDU/CSU): (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dr. Jan-Marco Luczak Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Die Verfolgung von Rechtsverstößen durch Unterneh- Herren! Unternehmen müssen sich an Regeln halten . men muss für die Behörden verpflichtend sein und darf Recht und Gesetz sind für jedermann verbindlich, auch nicht – anders als bislang im OWiG – in ihrem Ermessen für Unternehmen . Das ist selbstverständlich . Genauso stehen . selbstverständlich ist es, dass Regelverstöße sanktioniert werden müssen . Zum Zweiten muss die Möglichkeit geschaffen wer- den, Auslandstaten zu verfolgen, wenn diese durch ein in Eine Rechtsordnung, die die durch sie eingeräumten Deutschland ansässiges Unternehmen begangen wurden . Rechte und Pflichten nicht effektiv durchzusetzen - ver Im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht fehlt dieser in- mag, entwertet sich selbst . Eine Rechtsordnung bedarf ternationale Bezug bislang . daher eines effektiven Sanktionsinstrumentariums, um ihre Akzeptanz gerade bei denjenigen aufrechtzuerhalten, Zum Dritten sind die im Strafrecht vorgesehenen Sank- die sich rechtstreu verhalten . Deswegen ist die Verteidi- tionsmöglichkeiten für Unternehmen ungeeignet bzw . zu gung unserer Rechtsordnung – dem fühlt sich die Union eng . So scheidet eine Freiheitsstrafe für Konzerne schon als Rechtsstaatspartei in besonderer Weise verpflichtet – denklogisch aus . Den Sanktionskatalog wollen wir da- ganz in unserem Sinne, und das gilt in allen Bereichen her erweitern . Das kann etwa durch den Ausschluss von der Gesellschaft, auch im Bereich der Wirtschaft . Wir ha- der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, durch Verweise ben deswegen im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir oder Warnungen oder auch durch die Veröffentlichung ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne von Sanktionen geschehen . prüfen .

(B) Die Deckelung der finanziellen Sanktionen bei 10 Mil- Ich will aber gar nicht verhehlen, dass ich persönlich – (D) lionen Euro ist zu starr und niedrig . Die Sanktionen sol- hier schließt sich dann auch wieder der Kreis zum Antrag len sich künftig auch der Höhe nach an dem durch die der Grünen – einem eigenen Unternehmensstrafrecht Tat erlangten unrechtmäßigen Gewinn orientieren . Ein skeptisch gegenüberstehe, und das aus sehr grundsätz- Beispiel: Rheinmetall hat im Jahr 2013 wegen Schmier- lichen Erwägungen heraus . Es entspricht nämlich dem geldzahlungen einen unrechtmäßigen Gewinn in Höhe Menschenbild nicht nur unseres Strafgesetzbuches, son- von 36 Millionen Euro abführen müssen, aber dazu eine dern vor allen Dingen auch dem Menschenbild unseres Geldstrafe von nur 300 000 Euro gezahlt . Diese Schief- Grundgesetzes, dass die Sanktionierung eines Verhaltens lage zwischen Risiko und Gewinn ist geradezu eine Auf- als strafbare Handlung persönliche Verantwortung und forderung, es darauf ankommen zu lassen, und das kann individuelle Schuld voraussetzt . nicht sein . (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Das ist in § 17 unseres Strafgesetzbuches als grundle- gendes strafrechtliches und auch verfassungsrechtliches Bei der Berechnung des unrechtmäßig erlangten Ge- Prinzip manifestiert . winns soll künftig außerdem das Bruttoprinzip gelten, das heißt, dass das Unternehmen keine Betriebsausgaben (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: in Abzug bringen darf, die zur Erlangung des unrechtmä- Da sind wir uns einig!) ßigen Gewinns aufgewandt wurden . Ohne zweifelsfrei nachgewiesene individuelle Schuld Sie sehen: Es gibt viel zu tun . Als Exportnation ha- gibt es keine Strafbarkeit . Eine Verbandsstrafbarkeit er- ben wir letztlich ein existenzielles Interesse daran, das scheint mir mit diesem grundlegenden Prinzip nur sehr Vertrauen in deutsche Wirtschaftsunternehmen und deren schwer vereinbar zu sein . Rechtstreue zu stärken . Und nur zur Erinnerung: In Ih- Ich will mich aber gar nicht so sehr mit unserem Koa- rem Koalitionsvertrag von 2013 steht: litionsvertrag aufhalten, sonst könnte man auch die Frage Mit Blick auf strafbares Verhalten im Unterneh- aufwerfen: Was sind eigentlich multinationale Konzer- mensbereich bauen wir das Ordnungswidrigkeiten- ne? Kann man das mit Blick auf das verfassungsrecht- recht aus . liche Bestimmtheitsgebot hinreichend präzise regeln? Wieso wäre es eigentlich gerechtfertigt, kleine Unterneh- Bislang haben wir dazu von Ihnen nichts gesehen und men gegenüber großen, nämlich multinationalen Kon- nichts gehört . Jetzt können Sie immerhin unsere Vor- zernen, zu privilegieren? Sie sehen, meine Damen und schläge mit uns diskutieren . Ich freue mich darauf . Herren, hier werden viele Zweifel aufgeworfen, Zweifel, 21498 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Dr. Jan-Marco Luczak (A) die auch das Bundesjustizministerium zu haben scheint, und Defizite in den Antrag zu schreiben, ohne sie zu bele- (C) das bis zum heutigen Tage prüft und prüft und prüft, aber gen, machen Sie es sich ein bisschen zu einfach . noch immer keinen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Aus meiner Sicht kann das gerne auch so bleiben . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch sogar in Ihrem Koalitionsver- Kommen wir zum Antrag der Grünen, der alle Tatbe- trag!) stände zur Sanktionierung von Unternehmen in einem Gesetz zusammenfassen und die Regelungen deutlich Sie bleiben, ohne hier eine fundierte Analyse vorzu- verschärfen möchte . Was ist also der Grundgedanke die- nehmen, dabei, dass das alles nicht effektiv sei und man ses Antrags? Zum einen wird behauptet, es gebe einen all die Regelungen, die die Sanktionierung von Unter- systematischen Rechtsbruch von Unternehmen . nehmen betreffen, in einem Gesetz bündeln müsste . Das scheint auf den ersten Blick auch ein gewinnbringender (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gedanke zu sein . Man hat ein einziges Gesetz . Darin NEN]: Na, na, na! Haben Sie nicht zugehört?) kann der Unternehmer nachschlagen, welche gesetzli- Zum anderen wird in dem Antrag behauptet, dass es De- chen Pflichten ihn treffen und wie eine Sanktionierung fizite bei der Ahndung von Regelverstößen gibt. Beides gegebenenfalls aussähe . muss natürlich verifiziert werden, wenn der Antrag der Grünen seine Berechtigung haben will . Ich bin grundsätzlich auch ein Freund umfassender Kodifizierungen. Bereits seit der Einheit haben wir zum Kommen wir zum systematischen Rechtsbruch, der Beispiel den gesetzgeberischen Auftrag, ein einheitliches hier unterstellt wird . Ich muss schon sagen: Natürlich Arbeitsgesetzbuch zu schaffen . Wir haben in unserem gibt es schwarze Schafe in der deutschen Wirtschaft, Koalitionsvertrag auch festgelegt, dass wir ein Staatshaf- natürlich gibt es Unternehmen, die Rechtsverstöße be- tungsrecht kodifizieren wollen. Aber da muss man dann gehen, und da muss man auch ganz klar handeln . Aber schon genau hinschauen . Bei der Zusammenfassung und hier von systematischem Rechtsbruch zu sprechen, das der Schaffung einer konsequenten, in sich kohärenten geht an der Wirklichkeit vorbei . Damit nehmen Sie die Regelung steckt nämlich häufig der Teufel im Detail. Ge- gesamte deutsche Wirtschaft und die vielen kleinen und rade im Bereich der Pflichtenkataloge von Unternehmen mittelständischen Unternehmen, die rechtschaffen sind, sind es die spezifischen Pflichten, die einzuhalten sind, die hart und innovativ arbeiten und auf diese Weise oft und die sind je nach Branche und Tätigkeitsfeld ja ganz auch Weltmarktführer geworden sind, in Haftung . verschieden . Deswegen gibt es diese vielen Spezialge- (Niema Movassat [DIE LINKE]: So ein Un- setze, von denen ich gerade einige aufgezählt habe . Sie sinn! Nur schwarze Schafe wären von dem verfolgen allesamt einen eigenen fachspezifischen Rege- (B) Gesetz betroffen!) lungszweck, haben eine eigene Ratio Legis . Sie haben (D) eine eigene auf Sinn und Zweck der Materie abgestimm- Deswegen sagen wir: Solche unberechtigten Vorwürfe te Systematik, und sie berücksichtigen die Besonderhei- gehen zu weit . Wir wollen nicht alle Unternehmen in ten der jeweiligen Märkte und Tätigkeitsfelder . Kollektivhaftung nehmen, sondern nur diejenigen, die sich wirklich etwas zuschulden kommen lassen . Die Sie von den Grünen aber sagen: Wir müssen all die müssen wir dann entsprechend angehen, meine Damen Sanktionen regeln, die sich in den verschiedenen Spe- und Herren . zialgesetzen befinden, und sie in einem Gesetz zusam- menführen . Aber – und das ist das Bemerkenswerte – die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Strukturen der besonderen spezialgesetzlichen Regelun- Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gen sollen ansonsten unberührt bleiben . Das bedeutet im Das ist genau das, was ich gesagt habe!) Kern: Wir haben die Sanktionsregelungen in dem einen Sie sagen weiter, dass es Defizite bei der Ahndung Gesetz, die jeweiligen Pflichten aber in einem ande- gibt . Wenn ich mir so anschaue, was unsere Rechtsord- ren . Da muss man sich schon fragen: Wie soll das denn nung unseren Unternehmen so an Pflichtenkatalogen auf- funktionieren? Gehalt, Reichweite und Auslegung eines bürdet, dann kann ich eigentlich nicht erkennen, dass es Sanktionstatbestandes erschließen sich doch gerade mit zu wenige Pflichten gibt. Ich kann auch nicht erkennen, Blick auf diese fachspezifischen Regelungszusammen- dass es zu wenige Sanktionstatbestände gibt . Denn wir hänge, die Gesetzessystematik und die Ratio Legis der reden hier ja nicht nur über den Bereich des Straf- und jeweiligen Pflichtenkataloge. Wenn ich also den inneren Ordnungswidrigkeitenrechts, sondern es gibt die vielen Zusammenhang, der zwischen Pflicht auf der einen Seite spezialgesetzlichen Regelungen des besonderen Verwal- und Sanktion auf der anderen Seite besteht, auseinander- tungsrechts, des Umweltrechts, des Handelsgesetzbuchs, reiße und in zwei verschiedenen Gesetzen regele, geht des Aktienrechts, des Marken- und Patentrechts, des der gesamte systematische und teleologische Zusammen- Kreditwesengesetzes, der Börsenaufsichtsgesetze, des hang verloren . Deswegen ist der Vorschlag, den Sie uns Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb, die kartell- hier präsentieren, gesetzessystematisch völlig verfehlt . rechtlichen Normen des BGB . Die Liste ließe sich fast Er würde zu einer enormen Rechtsunsicherheit führen, unendlich fortsetzen . und deswegen können wir ihn nicht mittragen, meine Da- men und Herren . Deswegen muss man einfach feststellen: Es gibt aus- gefeilte Pflichtenkataloge, und es gibt die entsprechen- (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul den behördlichen Eingriffsbefugnisse, und diese werden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die auch konsequent angewandt . Deswegen: Damit, Lücken bisherige Rechtslage!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21499

Dr. Jan-Marco Luczak (A) Schon der Ansatz des Antrags ist fragwürdig . Aber Schäden und einem schwerwiegenden Fehlverhalten, ist (C) schauen wir einmal auf die uns vorgeschlagenen konkre- es so, dass sich das Verfolgungsermessen der Behörden ten Dinge . Zum Beispiel wird hier die Schaffung eines regelmäßig auf null reduziert . Das heißt, das Opportuni- öffentlichen Sanktionenregisters vorgeschlagen . Ich hatte tätsprinzip weicht in der Sache einem Legalitätsprinzip . immer gedacht, seit der Peinlichen Halsgerichtsordnung Das heißt, die Behörden müssen einschreiten . Deswegen Kaiser Karl V . 1532 sei der Pranger abgeschafft worden, gibt es an dieser Stelle aus unserer Sicht auch keinen und muss nun zur Kenntnis nehmen, die Grünen wollen Handlungsbedarf . an dieser Stelle offensichtlich zurück ins Mittelalter . Man kann sich aber Folgendes wirklich einmal an- (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schauen: Momentan liegt die Zuständigkeit in aller Regel NEN) bei den Amtsgerichten . Da wir von erheblichen Schäden und komplexen wirtschaftlichen Zusammenhängen spre- Während das noch mit einem Schmunzeln hingenommen chen, kann man überlegen: Sind die Amtsgerichte damit werden könnte, so stellt man bei Betrachtung der anderen möglicherweise sachlich und personell überfordert? Man dort vorgeschlagenen Maßnahmen – zum Beispiel der kann darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll wäre, die- Strukturmaßnahmen als Strafe – fest, dass dort gemeint se Zuständigkeit den Wirtschaftsstrafkammern bei den ist, dass man Unternehmen zerschlagen, sie unter staat- Landgerichten zu übertragen . Es gibt viele Punkte, über liche Kuratel stellen und einen Staatskommissar einset- die man nachdenken kann, um die Sanktionsmechanis- zen kann, und zwar nicht nur für einzelne Unternehmen, men effektiv zu machen . sondern ganze Unternehmenszweige . Damit bewegt man sich auf dem direkten Weg in eine staatlich beaufsichtigte Abschließen möchte ich mit einer Bemerkung: Sie und gelenkte Volkswirtschaft . Das ist nun wirklich Sozia- setzen sehr stark auf die Abschreckungswirkung von lismus pur, und das können wir nicht mitmachen . Sanktionen . Sie schreiben, dass sie einen starken präven- tiven Effekt haben und zu rechtstreuem Verhalten füh- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ren sollen . Diese Argumentation wundert mich schon ein Lachen bei der LINKEN und dem BÜND- bisschen; denn wenn wir sagen, wir wollen das Strafrecht NIS 90/DIE GRÜNEN – Uwe Kekeritz zum Beispiel im Bereich der Terrorismusbekämpfung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommt verschärfen, lehnen Sie diese Argumentation mit aller- der Kommunismus gleich hinterher! Das ist größter Vehemenz ab . der Weltuntergang! – Renate Künast [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Luczak, wer hat (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ihnen das aufgeschrieben?) NEN]: Weil bestehendes Recht nicht ange- wandt wird! Das ist doch das Problem!) Da muss man sich auch einmal fragen: Wen träfe denn (B) (D) eigentlich die Zerschlagung eines solchen Unterneh- Hier tun sich massive Widersprüche in Ihrer Argumenta- mens? Die Leidtragenden wären tatsächlich die Arbeit- tion auf . Aber man sagt ja: Einsicht ist der erste Schritt nehmer und die Kunden des Unternehmens . Die haben zur Besserung . Wir werden Sie daran erinnern . doch aber mit dem Fehlverhalten der aufsichtführenden Personen eines Unternehmens überhaupt nichts zu tun . Heute jedenfalls werden wir Ihren Antrag ablehnen, Nein, mit diesen Vorschlägen treffen Sie wirklich die weil er im Ansatz verfehlt ist und viele Maßnahmen Falschen, und das stünde auch wieder nicht im Einklang vorgeschlagen werden, die die Falschen treffen würden, mit einem materiell-rechtlich verstandenen Schuldprin- die nicht zielführend sind . Deswegen können wir das so zip . nicht mittragen . (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Danke . NEN]: Sie kommen doch von einer christli- (Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul chen Partei! Was reden Sie da!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt Deswegen können wir das an dieser Stelle nicht mitma- wenig überzeugend!) chen, meine Damen und Herren . Vizepräsidentin Claudia Roth: Richtig ist: Wir müssen uns das Ordnungswidrigkei- Vielen Dank, Herr Kollege .– Nächster Redner: Niema tenrecht anschauen und können auch darüber nachden- Movassat für die Linke . ken, ob es geschärft werden muss . Wir haben da in den letzten Jahren auch einiges gemacht . Erst 2013 haben (Beifall bei der LINKEN) wir die möglichen Strafen verzehnfacht, von 1 Million auf 10 Millionen Euro . Das ist schon mal was . Aber na- Niema Movassat (DIE LINKE): türlich muss man schauen, ob diese Sanktionen effektiv Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich sind . Man kann darüber nachdenken, sie noch weiter zu 2009 in den Bundestag einzog, baute ThyssenKrupp in verschärfen . der Bucht von Sepetiba, in Brasilien, gerade das größte Was ich nicht verstehen kann, ist Ihre Kritik, es gäbe Stahlwerk Lateinamerikas . Damals berichtete ein brasi- keinen Verfolgungszwang im Ordnungswidrigkeiten- lianischer Fischer hier im Bundestag, wie durch diesen recht . Es ist zwar richtig, dass das Ordnungswidrigkei- Bau die Lebensgrundlagen Tausender Fischerfamilien tenrecht dem Opportunitätsprinzip folgt, aber man muss zerstört wurden . Er selbst erhielt vom Wachschutz von sich das natürlich genau anschauen . Bei den Konstella- ThyssenKrupp sogar Morddrohungen, weil er den Kon- tionen, über die wir hier gerade reden, also bei großen zern öffentlich kritisierte . Er wurde unter den Schutz 21500 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Niema Movassat (A) des staatlichen Menschenrechtsprogramms gestellt und sollten nationale Aktionspläne erarbeiten . Drei Jahre lang (C) musste untertauchen . Das ist ein schockierendes Beispiel passierte in Deutschland erst einmal gar nichts . Erst 2014 dafür, wie ein deutsches Unternehmen im Ausland Men- fing man hierzulande an, einen Prozess zur Erstellung des schenrechte mit Füßen trat . Die Politik hier in Deutsch- Aktionsplans zu starten; besonders eilig hatte man es also land muss alles tun, um solche Menschenrechtsverstöße nicht . zu verhindern . Es dauerte dann fast noch drei Jahre, bis wir ein Ergeb- (Beifall bei der LINKEN) nis hatten . Seit diesem Jahr haben wir zwar endlich einen Acht Jahre sind seitdem vergangen . Das Stahlwerk Aktionsplan, aber er ist leider kaum das Papier wert, auf war ein wirtschaftliches Desaster für ThyssenKrupp . dem er steht . So heißt es darin, dass die Bundesregierung Aber das Unternehmen hat sich davon weitgehend erholt . erwartet, dass 50 Prozent der deutschen Unternehmen Die Existenz der Fischer dort bleibt aber zerstört . Der mit über 500 Mitarbeitern bis 2020 menschenrechtliche Fall hätte eigentlich Mahnung sein müssen . Aber auch Sorgfaltspflichten walten lassen – nur eine Erwartung, heute noch missachten deutsche Konzerne Menschen- keine Verpflichtung, keinerlei Sanktionsandrohung bei rechte im Ausland . Laut einer Studie der Uni Maastricht Missachtung . belegen sie bei Menschenrechtsverstößen weltweit sogar Richtig wäre, zu sagen: Ab sofort müssen alle deut- Rang fünf . schen Unternehmen, die im Ausland produzieren oder Obwohl der Bundestag gefühlt schon hundertmal über produzieren lassen, sorgfältig prüfen, ob sie damit die das Thema Unternehmensverantwortung diskutiert hat, örtliche Umwelt ungebührend zerstören oder die ansäs- ist praktisch nichts passiert. Ich finde, es ist ein Skandal, sige Bevölkerung vertreiben .– Das ist doch nicht zu viel dass diese Bundesregierung immer noch wegschaut bei verlangt . Menschenrechtsverstößen deutscher Konzerne . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- NIS 90/DIE GRÜNEN – Christoph Strässer neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) [SPD]: Steht im Nationalen Aktionsplan drin!) Schon damals, 2009, war eigentlich klar, was passie- Sie von der Bundesregierung wollen aber lieber bis ren musste, nämlich die Festschreibung sozialer und öko- 2020 abwarten, um zu schauen, ob Sie dann endlich et- logischer Mindeststandards, die verbindlich sind für die was tun . Bis 2020 werden neun Jahre vergangen sein, Tätigkeit deutscher Unternehmen im Ausland . Die De- seit die UN ihre Leitlinien verabschiedet haben – neun batte hat sich seitdem im Grundsatz nicht geändert . Die Jahre, in denen Unternehmen problemlos weitermachen Bundesregierung setzte und setzt auf freiwillige Selbst- konnten bzw . können wie bisher . Sie von der Regierung (B) verpflichtungen der Unternehmen. Aber Menschenrech- haben noch nicht einmal finanzielle Mittel zur Verfü- (D) te und Mindeststandards gehören nicht dem Gutdünken gung gestellt, um 2020 überhaupt eine Prüfung vorneh- der Konzerne überlassen . Sie müssten gesetzlich festge- men zu können, ob die Unternehmen Ihre Erwartungen schrieben sein . erfüllt haben . Ich gehe jede Wette ein: Selbst wenn die Unternehmen Sie mit Ihren Erwartungen im Regen ste- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- hen lassen, werden Sie auch 2020 keine gesetzlichen neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verpflichtungen auf den Weg bringen. Haben Sie doch Der Irrsinn ist doch sonst, dass diejenigen Konzerne, einmal wenigstens das Rückgrat, und geben Sie zu, dass die sich freiwillig höhere Standards setzen, einen Wettbe- Verpflichtungen für die Wirtschaft für Sie aus wirtschaft- werbsnachteil haben gegenüber denjenigen Konzernen, lichen Interessen offenbar nicht infrage kommen . Sie die darauf pfeifen . Menschenrechtswidriges Handeln als von der Bundesregierung spielen gemeinsam mit Wirt- möglicher Wettbewerbsvorteil – das nimmt die Bundes- schaftsvertretern auf Zeit, und das ist eine Schande . regierung in Kauf. Ich finde das unerträglich. (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Und das Textilbündnis? Der Modeverband German- Jetzt sagt die Bundesregierung natürlich, sie habe ja Fashion rühmte sich letztes Jahr damit, alle problemati- was getan . Zum einen hat Entwicklungsminister Müller schen Punkte aus dem Bündnis rausverhandelt zu haben; nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bang- es gebe keine Verbindlichkeit mehr . Der Modeverband ladesch 2013, bei der über 1 100 Menschen starben, das empfahl seinen Mitgliedern, beizutreten; denn sie begä- Textilbündnis ausgerufen . Zum anderen fand unter Lei- ben sich damit unter den Schutzschirm der Bundesregie- tung des Auswärtigen Amtes die Erarbeitung des Nati- rung, ohne etwas leisten zu müssen . Diese Aussage lässt onalen Aktionsplans „Wirtschaft und Menschenrechte“ tief blicken . Das Textilbündnis ist völlig unambitioniert . statt . Beide Initiativen enthalten viele schöne Absichts- Es geht um Greenwashing, um gute öffentliche Wahrneh- erklärungen, aber die ergriffenen Maßnahmen sind nur mung für die Textilkonzerne . Die deutschen Textilunter- Augenwischerei und bestehen aus vielen Feigenblättern . nehmen, die Mitglied des Bündnisses geworden sind, dürfen sich jetzt freiwillig individuelle Verbesserungen Schauen wir uns einmal die Ergebnisse des Nationalen aussuchen, die sie innerhalb von einem Jahr erreichen Aktionsplans an . Schon 2011 hatten die Vereinten Natio- wollen . Es gibt also keine festen Regeln für alle, sondern nen in ihren Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrech- jeder macht, was er will . te gefordert, dass Unternehmen Menschenrechtsverstöße in der gesamten Wertschöpfungskette ausschließen sol- Unternehmen wie KiK und Primark sind maßgeb- len . Die Mitgliedstaaten der UN, also auch Deutschland, lich verantwortlich für die Preisdrückerei in der Textil- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21501

Niema Movassat (A) branche. Weil sie nicht bereit sind, auf etwas Profit zu Dr. Johannes Fechner (SPD): (C) verzichten, schuften die Menschen unter sklavenartigen Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bedingungen . Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Nicht zuletzt der (Dr . [CDU/CSU]: Die Verbrau- VW-Skandal hat uns deutlich vor Augen geführt, dass cher, die es kaufen!) wir in Deutschland schärfere Sanktionen benötigen, um Unternehmen dazu zu bringen, sich gesetzestreu zu ver- Die KiK-Manager haben in den vergangenen Jahren zig- halten . Schon im Koalitionsvertrag haben wir deshalb fach bewiesen, dass ihnen die Situation in den Fabriken entsprechend geregelt, dass wir das Ordnungswidrig- völlig egal ist . Jetzt sollen sie freiwillig nur das verbes- keitenrecht ausbauen wollen und dass wir konkrete und sern, was sie wollen, und wenn sie dann vielleicht so nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmens- doof sind, ihre eigenen Ziele nicht einzuhalten, fliegen bußen benötigen; denn offensichtlich reicht die heutige sie als Höchststrafe aus dem Textilbündnis? Das ist doch Rechtslage, reicht das Sanktionsinstrumentarium nicht ein schlechter Witz . So wird nichts besser für die Nähe- aus . Wir können zwar die Täter bestrafen, die in Unter- rinnen in Bangladesch . Das ist totale Augenwischerei, nehmen tätig sind und strafbare Handlungen begehen; was Sie hier betreiben . aber wir können nicht gegen das Unternehmen selbst vorgehen . Gerade der VW-Skandal hat uns gezeigt, dass (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- insbesondere Verbraucherinnen und Verbraucher auf ei- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen solchen Schutz durch spürbare Geldsanktionen an- gewiesen sind, etwa in den USA, liebe Kolleginnen und Dass einem privatwirtschaftlich organisierten Kon- Kollegen . zern der Profit wichtiger ist als Menschenrechte, liegt am kapitalistischen Wirtschaftssystem . Gerade deshalb ist (Beifall bei der SPD) es originäre Aufgabe der Politik, hier regulierend einzu- greifen . Statt aber ihrer Verantwortung nachzukommen, In Deutschland diskutieren wir seit Jahrzehnten härte- ordnen SPD und Union die Durchsetzung von Men- re Sanktionen . In anderen Ländern, etwa in der Schweiz schenrechten lieber den Profitinteressen deutscher Un- oder in Holland, gibt es sie bereits. Ich finde, dass wir, ternehmen unter . Sie versuchen sogar, so zu tun, als ob auch wenn wir heute eine Unternehmenskriminalität ha- am Ende die Verbraucher die eigentlich Verantwortlichen ben, nicht alle Unternehmen unter einen Generalverdacht wären. Das ist ein besonders perfider Trick. stellen dürfen – auf keinen Fall, lieber Marco Luczak –; aber dass es dort eben auch schwarze Schafe gibt, das (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist Realität . Deswegen muss die Antwort eines starken NEN]: Jawohl!) Staates sein, hierfür Sanktionen gesetzlich zu regeln, die (B) für die Unternehmen spürbar sind, liebe Kolleginnen und (D) Denn mittlerweile gibt es Hunderte Siegel für alles Mög- Kollegen . liche in Deutschland . Kein Mensch kann da durchbli- cken. Die Informationen sind zudem häufig nicht einmal (Beifall bei der SPD) nachprüfbar . Sie könnten diesen Siegelwahnsinn mit ei- Ich finde, es liegt gerade auch im Interesse der Un- nem Schlag beenden, indem Sie allgemeingültige Regeln ternehmen, dass sich Mitbewerber eben keinen illegalen für alle Unternehmen und alle Produkte schaffen . Wettbewerbsvorteil verschaffen, indem sie eben durch (Christoph Strässer [SPD]: Genau!) Gesetzesverstöße billiger produzieren können, indem sie etwa Aufträge durch Korruption bekommen . Genau das Also, wenn Sie es ernst meinen, könnten Sie sofort wollen wir verhindern . Genau das ist im Sinne der Wirt- handeln . Sie könnten ein Unternehmensstrafrecht ein- schaft und insbesondere des Mittelstandes: dass diejeni- führen, Unternehmen verpflichten, ihre Lieferketten gen, die betrügen, eben keinen Wettbewerbsvorteil haben transparent zu machen, und klare Sorgfaltspflichten für und sie dadurch keine Gewinne einfahren, sondern dass Konzerne gesetzlich verankern . Wir sollten hier nicht der Ehrliche eben nicht der Dumme ist . Das gilt auch in noch hundert Debatten zu diesem Thema führen; denn diesem Bereich, liebe Kolleginnen und Kollegen . Lösungen liegen vor, zum Beispiel in den Anträgen der Grünen heute und dem Antrag von uns Linken aus 2015 . (Beifall bei der SPD – Katja Keul [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen stimmen Handeln Sie endlich! Sorgen Sie dafür, dass Unterneh- Sie den Grünen zu!) men, die Menschenrechte verletzen, zur Rechenschaft Deswegen reicht der Bußgeldrahmen, wie wir ihn gezogen werden! heute im Ordnungswidrigkeitengesetz haben – dort gibt Danke schön . es eine Höchstgrenze von 10 Millionen Euro –, nicht aus . Das ist viel zu wenig, wenn wir uns anschauen, wie vie- (Beifall bei der LINKEN) le Millionen – ein Vielfaches von diesen 10 Millionen – etwa bei dem prominenten Fall in München durch eine kriminelle Handlung an Gewinn eingefahren wurden .

Vizepräsidentin Claudia Roth: Deswegen müssen wir diesen Rahmen von 10 Millionen Vielen Dank, Kollege Movassat .– Nächster Redner: Euro deutlich erhöhen . Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD) sowie bei Abgeordneten der SPD) 21502 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Dr. Johannes Fechner (A) Auch ich finde, wir müssen das Opportunitätsprinzip, Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den (C) das wir im Ordnungswidrigkeitenrecht haben, einschrän- Grünen, fordern, dass eine Umgehung der Haftung durch ken; denn ansonsten haben wir das Risiko, dass von bestimmte Unternehmensstrukturierungen verhindert Landgerichtsbezirk zu Landgerichtsbezirk unterschiedli- werden muss, dann ist auch das richtig . Aber an diesem che Sanktionen drohen . Thema sind wir ebenfalls schon dran; darüber diskutieren wir im Rahmen der GWB-Novelle . (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das haben wir alles gesagt!) Ein wichtiger Punkt – ich möchte ausdrücklich loben, dass Sie diese SPD-Forderung in Ihren Antrag aufge- Ich bin auch der Meinung, dass wir klare Regeln da- nommen haben – ist der Schutz der Whistleblower . für finden müssen, dass die Geldbußen an der Ertrags- kraft eines Unternehmens orientiert sein müssen, sodass (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kein Unternehmen einfach aus der Portokasse eine kleine Das ist eine Grünenforderung!) Geldbuße bezahlt und anschließend das illegale Handeln fortgesetzt wird. Nein, auch hier, finde ich, müssen wir Meine Fraktion hat schon in der letzten Legislaturperi- eingreifen . ode einen Gesetzentwurf dazu vorgelegt . Die Situation ist ja so, dass Hinweisgeber ihr Wissen oft nur dann of- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) fenbaren, wenn sie keine gravierenden Nachteile für sich Ich würde noch weiter gehen . Ich meine, der nord- befürchten müssen . Etwa im Lebensmittelbereich konn- rhein-westfälische Justizminister Thomas Kutschaty ten dadurch Skandale aufgedeckt und abgestellt werden, hat auch zu diesem Thema einen sehr interessanten Vor- sodass Millionen von Verbrauchern nun besser geschützt schlag gemacht, einen interessanten Gesetzentwurf vor- sind, weil sie keine giftigen oder verdorbenen Lebens- gelegt, übrigens ausformuliert, anders als die Grünen . mittel zu sich nehmen müssen . Wenn wir zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher wollen, dass Hin- (Dr .V olker Ullrich [CDU/CSU]: Der Ge- weisgeber ihr Wissen auch weiterhin offenbaren, dann setzentwurf ist aber nicht gut! – Katja Keul brauchen wir eine Regelung, die etwa verhindert, dass [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist aber Whistleblowern gekündigt werden kann . durchgefallen!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie – Von euch haben wir einmal mehr nur ein Sammelsuri- des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE um von Fragen . GRÜNEN]) Der Vorschlag von Kutschaty ist, kriminelle Unter- Wir sind dazu bereit . Wir bedauern sehr, dass eine solche nehmen von öffentlichen Vergaben auszuschließen oder (B) Regelung von der Union verhindert wird . Das kann nicht (D) für solche Unternehmen Subventionen auszuschließen . sein . Dies ist ein ganz wichtiges Handlungsfeld, auf dem Auch diese Sanktionen halte ich für sinnvoll, und genau wir tätig werden müssen, liebe Kolleginnen und Kolle- diesen Weg sollten wir gehen . gen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katja des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann GRÜNEN] – Dr .Jan-Marco Luczak [CDU/ gehen Sie ihn doch!) CSU]: Willkommen im Wahlkampf! Das ist Zu dem Antrag der Grünen zu den Sanktionen: Daran der Schulz-Effekt! – Dr .V olker Ullrich [CDU/ stört mich schon einmal, dass Sie keinen konkreten Vor- CSU]: Glauben Sie, dass Sie attraktiv sind, schlag machen, wie Sie die Dinge im Gesetz formulieren wenn Sie hier nur jammern?) wollen . Vielmehr kommt einmal mehr ein langer Forde- – Es ist keine 24 Stunden her, dass wir einen Kanzlerkan- rungskatalog mit recht unbestimmten Fragen, die im Üb- didaten haben, und bei euch bricht schon Panik aus . Das rigen teilweise unnötig sind, weil die Bundesregierung ist eine hochinteressante Entwicklung . schon Gesetzesvorschläge dazu vorbereitet hat . (Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Lachen (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: bei der CDU/CSU – Dr . Jan-Marco Luczak Sie haben ja auch keinen geschrieben! Wo ist [CDU/CSU]: Vielleicht sollten wir Händchen denn Ihr Gesetzentwurf?) halten!) Zum Beispiel ist es ja sinnvoll, wie Sie fordern, dass Wir haben noch acht Monate vor uns . Ich bin gespannt, wir eine Verbesserung bei der Einziehung von Vermö- wie sich Stimmung und Blutdruck bei euch entwickeln . gen, bei der Vermögensabschöpfung vornehmen . Genau diesen Gesetzentwurf hat Justizminister Maas vorgelegt . Ich komme zum Schluss . Der Grünenantrag enthält Es ist ein sehr guter Entwurf, und ich hoffe, dass die Uni- sehr viele Forderungen, die von uns – das gilt etwa für onskollegen diesen sinnvollen, diesen wichtigen Entwurf die Vermögensabschöpfung – in gewohnt seriöser Ma- nicht blockieren, sondern dass wir hier zu einer Regelung nier schon umgesetzt werden . kommen, sodass der Grundsatz gilt: Verbrechen darf sich nicht lohnen .– Diesen Gesetzentwurf brauchen wir drin- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE gend . GRÜNEN]: Dann stimmen Sie doch zu! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der SPD) Stimmt doch einfach zu!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21503

Dr. Johannes Fechner (A) Darüber hinaus sind einige Forderungen zu unbestimmt, in Anspruch genommen hat, als zunächst einmal ange- (C) sodass ich sie nicht nachvollziehen kann . Deswegen: dacht und angekündigt war . Ich möchte aber an dieser Auch wenn einiges Richtiges drinsteht, werden wir Ihren Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass die Bundes- Antrag ablehnen . regierung den NAP kurz vor Weihnachten letzten Jahres verabschiedet und damit die deutschen Unternehmen zu Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . fairen Produktionsbedingungen in den Entwicklungslän- (Beifall bei der SPD) dern verpflichtet hat. (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Claudia Roth: NEN]: Er lädt dazu ein!) Vielen Dank, Kollege Dr .Fechner .– Nächster Pa- Das ist, glaube ich, eine ganz wichtige Aussage; denn nik-Redner: Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion . es ist ein deutlicher, wichtiger und vorbildlicher Schritt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – für die Einhaltung menschenrechtlicher Sorgfaltspflich- Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der ten durch deutsche Unternehmen; das müssen wir fest- LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE halten . GRÜNEN) Mit dem Aktionsplan setzen wir die UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte in nationales Gesetz um . Jürgen Klimke (CDU/CSU): Betroffen von der Regelung sind in Deutschland circa Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lie- 6 000 Betriebe, die dazu verpflichtet werden, soziale und be Kolleginnen und Kollegen! „Zukunftsfähige Unter- ökologische Standards einzuhalten . nehmensverantwortung“, was bedeutet das? Für mich bedeutet es, dass sich Unternehmensmitglieder und die Meine Damen und Herren, in der letzten Woche haben Unternehmen für ihr Tun und Lassen freiwillig verant- wir hier im Plenum das Thema „Faire Textilproduktion“ wortlich erklären und sich auch gemäß dieser Verantwor- debattiert . Beispielhaft steht dieser Sektor für die An- tung verhalten . Für welche Handlungen und Folgen sich strengungen, die die Bundesregierung, federführend das ein Unternehmen verantwortlich erklärt und welches die Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit richtigen Grundsätze sind, leitet sich aus der Rechtsord- und Entwicklung, für zukunftsfähige Unternehmensver- nung, aus den gesellschaftlich definierten ethischen Prin- antwortung unternimmt . zipien ab, beispielsweise faire Bezahlung, Schulung von Kurz erwähnt sei hierzu das im Oktober 2014 gegrün- Mitarbeitern, Einhaltung von Normen und Standards, dete Bündnis für nachhaltige Textilien, auch wenn die Gleichberechtigung der Geschlechter oder meinetwegen Linken das beiseitewischen . Es ist ein wichtiges Bünd- (B) auch Richtlinien zum Schutz der Umwelt . Viele deutsche nis . Es greift die zukunftsfähige Unternehmensverant- (D) Unternehmen halten sich in vorbildlicher Weise auch im wortung in einer vorbildlichen Weise auf und arbeitet internationalen Kontext an diese Wertmaßstäbe . Jene, die in der Praxis an der Verringerung von Missständen und hier Defizite aufweisen, bringen wir durch bestehende Benachteiligungen . Bereits 133 mittelständische Unter- Gesetze oder durch neue Maßnahmen der Bundesregie- nehmen und Großkonzerne aus der Textilindustrie und rung und der Legislative dazu, ihr Handeln zu überden- dem Handel sind diesem Bündnis beigetreten und haben ken und es anzupassen . in Deutschland eine Marktabdeckung von 55 Prozent er- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE reicht – und das setzt Maßstäbe . Das ist ja nicht nur ein GRÜNEN]: Aha! Na dann!) kleiner Teil von 3 oder 4 Prozent, sondern weit über die Hälfte . Meine Damen und Herren, ähnlich wie der Kollege Luczak muss auch ich ein bisschen mit Bedauern fest- (Beifall bei der CDU/CSU) stellen, dass der vorliegende Antrag der Grünen zu den Mit diesem Projekt kommen Verbraucher, Wirtschaft Sanktionen in seinem Duktus zum wiederholten Male die und Politik auf freiwilliger Basis zueinander, ohne gro- Geschäftspraktiken vieler deutscher Unternehmen min- ßen Verwaltungsaufwand zu verursachen . Die Zielset- destens hinterfragt . Ich bedaure dieses Misstrauen und zungen des Bündnisses, die soziale, ökologische und auch den möglicherweise enthaltenen Generalverdacht ökonomische Nachhaltigkeit entlang der gesamten Tex- gegenüber der deutschen Wirtschaft . tilkette kontinuierlich zu verbessern, tragen zudem zur Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwick- (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE lung und der sogenannten SDGs bei . Im Kontext von GRÜNEN]: Absurd!) Globallieferketten sind das insbesondere die Ziele Num- Als Entwicklungspolitiker weiß ich um die Bedeutung mer 8 „Menschenwürdige Arbeit und wirtschaftliches der Wirtschaft gerade in diesem Bereich . Deshalb lege Wachstum“, Nummer 12 „Nachhaltige Produktion und ich meinen Fokus bei der Bewertung Ihrer Anträge auch nachhaltiger Konsum“ und Nummer 17 „Förderung von auf die Auswirkungen auf die Entwicklungszusammen- Partnerschaften“ . arbeit . Meine Damen und Herren, ich bin davon überzeugt: Mit ihrem Antrag zu menschenrechtlichen Sorgfalts- Das Textilbündnis kann international ein Vorbild für pflichten kritisieren die Grünen den Prozess bei der Aus- andere Wirtschaftszweige sein, zum Beispiel für den arbeitung des Nationalen Aktionsplans „Wirtschaft und Rohstoffsektor oder auch für die Fischerei . Es kann be- Menschenrechte“, NAP, durch die Bundesregierung . Ja, weisen, dass sich hohe Maßstäbe in der Unternehmens- es ist richtig, dass die Ausgestaltung einige Zeit länger verantwortung auszahlen . 21504 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Jürgen Klimke (A) Eines muss ich noch einmal deutlich sagen: Nationa- Bevor ich zum Ende meiner Rede komme, möchte (C) le Alleingänge sind für uns der falsche Weg . Deshalb ist ich es nicht versäumen, auf einen ganz wichtigen Punkt die Koalition schon einen Schritt weiter . Bereits 2015 hat in diesem Zusammenhang aufmerksam zu machen: Zu- sich Bundesentwicklungsminister Dr .Müller erfolgreich kunftsfähige Unternehmensverantwortung tragen vor dafür eingesetzt, dass die Durchsetzung weltweiter Ar- allen Dingen der Verbraucher und die Verbraucherin . In beits-, Sozial- und Umweltstandards auf der Tagesord- vielen Bereichen des Lebens stellen wir eine kontinuier- nung des G-7-Gipfels in Elmau stand . Das war ein No- liche Veränderung des Verbraucherverhaltens fest . Damit vum . Diesen Weg setzen wir fort . einher geht die Weiterentwicklung der Unternehmens- verantwortung . Kein Textilhändler kann es sich leisten, (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass an der Kleidung, die er produziert, Blut klebt, NEN]: Es muss aber auch mal was passieren! Zwei Jahre kreißte der Berg, und passiert ist (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nichts! Nicht mal ein Mäuschen ist geboren NEN]: Wenn man es nicht sieht! Deshalb wol- worden!) len sie ja keine Deklaration und Kennzeich- nung haben!) Das Entwicklungsministerium und das Ministerium für Arbeit und Soziales setzen sich maßgeblich dafür ein, kein Stromanbieter in Deutschland wirbt mehr mit Atom- die Arbeitsbedingungen in internationalen Lieferketten strom, und kein Autohersteller bringt mehr ein neues zu verbessern, ein verantwortliches und transparentes Modell mit einem Spritverbrauch von über 15 Litern pro Management von Lieferketten zu fördern und Beschwer- 100 Kilometer auf den Markt . de- und Mediationsmechanismen zu stärken . Dazu haben beide Häuser in dieser Legislaturperiode das Positionspa- Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie das veränder- pier „Gute Arbeit weltweit“ vorgelegt und verabschiedet . te Bewusstsein der Verbraucherinnen und Verbraucher die Verantwortung von Unternehmen mitgestaltet . (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Schön, noch ein Papier!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das war jetzt das Wichtige?) Meine Damen und Herren, Deutschland hat am 1 .De - zember 2016 die G-20-Präsidentschaft übernommen . Die Wir dürfen uns jedoch nicht auf dem Erreichten ausru- G 20 sind das zentrale Forum der internationalen Zu- hen . Die Aufgabe der Politik ist es, weiter zu sensibilisie- sammenarbeit der 20 führenden Industrie- und Schwel- ren und zu gestalten sowie das eine oder andere Gesetz in lenländer in Finanz- und Wirtschaftsfragen und vereinen diesem Zusammenhang zu verabschieden . 80 Prozent des globalen Handels auf sich . Die deutsche (B) Mit einem tiefen Durchblick für den Verbraucher in (D) Präsidentschaft unter dem Motto „Eine vernetzte Welt Bezug auf die Durchsetzung von internationalen, sozia- gestalten“ läuft bis zum 30 .November 2017 . Höhepunkt len und Umweltstandards erreichen wir mehr als mit nati- wird das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs onalen Gesetzgebungsprozessen, die deutsche Unterneh- in meiner Heimatstadt Hamburg am 7 . und 8 . Juli sein . men benachteiligen und Arbeitsplätze kosten . Deshalb Was im Fokus steht – nachhaltige globale Lieferket- dürfen wir es nicht unterlassen, die Verbraucherinnen ten, ein Kernthema zukunftsfähiger Unternehmensver- und Verbraucher ständig und stärker als in der Vergan- antwortung –, wird dabei im Rahmen der G-20-Staaten genheit über die Sozialstandards zu informieren . Das weiter vorangebracht werden, und damit wird auch an kommt auch den Entwicklungsländern in ihrer schwie- die G-7-Präsidentschaft angeknüpft – und alles unter rigen wirtschaftlichen Situation zugute, und das müssen dem Vorsitz von Deutschland; das möchte ich noch ein- wir gerade in diesen Zeiten sehen . mal deutlich sagen . Damit kommt von uns sozusagen ein Danke sehr . starkes Signal für mehr Verantwortung in globalen Lie- ferketten . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Gemeinsam mit den G-20-Partnerländern sollen dazu konkrete Schritte entwickelt und beschlossen werden . Wichtige Bezugsrahmen dafür sind die Agenda 2030 Vizepräsidentin Claudia Roth: für nachhaltige Entwicklung, die UN-Leitprinzipien für Vielen Dank, Jürgen Klimke .– Nächster Redner: Uwe Wirtschaft und Menschenrechte, die OECD-Leitsätze für Kekeritz für Bündnis 90/Die Grünen . multinationale Unternehmen und die Abschlusserklärung des G-7-Gipfels von Elmau; ich habe ihn schon erwähnt . Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, wenn Sie eine Analyse der Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Lage vornehmen, dann können Sie erkennen, dass es eine Wir alle kennen das: Kinderarbeit auf Kakaoplantagen, Vielzahl von Initiativen und bestehenden Regelungen zur Hungerlöhne in Textilfabriken, Rohstoffe, die bewaffne- Sanktion von Unternehmen gibt, wenn diese gegen Maß- te Konflikte finanzieren, usw. usf. Das ist genau der Stoff, stäbe, Gesetze und Normen verstoßen . Das Vorhandene mit dem Minister Müller seit Jahren seine Reden spickt nochmals mit einem Gesetz zu regeln, schafft lediglich und in der Öffentlichkeit mächtig auftritt . Doppelstrukturen und benachteiligt einseitig deutsche Unternehmen im Wettbewerb, und genau das wollen wir (Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: nicht . Zu Recht!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21505

Uwe Kekeritz (A) Nur zu lamentieren, verändert allerdings überhaupt derungen ermöglicht werden . Das ist machbar . Davon ist (C) nichts . nichts unzumutbar . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christoph Strässer [SPD]: Das wollen wir Konkret unternimmt diese Bundesregierung seit Jahren auch!) herzlich wenig, um die Arbeitsbedingungen in den glo- balen Lieferketten zu verbessern . Unsere Anträge enthalten flexible Vorschläge, die je Der Nationale Aktionsplan hätte wirklich eine wun- nach Unternehmensgröße und je nach Wirtschaftszweig derbare Chance geboten, starke, positive Zeichen zu und -sektor angepasst werden können. Davon profitie- setzen . Die Bundesregierung wollte diese Chance aber ren die deutschen Unternehmen; denn die Zeichen ste- nicht und setzte den NAP deshalb gezielt in den Sand . hen global auf Verbindlichkeit . Mit Ihrer Verweigerung, Der Druck der Lobby – BDI, BDA, Kampeter usw . – war Verbindlichkeit einzuführen, schaden Sie dem Wettbe- wohl sehr groß . werb . Sie bestrafen fortschrittliche Unternehmen; denn alle Unternehmen, die sich hohen Standards verpflichtet Sie waren sogar dabei, den Nationalen Aktionsplan zu fühlen, werden von Ihnen zu den Dummen des Systems einem Bittstellerbrief an die Wirtschaft umzuformulie- gemacht, weil immer noch der Wettlauf um den niedrigs- ren . Das konnte die Opposition gerade noch verhindern . ten Standard gilt . Die Jagd nach dem Preisvorteil ist dann das Leitmotiv des Handelns . Genau das zementiert dieser (Lachen des Abg . Christoph Strässer [SPD]) NAP in unverantwortlicher Weise . Sie hatten doch zu viel Angst vor der Öffentlichkeit . Es liegt ein ganz besonderes Versagen der gesamten (Christoph Strässer [SPD]: Entschuldigung, Regierung vor . Die inakzeptablen globalen Arbeitsver- das ist an Peinlichkeit nicht zu überbieten!) hältnisse – das muss uns doch bewusst sein – sind für viele Menschen ein Migrationsgrund . Hinzu kommen Was wurde bei der großen Auftaktveranstaltung zum menschenrechtliche und ökologische Aspekte, die uns in NAP vor drei Jahren nicht alles versprochen! Fünf Mi- die Verantwortung nehmen . Aber die Regierung und die nisterien haben versprochen, ein Konzept vorzulegen, Koalition verweigern sich dieser Verantwortung . Das ist das Deutschland zum Vorreiter für nachhaltiges Wachs- nichts anderes als kurzsichtige Politik . tum macht . Heute blamieren Sie Deutschland mit diesem NAP bis auf die Knochen . Danke schön . Es geht doch auch ganz anders . Mit unserem Maßnah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (B) menpaket zur zukunftsfähigen Unternehmensverantwor- (D) tung zeigen wir deutlich auf, welche Schritte notwendig und möglich sind, um den Menschenrechtsschutz in der Vizepräsidentin Claudia Roth: globalen Wirtschaft voranzutreiben . Für die globale Lie- Vielen Dank, Kollege Kekeritz .– Nächster Redner: ferkette brauchen wir verbindliche Regeln . Herr Klimke, Stefan Rebmann für die SPD-Fraktion . von Verbindlichkeit steht im NAP nichts . Einfach noch (Beifall bei der SPD) einmal lesen, das hilft . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vier Minuten . und bei der LINKEN) (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Hilfestellungen für Unternehmen – Transparenzre- geln – Opfer von Unternehmenshandeln müssen Zugang Stefan Rebmann (SPD): zu Rechtsmitteln bekommen . Menschliche Sorgfalts- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen pflichten müssen im deutschen Recht verankert werden. und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir brauchen natürlich auch ein geeignetes Sanktionsre- Wenn wir hier über Unternehmensverantwortung und gime; Katja Keul hat davon gesprochen . Nichts, absolut menschenrechtliche Sorgfaltspflichten debattieren, dann nichts davon ist im NAP tatsächlich zu finden. geht es auch immer um Arbeitnehmerrechte, soziale Si- Unternehmen müssen eine menschenrechtsbezoge- cherheit, Schutz vor Ausbeutung und im Grunde auch ne Risikoanalyse durchführen . Sie müssen geeignete um den Kampf um eine gerechtere Welt . Ich denke, das Präventionsmaßnahmen zur Verhinderung von Men- waren auch die Forderungen der Arbeiterbewegung wäh- schenrechtsverstößen ergreifen . Sie müssen Organisati- rend der industriellen Revolution . Daraus ist unter ande- onspflichten, wie etwa Whistleblower-Schutz oder Com- rem die Sozialdemokratie entstanden . pliance-Strukturen, etablieren . Auch eine vernünftige (Dr .Petra Sitte [DIE LINKE]: Wow! – Dokumentation ist einfach selbstverständlich . Michaela Engelmeier [SPD]: Genau!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Unsere Sozialgesetzgebung, unsere Krankenversiche- Kommt es dann in einem Unternehmen zu Menschen- rung, unsere Rentenversicherung, unsere Arbeitslosen- rechtsverletzungen oder werden einem Unternehmen versicherung, Tarifvertragsrecht, Betriebsverfassungs- Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt, müssen gesetz und vieles mehr stammen genau aus der Zeit der den Opfern zivilrechtliche Klagen vor deutschen Gerich- Arbeiterbewegung . Auch die internationale Solidarität, ten und damit einhergehend natürlich Schadensersatzfor- die man auf Demonstrationen immer so gerne hochleben 21506 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Stefan Rebmann (A) lässt, stammt aus dieser Zeit, und sie ist auch heute hoch- Ich finde auch – zum Schluss kommend –: Ihr Linken (C) aktuell . stellt einen Ministerpräsidenten in Thüringen, (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Kor- Genau!) rekt!) Natürlich haben Unternehmen eine besondere Ver- und ihr Grünen einen Ministerpräsidenten in Ba- antwortung; vollkommen klar . Gerade in einer Welt, in den-Württemberg . Ihr habt einen Spitzenkandidaten, der der alles immer mehr miteinander zusammenhängt und hier im Plenum bewiesen hat, dass er mit Herrn Kauder in der Lieferketten global organisiert sind, kommt den sehr gut kann und etwas per Handschlag erreichen kann . Unternehmen eine ganz besondere Verantwortung zu . Ich würde mich freuen, wenn von Ihren Bundesländern Deshalb ist es wichtig, dass wir dafür sorgen, dass Ar- entsprechende Initiativen im Bundesrat eingebracht wür- beitnehmer nicht gegeneinander ausgespielt werden . den . Es kann auch nicht sein, dass hier bei uns wie selbst- (Christoph Strässer [SPD]: Nein, das macht verständlich alle Rechte gelten und dort, man doch nicht! Aber hier eine große Lippe haben!) (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Genau!) Dann werden wir sehen, ob sich der baden-württember- gische Spitzenkandidat bei Herrn Kretschmann und bei wo 80 oder 90 Prozent unserer Textilien herkommen, wo Herrn Strobl durchsetzt . 80 oder 90 Prozent – die genaue Zahl weiß ich nicht – unserer Handys produziert werden, wo unser Kaffee und (Christoph Strässer [SPD]: Auch gegenüber unser Kakao, die Rohstoffe und die Kohle herkommen, Daimler! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE etwa aus Kolumbien, nicht . Vor etwa 14 Tagen ist in Ko- GRÜNEN]: Dann ist ja bei allen alles total in lumbien ein Gewerkschafter ermordet worden, der um Ordnung! Dann ist alles legitim! Prima!) sein Land gekämpft hat . Es kann nicht sein, dass Unter- Wenn dann dabei das herauskommt, was in Baden-Würt- nehmen hier sagen: Das eine hat mit dem anderen nichts temberg passiert ist, nämlich dass die baden-württem- zu tun . bergische Landesregierung wieder Studiengebühren (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ einführt, die insbesondere junge Menschen aus Entwick- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der lungsländern treffen, LINKEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich bin da schon für eine klare Sprache und für mehr NEN]: Das stimmt nicht! Jungs, dafür gibt es (B) (D) Verbindlichkeit; denn ich weiß, dass uns das Prinzip der eine Regelung! Keine Fake News im Bundes- Freiwilligkeit allein nicht vorangebracht hat . Wir haben tag!) lange versucht, auf dieses Prinzip zu setzen . Die Folge dann ist das kein Beitrag zu einer gerechteren Welt . Das war – das wurde hier schon mehrfach erwähnt –: Die ei- ist vielmehr ein Förderprogramm für Kinder korrupter nen, die sich daran halten, tragen die Kosten, während Eliten . die anderen, die sich – mit Verlaub – einen Dreck um Menschenrechte kümmern, den großen Reibach machen . (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich finde, dass wir hier eine klare Sprache brauchen. Ich NEN]: Ach was! Sülze-Quatsch!) sage aber auch: Wir müssen aufpassen, dass wir nicht den Herzlichen Dank . zweiten Schritt vor dem ersten machen . Wir müssen die Unternehmen mitnehmen, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Natürlich! Klare Regeln!) Präsident Dr. Norbert Lammert: wir müssen sie drängen, wir müssen sie fordern . Wir Volker Ullrich ist der nächste Redner für die CDU/ müssen einen klaren Weg hin zu mehr Verbindlichkeit CSU-Fraktion . beschreiten . Genau das macht der Nationale Aktionsplan . (Beifall bei der CDU/CSU) Ich mache keinen Hehl daraus: Der Nationale Akti- onsplan ist nicht die reine Lehre . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- NEN]: Darauf wäre ich nicht gekommen!) ren! Wirtschaftskriminalität verursacht volkswirtschaft- liche Schäden in Milliardenhöhe, zerstört das Vertrauen Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich mir wesent- in gutes Wirtschaften und erschüttert unsere Rechtsord- lich mehr und verbindlichere Regeln gewünscht hätte . nung . Rechtsbruch darf sich nicht lohnen . Unsere Rechts- Ich sage aber auch: Wenn ich die Wahl habe zwischen ordnung muss durch einen klaren Vollzug des geltenden kleinen Schritten in die richtige Richtung und der For- Rechts dafür Sorge tragen, dass niemand aus der Verlet- derung nach der reinen Lehre, die dazu führt, dass man zung von Vorschriften einen Vorteil ziehen kann . untergeht und gar nichts erreicht, weil man keinen Kom- promiss eingehen will, dann gehe ich lieber den Weg der (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kleinen Schritte . Genau!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21507

Dr. Volker Ullrich (A) Der Antrag der Grünen zielt im Grunde genommen des Managements haftet? Wollen Sie, dass Kleinaktionä- (C) auf Einführung einer Art Unternehmensstrafrecht, auch re mit dem Verlust ihrer Altersvorsorge bestraft werden, wenn sie das so nicht bezeichnen . weil der Vorstand strafbare Handlungen vollzieht, die der Kleinaktionär nicht kontrollieren kann? (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie es in Ihrem Koalitionsvertrag steht!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Das ist doch wirklich nicht zu glau- Der zentrale Satz Ihrer Begründung mag dann aber schon ben!) erstaunen: Eine solche Drittbetroffenheit ist unserer Rechtsordnung Wegen der Möglichkeit, Verantwortung insbeson- fremd und muss ihr auch fremd bleiben . dere in großen Unternehmen gezielt zu verschleiern sowie dem Kräfteungleichgewicht zwischen häufig (Beifall bei der CDU/CSU) überlasteten Staatsanwaltschaften und besonders Wenn Sie, wie es in Ihrem Vorschlag heißt, jetzt statt finanzstarken Beschuldigten, kommt es aber in des Opportunitätsprinzips das Legalitätsprinzip einfüh- Deutschland selten zu individuellen Schuldfeststel- ren wollen, dann müssen Sie auch deutlich machen, wel- lungen gegenüber einzelnen Wirtschaftsakteuren . che Konsequenzen das hat . Sie dürfen zunächst einmal Wenn es also – das ist meine erste Bemerkung – um nicht so tun – es ist mir wichtig, das zu unterstreichen –, individuelle Schuldfeststellungen geht, dann ist die Frage dass das Opportunitätsprinzip Willkür bedeuten würde . nach der Haftung von Unternehmen falsch; denn dann Wir haben in Deutschland eine Bindung der Verwaltung geht es um die individuelle, ganz höchstpersönliche Vor- an Recht und Gesetz . Diese Bindung an Recht und Ge- werfbarkeit . setz muss die Verwaltung gleichmäßig durchführen . Des- wegen ist das Opportunitätsprinzip bereits jetzt ein gutes (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mittel, Verfehlungen von Unternehmen zu verfolgen . Um beides muss es gehen!) Aber das Legalitätsprinzip bedeutet, dass Sie straf- Es ist auch keine Haltung, der Kriminalpolizei, den rechtsähnliche Verfahren gegenüber Unternehmen ein- Staatsanwaltschaften und Teilen der Justiz, die in oftmals führen – mit dem Schweigerecht, mit der Unschuldsver- mühevoller Kleinarbeit Wirtschaftsstrafsachen aufarbei- mutung . Damit werden Sie im Endeffekt eine weniger ten, in den Rücken zu fallen . Das tun Sie, indem Sie sa- effektive Rechtsverfolgung haben und weniger Unter- gen, dass es nur selten zu Schuldfeststellungen kommt . nehmen zur Verantwortung ziehen, als wir das bisher Ich glaube, das spiegelt die aktuelle Lage nicht wider . können . Ihr Vorschlag ist damit ein Rückschritt und kein (Beifall bei der CDU/CSU) Fortschritt . (B) (D) Wenn Sie behaupten, dass Staatsanwaltschaften häu- (Beifall bei der CDU/CSU) fig überlastet sind, dann muss doch die zentrale Aufgabe Man darf auch nicht vergessen – das haben Sie völlig der Politik darin bestehen, diese Belastungen abzubau- verschwiegen –, dass es bereits jetzt gerade im Bereich en und für mehr Kapazität bei den Strafverfolgungsbe- des Kartellrechts ordentliche Geldbußen gibt, die den Un- hörden zu sorgen . Zuständig dafür sind die Länder . Und ternehmen zu Recht wehtun . Beispielsweise Lkw-Kar- hier tragen die Grünen in 11 von 16 Landesregierungen tell: Bußgelder über 1 Milliarde Euro; Libor-Kartell: Verantwortung . Nehmen Sie also bitte den Bund nicht in Bußgelder in Höhe von dreistelligen Millionenbeträgen . die Haftung für eigene Versäumnisse in den Ländern, in denen Sie mitregieren . (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es geht doch darum, dass sie Sorgfalts- (Beifall bei der CDU/CSU) pflichten haben und eine Struktur umsetzen, Auch dogmatisch ist ein eigenes Unternehmensstraf- und nicht, dass irgendwann eine Kartellreakti- recht nicht zielführend, weil es das Schuldprinzip ver- on kommt! Sie sind doch Christ! Bewegen Sie letzt . doch mal die Stelle bei sich, die das Christli- che ausmacht!) (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich doch gesagt!) Deutlich muss aber auch werden, dass wir das beste- hende Recht konsequent anwenden und dort, wo es not- Schuld ist die von der Verfassung gebotene Vorausset- wendig ist, es auch verschärfen . Ich lade Sie ein, mit uns zung für eigene, höchstpersönliche Vorwerfbarkeit . darüber zu diskutieren, möglicherweise die Wertgrenzen Schuld kann nur ein einsichtsfähiger Täter sein, aber im Ordnungswidrigkeitengesetz zu erhöhen . nicht ein Personenverband oder ein Konstrukt . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie in letzter Konsequenz beispielsweise Struk- Dann machen Sie es doch! – Niema Movassat turmaßnahmen für verurteilte Unternehmen fordern, [DIE LINKE]: Machen Sie es doch einfach!) dann verursachen Sie auch eine Betroffenheit Dritter, die möglicherweise nicht akzeptabel ist . Ich lade Sie ein, unseren Gesetzentwurf zum Thema „strafrechtliche Vermögensabschöpfung“ mitzutragen . (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Eines allerdings haben Sie heute nicht angesprochen – NEN]: Was?) das scheint ein Schlüssel bei der Frage der Verfolgung Wollen Sie, dass im Ergebnis der Fließbandarbeiter mit von rechtswidrigem Handeln innerhalb von Unterneh- dem Verlust seines Arbeitsplatzes für das Fehlverhalten men zu sein –: Wir brauchen ausreichende Kapazitäten 21508 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Dr. Volker Ullrich (A) bei Polizei und Staatsanwaltschaften, damit sie solche – Wo Sie jetzt wieder dazwischenrufen, will ich Ihnen (C) Machenschaften auch aufdecken und zur Anklage brin- einmal die Geschichte des NAP erzählen und die Ge- gen können . schichte der Ruggie-Prinzipien . (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Niema Movassat [DIE LINKE]: Sie haben NEN]: Richtig! Super! Wann kommt Ihr An- nur vier Minuten Zeit! Denken Sie daran!) trag?) Sie wissen vielleicht – oder auch nicht –, dass Herr Wir brauchen ordentliche Ausstattungen bei der Polizei, Ruggie im Jahr 2005 von der damaligen UN-Menschen- und zwar auch im Hinblick auf Kapazitäten . rechtskommission den Auftrag erhalten hat, die schon vorhandenen Prinzipien Unternehmensethik, CSA, Glo- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) bal Compact usw . zu einem verbindlichen Instrument weiterzuentwickeln . Darauf hat er sich eingelassen und Wir müssen Polizeibeamte, die wirtschaftskriminelle hat dann von 2005 bis 2011 diese Richtlinien über Wirt- Strukturen aufdecken, besser bezahlen und dafür sorgen, schaft und Menschenrechte erarbeitet und im Jahre 2011 dass Verfahren beschleunigt werden . dem Menschenrechtsrat vorgelegt . (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Da kann ich Ihnen nur sagen: Das allein zeigt, dass die NEN]: Ja, reden wir mal über Herrn Henkel! Arbeit nicht einfach einmal so mit einem Handstrich hier Die Berliner CDU hat da voll versagt!) im Deutschen Bundestag erledigt werden kann nach dem Motto: Wir machen das morgen alles einmal .– Nein, das Wenn Sie eine stärkere Sanktionierung von Unterneh- ist harte Arbeit, und daran haben viele gerade auch aus mern wollen, müssen Sie auch dort, wo Sie Verantwor- diesem Parlament und aus der Bundesregierung, die im tung tragen, den Apparat besser ausstatten, damit Rechts- Moment aktiv ist, gearbeitet . Und sie haben etwas um- verfolgung effektiv sein kann . gesetzt . (Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ja, machen wir alles!) der CDU/CSU) Meine Damen und Herren, es ist wenig geholfen – we- Ich glaube, von Anfang bestand ein Missverständ- der den Bürgern, die auf Rechtstreue von Unternehmen nis . Ich habe die ganzen Diskussionen zum Nationalen setzen, noch einer bereits jetzt an den Grenzen der Be- Aktionsplan nun wirklich von Anfang an, von 2014 an, lastbarkeit stehenden Justiz –, einen Paradigmenwechsel als das losging, geführt . Da gibt es, Uwe Kekeritz – das im Strafrecht, wie Sie ihn wollen, herbeizuführen, der zu muss ich wirklich einmal sagen –, eine Geschichtsklitte- (B) einem langen Theorienstreit, aber nicht zu einer effek- rung . Die möchte ich hier einmal darstellen . Im Novem- (D) tiven Rechtsdurchsetzung und zu einem Schutz für die ber 2016 war der NAP tot . Der NAP war tot . rechtstreuen Unternehmen führt . Deswegen werden wir Ihren Antrag heute ablehnen . (Stefan Rebmann [SPD]: Genau!) Vielen Dank . All das, was da erarbeitet worden ist, was dort zu Papier gebracht worden ist, bei dem vieles immer noch nicht so (Beifall bei der CDU/CSU) war, wie wir es gern gehabt hätten, nämlich mit verbind- lichen Regelungen und, und, und, ist durch Interventio- nen im Kabinett mehr oder weniger zerstört worden . Ich Präsident Dr. Norbert Lammert: will das hier aber gar nicht weiter ausführen . Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Christoph Strässer für die SPD-Fraktion . Federführend beteiligt an dieser Aktion war das BMF . Da ist von der Opposition jedoch nichts gekommen . (Beifall bei der SPD) (Zuruf von der SPD: Genau!)

Christoph Strässer (SPD): So viel dazu, dass, wie du gesagt hast, die Opposition dafür gesorgt habe, dass dabei etwas herausgekommen Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ist . Da haben unsere Leute verhandelt und dafür gesorgt, Meine Damen und Herren! Als ich hier in den Plenarsaal gekommen bin, wusste ich nicht so genau, ob ich mehr (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Positives sagen kann oder ob ich mich mehr darüber är- NEN]: Ja, ihr wart auch wichtig!) gern soll, was hier abgeht und wie wir im Moment mit dieser ganzen Situation umgehen . Im Moment muss ich dass es einen Nationalen Aktionsplan gibt, in dem vie- mich eigentlich mehr ärgern . Das geht an Ihre Adresse, le Dinge stehen, die gut sind, die wir hier alle gemein- Herr Movassat, weil Sie überhaupt nicht zur Kenntnis sam mittragen sollten . Da sage ich einmal einen ganz nehmen, dass das, was Sie fordern, nicht von heute auf herzlichen Dank an all die, die das im November noch morgen umsetzbar ist, sondern dass man daran sehr in- gemacht haben . Ganz besonders bedanke ich mich bei tensiv und sehr massiv arbeiten muss und dafür Überzeu- Bärbel Kofler, der Menschenrechtsbeauftragten, die in gungsarbeit leisten muss . Person hingegangen ist, jedes Ressort überzeugt hat: Wir brauchen einen Nationalen Aktionsplan, und zwar auch (Niema Movassat [DIE LINKE]: Aber das tun deshalb, weil das ein Projekt, ein Menschenrechtsprojekt Sie ja nicht einmal! Das ist doch das Problem!) dieser Bundesregierung ist, das ganz vorn gestanden hat . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21509

Christoph Strässer (A) Ich bin froh, dass es diesen NAP so gibt, wie es ihn Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen (C) gibt . Ich hätte gern viel, viel mehr gehabt; aber das ist der auf den Drucksachen 18/10038 und 18/10255 an die in erste Schritt auf dem richtigen Weg . Deswegen müssen der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- wir da auch weitermachen . gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das sieht danach aus . Dann sind die Überweisungen so beschlossen . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- ten der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜND- Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 33 a NIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum der schlecht bis 33 h sowie Zusatzpunkt 1: ist, wissen wir doch!) 33 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Jetzt geht es ja noch weiter . Jetzt fordert ihr ja in eu- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­ rem Antrag noch einmal die Verabschiedung eines Nati- zes zur weiteren Verbesserung des Hoch­ onalen Aktionsplans . Da kann man natürlich schon jetzt wasserschutzes und zur Vereinfachung nicht mehr zustimmen – das ist ein bisschen Pech –, weil von Verfahren des Hochwasserschutzes wir den Nationalen Aktionsplan seit Dezember 2016 ha- (Hochwasserschutzgesetz II) ben . Drucksache 18/10879 Ich kann auch nur noch einmal sagen: Da ist niemand Überweisungsvorschlag: Bittsteller gegenüber Unternehmen . Welch ein Unsinn! Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re- aktorsicherheit (f) (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Innenausschuss NEN]: Das haben wir ja herausgekriegt! – Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Niema Movassat [DIE LINKE]: Weil wir das Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur herausgekriegt haben!) Haushaltsausschuss Wir haben zwei Jahre lang in der Gesellschaft hart mit all b) Erste Beratung des von der Bundesregie- denjenigen verhandelt, die dazu bereit waren . Euch habe rung eingebrachten Entwurfs eines Geset­ ich bei der ganzen Diskussion überhaupt nicht gesehen . zes zur Änderung raumordnungsrechtli­ Alle parlamentarischen Veranstaltungen zum Nationalen cher Vorschriften Aktionsplan haben ohne Beteiligung von Vertretern der Drucksache 18/10883 Linken stattgefunden . Das muss man hier, glaube ich, Überweisungsvorschlag: auch einmal sagen . Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Innenausschuss (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz der CDU/CSU) (B) Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor- (D) sicherheit Deshalb: Sich hier zu empören, ist, wie ich finde, ein Skandal . c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge­ Zum Schluss: Der NAP ist nicht das Gelbe vom Ei . setzes zur Neuregelung des Rechts zur Wir haben zu Anfang gesagt, wir brauchen so etwas wie Sicherstellung der Ernährung in einer einen intelligenten Mix von Verbindlichkeiten und von Versorgungskrise freiwilligen Maßnahmen . Drucksache 18/10943 (Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wo sind die Verbindlichkeiten? Es gibt Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f) keine!) Innenausschuss Die Anzahl der verbindlichen Maßnahmen ist zu gering . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Wir haben die menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten d) Erste Beratung des von der Bundesregie- als Verbindlichkeit für alle Unternehmen festgeschrie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten ben, die eine entsprechende Größenordnung haben . Das Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes reicht nicht . Deshalb werden wir im Übrigen auch versu- Drucksache 18/10944 chen, Initiativen unter den G 20 zu starten, wo wir ja die Präsidentschaft haben, damit an dieser Stelle eben mehr Überweisungsvorschlag: passiert . Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Dann will ich auch noch einmal sagen: Deutschland e) Beratung des Antrags der Abgeordneten ist eines von zwölf Ländern weltweit, die einen NAP ha- Sabine Leidig, Halina Wawzyniak, Caren ben. Ich finde, das sollte man auch einmal respektieren. Lay, weiterer Abgeordneter und der Frakti- Da sind wir nämlich weltweit vorn . on DIE LINKE Danke schön . Entkriminalisierung des Fahrens ohne Fahrschein – Polizei und Justiz entlasten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) Drucksache 18/7374 Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Präsident Dr. Norbert Lammert: Innenausschuss Ich schließe die Aussprache . Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz 21510 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) f) Beratung des Antrags der Abgeordneten hin . Das hängt dann aber auch damit zusammen, dass es (C) Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Matthias W . dazu offenkundig nach Einschätzung sämtlicher Fraktio- Birkwald, weiterer Abgeordneter und der nen im Hause keinen Bedarf nach einer weiterführenden Fraktion DIE LINKE Debatte gab . Verordnung gegen Stress in der Arbeits­ Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt 34 a auf: welt erlassen Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Drucksache 18/10892 regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Überweisungsvorschlag: zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Schriftform im Verwaltungsrecht des Bundes Ausschuss für Gesundheit Drucksache 18/10183 g) Beratung der Unterrichtung durch die Bun- desregierung Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- schusses (4 .Ausschuss) Bericht über die Tätigkeit der Verkehrsin­ frastrukturfinanzierungsgesellschaft im Drucksache 18/11007 Jahr 2015 Das ist ein Vorgang, den wir in erster Lesung hier Drucksache 18/9545 nicht debattiert haben, und wir debattieren ihn jetzt in zweiter und dritter Lesung auch nicht; aber er wurde in Überweisungsvorschlag: den Ausschüssen natürlich intensiv besprochen . Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Ausschuss für Tourismus Mit diesem Gesetz werden nicht weniger als Haushaltsausschuss 464 Rechtsvorschriften des Bundes geändert mit dem h) Beratung des Antrags des Bundesministeri- Ziel, durch Verzicht auf Anordnung der Schriftform elek- ums für Wirtschaft und Energie tronische Kommunikation mit der Verwaltung zu erleich- tern, elektronische Verwaltungsdienste auszubauen und Anpassungsvertrag ERP-Förderrücklage Bürokratie abzubauen . Einholung eines zustimmenden Beschlus­ Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- ses des Deutschen Bundestages gemäß § 6 empfehlung auf der Drucksache 18/11007, den Gesetz- Absatz 3 des ERP-Verwaltungsgesetzes entwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/10183 Drucksache 18/10825 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejeni- gen, die diesem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustim- (B) Überweisungsvorschlag: (D) Ausschuss für Wirtschaft und Energie men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage- gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und bei Zu- Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), stimmung des Hauses im Übrigen in zweiter Beratung Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der angenommen . Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir kommen zur Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr schaffen dritten Beratung Drucksache 18/9801 und Schlussabstimmung . Ich ahne, da könnten wir ein ähnliches Abstimmungsverhalten wie zuvor bekommen . Überweisungsvorschlag: Wer dem Gesetzentwurf zustimmen will, den bitte ich, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher- heit (f) sich vom Platz zu erheben .– Es erheben sich alle mit Finanzausschuss Ausnahme der Mitglieder der Fraktion Die Linke . Ich Ausschuss für Wirtschaft und Energie frage: Stimmt jemand dagegen? – Dachte ich mir doch: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Die Fraktion Die Linke stimmt, soweit anwesend, ge- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union schlossen dagegen . Wer möchte sich enthalten? – Nie- Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach­ mand . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen . ten Verfahren ohne Debatte. Tagesordnungspunkt 34 b: Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu regierung eingebrachten Entwurfs eines Ener­ überweisen .– Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch . giestatistikgesetzes (EnStatG) Dann sind die Überweisungen so beschlossen . Drucksache 18/10350 Bei den Tagesordnungspunkten 34 a bis 34 j und dem Tagesordnungspunkt 21 geht es um die Beschlussfas­ Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorgese- ses für Wirtschaft und Energie (9 .Ausschuss) hen ist . Das bedeutet nicht, dass dazu keine stattgefun- Drucksache 18/10999 den hat, sondern dass wir heute über diese Punkte nicht debattieren . In den wenigen Fällen, wo es auch bei der Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in Einbringung keine Debatte gegeben hat, weise ich darauf seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10999, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21511

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Druck- Tagesordnungspunkt 34 d: (C) sache 18/10350 in der Ausschussfassung anzunehmen . Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wer dem zustimmen möchte, den bitte ich um das Hand- richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, zeichen .– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) zu Enthaltung der Fraktion Die Linke ist der Gesetzentwurf der Verordnung der Bundesregierung mit den Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen . Verordnung zur Umsetzung der Richtli­ Dritte Beratung nie 2014/99/EU und zur Änderung und An­ passung weiterer immissionsschutzrechtlicher und Schlussabstimmung . Wer dem Gesetzentwurf zu- Verordnungen stimmen will, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben .– Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Bei Enthaltung der Drucksachen 18/10756, 18/10924 Nr. 2.1, Fraktion Die Linke ist dieser Gesetzentwurf mit den 18/10998 Stimmen des Hauses im Übrigen angenommen . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Tagesordnungspunkt 34 c: lung auf der Drucksache 18/10998, der Verordnung der Bundesregierung zuzustimmen . Wer stimmt für diese Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes enthält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/ zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Ra­ Die Grünen ist die Beschlussempfehlung angenommen . tes über die Unterzeichnung des Abkommens Tagesordnungspunkt 34 e: zwischen der Europäischen Union und der Regierung von Kanada über die Anwendung Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ihres Wettbewerbsrechts im Namen der Eu­ richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, ropäischen Union und zu dem Vorschlag für Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) zu einen Beschluss des Rates über den Abschluss der Verordnung der Bundesregierung des Abkommens zwischen der Europäischen Verordnung zur Änderung der Chemikali­ Union und der Regierung von Kanada über en-Klimaschutzverordnung die Anwendung ihres Wettbewerbsrechts Drucksachen 18/10837, 18/10924 Nr. 2.3, Drucksache 18/10808 18/10997 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Auch hier empfiehlt der Ausschuss in seiner Be- (B) ses für Wirtschaft und Energie (9 .Ausschuss) schlussempfehlung auf der Drucksache 18/10997, (D) der Verordnung der Bundesregierung auf Drucksa- Drucksache 18/11002 che 18/10837 zuzustimmen . Wer kann sich dieser Emp- fehlung anschließen? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Dieses Abkommen regelt die Zusammenarbeit zwi- hält sich? – Bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ist die schen den Wettbewerbsbehörden der beiden Vertragspar- Beschlussempfehlung angenommen . teien . Weiter gehende Spekulationen, was die Regelung des Verhältnisses in Wirtschafts- und Handelsbeziehun- Unter den Tagesordnungspunkten 34 f bis 34 j kom- gen angeht, finden also jedenfalls nicht an dieser Stelle men wir zu den Beschlussempfehlungen des Petitions- ihre richtige Adresse . Durch das Gesetz sollen die inner- ausschusses . Hier gibt es wie immer Sammelübersichten, staatlichen Voraussetzungen geschaffen werden, damit die wir insgesamt zur Abstimmung stellen . der deutsche Vertreter im Rat die Zustimmung zu den Ich rufe zunächst Tagesordnungspunkt 34 f auf: Vorschlägen für die beiden Beschlüsse des Rates über- haupt erklären kann . Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2 .Ausschuss) Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie emp- fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksa- Sammelübersicht 400 zu Petitionen che 18/11002, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Drucksache 18/10885 auf der Drucksache 18/10808 anzunehmen . Wer diesem Gesetzentwurf zustimmt, den bitte ich um das Handzei- Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- chen .– Das sind diesmal alle . Dagegen stimmt offenkun- hält sich? – Alle dafür . Angenommen . dig niemand . – Enthaltungen sehe ich auch nicht . Tagesordnungspunkt 34 g: Dann rufe ich die Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- onsausschusses (2 .Ausschuss) dritte Beratung Sammelübersicht 401 zu Petitionen und Schlussabstimmung auf . Ich bitte diejenigen, die Drucksache 18/10886 diesem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe- ben .– Das sind alle Anwesenden . Falls ich jemanden Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- übersehen habe bei Gegenstimmen oder Enthaltungen, hält sich? – Dann ist diese Sammelübersicht gegen den müsste er sich jetzt melden .– Das ist nicht der Fall . Da- gutgemeinten, aber nicht hinreichenden Widerstand der mit ist der Gesetzentwurf einstimmig angenommen . Fraktion Die Linke angenommen . 21512 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Präsident Dr. Norbert Lammert (A) Tagesordnungspunkt 34 h: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf: (C) Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- – Beratung der Beschlussempfehlung und onsausschusses (2 .Ausschuss) des Berichts des Auswärtigen Ausschusses (3 .Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- Sammelübersicht 402 zu Petitionen gierung Drucksache 18/10887 Fortsetzung und Erweiterung der Beteili­ Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an tungen keine . Diese Sammelübersicht ist wieder einstim- der Multidimensionalen Integrierten Stabi­ mig angenommen . lisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA) auf Grundlage der Re­ Tagesordnungspunkt 34 i: solutionen 2100 (2013), 2164 (2014), 2227 Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- (2015) und 2295 (2016) des Sicherheitsrates onsausschusses (2 .Ausschuss) der Vereinten Nationen vom 25. April 2013, 25. Juni 2014, 29. Juni 2015 und 29. Juni Sammelübersicht 403 zu Petitionen 2016 Drucksache 18/10888 Drucksachen 18/10819, 18/10967 Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gegen – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - die Fraktion Die Linke – Enthaltungen keine – ist diese schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Sammelübersicht angenommen . Drucksache 18/10988 Tagesordnungspunkt 34 j: Über die Beschlussempfehlung zu diesem Vorhaben Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti- werden wir später namentlich abstimmen, und zwar onsausschusses (2 .Ausschuss) ziemlich genau in 38 Minuten, wenn sich alle an die Re- Sammelübersicht 404 zu Petitionen dezeiten halten, die nach den Vereinbarungen der Frak- tionen für sie vorgesehen sind . – Widerspruch dagegen Drucksache 18/10889 kann ich nicht erkennen, also verfahren wir so . Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent- Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der hält sich? – Bei Gegenstimmen der Fraktionen Die Linke Kollegin Petra Ernstberger für die SPD-Fraktion . und Bündnis 90/Die Grünen ist diese Sammelübersicht (Beifall bei der SPD) (B) angenommen . (D) Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 21: Petra Ernstberger (SPD): Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- regierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften nen und Kollegen! Wie der Herr Präsident gerade erklärt Gesetzes zur Änderung des Sprengstoffgeset­ hat, stimmen wir heute über die Fortsetzung, aber auch zes die Erweiterung der Beteiligung bewaffneter Streitkräfte Drucksachen 18/10455, 18/10821, 18/10924 an der UN-Mission MINUSMA in der Republik Mali ab . Nr. 1.18 Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, meine Anerken- nung, aber auch meinen Dank an all unsere Streitkräfte, Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- die dort bisher Dienst getan haben, auszudrücken . schusses (4 .Ausschuss) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Drucksache 18/11005 der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp- DIE GRÜNEN) fehlung auf der Drucksache 18/11005, den Gesetzentwurf Der Konflikt in Mali ist alt, und er ist klassisch. Es der Bundesregierung auf den Drucksachen 18/10455 und geht um die Verteilung von Ressourcen – Land, Wasser – 18/10821 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit- vor allem zwischen den Bevölkerungsteilen, die sich te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung mit Viehzucht oder Ackerbau auseinandersetzen . Als zustimmen wollen, um das Handzeichen .– Wer stimmt im Jahr 2012 der damalige Präsident Touré durch einen dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Gesetz- Militärputsch gestürzt wurde, fiel das Land ins Chaos entwurf einstimmig angenommen . und in eine permanente Sicherheitskrise . Gerade in den Landesteilen im Norden herrscht ein eklatantes Defizit Wir kommen zur an verlässlicher Staatlichkeit . Rebellengruppen und Mi- dritten Beratung lizengruppen fragmentieren immer mehr, rivalisieren un- tereinander und bekämpfen einander . Sie haben aber gro- und Schlussabstimmung . Wer für den Gesetzentwurf in ße Teile des Nordens unter Kontrolle . Deswegen stehen der Ausschussfassung ist, den bitte ich, sich von seinem dort täglich Konflikte auf der Tagesordnung. Platz zu erheben . – Wenn jemand dagegen ist, hätte er jetzt Gelegenheit dazu, sich zu erheben . – Das ist nicht Wellen von Gewalt überschwemmen das Land . Und der Fall . Enthaltungen? – Gibt es auch nicht . Damit ist wer leidet? Wie immer die Zivilbevölkerung . Die Fort- dieser Gesetzentwurf angenommen . schritte in dem bereits existierenden Friedensprozess Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21513

Petra Ernstberger (A) werden einfach zurückgeworfen . Aber noch alarmieren- disten zerstört worden war, wurde wieder aufgebaut, eine (C) der ist, dass die Rechtlosigkeit und die Gewalt nun auch Straße wurde gebaut, Brunnen wurden gebohrt . Dafür in Zentralmali angekommen sind . Ausläufer der Krise möchte ich auch der GIZ ganz herzlich danken, die dort haben bereits Nachbarstaaten wie Burkina Faso und Ni- hervorragende Arbeit leistet . ger erreicht. Diese immer wieder aufflammenden -Re bellenkonflikte, die terroristischen Anschläge und auch (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die organisierte Kriminalität in Mali entwickeln sich zu der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ einem Krisenherd, der die ganze Sahelregion gefährden DIE GRÜNEN) kann . Aber all das können wir nicht ohne militärische Un- Die malischen Sicherheitsstrukturen sind im Moment terstützung leisten, mit der wir zum Schutz der Bevölke- noch relativ schwach . Sie können dieser Entwicklung rung beitragen . Dazu brauchen wir auch die Aufstockung mit ihren Kapazitäten keinen Einhalt gebieten . Deswe- unseres Mandates; denn wir haben inzwischen von den gen ist die Aufrechterhaltung des UN-Mandats und der Niederländern acht Hubschrauber übernommen, die dazu UN-Mission MINUSMA für die Stabilität dieser Region dienen, die Protektion zu unterstützen . Für diese Hub- absolut unerlässlich . schrauber brauchen wir mehr Soldatinnen und Soldaten . Weil es in diesem Land ohne eine solche militärische (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Flankierung keine friedliche Entwicklung geben kann, der CDU/CSU) werden wir heute dem Antrag zustimmen . Auch wir Deutsche wollen mit unseren Soldatinnen und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Soldaten der Bundeswehr unser bereits seit 2013 akti- der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ ves Engagement in dieser Region fortsetzen . Wir wollen DIE GRÜNEN) nämlich Mali zu einer friedlichen Zukunft verhelfen . MINUSMA hat dabei ein Ziel für absolut erklärt, Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: nämlich: Der von der internationalen Gemeinschaft un- Vielen Dank .– Als nächster Redner hat Niema terstützte Stabilitätsprozess soll es der Republik Mali Movassat für die Fraktion Die Linke das Wort . möglichst bald ermöglichen, langfristig auf eigenen Bei- nen zu stehen . Der Friedensvertrag, den die malische (Beifall bei der LINKEN) Regierung im Sommer 2015 mit den zwei wichtigsten Rebellengruppen geschlossen hat, bietet dafür mit all Niema Movassat (DIE LINKE): den Maßnahmen, die er beinhaltet, eine gute Basis . Lei- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute (B) der, wie gesagt, geht es mit dem Vertrag jedoch nur sehr (D) schleppend voran . Aber er ist abgeschlossen . entscheiden wir über die Fortführung und Erweiterung der Bundeswehrbeteiligung an der UN-Mission MINUSMA Gerade die Kämpfe in der Tuareg-Hochburg Kidal in Mali . Die Bundesregierung will die Zahl der Soldaten und um wichtige Schmugglerrouten im Norden des Lan- auf 1 000 aufstocken . Die Mali-Mission wäre damit der des haben die malische Bevölkerung allerdings über- größte laufende Bundeswehreinsatz, selbst größer als der haupt nicht zur Ruhe kommen lassen . Je länger die Um- Einsatz in Afghanistan . setzung des Friedensvertrages dauert, desto mehr haben Terroristen, kriminelle Banden und Rebellen in Mali und (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der gesamten Sahelzone die Möglichkeit, sich auszubrei- NEN]: Und sinnvoller!) ten . Das muss verhindert werden, liebe Kolleginnen und Auch Transport- und Kampfhubschrauber sollen jetzt Kollegen . zum Einsatz kommen . Die Linke wird dazu heute klar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Nein sagen . der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Politisch und zivil unterstützt Deutschland Mali bereits Ich möchte Ihnen gerne fünf Gründe nennen, warum seit etlichen Jahren mit einer Vielzahl an bilateralen Ent- wir das tun: wicklungsprojekten in dieser Region . Die Verfassungsreform, die eine Dezentralisierung der Erstens . Die Parallelen zum gescheiterten Afghanis- Regierungsstrukturen und eine Entwicklung aller Regi- tan-Einsatz sind erschreckend . Laut dem Wehrbeauf- onen Malis vorsieht, ist dringend nötig . Dabei steht den tragten ist der Einsatz in Mali sogar so gefährlich wie Autoritäten in Mali unser Max-Planck-Institut als Unter- seinerzeit der NATO-Kampfeinsatz gegen die Taliban . stützung und als Berater zur Verfügung . Das Auswärtige So wie in Afghanistan haben Sie die Bundeswehr Stück Amt unterstützt zudem das Ministerium für Versöhnung, für Stück in eine offensive Kampfoperation geschickt . den Hohen Beauftragten für den Friedensprozess sowie In Mali fing es mit 20 deutschen Soldaten an, jetzt sind weitere malische Friedensinstitutionen . wir bald bei 1 000 . Im Mandatstext ist nun vom „akti- ven Schutz des Mandats … durch das Bekämpfen asym- In Projekte der humanitären Hilfe für Mali und seine metrischer Angriffe“ die Rede . Um es auf den Punkt zu Nachbarländer hat die Bundesregierung im vergangenen bringen: Das ermöglicht es, mit Kampfhubschraubern Jahr 26,5 Millionen Euro investiert . Man muss nämlich aktiv Krieg zu führen . Ich frage mich: Was ist der nächs- bei den Wurzeln des Konfliktes ansetzen. Einige Beispie- te Schritt bei dieser Salamitaktik? Kampfflugzeuge? Sie le: Ein Basketballplatz für Jugendliche, der von Dschiha- sind schon wieder dabei, sich kopf- und planlos in den 21514 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Niema Movassat (A) nächsten langwierigen Krieg zu verstricken . Dazu kann Viertens . Ihr Umgang mit Mali ist voller Doppelstan- (C) man nur Nein sagen . dards . Die EU und Deutschland machen Länder wie Mali zu Erfüllungsgehilfen ihrer Abschottungspolitik gegen (Beifall bei der LINKEN) Flüchtlinge . MINUSMA spielt hier auf zwei Arten eine Zweitens . Der Einsatz ist teuer und bringt nichts . Vor wichtige Rolle . Einerseits werden Menschen, die ver- drei Jahren versprachen Sie uns, die Terrorgefahr in Mali suchen, über Mali nach Europa zu gelangen, häufig von durch die Militärmission zu verringern . Leider haben Sie MINUSMA-Soldaten verhaftet und an die Gendarmerie einmal mehr außer Acht gelassen: Terror kann man mit übergeben – sie landen dann erst einmal bis zu sechs Krieg nicht besiegen . MINUSMA ist eine Mission voller Monaten im Gefängnis –, und andererseits hilft die euro- Konstruktionsfehler . Der UN-Untergeneralsekretär für päische Militärpräsenz, eine Drohkulisse gegenüber der Blauhelmmissionen, Hervé Ladsous, erklärte kürzlich, malischen Regierung aufzubauen . dass die politischen Grundfragen nicht geregelt sind . (Zuruf von der CDU/CSU: Meine Güte!) Die Mission hat zwar die Unterstützung der dortigen Regierung, aber nicht der Bevölkerung . Bei Friedensde- Sie wollen sie zur Kooperation bei Abschiebungen und monstrationen im nordmalischen Gao stand auf Plakaten: Migrationskontrolle zwingen . Das hat die EU-Kommis- „Nieder mit MINUSMA“ . Den Unmut der Bevölkerung sion recht unverblümt gesagt . Dabei ist Mali so unsicher, bekommen die deutschen Soldaten zu spüren . Sie werden dass die deutschen Soldaten dort die maximale Risiko- immer mehr zur Zielscheibe . Denn für die Kombattanten pauschale erhalten . Aber um Flüchtlinge dorthin abzu- ist Deutschland Konfliktpartei. Auch deutsche Soldaten schieben, soll es sicher genug sein? Das ist einfach nur zweifeln am Sinn des Einsatzes . Dem Magazin Loyal des zynisch . Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (Beifall bei der LINKEN) sagte ein Bundeswehrsoldat, der in Mali ist: Fünftens. Die Ursache für den Dauerkonflikt in Mali … meinen Verwandten daheim kann ich nicht erklä- packen Sie nicht an: die desaströse wirtschaftliche Lage . ren, warum ich in Mali bin und was wir hier errei- Armut und Perspektivlosigkeit im Norden Malis sind die chen wollen . Gründe dafür, dass sich junge Menschen den Separatisten (Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr selektiv und Islamisten anschließen . Sie müssen die sozialen Ur- rausgepickt haben Sie das!) sachen des Terrors bekämpfen, statt immer mehr Solda- ten in alle Welt zu schicken . Das wäre der richtige Weg . Das sollte all denjenigen, die heute zustimmen wollen, zu denken geben . Danke für die Aufmerksamkeit . (Beifall bei der LINKEN) (B) (Beifall bei der LINKEN) (D) Drittens. Sie flankieren Ihre Rohstoffpolitik zuneh- mend militärisch . Im Weißbuch der Bundeswehr steht Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: zum Thema Rohstoff- und Energiesicherheit, Deutsch- Henning Otte hat als nächster Redner für die CDU/ land müsse „flexibel Elemente seines außen- und sicher- CSU-Fraktion das Wort . heitspolitischen Instrumentariums einsetzen, um Störun- (Beifall bei der CDU/CSU) gen oder Blockaden … zu beseitigen“ . Anders gesagt: Sie wollen auch militärische Mittel zur Henning Otte (CDU/CSU): Sicherung des Rohstoffbedarfes einsetzen . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Der Link zu MINUSMA ist offensichtlich . So schrieb Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir die Wirtschaftswoche, die wahrlich kein linkes Blatt ist, beschließen heute die Verlängerung und die Ausweitung schon 2013: des MINUSMA-Mandates in Mali . Wir waren als Abord- nung von Parlamentariern gemeinsam mit unserer Bun- Die einzigen bekannten und strategisch wichtigen desverteidigungsministerin erst kürzlich in Mali, und wir europäischen Interessen in der Region sind die haben uns vor Ort selbst ein Bild davon gemacht, wie Uran- und Ölvorkommen in Mali und die französi- groß die Herausforderungen sind, die auf unsere Solda- schen Uranminen im angrenzenden Niger . tinnen und Soldaten zukommen . Es gibt Belastungen vor Die Grenzen zwischen beiden Ländern existieren so- Ort, aber auch für die Familien zu Hause . Das haben wir wieso nur auf dem Papier . Frankreichs enormer Bedarf sehr wohl im Blick . Deswegen ist es wichtig, deutlich an Uran wird zu einem Drittel aus dem Niger gedeckt . zu machen, warum der Einsatz in Mali für die Sicherheit Und Deutschland? Deutschland ist immer noch einer der Deutschlands und Europas von besonderer Bedeutung größten europäischen Atomstromproduzenten und erhält ist . sein Uran wiederum aus Frankreich . Es ist nicht schwer, Ich möchte – schon allein aus Höflichkeit – kurz auf hier eins und eins zusammenzuzählen . meinen Vorredner eingehen . Man kann sich nur wundern: Seit Jahren bauen Sie die Bundeswehr um . Sie soll in Sie konstruieren hier eine Reihe von Argumenten . Sie die Lage versetzt werden, offensive Kampfoperationen verunglimpfen damit den guten Ansatz der Leistungen in unwirtlichen, rohstoffreichen Gebieten zu führen . Mali vor Ort, und Sie verkennen völlig die Verantwortung, dient hier auch als Übungsfeld . Das lehnt die Linke ab . die wir Parlamentarier in Deutschland für die Sicherheit unseres Landes, Europas und auch für die Sicherheit (Beifall bei der LINKEN) Nordafrikas haben . Das war keine Parlamentsrede, das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21515

Henning Otte (A) war eine parteiideologische Rede . Man kann nur sagen: Transporthubschrauberregiments aus Faßberg und Nie- (C) Thema komplett verfehlt! derstetten, aber auch ein Kampfhubschrauberanteil aus Fritzlar eingesetzt werden . Damit wird verdeutlicht: Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . wollen für die Lebensversicherung unserer Soldatinnen Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD]) und Soldaten das Maximale tun . Diese Herausforderung Wir haben in den letzten Jahren zunehmend erkannt, nehmen wir an . dass wir unser Engagement verstärken und mehr Ver- antwortung übernehmen müssen, um die Konflikte dort Ich freue mich, dass heute auch der Bürgermeister der einzudämmen, wo sie entstehen; denn ansonsten spüren Gemeinde Faßberg, Frank Bröhl, aus Interesse für seine wir die Auswirkungen dieser Konflikte auch hier bei uns: Soldatinnen und Soldaten und Gemeindemitglieder auf in Form von Terror, aber auch in Form von Menschen, der Tribüne Platz genommen hat und auch der Gene- die vor Terror fliehen. Deswegen sagen wir als CDU/ ralarzt als Inspekteur des Sanitätswesens heute hier ist . CSU-Fraktion und auch als Koalition: Dieser Einsatz ist Meine Damen und Herren, das zeigt auch: Wir haben die notwendig . Wir verlängern dieses Mandat . Unterstützung vonseiten der Kommunalpolitik und der Streitkräfte, binden diese in unsere Verantwortung mit Meine Damen und Herren, Mali hat eine Schlüssel- ein und machen so deutlich: Wir unterstützen unsere Sol- funktion im Norden Afrikas für die gesamte Sahelregi- datinnen und Soldaten . Wir geben ihnen volle Rücken- on – das ist schon angesprochen worden –, insbesondere deckung . Wir helfen ihnen auch, wenn sie in Bedrängnis für die Nachbarstaaten Mauretanien, Burkina Faso und sind . Deswegen ist es gut, dass die Koalition heute diese Niger . Deswegen ist es wichtig, herauszustellen, dass der Verantwortung gemeinsam für unsere Sicherheit über- Niger, aber auch Mali für Gesamtwestafrika als Transit- nimmt . land – über Libyen und das Mittelmeer – in Richtung Europa bedeutsam sind . Deswegen ist es so wichtig, ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- meinsam mit den Regierungen vor Ort den Terror von ordneten der SPD) Boko Haram, Tuareg-Rebellen oder islamistischen Mi- lizen zu bekämpfen, meine Damen und Herren . Das ist Der Einsatz ist herausfordernd, er ist auch gefährlich . notwendig, und diese Verantwortung übernehmen wir . Das zeigen die Erfahrungen mit Anschlägen vor Ort; das zeigt auch der Anschlag vom 18 .Januar . Aber auch die (Beifall bei der CDU/CSU) klimatischen Bedingungen und das unbekannte Terrain, Mit dieser Stabilisierungsmission MINUSMA als aber vor allem die Raumsituation im Lager sind Heraus- Mandat der Vereinten Nationen, begleitet von der europä- forderungen . Deswegen ist es gut, dass es einen Aus- ischen Ausbildungsmission EUTM, aber auch in Zusam- landsverwendungszuschlag in der höchsten Stufe, der (B) menarbeit mit ECOWAS, der Wirtschaftsgemeinschaft Stufe 6, gibt . Das ist Ausdruck von Verantwortung, und (D) westafrikanischer Staaten, verfolgen wir gemeinsam das ich bin insbesondere unserer Bundesverteidigungsmi- Ziel, auch in Mali Stabilität und Sicherheit erreichen . nisterin für die klare Haltung in dieser Angelegenheit – auch aus Fürsorge für unsere Soldatinnen und Soldaten – Dennoch sage ich: Die Lage ist weiterhin fragil; sie dankbar . bedarf unserer besonderen Aufmerksamkeit . Der Zusam- menbruch von Mali hätte eine extrem negative Kettenre- (Beifall bei der CDU/CSU) aktion mit unvorhersehbaren Folgen auch für Europa zur Folge . Deshalb müssen wir erreichen, dass das Land dau- Meine Damen und Herren, wir bauen auf den in inter- erhaft stabilisiert wird, damit Migrationsbewegungen gar nationalen Einsätzen gesammelten Erfahrungen auf und nicht erst stattfinden und vor allem der Terror bekämpft fordern daher eine klare Ablöseregelung für unseren in- wird . Da ist der Einsatz der Bundeswehr, eingebunden in tensiven Hubschraubereinsatz . Wir sagen aber auch: Wir die afrikapolitischen Leitlinien der Bundesregierung, ein müssen die Belastungen im Heimat- und Grundbetrieb ganz wesentlicher Baustein . Der vom Entwicklungsmi- möglichst minimieren; denn wir müssen voraussicht- nister initiierte Marshallplan mit Afrika ist ein weiterer lich mehr für die Sicherheit unseres Landes und Europas Baustein . Die Vernetzung all dieser Dinge soll dazu bei- sowie für ein stabiles Europa tun, indem wir auch Kon- tragen, dass wir Stabilität erreichen . Dafür übernehmen fliktsituationen dort eindämmen, wo sie entstehen. wir als Koalition Verantwortung und stimmen dem Man- Wir haben die dafür notwendigen finanziellen, materi- dat heute zu . ellen und auch personellen Trendwenden eingeleitet . Der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Verteidigungshaushalt wird erhöht, um die Mittel dafür ordneten der SPD) zu haben, dass wir uns auch zukünftig so erfolgreich für Frieden, für Freiheit und für Sicherheit einsetzen können . Wir weiten den Einsatz aus . Bisher waren 600 Solda- Dazu sind wir zum Schutz unserer Bürgerinnen und Bür- tinnen und Soldaten dort und haben Aufklärungsmissi- ger verpflichtet, aber auch aufgrund unserer Verantwor- onen durchgeführt, um ein Lagebild zu gewinnen . Das tung für Nordafrika . Deswegen stimmen wir als CDU/ verlangt auch Leib und Seele viel ab . Wir erweitern jetzt CSU-Fraktion diesem Mandat heute aus voller Überzeu- auf 1 000 Soldatinnen und Soldaten, um Hubschrau- gung zu . berkapazitäten zur Verfügung zu stellen . Die niederlän- dischen Soldaten beenden ihren Auftrag jetzt vereinba- Herzlichen Dank . rungsgemäß, und wir ersetzen sie . Wir sorgen für die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten, indem ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . gemischter Heeresfliegerverband unter der Leitung des Petra Ernstberger [SPD]) 21516 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: den, geschützt werden . Es geht aber auch darum, Ver- (C) Als nächste Rednerin spricht Agnieszka Brugger für wundete transportieren und retten zu können . Ich bin mir die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen . sicher, dass hier parteiübergreifend kein Abgeordneter einem Einsatz zustimmen würde, bei dem die Rettungs- kette für die Soldatinnen und Soldaten nicht gesichert ist . (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Agnieszka Brugger Auch von daher ist es richtig, dass Deutschland sich be- NEN): reit erklärt hat, diese Mission in Zukunft mit dieser sehr Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich kann kritischen Fähigkeit zu unterstützen . ihn nicht mehr hören und lesen, diesen Vergleich zwi- schen Mali und Afghanistan. Ich finde ihn ignorant, ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN finde ihn populistisch und auch falsch. sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich würde mir wünschen – das ist auch angesichts und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der der dramatischen Materiallage bei den deutschen Hub- CDU/CSU) schraubern wichtig –, dass auch andere westliche Natio- nen qualifiziertes Personal und mehr Hochwertfähigkei- Bei allem Verständnis dafür, dass man in der politischen ten zur Verfügung stellten, damit die Friedensmissionen Debatte auch mal zuspitzen muss: Man kann doch nicht der Vereinten Nationen ihre Aufträge in vielen Krisenge- eine Friedensmission der Vereinten Nationen unter ziviler bieten dieser Welt wirklich erfüllen können . Leitung mit starken zivilen und polizeilichen Elementen, deren Auftrag es ist, die Umsetzung eines Friedensab- Liebe Kolleginnen und Kollegen, so falsch ich diesen kommens zu überwachen und einen Versöhnungsprozess simplen Vergleich mit Afghanistan finde, so wichtig und zu begleiten, mit dem Label „Krieg“ versehen, sie als richtig ist es doch, Lehren aus den Fehlern zu ziehen, die Konfliktpartei bezeichnen und mit einer NATO-Mission man in Afghanistan gemacht hat, und diese Fehler in an- in Afghanistan vergleichen, die in ihrer schärfsten Phase deren Einsätzen nicht zu wiederholen . Ich will auf zwei Terroristen bekämpft hat . Beispiele eingehen: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich glaube, das Beispiel Afghanistan hat gezeigt, wie und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der wichtig es ist, auf den politischen Prozess zu achten und CDU/CSU) in diesen unheimlich viel zu investieren . Am Ende kann man Konflikte eben nicht mit Militär, nicht mit Soldatin- Es wäre ja wünschenswert, dass es in Afghanistan auch nen und Soldaten lösen . Dazu bedarf es einer besseren ein Friedensabkommen gibt, das man überwachen könn- Abstimmung der vielen Akteure in Mali, und es braucht te; aber in Mali gibt es das, und das ist doch ein zentraler auch mehr Druck, um alle Konfliktparteien in die Pflicht (B) Unterschied . zu nehmen, damit sie sich an dieses Friedensabkommen (D) Liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht, dass Sie mich halten . Ich wundere mich schon ein bisschen über die falsch verstehen: Ich will nichts schönreden . Die Lage Bundesregierung, die auf einmal große Kraft entfalten in Mali ist alles andere als gut und rosig . Das zeigen die und Druck ausüben kann, wenn es um Fragen von Migra- hohe Zahl von Todesopfern und die vielen grausamen tion und Rücknahmeabkommen geht, aber leise auftritt, Anschläge, die dort von extremistischen Gruppierungen wenn es beispielsweise darum geht, Korruptionsbekämp- verübt werden, die gerade diesen Friedensprozess torpe- fung oder die Umsetzung des Friedensprozesses einzu- dieren und zerstören wollen . fordern . Aber auch die malische Regierung, ihr nahestehende (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Milizen und die Rebellengruppen aus dem Norden spie- Man kann Fluchtursachen auch nicht mit den härtesten len immer wieder auf Zeit . Sie suchen den eigenen Vor- Rücknahmeabkommen bekämpfen, sondern nur, indem teil und versuchen, sich ein Stück weit aus diesem Frie- man alles tut, um bestimmte Voraussetzungen für Sicher- densabkommen herauszubewegen . Das kennen wir doch heit, Stabilität und Frieden in der Konfliktregion herzu- auch aus anderen Konflikten. Am Verhandlungstisch be- stellen . kennen sich alle Konfliktparteien natürlich immer zu den Vereinbarungen; aber wenn es konkret wird, versuchen Eine Lehre aus Afghanistan ist für mich Folgendes: sie, auszuweichen . Da leistet die Bundeswehr mit ihren Es gibt nie eine Erfolgsgarantie für einen Einsatz . Des- Aufklärungsfähigkeiten einen unheimlich wichtigen Bei- halb beraten wir ja auch Jahr für Jahr über die Mandate . trag, indem sie genau überprüft: Wer hat wann welchen Das darf auch nicht zu einem reinen Selbstzweck wer- Verstoß gegen dieses Friedensabkommen begangen? Das den, sondern wir müssen Jahr für Jahr immer wieder prü- ist wirklich ganz zentral, damit diese Mission Erfolg ha- fen: Wie sieht denn die Lage aus? Wie groß ist denn die ben kann . Chance? Gibt es noch ein Zeitfenster für eine politische Lösung? Denn am Ende des Tages können wir die Ak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, teure vor Ort nicht dazu zwingen, einen Friedensprozess bei der CDU/CSU und der SPD) durchzuführen . Wir können sie dabei nur unterstützen und in die Pflicht nehmen. Mit dem neuen Mandat, das wir heute hier beraten, werden zusätzlich Hubschrauber bereitgestellt . Das ist Ich glaube, es gibt noch eine Chance in Mali . Es gibt notwendig geworden, weil die Niederländer diese Fähig- noch einen Hoffnungsschimmer . Ohne die Friedensmis- keiten aus der Mission abziehen . Es geht darum, dass die sion der Vereinten Nationen würde es dieses Friedensab- Konvois, die ja immer wieder Ziel von Angriffen wer- kommen wahrscheinlich überhaupt nicht geben . Es gäbe Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21517

