Wortgewaltige Wolfsvernichtung – Aspekte Des Politischen Im Lateinischen Ysengrimus (Um 1150)
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
MICHAEL WALTENBERGER Wortgewaltige Wolfsvernichtung – Aspekte des Politischen im lateinischen Ysengrimus (um 1150) I Drei Schweine „Who’s afraid of the big bad wolf?“ – The Three Little Pigs, Disneys Kurz-Trickfilm von 1933 (Regie: Burt Gillett), zeigt, wie der böse Wolf erst das Stroh- und das Holzhaus der sorglos singenden Schweinchen Fifer und Fiddler umpustet, am soli- den Steinhaus des dritten, Practical Pig, aber scheitert. Als der Wolf sich anschickt, vom Dach aus über den Kamin einzudringen, hebt Practical Pig den Deckel vom Wasserkessel auf der Feuerstelle und schüttet noch etwas Terpentin hinein. Der Wolf rutscht hinunter in den Kessel mit dem siedenden Wasser, schießt jaulend wieder zum Kamin heraus und stolpert vor Schmerz brüllend davon. Die Schweine lachen und beginnen wieder zu singen, bis Practical Pig sie noch einmal auf- schreckt, indem er das Anklopfen des Wolfs an der Haustür vortäuscht.1 Film und Song waren sofort äußerst erfolgreich und haben sich in der Folge durch unzählige musikalische, literarische und filmische Allusionen dauerhaft dem gesellschaftlichen Imaginären eingeprägt. Ihre Popularität in den 1930er Jahren war nicht zuletzt in der Möglichkeit begründet, die Trickfilmfabel als allegorische Be- wältigung akuter ökonomischer und politischer Krisenerfahrungen zu verstehen: Der böse Wolf wurde zunächst als Verkörperung der existenzbedrohenden Heraus- forderungen der Great Depression verstanden, auf die der Staat nicht ausreichend vorbereitet war; das Fabelgeschehen konnte dann aber auch auf die bedrohlichen Expansionen des deutschen Reichs im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs bezogen wer- den. Solchen Lesarten zufolge läßt sich in Disneys Kurzfilm ein moralisch-politi- scher Appell zu kluger Vorsorge und beständiger Wachsamkeit erkennen: Insofern das sozial und politisch Bedrohliche dabei durch die Gestalt des Wolfs bezeichnet wird, kann es als etwas imaginiert werden, das der Gemeinschaft der Haus-Tiere aus unvorgreiflicher Naturnotwendigkeit feindlich gegenübersteht. Die Überwindung dieses Feindes stärkt und verbessert die Gemeinschaft (oder stellt sie sogar eigentlich erst her). Und am Ende pointiert der Film darüber hinaus, daß dieser konsoziie- rende Effekt nicht an die akute Gefahr und ihre Abwehr gebunden ist, sondern in der Abwesenheit des Wolfs durch den heilsamen Schrecken seiner vorgetäuschten bzw. imaginierten Wiederkehr perpetuiert werden kann. 1 Filmographische Informationen bei Merritt/Kaufman 2006, 124-127. Vgl. zum Folgenden Reit- berger 1979, 55-59; Watts 1995, 84-110; Gabler 2007, 181-186. Zur Sonderstellung der Three Little Pigs innerhalb der Reihe der Silly Symphonies vgl. Merritt 2005, 4-17. F5944_Hoefele_Kellner.indd 95 04.03.16 08:54 96 MICHAEL WALtenberger Neben Vorsorge und Wachsamkeit wird allerdings noch eine andere Weise insi- nuiert, mit der Gefahr fertigzuwerden: durch furchtlose Verspottung nämlich – oder eher: durch Spott, der die