Agnieszka Brugger (A) niemanden, der die Konfliktparteien in die Pflicht nimmt. Die „Aktion gegen den Hunger“ der Deutschen Welthun- (C) Das Zeitfenster für einen Versöhnungsprozess, für eine gerhilfe half 2014 über 800 000 Menschen . Dies ist und politische Lösung wäre viel kleiner . Deshalb werden wir war ohne die Schaffung von Sicherheit und Ordnung, Grüne dieser Mission heute mit großer Mehrheit zustim- ohne den Einsatz unserer Truppen bzw . der Truppen der men . Vereinten Nationen nicht möglich . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und ordneten der SPD) der SPD) Auch die Bekämpfung von Krankheiten wäre nicht möglich, wenn es keine Sicherheit gäbe . Die Lebenser- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: wartung in Mali liegt bei 58 Jahren . Besonders wichtig ist Als nächste Rednerin spricht Elisabeth Motschmann der Kampf gegen Malaria . Ärzte ohne Grenzen gelang es für die CDU/CSU-Fraktion . 2015, 190 000 Kindern Antimalariamedikamente zu ver- abreichen . All das wäre nicht möglich, Herr Movassat, (Beifall bei der CDU/CSU) wenn wir das täten, was Sie möchten . Sie denken, Sie seien schlauer als die 16 Nationen, die sich an diesem Elisabeth Motschmann (CDU/CSU): Einsatz beteiligen . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch örtliche Krankenhäuser müssen natürlich unter- Mich beschäftigt im Zusammenhang mit dem Bundes- stützt werden, Impfungen müssen durchgeführt werden . wehreinsatz in Mali heute ein einziger Punkt . Es geht Dabei muss es einen Schutz vor Gewaltausbrüchen ge- mir um einen vermeintlichen Widerspruch, um eine ben . Deswegen ist der Einsatz der Hubschrauber auch so Forderung auf der einen Seite und einen Vorwurf auf wichtig; denn nur so kann man im Notfall Verletzte aus- der anderen Seite . Die Forderung lautet: Fluchtursachen fliegen und Hilfskonvois begleiten. müssen endlich konsequent bekämpft werden . So titelte auch heute wieder der Weser-Kurier. Der Vorwurf lautet: Außerdem brauchen wir gerade in einem solchen Unter dem Vorwand der Bekämpfung der Fluchtursachen Land – das ist das Gute an diesem vernetzten Einsatz – verfolgt ihr egoistische Ziele . Es geht euch eigentlich nur Bildung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit . Da beteiligt darum – das hat auch Herr Movassat wieder gesagt –, sich Deutschland an einem Kommunalentwicklungs- Abschottungspolitik zu betreiben, Flüchtlinge davon ab- fonds und stellt den Bau von Schulen und Infrastruk- zuhalten, nach Europa, nach Deutschland zu kommen, tur sicher . All das könnte nicht gemacht werden, Herr oder Rohstoffe zu sichern .– Dieser Widerspruch zieht Movassat, wenn es nach Ihnen ginge . Ich möchte ein- (B) sich durch viele Diskussionen . Der Vorwurf lautet, dass mal wissen, worin eigentlich Ihre Alternativen zu diesem (D) wir nicht den Mensch in den Mittelpunkt unserer Über- Bundeswehreinsatz liegen . legungen stellen . Das Kinderhilfswerk Dritte Welt hat seit 1995 immer- Meine Rede befasst sich daher mit der Frage: Steht der hin 20 Schulen gebaut . Noch besuchen 60 Prozent der Mensch im Mittelpunkt oder unser Egoismus? Ich sage schulpflichtigen Kinder keine Grundschule. Der Bau von ganz klar: Es geht natürlich um den Menschen . Es geht Schulen ist also wichtig, und wenn wir es nicht tun, dann um die Menschen in Mali . Sie sollen in ihrer Heimat eine besteht die große Gefahr der weiteren Radikalisierung . Zukunft haben . Sie sollen Überlebenschancen haben . Sie Wir wissen, wie diese voranschreitet . Es ist ja schon be- sollen Sicherheit haben und vor Terrorismus geschützt schrieben worden, wie sich der Terror in diesem Land werden . Für sie sollen natürlich auch die Menschenrech- zurzeit darstellt . te gelten, die für uns so selbstverständlich sind . Ich will schließen – die Präsidentin macht mich auf Genau deshalb brauchen wir die Mission MINUSMA . die Redezeit aufmerksam – mit einem Zitat von UN-Ge- Sie ist wichtig für Mali . Dies möchte ich an drei Punk- neralsekretär Guterres, der nach dem dramatischen An- ten – es sind keine kleinen Punkte, aber ich muss mich schlag in Gao, bei dem es über 70 Tote gab, Folgendes kurzfassen – darlegen . Durch den vernetzten Einsatz zi- sagte: viler und militärischer Kräfte kann der Hunger bekämpft werden, können Krankheiten bekämpft werden und kön- Nach dieser verabscheuungswürdigen Tat sind wir nen Bildung, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sicherge- noch entschlossener, die malische Bevölkerung, die stellt und gewährleistet werden . All das ist nur möglich, Regierung und die Unterzeichner der nichtstaatli- wenn es Sicherheit gibt, wenn es Schutz vor Terroristen chen bewaffneten Gruppen bei ihrem Einsatz für gibt . Frieden, ihrem Kampf gegen den Terrorismus und dem Friedensabkommen zu unterstützen . Zur Bekämpfung von Hunger . 180 000 malische Kin- der leiden unter Mangelernährung . Nur 77 Prozent der Deshalb halten wir fest: Ohne Sicherheit keine Struk- Bevölkerung haben regelmäßig Zugang zu Trinkwasser . turen, ohne Strukturen keine Schulen, ohne Schulen kei- Deutschland sorgt mit dem Schwerpunkt Landwirtschaft, ne Bildung, und ohne Bildung haben Terrorismus und Trinkwasserversorgung und Abwasser für eine Verbesse- Islamismus weiterhin ein leichtes Spiel . Diesen Teufels- rung dieser Situation . kreis müssen wir durchbrechen, und deshalb brauchen wir die Mission . Wir sollten die Soldaten nicht verun- (Henning Otte [CDU/CSU]: Das ist den Lin- sichern, sondern ihnen an dieser Stelle danken, dass sie ken völlig egal!) bereit sind, in diesen gefährlichen Einsatz zu gehen . 21518 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Elisabeth Motschmann (A) Vielen Dank . Der schreckliche Autobombenanschlag der letzten (C) Woche richtete sich exakt gegen das Militärlager und die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Angehörigen des ersten neuen Bataillons, das jetzt mit ordneten der SPD) dem Einsatz beginnen sollte . Ziel, Zeitpunkt und Ort des Angriffes waren mit großer Präzision und vermutlich Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: auch Insiderwissen gewählt . Er galt einem noch wenig belastbaren Tragpfeiler des Friedensabkommens, erfolg- Dirk Vöpel hat als nächster Redner für die SPD-Frak- te nur wenige Tage nach dem Frankreich-Afrika-Gipfel tion das Wort . in Bamako und wurde in der malischen Stadt mit der (Beifall bei der SPD) stärksten Militärpräsenz verübt . Die Dschihadisten haben Schlagkraft demonstriert . Dirk Vöpel (SPD): Aber sie haben mit dem gleichen Blut zu Protokoll gege- ben, dass sie die neuen gemeinsamen Patrouillen für eine Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und reale Bedrohung halten . Die internationale Gemeinschaft Kollegen! Wir entscheiden gleich nicht nur darüber, ob muss deshalb darauf drängen, dass dieses Projekt jetzt wir die deutsche Beteiligung an der MINUSMA-Frie- noch entschlossener weiterverfolgt wird . densmission der Vereinten Nationen um ein weiteres Jahr verlängern . Wir entscheiden auch darüber, ob wir Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bundeswehr be- das Mandat der Bundeswehr in Mali zum zweiten Mal teiligt sich in Mali erstmals in so großem Umfang an ei- in Folge substanziell erweitern, in quantitativer, aber vor ner landgestützten UNO-Friedensmission . Mit dem Ein- allem in qualitativer Hinsicht . Mit der Aufstockung der satz der Aufklärungssysteme LUNA und Heron 1 sowie Personalobergrenze von 650 auf 1 000 Soldatinnen und der befristeten Übernahme der luftgestützten Rettungs- Soldaten, der Übernahme der Rettungskette von unseren kette stellt Deutschland Hochwertfähigkeiten zur Ver- niederländischen Freunden sowie der Verlegung von vier fügung, auf die eine Mission wie MINUSMA elementar Kampfhubschraubern wird dies dann der aktuell bedeu- angewiesen ist . tendste Auslandseinsatz der Bundeswehr sein . (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Derzeit kommen viele schlechte Nachrichten aus Das personelle Rückgrat der UN-Friedensmissionen Mali . Wir erleben in den letzten Monaten ein Wieder- bilden nach wie vor die vielen Blauhelmsoldaten aus aufflammen des Terrors, auch im vermeintlich sicheren Entwicklungsländern wie beispielsweise Bangladesch . Süden und in der Mitte Malis . Seit Januar 2016 zählt Diese verfügen aber nicht über die für solche Einsätze die Gesellschaft für bedrohte Völker 411 Terroropfer, erforderlichen Hochtechnologiekomponenten . (B) darunter 209 Zivilisten . Seit Juli letzten Jahres wurden (D) 16 MINUSMA-Angehörige getötet und 57 verletzt . Ende Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer eine starke November kam es am Flughafen von Gao bereits zu ei- UNO will, der muss auch seinen Beitrag leisten . Wir ner Autoexplosion, bei der glücklicherweise niemand zu werden dem Antrag der Bundesregierung zustimmen . Schaden kam . Zum bisher blutigsten Höhepunkt kam es Vielen Dank . in der letzten Woche, als ein Selbstmordanschlag auf ein malisches Militärcamp in Gao mindestens 77 Tote und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 115 Verletzte forderte . der CDU/CSU und des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Standen bisher vor allem Soldaten der malischen Ar- mee, UNO-Blauhelme oder französische Soldaten der

Operation Barkhane im Fadenkreuz der Terroristen, ziel- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: te der Anschlag in Gao direkt auf eine der Säulen des Als letzter Redner in dieser Debatte spricht Friedensvertrages von 2015 . In dem Abkommen wurde Dr . Reinhard Brandl für die CDU/CSU-Fraktion . die Aufstellung neuer Truppenverbände zur gemeinsa- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) men Durchführung von Patrouillen im Norden Malis vereinbart . Diese sogenannten MOC-Bataillone sollen Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig, ihre zu je einem Drittel aus Soldaten der malischen Armee, Gespräche einzustellen und dem Kollegen zuzuhören . Angehörigen regierungsnaher Milizen und ehemaliger (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das lohnt sich! – Tuareg-Rebellen gebildet werden . Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da kann man noch etwas lernen!) Ziel ist nicht nur eine wirksamere Bekämpfung der Terroristen in ihren Hochburgen im Norden Malis durch Das ist auch ein Gebot der Fairness, des Umgangs unter- ortskundige Kämpfer . Durch die miteinander geteilte einander . – Herr Brandl, Sie haben das Wort . Ausbildungs- und Einsatzerfahrung soll zwischen den bisher verfeindeten Gruppen Vertrauen entstehen . Lang- Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): fristig sollen diese Bataillone in die regulären malischen Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Streitkräfte überführt werden . Lange Zeit wurde die Auf- Ich will Ihnen vier Gründe nennen, warum wir diesem stellung dieser Verbände insbesondere von den Tuareg Mandat gleich zustimmen sollten . boykottiert . Erst gegen Ende des letzten Jahres konnten sich die Exrebellen endlich dazu durchringen, die ge- Der erste Grund ist: Mali liegt mitten in dem Pul- meinsamen Patrouillen aufzunehmen . verfass Sahelzone . Die Sahelzone erstreckt sich durch Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21519

Dr. Reinhard Brandl (A) ganz Afrika, vom Senegal im Westen bis hinüber nach byen her die bewaffneten Tuareg-Truppen in das Land (C) Äthiopien im Osten . Keines dieser Länder ist bisher einfielen, mitansehen, wie die Regierung von Mali nicht Ausgangspunkt für Migration . Aber in fast allen dieser in der Lage war, ihr Land und ihr Volk zu schützen, als Länder schwelen interne Konflikte, sei es aufgrund von es darauf ankam . Separatistenbewegungen oder durch den in den letzten Jahren verstärkten islamischen Terrorismus . Wir haben Ich erinnere mich an viele Sondersitzungen, die wir ein hohes sicherheitspolitisches Interesse, diese Region damals hier hatten, auch im Verteidigungsausschuss, und zu stabilisieren . Ich will es bildlich ausdrücken: Wenn wir mussten mitansehen, wie schnell es in Afrika gehen uns der Sahel zerbröselt, dann bricht ganz Nordafrika kann, dass ein Land, das eigentlich auf einem guten Weg weg, und dann gibt es kein Halten mehr . war, plötzlich in die Instabilität abgleitet . Wir mussten auch mitansehen, wie schnell ein Konflikt von einem Der zweite Grund: Mali ist Schwerpunktland deut- Land – in diesem Fall war es Libyen – auf ein anderes schen Engagements in Afrika . Wenn wir in einem Land Land übergreifen kann . einen Beitrag zur Stabilisierung des Sahel leisten kön- nen, dann ist es in Mali . Damit bin ich wieder bei meinem ersten Punkt: das Pulverfass Sahelzone . Ein Funke kann in dieser Region Das MINUSMA-Mandat, über das wir heute ab- einen Flächenbrand auslösen . Um das zu verhindern, stimmen, ist ja nur ein Baustein . Wir sind engagiert bei sind wir in Mali und bei MINUSMA aktiv . Ich bitte um EUTM Mali, der EU-Ausbildungsmission . Wir stellen Zustimmung zu dem Mandat . zum Beispiel bei der Polizeimission der EU, EUCAP Sa- hel Mali, den Leiter . Wir sind seit vielen Jahren in der Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Entwicklungszusammenarbeit engagiert, in der zivilen Krisenprävention und bei humanitärer Hilfe . Durch diese (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Schwerpunktsetzung und durch die langjährige Erfah- rung haben wir Ansprechpartner und Einfluss in diesem Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Land . Die Bundeskanzlerin war erst vor wenigen Mona- ten zu Gesprächen in Mali, und mit unserer Beteiligung Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit sind wir am an MINUSMA stärken wir den Einfluss in diesem Land. Ende dieser Aussprache . Der dritte Grund: MINUSMA ist eine Mission der Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Vereinten Nationen . Wir haben in diesem Saal oft darü- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- ber gesprochen, dass wir uns stärker bei VN-Friedens- trag der Bundesregierung zur Fortsetzung und Erweite- missionen engagieren müssen . Wir sind ja spitze darin, rung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte (B) Ansprüche zu formulieren . Wir sind auf Platz 4 bei den an der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungs- (D) Beitragszahlern, aber immer noch auf Platz 46 bei den mission der Vereinten Nationen in Mali, MINUSMA . Truppenstellern der VN-Missionen . Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10967, den Antrag der Bundesregie- Mit der Erweiterung des Mandats, die wir heute be- rung auf Drucksache 18/10819 anzunehmen . Wir stim- schließen, leisten wir einen echten Hochwertbeitrag, den men nun über die Beschlussempfehlung namentlich ab, außer uns kaum ein anderes Land in dieser Form leisten und ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die kann . Wir stellen Hubschrauber zur Sicherstellung der vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen .– Sind Rettungskette, und wir liefern Aufklärung, ohne die es alle Urnen besetzt? – Dann eröffne ich die Abstimmung . überhaupt nicht möglich wäre, in einem Land wie Mali, das dreimal so groß ist wie Deutschland, überhaupt Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stim- nachzuvollziehen, welche Konfliktpartei sich gerade an me noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall . welche Vereinbarung des Friedensabkommens hält oder Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift- nicht . Deshalb ist dieser Beitrag wichtig . Wir stärken da- führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be- mit die Mission, aber wir stärken auch die Rolle der VN ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später in der Region . bekannt gegeben 1). Der vierte Grund: MINUSMA schafft Sicherheit in Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Sie jetzt Mali . Ohne MINUSMA wären die malische Regierung bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen .– Ich darf Sie und die malischen Sicherheitskräfte nicht in der Lage, bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen . ihre Bevölkerung und die Hilfsorganisationen vor ter- roristischen Angriffen zu schützen . Es gibt immer noch (Glocke der Präsidentin) verschiedene islamisch-terroristische Gruppen, die ver- suchen, den Friedensprozess zu unterlaufen und die Be- – Nun habe ich zum ersten Mal zur Glocke gegriffen, und völkerung durch Terroranschläge einzuschüchtern . ich möchte Sie bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen . Auch mit MINUSMA bleibt die Lage in Mali gefähr- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) lich . Aber ohne den Stabilitätsanker MINUSMA würde das Land vollkommen ins Chaos abgleiten . Auch für Ich weiß, dass wir jetzt nicht nur eine wichtige Debat- Mali gilt: Ohne Sicherheit kein Frieden, und ohne Si- te, sondern auch eine wichtige Rede von Außenminister cherheit keine Entwicklung . Das Bittere ist: Mali war in Dr .Frank-Walter Steinmeier vor uns haben, der für die Afrika vor wenigen Jahren noch ein Musterbeispiel für Demokratie . Wir mussten im Herbst 2011, als von Li- 1) Ergebnis Seite 21523 C 21520 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) Bundesregierung zu Tagesordnungspunkt 6 sprechen Ereignisse der ersten sechs Monate . Deshalb war der (C) wird . Aufruf zur Übernahme von mehr Verantwortung für Deutschland, den ich damals gemacht habe, keine Tro- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem ckenübung, sondern das waren Aufgaben, denen wir uns BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in den ersten Wochen und Monaten dieser Legislaturperi- Lieber Außenminister, bevor Sie mit Ihrer Rede be- ode unmittelbar stellen mussten . Diese Verantwortungs- ginnen können, muss ich noch einige Formalitäten erle- bereitschaft ist vom ersten Tag an getestet worden . digen . Was ich sagen will: Dieses Parlament hat, wie das Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf: heute leider in vielen Teilen der Erde in Mode kommt, – Beratung der Beschlussempfehlung und eben nicht erklärt: abschotten, dichtmachen . Lasst die des Berichts des Auswärtigen Ausschusses Welt mit ihren Nöten einfach draußen . – Vielmehr haben (3 .Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre- Sie alle Ihre Verantwortung ernst genommen . Sie haben gierung danach gehandelt . Dafür will ich mich ganz herzlich be- danken . Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsun­ (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem terstützung der Sicherheitskräfte der Re­ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . gierung der Region Kurdistan-Irak und der Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]) irakischen Streitkräfte Das Mandat und das Engagement im Irak, über das Drucksachen 18/10820, 18/10968 wir reden, steht geradezu beispielhaft für das, was ich – Bericht des Haushaltsausschusses (8 .Aus - meine: für die gewachsene Verantwortung deutscher Au- schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung ßenpolitik . Ich will gerne hinzusetzen: Diese Verantwor- tung haben wir nicht einfältig als einseitig verstanden . Drucksache 18/10989 Wir haben immer gewusst: Das kann auch militärische Optionen beinhalten . Wir haben uns aber nicht auf mi- Über die Beschlussempfehlung werden wir später na- litärische Optionen verengt, sondern einen umfassenden mentlich abstimmen . politischen Ansatz versucht . Wir haben gewusst, dass es Nach einer interfraktionellen Vereinbarung haben wir mit den Mördern des IS nichts zu verhandeln gibt und uns darauf verständigt, 38 Minuten für die Aussprache dass wir deshalb diejenigen unterstützen müssen, die sich vorzusehen . – Das ist jetzt auch so beschlossen, weil es dem IS im Norden des Irak entgegenstellen . (B) keinen Widerspruch gibt . (D) Wir haben auch gewusst: Wenn man den Irak in dieser Damit eröffne ich die Aussprache . – Herr Außenmi- schwierigen Lage wirklich festigen will, um dem Terror nister, Sie haben das Wort . den Nährboden zu entziehen, dann braucht es viel, viel (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mehr . Dann braucht es humanitäre Hilfe . Dann braucht der CDU/CSU) es aktive politische Arbeit mit der Zentralregierung . Ein Blick auf die zurückliegenden Jahre zeigt: Der Irak ist ein Beispiel für gewachsene Verantwortung . Aber er ist Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des auch ein Beispiel dafür, wie sehr sich der Instrumenten- Auswärtigen: kasten der Außenpolitik in diesen Jahren entwickelt und Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen kontinuierlich erweitert hat, gerade unter dem Stichwort und Kollegen! Ob Sie es glauben oder nicht: Vor ziem- der Stabilisierung . lich genau drei Jahren haben wir hier im Deutschen Bun- destag zum ersten Mal über die außenpolitischen Leit- Wir haben 47 Millionen Euro eingesetzt, mit denen linien der Großen Koalition gesprochen . Ich habe mir wir heute Schulen und Krankenhäuser wieder instand meine eigene Rede von damals herausgeholt und bin fast setzen sowie Strom- und Wasserleitungen wieder funk- etwas beschämt über die Einschätzungen, die ich wie- tionsfähig machen . Viele Menschen, die vom IS aus ih- dergegeben habe . Ich habe damals gesagt, wir müssten rer Heimat vertrieben wurden, haben wir inzwischen mit mit gewissen Beunruhigungen rechnen . Deshalb könnte dieser Hilfe zurückgebracht, zum Beispiel nach Tikrit, man voraussehen, dass die Verantwortung für unser Land Ramadi und Falludscha . Das ist Außenpolitik aus einem steigt . Guss . So stelle ich mir das vor . Schauen wir uns die Ereignisse der darauf folgenden (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Wochen und Monate an, die alle nacheinander einsetzten: Da waren die Unruhen auf dem Maidan, die zur völker- Nun gibt es, Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und rechtswidrigen Annexion der Krim führten . Da war die Kollegen, hartnäckige Gerüchte, dass dies meine letzte Ebolakrise . Da war die neue Auseinandersetzung zwi- Rede im Deutschen Bundestag sein könnte . schen Israel und den Palästinensern im Gazastreifen . Da war der erste Aufmarsch der IS-Kämpfer, die sich daran- (Volker Kauder [CDU/CSU]: In dieser Peri- machten, sich den ganzen Nordirak untertan zu machen . ode!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das ist nicht in Ich fürchte, dass das keine Fake News sind; das haben den letzten drei Jahren passiert, sondern das waren die wir ernst zu nehmen . Deshalb erlauben Sie mir einen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21521

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) Blick zurück auf die letzten drei Jahre . Ich werde dabei Krisen und Konflikte, Welt aus den Fugen, das alles (C) meine Redezeit nur um wenige Stunden überziehen . haben Sie in den letzten drei Jahren so häufig von mir gehört, dass es viele schon mitsprechen können . Aber (Heiterkeit) 2016/2017 ist etwas ganz anderes . Die größten politi- Im Ernst und in aller Kürze: Ja, wir haben in diesen schen Erschütterungen kamen nicht mehr aus der Ferne, Jahren in der Tat mehr Verantwortung gewagt . Ich bin sondern – ich gebe zu: etwas verkürzt – mehr und mehr mir sehr bewusst: Dieses Wagnis wäre nicht geglückt aus dem Inneren unserer Gesellschaft: der Paukenschlag ohne den Deutschen Bundestag und das nicht, weil die des Brexit, die Wahl von Donald Trump in den USA und Kollegin Barnett und die Kollegen Karl, Leutert und die jetzt anstehenden Wahlen in den Niederlanden und Lindner am Geldhahn sitzen . Ich meine etwas sehr viel Frankreich . Dort entscheidet sich die Richtung Europas, Grundsätzlicheres . Mehr Verantwortung, mehr Engage- die Richtung der internationalen Zusammenarbeit und ment in der Welt kann nicht von oben verordnet werden, deshalb auch – davon bin ich überzeugt – die Handlungs- sondern das kann sich nur im Selbstverständnis dieser fähigkeit unserer Außenpolitik . Gesellschaft herausbilden . Wenn sich die Rolle unse- Ich weiß auch noch nicht, was diese Entwicklung res Landes in der Welt wandelt – das tut sie ja –, dann im Einzelnen mit sich bringen wird . Nur eines weiß muss die gesamte Gesellschaft darüber diskutieren . Das ich: Wenn die Grenze zwischen innen und außen ver- sage ich nicht als Mitglied der Regierung, sondern als schwimmt, dann muss man aufpassen, dass damit nicht Abgeordneter des Deutschen Bundestages: Ich bin stolz auch der Parlamentarismus weggespült wird . Im Ge- darauf, dass der Bundestag diese Debatte angeführt hat, genteil: Ich glaube – ich weiß –, Sie, die Parlamentarier, dass wir diese Debatte uns selbst und der deutschen Öf- müssen die Fährleute zwischen den beiden Ufern von in- fentlichkeit – wenn ich das so sagen darf – zugemutet nen und außen sein und müssen es bleiben . haben . Sie müssen hier im Bundestag über deutsches Engage- Erstens . Wir haben diskutiert und gestritten über den ment in der ganzen Welt entscheiden und gleichzeitig – Weg der Diplomatie gerade im Umgang mit schwierigen das ist die Herausforderung – dann auch noch zu Hause Regierungen und bei wachsenden Spannungen . Russland im Wahlkreis den Menschen erklären, was eigentlich in und die Türkei sind hier als Stichworte zu nennen . Russland, in der Türkei oder in Syrien los ist . Ich weiß: Zweitens . Wir haben diskutiert über den Ausbau von Jeder und jede hier trägt die Verantwortung, die Lage der Mitteln und Möglichkeiten unserer Außenpolitik . Ich Welt zu erklären, ohne zu vereinfachen, Außenpolitik zu danke für die Ausstattung des Auswärtigen Amtes, die in vermitteln, ohne in Schwarz-Weiß-Urteile zu verfallen . den letzten drei Jahren erheblich gewachsen ist . Wir ha- Das ist eine schwierige, aber, wie ich finde, auch eine (B) ben diskutiert über die Instrumente der Außenpolitik . Ich verdammt noble Aufgabe, die wir da haben . (D) erinnere an die Leitlinien „Zivile Krisenprävention“ – ein (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Herzensprojekt vieler Kolleginnen und Kollegen hier im BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bundestag –, an die Wiederbelebung der Rüstungskont- rolle in Europa oder an die Auswärtige Kultur- und Bil- Weil Ihre Aufgabe in Zukunft eher noch wichtiger dungspolitik, die noch immer unterschätzte dritte Säule werden wird, will ich zum Schluss zwei Wünsche los- der Außenpolitik . Ich bin dem Unterausschuss sowie werden . Erstens, kurz gesagt: Reisen Sie weiter! Außen- namentlich , Claudia Roth und Peter Gau- politik, wie ich immer sage, lässt sich eben nicht von der weiler und vielen anderen dankbar, dass nicht nur die Be- Sofaecke aus machen . Das gilt für Abgeordnete genauso deutung erkannt worden ist, sondern dass sie uns auch wie für Außenminister . Ich habe mir sagen lassen: Mehr mit Möglichkeiten ausgestattet haben . Herzlichen Dank als 2 000 Reisen ins Ausland haben Sie, liebe Kollegin- dafür! nen und Kollegen, in dieser Legislaturperiode unternom- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem men . Das überbietet mein Meilenkonto bei weitem . Das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist gut so. Will sagen: Pflegen Sie die Gesprächskanäle bilateral und in den internationalen Parlamentarierforen Natürlich haben wir besonders intensiv und ausführ- von OSZE, Europarat, NATO und mit dem Patenschafts- lich über Mandate diskutiert, genauso wie heute . Nir- programm, gerade auch dort, wo Demokratie und Parla- gendwo streiten wir in der Außenpolitik vermutlich so mentarier bedroht sind . lange und so heftig wie gerade bei den Mandaten . Aber ich will auch einmal sagen: Dass wir in Deutschland Mein zweiter Wunsch betrifft die Zukunft . Wenn wir um jeden Einsatz militärischer Mittel ringen, ist doch gewachsene internationale Verantwortung nicht abschüt- vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte nun teln können und hoffentlich auch nicht wollen, dann wirklich nichts Schlechtes . Sosehr ich mir eine aktive, brauchen wir eben international aufgestellten Parlamen- selbstbewusste deutsche Außenpolitik wünsche: Wir wä- tariernachwuchs . Darum will ich auch jeden von Ihnen ren sicherlich kein besseres Land, wenn uns die Entsen- bitten: Werben Sie bei der nachwachsenden Generation dung von Soldatinnen und Soldaten, Polizistinnen und für internationales Engagement . Ermutigen Sie die jun- Polizisten sowie Helferinnen und Helfern in Krisenregi- gen Leute, über den Tellerrand der deutschen Grenzen, onen dieser Welt in jedem Fall leicht von der Hand ginge . wo immer es geht, hinauszuschauen, und sagen Sie ihnen, Deshalb sind diese Debatten in diesem Hause so wichtig . dass die Zeit im Ausland keine verlorene Zeit ist, dass sie dadurch eher vorankommen und nicht zurückgeworfen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem werden . Es ist wichtig, dass wir junge, nachwachsende BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Abgeordnete haben, die sich in der Welt ein bisschen 21522 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier (A) auskennen und wissen, wie die Welt auf uns schaut . Wir tie verteidigen im Innern unserer Gesellschaft wie nach (C) brauchen diesen Nachwuchs in der Außenpolitik . Davon außen . Wenn ich irgend kann, werde ich aus möglichen bin ich fest überzeugt . neuen Ämtern heraus an dieser Verteidigung gern mittun . Aber beginnen kann das nirgendwo sonst als hier an die- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem sem stolzen Pult . Deshalb bitte ich Sie: Nutzen Sie dieses BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pult . Ich jedenfalls werde es vermissen . Vielleicht darf ich mit einer ganz persönlichen Bemer- Vielen Dank . kung abschließen . Ich verlasse dieses Parlament zwar als Mitglied der Regierung, aber mein erster Platz hier – da- (Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/ ran wird sich der eine oder andere erinnern – war in den CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Reihen der Opposition . Es ist auch kein Geheimnis: Als sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Die ich 2009 in den Bundestag gewählt wurde, hatte ich es, Fraktionen der SPD, der CDU/CSU und des lieber Thomas, gar nicht so sehr auf deinen Stuhl abge- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sehen, sondern eher auf den hier vorne auf der Regie- sich) rungsbank . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (Heiterkeit) Sehr geehrter Herr Außenminister, bleiben Sie noch Die Möglichkeit hat sich nicht ergeben . Ich erin- einen Moment hier .– Sehr geehrter Herr Außenminister! nere mich aber auch an einen großen sozialdemokrati- Ich möchte Ihnen auch im Namen meiner Kolleginnen schen Parteivorsitzenden, der gesagt hat: „Opposition ist und Kollegen für das danken, was Sie als Außenminister Mist “. – Nun ist das in der SPD so: Man darf dem Vor- in einer außenpolitisch äußerst schwierigen Zeit geleistet sitzenden nicht widersprechen, aber man darf den Satz haben . Ihnen war immer anzumerken, es war immer zu interpretieren . spüren, dass Sie sich mit großem Engagement, mit Herz, aber auch mit Ihrem Intellekt darum bemüht haben, po- (Heiterkeit) litische Lösungen für Konflikte zu finden und nicht den Wenn die Opposition Mist ist, dann ist sie gleichzeitig einfachen Lösungen nachzurennen . Dünger für die Demokratie . Das ist gut so . Ich hoffe, das Sie haben sich mit diesem unermüdlichen Einsatz für bleibt respektiert in diesem Hause . eine verantwortungsvolle Außenpolitik und mit Ihrer ho- (Beifall im ganzen Hause) hen Glaubwürdigkeit nicht nur Wertschätzung bei vielen (B) Menschen in unserem eigenen Land und auch bei unse- (D) Willy Brandt – das war schon nach seinen Kanzlerjah- ren Partnern in vielen anderen Ländern erworben, Sie ren – hat einmal als Alterspräsident hier im Deutschen haben mit Ihrem unermüdlichen Einsatz und Ihrer hohen Bundestag gesprochen und gesagt: Glaubwürdigkeit auch hohe Verdienste für unser Land und für uns erworben . Alle Mitglieder dieses Hauses nehmen gleicher- maßen wichtige Aufgaben wahr, ob sie nun die Lieber Herr Außenminister, dies war Ihre letzte Regierung stellen oder diese kritisch begleiten, ob Rede als Außenminister im Deutschen Bundestag . Ich sie Macht verwalten oder diese kontrollieren … Par- freue mich sehr auf ein Wiedersehen am 12 . Februar – lamentarische Verantwortung für unseren Staat ob- und dann werden wir ja sehen . Ich wünsche Ihnen alles liegt der einen Seite wie der anderen; sie ist keiner Gute für Ihre Zukunft und für Ihre künftigen Aufga- Seite Vorrecht . ben . (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Was Willy Brandt vor 34 Jahren gesagt hat, müssen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- wir heute, so denke ich, auch auf die Außenpolitik bezie- geordneten der LINKEN – Abg . Dr .Katarina hen . Die parlamentarische Demokratie steht weltweit un- Barley [SPD] überreicht Bundesminister ter Druck, wird vielerorts infrage gestellt . In viel zu vie- Dr .Frank-W alter Steinmeier einen Blumen- len Ländern werden die Freiräume von parlamentarischer strauß) und zivilgesellschaftlicher Opposition beschnitten, und selbsternannte starke Männer haben die Verachtung von demokratischer Kontroverse sogar zum Herrschaftsprin- Sigmar Gabriel (SPD): zip erhoben . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Entschuldigen Sie, dass wir hier den Ablauf noch für ei- Gleichzeitig ist im Netz ein Raum für anonyme und nige Minuten stören . enthemmte Kommunikation entstanden, in dem immer neue Erregungswellen mehr Klicks erzeugen als Fakten Lieber Frank-Walter, neben Blumen und dem Dank oder Argumente, in dem Sprache jedes Maß verloren hat für den „Dünger der Demokratie“ in Bezug auf die Op- und die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäg- position haben wir dir als deine Partei und deine Frak- lichen zusehends schwindet . tion etwas zum Abschied mitgebracht . Wir wissen, dass du nicht nur den Abgebildeten sehr schätzt – es ist ein Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssen jetzt Porträt von Willy Brandt, das zum 100 .Geburtstag ent- den Raum der Demokratie und die Kultur der Demokra- standen ist –, sondern vor allen Dingen auch den Künst- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21523

Sigmar Gabriel (A) ler, der es gemacht hat . Wir wissen, dass du ein großer Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (C) Freund von Armin Müller-Stahl bist . Von ihm ist dieses Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt müssen wir zur Bild . Es ist ein kleines Geschenk deiner Fraktion und Normalität zurückkehren . deiner Partei für großartige Arbeit in ganz unterschied- lichen Ämtern und ganz sicher auch ein schönes Präsent Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich das von den für ein noch viel wichtigeres Amt . Alles Gute und vie- Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb­ len Dank! nis der namentlichen Abstimmung über die Beschlus- sempfehlung zur Fortsetzung von MINUSMA bekannt: (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Abgegeben wurden 556 Stimmen . Mit Ja haben gestimmt der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ 498 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben gestimmt DIE GRÜNEN – Abg . Sigmar Gabriel [SPD] 55 Kolleginnen und Kollegen, und es gab 3 Enthaltun- überreicht Bundesminister Frank-Walter gen . Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen Steinmeier ein Präsent) worden .

Endgültiges Ergebnis Hermann Färber Mark Helfrich Hartmut Koschyk Abgegebene Stimmen: 556; Dr . Uda Heller davon Jörg Hellmuth ja: 498 Ingrid Fischbach Rudolf Henke nein: 55 Dr . Rüdiger Kruse enthalten: 3 Klaus-Peter Flosbach Dr . Roy Kühne Thorsten Frei Dr . Heribert Hirte Günter Lach Dr . Ja Uwe Lagosky Dr . Hans-Peter Friedrich Alexander Hoffmann Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers CDU/CSU (Hof) (Dort- Andreas G . Lämmel mund) Stephan Albani Dr . Norbert Lammert Dr . Michael Fuchs Hans-Joachim Fuchtel Franz-Josef Holzenkamp Ulrich Lange Alexander Funk Dr . Hendrik Hoppenstedt Barbara Lanzinger Dorothee Bär Ingo Gädechens Margaret Horb (B) Thomas Bareiß Dr . Bettina Hornhues (D) Dr . Günter Baumann Dr . Mathias Edwin Höschel Dr . Philipp Lengsfeld Charles M . Huber Dr . Andreas Lenz (Börde) Hubert Hüppe Dr . Veronika Bellmann Josef Göppel Erich Irlstorfer Sybille Benning Ursula Groden-Kranich Dr . André Berghegger Klaus-Dieter Gröhler Sylvia Jörrißen Matthias Lietz Dr . Michael Grosse-Brömer Dr . Astrid Grotelüschen Dr . Peter Beyer Markus Grübel Patricia Lips Dr . Egon Jüttner Bartholomäus Kalb Wilfried Lorenz Dr . Maria Böhmer Monika Grütters Hans-Werner Kammer Dr . Claudia Lücking-Michel Klaus Brähmig Dr . Steffen Kanitz Dr . Jan-Marco Luczak Michael Brand Fritz Güntzler Dr . Reinhard Brandl Olav Gutting Bernhard Kaster Dr . Rainer Hajek Volker Kauder Thomas Mahlberg Dr . Dr . Dr . Stefan Kaufmann Jürgen Hardt Cajus Caesar Roderich Kiesewetter Hans-Georg von der Marwitz Alexandra Dinges-Dierig Matthias Hauer Dr . Georg Kippels (Altötting) Reiner Meier Dr . Stefan Heck Jürgen Klimke Dr . Michael Meister Thomas Dörflinger Dr . Axel Knoerig Marie-Luise Dött Jens Koeppen Hansjörg Durz Dr . h .c . Hans Michelbach Jutta Eckenbach (Chemnitz) Carsten Körber Dr . 21524 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Dietrich Monstadt Oliver Wittke Uli Grötsch (C) Karsten Möring Barbara Woltmann Dr . Heinrich Zertik Rita Hagl-Kehl Volker Mosblech Bernd Siebert Dr . Elisabeth Motschmann Ulrich Hampel Carsten Müller (Braun- SPD schweig) Michael Hartmann (Wa- Niels Annen Stefan Müller (Erlangen) ckernheim) Ingrid Arndt-Brauer Dr . Carola Stauche Michaela Noll Dr . Hubertus Heil (Peine) Heike Baehrens Helmut Nowak Dr. Bettina Bähr-Losse Dr . Georg Nüßlein Heinz-Joachim Barchmann Julia Obermeier Dr . Wilfried Oellers Johannes Steiniger Dr . Barbara Hendricks Florian Oßner Christian Frhr . von Stetten Dr . Dr . Gabriele Hiller-Ohm Sören Bartol Henning Otte Rita Stockhofe Bärbel Bas Dr . Eva Högl Max Straubinger Matthias Ilgen Lothar Binding (Heidelberg) Matthäus Strebl Christina Jantz-Herrmann Dr . Martin Pätzold Thomas Stritzl Ulrich Petzold Michael Stübgen Dr . Karl-Heinz Brunner Sibylle Pfeiffer Dr . Sabine Sütterlin-Waack Thomas Jurk Dr . h .c . Edelgard Bulmahn Dr . Dr . Antje Tillmann Johannes Kahrs Jürgen Coße Dr . Hans-Peter Uhl Petra Crone Alexander Radwan Dr . Volker Ullrich Gabriele Katzmarek Alois Rainer Ulrich Kelber Dr . (B) Dr . Marina Kermer (D) Dr . Eckhardt Rehberg Sabine Dittmar Michael Vietz Martin Dörmann (Kleinsaara) Dr. Bärbel Kofler Elvira Drobinski-Weiß Iris Ripsam Sven Volmering Daniela Kolbe Siegmund Ehrmann Johannes Röring Christel Voßbeck-Kayser Birgit Kömpel Michaela Engelmeier Kathrin Rösel Kees de Vries Dr . Norbert Röttgen Dr . Dr . h .c . Dr . Hans-Ulrich Krüger Erwin Rüddel Petra Ernstberger Helga Kühn-Mengel Karl-Heinz Wange Anita Schäfer (Saalstadt) Karin Evers-Meyer Christian Lange (Backnang) Karl Schiewerling Dr . Johannes Fechner Dr . Dr . h .c . Dr . Steffen-Claudio Lemme Norbert Schindler (Hamburg) Elke Ferner Dr . Christian Flisek Gabriele Lösekrug-Möller Christian Schmidt (Fürth) Peter Weiß (Emmendingen) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Sabine Weiss (Wesel I) Dr . Kirsten Lühmann Patrick Schnieder Ulrich Freese Dr . Birgit Malecha-Nissen Nadine Schön (St . Wendel) Karl-Georg Wellmann Dr . Ole Schröder Sigmar Gabriel Dr . Kristina Schröder (Wies- Waldemar Westermayer Dr . baden) Bernhard Schulte-Drüggelte Peter Wichtel Iris Gleicke Dr . Klaus-Peter Schulze Annette Widmann-Mauz Angelika Glöckner Bettina Müller Heinz Wiese (Ehingen) Detlef Müller (Chemnitz) (Weil am Klaus-Peter Willsch Michelle Müntefering Rhein) Elisabeth Winkelmeier- Gabriele Groneberg Dr . Rolf Mützenich Christina Schwarzer Becker Michael Groß Andrea Nahles Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21525

(A) Nicole Maisch Dr . André Hahn (C) Ulli Nissen Peter Meiwald Dr . Inge Höger Mahmut Özdemir (Duisburg) Dr . Karin Thissen Beate Müller-Gemmeke Andrej Hunko Aydan Özoğuz Franz Thönnes Özcan Mutlu Sigrid Hupach Carsten Träger Dr . Ulla Jelpke Rüdiger Veit Omid Nouripour Susanna Karawanskij Ute Vogt Friedrich Ostendorff Joachim Poß Dirk Vöpel Lisa Paus Florian Post Brigitte Pothmer Katrin Kunert (Minden) Bernd Westphal Tabea Rößner Caren Lay Dr . Wilhelm Priesmeier Andrea Wicklein Claudia Roth (Augsburg) Sabine Leidig Dr . Sascha Raabe Dirk Wiese Manuel Sarrazin Ralph Lenkert Dr . Simone Raatz Gülistan Yüksel Dr . Gerhard Schick Dr . Gesine Lötzsch Stefan Zierke Dr . Thomas Lutze Stefan Rebmann Dr . Jens Zimmermann Kordula Schulz-Asche Birgit Menz Gerold Reichenbach Manfred Zöllmer Dr . Wolfgang Strengmann- Cornelia Möhring Dr . Carola Reimann Brigitte Zypries Kuhn Niema Movassat Dr . Harald Terpe Norbert Müller (Potsdam) Sönke Rix BÜNDNIS 90/ Jürgen Trittin Petra Rode-Bosse DIE GRÜNEN Dr . Annalena Baerbock Doris Wagner Richard Pitterle Dr . Volker Beck (Köln) Dr . Valerie Wilms Dr . Dr . Franziska Brantner Dr . Petra Sitte Michael Roth (Heringen) Agnieszka Brugger Fraktionslos Bernd Rützel Ekin Deligöz Dr . (B) Sarah Ryglewski Katja Dörner Azize Tank (D) Annette Sawade Katharina Dröge Frank Tempel Nein Dr . Hans-Joachim Harald Ebner Dr . Axel Troost Schabedoth Dr . Thomas Gambke SPD Dr . Nina Scheer Matthias Gastel Kathrin Vogler Kai Gehring Harald Weinberg Udo Schiefner Katrin Göring-Eckardt Dr . Ute Finckh-Krämer Dr . Dorothee Schlegel Birgit Wöllert Ulla Schmidt (Aachen) Britta Haßelmann Jörn Wunderlich Matthias Schmidt (Berlin) Dr . Sabine Zimmermann Christian Petry (Zwickau) (Wetzlar) Bärbel Höhn Waltraud Wolff (Wol- Carsten Schneider (Erfurt) Dieter Janecek mirstedt) BÜNDNIS 90/ Elfi Scho-Antwerpes Uwe Kekeritz DIE GRÜNEN Katja Keul DIE LINKE (Spandau) Sven-Christian Kindler Hans-Christian Ströbele Maria Klein-Schmeink Jan van Aken Tom Koenigs Herbert Behrens Enthalten Rita Schwarzelühr-Sutter Sylvia Kotting-Uhl Matthias W . Birkwald SPD Oliver Krischer Norbert Spinrath Stephan Kühn (Dresden) Christine Buchholz René Röspel Christian Kühn (Tübingen) Eva Bulling-Schröter Martina Stamm-Fibich Renate Künast Roland Claus BÜNDNIS 90/ Markus Kurth Dr . Diether Dehm DIE GRÜNEN Dr . Frank-Walter Steinmeier Steffi Lemke Klaus Ernst Monika Lazar Christoph Strässer Dr . Wolfgang Gehrcke Corinna Rüffer

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt. 21526 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) Als nächste Rednerin in der Debatte hat jetzt Christine Seit 2014 hat die Bundesregierung mehr als 30 Trans- (C) Buchholz von der Fraktion Die Linke das Wort . portflugzeuge mit Rüstungsgütern und Waffen in den Irak geschickt . Die Peschmerga erhielten unter ande- (Beifall bei der LINKEN) rem 4 000 Sturmgewehre und über 18 Millionen Schuss Munition . Ich frage die Bundesregierung: Können Sie Christine Buchholz (DIE LINKE): ausschließen, dass die kurdische Regionalregierung mit Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr diesen Waffen nicht auch gegen ihre Gegner im Innern Steinmeier, Sie haben die Frage der Verantwortung in das vorgeht? Nein, Sie können es nicht . Und ich frage Sie: Zentrum Ihrer letzten Rede als Außenminister gestellt . Wie können Sie denn dann diese Waffen liefern? Der Bundeswehreinsatz im Irak, über den wir heute hier diskutieren, steht für uns eigentlich beispielhaft für die (Beifall bei der LINKEN) falsche Ausrichtung und auch die falsche Interpretation der Verantwortung der Bundesregierung in der Welt . Da- Die Peschmerga sind im Übrigen keine reguläre Ar- bei rede ich explizit nicht über die Anstrengung der hu- mee . Es sind die Parteimilizen Barsanis und Talabanis . manitären Hilfe beispielsweise für Flüchtlinge im Nord- Diese beiden Clanführer haben Irakisch-Kurdistan unter- irak, wo viel mehr zu tun ist und wo übrigens auch die einander aufgeteilt . Barsanis Clan hat den Krieg gegen Flüchtlinge geschützt werden müssen; sie dürfen nicht den IS zum Vorwand genommen, sich die Großstadt Kir- wieder in den Nordirak abgeschoben werden . Vielmehr kuk einzuverleiben . Dabei kam es zu ethnisch motivier- geht es darum, heute, hier und jetzt über die Fortführung ten Vertreibungen . Amnesty International berichtete im des Bundeswehreinsatzes zu diskutieren . Die Bundes- vergangenen Herbst, dass rund 450 Familien aus Kirkuk wehr soll nämlich weiterhin die Peschmerga, also die und Umgebung von Peschmerga vertrieben worden sind . Milizen der kurdischen Regionalregierung im Nordirak, Ihr einziges Verbrechen: Sie sind Araber . Ihre Häuser militärisch ausbilden . Zur Begründung behauptete Ver- wurden von Bulldozern plattgewalzt . Man muss wissen: teidigungsministerin von der Leyen in der ersten Bera- Im Irak kämpfen kurdische, sunnitische und schiitische tung des Antrags, die Peschmerga hätten „als Erste den Eliten um Macht, Öl und Territorien . Wenn man in einem IS gestoppt“ . solchen Konflikt Partei ergreift, trägt das nur zur weiteren ethnischen Spaltung des Iraks bei . Auch deshalb lehnt die Das ist nicht wahr . Als der IS im Sommer 2014 die Linke diesen Auslandseinsatz entschieden ab . Minderheit der Jesiden angriff und ins nordirakische Sindschar-Gebirge trieb, flohen die Peschmerga, ohne ei- (Beifall bei der LINKEN – Henning Otte nen einzigen Schuss abzugeben, und es war die kurdische [CDU/CSU]: Sie opfern Menschen!) PKK, die den Jesiden einen Korridor freikämpfte . (B) Denn genau diese ethnische Spaltung hat doch den (D) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – IS erst stark gemacht . Das von den US-Invasoren einge- Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch eine setzte schiitisch dominierte Regime in Bagdad hat über üble Legende!) Jahre Sunniten verfolgt . Das konnte der IS dann ausnut- Doch die PKK gilt in Deutschland als terroristisch . zen . Daran hat sich im Grundsatz nichts geändert . Auch Die Peschmerga hingegen, welche die Jesiden im Stich heute müssen sunnitische Männer um ihr Leben fürchten, ließen, werden von Deutschland mit Waffen und Ausbil- wenn sie in die Hand der irakischen Armee fallen . Erst dung unterstützt . letzte Woche sind wieder Videos öffentlich geworden, die zeigen, wie Soldaten der irakischen Armee wehrlo- (Michael Brand [CDU/CSU]: Unverschämt! – se Gefangene foltern und kaltblütig hinrichten . Die UN Henning Otte [CDU/CSU]: Jetzt übernehmen fordert Aufklärung, und die Bundesregierung darf dazu Sie sich aber!) nicht schweigen .

Um den Bundeswehreinsatz im Irak zu rechtfertigen, (Beifall bei der LINKEN) leugnet die Bundesregierung diese nachweislichen Fak- ten . Herr Steinmeier, Sie haben zu Beginn der Mosul-Of- fensive vor drei Monaten gesagt – ich zitiere –: (Michael Brand [CDU/CSU]: Sie sollten sich bei Trump bewerben!) Wenn nach der Befreiung der Stadt die Geißel des Es gibt aber auch Kurden im Nordirak, die das sa- IS nur durch einen Machtkampf zwischen Kurden, gen, so wie der Journalist Wedat Hussein Ali . Er wagte Sunniten und Schiiten abgelöst wird, dann ist jeden- es, Präsident Barsani und die kurdische Regionalregie- falls für die Menschen in Mosul nichts gewonnen . rung zu kritisieren . Die Folge: Wedat Hussein Ali wurde mehrfach von Barsanis Leuten verhört und bedroht . Im Da haben Sie, Herr Steinmeier, recht gehabt . Das August letzten Jahres wurde seine Leiche mit Folter- Problem ist nur: Dieser Machtkampf zwischen den kor- spuren aufgefunden . Human Rights Watch spricht von rupten kurdischen, schiitischen und sunnitischen Eliten Dutzenden Journalisten, die von Kräften der kurdischen ist doch längst am Laufen, und er wird durch den Bun- Regionalregierung schikaniert, inhaftiert oder getötet deswehreinsatz im Irak weiter unterstützt . Deshalb muss worden sind . Wir sagen: Ein solches Regime darf nicht dieser Einsatz umgehend beendet werden . Das wäre eine unterstützt werden . verantwortliche Entscheidung . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21527

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: außenministers ist, glaube ich, schon ein Nomadendasein (C) Als nächster Redner spricht Jürgen Hardt für die zwischen Flugzeug, Hotelzimmer und stickigen Konfe- CDU/CSU-Fraktion . renzsälen . Ich wünsche Ihnen trotzdem, dass Sie – auch wenn der Außenminister viel unterwegs ist – noch Zeit (Beifall bei der CDU/CSU) für Ihre Familie finden, wie Sie sich das wünschen. Alles Gute im neuen Amt! Jürgen Hardt (CDU/CSU): Jetzt zum Mandat . Wir haben hier bereits einmal aus- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! führlich darüber diskutiert . Der Deutsche Bundestag hat Zu Beginn meiner Rede möchte ich als außenpolitischer entschieden, diesen schwierigen Weg zu gehen . Er hat Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dem Bun- sich bewährt; denn wir haben tatsächlich einen wirksa- desaußenminister für seine Arbeit und für die gute Zu- men Beitrag zur Bekämpfung des IS im Norden des Iraks sammenarbeit danken, die wir mit ihm gehabt haben . Wir leisten können mit unseren Partnern, den Peschmerga . wünschen Ihnen für mögliche zukünftige Ämter alles Gute und werden darauf setzen, dass Sie in Ihrem neuen Es gibt eine Frage, die die Kolleginnen und Kollegen Amt die Außenpolitik nicht aus dem Auge verlieren . Das meiner Fraktion beschäftigt . Auch in diesem Jahr hat die ist uns wichtig . An einer Stelle Ihrer Rede musste ich ein Bundesregierung das Mandat wieder mit Artikel 24 Ab- bisschen schmunzeln . Als Sie von dem lohnenden Dün- satz 2 des Grundgesetzes begründet . Wir glauben, dass ger der Opposition für die Demokratie geredet haben, dies eine tragfähige Begründung ist . Wir glauben, dass klang es fast so, als würden Sie Ihrer Fraktion ein wenig die völkerrechtliche Rechtmäßigkeit des Einsatzes nicht Mut zusprechen vor zukünftigen Zeiten . infrage steht . Bei der Frage, auf welchen Artikel des Grundgesetzes man sich bezieht, geht es um die nationale (Dagmar Ziegler [SPD]: Ihnen! – Dr . Rolf Rechtsgrundlage innerhalb Deutschlands . Mützenich [SPD]: Nein! Für alle! Gut zuhö- ren!) (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die ist nicht gegeben!) Aber ich glaube, so war das nicht gedacht . Artikel 24 Absatz 2 Grundgesetz ist meines Erachtens Sie haben als Außenminister die Rolle Deutschlands ausreichend für die Begründung des Mandates . Es wäre in der internationalen Politik gestärkt . Sie haben das, was aber, glaube ich, souveräner, wenn wir auch überlegen Sie und die Bundesverteidigungsministerin sowie der würden, ob wir ein solches Mandat durchaus auch auf Bundespräsident vor zwei Jahren in München angekün- Artikel 87a des Grundgesetzes stützen könnten . Das ist digt haben, dass Deutschland bereit ist, mehr Verantwor- eine mindestens ebenso verlässliche Rechtsgrundlage tung zu übernehmen, mit Leben gefüllt . Sie haben das für einen solchen Bundeswehreinsatz . Das ist in meiner auch ein Stück weit vorgelebt und in vielen Situationen, (B) Fraktion zur Sprache gekommen . (D) in denen deutscher Rat und deutsche Hilfe gefragt wa- ren – oft auch hinter verschlossenen Türen und am Tele- (Beifall bei der CDU/CSU) fon –, im Interesse Deutschlands und Europas gehandelt . Wenn wir die Situation im Norden des Irak sehen, so Dafür danke ich Ihnen . stellen wir fest, dass die Peschmerga einen guten, einen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie wirksamen Beitrag zur Bekämpfung des IS leisten . Wir bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE müssen nach der Phase der konkreten Unterstützung der GRÜNEN) kurdischen Truppen mit Ausrüstung und Ausbildungsun- terstützung – bisher waren es rund 12 000 Sicherheits- Sie übergeben Ihrem Nachfolger ein wohlbestelltes kräfte – die Frage stellen, wie es mittelfristig und lang- Haus, allerdings auch insgesamt sechs Großbaustellen fristig in dieser Region weitergehen soll. Deswegen finde der Außenpolitik, wo wir Konflikte und Krisen mit jeder ich die Überlegungen der Bundesregierung dazu gut, Menge Gewerke zu bewältigen haben: von Afghanistan wie auch zukünftig die sonstigen irakischen Streitkräfte bis in den Maghreb hinein, den Konflikt mit Russland in stärkerem Umfang mit in diesen Prozess einbezogen um die Ukraine, die Situation in Afrika – wir haben ge- werden können . rade das Mali-Mandat verabschiedet –, die Situation im Südchinesischen Meer, die Situation der Europäischen Eines Tages muss der Zeitpunkt kommen, an dem die Union und natürlich auch die offenen Fragen im Zusam- Region so weit befriedet ist, dass der Irak die Sicherheit menhang mit unserem Verhältnis zu Amerika . Das ist ein im Land gewährleisten kann . Das geht natürlich nur, Riesenberg Arbeit . Ich bin sicher, dass der Amtsnach- wenn die Struktur erhalten bleibt und wenn die Einheit folger einen dicken Stapel von zweiseitigen Dossiers zu des Landes durch eine Regierung gewährleistet wird, die all diesen einzelnen Gewerken bekommt, in die er sich sich für eine inklusive Regierung, für eine angemesse- einarbeitet . ne Berücksichtigung ethnischer und religiöser Gruppen im Land, speziell auch der Kurden, in vollem Umfang Dem zukünftigen Außenminister wünsche ich alles einsetzt . Wir sagen immer, wenn wir mit der irakischen Gute im Amt . Er ist ein erfahrener Politiker, der mit allen Regierung sprechen, dass sie eine inklusive Regierungs- Wassern gewaschen ist, der mit Säbel und Florett um- führung betreiben muss, weil sie sonst so scheitert wie gehen kann . Die diplomatischen Fähigkeiten sind uns vor wenigen Jahren; die gegenwärtig angespannte Ent- bisher eher verborgen geblieben, aber ich bin absolut si- wicklung in der Region ist die Folge dieses Scheiterns . cher, dass Sie auch in diesem Felde reüssieren . An einem Punkt glaube ich allerdings, dass Sie Ihre Vorstellung In diesem Sinne wird die CDU/CSU-Bundestagsfrak- korrigieren müssen: Das Dasein eines deutschen Bundes- tion den Antrag zur Fortsetzung des Mandats mit der 21528 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Jürgen Hardt (A) Obergrenze von 150 Soldatinnen und Soldaten unterstüt- Union, der NATO, der Vereinten Nationen oder bei- (C) zen . Ich wünsche allen Soldatinnen und Soldaten, die in spielsweise der OSZE . Das ist hier explizit nicht der Fall . diesem Einsatz sind, dass sie wohlbehalten nach Hause Die Ausbildungsunterstützung für die Peschmerga leistet kommen und das nötige Soldatenglück haben, dass ihnen die Bundeswehr im Rahmen einer Koalition der Willi- nichts passiert, damit wir diesen Einsatz so fortführen gen, und das ist kein System kollektiver Sicherheit . Wir können . können Sie nur wie jedes Jahr auffordern, diesen Fehler endlich zu korrigieren Herzlichen Dank . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Das zweite Problem, das wir mit diesem Mandat und mit der Politik, die die Bundesregierung an dieser Stel- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: le macht, haben, ist Folgendes: Wenn man ausbildet und Vielen Dank .– Als nächste Rednerin hat Agnieszka dann sogar noch so viele Waffen und so viel Ausrüstung Brugger für Bündnis 90/Die Grünen das Wort . geliefert hat, dann hat man schon auch eine Verantwor- tung, sehr genau hinzuschauen, was anschließend damit Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- passiert . Denn es steht natürlich immer die Gefahr im NEN): Raum, dass die vermittelten Fähigkeiten und das ge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lieferte Gerät missbraucht werden . Auch das ist etwas, Lieber Herr Außenminister Steinmeier, Sie haben als wozu wir Sie, seit es dieses Mandat gibt, immer wieder Deutschlands Chefdiplomat den außenpolitischen Kurs befragt haben . der Bundesregierung in vermehrt schwierigen und stür- Wir haben die Bundesregierung gefragt: Wie reagie- mischen Zeiten geprägt . Sie haben das mit klarem Kom- ren Sie denn eigentlich auf die Berichte der Menschen- pass, mit einer Balance aus Besonnenheit, Sorge und rechtsorganisationen, dass Peschmerga-Kämpfer nach Entschlossenheit getan . Dafür möchte ich Ihnen im Na- der Befreiung bestimmter Gebiete Dörfer und Häuser men meiner ganzen Fraktion ebenso wie für die sehr gute arabischstämmiger Menschen zerstört haben? Was tun Zusammenarbeit und auch die faire politische Auseinan- Sie eigentlich dagegen – das ist wirklich schon abseh- dersetzung danken, auch wenn wir nicht immer einer bar –, dass die Spannungen innerhalb der Peschmerga, Meinung waren . zwischen PUK und KDP, immer größer werden? Wie ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hen Sie mit der Regionalregierung um, die wirklich keine sowie bei Abgeordneten der SPD) demokratische Legitimation mehr hat, oder wie mit den Hinweisen darauf, dass Zivilgesellschaft und Journalis- (B) Im Namen der Grünen wünsche ich Ihnen auch, ohne ten unterdrückt und eingeschränkt werden? (D) irgendetwas vorwegnehmen zu wollen, jenes Finger- spitzengefühl, jenen Mut und weiterhin die Gabe, die Ich finde schon: Wenn man ausbildet, wenn man Waf- richtigen Worte zur richtigen Zeit zu finden. fen liefert, dann hat man erst recht eine Verantwortung, hier ganz genau hinzuschauen und auch zu handeln . Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir beraten die Mandate zu den Bundeswehreinsätzen auch immer in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) den Ausschüssen . Vor zwei Tagen hat ein Kollege im Denn am Ende des Tages ist natürlich auch die beste Aus- Verteidigungsausschuss gesagt: Wer diesem Mandat bildungsunterstützung nichts wert, wenn ein konsequen- nicht zustimmt, muss auch formulieren, was die Alterna- ter, umsichtiger Beitrag zur Entwicklung des politischen tive ist. – Ich finde, der Kollege aus der Koalition hat mit Umfelds fehlt, in dem die Sicherheitskräfte dann agieren dieser Aussage völlig recht . sollen . Wenn ich mir noch einmal unsere Reden bei den letz- Man muss doch schon feststellen: Auf die Waffenlie- ten Beratungen dieses Mandats anschaue, stelle ich fest, ferungen haben Sie sich sehr schnell geeinigt; aber es dass wir immer eine klare Alternative formuliert haben, wäre immer noch so viel mehr möglich, wenn es darum nämlich zwei sehr klare Bedingungen, unter denen dieses geht, einen ganzheitlichen, engagierten Beitrag zu einer Mandat für uns zustimmungsfähig wäre . Es gibt nämlich friedlichen Zukunft des Iraks zu leisten . Deutschland hat zwei sehr große Probleme mit diesem Mandat, das wir hier eine hervorgehobene Position: Wir sind Kovorsit- im Kern für richtig halten . Es ist den Kräften der Pesch- zende der AG Stabilisierung, also der Gruppe der Staa- merga gelungen, einige Gebiete zu befreien und andere ten, die sich mit der Frage beschäftigt, wie es eigentlich vor der Terrorherrschaft des sogenannten „Islamischen in den befreiten Gebieten weitergeht . Auch hier fragen Staates“ zu beschützen . wir immer wieder nach: Was tut die Bundesregierung denn konkret? Eines der beiden gewichtigen Probleme ist die recht- liche Konstruktion . Hier wäre es hanebüchen, auf den Es ist ein guter Beitrag, wenn Sie ankündigen, sich anderen Grundgesetzartikel zurückzugreifen . Es wäre schnell darum zu kümmern, dass die Stromversorgung besser, sich noch einmal mit der Rechtsprechung des und die Wasserversorgung in Mosul wieder funktionie- Bundesverfassungsgerichtes zu beschäftigen, das sehr ren, sobald die Stadt – worauf wir alle hoffen – befreit genau dargestellt hat, unter welchen Bedingungen die ist . Aber so wichtig diese Infrastrukturprojekte sind – sie Bundeswehr im Ausland eingesetzt werden kann . Das ersetzen doch nicht den politischen Beitrag, der darin Urteil von 1994 sagt: „im Rahmen eines Systems … kol- bestehen muss, hier alle Akteure in die Pflicht zu neh- lektiver Sicherheit“, also im Rahmen der Europäischen men und darauf hinzuwirken, dass sie endlich politische Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21529

Agnieszka Brugger (A) Macht teilen, dass die wirtschaftlichen Gewinne fair auf- Christen, Jesiden und unterschiedliche Kurdengruppen (C) geteilt werden und dass alle Gruppen sich versöhnen und flüchteten in das einzige noch sichere Gebiet: die Region wieder friedlich zusammenleben können . Da können wir Kurdistan/Irak . Deswegen war und ist es richtig, zu deren Sie einfach nur auffordern: Tun Sie hier mehr! Es wäre Schutz und als Hilfe zur Selbsthilfe zunächst militärische mehr möglich . Ausrüstungshilfe zu leisten und dann die multinationale Ausbildungsunterstützung für das Militär fortzusetzen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen, wir sind (Beifall bei der CDU/CSU) hier nicht einfach dagegen; wir machen sehr konkrete Waffen in ein Krisengebiet zu schicken, war in diesem Vorschläge . Als Sie gerade in Ihrer Rede, Herr Außen- Fall eine berechtigte Abkehr von der bisherigen Doktrin . minister Steinmeier, noch mal gesagt haben, wie wichtig Gegen massive Gewalt mit militärischen Mitteln helfen die Debatten hier im Parlament sind, haben Sie, glaube eben nur militärische Mittel . Niemand würde auf die Idee ich, viele von uns Abgeordneten mit dieser Aussage be- kommen, akute Cholera mit Kamillentee zu bekämpfen . rührt. Aber ich finde, wenn ihr die Debatten in diesem Parlament wichtig sind, dann sollte die Bundesregierung Das deutsche Hilfsangebot wurde gut angenommen . konstruktive Hinweise aus der Opposition hören und auf- Circa 12 000 Sicherheitskräfte haben wir gemeinsam mit nehmen . internationalen Partnern im Irak und in Deutschland aus- Vielen Dank . gebildet . Gleichzeitig bleiben die militärischen Unter- stützungsmaßnahmen auch künftig eingebettet in einen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) breiten politischen Ansatz und in ein vernetztes Vorge- hen . Uns geht es nicht nur darum, die kurdischen Pesch- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: merga militärisch auszubilden, damit sie den IS noch weiter zurückdrängen und das Land von diesen Gruppen Vielen Dank . – Als nächster Redner spricht Wilfried befreien können, es geht auch um zivile Hilfe für Flücht- Lorenz für die CDU/CSU-Fraktion . linge und um den Aufbau von Infrastruktur . Militärisches (Beifall bei der CDU/CSU) Material und Ausbildung sowie zivile Hilfe werden auch weiterhin eng mit Bagdad abgestimmt . Wilfried Lorenz (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, der IS führt Krieg gegen die Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schwächsten, gegen Frauen und Kinder, gegen Mensch- Meine Damen und Herren! Eines vorweg: Deutschland lichkeit, gegen Freiheit und Recht und gegen die Werte hilft mit der Bundeswehr bei der Ausbildung von Streit- der westlichen Welt . Und wie er das mit dem Mittel der (B) kräften im Irak, weil wir – erstens – darum gebeten wer- Propaganda im Internet versucht, erfasst keine herkömm- (D) den, weil wir – zweitens – damit den Aufforderungen des liche Definition von Krieg in Gänze. Wir brauchen daher UN-Sicherheitsrates folgen, die irakische Regierung im herkömmliche militärische Mittel, um Schlimmeres zu Kampf gegen den IS zu unterstützen, und weil – drit- verhindern . tens – nur in einer gemeinsamen Anstrengung mit den Kräften vor Ort der IS noch stärker zurückgedrängt und Aber der IS hat nicht nur im Irak eine Spur der Ver- geschwächt werden kann . So funktioniert kollektive Si- wüstung hinterlassen, sondern auch in den Menschen cherheit, und so funktioniert der Schutz von Menschen- selbst . Denken Sie an tief traumatisierte Menschen, die rechten durch gegenseitige Hilfe . monatelang in Städten eingeschlossen waren, denken Sie an die Städte, die dem Erdboden gleichgemacht wurden . Meine Damen und Herren, der IS musste territoriale Umso wichtiger ist ein nachhaltiger Fähigkeitsaufbau, Verluste im Irak und in Syrien hinnehmen, und er wurde wie ihn die Bundeswehr für Kurden und Iraker leistet . auch wesentlich geschwächt . Gemeinsam mit der inter- Daher wird die Ausbildung stets modulmäßig der jewei- nationalen Koalition gelang es kurdischen und irakischen ligen Situation angepasst . Am Anfang war es angesichts Kräften, den IS in wenige Kerngebiete zurückzudrängen . der hohen Verluste der Peschmerga notwendig, erste Hil- Selbst Mosul ist zur Hälfte befreit . Und trotzdem ist der fe zu leisten; heute steht nach gefechtsmäßiger Ausbil- IS unverändert eine große Bedrohung für Frieden und dung das Entschärfen von Minen und Sprengstofffallen Sicherheit weltweit . Diese Bedrohung betrifft auch uns im Vordergrund . Damit wird die Grundlage gelegt, dass Deutsche ganz konkret; das zeigte zuletzt der furchtbare Häuser, Wohnungen und Infrastruktur den Menschen Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt hier in Berlin . Der wieder zur Verfügung gestellt werden können . Schulterschluss europäischer Staaten, in die der IS nun verstärkt Angst und Schrecken tragen will, ist noch en- Meine Damen und Herren, es ist für mich unbegreif- ger geworden; denn der Terror zielt auf Europa, genauer lich, wie angesichts dieses Leids die Notwendigkeit des gesagt: auf das Herz unseres Kontinents . Deswegen kann Anti-IS-Einsatzes im Irak bezweifelt werden kann, ohne man sagen: Unsere Sicherheit wird auch im Irak vertei- auch nur eine einzige Alternative vorzuschlagen . digt . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Noch vor zweieinhalb Jahren erreichten uns Meldun- ordneten der SPD) gen über großflächige Landgewinne und schreckliche Gräueltaten dieser Terrorbande . Die Menschen vor Ort Sollen wir die Menschen dem IS überlassen? Nein . konnten sich nicht aus eigener Kraft gegen immer nä- Deutschland leistet mit diesem Einsatz einen zentralen her rückendes Morden schützen . Aramäer, Chaldäer, Beitrag für die Menschen im Irak, für die Menschen in 21530 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Wilfried Lorenz (A) Europa und für die Menschen in Deutschland . Daher Ja, ich gebe Ihnen recht: Es gibt nie eine hundertpro- (C) werden wir dem vorliegenden Antrag zustimmen . zentige Garantie, dass nicht Einzelne ihre Ausbildung oder ihre Ausrüstung zu einem späteren Zeitpunkt entge- (Beifall bei der CDU/CSU) gen unserem Ansinnen einsetzen .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Als Nächste hat die Kollegin Julia Obermeier, CDU/ Frau Kollegin Obermeier, gestatten Sie eine Zwi- CSU-Fraktion, das Wort . schenfrage der Kollegin Buchholz? (Beifall bei der CDU/CSU) Julia Obermeier (CDU/CSU): Julia Obermeier (CDU/CSU): Nein, ich möchte gern weiter vortragen . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Buchholz, ich frage mich schon, was Sie (Dr .Diether Dehm [DIE LINKE]: Das habe und Ihre Fraktion den Tausenden Mädchen und Frauen ich mir gedacht! Zur PKK sagen Sie auch wie der Jesidin Nadia Murad sagen wollen, die der IS nichts!) verschleppt, verkauft und vergewaltigt hat, nachdem ihre Aber garantiert ist, dass wir durch ein Die-Hände-in- Mutter und ihre sechs Brüder getötet wurden . den-Schoß-Legen und Nichtstun die Frauen und Kinder (Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie schie- schutzlos den Schlächtern des IS überlassen hätten . In ben die wieder zurück in den Irak! Also reden dieser Abwägung zwischen möglichen Risiken zu einem Sie hier nicht herum!) späteren Zeitpunkt und der Möglichkeit, der Notwendig- keit, ja, ich finde, der Pflicht, Menschenleben zu retten, Das Schicksal von Nadia Murad – sie hat uns hier komme ich eben zu einem anderen Schluss als Sie von im Bundestag in kleiner Gruppe davon berichtet – steht der Opposition . Dieser Einsatz ist richtig . beispielhaft für das Leid von Tausenden und führt uns deutlich vor Augen: Wir dürfen die Menschen, die dem (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Grauen des IS ausgeliefert sind, nicht alleine lassen, und ordneten der SPD) das tun wir auch nicht . Und auch hier verfolgen wir einen vernetzten Ansatz . (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr rich- Unsere Politik ist klar ausgerichtet: Wir unterstützen die tig! – Beifall bei der CDU/CSU – Christine Kurden im Kampf gegen den IS, aber wir leisten keinen Buchholz [DIE LINKE]: Wie gehen Sie mit Beitrag zu deren Abspaltungstendenzen . Es wird eine der (B) irakischen Flüchtlingen um, Frau Obermeier?) Aufgaben des neuen deutschen Außenministers sein, sich (D) dafür einzusetzen, dass der Irak eins bleibt, also ein in- Deutschland hat – und diese Entscheidung haben wir klusiver Staat bleibt, und dass seine politische Führung uns im Deutschen Bundestag nicht leicht gemacht – vor von der Bevölkerung legitimiert ist . Denn eines zeich- zweieinhalb Jahren beschlossen, Waffen in ein Krisen- net sich ab: Je mehr es gelingt, den IS zurückzudrän- gebiet, in den Nordirak, zu liefern . Und wir haben be- gen, umso deutlicher treten auch die innenpolitischen schlossen, dass wir diejenigen, die wir ausrüsten, auch Schwächen der irakischen Zentralregierung wieder in ausbilden . 12 000 Mann haben wir bisher ausgebildet, den Vordergrund . Hier liegt auch einer der Schwerpunkte hauptsächlich Peschmerga, aber auch Jesiden, Turkme- unserer Entwicklungszusammenarbeit: Wir stärken die nen und Kakai . Diese Kräfte waren maßgeblich daran staatlichen Strukturen im Irak, wir unterstützen die Bin- beteiligt, den Vormarsch des IS im Irak zu stoppen und nenflüchtlinge und über das „Cash for Work“-Programm Gebiete zurückzuerobern . auch diejenigen, die in die befreiten, aber zerstörten Ge- (Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Sagen Sie biete zurückkehren und dort Wiederaufbau betreiben . doch mal was zur PKK!) Wir lassen die Menschen im Irak nicht allein, weder di- plomatisch noch entwicklungspolitisch oder militärisch . Unser Beitrag ist zwar ein kleiner, aber ein wichtiger . Deshalb bitte ich Sie um Ihre Unterstützung für die Man- Und wir haben uns bewusst gegen eine rein EU- oder datsverlängerung . NATO-geführte Mission entschieden, um einerseits den Eindruck eines Kampfes des Westens gegen den Islam Vielen Dank . zu vermeiden und andererseits viele andere Partner – wie (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Jordanien, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen ordneten der SPD) Emirate – mit ins Boot zu holen .

Natürlich sehen wir auch die kritischen Punkte des Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Einsatzes . Aber: Bei den Waffenverlusten der Peschmer- Vielen Dank .– Die Kollegin Buchholz hat um das ga handelt es sich um Einzelfälle . Es liegt hier kein Miss- Wort für eine Kurzintervention gebeten . Bitte, Frau brauch unserer Unterstützung im großen Stil vor . Die Pe- Buchholz . schmerga-Führung bemüht sich sehr um die Aufklärung dieser Einzelfälle . Wir haben von Anfang an Vorsorge getroffen, indem wir eine Vorratshaltung verhindert und Christine Buchholz (DIE LINKE): immer nur so viele Waffen und Munition abgegeben ha- Sehr geehrte Kollegin Obermeier, lassen Sie mich ben, wie auch gebraucht werden . zwei Fragen stellen: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21531

Christine Buchholz (A) Wie stehen Sie zu dem historischen Fakt, dass es nicht Gibt es noch ein Mitglied dieses Hauses, das seine (C) die Peschmerga waren, sondern die PKK, die die Jesiden Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? im Sindschar-Gebirge befreit hat? Sie können die Be- (Zuruf: Ja!) hauptung, wir würden unverantwortlich mit dem Leid der Jesiden umgehen, überhaupt nicht aufrechterhalten, – Es gibt viele Urnen, an denen es keinen Andrang gibt . weil Sie es sind, die weiter die Kriminalisierung der PKK Würden auch diese mehr genutzt, würde alles etwas betreiben schneller passieren .– Ich sehe jetzt niemanden mehr, der noch nicht abgestimmt hat . (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh- und zulassen, dass Erdogan damit weitermacht .– Das ist rerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin- der erste Punkt . nen . Das Ergebnis wird Ihnen später bekannt gegeben 2). Ich finde es sehr merkwürdig, dass Sie sich damit zu- Ich bitte, die Plätze wieder einzunehmen und die Ver- friedengeben, dass Waffen, die Sie geliefert haben, offen- abschiedung des Außenministers außerhalb des Plenar- sichtlich nur in Einzelfällen nicht mehr auffindbar sind saals vorzunehmen . Herr Außenminister, die Abschieds- und man nicht weiß, wo sie gelandet sind . Was sagen Sie zeremonie sollte vor den Türen stattfinden. denn dazu, dass die Peschmerga Teil der Repression im Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf: Nordirak sind? Wir haben von Fällen gehört, in denen Journalisten drangsaliert und ermordet wurden . Wir wis- Beratung der Beschlussempfehlung und des sen aber auch, dass beispielsweise Demonstrationen von Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und den Peschmerga mit Repressionen überzogen werden . Energie (9 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abge- Wie passt das mit einer ethischen Außenpolitik zusam- ordneten Ralph Lenkert, Eva Bulling-Schröter, men, der Sie hier scheinbar immer das Wort reden? Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE (Beifall bei der LINKEN) Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Drucksachen 18/3050, 18/3749 Frau Kollegin Obermeier . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre hier keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Julia Obermeier (CDU/CSU): (B) Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege (D) Was für mich zählt, ist die Befreiung der Jesiden vom Florian Post, SPD-Fraktion . IS . Hierbei leistet unsere Unterstützung der Peschmer- ga und leisten die Peschmerga einen wichtigen Beitrag . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Diese Unterstützung wollen wir nicht einstellen, sondern der CDU/CSU) fortsetzen . Florian Post (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU) Verehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es stimmt, dass eine ungleiche Belastung Vizepräsidentin Ulla Schmidt: der einzelnen Bundesländer bei den Kosten der Energie- Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet . wende gegeben ist . Gerade durch den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien in den neuen Bundesländern Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti- ist hier der Netzausbaubedarf stark gestiegen . Zugleich gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung auf werden diese Kosten in ländlich geprägten Regionen auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- vergleichsweise wenige Verbraucher umgelegt . Dies hat kräfte zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheitskräf- zu deutlichen Steigerungen der Netzentgelte vor allem in te der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der ira- der Regelzone von 50Hertz geführt . Auch Bayern hatte kischen Streitkräfte. Der Ausschuss empfiehlt in seiner in TenneTs Regelzone überdurchschnittliche Erhöhun- Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10968, den gen der Netzentgelte zu verkraften . Antrag der Bundesregierung auf Drucksache 18/10820 Ich möchte kurz aus dem Koalitionsvertrag zitieren: anzunehmen . Wir stimmen nun über die Beschlussemp- fehlung namentlich ab . Die Koalition wird das System der Netzentgelte auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der Mir liegen hierzu zwei persönliche Erklärungen nach Netzinfrastruktur überprüfen . § 31 unserer Geschäftsordnung vor 1). Die Frage dieser bundesweiten Neuverteilung der Be- Ich bitte jetzt, die Plätze an den Urnen zu besetzen .– lastungen ist sicherlich keine Frage, die man allein mit Nach meinem Eindruck sind alle Plätze an den Urnen Blick auf den Kompass beantworten kann . Bei den Netz- besetzt . Ich eröffne die Abstimmung über die Beschluss- entgelten geht es auch um Anreize für die Betreiber, um empfehlung . technische Weiterentwicklungen für die neuen Heraus-

1) 2 Anlage 2) Ergebnis Seite 21533 C 21532 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Florian Post (A) forderungen der Energiewende und darum, inwieweit in Deutschland; eine blinde Wälzung wäre es hingegen (C) wir Leistungskomponenten für diese Weiterentwicklung nicht . brauchen . Auch das wird im Koalitionsvertrag adres- siert. Man muss aufpassen, dass man Anreize für Effi- Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . zienzmaßnahmen gibt und gleichzeitig eine ungerechte (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Kostenverteilung vermeidet . Natürlich muss man immer der CDU/CSU) berücksichtigen, dass die Energiewende eine gesamtge- sellschaftliche Aufgabe ist . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Wir haben in dieser Wahlperiode bereits viele Maß- nahmen ergriffen, um dieses Gerechtigkeitsproblem bei Vielen Dank .– Nächster Redner für die Fraktion Die der Verteilung der Stromkosten zu bewältigen . Wir haben Linke ist der Kollege Roland Claus . eine bundesweite Wälzung der Kosten, die bei der Anbin- (Beifall bei der LINKEN) dung der Offshorewindparks entstehen, eingeführt . Auch die Kosten für den Bau der benötigten Gleichstromüber- tragungsleitungen, um die Netzengpässe schrittweise Roland Claus (DIE LINKE): zu beseitigen, werden bundesweit umgelegt werden . Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Ebenso wird die Förderung der Kraft-Wärme-Kopplung Stromkundinnen und Stromkunden! Bereits im Novem- deutschlandweit gewälzt . Mit der Einrichtung von Netz- ber des Jahres 2014 hat meine Fraktion diesen Antrag ge- ausbaugebieten verhindern wir zudem weitere regionale stellt, und er ist leider nicht veraltet; so viel zum Thema Kostensteigerungen für die Redispatch-Maßnahmen . Da- „Hauruckverfahren“ . Also an Zeit zu gründlichen Ent- rüber hinaus sorgen wir mit der Novellierung des EEG scheidungen hat es nicht gemangelt . Wir haben auch ab- für mehr Berechenbarkeit und Kostenkontrolle beim gewartet, weil wir ein wenig auf die Lernfähigkeit dieser Ausbau weiterer erneuerbarer Energien . Aber wir dürfen Koalition gebaut haben . Aber das war offenkundig ein das alles nicht in einem Hauruckverfahren umsetzen . Fehler . Mit dem Entwurf für das Gesetz zur Modernisie- Gegenstand unseres Antrages ist, dass wir es mit star- rung der Netzentgeltstruktur gehen wir nun eine weite- ken regionalen Ungerechtigkeiten bei den Gebühren für re Baustelle an, die der vermiedenen Netznutzungsent- Stromnetze zu tun haben, und natürlich haben wir mit gelte . Würden wir diese aber erst einfrieren und dann dem Antrag angestrebt, diese Ungerechtigkeiten zu über- schrittweise abschmelzen, würden wir hier weder mehr winden . Fakt ist aber nach wie vor: Der Osten subventio- Transparenz noch mehr Gerechtigkeit herstellen . Das ur- niert Strom in West- und in Süddeutschland . Das wollen (B) sprüngliche Ziel dieser Regelung war ja gerade, dass wir wir so nicht weiter haben, meine Damen und Herren . (D) dezentrale Erzeugungsanlagen durch die Auszahlung der vermiedenen Netzentgelte dafür belohnen wollten, dass (Beifall bei der LINKEN) sie durch eine lastnahe Erzeugung und dezentrale Ein- Ich war Anfang dieses Jahres mit anderen Bundestags- speisung die Kosten für den Ausbau der Übertragungs- kollegen am Chemiestandort in Leuna . Wir wollten die netze einsparen . Dieses Ziel wird zum Teil nicht mehr Möglichkeiten ausloten, künftig Batterien ohne Metalle erreicht . Aber auch hier heißt es für uns: Lieber gewis- herzustellen . Wir sind dann auch gut ins Gespräch ge- senhaft zu arbeiten, als schnell Fehler zu machen . kommen; aber zunächst mussten wir uns von der chemi- Inwieweit eine Abschmelzung der vermiedenen Netz- schen Industrie Sätze arger Enttäuschung und Forderun- nutzungsentgelte gerade bei nicht volatiler Versorgung gen anhören, die angesprochenen Ungerechtigkeiten in sinnvoll ist, müssen wir im parlamentarischen Verfahren diesem Gesetz zu beseitigen und gerechte Nutzungsent- hier noch dringend klären . Die vermiedenen Netzentgel- gelte zu schaffen . te tragen bei vielen Betreibern von Kraft-Wärme-Kopp- lungsanlagen in ähnlich hohem Maße zur Kostendeckung Es gab aus dem Bundeswirtschaftsministerium mit wie die KWK-Förderung selbst bei, die wir hier ja erst dem Gesetz zur Modernisierung der Netzentgelte das vor kurzem gemeinsam beschlossen haben . Versprechen, eine Vereinheitlichung vorzunehmen . Bun- desminister Gabriel war nach einer intensiven Debatte im Wenn die Wirtschaftlichkeit dieser klimaschonenden Haushaltsausschuss selbst in Leuna . Dieses Versprechen, Technologie durch das NEMoG nun wieder gefährdet diese Zusage, wurde nun nicht eingehalten . Da muss es werden würde, könnten wir das wirklich niemandem ver- Sie nicht wundern, meine Damen und Herren, dass der mitteln, insbesondere nicht den vor allem in Ostdeutsch- Landesverband Nordost der chemischen Industrie hier land ansässigen betroffenen Betreibern von Kraft-Wär- eine Lex Nordrhein-Westfalen vermutet, nämlich eine me-Kopplungsanlagen . Gerade deshalb glaube ich, dass Besserstellung wegen der Landtagswahl . die Beteiligung der Länder und eine gründliche parla- mentarische Prüfung dieses Gesetzesvorhabens von be- Im Antrag der Linken sind die Probleme uneinheitli- sonderer Bedeutung sind . cher Netzkosten anhand von Beispielen belegt . Wir ha- ben es mit Mehrkosten von bis zu 100 Prozent zu tun, so- Eine umfassende Neugestaltung der Netzentgelte- wohl bei privaten Verbrauchern vor allem im ländlichen und Umlagesystematik ist geboten . Eine Umverteilung Raum, aber natürlich vor allem bei der energieintensiven mit der Gießkanne kann aber sicherlich nicht die Lösung Industrie . So werden die Bundesländer mit hohem Anteil sein . Ein gewissenhaft ausgestaltetes NEMoG ist ein an erneuerbaren Energien nun mit den gleichen Instru- wichtiger Schritt für eine gerechte Verteilung der Lasten menten, mit denen sie einmal gefördert wurden, bestraft . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21533

Roland Claus (A) Das ist ein Treppenwitz der Wirtschaftsgeschichte – aber schlagen wird, abgelehnt, und zwar nur deshalb, weil es (C) ein schlechter Treppenwitz, müssen wir Ihnen sagen . von der Linken kommt . (Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der LINKEN) GRÜNEN]: Wenn es von uns kommt, auch!) Bundesminister Gabriel hat heute Morgen bei der Vor- Das, meine Damen und Herren, ist angesichts der Tatsa- stellung des Jahreswirtschaftsberichts den Satz gesagt, che, dass Ihr Kollege Michael Fuchs heute Morgen selbst wir hätten es mit einer gelungenen Energiewende zu tun . über Probleme im Energiesektor geklagt hat, wirklich Die Stromrechnung vieler Verbraucher und die Energie- eine Politik von gestern . Das ist so von gestern und so kostenanteile in der Industrie sprechen eine deutlich an- daneben, dass ich das im Osten inzwischen keinem mehr dere Sprache . erklären kann . Die Wählerinnen und Wähler glauben mir gar nicht, dass Sie so von gestern sind. Ich finde ja, die (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Union ist klüger, als sie bei Abstimmungen hier demons- triert . Heute hätten Sie die Möglichkeit, das ein einziges Nun erfahren Sie zu Recht Widerspruch, vor allem Mal zu zeigen . aus den ostdeutschen Ländern . Ministerpräsident Tillich (Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN) aus Sachsen wendet sich im Namen aller seiner Minis- terpräsidentenkolleginnen und -kollegen an den Bundes- Deshalb meine Aufforderung an die Union: Heute Hände wirtschaftsminister . Das Land Thüringen kündigt eine hoch, wenn es um die Abstimmung über den Antrag der Linken geht! Bundesratsinitiative an . Sie werden dieses Thema heu- te also nicht los . Die Umweltministerin von Thüringen (Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund sagt wörtlich: „Diesen Wortbruch wollen wir nicht hin- [CDU/CSU]: Den Kopf hoch, nicht die Hän- nehmen “. Da muss ich sagen: So etwas kann das Wirt- de!) schaftsministerium doch nicht einfach aussitzen, meine Damen und Herren . Ministerpräsident Tillich aus Sach- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: sen schreibt der Bundesregierung: Vielen Dank . – Ich möchte Ihnen, bevor ich den Kollegen Bareiß aufrufe, noch das von den Schriftfüh- Angesichts weiterer struktureller Nachteile der ost- rerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na­ deutschen Länder ist dies nicht hinnehmbar . mentlichen Abstimmung bekannt geben: abgegebene Stimmen 557 . Mit Ja haben gestimmt 444, mit Nein ha- Bekanntlich wird von der Unionsfraktion in diesem ben gestimmt 67, Enthaltungen gab es 46 . Damit ist die (B) Hause alles, aber auch alles, was von der Linken vorge- Beschlussempfehlung angenommen . (D)

Endgültiges Ergebnis Steffen Bilger Klaus-Peter Flosbach Fritz Güntzler Abgegebene Stimmen: 557; Clemens Binninger Thorsten Frei Olav Gutting davon Dr . Maria Böhmer Dr . Astrid Freudenstein Christian Haase ja: 444 Dr . Hans-Peter Friedrich Rainer Hajek nein: 67 Klaus Brähmig (Hof) Jürgen Hardt enthalten: 46 Michael Brand Michael Frieser Gerda Hasselfeldt Dr . Reinhard Brandl Dr . Michael Fuchs Matthias Hauer Hans-Joachim Fuchtel Ja Helmut Brandt Mark Hauptmann Dr . Ralf Brauksiepe Alexander Funk Dr . Stefan Heck CDU/CSU Dr . Helge Braun Ingo Gädechens Dr . Matthias Heider Stephan Albani Heike Brehmer Dr . Thomas Gebhart Helmut Heiderich Katrin Albsteiger Cajus Caesar Alois Gerig Mechthild Heil Artur Auernhammer Alexandra Dinges-Dierig Eberhard Gienger Frank Heinrich (Chemnitz) Dorothee Bär Alexander Dobrindt Cemile Giousouf Mark Helfrich Thomas Bareiß Michael Donth Josef Göppel Uda Heller Günter Baumann Thomas Dörflinger Ursula Groden-Kranich Jörg Hellmuth Maik Beermann Marie-Luise Dött Klaus-Dieter Gröhler Rudolf Henke Manfred Behrens (Börde) Hansjörg Durz Michael Grosse-Brömer Michael Hennrich Veronika Bellmann Jutta Eckenbach Astrid Grotelüschen Ansgar Heveling Sybille Benning Hermann Färber Markus Grübel Dr . Heribert Hirte Dr . André Berghegger Dr . Thomas Feist Manfred Grund Christian Hirte Dr . Christoph Bergner Enak Ferlemann Oliver Grundmann Alexander Hoffmann Ute Bertram Ingrid Fischbach Monika Grütters Thorsten Hoffmann (Dort- Peter Beyer Dr . Maria Flachsbarth Dr . Herlind Gundelach mund) 21534 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Karl Holmeier Patricia Lips Erwin Rüddel Kees de Vries (C) Franz-Josef Holzenkamp Wilfried Lorenz Albert Rupprecht Dr . Johann Wadephul Dr . Hendrik Hoppenstedt Dr . Claudia Lücking-Michel Anita Schäfer (Saalstadt) Marco Wanderwitz Margaret Horb Dr . Jan-Marco Luczak Karl-Heinz Wange Bettina Hornhues Daniela Ludwig Karl Schiewerling Nina Warken Dr . Mathias Edwin Höschel Karin Maag Jana Schimke Kai Wegner Charles M . Huber Yvonne Magwas Norbert Schindler Dr . h .c . Albert Weiler Hubert Hüppe Thomas Mahlberg Tankred Schipanski Marcus Weinberg (Hamburg) Erich Irlstorfer Gisela Manderla Christian Schmidt (Fürth) Dr . Anja Weisgerber Thomas Jarzombek Matern von Marschall Gabriele Schmidt (Ühlingen) Peter Weiß (Emmendingen) Sylvia Jörrißen Hans-Georg von der Marwitz Patrick Schnieder Sabine Weiss (Wesel I) Dr . Franz Josef Jung Stephan Mayer (Altötting) Nadine Schön (St . Wendel) Ingo Wellenreuther Andreas Jung Reiner Meier Dr . Ole Schröder Karl-Georg Wellmann Xaver Jung Dr . Michael Meister Dr . Kristina Schröder (Wies- Marian Wendt Dr . Egon Jüttner Dr . baden) Waldemar Westermayer Bartholomäus Kalb Jan Metzler Bernhard Schulte-Drüggelte Kai Whittaker Hans-Werner Kammer Maria Michalk Dr . Klaus-Peter Schulze Peter Wichtel Steffen Kanitz Dr . h .c . Hans Michelbach Uwe Schummer Annette Widmann-Mauz Alois Karl Dr . Mathias Middelberg Armin Schuster (Weil am Heinz Wiese (Ehingen) Anja Karliczek Dietrich Monstadt Rhein) Klaus-Peter Willsch Bernhard Kaster Karsten Möring Christina Schwarzer Elisabeth Winkelmeier- Volker Kauder Marlene Mortler Detlef Seif Becker Dr . Stefan Kaufmann Volker Mosblech Johannes Selle Oliver Wittke Ronja Kemmer Elisabeth Motschmann Dr . Patrick Sensburg Barbara Woltmann Roderich Kiesewetter Dr . Gerd Müller Bernd Siebert Heinrich Zertik Dr . Georg Kippels Carsten Müller (Braun- Thomas Silberhorn Dr . Matthias Zimmer Volkmar Klein schweig) Johannes Singhammer Jürgen Klimke Stefan Müller (Erlangen) Tino Sorge SPD (B) Axel Knoerig Dr . Andreas Nick (D) Jens Spahn Niels Annen Jens Koeppen Michaela Noll Carola Stauche Ingrid Arndt-Brauer Markus Koob Helmut Nowak Dr . Frank Steffel Carsten Körber Dr . Georg Nüßlein Rainer Arnold Dr. Wolfgang Stefinger Hartmut Koschyk Julia Obermeier Heike Baehrens Albert Stegemann Kordula Kovac Wilfried Oellers Bettina Bähr-Losse Michael Kretschmer Florian Oßner Peter Stein Heinz-Joachim Barchmann Gunther Krichbaum Dr . Tim Ostermann Johannes Steiniger Dr . Katarina Barley Rüdiger Kruse Henning Otte Christian Frhr . von Stetten Doris Barnett Dr . Roy Kühne Ingrid Pahlmann Dieter Stier Dr . Matthias Bartke Günter Lach Sylvia Pantel Rita Stockhofe Sören Bartol Uwe Lagosky Martin Patzelt Stephan Stracke Bärbel Bas Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers Dr . Martin Pätzold Max Straubinger Uwe Beckmeyer Andreas G . Lämmel Ulrich Petzold Matthäus Strebl Lothar Binding (Heidelberg) Dr . Norbert Lammert Sibylle Pfeiffer Thomas Stritzl Burkhard Blienert Katharina Landgraf Eckhard Pols Michael Stübgen Willi Brase Ulrich Lange Thomas Rachel Dr . Sabine Sütterlin-Waack Dr . Karl-Heinz Brunner Barbara Lanzinger Kerstin Radomski Dr . Peter Tauber Dr . h .c . Edelgard Bulmahn Paul Lehrieder Alexander Radwan Antje Tillmann Dr . Lars Castellucci Dr . Katja Leikert Alois Rainer Dr . Hans-Peter Uhl Jürgen Coße Dr . Philipp Lengsfeld Dr . Peter Ramsauer Dr . Volker Ullrich Petra Crone Dr . Andreas Lenz Eckhardt Rehberg Arnold Vaatz Bernhard Daldrup Dr . Ursula von der Leyen Lothar Riebsamen Oswin Veith Dr . Daniela De Ridder Antje Lezius Josef Rief Thomas Viesehon Dr . Karamba Diaby Ingbert Liebing Iris Ripsam Michael Vietz Sabine Dittmar Matthias Lietz Johannes Röring Volkmar Vogel (Kleinsaara) Martin Dörmann Andrea Lindholz Kathrin Rösel Sven Volmering Elvira Drobinski-Weiß Dr . Carsten Linnemann Dr . Norbert Röttgen Christel Voßbeck-Kayser Siegmund Ehrmann Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21535

(A) Michaela Engelmeier Helga Kühn-Mengel Carsten Schneider (Erfurt) Waltraud Wolff (Wol- (C) Dr . h .c . Gernot Erler Christine Lambrecht Elfi Scho-Antwerpes mirstedt) Petra Ernstberger Christian Lange (Backnang) Ursula Schulte Saskia Esken Dr . Karl Lauterbach Ewald Schurer DIE LINKE Karin Evers-Meyer Steffen-Claudio Lemme Andreas Schwarz Jan van Aken Dr . Johannes Fechner Burkhard Lischka Rita Schwarzelühr-Sutter Herbert Behrens Dr . Fritz Felgentreu Hiltrud Lotze Rainer Spiering Matthias W . Birkwald Elke Ferner Kirsten Lühmann Norbert Spinrath Heidrun Bluhm Christian Flisek Dr . Birgit Malecha-Nissen Svenja Stadler Christine Buchholz Gabriele Fograscher Caren Marks Martina Stamm-Fibich Eva Bulling-Schröter Dr . Edgar Franke Katja Mast Sonja Steffen Roland Claus Ulrich Freese Dr . Matthias Miersch Dr . Frank-Walter Steinmeier Dr . Diether Dehm Dagmar Freitag Klaus Mindrup Christoph Strässer Klaus Ernst Sigmar Gabriel Susanne Mittag Kerstin Tack Wolfgang Gehrcke Michael Gerdes Bettina Müller Claudia Tausend Dr . André Hahn Martin Gerster Detlef Müller (Chemnitz) Michael Thews Dr . Rosemarie Hein Iris Gleicke Michelle Müntefering Dr . Karin Thissen Inge Höger Angelika Glöckner Dr . Rolf Mützenich Franz Thönnes Andrej Hunko Ulrike Gottschalck Andrea Nahles Carsten Träger Sigrid Hupach Kerstin Griese Dietmar Nietan Ute Vogt Ulla Jelpke Gabriele Groneberg Ulli Nissen Dirk Vöpel Susanna Karawanskij Michael Groß Thomas Oppermann Gabi Weber Kerstin Kassner Uli Grötsch Mahmut Özdemir (Duisburg) Bernd Westphal Katja Kipping Bettina Hagedorn Markus Paschke Andrea Wicklein Katrin Kunert Rita Hagl-Kehl Christian Petry Dirk Wiese Caren Lay Metin Hakverdi Jeannine Pflugradt Gülistan Yüksel Sabine Leidig Ulrich Hampel Detlev Pilger Dagmar Ziegler Stefan Liebich Sebastian Hartmann Sabine Poschmann Stefan Zierke Dr . Gesine Lötzsch (B) Michael Hartmann (Wa- Joachim Poß Thomas Lutze (D) ckernheim) Dr . Jens Zimmermann Florian Post Birgit Menz Dirk Heidenblut Manfred Zöllmer Achim Post (Minden) Cornelia Möhring Hubertus Heil (Peine) Brigitte Zypries Dr . Wilhelm Priesmeier Niema Movassat Gabriela Heinrich Dr . Sascha Raabe Norbert Müller (Potsdam) Marcus Held BÜNDNIS 90/ Dr . Simone Raatz Thomas Nord Wolfgang Hellmich DIE GRÜNEN Martin Rabanus Petra Pau Dr . Barbara Hendricks Mechthild Rawert Dr . Thomas Gambke Richard Pitterle Gustav Herzog Stefan Rebmann Tom Koenigs Martina Renner Thomas Hitschler Gerold Reichenbach Dr . Petra Sitte Dr . Eva Högl Dr . Carola Reimann Fraktionslos Kersten Steinke Matthias Ilgen Andreas Rimkus Erika Steinbach Dr . Kirsten Tackmann Christina Jantz-Herrmann Sönke Rix Azize Tank Frank Junge Petra Rode-Bosse Nein Frank Tempel Josip Juratovic Dennis Rohde Dr . Axel Troost Thomas Jurk Dr . Ernst Dieter Rossmann SPD Alexander Ulrich Oliver Kaczmarek Michael Roth (Heringen) Kathrin Vogler Ulrike Bahr Johannes Kahrs Bernd Rützel Harald Weinberg Gabriele Katzmarek Sarah Ryglewski Klaus Barthel Katrin Werner Ulrich Kelber Annette Sawade Dr . Ute Finckh-Krämer Birgit Wöllert Marina Kermer Dr . Hans-Joachim Gabriele Hiller-Ohm Jörn Wunderlich Arno Klare Schabedoth Ralf Kapschack Sabine Zimmermann Lars Klingbeil Marianne Schieder Cansel Kiziltepe (Zwickau) Dr. Bärbel Kofler Udo Schiefner Hilde Mattheis Daniela Kolbe Dr . Dorothee Schlegel René Röspel BÜNDNIS 90/ Birgit Kömpel Ulla Schmidt (Aachen) Dr . Nina Scheer DIE GRÜNEN Anette Kramme Matthias Schmidt (Berlin) Swen Schulz (Spandau) Annalena Baerbock Dr . Hans-Ulrich Krüger Dagmar Schmidt (Wetzlar) Rüdiger Veit Katja Keul 21536 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Sylvia Kotting-Uhl Dr . Franziska Brantner Sven-Christian Kindler Brigitte Pothmer (C) Monika Lazar Agnieszka Brugger Maria Klein-Schmeink Tabea Rößner Irene Mihalic Ekin Deligöz Oliver Krischer Claudia Roth (Augsburg) Beate Müller-Gemmeke Katja Dörner Stephan Kühn (Dresden) Manuel Sarrazin Lisa Paus Katharina Dröge Christian Kühn (Tübingen) Ulle Schauws Corinna Rüffer Harald Ebner Renate Künast Dr . Gerhard Schick Dr . Wolfgang Streng- Matthias Gastel Markus Kurth Dr . Frithjof Schmidt mann-Kuhn Kai Gehring Steffi Lemke Kordula Schulz-Asche Katrin Göring-Eckardt Dr . Tobias Lindner Hans-Christian Ströbele Enthalten Anja Hajduk Nicole Maisch Britta Haßelmann Peter Meiwald Dr . Harald Terpe BÜNDNIS 90/ Dr . Anton Hofreiter Özcan Mutlu Jürgen Trittin DIE GRÜNEN Bärbel Höhn Dr . Konstantin von Notz Dr . Julia Verlinden Kerstin Andreae Dieter Janecek Omid Nouripour Doris Wagner Volker Beck (Köln) Uwe Kekeritz Friedrich Ostendorff Dr . Valerie Wilms

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt.

Jetzt hat der Kollege Thomas Bareiß, CDU/CSU-Frak- für Stück bezahlbarer, sicherer und umweltfreundlicher tion, das Wort . – Bitte schön . zu gestalten . Wir sollten aber keine Verteilungsdebatten führen, um dahin zu kommen, dass alle das Gleiche zah- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- len müssen . Das führt in die falsche Richtung . Ich glau- ordneten der SPD) be, wir müssen die Energiewende effizient gestalten. Zu diesem Zweck haben wir vieles gemacht, und (CDU/CSU): Thomas Bareiß wir werden in dieser Legislaturperiode auch noch eini- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! ges tun, meine Damen und Herren . Denn wir glauben, Herr Claus hat noch gesagt: Liebe Stromkundinnen und wenn wir das nicht tun, wenn wir die Energiewende also liebe Stromkunden! Auch ich möchte das in aller Offen- (B) nicht bezahlbar gestalten, dann werden wir Arbeitsplät- (D) heit so sagen .– Lieber Herr Claus, unsere Hände gehen ze verlieren, dann werden wir auch die Zustimmung der immer hoch, wenn es darum geht, die Energiewende be- Menschen zu diesem ganz, ganz großen Projekt verlie- zahlbar zu gestalten . Leider haben wir von Ihnen in den ren, und dann werden wir es nicht schaffen, dass andere letzten Jahren nichts dazu gesehen . Wir haben in zwei Länder mitziehen und uns folgen . Das ist ja das, was wir großen EEG-Novellen versucht, die Kosten für die er- gemeinsam erreichen wollen: dass die Energiewende ein neuerbaren Energien in den Griff zu bekommen . Wir Exportschlager wird und andere Länder in Europa, aber haben auch versucht, den Ausbau der erneuerbaren Ener- auch außerhalb Europas mit uns mitziehen . gien voranzutreiben . Lieber Oliver Krischer, auch von euch haben wir da wenig gesehen . Ich glaube, wir brauchen eine ehrliche Debatte . Ich sage ganz offen, dass es auch in unserer Fraktion, ge- (Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nauso wie in allen anderen Fraktionen, durchaus unter- NEN]: Dann hättet ihr besser hingucken müs- schiedliche Auffassungen gibt . Vor diesem Hintergrund sen! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE möchte ich ein paar wenige Punkte, die meine beiden GRÜNEN]: Was? So schlimm das ist, aber Vorredner angesprochen haben, aufgreifen . wir regieren seit zwölf Jahren nicht mehr! – Gegenruf von der CDU/CSU: Gott sei Dank!) Ich glaube, die Energiewende ist im Kern ein lokales, regionales Projekt . Sie wird vor Ort gestaltet . Wir haben Wir haben versucht, die Kosten in den Griff zu be- diese Idee in viele Gesetzgebungsinitiativen eingebracht . kommen, indem wir gesagt haben: Wir müssen den Net- Wenn man die Energiewende vor Ort gestaltet, dann zausbau gemeinsam mit dem Ausbau der erneuerbaren werden dort Chancen und Gewinne entstehen, aber auch Energien in den Griff bekommen und beides zusammen- Herausforderungen und Kosten; das muss man ebenfalls führen . Wir haben auch gesagt: Wir wollen den Ausstieg sehen . Das müssen wir zusammenbringen; denn nur so aus dem EEG, hin zu einem Wettbewerbsmodell, hin zu wird die Energiewende ein stimmiges Konzept . Ausschreibungen . – Auch da kam von Ihnen null Komma null . Wir haben in vielen, vielen Einzelschritten versucht, Lieber Herr Claus, dann muss man auch sagen, dass die Energiewende bezahlbar zu gestalten . Von Ihnen kam nicht nur der Osten den Westen bezahlt, sondern dass da nichts . Da haben Sie einiges versäumt . auch der Osten enorm von der Energiewende profitiert. Dies anzusprechen, gehört ebenfalls zur Ehrlichkeit in Ich glaube, das, was Sie heute vorgelegt haben, ist et- der Debatte . Wenn man sich den großen EEG-Topf an- was Rückwärtsgewandtes . Wissen Sie: Es geht nicht da- schaut: So profitiert derzeit allein Brandenburg jährlich rum, dass wir hier Kostenverteilungsdebatten führen . Es mit 850 Millionen Euro davon . Ihr Heimatland, lieber geht darum, dass wir versuchen, die Energiewende Stück Herr Claus, Sachsen-Anhalt, holt knapp 500 Millionen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21537

Thomas Bareiß (A) Euro aus dem EEG-Topf . Das heißt, jeder Bürger Ihres Wollen Sie damit sagen, dass die Argumente, die der (C) Landes profitiert von dem EEG-Topf mit 230 Euro pro Ministerpräsident hier vorträgt und die vielen unserer Ar- Kopf . gumente ähneln und zum Teil wortgleich sind, für Sie gegenstandslos und nicht verhandlungsfähig sind? (Ulrich Freese [SPD]: Nein, die Eigentümer der Windparks!) (CDU/CSU): Nordrhein-Westfalen – ich möchte mich nicht für die- Thomas Bareiß ses Land allein zum Anwalt machen – bezahlt die Ver- Herr Claus, ich habe in meiner bisherigen Rede dar- anstaltung mit jährlich 100 Millionen Euro . Auch das gestellt, dass die Energiewende viele Teilbereiche hat, müssen wir sehen . Ferner gibt es regional sehr unter- die gesehen werden müssen, und dass es in vielen Teil- schiedliche Sichtweisen . Es entstehen neue Arbeitsplätze bereichen Ungleichheiten gibt, aber auch Chancen und in Brandenburg, in Mecklenburg-Vorpommern, an der Risiken . Küste, Ich habe auch gesagt, dass der Osten – Sachsen-An- (Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Haufenwei- halt und Brandenburg, ich habe es klar beschrieben – in se!) vielen Bereichen von der Energiewende profitiert. Ich auf der anderen Seite fallen aber auch Arbeitsplätze in habe aber auch nicht bestritten, dass es andere Bereiche den Braunkohle- und Steinkohlerevieren weg . Auch dies gibt, wie die Netzentgelte, in denen der Osten noch nach- ist uns allen bekannt . Deshalb entstehen Ungleichheiten legen muss, in denen man mehr tun muss und in denen es vor Ort nicht nur im Bereich der Netzentgelte, wo wir Ausbaukosten gibt . Diese Kosten werden derzeit auf die- durchaus sehen, dass wir dort etwas tun müssen, sondern se Bundesländer gewälzt . Es ist in Teilbereichen richtig, auch in anderen Bereichen, Ungleichheiten, die wir se- was Sie gesagt haben . Aber daraus zu folgern, dass wir hen müssen, wenn wir das Gesamtbild betrachten wollen . alles sozialisieren müssen, das ist nicht richtig . Deshalb sage ich in aller Deutlichkeit: Die Energie- Ich denke, wir müssen fein differenzieren . Wenn Sie wende ist ein lokales Projekt . Wir müssen die lokalen noch etwas gewartet hätten, bis ich weitergesprochen Gegebenheiten berücksichtigen . Wir brauchen Potenzial hätte, dann hätte ich Ihnen auch erklärt, dass wir die Kos- vor Ort . Wir können nur dort Windräder bauen, wo auch ten für Teile der Übertragungsnetze auch heute schon tatsächlich Wind bläst, und wir können nur dort Anlagen bundeseinheitlich wälzen . Maßnahmen, die aus der Ener- zur Solarenergiegewinnung aufbauen, wo die Sonne am giewende auf uns zukommen, beispielsweise die dreispu- meisten scheint . Es gibt also nicht nur im Bereich der rige Stromautobahn vom Norden in den Süden, werden erneuerbaren Energien Ungerechtigkeiten, sondern auch bundeseinheitlich gewälzt . Auch die Offshoreanbindung, (B) in anderen Bereichen . Auch das gehört zur Wahrheit und die im Norden geschieht, in der Ostsee und in der Nord- (D) sollte zur Kenntnis genommen werden . see, wird bundeseinheitlich gewälzt, lieber Herr Claus . Ebenfalls werden andere Maßnahmen, beispielsweise Wir brauchen in den nächsten Jahren enorme Investi- die Erdverkabelung in Niedersachsen, die dafür wichtig tionen im Bereich des Netzausbaues . Übertragungsnetze ist, dass wir auch dort Akzeptanz für die erneuerbaren müssen gebaut werden . Wir werden bis 2025 allein für Energien und den Netzausbau finden, bundeseinheitlich Übertragungsnetze 50 Milliarden Euro investieren müs- gewälzt . sen . Diese Summe ergibt sich dadurch, dass wir einen Teil der Netze modernisieren müssen, aber auch dadurch, Das heißt, jeder hat ein Stück weit diese Kosten zu tra- dass die Energiewende uns neue Herausforderungen gen . Es ist also richtig, dass wir die Kosten für gesamt- stellt . Ein Großteil der Windenergie vom Norden muss in staatliche Aufgaben bundeseinheitlich wälzen . Ob dies den nächsten Jahren verstärkt in den Süden transportiert aber für jede Modernisierung der Übertragungsnetze gel- werden . ten soll, da setze ich noch ein Fragezeichen; das sage ich ganz offen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Wir müssen auch darüber diskutieren, welche Kon- Herr Kollege Bareiß, darf ich Sie kurz unterbrechen? – sequenzen das auf die Strompreise jedes Einzelnen in Der Kollege Claus würde Ihnen gern eine Frage stellen . Zukunft haben wird . Es wird speziell für die Industrie Gestatten Sie das? Auswirkungen haben . Auch das müssen wir offen sagen; das gehört zur Ehrlichkeit dazu . Die Netzentgelte für das Thomas Bareiß (CDU/CSU): Übertragungsnetz machen bei Privathaushalten nur einen Aber gerne . Ich freue mich darauf . Anteil von 3 bis 4 Prozent des Gesamtstrompreises aus, aber bis zu 100 Prozent bei den sehr großen Industrie­ Vizepräsidentin Ulla Schmidt: unternehmen, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen . Die Unternehmen, die beispielsweise Aluminium Bitte schön, Herr Kollege Claus . produzieren, haben teilweise 100 Prozent der Entgelte für das Übertragungsnetz zu tragen . Sie würden ganz Roland Claus (DIE LINKE): besonders stark von bundeseinheitlichen Wälzungen in Herr Kollege Bareiß, ich gehe einmal davon aus, dass Mitleidenschaft gezogen werden . Das würde eine enor- Ihnen auch der Brief des Ministerpräsidenten Tillich vor- me Gefahr für unseren Industriestandort Deutschland be- liegt . Er ist ja offenbar so etwas wie Ihr Parteifreund, je- deuten . Ich glaube, auch das müssen wir in unsere Über- denfalls sind Sie nach meiner Kenntnis beide in der CDU . legungen mit einbeziehen . 21538 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Thomas Bareiß (A) Das Projekt, das Sie angestoßen haben und das wir Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C) auch diskutieren werden, darf nicht dazu führen, dass wir Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeitsplätze in Gesamtdeutschland verlieren . Das wäre, Worum geht es eigentlich? Netzentgelte machen unge- glaube ich, der falsche Weg in Bezug auf die Energie- fähr 25 Prozent unseres Strompreises aus . Damit wird wende . das gesamte Stromnetz finanziert. Hier unterteilt man zwischen dem Übertragungsnetz – das sind die großen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Masten – und dem Verteilnetz, bei dem die Kabel in den – Ich glaube, das hat durchaus ein paar Klatscher ver- Straßen unserer Städte liegen . dient . (Thomas Jurk [SPD]: Na, ganz so einfach ist es nicht!) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) Dieses Thema ist wichtig, weil die Netzentgelte dringend Sie haben die Verteilnetze angesprochen, die eben- reformbedürftig sind . falls wichtig sind . 98 Prozent unserer Netze im Nie- derspannungsbereich sind Verteilnetze . 90 Prozent aller (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) EEG-Anlagen werden an die Verteilnetze vor Ort ange- Heute wird nämlich einfach über die Kilowattstunde be- schlossen . Hier sieht man ganz konkret, dass es einen en- zahlt, egal ob das Netz belastet oder unbelastet ist . Die gen Zusammenhang zwischen dem Ausbau der erneuer- meisten privaten Verbraucher zahlen einfach einen Ki- baren Energie auf der einen Seite und dem notwendigen lowattstundenpreis . Viele Industriekunden zahlen gar Ausbau der Netzinfrastruktur auf der anderen Seite gibt . nichts, und manche – das wissen wir alle – belasten sogar In diesem Bereich sehe ich – im Gegensatz zu den Lin- das Netz, verhalten sich netzschädlich und bekommen ken – bundeseinheitliche Wälzungen nicht als notwendig dann noch Anreize . Das alles gehört dringend reformiert . an . Das hat die Bundesregierung auch erkannt . Wenn man In Ihrem Antrag haben Sie Düsseldorf und das Havel- im Grünbuch und im Weißbuch nachliest, dann sieht land verglichen . Das Havelland hat 600 Windräder . Dort man, dass das alles drinsteht . Leider sind wir jetzt am ist in den letzten Jahren Wertschöpfung entstanden, was Ende der Legislaturperiode . Sigmar Gabriel verabschie- zu Arbeitsplätzen geführt hat . Daran sieht man, dass auch det sich aus dem Amt, und eine Lösung dieses Reform- eine Region von solchen Projekten profitiert und entspre- bedarfs ist nicht erkennbar . Ich sage ehrlich: Das ist im chend höhere Netzkosten tragen muss . Rahmen der Umsetzung der Energiewende ein Fall, bei dem diese Bundesregierung versagt hat . Das muss man Meine Damen und Herren, wir werden in den nächs- an dieser Stelle ganz klipp und klar sagen . (B) ten Jahren leider erleben, dass die Netzkosten weiter (D) steigen werden . Wir werden weiter investieren müssen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN damit der Netzausbau gelingt . Deshalb brauchen wir eine sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sinnvolle Verteilung der Netzausbaukosten . Das ist un- serer Fraktion sehr wichtig . Deshalb werden wir uns mit Man hebt sich dies für spätere Zeiten auf . diesen Themen in den nächsten Wochen beschäftigen . Eben wurde schon das NEMoG erwähnt . Das ist aber Mit dem NEMoG, dem jetzt vorliegenden Gesetzent- nur der Torso eines Gesetzes . Es mag einmal in der Über- wurf, werden wir das Thema „vermiedene Netzentgelte“ legung gewesen sein, dass dieser Entwurf einen Reform­ angehen . Auch das ist ein ganz wichtiger Beitrag . Da- ansatz für die Netzentgelte liefern sollte . Jetzt steht da durch werden wir 57 Millionen Euro umschichten, und nur noch, dass die vermiedenen Netzentgelte langsam auch die neuen Bundesländer werden mit 200 Millionen abgeschmolzen werden sollen . Das ist ein kleiner Bau- Euro ganz konkret davon profitieren können. stein dieses ganzen Themas . Man beantwortet damit noch nicht einmal die Frage, wie man die Kraft-Wärme-Kopp- Meine Damen und Herren, mit Verteilungsdebatten lung, die man ausbauen will und deshalb fördert, die aber werden wir die Energiewende nicht zum Gelingen brin- unter den vorgesehenen Regelungen leiden würde, erhal- gen . Wir brauchen Debatten zu den Themen Energiesi- ten will . Diese Frage wird nicht beantwortet . Das ist ein cherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit . Ich Armutszeugnis für die Bundesregierung . glaube, dass wir hier in den letzten vier Jahren sehr viel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gemacht haben und dass wir mit dem NEMoG in den nächsten Monaten den entscheidenden Baustein setzen Sigmar Gabriel hinterlässt uns hier Trümmer der Ener- werden . giewende; das kann man an dieser Stelle nicht anders sagen . Herzlichen Dank . Genauso wird nach wie vor nicht angegangen, Trans- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- parenz bei den Netzentgelten zu schaffen . Es kann doch ordneten der SPD) nicht sein, dass wir in Deutschland Monopolbetriebe ha- ben und uns öffentlich nicht bekannt ist, was dort wie viel kostet . Ich kann mir meinen Netzbetreiber nicht aussu- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: chen und muss zahlen . Dann erwarte ich aber schon, dass Vielen Dank .– Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt hier umfassende Transparenz hergestellt wird . Das ist der Kollege Oliver Krischer das Wort . im Energiewirtschaftsgesetz verankert, wird aber nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21539

Oliver Krischer (A) umgesetzt . Das müsste mit klaren Regelungen hinterlegt Bei den Übertragungsnetzbetreibern brauchen wir (C) werden . eine bundeseinheitliche Wälzung, aber bei den Verteil- netzbetreibern sehe ich diese Notwendigkeit nicht . Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will dezentrale, möglichst kommunale Stadtwerke, die sowie bei Abgeordneten der LINKEN) die die Netze vor Ort effizient betreiben und die Gebüh- Damit komme ich zu dem Antrag der Linken . Das ist ren am besten gestalten . Das muss unser gemeinsames natürlich auch eine Frage der Regionalität . Ich hatte es Ziel im Sinne der Energiewende sein . bisher, Herr Bareiß, in diesem Haus als Konsens wahrge- nommen, dass die Netzentgelte für das Übertragungsnetz Danke schön . bundeseinheitlich gewälzt werden sollen . Das ist auch (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sinnvoll . Man kann doch niemandem erklären, dass die Menschen für eine große Stromleitung vor ihrer Haustür zahlen sollen, auch wenn der Strom in ein ganz anderes Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Netzgebiet geführt wird . Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Thomas Jurk, SPD-Fraktion, das Wort . (Beifall des Abg . Andreas G . Lämmel [CDU/ CSU]) (Beifall bei der SPD) Das finde ich nicht in Ordnung. Deshalb sollte eine ent- sprechende Regelung in das Gesetz aufgenommen wer- Thomas Jurk (SPD): den . Das war so angekündigt, und in ersten Entwürfen, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten die wir in der Straßenbahn gefunden haben, stand das Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der Linken auch drin . Warum diese Regelung herausgefallen ist, kommt relativ schlicht daher . Es wird begehrt, nur ei- verstehe ich nicht . Da drückt sich die Große Koalition nen einzigen Satz zu beschließen . Ich stelle fest: Dieser offensichtlich wieder einmal vor einer schwierigen Ent- Antrag ist sicher gut gemeint, geht aber sowohl an der scheidung . Man hätte hier Führung zeigen und eine klare Struktur der Netze als auch an der aktuellen politischen Linie verfolgen können . Debatte vorbei . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollege Krischer, ich habe mir einmal die Debatte Herr Claus, was die Linkspartei in ihrem Antrag vom 14 .November 2014 angeschaut . Da sind Sie von schreibt, auch wenn er schon zwei Jahre alt ist, macht die dem früheren energiepolitischen Sprecher Sache nicht besser. Daraus einen Ost-West-Konflikt zu gelobt worden . Deswegen brauche ich das an dieser Stel- machen, finde ich, ehrlich gesagt, skurril. le nicht zu machen . Sie liegen ausnahmsweise einmal (B) völlig richtig . Das Bashing gegen Sigmar Gabriel will (D) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU ich hier nicht kommentieren . und der SPD – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Aber nicht wir!) Es macht aber keinen Sinn, alle Netzebenen in einen Topf zu werfen; denn das hieße gleichsam, das Kind – Doch . Ich habe hier die Rede von Herrn Claus gehört . mit dem Bade auszuschütten . Es geht neben den ver- (Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wenn miedenen Netzentgelten aktuell um die Übertragungs- Sie zugehört hätten, wäre Ihnen das aufgefal- netzentgelte der vier großen Übertragungsnetzbetreiber len!) Amprion, TransnetBW, TenneT und 50Hertz . Wir stellen fest, dass die Preisunterschiede in den jeweiligen Netz- Das Problem besteht nicht nur zwischen Ost und West . gebieten erheblich sind . Je nachdem, ob man bei einem Das ist in Deutschland viel komplizierter . Schauen Sie günstigen Übertragungsnetzbetreiber zu Hause ist oder nach Bayern und nach Schleswig-Holstein! Da gibt es bei einem teureren, bekennt man sich – bis auf wenige eine ganze Menge Unterschiede . Ausnahmen – für oder gegen eine bundesweite Wälzung (Beifall des Abg . Florian Post [SPD]) der Netzentgelte . Was ich falsch finde – und da bleibt Ihr Antrag leider Es ist wirklich kein Ost-West-Thema; einige Redner unklar –, ist Ihre Argumentation in Bezug auf die Verteil- haben bereits darauf hingewiesen . Denn bei bundes- netzbetreiber . Ich hatte es bisher immer so wahrgenom- weit gleichen Übertragungsnetzentgelten würden die men, dass die Linke, wie wir auch, dafür kämpft, dass Verbraucher in zwölf Bundesländern profitieren. In vier Kommunen ihre Verteilnetze selber betreiben können, Ländern würden die Übertragungsnetzentgelte steigen . dass die Netze also in der Verantwortung der Kommunen So ist es nicht verwunderlich, dass in Ländern mit zu- bleiben . Wenn Sie aber anfangen, die Gebühren für die künftig höheren Netzkosten bei einer bundesweiten Wäl- Verteilnetze – ich rede nicht von den Übertragungsnet- zung der größte Widerstand zu verzeichnen ist . Auch die zen – bundesweit zu wälzen, dann entsteht dadurch nicht CDU-Landesgruppe NRW im Bundestag verlangt vom nur ein bürokratisches Monstrum . Damit geben Sie zu- Kanzleramt den Stopp entsprechender Neuregelungen, dem den Anhängern einer neoliberalen Regelung, die die sieht man doch die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Rolle der Stadtwerke mit Blick auf die Verteilnetze gerne Industrie bedroht . Aktuell erreicht die Bundeskanzlerin beschränken wollen – dazu gehört auch Herr Homann Post von 87 Unternehmen, Verbänden und Kammern von der Bundesnetzagentur –, die passenden Argumente aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Hannover und den an die Hand . Deshalb sage ich nur: Vorsicht an der Bahn- ostdeutschen Bundesländern . Lassen Sie mich kurz aus steigkante! Da passen Ihre Argumente nicht zusammen . diesem aktuellen Brief – er wurde bereits veröffentlicht – 21540 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Thomas Jurk (A) zitieren . Unter dem Stichwort „Ungerecht und nicht zu- eine bundesweite Wälzung der Übertragungsnetzentgelte (C) kunftsfähig“ heißt es: zu beschließen . Erneuerbare Energien werden vor allem in dünnbe- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) siedelten und eher ländlich geprägten Regionen er- zeugt . Die Kosten für die Netzintegration verteilen

sich dort also auf wenige Verbraucher . Gleichzeitig Vizepräsidentin Ulla Schmidt: produzieren diese Regionen einen Überschuss an Vielen Dank .– Letzter Redner zu diesem Tagesord- günstigem Strom, von dem alle Kunden in Deutsch- nungspunkt ist der Kollege Dr .Andreas Lenz, CDU/ land profitieren. Es ist daher nicht nachvollziehbar, CSU-Fraktion . weshalb gerade diese Regionen überproportional (Beifall bei der CDU/CSU) hohe Netzentgelte zahlen müssen .

Weiter heißt es unter dem Stichwort „Volkswirtschaftlich Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): widersinnig“: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen Das teils deutlich auseinanderliegende Übertra- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn gungsnetzentgelt benachteiligt bestehende Gewer- man Herrn Jurk zugehört hat, könnte man fast glauben, be- und Industriestandorte, setzt Fehlanreize für die dass die CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen über Neuansiedlung von Industrie und Gewerbe in den Gesetzentwürfe aus dem Hause Gabriel – diese will noch betroffenen Regionen und zieht damit erhebliche dazu Herr Krischer in der U-Bahn gefunden haben – ent- volkswirtschaftliche Nachteile nach sich . scheiden kann . Ich glaube das nicht . Letztlich kommen Recht so . die Gesetzentwürfe aus dem Hause Gabriel . Ich finde es bemerkenswert, dass sich Michael Fuchs Wir beraten heute einmal mehr über den Antrag der von der CDU/CSU-Fraktion heute Morgen in der Debat- Fraktion Die Linke über bundeseinheitliche Netzentgel- te über den Jahreswirtschaftsbericht für bundeseinheitli- te für Strom . Wir hatten im Koalitionsvertrag festgelegt, che Übertragungsnetzentgelte ausgesprochen hat . Beim dass wir das System der Netzentgelte überprüfen werden, Kollegen Bareiß habe ich nicht ganz erkennen können, insbesondere ob es den Anforderungen der Energiewen- was er davon hält . Er hat ein bisschen um den heißen de noch gerecht wird, und zwar vor allem im Hinblick Brei herumgeredet . Aber ich gestatte mir einen Hinweis auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der zu den Profiteuren des EEG-Topfes: Man muss immer Netzinfrastruktur . genau schauen, wer Eigentümer der Anlagen ist, die aus Es gibt in Deutschland vier große Übertragungsnetz- (B) (D) dem EEG-Topf finanziert werden. Das müssen nicht betreiber. Dies hat historische und keine sachspezifischen unbedingt Leute aus Brandenburg oder Sachsen-Anhalt Gründe . Jeder Betreiber hat eine eigene Regelzone und sein . damit auch ein eigenes Netzentgelt . Die meisten Kosten (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der verbleiben im jeweiligen Netzgebiet, also auch die Kos- CDU/CSU – Ulrich Freese [SPD]: Richtig, ten für Regelenergie, für die Redispatch-Maßnahmen, Thomas! Das musste mal gesagt werden!) die Kosten für das Einspeisemanagement und eben auch die Kosten für den Ausbau der Übertragungsnetze . Die Lieber Kollege Krischer, das kann ich Ihnen jetzt nicht Übertragungsnetzentgelte werden damit immer mehr ersparen; denn ich lese auch, was Ihre Parteifreunde in durch Umstände bestimmt, die der einzelne Übertra- meinem Heimatbundesland Sachsen von sich geben . Ich gungsnetzbetreiber nicht beeinflussen kann. rate Ihnen, Ihre Kollegen ein bisschen aufzuschlauen . Der energiepolitische Sprecher der Grünen im Säch- Der Ausbau der Höchstspannungsnetze ist bekann- sischen Landtag hat übrigens gesagt, er sei gegen eine termaßen für den Transport der Windenergie von Nord bundesweite Wälzung, und beruft sich dabei auf das Gut- nach Süd und des Photovoltaikstroms von Süd nach Nord achten von Amprion . wichtig . Die Kostenaufteilung nach Netzgebieten führt dazu, dass die Übertragungsnetzentgelte je nach dem Damit wir uns nicht falsch verstehen: Bundeseinheitli- jeweiligen Netzgebiet unterschiedlich stark ansteigen . che Übertragungsnetzentgelte sind für mich kein Akt der Bereits heute gibt es erhebliche regionale Unterschiede . Solidarität . Vielmehr sind sie ein Gebot der Gerechtig- Wenn man das Kalenderjahr 2017 anschaut, dann sieht keit . man, dass allein in diesem Jahr die Übertragungsnetzge- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) bühr der TenneT um circa 80 Prozent gestiegen ist, bei Amprion im Vergleich dazu um lediglich 10 Prozent . Gerecht ist, wenn deutschlandweit alle Verbraucher in gleichem Maße an der Finanzierung der Übertragungs- Nun ist klar, dass der Netzausbau – darin sind wir uns, netze beteiligt werden . Bei der Anbindung von Offsho- glaube ich, einig – für die Energiewende absolut notwen- rewindanlagen und Erdkabeln gibt es eine bundesweite dig ist . Die Energiewende wiederum – so heißt es auf Wälzung längst; das wurde in der Debatte bereits ange- jeden Fall immer – ist eine gesamtgesellschaftliche Auf- sprochen . Bei Redispatch-Kosten und Einspeisemanage- gabe . Auch deshalb sollten die Kosten des Netzausbaus, ment wäre das meines Erachtens auch gerechtfertigt . die der Energiewende geschuldet sind, von der Gesamt- heit getragen werden . Ich habe die Hoffnung, dass es uns gelingt, noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages (Beifall bei der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21541

Dr. Andreas Lenz (A) Ich vergleiche das gerne mit dem System der Bundes- Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): (C) autobahnen . Es würde niemand darauf kommen, die Es freut mich natürlich immer, wenn mir zugehört Autobahn, die beispielsweise durch die Oberpfalz oder wird . durch das schöne Mecklenburg-Vorpommern führt, der jeweiligen Region in Rechnung zu stellen, die damit (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und durchschnitten wird . Auch die Bundesnetzagentur sieht der SPD) eine Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte als Die andere Frage ist, ob das, was ich sage, auch verstan- Chance für eine Angleichung des Netzentgeltniveaus und den wird . hält diese aufgrund der gemeinschaftlichen Aufgabe der Übertragungsnetzbetreiber auch für gerechtfertigt . (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD) Natürlich brauchen wir Übergangsfristen, und natür- Ich habe gesagt, dass die Energiewende eine gesamt- lich müssen wir auch unterschiedliche Investitionen aus gesellschaftliche Aufgabe ist und deswegen die Kosten der Vergangenheit berücksichtigen . Aber wenn wir nichts der Energiewende – hier spreche ich über die Kosten der machen – da dürfen wir uns nichts vormachen –, dann Übertragungsnetze – nicht auf einer Region lasten blei- wird der Abstand bei den Netzkosten zwischen den Netz- ben dürfen . zonen noch größer werden . Es geht hier nicht um einen Jetzt gibt es unterschiedliche Vorschläge, wie man hier Markt zwischen den Übertragungsnetzbetreibern; den zu einer Wälzung, also zu einer Angleichung, kommen gibt es nämlich nicht, allein schon aus Definitionsgrün- könnte . Meine Intention ist, dass man das nicht haushal- den . Es geht darum, einheitliche Marktvoraussetzungen terisch löst, sondern im System der Übertragungsnet- für den Mittelstand und Unternehmen, die sich am Markt zentgelte bleibt, aber bundesweit zu einer Angleichung bewegen und im Wettbewerb zueinander stehen, zu kommt . Hier muss man schauen, dass die Investitionen, schaffen . Das sind wir als Regelsetzer dem Wettbewerb die bei den einzelnen Übertragungsnetzbetreibern in der schuldig . Vergangenheit geleistet wurden, in solch einem Mecha- Anders ist es – das wurde schon angesprochen – im nismus mit berücksichtigt werden . Bereich der Verteilnetze, also dem Netzbereich der Nie- (Beifall bei der CDU/CSU) derspannung . Ich will hier noch einmal den Vergleich zu den Straßen ziehen . Auch der Kollege Krischer hat ange- Wie gesagt: Anders ist die Sache bei den Verteilnetzen . sprochen, dass es im Bereich der Gemeinde- und Kreis- Deswegen brauchen wir hier auch andere Lösungen . straßen ebenso widersinnig wäre, wenn wir den Kommu- Es wurde auch seitens der Bundesnetzagentur in einer nen die Verantwortung entzögen und diese auf die höhere Stellungnahme verkündet, dass sie bei den Verteilnetzen (B) Ebene verlagerten . So ist es auch bei den Verteilnetzen . nichts von einheitlichen Netzentgelten hält . (D) Unter anderem müsste sonst ein Ausgleich unter den Ich will noch kurz auf die vermiedenen Netzentgelte rund 900 Verteilnetzbetreibern organisiert werden . Es zu sprechen kommen . Es ist es ja so, dass die Annahme, würde ein massiver bürokratischer Aufwand entstehen .– der Zubau von dezentralen Anlagen im Zusammenhang Es gibt eine Zwischenfrage . mit erneuerbaren Energien würde den Bedarf an Netz- ausbau verringern und so in zunehmendem Maße Infra- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: strukturkosten vermeiden, sich nicht bestätigt hat . Im Sie gestatten die Zwischenfrage, entnehme ich daraus . Gegenteil: Teilweise bedingt er sogar einen zusätzlichen Netzausbau . Ich bin der Meinung, dass man hier tren- nen muss zwischen den stark volatilen Erneuerbaren wie Dr. Andreas Lenz (CDU/CSU): Wind und Photovoltaik und den tatsächlich netzdienli- Ja . chen Erneuerbaren, aber auch anderen Energiequellen, die den Bedarf an Netzausbau entsprechend entlasten . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Die Linke will alle Netzentgelte bundesweit verein- Bitte schön, Herr Kollege Freese . heitlichen . Wenn Sie so tun, als ob für den Osten der Re- publik nichts getan würde, dann ist das der eigentliche Treppenwitz, der hier verkündet wurde . Man muss bei Ulrich Freese (SPD): der Frage der Netzentgelte sicherlich genauer hinschau- Schönen Dank, Herr Lenz, dass Sie mir die Zwischen- en und zwischen Verteilnetzen und Übertragungsnetzen frage gestatten . unterscheiden . Ich habe mit Interesse zugehört und einen Vorschlag Wir werden uns mit der Frage der Netzentgelte weiter erkennen können, der eine andere Finanzierung der Ener- intensiv befassen und eine Lösung finden. Entscheidend giewende als gesamtgesellschaftliche Aufgabe vorsieht . ist, einen Rahmen zu schaffen, der den notwendigen Die Finanzierung ist, denke ich, dann wahrscheinlich Netzausbau voranbringt und die Kosten der Energiewen- über den Haushalt zu regeln . Spannend für uns ist, weil de gerechter verteilt . Der Thematik nehmen wir uns an, wir das ansatzweise bei uns diskutieren, die Frage: Ist Ihren Antrag lehnen wir ab . das Diskussionsstand innerhalb der CDU/CSU-Fraktion, Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . und haben Sie hierzu eine geschlossene Meinung, oder ist es Ihre persönliche Meinung, die Sie gerade vorgetra- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- gen haben? ordneten der SPD) 21542 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um- (C) Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss- Es zieht die Menschen in die Städte; wir erleben seit ei- empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- nigen Jahren einen starken und ungebremsten Trend . Wir gie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti- brauchen deswegen in unseren Städten neue Wohnun- tel „Bundeseinheitliche Netzentgelte für Strom“ . Der gen – viele neue Wohnungen, wie wir alle wissen . Wir re- Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf den in der Wohnungspolitik über bezahlbaren Wohnraum Drucksache 18/3749, den Antrag der Fraktion Die Linke und Neubau, über Nachverdichtung und Aufstockung, auf Drucksache 18/3050 abzulehnen . Wer stimmt für die- das Schließen von Baulücken und das Erschließen von se Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitionsfrak- Baulandreserven . Es ist außerdem richtig, dass wir über tionen . Wer stimmt dagegen? – Das ist die Linke . Wer Menge, also über Quantität, reden . Aber wir dürfen dabei enthält sich? – Bündnis 90/Die Grünen . Damit ist die Be- die Qualität des Lebens in unseren Städten nicht aus den schlussempfehlung angenommen . Augen verlieren . Das Leben in den Städten muss lebens- wert bleiben . Dazu gehört beispielsweise auch der Sport- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c auf: platz um die Ecke . Deswegen muss der Breiten- und a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Freizeitsport seinen wichtigen Platz in unseren Städten richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, und Gemeinden behalten . Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) zu (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- der Verordnung der Bundesregierung wie bei Abgeordneten der LINKEN und des Zweite Verordnung zur Änderung der Sport­ BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) anlagenlärmschutzverordnung In der Praxis erleben wir allerdings wegen der fort- Drucksachen 18/10483, 18/10696 Nr. 2, schreitenden Verdichtung der Ballungsräume auch eine 18/11006 Zunahme von Nachbarschaftskonflikten, nicht zuletzt mit dem Sport . Sportanlagen werden zunehmend in der b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- Nutzung eingeschränkt oder sogar in die Außenbereiche geordneten Peter Meiwald, Monika Lazar, verdrängt . Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem wollen Dr .Franziska Brantner, weiteren Abgeordneten wir entgegentreten; denn Sportangebote gehören in die und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mitte unserer Gesellschaft, auch in den Ballungsräumen . eingebrachten Entwurfs eines Dreizehntes Ge­ (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU so- (B) setzes zur Änderung des Bundes-Immissions­ (D) wie bei Abgeordneten der LINKEN und des schutzgesetzes BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Drucksache 18/10859 Deshalb liegt Ihnen heute die Novelle zur Sportanla- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- genlärmschutzverordnung – ein schwieriges Wort – zur ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi- Beratung vor . Ziel der Novelle ist es, eine intensivere cherheit (16 .Ausschuss) Nutzung von Sportanlagen zu ermöglichen und Rechtssi- cherheit für alle Beteiligten zu schaffen . Drucksache 18/11006 In ihrer aktuellen Fassung ist die Sportanlagenlärm- c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schutzverordnung mehr als 25 Jahre alt . Sie stammt aus richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, dem Jahr 1991 . Natürlich hat sich die Welt seitdem ver- Bau und Reaktorsicherheit (16 .Ausschuss) zu ändert . Es ist Zeit für einige gezielte Anpassungen . So dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, wollen wir die Emissionsrichtwerte für die abendlichen Monika Lazar, Christian Kühn (Tübingen), wei- Ruhezeiten sowie für die Ruhezeiten an Sonn- und Fei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ertagen von 13 bis 15 Uhr um 5 Dezibel erhöhen und da- NIS 90/DIE GRÜNEN mit auf das Niveau der übrigen Zeiten bringen . Praktisch heißt das: Mit dieser Änderung wird der Zeitraum zur Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzre­ Nutzung von Sportanlagen in den Ruhezeiten um etwa geln für Sportanlagen den heutigen Anforde­ das Dreifache verlängert . rungen anpassen Darüber hinaus wollen wir mit der Verordnung den Drucksachen 18/4329, 18/11006 Sportbetrieb auf älteren Anlagen, die bereits vor dem Jahr 1991 genutzt wurden, rechtlich besser absichern . Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Vor allem Modernisierungsmaßnahmen, mit denen eine die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei- Sportanlage an den Stand der Technik angepasst wird, nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . zum Beispiel durch den Einbau von Kunstrasen auf Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . – Ich eröffne die Ascheplätzen, sollen die weitere Nutzung nicht infra- Aussprache . Das Wort für die Bundesregierung hat die ge stellen . Es hat wirklich niemand verstanden: Ältere Bundesministerin Dr . Barbara Hendricks . Sportanlagen, die schon vor 1991 errichtet wurden, noch in Betrieb waren und modernisiert wurden, verlieren (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) nach geltendem Recht – das ist bis heute so – ihre Zulas- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21543

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks (A) sung . Das ist so etwas von widersinnig . Das korrigieren promiss zwischen den Interessen der Sporttreibenden (C) wir jetzt, wie sich das gehört . und denen der Anwohner und Anwohnerinnen gefunden werden . Allerdings sollten wir dabei unterscheiden zwi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schen Geräuschen, die von spielenden und sportaktiven der CDU/CSU und der Abg . Eva Bulling- Kindern und Jugendlichen ausgehen, und den Immissi- Schröter [DIE LINKE]) onen, die durch Gewerbe- und Verkehrslärm entstehen . Alle Sachverständigen, die zur Novelle zur Sportan- Dass die Ausübung von Freizeit- und Breitensport durch lagenlärmschutzverordnung gehört worden sind, haben Grenzwerte erschwert werden kann, die noch unter den diese beiden Änderungen als deutlichen Beitrag zur För- Grenzwerten des Verkehrslärms liegen, ist schlicht nicht derung des Sports und zu einer intensiveren Nutzung nachvollziehbar . der Sportanlagen gelobt . Selbstverständlich hätte es aus Sicht des Sports noch mehr Lockerungen beim Lärm- Wenn es also darum geht, die Menschen vor allem schutz geben können . Aber es gilt eben auch, die Balance auch in den immer dichter werdenden Ballungsräumen zu wahren . vor den ernstzunehmenden Gefahren zu starker Lärmbe- lastung zu schützen, dann sollte mit Blick auf die Gesam- Mit den jetzt vorgeschlagenen Änderungen garantiert temission zum Beispiel beim Verkehrslärm nachgebes- die Sportanlagenlärmschutzverordnung weiterhin einen sert werden, und zwar sowohl im Sinne der Gesundheit wirksamen Lärmschutz für die Nachbarn von Sportan- als auch der Umwelt . Überlegenswert wäre, den im Rah- lagen . Die Verordnung gleicht zwischen den widerstrei- men von Sportveranstaltungen entstehenden An- und tenden Interessen des Sports einerseits und dem Ruhebe- Abfahrtslärm nicht unter die Sportanlagenlärmschutz- dürfnis der Nachbarschaft andererseits aus . Sie orientiert verordnung fallen zu lassen, sondern als Verkehrslärm zu sich an unseren veränderten Lebensgewohnheiten und behandeln . Denn wie in der Anhörung deutlich wurde, trägt dazu bei, dass unsere Städte lebendig und lebens- führt gerade dieser An- und Abfahrtsverkehr häufig zu wert bleiben . Konflikten mit Anwohnerinnen und Anwohnern. Herzlichen Dank . Auch wenn die vorhin genannten Überlegungen (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) bisher nicht berücksichtigt wurden, ist es gut, dass die Sportanlagenlärmschutzverordnung nun modernisiert wird . Wir haben das schon in der letzten Legislaturpe- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: riode gefordert und sehen, dass die Bundesregierung im Vielen Dank .– Nächste Rednerin ist die Kollegin Grundsatz hier auch gute Vorschläge macht . Vor allem Birgit Menz, Fraktion Die Linke . die Absenkung des Lärmschutzes während der Ruhezei- (B) (Beifall bei der LINKEN) ten am Abend sowie an Sonn- und Feiertagen um 5 Dezi- (D) bel ist eine sinnvolle Maßnahme, um das Zeitfenster für den Freizeit- und Breitensport auszuweiten . Sportstätten Birgit Menz (DIE LINKE): können damit vor allem dann genutzt werden, wenn die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Menschen auch die Zeit dazu haben: am Abend und an Kollegen! Liebe Gäste! Wir alle wollen, dass Kinder und den Wochenenden . Jugendliche ihre Freizeit sinnvoll gestalten, wie man so schön sagt, dass sie sich mehr bewegen, mehr Sport trei- Auch die Festlegung der Immissionswerte für urbane ben, dass sie in Sportvereinen zusammenkommen . Dafür Gebiete auf 63 Dezibel am Tag und 48 Dezibel in der brauchen Kinder und Jugendliche Räume und Flächen, Nacht halten wir für geeignet, um im städtischen Raum die für sie leicht zugänglich, also nah am Wohnort, sind, einen sinnvollen und fairen Interessenausgleich zu errei- und sie brauchen die Freiheit, sich auf diesen Flächen zu chen . Aber neben der Privilegierung von Kinderlärm auf bewegen, ohne dabei die Angst zu haben, zu laut zu sein . Sportanlagen fehlt die Erweiterung des sogenannten Alt- Die nun vorliegende Verordnung hat einen großen anlagenbonus auf Anlagen mit Stand 2017 . Damit würde Mangel: Die existierenden Regelungen zur Privilegie- man dann auch der Infrastrukturentwicklung in den ost- rung von Kinderlärm werden nicht auf die Sportanlagen deutschen Bundesländern gerecht werden . ausgeweitet . Wie der Gesetzgeber 2011 richtig feststell- Schließlich sollte ein Irrelevanzkriterium in die Ver- te, ist Kinderlärm keine umweltschädliche Einwirkung . ordnung aufgenommen werden, damit Konflikte bei Dieser Grundsatz muss auch für Geräusche von Kindern geringfügigen Überschreitungen einfacher gehandhabt und Jugendlichen gelten, die auf Sportanlagen aktiv sind . werden können . Für die Linke ist das Kinderprivileg ein wichtiges Mit diesen Ergänzungen würden wir eine wirkungs- Signal an die Kinder und Jugendlichen, ihnen Raum volle und rechtssichere Grundlage schaffen, um die zu lassen, und zwar nicht irgendwo am Rande unserer Sportmöglichkeiten, insbesondere für Kinder und Ju- Städte und Dörfer, sondern mitten unter uns . Kinder und gendliche, zu verbessern und ein gutes Zusammenle- Jugendliche müssen sich willkommen fühlen . Wenn aber ben zu fördern . Leider konnte sich der Ausschuss nicht die Gesellschaft fürchtet, dass das die Lebensqualität be- auf diese wichtigen Ergänzungen einigen, sodass meine einträchtigt, dass der Wert von Immobilien dadurch ge- Fraktion sich enthalten wird . mindert wird oder die Vermietbarkeit sinkt, dann setzt sie die falschen Prioritäten . Weil sportliche Aktivitäten in al- Danke . ler Regel mit Geräuschen verbunden sind, muss in dicht- bewohnten Gebieten natürlich ein angemessener Kom- (Beifall bei der LINKEN) 21544 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: reichende Abstände zwischen der Sportanlage und der (C) Vielen Dank .– Für die CDU/CSU-Fraktion spricht Bebauung herbeizuführen . Das reparieren wir ein Stück jetzt Karsten Möring . weit . Die Sensibilität ist heute deutlich größer geworden . (Beifall bei der CDU/CSU) Was haben wir gemacht? Wir haben durch die Anhe- bung der Werte in den abendlichen Ruhezeiten und am Sonntag auf die Tageswerte – das hat Frau Ministerin Karsten Möring (CDU/CSU): Hendricks schon ausgeführt – eine Verdreifachung der Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nutzungszeit in der Ruhezeit geschaffen . 5 dB(A) mehr Liebe Frau Menz, Sie machen hier eine Scheindiskussi- heißt physikalisch eine Verdreifachung des Schalldrucks . on auf, wenn Sie das Thema Kinderlärmprivilegierung Das ist für Menschen wahrnehmbar, aber keine fun- hochziehen . damentale Erhöhung . Man muss sich einmal eine Ver- (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dreifachung der Nutzungszeit praktisch vorstellen . Um NEN]: Das sahen die Sachverständigen aber 20 Uhr endet der ursprüngliche Grenzwert . Danach kann etwas anders!) man natürlich Sport machen . Weil wir den Mittlungspe- gel über einen langen Zeitraum haben, führt das dazu, Die Diskussion bei der Sachverständigenanhörung am dass man vielleicht noch bis 20 30. Uhr Sport machen Montag hat doch ganz klar gezeigt, dass alle Beteiligten, kann und über 50, 55 oder 60 dB(A) liegt, je nachdem, in von den Sportverbänden einerseits bis zu den Vertretern welcher Region man sich befindet. Aber dann ist Schluss. von Haus & Grund andererseits, letztlich gesagt haben: Wenn wir jetzt die Ruhezeit zwischen 20 und 22 Uhr auf Wir haben eine gute Vorlage .– Der eine möchte ein biss- den Tageswert nehmen, dann bedeutet das, dass der Pegel chen mehr hiervon, der andere möchte ein bisschen weni- in dieser Zeit ermittelt werden muss und nicht verrech- ger davon . Das ist der normale Interessengegensatz, aber net werden darf mit Ruhezeiten zwischen morgens 8 Uhr das Endergebnis war: Wir liegen da völlig richtig . und mittags 12 Uhr, wo die Sportanlagen allerhöchs- Warum ist das eine Scheindiskussion, die Sie aufma- tens von Schulen genutzt werden . Es muss in diesem chen, wenn Sie Kinderlärm thematisieren? Wir wissen Zweistundenrythmus sein . Das heißt in der Praxis, dass genau – auch das ist am Montag thematisiert worden –, man Sport mit einem höheren Lärmanteil vielleicht bis dass die Unterscheidung von Kinderlärm und Nichtkin- 21 Uhr, 21 30. Uhr betreiben kann . Dann sagen Sie mir, derlärm auf Sportplätzen de facto nicht möglich ist . Ich dass das die Kernzeit ist, in der die Kinder Sport machen . habe den Vertreter des Städte- und Gemeindebundes Also das geht in meinen Kopf nicht hinein . oder den Vertreter des Deutschen Städtetages – ich weiß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- nicht mehr genau, wer es war – extra gefragt, ob er sich ordneten der SPD) (B) vorstellen kann, dass das umsetzbar ist . Er hat gesagt: (D) Das ist das große Problem, aber ein Rezept hat er nicht .– Noch einmal: Wir alle haben eine gute Lösung gefun- Was haben wir stattdessen gemacht? Wir haben etwas den . Ich muss eines ganz klar betonen: Bei den Lärm- gemacht, was darüber hinausgeht, was Kinderlärmprivi- grenzwerten, die wir zugrunde gelegt haben, haben wir legierung erreichen würde . Durch die Veränderung der Grenzwerte, die eindeutig unter jeglicher Schwelle von Werte für die Ruhezeiten haben wir nicht nur die Mög- gesundheitlicher Beeinträchtigung liegen . Das sei ganz lichkeiten für den Sport von Kindern erweitert, sondern klar gesagt . Dass es für Anwohner lästig ist, vor allen wir haben gleichzeitig die Möglichkeiten für den Sport Dingen, wenn sie 20 Meter entfernt wohnen, ist verständ- von Erwachsenen und Jugendlichen erweitert . Das kön- lich . Es trifft 10 oder 20 Leute . Aber die Nutzung be- nen Sie doch nicht als Mangel betrachten . Das ist ein trifft Hunderte . Wenn wir davon ausgehen, dass der Sport wichtiger Erfolg . nicht nur eine soziale, sondern auch eine gesundheitliche Funktion hat, dann ist die Abwägung klar und die zusätz- Bei den anderen Punkten, die Sie nennen, ist es genau- liche Belastung ist gering, vertretbar und richtig . Sie trifft so . Wenn Sie darauf rekurrieren, dass man den Grenzwert niemanden übermäßig . für Verkehrslärm senken müsste, der höher ist als der für Lärm von Sportanlagen, dann möchte ich Sie auch fra- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) gen: Wie? Wir können natürlich den Verkehr stilllegen oder Lärmschutzmauern ohne Ende in der Stadt aufbau- Stichwort „Altanlagenbonus“ . Wir haben in der Ver- en . Sie wissen doch genau, warum wir diese Grenzwerte gangenheit häufig Auseinandersetzungen gehabt, wenn haben und warum wir beim Sport nicht dieselben Grenz- Modernisierungen genehmigt wurden und Anwohner- werte haben . Welche Folgen hätte das? Dann würden wir beschwerden kamen, dass jetzt mehr Sport gemacht die Lärmbelastung insgesamt deutlich erhöhen . Das alles wird – im Vergleich zu vorher, nicht über die Grenzwer- macht keinen Sinn . te hinaus . Sportämter sind sehr schnell zu den Vereinen hingegangen, um Auseinandersetzungen oder gar juris- Deswegen sage ich noch einmal: Wir haben eine sehr tische Auseinandersetzungen zu vermeiden, und haben gute Vorlage, die ausgeglichen ist und die zur Befriedung den Vereinen gesagt: Okay, es tut uns leid, aber ihr müsst der Situation führen wird . Sie wird auch dazu führen, eure Betriebszeiten einschränken . Ihr habt zwar einen dass wir die begrenzten Kapazitäten an Sportmöglich- schönen Platz, aber ihr könnt ihn nicht mehr so intensiv keiten in der Stadt besser nutzen können . Man kann den nutzen wie früher . – Im Einzelfall haben sie von Verei- Kommunen vielleicht den Vorwurf machen, dass sie in nen sogar Aufnahmesperren verlangt, weil die Mitglie- der Vergangenheit im Rahmen heranrückender Bebau- der nicht mehr ausreichend Zeit für die Sportausübung ung nicht sorgfältig genug darauf geachtet haben, aus- haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21545

Karsten Möring (A) All das hat dazu geführt, dass wir Konflikte hatten, die Wir müssen ja nicht ständig daran herumschrauben . Die (C) wir mit dieser Sportanlagenlärmschutzverordnung deut- Regelung ist meiner Ansicht nach absolut eindeutig . lich verkleinern werden . Wir werden sie deutlich verklei- nern, indem wir Rechtsklarheit schaffen . Es gibt einen Ich sage noch einmal: Wir haben eine rundum abge- Katalog, der an diese Verordnung angehängt ist, und er wogene Verordnung, einen Interessenausgleich zwischen ist sehr vernünftig . Er gibt nämlich den entscheidenden den Anliegern und den Sporttreibenden . Es gibt aus mei- Stellen, sprich: den Sportämtern, aber letztlich auch den ner Sicht Gesetze oder Regelungen, die in der Großen Ämtern, die für Wohnungsbau oder Ähnliches zuständig Koalition schwieriger zustande gekommen sind, ein Kriterium an die Hand, wann sie davon ausge- (Lachen der Abg . Monika Lazar [BÜND- hen können, dass der Betrieb der Anlage unbeeinträchtigt NIS 90/DIE GRÜNEN]) weitergeführt werden kann . Diese Liste ist in der Sache vernünftig. Sie definiert ganz einfach, was geht und was und eher die Interessen der einen oder der anderen erfüllt nicht geht . haben . Bei dieser Verordnung sage ich guten Gewissens: Es ist absolut das Beste, was möglich war . Deswegen Sie haben eben in Ihrem Beitrag gesagt, man sollte bitte ich um Zustimmung . Ich freue mich, dass Sie sich vielleicht den Lärm des an- und abfahrenden Verkehrs wenigstens enthalten und nicht dagegen stimmen . Ein aus der Berechnung herausnehmen, um noch mehr Mög- bisschen mehr Zustimmung, lichkeiten zu schaffen . Dann frage ich: Ist das der Kern der Sportausübung auf Sportanlagen? Wir machen das (Ulli Nissen [SPD]: Genau! Wirb doch mal doch gerade, damit wir eine wohnortnahe Versorgung für uns!) im Sport beibehalten können und nicht genötigt werden, ein bisschen mehr Freude und mehr Unterstützung des die Sportanlagen an den Stadtrand oder vor die Tore der Sports würde ich mir schon wünschen . Stadt zu verlegen; wir wollen sie in Wohnortnähe behal- ten . Wenn es schon wohnortnah ist und wenn es schon (Beifall bei Abgeordneten der SPD) um Sport geht, dann ist die Frage, ob man da unbedingt mit einem Auto, mit einem lauten Knatterton hinfahren Also gehen Sie noch mal in sich . Sie haben noch ein paar muss oder ob man nicht auch Jogging, was man sonst Reden lang Zeit, darüber nachzudenken . noch mal extra macht, bei solch einer Gelegenheit ma- (Ulli Nissen [SPD]: Guter Vorschlag!) chen kann oder sich aufs Fahrrad schwingen kann, Ich danke Ihnen . (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Das ist praxisfremd!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) (B) um diesen vermeidbaren Lärm mit Rücksicht auf Nach- (D) barn tatsächlich zu unterlassen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Peter Meiwald hat jetzt die Chance, dazu für Bünd- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) nis 90/Die Grünen Stellung zu nehmen . Das wäre meiner Ansicht nach ein Beitrag zum Aus- gleich von Konflikten, die natürlich immer wieder mal Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): auftreten können . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Alles in allem – die Würdigung –: Es hat lange ge- Liebe Frau Ministerin! Liebes Publikum! Ja, es gibt dauert, über ein Jahr . Wir haben die urbanen Gebiete Sportler, die mit dem Maserati, mit dem Ferrari, mit dem einbezogen – sie mussten erst im Baugesetzbuch un- Lamborghini zum Sport fahren . Wir nennen sie dann un- tergebracht werden . Wir sorgen jetzt für eine Spreizung sere Stars . Wir wollen eigentlich, dass das den Kindern zwischen 45 dB(A) in Kurgebieten bis hin zu 65 dB(A) erspart bleibt . Wir wollen in der Tat, dass die Kinder zu in Gewerbegebieten und damit für eine hohe Differenzie- Fuß oder mit dem Fahrrad wohnortnah zum Sport gehen rung abhängig von der umgebenden Nutzung . Wir haben können . Deswegen ist es gut, dass wir heute hier über die mit dem Altanlagenbonus eine klare Aussage getroffen . Sportanlagenlärmschutzverordnung sprechen .– Kollege Möring, wenn das eine leichte Übung war, dann fragt Sie sagen, wir brauchten eine bessere rechtliche Ab- man sich, warum es zwei Jahre gedauert hat, bis Sie sich sicherung für Anlagen, die bis 2017 genehmigt worden geeinigt haben . sind . Wir haben den Altanlagenbonus an eine Genehmi- gung vor 1991 gebunden, weil dies eine rechtliche Not- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wendigkeit war . Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Bernhard Schulte-Drüggelte [CDU/CSU]: Genehmigungsbehörde sagt: Das gilt dann aber nur für Was lange währt!) die Anlagen, die vor 1991 genehmigt wurden, und wenn Aber wir kennen andere Prozesse innerhalb der Koaliti- eine Anlage, die 1994 oder 2005 gebaut wurde, jetzt ei- on, die in der Tat noch länger gedauert haben . nen Kunstrasenplatz bekommt, dann müssen wir ein neu- es Genehmigungsverfahren durchführen und die Lärm- Die Sportanlagenlärmschutzverordnung – das ist grenzwerte neu berechnen .– Das ist absurd, und ist auch schon gesagt worden – entstand Anfang der 90er-Jahre . weltfremd . Diese Verfahren werden dann analog ange- Und in der Tat: Die Lebenswirklichkeit hat sich seitdem wandt . Wenn Sie sagen, die Regelung müsse für bis 2017 verändert . Wir Grüne haben dazu 2015 einen Antrag ein- genehmigte Anlagen gelten, dann sage ich: Lassen wir gebracht . Wir haben heute hier etwas vorliegen, was ei- das doch offen . Wer weiß, wie sich das weiterentwickelt! nen ganzen Teil davon aufnimmt . Deswegen werden wir 21546 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Peter Meiwald (A) es ähnlich wie die Linken machen: Auch wir werden uns zit nicht vom Kinderlärmprivileg profitieren sollen. Wir (C) dem nicht entgegenstellen . haben einen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht, nicht zu der Verordnung, sondern als Ergänzung zum (Ulli Nissen [SPD]: Wir stimmen zu!) Bundes-Immissionsschutzgesetz . Es wäre nur darum ge- Grundsätzlich begrüßen wir die Beschlussempfeh- gangen, nach „Kinderspielplätzen“ ein Komma und das lung; denn es geht in die richtige Richtung . Wir wollen, Wort „Sportanlagen“ einzufügen . Da hätte sich niemand dass Vereins- und Breitensport auch in Zukunft innerhalb einen Zacken aus der Krone gebrochen, wir hätten das unserer Städte rechtssicher möglich ist . Dafür gibt es sauber regeln können . Es wäre einfach eine Klarstellung soziale und auch gesundheitliche Gründe . Auch die In- gewesen . In der Anhörung wurde ja auch gefragt: Wie tegration spielt eine Rolle . Gerade Kinder und Jugendli- machen wir das mit der Abgrenzung? Was ist Kinderlärm che, die unsere Sprache vielleicht noch nicht so perfekt auf Sportanlagen und was nicht? Es gibt gerade in den beherrschen, haben über den Sport gute Möglichkeiten, Sportvereinen ganz klare Regelungen: Bis zur C-Jugend, die Sprache zu lernen . also bis 14 Jahre, ist es Kinderlärm, und wenn die C-Ju- gend trainiert, ist C-Jugend-Zeit . Die neue Verordnung greift zwei wesentliche Punkte aus unserem Antrag auf . Das betrifft zum einen den Weg- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – fall der Ruhezeiten am Mittag, an Sonn- und Feiertagen Karsten Möring [CDU/CSU]: Das stimmt und in den Abendstunden mit Ausnahme von Kurgebie- nicht! Das ist falsch! Es geht nach Jahrgang!) ten, Krankenhäusern und Pflegeanstalten. Das ist richtig, – Ja, natürlich geht es nach Jahrgang . Aber das ist Haar- das halten wir für eine vernünftige Lösung . Zum anderen spalterei, wenn man hinterher sagt: Wir gucken mal, viel- wird der Altanlagenbonus durch einen Positivkatalog un- leicht ist ein Kind schon einen Monat älter .– Das hätte terstützt . Auch das halten wir für vernünftig . Das wurde man aus meiner Sicht rechtssicher regeln können . gut umgesetzt . Aber einige Punkte fehlen; Frau Menz hat darauf hingewiesen . Wenn alles so unproblematisch ist, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollege Möring, erschließt es sich uns nicht, warum man Und das ist ja nicht nur unser Anliegen gewesen, son- die Bestandsschutzregelung an den Stichtag 1991 gebun- dern sowohl der Olympische Sportbund als auch der den hat . Man hätte den Tag des Inkrafttretens des Geset- Landessportbund Berlin und der Deutsche Städtetag ha- zes nehmen können . ben unsere Forderung in der Anhörung unterstützt . Des- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – wegen hätte ich mir gewünscht, dass wir sie auf den Weg Karsten Möring [CDU/CSU]: Weil es vorher bringen . Aber es ist noch ein bisschen Zeit . Das Bauge- noch keine Regelung gab!) setzbuch wird aufgemacht . Vielleicht kriegen wir es in (B) einem nächsten Schritt hin, dass wir uns auf eine ent- (D) Zum Thema Irrelevanzkriterium . Im Immissionsrecht, sprechende Regelung einigen . Ich würde mich darüber zum Beispiel in der TA Lärm, ist es entsprechend ver- freuen . ankert . Es spricht überhaupt nichts dagegen, das Irrele- vanzkriterium analog in die Sportanlagenlärmschutzver- Ich freue mich insgesamt, dass wir zumindest ein ordnung einzubauen . Dazu hatten wir Änderungsanträge Stück weit vorankommen . Wir wollen, dass die Kinder in den Ausschuss eingebracht, die leider keine Mehrheit in unseren Städten weiterhin Sport treiben können und gefunden haben . Wenn unser Änderungsantrag mit auf- nicht von ihren Eltern mit großen Autos auf die grüne genommen worden wäre, hätten wir uns überhaupt nicht Wiese gefahren werden müssen . mehr schwergetan, der Vorlage heute zuzustimmen . Ich Herzlichen Dank . hätte gerne zugestimmt, weil das wirklich ein Thema ist, das uns Grünen ein großes Anliegen ist . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dass es im urbanen Gebiet noch höhere Lärmschutz- grenzwerte geben soll, das halten wir für nicht so schlau, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: weil das einen anderen Bereich betrifft, den wir im Bau- Bitte schön .– Jetzt hat Ulli Nissen für die SPD-Frak- gesetzbuch regeln wollen . Auch dazu haben wir einen tion das Wort . Änderungsantrag eingebracht . Wir sind der Meinung: (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karsten Lebensnahe, passive Lärmschutzmaßnahmen, über die Möring [CDU/CSU]) wir unter anderem in der Anhörung diskutiert haben, hät- ten eine gute Lösung gebracht . Trotzdem: „Salvo“ ist aus dem Lateinischen und bedeutet „unbeschadet“ . In diesem Ulli Nissen (SPD): Sinne können wir die Verordnung unbeschadet passieren Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen lassen . Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt für die Men- und Kollegen! Unsere Städte sind attraktiv . Immer mehr schen, auch wenn es noch nicht das ist, was wir Grüne Menschen zieht es in die sogenannten Schwarmstädte uns im Sinne des Sports gewünscht hätten . und in die Ballungsräume; denn dort gibt es medizinische Versorgung, Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, kulturelle Ich muss auf einen Punkt zurückkommen, den Sie Vielfalt, Freizeit- und Sportangebote, und alles zentral angesprochen haben: den Kinderlärm . In der Tat kann und nah . Die Wege sind kurz, das Angebot ist groß und man sagen: Vieles ist jetzt geregelt, vieles ist durch die vielfältig . Die Menschen wollen urbanes Leben . Ausweitung der Zeiten verbessert worden . Aber es gibt eigentlich keinen Grund – und vor allen Dingen keinen Wenn viele Menschen miteinander leben, kommt es nachvollziehbaren Grund –, warum Sportanlagen expli- immer wieder zu Konflikten und zu Auseinanderset- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21547

Ulli Nissen (A) zungen . Die Nachverdichtung in den Städten führt auch ten unter der Woche haben wir die Lärmgrenzwerte um (C) dazu, dass man enger und näher miteinander lebt . Lärm 5 dB(A) erhöht; das ist eine ganze Menge . Mit dieser Re- ist einer der Konflikte, die es im städtischen Leben gibt. gelung können Sportvereine am Wochenende auch mit- Schon Schiller sagte: tags spielen, und abends darf unter der Woche bis 22 Uhr trainiert werden . Das ist also eine deutliche Ausweitung . Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt . Die Rechtssicherheit bei den Sportanlagen, was den Altanlagenbonus betrifft, ist erwähnt worden . Das be- Das kennen leider auch viele Sportvereine . Sie ha- trifft Dinge, die man vorher nicht machen konnte, zum ben das Problem, wegen Klagen von Anwohnern den Beispiel die Erweiterung der Sanitär- und Umkleidebe- Spielbetrieb einschränken zu müssen . Deshalb können reiche . Das geht jetzt . Ein neuer Kunstrasenplatz oder Sportvereine zum Teil auch keine neuen Mitglieder eine Flutlichtanlage können jetzt errichtet werden, ohne mehr aufnehmen . Oft können Meisterschaftsspiele am dass der Altanlagenbonus fällt . Wochenende nicht in der Mittagszeit ausgetragen wer- den . Trainiert werden kann wochentags oftmals nur bis Liebe Kolleginnen und Kollegen – ich bitte auch die 20 Uhr . Urbanes Leben sieht anders aus . Es geht um ein Grünen darum –: Denkt noch einmal darüber nach! Wir friedliches Miteinander . Es geht um unser Zusammenle- haben hier für die Sportvereine eine ganz deutliche Ver- ben, um lebenswerte Städte, in denen wir leben, arbeiten, besserung erreicht . Über § 22 BImSchG können wir spä- Sport treiben, Kultur genießen und auch ausgehen kön- ter gern noch einmal reden, nen . (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wie wichtig Sport und Bewegung für Kinder, Jugend- NEN]: Das hätten wir jetzt tun können!) liche und Erwachsene ist, wissen wir alle . Ein gutes, viel- fältiges Angebot auch und gerade zentral, in den Städten, aber überlegt euch, ob ihr nicht zustimmen wollt . Ich fän- ist wichtig . Dafür brauchen wir Sportvereine, und diese de es toll . müssen gut aufgestellt sein und unkompliziert arbeiten Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit . können . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Auch bei der Integration leisten die Sportvereine eine großartige Arbeit . Beim gemeinsamen Sporttreiben be- gegnen sich Menschen, lernen einander kennen, werden Vizepräsidentin Ulla Schmidt: auch zu Freunden . Überall leisten Sportvereine also auch Vielen Dank . – Jetzt darf der Kollege Johannes einen großen Beitrag zur Integration; wir alle haben si- Steiniger für die CDU/CSU das Wort ergreifen . cherlich Beispiele dafür aus unseren Wahlkreisen . Ich (Beifall bei der CDU/CSU) (B) möchte der Frankfurter SG Bornheim Grün-Weiss mit (D) Harald Seehausen an der Spitze stellvertretend für alle Sportvereine – ich denke, auch für Ihre – für die gute Johannes Steiniger (CDU/CSU): Arbeit danken . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Besuchergruppen, beispielsweise Schulklassen, hier im DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Hohen Hause begrüße und berichte, womit wir uns im CDU/CSU) Sportausschuss unter anderem auseinandersetzen, dann Ich bin sehr froh, dass wir mit der Zweiten Verordnung fällt auch immer ein Begriff – und der lautet „Sportan- zur Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung – lagenlärmschutzverordnung“ –, der dann wegen seiner ich bleibe später bei SALVO, das spricht sich besser – Sperrigkeit durchaus zu Heiterkeit führt . Am Anfang der nun eine einfache, pragmatische und nachvollziehbare Diskussion herrscht manchmal der Eindruck: Eigentlich Regelung gefunden haben, um den Konflikt zwischen ist das ganz weit weg; das hat mit mir gar nichts zu tun .– dem Sport und dem Ruhebedürfnis der Menschen zu lö- Dann erkläre ich, was das ist und dass da das Verhältnis sen . Wir haben damit einen guten und fairen Interessen- zwischen den Anwohnern auf der einen und den Sport- ausgleich und Rechtssicherheit für beide Seiten . vereinen auf der anderen Seite geregelt wird . Und auf einmal stellt sich in der Diskussion mit den Besuchern, Bei der Anhörung zur SALVO herrschten durchaus beispielsweise den Schülerinnen und Schülern, heraus, konträre Vorstellungen . Sie reichten von der Ablehnung dass jeder aus seinem Dorf oder seiner Stadt konkrete der Erhöhung der Lärmgrenzwerte bis zur Verschiebung Beispiele von Streitigkeiten zwischen Vereinen und An- des Beginns der Nachtruhe auf 23 Uhr . Hier sage ich wohnern kennt . Deshalb, meine ich, geht es bei dieser ganz deutlich: Urbanität ist lebendig und nicht still, aber Sportanlagenlärmschutzverordnung um die 90 000 Ver- selbst in der Stadt muss mal Nachtruhe gelten . Ich set- eine vor unserer eigenen Haustür . ze mich in Frankfurt für ein Nachtflugverbot von 22 bis 6 Uhr ein, da kann ich beim Sport nicht sagen: 23 Uhr ist Ich bin sehr froh, dass wir als Große Koalition diese auch okay . – Auch das Kinderlärmprivileg war ein wich- Reform heute nach einem nicht ganz einfachen Abstim- tiges Thema – dies wird aber in § 22 BImSchG, also im mungsprozess sowohl mit der Bundesregierung als auch Gesetz, geregelt . im Bundestag beschließen werden . Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben richtig etwas für den Sport Wir beschließen heute die SALVO, mit der wir die und die Vereine in Deutschland erreicht . Lage der Sportvereine deutlich verbessern . Wir haben die Ruhezeiten verbessert . Mittags und in den Randzei- (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) 21548 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Johannes Steiniger (A) Natürlich gibt es bei diesem Thema klassischerwei- gen am Wochenende, insbesondere sonntags stattfindet, (C) se einen Interessenskonflikt. Wir haben auf der einen zu organisieren . Seite die individuellen Interessen und Bedürfnisse von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Anwohnerinnen und Anwohnern – sie wollen auch in ordneten der SPD) der Nähe eines Sportplatzes gut wohnen – und auf der anderen Seite die allgemeinen Interessen der Sportlerin- Jetzt will ich noch auf das Thema Kinderlärm einge- nen und Sportler in den vielen Vereinen, die den Trai- hen, weil es auf den ersten Blick logisch erscheint, zu nings- und Spielbetrieb irgendwie organisieren müssen . fragen: Warum macht ihr das an dieser Stelle nicht? Dazu Zwischen diesen Interessen muss gut abgewogen wer- zwei Punkte – jetzt erzähle ich Ihnen etwas aus der Praxis den . Bei uns im Ausschuss und auch hier – wir haben des Dorffußballvereins SV Rot-Weiss-Seebach in Bad es gerade wieder gehört – loben wir ganz oft die Rolle Dürkheim –: des Sports, weil er wahnsinnig viel leistet, weil er un- Erstens . Wir haben nur einen Platz, aber zwölf Ju- sere Gesellschaft zusammenhält, weil er für Integration gendmannschaften . Es ist schwierig, das Ganze so zu sorgt und für Fair Play und Zusammenhalt steht, und wir organisieren, dass nachmittags die Kleinen spielen und loben zu Recht die positiven Aspekte des Breitensports: abends die Älteren . Wir haben ganz oft die Situation, Gesundheit, Prävention und vieles andere . Eines ist klar: dass wir gar nicht anders können, als auf der einen Sei- Jeder, der den Fußballplatz der Couch vorzieht, und je- te die F-Jugend, also die Kleinen, und auf der anderen der, der lieber in der Gemeinschaft mit echten Menschen Seite die Größeren spielen zu lassen . Es stellt sich die aktiv Sport treibt, statt passiv vor dem Smartphone zu Frage, die uns in der Anhörung nicht beantwortet werden sitzen, der ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft . Daher konnte, und zwar von keinem der Sachverständigen: Wie muss umso mehr gelten: Leute, die Sport machen wollen, wollen Sie dies in der Praxis auseinanderziehen? Das ist brauchen geeignete Möglichkeiten dafür . aus meiner Sicht eines der klaren Probleme . (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Zweitens . Herr Meiwald, Sie haben die Jahrgänge Michaela Engelmeier [SPD]) angesprochen, die Gruppen bis zum 14 .Lebensjahr . So einfach ist das eben nicht . Im Fußball zum Beispiel ist es Deshalb ist unsere Abwägung in Richtung Gemeinwohl – nicht so, dass die C-Jugend bis zum 14 .Lebensjahr geht, für die Vereine und für den Sport – so wichtig . Wir kön- sondern die C-Jugend bilden die Jahrgänge 2002 und nen sagen: Heute ist ein guter Tag für Sportdeutschland . 2003 . Daraus folgt in der Praxis das Problem, dass Sie im Jahr 2017 auch 15-Jährige dabei haben . Sie merken Wir schaffen – das wurde von den Vorrednern schon also: Wenn man ein bisschen länger darüber nachdenkt, erwähnt – vor allen Dingen Rechtssicherheit bei der ist das, was auf den ersten Blick logisch erscheint, in der (B) Frage älterer Sportanlagen; aber wir erweitern auch die Praxis sehr schwer durchzusetzen . Deswegen machen (D) Nutzungsmöglichkeiten für den Sport selbst . Mit der wir das nicht . Verordnung bekommen die Vereine und ihre Sportstät- Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Sport ten Rechtssicherheit und -klarheit darüber, dass es nach muss dort sein, wo die Menschen leben und arbeiten . Ich einer Sanierung oder Modernisierung von älteren Anla- finde, dass ein wohnortnahes Sportangebot sozusagen gen eben nicht zu größeren Lärmschutzauflagen kommt. Daseinsvorsorge ist . Anwohnerschutz darf nicht bedeu- Bisher gab es auf diesem Feld immer wieder Anlass für ten, dass Sport nur noch außerhalb der Stadttore mög- Klagen . Wir kennen einige Beispiele aus Hamburg, wo lich ist . Wir wollen, dass Sport auch innerstädtisch, auch es nach einer Umwandlung vom Hartplatz zum Kunstra- abends und auch am Wochenende stattfinden kann. Die- senplatz zu Konflikten kam. Wir haben jetzt diesen Kri- ser Entwurf hilft dabei sehr . terienkatalog . Er ist angelehnt an das, was aus Nord- rhein-Westfalen kommt . Man sieht: Es kommt auch mal Bei allem inhaltlichen Lob, das ich hier ausgesprochen was Gutes aus Nordrhein-Westfalen . habe, möchte ich aber auch sagen: Es ist jetzt höchste Zeit in diesem Hohen Haus . Wir haben lange diskutiert . (Michaela Engelmeier [SPD]: Es kommt im- Ich erinnere mich an eine Sportausschusssitzung im Ja- mer was Gutes aus Nordrhein-Westfalen! Im- nuar 2015, in der der Staatssekretär uns schon angekün- mer!) digt hatte, dass die Weiterentwicklung der SALVO zügig kommt . Das hat jetzt etwas gedauert . Umso wichtiger ist Das ist ganz gut . Das kann ich als Nachbar aus Rhein- es, dass wir sie heute auf den Weg bringen . Danach geht land-Pfalz durchaus sagen . – Der viel zitierte Kunstra- sie durch den Bundesrat und kann im Sommer in Kraft senplatz oder der Einbau einer neuen Flutlichtanlage stel- treten . Das ist, glaube ich, ein gutes Signal . len hiernach kein Problem mehr dar . Herzlichen Dank fürs Zuhören . Wir erweitern auch den Zeitraum, während dessen die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Sportanlagen in den Ruhezeiten genutzt werden können, ordneten der SPD) deutlich. Ich sage Ihnen aus tiefstem Herzen: Ich finde es schön, dass wir hier gegen den politischen Mainstream Vizepräsidentin Ulla Schmidt: handeln, der eigentlich sagt: Immer leiser, leiser, leiser . Vielen Dank .– Letzte Rednerin zu diesem Tagesord- Beim Sport haben wir einmal gegen diesen Mainstream nungspunkt ist jetzt Michaela Engelmeier, SPD-Fraktion . gehandelt . Das gefällt mir sehr gut, weil das den Vereinen vor Ort sehr hilft, ihren Spielbetrieb, der vor allen Din- (Beifall bei der SPD) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21549

(A) Michaela Engelmeier (SPD): Daher sollte man Kinderlärm privilegieren oder festle- (C) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten gen, dass Kinderlärm unschädlich ist . Deswegen glaube Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! ich auch, dass wir vielleicht beim BImSchG – wir haben Herr Steiniger, hier steht eine von 53 richtig guten Leu- in dieser Großen Koalition ja noch eine ganze Menge ten aus Nordrhein-Westfalen; Sie haben ja gerade Nord- vor; also bis September arbeiten wir voll durch – rhein-Westfalen angesprochen . Hier sind wir! (Christian Haase [CDU/CSU]: Die CDU ja!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf schauen sollten, ob wir nicht, wie du es so schön gesagt des Abg . Johannes Steiniger [CDU/CSU]) hast, noch ein bisschen nachbessern können . Denn ich Man kann vielleicht sagen: Was lange währt, wird glaube, dass Kinderlärm etwas ist, das wir alle akzeptie- endlich gut . Herr Steiniger, Sie haben es gerade ange- ren müssen . Dann wäre es auch egal, ob ein Anwohner sprochen: Es ist ja nicht erst in dieser Legislaturperiode klagt oder nicht . Das kann doch wirklich nicht sein . Wir dafür gesorgt worden, dass diese SALVO jetzt endlich wollen doch nicht unseren Ruf als kinderunfreundliches ans Netz geht . Ich möchte darauf hinweisen: Ich glau- Land weiter stärken . Wir müssen zusehen, dass wir ein be, seit neun Jahren sind wir zugange und versuchen, die bisschen darauf schauen, wie wichtig es ist, was Kinder SALVO zu verändern . Ich bin unserer Ministerin Barbara machen . Hendricks und allen, die daran beteiligt waren, wirklich Deswegen bleibe ich dabei: Die heutige Verabschie- unfassbar dankbar dafür, dass sie es hinbekommen ha- dung der SALVO-Änderung bedeutet einen Fortschritt ben, dass wir diese SALVO heute verabschieden können . für den Sport . Wenn wir beim Bundes-Immissions- schutzgesetz im Hinblick auf Kinder noch ein bisschen Ich glaube, dass wir mit dieser SALVO, also der Sport- nachsteuern, dann kann ich nur sagen: Kinderlärm ist anlagenlärmschutzverordnung – das ist schon ein Zun- Zukunftsmusik . genbrecher –, einen deutlichen Fortschritt für den Sport und auch für die Vereine erzielt haben . Ich glaube, dass In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen schö- diese SALVO – ich werde jetzt immer die Abkürzung nen Tag . benutzen; denn sonst reicht meine Redezeit von drei Mi- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- nuten nicht – ein gutes Miteinander von Anwohnern und ten der CDU/CSU – Peter Meiwald [BÜND- Sport ermöglicht . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt heute vor! (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was ist Ihr müsst dem nur zustimmen!) SALVO noch mal?) – Sportanlagenlärmschutzverordnung . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (B) Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet . (D) Die Ausübung von Sport gehört zum guten Zusam- menleben einfach dazu . Mit dieser Verordnung – wir Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 9 a . Wir kom- haben es heute schon in der einen oder anderen Rede ge- men zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für hört – schaffen wir Klarheit, zum Beispiel bei der Rand- Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu bebauung; das ist heute noch gar nicht erwähnt worden . der Verordnung der Bundesregierung zur Änderung der So können die Abstände zwischen Sportanlagen und he- Sportanlagenlärmschutzverordnung . Der Ausschuss ranrückender Wohnbebauung fast halbiert werden . Das empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung finde ich großartig. Das gilt auch für die Dezibelerhö- auf Drucksache 18/11006, der Verordnung auf Drucksa- hung; das ist gar keine Frage . Wir haben uns vorher gar che 18/10483 zuzustimmen . Wer stimmt für diese Be- nicht vorstellen können, dass wir das hinbekommen . Wir schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? Das dürfte haben auch den Altanlagenbonus – dieser gilt für Sport- nach dem Verlauf der Diskussion niemand sein .– Wer anlagen, die vor 1991 gebaut wurden – konkretisiert . Das enthält sich? – Das ist die Opposition . Damit ist die Be- alles ist gut . schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition angenommen . Eines wünsche ich mir: Die Kinderlärmprivilegierung wurde heute schon mehrfach erwähnt. Ich finde schon Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent- allein das Wort „Kinderlärm“ schrecklich . Kinder ma- wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung chen Lärm, Kinder schreien, Kinder brüllen, Erwachsene des Bundes-Immissionsschutzgesetzes . Der Ausschuss auch; das ist gar keine Frage . Ich würde mir wünschen, für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit dass wir gar keine Regelungen mehr schaffen müssten, empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung um Kinderlärm zu verhindern . Es wäre schön, wenn man auf Drucksache 18/11006, den Gesetzentwurf der Frak- zum Beispiel nicht mehr klagen könnte, wenn Kinder tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10859 in Sportanlagen Lärm machen . Im Bundes-Immissions- abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf schutzgesetz – Ulrike hat gerade vom BImSchG gespro- zustimmen wollen, um das Handzeichen . chen; auch ich will es einmal kurz ansprechen – in § 22 (Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- steht leider, dass Sportanlagen genau davon ausgenom- NEN]: Dem Gesetzentwurf oder der Be- men sind . schlussempfehlung?) (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Dem Gesetzentwurf .– Das sind Bündnis 90/Die Grü- NEN]: Ihr müsst nur unserem Gesetzentwurf nen und die Linke . Wer stimmt dagegen? – Das sind die zustimmen!) CDU/CSU- und SPD-Fraktion . Wer enthält sich? – Nie- 21550 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) mand . Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung wo wir in Sachen Gentechnik stehen, und zwar hier und (C) abgelehnt, und nach unserer Geschäftsordnung entfällt heute bei der Abstimmung über unseren Antrag . die weitere Beratung . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem An- LINKE]) trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti- Aber nein, offensichtlich wollen Sie den Wählerinnen tel „Sport und Alltag verbinden – Lärmschutzregeln und Wählern Ihre wahre Haltung aber dann doch nicht für Sportanlagen den heutigen Anforderungen anpas- ganz so deutlich zeigen . Warum eigentlich nicht? Gerade sen“. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c sei- die Union äußert sich doch in den letzten Wochen klar, ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11006, dass sie auf Gentechnik steht – im Plenum, im Ausschuss den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf oder letzte Woche bei der Anhörung zum Gentechnikge- Drucksache 18/4329 abzulehnen . Wer stimmt für die- setz . Aber im Gegensatz zu Ihnen will die große Mehr- se Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition . Wer heit der Menschen da draußen keine Gentech-Pflanzen stimmt dagegen? – Das ist die Opposition . Wer enthält auf unseren Äckern haben . sich? – Niemand . Damit ist die Beschlussempfehlung an- genommen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf: Bei der Anhörung in der letzten Woche mussten wir uns von Ihren Sachverständigen, liebe Kolleginnen und Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald Kollegen von der Union, wieder die kruden Versprechun- Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, gen der Gentechniklobby anhören, die schon seit 20 Jah- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ren nicht eingelöst werden und die schon seit 20 Jahren NIS 90/DIE GRÜNEN eben kein Teil der Lösung des Welternährungsproblems sind, sondern ein Teil des Problems . zu den Entwürfen für eine Durchfüh­ rungsverordnung und zwei Durchfüh­ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) rungsbeschlüsse der Europäischen Kom­ Aber das ist Ihnen ganz offensichtlich egal, solange Sie mission über das Inverkehrbringen von der Gentechnikindustrie einen Gefallen tun können . Saatgut zum Anbau der gentechnisch verän­ derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 Denn die freut sich nämlich . Sie freut sich, weil ihr (Dokumente SANTE/10702/2016, perfider Plan jetzt eins zu eins aufzugehen droht: dass (B) ­SANTE/10704/2016, SANTE/10703/2016) die Mitgliedstaaten, wenn sie den Anbau national bei (D) sich verbieten dürfen, keinen Widerstand mehr bei der hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes­ EU-weiten Zulassung leisten . Aber das ist Politik nach regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 dem Sankt-Florians-Prinzip: Heiliger Sankt Florian, ver- des Grundgesetzes schon mein Haus, zünd andre an . Hauptsache nicht bei mir! – Aber Sie haben ganz vergessen, dass das Feuer Keine Zulassung der gentechnisch ver­ dann übergreift . änderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE Drucksache 18/10976 LINKE])

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für In zwei unserer unmittelbaren Nachbarländer ist der diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen .– Ich höre Gentechnikanbau erlaubt . Wir alle wissen: Pollen und dazu keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen . Bienen, aber auch Saat- und Erntegut machen eben nicht an Staatsgrenzen halt und bergen das Risiko der Konta- Bitte nehmen Sie Ihre Plätze zügig ein und führen Sie mination für Landwirtinnen und Landwirte, für Lebens- die Gespräche außerhalb des Plenarsaals weiter . mittelunternehmen und den Handel in Deutschland . Mit der Gentechnikfreiheit wäre es dann schnell nicht mehr Nunmehr eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat weit her . Das müssen wir – auch im Interesse der Lebens- Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen . mittelwirtschaft hier in Deutschland – verhindern . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Vor sage und schreibe 19 Jahren wurde Aber da tut Minister Schmidt ja sowieso das eine und zum letzten Mal in Europa ein Genmais zugelassen, und redet vom anderen . Dazu passt auch, dass der Bundesmi- morgen könnte es wieder so weit sein . Da werden im zu- nister den Wählerinnen und Wählern auf der einen Sei- ständigen Fachausschuss in Brüssel die EU-Staaten hin- te erzählt, dass er sich für ein Anbauverbot in Deutsch- ter verschlossenen Türen über gleich drei Genmaislinien land einsetzt, auf der anderen Seite aber gleichzeitig auf abstimmen. Ich finde, das ist der richtige Zeitpunkt, den EU-Ebene die Zulassungen einfach durchwinkt, um den Menschen in Deutschland klar und deutlich zu zeigen, Schwarzen Peter und die Verantwortung dafür danach Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21551

Harald Ebner (A) nach Brüssel abzuschieben . Ich erinnere noch einmal an den-württembergische Landesregierung (C) diesen schönen Post des BMEL: dazu?) (Der Redner hält ein Schriftstück hoch) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: „Kommt nicht auf den Acker . Anbauverbot für gentech- Vielen Dank .– Als Nächstes hat der Kollege Kees de nisch veränderte Pflanzen in Deutschland.“ – Ja, warum Vries, CDU/CSU-Fraktion, das Wort . denn eigentlich? Weil man es in Brüssel zulässt . Das ist nicht nur Postfaktizismus, sondern auch unehrlich und (Beifall bei der CDU/CSU) unredlich . (CDU/CSU): Aber eines kann auch nicht durchgehen, liebe SPD . Kees de Vries Barbara Hendricks brüstet sich auf Twitter, auf Facebook Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und und in der Berliner Morgenpost mit ihrer Ablehnung der Herren, auch auf den Tribünen! Wenn es nicht so trau- Zulassung im Kabinett . Sie weiß doch ganz genau, dass rig wäre, könnte man darüber lachen . Wir werden heute dies lediglich zur Enthaltung Deutschlands in Brüssel wieder einmal auf Antrag der Grünen unsere Zeit ver- führt . Warum also verhindert gerade die SPD zum wie- geuden – mit diesem vollkommen überflüssigen Antrag. derholten Mal eine Sofortabstimmung in dieser Sache (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hier im Plenum, nachdem sie bereits mehrfach verhindert NEN]: Da sehen wir ja schon wieder deut- hat, dass dieser Sachverhalt und unser Antrag dazu im lich, wo ihr steht! – Alexander Ulrich [DIE federführenden Ausschuss auf die Tagesordnung gesetzt LINKE]: Sehr arrogant!) und beraten werden, geschweige denn, dass darüber ab- gestimmt wird? Wenn man alle Emotionen, Gerüchte, Mutmaßungen und Unterstellungen weglässt, bleiben in dieser Sache (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Denk doch ein paar Fakten: erst mal nach, Harald!) Erstens . Wir im Deutschen Bundestag sind für das Wer bisher noch nicht wusste, was scheinheilig ist, der verantwortlich, was auf dem deutschen Hoheitsgebiet kann es heute lernen . passiert . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zweitens . Es gibt in diesem Zusammenhang drei An- Kees de Vries [CDU/CSU]: Genau!) träge, einen Antrag zur Erneuerung der Anbauzulassung und zwei neue Anträge für Maislinien auf der EU-Ebene . Um eines vorwegzunehmen, was gleich sicher wie- (B) der in der einen oder anderen Rede vonseiten der Uni- Drittens . Unser Minister hat sehr wohl sofort reagiert (D) on erwähnt wird: Erzählen Sie uns doch nicht, es drohe und beantragt, das deutsche Gebiet von diesem Antrag aufgrund der mit den Konzernen schon ausgekungelten auszunehmen – was auch gestattet worden ist . Anbauausnahmen ja gar keine Gefahr, und man dürfe den Staaten, die Genmais wollen, doch nichts vorschrei- Viertens . Der Anbau dieser Maissorten in Deutschland ben .– Doch! Das müssen wir sogar tun, und zwar aus wird einfach nicht stattfinden. den gerade genannten Gründen: um unsere eigene Gen- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- technikfreiheit zu schützen . Es ist ja nicht so, dass kei- NEN]: Das Gesetz sehen wir auch so, ja! Da- nerlei Bedenken gegen diese Pflanzen bestehen. Das für gibt es die Abstimmung! Das steht uns zu!) Europaparlament hat die Kommission aufgefordert, in allen drei Fällen gegen diese Zulassung zu votieren, und Worüber reden wir eigentlich? Oder wollen wir tat- hat das auch begründet: mit Gefahren der Auskreuzung, sächlich auf EU-Ebene wieder neu diskutieren? mit Gefahren der Kontamination von Nicht-Gentech- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nik-Pflanzen und -Produkten, weil die Abstände als zu NEN]: Dann stimmen Sie zu!) gering eingeschätzt werden, und mit nicht untersuchten Risiken für den Menschen . Das steht uns nicht zu . Wir haben das ausführlich in den demokratischen Gesetzen behandelt, sowohl hier in Liebe Kolleginnen und Kollegen, verkaufen Sie die Deutschland als auch in der EU . Wir sind beide Male zu Menschen da draußen nicht für dumm! Nehmen Sie ihre der Schlussfolgerung gekommen, dass die Opt-out-Re- Bedenken gegen die Gentechnik ernst, so wie Sie es ih- gelung das Beste ist . Ich gebe zu: Das ist nicht ganz in nen versprochen haben! Dazu gehört auch, dass wir ein meinem Sinne . Wie ich heute gelernt habe: Das ist auch funktionierendes Gesetz für rechtsverbindliche, rechtssi- nicht ganz in deinem oder eurem Sinne . – Aber das ist chere und bundesweite, nationale Anbauverbote auf den nun einmal Demokratie . Damit müssen wir leben – du Weg bringen . Dafür ist es erforderlich, heute, hier und und ich . jetzt die Bundesregierung aufzufordern, morgen in Brüs- sel mit Nein zu stimmen, also hier und heute unserem (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Antrag zuzustimmen . NEN]: Und wofür ist die Abstimmung morgen da? Um nicht abstimmen zu dürfen?) Danke schön . Wenn wir diese Diskussion neu starten wollen, müsste (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN man zum Beispiel mal wieder über diese drei Maislinien sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ute diskutieren . Jetzt geht es um Bt‑Mais, das heißt, er ist so Vogt [SPD]: Was sagt eigentlich die ba- gezüchtet, dass das Schädlingsinsekt, das den Mais an- 21552 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Kees de Vries (A) piekst, stirbt – und, ja, auch die nicht schädlichen Insek- und so, wie ich die CSU in Bayern kenne, ist diese nicht (C) ten, die anpieksen, sterben . Das wollen wir nicht . immer so zögerlich und zimperlich gegenüber der EU . Aber in diesen Fragen, so sagt man auf Bayerisch, ziehen (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sie den Schwanz ein . NEN]: Aber sie sind nicht gezüchtet!) (Heiterkeit) Die Alternative aber ist, dass wir den Landwirt zwin- gen, mit Insektiziden alles, was auf diesem Acker lebt, Beim Europäischen Patentamt gibt es inzwischen kaputtzumachen . Ich frage mich, ob das sinnvoll ist, aber Bierpatente . Gerste aus konventioneller Züchtung wird das steht hier nicht zur Debatte . hier patentiert . Ich würde gern einmal wissen, was die CSU dazu sagt . Dazu gibt es keine Position . Das nämlich hat die EFSA siebenmal, glaube ich, un- tersucht und siebenmal festgestellt: Diese Pflanzen sind Jetzt wurde ein Gentechnikgesetz versprochen . Der nicht umwelt-, tier- oder menschenschädlicher als die an- Bundesrat hat dazu Stellung bezogen und einen Vor- deren . Das sind wissenschaftlich unterlegte Fakten . schlag gemacht, die Grundlage der Opt‑out-Regelung . Sechs Ministerien sollen Einvernehmen erzielen .– Als (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wenn sich sechs Ministerien einmal einigen könnten! NEN]: Fruchtfolgen würden auch helfen!) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Linke Aber damit wollen Sie sich überhaupt nicht auseinander- kann sich auch nicht einigen!) setzen . Nein . In 45 Tagen funktioniert das nicht . Alle Sachverständi- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen haben gesagt: Es ist so nicht umsetzbar, es gibt viele NEN]: Es gibt andere Aussagen! Ihr sucht Gefahren . eure Wissenschaftler aus!) Jetzt frage ich mich – und viele unserer Wählerinnen Ich bin der Meinung, dieser unsägliche Antrag wird und Wähler, und zwar alle, fragen auch –: Warum wird nur gestellt, um wieder einmal unberechtigte Ängste bei das nicht umgesetzt? Warum diskutiert ihr das? Warum den Menschen zu schüren . Dafür bin ich nicht zu haben . diskutiert ihr das immer wieder, und warum kommt Deshalb beantrage ich Ablehnung . nichts heraus? Und ich kenne viele Diskussionen . Ich danke für die Aufmerksamkeit . Dann gibt es eine Antwort darauf, die heißt: Lob- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ute by . Das verstehen die Leute, überall . Es sind natürlich Vogt [SPD] – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ die Konzerne, die hier Einfluss nehmen. Ich nenne sie DIE GRÜNEN]: Bitte schön!) einmal: DuPont, Dow Chemical, Bayer und Monsanto, (B) ChemChina und Syngenta . Die lassen natürlich auch Stu- (D) dien erstellen, die Sie dann immer zitieren . Wir zitieren Vizepräsidentin Ulla Schmidt: dann die Studien von den Umweltverbänden . Vielen Dank .– Nächste Rednerin ist Eva Bulling- Schröter, Die Linke . Aus sechs Konzernen werden drei, und deren politi- scher Einfluss steigt; denn wenn es nur noch drei große (Beifall bei der LINKEN) Konzerne sind, dann steigt der Einfluss natürlich. Das se- hen wir ja auch heute wieder, nämlich bei der Entschei- Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): dung, nicht abstimmen zu wollen . Das ist die Entschei- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dung der Konzerne . Am letzten Wochenende gab es die große Demo von Drei Konzerne werden mehr als 60 Prozent des Mark- 10 000 Menschen hier in Berlin unter dem Motto „Wir tes für kommerzielles Saatgut und Agrochemikalien be- haben es satt!“ . herrschen, das heißt, fast alle gentechnisch veränderten (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch schön, Pflanzen auf diesem Planeten werden von diesen Kon- dass die Menschen satt sind! Dafür sollten wir zernen hergestellt . Diese drei haben auch die meisten mal denen Danke sagen, die dafür gesorgt ha- Anmeldungen für das Eigentum an Pflanzen beim Euro- ben!) päischen Patentamt vorgenommen . Was haben die Menschen gesagt? Sie wollen eine Been- Einer dieser neuen Giganten ist Bayer-Monsanto, der digung des Tierleids, sie wollen keine Gentechnik und größte Agrokonzern der Welt . Ein Drittel des kommerzi- keinen Genfraß – und zwar mit einer Mehrheit in Euro- ellen Saatguts und ein Viertel der Pestizide auf dem glo- pa, in Deutschland und in Bayern . Leider ist Landwirt- balen Markt werden dann von diesem großen Konzern schaftsminister Schmidt jetzt nicht da, wahrscheinlich ist hergestellt . er auf der Grünen Woche, aber er sollte auch einmal auf Ich nenne nur das Stichwort „Glyphosat“; wir haben seine Wählerinnen und Wähler hören . darüber diskutiert . Die Mehrheit der Menschen in diesem (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das tut er ja Land lehnen Glyphosat ab; sie wollen es nicht . Trotzdem die ganze Zeit!) wird es bei der EU wieder genehmigt, und Deutschland hat dort auch mit Ja gestimmt . Ab und zu ist er ja sehr zögerlich, Bayer kauft Monsanto für 66 Milliarden Dollar, (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist rich- ChemChina bezahlt für Syngenta 43 Milliarden Dollar . tig!) Sie sind den Aktionären rechenschaftspflichtig. Die Un- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21553

Eva Bulling-Schröter (A) ternehmen haben Kredite für diese Käufe aufgenommen, gemacht, von den antragstellenden Unternehmen (C) das heißt, sie müssen Gewinne machen . Sie müssen das die Herausnahme des eigenen Territoriums aus der Geld jetzt wieder hereinbringen . beantragten Anbauzulassung zu erbitten . Das Potenzial der globalen Agrarmärkte steigt natür- Insofern haben Sie selbst beschrieben: Für Deutschland lich, wenn entsprechende Beschlüsse gefasst werden . ist das überhaupt kein Thema mehr .– Deshalb braucht Bayer schätzt, dass der Umsatz bei Saatgut und Pestizi- es auch im Deutschen Bundestag kein Thema zu dieser den von 85 Milliarden Dollar in 2015 auf 120 Milliarden Stunde zu sein . Dollar in zehn Jahren steigen wird . Dafür müssen die Ge- setze natürlich entsprechend verändert werden . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich habe vorhin schon erklärt, warum Das Ziel dieser großen Agrokonzerne ist, Produkte zu das nicht stimmt! Belgien und Luxemburg ha- beeinflussen und Preise sowie Qualitäten zu diktieren, ben es zugelassen!) unter dem Motto: „Wer die Saat hat, hat das Sagen“ – und das global . Das ist hier das Interesse . Ich möchte Ihnen daneben gerne auch die Haltung Zwei Sätze noch an die Kollegen der CDU/CSU: Der der SPD-Fraktion noch einmal in Erinnerung rufen, die Präsident des Bauernverbandes, der Ihnen ja sicher näher Sie ganz genau kennen . Ich darf auch hier zitieren, und steht als uns, den Linken, zwar aus einem Pressebericht von heute, in dem die Bun- desumweltministerin Barbara Hendricks zitiert wird: (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Das ist gut so!) Es wäre inkonsequent, wenn wir auf europäischer Ebene für eine Zulassung stimmen würden . Das sagt: Wir fordern Sicherheit für ganz Deutschland; wir Bundesumweltministerium wird daher in der Res- wollen keinen Flickerlteppich .– Inzwischen fordert sortabstimmung gegen eine Zulassung votieren . auch der Bauernverband ein Verbot der Agrogentechnik . Sie sollten sich wenigstens an die halten, wenn Sie sich (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜND- schon nicht an uns halten . NIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Und das (Beifall bei der LINKEN – Artur Auernhammer bleibt ja wirkungslos; denn dann enthaltet ihr [CDU/CSU]: War das eine Lobbyismus-For- euch halt!) derung, oder was?) Damit ist gewährleistet, dass Deutschland dem Ganzen keine Zustimmung erteilt . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (B) Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Ute (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) Vogt . NEN]: Aber ihr stimmt auch nicht mit Nein!) (Beifall bei der SPD) Zu Ihrem Ansinnen, hier darüber abzustimmen, muss ich Ihnen sagen, Herr Kollege Ebner: Sie sind jetzt in der zweiten Legislaturperiode im Deutschen Bundestag . Ute Vogt (SPD): Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen (Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Hat aber und Kollegen! Liebe Kollegin Eva Bulling-Schröter, ich noch nichts dazugelernt!) kann Ihnen sagen: Wir werden die Ergebnisse der Anhö- rung sehr ernst nehmen . Das ist auch der Grund, warum Sie wissen, wie das Prozedere ist . Nach Abschluss eines der Gesetzentwurf in dieser Woche noch nicht vorliegt Koalitionsvertrages gilt: Wenn die Mitglieder der Regie- und auch in der nächsten Sitzungswoche noch nicht vor- rung unterschiedlicher Meinung sind, dann gibt es am liegen wird . Ich kann Sie aber beruhigen: Die Koaliti- Ende bei den Abstimmungen eine Enthaltung . onsfraktionen haben heute schon über den Gesetzentwurf verhandelt; wir sind also mittendrin . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Dann hilft es doch nichts, was die Frau (Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Hendricks getwittert hat!) NEN]: Das beruhigt uns nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das beunru- Insofern hat Ihr Antrag weder etwas in der Sache beizu- higt uns eher!) tragen, noch dient er irgendeiner Klärung . Das Einzige, was Sie versuchen, ist, hier auf ganz billige Art und Wei- Wenn Sie hier behilflich und auch bereit sind, mit einzel- se einen Vorführeffekt zu erreichen . nen Kolleginnen und Kollegen der Union noch weitere Gespräche zu führen, dann sind wir durchaus dankbar . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – (Beifall bei der SPD) Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schummeln sich doch durch!) Ich möchte zum vorliegenden Antrag noch etwas sa- gen, Kolleginnen und Kollegen der Grünen . Sie haben in Wir haben hier in diesem Bundestag schon das dritte Ihrem Antrag selbst beschrieben, warum er überflüssig Mal den wortgleichen Antrag zur Beratung vorliegen . ist – ich zitiere –: (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Schon zwei Drittel der Mitgliedsstaaten, darunter NEN]: Ihr verhindert immer die Abstim- Deutschland, haben von der Möglichkeit Gebrauch mung!) 21554 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Ute Vogt (A) Ich sage Ihnen eins: Wir haben das letzte Mal, als wir Sie wissen, dass Sie die Abstimmung wieder nicht ge- (C) diesen Antrag hier diskutiert haben, über den Film Und winnen werden . täglich grüßt das Murmeltier geredet . (Kees de Vries [CDU/CSU]: Die sind ein- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fach nicht lernfähig! – Harald Ebner [BÜND- NEN]: Genau!) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Debatte findet ja gar nicht statt!) Ich kann Ihnen, Herr Ebner, wirklich nur empfehlen: Nehmen Sie sich einmal die Zeit, und schauen Sie sich Der Wähler hat 2013 entschieden, dass Sie in der Oppo- diesen Film noch einmal an . sition sind, und das ist auch gut so . (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) Herr Ebner, kurz ein Wort an Sie . Sie haben vorhin eine Rede gehalten . Wir haben alle zugehört . Keiner hat In diesem Film erlebt die Hauptfigur Tag für Tag das dazwischengerufen . Wir haben eine super Disziplin ge- Gleiche, habt . Es wäre schön, wenn auch Sie sich daran halten (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- könnten . Dann könnten die Zuhörer auch mich einmal NEN]: Ach nee, echt? Wenn Sie sich gegen hören . die Union durchsetzen könnten, dann bräuch- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ten wir das nicht!) ordneten der SPD) so wie wir hier von Woche zu Woche den gleichen An- trag erleben . Aber am Ende gibt es ein Happy End . Wa- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: rum? Weil die Hauptfigur etwas dazulernt und weil sie Frau Kollegin Stockhofe, gestatten Sie eine Zwischen- sich und die anderen verändert . frage der Kollegin Maisch? (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie müssen doch nicht uns belehren!) Rita Stockhofe (CDU/CSU): Sie haben nur die Drucksachennummer verändert, aber Ja, sehr gerne . inhaltlich kein Jota . Da ist nichts, was nach vorne weist .

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte schön . Ihr verhindert doch die Debatte darüber! Wa- rum soll man da was verändern?) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (B) (D) Lassen Sie also diese taktischen Anträge . Machen Sie Frau Stockhofe, Sie haben zu uns gesagt: Sie wissen, mal Sachpolitik, und bringen Sie mal wieder einen neuen dass Sie die Abstimmung nicht gewinnen . – Kann ich Gedanken ins Plenum ein . daraus schließen, dass wir hier gleich über den Antrag abstimmen? (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rita Stockhofe (CDU/CSU): Ihr könnt doch jetzt was verändern!) Nein, das können Sie nicht .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU Vielen Dank .– Für die CDU/CSU spricht jetzt die und der SPD – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/ Kollegin Rita Stockhofe . DIE GRÜNEN]: Dann ist das nicht so schlüs- sig, was Sie gesagt haben!) (Beifall bei der CDU/CSU) – Das ist Ihr Problem .

Rita Stockhofe (CDU/CSU): (Beifall des Abg . Artur Auernhammer [CDU/ Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und CSU]) Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich will heu- Sie schreiben in Ihren Anträgen zum Thema Gentech- te nicht das Murmeltier bemühen . Zum wievielten Male nik permanent, dass ein Großteil der Bevölkerung gegen reden wir hier über ein und denselben Antrag der Frakti- Gentechnik ist . Diese Aussage ist das Ergebnis einer Um- on Bündnis 90/Die Grünen? frage von einem oder mehreren Ihrer Lobbyistenvereine . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wenn eine solch einseitige Darstellung nach außen ge- NEN]: Genau! Wir hätten es auch im Aus- tragen wird, wie das hier der Fall ist, darf man sich nicht schuss behandeln können!) wundern, dass die Umfragen so ausfallen, wie sie es tun . Sämtliche fachlichen Veröffentlichungen europäischer Wir stimmen darüber ab . Behörden werden ignoriert – und das, obwohl hier die strengsten Zulassungsverfahren weltweit gelten . (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Eben nicht! Das ist das Problem!) Auf der Grünen Woche, die zufällig gerade stattfindet, Weil Sie von den Grünen gerne ein anderes Ergebnis hät- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten, schreiben Sie das Gleiche noch einmal auf, obwohl NEN]: Nicht zufällig!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21555

Rita Stockhofe (A) hat sich vor ein paar Jahren jemand hingestellt, hat in nissen der Wissenschaft . Anerkennen tun Sie diese aber (C) jeder Hand eine Möhre hochgehalten und die Besucher nur an, wenn es Ihnen passt . gefragt, ob sie lieber die Möhre mit oder die Möhre ohne (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gene kaufen möchten . Sie können sich denken, welche NEN]: Das ist eine Unterstellung!) Antwort gekommen ist: Die Besucher wollten lieber die Möhre ohne Gene kaufen .– Wir alle wissen hoffentlich, Das erleben wir häufig, wenn das BfR, das Bundesinsti- dass es keine Möhre ohne Gene gibt . Aber Sie haben es tut für Risikobewertung, zurate gezogen wird . Wenn die durch Ihre Art und Weise der Darstellung geschafft, dass Ergebnisse nicht in Ihr Weltbild passen, gibt es massive die Menschen schon allein dann, wenn sie den Begriff Kritik . „Gen“ hören, glauben, dass sie vergiftet werden . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner NEN]: Sie sind groß im Unterstellen!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ge- Wenn es passt, wird es mindestens hundertmal zitiert . schichte ist doch alt! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Glauben Sie Zum Glück gab es die Partei der Grünen noch nicht, wirklich, dass die Deutschen so doof sind? als die Bahn, das Auto oder das Flugzeug erfunden wur- Wir glauben das nicht!) de . (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Natürlich haben die Besucher gedacht, dass es um Gen- NEN]: Jetzt kommt die Geschichte wieder!) technik geht . Aber das ist gar nicht gefragt worden . Nicht, dass Sie sie nicht nutzen würden! Aber Ihre grund- Sie, die Fraktion der Grünen, profitieren von Ihren sätzliche Fortschrittsfeindlichkeit hätte diese Erfindun- Lobbyistenvereinen, die ein Thema besetzen, bei dem gen schon verhindert . sie sich möglichst hohe Spendeneinnahmen versprechen . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) Schließlich leben sie von diesen Spenden – und das auch nicht so schlecht . Jetzt haben Sie das Glück, diese Spen- Deutsche Forscher flüchten vor Ihrer Politik ins Ausland. densammler hinter sich zu haben . Aber die Frage ist doch Später können wir dann deren erfolgreiche Produkte aus eigentlich: Was wollen Sie überhaupt? Wollen Sie sich dem Ausland einkaufen . Ein altes, mittlerweile fast je- wirklich inhaltlich mit Themen auseinandersetzen? dem bekanntes Beispiel ist das Insulin . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Sie diskreditieren hier Umweltverbän- NEN]: Wer regiert hier eigentlich seit zwölf Jahren?) (B) de als Spendensammler!) (D) Bei uns in Deutschland sind in der Vergangenheit Ver- – Herr Ebner, wir sind schon wieder an dem Punkt, an suchsfelder zerstört worden . Diese Zerstörungen werden dem Sie mich nicht ausreden lassen . genauso wie Einbrüche in Ställe als Heldentaten gefeiert . Länder wie China, Spanien und Kanada schöpfen alle (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Möglichkeiten der Forschung aus und überholen uns mit NEN]: Ja! Wenn Sie Umweltverbände als größter Geschwindigkeit . Spendensammler diskreditieren!) Ich würde mich freuen, wenn wir endlich einmal auf Oder reicht es Ihnen, Personen aus dem Parlament oder der Grundlage von wissenschaftlichen und fachlichen der Regierung zu beleidigen? Das gehört ja zu Ihrem Erkenntnissen debattieren könnten . Aber dann müssten Standardrepertoire . Wann fangen Sie endlich an, sich in- Sie Ihr letztes Thema aus der Hand geben, mit dem Sie haltlich mit Themen zu befassen und wissenschaftliche Menschen Angst machen können . Sie und Ihre Lobby- Ergebnisse anzuerkennen? freunde aus den einschlägigen Vereinen arbeiten mit der Unsicherheit und den Ängsten der Menschen, indem Sie Nun zu den Demonstrationen, die Sie, liebe Kollegin- in jeder Darstellung möglichst viele negativ besetzte nen und Kollegen von der Linken, genannt haben . Es gab Worte verwenden: Pestizide – „Pest“ war schon immer auch eine Demonstration unter dem Motto „Wir machen negativ besetzt – statt Pflanzenschutzmittel, euch satt“ . Da müssen wir wissen, was Ihnen wichtiger ist: jemanden satt zu machen oder jemanden ständig zu (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kritisieren . NEN]: Das ist ein internationaler Begriff! Pes­ ticides!) (Beifall bei der CDU/CSU) Agroindustrie statt vor- und nachgelagerter Bereich der Bei der öffentlichen Anhörung am letzten Montag Landwirtschaft oder Massentierhaltung . Dieser Begriff wurde bestätigt, dass weltweit kein nachweisbarer Scha- wurde nie von irgendjemandem definiert. densfall durch Gentechnik existiert, (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Es geht hier nicht um Massentierhal- (Zuruf von der SPD: Oh! Das stimmt aber tung, sondern um Gentechnik! Wo sind Sie nicht!) eigentlich?) weder beim Menschen noch beim Tier noch bei der Um- Dann werden gerne Begriffe wie Industrie – da denkt je- welt . In Ihrem Antrag sprechen Sie immer von Erkennt- der nur an rauchende Schlote – oder Konzerne – damit 21556 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Rita Stockhofe (A) verbindet man, dass die doch nur Geld verdienen wol- 80 Prozent der Bevölkerung, dass die Äcker in unserem (C) len – verwendet . Dabei geht fast jeder von uns morgens Land gentechnikfrei bleiben . aus dem Haus und seiner Arbeit nach, um Geld zu ver- (Beifall bei der SPD) dienen . All diese Begriffe verwenden Sie, um negative Bilder in die Köpfe der Bevölkerung zu bekommen . Eine konsequente Politik für ebendiese gentechnikfreien Äcker würde auch eine klare Ablehnung der Zulassung Wir hingegen wissen, dass in Deutschland mit die in Brüssel einschließen . Leider kann sich unser Koaliti- gesündesten Lebensmittel weltweit erzeugt werden und onspartner dazu offenbar immer noch nicht durchringen . dass wir zu jeder Jahreszeit alles kaufen können . Wa- Deshalb können wir auch Ihrem Antrag, sehr verehrter rum helfen Sie uns nicht, dem Verbraucher möglichst Herr Kollege Ebner, leider nicht zustimmen . schmackhafte, gerne auch saisonale und regionale Pro- dukte anzubieten, indem wir die Bauern vor Ort unter- (Beifall bei der SPD) stützen sowie ihre tolle Arbeit anerkennen und honorie- ren? Ich würde hier gerne etwas ganz anderes sagen, aber es ist leider nach wie vor so: Wenn das von dem CSU-Mi- (Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn nister Schmidt geführte Landwirtschaftsministerium die [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zulassung – noch einmal: im Gegensatz zum Umweltmi- Die Bauern vor Ort fangen an, umzudenken!) nisterium – will, dann gibt es eben wieder ein Patt . Dann enthält sich Deutschland wieder . Sind Sie Ihren Lobbyisten so sehr verpflichtet, dass Sie immer wieder Halbwahrheiten und Ängste verbreiten Deshalb wird der Genmais, um den es hier geht, Herr und Politiker persönlich verunglimpfen müssen? Kollege Ebner, trotzdem nicht im nächsten Jahr auf deut- schen Äckern angebaut werden; denn schon 2015 hat (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Bundesregierung die betreffenden Saatgutkonzerne NEN) aufgefordert, Deutschland von ihren Zulassungsanträgen Ich habe in meiner Erziehung Respekt vor anderen Men- auszunehmen . Es bleibt also dabei: In Deutschland kön- schen gelernt, vor allen denjenigen gegenüber, die ihn nen gentechnisch veränderte Pflanzen nicht kommerziell verdient haben . Für mich gehören zu diesen Menschen angebaut werden . unsere Bauern, die uns täglich mit hochwertigen, lecke- (Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜND- ren und unter immer größeren Herausforderungen herge- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber bei den Nach- stellten Lebensmitteln versorgen . Ich würde mich freu- barn! Belgien! Tschechien!) en, wenn Sie, die Grünen, diese Leistung endlich auch anerkennen würden und aufhören würden, Generalver- Das ändert nichts an der Haltung der SPD zum Um- (B) dächtigungen auszusprechen . Erst dann können wir eine gang mit Zulassungsanträgen in Brüssel . (D) gute Politik für unsere Verbraucher und Bauern machen . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Geben Sie endlich Ihr Dasein als Lobbyistenpartei auf, NEN]: Ihr spielt es nur herunter!) (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir sind für die Ablehnung . Das ändert auch nichts da- NEN]: Bei euch hocken die Lobbyisten in den ran, dass wir nach wie vor versuchen, unseren Koaliti- eigenen Reihen!) onspartner davon zu überzeugen, dass Deutschland sich und widmen Sie sich den anstehenden Themen sachlich! aus Prinzip nicht länger enthalten darf, sondern gegen die Akzeptieren Sie wissenschaftliche Erkenntnisse, und hö- Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen stim- ren Sie auf, Menschen persönlich anzugreifen! Denn das men sollte . gehört sich nicht . (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ Vielen Dank . CSU: Versuchen könnt ihr es ja!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- – Klar, wir arbeiten daran, Herr Kollege . ordneten der SPD) Ich bezweifle, dass Sie den Prozess beschleunigen, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, indem Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Sie hier immer denselben Antrag stellen . Die Kollegin Vielen Dank .– Jetzt hat Elvira Drobinski-Weiß für die Ute Vogt hat ja dazu hier bereits sehr eindeutig etwas ge- SPD-Fraktion das Wort . Bitte schön . sagt . Aber bitte, so lange Sie das tun, so lange sage ich Ihnen: Wir wollen gentechnikfreie Äcker . Wir sind gegen (Beifall bei der SPD) die Zulassung . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Elvira Drobinski-Weiß (SPD): NEN]: Das ist schön!) Vielen Dank .– Sehr geehrte Frau Präsidentin! Lie- Aber – vielleicht haben Sie es auch schon zur Kenntnis be Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste auf der genommen – wir regieren nicht allein . Tribüne! Auf ein Neues! Wir reden wieder einmal über die Zulassung der gentechnisch veränderten Maissor- Noch wichtiger als die ganze Debatte um Zulassun- ten in Brüssel . Die SPD-Bundestagsfraktion und auch gen von gentechnischen Pflanzen auf der EU-Ebene finde das SPD-geführte Bundesumweltministerium sind ge- ich, dass wir ein vernünftiges nationales Gesetz zu ent- gen eine solche Zulassung; denn wir wollen ebenso wie sprechenden nationalen Anbauverboten hinbekommen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21557

Elvira Drobinski-Weiß (A) Frau Vogt hat es vorhin schon gesagt: Wir arbeiten mit es gut, dass die SPD ihre inhaltliche Position – Nein zu (C) Hochdruck daran, und wir werden uns dabei – das kann diesen Zulassungen – noch einmal klargemacht hat und ich Ihnen versprechen – auf keine schlechten Kompro- dass die CDU klargemacht hat, dass sie der Auffassung misse einlassen . ist: Ja zu diesen Zulassungen . Vielen Dank . (Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Heinz überhaupt nicht! – Alois Rainer [CDU/CSU]: Wiese [Ehingen] [CDU/CSU]) Stimmt ja gar nicht!) – Sie sind gegen die Zulassung? Dann müsste Herr Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Schmidt ja in Brüssel mit Nein stimmen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Debatte . sowie bei Abgeordneten der SPD und der Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- che 18/10976 . Ich gehe davon aus, dass Sie dafür den Beweis anzutreten bereit sind, und deshalb wird das Murmeltier hier dann Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt die vermutlich noch einmal grüßen . Abstimmung über ihren Antrag in der Sache . Die Frak- tionen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überwei- Unser bisheriger Kenntnisstand ist, dass sich die Bun- sung . Mir ist mitgeteilt worden, dass hierzu das Wort zur desregierung nicht einigen konnte, dass das Umwelt- Geschäftsordnung gewünscht wird . ministerium gegen die Zulassung ist und das Landwirt- schaftsministerium dafür . Das würde dazu führen, dass Damit erhält jetzt Steffi Lemke als erste Rednerin das sich die Bundesregierung in Brüssel enthält und damit Wort zur Geschäftsordnung . faktisch eine Jastimme in den Brüsseler Prozess ein- bringt, weil nur eine Neinstimme verhindern kann, dass Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): diese Zulassung stattfindet. Danke, Frau Präsidentin .– Liebe Kolleginnen! Liebe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollegen! Liebe Gäste auf den Tribünen! Ich denke, in der Debatte ist klar geworden: Es geht darum, dass auf Deshalb ist es Aufgabe der Opposition, diesen Prozess europäischer Ebene morgen eine Abstimmung über die hier im Parlament transparent zu machen, deutlich zu Neuzulassung von drei gentechnisch veränderten Mais- machen, worum es geht . (B) sorten der Konzerne Monsanto und Syngenta ansteht, (D) also morgen über eine europäische Zulassung entschie- Liebe Ute Vogt, du hast auf den Murmeltierfilm ver- den wird . Deshalb sind all Ihre Argumente, mit denen Sie wiesen . Ich habe einen Vorschlag, wie wir den ewig glei- darauf verweisen, dass der Anbau danach möglicherwei- chen Ablauf durchbrechen können: Ihr beschneidet nicht se in Deutschland ausgeschlossen bleibt, weiter die Rechte der Opposition auf das Stellen von An- trägen und das Beantragen von Abstimmungen über die (Ute Vogt [SPD]: Nicht „möglicherweise“!) Anträge der Opposition . richtig, gehen aber an der Tatsache vorbei, dass morgen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abgestimmt wird, und damit an der Zielrichtung unseres sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Antrages, mit dem wir nämlich auf die europäische Ebe- ne abzielen . Ich möchte mit Erlaubnis der Präsidentin zitieren, was du im zweiten Teil des Murmeltierfilms hier im Parlament (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ausgeführt hast – also Zitat Ute Vogt in der letzten Ge- Wir leben in einem europäischen Binnenmarkt . Wir schäftsordnungsdebatte zum Gegenstand –: haben gemeinsame Verbraucherschutzstandards, Ge- sundheitsschutzstandards . Ich gehe davon aus, dass Ich sage Ihnen: Sie haben doch jedes Recht der Welt, alle hier im Haus auch wollen, dass das so bleibt . Wir Presseerklärungen noch und nöcher zu machen . müssen von daher ein Interesse daran haben, die euro- (Ute Vogt [SPD]: Genau!) päische Ebene ernst zu nehmen und zu stärken . Deshalb betrachtet meine Fraktion es als Aufgabe dieses nationa- – Danke für die Belehrung; wussten wir schon . – len Parlamentes, der nationalen Regierung für ihr Stimm- verhalten auf der europäischen Ebene ein klares Votum Da brauchen Sie doch nicht jedes Mal unsere Zeit mitzugeben . hier in Anspruch zu nehmen mit Plenardebatten zu Dingen, bei denen im Grunde klar ist, dass wir diese (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Debatte letzte Woche geführt haben und dass wir sie Denn wir sind hier nicht Exekutive . Wir sind das Parla- in Kürze wieder führen werden . ment . Es tut mir leid, dass ich die Kollegen sowohl in (Ute Vogt [SPD]: Genau! So kam es auch!) der SPD als auch in der CDU daran erinnern muss . Sie haben hier noch einmal in aller epischen Breite darge- Ich sage Ihnen: Sie von der Großen Koalition haben stellt, welche Probleme die Bundesregierung mit dieser genug Abgeordnete, um Ihre Position deutlich zu ma- Abstimmung hat. Das ist ihr gutes Recht, und ich finde chen . Wir als Opposition haben die Aufgabe, die Regie- 21558 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Steffi Lemke (A) rung zu kontrollieren und Machtbegrenzung vorzuneh- Ich sage das nur, damit das feststeht . (C) men . Deshalb sind wir hier . Ich glaube, es gibt auch keinen Grund, sich jetzt so zu (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) echauffieren oder gar so schlechtgelaunt durch die Ge- gend zu ziehen . Wenn Sie damit weiter lustige Spielchen analog zum Murmeltierfilm treiben wollen, dann werden wir schwie- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rige Zeiten vor uns haben . NEN]: Oh! Jetzt geht es hier um Launen!) (Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! Denn natürlich hat die Opposition – Sie haben es ja er- Oh!) freulicherweise auch zitiert – immer das Recht, Anträge Es ist nicht nur Aufgabe der Opposition, Pressemitteilun- zu stellen . Sie haben den Antrag ja, wie von mir vorher- gen zu schreiben, sondern sie hat auch das Recht, Anträ- gesagt, ein drittes Mal gestellt, und dieses Recht will Ih- ge einzubringen . nen auch niemand nehmen . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der LINKEN) NEN]: Wir wollen über ihn hier abstimmen!) Und es ist das Recht und es ist die verdammte Pflicht der Aber wir haben doch auch das Recht, unsere Meinung zu Opposition, im Parlament nicht nur Debatten zu führen, sagen, nämlich dass wir den Antrag für überflüssig halten sondern auch Entscheidungen herbeizuführen . Nichts (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- weiter klagen wir ein . NEN]: Stimmen Sie doch ab! Dann ist er (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) weg!) In der Tat müssen wir mit Ihnen das dritte Mal inner- und dass wir es nicht notwendig finden, über ihn heute halb von drei Monaten eine Geschäftsordnungsdebatte abzustimmen . darüber führen, ob unser Antrag hier vor einer relevanten (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Entscheidung in Brüssel zur Abstimmung gestellt wer- den kann, in der Ihre, die von Ihnen getragene Bundesre- Ich habe es Ihnen schon begründet: Es gibt keine inhalt- gierung keine klare Position einnimmt, damit klar wird, liche Begründung dafür; vielmehr geschieht das deswe- dass das Parlament mehrheitlich – wenn Ihre Aussagen gen, weil Ihr Antrag rein taktisch motiviert ist . von der SPD stimmen – eine andere Position dazu hat (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und die Regierung an dieser Stelle dann das Votum des NEN]: Das ist doch nur eine Unterstellung! Parlaments ignorieren würde . Das ist unsere Aufgabe, (B) Euch treibt die Angst!) (D) und die sollten Sie nicht ins Lächerliche und auch nicht sonst irgendwohin ziehen . Jetzt erkläre ich es Ihnen noch einmal, auch wenn Sie an vielen Landesregierungen beteiligt sind und man Danke . glauben könnte, Sie wüssten das Ganze schon: Eine Re- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gierungskoalition wird von mehreren Parteien getragen . sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Diese Parteien schließen einen Koalitionsvertrag . Schau- Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: en Sie ihn sich einmal an: Ihn unterschreiben nicht Mit- Bravo! Wunderbar!) glieder der Bundesregierung, sondern führende Vertre- ter dieser Parteien . Hier gibt es zwei Fraktionen, hinter denen unterschiedliche Parteien stehen, die einfach eine

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: unterschiedliche Meinung haben . Als nächste Rednerin hat Ute Vogt das Wort . (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD) NEN]: Also, wer verhält sich denn taktisch? Ihr, nicht wir!) Ute Vogt (SPD): Unser Koalitionsvertrag legt in solchen Fällen ganz ein- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und deutig eine Enthaltung fest . Kollegen! Liebe Kollegin Lemke, weil Sie am Anfang sagten: „Dann wird es möglicherweise keinen Anbau Wenn Sie Ihren Antrag jetzt hier zur Abstimmung geben“, möchte ich Ihnen noch einmal sagen: Es wird stellen, dann hat das nur den Zweck, SPD-Kolleginnen keinen Anbau dieser infragestehenden Maissorten geben, und -Kollegen, die alle inhaltlich der Meinung sind, dass weil das Opt-out ganz eindeutig schon im Jahr 2015 er- man in Brüssel für ein Nein votieren muss, wie es die klärt worden ist . Bundesministerin ja auch macht, vorzuführen, weil sie sich nach dem Koalitionsvertrag schlichtweg enthalten (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen . Diese billige Nummer, hier immer wieder zu NEN]: Und bei den Nachbarn? Im Umfeld? versuchen, Kolleginnen und Kollegen vorzuführen, statt Bei Nachbarstaaten wie Belgien und Tsche- in der Sache zu streiten, wollen wir Ihnen nicht durchge- chien?) hen lassen . Deshalb werden wir nicht zulassen, dass über Dabei bleibt es auch . Ihren Antrag sofort abgestimmt wird . (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- der CDU/CSU) ten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜND- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21559

Ute Vogt (A) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine billige Nummer auf der Besuchertribüne: Auch die wollen, dass es um (C) macht eure Ministerin mit ihren Tweets!) die Sache geht . – Leider darf ich die Menschen auf der Besuchertribüne nicht fragen: Wer ist gegen die Gentech- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: nik? Wer ist dafür, dass die Bundesregierung morgen auf Eva Bulling-Schröter hat für die Fraktion Die Linke EU-Ebene gegen die Gentechnologie stimmt? – Leider das Wort . dürfen die Menschen auf der Besuchertribüne nicht ab- stimmen . Wenn sie es machten, bekämen sie Ärger; aber (Beifall bei der LINKEN) wir können es ja einmal probieren . Insofern bin ich der Meinung, Sie sollten über Ihren Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Schatten springen, und wir sollten direkt über den Antrag Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Grünen abstimmen . Worum geht es eigentlich? Morgen soll über die EU-Zu- lassung gentechnischer Pflanzen abgestimmt werden – in (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- einer nichtöffentlichen Sitzung von Ministerialbeamten NIS 90/DIE GRÜNEN) im Ständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- Wir brauchen nämlich Parlamentarismus, wie ihn sich mittel und Futtermittel . Ich wiederhole: Die Sitzung ist die Menschen draußen wünschen . Sie fragen: Warum nichtöffentlich . Es geht um drei Maislinien: MON 810 stimmen die einen so und die anderen so, wenn sie doch von Monsanto, MON 1507 von Dow/DuPont und um einer Meinung sind? Keiner kann das mehr erklären . Bt 11 von Syngenta . Noch etwas zu dem unsäglichen Lobbyismusvorwurf; (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir sind in es hat mich besonders verärgert, einer Geschäftsordnungsdebatte!) (Zuruf von der CDU/CSU: Och!) Was passiert hier? Bakterielles Insektengift wird durch diese Pflanzen produziert. Dass dadurch natürlich nicht dass er gegenüber Ökoverbänden, dem Naturschutzbund nur die schädlichen Insekten kaputtgehen, sondern auch Deutschland usw . geäußert wurde . die anderen, das ist selbstverständlich . (Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber natür- Seit dem Vertrag von Lissabon gibt es dazu keine Be- lich!) schlüsse des Rates der EU in öffentlichen Sitzungen, son- Natürlich stehen auch wir hinter den Bäuerinnen und dern es gibt nur Beschlüsse von Ministerialbeamten in Bauern, und natürlich wissen wir, dass sie uns satt ma- nichtöffentlichen Sitzungen . chen; das ist doch überhaupt keine Frage . Im Gegenteil: Wir wollen die Bauern vor den großen Konzernen und (B) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Zur Ge- (D) schäftsordnung!) Ihrer unsäglichen Politik schützen, damit sie überleben können Schon am 6 .Oktober 2016 hat das Europäische Parla- ment in drei Entschließungen dieses abgelehnt und die (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Kommission aufgefordert, die Vorschläge zurückzuzie- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hen . und nicht auch so fertiggemacht werden wie die Bauern (Max Straubinger [CDU/CSU]: Zur Ge- in Indien, die sich dann umbringen . schäftsordnung! Nicht inhaltlich!) Es bestünde also heute die Möglichkeit, zu sagen: Wir – Ich rede zur Tagesordnung: Ich erkläre, warum wir, die wollen gemeinsam etwas erreichen . Die Mehrheit unse- Linke, den Antrag der Grünen unterstützen . Wir halten rer Wählerinnen und Wähler will das . Aus diesem Grund ihn für sinnvoll . stimmen auch wir für diesen Antrag . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Deshalb fordern auch wir, direkt über den Antrag der Grünen abzustimmen . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ich bin ganz erstaunt, wie sich die Kolleginnen und Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen jetzt Kollegen, auch die von der SPD, hier echauffieren. Ich zur Abstimmung . Nach ständiger Übung stimmen wir zu- bin schon fast 20 Jahre im Bundestag und muss Ihnen erst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . sagen: Auch als Sie in der Opposition waren, haben Sie Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Anträge dreimal gestellt . Damals haben sich die anderen Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/10976 zur aufgeregt . federführenden Beratung an den Ausschuss für Ernäh- (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rung und Landwirtschaft NEN]: Nein, ist ja unglaublich! Habt ihr das (Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vergessen?) NEN]: Und morgen wird in Brüssel abge- Mich wundert das schon ein bisschen . stimmt!) Natürlich sagen Sie: Wir können dem nicht zustim- – die Präsidentin hat das Wort – und zur Beratung an men, weil wir im Koalitionsvertrag Verpflichtungen ein- den Ausschuss für Gesundheit, an den Ausschuss für gegangen sind usw . Aber fragen Sie doch die Menschen Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, an 21560 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn (A) den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- bankgewinn von 2,5 Milliarden Euro hinausgehende Vo- (C) genabschätzung sowie an den Ausschuss für die Ange- lumen zur Schuldentilgung verwenden . legenheiten der Europäischen Union . Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte ist auch enthält sich? – Damit ist dieser Antrag angenommen und deswegen eine Luxusdebatte, weil wir in diesem Jahr- die Überweisung beschlossen mit den Stimmen der Koa- zehnt bewiesen haben, dass in Deutschland trotz einer litionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition . Es soliden Haushaltspolitik und der mit 52 Prozent höchsten gab keine Enthaltungen . Damit, liebe Kolleginnen und Sozialquote in der deutschen Geschichte die Investitio- Kollegen, stimmen wir heute über den Antrag auf Druck- nen hochgefahren werden können . Das ist eine Erfolgs- sache 18/10976 in der Sache nicht ab . geschichte seit 2010 . Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf: Wenn man sich die Zahlen ansieht und fragt, wie sich die Steuern verteilen, dann stellt man fest, dass die Steu- Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- erzuwächse in den letzten sieben Jahren beim Bund am regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes geringsten sind; sie betragen nämlich nur 35 Prozent, über die Feststellung eines Nachtrags zum Bun­ 37 Prozent sind es bei den Ländern und 44 Prozent bei deshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2016 den Gemeinden . Insbesondere dadurch, dass der Bund (Nachtragshaushaltsgesetz 2016) in den letzten Jahren massiv Umsatzsteuerpunkte an die Länder und Kommunen abgegeben hat, ist diese Ent- Drucksachen 18/10500, 18/10807, 18/10924 wicklung zustande gekommen . Nr. 1.16 Sigmar Gabriel hat heute Morgen gesagt, wir hätten Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion die Länder und Kommunen in dieser Legislaturperiode Bündnis 90/Die Grünen vor . um 80 Milliarden Euro entlastet . Nach unserer Rechnung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für sind es sogar 95 Milliarden Euro . die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu Ich widerspreche ihm aber an einer ganz entscheiden- keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . den Stelle . Es gibt ein altes Sprichwort: Sorge in guten Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen Zeiten, dann hast du in der Not .– Und wir haben gute Rehberg von der CDU/CSU-Fraktion als erstem Redner Zeiten . Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu sagen, dass das Wort . die Tilgung von Schulden bei niedrigen Zinsen ökono- misch nicht sinnvoll ist, dem widerspreche ich ganz ent- (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . schieden . Was will man denn machen, wenn die Zinsen (B) Thomas Jurk [SPD]) viel höher sind? Das ist doch die Frage . (D) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann kann Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): man kein Geld zurückgeben!) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Welch ein Luxus! Welch ein Luxus, eine Debatte zu Lieber Kollege Gabriel, der Bundesrechnungshof, der führen, in der es, weil wir Zinsminderausgaben haben, Sachverständigenrat, beide sagen klipp und klar: Jetzt ist darum geht, nach einer Grundgesetzänderung und der die Zeit zum Tilgen von Schulden . Verabschiedung der entsprechenden Begleitgesetze ein (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Zum Inves- Kommunalinvestitionsprogramm in Höhe von 3,5 Mil- tieren!) liarden Euro auflegen zu können. Normalerweise hät- ten wir diesen Punkt im Rahmen des großen Pakets der Übrigens gibt es genug Vorbilder: Nordrhein-Westfalen Bund-Länder-Finanzen behandelt . Allerdings gibt es tilgt Schulden . Rheinland-Pfalz tilgt Schulden . Schles- § 95 unserer Geschäftsordnung, in dem es sinngemäß wig-Holstein tilgt Schulden . Im Koalitionsvertrag mei- heißt: Wenn der Bundesrat Stellung zum Nachtrags- nes Heimatlandes steht: Bei Haushaltsüberschüssen sol- haushalt genommen hat – er hat im Dezember Stellung len drei Viertel davon für die Schuldentilgung eingesetzt genommen –, müssen sich der Haushaltsausschuss und werden und ein Viertel davon investiert werden . dann der Deutsche Bundestag damit befassen . – Diese Debatte ist auch deswegen eine Luxusdebatte, weil in Ich sage noch einmal: Es ist eine Luxusdebatte, die der Zwischenzeit der Überschuss des Jahres 2016 publik wir hier miteinander führen . Es gibt da unterschiedliche wurde: 6,2 Milliarden Euro . Standpunkte in der Koalition . Das ist auch ganz legitim; denn bei der ersten Lesung dieses Nachtragshaushaltes Liebe Kolleginnen und Kollegen, als ich im Jahr 2009 war ein Überschuss in dieser Höhe nicht abzusehen . Mitglied des Haushaltsausschusses wurde, war die Sach- lage folgende: 300 Milliarden Euro Haushaltsvolumen, Ich will noch einen Hinweis geben, liebe Kolleginnen 86 Milliarden Euro Neuverschuldung im Soll . Wir sind und Kollegen . Wir tragen auch Dinge im Umfang eines im Jahr 2010 mit 44 Milliarden Euro ausgekommen . Der zweistelligen Milliardenbetrags vor uns her, die in den Haushalt des Jahres 2014 war der erste Haushalt, bei dem nächsten Jahren ausfinanziert werden müssen: Kommu- wir keine neuen Schulden mehr gemacht und – ohne De- nalinvestitionsprogramm 3,5 Milliarden Euro, 164 Mil- batte – 2,5 Milliarden Euro getilgt haben . Die Koalition lionen Euro abgeflossen; einen Milliardenbetrag im hat im Rahmen der Änderung des Haushaltsgesetzes zum Verkehrsbereich, weil wir die Dinge nicht schnell genug Beispiel beschlossen, dass wir das über einen Bundes- umsetzen können; Kitaprogramme . Ich könnte das weiter Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21561

Eckhardt Rehberg (A) fortführen . Das muss in den nächsten Jahren aus dem Ge- sagen wir ganz eindeutig Ja und werden diesem Teil des (C) samtetat finanziert werden Gesetzes auch zustimmen . (Zurufe des Abg . Sven-Christian Kindler (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) neten der SPD – Bartholomäus Kalb [CDU/ und nicht nur der Haushaltsausgleich im Jahr 2018 im CSU]: Immerhin etwas!) Umfang von rund 10 Milliarden Euro . Deswegen ist es Für meinen Landkreis in der Saale-Unstrut-Region gut und richtig, sich an dieser Stelle noch ein bisschen sind das exakt 10 Millionen Euro . Es ist eine echte Hilfe, Zeit zu nehmen . Deswegen haben die Koalitionsfrakti- die wir dort erwarten . Wir müssen aufpassen, dass die onen gemeinsam beantragt, diesen Gesetzentwurf wie- Länder nicht tricksen, aber das gehört ja auch zu unserem der in den Haushaltsausschuss zurückzuüberweisen . Wir Job . Deshalb – ich sage es nochmals – haben Sie hierzu werden das dann dementsprechend behandeln . unsere Zustimmung . Ich will noch eines klar sagen, damit es keine Legen- denbildung gibt . Die 3,5 Milliarden Euro können erst Wir könnten es hier heute auch abschließend mitei- dann fließen, wenn die Grundgesetzänderung vollzogen nander festhalten . worden ist, die Begleitgesetze dazu erlassen worden sind (Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE und die Bund-Länder-Verwaltungsvereinbarung getrof- LINKE] und Sven-Christian Kindler [BÜND- fen worden ist . Ich bitte, nicht eine Debatte darüber auf- NIS 90/DIE GRÜNEN]) kommen zu lassen, dass es bei den 3,5 Milliarden Euro deswegen, weil sie noch nicht abschließend beschlossen Das wäre ein Signal an finanzschwache Kommunen: Der worden sind, eine Verzögerung gibt . Dieses ist mitnich- Bund hilft bei Investitionen . ten so . (Ulrike Gottschalck [SPD]: Der hilft ständig!) Herzlichen Dank . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Man könnte sich auf die Dimension der Mittel einstellen, ordneten der SPD) die da bald kommen . Das zu beschließen, wäre heute un- sere Aufgabe gewesen . Wir haben schon im Ausschuss gesagt: Dieses Verhalten der Großen Koalition grenzt an Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Arbeitsverweigerung . Roland Claus spricht als Redner für die Linke . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall bei der LINKEN) (B) neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (D)

Roland Claus (DIE LINKE): Nun ist nochmals das Argument vorgetragen worden, dass die Investitionen ohnehin erst nach einer Grundge- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollege setzänderung fließen können, und wegen des unsäglichen Rehberg hatte gerade mit der Peinlichkeit zu tun, dass die Kooperationsverbotes von Bund und Ländern in der Bil- Koalition ihre Hausaufgaben nicht erledigt hat und hat dungspolitik ist das ja auch noch zutreffend und kann sich deshalb weg vom Thema „Nachtragshaushalt 2016“ nicht geleugnet werden . Aber, liebe Kolleginnen und auf die historische Bestimmung der Leistungen der CDU/ Kollegen, auch große politische Fehler sind heilbar – ge- CSU von 2009 bis 2017 geflüchtet. Das können wir ihm nau an dieser Stätte, nämlich hier im Deutschen Bundes- nicht durchgehen lassen . tag, sind sie heilbar . (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN) Die vorliegende Tagesordnung hat uns ja eine konkrete Nun sind hier nicht näher benannte, aber uns ja nicht Aufgabe zugewiesen . verborgen gebliebene Differenzen zwischen CDU/CSU und SPD hinsichtlich der Verwendung der Überschüsse Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang . Der Bundeshaus- des Jahres 2016 aufgetreten . Die Große Koalition braucht halt 2016 ist beendet. Das Bundesfinanzministerium Bedenkzeit . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von berechnet gerade, wie die Abflüsse waren. Es wird uns der Großen Koalition, es gibt im Parlament auch so etwas wieder etwas Fantastisches präsentiert werden . Und wir wie eine Bedenkenträgerhaftung . reden hier über einen Nachtragshaushalt, eine Verände- rung eines Haushaltsjahres, das quasi schon abgeschlos- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) sen ist . Das kann doch nur deshalb sein, weil uns unge- wöhnliche Umstände dazu zwingen . Der erste ist: Der Insofern sagen wir: Wenn Sie vorhaben, den Nachtrags- Bundesfinanzminister sitzt auf zu viel Geld. Der zweite haushalt jetzt erneut in den Ausschuss zurückzuüberwei- ist: 16 Länderregierungschefs haben mit der Kanzlerin sen, dann müssen Sie das mit Ihren Mehrheiten machen; am 14 .Oktober einen sogenannten Beschluss zur Neu- die Opposition wird nicht dafür stimmen . Und nicht ver- ordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen gefasst . gessen: Ihr seid in einer Bedenkenträgerhaftung . Um es ganz klar zu sagen: Den Kern dieses Nach- (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . tragshaushaltes machen Schulsanierungen in finanz- Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE schwachen Kommunen aus . Zu diesen Schulsanierungen GRÜNEN]) 21562 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: auch dankbar . Wir alle wissen, dass in den letzten Jahren (C) Als nächster Redner spricht Johannes Kahrs für die nicht nur Mehrausgaben in Höhe von 23 Milliarden Euro SPD-Fraktion . beschlossen worden sind, wie wir es einmal im Koali- tionsvertrag festgelegt hatten, sondern dass die Bereit- (Beifall bei der SPD) stellung von deutlich mehr Geld beschlossen wurde – für den sozialen Wohnungsbau und für viele andere Dinge . Johannes Kahrs (SPD): Ich glaube, das kann sich sehen lassen . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wenn der Opposition als einziger Kritikpunkt ein- Kollegen! Lieber Roland, fällt, dass wir nicht hier und heute die Bereitstellung von (Roland Claus [DIE LINKE]: Nicht noch 3,5 Milliarden Euro beschließen, was gar nicht geht, weil mal!) wir sie erst nach den Grundgesetzänderungen im Paket beschließen können, dann ist es nicht besonders viel, was wir haben es dir ja schon im Haushaltsausschuss erklärt . kritisiert wird . Dann müssen wir sehr gut gearbeitet ha- Deswegen hat mich gewundert, dass du die Frage noch ben, dann muss diese Große Koalition Großes vollbracht mal aufgeworfen hast . Ich bin aber gerne bereit, es noch haben – das haben wir in den letzten vier Jahren . Insofern mal zu erklären, insbesondere, weil das, was der Kollege fällt uns diese Debatte relativ leicht . Rehberg, den ich ja eigentlich sehr schätze, dazu gesagt hat, nicht angekommen zu sein scheint . So, nun haben wir uns heute versammelt, weil es – der Kollege Claus hat es angesprochen – Differenzen in die- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Was heißt ser Koalition gibt . Lieber Roland, dort SPD, dort CDU hier „eigentlich“?) und CSU, alles eigenständige Parteien . Eckhardt, vielleicht musst du da intensiver pädagogisch (Roland Claus [DIE LINKE]: Danke!) tätig werden . Es sieht ganz so aus, als bliebe mir nichts anderes übrig, als es auch noch mal zu erklären . CDU und CSU machen nicht alles, was wir wollen, weil sie eigenständige Parteien sind . Deswegen gibt es Dif- Die 3,5 Milliarden Euro für Bildungsinvestitionen ferenzen . Das ist gut so . Ich bin Mitglied der deutschen werden kommen . Sozialdemokratie, ich bin nicht Mitglied der CDU oder (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des CSU, Abg . Helmut Heiderich [CDU/CSU]) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Dafür stehen SPD und CDU/CSU . Das ist wichtig, das GRÜNEN]: Ach, das merkt man nicht immer!) haben wir versprochen, das wollen wir, das wird so sein . und ich bin auch nicht Mitglied einer Partei, die sich Gro- (B) Das haben wir im Haushaltsausschuss erklärt, der Kolle- ße Koalition nennt . Ich schätze den Kollegen Rehberg (D) ge Rehberg hat es erklärt . Herr Kollege Claus hat gesagt, sehr, bin aber froh, dass er in der CDU ist; er hat es nicht verstanden . Ich habe es jetzt noch mal er- klärt . (Max Straubinger [CDU/CSU]: Darüber sind wir auch froh!) Wir wissen also, dass das Geld kommen wird . Es wird auch keine Sekunde Verzögerung geben; denn das Geld denn in der SPD würde er nicht glücklich werden . Des- kann sowieso erst dann fließen, wenn das Paket zur Neu- wegen, finde ich, ist er dort bei der CDU gut aufgehoben. regelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen beraten Dass wir Differenzen haben, ist nicht nur logisch und und beschlossen ist, die Grundgesetzänderung inklusive . folgerichtig, man kann das sogar wählen . Das haben Und wir alle wissen, dass das noch ein bisschen dauern auch viele Menschen in unserem Land getan . Dass wir wird . Ob der Bundesrat uns mit dem, was wir hier be- uns einigen müssen, ist genauso logisch . Das nennt sich schließen, durchkommen lässt, weiß auch noch keiner . Demokratie . Gelebte Demokratie besteht darin, dass man Wenn wir dann noch mal eine Runde drehen müssen, sich einigt . dann ist das so – aber das Geld wird kommen . Deswegen kann man da ganz entspannt sein . Durch die Debatte hier (Dr .T obias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE und heute verzögert sich gar nichts . Man kann als Op- GRÜNEN]: Dann macht das doch!) position versuchen, es anders darzustellen . Wir haben es Jetzt haben wir hier ein echtes Luxusproblem . Das Lu- jetzt einfach noch mal erklärt, damit es allen Beteiligten xusproblem besteht darin, dass wir am Ende aller Tage klar ist . 12,3 Milliarden Euro übrig haben, und man kann sich SPD und CDU/CSU haben 3,5 Milliarden Euro zu- jetzt überlegen, was man mit diesen 12,3 Milliarden Euro sätzlich für die Bildungsinfrastruktur finanzschwacher macht . Und dass man sich darüber unterhält, halte ich für Kommunen beschlossen . So etwas tun wir nicht zum vollkommen in Ordnung . ersten Mal; Die 12,3 Milliarden Euro kann man auf der einen Seite nutzen – so will es die CDU/CSU; zumindest zu einem (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten großen Teil –, um Schulden zurückzuzahlen . Wir Haus- der CDU/CSU) hälter finden Schulden zurückzahlen eigentlich ganz sym- wir haben schon häufig etwas für Kommunen und für pathisch . Auf der anderen Seite kann man aber auch Geld Länder beschlossen . Der Kollege Rehberg lässt keine investieren . Die CDU/CSU erklärt uns immer wieder, wir Gelegenheit aus, um das zu bejubeln, zu erklären und zu müssen die Investitionsquote in unserem Land steigern, verdeutlichen . Dafür sind ihm Länder und Kommunen wenn ich mich recht erinnere; ich kann aus der einen oder Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21563

Johannes Kahrs (A) anderen Rede zitieren . Die CDU/CSU sagt immer, wir bei uns Sozialdemokraten kommen, es kann aber auch zu (C) müssen mehr in die Verkehrsinfrastruktur investieren . einem Erkenntnisgewinn bei CDU/CSU kommen . Ich könnte jetzt aus den Reden vieler Ministerinnen und (Dr .T obias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE Minister von unionsgeführten Ministerien zitieren, in de- GRÜNEN]: Es muss aber nicht! Es kann nur nen sie geäußert haben, wo sie Geld investieren würden . sein!) Dass der Kollege Spahn so übellaunig dreinschaut, liegt daran, dass er als Staatssekretär im Bundesfinanzministe- Zeit verlieren wir auch nicht, weil wir erst einmal Grund- rium das Geld ohnehin ungerne ausgibt . gesetzänderungen beschließen müssen . Und deswegen ist es gut, dass wir hier streiten . (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Aber er hat nun einmal ein paar andere Kolleginnen und GRÜNEN]: Ich habe da wenig Vertrauen!) Kollegen da vorne sitzen, insbesondere die von der Uni- on, die das Geld gerne ausgeben würden . In einer Demokratie gehört das zum Wesenskern . Ich per- sönlich glaube: Universitäten, Schulen und Kindergärten Wir als SPD haben gesagt: Wir machen in dieser Le- sind der Aufregung – auch bei der Opposition – und aller gislaturperiode keine neuen Schulden . Das hat auch ge- Mühen wert . klappt . Das liegt daran, dass wir Sozialdemokraten mit der CDU/CSU regieren . Vielen Dank . (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Oh!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr .T obias Lindner [BÜND- Als Sie mit der FDP regiert haben, haben Sie dreistelli- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gerade ge Milliardensummen an Schulden gemacht . Also man „Nachtgeschichten mit Johannes Kahrs“!) merkt: Geht es um Geld, fragt man die SPD .

(Beifall bei der SPD – Dr .T obias Lindner Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchen- Sven-Christian Kindler hat für die Fraktion Bünd- stunde im Parlament!) nis 90/Die Grünen jetzt das Wort . In diesem Fall ist es so: Wir Sozialdemokraten haben die Schuldenbremse mit der CDU/CSU in der letzten Großen Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Koalition durchgesetzt, dann hat die Union vier Jahre ge- NEN): schwächelt, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kollegen! Kollege Rehberg und Kollege Kahrs haben (B) haarscharf am Thema vorbeigeredet . (D) aber dann kamen wieder wir . (Johannes Kahrs [SPD]: Hallo?) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Johannes!) Man muss sich noch einmal in Erinnerung rufen, um Seitdem wurden keine neuen Schulden gemacht . Dafür was es eigentlich geht . Die Große Koalition berät in zwei- ist uns die Union dankbar, jedenfalls die Haushälter der ter Lesung einen Nachtragshaushalt . Die Debatte wird Union; denn diese Unterstützung hatten sie bei der FDP nicht abschließend sein und der Nachtragshaushalt wird nicht . an den Ausschuss zurücküberwiesen . Die Große Koali- Jetzt ist es so, dass wir uns vorstellen können, dass ein tion kann sich über einen zentralen haushaltspolitischen großer Teil dieser 12,3 Milliarden Euro für Investitionen Aspekt – es geht darum, zu klären, wie man einen Über- ausgegeben wird . Ich glaube, das ist eine gute Sache . Wir schuss verwendet – nicht einigen . Man hat sich wochen- glauben, dass man gemeinsam mit den Kommunen und lang gestritten und ist noch immer zu keinem Ergebnis den Ländern dafür sorgen sollte, dass die Schulen vor gekommen. Ich finde, man muss sich die ganze Tragwei- Ort saniert werden . Wir sollten uns um Universitäten, um te dieses Vorgangs einmal vorstellen . In dieser zentralen Turnhallen und um Internetanschlüsse kümmern . haushaltspolitischen Frage ist die Koalition nicht mehr handlungsfähig . Ich nenne das Arbeitsverweigerung und (Beifall bei der SPD) peinlich, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich glaube, dass unser Land wirtschaftlich erfolgrei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN cher ist, dass die Menschen in unserem Land glücklicher und bei der LINKEN – Widerspruch bei der sind, dass es sozial gerechter wäre, wenn CDU/CSU) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wenn Schul- Man muss sich auch noch einmal klarmachen: Es ist ja den gemacht werden, Herr Kahrs!) eine sehr erfreuliche Situation, dass es einen Überschuss gibt . Aber was macht diese Große Koalition eigentlich wir uns um die Infrastruktur in unserem Land kümmern . in den nächsten Wochen und Monaten? Gewählt wird Ich kann nicht glauben, dass die CDU/CSU das anders erst im September . Bis dahin ist diese Bundesregierung sieht, dass sie weniger Geld für Investitionen in das im Amt . Was macht die Regierung eigentlich, wenn es Handwerk, in Schulen und Universitäten ausgeben will . schwierige Zeiten gibt? Gerade in diesen unsicheren, Dass wir uns in dieser Großen Koalition die Freiheit schwierigen Zeiten muss man doch Handlungsfähigkeit nehmen, über dieses Thema zu diskutieren, halte ich nicht zeigen, muss man zeigen, dass man regieren will, dass für falsch, sondern es kann zu einem Erkenntnisgewinn man irgendwie zu Entscheidungen kommt . Das macht 21564 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Sven-Christian Kindler (A) die Große Koalition nicht . Ich sage Ihnen: Das ist Ar- vestitionsplan vom Bund für die sozialökologische Mo- (C) beitsverweigerung, und das muss aufhören, liebe Kolle- dernisierung Deutschlands wollen . ginnen und Kollegen . Wir haben zwei Vorschläge unterbreitet . Der eine ist: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir müssen dafür sorgen, dass unser öffentliches Vermö- und bei der LINKEN) gen nicht weiter schmilzt . Das wollen wir dadurch errei- chen, dass im Haushalt endlich ehrlich bilanziert wird, Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages was an Vermögen da ist . Und wir wollen, dass Vermö- enthält eine klare Regelung dazu . § 95 der Geschäftsord- gensverlust verhindert wird, indem die Abschreibungen nung regelt, dass die Beratung eines Nachtragshaushalts durch Neuinvestitionen ausgeglichen werden . Dafür set- aufgesetzt wird . Nachtragshaushalte dürfen eben nicht zen wir uns ein . wochenlang verzögert, sondern müssen zügig beraten werden . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Und es ist richtig: Das Geld für die Schulsanierung Zweitens sagen wir: Uns ist es auch sympathisch, wird nicht sofort abfließen, weil davon andere Regelun- Schulden abzubauen . Aber in einer Situation, wo wir ein gen abhängig sind . so großes Investitionsdefizit und einen Vermögensverlust haben, wollen wir auch versteckte Schulden abbauen . (Petra Rode-Bosse [SPD]: Eben!) Wir wollen in die Zukunft investieren . Deswegen sagen Aber die Frage ist doch: Welches Signal senden wir jetzt, wir: Wir wollen einen Zukunftsfonds, der den Über- sendet der Deutsche Bundestag, sendet die Große Koali- schuss langfristig sichert, um in die Zukunft zu inves- tion, senden CDU/CSU und SPD an die Kommunen, an tieren: in Klimaschutz, in gute Bildung, in bezahlbare die Städte in diesem Land aus? Es gibt viele Probleme Wohnungen . Das muss jetzt genutzt werden, liebe Kol- vor Ort . Die Kommunen und Städte leben nicht im Lu- leginnen und Kollegen, und dafür müssen wir heute den xus . Da fällt den Schulen der Putz von der Decke, da wird Nachtragshaushalt abschließen und endlich Planbarkeit, zu wenig Geld für schnelles Internet im ländlichen Raum Verlässlichkeit für die Kommunen und Städte in diesem ausgegeben . Wir haben viel zu wenig Geld vom Bund für Land schaffen . die Energiewende, für den Klimaschutz . All diese Pro- Vielen Dank . bleme gibt es in den Kommunen ebenso wie zu wenige bezahlbare Wohnungen . Die Kommunen brauchen Ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lässlichkeit, brauchen Planbarkeit, brauchen das klare Si- gnal vom Bund, dass man jetzt in ihre Zukunft investiert, Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dass man Investitionen und den Nachtragshaushalt nicht (B) Als letzter Redner in dieser Debatte hat Alois Rainer (D) noch weiter verzögert . das Wort . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU) sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Johannes Kahrs [SPD]: Hier verzögert nie- mand etwas!) Alois Rainer (CDU/CSU): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Es ist auch richtig: Wir haben Abflussprobleme, weil Kollegen! Wer hätte zu Beginn dieser Legislaturperiode wir zu wenig Planungskapazitäten beim Bund, in den gedacht, dass wir jetzt – fast an ihrem Ende – dastehen Ländern und Kommunen haben . Wir haben zu wenig und über einen Nachtragshaushalt sprechen, einen Nach- Planerinnen und Planer, wir haben zu wenig Bauinge- tragshaushalt im positiven Sinne . Ich kenne das Problem nieurinnen und Bauingenieure . Aber woran liegt das? nur zu gut, dass man aus Nachtragshaushalten hätte in- Das liegt eben daran, dass diese Bundesregierung keine vestieren müssen, aber das Geld nicht zur Verfügung langfristige Investitionsstrategie hat, dass sie immer eine stand . Zickzackinvestitionspolitik – nach Kassenlage – macht . Wenn in den vergangenen Jahren mehr Geld da war, wur- (Petra Rode-Bosse [SPD]: Ja!) den neue Investitionsprogramme aufgelegt, aber insge- Wir sind in der glücklichen Lage, in der luxuriösen Lage, samt wurde das Investitionsniveau nicht wesentlich er- darüber sprechen zu können, wie wir das Geld verwen- höht . Im Gegenteil: Im Finanzplan bis 2020 fällt es auf den, das im letzten Jahr erwirtschaftet worden ist . 9 Prozent ab . In Anbetracht dieser Lage haben Länder und Kommunen keine Verlässlichkeit und stellen keine neuen Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich zu Mitarbeiter ein, weil sie nicht wissen, ob vom Bund auch Beginn Folgendes sagen: Auch wenn man nicht will, dass dauerhaft Geld kommt . Genau dieses Signal der Verzö- zu viel Zeit ins Land geht, sondern schnell vorankom- gerung setzen Sie mit dem Nachtragshaushalt wieder . Sie men möchte, muss es erlaubt sein, über die Verteilung lassen Kommunen und Städte bei den Investitionen im von 6,2 Milliarden Euro eine Woche, zwei Wochen oder Regen stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen . auch drei Wochen länger zu diskutieren . Es geht nämlich um richtig viel Geld . (Petra Rode-Bosse [SPD]: Ja, natürlich!) (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) Wir haben vorgeschlagen, wie man das ändern kann . Man muss den Kommunen und Ländern für die nächs- Wir stecken jetzt 3,5 Milliarden Euro zusätzlich in te Legislaturperiode und für die Zeit bis 2025 deutlich den Kommunalinvestitionsförderungsfonds . Wir hatten machen, dass wir einen dauerhaften und langfristigen In- ja bereits 3,5 Milliarden Euro in diesen Fonds gesteckt, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21565

Alois Rainer (A) und jetzt kommen 3,5 Milliarden Euro hinzu, was sinn- Somit hat sich die von der Fraktion Die Linke bean- (C) voll ist; das ist unstrittig und heute schon gesagt worden . tragte Teilung der Frage erledigt . Auch über den Ent- Man muss aber auch ganz klar sagen: Zuständig für eine schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angemessene Finanzausstattung der Kommunen sind die stimmen wir heute nicht ab . Länder . Wir nehmen diese zusätzliche Aufgabe an und Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf: investieren nicht nur 3,5 Milliarden Euro, sondern ins- gesamt 7 Milliarden Euro . Ich freue mich darüber und Beratung der Antwort der Bundesregierung auf hoffe, dass viele Kommunen dieses Angebot annehmen die Große Anfrage der Abgeordneten Inge Höger, und die zweiten 3,5 Milliarden Euro schneller abgerufen Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Ab- werden als die ersten 3,5 Milliarden Euro; denn der Mit- geordneter und der Fraktion DIE LINKE telabfluss verläuft ja stockend. Erfahrungen aus 14 Jahren „Krieg gegen den Wenn man über Investitionen in den Straßenver- Terror“ –Eine Bilanz in Irak, Afghanistan, Pa­ kehr oder andere Bereiche spricht, sollte man auch da- kistan ran denken, dass wir in manchen Bereichen momentan zu viel Geld zur Verfügung stellen, so viel, dass es gar Drucksachen 18/7991, 18/10364 nicht abfließen kann. Deshalb ist es meines Erachtens Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion richtig, notwendig und generationengerecht, zumindest Die Linke vor . einen großen Teil des Geldes, das in der Rücklage steckt, für die Tilgung zu verwenden oder als zweckgebunde- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für ne Rücklage zu deklarieren, um zu einem späteren Zeit- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu punkt – es läuft ja nicht immer so gut wie jetzt – daraus Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so Geld entnehmen zu können . beschlossen . Mein Favorit ist aber ganz klar – das sage ich ehrlich – Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin in die- die Schuldentilgung; ser Aussprache hat Inge Höger für die Fraktion Die Linke das Wort . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN) denn wir werden nicht in jedem Jahr in einer so guten Si- tuation sein wie in diesem Jahr . Darüber lässt sich tunlich Inge Höger (DIE LINKE): und trefflich streiten. Es ist ja auch okay, in einer Großen Koalition, generell in einer Koalition unterschiedlicher Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der von Ihnen als „Krieg gegen den Terror“ bezeichnete Krieg ist (B) Meinung zu sein . Liebe Kolleginnen und Kollegen von (D) der Opposition, es ist auch okay, wenn auch Sie eine an- gescheitert . Er hat viele Menschen das Leben gekostet dere Meinung haben . und den Terror nicht besiegt, sondern nach Europa ge- holt . (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Seltsame Schlussfolgerung!) Das ist gelebter Parlamentarismus . Am letzten Sonntag starben in Mosul im Irak 14 Men- In diesem Sinne freue ich mich auf die Diskussionen, schen, darunter sieben Kinder und vier Frauen . Verant- auf diese Luxusdiskussionen, die wir im Ausschuss füh- wortlich für den Tod dieser Zivilistinnen und Zivilisten ren werden, und wünsche Ihnen noch einen angenehmen sind die Bomben der Anti-IS-Koalition . Die Toten stehen Abend . beispielhaft für die unzähligen und ungezählten Toten, die den Kriegen der USA und der NATO zum Opfer fie- Danke schön . len und fallen . Bomben bringen keinen Frieden . (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- (Beifall bei der LINKEN) ordneten der SPD) Seit 2001 ist die Bundeswehr an dem sogenannten Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Krieg gegen den Terror in Afghanistan beteiligt . Auch nach 15 Jahren ist kein Ende dieses Krieges in Sicht . Damit schließe ich die Aussprache . Der Krieg gegen den Terror wurde ständig ausgeweitet: Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben auf den Irak, Mali und Syrien . Alle diese Kriege haben beantragt, den Gesetzentwurf der Bundesregierung viel Zerstörung, Leid, Verzweiflung und Wut verursacht. über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaus- Da fällt es ideologischen Brandstifterinnen und Brand- haltsplan für das Haushaltsjahr 2016 auf den Drucksa- stiftern nicht schwer, Unterstützer zu rekrutieren . Die chen 18/10500 und 18/10807 zur weiteren Beratung USA waren 2003 in den Irak einmarschiert, um Saddam an den Haushaltsausschuss zurückzuüberweisen . Wer Hussein zu stürzen . Das Entstehen des IS ist eine direkte stimmt für den Antrag auf Rücküberweisung? – Wer Folge des Irakkrieges . Beenden Sie alle Auslandseinsätze stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der Bundeswehr! der Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die (Beifall bei der LINKEN) Stimmen der Opposition angenommen worden . Damit wird der Gesetzentwurf an den Haushaltsausschuss zu- Wir haben die Bundesregierung nach den Ergebnissen rücküberwiesen . von 15 Jahren Krieg gegen den Terror gefragt . Wir woll- 21566 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Inge Höger (A) ten wissen, was sie über die zivilen Opfer der brutalen schließen Sie Ramstein, holen Sie die Bundeswehr aus (C) westlichen Interventionen in Afghanistan, im Irak und Afghanistan, dem Irak, der Türkei und Mali zurück! in Pakistan weiß . Die Antwort zeigt ein erschreckendes (Beifall bei der LINKEN) Maß an Unkenntnis über die Folgen ihrer Auslandsein- sätze . In den Antworten gibt es keinen Angriffskrieg und keinen Regime Change im Irak . Es gibt keine Bombar- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: dements in Afghanistan und keinen Drohnenkrieg in Pa- Roderich Kiesewetter hat als nächster Redner für die kistan . Über die wahren geostrategischen Ziele der Krie- CDU/CSU-Fraktion das Wort . ge, den Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten, wird (Beifall bei der CDU/CSU) sowieso nichts gesagt . Die Bundesregierung weiß nichts über indirekte Kriegsfolgen, nichts über zerstörte zivile Infrastruktur und wenig über zivile Opfer . Wer so wenig Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): weiß, der will nichts wissen . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren und interessierte (Beifall bei der LINKEN) Zuschauer! Zunächst möchte ich ein Riesenkompliment Die kritische Ärzteorganisation IPPNW hat sich der angesichts dieser Aktuellen Stunde aussprechen – ich Aufgabe angenommen, vor der die Regierung sich ge- merke, auf der linken Seite wird es ganz still –: drückt hat . IPPNW hat in einer Studie systematisch und (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Es ist wissenschaftlich fundiert untersucht, wie viele Menschen keine Aktuelle Stunde!) direkt und indirekt an den Folgen des Krieges gegen den Terror gestorben sind . Vertreter der IPPNW sitzen oben natürlich nicht der Linkspartei, sondern der Bundesre- auf der Zuschauertribüne und verfolgen unsere Debatte . gierung . Ich habe selten eine Große Anfrage erlebt, die mit einer solchen Akribie – es sind auf über 260 Seiten (Beifall bei der LINKEN) Antworten auf über 100 Fragen – äußerst sorgfältig bear- Sie kamen für die ersten zehn Jahre in vorsichtigen Ab- beitet wurde . Dafür ein Riesenkompliment! schätzungen auf eine Größenordnung von insgesamt (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD) etwa 1,3 Millionen Todesopfern . Ich will das auch ausführen . Das kann niemand mehr rückgängig machen; aber die Verantwortung gegenüber den Überlebenden kann Was uns heute hier präsentiert wurde, liebe Kolle- Deutschland übernehmen . Dazu gehört ein sofortiger gin Höger, war ein verzerrender Ausschnitt aus diesen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan und in den 260 Seiten, und das Bedauerliche ist, dass Sie den Ein- (B) Irak . druck vermitteln, dass wir hier – wie soll ich sagen? – (D) (Beifall bei der LINKEN) Kriege unterstützen . Dabei geht es um etwas völlig an- deres . Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland . Das Aus- wärtige Amt warnt dringend vor Reisen nach Afghanis- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: tan . Im November hat ein Anschlag auf das deutsche Ge- Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? neralkonsulat in Masar-i-Scharif stattgefunden . Anfang Januar kamen erneut 50 Menschen bei Anschlägen in Kabul ums Leben . Bei Spiegel Online kann man schnell Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): eine Liste der Anschläge und Opferzahlen des letzten Seit wann werden denn bei Aktuellen Stunden Zwi- Jahres finden. Derweil kostet der Kampf um Mosul viele schenfragen zugelassen? Todesopfer, und niemand schaut hin oder berichtet da- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist rüber . gar keine Aktuelle Stunde!) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Man muss – Dann, Frau Höger, können Sie Ihre Frage stellen . Viel- den IS gewähren lassen!) leicht ist es auch für Sie interessant, was ich gleich sage . Im Zusammenhang mit Mosul wird nur über den Fort- schritt der Eroberung berichtet, nicht über das Schicksal Inge Höger (DIE LINKE): der Menschen . Auch wenn weit über 100 000 Menschen Vielen Dank, Herr Kiesewetter . – Sie haben gesagt, die flüchteten, sind immer noch bis zu 1,5 Millionen in der Bundesregierung hätte akribisch die Folgen ihrer Kriege Stadt . Die Lage der Eingeschlossenen ist katastrophal, untersucht . Was halten Sie denn von der Antwort auf die und die Zahl der zivilen Opfer durch die Bomben der Frage nach zivilen Opfern, wenn da Folgendes steht? Koalition und die Angriffe der irakischen Bodentruppen ist hoch . Die Bundesregierung führt keine eigenen quantita- tiven Studien und Statistiken zu Opfern in Ländern, Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung eine Bi- in denen die Bundeswehr militärisch beteiligt ist . lanz über die Konsequenzen der deutschen Beteiligung am verfehlten Antiterrorkrieg zieht . Die Bundesregierung hat aber auch nicht versucht, wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag zu geben (Beifall bei der LINKEN) oder dies anderweitig abzufragen . So geht das in der Stu- Richten Sie eine unabhängige Untersuchungskommissi- die immer weiter: zu Irak und Afghanistan – keine eige- on ein, stoppen Sie die Unterstützung des Drohnenkriegs, nen Erkenntnisse zu indirekten Opfern der Kriegsfolgen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21567

Inge Höger (A) Es werden also keine Opfer gezählt, keine zerstörten Erstes Beispiel . Das Minsker Abkommen war eine (C) Häuser gezählt, keine zerstörte Infrastruktur dokumen- europäische Leistung der Bundeskanzlerin und des Au- tiert . Nichts darüber ist in der Antwort zu dieser Großen ßenministers zusammen mit Frankreich, und zwar gegen Anfrage enthalten . den Willen des US-Senats und des US-Kongresses, die eine Bewaffnung der Ukraine wollten . Das wollten wir nicht . Wir haben sehr deutlich gemacht, dass es darum Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): geht, auf keinen Fall mit einer Militarisierung zu antwor- Ich denke, Frau Kollegin Höger, dass Ihr Ansatz irre- ten, sondern mit einer zivilgesellschaftlichen Stärkung führend ist . Es sind nicht die Kriege der Bundesregierung, der Ukraine und mit Verhandlungen, die letztlich zum sondern es sind internationale Einsätze, die die Bundes- Minsker Abkommen geführt haben, liebe Kolleginnen regierung zum Teil nicht zu verantworten hat; wir sind und Kollegen . uns, so glaube ich, alle einig, dass der Krieg im Irak 2003 völkerrechtswidrig war . Es geht jetzt darum, dass die Ein zweites Beispiel . Es war die Bundesrepublik Bundesrepublik Deutschland Verantwortung übernimmt Deutschland mit unserem Außenminister, den wir heu- und sich in dieser Region sehr stark beim Wiederaufbau te verabschiedet haben, die einen großen Beitrag dazu engagiert, aber auch bei der humanitären Hilfe . geleistet hat, dass das Iran-Abkommen rechtzeitig ge- nug abgeschlossen wurde, damit es nicht zu präventiven Ganz intensiv – das hat mich sehr beeindruckt; schau- Maßnahmen von Mächten in der Region kommt . Sie hat en Sie sich die Antworten auf die Fragen im Umfeld dafür gesorgt, dass der Iran eingelenkt und sich zumin- der Frage 40 und der Frage 100 an – kümmert sich die dest für die nächsten zwölf Jahre einem Kontrollregime Bundesregierung um die Unterstützung traumatisierter unterzogen hat . Dass wir es hätten besser machen können Frauen und traumatisierter Kinder, und dies auch in Pa- oder dass es hätte anders kommen können, wissen auch kistan . Allein in Pakistan werden für rund 20 Projekte der wir . Aber wir haben das Bestmögliche daraus gemacht . Bundesregierung 177 Millionen Euro ausgegeben, die wir hier bewilligt haben, um das humanitäre Leid gerade Ein drittes Beispiel für dieses übergreifende Engage- von Frauen und Kindern, den schwächsten Opfern eines ment ist, dass sich die Bundesrepublik Deutschland in Krieges, zu lindern . Zudem sind in Pakistan wahrlich Genf intensiv für Verhandlungen mit Syrien eingesetzt keine deutschen Soldaten im Einsatz . hat . Es ist ein Erfolg der deutschen Außenpolitik, dass Saudi-Arabien und der Iran gemeinsam mit Russland und Gleiches gilt für den übergreifenden humanitären An- vielen anderen an einem Tisch saßen . satz der Bundesregierung in Afghanistan, wo intensiv in Schulen, in Krankenhäuser, in Infrastruktur investiert (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . wird. Ich will Ihnen nicht auflisten, wie es im Jahr 2000 Niels Annen [SPD]) (B) in Afghanistan aussah und was mit viel militärischer Ab- (D) sicherung und noch mehr Unterstützung in der Entwick- Dass das sehr zäh ist und wir uns mehr Verantwortung lungszusammenarbeit dort erreicht wurde . für Europa wünschen, ist doch klar . Aber unser Vorgehen zeigt, dass sich die Bundesrepublik Deutschland nicht Ich will Ihnen aber eines verdeutlichen: Gerade im isolieren und sich – sei es auch nur in Ansätzen – nicht zu Irak hat das Wirken der Bundesregierung dazu beigetra- militärischen Alleingängen oder Sonderwegen verleiten gen, dass die Peschmerga unterstützt werden . Sie haben lässt . Es zeichnet sich auch ab, dass durch die Verant- im Norden des Irak über 1,8 Millionen Flüchtlinge, Män- wortung, die wir in den letzten Jahren erlernen mussten, ner und insbesondere Frauen und Kinder, aufgenommen . drei wichtige Eckpfeiler unserer Außenpolitik im militä- Dieser humanitäre Schutz, der nicht hätte gewährleistet rischen Bereich fest verankert sind: werden können, wenn die Peschmerga dort nicht gehol- fen hätten und wenn sie nicht militärisch unterstützt wor- Erstens . Wir handeln nie alleine . Deutschland unter- den wären, um den IS zu bekämpfen, ist eine wesentliche nimmt keine Alleingänge, es sei denn, es geht um den Leistung, ein Beitrag, den die Bundesrepublik Deutsch- Schutz deutscher Staatsbürger, die wir evakuieren müs- land zusammen mit Partnern übernommen hat . sen . (Beifall bei der CDU/CSU) Zweitens . Wir handeln immer auf rechtlich einwand- freier Grundlage . Darüber können wir debattieren, da- Deswegen führt Ihr Ansatz in die Irre .– Herzlichen rüber tauschen wir uns intensiv aus, und da kann man Dank, Frau Höger, für Ihre Frage . unterschiedlicher Auffassung sein . Aber das Leitziel, Ein weiterer Punkt führt auf die Ebene, wohin wir die möglichst auf Grundlage eines Mandats des VN-Sicher- Diskussion führen sollten . Die 260 Seiten zeigen sehr heitsrates, zumindest aber im Einklang mit Artikel 24 deutlich, wie der übergreifende Ansatz einer neuen Si- Absatz 2 des Grundgesetzes vorzugehen – künftig mög- cherheitspolitik Deutschlands funktioniert . Auch wir licherweise auch im Einklang mit Artikel 87 des Grund- haben ja gelernt . Auch die Bundesrepublik Deutschland gesetzes –, ist für uns bindend . ist nicht mit dem ganzheitlichen Ansatz, den Minister Jung seinerzeit entwickelt hat, auf die Welt gekommen, Drittens – das ist eine Lehre aus unserer Geschichte, sondern die Bundesrepublik Deutschland hat seit dem die uns sehr nachdenklich stimmen sollte –: Wir wollen Jahr 2014 mehr Verantwortung in Partnerschaft in der Militär nur dann einsetzen, wenn es der Gewährleistung Region übernommen . von Sicherheit dient und wenn das militärische Handeln in ein übergreifendes sicherheitspolitisches Konzept ein- Ich will das deutlich machen: gebettet ist . Deswegen haben wir uns nicht unmittelbar 21568 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Roderich Kiesewetter (A) am Libyen-Konflikt und seinerzeit, unter einer anderen Ich bin sehr dankbar, dass wir heute die Möglichkeit (C) Konstellation, auch nicht direkt im Irak beteiligt . haben, über die Bilanz des Krieges gegen den Terror zu sprechen . Weniger dankbar bin ich für den Antrag, den Es muss künftig darauf ankommen, dass die Bun- Sie gestellt haben, verehrte Kolleginnen und Kollegen desrepublik Deutschland in der Europäischen Union der Linken, weil er uns substanziell nicht weiterbringt . Verantwortung in Partnerschaft übernimmt . Wir dürfen nicht isoliert werden und müssen alles tun, damit Europa Es ist richtig, zu benennen, dass es einen verheerenden gegenüber der neuen Trump-Administration in den USA Krieg im Irak gegeben hat, dass es in Afghanistan eine gemeinsam agiert, und zwar deshalb, damit die USA er- falsche Strategie gegeben hat; aber alle Probleme in Pa- kennen: Nur ein gemeinsames transatlantisches Handeln, kistan, im Irak und in Afghanistan auf den Krieg gegen ein Handeln auf einer Wertegrundlage bzw . einer regel- den Terror zu schieben, ist doch, mit Verlaub, ein wenig basierten Grundlage wird den Frieden in der Welt erhal- hanebüchen . ten, nicht aber Deals . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit . und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ordneten der SPD) Wir müssen viel grundsätzlicher ansetzen . Wir müssen hinterfragen, was das Reden vom Krieg, vom dauernden Ausnahmezustand eigentlich bedeutet und was es mit uns

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: macht . Es ist mittlerweile Standardrhetorik in den USA, Ich will klarstellen, dass wir hier keine Aktuelle Stun- in Frankreich, England und leider auch beim Innenmi- de durchführen . nister des Saarlandes, vom „Krieg gegen den Terror“ zu (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU sprechen . und der SPD – Roderich Kiesewetter [CDU/ (Zuruf des Abg . Dr . Franz Josef Jung [CDU/ CSU]: Ich habe versucht, sie von der Frage CSU]) abzuhalten!) Aber wer so denkt, treibt einen Keil in unsere Gesell- Wir debattieren eine Große Anfrage, lieber Kollege schaft, das sieht man an den Trumps, Le Pens und Gau- Kiesewetter . Zudem liegt ein Entschließungsantrag der lands dieser Tage . Fraktion Die Linke zu dieser Großen Anfrage vor . Na- türlich ist es jedem freigestellt, bei einer solchen Debatte Meine Damen und Herren, unsere Werte, die wir – auch eine Zwischenfrage zu stellen . zu Recht – im Kampf gegen den Terror verteidigen und verteidigen müssen, und zwar so dringend wie noch nie, (B) Jetzt hat der Kollege Omid Nouripour für die Fraktion verbieten es, Menschen wegen ihrer Ethnie oder ihrer (D) Bündnis 90/Die Grünen das Wort . Religion zu diffamieren oder zu benachteiligen . Deshalb muss ganz klar gesagt werden: Ein Krieg gegen den Is- Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): lam und gegen Muslime ist ein Krieg gegen unsere eige- Herzlichen Dank .– Frau Präsidentin! Meine Da- nen Werte . men und Herren! Den Krieg gegen den Terror haben (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir verloren . Die Symptome dafür sind offensichtlich: und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der Aufstieg von ISIS, der globale Dschihadismus, die der SPD) Radikalisierung im Inland wie im Ausland . Wir haben diesen Krieg auch verloren, weil wir eine grundlegende Wir können den Kampf gegen den Terror nur gewin- Verschiebung unserer politischen Werte und der Mittel in nen, wenn wir ihn mit unseren Werten führen und nicht Kauf genommen haben: Aufweichung des Völkerrechts gegen sie . Abu Ghuraib oder Guantánamo müssen uns und der Rechtsstaatlichkeit, illegale Tötungen, so viel eine Mahnung sein . Diese schlimmen Fälle des Werte- Überwachung wie noch nie . verfalls des Westens waren immer wieder ein Einfalls- tor für extremistische Demagogen . Deshalb ist es umso Wir haben diesen Krieg verloren, aber den Kampf ge- wichtiger, dass wir keinen Graben zwischen Religionen gen den Dschihadismus und den Terrorismus müssen wir ziehen . Wir brauchen den Schulterschluss zwischen De- natürlich fortsetzen . Das Entscheidende dabei ist, dass mokratinnen und Demokraten . Der Graben verläuft zwi- wir begreifen, dass wir diesen Kampf in erster Linie mit schen der Demokratie und ihren Freunden auf der einen anderen Mitteln führen müssen, als dies in den letzten Seite und ihren Feinden auf der anderen Seite . 16 Jahren geschehen ist . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie der Abg . Dr .Ute Finckh-Krämer [SPD]) NEN sowie der Abg . Dr .Ute Finckh-Krämer [SPD] – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Und Daher stellt sich schon die Frage, was die Bundesre- das sagt ein Grüner!) gierung eigentlich aus den Fehlern der letzten 16 Jahre gelernt hat. Warum befinden wir uns eigentlich noch in Ja, dazu gehören alle Mittel des Rechtsstaates, und ja, einem Ausnahmezustand? Warum ist der NATO-Bünd- dazu kann im Extremfall auch der Einsatz des Militärs nisfall, der wegen 9/11 ausgerufen worden ist, immer gehören, wenn auf andere Art und Weise keine Rahmen- noch nicht beendet? Warum gehen Sie nicht konsequent bedingungen für politische Lösungen geschaffen werden gegen destabilisierende, autoritäre Partner vor, die ihre können . Gesellschaften spalten und radikalisieren? Warum be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21569

Omid Nouripour (A) kommt Saudi-Arabien Waffen für einen Krieg im Jemen, nicht erfolgreich sein können . Deswegen sind wir über (C) von dem nur die al-Qaida profitiert? Warum solidarisiert diese Entwicklung mehr als besorgt . sich die Bundesregierung mit einem Diktator namens (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten el-Sisi, der nicht nur Tausende Oppositionelle in den der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ Kerker wirft, sondern der auch den politischen Islam in DIE GRÜNEN) seinem Land systematisch radikalisiert? Warum beehrt die Bundesregierung einen solchen Mann mit einem Die Themen, die in der Großen Anfrage angesprochen Staatsbesuch und mit Lobesworten? werden, beziehen sich auf eine Reihe von Ländern . Des- wegen will ich hier den Irak noch einmal hervorheben . Wir müssen den Kampf gegen den Terror entschlos- sen führen . Wir können diesen Kampf auch gewinnen . Man muss daran erinnern, dass es damals, 2003, die Aber das ist – das müssen wir zugeben – nicht immer richtige Entscheidung von Gerhard Schröder war, sich bequem . Es gibt einen harten Weg zu gehen . Nicht alle gegen diesen Krieg auszusprechen, und zwar nicht nur Maßnahmen, die man ergreift, sind erfreulich, aber es gegen den massiven Widerstand aus Washington, son- muss immer rechtsstaatlich sein und auf der Wertegrund- dern auch hier in Deutschland – daran darf ich erinnern – lage unserer Demokratie geschehen . Um das hinzube- vonseiten der geschätzten Kolleginnen und Kollegen der kommen, muss man endlich aus den Fehlern der letzten CDU/CSU-Fraktion . Jahre lernen . (Dagmar Freitag [SPD]: Genau!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir müssen die Ursachen für die Entstehung von Ter- rorismus noch stärker in den Mittelpunkt rücken . Unge- rechtigkeiten, Ungleichheit, Diskriminierung, Gewalt- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: erfahrungen: Das ist ein idealer Nährboden . Umgekehrt Als nächster Redner spricht Nils Annen von der heißt das aber: Nur in einer inklusiven Gesellschaft, in SPD-Fraktion . der es Partizipationsmöglichkeiten und ökonomische Chancen gibt, sind die Risiken für eine Radikalisierung geringer . Niels Annen (SPD): Deswegen glaube ich auch, dass es, wenn wir heute Vielen Dank .– Frau Präsidentin! Meine sehr verehr- über den Irak sprechen, wichtig ist, darauf hinzuweisen, ten Damen und Herren! Wir Sozialdemokratinnen und dass wir natürlich alle versucht haben, aus Fehlern, die Sozialdemokraten stehen für einen starken, wehrhaften gemacht worden sind, zu lernen . Deshalb ist es so wich- (B) Staat . Ich denke, es gibt einen Zusammenhang mit dem tig, dass wir in diesem Parlament Mittel bereitgestellt ha- (D) Thema, das wir heute diskutieren . ben, um beispielsweise die vom IS befreiten Gebiete im Irak und hoffentlich bald auch in Syrien schnell mit der Die letzten zwei Jahre haben uns zum Teil sehr notwendigen Infrastruktur, mit einer guten Gesundheits- schmerzhaft vor Augen geführt, dass wir auch auf un- versorgung und mit schnellen Hilfen für die Bevölkerung serem Kontinent, in unserem eigenen Land vom Terro- versorgen zu können, damit auch dort diese Fehler nicht rismus bedroht sind . Paris, Brüssel, Nizza, Istanbul und noch einmal gemacht werden . natürlich der schreckliche Anschlag in Berlin haben das gezeigt . Im Kampf gegen den internationalen Terroris- Es geht also um die Prävention von Konflikten und ei- mus geht es deshalb natürlich auch um unsere eigene Si- nen politischen Dialog . Aber auch die Dialogbereitschaft cherheit . von Konfliktakteuren muss unterstützt werden. Das- al les ist richtig . Trotzdem – das gehört zur Ehrlichkeit der Aber ich glaube, durch die ausführliche Antwort der Debatte – wird es auch in Zukunft immer wieder Situa- Bundesregierung auf Ihre Große Anfrage ist auch deut- tionen geben, in denen neben polizeilichen und zivilen lich geworden: Die einseitige Ausrichtung auf militä- Maßnahmen eben auch militärische Gewalt notwendig rische Instrumente war ein Fehler . Und es war ein gra- ist, um den internationalen Terrorismus zu bekämpfen . vierender Fehler von George W . Bush, dem ehemaligen Deswegen glaube ich, dass der Weg, sich zu einem amerikanischen Präsidenten, dass er eine Politik vertre- inklusiven Ansatz zu bekennen und einen breiten Instru- ten hat, die unsere eigenen westlichen Werte zum Teil mentenkasten bereitzuhalten, der richtige ist . Ich glaube infrage gestellt hat . Die Stichworte „Guantánamo“ und auch, dass das aus den Antworten, die die Regierung hier „Abu Ghuraib“ sind genannt worden . gegeben hat, hervorgeht . Das will ich auch hier noch einmal unterstreichen, zu Ein weiteres Beispiel – wir haben das gerade disku- einer Stunde, in der in Washington vom neuen amerika- tiert – ist der Einsatz in Mali . Es wird gesagt, dort würde nischen Präsidenten Trump darüber gesprochen wird, Afghanistan quasi wiederholt . Das Gegenteil ist der Fall . wieder Folter, zum Beispiel Waterboarding, einzusetzen . Der politische Prozess und die Unterstützung bei der Ein- haltung eines abgeschlossenen Friedensvertrages stehen (Dagmar Freitag [SPD]: Unglaublich!) im Mittelpunkt unserer Bemühungen . Gleichzeitig wis- sen wir, dass es Gegner, ja, Feinde dieses Friedensvertra- Wenn das der Weg ist, dann wird dieser Kampf gegen ges gibt, die mit militärischer Gewalt versuchen, diesen den internationalen Terrorismus, den wir gemeinsam Friedensschluss, diesen Versöhnungsprozess in diesem auf einer gemeinsamen Wertegrundlage führen müssen, Land, zu unterminieren . 21570 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Niels Annen (A) Deswegen machen wir beides: Wir beteiligen uns an farkte, Schlaganfälle, Lungenentzündungen, Durchfal- (C) dem politischen Dialog und unterstützen ihn dort, wo lerkrankungen und Raucherlungen sind . Wahrscheinlich wir das können, mit den Instrumenten, die wir seit der sind Sie doch ein bisschen enttäuscht darüber, dass die rot-grünen Bundesregierung geschaffen haben, aber wir häufigste Todesursache in Pakistan nichts mit amerikani- sind eben auch dabei, wenn auf der Grundlage eines schen Drohnenangriffen zu tun hat . Mandates der Vereinten Nationen eine Militärmission (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ja notwendig ist . widerlich!) Wir tun das in der Überzeugung, die, glaube ich, in den So viel zur Seriosität Ihrer Fragen . letzten Jahrzehnten in unserem Land gewachsen und von Bundesregierungen aller Couleur getragen worden ist, Ich danke für die Aufmerksamkeit . nämlich dass wir diesen Weg mit Partnern und nicht al- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie leine gehen . Gerade in der tiefen Krise des europäischen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Integrationsprojektes und während der Verunsicherung GRÜNEN) durch die Wahl von Donald Trump und die unklaren Aus- sagen zur amerikanischen Bündnisverpflichtung können sich unsere Partner darauf verlassen, dass wir diesen Weg Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: gemeinsam gehen .– Ich glaube, das ist die richtige Ant- Bevor der Kollege Beyer das Wort erhält, hat Wolfgang wort auf die Herausforderungen . Gehrcke das Wort zu einer Kurzintervention . Eine Rede zu dieser Großen Anfrage wäre wahr- scheinlich nicht vollständig, ohne auch etwas zu Afgha- Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): nistan zu sagen . Das ist wahrscheinlich das Land, mit Lieber Niels Annen, ich habe hier im Bundestag dem wir uns hier am meisten auseinandergesetzt haben . 14 Jahre darauf gewartet, dass endlich ein Mitglied aus Dafür gibt es gute Gründe . Mir bleibt jetzt nicht die Zeit, einer der Regierungsfraktionen sagt: Unsere Regie- eine umfassende Bilanz zu ziehen . Aber in der Zusam- rung hat schwere Fehler gemacht .– Ich habe darauf bei menfassung fällt natürlich die Bilanz des internationalen Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot und Rot-Grün gewartet . Afghanistan-Einsatzes ernüchternd aus . Wenn man nicht die Courage hat, auszusprechen, dass schwere Fehler gemacht wurden, die zusammen 1,3 Mil- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie können lionen Menschen in diesen vier Ländern das Leben ge- auch „desaströs“ sagen!) kostet haben, wenn man nicht die Courage hat, zu sagen: Das ist gar keine Frage . Es verbleiben große Probleme . „Wir haben Schuld auf uns geladen“, wird es schwerfal- len, Schuld abzutragen . (B) Meine Damen und Herren, wir verschweigen aber (D) auch nicht die Rückschläge, die es gegeben hat . Wir ver- Ich erwarte von dieser Regierung, dass sie sagt: Wir schweigen nicht die verbleibenden Probleme . Meine Bit- haben Schuld auf uns geladen . Wir haben eine falsche te, gerichtet an die Linksfraktion, ist: Verschweigen Sie Politik gemacht . Wir haben die Chancen, die in den Ent- auch nicht die Fortschritte, die wir erreicht haben . wicklungsprozessen lagen, nicht genutzt . – Ich wäre der Letzte, der nicht die Fortschritte in Afghanistan, im Ein- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie zelnen und im Großen, benennt und lobt, wenn es auf des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE das Lob ankommt. Ich finde, das wäre ein Weg, auf dem GRÜNEN]) man sich treffen könnte: Wir reden über das, was es an Ich meine die Fortschritte gerade für die Menschen in Fortschritten gibt . diesem Land, die in den großen Städten wieder die Mög- (Dr .Christoph Bergner [CDU/CSU]: Weit lichkeit haben, ein einigermaßen verlässliches Leben zu weg von der Wahrheit!) führen und ihre Kinder in die Schulen zu schicken; Städ- te, in denen es wieder Universitäten und ökonomische Ich habe schon früher in Debatten mit dem Kollegen Bewegungen gibt; Städte, die Perspektiven bieten, die Kiesewetter immer gesagt: Natürlich muss eine Indust- wir unterstützen müssen . rialisierung des Landes erfolgen . Schroffer gesagt: Die Einführung des Kapitalismus bringt ein Stück weit Be- Es bliebe noch viel zu sagen . Es sind in der Tat viele freiung mit sich, weil er in solchen Ländern andere Pro- auch für unsere Arbeit wichtige Hinweise und Erkennt- duktionsbedingungen schafft . Das ist klar . Das können nisse in der Antwort auf diese Große Anfrage zu finden. Sie auch bei Marx lesen . Aber Sie lesen Marx ja nicht Trotzdem will ich Ihnen zum Schluss eines sagen . Ich einmal . habe mir zum Beispiel die Frage 90 sehr genau angese- (Elisabeth Motschmann [CDU/CSU]: Doch!) hen . Da fragen Sie die Bundesregierung: Über all das können wir reden . Dazu gehört aber auch, Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung dass Sie sagen, dass die Konzeption von der Verteidigung aktuell die zehn häufigsten Todesursachen der Be- unserer Sicherheit in Afghanistan eine grundfalsche war völkerung in Pakistan . . ? und dass man eine grundfalsche Politik betrieben hat . Das wollen wir hören . Abgesehen davon, dass Sie die Bundesregierung ein bisschen mit Wikipedia verwechseln, ist es für uns na- Wir wollen einen politischen Wechsel . Sie wissen türlich eine unerlässliche Erkenntnis, jetzt zu wissen, doch ganz genau, dass die Probleme in Afghanistan ohne dass die häufigsten Todesursachen in Pakistan Herzin- eine Kooperation mit China überhaupt nicht zu lösen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21571

Wolfgang Gehrcke (A) sind . Diese Politik wäre notwendig . Man muss mit der ligt haben und heute Mitglied der Resolute-Support-Koa- (C) Schanghai-Organisation zusammenarbeiten . Es wäre lition sind, so selbstkritisch damit auseinandergesetzt hat . doch einmal etwas Neues, wenn unser Land in der UNO mit anderen Vorstößen käme und eine Veränderung der Kollege Gehrcke, Ihnen wird aufgefallen sein, dass Politik mitbetreiben würde . sich der politische Ansatz über die Jahre verändert hat . Wenn Sie zugehört hätten, wüssten Sie, dass ich bezogen (Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Kurzin- auf den Einsatz in Mali aufgezeigt habe, welche Lehren tervention ist keine eigene Rede!) wir aus Afghanistan gezogen haben . Ich glaube, die De- batten, die Sie führen wollen, führen uns nicht weiter . Uns geht es nicht darum, Sie dazu zu bringen, zu sagen: Im Interesse der – hoffentlich von uns gemeinsam – be- Wir haben nur Fehler gemacht .– Das können Sie ma- klagten Opfer von Anschlägen terroristischer Organisa- chen, das können Sie aber auch lassen . Aber ich möchte tionen sollten wir kontrovers über die richtigen Instru- eine ehrliche Auflistung. mente und die richtige Mischung sprechen . Wir sollten Nebenbei will ich Herrn Kiesewetter noch sagen: uns aber nicht von einem hohen moralischen Podest aus Wenn man der Regierung das abfordert, was ihre Pflicht gegenseitig Ratschläge geben . Das ist der Situation nicht ist – es ist die Pflicht der Regierung, Fragen der Abge- angemessen . ordneten zu beantworten –: Wieso soll ich mich für etwas bedanken, was zur Aufgabe der Bundesregierung gehört? (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten So devot können Abgeordnete doch nicht sein, dass sie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sich ausdrücklich bedanken, wenn die Regierung einmal ihrer Pflicht nachkommt. Ich will eine Debatte führen Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: und die Politik verändern . Ich möchte, dass der Krieg ge- Da der Kollege Kiesewetter direkt angesprochen wur- gen den Terror aufhört; denn das alles schlägt auf unser de, hat er die Möglichkeit, zu reagieren . Land zurück . (Beifall bei der LINKEN) Roderich Kiesewetter (CDU/CSU): Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Herr Kollege Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Gehrcke, Sie haben mich zweimal angesprochen . Ich Herr Annen, Sie haben das Wort zur Erwiderung . möchte nur sehr kurz deutlich machen: Erstens . Es ist außergewöhnlich, dass die Fragen aus dem Parlament so umfassend beantwortet werden . Das verdient Anerken- (SPD): Niels Annen nung; Vielen Dank, Frau Präsidentin .– Geschätzter Kolle- (B) ge Gehrcke, ich muss als ehemaliger Bundesvorsitzen- (Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE (D) der der Arbeitsgemeinschaft der Jungsozialistinnen und GRÜNEN]: Das ist selbstverständlich!) Jungsozialisten Ihre Unterstellung, ich hätte Marx nicht denn bei der Beantwortung Ihrer Fragen sind Dutzende gelesen, zurückweisen . Beamte, Offiziere und Fachleute eingebunden, die ihre (Heiterkeit bei der SPD) Arbeitszeit auch darauf verwenden müssen, die Vorga- ben in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland Ich will Ihnen gerne noch ein paar andere Dinge zu umzusetzen . Was wir hier erfahren, ist außergewöhnlich Ihrer Kurzintervention sagen . Ich weiß nicht, ob die ver- gut . meintlich moralisch einwandfreie Position, die Sie dort einnehmen, und Ihre Erwartung, dass wir uns entschul- (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Danken Sie digen, der Situation gerecht werden . Ich weise jetzt Sie doch uns, dass wir die Fragen gestellt haben!) und Ihre Fraktion auch nicht darauf hin, dass ich, seit ich Abgeordneter dieses Parlaments bin und die politischen Zweitens . Das gesamte Thema der Evaluierung wird Debatten dieses Parlaments verfolge, von Ihnen noch nie von der EU und den Vereinten Nationen umfassend be- die Frage – auch nicht an die Bundesregierung – gehört handelt . Wenn Sie die entsprechenden Datenbanken nut- habe, wie viele Opfer denn der internationale Terroris- zen, können Sie sich Ihre Fragen zum Teil selber beant- mus – die Taliban, al-Qaida und verbündete Gruppierun- worten . gen – zu verantworten haben . Sie blenden diesen Aspekt Drittens . Sie tragen Eulen nach Athen, wenn Sie eine vollkommen aus . Evaluierung fordern; denn diese gibt es längst . (Inge Höger [DIE LINKE]: Steht auch hier (Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- drin! Hat die Regierung auch nicht beantwor- NEN]: Nein, gibt es nicht!) tet!) Bei meinem letzten Punkt geht es um etwas anderes . Ich kann für meine Fraktion und – soweit ich das in Die jetzigen Kurzinterventionen zeigen nicht nur, dass den Jahren, in denen ich in diesem Haus mitarbeiten und wir lebhaft debattieren, sondern auch, dass es absolut meinen Wahlkreis vertreten darf, verfolgen konnte – für notwendig ist, neben den normalen Debatten über ein- die anderen Fraktionen sagen: Es gab über kein anderes zelne Mandate hin und wieder einmal über die Ebene Land und keinen anderen Einsatz so viele selbstkritische darüber, nämlich über die Strategie der Bundesrepublik Debatten im Deutschen Bundestag wie über Afghanistan . Deutschland, Ich glaube nicht, dass sich ein Parlament aus den anderen Ländern, die sich an der ehemaligen ISAF-Mission betei- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gerne!) 21572 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Roderich Kiesewetter (A) die Einbindung in internationale Organisationen sowie brauchen das Leid und die Armut der Menschen . Dieses (C) den Sinn und Zweck verschiedener Einsätze, zu debattie- bildet ihr Fundament, um ihren Hass zu schüren . ren . Vielleicht haben wir in nächster Zeit die Chance, das wieder aufzugreifen . (Inge Höger [DIE LINKE]: Krieg hat den Hass geschürt!) Herzlichen Dank . Terroristen wollen keine Bildung, sie wollen keinen (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wohlstand und keine Demokratie . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Können wir Lassen wir ihnen Freiräume und freie Hand, dann er- zusammen beantragen!) geht es den Frauen und den Kindern, der Bevölkerung insgesamt in diesen Ländern, in denen wir uns engagie- Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: ren, deutlich schlechter . Unser Engagement – ich schließe ausdrücklich auch militärisches Engagement ein – muss Jetzt, Herr Beyer, haben Sie das Wort als letzter Red- aufrechterhalten bleiben . Wir dürfen den Terroristen kei- ner in dieser Aussprache . ne Freiräume lassen; denn wo diese entstehen, erhöht sich die Gefahr von perfekt orchestrierten Anschlägen (Beifall bei der CDU/CSU) auch hier bei uns im Lande . Bei alledem wissen wir natürlich auch, dass es eine Peter Beyer (CDU/CSU): absolute Sicherheit nicht geben kann . Aber es liegt in Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! unserer Verantwortung – ich benutze dieses Wort erneut Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben die sehr bewusst – als Politiker, es den Terroristen möglichst lebhafte Debatte verfolgt . Heute Morgen haben wir uns schwer zu machen, ihr perfides Handwerk zu vollziehen. im Zusammenhang mit den namentlichen Abstimmun- Das erfordert Maßnahmen im Innern und auch bei unse- gen mit einer ähnlichen Thematik auseinandergesetzt . rem außenpolitischen Engagement . Deswegen sind schon viele Argumente ausgetauscht worden . Ich habe mich einmal näher mit dem Entschlie- Richtig ist auch, soweit und sobald es irgendwie mög- ßungsantrag der Linken befasst . Man kann ihn so zusam- lich ist, die Verantwortung für die eigene Sicherheit in menfassen: Wegducken und Wegschauen . Es scheint das die Hände der Länder selbst zu legen, in denen wir uns Motto der Linken zu sein, keine Verantwortung – dieses engagieren . Wir und unsere Verbündeten sind keine Be- Stichwort fiel heute schon sehr häufig in der Debatte – zu satzungsmächte in diesen Ländern . Dort, wo es nötig ist, übernehmen und zudem Verbündete, Freunde und Nach- unterstützen wir allerdings . (B) barn einfach im Stich zu lassen . So ist politische Verant- (Inge Höger [DIE LINKE]: Sie führen sich (D) wortung nicht umzusetzen . aber so auf!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Die Feststellungen der Linken lesen sich – ich sage ordneten der SPD) das ohne großen Humor – wie ein Liebesbrief an Dik- tatoren . Ich habe den Eindruck gewonnen, dass bei der Linken der Glaube vorherrscht, dass das, was man ignoriert, ei- (Zurufe von der LINKEN: Oh!) nem auch nicht gefährlich werden kann . Mit der Realität hat das freilich gar nichts zu tun . Der Angriff des Terro- Unter Saddam Hussein sah offenbar alles besser aus, in rismus richtet sich auf das westliche Wertefundament, er Syrien unter Assad war offenbar für Sie früher alles bes- zielt ab auf die Freiheit, auf die Demokratie und über- ser und sicherer, als es heute ist . haupt gegen die ganze Lebensart, wie wir sie hochhalten (Inge Höger [DIE LINKE]: Zumindest durf- und wie wir leben wollen . Dagegen richtet sich der Hass ten Frauen dort zur Schule gehen, und die Ge- der Terroristen . sundheitsversorgung war auch besser!) Die Forderung im Entschließungsantrag mutet gera- Fragen Sie doch einmal die Kurden im Norden des Irak! dezu naiv an . Ich zitiere: „… die demokratischen und Jahrzehnte litten sie unter Repressionen, wurden ihre friedlichen zivilen Kräfte in Afghanistan zu stärken, ins- Dörfer mit Giftgas bombardiert, und Tausende Menschen besondere Frauenorganisationen …“ . mussten sterben . Haben Sie sich ernsthaft einmal mit dem Frauenbild der Auch ich habe den Nordirak besucht . Klar, auch ich Taliban auseinandergesetzt? muss feststellen, dass wir zumindest von unseren Ide- alvorstellungen weit entfernt sind; aber wer will denn (Inge Höger [DIE LINKE]: Mit den Frauen- ernsthaft behaupten, dass es dort unter Saddam Hussein organisationen!) besser gewesen wäre? Es ist eine sehr zynische Ansicht, die Sie dort vertreten . Glauben Sie ernsthaft, wenn wir nur wegsehen, wird es dort den Frauen irgendwie besser gehen, werden ihnen Jetzt kommt auch noch die Forderung, unsere erfolg- mehr Rechte eingeräumt werden oder werden irgendwel- reichen Hilfen für die Kurden einzustellen . Das ist falsch . chen Nichtregierungsorganisationen mehr Möglichkei- Ausbildung und Waffen, die wir geliefert haben, um sich ten gegeben, das Leben der Bevölkerung zu verbessern? im Irak und in Syrien gegen den menschenverachtenden Die Terroristen und die Schergen der Taliban und des IS Terrorismus des IS zur Wehr zu setzen, werden – ich sage Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21573

Peter Beyer (A) bewusst: leider – wohl auch noch in Zukunft erforderlich Drucksache 18/10936 (C) bleiben . Überweisungsvorschlag: (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Sie unterstüt- Finanzausschuss (f) Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz zen Separatisten!) Ausschuss für Wirtschaft und Energie Jetzt höre ich schon den Einwand, lauthals rufend – Haushaltsausschuss das war schon im Ausschuss so gewesen –: Die Kurden Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für brauchen doch unsere Unterstützung gar nicht oder gar die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu nicht mehr . – Dazu sage ich ganz klar: Wer jetzt die fal- keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . schen Schlüsse zieht, nicht weiter zu unterstützen, der handelt kurzsichtig und damit gefährlich für die Stabili- Ich kann die Aussprache eröffnen, wenn die Kollegin- tät der Region und die Sicherheit der Menschen, die dort nen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben . leben . Als erster Redner in der Aussprache hat der Parlamen- (Beifall bei der CDU/CSU) tarische Staatssekretär Dr . Meister das Wort . Richten wir schließlich den Blick nach Syrien . Ohne (Beifall bei der CDU/CSU) den Bundesgenossen der Linken im Kreml und dessen Schutz für einen Diktator und Massenmörder mit Namen Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bun- Assad könnten wir uns schon viel mehr einer Lösung an- desminister der Finanzen: genähert haben . Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Inge Höger [DIE LINKE]: Das glauben Sie Das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz setzt vier doch selbst nicht!) europäische Rechtsakte in nationales Recht um . Wir haben im Nachgang zur Finanzkrise versucht, Transpa- Wir verlieren dort täglich die Unterstützung gemäßigter renz und Integrität in die Finanzmärkte zu bekommen Kräfte, die angesichts ihrer aussichtslosen Lage in die und den Anlegerschutz zu stärken . Dazu haben wir in Radikalität des IS abdriften . dieser Wahlperiode bereits das Erste Finanzmarktnovel- Auch Ägypten könnte ich noch beleuchten, weil dazu lierungsgesetz im vergangenen Jahr verabschiedet . Dort etwas in der Debatte von den Rednern vor mir gesagt hatten wir uns dem Thema „Bekämpfung des Marktmiss- wurde . Angesichts der fehlenden Redezeit muss ich das brauchs bei der Aufsicht über Zentralverwahrer“ und den jetzt ausklammern . Mir ist wichtig, zum Schluss noch zu EU-einheitlichen Produktinformationsblättern zugewen- sagen, dass es mit der Union keine Flucht aus der Ver- det und in nationales Recht umgesetzt . (B) antwortung geben wird, auch kein Wegducken und kein Hier geht es um vier europäische Rechtsakte . Das (D) Wegschauen . ist zum einen die MiFID II, zum anderen die MiFIR; Wir werden unserer Verantwortung gerecht werden dann haben wir das Thema Wertpapierfinanzierungs- und auch auf internationaler Ebene mit den Partnern für geschäfte und dazu eine Verordnung, und wir haben eine Politik stehen, die den Terrorismus nicht so lange die Benchmark-Verordnung . Diese vier europäischen ignoriert, bis er auf die Füße fällt, sondern ihn aufhält, Rechtsakte werden wir jetzt mit diesem Gesetz in natio- bekämpft und schließlich auch bezwingt . nales Recht umsetzen . Herzlichen Dank . Zunächst einmal zu den Themen „Markets in Finan- cial Instruments Directive“ und „Markets in Financial (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- Instruments Regulation“ . Das sind MiFID und MiFIR . ordneten der SPD – Zuruf von der LINKEN) An dieser Stelle soll die Regulierung von Wertpapier- dienstleistungen und des Börsenhandels vorgenommen Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: werden . Ich schließe die Aussprache . Es heißt deshalb MiFID II, weil wir seit 2004 MiFID I Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie- hatten, und seit 2004 ist sehr viel geschehen . Deshalb ist ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksa- es, glaube ich, richtig, die Grundlage für die Beaufsichti- che 18/10977 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan- gung des Wertpapierhandels und des Anlegerschutzes im trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Das Wertpapierbereich entsprechend anzupassen . ist nicht der Fall . Dann ist der Entschließungsantrag mit Im Nachgang der Finanzkrise wurden umfangreiche den Stimmen der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/ Modernisierungen und Überarbeitungen bei den EU-Vor- Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke gaben erforderlich, um auf neu entstandene Gefahren abgelehnt worden . bzw . deren Wahrnehmung mit mehr Sicherheit und Inte­ Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf: grität der Finanzmärkte zu reagieren und neue Handels- formen und Handelsplätze angemessen in die Regulie- Erste Beratung des von der Bundesregierung rung einzubeziehen . eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset­ zes zur Novellierung von Finanzmarktvor­ Diese Regelungen haben wir zum Teil bereits heute schriften auf Grund europäischer Rechtsakte schon in nationalem Recht, weil wir uns entschlossen (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz – hatten, als nationaler Gesetzgeber voranzugehen und 2. FiMaNoG) nicht auf europäische Regulierungen zu warten . Ich spre- 21574 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister (A) che an dieser Stelle insbesondere einmal die Regelungen Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (C) zum Thema Hochfrequenzhandel an, bei dem wir ver- Vielen Dank .– Als nächste Rednerin hat Susanna sucht haben, Gefahren auf nationaler Ebene zu bannen, Karawanskij für die Fraktion Die Linke das Wort . als die Diskussion in Europa darüber noch gelaufen ist . (Beifall bei der LINKEN) Dasselbe gilt für das Thema Honoraranlageberatungs- gesetz . Auch hier sind wir als nationaler Gesetzgeber vo- Susanna Karawanskij (DIE LINKE): rangegangen und haben damit, glaube ich, auch die euro- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen päische Debatte ein Stück weit geprägt . und Kollegen! Liebe Gäste! Vor knapp zehn Jahren schwappte die Finanzkrise nach Europa über . Nachdem Wir wollen jetzt den Anlegerschutz durch Verhaltens- die Finanzmärkte über Jahre hinweg dereguliert worden und Organisationspflichten von Wertpapierdienstleis- waren, musste damals, glaube ich, auch der Letzte verste- tungsunternehmen, insbesondere durch Transparenz- und hen, dass das ein fataler Fehler war . Informationspflichten gegenüber den Kunden, stärken. Der Entwurf des Zweiten Finanzmarktnovellierungs- Des Weiteren sollen höhere Anforderungen an Han- gesetzes, den wir heute debattieren, ist eine der Spät- delsplattformen, die Schaffung einer neuen Erlaubnis- folgen der damals begonnenen Reparaturmaßnahmen . pflicht für bisher nicht überwachte organisierte Handels- Er betrifft mehrere Aspekte des Finanzmarktes: von systeme sowie grundsätzlich die Pflicht, den Handel von Handels­plattformen über den berüchtigten Hochfre- Aktien auf regulierten Plätzen zu betreiben, auf den Weg quenzhandel bis hin zum Anlegerschutz . Man könnte gebracht werden . Ich hoffe, dass wir damit Aufsichtslü- meinen, dass angesichts dessen, dass schon ein Jahrzehnt cken bei der Regulierung von Handelsplätzen schließen seit besagter Finanzkrise vergangen ist, dieses Gesetz ei- können . gentlich nur noch ein i-Tüpfelchen auf dem Pfad der Ge- setze ist, um demokratisch kontrollierte und transparente An den Handelsplätzen selbst schaffen wir mehr Finanzmärkte zu schaffen . Doch davon kann leider keine Transparenz durch die Ausdehnung von Pflichten zur Rede sein . Die Lage auf den Finanzmärkten ist immer Veröffentlichung betroffener Finanzinstrumente und noch angespannt, und wir sind leider immer noch weit durch die Regulierung von Datenbereitstellungsdiensten . davon entfernt, von einer flächendeckenden mittelfristi- Wir werden Positionslimits und Positionskontrollen an gen Stabilität sprechen zu können . Warenderivatemärkten einführen, um exzessiven Han- Ich möchte mich jetzt auf drei Aspekte konzentrieren, delsaktivitäten entgegenwirken zu können . Wir werden die mit diesem Gesetz zu tun haben . Ich will ein paar De- außerdem Überwachungs- und Eingriffsbefugnisse der fizite hervorheben, die teilweise schon in den zugrunde- Aufsicht erweitern sowie Sanktionsmöglichkeiten bei (B) liegenden EU-Gesetzgebungen verankert sind, aber die (D) Verstößen vereinheitlichen und verschärfen . auch den fehlenden Willen der Bundesregierung, über Der dritte Rechtsakt bezieht sich auf die Transparenz die Vorgaben von Brüssel hinauszugehen, aufzeigen . von Wertpapierfinanzierungsgeschäften und die Wei- Ich fange beim Hochfrequenzhandel an . Das ist der terverwendung von Sicherheiten . Dort werden wir die Handel, bei dem Computer im Bruchteil des Bruchteils Vorgaben des Finanzstabilitätsrats zur Reduzierung von einer Sekunde Wertpapiere kaufen und wieder verkau- Risiken aus sogenannten Wertpapierfinanzierungsge- fen können . Das ist kein Einzelfall; dann könnte man ja schäften umsetzen . sagen: Das macht man ein- oder zweimal .– Nein, das ist nicht so . Vielmehr nimmt der Hochfrequenzhandel in Meine Damen und Herren, der vierte Bereich ist die einigen Marktsegmenten bis zu 40 Prozent des Handels- Benchmark-Verordnung . Da geht es um die Frage: Wie volumens ein . Dieser Handel steht immer wieder in der gehen wir mit Erstellern von Benchmarks um? Wir ha- Kritik, weil er zu Kurskapriolen bis hin zu spektakulären ben gesehen, dass auch dort in der Vergangenheit die eine Börsencrashs führen kann und bestimmte Formen dafür oder andere Manipulation stattgefunden hat . Deshalb genutzt werden, um Börsengeschäfte zu manipulieren . versuchen wir, durch eine einheitliche Regelung dafür zu Da wir keinen gesellschaftlichen Nutzen darin sehen, Fi- sorgen, dass die Zulieferung von Daten bei den Erstellern nanzgeschäfte im Bruchteil einer Sekunde abzuschließen und den Transporteuren besser beaufsichtigt und bei Ma- und dabei gleichzeitig sehr hohe Risiken in Kauf zu neh- nipulationen auch sanktioniert werden kann . men, plädieren wir schlicht und ergreifend dafür, diesen Handel vollständig zu unterbinden . Wir hoffen, dass wir durch diesen Gesetzentwurf ei- nen weiteren wesentlichen Schritt zur Modernisierung (Beifall bei der LINKEN) des deutschen Kapitalmarkts im Zusammenspiel mit den Wir halten die in diesem Gesetzentwurf enthaltenen Ver- jeweiligen europäischen Rechtsakten vollziehen und den schärfungen für ungenügend . Anlegerschutz in diesem Sinne stärken können . Ich wür- de mich über eine wohlwollende Beratung hier im Hause Ein zweiter Schwerpunkt, auf den ich eingehen möch- sehr freuen . te, ist der Anlegerschutz. Anleger tappen häufig in die Falle, teure und auch überflüssige Produkte zu kaufen. Vielen Dank . Diese Produkte, die zum Teil gar nicht ihrer Risikobereit- schaft entsprechen, bekommen sie aufgeschwatzt, oder (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sie werden schlicht und ergreifend schlecht beraten . Sie ordneten der SPD) erleiden dann Verluste mit vermeintlich sicheren Anla- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21575

Susanna Karawanskij (A) gen . Wir Linke haben dazu letzten Freitag das umfassen- blockieren . Was die Finanzpolitik angeht, hört man oft, (C) de Konzept eines Finanz-TÜVs hier in den Bundestag dass die Regelungen nicht bei den Menschen unten an- eingebracht, der vor allen Dingen auf präventiven Ver- kommen, sondern anderen zugutekommen . Dieses Mam- braucherschutz abzielt . Das Vertrauen der Verbrauche- mutgesetz mit fast 300 Seiten, das wir heute mit allem, rinnen und Verbraucher ist schlecht . Auch wenn man was noch dazugehört, in erster Lesung hier in das parla- das Bild des mündigen Verbrauchers, das gerne hier in mentarische Verfahren einbringen, hat das Potenzial, die- den Debatten bemüht wird, heranzieht, muss man doch se Kritik zu widerlegen . Denn der vorliegende Entwurf feststellen, dass die Stiftung Warentest zu dem Schluss des Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes überträgt kommt, dass 95 Prozent der Vertragsangebote nicht im vier sehr weitreichende europäische Rechtsakte in deut- besten Kundeninteresse sind . Ein zweiter Test zeigt, wie sches Recht; das ist von Herrn Dr .Meister schon genannt schlecht Anlegerinnen und Anleger beraten werden . Ge- worden . Dabei wird die Transparenz von Wertpapierge- nau deswegen, genau aus diesen Gründen muss mehr schäften erhöht, indem wir einem Sektor, der noch nicht passieren als eine schlichte Eins-zu-eins-Umsetzung eu- entsprechend reguliert war – dem der Schattenbanken ropäischer Richtlinien, die nun dieses Gesetz notwendig und anderen –, ein umfassenderes Regularium geben . machen . Wir wollen die provisionsgestützte Beratung (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Matthias überwinden, indem das System unabhängiger Finanz- Hauer [CDU/CSU]) berater und vor allen Dingen die Honorarberatung aus- gebaut und fest verankert werden . Mit der provisionsge- Daneben wird die Benchmark-Verordnung in nationa- stützten Beratung – das wissen Sie – nehmen Sie immer les Recht umgesetzt . Indizes, die bei den Finanzinstru- wieder Interessenkonflikte und damit zusammenhängen- menten als Referenzwert genutzt werden, müssen künftig de Fehlberatung in Kauf . überall in Europa den gleichen Regelungen unterliegen . Diese neugeschaffenen Anforderungen – die Betrugs­ Noch etwas zum Abschluss: Der Gesetzentwurf um- skandale, beispielweise um den Libor und den Euribor, fasst auch Positionslimits, die ein wichtiges Tool zur sind ja bekannt – sollen verhindern, dass weiter betrü- Begrenzung der Spekulation mit Nahrungsmitteln und gerisches Handeln in diesem Bereich vorkommen kann . Rohstoffen sind . Ich habe die Befürchtung, dass die ge- Dadurch schnellten letztlich auch die Kreditzinsen von planten Beschränkungen deutlich hinter dem eigentlich Verbrauchern in die Höhe . Zukünftig werden Abspra- notwendigen Maß zurückbleiben . Das hängt zum Teil chen und die direkte Manipulation dieser Zinssätze in auch von der europäischen Ebene ab; das weiß ich . Da allen Staaten der Europäischen Union einheitlich scharf ist vieles in der Mache . Aber es hängt auch davon ab, wie geahndet . Zudem überarbeiten wir mit dem vorliegenden wir das national verankern . In diesem Fall ist die BaFin Gesetzentwurf die europäische Finanzmarktrichtlinie, für uns zuständig . Ich denke, wir als Parlament tragen MiFID genannt . Sie ist ein Kernstück im europäischen eine Mitverantwortung, dass Nahrungsmittel nicht für (B) Finanzsektor . Mit der Umsetzung der MiFID-II-Richtli- (D) die exzessive Spekulation an Warenterminbörsen genutzt nie werden deshalb künftig Aktien, Derivate und Fonds werden . Vielmehr gehören Nahrungsmittel dorthin, wo- sowie die Vermittlung dieser Finanzprodukte einheitli- für sie produziert worden sind: auf den Teller der Men- chen, strengen Regeln unterworfen, und die Transparenz schen . für den Kunden wird erhöht . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im Großen und im Kleinen: Der Gesetzentwurf ist der CDU/CSU) nicht ausgereift, ganz besonders, was den Schutz von Im Einzelnen bedeutet dies: Der individuelle Ziel- Kleinanlegern betrifft . Auch bei diesem Gesetz wünsche markt eines Finanzproduktes muss eindeutig benannt ich mir, dass es anders aus dem Bundestag herauskommt, werden; denn nicht jedes Finanzprodukt ist per se für als es hineingekommen ist . Ich freue mich auf die parla- jeden Kunden geeignet . Die Geeignetheit – das ist ein mentarischen Beratungen und hoffe, dass es besser wird . zentraler Punkt – des Finanzproduktes muss vor Ge- Vielen Dank . schäftsabschluss mit dem Kunden festgehalten werden . Über die Ausgestaltung dieser Geeignetheit werden wir (Beifall bei der LINKEN) im anstehenden parlamentarischen Verfahren diskutie- ren . Das ist ein schwieriges Feld . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Soll Als nächster Redner hat Christian Petry von der standardisiert sein!) SPD-Fraktion das Wort . – Und es soll standardisiert sein . Die Frage, wie man es (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten standardisiert, ist hoch umstritten . Hier werden wir uns der CDU/CSU) aber mit Sicherheit im Verfahren einigen können .

Christian Petry (SPD): Zudem werden wir mit dem Gesetz strenger zwischen provisions- und honorarbasierter Anlageberatung unter- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und scheiden . Auf diesen Punkt wird meine Kollegin Sarah Herren! Man hört ja sehr oft, dass Regelungen, die auf Ryglewski im Anschluss eingehen . europäischer Ebene erlassen werden, zu kompliziert sind, zu aufwendig sind, nicht transparent genug sind, Das schädliche Spekulieren auf Rohstoff- und Nah- dass das ganze Verfahren zu träge ist und dass die 27 Re- rungsmittelmärkten werden wir mit dem Gesetz eben- gierungschefs sich nicht einig werden können, sich selbst falls eindämmen und den Hochfrequenzhandel längst 21576 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Christian Petry (A) überfälligen Risikokontrollen überall in Europa unter- Deutsche Bundestag, hat in den vergangenen Jahren viel (C) werfen . Frau Karawanskij, ich kann dem sehr viel ab- dazu beigetragen, diesen Weg zu gehen . Den Weg setzen gewinnen . Hochfrequenzhandel in der jetzt möglichen wir nun fort . Form hat überhaupt keinen sittlichen Nährwert, hat auch Der Gesetzentwurf zielt vor allem darauf ab, den An- nichts mit volkswirtschaftlichem Mehrwert zu tun . Es ist legerschutz weiter zu erhöhen und auch die Integrität und eine Methode, um Geld zu verdienen . Das ist per se nicht Transparenz der Finanzmärkte zu verbessern . Zentrales verwerflich, aber es hat Auswirkungen, die eine ernsthaf- Element ist die Verankerung der Finanzmarktrichtlinie te Hinterfragung dieses Marktes notwendig machen . MiFID II und der dazugehörigen Finanzmarktverord- (Zuruf des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] nung MiFIR im nationalen Recht . MiFID II und MiFIR [SPD]) enthalten umfassende Vorschriften . Gerade haben wir schon einige gehört . Insgesamt bilden sie in vielen Be- All diese Regulierungen sind nur ein Bruchteil des reichen das regulatorische Rahmenwerk für die gesamte Zweiten Finanzmarktnovellierungsgesetzes . Sie zeigen EU . Dabei stehen im Vordergrund: Anlegerschutz, regu- eindeutig: Die Europäische Union funktioniert . lierte Märkte, Informationspflichten und eine Stärkung Mit dem Gesetz werden wir die Situation der Verbrau- der Aufsichtsbefugnisse . cherinnen und Verbraucher verbessern . Damit widerle- Zur Umsetzung der europäischen Vorgaben sind auf gen wir die zuvor genannten Kritikpunkte; denn Europa nationaler Ebene zahlreiche Anpassungen nötig: im funktioniert und liefert Gesetze, die die Finanzmärkte Wertpapierhandelsgesetz, im Kreditwesengesetz, im im Sinne der Verbraucher sicherer und transparenter ma- Börsengesetz, im Kapitalanlagegesetzbuch und im Ver- chen . In diesem Sinne freue ich mich auf die umfangrei- sicherungsaufsichtsgesetz . chen Beratungen, die jetzt anstehen . Positiv erwähnen möchte ich vor allem, dass es sich Eines noch am Schluss, Herr Dr .Meister – wir haben bei dem Gesetzentwurf weitgehend um eine Eins-zu- das schon mehrfach gesagt –: Gesetze müssen nicht un- eins-Umsetzung der europäischen Vorgaben handelt . Das bedingt für jeden lesbar sein, aber wenigstens ihre Be- stellt sicher, dass in Deutschland und in anderen EU-Mit- gründungen sollten so formuliert werden, dass man sie gliedstaaten ein einheitlicher Rechtsrahmen gilt . halbwegs verstehen kann . Das als kleiner Hinweis . Wir werden es in den Beratungen vielleicht noch schaffen, Eine der wichtigsten Änderungen, die das Gesetzes- dass hier noch etwas mehr Transparenz in der Sprache paket für Anleger und Anlageberater gleichermaßen mit herrscht . Wir sind auf einem guten Weg; denn das Zwei- sich bringt, ist die Abschaffung des Beratungsproto- te Finanzmarktnovellierungsgesetz, das zu Recht als kolls . Das bisherige Beratungsprotokoll sorgte seit seiner Grundgesetz des Wertpapierhandels bezeichnet wird, Einführung 2010 vor allem für großen bürokratischen (B) wird eine spannende Sache . Aufwand bei allen Beteiligten . Streit und auch Rechts- (D) unsicherheit zwischen Anlegern auf der einen Seite und In diesem Sinne: Glück auf! Anlageberatern auf der anderen Seite reduzierte es nicht . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Es ist daher gut, dass das bisherige Beratungsprotokoll nun ausgedient hat . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Ersetzt wird das Beratungsprotokoll durch die soge- Der nächste Redner, Dr .Gerhard Schick, ist noch im nannte Geeignetheitserklärung . Darin hat der Anlagebe- Untersuchungsausschuss und gibt daher im Einverneh- rater künftig schriftlich zu erklären, aus welchen Grün- men mit allen Fraktionen seine Rede zu Protokoll .1) den er dem Kunden ein Finanzprodukt empfohlen hat . Deshalb rufe ich jetzt Matthias Hauer von der CDU/ Bisher musste bürokratisch protokolliert werden – künf- CSU auf . tig muss der Berater also nachweisen, warum das emp- fohlene Produkt für den Verbraucher geeignet ist . Die (Beifall bei der CDU/CSU) anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir nutzen, um die Details zur Geeignetheitserklärung genau Matthias Hauer (CDU/CSU): unter die Lupe zu nehmen . Wir werden uns auch anse- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und hen, welchen Gestaltungsspielraum uns die europäischen Herren! Im Juli des letzten Jahres ist das Erste Finanz- Vorgaben lassen, und werden natürlich auch die Erfah- marktnovellierungsgesetz in Kraft getreten . rungen, die wir mit dem Beratungsprotokoll gemacht ha- ben, einfließen lassen. Heute beraten wir in erster Lesung das Zweite Finanz- marktnovellierungsgesetz . Wir verankern damit weitere Ein weiterer Punkt, den wir auch in den Beratungen europäische Rechtsakte im deutschen Recht . Herr Staats- aufgreifen sollten, ist das Thema „Produktinformations- sekretär Dr .Meister hat das vorhin im Detail sehr gut blätter für Aktien und einfache Anleihen“ . Die derzeit dargestellt . bestehende Regelung ist für alle Beteiligten unbefriedi- gend . Auf der einen Seite führt sie zu hohen Kosten und Worum geht es? Es geht um die Stabilisierung der zu viel Bürokratie bei den Banken . Das hat zur Folge, Märkte, es geht darum, die Anfälligkeit für neue Finanz- dass Beratung in diesem Bereich kaum noch stattfindet. krisen zu reduzieren, und es geht darum, den Anleger- Auf der anderen Seite ist auch der Informationsgehalt der schutz zu erhöhen . Die Bundesregierung, aber auch der Produktinformationsblätter für Verbraucher derzeit sehr überschaubar . Wir brauchen Produktinformationsblätter, 1) 3 Anlage die für Verbraucherinnen und Verbraucher besser ver- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21577

Matthias Hauer (A) ständlich sind – vor allem auch sprachlich . Die bessere er unmündig ist, sondern, dass man schauen muss, wo er (C) Verständlichkeit und einen höheren Informationsgehalt möglicherweise anfällig dafür ist, in irgendwelche Fal- wollen wir zum Beispiel durch stärkere Standardisierung len gelockt zu werden oder Schaden zu erleiden . Das ist erreichen, aber auch dadurch, dass wir bei der Formulie- genau das, worauf wir uns aus Verbrauchersicht auch bei rung der Texte zum Beispiel die Gesellschaft für deut- diesem Gesetz konzentrieren müssen . sche Sprache miteinbeziehen . Wir wollen – das stellte sich auch in der Debatte in der (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und letzten Woche heraus –, dass Anlegerinnen und Anleger der SPD) das Produkt bekommen, das zu ihnen passt . Wir waren uns letzte Woche zwar nicht in allem einig, aber in einem Mehr Beratung zu Aktien und verständlichere Infor- Punkt waren wir uns sehr einig: Von zentraler Bedeutung mationen für Verbraucherinnen und Verbraucher – das ist dabei eine gute Beratung . Insofern will ich mich da- stärkt auch unsere Aktienkultur, und da haben wir in rauf beschränken . Deutschland noch einiges an Nachholbedarf . Wir in der Koalition haben uns in den vergangenen Monaten bei Ich glaube, wir müssen sicherstellen, dass bei der zwei Workshops genau zu diesem Thema – Produktin- Geeignetheitserklärung nicht die Fehler und Probleme formationsblätter für Aktien und einfache Anleihen – mit auftreten, die beim Beratungsprotokoll aufgetreten sind . Fachleuten zusammengesetzt . Wir sind da in der Koa- In den Beratungsprotokollen stand nämlich teilweise lition in guten Gesprächen . Ziel ist es, eine Lösung zu drin: Dem Anleger wurde das Produkt empfohlen, weil finden, die sowohl die Kreditwirtschaft von unnötiger es für ihn geeignet ist . – Das ist eine Tautologie und so Bürokratie entlastet als auch einen echten Mehrwert für nichtssagend, dass es gar nichts bringt . Deswegen ist Anlegerinnen und Anleger bietet und somit die Aktien- es wichtig, dass wir die Kriterien durch entsprechen- kultur stärkt . Wir werden diese und weitere Punkte, die de Standardisierung – Kollege Binding hat eben einen an uns herangetragen werden, in den weiteren Beratun- entsprechenden Zuruf gemacht – klar definieren, sodass gen kritisch hinterfragen und in der Anhörung im Finanz- man sagen wirklich kann: Die Anforderungen sind erfüllt ausschuss erörtern . worden . Damit schaffen wir Rechtssicherheit – über ein Gerade in Zeiten, in denen anderswo nationale Allein- ähnliches Thema haben wir heute Morgen diskutiert –, gänge offensichtlich wieder in Mode kommen, ist es mir und zwar für beide Seiten, dass ein vernünftiges Produkt zum Ende der Rede ein besonderes Anliegen, zu betonen: empfohlen wird . Das gibt den Menschen auch das sichere Wir brauchen mehr Zusammenarbeit in Europa, auch im Gefühl, dass ihnen nichts, wie man im Norden bei uns so Finanzbereich . Die europäische Harmonisierung macht schön sagt, „angeschnackt“ wurde . die Finanzmärkte transparenter und robuster gegen Kri- Ein anderes Thema ist die Honorarberatung; Kollege (B) sen und stärkt den Anlegerschutz . Diesen Weg werden Petry hat es angesprochen . Es geht zum einen darum, für (D) wir als CDU/CSU weitergehen . Transparenz zu sorgen, damit alle wissen, was auf sie zu- Vielen Dank . kommt, wenn sie eine provisionsbasierte Beratung in An- spruch nehmen . Es ist ja mitnichten so, dass sie kostenlos (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- ist – hoffentlich ist sie nicht umsonst –; denn der Kunde ordneten der SPD) erhält ja auch etwas im Gegenzug . Das muss klar sein, sonst hat die Honorarberatung keine Chance . Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: Der Begriff „Honorarberatung“ an sich ist übrigens Sarah Ryglewski hat als nächste Rednerin für die schon ein Problem – hier geht es um sprachliche Begriff- SPD-Fraktion das Wort . lichkeiten –; denn es wird unterstellt, dass die Beratung (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) etwas kostet, andere aber nicht . (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Genau!) (SPD): Sarah Ryglewski Deswegen setzen wir uns stark dafür ein, dass wir die Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Beratung genau so benennen: Es handelt sich um eine Herren! Liebe Gäste, die sich heute auch diesem etwas unabhängige Honorar-Anlageberatung . sperrigeren Thema annähern! Es ist schon viel zu diesem Gesetz gesagt worden . Weil ich nicht so viel Redezeit (Beifall bei der SPD) habe, will ich mich auf einen Aspekt beschränken . Uns geht es darum, dass die Menschen am Ende das Dass wir letzte Woche über den Antrag zum Fi- bekommen, was sie haben wollen, dass sie das Gefühl nanz-TÜV gesprochen haben und die vielen Gesetze zu haben, sie können ruhigen Gewissens eine Beratung diesem Thema, die wir beraten haben, machen deutlich, in einem Bereich in Anspruch nehmen, in dem sie sich wie sehr wir uns dieses Themas annehmen . Ein Kern der nicht auskennen, dass sie gut beraten werden und dass Diskussionen, die wir hier geführt haben, war, dass wir sie mit einem Produkt nach Hause gehen, das sie brau- insbesondere den Kleinanleger und den Verbraucher in chen . Genau das wollen wir . Ich glaube, wenn man sich den Mittelpunkt stellen . Frau Karawanskij, den Begriff darauf konzentriert – es wurde bereits an einigen Stellen „mündiger Verbraucher“ werfen viele Leute immer gern Einigkeit signalisiert –, dann haben wir tatsächlich nicht in den Raum; aber mittlerweile ist der gängige Begriff, nur einen guten Gesetzentwurf besser gemacht, sondern der auch von den meisten hier im Raum benutzt wird, der wir haben auch noch etwas für den Bereich Verbraucher- des „verletzlichen Verbrauchers“ . Das heißt nicht, dass schutz getan . 21578 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Sarah Ryglewski (A) Vielen Dank . Menschen etwas zu tun . Es ist ihre Aufgabe, dafür zu sor- (C) gen, dass die Menschen Obdach haben . (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Sie von den Grünen schlagen vor, per Gesetz festzu- legen, dass eine bundesweite Statistik erstellt wird . Ich Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn: stimme Ihnen insofern zu, als wir dringend mehr über Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die das Phänomen Wohnungslosigkeit in Deutschland wis- Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt . sen müssen . Allerdings überzeugt mich das Vorgehen Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- der Bundesregierung mehr . Es ist sehr plausibel, in ei- wurfs auf Drucksache 18/10936 an die in der Tagesord- nem Bereich, wo die Länder zuständig sind, zunächst nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es eine Machbarkeitsstudie über dieses komplexe Thema in dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Auftrag zu geben, zu eruieren, wie man die Wohnungs- Dann ist die Überweisung so beschlossen . losigkeit einheitlich schätzen kann; denn wir können ja nicht zählen, vielmehr muss man schätzen . Man muss Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf: jedoch mit den Ländern im Vorfeld darüber ins Gespräch Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- zu kommen, wir müssen das einheitlich tun, die Länder richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales müssen mitgenommen werden, und wir müssen dafür (11 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- sorgen, dass wir gute Statistiken über Wohnungslosig- ten Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn, Christian keit bekommen . Ich danke der Bundesregierung für die Kühn (Tübingen), Corinna Rüffer, weiterer Ab- Initiative, die auch deutlich macht, wie wichtig ihr das geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Thema ist . GRÜNEN (Beifall bei der SPD) Wohnungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Die Bundesregierung erfasst die Wohnungslosigkeit Bundesweite Statistik einführen nicht nur statistisch, sondern tut eine ganze Menge dage- Drucksachen 18/7547, 18/11000 gen . Das ist auch geboten; denn wir haben es einerseits mit Migrationsbewegungen zu tun, die sicherlich auch Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für dazu beitragen, dass wir einen Anstieg der Wohnungslo- die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu sigkeit in Deutschland sehen . Anderseits haben aber vor Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so allen Dingen das Phänomen der Wohnungsverknappung beschlossen . sowie die Zunahme der Bevölkerung in den Städten und der mangelnde soziale Wohnungsbau in den letzten Jahr- (B) Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin hat zehnten (D) Daniela Kolbe für die SPD-Fraktion das Wort . (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE (Beifall bei der SPD) LINKE]: Die niedrigen Löhne!) dazu geführt, dass wir alle miteinander spüren, dass hier Daniela Kolbe (SPD): ein größeres Problem auf uns zukommt . Deswegen ist Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol- es so richtig und so gut, dass diese Bundesregierung den legen! Wenn ich morgens von meinem Wahlkreis hierher sozialen Wohnungsbau endlich wieder auf die Agenda fahre, laufe ich durch zwei Bahnhöfe . Es ist mir in den gesetzt hat, obwohl das Ländersache ist . letzten kalten Tagen immer so gegangen, dass ich an min- destens einer schlafenden Person, an einem Obdachlosen Wir geben 2017 1,5 Milliarden Euro für den sozia- vorbeigelaufen bin, und mir macht das ein mulmiges Ge- len Wohnungsbau aus . In der ersten Lesung, die wir im fühl . Ich muss sagen: Ich schäme mich auch ein bisschen, Januar des vergangenen Jahres zu diesem Antrag hatten, dass so etwas in einem so reichen Land wie Deutschland war es noch 1 Milliarde Euro . Insgesamt haben sich die möglich ist . Deswegen danke ich den Grünen, dass sie Mittel für den sozialen Wohnungsbau verdreifacht . Das das Thema auf die Tagesordnung setzen und damit un- ist der richtige Schritt, und wir müssen auf diesem Weg ter anderem auf die mindestens 39 000 Menschen, die in weitergehen; denn sozialer Wohnungsbau verhindert Deutschland ganz ohne Obdach sind, also auf der Straße Wohnungslosigkeit . leben – so zumindest die Zahlen der BAG Wohnungslo- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten senhilfe aus 2014 –, aufmerksam machen . der CDU/CSU) Wenn wir über Wohnungslosigkeit sprechen, dann Darum geht es: Wohnungslosigkeit zu verhindern . Es sprechen wir nicht nur über diese 39 000 Menschen, son- geht um Prävention . dern wir reden über 335 000 Menschen – wahrscheinlich sind es mehr –, die keine eigene Wohnung haben, das Wir haben auch an anderen Stellen etwas getan; ich heißt, in Notunterkünften oder in Sammelunterkünften mache es einmal an zwei Beispielen fest – ich könnte leben, sich von Couch zu Couch retten, in billigen Hotels weitere bringen –: Wir haben etwas für die junge Frau leben oder, wenn wir es weiter fassen, beispielsweise von getan, die ich in der letzten Legislaturperiode kennenge- Zwangsräumung bedroht sind . Es ist also ein sehr kom- lernt habe, die gerade ihre Ausbildung begonnen hatte, plexer Begriff, über den wir sprechen . Gleichzeitig stel- eine sehr niedrige Ausbildungsvergütung bekam und aus len wir fest: Für den gesamten Bereich sind die Länder dem SGB-II-Bezug fiel. Sie war, als ich sie kennenlernte, zuständig. Die Kommunen sind in der Pflicht, für diese „von Couch zu Couch“ bei Freunden untergekommen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21579

Daniela Kolbe (A) Mit dem SGB-II-Änderungsgesetz – es ist ja vielfach Vielen Dank . (C) kritisiert worden, und viele Maßnahmen sind nicht wahr- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genommen worden – haben wir diese Lücke weitgehend der CDU/CSU) geschlossen . Man kann nun, wenn man eine Ausbildung aufnimmt, durchaus weiter ergänzend im SGB-II-Bezug bleiben . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank .– Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Kollegin Sabine Zimmermann das Wort . Auch damit verhindern wir Wohnungslosigkeit . (Beifall bei der LINKEN) Ich erinnere mich noch gut an die Medienberichte über Obdachlose rings um die großen Fleischfabriken Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE): unseres Landes, wo Werkvertragsarbeitnehmer aus dem Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Ausland der Willkür, der Ausbeutung durch die Arbeit- Kollegen! Es geht uns gut, sagt die Kanzlerin. Die offizi- geber ausgesetzt waren und zum Teil auch einfach vor elle Zahl der Erwerbslosen ist laut Statistik so niedrig wie die Tür gesetzt wurden und in den Wäldern rings um die lange nicht, die Wirtschaft brummt, der Laden läuft – das Fabrik lebten, also ohne Obdach waren . sagen Sie ja immer . Herr Schiewerling vor allen Dingen sagt immer: Es geht uns gut . Ich wollte Sie schon immer Wir haben in dieser Regierung den Mindestlohn ein- mal fragen, Herr Schiewerling: Wen meinen Sie, wenn geführt – auch in der genannten Branche, die nur mit Sie sagen: „Es geht uns gut“? Wer ist mit „uns“ gemeint, Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht hat – wenn doch die Armut breiter Bevölkerungsschichten im- und Werkverträge und Leiharbeit reguliert . Aber ich sage mer mehr zunimmt? auch: Im Bereich der Fleischindustrie ist bei weitem nicht alles gut . Was wir von den Gewerkschaftsvertretern Die steigende Zahl wohnungsloser Menschen doku- hören, ist, dass der Mindestlohn dort unterlaufen wird mentiert das Versagen der Bundesregierung bei der Ar- und weiterhin Werkvertragsunternehmen ihr Schindluder mutsbekämpfung . treiben und Menschen ausbeuten . Deswegen sage ich: (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Wir haben einen richtigen Schritt getan, werden dort aber Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- weiter hingucken und dafür sorgen, dass Ausbeutung in NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deutschland nicht stattfindet. Die Kinderarmut nimmt zu, die Altersarmut nimmt zu, (Beifall bei der SPD) und, ja, auch unter Erwerbstätigen nimmt die Zahl der (B) Armen zu . Der Mindestlohn schützt einfach nicht vor Ar- (D) Vieles mehr wäre zu nennen . Wir haben das Wohngeld mut, weil er zu niedrig ist . reformiert . Wir können mit dem Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen – EHAP – (Beifall bei der LINKEN) in Deutschland etwas für von Wohnungslosigkeit betrof- Die Zahl der wohnungslosen Menschen ist in den letzten fene Menschen tun . Jahren deutlich angestiegen, von 248 000 im Jahr 2010 Die Bundesregierung hat das Thema Wohnungslosig- auf 335 000 in 2014 . Darunter waren 29 000 Kinder, Ten- keit zum Schwerpunkt des gerade vorgelegten Berichts denz steigend . über die Lage der Menschen mit Beeinträchtigungen ge- Für die Bundesregierung existiert das Problem Woh- macht . Es ist klar – auch wenn dieses Thema nicht in der nungslosigkeit offiziell nicht, da sie keine Zahlen erhebt, breiten Öffentlichkeit diskutiert wird –: Die Bundesre- frei nach dem Motto „Was ich nicht weiß, macht mich gierung hat es im Blick . Aber wir müssen besser werden . nicht heiß“ . Die eben genannten Angaben haben wir Ein Beispiel: Wir haben 120 Fachstellen zur Ver- von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhil- hinderung von Wohnungsverlust, die nach SGB II und fe . Zudem kann man der Antwort auf meine Frage ent- SGB XII finanziert werden. Sie sind aber extrem un- nehmen – ich zitiere –, dass Wohnungslosigkeit vielfach gleich verteilt und extrem unterschiedlich aufgestellt . Ich nicht in fehlendem Wohnraum begründet sei, sondern denke, es lohnt sich, auch von der Bundesebene aus da- in der Regel soziale und psychische Ursachen habe und rauf zu achten, dass wir in dem Bereich noch besser wer- einhergehe mit familiären Schwierigkeiten, Suchtproble- den . Darüber und über andere Aspekte müssen wir spre- men oder Krankheiten. Ich finde, das schlägt dem Fass chen . Ich unterstütze ausdrücklich die Bundesregierung den Boden aus; denn das bedient die Vorurteile gegen- in ihrem Ansatz, zu einer besseren Statistik zu kommen . über wohnungslosen Menschen, nach dem Motto „Selbst schuld!“, und das kann einfach nicht sein . Ich stelle fest – das sage ich an die Adresse der An- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- tragstellerin –: Auch wenn wir den Antrag heute ableh- neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nen, sind wir alle hier im Haus uns einig – hoffentlich –, dass es unser Ziel ist, dass alle Menschen ebenso wie wir In der Mehrzahl der Fälle ist die Kombination aus abends in eine Wohnung kommen, die Tür zumachen und immer weniger bezahlbaren Wohnungen und einer ver- sagen können: Meine Wohnung, hier fühle ich mich si- festigten und steigenden Einkommensarmut breiter Be- cher, hier fühle ich mich aufgehoben .– Dieses Ziel ist völkerungsschichten der Grund . Das ist der Unterschied noch längst nicht erreicht, aber es lohnt sich, dafür zu zwischen uns beiden, Kollegin Kolbe . Ich sage, dass die streiten . Löhne mit daran schuld sind, weil sie so niedrig sind, 21580 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Sabine Zimmermann (Zwickau) (A) dass sich einige Menschen keine Wohnung leisten kön- fordern, dass eine bundesweite Statistik eingeführt wer- (C) nen . Die Menschen haben immer weniger Geld in der Ta- den soll, um auf der Basis der erhobenen Daten Woh- sche, und das ist Folge Ihrer Politik in den letzten Jahren . nungslosigkeit wirkungsvoll entgegenzuwirken . Das ist Ihre zweite Vorlage in dieser Legislaturperiode zu die- (Beifall bei der LINKEN) sem Thema . Zu Jahresanfang habe ich die Bundesregierung ge- (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- fragt, welche Kenntnisse ihr zu erfrorenen wohnungslo- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die zweite sen Menschen zur Verfügung stehen . – Keine Kenntnisse . Lesung!) Sie weiß natürlich von nichts . Die Bundesarbeitsgemein- schaft hat auch hierzu eine Dokumentation erstellt: Seit 2015 haben Sie eine Kleine Anfrage dazu gestellt . 1991 sind mindestens 289 wohnungslose Menschen in Das Bundesstatistikmodell ist ja schon seit Jahrzehn- Deutschland an Unterkühlung verstorben . „Sie erfroren ten in der politischen Diskussion . Aber wir wissen – das im Freien, unter Brücken, auf Parkbänken, in Hausein- haben auch die Vorredner gesagt –: Die Zuständigkeit gängen, in Abrisshäusern, in scheinbar sicheren Garten- sowohl für die Betreuung und Unterbringung von Woh- lauben und in sonstigen Unterständen“, so die BAG W . nungslosen als auch für die Wohnraumförderung und Gestern hat die BAG W den ersten Kältetod im Jahr 2017 damit den sozialen Wohnungsbau liegt bei den Ländern . bestätigt: ein 53-jähriger wohnungsloser Mann im Land- Dies wurde 2006 im Rahmen der Föderalismusreform kreis Gießen . Zehn weitere Fälle werden im Moment ge- einvernehmlich zwischen Bund und Ländern vereinbart . prüft . Es ist ein Skandal, dass in Deutschland Menschen Das hatte auch einen Grund: Wir haben in den Regionen erfrieren! in Deutschland sehr unterschiedliche Wohnraumbedarfe . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Zurzeit fehlt es in den Städten, gerade in den Großstäd- NIS 90/DIE GRÜNEN) ten, an Wohnraum, während im ländlichen Raum viele Wohnungen leer stehen . Auch wenn die Bundesregierung formal nicht zuständig ist, entlässt sie dies nicht aus der Verantwortung, Kälte- Der Bund entzieht sich hier ja auch nicht der Verant- tote in Deutschland zu verhindern . wortung, sondern wir unterstützen die Länder jährlich mit bislang 520 Millionen Euro . Dies ist jetzt auf über Die Wohnungslosigkeit muss endlich bekämpft wer- 1 Milliarde Euro jährlich für den sozialen Wohnungsbau den, und wir müssen endlich eine Statistik etablieren . aufgestockt worden . Wir sind uns einig: Das ist richtig, Deshalb unterstützen wir den Antrag der Grünen . und das ist auch gut . (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . NIS 90/DIE GRÜNEN) (B) Daniela Kolbe [SPD]) (D) Der Bund kann sich hier nicht einfach wegducken . Wir Wenn wir über das Thema Wohnungslosigkeit reden, brauchen mehr sozialen Wohnungsbau, eine Stärkung dann vermischen wir manchmal – das habe ich gerade der Wohnungslosenhilfe, und – damit komme ich zum bei meinen Vorrednern gehört – Wohnungslosigkeit und Schluss – wir brauchen mehr gute und existenzsichernde Obdachlosigkeit . Unter „Wohnungslosen“ verstehen wir Arbeit, wir brauchen einen Mindestlohn von mindestens Menschen, die ohne einen Mietvertrag sind . Das können 12 Euro, Menschen sein, die in einer Notunterkunft sind . Das kön- (Beifall bei der LINKEN) nen Menschen sein, die in einer Heimeinrichtung oder in Frauenhäusern sind . Ja, es sind auch Menschen, die wir brauchen armutsfeste Renten und soziale Sicherungs- vorübergehend bei Freunden und Bekannten unterkom- systeme, die vor Armut schützen . men . Bei Obdachlosigkeit sprechen wir über ein weites Danke schön . eigenes Feld und auch über eine ganz besondere Perso- nengruppe, die einen anderen Hilfebedarf hat . (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (Karl Schiewerling [CDU/CSU]: So ist es!) NIS 90/DIE GRÜNEN]) Deshalb, denke ich, ist es richtig – da sind wir ganz bei Ihnen, liebe Kollegen von den Grünen; da sind wir einer Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Meinung –, dass wir eine solide Datenbasis brauchen . Vielen Dank . – Jetzt hat Christel Voßbeck-Kayser für (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ die CDU/CSU-Fraktion das Wort . DIE GRÜNEN]: Genau!) (Beifall bei der CDU/CSU) Wie kommen wir zu diesen soliden Daten? Ein Statis- tikmodell steht ja grundsätzlich vor der Frage der Ver- Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU): gleichbarkeit und der regionalen Anwendbarkeit . Sie Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und geben mir sicher recht, wenn ich sage, dass diese Daten Kollegen! Ja, wir haben heute Abend die Gelegenheit, am besten vor Ort, dort, wo sich die Menschen aufhalten, über ein wichtiges sozialpolitisches Thema zu diskutie- erhoben und ausgewertet werden sollen . Deshalb ist die ren, nämlich über die Wohnungslosigkeit . Auch für uns Schlussfolgerung des Bundesministeriums für Arbeit und als CDU/CSU-Fraktion ist es ein zentrales Anliegen, Soziales in dem aktuellen Armuts- und Reichtumsbericht dass allen Menschen in unserem Land Wohnraum zur richtig, nämlich zu sagen: Wir brauchen erst einmal Län- Verfügung steht . Kollegen der Fraktion der Grünen, Sie derstatistiken . Die Länder müssen mit einheitlichen Pa- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21581

Christel Voßbeck-Kayser (A) rametern die Daten erheben . Diese werten wir dann aus, bei Jugendlichen . Das hat etwas damit zu tun, dass bei (C) um hinsichtlich des Themas Wohnungslosigkeit Schlüsse uns Wohnraum knapper wird, dass Menschen hinaussa- ziehen zu können . niert werden, dass Menschen von Räumung bedroht sind, dass wir zu wenig in den sozialen Wohnungsbau inves- Es gibt kaum Bundesländer, die solch eine Ländersta- tieren . Pro Jahr beträgt das Minus an Sozialwohnungen tistik erheben . Mein Bundesland, Nordrhein-Westfalen, weiterhin 60 000, trotz großer Anstrengungen . Das kann führt eine solche Statistik, aber auch dort werden ledig- uns doch einfach nicht kaltlassen . Dass wir als Deutscher lich zwei Gruppen erfasst, nämlich zum einen die Perso- Bundestag es in dieser Legislaturperiode nicht auf die nen, die, wie ich eben ausgeführt habe, in Einrichtungen Reihe bekommen haben, die Erstellung einer Statistik zu untergebracht sind, und zum anderen Personen, die Kon- beschließen, halte ich für ein Drama . takt zu Fachberatungsstellen der Wohnungslosenhilfe hatten . Da nur wenige Bundesländer eine solche Statistik (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben, finde ich es gut, dass das Bundesarbeitsministeri- und bei der LINKEN) um jetzt ein Gespräch zwischen Bund und Ländern ini- tiieren, anstoßen will, in dem einheitliche Parameter in Was heißt denn Obdachlosigkeit? Obdachlosigkeit allen Bundesländern vereinbart werden sollen . heißt doch, dass ein Mensch keinen Schutzraum hat, dass er keine Privatsphäre hat, dass er keinen Rückzugsraum Ich glaube, dass wir, wenn wir diese soliden Daten hat, dass er eben kein Zuhause hat, wo er hingehen kann . haben, zielgenaue Maßnahmen für die von Wohnungs- Obdachlosigkeit bedeutet, dass Menschen auf Parkbän- losigkeit betroffenen Personengruppen in Deutschland ken schlafen, in U-Bahnhöfen, in S-Bahnhöfen, dass sie beschließen und auf den Weg bringen können . vom Flaschensammeln leben und die Missachtung der Deshalb lehnen wir Ihren Antrag heute ab . Gesellschaft erfahren . Wir haben in diesem und im letz- ten Jahr Mordanschläge auf Menschen, die in Obdachlo- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- sigkeit leben, erleben müssen . Das ist ein Skandal, und ordneten der SPD) deswegen müssen wir zeigen: Uns geht dieses Problem etwas an . Deswegen müssen wir Daten erheben, um dann Vizepräsidentin Ulla Schmidt: auch handeln zu können . Danke schön .– Jetzt hat Christian Kühn, Bündnis 90/ Die Grünen, das Wort . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE Es freut mich ja sehr, dass jetzt eine Machbarkeitsstu- GRÜNEN): die auf den Weg gebracht worden ist . Es gab auch schon (B) (D) Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- einmal eine Machbarkeitsstudie; nur ist daraus kein Han- ginnen und Kollegen! Kaum 150 Meter von hier, am deln entstanden . Es freut mich ebenso sehr, dass auch die Spree ­ufer, befindet sich ein Camp von Menschen, die ob- Union dieses Problem erkennt . Aber ich sage Ihnen ei- dachlos sind . Sie haben da ihre Bücher hingebracht, ihre nes: Eine Machbarkeitsstudie reicht nicht aus . Wir müs- Zeltplanen, ihre Schlafsäcke, und sie kampieren dort, sen die Zahlen erheben, damit wir handeln können, damit bei minus 3 Grad in der letzten Nacht . Wir haben den wir Notfallprogramme auf den Weg bringen und damit kältesten Januar seit 2010, und ich meine, wir müssen wir endlich auch die Länder unter Druck setzen können, heute von hier, vom Deutschen Bundestag, doch das Si- sodass die Länder eine Statistik erheben . Hierfür muss gnal aussenden, dass uns dieser Widerspruch – hier das der Bund die Parameter vorgeben . Parlament und dort die Obdachlosen, kaum 150 Meter entfernt – nicht egal ist . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN) Beim Thema Wohnen ist es ja immer das Schwarze-Pe- Einige Vorredner haben es ja gesagt: Seit 2010 sind ter-Spiel: Die Länder sind dafür zuständig, der Bund ist die Zahlen der Menschen, die obdachlos sind, die von dafür nicht zuständig, also sind wir hier als Bund fein Wohnungslosigkeit bedroht oder wohnungslos sind, raus. Ich kann das nicht ertragen, und ich empfinde es so, deutlich gestiegen. Das wissen wir nicht aufgrund offizi- dass auch die Kolleginnen, die hier gesprochen haben, es eller Zahlen, sondern das wissen wir, weil die BAG Woh- nicht ertragen können . Frau Kolbe hat es ja gesagt: Die nungslosenhilfe hierzu die Statistik erhebt, und diese Bundesregierung hat einiges auf den Weg gebracht, nur Statistik ist zu erheben. Es braucht endlich eine offizielle leider keine Statistik . Statistik, damit wir hier gemeinsam handeln können und (Daniela Kolbe [SPD]: Was ist mit Ba- damit auch die Bundesländer handeln können . Deswegen den-Württemberg?) müssen wir endlich eine Wohnungslosenstatistik auf den Weg bringen . Es geht; die BAG macht es . Wenn man etwas in diesem Themenfeld macht, dann (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- kann man auch eine Statistik auf den Weg bringen . NEN sowie der Abg . Sabine Zimmermann Frau Voßbeck-Kayser sprach davon, dass die Mittel [Zwickau] [DIE LINKE]) für den sozialen Wohnungsbau aufgestockt wurden . Auch Die Dramatik nimmt ja zu . Sie nimmt nicht nur bei wenn wir nicht dafür zuständig sind, haben wir die Mittel Männern zu, sondern sie nimmt bei Frauen zu, ebenso dennoch aufgestockt; also können wir auch eine Statistik 21582 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Christian Kühn (Tübingen) (A) machen . – Die Logik der Großen Koalition leuchtet mir Ich habe in den letzten Jahren die Kältehilfe bei mir (C) an dieser Stelle überhaupt nicht ein . am Bahnhofsplatz besucht, ich war bei der Bahnhofs- mission am Zoologischen Garten in Berlin, und ich habe (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Einrichtung von MUT besucht, dem Träger, der sich und bei der LINKEN) um Obdachlose und deren Zahnhygiene kümmert . Wenn Auf Ihre Frage, die Sie gerade zu Baden-Württem- man sieht, wie viele Träger in diesem Bereich tätig sind, berg eingeworfen haben, Frau Kolbe: Baden-Württem- auch hier in Berlin, dann können wir auf der einen Seite berg wird auch eine Wohnungslosenstatistik auf den Weg stolz auf das sein, was geleistet wird . Auf der anderen bringen, und das haben wir Grünen bei den Koalitions- Seite müssen wir aber feststellen, dass sich dieses Thema verhandlungen eingebracht . Ich bin sehr froh darüber, nicht dafür eignet, parteipolitische Kontroversen auszu- dass der Koalitionspartner Union dies mit auf den Weg tragen oder es zu nutzen, um es mit anderen Debatten zu bringt und dass damit auch aus den Bundesländern Druck vermischen . kommt . Aber auch hier in diesem Parlament brauchen Herr Birkwald, Sie und mich verbindet, dass wir beide wir endlich einen Beschluss für eine Statistik, damit wir in der Senatsverwaltung für Soziales in Berlin gearbei- endlich handeln können . tet haben, sogar in sehr ähnlicher Funktion; wir waren beide in Leitungsfunktionen . Gerade dieses Thema war Wir beraten dies jetzt seit einem Jahr, und es ist ja in Berlin nie Gegenstand einer parteipolitischen Diskus- nicht so, dass wir einen zweiten Antrag eingebracht hät- sion, sondern es ging immer darum, den Betroffenen zu ten . Vielmehr haben wir Ihnen ein Jahr Zeit gelassen, da- helfen . Den Betroffenen hilft man eben nicht, indem man mit Sie richtig handeln und damit diese Bundesregierung hier vorne große Reden hält, sondern indem man sich etwas auf den Weg bringt . Ich kann nur erkennen, dass es ganz individuell ihrer Probleme annimmt . Lippenbekenntnisse gibt, aber kein Handeln . Das halte ich für einen Skandal . Wir Grünen werden weiter dran- (Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE bleiben und bei dieser Frage nicht lockerlassen; denn wir LINKE]: Ja, dann machen Sie doch! Machen dürfen die Menschen in der Kälte nicht alleinlassen . Sie mal!) Danke schön . Wenn wir uns mit den Betroffenen unterhalten – das wissen auch Sie, Herr Birkwald, aus Ihren eigenen Erfah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rungen; viele Kollegen über alle Fraktionsgrenzen hin- und bei der LINKEN) weg waren ja in solchen Einrichtungen –, stellen wir fest: Es handelt sich oft um individuelle Probleme, um unter- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: schiedliche Lebenslagen, um Situationen, in denen eins (B) zum anderen gekommen ist, was dazu geführt hat, dass (D) Vielen Dank .– Dr .Martin Pätzold ist der nächste Red- sie den Weg aus den Augen verloren haben und der eine ner für die CDU/CSU-Fraktion . oder andere in der Konsequenz seine eigene Wohnung (Beifall bei der CDU/CSU) verloren hat . Das hat etwas mit Trennung, Scheidung, Schicksalsschlägen und vielen anderen Ereignissen zu tun, mit Ereignissen jedenfalls, mit denen man persönlich Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): nur schwer umgehen kann . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist ein hochemotionales, sensibles The- Jetzt müssen wir uns fragen, wie wir diesen Men- ma, über das wir heute hier im Deutschen Bundestag dis- schen, ohne das parteipolitisch zu transportieren, wirk- kutieren . Es ist auch ein sehr aktuelles Thema, weil wir lich vernünftig helfen können . Ich will ganz offen sagen: in den politischen Debatten immer wieder darüber disku- Ich hege durchaus Sympathie dafür, eine bundesweite tieren: Was tun wir für die Einheimischen, die obdachlos Statistik einzuführen . sind, und was tun wir für diejenigen, die neu in unser (Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Land gekommen sind? DIE GRÜNEN]: Das finden wir gut!) Dieses Thema berührt einen selbst, wenn man immer Ich habe aber auch die Argumente zur Kenntnis genom- wieder Erfahrungen gesammelt hat und in Einrichtungen men, die vom Bundesministerium vorgetragen wurden war, wo Menschen sind, die keine eigene Wohnung mehr und mit denen deutlich gemacht worden ist, warum jetzt haben, die obdachlos sind . Wenn man diese Einrichtun- die Schritte in Richtung auf die Machbarkeitsstudie ein- gen besucht und mit denen, die direkt betroffen sind, ins geleitet werden . Gespräch kommt, dann sieht man, dass es einfache poli- tische Antworten für ihre Problemstellungen nicht gibt . (Dr .W olfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Antrag hat also Wir haben die Zahlen gehört: 335 000 Menschen in schon gewirkt!) Deutschland haben keine eigene Wohnung; 39 000 von Es gibt Probleme, weil diese Personen nicht so leicht zu ihnen gelten als obdachlos . Die Zahl derer, die keine ei- erfassen sind, da sie sehr mobil sind und oft von Ort zu gene Wohnung haben, steigt bis 2018 wahrscheinlich bis Ort ziehen . Es sind Personen mit anderen Lebenswegen, auf 500 000 . Auch die Zahl derer, die dann obdachlos die auch unterschiedliche persönliche Wege gehen . sein werden, wird wahrscheinlich steigen . Das macht betroffen; das will ich an dieser Stelle für die CDU/ Den vorliegenden Antrag lehnen wir heute ab . Wir ha- CSU-Fraktion ganz deutlich sagen . ben das Ziel, in diesem Bereich, auch was die Statistik Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21583

Dr. Martin Pätzold (A) betrifft, durch die Länder voranzukommen. Ich finde es Schnell waren sich die Tarifvertragsparteien nach dem (C) aber gut und wichtig, dass wir als Deutscher Bundestag Zweiten Weltkrieg einig, dass sie entsprechende Rege- das Zeichen setzen, dass wir uns intensiv um diejenigen lungen in Eigenregie festlegen wollten . Die Verhand- kümmern, die in Deutschland eine Wohnung suchen . lungen zwischen den zuständigen Arbeitgeberverbänden Dazu gehört zum Teil der soziale Wohnungsbau – das ist und der Interessenvertretung der Beschäftigten führten richtig –, aber eben nicht nur, sondern wir müssen uns zur Gründung der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse so- den Themen der Menschen individuell nähern und ihnen wie der Zusatzversorgungskasse . so helfen . Das wollen wir als CDU/CSU-Fraktion in Zu- kunft weiterhin tun . Diese Einrichtungen bringen den Beschäftigten im Bauhauptgewerbe seit Jahrzehnten verlässliche Leistun- Vielen Dank . gen bei Urlaub oder Berufsbildung und gewähren beson- dere Versorgungsleistungen, zum Beispiel die Rentenbei- (Beifall bei der CDU/CSU) hilfe . Damit wird ein wichtiger Beitrag zur Vermeidung von Altersarmut geleistet; denn Bauarbeiter erhalten Vizepräsidentin Ulla Schmidt: nicht selten eine staatliche Rente, die nur knapp über der Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra- Grundsicherung liegt . che angelangt . (Zuruf des Abg . Dr .W olfgang Strengmann- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Der Aufbau einer betrieblichen Altersversorgung ist in- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Woh- folge häufiger Arbeitgeberwechsel erschwert. Die Zu- nungslosigkeit wirkungsvoll angehen – Bundesweite satzversorgungskasse schafft einen Ausgleich für diese Statistik einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- Nachteile, sie legt noch einmal etwas obendrauf . ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11000, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Drucksache 18/7547 abzulehnen . Wer stimmt für diese der CDU/CSU) Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Eine andere Besonderheit der Baubranche sind die Ar- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen beitsausfälle im Winter . Damit Bauarbeiter in Schlecht- der Opposition angenommen . wetterzeiten nicht ohne jeden Schutz dastehen, organi- siert die Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft für die Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf: Agentur für Arbeit den Beitragseinzug im Rahmen der Winterbauförderung . (B) Zweite und dritte Beratung des von den Frak- (D) tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Im Urlaubskassenverfahren werden Urlaubsansprüche Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der So­ der Bauarbeitnehmer gesichert . Das Baugewerbe ist von zialkassenverfahren im Baugewerbe (Sozial­ unterjähriger Beschäftigung und sehr häufigem Arbeitge- kassenverfahrensicherungsgesetz – SoKaSiG) berwechsel geprägt . Wie soll denn ein Urlaubsanspruch Drucksache 18/10631 organisiert werden, wenn ein Beschäftigter häufige Ar- beitsplatzwechsel hat? Bei welchem Arbeitgeber nimmt Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- er seinen Urlaub, und wer zahlt für die Urlaubszeit den ses für Arbeit und Soziales (11 .Ausschuss) Lohn eines Bauarbeitnehmers aus? Dafür ist das Ur- laubskassenverfahren da, das die Beschäftigten unter- Drucksache 18/11001 stützt, und die Erholung ist gerade bei den körperlich Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für herausfordernden Tätigkeiten im Bauhauptgewerbe von die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei- sehr großer Bedeutung . nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Die Sozialkassenverfahren sichern außerdem eine Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege qualitativ hochwertige überbetriebliche Berufsausbil- Bernd Rützel, SPD-Fraktion . dung, und auch dank überbetrieblicher Ausbildungszen­ tren, die die jungen Menschen besuchen können, erhalten (Beifall bei der SPD) die Auszubildenden notwendige grundlegende Qualifika- tionen auf einem sehr hohen und einheitlichen Niveau . Bernd Rützel (SPD): Davon profitieren wir direkt. Wenn wir uns- um Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen! schauen, dass Bauwerke auf modernstem Stand entste- Sehr geehrte Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hen, dann sehen wir ein: Dahinter steht unheimlich viel Die Sozialkassen haben eine sehr lange Tradition . Ihre Fachwissen und Know-how der Menschen, die so etwas Ursprünge finden sich in der Weimarer Republik, und schaffen . Darüber bin ich sehr froh . kurz nach dem Zweiten Weltkrieg zeichnete sich ab, dass für die typischen Anforderungen der Bauwirtschaft Diese Leistungen sind sehr wichtige soziale Errungen- dringend eine Lösung gefunden werden musste . Diese schaften, die es schon seit Jahrzehnten gibt, und wir sind typischen Anforderungen waren: kurze Beschäftigungs- heute hier, weil es darum geht, diese Errungenschaften zeiten, regelmäßige Ausfälle in den Wintermonaten; es zu sichern . Sie müssen für alle Betriebe im Bauhauptge- fehlt eine feste Produktionsstätte, und die körperliche werbe gelten, auch und gerade für die tarifungebunde- Belastung auf dem Bau ist sehr hoch . nen . Der Schutz dieser Beschäftigten ist genauso wichtig . 21584 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Bernd Rützel (A) Dank der Allgemeinverbindlicherklärung, die wir noch verlässig ihre Zusatzrenten von den Sozialkassen Bau (C) einmal gestärkt haben, profitieren bis zu 700 000 Bauar- erhalten; denn – und das sage ich hier als rentenpoliti- beitnehmer, 35 000 Auszubildende und 370 000 Rentner, scher Sprecher der Linksfraktion – die Zusatzrente der insgesamt also über 1 Million Menschen, von den Leis- SOKA-BAU gewährt den Bauleuten seit fast 60 Jahren tungen der Sozialkassen . eine zu 100 Prozent von den Arbeitgebern finanzierte Betriebsrente . Das ist gut, und das soll auch so bleiben . Auch das Bundesarbeitsgericht, dessen Urteil der Aus- löser dafür ist, dass wir heute hier stehen, stellt in seinen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- jüngsten Urteilen das öffentliche Interesse an den Sozial- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE kassenverfahren nicht in Abrede . Deswegen können und GRÜNEN) wollen wir es nicht zulassen, dass diesem sehr wichti- gen Instrument, auf dessen Grundlage Deutschland gut Die SOKA-BAU übernimmt für 35 000 Auszubildende aufgebaut wurde, aus formalen Gründen nachträglich der die Ausbildungskosten und sichert die Urlaubsansprüche Boden entzogen wird . In unserer Anhörung am Montag der gewerblich tätigen Kolleginnen und Kollegen . Im In- ist ganz deutlich bestätigt worden, dass das nicht nur ver- teresse der Beschäftigten sollten wir alle diese gute Ar- fassungsrechtlich in Ordnung, sondern geradezu geboten beit weiter unterstützen . ist . Ich nenne hier nur unseren Sachverständigen Profes- sor Preis, der ausgeführt hat, dass der Gesetzgeber eine (Beifall bei der LINKEN) Schutzpflicht hat, dass die wichtigen Ansprüche der von Damit die Kollegen auf dem Bau wieder ruhig schla- mir angesprochenen Urlaubskassen, der Altersversor- fen können und damit dieser hohe und vorbildliche so- gung und der Ausbildungsfinanzierung geschützt werden ziale Standard im Baugewerbe auch in den nächsten müssen . 60 Jahren erhalten bleiben kann, müssen wir den heute Mit dem Gesetz treten wir den Bedenken des Bundes- vorgelegten Gesetzentwurf schnell verabschieden . Wa- arbeitsgerichtes rechtssicher und belastbar entgegen . Die rum? Seit dem Gerichtsurteil des Bundesarbeitsgerichts Sozialkassenverfahren erhalten damit wieder eine gute vom 21 . September 2016 drohte der SOKA-BAU die In- Basis, ein gutes Fundament . Damit schaffen wir eine solvenz . größtmögliche demokratische Legitimation . Ich möchte Was war passiert? Einzelne Betriebe hatten für sich selbst allen, die an diesem Verfahren beteiligt waren, in der Re- festgestellt, dass sie überwiegend Arbeiten erledigten, die gierungskoalition genauso wie in der Opposition – das nicht dem Bauhauptgewerbe zuzuordnen seien . Darum war ein einstimmiges Ergebnis –, ganz herzlich für die- haben sie dann keine Beiträge mehr an die SOKA-BAU sen schnellen, aber auch sehr fundierten Weg danken . entrichtet und gerichtlich prüfen lassen, ob sie der All- (B) Die Bauarbeiter im Bauhauptgewerbe – ich wieder- gemeinverbindlichkeit unterliegen . Das Bundesarbeits- (D) hole es, weil es wichtig und richtig ist – leisten eine gericht hat dann völlig überraschend entschieden, dass wichtige und hervorragende Arbeit . Die sehr intensive die Allgemeinverbindlicherklärungen der Jahre 2006 bis Anhörung am Montag hat das bestätigt . Wir wollen, dass 2011 nicht rechtens zustande gekommen sind . Darauf diese Menschen fair bezahlt, fair behandelt und fair abge- beruht aber die ganze Konstruktion der SOKA-BAU . sichert werden . Dafür legen wir heute einen Grundstein . Durch die Allgemeinverbindlichkeit erlangen die Tarif- verträge auch für tarifungebundene Beschäftigte und Un- Wir wollen wieder Ordnung herstellen, damit sich die ternehmen der Baubranche Wirkung . Das Gericht hatte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Bauhauptge- dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales hand- werbe auch in Zukunft auf uns verlassen können, wie werkliche Fehler vorgeworfen; daran kommen wir in der sie es in den letzten Jahrzehnten getan haben . Das sind Rückschau nicht vorbei . Das haben auch Sachverständi- wir ihnen schuldig . Wir lassen hier niemanden im Regen ge in der Anhörung bestätigt . Deshalb, meine Damen und stehen . Herren, gilt: Wir müssen handeln, und zwar jetzt . Vielen herzlichen Dank für diesen Weg . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- Aber es gibt noch ein Problem . Die Bauleute haben NISSES 90/DIE GRÜNEN) während der Verfahrensdauer Leistungen der Urlaubskas- se und natürlich auch Zusatzrentenleistungen erhalten . Uns allen ist inzwischen klar geworden, dass die bereits Vizepräsidentin Ulla Schmidt: eingegangenen und noch möglichen Rückforderungen an Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Matthias W . die SOKA-BAU und die Altersversorgungskassen das Birkwald, Fraktion Die Linke, das Wort . gesamte über 65 Jahre gewachsene Sozialkassenverfah- ren des Baugewerbes zum Einsturz bringen könnten . Das (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja will niemand; selbst die Klägerinnen und Kläger nicht, Mast [SPD] – Katja Mast [SPD]: Da können wie ich denke . Sie sehen vor allem ihren eigenen kleinen wir mal alle klatschen!) Betrieb . Wenn wir gleich das Sozialkassenverfahrensi- cherungsgesetz verabschieden, dann werden die sozialen Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Leistungen für die Baubeschäftigten gerettet . Aber die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Kleinbetriebe, die sich nicht als Betrieb des Bauhaupt- Herren! 825 000 Beschäftigte und 370 000 Rentner und gewerbes gesehen haben und jetzt Beiträge nachzahlen Rentnerinnen in der Bauwirtschaft sollen weiterhin zu- müssen, werden mit diesem Gesetz nicht gerettet . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21585

Matthias W. Birkwald (A) Meine Damen und Herren, wir erklären heute die in tet und werten auch nicht, was die Tarifvertragsparteien (C) den Anlagen des Gesetzes aufgeführten Tarifverträge in ihren Tarifverträgen ausgehandelt haben . rückwirkend für allgemeinverbindlich . Als Gesetzgeber gestalten wir also in diesem Fall nicht . Wir loten auch (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht aus, was möglich wäre . Demzufolge schauen wir der SPD) uns auch nicht einzelne Betroffene an . Nach dem In- Dass ein Bundesarbeitsgericht zu dem Urteil kommt, krafttreten des Sozialkassenverfahrensicherungsgeset- dass es Formfehler gegeben hat und die Regelungen zes müssen dann aber alle kleinen und mittelständischen rückwirkend nicht gelten, ist für uns eine Herausfor- Unternehmen, die schon vor dem BAG-Urteil beitrags- derung . Es geht darum – das wurde vorhin schon von pflichtig waren, Beiträge an die SOKA-BAU entrichten, meinen Vorrednern benannt –, die Menschen, die über selbst dann, wenn sie zuvor geklagt hatten . Darum appel- die Sozialkassen Bau ihre Alterssicherung, ihre berufli- liere ich an die handelnden Akteurinnen und Akteure der che Ausbildung und ihre Urlaubsrückstellungen abgesi- SOKA-BAU höflich, aber sehr deutlich: Lösen Sie das chert haben, jetzt nicht ins Bodenlose fallen zu lassen . Geflecht aus Beitragsrückständen und Beitragsforderun- Nachdem das Gericht so entschieden hat, haben sich die gen mit viel Augenmaß auf! Es ist niemandem gedient, Forderungen der Firmen an die Sozialkassen gehäuft . wenn Beitragsrückstände mit Brachialgewalt geltend ge- Deswegen droht die Gefahr der Überschuldung . Ob sie macht werden und damit Betriebe in den Ruin getrieben wirklich vor der Tür steht, können wir als Gesetzgeber werden; denn dann stünden bald viele Beschäftigte auf nicht beurteilen . Wir sind schließlich keine Wirtschafts- der Straße . Das gilt es zu verhindern . prüfer, die in die Bücher schauen können . Wir haben uns (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . lediglich angehört, was uns die Tarifpartner vorgetragen Albert Stegemann [CDU/CSU]) haben . Es geht nun darum, die Grundlagen zu sichern . Mir liegt allerdings sehr daran, deutlich zu machen, Mit der Verbändevereinbarung vom 19 .Januar 2017 dass sich die CDU/CSU-Fraktion in dieser Frage mehr ist der Weg zu einem verantwortungsbewussten Handeln als schwergetan hat . Bei diesem Gesetz geht es nicht so geebnet worden . Jetzt kommt es darauf an, ihn gemein- sehr um Formfehler, sondern um die in den letzten Jahren sam zu beschreiten . Dem schließen wir uns an . Die Linke entstandenen – um es vorsichtig zu sagen – erheblichen stimmt dem Gesetzentwurf zu . atmosphärischen Störungen zwischen den Sozialkassen Ich danke Ihnen . Bau und den durch die Sozialkassen Bau tangierten . Über viele Jahre gab es zwar Gespräche zwischen den betref- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- fenden Parteien, aber die Atmosphäre war sehr kühl . NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- Aufgrund dieser Entwicklung haben sich im Verfahren (B) ten der SPD) bestimmte Dinge entladen . Ich halte es für richtig und (D) gut, dass es uns als Unionsfraktion gelungen ist, die un- – Da darf auch mal die CDU klatschen . terschiedlichen Partner an den Tisch zu bringen, sodass sich das Bauhauptgewerbe und das Baunebengewerbe (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) endlich darauf verständig haben, wie sie in Zukunft die Dinge regeln können . Wohlgemerkt: Nicht der Gesetzge- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: ber hat gesagt, was herauskommen soll . Vielmehr haben Vielen Dank .– Karl Schiewerling ist jetzt der nächste die Partner selbst verhandelt und entschieden, was her- Redner für die CDU/CSU-Fraktion . auskommen soll . Ich bin dankbar, dass dies möglich war . Ich halte das für richtig . (Beifall bei der CDU/CSU – Anja Karliczek (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- [CDU/CSU]: Jetzt klatschen wir!) ordneten der SPD und der LINKEN)

Karl Schiewerling (CDU/CSU): Ich kann mich dem Kollegen Birkwald nur anschlie- ßen, der die Sorge geäußert hat, dass nun die Betriebe, Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe die rückwirkend zahlen müssen, vor großen Problemen Kolleginnen und Kollegen! Es ist offenkundig, dass es stehen . Deswegen freue ich mich sehr, dass der Aus- hier und heute im Hohen Haus bei diesem Gesetzent- schuss für Arbeit und Soziales gestern mit großer Mehr- wurf nicht um einen Gegensatz zwischen Regierung und heit eine Ausschusserklärung abgegeben hat, die eindeu- Opposition geht . Es geht um ein Gesetz, das in dieser tig die Forderung an die Sozialkassen Bau enthält – dazu Form ein Novum ist . Zum ersten Mal heilen wir per hat sich die SOKA-BAU selbst verpflichtet –, diejenigen Gesetz Tarifverträge, die als allgemeinverbindlich an- Betriebe, die geklagt haben, nicht auf der Grundlage des erkannt worden sind, deren Allgemeinverbindlichkeit heute verabschiedeten Gesetzes rückwirkend zur Zah- aber durch höchstrichterliche Rechtsprechung durch das lung von Beiträgen zu zwingen, sondern sie von den Bundesarbeitsgericht am 21 . September 2016 als nicht Forderungen freizustellen . Ich halte das für richtig . Ich ordnungsgemäß in seinem Ablauf und in seinen formalen rate den Sozialkassen Bau, dieses Verfahren zügig anzu- Bestimmungen angesehen wurde . Das ist mehr als unge- gehen . Wir haben das in unserer Erklärung entsprechend wöhnlich . Es bestand die nicht geringe Gefahr, dass der deutlich gemacht . Gesetzgeber im Nachhinein nicht nur in dieses Verfahren eingreift, sondern auch in die Inhalte dieser Tarifverträ- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der ge . Wir haben ihr widerstanden . Wir haben nicht bewer- LINKEN) 21586 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Karl Schiewerling (A) Wir haben noch etwas anderes deutlich gemacht und erhebliche Rückzahlungsforderungen und Turbulenzen, (C) unterstrichen . Niemand soll sich jetzt einbilden, dass die und das bringt die SOKA-BAU massiv in Bedrängnis . Verwerfungen und die atmosphärischen Störungen, die Deswegen ist eine schnelle Lösung unbedingt erforder- sich in den letzten Jahren aufgebaut haben, durch das lich . Gesetz, dessen Entwurf wir heute verabschieden, auto- matisch beendet sind . Es ist nun Aufgabe der Sozialkas- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sen, der Idee, die zu ihrer Gründung geführt hat, die wir sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und begrüßen und die in der deutschen Tariflandschaft eine der SPD) Einmaligkeit darstellt – das hat der Kollege Rützel sau- ber dargelegt –, durch ein anderes, gesellschaftlich ver- Die Gründe für das Urteil sind rein formaler Natur; antwortliches und partnerschaftlich sinnvolles und gutes das wurde schon kurz angesprochen . Die Richter bezie- Handeln – und zwar in Zusammenarbeit mit denjenigen, hen sich zum einen auf das damals noch gültige Quorum die davon betroffen sind – zu neuer Blüte zu verhelfen von 50 Prozent . Zum anderen bemängeln sie, dass die und für eine bessere Akzeptanz zu sorgen; das ist unser damaligen Bundesminister sich nicht persönlich um die Ziel . Mit solchen Selbsthilfen wollen wir die Akzeptanz Allgemeinverbindlicherklärung gekümmert haben . Das erhöhen . Mit dem Gesetz leisten wir dies . öffentliche Interesse – und das ist wichtig – an den für Ich danke Ihnen . allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen wurde aber nicht infrage gestellt; es wurde vielmehr bestätigt . (Beifall im ganzen Hause) Deshalb war die Bundesregierung in der Pflicht, zu han- deln . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank .– Als Nächste spricht die Kollegin Beate (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Müller-Gemmeke, Bündnis 90/Die Grünen . Die Regelungen der Tarifverträge werden jetzt rück- wirkend für alle Arbeitgeber gesetzlich angeordnet . Ma- Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): teriell bleibt alles beim Alten . Das Gesetz übernimmt den Anwendungsbereich der Tarifverträge . Es wird formal Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle- eine Rechtsgrundlage für das Sozialkassenverfahren ge- ginnen und Kollegen! Das Sozialkassenverfahrensiche- schaffen . Das unterstützen wir . rungsgesetz ist dringend notwendig; denn sonst wären die Sozialkassen in der Bauwirtschaft existenziell gefähr- Während der Beratung – das wurde schon angespro- det . Die Beschäftigten und die Betriebe vertrauen darauf, chen – gab es auch lautstarke Kritik am Sozialkassen- (B) dass die SOKA-BAU weiter existiert . Dabei geht es um (D) so wichtige Leistungen – es wurde schon angesprochen – verfahren . Dabei ging es um Inhalte, Fristen und Ab- wie Zusatzrenten, Ausbildung und Urlaubsansprüche . grenzungen, also um die materielle Ausgestaltung . Hier Vor diesem Hintergrund beschließen wir heute über den muss neu verhandelt, nachverhandelt werden . Es wäre Gesetzentwurf nach einem kurzen, aber aufgrund der öf- gut, wenn der alte Streit endlich begraben würde . Dafür fentlichen Anhörung auch transparenten Verfahren . Wir gibt es die Vereinbarung, die schon genannt wurde . Aber beschließen es einstimmig, und das ist wichtig . schlussendlich ist das nicht Sache der Politik, sondern Sache der Sozialpartner . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- Für uns war bei der ganzen Debatte entscheidend, geordneten der CDU/CSU) dass das Sicherungsgesetz verfassungskonform ausge- Gerade im Baugewerbe brauchen die Beschäftigten staltet ist . Deshalb wollten wir auch eine Sachverständi- besondere Unterstützung . Wo sonst verhageln Unwetter genanhörung im Ausschuss . Dort waren alle Rechtswis- ganze Arbeitstage? Wo sonst sorgen Wintereinbrüche für senschaftler einhellig der Meinung: Das Gesetz verstößt Baustopps und vorübergehende Arbeitsausfälle? Kaum nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben . – Nie- eine andere Branche ist so vom Wechsel und von sai- mand – wir haben extra nachgefragt – konnte uns eine sonalen Schwankungen geprägt . Die Beschäftigten der andere gesetzliche Alternative aufzeigen . Bauwirtschaft brauchen die SOKA-BAU . Aus diesem Grund unterstützen wir Grüne bei diesem Gesetzentwurf Vor diesem Hintergrund werden auch wir dem Ge- das schnelle Handeln der Bundesregierung . setzentwurf heute zustimmen; denn von der SOKA-BAU profitieren einfach extrem viele Beschäftigte – die Zah- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len wurden genannt – und viele Betriebe . Vor allem pro- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der fitieren mehr als 35 000 junge Menschen von der über- LINKEN) betrieblichen Ausbildung . Der Erhalt der gemeinsamen Solche gemeinsamen Einrichtungen funktionieren nur Einrichtungen im Baugewerbe ist also politisch geboten . mit allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, die für alle gelten, also auch für die nicht tarifgebundenen Vielen Dank . Betriebe . Das war in der Vergangenheit eine Selbstver- ständlichkeit . Das Bundesarbeitsgericht hat nun aber (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, entschieden, dass die Tarifverträge rückwirkend nicht bei der SPD und der LINKEN sowie bei Ab- mehr als allgemeinverbindlich gelten . Das sorgt jetzt für geordneten der CDU/CSU) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21587

(A) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Meiner Ansicht nach sind weitere Regelungen auf (C) Vielen Dank .– Letzter Redner zu diesem Tagesord- den Prüfstand zu stellen, zum Beispiel Rückforderun- nungspunkt ist Wilfried Oellers, CDU/CSU-Fraktion . gen über vier Jahre oder auch Rückforderungen mit ei- ner 12‑prozentigen Verzinsung . Das sind Dinge, die die (Beifall bei der CDU/CSU) Unternehmen existenziell bedrohen, wenn sie von der SOKA-BAU in Anspruch genommen werden . Darüber Wilfried Oellers (CDU/CSU): hinaus – es ist erwähnt worden – sollte die SOKA-BAU Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten den Umgang mit den Betrieben prüfen, der zu erhebli- Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen cher Kritik geführt hat . und Herren! Ich betone ganz zu Anfang: Die SOKA-BAU Die Baubranche muss sich auch noch einmal über den als solche ist das Ergebnis gelebter Tarifpartnerschaft . Leistungskatalog der SOKA-BAU Gedanken machen, Wünschenswert wäre, wenn alle Branchen Derartiges, insbesondere über die festgesetzten Voraussetzungen . Es natürlich zugeschnitten auf ihre jeweiligen Bedürfnisse, ist doch so: Wenn ich im Rahmen der Diskussionen die- regeln würden . Dann hätten wir als Gesetzgeber manche ses Thema angesprochen habe, wurde mir immer gesagt, Dinge nicht zu regeln . Auf die Regelungsinhalte haben man solle nicht in Tarifverträge eingreifen . Allerdings der Kollege Rützel und einige andere Redner schon hin- haben hier die Tarifpartner den Wunsch an den Gesetz- gewiesen . Darauf darf ich verweisen . geber gerichtet, gesetzgeberisch tätig zu werden, um die Der gesamte Prozess hat allerdings gezeigt, dass es in SOKA-BAU zu retten . Dann muss es dem Gesetzgeber diesem Bereich noch viele Aufgaben zu erledigen und doch erlaubt sein, hier entsprechende inhaltliche Anmer- auch zu verteilen gibt . Wenn vorgetragen wird, dass es kungen zu machen . sich hier um rein formale Probleme handelt, die das Bun- desarbeitsgericht in seinen Beschlüssen vom 21 . Septem- Die Verfassungsmäßigkeit ist angesprochen worden . ber 2016 aufgeführt hat, dann stimmt das nicht ganz . Es Es ist richtig, dass im Rahmen der öffentlichen Anhörung ist natürlich interessant, zu wissen, was im Urteil steht, im Ausschuss keine Bedenken geäußert worden sind . Al- aber was nicht im Urteil steht, ist genauso interessant . lerdings gibt es in der Literatur eine breite Meinung, die das anders sieht . Mit diesem Gesetz wird zum Beispiel auch die Tarif- fähigkeit der Tarifpartner der Baubranche geregelt, die Abschließend möchte ich auf einen Umstand hin- vom Bundesarbeitsgericht in der mündlichen Verhand- weisen . Es geht um Kritik an den Richtern des Bun- lung infrage gestellt worden ist . Hier ist mein Appell an desarbeitsgerichts, die des Öfteren geäußert worden ist, die Tarifpartner, dass die entsprechenden Aufgaben sat- insbesondere auch von den Sachverständigen in der öf- zungsmäßig sofort und unverzüglich geregelt werden, fentlichen Anhörung – ich darf zitieren –, (B) (D) damit die Zuständigkeiten geklärt sind . (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das Darüber hinaus hat das Verfahren auch gezeigt, dass war ein Unionssachverständiger!) wir in der Branchenabgrenzung zwischen Bauhaupt- und „hier sei ein noch nicht ganz fertiger junger Prädikats- Baunebengewerbe erhebliche Schwierigkeiten haben . jurist am Werke gewesen, der aber die Folgen seiner Hier liegt der eigentliche Knackpunkt dieser Angelegen- Entscheidung nicht richtig eingeschätzt hat“ . Derartige heit . abfällige Bemerkungen über Bundesrichter lasse ich so (Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE nicht stehen . Ich betone für meine Fraktion ausdrücklich, GRÜNEN]: Nein, eigentlich nicht!) dass sie unser Vertrauen genießen und auch unsere Wert- schätzung . Die bisherigen Regelungen scheinen nicht zufriedenstel- lend zu sein, insbesondere für das Baunebengewerbe . (Beifall bei der CDU/CSU) Hier sei zum Beispiel die große Einschränkungsklau- Die Ursache dieser Angelegenheit liegt nicht bei den sel genannt . Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens BAG-Richtern, sondern bei den handelnden Akteuren . konnte nun eine Verbändevereinbarung zwischen dem Auf diese kommt nun viel Arbeit zu . Der Gesetzgeber Bauhaupt- und dem Baunebengewerbe erreicht werden . geht in Vorleistung . Ich erwarte, dass diese Aufgaben Da hier schon darauf eingegangen wurde, nur in kurzen bewusst angegangen und im Sinne der Vernunft und des Stichpunkten: Beweislast bei der SOKA-BAU, Einrich- Rechtsfriedens aller bewältigt werden . tung einer Schlichtungsstelle und Einschränkung des Geltungsbereichs seitens der Bautarifverträge und der Danke schön . Tarifpartner vor dem Hintergrund der Kriterien Mitglied- (Beifall bei der CDU/CSU) schaft und Fachlichkeit .

In der Ausschusserklärung ist ausdrücklich erwähnt, Vizepräsidentin Ulla Schmidt: dass vonseiten der SOKA-BAU erwartet wird, dass die Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra- jeweiligen Beschwerdeführer vor dem Bundesarbeitsge- che . richt von ihren Forderungen, die ihnen gegenüber gel- tend gemacht werden, freigestellt werden . Es lohnt sich, Auch wenn alle Fraktionen zugesichert haben, zuzu- an dieser Stelle die Ausschusserklärung zu lesen . Der stimmen, müssen wir formal abstimmen über den von Gesetzgeber hat deutlich gemacht, dass er von der Bau- den Fraktionen der CDU/CSU und der SPD eingebrach- branche erwartet, dass die Regelungen zügig angegangen ten Gesetzentwurf zur Sicherung der Sozialkassenver- und zeitnah umgesetzt werden . fahren im Baugewerbe . 21588 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Hierzu liegen Erklärungen nach § 31 unserer Ge- Gedanken formuliert . Schließlich wird im Antrag bereits (C) schäftsordnung vor 1). eine Neuausrichtung der UPD gefordert, noch bevor der Träger seine Arbeit aufgenommen hatte . Diese Fähigkeit Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in zur Hellseherei finde ich bemerkenswert. seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11001, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und Meine Damen und Herren, ich möchte daran erinnern, der SPD auf Drucksache 18/10631 anzunehmen . Ich bit- dass es die Regierungskoalition war, die im Jahr 2014 te diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, die Laufzeit der UPD von bisher fünf auf sieben Jahre um das Handzeichen .– Wer stimmt dagegen? Drei Ab- verlängert hat . Gleichzeitig wurde die Finanzausstattung geordnete der CDU/CSU-Fraktion . Wer enthält sich? – von 5 Millionen auf 9 Millionen Euro fast verdoppelt . Eine Enthaltung von Herrn Oellers . Trotzdem ist der Ge- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Genau! Das gehört setzentwurf in zweiter Beratung angenommen worden . zur Wahrheit dazu!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Wir haben das Angebot der UPD nicht nur deutlich aus- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) geweitet, sondern haben auch ganz entscheidende Schrit- Wir kommen jetzt zur te unternommen, es zu verstetigen . Das ändert aber nichts an meiner festen Überzeugung, dass die Ausschreibung dritten Beratung auch bei einer dauerhaft gesicherten Finanzierung das und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem richtige Instrument zur Weiterentwicklung der UPD ist Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– und auch bleibt . Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz- Ein gesunder Wettbewerb bringt Innovationen und ei- entwurf ist in dritter Beratung mit den Stimmen der Ko- nen Anreiz, immer wieder besser als der Status quo zu alitionsfraktionen und der Opposition bei Gegenstimmen sein . Dieses Potenzial sollten wir den Patienten nicht aus der CDU/CSU-Fraktion und einer Enthaltung aus der vorenthalten . Aus demselben Grund kann ich auch Ih- CDU/CSU-Fraktion angenommen . rem Vorschlag wenig abgewinnen, die UPD dauerhaft an (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der die Organisationen nach § 140f SGB V zu vergeben . Es SPD und der LINKEN) stellt sich nämlich schon ganz grundsätzlich die Frage, ob die Unabhängige Patientenberatung – dabei handelt Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf: es sich um einen öffentlichen Auftrag – überhaupt ohne Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Ausschreibung vergeben werden dürfte . In jedem Fall ist richts des Ausschusses für Gesundheit (14 .Aus - es ein ganz fragwürdiges Vorgehen, wenn man eine Aus- schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Kathrin schreibung abschaffen will, nur weil einem das Ergebnis (B) Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau), Herbert nicht passt . (D) Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE DIE LINKE GRÜNEN]: Das ist richtig!) Patientenberatung unabhängig und gemein­ nützig ausgestalten Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch kurz auf den Patientenbeauftragten eingehen . Wenn man sich Drucksachen 18/7042, 18/9979 Sinn und Zweck des Amtes vor Augen führt, muss jedem Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für klar werden, dass es nur in der Bundesregierung richtig die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Hierzu höre verortet ist . Es gilt nämlich auch hier der Grundsatz der ich keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . Gewaltenteilung . Ein Patientenbeauftragter des Bundes- tages dürfte keine Kompetenzen haben, die über jene Ich bitte Sie, die Plätze zügig einzunehmen .– Ich er- des Bundestages hinausgehen . Auch mit dem Wehrbe- öffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Reiner auftragten des Deutschen Bundestages wäre ein solcher Meier, CDU/CSU-Fraktion . Patientenbeauftragter in keiner Weise vergleichbar . Das Amt des Wehrbeauftragten folgt aus der besonderen ver- (Beifall bei der CDU/CSU) fassungs- und dienstrechtlichen Stellung unserer Solda- tinnen und Soldaten . Das lässt sich ganz offensichtlich Reiner Meier (CDU/CSU): nicht auf unser Gesundheitswesen übertragen . Und ein Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten rein symbolisches Organ des Bundestages zu schaffen, Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das erscheint mir deshalb, mit Verlaub, völlig überflüssig. Wir führen heute die erste Debatte zu Patientenrechten in diesem Jahr, und sie betrifft wieder einmal die Unabhän- Ich hoffe im Übrigen, dass der aktuelle Patienten- gige Patientenberatung . Das ist in mehrfacher Hinsicht beauftragte mit seinem unermüdlichen Einsatz für die bemerkenswert . Zunächst einmal beeindruckt das Alter Patienten in unserem Land Ihren Antrag inzwischen ent- der Vorlage, die unverändert aus dem vorletzten Jahr behrlich gemacht hat . Gestatten Sie mir an dieser Stel- datiert . Des Weiteren haben wir die UPD und ihre Neu- le, unserem Patientenbeauftragten Karl-Josef Laumann, vergabe im Ausschuss und im Plenum zwischenzeitlich der ein leidenschaftlicher Anwalt des Patientenrechtes in so oft behandelt, dass eigentlich alles darüber gesagt ist, unserem Land ist, den gebührenden Dank zukommen zu insbesondere weil Ihr Antrag auch keine wirklich neuen lassen . (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . 1) 4 Anlage Helga Kühn-Mengel [SPD]) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21589

Reiner Meier (A) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben Zuwendungen fast verdoppelt und das Ganze an einen (C) mit der UPD eine gute und effektive Institution, die vie- Callcenterbetreiber vergibt . len Bürgern in unserem Land tagtäglich wertvolle Unter- stützung und Orientierung gibt . Ich bin überzeugt, dass (Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist jetzt aber die Strukturen der UPD schon heute dazu beitragen, dass auch nicht schlecht, Frau Kollegin!) sie sich stetig weiterentwickelt und stetig besser wird . Zudem werden nicht mehr Ratsuchende erreicht. Effizi- Für Ihre Forderungen sehe ich deshalb aktuell keine ent werden die 9 Millionen Euro aus der GKV offenbar Grundlage . Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag nicht genutzt . heute ablehnen . Die Zahl der lokalen Beratungsstellen wurde ebenfalls Vielen Dank . erhöht . Das haben wir immer gefordert . Doch diese sind (Beifall bei der CDU/CSU) nur stundenweise besetzt . Sie haben oft nicht einmal ein eigenes Türschild . Und auf einen Termin muss man auch einmal zwei Wochen warten . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Vielen Dank . – Für die Linke spricht jetzt Kathrin (Reiner Meier [CDU/CSU]: Ist das auch Vogler . schlecht?) (Beifall bei der LINKEN) Das Schlimmste ist: Die Beratungsqualität hat schwer gelitten, weil der neue Anbieter nicht über die erfahrenen Beraterinnen und Berater der alten UPD, die von Pati- Kathrin Vogler (DIE LINKE): enten- und Verbraucherschutzorganisationen getragen Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen wurden, verfügt . So wurden den Ratsuchenden teilweise und Kollegen! Meine Damen und Herren! Hunderte von am Telefon andere Auskünfte erteilt als in der persönli- Patientinnen und Patienten haben in den letzten Jahren chen Beratung oder per E-Mail . Die Beraterinnen und allein bei mir im Büro angerufen, weil sie Hilfe suchten Berater wussten häufig auch nichts über lokale -weiter im Umgang mit Krankenkassen, mit Krankenhäusern, führende Hilfe- und Beratungsangebote . Das ist ja kein mit Ärztinnen und Ärzten . Ich glaube, alle Kolleginnen Wunder, wenn Sie heute in Münster, morgen in Bielefeld und Kollegen aus dem Gesundheitsausschuss kennen und übermorgen in Dortmund arbeiten müssen . Das ist das . Da war es ein richtiger Lichtblick, als vor sechs Jah- ein grundsätzliches Problem des Ausschreibungsverfah- ren endlich die UPD, die Unabhängige Patientenberatung rens auf Zeit . Bei jedem Anbieterwechsel gehen wichtige Deutschland, mit über 20 Beratungsstellen und einer tele- Kompetenzen verloren . Vor allem kann man die Vernet- fonischen Hotline vom Projektversuch zur Regelleistung zung vor Ort nicht ohne Weiteres schnell wieder aufbau- (B) (D) wurde – kostenfrei zugänglich für jede und jeden . Herr en . Kollege Meier, es ist ja bekannt, dass gerade wir Linke generell kritisch eingestellt sind gegenüber der Tendenz, Die Linke sagt: Patientenberatung darf nicht zum alles im Gesundheitswesen, womit man irgendwie Profit Renditeobjekt werden, sondern muss ausschließlich dem machen könnte, zu privatisieren . Wohl der Patientinnen und der Patienten und dem Ge- meinwohl dienen . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN – Reiner Meier Dass allerdings auch noch die Patientenberatung pri- [CDU/CSU]: Wird es auch nicht!) vatisiert werden könnte, das haben wir uns nicht vorstel- len können, selbst in unseren schlimmsten Albträumen Das können die gemeinnützigen Organisationen, die für nicht . die Vertretung von Patienteninteressen anerkannt sind, (Reiner Meier [CDU/CSU]: Das ist eine ge- am besten . meinnützige GmbH!) (Reiner Meier [CDU/CSU]: Auch eine ge- Und doch ist es geschehen: Die Krankenkassen, die über meinnützige GmbH!) die Vergabe der UPD entscheiden, haben mit Zustim- Und deshalb fordern wir, die Unabhängige Patientenbe- mung des Patientenbeauftragten der Bundesregierung, ratung dauerhaft von diesen Organisationen durchführen Karl-Josef Laumann von der CDU, vor einem Jahr ent- zu lassen, die schon von ihrer eigenen Motivation her schieden, die UPD an einen privaten Callcenterbetreiber viel näher an den Interessen der Patienten sind . zu vergeben . Ich halte das nach wie vor für einen der größten gesundheitspolitischen Skandale dieser Wahlpe- (Beifall bei der LINKEN) riode . Jetzt zur Finanzierung . Das Sozialgesetzbuch V re- (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . gelt, dass die gesetzlichen Krankenkassen die UPD fi- Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE nanzieren müssen . Die Privatversicherungen können sich GRÜNEN]) freiwillig beteiligen . Es sind aber auch Privatversicherte oder Nichtversicherte, die bei der UPD Rat suchen . Des- Seit einem Jahr arbeitet diese neue UPD-Gesellschaft . wegen ist es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Die Der WDR hat kürzlich untersucht, was die Ratsuchenden Linke hält es für angebracht, dass wir das aus Steuermit- dort erwartet . Das ist einigermaßen ernüchternd . Tatsäch- teln finanzieren. lich ist die Hotline gut erreichbar . Aber das ist ja wohl das Mindeste, was man erwarten kann, wenn man die (Beifall bei der LINKEN) 21590 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Kathrin Vogler (A) Damit müssen wir übrigens nicht bis 2023 warten, tenberatung, die wir hier hatten, vergleichbar ist, gibt es (C) bloß weil die Sanvartis-UPD den Zuschlag für sieben nicht . Es gibt so etwas in Ansätzen in skandinavischen Jahre erhalten hat . Bei der Anhörung im Gesundheits- Ländern, auch in den Beneluxstaaten . Vergleichbares ausschuss haben wir gehört, dass der Vertrag bei einer hatte England im Rahmen des National Health Service . neuen Rechtslage automatisch ausläuft und kein finanzi- Dort hat man aber irgendwann stattdessen ein Callcenter eller Schaden für die Krankenkassen entsteht . Deswegen, eingesetzt, und seitdem ist keiner mehr damit glücklich . liebe Kolleginnen und Kollegen, können Sie ruhig über Ihren Schatten springen und unserem Antrag zustimmen . Unsere UPD hat sich aber gut entwickelt . Am Anfang hatte sie übrigens auch noch keine beeindruckende Qua- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lität, aber sie wurde mit wirklich viel Engagement stetig neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) verbessert . Das war schon ein sehr gutes Angebot für die Nutzer und Nutzerinnen des Systems . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall der Abg . Hilde Mattheis [SPD] und Vielen Dank .– Jetzt hat die Kollegin Helga Kühn- Kathrin Vogler [DIE LINKE]) Mengel für die SPD-Fraktion das Wort . – Frau Mattheis, Sie sind heute fast alleine damit, aber (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie überzeugen mich sehr mit Ihrem Beifall . der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Das ist qualitativer Beifall!) Helga Kühn-Mengel (SPD): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- Der Kollege von der CDU/CSU hat es deutlich ge- nen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf macht: Nach und nach wurde das System immer weiter der Besuchertribüne! Wir beraten ein wichtiges Thema, ausgebaut: Erhöhung der Zahl der Beratungsstellen auf auch wenn es nur einen kleinen zeitlichen Rahmen er- 31, der Mittel von 5 auf 9 Millionen Euro; im Jahre 2011 hält . Aber hier geht es um einen Aspekt der Versorgung, wurde das Angebot zur Regelleistung . All das waren nämlich den Patienten und die Patientin im Gesundheits- wichtige Schritte – ebenso die Verlängerung der Förder- system besser zu informieren . Wir haben immer gesagt – dauer; denn wir wollten eine Verstetigung erreichen, ich habe es hier immer wieder für meine Fraktion gesagt (Hilde Mattheis [SPD]: Ja!) und will es wiederholen –: Die gut informierten Patienten und Patientinnen bewegen sich nicht nur selbstbewusster damit die Mitarbeiter wussten, dass sie bleiben und ihre im System, sondern auch ökonomischer. Alle profitieren Kompetenz weiterentwickeln konnten . davon, wenn man Wissen verstärkt . (B) Ich sage ganz offen – es ist ja auch gegen Ende einer (D) Im Jahre 2000 – Frau Präsidentin, Sie wissen das noch – Legislatur durchaus sinnvoll, dass man mal sagt, ob alles wurde die Unabhängige Patientenberatung Deutschland richtig war –: Ich hätte nicht gedacht, dass ein solcher beschlossen und in das Gesetz aufgenommen; zunächst Anbieter mit der Patientenberatung beauftragt würde . als Modellprojekt, weil man sich noch nicht richtig vor- Wir alle haben sozusagen im Common Sense gedacht, stellen konnte, wie es funktionieren sollte . Es gab damals der Auftrag könne ja nur weiter an den bisherigen An- vieles von dem, was wir heute haben, noch nicht . Es gab bieter gehen . kein IQWiG, ein Institut, das mehr Transparenz in die Versorgung bringen sollte, bezogen auf Arzneimittel . Es (Mechthild Rawert [SPD]: Ein Teil hat das gab kein IQTIG, eine Institution, die Transparenz in die gedacht!) Krankenhausabläufe bringen sollte . Es gab noch keine – Ich will jetzt gar nicht streng sein . Ich sage nur, was strukturierten Behandlungsprogramme, die definierten, viele gedacht haben, nämlich dass die Patientenberatung was zu einer guten Versorgung gehört . Es gab übrigens bei denen verbleibt, die den Qualitätsaufbau, die Qua- auch noch keinen Patientenbeauftragen . Vieles andere, litätssicherung und auch die Evaluation wirklich immer was in der Folgezeit in Sachen Qualität entwickelt wor- weiter verstärkt haben . den ist, war auf dem Weg, aber noch nicht beschlossen . Jetzt war ein Auditor beim neuen Träger . Natürlich Es gab aber ein Gesundheitssystem, das sich als ein waren durchaus einige Punkte festzustellen: Die Erreich- System mit Über- und Unter- und Fehlversorgung dar- barkeit wurde verbessert, nicht räumlich, sondern tele- stellte . Es gab sehr viel Undurchsichtiges, wenig Koordi- fonisch, aber alle Zahlen, die vorgegeben worden sind, nation und Kooperation . Stark ausgeprägte Sektoren gibt wurden noch nicht erreicht – das muss man sehen . Aber es heute noch, und an den Sektorengrenzen gehen immer das Allerwichtigste – das sage ich auch im Namen mei- Informationen für die Patienten und auch Geld verloren . ner Fraktion – ist und bleibt die Unabhängigkeit der Pa- All das hat dazu geführt, dass gesagt wurde: Wir brau- tientenberatung . chen so etwas wie eine unabhängige Patientenberatung . Zunächst war es, wie gesagt, ein Modellprojekt . (Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE]) (Beifall bei Abgeordneten der SPD) – Ja, das verdient einen Applaus . Deswegen sollte in der nächsten Legislatur doch noch einmal darüber nachgedacht werden, wie dieses Angebot Ich habe mich in einigen Ländern in Europa ein wenig ausgestaltet werden kann . Auch die Experten und Exper- umgesehen und festgestellt: Etwas, was mit der Patien- tinnen haben das bei der Anhörung deutlich gemacht und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21591

Helga Kühn-Mengel (A) eine Neuordnung gefordert . Wir von der SPD sagen: Das vorfinden, innerhalb der sie ihre Beteiligungsrechte auch (C) muss Bestandteil neuer Verhandlungen sein . ausüben können, (Beifall bei der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Darüber muss man diskutieren . Das ist jetzt keine große wo Informationen für sie bereitgestellt werden, wo sie Kritik, sondern ein Hinweis auf eine Notwendigkeit . sozusagen Anwälte finden, die sie empathisch und un- Ihrem Antrag können wir nicht zustimmen . Man kann abhängig in ihrem Sinn beraten und unterstützen . Das, nicht alles Mögliche infrage stellen und mal eben eine Fi- meine Damen und Herren, war nach 15 Jahren eigentlich nanzierung der Patientenberatung mit Steuermitteln und der Stand der Dinge, auf den wir uns fraktionsübergrei- die Einrichtung des Amts des Patientenbeauftragten des fend geeinigt hatten . Eigentlich! Es gab einen Patienten- Deutschen Bundestages fordern . Das muss man mit Ruhe beauftragten, der sich wirklich als Anwalt der Patienten machen . Man muss sehen, was sich bewährt hat und was verstanden hat und das Konzept genau umgesetzt hat . nicht . Und ich sage es noch einmal: Dass eine solche Dafür hatte er immer meinen höchsten Respekt und mei- Stelle Patienten und Patientinnen berät, ist gut . Die Un- ne höchste Anerkennung; das muss ich ganz klar für die abhängigkeit müssen wir als noch höheres Gut ansehen . letzte Wahlperiode sagen . (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Und die Qua- (Beifall der Abg . Kathrin Vogler [DIE lität nicht vergessen!) LINKE]) Vielen Dank . Dann haben wir, nachdem unendlich oft evaluiert, ausgewertet und geprüft worden ist, gesagt: Ja, wir müs- (Beifall bei der SPD sowie des Abg . Reiner sen etwas dafür tun, dass die Beratungsstellen auch in die Meier [CDU/CSU]) Fläche kommen, damit wir mehr Anlaufstellen haben . Wir haben gesagt: Wir müssen das große Manko, das Vizepräsidentin Ulla Schmidt: wir haben – wir konnten den tatsächlichen Bedarf nicht Vielen Dank .– Jetzt spricht für Bündnis 90/Die Grü- decken –, beheben . Diesen Schritt haben Sie als Große nen Maria Klein-Schmeink . Koalition sogar getan . Aber was haben Sie gleichzeitig gemacht? Sie erhöhen die Mittel von 5 Millionen auf 7 Millionen Euro Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): (Reiner Meier [CDU/CSU]: 9!) Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol- – auf 9 Millionen –, aber schließen gleichzeitig einen (B) legen! Es ist nicht das erste Mal, dass wir über die Unab- Vertrag mit längerer Laufzeit mit einem privaten Call- (D) hängige Patientenberatung sprechen, center . Was hat das eigentlich zu bedeuten? Man hat ech- (Tino Sorge [CDU/CSU]: Es wäre auch ten Kahlschlag an einer ganz wichtigen Struktur began- schlimm, wenn wir zum ersten Mal darüber gen, und das muss man Ihnen wirklich vorwerfen . reden würden!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ich bin mir ziemlich sicher, dass wir noch häufiger und bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/ darüber sprechen müssen . Gleichzeitig muss man aber CSU]: Das ist absolut falsch!) auch sagen: Die Ziele, die im vorliegenden Antrag der Schauen wir uns die gesamten Bewertungen, die es Linken niedergelegt sind – die Verstetigung der Unab- gibt, an . Wir haben mehrere Anfragen, auch Kleine An- hängigen Patientenberatung, die Trägerschaft durch die fragen, gestellt . Es wurde deutlich: Die Versprechen, die von uns gesetzlich bestimmten Patientenverbände, die im der private Anbieter im Ausschreibungsverfahren getä- SGB V als die Patientenverbände festgelegt sind, die in tigt hat, sind nicht halbwegs erfüllt worden . den Gremien der Selbstverwaltung vertreten sind, die Si- cherung der Unabhängigkeit und die Stärkung des Amtes (Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist doch des Patientenbeauftragten oder der Patientenbeauftragten nicht bewiesen!) der Bundesregierung –, sind in sich sinnvolle Ansätze, die sicherstellen, dass wir das, was wir hier alle immer Im Ausschreibungsverfahren war die Rede von so schnell betonen, nämlich den Patienten in den Mittel- 200 000 Beratungskontakten . Man hat noch nicht einmal punkt zu stellen, strukturell und durch konkrete Maßnah- das geschafft, was bis dahin die alte UPD mit weniger men auch tatsächlich unterlegen . Mitteln und mit weniger Menschen geschafft hatte . (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Maria Michalk [CDU/CSU]: Nach wie vie- und bei der LINKEN) len Jahren? Das ist das erste Jahr!) In dieser Wahlperiode gibt es in diesem Bereich aller- Sie haben vertraglich festgelegt, dass der neuen UPD ein dings erhebliche Mängel . Übergangszeitraum von einem halben Jahr eingeräumt wird, um die Vertragspflichten zu erfüllen. Aber nach ei- Wir haben 2011 einen wichtigen Schritt gemacht und nem halben Jahr war noch nicht einmal ein Bruchteil der aus der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland Vertragsverpflichtungen erfüllt. ein Regelangebot gemacht . Wir haben gesagt: Zu den Aufgaben unserer Krankenversicherung gehört es, dafür (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE zu sorgen, dass die Patienten eine wirkungsvolle Struktur GRÜNEN]: So ist es!) 21592 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Maria Klein-Schmeink (A) Deshalb muss man wirklich von einem Kahlschlag an ei- Insofern herzlichen Dank, liebe Kolleginnen und Kolle- (C) ner sehr sinnvollen Struktur reden . Man muss den Finger gen von der Linken . in die Wunde legen und sagen: So kann es nicht weiter- gehen . (Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Aber ich kann Ihnen nicht so ganz ersparen, auch einige Punkte in dem Antrag zu kritisieren . Ich habe die GKV und den Patientenbeauftragten an- geschrieben und gefragt: Was macht ihr eigentlich? Uns (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Schade liegen Zahlen vor, die belegen, dass die Ausschreibungs- eigentlich!) zusagen nicht eingehalten worden sind . Dann wird ge- sagt: Bin ich nicht zuständig . – Der eine sagt: Ich bin Wenn da die Rede davon ist, dass eine Entziehung der nicht zuständig .– Der andere sagt ebenfalls, er ist nicht Aufgabenstellung passiert, dass eine Zerschlagung von zuständig . So kann man nicht mit dem Geld der Versi- Strukturen vorgenommen wird, so sind dies alles Szena- chertengemeinschaft umgehen . So darf das nicht weiter- rien der Entrechtung der Patienten . gehen . Von daher werden wir weiter nachbohren: Werden Es ist nun sicherlich nicht weiter verwunderlich, dass die Zusagen erfüllt, die da vertraglich gegeben worden Sie mit Strukturen wie einem Wettbewerb und Ausschrei- sind? Werden wir wirklich ein Beratungsangebot im Sin- bungen grundsätzlich Probleme haben und die eine oder ne der Patienten haben? andere gesellschaftsrechtliche Struktur, beispielsweise Wir müssen heute leider sagen: Es hat eine Entwick- die gemeinnützige GmbH, wie auch vom Kollegen Meier lung eingesetzt, in deren Ergebnis wir ein Callcenter mit mehrfach erwähnt, in Ihrem Vorstellungskatalog bedau- mehr oder weniger abstrakten Gesundheitsinformationen erlicherweise nicht regelmäßig vorkommt . haben . (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Was sagt ein guter Unternehmer zu den Lizenzgebühren?) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Fakt ist zunächst, dass die Prüfung des Vergabeverfah- Frau Abgeordnete, kommen Sie bitte zum Schluss . rens durch die zuständige Vergabekammer in einem ord- nungsgemäßen rechtsstaatlichen Verfahren zu keinerlei Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Beanstandung geführt hat . Sowohl das Verfahren selbst NEN): als auch das Ergebnis sind völlig diskriminierungsfrei Aber der Einzelne mit seinem konkreten Behand- gelaufen bzw . erzielt worden . (B) lungs- und Fragebedarf, seinem Bedarf an psychosozia- (D) ler Beratung, an rechtlicher Beratung bleibt auf der Stre- (Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig!) cke . So darf das nicht weitergehen . Bezeichnend ist allerdings, dass die alte UPD es nicht (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geschafft hat, sich an diesem Verfahren rechtswirksam und bei der LINKEN) zu beteiligen. Insofern finde ich es außerordentlich un- angebracht, dass – in gewisser Weise in vorauseilendem Gehorsam – die Funktionstauglichkeit, die Leistungsfä- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: higkeit und eben auch die Qualität der neuen UPD schon Jetzt hat der Kollege Dr .Georg Kippels, CDU/ in Zweifel gezogen werden . CSU-Fraktion, das Wort . (Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU) Bemerkenswert ist immerhin, dass die alte UPD über ei- nen Zeitraum von insgesamt neun Jahren die Möglichkeit Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): hatte, tätig zu sein, während wir jetzt schon nach knapp Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten zwölf Monaten das abschließende vernichtende Urteil Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! hören, dass die neue UPD den neuen Aufgabenstellungen Bei der Vorbereitung der Rede entstand bei mir zunächst nicht gerecht wird . ein bisschen der Eindruck, dass man in erster Linie nur seinen Unmut darüber äußern wollte, dass aus rein ideo- logischen Gründen – und auch noch mit einem erhebli- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: chen Zeitverzug – einfach nur ein neuer Beteiligter im Herr Kollege Kippels, darf ich Sie einmal unterbre- Gesundheitswesen kritisiert wird . Bei nochmaliger Be- chen? – Die Kollegin Klein-Schmeink möchte Ihnen trachtung bin ich dann allerdings zu der positiven Ein- gern eine Frage stellen . schätzung gelangt, dass der Antrag mir und uns heute in der Debatte die Gelegenheit gibt, einmal die Vorzüge und (CDU/CSU): die Funktionstauglichkeit der Unabhängigen Patienten- Dr. Georg Kippels beratung Deutschland zu bewerben und auch den Zuhö- Bitte sehr . rerinnen und Zuhörern da oben auf der Besuchertribüne näherzubringen . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall bei der CDU/CSU) Bitte schön . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21593

(A) Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich fahre fort und bleibe beim Thema Kontrollinstru- (C) NEN): mente . In der neuen Konstruktion haben wir immerhin Herr Kippels, Sie sprachen davon, dass die neue UPD einen wissenschaftlichen Beirat, der im Zusammenwir- vorauseilend kritisch hinterfragt und sozusagen ver- ken von Patientenbeauftragtem, Patientenvertretern, dem dammt werde . Davon kann nicht die Rede sein, wenn GKV-Spitzenverband und unabhängigen Wissenschaft- wir ganz klar Fragen stellen wie: Was hat die alte UPD lern sowie Vertretern von Interessensverbänden die Kon- gemacht, und was hat die neue UPD in ihrem Angebot trollfunktion ausübt . versprochen? (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Ich habe der Bundesregierung Fragen übersandt und GRÜNEN]: Ein großer Teil hat diesen Beirat um Auskunft gebeten . Wenn ich dann sehe, dass die Be- verlassen, aus Protest!) ratungszahlen der alten UPD, die erheblich weniger Mit- Ich denke, dass auf diese Art und Weise nicht nur den tel zur Verfügung hatte, nach einem halben Jahr höher inhaltlichen Ansprüchen, sondern auch den öffentlichen waren als die der neuen UPD, aber so gut wie keine per- Interessen Rechnung getragen wird . Die Forderung nach sönliche Beratung vor Ort anzutreffen war, sondern im Transparenz ist damit erfüllt . Die Funktion des Auditors Wesentlichen Telefonberatung stattfand, dann muss ich wird jetzt wahrgenommen von der Gesellschaft für so- deutlich sagen, dass die Zahlen, mit denen das Angebot ziale Unternehmensberatung, gsub, einem renommierten gearbeitet hat – und die ja auch den Zuschlag erwirkt ha- Unternehmen der sozialen Unternehmensberatung . Aus ben –, in keinster Weise erfüllt sind . Angesichts dessen unserer Sicht werden deshalb Unabhängigkeit, Neutrali- kann man nicht von einer Vorabverurteilung reden . Wir tät und Transparenz nicht nur gewahrt, sondern sie wur- haben uns lediglich den gesetzlich und vertraglich gesi- den gegenüber der vorherigen Situation auch deutlich cherten Zeitraum angeschaut und feststellen müssen: Es gestärkt . gibt erhebliche Differenzen zwischen dem, was zugesagt war, und dem, was eingelöst worden ist . Ich komme an dieser Stelle, wie einleitend angekün- Außerdem wissen wir nicht, wie viele Mittel über- digt, zum Werbeblock für die UPD . Ich denke, das schul- haupt für Personal bereitgestellt werden . Auch das kön- det man dieser Institution nicht nur, sondern sie hat das nen wir nicht erfahren . Das ist eine Blackbox . erkennbar auch verdient . Schon beim ersten Blick auf die ausführliche Webseite wird klar, dass dort vorbeugend, (Tino Sorge [CDU/CSU]: Ist das jetzt eine vorsorgend eine Vielzahl von aktuellen Informationen Frage oder ein Statement?) niedergelegt ist, und zwar in verschieden Infoblöcken zu aktuellen Themenfeldern, sodass sich so manche konkre- Da kann man nicht von einer Vorverurteilung reden, te Anfrage vielleicht durch einen Blick auf die Internet- sondern man muss sagen: Die Zahlen, die uns vorliegen, (B) seite erübrigt . (D) zeigen ganz deutlich, dass der Vertrag nicht erfüllt wird . (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Ein leichter und guter Zugang zu den Angeboten war SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN) unser Anspruch . Sämtliche modernen Medien werden bedient . Neuerdings gibt es auch eine eigens entwickelte App . Die gute Erreichbarkeit war ein maßgeblicher Fak- Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): tor . Wir sind sehr wohl der Meinung, dass die zusätzli- Frau Kollegin Klein-Schmeink, meine Ausführungen chen Beratungsstellen, die längeren Öffnungszeiten und bezogen sich explizit auf die Formulierungen im Antrag die bessere telefonische Erreichbarkeit zeigen, dass die der Kolleginnen und Kollegen der Linken, und der ist Optimierungsversuche erfolgreich waren . Insgesamt ist nun einmal datiert auf November 2015 . inzwischen eine Erreichbarkeit von 90 Prozent gegeben . (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Anfrage können Sie lesen!) GRÜNEN]: Telefonisch! Ausschließlich tele- Die UPD hat ihre Tätigkeit am 1 .Januar 2016 aufgenom- fonisch!) men . Wir haben inzwischen, auch auf Ihre Nachfrage Man muss jetzt durchschnittlich 1,5‑mal anrufen, um hin – die Frage als solche ist ja durchaus legitim und be- beim Anbieter zu landen; das waren vorher 2,8 Anrufe . rechtigt –, einige Zwischenwerte bekommen . Auch sprachliche Barrieren konnten durch die Einrich- Wir werden – dazu werde ich gleich noch ein paar tung von Auskunftsmöglichkeiten in russischer und ara- Bemerkungen machen – über die Kontrollinstrumente bischer Sprache verringert werden, sicherlich Erfahrungen sammeln . Wir werden auch Aus- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE wertungen erhalten, die hier im Hause zweifelsohne zu GRÜNEN]: In zwei Wochen Bearbeitungsfrist debattieren sein werden . Ich glaube, wir dürfen sicher für einen einzelnen Testanruf!) sein, dass Staatssekretär Laumann im Rahmen seiner mitwirkenden Kontrollmöglichkeit ein waches Auge da- im Übrigen durch einen Beitrag der PKV . Professionali- rauf haben wird, dass das, was in der Ausschreibung nie- tät ist auch gegeben . dergelegt worden ist, zeitnah erfüllt wird . Ich bin der Meinung, dass wir mit diesem neuen For- (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein- mat, das sich natürlich bewähren muss, den Weg in die Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: richtige Richtung eingeschlagen haben . Das war eine Ich hoffe, dass „zeitnah“ in dieser Wahlperi- richtige und wichtige Entscheidung . Wir sind an dieser ode meint!) Stelle gehalten, für diese Institution insgesamt zu wer- 21594 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Dr. Georg Kippels (A) ben . Wir sollten sie empfehlen, und wir sollten sie vor renz und bessere Aufsicht über die Selbst­ (C) allen Dingen natürlich intensiv in Anspruch nehmen . verwaltung im Gesundheitswesen Deshalb richte ich meinen Dank an die Kolleginnen Drucksachen 18/10630, 18/8394, 18/11009 und Kollegen der Linken für die Möglichkeit der Bewer- bung . Aber dem Antrag, meine sehr verehrten Damen Zu diesem Tagesordnungspunkt sollen die Reden zu Protokoll gegeben werden .– Ich sehe hier keinen Wider- und Herren Kollegen, können wir beim besten Willen 1) nicht zustimmen . spruch . Dann ist so beschlossen . Herzlichen Dank . Wir kommen damit zur Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes (Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Selbstver- Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt kann ich trotz waltung der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen des Lobes nicht klatschen!) Krankenversicherung sowie zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht . Der Ausschuss für Gesundheit emp- fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Drucksache 18/11009, den Gesetzentwurf der Bundesre- Vielen Dank .– Wir sind damit am Ende der Ausspra- gierung auf Drucksachen 18/10605 und 18/10817 in der che angelangt . Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus- dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen schusses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion wollen, um das Handzeichen .– Das ist die Koalition . Wer Die Linke mit dem Titel „Patientenberatung unabhän- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das sind die Op- gig und gemeinnützig ausgestalten“ . Der Ausschuss position und ein Abgeordneter der CDU/CSU-Fraktion . empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- Dritte Beratung sache 18/9979, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7042 abzulehnen . Wer stimmt für diese und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Mit dem glei- Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen chen Stimmenverhältnis ist der Gesetzentwurf in dritter der Opposition angenommen . Lesung angenommen . Ich rufe die Tagesordnungspunkte 19 a und 19 b auf: Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Gesundheit auf Drucksa- (B) a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- che 18/11009 fort . (D) regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit der Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Selbstverwaltung der Spitzenorganisationen in Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10630 mit dem zur Stärkung der über sie geführten Aufsicht Titel „Patientenvertretung in der Gesundheitsversorgung (GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz) stärken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be- Drucksachen 18/10605, 18/10817, 18/10924 schlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/CSU Nr. 1.17 und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- ses für Gesundheit (14 .Ausschuss) nommen . Drucksache 18/11009 Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh- nung des Antrages der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- auf Drucksache 18/8394 mit dem Titel „Mit Beitrags- richts des Ausschusses für Gesundheit (14 .Aus - geldern der gesetzlich Versicherten sorgsam umgehen – schuss) Mehr Transparenz und bessere Aufsicht über die Selbst- verwaltung im Gesundheitswesen“ . Wer stimmt für diese – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen und der Fraktion DIE LINKE von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Patientenvertretung in der Gesundheits­ Die Linke angenommen . versorgung stärken Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b auf: – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr .Harald a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Terpe, Maria Klein-Schmeink, Kordula Berichts des Ausschusses für Gesundheit Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der (14 .Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten Pia Zimmermann, Harald Weinberg, Sabine Mit Beitragsgeldern der gesetzlich Versi­ cherten sorgsam umgehen – Mehr Transpa­ 1) 5 Anlage Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21595

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter So steht es hier im Koalitionsvertrag . (C) und der Fraktion DIE LINKE Ich möchte in diesem Zusammenhang betonen, dass Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute Pflege meine Fraktion und auch ich eine sinnvolle generalisti- sche Einbindung der Elemente in die neue Pflegeausbil- Drucksachen 18/7414, 18/11003 dung durchaus befürworten. Viele pflegebedürftige Men- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- schen, die in unseren Altersheimen und Einrichtungen richts des Ausschusses für Gesundheit (14 .Aus - wohnen, sind multimorbid mit Krankheitsbildern, die schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten spezifische Pflege benötigen. Umgekehrt haben Men- Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, schen, die ins Krankenhaus kommen, oftmals einen spe- Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter ziellen altenpflegerischen Unterstützungsbedarf. Es ist und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN also durchaus angebracht und wünschenswert, dass sich die verschiedenen Fachzweige hier auch gegenseitig be- Integrative Pflegeausbildung – Pflegeberuf fruchten . aufwerten, Fachkenntnisse erhalten Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir Drucksachen 18/7880, 18/11004 weiterhin die klassischen Spezialisierungen brauchen . Interfraktionell wurde vereinbart, 25 Minuten für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Aussprache vorzusehen . – Ich höre keinen Widerspruch . Zuruf von der SPD: Genau!) Dann ist so beschlossen . Deshalb gibt es hier, meine sehr geehrten Damen und Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege Herren, unseren Vorschlag dieses Modells „zwei plus Erich Irlstorfer für die CDU/CSU-Fraktion . eins“: zwei Jahre gemeinsame generalistische Ausbil- (Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild dung und ein Jahr Spezialisierung . Wenn dann diese Rawert [SPD]: Der Abtrünnige!) Spezialisierung vollzogen ist, kann man zusätzlich einen weiteren Abschluss mit einem weiteren halben Jahr Aus- bildung noch dazu wählen . Erich Irlstorfer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir wollen auch die Möglichkeit schaffen, leichter Die Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ zwischen den Berufen zu wechseln . Zudem plädieren Die Grünen mit den Titeln „Gute Ausbildung – Gute wir dringend für eine Abschaffung des Schulgeldes . Au- Arbeit – Gute Pflege“ und „Integrative Pflegeausbil- ßerdem sind wir für die Angleichung der Gehälter in der dung – Pflegeberuf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten“ Altenpflege an die Gehälter in anderen Pflegebereichen. (B) enthalten inhaltlich viele Punkte, die Dr . Nüßlein, Erwin (D) (Beifall des Abg . Heinz Wiese [Ehingen] Rüddel und ich in unserem Kompromissvorschlag erar- [CDU/CSU]) beitet haben . Deshalb sehen wir keine Notwendigkeit, diesen beiden Anträgen hier zuzustimmen . Hierfür haben wir bereits die Rahmenbedingungen im PSG I und III miteinander geschaffen . Uns eint die Überzeugung, meine sehr geehrten Da- men und Herren, dass in die Pflegeausbildung investiert Meine sehr geehrten Damen und Herren, glauben Sie werden muss, dass sie zukunftsfest gemacht werden mir aber auch Folgendes, das wir nicht unter den Tisch muss, und hier sind wir übereinstimmend unterwegs . Ich kehren dürfen: Die Beschäftigten der Kinderkrankenpfle- bin überrascht, wie massiv und nahezu nicht fähig, einen ge, aber auch die deutschen Kinderärzte sind vehement Kompromiss einzugehen, sich Befürworter und Gegner gegen die generalistische Ausbildung . Sie befürchten, der Generalistik hier gegenüberstehen . dass die Kompetenzen und Fähigkeiten der Auszubilden- den, die einmal für die Versorgung von Säuglingen und (Mechthild Rawert [SPD]: Es gibt eine Kabi- insbesondere von Frühchen zuständig sein werden, und nettsvorlage! Das ist schon ein Kompromiss!) die Qualität der Ausbildung massiv leiden werden . Aus meiner Sicht würden wir mit diesem Kompromiss Eine Petition an den Deutschen Bundestag, die for- sowohl den Befürwortern als auch den Gegnern der Ge- dert, dass die Kinderkrankenpflege als eigenständiger neralistik eine Perspektive aufzeigen . Beruf erhalten bleibt, wurde von 134 000 Menschen un- (Petra Crone [SPD]: Ich kann mich an keinen terzeichnet . In einer repräsentativen Umfrage sprachen Kompromissvorschlag erinnern!) sich 90 Prozent der Betroffenen für einen Erhalt ihres Berufes aus. Auch große Teile der Altenpflege sind ge- Ich darf den entsprechenden Passus aus dem Koaliti- gen eine generalistische Ausbildung . Es sind bei weitem onsvertrag hier noch einmal verlesen, weil er einigen, die nicht nur die Leitungen und Pflegeeinrichtungen, die sich ihn mit verhandelt haben, offenbar nicht mehr geläufig zu 80 Prozent gegen sie ausgesprochen haben . ist – ich zitiere –: Meine Bitte und Aufforderung geht hier vor allem an Wir wollen die Pflegeausbildung reformieren, indem die SPD und ihre Ministerin Frau Schwesig, die sicher- wir mit einem Pflegeberufegesetz ein einheitliches lich für den Bereich der Altenpflege mitverantwortlich Berufsbild mit einer gemeinsamen Grundausbil- ist: dung und einer darauf aufbauenden Spezialisierung für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege (Heike Baehrens [SPD]: Für die Zukunft wol- etablieren . len wir Wege gestalten und nicht rückwärts!) 21596 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Erich Irlstorfer (A) Versuchen Sie nicht, die Pflegeszene zu täuschen, vor Es geht doch hier nicht darum, ob Hermann Gröhe oder (C) allem die Altenpflege. Wer unter dem Deckmantel von Manuela Schwesig als Sieger innerhalb der Koalition beruflicher Durchlässigkeit, Qualitätssicherung und vom Platz gehen, sondern es geht um die Pflegekräfte. verbesserter Bezahlung am liebsten durch die Hintertür einen dualen Ausbildungsberuf akademisieren will, han- (Heike Baehrens [SPD]: Die sind sich doch delt fahrlässig, meine sehr geehrten Damen und Herren . einig! – Weitere Zurufe von der SPD)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Mechthild Rawert [SPD]: Sie bieten der Al- tenpflege keine Zukunft!) Könnten wir uns darauf verständigen, dass Frau Vogler das Wort hat? Nachher darf die SPD darauf ant- Ich möchte Ihnen auch klar sagen: Wir brauchen jeden worten . – Danke . Auszubildenden hier an den Pflegebetten, egal welchen Schultyps . Kathrin Vogler (DIE LINKE): (Heike Baehrens [SPD]: Vor allem die Män- Zumindest überwiegend das Wort, danke . – Wenn Sie ner, genau!) sich nämlich weiter blockieren, dann verlieren alle . Ge- winnen sollen aber doch eigentlich die Auszubildenden, Deshalb ist es notwendig, dass wir heute, aber auch in die zukünftigen Pflegekräfte in der Altenpflege und im Zukunft nicht ausgrenzen, sondern verbinden . Wir wer- Krankenhaus, und diejenigen, um die sie sich 24 Stunden den auch die Schülerinnen und Schüler aus der Mittel- am Tag sieben Tage die Woche mit Herz und Hand, mit und Hauptschule benötigen . Seele und Verstand kümmern. Die Pflegekräfte wollen (Zuruf von der SPD: Das ist doch allen klar!) stolz auf ihren Beruf sein, sie wollen gern zur Arbeit ge- hen, sie wollen gut verdienen, und sie wollen qualifiziert Der Vorschlag Ihrer Kollegin Müller ist zukunftswei- und menschenwürdig pflegen, mit Zeit für Zuwendung. send . Wir werden ihn prüfen . Wir hoffen, dass wir schnell Wir brauchen doch viele hochmotivierte, gute Pflege- zu einer guten Lösung kommen . kräfte . Herzlichen Dank . (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU – Heike Baehrens [SPD]: Das ist die Meinung der Union? – Zu- Viel zu viele kehren ihrem Beruf nach wenigen Jahren ruf von der SPD: Das ist echt eine Rolle rück- den Rücken . Eine Verbesserung der Ausbildung ist ein wärts der CDU/CSU!) wichtiger Baustein, um die Pflege aufzuwerten, worüber wir ja immer wieder reden . Es liegt jetzt an Ihnen, die (B) Pflegeausbildung endlich besser zu machen. Doch was (D) Vizepräsidentin Ulla Schmidt: machen Sie stattdessen? Sie mauern und mauscheln . Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist Kathrin Vogler, Fraktion Die Linke . (Hilde Mattheis [SPD]: Wieso „mauscheln“?) (Beifall bei der LINKEN) Die Große Koalition ist in dieser Frage handlungsunfä- hig, weil sie sich anfangs auf die Generalistik versteift hat und jetzt nicht mehr weiß, wie sie davon wegkommen (DIE LINKE): Kathrin Vogler soll . Dabei hat die Opposition, also wir und die Grünen, Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Prä- Ihnen gute Vorschläge gemacht, wie es richtig gut wer- sidentin! den kann . Über eine Million Pflegekräfte … leiden in Ihrem (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Land, das Sie regieren . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Das sage nicht ich, sondern das schreibt die Kranken- GRÜNEN]) schwester Jana Langer in einem erschütternden Brand- Die Linke setzt auf eine integrative Ausbildung, die brief an die Kanzlerin . Sie fühlt sich nämlich im Stich die fachlichen Besonderheiten von Kranken- und Ge- gelassen von dieser Koalition, die es einfach versemmelt, sundheitspflege, Altenpflege und Kinderkrankenpflege endlich die Qualität der Pflegeausbildung anzuheben. ernst nimmt und erhält, bei der die Auszubildenden aber Alle Sachargumente haben wir ja schon längst ausge- trotzdem so viel zusammen lernen, dass sie zwischen tauscht . Aber die Ausbildungsreform liegt wie Blei in Ih- den einzelnen Berufen wechseln können . Das macht den ren Schubladen . Sie steckt fest, weil sich Union und SPD Beruf attraktiver und bringt höhere Pflegequalität für die kabbeln – das konnten wir gerade wieder beobachten – Menschen: zu Hause, im Heim und im Krankenhaus . und zwei Ministerien sich nicht einig werden . (Beifall bei der LINKEN) (Petra Crone [SPD]: Die sind sich einig, völ- lig einig!) Wir wollen auch mehr Praxis in der Ausbildung, durch mehr Zeit und qualifizierte Anleiterinnen und Anleiter. Genau deshalb haben wir unseren Antrag eingebracht . So können unserer Ansicht nach auch weiter junge Leu- Wir wollen Sie auffordern: Binden Sie den Sack endlich te mit Hauptschulabschluss erfolgreich Pflegefachkraft zu, damit nicht noch eine Wahlperiode ohne Ausbil- werden. Aus den Pflegeschülerinnen und Pflegeschülern dungsreform in der Pflege vergeht. müssen endlich echte Auszubildende werden – mit allem, (Beifall bei der LINKEN) was dazu gehört: mit betrieblicher Mitbestimmung und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21597

Kathrin Vogler (A) Arbeitsschutz und vor allem mit Ausbildungsvergütung der Ausbildung bestimmt . Daher wäre die Reform der (C) und ohne Schulgeld . Pflegeberufe natürlich der krönende, aber auch zwingend nötige Abschluss einer erfolgreichen Pflegepolitik. (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- neten der SPD) (Beifall bei der SPD) Mit Abschluss der Ausbildung muss jede Fachkraft direkt Es freut mich – um einmal etwas Positives zu sagen –, am Menschen, wie es so schön heißt, berufsfähig sein . dass die beiden Oppositionsfraktionen dies ebenso sehen . Nach der Anhörung im Gesundheitsausschuss und (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE vielen Diskussionen mit Betroffenen hat sich auch in der GRÜNEN]: Schon immer!) Koalition einiges in die richtige Richtung bewegt, zum Beispiel beim Kollegen Rüddel von der CDU, der sich Beide Anträge stellen zu Recht erheblichen Reformbedarf inzwischen auch eine integrierte Ausbildung vorstellen fest, analysieren die Situation auch korrekt, benennen kann, wie wir sie vorgeschlagen haben . die Herausforderungen: zu wenige Fachkräfte, schlechte Bezahlung, bescheidene Berufsperspektiven, kaum Auf- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – stiegsmöglichkeiten und teilweise noch Schulgeldpflicht; Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Da kann ein sehr wichtiges Thema . Weder Alten- noch Kranken- man auch mal applaudieren!) pflege sind für die demografischen Veränderungsprozes- – Ja, da kann man auch einmal klatschen . Es ist nämlich se ausreichend gewappnet, liebe Kolleginnen und Kolle- überhaupt nicht ehrenrührig, wenn Regierungsfraktionen gen. Kranken- und Altenpflege wachsen zwar praktisch kluge Ideen aus der Opposition aufgreifen und umsetzen . immer mehr ineinander, aber in der Ausbildung geht man Es ist aber unerträglich, wenn sie die Pflegekräfte und weiter getrennte Wege . die Ausbildungsstätten weiter hängen lassen und nichts Wir haben alle gemeinsam die Probleme erkannt, aber liefern . die Opposition setzt hier leider, wie ich sagen muss, Herr (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Irlstorfer, auf die falschen Lösungen . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Beifall bei der SPD) Denken Sie daran: Ohne das Pflegeberufegesetz ver- Der sogenannte integrierte Ansatz, die integrierte Aus- schärfen sich andere Probleme . Das Schulgeld bleibt, die bildung mit weiterhin getrennten Abschlüssen, löst viele Umlagefinanzierung wird nicht vereinheitlicht, und die Probleme nicht. Die Altenpflegeausbildung hätte zum Pflege wird nicht gestärkt. Wir brauchen jetzt eine inte- Beispiel weiterhin keine EU-Anerkennung, unabhängig (B) grierte, praxisnahe, qualifizierte Pflegeausbildung. Gute davon, dass wir das in dieser Wahlperiode gar nicht mehr (D) Pflege braucht gute Ausbildung. Das muss drin sein. gebacken bekommen würden, weil wir einen völlig neu- en Finanzierungshintergrund ausverhandeln müssen . Sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wissen, dass die Länder mit der Generalistik an diesem neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Punkt einverstanden sind – ebenfalls ein ganz wichtiges Thema, bei dem wir weit gekommen sind und zu dem wir Vizepräsidentin Ulla Schmidt: kein völlig neues Konzept auf den Tisch legen können . Vielen Dank .– Jetzt hat Bettina Müller von der Linke und Grüne waren ja schon einmal wesentlich SPD-Fraktion die Gelegenheit, zu antworten . weiter; das will ich einmal in Erinnerung bringen . Beide Fraktionen haben 2003 die Zusammenlegung der Aus- Bettina Müller (SPD): bildung in der Kranken- und der Kinderkrankenpflege Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mitgetragen . Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versu- chen, die Stimmung, die aufgekommen ist, wieder etwas (Beifall bei der SPD – Dr .Harald Terpe zu beruhigen . Ich bin weder mit dem, was Herr Irlstorfer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein vorgetragen hat, einverstanden, noch kann ich der Frau Fehler!) Kollegin Vogler folgen . Aber ich bin absolut der Mei- Ihre Fachpolitiker haben damals die Reform als Schritt nung, dass wir schon vor dem Hintergrund eines riesigen hin zur Generalistik – das kann man in den Reden noch Zeitdrucks ganz schnell zu einer Konsenslösung in die- nachlesen – bezeichnet und die spätere Einbeziehung der sem Bereich kommen müssen; denn allen Fraktionen – Altenpflege ausdrücklich gefordert und begrüßt. davon gehe ich aus – liegt die Pflege am Herzen. (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- GRÜNEN]: Man kann auch aus Erfahrung ten der LINKEN – Maria Klein-Schmeink lernen, Frau Müller! Man kann aus Erfahrung [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein klug werden!) gutes Wort!) Das Altenpflegegesetz von 2001 war ein Projekt der Wir haben in diesem Bereich in dieser Legislaturperi- damals rot-grünen Bundesregierung . ode mit den Pflegestärkungsgesetzen I bis III vieles ge- schafft . Wir haben wesentliche Leistungs- und Qualitäts- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE verbesserungen auf den Weg gebracht; aber die Qualität GRÜNEN]: Man kann trotzdem aus Erfah- der Versorgung wird auch maßgeblich von der Qualität rung lernen!) 21598 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Bettina Müller (A) Es wurde von der ersten grünen Bundesgesundheitsmi- und Grünen: Das wäre eine Allianz! Sie müssen zugeben: (C) nisterin auf den Weg gebracht . Leider haben sich die Das wäre eine verkehrte Welt . Grünen und die Linken dann wieder aus diesem gemein- (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink samen Prozess ausgeklinkt . Schade; denn angesichts der [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine wirklichen geforderten Kraftakte, die wir hier in den so dumme Unterstellung, Frau Müller!) nächsten Jahren leisten müssen, wäre natürlich eine breit getragene Reform besonders wichtig . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe die Hoff- Frau Müller, das war jetzt ein schönes Schlusswort . nung noch nicht ganz aufgegeben; denn mit dem Ge- setzentwurf sind wir doch in vielen Punkten auf Kritiker (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE zugegangen, fast über die Grenze dessen hinaus, was ich GRÜNEN]: „Schönes Schlusswort“!) für mich persönlich für vertretbar halte . Bettina Müller (SPD): (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Lassen Sie uns daher in der verbleibenden Zeit ge- GRÜNEN]: Was ist denn die Lösung für die meinsame Lösungen suchen . Der Entwurf der Koalition Kinderkrankenpflege?) für die Reform der Pflegeberufe ist, denke ich, eine gute Dieser Gesetzentwurf ist doch nicht mehr die reine ge- Grundlage . neralistische Lehre . Er ist ja bereits eine Mischform aus Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit . integrierter Ausbildung und generalistischem Ansatz; das müssen Sie ja zugestehen . Wir sind dabei gar nicht so (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne- weit auseinander . ten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit so einer Oft sind es nur sprachliche Feinheiten . So entspricht Unterstellung stellt man aber keinen Konsens etwa der Vertiefungseinsatz in einem der drei wählba- her! Wo ist die Lösung für die Kinderkranken- ren Schwerpunkte weitgehend der Spezialisierung des pflege? Gibt es nicht!) integrierten Modells, und diese Schwerpunkte werden dann auch mindestens 50 Prozent der praktischen Aus- Vizepräsidentin Ulla Schmidt: bildungszeit einnehmen . Vielen Dank .– Als Nächstes hat Kordula Schulz- (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE Asche, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . GRÜNEN]: Aber wer ist der Träger dieser (B) Ausbildung?) Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D) NEN): Damit ist man den Betrieben doch schon bewusst sehr Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gute weit entgegengekommen, Pflege ist ein Menschenrecht. Wir alle sind uns einig, dass der demografische Wandel und die Zunahme der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Zahl älterer pflegebedürftiger Menschen auf der einen der CDU/CSU) Seite und die Konkurrenz mit anderen Berufen, die junge und der Kompromiss, die Annäherung an das integrierte Menschen ergreifen können, auf der anderen Seite einen Modell, ist doch schon längst da . dringenden Handlungsbedarf verursachen . Wir brauchen – und ich glaube, darum geht es im Mo- Ich denke, der Gesetzentwurf ist auch für die Grünen ment – gute Rahmenbedingungen . Die Attraktivität des und die Linken zustimmungsfähig . Hier gilt nämlich Pflegeberufs ist ein ganz wesentlicher Punkt. Wir brau- auch das Struck’sche Gesetz, das hier immer wieder be- chen eine Aufwertung des Pflegeberufs. Das beginnt na- müht wird . Vielleicht ist eine Annäherung ja nicht völlig türlich bei der Ausbildung und geht weiter bei der Fort- ausgeschlossen . und Weiterbildung . Hier gibt es einen Handlungsbedarf, (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE und hier muss auch gehandelt werden . GRÜNEN]: Wo ist die Lösung für die Kinder- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN krankenpflege?) sowie bei Abgeordneten der SPD) Wir dürfen – das will ich hier auch noch einmal sa- Es gibt auch eine große Einigkeit – das ist schon mehr- gen – nicht denjenigen Kräften nachgeben, die eine Re- fach gesagt worden –, dass eine Reform der Ausbildung form der Pflegeberufe aus ganz anderen Gründen kom- notwendig ist . Nach der Vorlage der Großen Koalition im plett verhindern wollen, und die Opposition sollte sich letzten Jahr war klar, dass es mit Blick auf die Generalis- hier auch nicht vor den falschen Karren spannen lassen . tik große Bedenken insbesondere in der Altenpflege und der Kinderkrankenpflege gibt. Ich glaube, dass wir gut (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink daran getan haben, noch einmal nachzudenken und diese [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tut ja auch Bedenken ernst zu nehmen, und wir sind jetzt dabei, über keiner!) neue Kompromisse nachzudenken . Der Arbeitgeberverband für die private Pflegewirtschaft Es gibt den von Frau Müller ausgelösten Vorschlag, mit Rainer Brüderle an der Spitze gemeinsam mit Linken den auch unsere pflegepolitische Sprecherin, Elisabeth Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21599

Kordula Schulz-Asche (A) Scharfenberg, in einem Brief gemacht hat: zunächst dass es möglich ist, alle vorhandenen Ansätze gleichzei- (C) einmal die existierenden Ausbildungsgänge fortlaufen tig zu fahren . zu lassen, die Generalistik einzuführen und beides über einen Zeitraum von zehn Jahren zu begleiten und auszu- Ich weiß nicht, ob Sie es schon gemerkt haben, liebe werten . Kolleginnen und Kollegen von der SPD: Sie stehen im Moment mit Ihrer Kritik alleine da . Ich möchte mich hier auch noch einmal ausdrücklich bei dem Kollegen Irlstorfer bedanken, der mit seinem (Zuruf der Abg . Mechthild Rawert [SPD]) Kompromissvorschlag, den er hier gerade vorgestellt hat, Von daher denke ich, dass wir versuchen sollten, auch (Petra Crone [SPD]: Wo ist der Vorschlag Sie, Frau Rawert, aus dieser Blockadesituation auf ver- denn?) nünftige Art und Weise herauszukommen . genau in die Richtung geht, die wir auch vorschlagen, (Hilde Mattheis [SPD]: Das ist eine Beobach- nämlich in Richtung einer integrierten Ausbildung: ein tung, die so nicht stimmt!) zweijähriger gemeinsamer Ausbildungsgang – weil es natürlich große Überschneidungen zwischen den einzel- Wir müssen jetzt endlich die verschiedenen Ansätze nen Berufen gibt – und darauf folgend eine einjährige durchdeklinieren und in einen Gesetzentwurf bringen . oder eineinhalbjährige Ausbildung mit einer beruflichen Das ist die Aufgabe, die wir alle haben, um für gute Pfle- Spezialisierung in den Bereichen Kinderkrankenpflege, ge zu sorgen . Altenpflege oder Krankenpflege. Danke schön . Wenn wir diese drei Modelle zehn Jahre lang neben- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einander laufen lassen, haben wir die Möglichkeit, zu sowie bei Abgeordneten der LINKEN) sagen, wo nachgebessert werden muss und ob es mög- lich ist, diese Bereiche zusammenzuführen . Das, meine Damen und Herren, muss jetzt passieren . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Ich fordere auch Sie in der Großen Koalition auf, dass Vielen Dank .– Jetzt hat der Kollege Erwin Rüddel, wir die angesprochenen drei Schritte jetzt endlich ge- CDU/CSU-Fraktion, das Wort . meinsam gehen und die Beibehaltung des Jetzigen, die (Beifall bei der CDU/CSU) Generalistik und die integrierte Ausbildung gleichzeitig überprüfen . Das fördert die Attraktivität des Berufs und macht die Zukunftsfestigkeit aus, und das sollten wir Erwin Rüddel (CDU/CSU): (B) jetzt auch tun . Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen (D) und Herren! Die beiden vorliegenden Anträge enthalten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Vorschläge, die ich mit Interesse zur Kenntnis genom- Hilde Mattheis [SPD]: Wie kommen Sie auf men habe und die sicherlich im weiteren Meinungsbil- so eine Idee?) dungsprozess hier im Haus eine wichtige Rolle spielen Unabhängig davon gibt es drei Punkte, die sofort und werden. Es wäre gut, wenn wir zu einer Reform der Pfle- unabhängig von dieser gesetzlichen Lösung notwendig geausbildung kommen würden, zu einer Lösung, die hier sind, nämlich die Verankerung der hochschulischen Pfle- im Hause auf weitgehende Zustimmung treffen würde . geausbildung, die Ausbildungsumlage in den Ländern, die Finanzierung, und außerdem – über diesen dritten Aus meiner Sicht geht es zentral um den richtigen Punkt sollten wir uns alle einig sein – müssen wir sofort Weg, um zwei Ziele zusammenzubringen: bessere Be- dafür sorgen, dass das Schulgeld im Bereich der Alten- zahlung in der Pflege und mehr Pflegefachkräfte. Beides pflege abgeschafft wird. würde den Beruf attraktiver machen . (Hilde Mattheis [SPD]: Das kriegen Sie alles (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE mit unserem Gesetzentwurf!) GRÜNEN]: Ja!) Es kann doch nicht sein, dass wir dringendst nach Al- Mit den Pflegestärkungsgesetzen I und III haben wir be- tenpflegerinnen und Altenpflegern suchen, während in reits die Grundlage dafür geschaffen, dass in der Alten- einigen Bundesländern noch Schulgeld bezahlt werden pflege Tariflohn zum Standard werden kann. muss . Das muss unabhängig gelöst werden, und zwar (Beifall bei der CDU/CSU – Maria Klein- jetzt . Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Alles andere war ja wohl unterirdisch in der und bei der LINKEN – Hilde Mattheis [SPD]: letzten Wahlperiode!) Da brauchen Sie gar nicht so zu schreien! Das kriegen Sie alles mit uns!) Deshalb wehre ich mich mit Entschiedenheit gegen den Vorwurf, den Skeptikern in Sachen Generalistik gehe es Meine Damen und Herren, gute Pflege braucht gute darum, die Löhne in der Pflege zu drücken. Das Gegen- Bedingungen und gute Pflegende. Lassen Sie uns schau- teil ist der Fall . Wie unsinnig der Vorwurf ist, zeigt sich en, dass wir hier in diesem Hause gemeinsam jetzt end- im Übrigen daran, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber lich zu Potte kommen und die verschiedenen Kompro- in seltener Eintracht zu den Kritikern der dreijährigen ge- misse zusammenführen . Ich glaube, ich habe dargestellt, neralistischen Ausbildung gehören . 21600 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Erwin Rüddel (A) Meine Damen und Herren, es könnte sein, dass es für ist, auf den Eckpunkten basiert, die in der Bund-Län- (C) eine Reform in dieser Legislaturperiode schon zu spät ist, der-Arbeitsgruppe aufgrund von jahrelanger Vorarbeit von Praktikern erarbeitet worden sind und in der sich (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE die Bundesländer gemeinsam mit diesen beiden Minis- GRÜNEN]: Das wäre aber schlecht!) terien auf ein gemeinsames Konzept verständigt haben? zumal es mit einem Gesetz nicht getan ist; denn wir brau- Sie haben sich auch deshalb untereinander verständigt, chen zusätzlich ausreichend Zeit, um die Verordnung zu weil die Altenpflegeausbildung in der Verantwortung der den Ausbildungsinhalten sorgfältig zu prüfen . Das ist un- Länder liegt . Das heißt, die Länder müssen einem sol- verzichtbar . Gleichwohl begrüße ich ausdrücklich, dass chen Gesetz zustimmen . Ist Ihnen bewusst, dass Sie mit in den letzten Wochen endlich Bewegung in die Sache den Interventionen, die Sie seit Monaten vornehmen, ein gekommen ist . Gesetzgebungsvorhaben aufhalten, das in enger Koope- ration zwischen den 16 Bundesländern und zwei Bundes- (Petra Crone [SPD]: Wo denn? Haben Sie ministerien entwickelt worden ist? einen Vorschlag gemacht?) Ich hätte mir diese Bewegung allerdings wesentlich frü- (Beifall bei Abgeordneten der SPD) her gewünscht . Zu verantworten haben die aktuellen Probleme indes Erwin Rüddel (CDU/CSU): diejenigen, welche die bereits vor etlichen Monaten vor- Ich glaube, Frau Kollegin, wir hier sind der Gesetzge- gebrachten Bedenken offenbar nicht ernst genommen ber und verantwortlich dafür, wie die Ausbildungsreform haben . umgesetzt wird . (Zuruf von der SPD: Bitte?) (Mechthild Rawert [SPD]: Deswegen ärgert Die Skeptiker in Sachen Generalistik haben schon vor die das ja auch so!) vielen Monaten zielführende und kreative Kompromiss- Einem ehemaligen Vorsitzenden Ihrer Fraktion wird ja vorschläge gemacht . Aber all diese Vorschläge wurden die Aussage zugeschrieben, dass kein Gesetz den Bun- von den Verfechtern der dreijährigen generalistischen destag so verlässt, wie es in den Bundestag hineingekom- Ausbildung oft schroff abgelehnt . Deren Modell hat sich men ist . allerdings bisher in der Praxis in keiner Weise bewährt . (Hilde Mattheis [SPD]: Es ist schon verkehrte (Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das Welt, Herr Rüddel, dass wir hier Ihren Minis- ist das Struck’sche Gesetz! – Hilde Mattheis [SPD]: Schwache Antwort, Herr Rüddel!) (B) ter verteidigen müssen!) (D) Genau das ist der Kern des Problems . Viele Prakti- Ich denke, wir versuchen, diesen Gesetzentwurf weiter ker haben unverändert die Sorge, dass die Besonder- zu optimieren, weil wir zwei Ziele erreichen wollen . Das heiten der Kinderkrankenpflege und der Altenpflege zu erste Ziel ist eine gute Bezahlung . Das zweite Ziel ist, kurz kommen . Deshalb hat zum Beispiel GKV-Vorstand nach der Reform mehr Menschen für den Pflegeberuf zu Gernot Kiefer vorgeschlagen, eine Zeit lang mehrere gewinnen als zuvor . Ausbildungswege zuzulassen . Frau Müller hat einen ähn- lichen Vorschlag gemacht . Das Gesetz sollte aber zum Beispiel nicht dazu füh- ren, dass Hauptschüler in diesem Beruf keinen Abschluss mehr machen können . Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Herr Kollege, ich darf Sie einmal unterbrechen . Die (Hilde Mattheis [SPD]: Das ist ja nicht rich- Frau Kollegin Baehrens würde Ihnen gerne eine Zwi- tig! – Petra Crone [SPD]: Das stimmt nicht! schenfrage stellen . Das steht so nicht drin! – Weiterer Zuruf von der SPD: Tut es ja nicht!) (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es noch interessant! Wir reden immer darüber, dass in 40 Modellversuchen Koalitionskino!) eine generalistische Ausbildung erprobt wurde . (Hilde Mattheis [SPD]: Ich lade Sie ein nach Erwin Rüddel (CDU/CSU): !) Ja, gern . Der derzeit vorliegende Gesetzentwurf entspricht keinem Vizepräsidentin Ulla Schmidt: dieser 40 Modellversuche . Alle diese 40 Modellversuche Bitte schön . hatten Auswahlverfahren als Basis – so wurden etwa Schüler in einem Assessment-Center ausgesucht – oder sahen eine längere Ausbildungszeit von dreieinhalb Jah- Heike Baehrens (SPD): ren vor . Nur 24 Schüler in diesen 40 Modellversuchen Herr Abgeordneter Rüddel, herzlichen Dank dafür, hatten einen Hauptschulhintergrund . Deshalb sollten wir dass ich eine Zwischenfrage stellen darf .– Ist Ihnen in uns Gedanken machen, wie wir zu einer guten Lösung Erinnerung, dass der Gesetzentwurf, der im Mai des ver- kommen . gangenen Jahres von einem CDU-Gesundheitsminister und einer SPD-Familienministerin vorgelegt worden (Mechthild Rawert [SPD]: Zehn Jahre!) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21601

Erwin Rüddel (A) Ich denke, wir sind auf einem guten Weg und werden Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (C) eine Lösung finden, Vielen Dank .– Jetzt hat die Kollegin Petra Crone für die SPD-Fraktion das Wort . (Zuruf von der SPD: Weshalb wollen es die privaten Anbieter nicht, Herr Rüddel?) (Beifall bei der SPD) wenn die Familienministerin akzeptiert, dass das Parla- ment seine Ideen in Gesetzentwürfe einbringen kann . Petra Crone (SPD): Danke schön .– Frau Präsidentin! Meine Herren und (Mechthild Rawert [SPD]: Ich finde meine Damen! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Wissen Sie, Ideen auch total toll!) was ich mir wünsche? Ich glaube, da stimme ich mit vie- len überein: Ich wünsche mir beim Thema Pflegeberufe- Das Selbstbewusstsein sollten wir hier im Parlament ha- reform ein Ende der Ungewissheit . ben und nach außen tragen . Wir sind von den Bürgern gewählt worden, um ordentliche Gesetze zu machen . Es (Beifall bei der SPD) kann nicht sein, dass uns verboten wird, Änderungsanträ- Wir müssen im Interesse der betroffenen Pflegeschulen ge zu einem Gesetzentwurf einzubringen . Ich denke, Sie und Betriebe, aber vor allem im Interesse der Auszubil- sollten noch einmal mit Ihrer Ministerin reden . denden in der Pflege endlich Klarheit schaffen. (Zurufe von der SPD) Die Ausbildung muss attraktiver werden, liebe Kolle- ginnen und Kollegen . Dann werden wir in den nächsten Wochen sicherlich ei- nen sehr vernünftigen Kompromiss finden. (Beifall bei der SPD) Ich habe zusammen mit Kollegen auf jeden Fall schon Wir brauchen Bewerber und Bewerberinnen . Die vor vielen Monaten Vorschläge zur integrierten Ausbil- SPD-Bundestagsfraktion will unbedingt die Attraktivi- dung gemacht, tätssteigerung . An diesem Grundsatz halten wir ganz fest . (Hilde Mattheis [SPD]: Keinen Pieps haben (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE Sie gesagt!) GRÜNEN]: Das wollen wir alle! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Die CDU/CSU-Fraktion aber die vorsehen, dass grundsätzlich zwei Jahre lang gene- auch! Da sind Sie nicht alleine!) ralistisch ausgebildet wird und dass dann im dritten Jahr Darin unterscheiden wir uns ja gar nicht so sehr, liebe spezialisiertes Lernen im Vordergrund steht . Mittlerweile Kolleginnen und Kollegen von den Linken und den Grü- (B) sind verschiedene Vorschläge gemacht worden . Ich bin (D) nen . der Meinung, dass wir den verschiedenen Wegen Zeit ge- ben sollten, sich zu bewähren . Anschließend können wir (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE entscheiden, welcher Weg der richtige ist . GRÜNEN]: Gar nicht!) Ich plädiere für einen evolutionären Wandel, nicht für Die vielen in der Pflege beschäftigten Frauen verdie- eine Revolution . Ich glaube, wir brauchen die Fachlich- nen eine Aufwertung ihrer Arbeit . keit und müssen dafür sorgen, dass die Identitäten der (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten drei Pflegeberufe erhalten bleiben. Man muss sich da der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜND- wiederfinden. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Mechthild Rawert [SPD]: Wir wollen einen Schluss mit dem Schulgeld! Wir brauchen endlich eine Beruf! Wir wollen eine Identität!) einheitliche Vergütung, eine faire und höhere Bezahlung, besonders in der Altenpflege. Vizepräsidentin Ulla Schmidt: (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink Vielen Dank, Herr Kollege Rüddel . Ich plädiere jetzt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wem sagen dafür, dass der letzte Satz gesprochen wird . Sie das! – Weiterer Zuruf von der SPD: An der einheitlichen Vergütung liegt es!) Erwin Rüddel (CDU/CSU): Aber das geht nur mit einem einheitlichen Abschluss, mit Dann werde ich das tun . – Wichtig ist mir: Wer heute der Generalistik . einen Abschluss in einem der drei Pflegeberufe schafft, (Beifall bei der SPD) muss das mindestens auch in dem neuen System schaf- fen, Alte Menschen kommen ins Krankenhaus, kranke Menschen leben in Senioreneinrichtungen . Sie erwarten (Hilde Mattheis [SPD]: Das ist eine Diskrimi- dort zu Recht eine gute Versorgung . Aus diesem Grund nierung der Hauptschüler!) setze ich mich seit vielen Jahren für den Zusammen- schluss der drei existierenden Ausbildungen zu einem sonst werden wir die Herausforderungen, vor die uns die neuen, umfassenden und zukunftsfesten Beruf ein . Pflege in den nächsten Jahren stellt, nicht bewältigen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU) der CDU/CSU) 21602 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Petra Crone (A) Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Familien- Ich danke fürs Zuhören . (C) ministerin Manuela Schwesig haben dazu gemeinsam (Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink einvernehmlich ein Gesetz vorgelegt . Alle 16 Bundes- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben länder sind einbezogen worden und haben zugestimmt . wir bereits getan! Ihr macht da ja nichts!) (Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und am Ende entscheidet das Vizepräsidentin Ulla Schmidt: Parlament!) Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra- Im März 2016, fast vor einem Jahr, war hier im Parla- che angelangt . ment die erste Lesung . Es hat eine öffentliche Anhörung Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus- gegeben, in der es ganz viel Zuspruch der Experten und ses für Gesundheit zu dem Antrag der Fraktion Die Linke Expertinnen gegeben hat . mit dem Titel „Gute Ausbildung – Gute Arbeit – Gute Pflege“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss- (Beifall bei der SPD – Erich Irlstorfer [CDU/ empfehlung auf Drucksache 18/11003, den Antrag der CSU]: Und viele waren dagegen! – Maria Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/7414 abzuleh- Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer NEN]: Protokolle lesen hilft!) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer heute der letz- empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio- ten Rede von Frank-Walter Steinmeier als Außenminister nen gegen die Opposition angenommen . mit offenen Ohren und auch mit Verstand gelauscht hat, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesund- konnte hören, wie wichtig es ist, unsere parlamentari- heit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schen Rechte wahrzunehmen . mit dem Titel „Integrative Pflegeausbildung – Pflegebe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – ruf aufwerten, Fachkenntnisse erhalten“ . Der Ausschuss Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck- GRÜNEN]: Machen wir doch gerade!) sache 18/11004, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen auf Drucksache 18/7880 abzulehnen . Wer Aber, liebe Kollegen der Union, jetzt muss ich das mal stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das ist die ganz deutlich sagen: Es hat zu dem Entwurf eines Pfle- Koalition . Wer stimmt dagegen? – Das sind Bündnis 90/ geberufereformgesetzes auf Ihr Betreiben hin in diesem Die Grünen . Wer enthält sich? – Das sind die Linken . Die letzten Jahr nicht ein einziges Berichterstattergespräch Beschlussempfehlung ist damit angenommen . stattgefunden . (B) Ich bitte Sie, jetzt noch eine kurze Zeit hierzubleiben . (D) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider- Wir haben noch einige Abstimmungen vorzunehmen . spruch bei Abgeordneten der CDU/CSU) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf: Und bis heute wurden uns direkt keine Vorschläge ge- Zweite und dritte Beratung des von der Bun- macht; auch das muss ich sagen . desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge­ (Zuruf des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/CSU] setzes zu den Vorschlägen der Europäischen Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüs­ – Herr Irlstorfer, das stimmt nicht . Es sind keine Vor- se des Rates zur Festlegung von Standpunk­ schläge gemacht worden . ten der Union in den Stabilitäts- und Assozi­ ationsräten EU – Republik Albanien sowie (Hilde Mattheis [SPD]: Scheinheilig! – Heike EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Baehrens [SPD]: Nur in der Presse!) Beteiligung der Republik Albanien sowie der Herr Rüddel, das muss ich Ihnen sagen: Wer in dieser Republik Serbien als Beobachter an den Ar­ Situation in der Presse behauptet, Ministerin Manuela beiten der Agentur der Europäischen Union Schwesig würde den parlamentarischen Prozess aufhal- für Grundrechte und die entsprechenden Mo­ ten, scheint nichts von parlamentarischen Abläufen zu dalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) verstehen . Nr. 168/2007 des Rates Drucksache 18/9990 (Beifall bei der SPD) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Trotzdem hoffe ich sehr – ich habe nur drei Minuten ses für die Angelegenheiten der Europäischen Redezeit –, dass wir bald die Gelegenheit haben, dieses Union (21 .Ausschuss) Gesetz zu verabschieden, ein Gesetz, das sich große Teile der Verbände und viele Pflegerinnen und Pfleger wün- Drucksache 18/10966 schen . Glauben Sie mir, ich habe mit vielen in Einrich- Die Reden hierzu sollen zu Protokoll gegeben wer- tungen und in Schulen gesprochen . Lassen Sie uns das den . – Ich sehe, Sie sind einverstanden 1). gemeinsam machen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Um mit den Worten von Frank-Walter Steinmeier zu Damit kommen wir zur Abstimmung . Der Ausschuss sprechen: Die Kollegen und Kolleginnen der Opposition für die Angelegenheiten der Europäischen Union emp- können sich ja als Dünger in die Gesetzgebung einbrin- gen . 1) 6 Anlage Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21603

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Überweisungsvorschlag: (C) che 18/10966, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung (f) auf Drucksache 18/9990 anzunehmen . Ich bitte dieje- Auswärtiger Ausschuss nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sich? – Einstimmig angenommen . Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Dann kommen wir zur Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- lung dritten Beratung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Kultur und Medien und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Ge- Ausschuss Digitale Agenda setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer Haushaltsausschuss stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich wurf ist einstimmig angenommen . sehe, Sie sind damit einverstanden 2). Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Drucksache 18/10971 an die in der Tagesordnung auf- Jelpke, Frank Tempel, Dr .André Hahn, weiterer geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen . Angleichung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 24: Drucksache 18/10969 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f) Pharmazeutische Forschung gegen Infektions­ Innenausschuss (f) krankheiten stärken – Nationale Wirkstoff­ Finanzausschuss Federführung strittig offensive starten Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich Drucksache 18/10972 1) sehe, Sie sind damit einverstanden . Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- (B) Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage zung (f) (D) auf Drucksache 18/10969 an die in der Tagesordnung Auswärtiger Ausschuss aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Hierbei ist die Ausschuss für Wirtschaft und Energie Federführung jedoch strittig . Die Fraktionen der CDU/ Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales CSU und SPD wünschen Federführung beim Haushalts- Ausschuss für Gesundheit ausschuss, die Fraktion Die Linke wünscht Federführung Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- beim Innenausschuss . lung Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs- Haushaltsausschuss vorschlag der Fraktion Die Linke, Federführung beim Innenausschuss . Wer stimmt für diesen Überweisungs- Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich 3) vorschlag? – Das sind die Linken und die Grünen . Wer sehe, Sie sind damit einverstanden . stimmt dagegen? – Das ist die Koalition . Wer enthält Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf sich? – Keiner . Der Überweisungsvorschlag ist damit ab- Drucksache 18/10972 an die in der Tagesordnung auf- gelehnt . geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungs- einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist so vorschlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD . Wer beschlossen . stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt Ich rufe Tagesordnungspunkt 25 auf: dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überweisungsvor- schlag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim- Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- men der Opposition angenommen . gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf: straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Drucksache 18/10937 CSU und SPD Überweisungsvorschlag: Biodiversität schützen – Taxonomische For­ Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) schung ausbauen Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz Verteidigungsausschuss Drucksache 18/10971 2) 8 Anlage 1) 7 Anlage 3) 9 Anlage 21604 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) Ich gehe davon aus, dass Sie damit einverstanden sind, Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs (C) dass die Reden zu Protokoll gegeben werden .– Das ist auf Drucksache 18/10938 an die in der Tagesordnung der Fall 1). aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Ich sehe keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist so beschlossen . Dann kommen wir zur Abstimmung . Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzentwurfes auf Druck- Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf: sache 18/10937 an die in der Tagesordnung aufgeführten Zweite Beratung und Schlussabstimmung des Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu anderweitige von der Bundesregierung eingebrachten Ent- Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Über- wurfs eines Gesetzes zu dem Wirtschaftspart­ weisung beschlossen . nerschaftsabkommen vom 15. Oktober 2008 Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: zwischen den CARIFORUM-Staaten einer­ seits und der Europäischen Gemeinschaft und Erste Beratung des von der Bundesregierung ihren Mitgliedstaaten andererseits eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än­ derung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Drucksache 18/8297 Fahrpersonalgesetzes, des Gesetzes zur Rege­ Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- lung der Arbeitszeit von selbständigen Kraft­ ses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- fahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und wicklung (19 .Ausschuss) des Gesetzes über die Errichtung eines Kraft­ fahrt-Bundesamtes Drucksache 18/10950 Die Reden werden zu Protokoll gegeben .– Ich sehe, Drucksache 18/10882 Sie sind einverstanden 4). Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f) Der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und Entwicklung empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Finanzausschuss lung auf Drucksache 18/10950, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/8297 anzunehmen . Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben werden . – Sie sind damit einverstanden 2). Zweite Beratung Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz- und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem entwurfs auf Drucksache 18/10882 an die in der Tages- Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben .– Wer ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .– Ich stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent- (B) sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann ist die Über- wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen (D) weisung so beschlossen . die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen . Ich rufe Tagesordnungspunkt 27 auf: Ich bedanke mich bei Ihnen . Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Mo­ Wir sind am Schluss der heutigen Tagesordnung an- dernisierung der epidemiologischen Überwa­ gekommen . chung übertragbarer Krankheiten Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes- tages auf morgen, Freitag, den 27 .Januar 2017, ein . Da Drucksache 18/10938 um 9 Uhr hier im Plenarsaal die Sonderveranstaltung aus Überweisungsvorschlag: Anlass des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozi- Ausschuss für Gesundheit (f) alismus stattfindet, zu der ich Sie alle sehr herzlich einla- Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz de, beginnt die Plenarsitzung erst um 10 .30 Uhr . Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden .– Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen einen Auch hier sehe ich keinen Widerspruch 3). angenehmen Abend . Danke schön und auf Wiedersehen! (Schluss: 21 .18 Uhr) 1) Anlage 10 2) Anlage 11 3) Anlage 12 4) Anlage 13 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21605

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1

Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Barthle, Norbert CDU/CSU 26 .01 .2017 Lerchenfeld, Philipp CDU/CSU 26 .01 .2017 Graf Binder, Karin DIE LINKE 26 .01 .2017 Maizière, Dr . Thomas CDU/CSU 26 .01 .2017 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 26 .01 .2017 de

Brinkhaus, Ralph CDU/CSU 26 .01 .2017 Murmann, Dr . Philipp CDU/CSU 26 .01 .2017 Petzold (Havelland), DIE LINKE 26 .01 .2017 Bülow, Marco SPD 26 .01 .2017 Harald

Burkert, Martin SPD 26 .01 .2017 Pfeiffer, Dr . Joachim CDU/CSU 26 .01 .2017

Dağdelen, Sevim DIE LINKE 26 .01 .2017 Pronold, Florian SPD 26 .01 .2017

Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ 26 .01 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 26 .01 .2017 DIE GRÜNEN Saathoff, Johann SPD 26 .01 .2017 Eberl, Iris CDU/CSU 26 .01 .2017 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 26 .01 .2017 (B) Feiler, Uwe CDU/CSU 26 .01 .2017 DIE GRÜNEN (D)

Fischer (Karlsru- CDU/CSU 26 .01 .2017 Schäuble, Dr . Wolfgang CDU/CSU 26 .01 .2017 he-Land), Axel E . Schlecht, Michael DIE LINKE 26 .01 .2017

Gambke, Dr . Thomas BÜNDNIS 90/ 26 .01 .2017 Schwartze, Stefan SPD 26 .01 .2017 DIE GRÜNEN Steineke, Sebastian CDU/CSU 26 .01 .2017 Gohlke, Nicole DIE LINKE 26 .01 .2017 Storjohann, Gero CDU/CSU 26 .01 .2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 26 .01 .2017 Strothmann, Lena CDU/CSU 26 .01 .2017 Groth, Annette DIE LINKE 26 .01 .2017 Timmermann-Fechter, CDU/CSU 26 .01 .2017 Gunkel, Wolfgang SPD 26 .01 .2017 Astrid

Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 26 .01 .2017 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ 26 .01 .2017 DIE GRÜNEN Henn, Heidtrud SPD 26 .01 .2017 Walter-Rosenheimer, BÜNDNIS 90/ 26 .01 .2017 Hochbaum, Robert CDU/CSU 26 .01 .2017 Beate DIE GRÜNEN

Hübinger, Anette CDU/CSU 26 .01 .2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 26 .01 .2017

Korte, Jan DIE LINKE 26 .01 .2017 Zdebel, Hubertus DIE LINKE 26 .01 .2017 * Krellmann, Jutta DIE LINKE 26 .01 .2017 Zeulner, Emmi CDU/CSU 26 .01 .2017 Zollner, Gudrun CDU/CSU 26 .01 .2017 Kudla, Bettina CDU/CSU 26 .01 .2017

Launert, Dr . Silke CDU/CSU 26 .01 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes 21606 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Anlage 2 Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Der inter- (C) nationale Kampf gegen die Terrororganisation IS zeigt Erklärungen nach § 31 GO auch dank der Lieferung militärischer Ausrüstung an zu der namentlichen Abstimmung über die Be­ die Peschmerga und dem Einsatz deutscher Soldatinnen schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses und Soldaten zur Ausbildungsunterstützung der Sicher- zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung heitskräfte der Region Kurdistan-Irak und der irakischen der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräf­ Streitkräfte Erfolge . Es ist gelungen, Flüchtlinge zu te zur Ausbildungsunterstützung der Sicherheits­ schützen, den IS zurückzuschlagen und Territorium zu- kräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak rückzugewinnen . und der irakischen Streitkräfte (Tagesordnungs­ Damit die erreichten Erfolge abgesichert werden und punkt 6) ein Wiedererstarken des IS verhindert wird sowie um eine nachhaltige Stabilisierung des Irak zu ermöglichen, Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist weiterhin internationales Engagement erforderlich . NEN): Die Bedrohung durch ISIS im Irak und Syrien ist Die fortgesetzte Entsendung von bis zu 150 Soldatinnen unvermindert gegeben . Sie ist dank internationaler Be- und Soldaten der Bundeswehr zur Ausbildungsunterstüt- mühungen 2016 zwar regional zurückgedrängt worden, zung soll längstens bis zum 31 . Januar 2018 in diesem aber nach wie vor in vielen Regionen äußerst massiv . Die Sinne weiterhin einen Beitrag leisten zum nachhaltigen abscheulichen Gräueltaten von ISIS an der Bevölkerung Fähigkeitsaufbau der Sicherheitskräfte der Regierung der in Irak und Syrien finden weiterhin statt. Das Ende der Region Kurdistan-Irak und der irakischen Streitkräfte . Schreckensherrschaft von ISIS ist ein unverändertes Ziel Ich halte die geplante Fortsetzung des Bundeswehr­ aller Akteure in der Region . Dies muss auch mit militäri- einsatzes aufgrund humanitärer Verantwortung für die schen Mitteln geschehen . in der Region lebenden Menschen und Flüchtlinge, aber Der Schlüssel im Kampf gegen ISIS sind die kurdi- auch aus sicherheitspolitischen Gründen für sinnvoll und schen Streitkräfte . Irakisch-kurdische Kräfte müssen wei- notwendig . terhin unterstützt werden, dem ISIS entgegenzutreten . Nachdem der irakische Außenminister alle Mitglied- Dies gilt umso mehr, als die Türkei als Partner im Kampf staaten der Vereinten Nationen um Unterstützung im gegen den ISIS-Terrorismus auch immer wieder eigene, Kampf gegen die Terrororganisation IS auch im Wege gegen die Kurden gerichtete Ziele verfolgt . Unabhängig militärischer Ausbildung gebeten hat, ist der Einsatz als von der Luftunterstützung der USA bleibt der Kampf am sogenannte Intervention auf Einladung völkerrechtlich Boden eine zentrale Aufgabe, zu der bislang überwiegend zulässig . (B) irakisch-kurdische Streitkräfte bereit und in der Lage sind . (D) Eine internationale Unterstützung ist dafür auch durch Gemäß Artikel 87a Absatz 2 GG dürfen die Streitkräf- Ausbildung der Streitkräfte dringend notwendig . te außer zur Verteidigung nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt . Ein Fall, in Die einschlägigen UN-Entschließungen und die Er- dem das GG den Einsatz zulässt, ist Artikel 24 Absatz 2 klärungen der Regierung des Irak geben einen völker- GG, auf den die Bundesregierung ihren Antrag erneut rechtlichen Rahmen für die Ausbildungsunterstützung . stützt . Diese verfassungsrechtliche Begründung ist aber Ich respektiere die Rechtsauffassung der Experten mei- nicht überzeugend . ner Fraktion, die den Einsatz der Bundeswehr als völ- kerrechtlich nicht ausreichend abgesichert bewerten und Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- deshalb kritisch beurteilen . In die Gesamtbewertung richts kann sich die Bundesrepublik Deutschland gemäß müssen aber auch weitere Argumente einbezogen und Artikel 24 Absatz 2 GG zur Friedenswahrung an Ent- abgewogen werden . scheidungen einer internationalen Organisation binden . Das umfasst auch die Übernahme der mit der Zugehörig- Die Notwendigkeit der beantragten Ausbildungsunter- keit zu einem kollektiven Sicherheitssystem typischer- stützung der Sicherheitskräfte der Regierung der Region weise verbundenen Aufgaben und damit auch für eine Kurdistan-Irak und der irakischen Sicherheitskräfte ist Verwendung der Bundeswehr zu Einsätzen, die „im Rah- durch die Erfolge im letzten Jahr bestätigt worden . Das men und nach den Regeln“ dieses Systems stattfinden. deutsche Engagement ist in seiner Bedeutung aufgrund der veränderten Position der Türkei gegenüber den Kur- Unzweifelhaft liegt kein spezielles Mandat des VN-Si- den noch wichtiger geworden . Deutschland muss aus cherheitsrates vor, das ausdrücklich die Entsendung von meiner Sicht in einer weltweit veränderten Situation Soldaten zur Friedenssicherung vorsieht und das den entsprechend den in der UN vereinbarten Prinzipien und Rahmen und die Regeln des Einsatzes bestimmt . Vereinbarungen mehr Verantwortung übernehmen . Aus diesem Grund bezieht sich die Bundesregierung in ihrem Antrag auf die beiden Sicherheitsratsresolutio- Diese persönliche Bewertung hat zu meiner Entschei- nen 2170 (2014) vom 15 .August 2014 und 2249 (2015) dung geführt, anders als im vorigen Jahr, in dem ich bei vom 20 . November 2015 sowie auf die Erklärung des dem entsprechenden Antrag der Bundesregierung mich Präsidenten des Sicherheitsrates vom 19 . September der Stimme enthalten habe, dem vorliegenden Antrag der 2014 . Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte zur Ausbildungsunterstützung In der Resolution 2170 (2014) wird die Terrororgani- der Sicherheitskräfte der Regierung der Region Kurdis- sation IS als Bedrohung für die internationale Sicherheit tan-Irak und der irakischen Streitkräfte zuzustimmen . bezeichnet . Zudem werden darin die durch IS begange- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21607

(A) nen Menschenrechtsverletzungen verurteilt sowie Sank- verringert und ihn so unattraktiver macht . Ferner müs- (C) tionen gegen einzelne Mitglieder dieser Organisation be- sen alle benutzten Algorithmen getestet werden, und bei schlossen . Ein Mandat für den Einsatz von Streitkräften den Handelsplattformen wurden große Teile des intrans- enthält diese Resolution nicht . Gleiches gilt für die Reso- parenten Over-the-counter-Handels durch neue, nach der lution 2249 (2015) . MiFID regulierte OTF – Organized Trading Facilities – ersetzt . Auch die Erklärung des Präsidenten des Sicherheits- rates vom 19 . September 2014 reicht meines Erachtens Trotzdem bleibt insbesondere auf dem Gebiet des Ver- nicht aus, weil sie im Kern lediglich den Aufruf enthält, braucherschutzes bereits in der Richtlinie manches zu den Irak zu unterstützen, und es sich dabei zudem im Er- wünschen übrig . Hinzu kommt: Manche in der Richtlinie gebnis um eine politische Erklärung handelt . verankerte Verbesserung ist von der Bundesregierung im Schließlich sind Ad-hoc-Koalitionen kein „System Rahmen des Umsetzungsgesetzes durch die Hintertür zu- gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ im Sinne von Ar- rückgenommen worden . tikel 24 Absatz 2 GG . Selbst wenn man anerkennt, dass Das Anlageverhalten von Verbrauchern in Deutsch- sie kollektiv vorgehen, fehlt es ihnen an der erforderli- land ist gekennzeichnet von geringer Kosteneffizienz chen institutionellen und vertraglich begründeten Struk- und geringer Rendite . Fast 80 Prozent des Geldvermö- tur . Daher halte ich Artikel 24 Absatz 2 GG nicht für die gens privater Haushalte bestehen aus Bargeld, Einlagen richtige Rechtsgrundlage . oder Versicherungs- und Alterssicherungsansprüchen . Nach meiner Überzeugung findet der Einsatz der Bun- Anlageprodukte passen nach Erhebungen des Projekts deswehr aber eine verfassungsmäßig tragfähige Rechts- „Marktwächter Finanzen“ häufig nicht zum Bedarf der grundlage in Artikel 87a Absatz 2 1 .Alternative GG . Der Anleger . Begriff der „Verteidigung“ umfasst nach überwiegender Auffassung nicht nur die reine Landesverteidigung, son- Damit korrespondierend ist die Qualität der Anlage- dern auch die sogenannte Drittstaaten-Nothilfe im Sinne beratung in Deutschland laut Stiftung Warentest auf kon- von Artikel 51 der VN-Charta . Der Bundeswehreinsatz stant schlechtem Niveau . Nur drei Banken berieten im ist daher als solcher verfassungsgemäß . Rahmen des jüngsten Tests im vergangenen Jahr „gut“, dreizehn „befriedigend“, fünf „ausreichend“ und zwei Weil ich den Einsatz der Bundeswehr in dieser Aus- „mangelhaft“ . bildungsmission unabhängig von der seitens der Bundes- regierung gewählten verfassungsrechtlichen Begründung Auch die Gründe für das schlechte Abschneiden hat für verfassungsgemäß und politisch geboten halte, stim- Stiftung Warentest untersucht und festgestellt: „Grobe (B) me ich der Fortsetzung des Bundeswehreinsatzes zu . Beratungsfehler im Test sind vermutlich nur selten auf (D) das Unvermögen der Berater zurückzuführen, sondern eher auf provisionsgetriebene Verkaufsvorgaben der In- stitute . Obwohl der Kundenstatus und die Risikoeinstu- Anlage 3 fung des Kunden fast durchweg gut gelangen, führte das Zu Protokoll gegebene Rede nicht automatisch zu passenden Produktvorschlägen .“ zur Beratung des von der Bundesregierung ein­ Und damit sind wir in media res des Zweiten Finanz- gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur marktnovellierungsgesetzes: Das Wohl des Verbrauchers Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf muss bei der Anlageberatung an oberster Stelle stehen . Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanz­ Es müssen Wettbewerbsnachteile für unabhängige Ho- marktnovellierungsgesetz – 2. FiMaNoG) (Tages­ norarberater abgebaut und die Kosten einer nichtunab- ordnungspunkt 15) hängigen Provisionsberatung offengelegt werden, damit Verbraucher alle Informationen parat haben, um eine Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mündige Anlageentscheidung treffen zu können . Die Zunächst will ich auf die europäische Richtlinie Mi- Vergleichbarkeit von Beratungskosten noch vor Ver- FID II eingehen, um deren Umsetzung es mit vorliegen- tragsschluss ist dafür essenziell . dem Gesetzentwurf geht: Wir Grünen sind sehr zufrie- den, dass es nach jahrelangen Bemühungen von vielen Hier verschlechtert die Bundesregierung die Ver- Bürgerinnen und Bürgern, NGOs und uns gelungen ist, braucherposition in eklatanter Weise, wenn sie die auf dass Nahrungsmittel- und Rohstoffspekulationen in der EU-Ebene bereits verschlossene Umgehungsmöglichkeit ­MiFID-II-Richtlinie durch strenge Positionslimits klare der Festpreisgeschäfte im Regierungsentwurf wieder er- Grenzen gezogen wurden, die über die ursprünglichen öffnet . Bei Festpreisgeschäften tritt ein Institut gegenüber Vorschläge von EU-Kommission und Europäischem Par- dem Verbraucher nicht als durch eine Provision vergüte- lament hinausgehen . ter Kommissionär auf, sondern als „Zwischenhändler“ des Produktes, der seinen Gewinn durch die Differenz Außerdem gelang es, Maßnahmen gegen den aus­ zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis erzielt . Der po- ufernden Hochfrequenzhandel ohne realwirtschaftlichen tenzielle Interessenkonflikt ist genauso offensichtlich Mehrwert auf den Weg zu bringen . Für Preissprünge im wie bei Provisionsgeschäften, doch ist diese Gestaltung Handel ist ein „minimum tick size regime” eingeführt wegen der „auf Zuwendungen von Dritten“ eingeengten worden . Es handelt sich dabei um eine Mindestgröße, Formulierung des § 70 Absatz 1 Seite 1 WpHG-E nicht welche die Rendite des Hochfrequenzhandels deutlich offenlegungspflichtig. 21608 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Auch scheinbare Petitessen wie eine nicht wettbe- AVE bezüglich Soka-Bau auch im Plenum bei meinem (C) werbsneutrale Bezeichnung der beiden Beratungsfor- Abstimmverhalten – Ablehnung – in der Fraktion blei- men können die Etablierung unabhängiger Honorarbe- ben . Einer offensichtlich nachträglichen Legalisierung ratung erschweren . Daher sollte im Gesetzentwurf das rechtswidrigen Verhaltens kann ich nicht zustimmen . Gegensatzpaar von unabhängiger Honorarberatung und nichtunabhängiger Provisionsberatung verankert wer- Die Entscheidung des Deutschen Bundestages, das den . Sozialkassenverfahrenssicherungsgesetz (SokaSiG) im Eilverfahren in unveränderter Fassung zu beschließen, Für effizienten Verbraucherschutz ist es ferner wich- kann ich nicht unterstützen . Es kann nicht Aufgabe des tig, dass die Kundeninformation über die Beratungsform Gesetzgebers sein, für die Soka-Bau unliebsame Ent- sowie die Geeignetheitserklärung standardisiert werden . scheidungen eines Bundesgerichts wieder aufzuheben Hier muss das Bundesministerium der Finanzen von und rückwirkend Ansprüche von erfolgreichen Klägern seinen Verordnungsermächtigungen Gebrauch machen per Gesetz zu revidieren . Wenn dieses Modell Schule und verbraucherfreundliche und wettbewerbsneutrale macht, kann bald jedes Gerichtsurteil per Gesetz aufge- Standards setzen, auch damit der Kunde im Falle einer hoben werden, sind die Gewaltenteilung und die Unab- Schlecht- oder Falschberatung über eine Haftungsgrund- hängigkeit der Justiz in Gefahr . lage verfügt . Hintergrund der Problematik sind Urteile des Bun- Im Rahmen der bereits entworfenen Novellierung der desarbeitsgerichts vom 21 . September 2016 sowie vom Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln 25 .Januar 2017 zur Unwirksamkeit von Allgemeinver- und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienst- bindlichkeitserklärungen (AVE) von Tarifverträgen im leistungsunternehmen (WpDVerOV) ist bereits jetzt Baugewerbe, die für viele Unternehmen des Bauneben- dringender Nachholbedarf gegeben . Die Verordnung gewerbes eine Beitragspflicht an die Soka-Bau nach sich soll regeln, wann eine Zuwendung, also auch eine Pro- ziehen . Einige Unternehmer und Verbände hatten gegen vision, die Qualität der Dienstleistung für den Kunden das Zustandekommen einiger AVEs geklagt und recht verbessert und daher zulässig ist . Die darin aufgeführten bekommen . Fallgruppen sind so butterweich, dass kein Institut in der Realität darum fürchten muss, dass Provisionsgeschäfte Die Tarifvertragsparteien haben seinerzeit Vereinba- nicht de lege lata für den Kunden vorteilhaft wären . Das rungen zulasten Dritter getroffen, die durch das Minis- verkehrt die Untersuchungsergebnisse von Stiftung Wa- terium auf unterster Ebene durchgewunken wurden . Dies rentest in das Gegenteil . führt zu strafrechtlicher Verfolgung . Es ist äußerst frag- würdig, dass Tarifvertragsparteien neuerdings entschei- Der aufgeblähte Finanzvertrieb rechtfertigt sich aus den, was in unserem Land strafbar ist . (B) Sicht der Institute durch die konstanten Einnahmen in (D) einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld . Aus Sicht Die sich aus den Gerichtsurteilen ergebenden mögli- der Verbraucher führt er aber zu einer hohen Kostenquo- chen Rückforderungsansprüche von zu Unrecht geleis- te und in seiner jetzigen provisionsgetriebenen Form zur teten Zahlungen sollen nun durch das Gesetz gekippt konstanten Gefahr von Schlecht- und Falschberatung . werden . Die Sozialkasse des Baugewerbes, welche nicht Wir müssen daher jetzt das Berufsbild des unabhängi- mit gesetzlichen Kassen wie der Rentenkasse verwech- gen Beraters stärken, indem wir Wettbewerbsnachteile selt werden darf, ist schon seit einiger Zeit durch frag- abbauen, damit eine Alternative geschaffen wird sowohl würdige Geschäftspraktiken in der Diskussion . Die Sta- für Verbraucher, die gut beraten anlegen wollen, als auch tistik des Bundesarbeitsministeriums weist jährlich bis für die Arbeitnehmer, die im ständig schrumpfenden Fi- zu 40 000 Soka-Streitverfahren vor den Arbeitsgerichten nanzvertrieb tätig sind . Wiesbaden und Berlin auf . Unternehmer aus dem Baune- bengewerbe werden damit konfrontiert, für angeblich er- brachte Leistungen des Bauhauptgewerbes rückwirkend für vier Jahre etwa 20 Prozent der Lohnsumme für einen Anlage 4 Mitarbeiter an die Soka-Bau abzuführen . Diese Rück- Erklärungen nach § 31 GO forderungen werden mit einem Zinssatz in Summe von 48 Prozent, was einem Prozent pro Monat entspricht, be- zu der Abstimmung über den von den Fraktionen legt . Dass diese Praktiken in vielen Betrieben, vor allen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf kleinen oder Solounternehmen des Baunebengewerbes, eines Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassen­ zu Recht nicht nur Unmut hervorrufen, sondern existenz- verfahren im Baugewerbe (Sozialkassenverfah­ bedrohend sind, verwundert nicht . rensicherungsgesetz – SoKaSiG) (Zusatztagesord­ nungspunkt 3) Darum wäre jetzt die jetzt die geeignete Gelegenheit zu einer Neuregelung gewesen , keine vier Jahre rückwir- kend, keine 12 Prozent Zinsen auf den höchstmöglichen Veronika Bellmann (CDU/CSU): Am heutigen Don- Betrag, keine Inanspruchnahme von Soloselbstständi- nerstag stimmen wir in zweiter und dritter Lesung über gen, die knapp über dem Existenzminimum leben und das Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im auch noch Beitrag bezahlen sollen, keine Inanspruchnah- Baugewerbe ab . men von Betrieben, die andere Tarifverträge haben, und Ich muss leider nach reiflicher Überlegung und insbe- eine klare Definition, was Bau ist. Mit dem vorliegenden sondere nach den beiden aktuellsten Richtersprüchen die- Gesetz zur Sicherung der Sozialkassenverfahren im Bau- ser Woche des Bundesarbeitsgerichts zur Nichtigkeit von gewerbe hat der Deutsche Bundestag die Gelegenheit zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21609

(A) einer sinnvollen, rechtlich einwandfreien Regelung nicht über 360 000 Euro bekommen? Die Soka-Bau selbst, der (C) genutzt . Anwälte eine unbarmherzige Inkassopolitik vorwerfen? Sie verlangt von ihren Schuldnern ein Prozent Zinsen – pro Monat . Und verfügt selbst über 3,7 Milliarden Euro Klaus Brähmig (CDU/CSU): Im Rahmen der Ab- stimmung am 26 . Januar 2017 werde ich den oben ge- liquide Mittel “. Spätestens jetzt müsste bei kritischen nannten von den Fraktionen CDU/CSU und SPD ein- Abgeordneten doch ein verstärktes Interesse vorhanden gebrachten Gesetzen nicht zustimmen . Lassen Sie mich sein, dieses Thema tiefer zu durchleuchten und einer ge- kurz erklären, warum ich nicht zustimmen kann: rechten langfristigen Lösung zuzuführen . Die nachträgli- che Aushebelung eines Beschlusses auf höchstrichterli- Unternehmer aus den Baunebengewerken werden cher Ebene durch den Bundestag ist mir zumindest nicht damit konfrontiert, für angeblich erbrachte Leistungen vermittelbar . des Bauhauptgewerkes rückwirkend für vier Jahre etwa 20 Prozent der Lohnsumme für einen Mitarbeiter an die Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich habe heute gegen Soka-Bau abzuführen . Diese Rückforderungen werden den Gesetzentwurf gestimmt, da er die rückwirkende mit einem Zinssatz in Summe von 48 Prozent, was einem Aufhebung bestehenden Rechts vorsieht . Es kann nicht Prozent pro Monat entspricht, belegt . Dass diese Prakti- und darf auch nicht Aufgabe des Gesetzgebers sein, Er- ken in vielen Betrieben des Baunebengewerkes zu Recht gebnisse von Gerichtsurteilen durch Gesetzesänderun- Unmut hervorrufen, verwundert nicht . Nachdem das gen rückwirkend abzuändern . Bundesarbeitsgericht diese Praxis als unwirksam erklärt hat, soll jetzt im Eilverfahren der Richterspruch ausgehe- Die Gesetzesinitiative geht nicht nur einseitig zulas- belt werden . ten des Baunebengewerbes, sondern die rückwirkende Schaffung von veränderten Rechtsgrundlagen erschüttert Es handelt sich hier um ein Eilgesetz angeblich zur das Vertrauen in unseren Rechtstaat . Sicherung der Sozialkassen des Baugewerbes . Eilgesetze haben ganz selbstverständlich schon den Mangel, dass Das Gesetz hilft zudem nicht, die notwendige Abgren- sie in Eile entstehen und häufig nicht klug durchdacht zung zwischen Bauhaupt- und Baunebengewerbe weiter sind . Wenn die Rechtsansprüche von 50 000 Streitver- voranzubringen . Die einseitige Gesetzesregelung zulas- fahren nicht Anlass genug sind, sich vertieft mit dem ten der klagenden und auch der beklagten Handwerker Thema zu beschäftigen, dann wird meine Vorstellung des Baunebengewerbes hinterlässt einen bitteren Beige- von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit konterkariert . schmack . Bei 40 000 anhängigen Verfahren werden wir Eine Ausschussanhörung, die nur auf Drängen des Wirt- in ganz Deutschland negative Arbeitsplatzeffekte zu ver- schaftsflügels der CDU/CSU-Fraktion zustande kam, zeichnen haben . (B) war aufgrund ihrer Zusammensetzung und zeitlichen Be- (D) grenzung nicht geeignet, dem Thema auch nur annähernd gerecht zu werden . Anlage 5 Zusätzlich ist es meiner Auffassung nach nicht die Zu Protokoll gegebene Reden Aufgabe des Deutschen Bundestages, unliebsame Ent- zur Beratung: scheidungen eines Bundesgerichts wieder aufzuheben und auf diese Weise rückwirkende Ansprüche von er- – des von der Bundesregierung eingebrachten folgreichen Klägern zunichte zu machen . Ich stimme Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung hier ausdrücklich meinem Kollegen Andreas Lämmel der Handlungsfähigkeit der Selbstverwaltung MdB zu, der sagt: ,,Wenn dieses Modell Schule macht, der Spitzenorganisationen in der gesetzlichen kann bald jedes Gerichtsurteil per Gesetz aufgehoben Krankenversicherung sowie zur Stärkung der werden .“ über sie geführten Aufsicht (GKV-Selbstver­ waltungsstärkungsgesetz) Als Handwerksmeister lasse ich mich auch nicht täu- schen . Es geht hier um Macht und Geld und nicht um – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Arbeitnehmerrechte . Die linksliberale Süddeutsche Ausschusses für Gesundheit: Zeitung, die nicht als willenlose Vollstreckerin von Un- – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald ternehmerinteressen bekannt ist, schreibt: ,,Die große Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau), Koalition hilft einer Institution, die in der Öffentlich- Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeord­ keit unbekannt, in der Fachöffentlichkeit indes gerade- neter und der Fraktion DIE LINKE: Pati­ zu berühmt ist . An den Arbeitsgerichten Wiesbaden und entenvertretung in der Gesundheitsversor­ Berlin führt sie jedes Jahr mehr als 50 000 Verfahren . In gung stärken Wiesbaden wenden alle 13 Kammern des Arbeitsgerichts die Hälfte ihrer Zeit für Soka-Bau-Verfahren auf, und die – zu dem Antrag der Abgeordneten Meinungen gehen auseinander, wer an dieser Unmen- Dr. Harald Terpe, Maria Klein-Schmeink, ge schuld ist: die Tarifparteien, weil sie bisher nur sehr Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeord­ ungenau festgelegt haben, was ein „Baubetrieb“ ist und neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE was nicht? All die Handwerksmeister, die sich stets da- GRÜNEN: Mit Beitragsgeldern der gesetz­ rauf verlassen haben, dass ihr Laden entweder nicht als lich Versicherten sorgsam umgehen – Mehr Baubetrieb gilt, oder dass die Soka-Bau ihn nicht findet, Transparenz und bessere Aufsicht über die und die sich dann wundem, wenn sie eine Rechnung Selbstverwaltung im Gesundheitswesen 21610 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) (Tagesordnungspunkt 19 a und b) zu einer hervorragenden Versorgung unserer Patientin- (C) nen und Patienten beiträgt . Fehlverhalten – gleich von Reiner Meier (CDU/CSU): Mark Twain hat einmal wem es ausgeht – untergräbt das Vertrauen in die Selbst- gesagt: „Die Nachricht von meinem Tod ist stark über- verwaltung als Ganzes und muss deshalb konsequent trieben .“ Dieser Satz ist heute Abend gleich im doppelten abgestellt und aufgearbeitet werden . Mit dem heutigen Sinne wahr: Zum einen ist die Selbstverwaltung – allen Gesetz wird die Selbstverwaltung transparenter, demo- Unkenrufen zum Trotz – quicklebendig – und das, ob- kratischer und effektiver, und das ist eine gute Nachricht . wohl sie in ihren Strukturen teils auf die Lebenszeit Mark Abschließend möchte ich es nicht versäumen, mich Twains zurückgeht . Zum anderen hat sich einmal mehr bei den Kolleginnen und Kollegen im Ausschuss für die gezeigt, dass mancher Pressebericht vom Ende unseres konstruktiven Beratungen zu bedanken und auch dafür, Gesetzentwurfs vielleicht doch ein wenig verfrüht war . dass das Gesetz gestern den Ausschuss ohne Neinstim- Mit dem Selbstverwaltungsstärkungsgesetz betonen men passiert hat . wir tragende demokratische Grundsätze in der Selbstver- waltung: Transparenz und Verantwortung . Entsprechend Ich hoffe, dass diese breite Einmütigkeit heute auch haben wir die Informations- und Kontrollrechte der Ver- im Plenum spürbar ist, und darf Sie deshalb um Ihre Zu- treterversammlungen und der Verwaltungsräte im Sinne stimmung bitten . der „checks and balances“ deutlich gestärkt . Das ist auch richtig so . Denn nach unserem Ver- Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Die Stärke der ständnis ist es in erster Linie die Aufgabe der Selbst- Selbstverwaltung ist eine tragende Säule des deutschen verwaltung, im eigenen Haus für ordnungsgemäße und Sozialsystems . Die Sicherstellung einer qualitativ hoch- rechtstreue Abläufe zu sorgen . wertigen, flächendeckenden und bedarfsgerechten medi- zinischen Versorgung der Bevölkerung ist in besonderem Zur Verantwortung gehört aber auch, dass man zu ge- Maße auf das Engagement und die Verantwortung der troffenen Entscheidungen steht . Es wird deshalb klare Selbstverwaltung im Gesundheitswesen zurückzuführen . und eindeutige Regelungen geben, wann es notwendig ist, namentlich abzustimmen . Die Entscheidungen wer- An diesem erfolgreichen und bewährten System halten den damit transparent und jederzeit nachvollziehbar do- wir weiter fest . Dennoch haben Abläufe in der Vergan- kumentiert . genheit gezeigt, dass sich Partikularinteressen Einzelner gegenüber den Interessen des Gemeinwohls durchsetzen Subsidiär und nur für den Fall, dass diese interne können . Selbstkontrolle scheitert, stärken wir an den notwendi- (B) gen Stellen die Aufsichtsinstrumente des Bundesministe- Vor dem Hintergrund der demnächst stattfindenden (D) riums für Gesundheit . Dabei muss eines immer klar sein: Gremienwahlen in Selbstverwaltungskörperschaften ist Eine Selbstverwaltung, die ihren Namen verdient, muss es wichtig, dass wir jetzt ein Gesetz auf den Weg bringen, Spielräume für ihre Entscheidungen haben . Wir haben das auf diese Sachverhalte reagiert . uns deshalb in den parlamentarischen Beratungen eben- so gegen eine Fachaufsicht wie gegen allzu restriktive Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstärkungsgesetz re- Vorgaben bei den Betriebsmittelreserven ausgesprochen . agieren wir aber nicht nur auf Fehlverhalten, sondern wir setzen die notwendigen Rahmenbedingungen und schaf- Auch haben wir die Tatbestandsvoraussetzungen für fen klare Regelungen für zukünftiges Handeln. Effizienz, den „kleinen Staatskommissar“ klarer und konkreter ge- mehr Kontrolle, stärkere Transparenz sowie schlüssige fasst . Damit bleibt der Selbstverwaltung auch in Zukunft Vorgaben staatlicher Rechtsaufsicht sollen die Selbstver- ein substanzieller Spielraum, wie sie die Vorgaben des waltung an den erkennbaren Schwachstellen weiterent- Gesetzgebers umsetzt . Der Maßstab bleibt auch weiter- wickeln und stärken . hin allein die juristische Vertretbarkeit der Umsetzung . Es liegt in der Natur der Sache, dass Gesetze generell Wenn wir im Gesetz von Transparenz sprechen, dann abstrakt und nicht als Lex specialis verabschiedet wer- muss sie erst recht auch im Verhältnis zum Parlament gel- den . Deshalb regeln wir das aufsichtsrechtliche Handeln ten . Ich freue mich deshalb ganz besonders, dass wir uns und die internen Strukturen der Selbstverwaltung nicht auf eine regelmäßige Berichtspflicht des Bundesminis- nur für einzelne Selbstverwaltungsbereiche, sondern teriums an den Ausschuss für Gesundheit verständigen vielmehr für den allgemeinen Bereich der Selbstverwal- konnten . Damit erhält der Bundestag einen regelmäßigen tung, dies in einer uns möglichst einheitlichen Art und Bericht über eingeleitete und laufende Aufsichtsverfah- Weise, ohne dabei unverhältnismäßig in die internen Ge- ren in der Selbstverwaltung und kann daraus die gebote- staltungskompetenzen einzugreifen, wohl wissend, dass nen Schlussfolgerungen ziehen . fast überall hervorragende Arbeit geleistet wurde und Es ist in den letzten Tagen viel davon gesprochen wor- wird . den, dass man mit dem Gesetz die „Richtigen“ treffen müsse . Ich meine, unser Ziel sollte nicht sein, jemanden Wir wollen die Funktionsfähigkeit der Selbstverwal- zu treffen oder zu bestrafen, sondern die Selbstverwal- tung weiter stärken . Dafür bedarf es insbesondere stär- tung als Ganzes zukunftsfest zu machen . kerer Kontroll- und Informationsrechte der Mitglieder der Körperschaften sowie mehr Transparenz im Verwal- Die Selbstverwaltung ist ein einzigartiges und bewähr- tungshandeln . Nur so können frühzeitig Fehlentwicklun- tes System, das umsichtig und mit großem Sachverstand gen erkannt, gestoppt oder gar vermieden werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21611

(A) Wir wollen stärkere Einsichts- und Prüfrechte des Darüber hinaus kann das Bundesministerium für Ge- (C) Verwaltungsrates und der Vertreterversammlungen . Wir sundheit weitere Maßnahmen im Rahmen seiner Rechts- wollen präzisere Vorgaben zu Informations-, Dokumen- aufsicht ergreifen . Denn wir stärken auch die Rechts- tations- und Berichtspflichten über die Beratungen in den aufsichtsstrukturen . Durch konkrete Vorgaben werden Ausschüssen . Wir wollen eine funktionsfähige Hand- Rechtsverletzungen zukünftig eindeutig und konsequent lungsweise durch Wahlen oder auch Abwahlen der oder geahndet . Diese Regelung gilt insbesondere für Betriebs- des Vorsitzenden umsetzen und sie umgesetzt wissen . mittel und Rücklagen sowie für die Pflicht zur Ausschüt- tung von Vermögen bzw . der Senkung der Umlage, wenn Auch wenn immer behauptet wird, das Gesetz greife dies nicht zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben not- zu sehr in den Verantwortungsbereich und schränke da- wendig ist . Wir sichern damit einen verantwortungsvol- mit die nötige Handlungsfreiheit der Organe der Selbst- len Umgang mit Beitragsgeldern . verwaltung massiv ein: Das Gegenteil ist richtig . Die kontrollierenden Organe der Selbstverwaltung werden Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit dem Ge- entscheidend, bezogen auf jedes einzelne Mitglied, ge- setz sowohl die verwaltungsinterne Selbstkontrolle als stärkt . Alle Entscheidungen werden transparent . auch die staatliche Aufsicht als externe Kontrolle ange- passt und weiterentwickelt werden . Größere Transparenz stärkt wiederum auch das Han- Befürchtungen, die Politik werde die Selbstverwal- deln der einzelnen Mitglieder . Nur wer ausreichend und tung eher schwächen als stärken, kann ich nicht teilen . sachgerecht informiert ist, kann die richtigen Entschei- Sogar von Entmündigung war hier teilweise die Rede . dungen treffen . Dies stärkt letztlich die Selbstverwaltung und ihre internen Strukturen . Im Gegenteil: Mit dem GKV-Selbstverwaltungsstär- kungsgesetz setzen wir ein klares Zeichen in Richtung Die Frage, ob in bestimmten Fällen eine namentliche einer stärkeren Selbstverwaltung und einer Aufsicht mit Abstimmung erforderlich ist, wird durchaus strittig dis- Augenmaß im Sinne der Rechtsprechung des Bundesver- kutiert . Die Vergangenheit hat uns aber gezeigt, dass in fassungsgerichts . bestimmten Fällen die Entscheidungen auch nachvoll- ziehbar sein müssen . Damit leisten wir einen wichtigen Beitrag für die Sta- bilität unseres Gesundheitswesens für die Zukunft . Ich Aber auch hier greifen wir nicht ein . Wir vertrauen werbe deshalb um Ihre Zustimmung . auf die Strukturen der Selbstverwaltung in diesen ganz besonderen Verantwortungssituationen . Das heißt, die Bärbel Bas (SPD): Wir reden derzeit viel über Körperschaften bestimmen in ihrer Satzung selbst, wann die kommende Bundestagswahl . Doch bevor wir am eine namentliche Abstimmung vorzusehen ist . Damit (B) 24. September den 19. Deutschen Bundestag wählen, fin- (D) setzen wir auch hier ein klares Zeichen für mehr Eigen- det noch eine andere Wahl statt . Zu Unrecht wird sie oft verantwortung und Selbstkontrolle, da diese Regelung unterschätzt oder nicht richtig wahrgenommen . ausschließlich interne Vorgänge der Selbstverwaltungs- körperschaften betrifft . Gemessen an der Zahl der Wahlberechtigten ist es so- gar die wichtigste Wahl in Deutschland nach den Bun- Uns ist auch wichtig, mögliches Fehlverhalten früh- destags- und Europawahlen . Es geht um die am 31 . Mai zeitig aufzudecken . Auch hier lassen wir die Zuständig- 2017 stattfindenden Sozialwahlen. keit in den jeweiligen Körperschaften . Bei den Sozialwahlen werden für Renten-, Unfall-, Zukünftig wird die Innenrevision den Selbstverwal- Pflege- und Krankenversicherung die ehrenamtlichen tungsgremien der Körperschaften über ggf . festgestellte Vertreterversammlungen bzw . Verwaltungsräte gewählt . Handlungsverstöße berichten . Dies trägt zu mehr Trans- Die sogenannte Selbstverwaltung . parenz und Kontrolle in der hausinternen Aufarbeitung Diese vermeintlich „trockene“ Selbstverwaltung birgt bei . Auch werden dadurch die Strukturen innerhalb der ein gewaltiges Potenzial: Sozialversicherungspflichtig Selbstverwaltung weiter gestärkt . Kompetente, sachge- Beschäftigte sowie Arbeitgeber finanzieren mit ihren rechte Entscheidungsabläufe und Entscheidungen sind Beiträgen die Solidargemeinschaft und damit die Leis- immer noch der beste Weg, hier jegliches aufsichtsrecht- tungen für Rentnerinnen, Rentner und Kranke . Deshalb liches Tätigwerden zu vermeiden . sitzen sie auch am Tisch der Entscheider . Als Ultima Ratio besteht aber nunmehr die Mög- Die gelebte Mitbestimmung der Sozialpartner an der lichkeit, gegebenenfalls aufsichtsrechtlich einzugreifen . Sozialversicherung hat für uns Sozialdemokratinnen und Damit vertrauen wir grundsätzlich auf die Selbstreini- Sozialdemokraten eine sehr hohe Bedeutung und ist für gungskräfte der Selbstverwaltungsinstitutionen . Klar den Erfolg der Sozialversicherung unverzichtbar . muss aber sein: Sofern diese nicht funktionieren sollten, werden wir als Politik auch zukünftig eingreifen . Weil die SPD auch in Zukunft für eine starke Selbst- verwaltung steht, haben wir dieses Selbstverwaltungs- Sollten konkrete Anhaltspunkte für Fehlverhalten vor- stärkungsgesetz immer kritisch begleitet . liegen, kann darüber hinaus eine Person entsandt werden, Der Titel des Gesetzes klingt erst einmal gut . Die Stär- die beratend den Institutionen zur Seite steht, um wei- kung der Selbstverwaltung ist auch immer eine gute Idee . tere, eingreifende Maßnahmen zu verhindern . Auch mit dieser Regelung stärken wir gleichzeitig jedes einzelne Was Sie uns, Herr Minister, allerdings als Referen- Mitglied der Selbstverwaltung . tenentwurf vorlegt hatten, war das genaue Gegenteil und 21612 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) ein Angriff auf die gesamte Selbstverwaltung in diesem prüfungsgesellschaften gestrichen . Es bleibt damit für (C) Land . die Selbstverwaltung bei der turnusmäßigen Prüfung durch das Bundesversicherungsamt . Mit diesem Entwurf wäre es nicht bei einer Rechtsauf- sicht des Ministeriums geblieben, sondern auch zu einer Wir haben im parlamentarischen Verfahren immer Fachaufsicht geworden . Damit wären die Entscheidungs- wieder Zweifel daran vernommen, ob eine effiziente kompetenzen der Spitzenorganisationen der GKV erheb- Rechtsaufsicht nicht auch auf Grundlage der bestehen- lich geschwächt geworden . den gesetzlichen Regelungen hätte ausgeübt werden kön- nen . Darum haben wir jetzt durch einen Änderungsantrag Ich danke Ihnen heute, Herr Minister, dass Sie auf un- dafür gesorgt, dass das Bundesgesundheitsministerium sere Kritik eingegangen sind . zukünftig jährlich zum 1 .März – erstmals 2018 – dem In guter Zusammenarbeit mit unserem Koalitionspart- Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages über ner konnten wir Sie davon überzeugen, Ihren ersten Vor- laufende Aufsichtsverfahren berichtet . Diese Berichts- schlag bereits im Zuge der Erarbeitung eines Kabinetts­ pflicht wird uns Abgeordneten in Zukunft eine bessere entwurfs zu entschärfen . Kontrolle ermöglichen, ob das Bundesgesundheitsminis- terium seinen aufsichtsrechtlichen Pflichten gegenüber Ich kann schon verstehen, warum Sie einen Gesetzent- den Spitzenorganisationen ordnungsgemäß nachgekom- wurf in dieser Schärfe formuliert haben . Sie haben damit men ist . auf die Verfehlungen der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung reagiert . Diese hat mit einem Mix aus Korruption, Wir haben lange und intensiv beraten und auch in die- Intrigen und Selbstbereicherung nicht nur ihren Auftrag ser Woche noch hart verhandelt . Das ist nicht nur unser zur Steuerung der ambulanten ärztlichen Versorgung in Recht als Parlamentarierinnen und Parlamentarier, das ist ganz Deutschland vergessen lassen, sondern auch das sogar unsere Pflicht. öffentliche Vertrauen in die Selbstverwaltung insgesamt Am Ende ist für uns als SPD-Bundestagsfraktion klar: erschüttert . Dieses Gesetz trifft jetzt die Richtigen – ohne das Prinzip Ganz klar: Die Verfehlungen innerhalb der KBV müs- der Selbstverwaltung zu beschädigen . Die SPD steht für sen restlos aufgeklärt werden . Es ist für die SPD völlig eine starke Selbstverwaltung auch in der Zukunft . unstrittig, dass wir eine vollständige Transparenz und bessere Aufsicht über die Vorgänge in der KBV brau- Harald Weinberg (DIE LINKE): Die Organisatio- chen . Allerdings darf man dabei nicht die gesamte Selbst- nen der Selbstverwaltung kritisierten den ersten Gesetz- verwaltung beschädigen . Ich persönlich hätte mir daher entwurf scharf . Sie sah in der Bezeichnung „Selbstver- auch eine sogenannte „Lex KBV“ vorstellen können . waltungsstärkungsgesetz“ keine Stärkung, sondern eine (B) (D) Nach intensiven Verhandlungen hat die SPD-Fraktion Schwächung, die Beschneidung ihrer Selbstständigkeit . sich mit umfangreichen Änderungen beim Selbstverwal- Nun sind ihm einige der dahin gehenden „Zähne“ gezo- tungsstärkungsgesetz durchgesetzt . gen worden . Ich will hier nur exemplarisch die nennen, die in mei- Eigentlich spricht auch einiges dafür, dass die Bun- nen Augen für eine starke und autonome Selbstverwal- desregierung mit ihrem bisherigen aufsichtsrechtlichen tung am wichtigsten sind: Instrumentarium einige Auswüchse der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), die ja Anlass für das Gesetz Der Gesetzentwurf sah in § 81 Absatz 1 und § 217e waren, hätte verhindern oder zumindest abmildern kön- sogenannte „Pflichtinhalte“ für die Satzungen der Kör- nen, aber bewusst weggeschaut hat . Das wäre zugleich perschaften vor . Diese sind ersatzlos gestrichen worden . eine Begründung für den danach demonstrativen Hand- lungswillen von CDU/CSU und SPD . Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir diesen Ein- griff in die Satzungsautonomie der Selbstverwaltungs- Aus unserer Sicht ist es durchaus sinnvoll, mehr Trans- institutionen nicht mittragen . Es ist ein wesentliches parenz und auch mehr Kontrolle über die Selbstverwal- Element der Selbstverwaltung, über die Satzungsinhalte tung einzuführen . Für uns ist klar: Mehr Transparenz ist selbst bestimmen zu können und auch die Verantwortung das A und O für das Vertrauen in die Selbstverwaltung . dafür zu übernehmen . Die nun geschaffenen Eingriffsmöglichkeiten müssen ja auch nur genutzt werden, wenn es wirklich einen Anlass Wir haben Präzisierungen bei der sogenannten ent- gibt . Sie können aber dadurch, dass sie grundsätzlich je- sandten Person erreicht, die das Ministerium bei Gefah- derzeit eingesetzt werden können, auch disziplinierende ren für die ordnungsgemäße Verwaltung entsenden kann . Effekte auf die Gremien haben, zu politisch tragfähigen Dieser „kleine Staatskommissar“ dient jetzt ausschließ- Lösungen zu gelangen . lich der Beratung und Unterstützung der jeweiligen In- stitution . Wir hatten massive Bedenken, dass sich bei der Insofern sind viele der im Gesetzentwurf getroffenen Entsendung eines weisungsbefugten Kontrolleurs eine Maßnahmen nicht falsch . Sie sollen ja auch nicht Verfeh- relevante Haftungsfrage ergeben kann, wenn sich dessen lungen der Vergangenheit bestrafen, sondern Verfehlun- Entscheidungen als falsch herausstellen . Uns war darum gen in der Zukunft verhindern . wichtig, dass die Entscheidungen weiterhin vom Vor- stand getroffen und auch verantwortet werden . Das Gesetz ist aber keine Lösung für das Grundpro- blem der Selbstverwaltung in einem sich immer stärker Darüber hinaus haben wir die Regelungen über die in Richtung Wettbewerb bewegenden Gesundheitssys- Prüfung der Körperschaften durch externe Wirtschafts- tem . Letztendlich versucht hier die Bundesregierung die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21613

(A) Folgen ihrer eigenen Politik einzudämmen: Wer Wettbe- in Deutschland . Sie stellt sicher, dass fachliches Wissen (C) werb einfordert – und das machen in unterschiedlichem und praktische Erfahrungen derjenigen, die im Gesund- Maße leider alle Fraktionen außer der Linken – darf sich heitswesen tätig sind, unmittelbar in dessen Regulierung nicht wundern, dass jede und jeder vorrangig den eigenen einfließen. Nutzen sieht und das Gemeinwohl aus dem Auge ver- liert . Der eigentliche Zweck der Selbstverwaltung ist, die Umso wichtiger ist es allerdings, dass die Selbstver- Versorgung der Patientinnen und Patienten zu verbessern waltung transparent und an der Sache orientiert agiert . und das Gemeinwohl zu stärken . Die Selbstverwaltung Selbstverwaltung muss jedes Verdachtsmoment der und unser Gesundheitssystem sind kein Selbstzweck . Sie Selbstbedienung vermeiden . Das war leider in der Ver- sind da, um eine gute Versorgung der Patientinnen und gangenheit nicht immer so klar . Die Unregelmäßigkei- Patienten zu organisieren . Diese Idee wird durch Wettbe- ten um das Geschäftsgebaren bei Immobiliengeschäf- werb konterkariert . ten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung haben der Legitimation der Selbstverwaltung einen Bärendienst Deshalb trifft die Selbstverwaltung nicht wenige Ver- erwiesen . Jahrelang hatte deren früherer Vorstand Gel- einbarungen, die dem Gemeinwohl nicht entsprechen . der in eine defizitäre Immobiliengesellschaft investiert, Die zweifelhaften Geschäfte der KBV sind nur die Spitze sich selbst und anderen überhöhte Versorgungsbezüge des Eisbergs . Und diese Spitze, der Fall Köhler, der an- gewährt und Rücklagen in wertlosen Finanzanlagen ver- dauernde Streit der Haus- und Fachärzteschaft und die senkt . Dass diese Vorgänge öffentlich publik wurden, Immobiliengeschäfte offenbarten eine offensichtliche ebenso wie die jahrelange Untätigkeit Ihres Ministeriums Fehlfunktion der Selbstverwaltung, sodass die Bundesre- als Aufsichtsbehörde, verdanken Sie nicht zuletzt auch gierung hier einfach nicht mehr wegschauen konnte . der Beharrlichkeit unserer Fraktion . Wir wollen aber grundsätzlich an das Problem he­ Es muss also zukünftig dafür Sorge getragen werden, ran . Es bedarf in einem wettbewerblich ausgerichteten dass die internen Kontrollmechanismen innerhalb der System aus unserer Sicht zumindest einer Stärkung der Spitzenverbände wie auch die aufsichtsrechtlichen Be- Patientenvertretung als Korrektiv . Wenn man die Selbst- fugnisse des Bundesministeriums für Gesundheit gegen- verwaltung in einem Gesetzentwurf anpackt, ohne die über diesen Akteuren konsequent angewendet werden . Patientinnen und Patienten oder die Patientenvertretung Das ist keine Gefährdung des Prinzips der Selbstverwal- auch nur in einem Wort zu erwähnen, dann fehlt hier tung, wie oft zu hören war . Im Gegenteil: Es erhöht die ein ganz wesentlicher Punkt . Wir wollen die Rechte der Legitimation der Selbstverwaltung . Patientenvertretung stärken . Das wird mit dem jetzigen Gesetzentwurf von CDU/CSU und SPD überhaupt nicht Wir begrüßen, dass Sie den noch im Referentenent- angegangen . Deshalb werden wir uns enthalten . wurf geplanten massiven Eingriff in die Richtlinienkom- (B) petenz des Gemeinsamen Bundesausschusses wieder ge- (D) Wir schlagen vor, dass die Patientenvertreterinnen strichen haben . Dass Sie die Geschäftsprüfungen bei den und Patientenvertreter an entscheidender Stelle mitbe- Spitzenverbänden nun nicht mehr an private Wirtschafts- stimmen können . Sie sollen im Gemeinsamen Bundes- prüfungsgesellschaften outsourcen, sondern beim Bun- ausschuss das Zünglein an der Waage sein, wenn sich desversicherungsamt belassen wollen, unterstützen wir Kassen, Ärzte- und Zahnärzteschaft sowie Krankenhäu- ebenfalls . Allerdings erwarten wir auch, dass Sie diese ser nicht einigen können . Die Patientenorganisationen Behörde zukünftig mit genügend Ressourcen ausstatten, erhalten im Gemeinsamen Bundesausschuss das Recht, damit sie diese Prüfungen auch sachgerecht wahrnehmen zwei der drei unparteiischen Mitglieder zu benennen . Es kann . muss weitgehend ausgeschlossen werden, dass auf die Entscheidungen der Patientenvertretung Einfluss genom- Ob Ihr Gesetzentwurf allerdings einen stringenten men wird . Durch geeignete Verfahren muss ihre Unab- Beitrag zur Stärkung der Selbstverwaltung darstellt, darf hängigkeit von anderen Interessengruppen sichergestellt bezweifelt werden . Ein Beispiel: Nach Ihrem Vorschlag werden . sollen Beteiligungen an Gesellschaften des Privatrechts zukünftig lediglich vom Lenkungsgremium der Körper- Gerade unter den Bedingungen des Kassenwettbe- schaft selbst abgenickt werden . Das ist nach den Erfah- werbs bedarf es zudem einer bundeseinheitlichen und rungen mit der Übernahme einer faktisch insolventen wirksamen Aufsicht über alle Krankenkassen . Immobiliengesellschaft durch die Kassenärztliche Bun- desvereinigung nicht nachvollziehbar . Es muss für solche Und wir schlagen vor, dass der Medizinische Dienst Entscheidungen mit teilweise erheblichen finanziellen der Krankenversicherung bei Begutachtungen, die Ent- Auswirkungen zukünftig auch eine aufsichtsrechtliche scheidungen über die Leistungsgewährung vorausgehen, Kontrollmöglichkeit geben, um einer erneuten Rufschä- schrittweise als von den Kranken- und Pflegekassen per- digung der Selbstverwaltung im Wiederholungsfalle sonell und organisatorisch unabhängige Organisation weitgehend vorzubeugen . ausgestaltet wird . Es soll nach Ihrer Vorstellung ja keine Rahmenvorga- Diese Vorschläge gehen deutlich über den vorliegen- ben für Geldanlagen oder Darlehen geben, obwohl die den Gesetzentwurf hinaus . KBV gerade durch solche Finanzgeschäfte erhebliche Beträge verloren hat . Man darf auch gespannt sein, in- Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wieweit gesetzlicher Korrekturbedarf infolge der Aus- Die Selbstverwaltung ist ein wesentlicher Eckpfeiler des einandersetzung um persönliche Haftung von Funkti- alles in allem gut funktionierenden Gesundheitssystems onsträgern vor Gericht entsteht . Unsere Forderung nach 21614 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) einem besseren Schutz von Whistleblowern wurde nicht schaften im Vergleich zum Westen noch immer äußerst (C) aufgegriffen . schwach sind . Aus den genannten Gründen wird sich meine Fraktion Zu begrüßen ist, dass die albanische Regierung eine bei diesem Gesetzentwurf enthalten . nationale Strategie gegen häusliche Gewalt und für Gleichberechtigung ausgearbeitet hat . Und Serbien hat Und machen wir uns nichts vor: Ein wie auch im- im vergangenen März einen Minderheiten-Aktionsplan mer geartetes Selbstverwaltungsstärkungsgesetz wird verabschiedet, der Teil der Verpflichtungen zum Ab- wenig Veränderung bringen, wenn nicht auch in den In- schluss der Verhandlungen zum Kapitel 23 ist . Trotzdem stitutionen und im Ministerium selbst ein Kulturwandel muss man objektiv feststellen, dass es in beiden Ländern stattfindet. Beide haben in der Vergangenheit ihre Kon­ oft an der vollständigen Implementierung der Normen trollfunktionen und ihre Aufsichtsrechte zum Teil unter- hakt . lassen beziehungsweise – vorsichtig formuliert – sehr dezent wahrgenommen und tragen damit einen Teil der Ein wesentlicher Hemmschuh sind jedoch die Justiz- Verantwortung für das Ausmaß der Missstände . Ein Ge- systeme, die in Serbien und vor allem auch Albanien eine setz ändert nichts, solange nicht die Bereitschaft besteht, Dauerbaustelle sind . Die größten Herausforderungen Aufsichtsrechte im Ernstfall auch wahrzunehmen . Und sind die Steigerung der richterlichen Unabhängigkeit und genau das erwarten wir von Ihnen in Zukunft als Beitrag die Effizienz der Gerichte sowie der Verwaltung und der zur Stärkung der Selbstverwaltung . oft große Verfahrensrückstau . Ein Lichtblick ist sicher- lich die in Albanien im vergangenen Sommer beschlos- sene Justizreform, die wesentlich unter Beratung der von einem deutschen Richter geführten EURALIUS-Mission Anlage 6 vorbereitet worden war, samt des Vetting-Prozesses zur Zu Protokoll gegebene Reden Überprüfung der Richter . Aber auch hier gilt: Auf dem Papier ist die Reform sicherlich mustergültig . Ohne Im- zur Beratung des von der Bundesregierung einge­ plementierung ist sie allerdings nicht das Papier wert, auf brachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Vorschlä­ dem sie geschrieben steht . Das zeigt sich auch an der In- gen der Europäischen Kommission vom 7. März stitution des Ombudsmanns zur Sicherung von Minder- 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von heitenrechte, der sich in beiden Ländern gleichermaßen Standpunkten der Union in den Stabilitäts- und nur sehr schwer Gehör und gesellschaftliche Aufmerk- Assoziationsräten EU – Republik Albanien sowie samkeit verschaffen kann, EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Betei­ ligung der Republik Albanien sowie der Republik Ein weiteres Problem ist die trotz großer Medienviel- (B) (D) Serbien als Beobachter an den Arbeiten der Agen­ falt bestehende Praxis der politischen Einmischung in die tur der Europäischen Union für Grundrechte und Arbeit der öffentlichen Rundfunkanstalten und zur Ein- die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der schüchterung von Journalisten . Ganz wesentlich ist die Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates (Tages­ Intransparenz der öffentliche Medienförderung . Politiker ordnungspunkt 22) auf dem Balkan verstehen die Medien traditionell nicht als „Vierte Gewalt“ im Staat, sondern als Kanal, um Bür- ger zu beeinflussen. Kritische Medienberichte werden Thorsten Frei (CDU/CSU): Albanien als Beitritts- als feindliche Handlung angesehen . Folglich werden nur kandidat der Europäischen Union und auch Serbien, mit Zeitungen finanziell gefördert, die eine der politischen dem bereits Beitrittsverhandlungen geführt werden, ha- Führung konforme Berichterstattung bieten . Das ist na- ben in der Vergangenheit viele Fortschritte im Bereich türlich ein Problem, da in der Region kaum eine Firma der Grundrechte gemacht . Die Grundrechte sind in bei- oder Privatperson Werbung schaltet . den Ländern gesetzlich kodifiziert und entsprechen ins- gesamt internationalen Standards . Systematische Men- Folglich kommt auch der jüngste Fortschrittsbericht schenrechtsverletzungen durch Regierung oder andere der EU-Kommission zum Schluss, dass weiterhin Dis- Staatsorgane sind nicht zu beobachten . Lediglich der kriminierungen und Feindseligkeiten gegenüber benach- Bereich der Organisierten Kriminalität bildet in Teilen teiligten Gruppen, unter anderem aus Gründen der sexu- eine Ausnahme, etwa mit Blick auf den noch immer exis- ellen Orientierung oder der Geschlechtsidentität, auf der tenten Menschenhandel . Insbesondere in Albanien ist das Tagesordnung stehen . Außerdem sind weitere Maßnah- Zusammenleben der Religionsgemeinschaften von Mus- men notwendig, um die Gleichstellung von Frauen und limen sowie katholischen und orthodoxen Christen von Männern zu gewährleisten, auch durch die Bekämpfung beispielhafter Toleranz gekennzeichnet . von häuslicher und geschlechtsspezifischer Gewalt, und um Chancengleichheit für Frauen herzustellen, insbeson- Und trotzdem erfahren bestimmte Gruppen noch im- dere auf dem Arbeitsmarkt . Die Rechte der Kinder müs- mer faktische Benachteiligungen im Alltag . Hier kommen sen gestärkt werden, unter anderem durch die Entwick- vor allem tradierte Wert- und Gesellschaftsvorstellungen lung von Kinderschutzsystemen, und es bedarf vermehrt zum Tragen . Insbesondere Frauen und ihre Behandlung wirksamer Strategien zur Unterstützung von Menschen unterliegen den herkömmlichen traditionellen Mustern . mit Behinderungen . Ebenso hat sich kaum etwas an der Sie sind noch immer häufig Opfer häuslicher Gewalt. schwierigen Lage der Roma geändert . Leider gilt das auch für Kinder . Im ländlichen Raum gibt es diesbezügliche Probleme deutlich häufiger als in Es gibt also unverändert viel zu tun, um Albanien fit für den Städten . Auch daran zeigt sich, dass die Zivilgesell- die Beitrittsverhandlungen zu machen und damit Serbien Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21615

(A) die einschlägigen Kapitel 23 und 24 erfolgreich abschlie- Jahr 2014 rund 1,9 Milliarden Euro betrug und dort weit (C) ßen kann . Folglich ist das Ansinnen der EU-Kommission mehr als 6 000 Personen beschäftigt waren . Zudem ist die richtig . Die Teilnahme als Beobachter in der EU-Grund- Bundesregierung im Verwaltungsrat einer jeden Agentur rechteagentur böte einen weiteren Kanal, um am Abbau mit mindestens einem Repräsentanten vertreten . Wenn der Defizite zu arbeiten und die beiden Länder näher an wir die Gewaltenteilung ernst nehmen, dann sollten wir die Standards der Europäischen Union heranzuführen . uns auch mit deren Arbeit befassen . Die nächste Gele- Der Dialog mit den Mitgliedern in diesem Bereich könn- genheit, sich mit dem System der dezentralen Agenturen te neue Impulse für die Stärkung der Grundrechte bieten . zu befassen, bieten die Brexit-Verhandlungen . Denn mit ihnen geht die Notwendigkeit der Verlagerung zweier Noch viel wichtiger erscheint mir aber die Tatsache, Institutionen – nämlich der Europäischen Arznei-Mittel­ dass die Teilnahme an der Grundrechteagentur und den agentur sowie der Europäischen Bankenaufsicht – aus damit verbundenen Mechanismen selbst im Beobachter- dem Vereinigten Königreich in einen anderen Mitglied- status eine weitere Form der Heranführung und Bindung staat der EU einher . an die EU ist . Für die Länder des westlichen Balkan sind solche Schritte messbar und ein unmittelbar nachvoll- Agenturen sind heute fester Bestandteil der europäi- ziehbarer Erfolg der eigenen Bemühungen . Solche Erfol- schen Exekutive geworden . Sie erfüllen wichtige admi- ge lassen sich auch gegenüber der eigenen Bevölkerung nistrative, operative und teilweise auch regulative Auf- im Sinne der eigenen politischen Strategie gut darstellen . gaben, insbesondere in Bereichen, die ein hohes Maß Wir müssen ihnen solche Schritte immer wieder bieten an Spezialwissen oder -fähigkeiten erfordern . Mangels und ermöglichen, auch wenn klar ist, dass wir nicht von eines einheitlichen Regelungsrahmens entstanden quer den geltenden Kriterien abrücken werden oder Konzessi- über Europa verteilt Agenturen mit sehr unterschiedli- onen machen dürfen . chen Handlungsbefugnissen, internen Organisations- strukturen und Kontrollmechanismen . Diesen Wild- Das ist gerade in der heutigen Zeit dringend geboten . wuchs nahmen das Europäische Parlament, der Rat der Wir schauen auf ein Jahr der Unsicherheit in Europa . EU und die Kommission zum Anlass, im Jahr 2012 eine Das gilt nicht nur wegen des Brexits, sondern auch we- gemeinsame Erklärung über die dezentralen Agenturen gen des neuen US-Präsidenten Donald Trump, der kein zu beschließen . Mit der Formulierung eines Fahrplans, Interesse an einem starken Europa hat . Gerade für den einem einheitlichen Rahmenregelwerk und weiteren Ini- westlichen Balkan könnte ein abnehmendes amerikani- tiativen setzte die EU-Kommission diese gemeinsame sches Engagement fatale Folgen haben . Schon heute sind Erklärung um . Als größter Nettozahler in der Europäi- die Aktivitäten Russlands, Chinas und mit Blick auf die schen Union hat die Bundesrepublik Deutschland ein muslimisch geprägten Länder auch aus dem arabischen besonderes Interesse daran, dass EU-Mittel sparsam und Raum nicht zu übersehen . Die genannten Länder warten (B) effizient eingesetzt werden. Daher ist es folgerichtig, die (D) nur darauf, in ein mögliches Vakuum zu stoßen und die EU-Agenturen einer regelmäßigen Aufgabenkritik zu noch immer nicht gefestigten Länder der Region in die unterziehen . Auch hier gilt: Seine Daseinsberechtigung eigene Einflusssphäre zu ziehen. Zumal die nationalis- auf europäischer Ebene hat nur, was echten europäischen tischen Gruppierungen und Parteien unverändert stark Mehrwert bringt . sind und gerade die historischen Bindungen zu Russland unverändert hoch im Kurs stehen . Hier sehe ich die ernst- Gerade mit Blick auf die EU-Grundrechteagentur hafte Gefahr, dass das ein oder andere Land trotz aller stellt sich diese Anforderung als besonders schwierig dar . Beteuerungen einen Kurswechsel vollziehen könnte . Aus meiner Sicht nicht zu Unrecht wird von manchen Verschiedene Ereignisse und Spekulationen darum zei- Seiten die Kritik erhoben, mit der Grundrechteagentur gen aus meiner Sicht, dass insbesondere Russland nicht würden Strukturen, beispielsweise des Europarates, aber zimperlich ist, wenn es um die Ausnutzung möglicher auch der OSZE, gedoppelt . Hier kommt es darauf an, Sy- Chancen geht . nergien zwischen den einzelnen Institutionen zu erken- nen und klug zu nutzen . Das Abkommen mit dem Eu- Ich bin zwar überzeugt, dass die Nähe zu Russland roparat aus dem Jahr 2008 ist hierfür ein gutes Beispiel . keine Vorteile für die Menschen bringt und die Beitritts- Auch bei den Programmplanungen sollten die einzelnen kandidaten schon heute deutliche Entwicklungsschritte Akteure in regem Austausch stehen, um eine effiziente spüren können . Aber wir leben in „postfaktischen“ Zei- Arbeitsteilung gewährleisten zu können . ten, in denen Populisten mit ihrer eigenen Wahrheit viel Gehör in der Bevölkerung finden. Für Europa aber wären Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Bundesre- eine solche Abkehr und die damit verbundenen Signa- gierung über die Einbeziehung der Republiken Albanien le fatal . Deshalb müssen wir alle Kraft aufwenden, um und Serbien in die Arbeit der Agentur der Europäischen den Ländern des westlichen Balkan zu helfen und ihnen Union für Grundrechte . Die CDU/CSU-Bundestagsfrak- greifbare Perspektiven bieten . Auch für uns werden sich tion unterstützt das Ansinnen beider Länder, sich durch Aufwand und Mühe lohnen . die Mitarbeit bei ausgewählten Agenturen enger an die Europäische Union zu binden . Gleichzeitig ist es mir wichtig zu betonen, dass mit der Zustimmung zu diesem (CDU/CSU): Ich nutze die Ursula Groden-Kranich heute vorliegenden Gesetzentwurf keine Vorfestlegung Debatte zum vorliegenden Gesetzentwurf, um mich kurz im Hinblick auf einen möglichen späteren Beitritt beider generell mit den europäischen Agenturen zu befassen . Länder zur EU getroffen wird . Meiner Ansicht nach sollten wir dies hier im Deutschen Bundestag deutlich häufiger tun – nicht zuletzt vor dem Grundlage für die Verleihung des Beobachterstatus ist Hintergrund, dass das Gesamtbudget aller Agenturen im Artikel 28 der Verordnung (EG) 168/2007 zur Errichtung 21616 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) der EU-Grundrechteagentur . Dieser sieht ausdrücklich tischer Kriterien attestiert und Reformfortschritte gelobt . (C) die Möglichkeit vor, dass auch EU-Beitrittskandidaten- Vorbehaltlich glaubwürdiger und konkreter Fortschritte länder in die Arbeit eingebunden werden können . Die bei der Umsetzung der Justizreform empfahl die Kom- Grundrechteagentur soll Einrichtungen und Behörden mission im November 2016 die Eröffnung von Beitritts- der EU und ihrer Mitgliedstaaten in Grundrechtsfragen verhandlungen . sowie bei der Umsetzung des Gemeinschaftsrechts un- terstützen . Sie stellt den europäischen Gesetzgebern bei Der noch immer schwache Rechtsstaat muss wei- der Festlegung von Maßnahmen Informationen und Ex- ter gestärkt werden, wozu der Beobachterstatus bei der pertise zur Verfügung . Grundrechteagentur einen Beitrag leisten kann . Auch aus Sicht der Grundrechteagentur ist die Ein- Serbien hat Fortschritte bei der wirtschaftlichen beziehung Albaniens und Serbiens zu begrüßen, da die Entwicklung und über längere Zeit auch im Entspan- Arbeit der Agentur auf die Mitgliedstaaten der Europäi- nungsprozess mit dem Kosovo gemacht . Einige Kapi- schen Union sowie Beobachterländer beschränkt ist . Die tel konnten bereits im Beitrittsprozess geöffnet werden . Verleihung des Beobachterstatus sorgt folglich dafür, dass Schwächen zeigt das Land im Annäherungsprozess an die Agentur ihre Arbeit auf die Republiken Albanien und die EU bei der Sicherung der Grundrechte im Rechts- Serbien ausweiten kann. Die notwendigen finanziellen staat, wie Pressefreiheit, Korruptionsbekämpfung und Anpassungen im Haushaltsplan der Grundrechteagentur unabhängige Justiz . Deshalb begrüßen wir, dass Serbien werden von den Bewerberländern entsprechend den Vor- einen Beobachterstatus bei der EU-Grundrechteagentur gaben der zuvor genannten Verordnung getragen . haben wird . Es bleibt festzuhalten, dass die Agentur der Europä- Beide Länder müssen die notwendigen Reformen vo- ischen Union für Grundrechte einen wichtigen Beitrag rantreiben und tatsächlich umsetzen . Das ist ihre Verant- zur Wahrung und Verbreitung von Menschenrechten auf wortung . Doch wir verfolgen die Entwicklungen in der der Welt leistet . Sie kooperiert sehr erfolgreich mit den Region nicht nur mit Interesse; wir sollen sie auch un- Vereinten Nationen und verfügt über ein dichtes Netz terstützen . Die anderen Mitgliedstaaten haben dem Vor- an Informationsstellen . Die Einbeziehung der Republik schlag bereits zugestimmt, nun sollte dies auch Deutsch- Albanien sowie der Republik Serbien ist nicht nur vor land tun . diesem Hintergrund zu unterstützen . Ich werbe daher für Lassen Sie mich noch ein paar Worte zum Verfahren Ihre Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf . selbst verlieren . Wieso brauchen wir für diesen sicher wichtigen, aber keineswegs bahnbrechenden Kommis- Norbert Spinrath (SPD): Heute beraten wir in zwei- sionsvorschlag ein bundesdeutsches Gesetz? Die Einbe- (B) ter und dritter Lesung einen Gesetzentwurf, dessen Ver- ziehung von Kandidatenstaaten ist doch schon seit der (D) abschiedung es der Bundesregierung ermöglichen wird, Errichtung der Grundrechteagentur im Jahre 2007 prinzi- der Einbeziehung Albaniens und Serbiens in die the- piell als Möglichkeit vorgesehen . menspezifische Arbeit der EU-Grundrechteagentur zu- zustimmen . Die Europäische Kommission hat einen ent- Dass jetzt für die konkrete Aktivierung dieser Mög- sprechenden Vorschlag im März letzten Jahres gemacht . lichkeit ein Zustimmungsgesetz erforderlich ist, geht Die SPD-Fraktion begrüßt diese Initiative ausdrücklich auf das Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerich- und wird daher dem Gesetzentwurf zustimmen . Es freut tes zurück . Die Besorgnis Karlsruhes hinsichtlich einer mich, dass alle Fraktionen diese Haltung teilen . Machtausweitung der EU zulasten des Bundestages ist jedoch unbegründet . Trotzdem bleibt das Erfordernis ei- Dafür gibt es gute Gründe . Wenn beide Länder als nes Gesetzes sinnvoll, alleine schon wegen der diszipli- Beobachter an den Arbeiten der Grundrechteagentur nierenden Vorwirkung . mitwirken, ist das eine Chance . Denn die Analyse der Situation der Grundrechte in den beiden Beitrittskandi- Ich ermuntere die Republiken Albanien und Serbien datenländern kann deren Beachtung stärken und ihre Re- ausdrücklich dazu, den Beobachterstatus insbesondere formagenda im Grundrechtsbereich stärken . zur Implementierung weiterer Fortschritte auf dem Weg zur Rechtstaatlichkeit nach dem EU-Standard zu nutzen . Die Beteiligung an Agenturen der EU ist zwar prin- Dies wäre ein wichtiger Schritt für den weiteren Beitritts- zipiell für Bewerberländer vorgesehen, aber durchaus prozess und zur europäischen Integration . kein Automatismus . Ich werte es als ausgesprochen gu- tes Zeichen, dass beide Länder eine Beteiligung an der Grundrechteagentur anstreben . Der mit der Erlangung Andrej Hunko (DIE LINKE): Bei der Einrichtung des Beobachterstatus verbundene Schritt in Richtung der Grundrechteagentur im Jahr 2007 nannte die Men- Europäische Union ist sicher nicht der entscheidende . Er schenrechtsorganisation Amnesty International diese ei- hat aber gleichwohl symbolische Bedeutung und fakti- nen „zahnlosen Tiger“ . Der Grund: Sie bringe praktisch sche Wirkung . keinen Nutzen bei der Wahrung der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, ihr Mandat sei zu beschränkt, Albanien trägt mit einer moderaten und manchmal und es deute vieles darauf hin, dass die Struktur vor al- moderierenden Außenpolitik zur Stabilität und Bere- lem darauf ausgelegt ist, dass sich die Mitgliedstaaten in chenbarkeit der Region bei . Dies gilt in Bezug auf den Sachen Grundrechte nicht reinreden lassen wollen . Dies Konflikt zwischen Serbien und Kosovo wie auch auf die hat sich seitdem weitgehend bestätigt . Dennoch hat die Situation in Mazedonien . Die Europäische Kommission Agentur seit ihrer Gründung dreistellige Millionenbeträ- hat dem Land stetige Fortschritte bei der Erfüllung poli- ge gekostet . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21617

(A) Ich möchte noch einmal an die Bundestagsdebatte en hat den Kandidatenstatus seit dem 1 .März 2012, und (C) bei der Gründung der Agentur erinnern . Damals gab es seit dem 21 .Januar 2014 werden Beitrittsverhandlungen erstaunlich wenige Meinungsverschiedenheiten, und er- mit dem Land geführt . staunlich viele haben unsere Kritik geteilt . Denn heute wie damals gilt, dass die eben genannten Millionenbe- Als Grüne unterstützen wir die europäische Perspek- träge in anderen Institutionen wesentlich besser aufge- tive für die Länder des westlichen Balkans . Grundvo- hoben gewesen wären . Insbesondere der Europarat bietet raussetzung dafür ist, wie bei allen bisherigen Beitritten, ausgereiftere, erfahrenere und effektivere Institutionen die Erfüllung der EU-Beitrittskriterien . Dabei legen wir zum Schutz der Grundrechte . Nicht umsonst gibt es die großen Wert auf die Erfüllung der Kriterien im Bereich Europäische Menschenrechtskonvention und den Euro- Rechtsstaatlichkeit, Justiz und Demokratie . Diese Berei- päischen Gerichtshof für Menschenrechte, der sie durch- che werden in den Kapiteln 23 und 24 in den Beitrittsver- setzen soll . Die Parlamentarische Versammlung des handlungen verhandelt . Europarates mit ihren Monitoringverfahren wacht über Anhand der EU-Fortschrittsberichte erhalten wir einen die Einhaltung der Grundrechte in den Mitgliedstaaten . Überblick darüber, ob die Kandidatenländer Fortschritte Doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie sind chronisch oder Rückschritte in diesen Bereichen machen . Anhand unterfinanziert. Es ist vor allem deshalb ein riesiges Pro- zu erfüllender Beitrittskriterien können wir sehen, wel- blem, dass der EGMR einen Rückstau von Zehntausen- che Bedingungen erfüllt werden müssen, um Verhand- den Verfahren bearbeiten muss . lungskapitel zu öffnen . Doch anstatt den Europarat endlich mit mehr Mitteln Die Fortschrittsberichte stellen für Serbien und Alba- auszustatten, gingen die Regierungen der EU-Mitglied- nien weiterhin einen zu großen Einfluss der organisier- staaten in die andere Richtung . Unter Zustimmung der ten Kriminalität, Probleme bei der Unabhängigkeit der Bundesregierung setzten sie auf eine teilweise Dopplung Justiz, Probleme mit grassierender Korruption und Ein- der vorhandenen Strukturen – möglicherweise war dies schränkungen bei der Presse- und Meinungsfreiheit fest . auch in einer potenziellen Schwächung des Europarates Deshalb ist es umso wichtiger, dass diese Länder bei ih- motiviert . Denn es wurde nicht allein die Grundrech- rer demokratischen Entwicklung und der Erfüllung der teagentur als unzureichende Parallelstruktur geschaf- Beitrittskriterien unterstützt werden . Die Beteiligung an fen; auch hat die EU den vertraglich vorgeschriebenen der Agentur für Grundrechte der EU als Beobachter wird Beitritt zur Menschenrechtskonvention bis heute nicht den Grundrechtsschutz in beiden Ländern stärken . vollzogen . Es sind diese Vorgänge, die mich doch sehr am wirklichen Willen der EU für den Grundrechteschutz Neben der Veröffentlichung eines Jahresberichts zu zweifeln lassen . Es drängt sich der Eindruck auf, dass Grundrechtsfragen und der Formulierung und Veröffent- (B) durch die Parallelstrukturen eine Definitionsmacht über lichung von Stellungnahmen für die EU-Organe und die (D) Menschenrechtspolitik bei der EU verankert werden soll . Mitgliedstaaten ist es unter anderem Aufgabe der Agentur In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Europarat mit für Grundrechte, die Öffentlichkeit für Grundrechtsfra- seinen Strukturen weiter geschwächt wird . Dies kritisie- gen zu sensibilisieren und aktiv über die eigene Tätigkeit ren wir aufs Schärfste . zu informieren . Die Stärkung und Sensibilisierung von zivilgesellschaftlichen Akteuren für die Grundrechtsar- Nun existiert die Grundrechteagentur aber seit knapp beit in den Ländern des westlichen Balkans hat für uns zehn Jahren; sie ist eine Realität . Heute beraten wir die eine hohe Priorität, da diese die regierenden Eliten unter Frage, ob der deutsche Vertreter im Rat der EU zustim- Druck setzen und rechtsstaatliche Reformen einfordern men darf, dass Albanien und Serbien Beobachterstatus können . in der Grundrechteagentur bekommen . Dieser Schritt steht selbstverständlich im Kontext eines möglichen EU- Auch Kroatien hat vor seinem Beitritt den Beobacht- Beitritts der beiden Länder . Auch wenn wir aufgrund der erstatus in der Agentur für Grundrechte erhalten, dadurch neoliberalen Verfasstheit der EU und ihrer militaristi- konnten kroatische Zivilgesellschaftsorganisationen an schen Tendenzen einen Beitritt kritisch sehen, so ist für der Grundrechteplattform der Agentur teilnehmen . Au- uns immer klar gewesen: Wir stellen uns einem solchen ßerdem wurde Kroatien bereits ein Jahr vor dem Beitritt Schritt nicht in den Weg, wenn er von der Bevölkerung 2013 in den Jahresbericht und die LGBT-Umfrage der der betroffenen Länder gewollt ist . Dazu stehen wir . Agentur aufgenommen . Wir befürworten, dass auch zukünftig in Albanien und Serbien über eine verstärkte Wir halten auch an der grundsätzlichen Kritik an der Zusammenarbeit mit der EU in Grundrechtsfragen der Unzulänglichkeit der Grundrechteagentur fest . Doch Rechtsstaatsdialog gestärkt wird . scheint mir, dass die Frage des Beobachterstatus Serbi- ens und Albaniens nicht der Ort ist, unsere Kritik an der Grundrechteagentur und der EU in abweichendem Ab- stimmungsverhalten zu äußern . Aus diesem Grund stim- Anlage 7 men wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu . Zu Protokoll gegebene Reden Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla Wir begrüßen die Verleihung des Bobachterstatus an Al- Jelpke, Frank Tempel, Dr. André Hahn, weite­ banien und Serbien in der Grundrechteagentur der Eu- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: ropäischen Union . Die Republik Albanien ist seit dem Angleichung der Entschädigungsleistungen für 27 . Juni 2014 EU-Beitrittskandidat . Die Republik Serbi- NS-Opfer (Tagesordnungspunkt 20) 21618 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Dr. André Berghegger (CDU/CSU): Die von deut- dem durch die Verfolgung verursachten Schaden . Die (C) schen Staaten herbeigeführten Angriffskriege haben un- außergesetzlichen Leistungen hingegen sind zumeist als beschreibliches Leid über die Welt gebracht . Insbeson- pauschale Beihilfen zum Lebensunterhalt mit geringeren dere das nationalsozialistische Regime hat zahlreichen Anforderungen für die Gewährung ausgestaltet und wer- unschuldigen Opfern alles genommen: das Leben, die den bei Vorliegen eines bestimmten Verfolgungsschick- Gesundheit, die Familie, den Besitz, die Heimat und vor sals gewährt . allem die Menschenwürde . Die abscheulichen Taten sind mit Worten kaum zu beschreiben . Eine Gleichbehandlung der im vorliegenden Antrag angesprochenen Opfergruppen muss also an den Opfer- Im Bewusstsein dieser Verantwortung hat sich gruppen ausgerichtet werden, die zwar NS-Verfolgte im Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Sinne des Bundesentschädigungsgesetz sind, aber we- sehr um Aussöhnung mit den Opfern bemüht . Die Bun- gen der Schlussfrist keine gesetzlichen Entschädigungs- desregierung hat der moralischen und finanziellen Wie- ansprüche geltend machen können . Es kann deshalb nur dergutmachung des vom NS-Regime verübten Unrechts eine Gleichbehandlung im Rahmen dieser außergesetz- von Anfang an eine besondere Priorität eingeräumt . Auch lichen Regelungen in Betracht kommen . Entsprechend heute noch stellt sie sich dieser Aufgabe . verfährt die Bundesregierung . Erlittenes Unrecht ist durch keinerlei Geldleistung wiedergutzumachen . Aber es ist selbstverständlich, dass Mit dem Schicksal der im Antrag erwähnten „Zwangs- begangenes Unrecht als solches klar benannt wird und germanisierten“ hat sich der Deutsche Bundestag im die Geschädigten finanzielle Unterstützung erhalten. Sie Rahmen eines Petitionsverfahrens ausführlich befasst . sollen trotz der immensen psychischen und physischen Im Mai 2014 hat der Deutsche Bundestag der Beschluss- Folgen ein würdiges Leben führen können . empfehlung des Petitionsausschusses zugestimmt, indivi- duelle Entschädigungsforderungen nicht zu unterstützen . Insgesamt haben Bund und Länder auf dem Gebiet Zugleich hat er angeregt, die „Zwangsgermanisierten“ der Entschädigung für NS-Unrecht bis Ende 2015 rund durch Projekte der Erinnerungskultur zu würdigen . 74,5 Milliarden Euro erbracht . Diese Summe ergibt sich aus mehreren Regelungen und Vereinbarungen, die im Diese Empfehlung hat die Bundesregierung aufgegrif- Laufe der Jahre getroffen worden sind . Es hat dabei auch fen . Über verschiedene Förderprogramme der Stiftung immer wieder Anpassungen, Klarstellungen und Erhö- „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ist im Rah- hungen gegeben . men von Projekten das Thema „Zwangsgermanisierung“ behandelt worden . Die Projektarbeit durch die Stiftung Dabei ist allerdings in zwei Bereiche zu unterteilen . ist derzeit bis 2018 gesichert . Insoweit besteht aus unse- (B) So gibt es einerseits gesetzliche Ansprüche und anderer- rer Sicht kein Handlungsbedarf . (D) seits außergesetzliche Leistungen . Im Oktober 1953 ist das Bundesentschädigungsge- Es ist unsere Pflicht, uns der historischen Verantwor- setz in Kraft getreten . Dieses sieht einen Ausgleich für tung bewusst zu bleiben und das Gedenken an die Opfer einen näher bestimmten Schaden vor, der durch NS-Un- wachzuhalten . Ein solches Terrorregime darf sich nicht rechtsmaßnahmen entstanden ist . Das Gesetz war mit wiederholen . In diesem Bewusstsein können wir als einer Frist bis Ende 1969 vorgesehen . Mit Ablauf die- Deutsche die Zukunft gestalten . ses Datums konnten keine Anträge mehr auf die gesetz- lichen Entschädigungsansprüche gestellt werden . Diese Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Die nationalsozialis- Schlussfrist ist auch durch das Bundesverfassungsgericht tische Diktatur in Deutschland fügte Millionen von Men- bestätigt worden . schen unendliches Leid zu . Menschen wurden aufgrund Für NS-Verfolgte im Sinne des § 1 Bundesentschädi- ihrer Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung ver- gungsgesetz, die keine gesetzlichen Ansprüche geltend folgt . Politische Gegner wurden mit Gewalt bekämpft . machen konnten, sind in den Folgejahren außergesetz- Viele Opfer mussten diese Diktatur mit ihrem Leben liche Leistungen gewährt worden . Dazu sind eine Reihe bezahlen . Für andere Opfer hat diese Diktatur Wunden außergesetzlicher Wiedergutmachungsregelungen für jü- hinterlassen, die bis zum Lebensende nicht verheilen dische und nicht jüdische NS-Verfolgte geschaffen wor- würden . den . Die Mehrzahl der heute noch lebenden NS-Verfolg- ten erhält Leistungen aufgrund dieser außergesetzlichen Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland haben Regelungen . Entsprechend bilden diese Leistungen heute sich die jeweiligen Bundesregierungen für eine Entschä- den größten Teil der Wiedergutmachungsausgaben . digung und Rehabilitierung der Opfer des Nationalsozi- alismus eingesetzt . Als wesentlicher Schritt sei hier das Die gesetzlichen und außergesetzlichen Leistungen Bundesentschädigungsgesetz genannt, welches im Okto- unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung . Während das ber 1953 in Kraft trat . In der Folgezeit wurde ein einzel- Bundesentschädigungsgesetz einen gesetzlichen An- fallgerechtes System aus gesetzlichen Ansprüchen nach spruch auf Entschädigung für verfolgungsspezifische dem Bundesentschädigungsgesetz und außergesetzlichen Schäden begründet, sehen die außergesetzlichen Härte- Leistungen nach den Härterichtlinien für Opfer von na- regelungen freiwillige Leistungen unter Beachtung des tionalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen entwickelt . Gleichbehandlungsgrundsatzes des Artikels 3 Grundge- Für die gesetzlichen Ansprüche kommt es folgerichtig setz auf der Grundlage des Haushaltsgesetzes vor . Die auf den konkreten Schaden an, der durch die Verfolgung gesetzlichen Ansprüche richten sich in der Höhe nach erlitten wurde . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21619

(A) Die Regierungskoalition hat in dieser Wahlperiode Seit der Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Ent- (C) die Arbeit kontinuierlich fortgesetzt . Der Haushaltsaus- schädigung für Opfer der nationalsozialistischen Ver- schuss des Deutschen Bundestages sprach im Mai 2015 folgung hat sich einiges getan . Denn im Sinne des BEG den sowjetischen Kriegsgefangenen Entschädigungen in galten nur diejenigen als Verfolgte, die aus „rassischen“ Höhe von 10 Millionen Euro zu . Den vermutlich noch und religiösen und weltanschaulichen Gründen sowie 4 000 Überlebenden wird eine einmalige finanzielle An- aufgrund politischer Opposition verfolgt wurden . Bis zur erkennungsleistung von etwa 2 500 Euro zuteil . letzten Antragsfrist im Jahr 1969 wurden nur diejenigen entschädigt, auf die diese strenge Definition zutraf. Alle Allen Opfern des Nationalsozialismus ist jedoch ein anderen NS-Verfolgten, die sogenannten Opfer „sons- Punkt gemeinsam: Das erlittene Unrecht wird in Geld tigen Staatsunrechts“, erhielten höchstens Leistungen niemals aufzuwiegen sein . Zu tief sitzen die Geschehnis- nach dem Allgemeinen Kriegsfolgengesetz . se aus dieser schwarzen Zeit deutscher Geschichte . Heute sind die Fristen für die Antragstellung schon Uns ist es daher ein großes Anliegen, dass die Op- lange verstrichen . Es können also keine neuen Anträge, fer nicht allein gelassen werden . Wir werden in diesem mit Ausnahme sogenannter Verschlimmerungsanträge, Hause auch am morgigen Tag, dem 27 .Januar, wieder gestellt werden . Das ist beispielsweise eine Rentenneu- der Opfer des Nationalsozialismus gedenken . Diese Ges- bemessung, wenn sich der Gesundheitszustand eines Be- te sind wir den Opfern in Verantwortung der deutschen troffenen verschlimmert . Da viele Antragsteller seinerzeit Geschichte schuldig . die Fristen für Entschädigungsansprüche gemäß BEG und AKG versäumt haben, hatte die Bundesregierung die Ich möchte noch darauf eingehen, warum wir dennoch Lücke geschlossen und Fonds im Sinne des § 171 BEG diesen Antrag ablehnen werden: Eine Gleichstellung von eingerichtet sowie die sogenannten AKG-Härterichtli- Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und nien geschaffen, die nicht an die Einhaltung einer Frist solchen aufgrund der Härterichtlinien für Opfer von na- gebunden sind . Das heißt, diese Personen können auch tionalsozialistischen Unrechtsmaßnahmen würde eine heute noch Anträge auf Geldleistungen stellen . Gleichbehandlung von ungleichen Sachverhalten bedeu- ten . Die gesetzlichen Ansprüche nach dem Bundesent- Hierzu gibt es: schädigungsgesetz richten sich in der Höhe nach dem Erstens . Härtefonds für rassisch Verfolgte nicht jüdi- konkreten Schaden . Die außergesetzlichen Leistungen schen Glaubens: Dieser Härtefonds wurde für NS-Ver- werden hingegen als pauschale Beihilfen zum Lebensun- folgte eingerichtet, die aufgrund der Nürnberger Rassen- terhalt bei Vorliegen eines konkreten Verfolgungsschick- gesetze als Juden verfolgt wurden, obwohl sie nicht der sals gewährt . jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten . Ich möchte betonen, dass dieser Fonds unter bestimmten Bedingun- (B) Wir sollten vielmehr in die Zukunft investieren . Im (D) gen auch für verfolgte Ehepartner, Kinder und Enkel von Hinblick auf eine sinkende Sensibilität für das national- Juden offensteht . Er gilt zudem für Menschen, die we- sozialistische Unrechtsregime durch gewisse politische gen ihrer Hilfeleistungen zugunsten jüdischer Verfolgter Mitbewerber muss uns das entschiedene Eintreten gegen selbst zu NS-Verfolgten wurden . Hass und Hetze in unserer Gesellschaft wieder bewusst werden . Wir treten als aufrechte Demokraten für eine to- Zweitens . Härtefonds zugunsten Verfolgter nicht jü- lerante Gesellschaft ein und sind uns unserer geschichtli- discher Abstammung: Dieser Fonds wurde für nicht jü- chen Verantwortung bewusst . dische NS-Verfolgte eingerichtet, die zwar Verfolgte im Sinne des BEG waren und aufgrund ihrer Verfolgung einen Gesundheitsschaden erlitten, aber aus ausschließ- (SPD): Lassen Sie mich zu Dr. Hans-Ulrich Krüger lich formellen Gründen keinen Antrag nach BEG stellen Beginn eines klarstellen: Das erlittene Unrecht und die konnten . unvorstellbaren Qualen unzähliger Menschen, die durch die NS-Verbrechen verursacht wurden, sind durch nichts Drittens . Härtefonds für jüdische Verfolgte: Jüdische wiedergutzumachen . Verfolgte stehen Härteleistungen nach dem Hardship Fund, dem Article 2 Fund mit der Jewish Claims Con- Es ist für uns aber eine selbstverständliche moralische ference aus dem Jahr 1992 und dem Central and Eastern Verpflichtung, das erlittene Unrecht der- NS Opfer da- Europe Fund (CEEF) zu . Dieser Fonds wurde eingerich- durch anzuerkennen, dass wir nicht nur ständig an das tet, um vorliegende Härten für solche Verfolgte auszu- begangene Unrecht erinnern und gedenken, sondern auch gleichen, die an der Einhaltung der Antragsfrist gehindert den betroffenen lebenden Menschen eine finanzielle An- waren . Diese Fonds stehen vor allem NS-Verfolgten im erkennung zukommen lassen . Und hierfür ist auch be- Ausland offen, aber auch deutschen Opfern des NS-Re- reits eine Menge getan worden . gimes . So hat der Bundestag in den Jahren 1956 und 1957 das Viertens . Als letzte wichtige Entschädigungsleistung Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der national- möchte ich noch die AKG-Härterichtlinien erwähnen . sozialistischen Verfolgung (BEG) sowie das Allgemeine Diese wurden erlassen, da die Bestimmungen des AKG Kriegsfolgengesetz (AKG) verabschiedet, zu denen in nicht ausreichend waren und zahlreiche Opfer des Na- den folgenden Jahrzehnten auch Härtefonds und Härtere- tionalsozialismus nicht entschädigt werden konnten . gelungen eingerichtet wurden . Und gerade bei den Fonds Hiernach können grundsätzlich alle durch den Natio- und Härteregelungen können Betroffene, anders als beim nalsozialismus geschädigten Personen, die aufgrund ih- BEG und AKG, auch heute noch Anträge stellen . rer körperlichen oder geistigen Verfassung oder wegen 21620 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) ihres gesellschaftlichen oder persönlichen Verhaltens heit gehabt, vor Verabschiedung des Haushalts 2017 zu (C) vom NS-Regime als Einzelne oder als Angehörige von erörtern, ob Mittel des Haushaltes zur Verfügung stehen, Gruppen angefeindet und verfolgt wurden, einen Antrag so wie wir es seinerzeit auch für die Entschädigungsleis- auf Entschädigungsleistungen stellen . Hierzu zählen un- tungen für sowjetische Kriegsgefangene gemacht ha- ter anderem auch „Euthanasieopfer“, Zwangssterilisierte ben . Nichts dergleichen ist passiert . Ich halte daher Ihre und Homosexuelle . Vorgehensweise für unseriös und den Interessen der be- troffenen lebenden Menschen nicht dienlich . Aus vorge- Sie sehen also, wir unterscheiden zwischen gesetzli- nannten Gründen lehne ich daher Ihren Antrag ab . chen Ansprüchen des BEG und den außergesetzlichen Leistungen zum Ausgleich besonderer Härten wie die eben bereits erwähnte Article‑2-Vereinbarung . Während Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es ist im Deutschen Bun- das BEG einen gesetzlichen Anspruch auf Entschädi- destag eine gute Tradition, dass am 27 . Januar, dem Ge- gung für verfolgungsspezifische Schäden begründet, denktag für die Opfer der NS-Verfolgung, Vertreterinnen sehen die außergesetzlichen Härteregelungen freiwillige und Vertreter der verschiedenen Opfergruppen sprechen . Leistungen unter Beachtung des Gleichbehandlungsge- In diesem Jahr wird es der Schauspieler Sebastian Ur- botes des Artikels 3 Grundgesetz auf der Grundlage des banski sein, der das Down-Syndrom hat . Er wird aus ei- Haushaltsgesetzes vor . nem Brief von Ernst Putzki lesen, der von den Nazis we- gen einer geistigen Behinderung ermordet worden war . Insgesamt ist festzustellen, dass Bundestag und Bundesregierung bis zum heutigen Tag ihrer morali- Das sind durchaus würdige Gedenkveranstaltungen . schen Verpflichtung zur Entschädigung von Opfern des Die Wahrheit ist aber auch – und darum geht es im An- NS-Regimes nachkommen . So sind bis zum 31 . Dezem- trag der Linken –: Hätte Ernst Putzki die Nazizeit über- ber 2015 Mittel in Höhe von 47,755 Milliarden Euro lebt, er hätte in der Bundesrepublik keine Entschädigung für BEG-Leistungsempfänger ausgezahlt worden . In erhalten . Denn im deutschen Entschädigungsrecht gibt es Durchführung der AKG-Härterichtlinien wurden bis zum bis heute gravierende Ungleichbehandlungen . Diese will 31 . Dezember 2015 1,289 Milliarden Euro gezahlt . Hier- unser Antrag beseitigen: Die Linke fordert, dass alle, die bei sind auch einmalige Leistungen aufgrund eines Er- von den Nazis verfolgt worden sind, die gleichen Ent- lasses des BMF aus dem Jahre 1980 erfasst . Im Rahmen schädigungsleistungen erhalten . des Artikel‑2-Abkommens sind im gleichen Zeitraum Als in den 1950er- und 1960er-Jahren über die Anträ- 6,369 Milliarden Euro gezahlt worden . ge nach dem Bundesentschädigungsgesetz entschieden Auch ist es im Einklang mit den AKG-Härterichtlini- wurde, sind etliche Opfergruppen einfach ausgeschlossen en nachvollziehbar und folgerichtig, dass einmalige oder wurden . Für Homosexuelle, für Opfer der Wehrmachts- (B) laufende Leistungen grundsätzlich nur Menschen erhal- justiz, für verfolgte Sinti und Roma, für Kommunistinnen (D) ten, die selbst unmittelbar den NS-Unrechtsmaßnahmen und Kommunisten, für sogenannte Asoziale und eben ausgesetzt waren . Die AKG-Härterichtlinien stehen auch für Zwangssterilisierte und Euthanasiegeschädigte daher im Einklang mit den entsprechenden dem BEG gab es in aller Regel keine Leistungen . Denn all diese nachfolgenden Regelungen für jüdische Opfer des Natio- Opfergruppen sind noch über Jahrzehnte hinweg stigma- nalsozialismus . Insofern ist die in den Entschädigungsge- tisiert und diskriminiert worden . Sie galten als Verrückte, setzen festgelegte Unterscheidung zwischen mittelbarer als Schädlinge, als Verräter, denen unterstellt wurde, für und unmittelbarer Betroffenheit zutreffend . ihr Verfolgungsschicksal selbst verantwortlich gewesen zu sein . Ein augenfälliges Beispiel dafür ist etwa, dass im Nun zu Ihrem Antrag, Kolleginnen und Kollegen der Deutschen Bundestag zu einer Anhörung im Jahr 1961 Linken . Ich bin schon ein wenig verwundert, aber auch ausgerechnet drei Mediziner als Sachverständige einge- verärgert, dass Sie uns erst am Mittwoch einen Antrag für laden worden sind, die direkt an Verbrechen im Namen die Plenardebatte am Donnerstag zu dem Thema „Anglei- der „Rassenhygiene“ beteiligt waren . chung der Entschädigungsleistungen für NS-Opfer“ ein- reichen, ohne auch nur im entferntesten im Vorfeld eine Erst in den letzten Jahren sind viele dieser Opfergrup- inhaltliche Diskussion zu diesem Thema zu suchen . pen endlich politisch und zum Teil auch juristisch reha- bilitiert worden . Es wurden Denkmäler gebaut; es gibt Im Rahmen der von Ihnen erhobenen Forderung, die nette Gedenkfeiern – aber Entschädigungsleistungen „Zwangsgermanisierten“ als neue Gruppe von NS-Op- erhalten sie noch immer nicht . Denn Anträge nach dem fern im Sinne der Härtefallrichtlinien anzuerkennen, hat Bundesentschädigungsgesetz können seit 1969 nicht sich der Deutsche Bundestag bereits im Mai 2014 in der mehr gestellt werden . Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses ausführ- lich auseinandergesetzt und klargestellt, individuelle Für all diese Opfergruppen, die ich eben aufgezählt Entschädigungsforderungen nicht zu unterstützen . Wie habe, gilt also: Erst hat man ihnen die Entschädigung Sie wissen müssen, hat er aber angeregt, die „Zwangs- verweigert, und heute, wo sie endlich als Naziopfer aner- germanisierten“ durch Projekte der Erinnerungskultur zu kannt sind, wird ihnen gesagt, sie hätten die Antragsfrist würdigen, welches die Stiftung „Erinnerung, Verantwor- verpasst . Diese Logik ist ungeheuerlich zynisch . tung und Zukunft“ (EVZ) auch durch viele Programme Wenn sie Glück haben, werden sie mit Einmalzahlun- umfassend bis 2018 fördert . gen nach den Härterichtlinien des Allgemeinen Kriegsfol- Zudem – und dies möchte ich abschließend noch er- gengesetzes abgespeist . Nur eine Handvoll Opfer erhält wähnen – ist es mir völlig unerklärlich, warum Sie erst monatliche Zahlungen . Das sind aber ausdrücklich nur heute einen solchen Antrag stellen . Sie hätten Gelegen- Härteleistungen, die wesentlich geringer sind als Leis- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21621

(A) tungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz . Nur zum wie sie auch jenen zugestanden wurden, die Leistungen (C) Vergleich: Während die durchschnittliche Rente nach nach dem Bundesentschädigungsgesetz beziehen . dem Bundesentschädigungsgesetz 651 Euro beträgt, be- lief sich die Einmalzahlung nach den Härterichtlinien auf Wenn sich die Regierungsfraktionen dieser morali- 2 500 Euro . Die Entschädigung für erlittene Verfolgung, schen Pflicht entziehen, degradieren sie damit die Ge- für die Ermordung von Angehörigen, für den Verlust von denkveranstaltungen zur reinen Heuchelei . Lebensperspektiven oder materiellen Gütern wird diesen Überlebenden nach wie vor verweigert . Nachdem man Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sie jahrzehntelang nicht einmal als Opfer anerkannte, Die Geschichte der Entschädigung und Rehabilitierung werden sie heute als Opfer zweiter Klasse diskriminiert . der Opfer des Nationalsozialismus ist und war ein quä- lend langer Kampf um historische Wahrheit und Abmil- Wir haben die Bundesregierung in den vergangenen derung von Ungerechtigkeiten . Jahren wiederholt auf diese Ungerechtigkeiten hingewie- sen . Wir haben gefragt: Mit welcher Begründung wer- Viele Kapitel dieses Kampfes waren alles andere als den die einen NS-Opfer schlechter behandelt als andere ein Ruhmesblatt für die deutsche Nachkriegsgeschichte: NS-Opfer? In einem skandalösen Urteil sagte der BGH 1956 im Na- men des Volkes, staatliche Verfolgungsmaßnahmen vor Die Antwort der Bundesregierung war immer die 1943 seien legitim gewesen, weil sie von „Zigeunern“ gleiche: Die Entschädigungsfrage sei schon längst „er- durch „eigene Asozialität, Kriminalität und Wander- folgreich“ gelöst . Das ist eine dreiste Lüge, mit der die trieb“ selbst veranlasst gewesen seien . Das Bundesver- Bundesregierung den Überlebenden direkt ins Gesicht fassungsgericht sprach 1957 der NS-Fassung des § 175 schlägt . Denn die jahrzehntelange Ungleichbehandlung StGB den nationalsozialistischen Unrechtscharakter ab . und die bis heute andauernde Ignoranz gegenüber dieser Mit dem KPD-Verbot verloren im Westen viele Kommu- Problematik werden von vielen Überlebenden als weitere nisten auch ihre Entschädigungsleistungen . Wehrmachts- Diskriminierung, als Nichtanerkennung ihrer Verfolgung deserteure und Homosexuelle mussten bis 2002 auf die und des faschistischen Unrechts wahrgenommen, und Aufhebung ihrer Urteile warten . Erst 2007 ächtete der das völlig zu Recht; auch die Linke hält diese Praxis für Bundestag das Erbgesundheitsgesetz hinsichtlich aller empörend . Konsequenzen für Zwangssterilisierte . Als nationalsozi- alistisches Unrecht hat er dies bis heute nicht anerkannt . Überfällig ist schon längst, dass endlich die Betroffe- nen der sogenannten Zwangsgermanisierung entschädigt Dies alles hatte nachteilige entschädigungsrechtliche werden . Zehntausende von Kindern – die genaue Zahl Konsequenzen . (B) ist nicht bekannt – sind aus den besetzten Gebieten ent- (D) führt worden, weil die Nazis sie für ausreichend „arisch“ Und auch die grundsätzlich nach dem BEG Berech- hielten . Sie wurden ihren Eltern geraubt oder aus Kin- tigten waren unzähligen Beschränkungen, Fristen und derheimen verschleppt und verbrachten ihre Kindheit bei Hürden für eine halbwegs angemessene Entschädigung Nazieltern oder in Heimen des Lebensborns . Etliche der ausgesetzt . Nach dem 31 . Dezember 1969 konnten auch Betroffenen berichten über erlittene Misshandlungen, für jüdische Holocaust-Überlebende keine neuen Anträ- wenn sie nicht den Vorstellungen ihrer faschistischen ge mehr gestellt werden . Kidnapper entsprachen: Es wurde ihnen Essen entzogen; Härtefonds nach BEG und AKG, Landeshärtefonds, sie wurden im Schnee ausgesetzt, geschlagen . Karl Vi- Verbesserungen der Härtefondleistungen, Ghettorenten- tovec de Gereben, der als Achtjähriger ins Reichsgebiet gesetz und Zwangsarbeiterentschädigung folgten . verschleppt worden war und mit dem ich seit Jahren in Verbindung stehe, berichtet, man habe ihn misshandelt, Ja, man kann die deutsche Geschichte nicht auf zwölf wenn er nicht wusste, wann Hitler Geburtstag hatte . Jahre reduzieren, das gilt leider insbesondere für die Ge- schichte des Unrechts gegenüber den Verfolgten . Es gab Ich hoffe, alle hier im Haus haben genügend Empa- eine Kontinuität von Mentalitäten, die Unrecht nicht se- thie, um sich wenigstens annähernd vorzustellen, wel- hen wollten oder es verdrängten . che Traumatisierungen die Betroffenen bis heute quälen . Diese Menschen wurden aufgrund der rassistischen Vor- Die Rehabilitierung und Entschädigung von Opfern stellungen der Nazis entführt und misshandelt . Aber die des Nationalsozialismus ist ein zäher und von vielen Am- Entschädigungsgesetze berücksichtigen sie nicht, und die bivalenzen geprägter Prozess gewesen . Im Antrag wird Bundesregierung zuckt mit den Schultern . Darin verbirgt richtig festgestellt, dass es in den letzten Jahrzehnten sich eine solche Kälte, eine solche Ignoranz gegenüber durch viele, oft auch politische Gründe Ungleichbehand- den Naziopfern, dass es einen schaudern lässt . lungen und große Diskrepanzen in der Erarbeitung von Entschädigungsleistungen für verschiedene Opfergrup- Ich meine: Deutschland ist es den Naziopfern schul- pen gab . dig, sie anständig zu behandeln – und zwar alle . Man kann nicht Gedenkveranstaltungen für die Toten durch- Seit den 1980er- und 1990er-Jahren wurden viele führen und den Überlebenden die kalte Schulter zeigen . der offenen Fragen zur Entschädigung von NS-Opfern Man darf auch nicht die einen Naziopfer gegen die ande- diskutiert, kritisiert und an vielen Stellen nachgebes- ren ausspielen . Deswegen beantragt die Linke, dass alle sert . Vor allem mit Blick auf die „vergessenen“ Opfer, Naziopfer, auch die sogenannten Zwangsgermanisierten, die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Sinti und genau die gleichen Entschädigungsleistungen erhalten, Roma, Zwangssterilisierten oder Euthanasiegeschädig- 21622 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) ten, sowie die verschiedenen Verfolgungsschäden konn- Anlage 8 (C) ten Verbesserungen erreicht werden . Zu Protokoll gegebene Reden Trotz aller Verbesserungen gibt es ein unübersicht- zur Beratung des Antrags der Fraktionen der liches Sammelsurium an unterschiedlichen Entschädi- CDU/CSU und SPD: Biodiversität schützen – gungsleistungen, die gesetzlich und außergesetzlich ge- Taxonomische Forschung ausbauen (Tagesord­ regelt sind . Dies ist aus der Perspektive der Opfer mit nungspunkt 23) Blick auf Gleichbehandlung, Gerechtigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit nicht zu rechtfertigen . Sybille Benning (CDU/CSU): „Wer zählt die Völker, Insofern sind wir offen für die Vorschläge zu Ver- nennt die Namen?“, heißt es in Schillers Ballade „Die besserungen . Ob wir die Grundsatzfrage anpacken oder Kraniche des Ibykus“ . Für unser Thema heute möchte ich noch einmal Leistungsverbesserungen versuchen, sollten sagen: „Wer zählt die Arten, nennt die Namen?“ . wir im Ausschuss diskutieren . Das Entdecken, Benennen und Einordnen – das waren Zumindest eine Nachvollziehbarkeit herzustellen, die schon zu Zeiten von Carl von Linné die ersten Schritte sich nicht nur darauf beruft, dass es unterschiedliche ge- der Biologie . Und das genau ist die Aufgabe der Taxono- setzliche oder außergesetzliche Regelungen sind, die zur men: die Beschreibung und Klassifikation der uns umge- Ungleichbehandlung führen – wie die Bundesregierung benden Vielfalt der Arten . in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vom 16 .No - Dieser Forschungszweig rückt selten ins Licht der vember 2015 (Drucksache 18/6719) argumentiert –, wäre Öffentlichkeit . Der geneigte Leser konnte allerdings vor zielführend . wenigen Tagen die Entdeckung einer Benennung einer Darum halte ich das Anliegen grundsätzlich für rich- neuen Mottenart in den Medien verfolgen . Wegen ihrer tig, insbesondere bei Betroffenen, die bisher in ungenü- orangen, haartollenförmigen Kopfschuppen gab ihr der gender Weise – wenn auch nur symbolisch – mit ihrem Entdecker den Namen: „Neopalpa donaldtrumpi“ . Schicksal gewürdigt wurden, wie etwa die im Antrag ge- Doch die Bestimmung der Arten erfolgt heutzutage nannte Opfergruppe der „Zwangsgermanisierten“ . Diese nicht allein aufgrund phänotypischer Merkmale . Zur- „geraubten Kinder“ gehören einer Opfergruppe an, die zeit erlebt die Taxonomie eine technologische Revoluti- im deutschen gesellschaftlichen Bewusstsein bisher so on . Die rasche Entwicklung von molekularbiologischen gut wie nicht vorkommt . Die Tatsache, dass diesen – Hochdurchsatzmethoden, den sogenannten OMICS-Me- damaligen – Kindern und ihren Eltern ein – wenn auch thoden zur Sequenzierung und Analyse von Erbinforma- unblutiges – nationalsozialistisches Unrecht widerfahren tion, Proteinen und Stoffwechselprodukten, eröffnet den (B) ist, ist unbestreitbar . Biowissenschaften völlig neue Dimensionen: Bisher un- (D) bekannte Arten werden in hoher Zahl entdeckt, und der Mit der Anerkennung als Opfergruppe auch die Fra- Artbildungsprozess kann erstmals auf der Ebene der ge- ge einer finanziellen Entschädigung aufzuwerfen, ist für samten Erbinformation verfolgt werden . mich nachvollziehbar . Der vorliegende Antrag lässt dabei aber noch Fragen offen: Mit diesen neuen molekularbiologischen Möglichkei- ten wächst auch die Bedeutung der integrativen Taxo- Wer sind die Entschädigungsberechtigten? Die Kin- nomie erheblich . Kurz gesagt: Taxonomen laufen nicht der, oder auch deren Eltern, denen man die Kinder ge- mehr nur mit einem Schmetterlingsnetz durchs Feld . Sie raubt hat? nutzen Sequenzierungsmaschinen, um herauszufinden, ob sie eine neue Art gefunden haben und wo im Stamm- Wird ein symbolisch identisches Gesamtschicksal baum sie sich am besten einordnen lässt . Die Taxonomie unterstellt oder nach Schwere der heutigen Folgen der leistet so wichtige Dienste für Lebensmitteltechnik, per- Gewaltmaßnahme, etwa gesundheitlichen, sozialen und sonalisierte Medizin, Ökologie und Landwirtschaft . psychischen Folgen, unterschieden? Problematisch scheint gerade angesichts dieser ra- In welcher Höhe sollten die Betroffenen im Verhält- santen Entwicklung, dass die taxonomische Ausbildung nis zu anderen Opfergruppen entschädigt werden, die ein und Forschung an den Universitäten in den vergangenen physisch und psychisch möglicherweise gewaltsameres Jahrzehnten immer mehr zurückgefahren wurde . Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus erlitten ha- ben? Die Leopoldina hat darum 2014 einen Bericht mit Empfehlungen zur Erforschung der Biodiversität vorge- 72 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus und legt, der Deutschland als einen der führenden Standorte angesichts des den Opfern zugefügten Leids sind finanzi- moderner integrativer taxonomischer Forschung sichern elle Entschädigungen heute vor allem eine symbolische und in die Zukunft führen soll, die uns auch für unseren Würdigung ihres Schicksals . Die meisten Opfer sind Antrag eine wertvolle Hilfe war . inzwischen von uns gegangen . Dennoch dürfen wir er- kannte Not und erkanntes Unrecht nicht unbeantwortet Die Bedeutung der Taxonomie und ihr Bedarf einer lassen . Förderung in Forschung und Lehre wird auch von Bun- desseite erkannt . Mit der „Nationalen Strategie zur bio- Lassen Sie uns im Ausschuss diskutieren, ob wir von logischen Vielfalt“ (NBS) verfolgt die Bundesregierung dem Unrecht des Nationalsozialismus und der zu späten das Ziel, bis zum Jahr 2020 den Rückgang der biologi- Aufarbeitung noch etwas abtragen können . schen Vielfalt zu stoppen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21623

(A) Im Hinblick auf Handlungsziele und konkrete Maß- auf das 19 .Jahrhundert, dem Zeitalter der Gründung (C) nahmen wird darin ausdrücklich auf die Notwendigkeit vieler Forschungsmuseen, genauer gesagt auf Alexander hingewiesen, die Taxonomie zu stärken . Auch in der von Humboldt, einem Pionier auf dem Gebiet der Taxo- Agrobiodiversitätsstrategie wird auf die Bedeutung der nomie, noch vor Charles Darwin, welcher zu Lebzeiten Taxonomie verwiesen . Das Bundesministerium für Bil- große Bewunderung für Humboldt empfand . Heute ist er dung und Forschung (BMBF) fördert gemeinsam mit den der Namenspatron einer der großen Universitäten Ber- Ländern die drei großen naturkundlichen Forschungs- lins, die es sich einst zur Aufgabe machte, sein Erbe fort- museen der Leibniz-Gemeinschaft, die Senckenberg währen zu lassen . Gesellschaft für Naturforschung, das Museum für Natur- So ist es umso erstaunlicher, dass die Taxonomie und kunde Berlin sowie das Zoologische Forschungsmuseum die Errungenschaften Humboldts keinen großen Stellen- Alexander Koenig in Bonn . wert mehr in der universitären Forschung und der Lehre Die Sammlungen dieser drei Häuser umfassen zusam- einnehmen . Dabei reicht dieser unterschätzte und man men mehr als 75 Millionen Objekte . Auch die Genbanken möchte fast sagen vergessene Forschungszweig weit in werden weit überwiegend mit Bundesmitteln betrieben . eine Vielzahl an Forschungsfeldern hinein, beispiels- weise die Genetik oder die Medizin, um nur ein paar zu Die Forschungsmuseen haben sich dabei der Herku- nennen . lesaufgabe verschrieben, ihre Objekte zu digitalisieren und der Forschung in aller Welt zur Verfügung zu stellen . Umso trauriger ist die Entwicklung zu beobachten, Die Kenntnis klassischer Methoden zur Beschreibung dass sich immer weniger vor allem junge Menschen für und Klassifizierung ist dabei ebenso wichtig wie die An- Biodiversität und Taxonomie interessieren . Dieser Ten- wendungen moderner OMICS-Methoden . Ein wichtiges denz muss entgegengewirkt werden . Bund und Länder Projekt ist auch das Verbundprojekt „German Barcode of müssen sich für Forschungsschwerpunkte an Universitä- Life“ (GBOL) . Hier engagiert sich der Bund seit 2011 ten und für die Kooperation mit außeruniversitären For- mit einem Volumen von 11 Millionen Euro . Das Projekt schungseinrichtungen einsetzen . Dies schließt auch den verfolgt das Ziel, die Artenvielfalt in Deutschland an- Ausbau und die Verbesserung der Infrastrukturen mit ein, hand ihres genetischen DNA-Barcodes, das heißt sozu- um exzellente Forschung in diesem Gebiet zu gewähr- sagen ihres Fingerabdrucks, zu erfassen . Zudem beteiligt leisten . sich der Bund umfassend an der Finanzierung großer Dies gilt auch für die Naturkundemuseen, die den Baumaßnahmen an den Standorten der drei Forschungs- Großteil der taxonomischen Forschung leisten . Sie ar- museen . chivieren, schützen und erhalten die Sammlungen; sie Um die Expertise in der taxonomischen Forschung zu erweitern ihr Exponatrepertoire, aber vor allem vermit- (B) halten, ist es in Zukunft wichtig, eine bessere Vernetzung teln sie ihr Wissen und arbeiten zusammen mit Politik, (D) von universitärer und außeruniversitärer Forschung und Gesellschaft, Wissenschaft und Lehre . Somit sind sie Lehre sowie die gezielte Vermittlung und Anwendung der Knotenpunkt im Bereich der Biodiversität . Es muss von OMICS-Methoden zu erreichen . Darauf weisen wir also überprüft werden, inwiefern die bereits bestehenden in unserem Antrag hin . OMICS-Einrichtungen und Universitäten zugänglich ge- macht werden können . Ein guter Ansatz wären hier Schwerpunktprogramme für integrative Taxonomie, die zur Kooperation mit au- Ein gutes Beispiel für einen Auftrieb im Bereich Bio- ßeruniversitären Forschungseinrichten anregen . Für die diversität und taxonomische Forschung ist das Museum Forschenden und die zahlreichen ehrenamtlichen Akteu- für Naturkunde Berlin, welches zu den großen drei Mu- re, die sich in der Taxonomie engagieren, wäre es nütz- seen in Deutschland zählt, die das Zentrum dieser For- lich, Kompetenznetzwerke für integrative Taxonomie zu schung bilden . unterstützen, die als Ansprechpartner dienen können . Gemeinsam besitzen sie mehr als 75 Millionen Ob- jekte und werden vor allem durch das BMBF in Form Während der Weltbiodiversitätsrat seit einigen Jahren des Verbundprojekts „German Barcode of Life“ seit 2011 auf internationaler Ebene erfolgreich arbeitet, gewinnen gefördert . Ziel ist es, die erste genetische „Nationalbi- auch europaweite Forschungsansätze immer mehr an bliothek der Artenvielfalt in Deutschland“ zu erstellen . Bedeutung . Hier wäre es wünschenswert, wenn sich die Dazu trägt auch das Museum für Naturkunde in Berlin Bundesregierung dafür einsetzt, ein Programm für die bei, indem es sich mit Sammlungsentwicklung und Bio- Erfassung der Arten des europäischen Festlands und sei- diversitätsentwicklung in Form von eigenen Forschungs- ner maritimen Gebiete aufzulegen . aktivitäten beschäftigt . Wir geben in unserem Antrag notwendige Impulse für Das historisch einmalige Kulturgut soll in Form eines die Stärkung der taxonomischen Forschung und damit intelligenten Sammlungsmanagements mit globaler In- zur Biodiversitätsforschung in Deutschland . Ich würde frastruktur zusammengetragen werden mit dem Ziel, eine mich freuen, wenn Sie unserem Antrag zustimmen . sogenannte „Biodiversity Heritage Library for Europe“ (BHL-Europe) in digitalem Format für den allgemei- Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Da meine Kol- nen Zugang zur Verfügung zu stellen . Um diese Art von legin Frau Benning die Definition der Taxonomie und Open Access möglich zu machen, bedarf es einer Viel- ihre große Bedeutung bereits hinlänglich erläutert hat, zahl an qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, bedarf es keiner weiteren Erklärung der Nomenklatur an denen es derzeit jedoch mangelt . Deshalb müssen meinerseits . Dennoch möchte auch ich Bezug nehmen „Schools of Taxonomy“ eingerichtet werden, wie schon 21624 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) die Leopoldina in ihrer Empfehlung schreibt . Mit Mas- museum der Leibniz-Gemeinschaft – es wird also unter (C) ter- und Promotionsstudiengängen unter Einbezug von anderem auch aus Bundesmitteln des BMBF finanziert – OMICS-Technologien kann dem Personalmangel in der und gehört zu den weltweit bedeutendsten Forschungs- taxonomischen Forschung und dem Desinteresse an die- einrichtungen auf dem Gebiet der biologischen und erd- sem Gebiet ein Ende gesetzt werden . wissenschaftlichen Evolution und Biodiversität . Aus diesen Gründen spreche ich mich ausdrücklich für Das Museum schafft es, Forschung auf Topniveau die Annahme dieses Antrages aus . Täglich verschwinden mit einer „Aufklärungsarbeit“ zur Bedeutung und dem mehrere Arten auf der Welt aus der taxonomischen Land- Schutz der biologischen Vielfalt für die interessierten Be- karte . Nur wer die Biodiversität und ihre Funktion im sucherinnen und Besucher zu verbinden . Erklärtes Ziel Ökosystem kennt, kann dem Artensterben entgegenwir- des Museums ist es, breite Schichten von Gesellschaft, ken und Fortschritt in diversen Bereichen anregen . Wirtschaft und Politik für dieses Thema zu sensibilisie- ren und für dringend erforderliches Handeln zu gewin- nen . Ich kann Ihnen allen nur ans Herz legen, das Natur- (SPD): Jeden Tag sterben auf unserer René Röspel kundemuseum, das ja hier ganz in der Nähe ist, einmal Erde nach Expertenschätzungen ungefähr 130 Arten aus, zu besuchen und auf eine eigene, ganz persönliche For- also fast 50 000 pro Jahr – Größenordnungen, bei denen schungsreise zu gehen . mir, wie sicher vielen anderen, ganz schwindelig wird . Mit dem vorliegenden Antrag wollen wir einen kleinen Das knüpft an einen weiteren Punkt an, der die Dis- Beitrag dazu leisten, auf diesen Verlust hinzuweisen und ziplin der Taxonomie von anderen wissenschaftlichen den Prozess vielleicht etwas zu verlangsamen . Denn wir Feldern abhebt . Taxonomische Forschung stellt nämlich sind uns sicher darin einig, dass die genetische Vielfalt, geradezu ein Paradebeispiel der in den letzten Jahren viel die Vielfalt der Arten, Ökosysteme und Lebensräume ei- diskutierten Citizen Science dar: Unzählige ehrenamtli- nen großen Schatz darstellen, den es zu sichern gilt . che Artenkennerinnen und Artenkenner, Kartiererinnen und Kartierer leisten für die Taxonomie einen wichtigen Um Pflanzen, Tiere und andere Organismen wirksam Forschungsbeitrag . Dazu gehört nicht zuletzt die wich- schützen zu können, muss sichergestellt sein, dass wir tige Pionierarbeit bei der Erstellung sogenannter Roter überhaupt wissen, was für Arten es auf unserer Erde gibt . Listen . Bisher ist nur ein Bruchteil der geschätzten 13 Millionen bis 20 Millionen Arten nachgewiesen . An dieser Stel- Viele von Ihnen haben wahrscheinlich mitbekommen, le setzt die Taxonomie an: Sie ist die Wissenschaft von dass der Naturschutzbund Anfang Januar die Bevölke- der Identifizierung, Beschreibung und Klassifizierung rung aufgerufen hatte, eine Stunde lang Wintervögel zu von Lebewesen . Die Taxonomie spielt damit in vielen zählen . Diese Bestandserhebung ist ein wichtiger Beitrag (B) Lebensbereichen eine wichtige Rolle: in der Landwirt- zu Umwelt- und Naturschutz . (D) schaft, der Medizin, dem Naturschutz und eben gerade auch in der Erforschung der Biodiversität . Ohne all diese Engagierten wäre die Wissenschaft heute nicht dort, wo sie steht, und auch eine Zukunft In den letzten Jahren hat die Disziplin eine regel- ohne die Unterstützung durch Ehrenamtliche ist kaum rechte Revolution erlebt: Durch die Entwicklung von denkbar . Aus diesem Grund fordern wir die Bundesregie- neuen Methoden und Automatisierungstendenzen ist rung in unserem Antrag auf, zu prüfen, wie die bundes- plötzlich eine ungeahnt schnelle und vollständige Erfas- weit tätigen Ehrenamtlichen noch besser bei ihrer Arbeit sung molekularbiologischer Informationen von Orga- unterstützt werden können . Dazu gehört ebenso, dass die nismen möglich . Dieser technologische Sprung eröffnet Daten, die im Rahmen taxonomischer Forschung ge- den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern völlig wonnen werden, allen in diesem Bereich Tätigen, also neue Dimensionen . Doch mit den neuen Methoden, die gerade auch den vielen Ehrenamtlichen, kostenlos zur die Fachwelt „OMICS-Technologien“ nennt, sind auch Verfügung gestellt werden; das damit verbundene Stich- veränderte Anforderungen an die Forscherinnen und wort Open Access sei erwähnt . An dieser Stelle haben Forscher verbunden . Das eher traditionelle Forschungs- wir nicht nur in der Taxonomie, sondern in der gesamten umfeld in Deutschland ist diesen jedoch nur teilweise Forschungslandschaft noch viel vor uns . gewachsen . Dabei ist die Schuld jedoch keineswegs bei den Forschenden zu suchen, nein, vielmehr wurde die Doch auch trotz der exzellenten Arbeit, die sowohl Disziplin in den vergangenen Jahren insbesondere im die Ehrenamtlichen als auch die Museen, Genbanken universitären Bereich zu stiefmütterlich behandelt und zu und Sammlungen jeweils verrichten, müssen die Uni- wenig gefördert . Die Forschung hat sich immer weiter in versitäten in Zukunft wieder stärker in die taxonomische die großen Naturkundemuseen, Genbanken und Samm- Forschung eingebunden werden . Wir brauchen an geeig- lungen verlagert . Diese leisten selbstverständlich eine neten Universitätsstandorten nicht zuletzt Schwerpunkt- exzellente Arbeit . programme der integrativen Taxonomie und angewand- ten Ökologie . Erfolgreich wird das jedoch nur sein, wenn Erst kürzlich konnte ich mich von den beeindrucken- wir konsequent auf eine Vernetzung mit den außeruniver- den Leistungen des Naturkundemuseums hier in Berlin sitären Akteuren setzen . Die Verzahnung dieser mit dem überzeugen . Einen Teil der Jahresauftaktsklausurtagung Erneuerungs- und Ausbildungspotenzial der Universitä- der SPD-Bundestagsfraktion haben wir nämlich dort ten sichert nicht nur die Zukunft der deutschen Exper- verbracht . Der Generaldirektor des Museums, Professor tise im Bereich der Taxonomie, sondern führt auch zu Johannes Vogel, hat uns durch die Räumlichkeiten ge- gewaltigen Synergien, die wir nicht einfach liegen lassen führt . Es handelt sich um ein integriertes Forschungs- dürfen . Wenn wir das vorhandene taxonomische Poten- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21625

(A) zial ausschöpfen wollen, dann müssen Universitäten mit Liste der Weltnaturschutzunion IUCN sind derzeit etwa (C) außeruniversitären Instituten, Museen, Genbanken und 24 000 Arten nachweislich vom Aussterben bedroht . Forschungssammlungen wieder stärker zusammenarbei- ten . Für die Bekämpfung des Problems existieren bereits internationale sowie nationale Programme, um den Bio- Auch international ist eine Vernetzung der verschie- diversitätsverlust einzudämmen . Doch wie können Pro- denen Akteure unabdingbar . Hier sollte geprüft werden, gramme und gute Absichten helfen, wenn die eigentli- wie die wissenschaftliche Zusammenarbeit innerhalb Eu- chen Ursachen für den Artenschwund in Bereichen zu ropas, aber zum Beispiel gerade auch mit Schwellenlän- finden sind, die nur langsam und widerwillig einsehen, dern unterstützt werden kann . dass der derzeitige Umgang mit unserem Planeten nicht nur fatale Folgen für Umwelt, Tiere und Pflanzen, son- Doch damit eine nationale wie internationale Zusam- dern auch für den Menschen nach sich zieht? menarbeit überhaupt möglich ist, muss zuvorderst das Fundament stimmen: Ohne eine angemessene bauliche Ein Umdenken in Landwirtschaft, Verkehr sowie ein und infrastrukturelle Ausstattung zur Unterbringung und verantwortungsvoller Umgang beim Verbrauch von Flä- Erforschung in den diversen relevanten Institutionen ist chen und Ressourcen ist unabdingbar, um dem globalen gute Forschung kaum möglich . Hieran müssen wir wei- Artensterben auf ganzheitlicher Ebene zu begegnen . terhin gemeinsam mit den Ländern arbeiten . Denn beim Schutz der Biodiversität geht es auch um un- sere eigene Zukunft . Ferner sind spezielle auf die Taxonomie zugeschnit- tene Forschungsprogramme notwendig . Durch den Fö- Um das einmal zu verdeutlichen: Wie der Weltrat für deralismus und die daraus resultierenden unterschiedli- Biologische Vielfalt, IPBES, vorrechnet, sind beispiels- chen Ansprechpartner und Forschungsförderer wird die weise Bestäuber und deren Leistungen für Nahrungsmit- Arbeit der Taxonomen in Deutschland jedenfalls nicht tel im Wert von 213 Milliarden bis 523 Milliarden Euro immer erleichtert . verantwortlich . Weltweit sind jedoch Bienen, Schmetter- linge und zahlreiche andere Bestäuber vom Aussterben Darüber hinaus fehlt es der Taxonomie überall an bedroht, was ein enormes Risiko für die globale Nah- wissenschaftlichem Nachwuchs . Wir fordern die Bun- rungsmittelsicherheit darstellt . desregierung daher auf, solche Strukturen zu unterstüt- zen und gegebenenfalls aufzubauen, die den Nachwuchs Infolge dieser ernstzunehmenden Bedrohung schlos- insbesondere unter Berücksichtigung der neuen Anfor- sen sich auf der letztjährigen Biodiversitätskonferenz derungen, die durch den Einzug der oben erwähnten in Cancún – auch auf Initiative Deutschlands – mehrere OMICS-Technologien entstehen, fördern . Staaten mit der Absicht zusammen, Bienen und Insekten (B) mit gezielten Strategien in Zukunft besser schützen zu (D) Fakt ist, dass es sich bei der Taxonomie nicht um eine wollen . 2010 hatten darüber hinaus die EU sowie 2011 Nischenforschung handelt, die man sich mehr oder we- die Vertragsstaaten des Übereinkommens zur biologi- niger leistet, sondern um eine Basiswissenschaft, auf der schen Vielfalt (CBD) im Rahmen des Nagoya-Protokolls vieles gründet, und die deshalb eine angemessene Bedeu- bereits den Stopp des Verlustes der Artenvielfalt bis 2020 tung und Förderung haben sollte . ausgerufen . Es bleibt jedoch unklar, wie diese Vorhaben Wenn wir dies beherzigen, dann leisten wir einen umgesetzt und deren Ergebnisse eigentlich überprüft wichtigen Beitrag für den Erhalt der Biodiversität – ein werden können . Ziel, dem sich die Bundesrepublik Deutschland übrigens Die Taxonomie ist in diesem Zusammenhang ein bereits mit Unterzeichnung des Übereinkommens über enorm wichtiger Wissenschaftszweig . Ohne die Erkennt- die biologische Vielfalt 1992 in Rio de Janeiro verpflich- nisse dieser Disziplin wären viele Tier- und Pflanzen- tet hat . Da haben wir auch 25 Jahre später noch eine arten sowie deren Leistungen bis heute unentdeckt ge- Menge Arbeit vor uns . blieben . Und ohne das Engagement vieler ehrenamtlicher Ich freue mich, dass wir dieses Thema, das mit einem und hauptberuflicher Taxonomen wüssten wir auch nicht, ähnlichen Antrag in der vergangenen Legislaturperiode welche Arten es zu schützen gilt, noch welches Ausmaß noch an der Ablehnung unseres aktuellen Koalitionspart- der Verlust von Arten in vielen Regionen eigentlich hat . ners gescheitert ist, endlich auf den Weg bringen . Damit die Taxonomie ihrer verantwortungsvollen Rolle auch weiterhin gerecht werden kann, braucht es Birgit Menz (DIE LINKE): Bereits im Jahr 2010 vor allem eine bessere Nachwuchsförderung . Schon gab es einen Antrag der SPD zum Thema Taxonomie jetzt bekommt die Disziplin die Auswirkungen fehlender beziehungsweise Kartografie der Biodiversität. Es wäre Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissen- hilfreicher gewesen, hätte man diesem bereits damals schaftler zu spüren . Der Mangel an Lehrstühlen und da- zugestimmt . Heute, sieben Jahre später, hat das Problem mit verbundene Defizite bei der Ausbildung des wissen- nichts an Aktualität verloren – im Gegenteil . schaftlichen Nachwuchses sind ein ernsthaftes Problem . Derzeit erleben wir auf der Erde das größte Arten­ Politik und Wissenschaft müssen gemeinsam Lösun- sterben seit dem Zeitalter der Dinosaurier . Jeden Tag gen finden, um den Wissenschaftszweig der Taxonomie verschwinden zahlreiche Spezies unwiderruflich von stärker zu fördern und dessen Zukunftsfähigkeit zu ga- unserem Planeten . Und als ob das nicht genug wäre, rantieren . Die Taxonomie ist wesentlicher Bestandteil, ist eine immer größer werdende Anzahl von Tieren und will man den Artenverlust nicht nur stoppen, sondern Pflanzen akut in ihrer Existenz gefährdet. Laut der Roten auch für dessen Erholung sorgen . 21626 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Zudem müssen nationale und internationale Abkom- Dies gilt auch für verwandte Forschungsbereiche: Um (C) men und Strategien zum Schutz der Biodiversität kon- beispielsweise die Folgen der Klimakrise zu bewältigen, sequent umgesetzt und stärker gefördert werden . Dies müssen Anpassungsstrategien von Ökosystemen, Le- kann jedoch nur gelingen, wenn die Fördersummen für bensräumen und Arten erforscht werden . Dieses trans- Programme zum Erhalt der Artenvielfalt um ein Vielfa- formative Wissen über Resilienz wird für politische Wei- ches gesteigert und gleichzeitig biodiversitätsschädliche chenstellungen dringend gebraucht . Subventionen massiv abgebaut werden . Viele Spezies gehen verloren, noch bevor diese über- Die nachhaltige Ausrichtung unseres Forschungs- und haupt bestimmt oder entdeckt werden konnten . Dabei Wissenschaftssystems auf die großen gesellschaftlichen liegt noch so vieles im Verborgenen . Vor allem in Regen- Herausforderungen bleibt unsere zentrale Aufgabe . Das wäldern und Ozeanen gibt es Unmengen an unerforsch- beginnt bei den Perspektiven des wissenschaftlichen ten und zahlreiche zu entdeckende Arten . Es ist daher Nachwuchses, der bei der Taxonomie wegzubrechen wichtig, Arten und Bestände wissenschaftlich so gut es droht . Gerade hier lassen sich die Folgen einer einsei- geht zu erfassen, um das unvollständige Bild allen Le- tigen, auf kurzfristige wirtschaftliche Verwertbarkeit bens auf unserem Planeten weiter zu komplettieren . ausgerichteten Politik eindrucksvoll beobachten: Durch den signifikante Abbau von Lehrstühlen wurden die ent- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenige sprechende Forschungslandschaft und insbesondere die Monate vor dem Ende dieser Wahlperiode bringen die Grundlagenforschung in Deutschland ausgetrocknet . Koalitionsfraktionen heute einen Antrag zum Schutz der Diese fatale Entwicklung gilt es umzukehren . Biodiversität und zum Ausbau taxonomischer Forschung zur erstmaligen Beratung ein . Einen besonderen Schatz im Bereich der Biodiver- Mit fällt auf, dass sich dieser Antrag einreiht in eine sitätsforschung stellen die Sammlungen wie auch die Sammlung forschungspolitischer Schaufensteranträge, Forschungsmuseen, etwa das Naturkundemuseum „ne- die Sie kurz vor Ende Ihrer Regierungszeit quasi an sich benan“ hier in Berlin und die drei Museen der Leib- selbst richten . Es stellt sich die Frage, warum Sie diese niz-Gemeinschaft, dar . Der Verlust von Sammlungen Themen nicht früher angegangen sind und was Sie davon wäre ein Verlust von Wissen, da jeweils große Teile der tatsächlich noch umsetzen können . Sammlungen unwiederbringlich sind . Es kommt darauf an, das vorhandene Wissen zu bewahren und zu erwei- Dies vorausgeschickt, kann ich mich vielen Ihrer For- tern . derungen zum Schutz der biologischen Vielfalt im Allge- meinen und nach mehr Forscherinnen und Forschern zur (B) Wir sollten auf die lange Tradition der Naturforschung (D) Erfassung der Artenvielfalt im Besonderen anschließen . Es reicht allerdings überhaupt nicht aus, den Artenrück- aufbauen und die interessierte Zivilgesellschaft daran gang nur besser erfassen zu wollen . systematisch beteiligen . Erinnert sei an dieser Stelle an die Insektenforscherin und Künstlerin Maria Sibylla Me- Tagtäglich sterben Arten aus, tagtäglich verlieren wir rian, die sich schon vor über 300 Jahren international und durch Umweltzerstörung, Klimakrise und durch Eingrif- interdisziplinär vernetzte . Die Aufzeichnung von Natur- fe des Menschen in die Natur an Biodiversität – welt- beobachtungen vor Ort wird heute auch unter dem Stich- weit wie hierzulande . Millionen von Arten sind noch wort Bürgerwissenschaften bzw . Citizen Science zusam- unentdeckt, viele von ihnen werden ausgerottet, bevor mengefasst . Ereignisse wie das Insektensterben haben sie überhaupt bekannt werden . Große Ökosysteme wie die Tiefsee, der Boden oder das Grundwasser sind noch viele private Initiativen zum Schutz der biologischen weitgehend unerforscht . Es gilt, neben dem Ausbau der Vielfalt angeregt . Projekte der „Bildung für Nachhaltige Forschung eine aktive und ambitionierte Umwelt- und Entwicklung“ und ökologische Freiwilligendienste set- Naturschutzpolitik zu betreiben, die dem Artenrückgang zen sich für den Erhalt von natürlichen Lebensräumen entgegenwirkt . ein – sie fehlen in Ihrem Antrag völlig . Diese Formen zivilgesellschaftlichen Engagements von Menschen aus In der Biodiversitätspolitik hat diese Bundesregierung unterschiedlichen Generationen gilt es zu würdigen und nichts vorzuweisen, und das lässt Ihren Antrag umso einzubeziehen . schwächer und substanzloser erscheinen . Die Wichtigkeit der Taxonomie als grundlegende Wis- Wichtig bleibt jedoch, festzuhalten, dass weder das senschaft für die Lebenswissenschaften, von der Biodi- Ehrenamt noch außeruniversitäre Forschung ein regel- versitätsforschung über die Wirkstoffforschung bis hin mäßiges nationales Monitoring und die integrierte For- zur Infektionsmedizin, die wir ja heute unter TOP 24 schung und Ausbildung an den Universitäten ersetzen ebenfalls beraten, ist unbestritten . können . Die Hochschulen müssen in die Lage versetzt Valide Forschungsdaten sind neben dem unmittel- werden, Forschung und Lehre auf der Höhe der Zeit zu baren wissenschaftlichen Nutzen auch Voraussetzung leisten, moderne Methoden zu nutzen und Forschungs- zukunftsorientierter Politik . Die Weiterentwicklung der ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu Taxonomie in Deutschland wie auch international sollten stellen . Hier müssen Bund und Länder gemeinsam tätig wir deshalb als Teil einer auf Nachhaltigkeit setzenden werden, bevor noch mehr Wissen und Infrastrukturen Forschungspolitik begreifen und entsprechend fördern . verloren gehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21627

(A) Anlage 9 biotika-Ära wiederzufinden, in der Ärzte über keine Me- (C) dikamente zur Behandlung von ernsthaften Infektionen Zu Protokoll gegebene Reden mehr verfügen . Dieses kann und darf nicht sein, und es zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ ist auch weder notwendig noch unausweichlich . CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen Zuletzt erschütterte die Nachricht über den Tod ei- Infektionskrankheiten stärken – Nationale Wirk­ ner 70-jährigen Patientin, die Enterobakterien – einem stoffoffensive starten (Tagesordnungspunkt 24) Krankenhauskeim – erlag, der gegen alle 26 verfügbaren Antibiotika resistent ist . Sie hatte sich mutmaßlich auf Stephan Albani (CDU/CSU): Im Rückblick auf die einer Indienreise infiziert und erlag der Erkrankung. Die vergangenen Wochen hier im Plenum und in den Dis- Patientin stirbt nach erfolgloser Behandlung letztlich an kussionen in der Öffentlichkeit bleiben mir zwei abso- einer Blutvergiftung . lute Unworte des Jahres hängen: „postantibiotisch“ und „postfaktisch“ . Vor allem in unseren Krankenhäusern sind multire- sistente Erreger ein großes und noch weiter wachsendes „Postfaktisch“ ist der Abschied einer faktenbasierten, Problem . Wir müssen also dringend handeln, liebe Kol- rationalen Entscheidungsfindung und der Rückfall in leginnen und Kollegen . dogmatische Zeiten vor der Aufklärung – kurzum Mit- telalter . Es bedarf eines Strukturwandels in unserer Gesund- heitspolitik sowie einer besseren Vernetzung und Koor- „Postantibiotisch“ ist die verbale Kapitulationserklä- dination in der Wirkstoffforschung, um hiermit dringend rung gegenüber zunehmenden Antibiotikaresistenzen . benötigte neue Heilmittel entwickeln zu können . Beides ist noch nicht Realität und sollte von uns durch wiederholtes Erwähnen auch nicht zu ebendieser ge- Aus diesem Grund haben wir, die CDU/CSU-Fraktion macht werden . im Deutschen Bundestag, uns im vergangenen Jahr vehe- ment für eine „Nationale Wirkstoffinitiative” als überge- In Sachen „postantibiotisch“ hier und heute eine gute ordnetes Rahmenprogramm im Bundesministerium für Nachricht: Hier gibt es politische Gegenmaßnahmen . So Bildung und Forschung eingesetzt und zusammen mit wurden auf unsere Initiative hin 20 Millionen Euro im dem Koalitionspartner – hier gilt mein herzlicher Dank Haushalt für eine Förderinitiative im Bereich der Wirk- dem Kollegen Röspel und seinem Team – in einen Antrag stoffforschung bereitgestellt . gegossen . Wir haben hier parlamentarisch schnell gehandelt und Warum ist diese „Nationale Wirkstoffinitiative“ not- die Sache in die Hand genommen . Warum haben wir dies wendig? Es gibt eine Vielzahl von institutionellen und (B) getan? Lassen Sie mich kurz die aktuelle Situation an- projektbezogenen Fördermaßnahmen im Bereich der (D) hand von Fakten darstellen: Wirkstoffforschung auf nationaler und internationaler Ebene . Aber es gibt keine erkennbare übergeordnete Wir leben in einer Zeit, in der die zunehmende Ver- Strategie wie etwa analog zum „Aktionsplan Medizin- breitung von Erregern – hier reden wir über bakterielle technik“, für den wir uns hier Mitte 2016 erfolgreich Erreger –, die gegen einen oder mehrere Wirkstoffe re- starkgemacht haben . sistent geworden sind, zunimmt . Inzwischen sterben in Europa 25 000 Bürger pro Jahr, weil Antibiotika durch Wie zuletzt im April 2016 mit Vorstellung der Ergeb- Resistenzen nicht mehr oder nicht mehr ausreichend wir- nisse des ressortübergreifenden Pharmadialogs will das ken (Angabe des Europäischen Parlaments) . BMBF die Förderung neuartiger Therapieansätze und Diagnostika für bakterielle Infektionen ausbauen . Aber: Laut Zahlen der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sterben allein in Deutschland Die Forderung von „der Aufnahme einer Forschungs- jährlich 30 000 Menschen an Infektionen durch Kran- förderung für neue Wirkstoffe“ haben wir auch schon mit kenhauskeime . Weltweit sterben aktuell jährlich rund in unseren Koalitionsvertrag 2013 verhandelt . Wir kom- 700 000 Menschen aufgrund von Antibiotikaresistenzen; men also quasi nun zur dringend notwendigen Umset- bei ungehinderter Weiterentwicklung der Resistenzen zung einer dringend notwendigen neuen Strategie . wären dies im Jahr 2050 rund 10 Millionen Todesfälle pro Jahr bei gleichzeitigen Kosten für das Gesundheitswesen Koalitionsvertrag, Seite 25: „Wir werden die Wirk- von rund 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr (Prognose stoffforschung stärken, um beispielsweise im Bereich im Auftrag der britischen Regierung, internationale Ver- der Antibiotika zur Bekämpfung von Multiresistenz und einigung pharmazeutischer Hersteller und Verbände) . Sepsis die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern .“ Und genau darum geht es in unserem Antrag . Wir brau- Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Anfang chen neue Präparate, die als Reserve dienen, wenn alle des vergangenen Jahres 2016 erstmals einen Bericht über anderen Mittel versagen . Antibiotikaresistenz veröffentlicht und das Problem als gravierend beschrieben . Und dies kann ich aus meiner Die scheinbar berechtigte Kritik, dass die Pharmain- beruflichen Erfahrung nur in aller Form unterstreichen. dustrie hier die Entwicklung neuer Antibiotika vernach- lässigt, ist zwar nachvollziehbar, aber nicht fair . Wir Ende des 19 .Jahrhunderts wurde durch Robert Koch verlangen als Gesellschaft hier die sehr kostenintensive hier in Berlin eine Ära steigender Lebenserwartungen Entwicklung von neuen Medikamenten, mit der zugleich mit allgemein verfügbaren Antibiotika eingeläutet . Heu- damit verbundenen Aussage, dies nicht oder nur sehr re- te jedoch laufen wir nun Gefahr, uns in einer Post-Anti- striktiv zum Einsatz kommen zu lassen . 21628 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Wir haben insofern hier einen gesamtgesellschaftli- Nein, wir sind auch hier in Deutschland mit seiner (C) chen Auftrag, Forschung, Testung und Produktion von Medizinversorgung auf höchstem flächendeckenden Ni- Antibiotika gemeinsam zu realisieren . Aus anderen Be- veau nicht auf der Insel der Glückseligen, sondern selbst reichen der Gesundheitswirtschaft am Beispiel der PDPs direkt gefährdet . Denn auch hierzulande versagen her- (Product Development Partnerships; auch: Produktent- kömmliche Antibiotika immer häufiger gegen multiresis- wicklungspartnerschaften) kennen wir dies bereits . Hier tente Keime . hat man alternative Methoden gefunden, um die Proble- matik der Wirtschaftlichkeit anzugehen . Wer von uns kennt nicht aus dem unmittelbaren Fami- lien- und Freundeskreis bereits die Fälle lebensbedroh- Weiter zeigt auch der achtbare Erfolg vom 22 .Januar licher Krankenhausinfektionen mit dem Keim MRSA . von Minister Schmidt, beim G-20-Agrarministertreffen Oder war gar selbst schon einmal durch eine Infektion in Berlin, bei der Nutzung von Antibiotika als Wachs- ernsthaft oder gar lebensbedrohlich erkrankt, und die An- tumsförderer in der Landwirtschaft auszusteigen . Auch tibiotika schlugen nicht oder erst spät an? Die Gefahr ist soll die Behandlung von kranken Tieren mit Antibiotika also allgegenwärtig und absolut real . verringert werden . Hinzu kommt, dass die Erforschung neuer Arzneimit- Bevor hier aber voreilig Ursachen einseitig verteilt tel teuer und riskant ist; der Antibiotikamarkt liefert nicht werden: Auch der Einsatz von Antibiotika in der Hu- die gewünschten Erträge, ist also nicht rentabel ange- manmedizin sollte zurückhaltender erfolgen – nämlich sichts sehr hoher Investitionen . da, wo wirklich notwendig –, und die Patienten müssen die Schemata auch eigenverantwortlich durchgehend Unter den deutschen Pharmakonzernen forschen gera- einnehmen und nicht bei Wiederlangen des Wohlgefühls de noch zwei an neuen Antibiotika, und es werden kaum selbstständig die Medikamente absetzen . neue Medikamente auf den Markt gebracht; die Entwick- lungszeiten von der Idee bis zur Anwendung betragen für Alle müssen zusammenwirken, damit der Rückfall in neue Medikamente rund 14 Jahre . Wir müssen also ein Zeiten von Pest und Co . verhindert wird . Es ist unsere strukturelles Marktversagen feststellen . Verantwortung, eine zukunftsweisende Politik zu gestal- ten . Aktuell sehr präsent ist die Diskussion nicht nur in Mit dieser neuen „Nationalen Wirkstoffoffensive“ der medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen haben wir nun eine Art „Schuhlöffel“ gefunden, der uns Fachcommunity, sondern war zum Beispiel auch The- hier hineinhelfen soll: in einen begonnenen Prozess einer ma kürzlich beim Forum Bioethik des Ethikrates und dringend notwendigen Weiterentwicklung der Wirkstoff- ist Gegenstand einer sehr grundlegenden Stellungnahme der Leopoldina . Der Befund ist eindeutig: Wir benötigen (B) forschung, in einer langfristig angelegten Strategie, einer (D) konzertierten Aktion aller an diesem Prozess Beteiligten dringend neue Wirkstoffkandidaten für wirksame Antiin- in Forschung, Industrie und Gesellschaft . fektiva und dazu neue innovative Wege der Arzneimittel- entwicklung . Und dies soll der Anfang sein . Was wurde bereits getan, und was ist weiter zu tun? Ressortübergreifend wurde die Deutsche Antibiotika-Re- (CDU/CSU): Die Zahlen sind alarmie- Patricia Lips sistenzstrategie entwickelt . Die Wirkstoffforschung wird rend: Allein in Europa sterben rund 25 000 Menschen pro durch mehrere Förderformate des Bundesministeriums Jahr an Infektionskrankheiten, weil die jahrzehntelang für Bildung und Forschung unterstützt, die in unserem verlässliche pharmazeutische Allzweckwaffe, das Anti- Antrag näher ausgeführt werden . Schließlich will das biotikum, nicht mehr hinreichend wirkt . Weltweit sollen Bundesministerium für Bildung und Forschung als Er- es 700 000 Opfer der Antibiotikaresistenz sein, Tendenz gebnis des Pharmadialogs die Förderung neuartiger The- stark steigend . rapieansätze und Diagnostika für bakterielle Infektionen Die moderne Medizin ist in allen Stufen der Bakteri- vorantreiben . enbekämpfung, von der alltäglichen Atemwegsinfektion bis zur Hightechversorgung wie in der Transplantations- Auch außenpolitisch hat die Bundesregierung ge- medizin, grundsätzlich in Gefahr, wenn Antiinfektiva handelt und das Thema Antibiotikaresistenz zu einem versagen . Es ist nicht übertrieben, wenn Experten der Schwerpunkt seiner G-7-Präsidentschaft gemacht; Ak- WHO vor einer post-antibiotischen Ära warnen, in der tionspläne von EU und WHO zur Antibiotikaresistenz schließlich schon eine vermeintlich harmlose Wund- wurden verabschiedet . infektion wieder lebensbedrohlich und tödlich werden Ich möchte hier auch ausdrücklich unsere internatio- kann . nale Verantwortung im Hinblick auf die Entwicklungs- Diese enorme Gefahr hat damit zum einen globale zusammenarbeit betonen und nenne die Stichworte Ebo- Ausmaße erreicht, denn wir sind eine Welt und haben laepidemie oder die vernachlässigten Tropenkrankheiten . eine Welt-Gesundheit als kollektives Gut, weil Krank- heiten vor Grenzen nicht Halt machen . Mit unserem heute vorgelegten Antrag „Pharmazeu- tische Forschung gegen Infektionskrankheiten stärken – Gleichzeitig ist sie aber auch für jeden von uns greif- Nationale Wirkstoffoffensive starten“ wollen wir nun bar; es geht eben nicht (mehr) um Epidemien in fernen einen weiteren notwendigen Impuls setzen und eine um- Ländern, wie zum Beispiel bei den sogenannten armuts­ fassende nationale Strategie für die Wirkstoffforschung assoziierten Krankheiten . voranbringen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21629

(A) Die bisherigen Forschungsansätze müssen im Sinne Eine dramatische Entwicklung zeigt sich gegenwär- (C) einer abgestimmten Gesamtstrategie gebündelt und die tig insbesondere in der zunehmenden Antibiotikaresis- Grundlagenforschung gestärkt werden . Neue Koopera- tenz und der schwierigen Suche nach neuen Antibiotika . tionsformate zwischen Forschung und Industrie müssen Noch vor einigen Jahren waren Antibiotika die „Wun- besser gefördert werden . Die Forschungsanstrengungen derwaffe“ der Medizin . Jedes Antibiotikum wirkt auf ein zu den drei Infektionskrankheiten mit hoher Mortalität mehr oder weniger breites Bakterienspektrum und tötet (Tuberkulose, HIV/Aids und Malaria) wie auch zu den die Bakterien entweder ab oder sorgt für eine Hemmung vernachlässigten Tropenkrankheiten müssen intensiviert des Wachstums bzw . der Vermehrung des Bakteriums . Im werden . Idealfall bekämpfen Antibiotika so gefährliche Bakterien und können selbst schwerste Infektionen heilen . Heute Neben der Entwicklung neuer Medikamente und An- haben sich jedoch gegen zahlreiche Antibiotika Resis- tibiotika sind als weitere Maßnahmen im Sinne einer Ge- tenzen gebildet, wodurch auch einfache Infektionen mit samtstrategie auch eine bessere Information von Ärzten resistenten Bakterien lebensbedrohlich werden können . und Patienten über die Gefahren von Resistenzen und die Intensivierung von Hygiene- und Präventionsmaßnah- Die Ursachen für Antibiotikaresistenzen sind vielfäl- men erforderlich; ich erinnere hier an die aktuellen Ver- tig und nicht alle Resistenzen sind von Menschenhand einbarungen des Pharmadialogs vom letzten Jahr . verursacht . Einige Bakterien sind bereits aufgrund ihrer genetischen Eigenschaften gegen Antibiotika unemp- Wir müssen schließlich dafür Sorge tragen, dass der findlich. Relevanter sind aber heute jene Antibiotika- Antibiotikagebrauch in der Human- und Veterinärmedi- resistenzen, die aufgrund vermehrten beziehungsweise zin auf das unbedingt Erforderliche reduziert wird, damit massenhaften Einsatzes in der Human- und Tiermedizin das Antibiotikum weiter verlässlich Leben retten kann . oder fehlerhafter Anwendung entstehen und gravierende Folgen für unsere Gesundheit haben können . Der vorliegende Antrag ist selbstredend nicht isoliert zu betrachten, sondern reiht sich ein in unsere Ziele, An- Neben der Sensibilisierung der Patientinnen und Pa- träge und Förderprojekte zur Verbesserung der Gesund- tienten für den richtigen Umgang mit Antibiotika und heitsforschung, insbesondere zur Beschleunigung des ihrem rückläufigen Einsatz in der Landwirtschaft sind Innovationstransfers oder auch zur Forschung bei ver- wir insbesondere auf eine starke Wirkstoffforschung an- nachlässigten, armutsassoziierten Krankheiten . Er passt gewiesen . Die in diesem Bereich forschenden Wissen- sich ein in unser Konzept zur Förderung der Gesund- schaftlerinnen und Wissenschaftler identifizieren neue heitsforschung und -versorgung, lokal, national wie auch Wirkstoffkandidaten, aus denen neue Arzneimittel zur global . Denn unsere Gesundheit ist das höchste Gut, das Behandlung von Infektionskrankheiten und damit auch (B) es zu schützen gilt . neue Antibiotika entwickelt werden können . Antibioti- (D) karesistenzen müssen hierbei zwar einen Schwerpunkt Bei allen berechtigten Sorgen das Gute zum Schluss: bilden, aber auch im Kampf gegen die „großen Drei“ – Die Koalitionsfraktionen haben gehandelt . Ich freue Tuberkulose, Malaria und HIV/Aids – sowie die vielen mich, dass wir bereits in den letzten Haushaltsberatungen anderen vernachlässigten und armutsbedingten Krank- für die nächsten vier Jahre im Einzelplan 30 20 Millio- heiten sind neue Medikamente unverzichtbar . nen Euro für die Wirkstoffforschung im Rahmen einer Leider ist die Entwicklung von neuen Arzneimitteln neuen Initiative einstellen konnten . Dafür danke ich den ein langer, risikoreicher wie kostspieliger Prozess, und Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss und viele Wirkstoffkandidaten scheitern schon in frühen dem Ministerium und freue mich auf die weiteren Bera- Entwicklungsphasen . Jahrzehntelange Forschungs- und tungen im Ausschuss . Entwicklungsarbeit sowie Kosten zwischen 500 Millio- nen und 1 Milliarde Euro sind keine Seltenheit . Hinzu René Röspel (SPD): „Wir werden die Wirkstofffor- kommt, dass Wirkstoffe, die es bis zur Markteinführung schung stärken, um beispielsweise im Bereich der Anti- schaffen, oftmals keine wirklichen „Neuheiten“ sind und biotika zur Bekämpfung von Multiresistenzen und Sep- bereits bekannten und bewährten Wirkstoffen ähneln . sis die Entwicklung neuer Medikamente zu fördern “. So An den Universitäten, in der Hochschulmedizin, den steht es im Koalitionsvertrag, und ich freue mich, dass Forschungseinrichtungen und in der Gesundheitswirt- wir heute mit dem vorliegenden Antrag dieses Vorhaben schaft mangelt es nicht an exzellenten Forscherinnen und weiter umsetzen . Ich hätte mir allerdings gewünscht, Forschern . Dennoch stockt die Arbeit an neuen Medika- dass wir dieses wichtige Thema zu einer anderen Uhrzeit menten . Deswegen ist es aus meiner Sicht von beson- debattieren; denn es ist aktueller denn je und stellt unse- derer Bedeutung, dass wir die Grundlagenforschung im re Gesellschaft, aber auch die Gesundheitswirtschaft vor Bereich der Wirkstoffforschung stärken . Nur so können große Herausforderungen . wir Erkenntnisse über neue Wirkstoffkandidaten erhalten und innovative Wege in der Entwicklung neuer Arznei- Denn zurzeit stecken wir in einem Dilemma . Einer- mittel bestreiten . seits benötigen wir im Vergleich zu früher immer mehr Medikamente – weil wir älter werden als noch unsere Aber auch die klinische Forschung muss weiter ge- Vorfahren und auch Volkskrankheiten wie Herz-Kreis- stärkt werden . Die Wirkstoffentwicklung darf nicht aus lauf-Erkrankungen oder Diabetes immer häufiger vor- Kosten- und Risikogründen vernachlässigt werden . Ich kommen –; andererseits wird die Entwicklung dieser möchte es noch einmal betonen: Die Wirkstoffforschung notwendigen Medikamente aber immer schwieriger . kann nur dann erfolgreich sein, wenn wir alle Phasen 21630 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) der Arzneimittelentwicklung – von der Grundlagenfor- den Nachteil, dass sie nicht dauerhaft eingenommen wer- (C) schung bis zur klinischen Forschung – berücksichtigen den dürfen . Gerade mit neuen Mitteln gegen die multire- und stärken und dabei die einzelnen Stärken der beteilig- sistenten Keime wird man besonders restriktiv umgehen ten Partner und vorhandene Forschungsinfrastrukturen müssen, um keine neuen Resistenzen zu erzeugen . Und für den größtmöglichen Erfolg nutzen und fördern, nicht die größte Krankheitslast zum Beispiel bei Tuberkulose nur auf nationaler Ebene, sondern auch in der europäi- tragen die Menschen in armen Ländern mit schwachen schen und internationalen Zusammenarbeit . Gesundheitssystemen, die sich teure neue Arzneimittel nicht leisten können . Mit verschiedenen Initiativen, Formaten und der insti- tutionellen Förderung der Forschungseinrichtungen för- Deswegen fordern Sie nun zu Recht, dass der Staat dert das Bundesministerium für Bildung und Forschung, mehr Geld in die Hand nehmen muss, um die Erfor- auch in ressortübergreifender Zusammenarbeit unter schung und Entwicklung neuer Wirkstoffe und Arznei- anderem mit dem Gesundheitsministerium, bereits die mittel zu fördern . Doch Ihr Ansatz ist unzureichend, weil Wirkstoffforschung . Der dramatische Anstieg der Zahl Sie sich nicht aus dem markt- und gewinnorientierten der Todesopfer aufgrund von resistenten Erregern und Denken lösen können . die insgesamt geringe Anzahl von neuen Arzneimitteln Was wir brauchen, ist ein grundsätzliches Umsteuern zeigt aber deutlich, dass wir eine verstärkte Forschung in der Gesundheitsforschung . Die Weltgesundheitsorga- benötigen, damit neue Arzneimittel entwickelt werden nisation beschreibt den höchstmöglichen Gesundheitszu- können . stand als Menschenrecht, das jedem Menschen unabhän- Mithilfe einer Nationalen Wirkstoffoffensive wollen gig von seiner Herkunft und sozialen Situation zusteht . wir sowohl die Wirkstoffforschung weiter stärken als Dementsprechend ist es nicht Aufgabe privatwirtschaft- auch die nationale und internationale Vernetzung von licher Unternehmen, dieses Recht zu sichern, sondern universitären und außeruniversitären Forschungseinrich- Aufgabe der Staaten . tungen sowie Unternehmen vorantreiben . Dafür stellen Die Grundlagenforschung und auch die klinische wir in den kommenden vier Jahren weitere 21 Millionen Erprobung mit Steuergeldern zu fördern, dann aber die Euro bereit – eine Summe, bei der wir jeden Euro effizi- Patente und damit zukünftige Erträge in der Hand der ent nutzen und schon vorhandene Maßnahmen ressort- Unternehmen zu lassen, ist im Kern eine Umverteilung übergreifend aufeinander abstimmen müssen . aus den Taschen der Steuerzahler in die Taschen der Ak- Dass wir die Gefahr erkannt haben, zeigt auch die tionäre von Bayer, Pfizer und Co. Wir schlagen Ihnen Schwerpunktsetzung der deutschen G-20-Präsident- daher vor: Ändern Sie die Hochschulgesetze oder das schaft . Die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen – Patentrecht so, dass öffentlich finanzierte Forschungser- (B) auch mithilfe der Entwicklung neuer Wirkstoffe – steht gebnisse auch in staatlicher Hand bleiben! Die so entwi- (D) ganz oben auf der Agenda . Mit einer starken Wirkstoff- ckelten Medikamente könnten dann in Lizenz produziert forschung können wir dieses Ziel erreichen . Mit dem werden – überall auf der Welt, zu Preisen, die auch die vorliegenden Antrag ebnen wir dafür den Weg . Armen bezahlen können . Und auch die Forschungsstruktur in den deutschen Kathrin Vogler (DIE LINKE): Im heute eingebrach- Hochschulen wurde und wird von Ihnen nicht in Rich- ten Antrag setzen sich die Koalitionsfraktionen mit einer tung Allgemeinwohl umgestaltet . Teil des Problems ist der wichtigsten und kritischsten Fragen auseinander, mit doch, dass die Hochschulen und Forschungseinrichtun- der wir im Bereich der Gesundheitsforschung konfron- gen eben in ihrer Forschung nicht vorwiegend am All- tiert sind: Antibiotika haben im 20 . Jahrhundert zweifel- gemeinwohl orientiert sind, weil sie angewiesen sind auf los einen großen Beitrag zur Bekämpfung von lebens- externe Zuwendungen, sogenannte Drittmittel, für jedes bedrohlichen Infektionserkrankungen geleistet . Noch im einzelne Forschungsprojekt . Auch die prekäre Situation 19 . und frühen 20 .Jahrhundert sind die Menschen mas- der allermeisten Nachwuchsforscher, die sich von einem senhaft an bakteriellen Erkrankungen wie Cholera, Ty- befristeten Vertrag zum nächsten hangeln, steht einer phus, Syphilis, Wundbrand oder Tuberkulose gestorben . Kontinuität und Nachhaltigkeit in der medizinischen, Erst die Entwicklung des Penicillins, dem später weitere biochemischen und pharmakologischen Forschung dia- Wirkstoffe folgten, nahm dieser tödlichen Gefahr ihren metral entgegen . Schrecken . Auch hier vermisse ich Vorschläge zum Umsteuern . Doch der Schrecken kehrt zurück. Immer häufiger Die Entwicklung neuer Antiinfektiva ist eine gesamtge- infizieren sich Menschen mit Keimen, gegen die die sellschaftliche Aufgabe von einem Format, das mutige gängigen Antibiotika nichts mehr ausrichten können . und politisch unbequeme Entscheidungen erfordert . Multiresistente Erreger sind eine große und zunehmende Gefahr für die öffentliche Gesundheit . Schon heute ster- Die von Ihnen geforderte Nationale Wirkstoffoffensi- ben allein in Deutschland mehr Menschen an resistenten ve wird wohl doch eher ein Offensivchen; denn Sie for- Erregern als an Verkehrsunfällen oder an Aids . dern ja Mittel dafür lediglich „im Rahmen der zur Verfü- gung stehenden Haushaltsmittel“ . Mit den 17 Millionen Warum entwickeln die Arzneimittelhersteller in so ei- Euro, die im Haushalt eingestellt sind, kommen Sie aber ner Situation nicht vorrangig neue Antibiotika? Auch da- nicht weit . Und den Antrag der Linken zum Haushalts- rauf weisen die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag hin: plan über 500 Millionen Euro für nichtkommerzielle, Die Gewinnerwartung für die Unternehmen ist zu gering . industrieunabhängige Pharmaforschung haben Sie ja ab- Antibiotika haben aus Sicht der Unternehmen nämlich gelehnt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21631

(A) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Krank- projekt der drei Universitätsklinika Tübingen, Freiburg (C) heitserreger, gegen die keine Antibiotika mehr wirken, und Heidelberg, das mögliche Wege einer Übertragung sind eine zunehmende Gefahr für die menschliche Ge- von antibiotikaresistenten Bakterien vom Tier auf den sundheit . Sie sind zugleich eine drängende Herausfor- Menschen untersucht, und zwar vor allem durch den Ver- derung für die Forschung . Denn Antibiotikaresistenzen zehr von Fleisch . Solche Fragestellungen helfen weiter, nehmen weltweit zu, und alte Wirkstoffe stoßen an ihre weil sie eines Tages Ideen zur Ursachenbekämpfung lie- Grenzen . fern können . Viele forschende Arzneimittelhersteller haben sich Auf einigen Gebieten mangelt es allerdings gar nicht in der Vergangenheit aus der Antibiotikaforschung zu- so sehr an Erkenntnissen, sondern wir haben es mit Um- rückgezogen, weil andere Bereiche lukrativer schienen . setzungsdefiziten zu tun. So ist es der verbreitete Einsatz Dieses Marktversagen führte zu einer Forschungslücke . von Antibiotika in der Landwirtschaft, die dann über die Der Nachschub an neuen Entwicklungen in der For- Nahrungskette und nicht zuletzt über das Trinkwasser schungspipeline versiegt . Im Antrag der Koalition wird von uns Menschen aufgenommen werden . richtigerweise darauf hingewiesen, dass die in den letz- ten Jahren neu auf den Markt gekommenen Produkte Ebenfalls wichtig sind Hygiene-Standards, übrigens letztlich nur „Me-Too-Präparate“ sind, also Medikamen- nicht nur im Krankenhaus, sondern auch in Pflegehei- te ohne echten Zusatznutzen . men oder in den Rettungswagen . Personalschlüssel an besonders vulnerablen Orten wie Intensivstationen oder In der Problemanalyse liegen wir also nah beieinan- Frühchenstationen oder auch das Screening von Risiko- der . Nun ist aber die Frage, was kluge Forschungsför- patienten sind weitere wichtige Ansatzpunkte . deransätze sind, die helfen, das Problem nachhaltig in den Griff zu bekommen . Und da ist es zu wenig, vor al- Die Beispiele zeigen: Es sind nicht allein die phar- lem auf mehr Kooperation zwischen Unternehmen und mazeutischen Antworten, die uns weiterbringen können . öffentlich geförderten Forschungseinrichtungen zu set- Vielmehr muss Gesundheitsforschung auch Perspektiven zen und eine „Nationale Wirkstoffinitiative“ auszurufen. integrieren, die auf soziale Innovationen und transdiszi­ plinäre Forschung abzielen, beispielsweise um Prozes- Ihre Vorschläge sind vor allem zu wenig innovativ . Sie sabläufe in der Krankenversorgung besser zu organi- ducken sich zum Beispiel weg bei der doch auf der Hand sieren . Bei all diesen Baustellen erwarten wir, dass die liegenden Frage: Was können wir eigentlich konkret ler- Koalition in und über die Wirkstoffinitiative hinaus aktiv nen aus der Diskussion um das Marktversagen bei den wird, um Infektionskrankheiten wirksam einzudämmen . „vernachlässigten Krankheiten“ für die Antibiotikafor- schungsförderung? Denn die Ausgangslage ist doch eine (B) ähnliche: Auch der Markt der „vernachlässigten Krank- (D) heiten“ ist für „Big Pharma“ zu wenig finanziell attrak- Anlage 10 tiv, sodass es an Forschung und Entwicklung mangelt . Zu Protokoll gegebene Reden Deshalb setzt das BMBF beispielsweise auf Produktent- wicklungspartnerschaften . Auch andere Instrumen- zur Beratung des von der Bundesregierung ein­ te wie Knowledge Sharing oder die Entkoppelung von gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Entwicklungskosten und Produktpreis werden diskutiert Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer stra­ und wären lohnenswert, auf ihr Potenzial für die Antibio- ßenverkehrsrechtlicher Vorschriften (Tagesord­ tikaforschung übertragen zu werden . Da zeigt sich der nungspunkt 25) Antrag aber leider ideenarm . Ich vermisse auch, dass ein Instrument, welches in Patrick Schnieder (CDU/CSU): Als wir im der internationalen Diskussion viel debattiert wird, näm- Jahr 2013 den Koalitionsvertrag aufgesetzt haben, haben lich das eines globalen Antibiotikaforschungsfonds, sich die zukünftigen Herausforderungen des Verkehrs von Ihnen mit keiner Silbe erwähnt wird . Was geben bereits am Horizont abgezeichnet . Um diese Veränderun- Sie der Bundesregierung in den kommenden G-7- und gen zu bewältigen, reicht es nicht, an der Infrastruktur zu G-20-Prozessen zu diesem Ansatz auf den Weg? Dazu arbeiten . Wir müssen an den Verkehrsteilnehmern arbei- schweigt der Antrag und vergibt hier die Chance, die De- ten, die am Verkehr der Zukunft teilhaben werden . Und batte voranzutreiben . wir setzen – so wie wir es damals beschlossen haben – bei der Fahrausbildung und den Fahrlehrern an . Klar ist auch: Selbst wenn Maßnahmen aus dem Koa- litionsantrag die Pharmaindustrie beflügelten, neue Ent- Auch wenn die Verbesserung der Qualität der ver- wicklungen auf den Markt zu bringen – bis wir tatsäch- kehrspädagogischen Ausbildung das Ausgangsmotiv für lich über diese neuen, dringend benötigten Medikamente die vorliegende Reform war, hat sich eine ganze Reihe verfügen, werden noch Jahre vergehen . Deshalb ist es von weiteren Problemen aufgetan, vor denen deutsche wichtig, seitens der Forschung auch Lösungsansätze jen- Fahrschulen heute stehen . Daher greifen wir mit dem seits der Pharmazie in den Blick zu nehmen, die schneller vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur das Koalitionsver- Wirkung entfalten können . sprechen auf, sondern nehmen auch die hinzugetretenen Probleme der Gegenwart gleich mit ins Visier: Dazu gehört, sich anzuschauen, welche Gründe für die zunehmenden Antibiotikaresistenzen bestehen und Wir stellen fest, dass die Anzahl der Personen mit wie Prävention möglich ist . Das baden-württembergische Fahrlehrerlaubnis kontinuierlich abnimmt . Sie ist das Wissenschaftsressort zum Beispiel fördert ein Verbund- siebte Jahr in Folge gesunken, auf nun 45 238 Personen . 21632 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Gleichzeitig steigt das Durchschnittsalter der Fahrlehrer ändern . Es geht nicht länger nur um Sicherheitsabstand (C) in Deutschland seit 2006 an und liegt aktuell bei 53 Jah- und Schulterblick . Aus Fahrlehrern werden Mobilitätsbe- ren . Der überwiegende Teil der Fahrlehrerlaubnisinha- rater und Fahrzeugsoftware-Pädagogen . ber (75,5 Prozent) ist im Jahr 2015 45 Jahre oder älter und wird sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren Der Vorwurf, die deutschen Fahrschulen würden bei aus dem Beruf verabschieden . Die Altersstruktur ist ein den praktischen Prüfungen hohe Durchfallquoten herbei- großes Problem für die Branche . Daher müssen wir neue führen, um durch die zusätzlichen Fahrstunden die Ein- Wege gehen, um den Beruf attraktiver und zukunftsfähig bußen durch den allgemeinen Rückgang an Fahrschülern zu machen . zu kompensieren, kann durch einen einfachen Blick in die Statistik widerlegt werden . Die Durchfallquoten bei Auch der Frauenanteil an den Fahrlehrern sollte sich den praktischen Prüfungen sind seit Jahren annähernd ändern . Frauen stellen derzeit weniger als 9 Prozent aller identisch und liegen zwischen 25 und 26 Prozent . Die Fahrlehrer in Deutschland . Die Zeiten, in denen das Auto Durchfallquoten der Theorieprüfung steigen jedoch kon- und Fahrschulen eine reine Männerdomäne sind, sollten tinuierlich . Hier sollte die Schuld nicht bei den Fahrleh- jedoch längst gezählt sein . rern gesucht werden . Stattdessen müssen wir uns fragen, Und nicht zuletzt hängt der Nachwuchsmangel auch wie wir die insbesondere auf dem Land immer jünger mit der fehlenden finanziellen Perspektive des Berufes werdenden Fahrschüler besser auf die theoretische Prü- zusammen . Das Gehalt der Fahrlehrer schwankt je nach fung vorbereiten und ihnen die Prüfungsnervosität neh- Region und Auftragslage enorm . Im Jahr 2014 waren men . rund 10 000 Fahrschulen in Deutschland registriert . Es ist zu beobachten, dass Jugendliche heute mehr Die Fahrschulen erwirtschafteten im Schnitt etwas über Unterricht als noch vor 20 Jahren nehmen müssen . Zu 42 000 Euro je beschäftigter Person . Der Sachaufwand ständig neuen Vorschriften und Verboten kommen mit und die sonstigen betrieblichen Aufwendungen verzeh- dem Kreisverkehr oder dem Grünpfeil auch neue Ver- ren jedoch große Teile des Umsatzes . In strukturschwa- kehrselemente hinzu . Die unaufhaltsame Automatisie- chen Gebieten mit wenigen Fahrschülern und niedrigen rung bringt beinahe monatlich neue Assistenzsysteme Fahrstundenpreisen verdienen Fahrlehrer tatsächlich oft hervor, die Fahraufgaben übernehmen oder unterstützen nicht mehr als 1 400 Euro brutto . Nur in Ballungsgebie- können . Schon heute macht die Einweisung in Abstands- ten mit höheren Fahrstundenpreisen und einem größeren und Parkassistenten, elektronische Anfahrtshilfen und Schülerpool sind höhere Verdienste möglich . Der Netto- Spurhaltesysteme 5 Prozent der Fahrunterrichtszeit aus . lohn eines deutschen Fahrlehrers ist mehr als bescheiden; Dennoch muss der Fahrzeugführer auch in absehbarer für viele Fahrlehrer ist es schwierig, den Lebensunterhalt Zukunft zahlreiche, auch nicht-fahrbezogene Aufgaben (B) alleine mit Fahrstunden zu bestreiten, und gänzlich un- weiterhin selbst erfüllen . Auch teilautomatisierte Fahr- (D) möglich, etwas für das Alter zurückzulegen . Die Nach- zeuge müssen in einen betriebs- und verkehrssicheren wuchsprobleme kriegen wir so jedenfalls nicht in den Zustand gebracht werden; die Assistenzsysteme müssen Griff . kontrolliert werden . Hinzu kommt eine sinkende Nachfrage nach Fahr- stunden. Der demografische Wandel macht auch vor den Die neuen Technologien sind für die Fahrlehrer selbst- Fahrschulen nicht halt . Die Zahl der Fahrerlaubnisprü- redend auch mit höherem Sachaufwand verbunden, wenn fungen ist zwischen 2006 und 2013 jedes Jahr gesunken, bestehende Fahrzeuge nachgerüstet werden müssen . erst seit 2014 steigt sie wieder leicht . Die Zahl der Fahr- Damit die Anzahl der erforderlichen Fahrstunden nicht schüler sank bundesweit zuletzt von etwa 1 Million auf wesentlich steigt und der Führerscheinerwerb bezahlbar rund 800 000, und der Wettbewerbsdruck in der Branche bleibt, muss der Fahrunterricht noch besser und effizien- verschärft sich . Die Fahrschulen als verkehrspädagogi- ter werden . sche Kleinbetriebe spüren die Auswirkungen der gebur- Bedauerlicherweise sind Fahranfänger weiterhin die tenschwachen Jahrgänge mehr als deutlich . am stärksten unfallgefährdete Gruppe aller Verkehrsteil- Neben der Alterung der Gesellschaft führen Experten nehmer . Viele Fahranfänger überschätzen ihr Können . die Zahlen auch auf den sinkenden Stellenwert des Au- Dieses Gefühl falscher Souveränität ist die Ursache tomobils zurück . Der öffentliche Nahverkehr ist in den dafür, dass sie in den ersten Monaten nach der bestan- deutschen Großstädten ausreichend attraktiv; ein Auto denen Fahrprüfung überdurchschnittlich viele schwere wird zunehmend überflüssig. Laut Studien gibt die ju- Unfälle verursachen . Erst mit steigender fahrpraktischer gendliche Zielgruppe ihr Geld im Zweifel eher für Reisen Erfahrung nimmt das Unfallrisiko merklich ab . Dies un- oder das neueste Smartphone als für den Führerschein terstreicht die Bedeutung, die Aneignung von Fahrkom- aus . Wir beobachten, dass das Auto in den Städten zuse- petenz vor dem Beginn des selbstständigen Fahrens zu hends vom Statussymbol zu einer Dienstleistung mutiert . optimieren . Der Verkehr wandelt sich in einer Geschwindigkeit, Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen ist es die vor wenigen Jahren noch nicht abzusehen war . Und wichtig und notwendig, dass wir als Gesetzgeber reagie- mit ihm wandeln sich die Anforderungen an die Verkehrs­ ren . Die zentrale Frage ist: Wie können wir die Qualität teilnehmer . Wir sind aufgefordert, zu reagieren und bei der Fahrausbildung erhöhen, die Nachwuchsprobleme der Wissensvermittlung durch die Fahrlehrer anzusetzen . der Fahrlehrerbranche beheben und die Einnahmensi- Deren Berufsstand ist auch in Zukunft nicht in Gefahr; tuation der Fahrschulen verbessern, ohne dass sich die die Berufsbeschreibung dürfte sich jedoch grundlegend Kosten für die Fahrschüler weiter erhöhen? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21633

(A) Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf präsentieren wir Indem wir die Anforderungen an Unterrichtsräume (C) vier Instrumente, mit denen wir die Probleme angehen . vereinfachen, arbeitsrechtliche Spezialvorgaben strei- chen und nicht mehr zeitgemäße Nachweispflichten weg- Erstens . In Zeiten von Nachwuchsmangel ist es die fallen, werden die Fahrschulen um mehr als 84 Millionen richtige Entscheidung, den Zugang zum Beruf des Fahr- Euro pro Jahr entlastet . Die Fahrschulen sollen weniger lehrers durchlässiger und flexibler zu gestalten. Wir Zeit mit Formalien verbringen müssen und mehr Zeit für senken das Mindestalter auf 21 Jahre ebenso ab wie die ihre Schüler erhalten . horrenden Gebühren, die bislang bei den für die Prü- fungsabnahme zuständigen technischen Prüfstellen fällig Gleichzeitig wollen wir den Fahrschulen die Tür für werden . Die grundsätzliche Eignung wollen wir nicht Kooperationen öffnen, um Sachkosten aufteilen zu kön- aufweichen . Der Fahrlehrbewerber muss in Zukunft min- nen . Neu werden Gemeinschaftsfahrschulen auch für destens eine abgeschlossene Berufsausbildung in einem Fahrschulinhaber unterschiedlicher Klassen möglich . anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige Vorbil- Außerdem wird Fahrschulen die Möglichkeit gegeben, dung besitzen . Aber auch hier sollen Ausnahmen mög- dort, wo es Sinn macht, einzelne Ausbildungsteile an lich werden und für mehr Flexibilität sorgen . eine kooperierende Fahrschule zu übertragen . Auch die bestehende Beschränkung der maximal möglichen An- Zweitens . Die Fahrlehreraus- und -weiterbildung wird zahl von Zweigstellen soll entfallen . Gleichzeitig erwar- dem Verkehr von heute und der Realität von morgen an- ten wir, dass die Kooperationsmöglichkeiten nicht dazu gepasst . Hierfür haben wir die Inhalte, Methoden und führen, dass pädagogische Verantwortungen verwischt organisatorischen Abläufe der Fahrschulausbildung in werden . Es wird daher festgelegt, dass der Auftraggeber Deutschland einer kritischen Betrachtung unterzogen . eines Ausbildungsteils die Gesamtverantwortung trägt, Innovationen wie Elektromobilität und Teilautomati- während die kooperierende Fahrschule die übernom- sierung halten ebenso Einzug in den Lehrplan wie die mene Teilausbildung verantwortet . Um dies zuverlässig Schärfung der Vermittlung verkehrspädagogischer Kom- überprüfen zu können, sind auch die kooperierenden petenzen, die Verkehrswahrnehmung und die Gefahren- Fahrschulen aufgefordert, Dokumentationen und Auf- vermeidung in der Praxis . Das selbstständige Theorieler- zeichnungen bereitzuhalten . nen der Fahrschüler soll besser vorbereitet werden, auch mithilfe der Implementierung von Smartphone-Apps und Es gibt jedoch einen Punkt, den ich kritisch sehe, und interaktiven Lernformen . Gleichzeitig erhält die Ausbil- das ist der im Entwurf vorgesehene Ausschluss von Be- dung der Fahrlehrer eine optimierte zeitliche Abfolge, schäftigungsverhältnissen mit freien Mitarbeitern . Ich und die Anforderungen an Ausbildungsfahrschulen und kann nicht nachvollziehen, aus welchem Grund Fahr- die Fahrlehrerfortbildung werden präzisiert . schulen – insbesondere auch in Zeiten schwankender (B) Auftragslagen – auf einen Zugang zu freischaffenden (D) Drittens . Um die Einhaltung der Vorschriften zu ga- Fahrlehrern verzichten sollten . Die Beschäftigungs- rantieren, schaffen wir den Rahmen für eine bundesein- statistik verrät, dass freiberufliche Fahrlehrer heute die heitliche Überwachung der Fahrschulen . Die Vorgaben Ausnahme sind . Gleichzeitig nimmt die Zahl der sozi- für das Fahrlehrerpersonal werden ebenso präzisiert wie alversicherungspflichtig und geringfügig beschäftigten die Maßnahmen, die bei einer Feststellung von Mängeln Fahrlehrer kontinuierlich zu: allein seit 2012 um 13 Pro- ergriffen werden . Auch die Schulung des mit der päda- zent. Die Fahrschulbranche befindet sich bereits inmitten gogischen Überwachung betrauten Personals wird klar eines Strukturwandels . Ich verstehe nicht, weshalb man geregelt . Die Überwachungsfristen bleiben unverändert . den Fahrschulen an dieser Stelle Flexibilität nehmen soll- Die Länder erhalten großzügige Übergangsregelungen te . und können die Details auch danach in eigener Zustän- digkeit ausgestalten . Eine Senkung der allgemeinen Gebührenlast würde uns hingegen nicht weiterbringen . Die deutschen Fahr- Viertens . Besonders problematisch ist die Frage, wie schulen führen bereits heute weniger als 1 Prozent ihres man die Einnahmensituation der Fahrschulen verbessern Umsatzes als Steuern und öffentliche Abgaben ab . kann, ohne dass die Preise für Fahrstunden erhöht wer- den . Bereits heute werden für theoretische und praktische Der vorliegende Gesetzentwurf versucht viel, und Prüfung zusammen bis zu 1 900 Euro fällig . Für die Füh- ihm gelingt viel . Wir bereiten unsere Fahrschüler nicht rerscheinaspiranten, die durch eine Prüfung fallen, wird nur auf die Herausforderungen von morgen vor, sondern es noch teurer . Ich möchte aber unter keinen Umständen senden über die Reform auch wichtige Entwicklungsim- sehen, dass der Führerschein, der ja auch für nicht weni- pulse an die Fahrschulbranche . Den Fahrlehrern wird ein ge Stellen ein Einstellungskriterium ist, zu einem Privi- ausreichender Spielraum eröffnet, den für die Kompe- leg von Kindern besserverdienender Familien wird . Da- tenzvermittlung erforderlichen Ausgleich zwischen der her verfolgen wir einen anderen Ansatz . Einhaltung vorgeschriebener Ausbildungsstandards und einer pädagogischen Individualisierung der Lehrinhalte Die Kostenstrukturerhebungen deutscher Fahrschulen herbeizuführen . zeigen, dass die Bruttogehälter und Sozialaufwendungen im Jahr 2014 nur 39 Prozent der Ausgaben deutscher Fahrschulen umfassten . In der Konsequenz sind 61 Pro- Stefan Zierke (SPD): Das Fahrlehrergesetz ist in zent der Ausgaben sachgebunden und durch Synergieef- der jetzigen Form nicht mehr auf dem aktuellen Stand . fekte potenziell absenkbar . Daher setzen wir auf Entbü- Mehrfach sind Fahrschulverbände an uns herangetreten . rokratisierung und Kooperation . Eigentlich wird eine Reform schon seit Jahren gefordert 21634 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) und ist auch meiner Einschätzung nach seit Jahren über- Es ist ein hohes Gut, ortsnahe und kompetente Fahr- (C) fällig . schulen in ganz Deutschland zu haben . Von der Ucker- mark bis in den hintersten Bayerischen Wald wollen wir Sowohl die Ausbildung der Fahrschüler als auch der die Fahrschullandschaft stabilisieren und modernisieren, Fahrlehrer ist – insbesondere unter pädagogischen Ge- damit junge Menschen sicher und verantwortungsvoll sichtspunkten – nicht mehr zeitgemäß . Rahmenbedin- auf unseren Straßen Auto und Motorrad fahren können . gungen und Anforderungen ändern sich, und dann müs- sen wir auch die gesetzlichen Gegebenheiten anpassen . Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Linksfraktion be- Schon heute sind zum Beispiel Fahrsimulatoren mög- grüßt, dass die Koalition doch noch die Vereinbarung des lich . Diese können Situationen simulieren, die schlecht in Koalitionsvertrages umsetzen will, die Ausbildung der realen Situationen darstellbar sind, aber als Übung eine Fahranfänger zu verbessern und auch die pädagogische gute Grundlage für sicheres und kontrolliertes Fahren Ausbildung der Fahrlehrer zu erhöhen . Dies wurde aller- bilden . Dies ist jetzt nur ein Beispiel, dass der aktuelle höchste Zeit; schließlich hatte die Verkehrsministerkon- Gesetzesrahmen nicht mehr den tatsächlichen und tech- ferenz bereits im April 2012 das Verkehrsministerium nischen Voraussetzungen entspricht und daher Bedarf aufgefordert, eine umfassende Reform des Fahrlehrer- besteht, das Gesetz zu modernisieren . rechts in Angriff zu nehmen, das seit 1969 kaum ange- passt wurde . Inzwischen steht das Projekt schon in der Dies hat die Koalition im Koalitionsvertrag aufge- dritten Legislatur auf der Agenda . Es ist begrüßenswert, nommen und der Bundesregierung ins Stammbuch ge- dass der Gesetzentwurf weitestgehend dem Eckpunkte- schrieben . Es gilt, die Ausbildung der Fahranfänger zu papier der Länder folgt, in dem zahlreiche sinnvolle Vor- verbessern und die Qualität der pädagogischen Ausbil- schläge gemacht wurden . dung der Fahrlehrer zu erhöhen . Es wurde dringend Zeit, die Fahrlehrerausbildung, Mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf werden da- aber auch gerade die Weiterbildung anzupacken – junge her einige Punkte aufgenommen, die ich kurz aufzählen Fahranfänger sind im Straßenverkehr besonders gefähr- und erläutern möchte: det . Fahranfänger verursachen immer noch überdurch- schnittlich viele Unfälle . Aufgrund der fehlenden prakti- Erstens: Die Kooperationsmöglichkeiten der Fahr- schen Erfahrung im Straßenverkehr wird es sich hierbei schulen sollen verbessert werden . Dabei ist es wichtig, immer um eine Risikogruppe handeln . Doch Verbesse- die entsprechenden Aufsichtsmöglichkeiten entspre- rungen in der Fahrausbildung sind ein wichtiger Beitrag chend zu berücksichtigen . für die Erhöhung der Verkehrssicherheit . (B) Zweitens: Die Zugangsvoraussetzungen zum Fahrleh- Dass der Besitz der Führerscheine A und C als zwin- (D) rerberuf müssen reformiert werden . Hier gibt es unter- gende Voraussetzung für den Erwerb der Fahrlehrerlaub- schiedliche Auffassungen, ob man diese eher enger oder nisklasse BE wegfallen soll, ist erst einmal begrüßens- weiter fassen solle . Nun liegt der Entwurf vor, und wir wert . Oft wird der Lkw- und Motorradführerschein von werden uns nun auch mit diesem Punkt noch einmal be- den Fahrlehrern nicht gebraucht . Durch diese Änderung schäftigen und hier mit Blick auf die Praktiker, also die- wird der Zeitaufwand reduziert, und es sinken vor allem jenigen, die es später betrifft, behutsam agieren . auch die Kosten für die Ausbildung . Die ohnehin schon Drittens: Es soll eine Modernisierung der Fahrlehrer- zu geringe Zahl an Fahrlehreranwärtern würde in der Zu- aus- und -weiterbildung erfolgen . Hier geht es um die kunft ansonsten weiter sinken . Dennoch sollten wir die Lehrpläne und das Verfahren der Aus- und Weiterbil- Folgeentwicklung dieser Änderung im Auge behalten . dung . Das muss nun auch angegangen werden, damit die Gegebenenfalls müssen hier in der Zukunft doch noch Modernisierung nun endlich auf den Weg gebracht wird . einmal Anpassungen vorgenommen werden: Schließ- lich verschwindet ja nicht der Bedarf nach Kompetenz Viertens: Es soll eine Entbürokratisierung stattfinden. für diese Fahrzeuge . Machen wir uns nichts vor: Die Hier werden wir in den nun zu führenden Diskussionen Lockerung von Zugangsmöglichkeiten ist oft eine Grat- einen Mittelweg zwischen Reduzierung von Verwal- wanderung . Wir müssen also darauf achten, dass bei der tungsaufwand und notwendiger Kontrolle gehen müs- Erhöhung der Quantität die Qualität nicht auf der Strecke sen . Ja, der Verwaltungsaufwand muss reduziert werden . bleibt . Aber wir brauchen auch nachvollziehbare Kontrollmög- Besonders wichtig ist uns, dass mit der Reform der lichkeiten . Fahrlehrerausbildung künftig der Pädagogik mehr Ge- Fünftens: Die Fahrschulüberwachung soll einheitli- wicht beigemessen wird . Dass sich hierbei die Ausbil- cher – als dies bisher der Fall ist – stattfinden. Auch hier dungszeit nur gering, um zwei Monate, verlängert, ist müssen wir eventuell noch einmal genauer in das Gesetz ebenfalls begrüßenswert . Fahrlehrer, die ihre Ausbildung schauen und entsprechende Diskussion im nun anlaufen- vor 30 oder 40 Jahren gemacht haben, kamen zu einem den parlamentarischen Verfahren finden. nicht geringen Teil vom Militär . Man muss kein Linker sein, um einzusehen, dass die Pädagogik, die als Fahrleh- Wir werden in den anstehenden Beratungen als rer nötig ist, bei der Bundeswehr sicherlich nicht vermit- SPD-Bundestagsfraktion darauf hinwirken, dass wir so- telt wurde . Das soll nicht heißen, dass diese Fahrlehrer wohl die Interessen der Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer, keinen guten Job machen . Doch in der heutigen Aus- als auch die Interessen der Fahrschülerinnen und Fahr- bildung müssen wir Anpassungen vornehmen . Fahrleh- schüler sinnvoll miteinander verbinden . rer müssen heute auch auf die veränderte Altersstruktur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21635

(A) vorbereitet werden . Neben 18- oder 17‑Jährigen sitzen berg hervorzuheben . Dem grün regierten Baden-Würt- (C) zunehmend Menschen mittleren Alters in der Fahrschu- temberg war die Reform des Fahrlehrerrechts immer ein le . Soll sich auf unterschiedliche Bedürfnisse eingelassen besonderes Anliegen, und so hat es sich in der Bund-Län- werden, ist pädagogisches Geschick notwendig . Daher der-Arbeitsgruppe auch entsprechend stark eingebracht . ist es auf der einen Seite richtig, Ausbildungsinhalte zu straffen und von überflüssigem Ballast zu befreien; auf Weitgehende Einigkeit bestand fraktionsübergreifend der anderen Seite muss der Kompetenzvermittlung der über die wesentlichen Inhalte bei der Reform des Fahr- Raum gegeben werden, den eine gute Ausbildung ver- lehrerrechts: von der Neuregelung der Zugangsvoraus- langt . setzungen zum Fahrlehrerberuf, der Modernisierung der Fahrlehreraus- und -weiterbildung, der Verbesserung der Damit der Fahrlehrerberuf attraktiver wird, müssen Kooperationsmöglichkeiten von Fahrschulen, der Fahr- in erster Linie aber vor allem vernünftige Arbeitsbedin- schulüberwachung bis hin zur Entbürokratisierung – in gungen und eine Verbesserung der Angestelltenkultur allen Punkten bringt der Entwurf nach langem Ringen und der Verdienstmöglichkeiten erzielt werden . Hier gibt hinter den Kulissen greifbare Fortschritte . es großen Veränderungsbedarf . Der Fahrlehrermangel Vor allem die Fahrlehreraus- und -weiterbildung ist einerseits darauf zurückzuführen, dass die Politik zu macht einen wichtigen Schritt nach vorne . Neue Inhalte, lange nicht mit geeigneten Maßnahmen gegengesteuert die auf den Erwerb verkehrspädagogischer Kompeten- hat; anderseits sind manche Probleme auch hausgemacht . zen abzielen, halten endlich Einzug in die Fahrschulpra- Wer sich einmal in der Branche umgehört hat, wird fest- xis . Dabei sollen auch schnell neue Entwicklungen, wie stellen, dass Arbeitsverträge ohne Arbeitszeitkonto, ohne beispielsweise die Elektromobilität und automatisiertes Festgehalt und ohne bezahlte Fortbildung nicht selten Fahren, thematisch behandelt werden . Dass auf aktuelle sind . Zudem kommt es immer wieder vor, dass arbeits- Erkenntnisse aus der Lehr- und Lernforschung zurück- rechtliche Bestimmungen nicht eingehalten werden: Fei- gegriffen wird sowie E-Learning und Blended Learning ertage und Urlaub werden nicht bezahlt, oder es gibt kei- berücksichtigt werden, begrüßen wir ausdrücklich . ne Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall . Hier hat aber auch die Politik zu lange weggeschaut . Auch die Anforderungen an Ausbildungsfahrschulen und -lehrer sollen weiterentwickelt werden . Neu aufge- In Zukunft muss es daher auch heißen, bei den Bran- nommen wurde eine Fortbildungspflicht. Der Verbesse- chenmindestlöhnen für Fahrschulen genauer hinzuschau- rung der pädagogischen Qualität dient die Ausbildung in en: Erbringt eine Fahrschule Leistungen im Bereich der den sogenannten Erweiterungsklassen . Aus- und Weiterbildung, gilt nämlich ein Mindestlohn von 12,50 Euro bzw . 13,35 Euro . Das muss in der Praxis Dabei kommt uns allerdings die themenspezifische (B) aber auch tatsächlich eingehalten werden . Dies gilt gera- Weiterbildung in den Klassen C und D zu kurz, denn sie (D) de auch für diejenigen, die bisher arbeitslos waren und ist schlicht nicht verpflichtend. Die Teilnahme an den im Auftrag der Jobcenter oder der Agentur für Arbeit nun Fortbildungsmodulen C und D sollten zudem berufsbe- einer Fahrschulausbildung nachgehen: Auch hier gelten gleitend möglich sein . Hier muss nachgebessert werden . die Branchenstundenlöhne . Auch an anderen Stellen gilt für meine Fraktion: Das Außerdem müssen grundlegende strukturelle Verän- Bessere ist der Feind des Guten . Und deshalb werbe ich derungen vorgenommen werden . Was in anderen Bran- an dieser Stelle für notwendige Veränderungen, über die chen bereits lange möglich ist, gilt bisher nicht so für die wir in den anstehenden Ausschussberatungen noch dis- Fahrschulen . Die Linksfraktion unterstützt, dass künftig kutieren sollten . Kooperationen möglich sein sollen, wie dies in ande- Nicht nachvollziehbar ist für uns, warum die Rege- ren Branchen längst üblich ist . Fahrschulunternehmen lungen zum Betreiben von Zweigstellen und zu den Ko- können sich so besser spezialisieren und den Kunden operationen von Fahrschulen erst ab dem 1 .Juli 2019 dennoch ein Komplettangebot anbieten . Dies ist insbe- gelten sollen . Die wirtschaftliche Situation vieler klei- sondere vor dem Hintergrund begrüßenswert, dass die nerer Fahrschulen ist angespannt . Das ist ablesbar am Ausstattung von Unterrichtsräumen mit moderner Tech- Umsatz je Unternehmen, der beispielsweise bei Fahr- nik sehr teuer ist . In Netzwerkstrukturen ist dies eindeu- schulen in Ostdeutschland gerade um die 100 000 Euro tig besser zu stemmen . im Jahr liegt . Im Fahrschulwesen läuft daher schon seit längerer Zeit ein stetiger Konzentrationsprozess hin zu Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wirtschaftlich tragfähigen und auskömmlichen Betriebs- NEN): Der vorliegende Gesetzentwurf hat eine lange größen . Dieser Prozess sollte durch die Reform eigent- Vorgeschichte . Ich verweise in diesem Zusammenhang lich unterstützt werden . Die Verschiebung macht daher auf die Einsetzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im keinen Sinn, da die Branche lange genug wartet, sich neu Jahr 2011, den Beschluss der Verkehrsministerkonferenz aufstellen und organisieren zu können . Wichtig ist in die- im Frühjahr des darauffolgenden Jahres und die Befas- sem Zusammenhang nach unserer Auffassung, dass die sung des Deutschen Verkehrsgerichtstags mit dem The- Anzahl der Kooperationen limitiert wird . ma als wichtige Meilensteine auf dem Weg zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf . Schließlich stellt sich für meine Fraktion noch die Fra- ge der Überwachungsvorschriften und Kontrollen für die Der Entwurf ist vor allem auch das Ergebnis inten- Fahrschulen und Fahrlehrerausbildungsstätten . Wichtig siver Vorarbeiten durch die Länder . An dieser Stelle ist ist in diesem Zusammenhang, dass die dazu notwendigen besonders das Engagement des Landes Baden-Württem- Regelungen bundesweit einheitlich umgesetzt werden . 21636 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Die vorgesehene „Soll-Bestimmung“ ist daher durch eine Aus meiner Sicht hat der Beruf der Fahrlehrerin und (C) „Muss-Bestimmung“ zu ersetzen . des Fahrlehrers noch eine große Zukunft .

Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mit dem Anlage 11 vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen und zur Änderung anderer Zu Protokoll gegebene Reden straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften biegt die Reform zur Beratung des von der Bundesregierung ein­ des Fahrlehrerrechts auf die Zielgerade ein . Heute liegt gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände­ das Ergebnis von vier Jahren Arbeit auf dem Tisch . rung des Güterkraftverkehrsgesetzes, des Fahr­ Wir haben mit Ländern und Verbänden viel und in- personalgesetzes, des Gesetzes zur Regelung der tensiv diskutiert und um Lösungen gerungen . Nach- Arbeitszeit von selbständigen Kraftfahrern, des wuchsmangel und das hohe Durchschnittsalter der Fahr- Straßenverkehrsgesetzes und des Gesetzes über lehrerschaft erforderten attraktive und zukunftsfähige die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes (Ta­ Zugangsregelungen . gesordnungspunkt 26)

Zukünftige Fahrlehrerinnen und Fahrlehrer müssen Oliver Wittke (CDU/CSU): Mit unserer heutigen „mindestens eine abgeschlossene Berufsausbildung in Debatte leiten wir nicht nur eine Änderung des Güter- einem anerkannten Lehrberuf oder eine gleichwertige kraftverkehrsgesetzes, des Fahrpersonalgesetzes, des Vorbildung“ vorweisen . Auch Quereinsteiger erhalten Gesetzes zur Regelung der Arbeitszeit von selbständigen zukünftig eine Chance, den Beruf des Fahrlehrers zu er- Kraftfahrern, des Straßenverkehrsgesetzes und des Ge- greifen . setzes über die Errichtung eines Kraftfahrt-Bundesamtes Ferner soll der Besitz der Motorrad- und Lkw-Klas- ein, sondern wir schließen heute auch und vor allem an sen als Voraussetzung für den Pkw-Fahrlehrer wegfallen, eine Debatte vor gut zwei Jahren an, in der wir uns zu- was die Ausbildung kostengünstiger macht . Bisher über letzt mit dem Fahrpersonalgesetz befasst haben . den Besitz der Lkw-Fahrerlaubnis abgedeckte Eignungs- Bereits in dieser Debatte am 18 .Dezember 2014 haben überprüfungen werden direkt im Fahrlehrerrecht gere- wir deutlich gemacht, dass wir eine europaweit einheitli- gelt . che Praxis bei der Umsetzung der Lenk- und Ruhezeiten anstreben, wonach regelmäßige wöchentliche Ruhezei- Verbessert wurden auch die Dauer der Ausbildung so- ten nicht in der Fahrerkabine eines Lkws verbracht wer- wie das Zusammenwirken von Ausbildungsstätten und den dürfen . Nach nationalen Alleingängen von Belgien (B) Ausbildungsfahrschulen . Wir erhöhen den Ausbildungs- (D) und Frankreich kommt es vermehrt zu Ausweichverkeh- umfang von derzeit 577,5 Stunden auf dann 750 Stun- ren, die aufgrund einer hohen Zahl mehrtägig an ihrem den: eine Erhöhung um rund 30 Prozent . Wir stärken päd- Lkw campierenden Fahrer zu teils menschenunwürdigen agogische Inhalte und verstärken den Kompetenzerwerb Szenen auf völlig überfüllten Parkplätzen auf der deut- im Bereich der Fahrerassistenzsysteme und des automa- schen Seite geführt haben . tisierten Fahrens . Das ist die Zukunft . Mit Verweis auf Gespräche, die die Bundesregierung Einschließlich Praxis wird die neue Ausbildung dann im Jahr 2015 auf europäischer Ebene geführt hat, künftig mindestens zwölf Monate dauern . Auch für die haben wir zu diesem Zeitpunkt zunächst auf eine eigene Fahrschulen wird es Veränderungen geben: hinsichtlich nationale Regelung verzichtet . Leider haben diese Ge- Rechtsform, Kooperationen und Verantwortlichkeiten . spräche nicht zu dem erhofften Erfolg geführt . Besonders wichtig sind uns auch dringend notwendige Die Koalitionsfraktionen stehen zu ihrem Wort . Nach- Entlastungen bei den Bürokratiekosten durch Vereinfa- dem sich die EU-Mitgliedstaaten nicht auf eine gemein- chung und Digitalisierung der Dokumentation . same Praxis bei der Umsetzung und Anwendung oder Völlig neu wird die Fahrschulüberwachung aufge- einer Klarstellung der Verordnung (EG) Nr . 561/2006 stellt . des Rates zur Harmonisierung bestimmter Sozialvor- schriften im Straßenverkehr einigen konnten, werden wir Zwar hätten wir uns einen höheren Grad an Einheit- einen Änderungsantrag zu diesem Gesetz einbringen, der lichkeit für das gesamte Bundesgebiet gewünscht, aber sich dieser Problematik annimmt . Wir folgen damit dem regionale Besonderheiten wurden auf ausdrücklichen Beispiel Belgiens und Frankreichs und geben auch der Wunsch einiger Bundesländer beibehalten . Wir haben Bundesregierung die nötige rechtliche Grundlage an die viele Details verbessert und wesentliche Beschlüsse der Hand, um gegen Verstöße bei der Verbringung der vor- Verkehrsministerkonferenz zum Eckpunktepapier umge- geschriebenen Lenk- und Ruhezeiten konsequent vorzu- setzt . gehen . Die Anforderungen an die Fahrlehrerinnen und Fahr- Darüber hinaus werden wir das Gesetzespaket zum lehrer sind hoch und werden es auch weiterhin bleiben . Anlass nehmen, das Thema des Sozialdumpings in der Mit der Digitalisierung des Verkehrs kommen neue He- Transport- und Logistikbranche zu thematisieren . Wir rausforderungen hinzu . Insofern wird der Berufsstand stehen zum Europäischen Binnenmarkt und zu mehr weiterhin ein unverzichtbarer Teil unserer Mobilität und Wettbewerb . Doch dieser ist auf faire Arbeits- und Wett- der Verkehrserziehung bleiben . bewerbsbedingungen angewiesen . Wettbewerb, der von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21637

(A) Unternehmen ausgeht, die dauerhaft ihre Leistungen in Regeln, weil sie den straffen Anforderungen ihrer Arbeit- (C) Deutschland anbieten, aber niedrigeren Sozialstandards geber und Auftraggeber gerecht werden müssen . unterliegen, ist nicht fair . Hier gilt es zu prüfen, in wel- Für viele Berufskraftfahrer, oft im Auftrag auslän- chen Bereichen wir die Spielräume auf nationaler und discher Unternehmen auf den Autobahnen unterwegs, den deutschen Einfluss auf europäischer Ebene besser kommt hinzu, dass sie unter unwürdigen Bedingungen ausnutzen können . arbeiten und leben müssen . Bis zu drei Monate leben Teile des vorliegenden Gesetzentwurfes tragen dieser und arbeiten sie außerhalb ihres Heimatlandes im Lkw . Forderung bereits Rechnung . Die Einrichtung eines elek- Sie sind dabei dubiosen Beschäftigungssystemen unter- tronischen Registers, in der auch Daten über Verstöße, worfen . Ihnen wird oft der Zugang zu sozialen Rechten die Unternehmer und Verkehrsleiter im Rahmen ihrer und Arbeitnehmerrechten verwehrt . Sie verbringen da- Gewerbeausübung begangen haben, gesammelt werden, bei all ihre Nächte und Wochenenden in ihrem Lkw auf und die Verlängerung der Aufbewahrungsfrist für Auf- den Rastplätzen, und sie fahren für Dumpinglöhne quer zeichnungen über Lenk- und Ruhezeiten, sofern diese durch Europa . für die Erfüllung der Aufbewahrungspflichten nach dem Für Fahrzeuge und Fahrerinnen und Fahrer, die ihre Mindestlohngesetz benötigt werden, sind ein weiterer Heimatstandorte nur noch gelegentlich sehen, ist deren Schritt in die richtige Richtung . Sie helfen, die Einhal- Einsatz aber keineswegs durch die europäische Dienst- tung nationaler und europäischer Vorschriften auch bei leistungsfreiheit gedeckt . Im Moment jedoch können zu ausländischen Fuhrparks gehörenden Lkw besser kon- sich die Flottenbetreiber den Fiskal- und Sozialstandards trollieren zu können . der jeweiligen Länder entziehen, in denen sie sich über- wiegend betätigen . Diesem Nomadentum auf den Rast- Die Koalitionsfraktionen werden die angesprochenen plätzen Europas müssen wir ein Ende bereiten . Themen in den kommenden Wochen intensiv beraten und entsprechende Anträge in den Verkehrsausschuss Ein Angriffspunkt – nur einer von vielen, aber ein einbringen . wichtiger – ist dabei die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit . Mit Artikel 8 Nummer 8 der EU-Verord- nung 561/2006 ist die Voraussetzung gegeben, um zu Udo Schiefner (SPD): Güterkraftverkehr und Fahr- unterbinden, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhe- personal: Darüber können wir heute nicht sprechen, zeit im Fahrzeug verbracht wird . Die EU-Verordnung ohne über faire Arbeits- und Wettbewerbsbedingungen sagt: In zwei jeweils aufeinanderfolgenden Wochen hat zu sprechen . Auf deutschen Autobahnen sollte beides der Fahrer mindestens zwei regelmäßige wöchentliche selbstverständlich sein . Doch die Realität sieht anders Ruhezeiten oder eine regelmäßige wöchentliche Ruhe- (B) aus – erschreckend anders . Große Teile des deutschen zeit und eine reduzierte Wochenruhezeit von mindestens (D) Transportlogistikgewerbes sind akuten Wettbewerbsver- 24 Stunden einzuhalten . Wichtig sind hier die zu unter- zerrungen ausgesetzt . Ehrliche Logistik- und Transport- scheidenden Begriffe „regelmäßige“ und „reduzierte“ unternehmen, die ihre Mitarbeiter fair bezahlen und sozi- wöchentliche Ruhezeit . Weiter heißt es nämlich, dass ale Standards einhalten, verlieren zunehmend Aufträge . nicht am Standort eingelegte tägliche Ruhezeiten und re- Ihre Existenz ist bedroht . Die Spediteure und vor allem duzierte wöchentliche Ruhezeiten im Fahrzeug verbracht ihre Fahrerinnen und Fahrer, die Menschen am Steuer werden können . Regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten der Lkw, fahren am Limit . Sie leiden darunter, dass auf im Fahrzeug werden in dieser Ausnahme explizit nicht deutschen Autobahnen zu viele schwarze Schafe zu un- benannt . Dem EU-Recht folgend können und müssen wir scharfe Regeln ausnutzen können . das Verbringen der regelmäßigen wöchentlichen Ruhe- zeit im Fahrzeug verbieten und ahnden . Gleichzeitig erwarten wir als Kunden, Verbraucher, Internetbesteller von denen, die tagtäglich unsere Waren Mit unserem Koalitionspartner sind wir uns bezüglich transportieren, dass sie schnell, effizient und zuverlässig dieses Ziels einig . Wir werden unser parlamentarisches und vor allem preiswert liefern . Unser Wohlergehen ist Recht nutzen und die von der Bundesregierung einge- untrennbar mit der Misere derer verknüpft, die uns ver- brachten Gesetzesänderungen durch einen eigenen Än- sorgen . Das gilt auf vielen Ebenen, wenn man sich die derungsantrag ergänzen . So sorgen wir für Klarheit im weltwirtschaftlichen Zusammenhänge anschaut . Aber Fahrpersonalgesetz . nur selten ist es so offensichtlich und liegt sprichwörtlich Deutsche Kontrollbeamte werden bald, wie ihre Kol- vor unserer Haustür wie beim Güterkraftverkehr . leginnen und Kollegen in unseren westlichen Nachbar- staaten, dem Verbot des Verbringens der regelmäßigen Transport und Logistik bilden das Rückgrat unserer wöchentlichen Ruhezeit im Lkw Geltung verschaffen Wirtschaft und unseres täglichen Lebens . Unser Wirt- können . schaftsstandort Deutschland hängt in hohem Maße von leistungsfähiger Logistik ab . Die Fahrerinnen und Fah- Vor mehr als zwei Jahren hätten wir eine entsprechen- rer der Lastkraftwagen sind wesentliche Stützpfeiler des de Regelung treffen sollen . Bereits damals gab es dazu wirtschaftlichen Erfolges in Deutschland . Anerkennung Forderungen aus dem Bundesrat . Die Bundesregierung und Wertschätzung erhalten sie dafür kaum . Im Gegen- hatte im Dezember 2014 aber noch den Wunsch geäu- teil, die Arbeit der Berufskraftfahrer hat unberechtigt ein ßert, sich dem Thema zunächst im Sinne einer europäi- schlechtes Ansehen . Vor allem sind sie oft die ersten und schen Lösung zu nähern . Die dazu im Verkehrsausschuss einzigen, die zur Rechenschaft gezogen werden, wenn gemachte Zusage des Ministeriums, das Thema im Ja- sie gegen Regeln verstoßen . Doch sie verstoßen gegen nuar 2015 mit den europäischen Partnern anzugehen, 21638 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) hatte ich begrüßt . Ebenso freute ich mich über die klar Jeder wird sich vorstellen können, dass Lkw-Fah- (C) formulierte Aussage zum weiteren Vorgehen: „Sollte ab- rerinnen- und Fahrer einen harten Job haben . Ich habe sehbar nicht bis Juli 2015 eine Lösung erkennbar wer- mich selbst einmal davon überzeugt und bin einen Tag den, werden wir den Weg der nationalen Gesetzgebung als Beifahrer im Brummi quer durch Deutschland gefah- beschreiten“ . ren . Durch engen Kontakt zu Beschäftigten und Gewerk- schaften weiß ich auch, dass sich die Arbeitsbedingun- In der grundsätzlichen Beurteilung des Nomadentums gen in der Lkw-Branche gravierend verschlechtert haben auf den europäischen Rastplätzen gab es über Fraktions- und der Abwärtstrend anhält . Immer mehr Druck, immer grenzen hinweg zu keinem Zeitpunkt Dissens . Ich hatte schlechtere Bezahlung und Arbeitszeiten prägen das Le- damals erwartet, dass uns 2015 ein Regelungsvorschlag ben von zigtausend europäischen Berufskraftfahrerinnen vorliegt . Dieser blieb aus . und Berufskraftfahrern sowie deren Familien . So ist nicht überraschend, dass ich mich sehr darauf Aber um die Brisanz der Situation zu verdeutlichen: freue, unter dieses unselige Kapitel am Ende der jetzi- Artikel 31 der Grundrechtecharta der EU besagt, dass gen Beratungen im März endlich einen Strich ziehen zu jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer das Recht können . Doch es wird kein Schlussstrich sein . Es ist eine auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen Sache, endlich klarzustellen, dass das Verbot des Ver- hat . Das europäische Straßentransportgewerbe hat sich bringens der Wochenruhezeit mit einem Bußgeld bestraft inzwischen zu einer Branche entwickelt, in der Men- werden kann . Eine andere, schwierige Sache wird es schenwürde nicht viel zählt, von Sicherheit und Gesund- sein, das Verbot auch durchzusetzen . heitsschutz ganz zu schweigen . So hart muss man das sagen, und nicht umsonst spricht die europäische Trans- Ich erwarte, dass das Ministerium und die Kontroll- portgewerkschaft ETF von moderner Sklaverei . behörden, also vor allem das BAG und die Polizeien, zügig die notwendigen Handlungsanweisungen und Die ETF hat Hunderte Fahrerinnen und Fahrer zu ih- Kontrollvorgaben erstellen . Insbesondere müssen die ren Arbeitsbedingungen befragt, und die Ergebnisse sind Beamten vor Ort das Handwerkszeug mitbekommen, wirklich erschütternd . Zwei Drittel der Befragten sind um die Fahrt- und Ruhezeiten effektiv kontrollieren zu durchgängig zwischen drei und zwölf Wochen von ihrem können . Dazu gehört es auch, über die zahlreichen und Zuhause entfernt . 80 Prozent gaben an, unter Erschöp- nicht selten genutzten Betrugsmöglichkeiten sehr gut in- fung zu leiden und dies aus Angst vor dem Verlust des formiert zu sein . Arbeitsplatzes nicht zu melden . Ein Viertel der Befrag- ten hat weniger als drei warme Mahlzeiten in der Woche, Uns hier im Bundestag und in den Parteien bleibt das und 95 Prozent gaben an, alle Ruhezeiten im Fahrzeug Thema Lohn- und Sozialdumping auf den Autobahnen zu verbringen . (B) jedoch in jedem Fall erhalten . Es gibt zahlreiche weitere (D) Hausaufgaben, die wir und die Bundesregierung in ih- Ich will es nicht ertragen, dass Menschen – vornehm- ren Ministerien längst hätten erledigen müssen . Wir wer- lich aus Osteuropa oder Anrainerstaaten der EU – bis zu den einen Entschließungsantrag einbringen, der einige drei Monaten am Stück ihr Leben in der Fahrerkabine der wichtigsten Aspekte aufgreift . Für die betroffenen fristen müssen, bei schlechter Ernährung und zudem oft- Unternehmerinnen und Unternehmer und Fahrerinnen mals ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen – und das und Fahrer hätte ich mir gewünscht, dass dies in dieser vor unser aller Augen . Legislaturperiode nicht mehr nötig gewesen wäre . Nun, Es ist klar, dass man im Rahmen dieses Gesetzge- im Januar 2017, kann ich ernüchtert feststellen, dass uns bungsverfahrens diese Zustände nicht vollends aufheben die prekäre Situation der Transport- und Logistikbranche können wird . Diese Zustände basieren auf einem gren- auch in der 19 . Legislaturperiode beschäftigen wird . züberschreitenden System aus Briefkastenfirmen, Toch- tergesellschaften und Arbeitsvermittlungsagenturen mit Herbert Behrens (DIE LINKE): Dieser Gesetzent- Sitzen in jeweils anderen Ländern, welches vor allem wurf hat im Wesentlichen den Charakter eines Rechtsbe- seit der EU-Osterweiterung floriert und als organisierte reinigungsgesetzes . Mit anderen Worten: es werden fast Ausbeutung bezeichnet werden muss . ausschließlich redaktionelle Anpassungen vorgenom- Aber den schlimmsten Auswüchsen können wir men, einiges wird an EU-Recht angepasst und der Rest Einhalt gebieten, indem wir ein für alle Mal verbieten, geht über Änderungen bei Aufbewahrungsfristen nicht dass die wöchentlichen Ruhezeiten in der Fahrerkabi- hinaus . So weit, so unspannend . ne verbracht werden dürfen, und dies dann konsequent durchsetzen . Damit würde nämlich das weit verbreitete Die Relevanz erhält der heute debattierte Entwurf erzwungene Nomadentum der Fahrerinnen und Fahrer durch das, was nicht enthalten ist, aber ohne Probleme erheblich eingeschränkt werden . Die Beschäftigten brau- hätte aufgenommen werden können – ich meine, sogar chen einen grundlegenden Wandel der Arbeitsverhältnis- hätte aufgenommen werden müssen . Gemeint ist hier se in der Branche, und dieser erste Schritt kann sofort eine simple Vorschrift, die in anderen Ländern der Eu- gemacht werden . ropäischen Union längst erlassen wurde, nämlich das Gebot, dass Lkw-Fahrerinnen und Lkw-Fahrer ihre wö- Ich finde es ziemlich bigott, wenn die Bundesregie- chentliche Ruhezeit nicht im Fahrzeug verbringen dürfen . rung in Brüssel für eine europäische Lösung bei den wö- Das wäre ein kleiner Schritt für den Gesetzgeber, aber ein chentlichen Ruhezeiten eintritt, sich aber stets weigert, sehr großer für zigtausend europäische Berufskraftfahre- per Bundesgesetz mit gutem Beispiel voranzugehen bzw . rinnen und Berufskraftfahrer sowie deren Familien . Frankreich und Belgien zu folgen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21639

(A) Wenn es um die Interessen von Unternehmen geht, Übrigens: Dies sind nicht nur aus sozialen Gründen (C) kommt die Bundesregierung der EU gerne zuvor, um unhaltbare Zustände . Auch verkehrspolitisch gerät da- schon einmal ein paar Pflöcke einzuschlagen. Bestes Bei- durch einiges aus dem Lot . Durch Sozialdumping im spiel ist die Drohnenverordnung, die das Verkehrsminis- Straßengüterverkehr wird auch der Wettbewerb zwischen terium schnell noch durchpeitschen will, obwohl Brüssel den Verkehrsträgern verzerrt und der Lkw-Verkehr auf bald einen europäischen Rechtsrahmen setzen wird . Nie- Kosten der Allgemeinheit bzw . auf dem Rücken der Be- mand wird also behaupten können, dass man hier nicht schäftigten verbilligt . handeln kann . Weiterhin geraten auch deutsche Speditionsunterneh- Ich hoffe daher sehr, dass die Bundesregierung nach men durch Dumpingpreise unter Druck und verlieren im der bereits angekündigten Prüfung noch die Kurve kriegt Wettbewerb . und eine harte Regelung zu den Ruhezeiten nachlegt . Natürlich wäre eine einheitliche Lösung in der Euro- Dann könnte die Linke dem Gesetzentwurf sogar zustim- päischen Union, wie vonseiten der Branchenverbände men . gefordert, der Königsweg . Aber zu einer realistischen Einschätzung der Lage gehört eben auch die Erkenntnis, Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- dass es diese europaweite Lösung allenfalls langfristig NEN): Interessant an dem Gesetzentwurf zum Fahrper- geben wird, da die Fronten in dieser Frage besonders ver- sonalgesetz ist nicht das, was drinsteht, sondern vielmehr härtet sind . Deshalb bleibt uns als Zwischenlösung nur das, was nicht enthalten ist: Es fehlt eine Bestimmung die „Krücke“ einer nationalen Lösung, so wie es Frank- zum Vorgehen gegen das Verbringen der regelmäßigen reich und Belgien schon vorgemacht haben . Wir müssen wöchentlichen Ruhezeit in der Fahrerkabine . Wie zu also zweigleisig fahren: In Brüssel für eine EU-Lösung erfahren war, hat man im Bundesverkehrsministerium streiten und solange die nicht greifbar ist, eine Regelung entsprechende Regelungen aus früheren Arbeitsentwür- im nationalen Recht erlassen . fen nach Intervention von Branchenverbänden einfach Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Fahr- gestrichen . Das ist völlig inakzeptabel – wir dürfen eine personalgesetz deutlich gemacht, wie eine solche natio- Lösung des Problems und die Bekämpfung von Sozial­ nale Regelung aussehen könnte . Die Voraussetzungen für dumping im Straßengüterverkehr nicht weiter vertagen . vernünftige Bedingungen zum Verbringen der Wochen- Ich erinnere in diesem Zusammenhang noch einmal ruhezeit muss demnach der Unternehmer schaffen . Au- daran, dass es im Verkehrsausschuss eine breite Zustim- ßerdem ist eine Bußgeldbewährung für Verstöße vorge- mung dafür gibt, Sozialdumping im Transport- und Spe- sehen . Dazu gehört nach meiner Überzeugung auch eine ditionsgewerbe zu bekämpfen . Personalaufstockung beim Bundesamt für Güterverkehr, (B) damit wir überhaupt in die Lage kommen, entsprechende (D) Der Petitionsausschuss hat im November 2015 vier Regelungen auch wirksam zu kontrollieren . Petitionen mit der Forderung nach einer bußgeldbewehr- Wir haben wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass ten Verbotsregelung einstimmig mit dem zweithöchsten die Bundesregierung sich immerhin der Zielsetzung der Votum „zur Erwägung“ an das Bundesverkehrsministeri- Bundesratsstellungnahme nicht völlig verschließt und ei- um und das Europäische Parlament überwiesen . nen Regelungsbedarf anerkennt . Umso unverständlicher Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich erscheint die Tatsache, dass die Bundesregierung nicht in noch einmal die unhaltbaren Zustände auf den Rastanla- der Lage war, eine entsprechende gesetzliche Regelung gen und Lkw-Stellplätzen entlang des Autobahnnetzes in von Beginn an in den Entwurf des Fahrpersonalgesetzes Erinnerung rufen . aufzunehmen . In Artikel 31 der Charta der Grundrechte der Europä- Insofern sind wir auf das weitere parlamentarische ischen Union heißt es: „Jede Arbeitnehmerin und jeder Verfahren gespannt . Eine wirksame Bekämpfung von Arbeitnehmer hat das Recht auf gesunde, sichere und Sozialdumping im Straßengüterverkehr wird meine würdige Arbeitsbedingungen “. Das ist der Maßstab, den Fraktion jedenfalls nach Kräften unterstützen . wir auch an die Arbeitsbedingungen im europäischen Transport- und Speditionsgewerbe anlegen müssen . Und Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- der Weg, der zurückzulegen ist, um dies zu erreichen, ist minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Der Ih- noch weit . Die Europäische Transportarbeiter-Föderati- nen vorliegende Änderungsentwurf dient dazu, in diesen on – eine gesamteuropäische Gewerkschaftsorganisati- Gesetzen an mehreren Stellen redaktionelle Anpassun- on – kam bereits in einer Studie von 2013 zu dem Ergeb- gen und Klarstellungen vorzunehmen . nis, dass über 90 Prozent der Fernfahrer ihr Wochenende Im Güterkraftverkehrsgesetz geht es uns um die nati- regelmäßig im Fahrzeug verbringen . Viele Lkw-Fahrer onale Erlaubnis, mit der der Unternehmer die Zulassung führen praktisch ein Leben auf der Straße: Die Fahrer- zur Ausübung des Berufs erhält . Bisher wird sie nach kabine ist Arbeitsplatz, Schlafzimmer, Wohnzimmer und Ablauf der bis zu zehnjährigen Geltungsdauer zeitlich Küche in einem . Vom Arbeitgeber gibt es keine Mittel unbefristet erteilt, sofern der Unternehmer die Berufszu- für Übernachtungen in festen Unterkünften . Insbesonde- gangsvoraussetzungen nach wie vor erfüllt . re für Fahrer aus Osteuropa sieht für Wochen oder oft sogar Monate so der Lebensalltag aus . Die Europäische Diese Regelung passen wir nun an geltendes europäi- Transportarbeiter-Föderation nennt dies zutreffend „mo- sches Recht an, da die nach EU-Recht zum selben Zweck derne Sklaverei“, die abgeschafft gehöre . zu erteilende sogenannte EU-Lizenz im Verlängerungs- 21640 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) fall nur für erneut zehn Jahre erteilt wird . Die Möglich- Mit den Anträgen der Fraktionen, den Gesetzentwurf (C) keit der unbefristeten Verlängerung für die nationale Er- an die Ausschüsse zu überweisen, ist die Bundesregie- laubnis wird daher gestrichen . rung selbstverständlich einverstanden .

Im Fahrpersonalgesetz schaffen wir die Möglichkeit, Aufzeichnungen über Lenk- und Ruhezeiten über die bisher geltende Dauer hinaus aufzubewahren . Damit Anlage 12 erreichen wir, dass erweiterte Aufbewahrungspflichten Zu Protokoll gegebene Reden eingeführt werden, die zum Beispiel für die Erfüllung der Aufbewahrungsfristen nach dem Mindestlohngesetz zur Beratung des von der Bundesregierung einge­ benötigt werden . Das war keine von uns geschätzte Maß- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie­ nahme, da wir die Unternehmen eigentlich von Bürokra- rung der epidemiologischen Überwachung über­ tie entlasten wollen . tragbarer Krankheiten (Tagesordnungspunkt 27)

Die übrigen Änderungen dienen ebenfalls der Umset- Rudolf Henke (CDU/CSU): Mit dem von der Bun- zung europarechtlicher Vorgaben . Dies gilt insbesondere desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Moder- für die Schaffung einer Ermächtigungsgrundlage für die nisierung der epidemiologischen Überwachung über- Speicherung von Verstößen des Unternehmers und des tragbarer Krankheiten beraten wir über die nächsten Verkehrsleiters und diverse redaktionelle Änderungen notwendigen Schritte hin zu einem besser koordinierten aufgrund veränderten EU-Rechts . und strukturierten Schutz vor Infektionskrankheiten . Hauptziel des Gesetzes soll die Etablierung eines elek- Der Bundesrat hat aufgrund entsprechender Vorschlä- tronischen Melde- und Informationssystems sein, mit ge aus seinen Ausschüssen die Aufnahme eines neuen dem spätestens ab dem Jahr 2021 der Infektionsschutz § 3a in das Fahrpersonalgesetz vorgeschlagen . Haupt- in unserem Land volldigitalisiert und datenschutzrechts- ziel dieses Vorschlags ist die Aufnahme eines Verbotes, konform umgesetzt werden soll . die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit, deren Dauer 45 Stunden beträgt, im Fahrzeug zu verbringen . Es ist gut und richtig, dass wir die mit der epidemio- logischen Überwachung von Infektionskrankheiten ver- Dementsprechend soll der Unternehmer verpflichtet bundenen Gesetze an die wissenschaftliche Entwicklung werden, die Arbeit des Fahrers so zu organisieren, dass und auch an die Erfahrungen der Beteiligten auf Bundes-, er die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit am Wohnort, Länder-, und Kommunalebene anpassen und damit dem am Unternehmenssitz oder in einer festen Unterkunft eigentlichen Anliegen einer bestmöglichen Eindämmung (B) mit geeigneten Sanitäreinrichtungen und ausreichenden von Infektionskrankheiten durch eine schnelle Lokalisie- (D) Versorgungsmöglichkeiten verbringen kann . Ziel des rung und bestmögliche Isolierung des Gefahrenherdes Vorschlages ist die Beendigung des Nomadentums ins- Stück für Stück näher kommen . besondere mittel- und osteuropäischer Fahrer vor allem übrigens auf deutschen Parkplätzen . Hinzu kommt, dass sich Deutschland auf internationa- ler Ebene seiner Verantwortung stellt und wir uns aktiv Im Ziel stimmt die Bundesregierung mit dem Bundes- an einer erfolgreichen Umsetzung der Strategie der Welt- rat überein . Wir haben kein Interesse daran, dass Fahrer gesundheitsorganisation zur vollständigen Ausrottung wochen-, manchmal monatelang im Fahrzeug leben und von Polioviren beteiligen . Dafür bedarf es an der einen sich einen vollständigen Haushalt im Fahrzeug einrich- oder anderen Stelle zusätzlicher Rechtsgrundlagen und ten müssen . Präzisierungen, damit wir unseren eigenen Verpflichtun- gen nachkommen können . Deutschland ist ein wichtiges Transitland im Herzen Europas . Wir wollen eine Regelung, die die Interessen Ein weiterer Aspekt mit internationaler Note ist die der Fahrerinnen und Fahrer mit den Interessen der Lo- Anpassung des Infektionsschutzgesetzes an globale He- gistikunternehmen in Ausgleich bringt . Mein Dank an rausforderungen, wie wir sie bei der verheerenden Ebo- dieser Stelle gilt den Berichterstattern im Verkehrsaus- laepidemie in Westafrika im Jahr 2015 erleben mussten, schuss, die sich in dieser Angelegenheit mit vollem Ein- sowie die Umsetzung von Vorschriften, die uns die Euro- satz einbringen . päische Union auferlegt . All das ist in seiner Zielsetzung sinnvoll und wird von Beim Güterkraftverkehrsgesetz schließlich geht es um allen Betroffenen grundsätzlich begrüßt . Es ist auch po- eine weitere Befreiung nach § 2 Absatz 1 Nr .7 GüKG sitiv hervorzuheben, dass zwischen Referentenentwurf für sogenannte Lohnunternehmer . Sie sollen unter be- und Kabinettsentwurf augenscheinlich ein konstruktiver stimmten Bedingungen von den Verpflichtungen dieses Dialog stattgefunden hat, der zu überwiegend klugen Än- Gesetzes gänzlich ausgenommen werden, obwohl sie in derungen geführt hat . vielen Situationen in Konkurrenz zum gewerblichen Gü- terkraftverkehr treten . Anpassungen, Umstellungen und die Etablierung völ- lig neuer Systeme, sei es zur Bewältigung der gleichen Hier wartet die Bundesregierung natürlich den weite- Aufgaben, sind nicht selten mit einem zumindest kurz- ren Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen ab . Ich fristigen Mehraufwand verbunden . Ich glaube, das kennt sage Ihnen aber selbstverständlich auch hier eine sorgfäl- jeder von uns; damit wurde jeder in seinem beruflichen tige Prüfung Ihrer Vorschläge zu . Alltag schon einmal konfrontiert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21641

(A) Aufgabenerweiterungen hingegen sind nur begrenzt cheren, kompatiblen elektronischen Erfassungssystems (C) mit dem gleichen Arbeitsaufwand zu erledigen . Zieht für alle Beteiligten . man nun in Betracht, dass die Gesundheitsämter vor Ort – sprich: in den Kommunen und mittlerweile immer Alles in allem bin ich zuversichtlich, dass mit dem öfter auch in den Ländern – personell und strukturell vorliegenden Gesetzentwurf eine gute Basis geschaffen schlichtweg nicht angemessen ausgestattet sind, komme wurde und wir am Ende des parlamentarischen Verfah- ich schnell zu dem Schluss, dass wir auch im Kontext rens ein Gesetz verabschieden werden, das unsere Bür- dieses Gesetzes über die Personalausstattung unserer Ge- gerinnen und Bürger besser vor Infektionen schützt und sundheitsdienste sprechen müssen . dabei auch die Personen nicht aus den Augen verliert, die tagtäglich durch ihren Einsatz genau dafür Sorge tra- Die Ressourcenausstattung ist eine immer wiederkeh- gen – das sollte uns Gesundheit wert sein . rende und scheinbar nicht zufriedenstellend lösbare Aus- einandersetzung, die immer wieder dann aufkeimt, wenn Sabine Dittmar (SPD): Wir sprechen heute über wir Gesetze beschließen, die den Gesundheitsdienst mit einen Gesetzentwurf, der mit dem Titel „Gesetz zur immer neuen und komplexeren Aufgaben betrauen . Ich Modernisierung der epidemiologischen Überwachung weiß nicht, wie oft ich schon im Plenum oder im Aus- übertragbarer Krankheiten“ nicht sehr verständlich und schuss diese in meinen Augen unhaltbaren Umstände be- eher sperrig daherkommt . Der Gesetzentwurf ist aber ob mängelt und an das Pflichtgefühl der Länder appelliert seines Zieles, die epidemiologische Überwachung von habe . übertragbaren Krankheiten zu modernisieren und zu ver- Beinahe Jahr für Jahr werden auf der Gesundheitsmi- bessern, notwendig und zu begrüßen . nisterkonferenz Beschlüsse gefasst, die den Öffentlichen Bei Epidemien und übertragbaren Krankheiten denkt Gesundheitsdienst betreffen, so auch im vergangenen man gemeinhin wohl eher an so verheerende Ereignisse Jahr . Man kann nicht bestreiten, dass die Gesundheits- wie den Ebolaausbruch in Westafrika . Der Blick auf den minister die Arbeit des Gesundheitsdienstes schätzen . So aktuellen Krankenstand bei grippalen Infekten und den heißt es im gefassten Beschluss: heftigen Noroinfektionen oder die im vergangenen Jahr „Die GMK betont die unverzichtbare Rolle des ÖGD in Teilen Deutschlands grassierende Masernwelle zeigen im Gesundheitswesen, die sich vom Gesundheitsschutz uns allerdings, dass wir selbst in unserem so gut funk- der Bevölkerung, der Gesundheitsförderung und Ge- tionierenden Gesundheitssystem vor dem Ausbruch von sundheitsvorsorge bis zur Mitgestaltung und Mitwirkung ansteckenden Krankheiten bei weitem nicht gefeit sind . bei der Gesundheitsversorgung erstreckt .“ Belege dafür, dass wir unsere Meldewege und die (B) Und weiter heißt es: „Die Herausforderungen für die Überwachung von ansteckenden Krankheiten verbessern (D) Gesunderhaltung der Bevölkerung und damit für die sollten, gab und gibt es viele . Erinnern wir uns an das Aufgabenwahrnehmung durch den ÖGD werden ange- Jahr 2011: Die Ehecepidemie mit über 4 000 Erkran- sichts von Globalisierung, demografischem Wandel und kungsfällen, davon über 700 Patienten mit dem lebens- nicht zuletzt durch die Flüchtlingsbewegungen komple- bedrohenden hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), xer . Deshalb sieht die GMK die Notwendigkeit, die Per- und 50 Todesfällen . Das hat uns damals eindrücklich vor spektiven für den ÖGD neu zu bestimmen und auf allen Augen geführt, dass die Meldekette und der Informati- politischen Ebenen die Grundlagen für die Gewinnung onsaustausch zwischen den Bundesländern ausbaufähig qualifizierter, motivierter Fachkräfte zu verbessern.“ sind . Der heute in erster Lesung eingebrachte Gesetzent- wurf nimmt sich dieser Problematik an . Die Landesgesundheitsminister gehen im weiteren Wortlaut auch auf die mangelnden Ressourcen ein, mit Mit der Weiterentwicklung des DEMIS, dem Deut- denen sich der ÖGD konfrontiert sieht . Das begrüße ich schen Elektronischen Meldesystem für Infektionsschutz, ausdrücklich, stelle mir, ehrlich gesagt, aber die Frage, wollen wir die notwendigen Rechtsgrundlagen schaffen wann sich bei den Gesundheitsdiensten vor Ort an den für ein schnelles und effektives elektronisches Melde- weiterhin schlechten Bedingungen etwas ändern wird, und Informationssystem für übertragbare Krankheiten . wenn er als unverzichtbar eingestuft wird und auch aner- Der schnelle Datentransfer ist zweifelsohne essenziell, kannt wird, dass sich seine Aufgabenwahrnehmung im- um Infektionsrisiken und Hinweise auf Epidemien früh- mer komplexer gestaltet . zeitig zu erkennen, die notwendigen Schutzmaßnahmen ergreifen zu können und Krankheitsausbrüche einzudäm- Im vorliegenden Gesetzentwurf berechnet die Bun- men . desregierung etwa für das Robert-Koch-Institut einen zusätzlichen Personalbedarf im Umfang von mindestens Von einigen Fachverbänden wird allerdings die Frage fünf Stellen . Das ist sinnvoll; das ist gut . Doch werden aufgeworfen, ob die vorgesehenen Änderungen dem Ziel wir im parlamentarischen Verfahren darüber zu reden ha- gerecht werden, die Effizienz bei der Prävention und der ben, warum die Bundesregierung davon ausgeht, dass für Bekämpfung von übertragbaren Erkrankungen zu stei- andere Betroffene kein Erfüllungsaufwand entsteht . Da gern, und ob sie den Aufwand bei der Datenaufbereitung erwarte ich eine ergebnisoffene Auseinandersetzung . tatsächlich reduzieren . Wir werden sicherlich an der einen oder anderen Stel- Natürlich wird sich vieles davon erst in der Praxis le noch über Anpassungsbedarf reden müssen; ich denke unter Beweis stellen und oft auch erst dann, wenn eine etwa an die Vollständigkeit der Aufzählung meldepflich- Krisensituation wie beispielsweise der bereits erwähnte tiger Krankheitserreger oder die Sicherstellung eines si- Ehecausbruch mit unbekanntem und nur schwer zu ermit- 21642 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) telndem Infektionsursprung auftritt . Es ist aber wichtig, fungen ernst zu nehmen . Lassen Sie Ihren Impfstatus (C) dass jetzt gesetzlich klargestellt und geregelt wird, wer überprüfen, auffrischen und ergänzen . Schützen Sie sich in welchen Einrichtungen bei welchen Infektionskrank- selbst und andere durch einen kleinen Piks! heiten zur Meldung verpflichtet ist und welche Melde- fristen, Meldeinhalte und Meldewege einzuhalten sind . Der heute eingebrachte Gesetzentwurf beinhaltet vie- le wichtige Punkte, die zu einem besseren Gesundheits- Dass es durch die geringfügige Ausweitung von zu schutz beitragen werden . Wir werden in der nächsten meldenden Infektionskrankheiten und die höhere Anzahl Sitzungswoche die Gelegenheit haben, die derzeit noch von Meldenden eine größere Datendichte geben wird, die offenen Detailfragen in einer öffentlichen Anhörung es dann zu bearbeiten gilt, ist unbestritten . Inwieweit die des Gesundheitsausschusses zu vertiefen und zu klären . Tatsache, dass die Informationsweitergabe künftig auf Schon jetzt ist aber klar, dass der Gesetzentwurf die Mel- dem elektronischen Weg geschehen soll, zu einer Effizi- dekette und die Information über Übertragungswege von enzsteigerung und Vereinfachung führen wird, bleibt je- ansteckenden Krankheiten verbessern wird . Er ist not- doch abzuwarten . Schließlich sollen am Ende tatsächlich wendig und deshalb zu begrüßen . alle Ärzte, Einrichtungsleiter, Krankenhäuser, stationäre Einrichtungen der Pflege, Einrichtungen für ambulantes Birgit Wöllert (DIE LINKE): Unter dem sperrigen Operieren, Labore und Gesundheitsbehörden auf allen Titel „Modernisierung der epidemiologischen Überwa- Ebenen eingebunden sein, damit wir in der Endstufe ein chung übertragbarer Krankheiten“ diskutieren wir heu- lückenloses Informationsnetz mit rund 400 000 Nutzern te, wie die Verhinderung der Verbreitung übertragbarer erhalten . Krankheiten in Deutschland weiter verbessert und ihre Entscheidend ist auf jeden Fall, dass die beteiligten Bekämpfung an neue Entwicklungen angepasst werden Stellen und insbesondere der Öffentliche Gesundheits- kann . Mit dem Gesetzentwurf sollen Änderungen an ei- dienst (ÖGD) personell und organisatorisch in der Lage nigen bestehenden Gesetzen, darunter – um nur einige zu sind, auf die größeren Datenströme reagieren zu können . nennen – das Infektionsschutzgesetz (IfSG), die Trink- Auch wenn der Öffentliche Gesundheitsdienst Länder- wasserverordnung, das Gesetz zur Durchführung der sache ist, möchte ich dennoch den dort immer wieder Internationalen Gesundheitsvorschriften und das Auslän- beklagten Personalmangel nochmals aufgreifen . Die derzentralregistergesetz, vorgenommen werden . Gesundheitsministerkonferenz hat sich im vergangenen Die Bekämpfung ansteckender Krankheiten ist für Jahr in der 89 .Sitzung intensiv damit beschäftigt und den meine Fraktion Die Linke ein wesentliches gesundheits- Beschluss „Perspektiven zur Stärkung des ÖGD“ gefasst . politisches Ziel . Neben gesundheitsfördernden und prä- Dem Beschluss müssen nun Taten folgen, damit die Prä- ventiven Maßnahmen stellen auch die Konkretisierungen vention und Bekämpfung von ansteckenden Krankheiten (B) und Erweiterungen der Meldepflicht sowie insbesondere (D) effizienter gelingen kann. die Einführung eines elektronischen Melde- und Infor- Zudem müssen wir bei den sensiblen Daten, die künf- mationssystems für übertragbare Krankheiten (DEMIS) tig in ein elektronisches Melde- und Informationssystem ein Instrument zur rascheren Bekämpfung und Verhütung einfließen und online übermittelt werden sollen, der Fra- von Infektionskrankheiten dar . Durch den verbesserten ge der Datensicherheit große Aufmerksamkeit schenken . Informationsaustausch infolge einer elektronischen Ver- Das Ganze wird durch den Erlass einer Rechtsverord- arbeitung der Informationen wird der Aufwand der Da- nung geregelt . Hier werden das Bundesamt für Sicherheit tenaufbereitung für die Veröffentlichung in Form von in der Informationstechnik und die Bundesbeauftragte Berichten und online zugänglichen öffentlichen interak- für den Datenschutz sicherlich den entsprechenden Input tiven Datenabfragen reduziert . Automatisierte Abfragen liefern . und Auswertungen werden so ermöglicht . Ein weiterer wichtiger Punkt des vorliegenden Ge- Seit 1997 nimmt Deutschland an der 1988 ins Leben setzentwurfes ist die Umsetzung der Laborcontain- gerufenen globalen Initiative zur Ausrottung der Kin- ment-Vorgaben der Globalen Polioeradikationsinitiative . derlähmung teil, der sogenannten Globalen Polioeradi- Stufenweise sollen Poliowildviren, Polioimpfviren und kationsinitiative (GPEI) . Damit die Bundesrepublik sich Materialien, die Polioviren enthalten könnten, erfasst, weiter an ihr beteiligen kann, sind einige gesetzliche An- zentralisiert und schließlich vernichtet werden . passungen nötig . Auch diese werden von uns unterstützt . Polio ist ein gutes Beispiel dafür, was mit nationalen § 23 des Infektionsschutzgesetzes regelt die Maß- und internationalen Vorgaben und Bemühungen erreicht nahmen zur Sicherstellung der Verhütung zur Weiter- werden kann, um Krankheiten einzudämmen und auszu- verbreitung von Krankheitserregern . Hier wurden die in rotten . Ich wünsche mir sehr, dass wir das in naher Zu- Absatz 4 benannten Leiter von Krankenhäusern und Ein- kunft auch über Masern und Röteln sagen können . Hier richtungen für ambulantes Operieren um die Leiter von sind wir noch weit vom Ziel entfernt . Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen ergänzt . Viel zu viele Kinder verfügen über keinen altersge- Auch das ist richtig, geht es doch um die Vermeidung rechten Impfschutz, und die Impflücken bei Jugendlichen von Keimen, die im Zusammenhang mit medizinischen und jungen Erwachsenen sind eklatant . Ich hoffe sehr, Behandlungen erworben werden können, und um den dass uns der Aktionsplan 2015–2020 zur Elimination Nachweis, welche Antibiotika in welcher Dosis einge- von Masern und Röteln ein großes Stück weiterbringt . setzt wurden . Das ist deshalb wichtig, weil immer mehr Deshalb nutze ich die heutige Debatte auch, um dazu Menschen im Laufe ihres Lebens gegen immer mehr An- aufzurufen, die von der STIKO empfohlenen Schutzimp- tibiotika resistent werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21643

(A) Lassen Sie mich einige Ausführungen zu § 36 und sei- allem auch die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) (C) nen recht umfangreichen Ergänzungen und Änderungen mit den Lehren aus den Vorfällen beschäftigt . Dabei war am IfSG machen . ein wesentlicher Punkt, dass es eines schnellen Informa- tionsflusses im Ausbruchsfall bedarf, um übertragbaren Die Klarstellung bei der Aufzählung der Einrichtun- Infektionskrankheiten rasch zu begegnen . Deshalb wur- gen, die in Hygieneplänen innerbetriebliche Verfahrens- de zu Recht gefordert, dass zukünftig die Übermittlung weisen zur Infektionshygiene festlegen müssen und der von Falldaten beschleunigt und auch die Verzahnung der infektionshygienischen Überwachung durch das Gesund- Arbeit von Bund und Ländern verbessert werden muss . heitsamt unterliegen, ist sinnvoll, ebenso die Ergänzung Auch wenn der Bund zur Bekämpfung von übertragba- der Liste der Einrichtungen um ambulante Pflegedienste ren Krankheiten das Infektionsschutzgesetz erlassen hat, und Unternehmen, die Altenheimen oder Pflegeheimen fällt die Aufgabe der Seuchenbekämpfung vor Ort in die vergleichbar sind . Zuständigkeiten der Länder und Kommunen . Zu diskutieren dagegen ist die Sinnhaftigkeit der Än- Der nun vorliegende Gesetzentwurf „zur Modernisie- derung im Ausländerzentralregistergesetz . Wenn eine rung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Gesundheitsuntersuchung von Ausländerinnen und Aus- Krankheiten“ ist nun der Versuch, die Prävention und ländern keine medizinischen Bedenken gegen eine ge- Bekämpfung übertragbarer Krankheiten effizienter zu meinschaftliche Unterbringung der betreffenden Person gestalten . Die Übermittlung von Falldaten soll aufgrund erbracht hat, soll dies künftig zentral im Ausländerzen- einer einheitlichen elektronischen Basis beschleunigt tralregister gespeichert werden . und somit das Meldesystem verbessert, die Meldepflich- Problematisch ist aus unserer Sicht die Änderung, die ten ausgeweitet und zusätzliche Bestimmungen in Ge- mit der Einschränkung von Grundrechten einhergeht . In meinschaftsunterkünften ergänzt werden . Allerdings ent- Absatz 6 des § 36 IfSG wird auf die Einschränkung des hält der Gesetzentwurf zahlreiche Erneuerungen, deren Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit in Artikel 2 Tragweite und konkrete Ausführung noch viele Fragen Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes verwiesen . Hier geht offenlässt . es um Menschen, die in gemeinschaftlichen Einrichtun- Erstens, ÖDG: Die Bedeutung ist im Gesetzentwurf gen von Asylbewerbern, vollziehbar Ausreisepflichtigen, nicht ausreichend abgedeckt . Das Infektionsschutzgesetz Flüchtlingen und Spätaussiedlern untergebracht sind . (IfSG) zur Gefahrenabwehr von Infektionskrankheiten Sie sind verpflichtet, unter bestimmten Bedingun- ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, weshalb die gen eine ärztliche Untersuchung auf Ausschluss einer Kosten nicht allein den Kommunen auferlegt werden ansteckenden Lungentuberkulose einschließlich einer dürfen . Die Bedeutung der kommunalen Strukturen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) wird im Ge- (B) Röntgenaufnahme der Atmungsorgane zu dulden . Auch (D) Personen, die in eine Justizvollzugsanstalt aufgenommen setzentwurf der Bundesregierung nicht ausreichend be- werden, sind verpflichtet, eine ärztliche Untersuchung rücksichtigt . So blauäugig wie die Bundesregierung ist, auf übertragbare Krankheiten einschließlich einer Rönt- berücksichtigt sie nicht, dass die Einführung des DEMIS genaufnahme der Lunge zu dulden . Mehrarbeit für den Öffentlichen Gesundheitsdienst dar- stellt, und versäumt es dadurch, die Mehraufgaben finan- Bei der Einschränkung von Grundrechten muss immer ziell abzubilden . Das Robert-Koch-Institut (RKI) etwa gefragt werden: Gibt es Alternativen – in diesem Falle di- erfährt mit der Novelle eine Stärkung; die Basis bleibt agnostische Alternativen –, die sicherstellen, dass ande- weiterhin geschwächt . Deshalb fordern wir Nachbesse- ren Menschen in Gemeinschaftsunterkünften kein Scha- rungen gerade hinsichtlich der personellen Notwendig- den durch die Ansteckung mit einer Infektionskrankheit keiten, die sich nicht nur am RKI, sondern auch beim entsteht, wenn solche Untersuchungen unterbleiben? Da- kommunal getragenen Teil des ÖGDs ergeben . rüber wird im Gesetzgebungsverfahren und in der Anhö- Zweitens, DEMIS: Mehr- oder Minderaufwand? Die rung zu reden sein . Einführung des DEMIS begrüßen wir . Viele Meldun- Worüber sich meine Fraktion allerdings schon heute gen erfolgen nach wie vor per Fax an das zuständige klar ist: Wir stimmen keinem Gesetz zu, das in diesem Gesundheitsamt . Dieser Weg ist sehr fehleranfällig und sensiblen Bereich der Landesgesetzgebung die Mög- zudem aufwendig, da erst im Gesundheitsamt eine ma- lichkeit einräumt, solche Pflichtuntersuchungen weiter nuelle Eingabe der per Fax übermittelten Daten erfolgt . auszudehnen . Hier sind bundeseinheitliche Regelungen Die Bundesregierung geht deshalb davon aus, dass es nach unserer Überzeugung dringend notwendig . durch die Einführung von DEMIS zu einer Entlastung der Gesundheitsämter kommen wird . Im Gegensatz dazu sprechen der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Kordula Schulz-Asche des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, die kommunalen NEN): Der Ehecausbruch ist heute noch vielen Menschen Spitzenverbände sowie die Bundesärztekammer davon, im Gedächtnis . Der Ausbruch mit fast 4 000 Erkrankun- dass durch die Einführung des DEMIS wesentlich höhere gen und 53 Verstorbenen infolge der schweren Infektion Meldezahlen generiert werden und dadurch ein erhöhter hat die Gesundheitsbehörden von Bund und Ländern und Recherchebedarf und Ermittlungsaufwand aufseiten der das medizinische Versorgungssystem vor außerordentli- Gesundheitsämter entstehen wird . che Herausforderungen gestellt . Der regionalübergreifen- de Ausbruch hat uns vergegenwärtigt, dass auch seltene, Die Bundesregierung täte gut daran, die Arbeit der Ge- aggressive Krankheitserreger nicht vor Landesgrenzen sundheitsämter nicht nur auf die bloße Datensammlung haltmachen . Im Nachgang der Ehec-Krise hat sich vor zu reduzieren; denn sie sind auch für die Auswertung und 21644 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) letztendlich für die Eindämmung der Infektionskrankhei- die Datensicherheit und den Datenschutz wird das Sys- (C) ten zuständig . Auch die Antworten auf die wesentlichen tem höchste Standards gewährleisten . Fragen der Datenqualität und die Herausforderungen an die Qualifikationen von Mitarbeiterinnen und Mitarbei- Ziel ist es, das System so auszugestalten, dass es mit- tern im Bereich des Datenhandlings und -monitorings telfristig auch als mögliche Anwendung der Telematik- werden im vorliegenden Gesetzentwurf nicht abgebildet . infrastruktur des Gesundheitswesens infrage kommt . Das RKI soll ein entsprechendes System errichten . Da- Drittens, Änderungen bei Gemeinschaftseinrichtun- für wird gegenwärtig ein Zeitraum von etwa fünf Jahren gen und Gemeinschaftsunterkünften mit Maß? Dass veranschlagt . Ein gemeinsamer Planungsrat soll sicher- Röteln in die Liste der Erkrankungen aufgenommen stellen, dass Bund und Länder sich hier eng miteinander werden, die zu einem Tätigkeits- bzw . Betretungsverbot abstimmen . führen, ist aus epidemiologischer Sicht begrüßenswert . Mit dem Gesetzentwurf werden darüber hinaus eine Die erst bei der letzten IfSG-Novelle (im Rahmen des Reihe von weiteren Verbesserungen im Infektionsschutz Präventionsgesetzes) eingeführte Änderung, die die Vor- vorgenommen . Beispielhaft nenne ich folgende Punkte: lage einer Impfberatung bei Aufnahme in die Einrichtung Damit das Gesundheitsamt bei einer Häufung von fordert, wird mit diesem Gesetzentwurf verschärft . Krankenhausinfektionen ein umfassenderes Lagebild er- Die Kindergartenleitung soll nun verpflichtet wer- hält, werden die Angaben, die bei einer entsprechenden den, das Gesundheitsamt, sofern der Nachweis über eine Meldung zu machen sind, erweitert . Impfberatung nicht vorgelegt wird, zu benachrichtigen . Damit das Gesundheitsamt frühzeitiger vom Auftre- Sowohl aus datenschutzrechtlichen Gründen als auch aus ten von Skabies in Gemeinschaftsunterkünften wie zum Präventionssicht ist diese Anpassung abzulehnen . Beispiel stationären Pflegeinrichtungen erfährt und ein- Die Richtung des Gesetzes ist begrüßenswert . Doch schreiten kann, wird eine entsprechende Benachrichti- insgesamt werden in dem Entwurf zahlreiche Änderun- gungspflicht geregelt. gen vorgesehen, deren Tragweite und konkrete Ausfüh- Das RKI nimmt im Bereich des internationalen Ge- rung noch viele Fragen offen lassen . Dies gilt nicht nur sundheitsschutzes in zunehmendem Maße Verantwortung für DEMIS, sondern zum Beispiel auch für die Unter- auch durch Einsätze im Ausland wahr . Dieses Engage- richtungspflichten und andere Neuerungen. ment wird nun gesetzlich verankert . Damit wird – nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen aus dem Ebolaausbruch Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin in Westafrika im Jahr 2014 – der gestiegenen Bedeutung beim Bundesminister für Gesundheit: Mit dem Infek- von globalem Gesundheitsschutz Rechnung getragen . (B) tionsschutzgesetz wurden im Jahr 2001 bereits gute (D) Grundlagen für die epidemiologische Überwachung Der Gesetzentwurf betrifft auch die Beteiligung übertragbarer Krankheiten in Deutschland geschaffen . Deutschlands an der weltweiten Strategie der WHO zur Der vorliegende Gesetzentwurf soll den Infektionsschutz Ausrottung der Kinderlähmung . und den damit befassten Öffentlichen Gesundheitsdienst Um die großen Erfolge der weltweiten Impfprogram- nun in das digitale Zeitalter befördern . me dauerhaft abzusichern, sieht der Gesetzentwurf ent- Die Möglichkeiten moderner Informationstechnologie sprechend der Polioeradikationsstrategie Maßnahmen sollen verstärkt genutzt werden, um die Effizienz des In- zur Erhöhung der Laborsicherheit und zur schrittweisen fektionsschutzes zu steigern . Dazu soll ein einheitliches Vernichtung aller Poliovirenbestände vor . Der Gesetz- elektronisches Melde- und Informationssystem geschaf- entwurf bringt damit viele große und kleine Schritte zur fen werden, mit dem Meldedaten automatisiert verarbei- Verbesserung des Infektionsschutzes – für Deutschland tet werden können . und darüber hinaus . Das System soll bereits bei den meldepflichtigen La- boren, Ärztinnen und Ärzten und Krankenhäusern anset- zen . Es soll diese automatisiert auf das Bestehen einer Anlage 13 Meldepflicht aufmerksam machen und sie beim Erstellen Zu Protokoll gegebene Reden der Meldung unterstützen . Die Software des elektroni- schen Meldesystems soll dazu in die bereits eingesetzten zur Beratung des von der Bundesregierung einge­ Praxissoftwaresysteme integriert werden können . brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Wirt­ schaftspartnerschaftsabkommen vom 15. Oktober Durch das elektronische System können die Gesund- 2008 zwischen den CARIFORUM-Staaten einer­ heitsämter und das Robert-Koch-Institut Daten über das seits und der Europäischen Gemeinschaft und ih­ Auftreten von übertragbaren Krankheiten schneller, voll- ren Mitgliedstaaten andererseits (Zusatztagesord­ ständiger und in besserer Qualität erhalten . Die Gesund- nungspunkt 4) heitsämter werden von bürokratischem Aufwand entlas- tet . Daten aus eingegangenen Meldungen müssen nicht mehr von Hand in den Computer übertragen werden . Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Wirtschaft, Han- del und Beschäftigung sind zentral für die erfolgreiche Zahlreiche weitere Datenverarbeitungsschritte sollen Entwicklung eines Landes . Für die Staaten des CARI- automatisiert erfolgen können, etwa die Erkennung von FORUM ist die EU der zweitwichtigste Handelspartner Krankheitshäufungen oder von Doppelmeldungen . Für weltweit . Damit eröffnet das Wirtschaftspartnerschafts- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21645

(A) abkommen vom 15 .Oktober 2008 zwischen den CA- kleineren Handelspartnern mit keinen oder nur gerin- (C) RIFORUM-Staaten einerseits und der Europäischen gen Rohstoffvorräten kann durch Veränderungen in der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits Produktionsstruktur eine andere und nachhaltige Wert- verbesserte wirtschaftliche Möglichkeiten . schöpfungskette aufgebaut werden . Wissenstransfer als Wirtschaftsgut wird dabei in Zukunft eine größere Rol- Durch das Wirtschaftspartnerschaftsabkommen wer- le einnehmen und bietet Expansionsmöglichkeiten, die den Handelshemmnisse schrittweise und WTO-konform nichts mit der geografischen Lage oder sonstigen harten abgebaut und die Handels- und Entwicklungszusammen- Produktionsfaktoren zu tun haben . arbeit gestärkt . Das Abkommen trat zwar bereits 2008 in Kraft, allerdings nur vorläufig. Jetzt wird es durch Bei der Anwendung und Umsetzung der Abkommen Deutschland ratifiziert. Dies ist ein wichtiger Schritt im wird aber auch umso mehr der Auftrag aus der Agen- Bestreben, weiter den wirtschaftlichen Aufschwung der da 2030 in den Vordergrund rücken, und wir werden die Partnerstaaten zu verbessern . Ich begrüße es dabei sehr, globale Verantwortung intensiver beachten und überneh- dass die EU den CARIFORUM-Staaten nahezu vollstän- men müssen . digen Marktzugang einräumt, während die Handelslibe- ralisierung aufseiten der CARIFORUM-Staaten weniger Welche gesellschaftspolitischen Auswirkungen und weitreichend ausfällt und stufenweise erfolgt . Diskussionen von Handelsabkommen und Verhandlun- gen um diese ausgehen können, erlebten wir in diesen Weiter sind die vereinbarten Schutzklauseln ein wich- Tagen bei CETA und TTIP, wobei es weniger auf die tiges Instrument, um den CARIFORUM-Staaten die Dimension als vielmehr auf die Philosophie und gesell- Möglichkeit zu geben, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, schaftliche Akzeptanz ankommen wird . wenn durch EU-Importe eine Schädigung der heimi- schen Wirtschaft droht . Zudem muss man betonen, dass Das CARIFORUM-Abkommen ist deshalb heute das EPA mit einem regionalen Staatenblock geschlossen wesentlich mehr als eine unbedeutende Fußnote in den wurde . Hiermit sollen die regionale Integration vorange- Geschichtsbüchern, nämlich ein neues Kapitel in einer trieben werden und damit auch nachhaltige und arbeits- fairen Globalisierung . teilige Wertschöpfungsprozesse etabliert werden . Lassen Sie mich ein Beispiel dafür nennen, wie das Dr. Sascha Raabe (SPD): Manchmal mahlen die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen im Zusammenspiel europäischen und nationalen Mühlen wirklich lang- mit europäischer Entwicklungshilfe zur nachhaltigen sam . Man muss sich das einmal vor Augen führen: Das, Entwicklung der Region beitragen kann: das Regulie- worüber wir hier und heute im Deutschen Bundestag rungsprojekt des Caribbean Regional Fisheries Mecha- abschließend beraten, das Wirtschaftspartnerschafts- (B) nism (CRFM) zur Verbesserung der Sicherheit von Fisch abkommen der EU mit den karibischen Staaten – kurz (D) und Fischereierzeugnissen für Verbraucher in nationalen CARIFORUM –, ist bereits seit 2008 vorläufig in Kraft. und Exportmärkten mit dem Inter-American Institute for Neun Jahre später haben wir als deutsche Abgeordnete Cooperation on Agriculture . Hierbei handelt es sich um im Rahmen des Ratifikationsprozesses nun die Chance ein Projekt, das vom 10th European Development Fund – mitzuentscheiden . Dass wir, wenn auch spät, diese Chan- Sanitary and Phyto-Sanitary Measures – der EU geför- ce zur Beteiligung bei einem Handelsabkommen der dert wurde . EU überhaupt haben, ist keineswegs selbstverständlich . Lange habe ich mit Unterstützung unseres Bundestags- Im Rahmen des Projekts wurden sechs neue Hand- präsidenten erfolgreich dafür gekämpft, dass der Deut- bücher für die Inspektion von Fischereifahrzeugen, Ver- sche Bundestag bei allen jetzt noch ausstehenden Wirt- arbeitungsbetrieben und Aquakulturanlagen erarbeitet schaftspartnerschaftsabkommen (Economic Partnership sowie zwei Handbücher zur Prüfung der Fischereier- Agreement – EPA) mit den afrikanischen, karibischen zeugnisse . Die Handbücher sind in den Sprachen Spa- und pazifischen Staaten zu beteiligen ist. Nein, ich denke, nisch, Französisch und Niederländisch verfügbar . Damit wir sollten sehr selbstbewusst auf unseren Beteiligungs- werden internationale Normen für die Sicherheit von Fi- rechten bei all diesen Abkommen bestehen . Insofern ist schereierzeugnissen erreicht, die das volle Ausschöpfen das heute ein guter Tag für den Parlamentarismus . des wirtschaftlichen Nutzens für die Fischereisektoren in den CARIFORUM-Staaten, insbesondere im Export, in Und wir nehmen unsere Kontrollfunktion ernst . Das der Zukunft ermöglichen . haben wir beim vorliegenden CARIFORUM-Abkom- men bewiesen, und das werden wir ebenso bei den an- Dieses Zusammenspiel von Entwicklungsprogram- stehenden Abkommen mit den afrikanischen Regionen men, die die Länder fit für den Weltmarkt machen, und beweisen . Ich hatte bereits anlässlich der ersten Lesung Wirtschaftspartnerschaften, die den Ländern den Zugang im vergangenen September angekündigt, dass wir uns zum europäischen Markt ermöglichen, sind für mich im Ausschuss noch einmal intensiv mit dem Abkommen die Zukunft . Durch diese Herangehensweise wird die befassen würden . Welche Auswirkungen hat es? Hat es von den SDGs geforderte Zusammenarbeit auf Augen- sein Ziel, eine entwicklungsfördernde und armutsredu- höhe gefördert und der nachhaltige wirtschaftliche Auf- zierende Wirkung in den karibischen Partnerländern zu schwung ermöglicht . entfalten, erfüllt? Das CARIFORUM-Abkommen bietet Entscheidend wird aber auch sein, die Handelsab- sich ja nun wirklich an, sich mit seinen Auswirkungen kommen nicht nur stereotyp fortzuführen, sondern auch auseinanderzusetzen, weil es, wie beschrieben, schon ei- auf die Veränderungen aus Globalisierung und Digita- nige Zeit in Kraft ist . Wir haben ein Fachgespräch mit lisierung anzupassen und fortzuschreiben . Gerade bei Experten zu dieser Frage durchgeführt . Das Ergebnis: 21646 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Bei diesem EPA sind bislang kaum nennenswerte wirt- die möglichen negativen Auswirkungen der Wirtschafts- (C) schaftliche oder soziale Folgen festzustellen, weder po- partnerschaftsabkommen, die eben nicht immer den von sitiv noch negativ . der EU-Kommission so gepriesenen Geist der Partner- schaft verströmen, wesentlich durchschlagender, als dies Ist CARIFORUM also kalter Kaffee? Ich denke, nicht, für die CARIFORUM-Staaten der Fall ist . Viele Kritiker und ich glaube, wir sollten diesem Abkommen eine dieser Abkommen befürchten wohl zu Recht erhebli- Chance geben . Wir würden unsere Partner in der Kari- che negative Konsequenzen für die wirtschaftliche Ent- bik vor den Kopf stoßen, würden wir jetzt das Abkom- wicklung der Partnerländer: Lokale Märkte werden für men noch stoppen . Allein die Tatsache, dass ein solches bestimmte Produkte durch Dumpingimporte aus der EU Partnerschaftsabkommen vereinbart wurde, wird in den zerstört, Wertschöpfung in den Ländern selber wird be- Ländern der karibischen Region durchaus positiv gese- hindert . Das alles ist kein Horrorszenario irgendwelcher hen . Diese Signalfunktion für den Willen zur Zusammen- verblendeten Globalisierungskritiker, sondern könnte bei arbeit darf man nicht unterschätzen . An mich jedenfalls Umsetzung der Abkommen sehr schnell Realität werden . ist bisher aus den Partnerländern der karibischen Regi- on noch keine Bitte herangetragen worden, dem Vertrag Ich finde es vor diesem Hintergrund sehr bedauerlich, nicht zuzustimmen – weder von staatlicher Seite noch dass – wenn ich richtig informiert bin – die EU-Handels- etwa von Gewerkschaftsseite . Ich kann und will zwar an kommissarin Cecilia Malmström erst in dieser Woche dieser Stelle nicht verhehlen, dass ich an einigen Stellen die afrikanische Forderung nach Neuverhandlungen bei Bedenken habe und vieles an dem Abkommen kritisch einer Veranstaltung Brüssel kategorisch ausgeschlossen sehe. Dennoch habe ich mich nach reifliche Überlegung hat . Diese sture Haltung, dieses „Friss oder stirb“, hilft letztlich entschlossen, als zuständiger Berichterstatter niemandem weiter, und ich glaube nicht, dass Europa meiner Fraktion die Zustimmung zu empfehlen . sich diese Arroganz leisten sollte . Ausschlaggebend hierfür ist, dass ich das Nach- Genau genommen ist die Forderung, die Abkommen haltigkeitskapitel des CARIFORUM-Abkommens für neu zu verhandeln, nämlich sogar völlig richtig . Das vergleichsweise fortschrittlich halte . Dort sind die öko- Rahmenabkommen, auf dem die EPAs gründen, also das logischen, menschenrechtlichen und sozialen Mindest- Cotonou-Abkommen aus dem Jahr 2000, läuft 2020 aus . standards in einer Art und Weise verankert, wie man Es laufen bereits die Überlegungen, wie ein Post-Coto- es sich auch bei anderen Abkommen wünschen würde . nou-Vertrag aussehen könnte . Schon im zweiten Halb- Und anders als in alle bisherigen Handelsabkommen der jahr 2017 soll das Verhandlungsmandat der Kommissi- EU sind sie mit Sanktionsmechanismen ausgestattet, die on vorliegen, im kommenden Jahr die Verhandlungen ich für gerade noch ausreichend erachte . Ich habe mich aufgenommen werden . Welchen Sinn macht es da, jetzt hierzu in den letzten Wochen intensiv mit der EU-Kom- (B) noch EPAs auf der Grundlage des alten Rahmenabkom- (D) mission beraten, weil es in dieser Frage doch einige Un- mens zu verabschieden? Die EPAs mit den afrikanischen klarheiten gab . Mir ist es wichtig, dass wir hier keinen Regionen sind veraltet, bevor sie in Kraft treten können . zahnlosen Tiger vereinbaren, sondern dass schwere Ver- Ein konsequenter Schlussstrich jetzt und dann ein Neu- stöße etwa gegen ILO-Kernarbeitsnormen auch wirksam start auf einer neuen Grundlage mit Verhandlungen, die geahndet werden können . Das ist bei genauer Betrach- wirklich auf Augenhöhe geführt werden müssen, wären tung bei CARIFORUM der Fall . Mehr Klarheit im Ver- sicher besser . trag wäre sicher wünschenswert, aber letztlich zählt die faktisch bestehende Möglichkeit zur Sanktion . Für CA- Dann hätten wir auch die Chance, echte Nachhaltig- RIFORUM kann ich daher den Weg mitgehen . keitskapitel durchzusetzen, die diesen Namen auch ver- dienen und mehr sind als ein moralisches Feigenblatt . Wir Ich möchte an dieser Stelle aber auch ganz deutlich sa- brauchen verbindlich verankerte ökologische, menschen- gen: Die Zustimmung zu CARIFORUM ist kein Präjudiz rechtliche und soziale Mindeststandards mit wirksamen für die Abkommen mit den afrikanischen Regionen . Die Überprüfungs- und Sanktionsmechanismen . Gute Arbeit Abkommen mit der Westafrikanischen Wirtschaftsge- statt Ausbeutung und Kinderarbeit . Davon sind die af- meinschaft (ECOWAS), der Ostafrikanischen Gemein- rikanischen Abkommen derzeit noch weit entfernt . Das schaft (EAC) sowie der Südafrikanischen Entwicklungs- aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollte unser Ziel gemeinschaft (SADC), die allesamt noch dem Bundestag sein: gute Abkommen, mit denen wir den Menschen in vorgelegt werden müssen, sind wesentlich kritischer zu Afrika eine Perspektive bieten können . Denn wer verhin- sehen und meiner Auffassung nach nicht zustimmungs- dern will, dass sich immer mehr Menschen auf der Flucht fähig . Und sie werden – und das ist ein wesentlicher Un- vor Armut auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer terschied zu CARIFORUM – auch in den Partnerländern nach Europa aufmachen, der muss die Globalisierung kritischer bewertet . Mehrere afrikanische Länder haben gerecht gestalten . Fairhandel statt Freihandel – eine noch nicht unterzeichnet, und die Stimmen nach Neuver- gerechte Welthandelsordnung und fair gestaltete Han- handlungen werden immer lauter . delsverträge sind ein zentraler Baustein, um die (Über-) Wir sollten diese Stimmen hören und ernst nehmen . Lebensperspektiven von Menschen in Entwicklungslän- Die Märkte in den afrikanischen Ländern sind in der dern zu verbessern . Nur dort, wo es eine wirtschaftliche Regel sehr viel anfälliger als die der Partnerstaaten in Perspektive und gute Jobs mit anständigen Löhnen gibt, der karibischen Region . Die mit den Wirtschaftspartner- lassen sich Fluchtursachen eindämmen . Mit fairen Wirt- schaftsabkommen angestrebte Marktöffnung braucht hier schaftspartnerschaftsabkommen könnten wir einen wich- noch sehr viel mehr ein hohes Maß an Zurückhaltung und tigen Schritt dahin machen . Bis dahin aber liegt auch für Schutzmöglichkeiten . In den afrikanischen Ländern sind uns hier Bundestag noch viel Arbeit vor uns . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017 21647

(A) Heike Hänsel (DIE LINKE): Fast neun Jahre sind nun zwischen Norden und Süden . Zu Zeiten des Lomé-Ab- (C) seit der Unterzeichnung des CARIFORUM-Abkommens kommens war sich die EU scheinbar noch dieses koloni- ins Land gezogen; heute will es die Bundesregierung ra- alen Vermächtnisses bewusst: Die ehemaligen Kolonien tifizieren. Wir werden wieder, wie bei allen EPAs, dage- hatten zollfreien Zugang zum EU-Markt, um ihre Pro- gen stimmen, weil wir glauben, dass sie die Entwicklung dukte hier verkaufen zu können . Afrikas und der Karibik behindern, statt sie zu fördern . Mit den EPAs hat sich das Blatt gewendet . Nun sind es In all den Jahren, die dieses EPA nun schon vorläufig die CARIFORUM-Staaten, die nach und nach ihre Zoll- angewendet wird – an den Parlamenten vorbei übrigens, schranken für die Billigimporte aus Europa öffnen müs- nicht gerade demokratisch – gibt es selbst laut der re- sen . Sogar der Dienstleistungs- und Investitionssektor gierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik „bes- muss liberalisiert werden . Klar ist: Lokale Produzenten tenfalls anekdotische Evidenz“ für Handelsvorteile für werden das Nachsehen haben, eigenständige Entwick- die Karibik . Das heißt auf gut Deutsch: Die CARIFO- lungen gehemmt . Wie soll ein CARIFORUM-Land in- RUM-Staaten haben bisher gar nichts von dem Abkom- nerhalb einer Schonfrist von nur zehn Jahren eine eigen- men . ständige, wettbewerbsfähige Industrie aufbauen? Was ist aus den Exportchancen geworden, die die EU Wie lange hat im Vergleich die Industrialisierung in den Inselstaaten versprochen hatte? Im Gegenteil: Das Europa gedauert? Ermöglicht hat die ja auch erst die ko- Handelsdefizit der Karibik mit der EU war 2015 drei- loniale Expansion der Großmächte . Die EU und alle, die mal so groß wie noch zehn Jahre zuvor . So funktioniert diesem Abkommen zustimmen, haben die Verheerungen Freihandel zwischen ungleichen Wirtschaftsräumen: Mit des Kolonialismus und die entsprechende historische den hochspezialisierten und -technisierten EU-Konzer- Verantwortung offenbar vergessen . Unverständlich bleibt nen können die Exporteure der Karibik nicht konkurrie- mir, warum sich die Grünen, die uns in vielen dieser ren . So werden Rohstoffe, Bananen und Zucker expor- Punkte sicher zustimmen, heute nur enthalten . tiert und europäische Autos und Maschinen importiert . Natürlich gab es in der Karibik Protest gegen die Dabei steht das Größte noch bevor: Die CARIFO- EPAs . Der jamaikanische Wirtschaftsprofessor Norman RUM-Staaten müssen nämlich ihre Handelsschranken Girvan sagte, das CARIFORUM-EPA habe das Projekt erst schrittweise abbauen . Momentan sind wir bei 61 Pro- der karibischen Staaten, einen eigenen Wirtschaftsraum zent der Schutzzölle; in 15 Jahren sollen es 90 Prozent (CARICOM) aufzubauen, „praktisch getötet“ . Statt regi- sein . Wir können uns nur ausmalen, wie die Handelsbi- onaler Integration und mehr Handel zwischen den Inseln lanz dann aussieht und was das für Auswirkungen auf die bringen die EPAs die Ausrichtung auf den Handel mit Wirtschaft in der Karibik haben wird . EPAs stärken eben der EU . Laut Professor Girvan wird das Abkommen zu (B) nicht die regionale Wertschöpfung, sondern verhindern völligen Fehlentwicklungen führen: Europäische Firmen (D) sie . bekommen Zugang zu Rohstoffen, primären Nahrungs- mitteln und unterbezahlten Arbeitskräften . Nachhaltige Trotz alledem will uns die Bundesregierung ja weis- Entwicklung sieht anders aus, da werden Sie mir alle zu- machen, die EPAs seien gar keine Freihandels-, sondern stimmen . „Entwicklungsabkommen“ . Auf allen Werbeveranstal- tungen haben Regierungsvertreter deshalb die Entwick- Auf einen letzten Aspekt möchte ich noch hinweisen, lungs-, Umwelt- und Sozialstandards gepriesen . Das ist nämlich die Länder der Karibik, die die EPAs nicht unter- zynisch: Ein bisschen Entwicklungshilfe („Aid for Tra- schrieben oder ratifiziert haben. Da ist zum einen Haiti. de“) soll die Schäden, die der Freihandel der Wirtschaft Haiti gehört als einziges Land Lateinamerikas zur Grup- zufügt, ausbügeln . Die gelobten Sozialstandards in Ka- pe der Least Developed Countries, der am wenigsten ent- pitel 4 und 5 gelten außerdem nicht für diejenigen, die wickelten Staaten, und konnte deswegen nicht mit dem am meisten von dem Abkommen profitieren: die europä- Verlust der EU-Handelsprivilegien unter Druck gesetzt ischen Großkonzerne . werden . In Haiti ist klar, dass das EPA nur Nachteile brin- gen würde; daher hat es auch nicht ratifiziert. Kein Arbeitnehmer in der Karibik, dessen Menschen- und Arbeitsrechte von den EU-Multis verletzt werden, Und dann wäre da als einziges karibisches Land, das kann dagegen vor einem europäischen Gericht klagen . gar nicht im CARIFORUM ist, Kuba . In Kuba legt man Das ginge nur über ein verbindliches Menschenrechts- keinen Wert auf Freihandelsabkommen, die nur den Star- abkommen, den derzeit geplanten UN-Treaty . Aber den ken nützen . Wenn ausländische Firmen Zugang zum ku- blockiert die Bundesregierung auf UN-Ebene . Machen banischen Markt bekommen wollen, müssen sie bewei- wir uns bei all den edlen Worten über die EPAs als „Ent- sen, dass ihre Geschäfte dem Land und der Bevölkerung wicklungsabkommen“ nichts vor; der EU geht es um die wirklich nützen . Zum Beispiel indem sie eine Fabrik auf Profitmaximierung ihrer Großkonzerne und nicht darum, Kuba bauen, gut bezahlte Arbeitsplätze schaffen und die Lebensbedingungen der Menschen in Afrika und der Steuern zahlen . Von denen können dann kostenlose Bil- Karibik zu verbessern . dung und Gesundheit für alle finanziert werden. Solche Entwicklungsmodelle halten wir für weit sinnvoller als Was wir dabei nicht vergessen dürfen: Die Staaten die neoliberale Freihandelsdoktrin . Afrikas und der Karibik haben alle eine koloniale Ver- gangenheit; sie alle wurden jahrhundertelang von den Die EPAs werden die soziale Schere auf der Welt nicht europäischen Großmächten, ihren Konzernen und Han- schließen, sondern weiter öffnen . Die EPAs sind TTIP delsdynastien ausgebeutet . Die Folgen sind noch heute und CETA für den Süden; deshalb lehnen wir sie kom- spürbar, in der extremen wirtschaftlichen Ungleichheit plett ab . 21648 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 215 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 26 . Januar 2017

(A) Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir Im Vergleich zu den afrikanischen EPAs enthält das (C) stehen hier heute vor der Entscheidung, über ein Abkom- Abkommen auch keine Rendezvous-Klauseln, die die men abzustimmen, welches bereits seit acht Jahren vor- Länder verpflichten würden, in Zukunft über höchst um- läufig angewendet wird. Deshalb können wir an dieser strittene Investitionsschutzbestimmungen zu verhandeln . Stelle auch sagen, dass das Abkommen zwischen den Damit ist schon viel gewonnen und den Sonderrechten Karibikstaaten und der Europäischen Union nicht Wort für private Investoren ein Riegel vorgeschoben . gehalten hat . Das Entwicklungsversprechen wurde nicht Noch laufen die Übergangsfristen; am Ende werden eingelöst . Eine nachhaltige Entwicklung wurde durch die Karibikstaaten ihren Markt aber zu fast 90 Prozent li- das Partnerschaftsabkommen nicht befördert . Vielmehr beralisiert haben . Statt diese Staaten zu so weitgehenden enthält es Bestimmungen, die eine entwicklungsfreundli- Marktöffnungen zu zwingen, müsste die EU vielmehr ihr che Industriepolitik konterkarieren könnten . Allgemeines Präferenzsystem wieder so ausweiten, dass Mit dem Verbot von Exportsteuern wird einem schäd- ärmere Länder wie etwa Jamaika oder Dominica erneut lichen Extraktivismus Vorschub geleistet, statt Wert- in den Genuss von unilateralen Handelspräferenzen kä- schöpfung vor Ort zu fördern . Auch ist es naiv zu glau- men, ohne die dringend benötigten eigenen Politikspiel- ben, dass die Klauseln zum Schutz junger Industrien nur räume aufgeben zu müssen . ansatzweise ausreichend wären . Der Aufbau junger In- Fairer Handel sieht anders aus, insbesondere für die dustrien bedarf weit mehr als acht Jahre . Deutschland hat afrikanischen Staaten . Minister Müller hätte es in der jahrzehntelang seinen Markt geschützt und nur so eine Hand, für einen echten Politikwechsel einzutreten . Der robuste Wirtschaft aufbauen können . Minister schreibt aber lieber öffentlichkeitswirksame Nun dürfen die karibischen Inselstaaten mit dem voll- Hochglanzbroschüren, anstatt sich mit den tatsächlichen ständigen Inkrafttreten des Abkommens, innerhalb der Herausforderungen zu befassen . ersten zehn Jahre gerade einmal acht Jahre lang ausge- Wir werden auch deshalb die Wirtschaftspartner- wählte Industrien schützen . Das schafft keinerlei Spiel- schaftsabkommen mit den afrikanischen Staaten ent- raum für eine gute Industriepolitik . Das ist alles andere schieden ablehnen, gleichwohl uns bei dieser Gesetz- als nachhaltig, geschweige denn entwicklungsfreundlich . vorlage zum Abkommen mit den Karibikstaaten aber Trotz all dieser Kritikpunkte gibt es aber auch positive enthalten . Ansätze . Hier unterscheidet sich das CARIFORUM-EPA Die Karibikstaaten selbst haben dem Vertrag nicht auch deutlichen von den afrikanischen EPAs . Die Be- nur zugestimmt, sondern sie wollen ihn auch . Sie wur- stimmungen zu Nachhaltigkeit und Menschenrechten den nicht wie die afrikanischen Länder unter Druck sind im Vergleich zu den anderen Abkommen deutlich gesetzt oder erpresst . Das allein ist für uns noch kein umfassender und expliziter . (B) Argument, dies ebenfalls zu tun oder uns zu enthalten . (D) Ein entscheidender Unterschied ist auch, dass das Allerdings sind die karibischen Inseln wirtschaftlich in Nachhaltigkeitskapitel an das Streitschlichtungsverfah- einer deutlich besseren Lage, als es beispielsweise die ren angeschlossen ist . Im Streitfall ist der Entzug von afrikanischen Länder sind . Sie haben größtenteils keine Zollpräferenzen allerdings nicht vorgesehen, sondern le- Möglichkeit mehr, in den Genuss des Allgemeinen Präfe- diglich der Entzug nicht-tarifärer Präferenzen oder etwa renzsystems zu kommen . Ohne dieses Abkommen wären der Entzug von Entwicklungsgeldern erlaubt . Dabei ihnen somit jeglicher vergünstigter Zollzugang verwehrt . würde gerade letztere Maßnahme die ärmsten Menschen Ihnen jetzt den Status quo abzuerkennen hätte gegebe- treffen und nicht diejenigen, die im Zweifel Menschen- nenfalls wirtschaftlich negative Folgen . Dies zeigt auch, rechts- oder Nachhaltigkeitsstandards verletzen . Hier dass die Methode der vorläufigen Anwendung von Han- hätten wir uns zwar mehr gewünscht, aber immerhin ist delsverträgen höchst problematisch ist, da diese Fakten das Nachhaltigkeitskapitel überhaupt sanktionsbewehrt . schafft, die schon nach wenigen Jahren ohne schmerz- Das ist ein großer Fortschritt . hafte Einschnitte kaum mehr revidierbar sind .

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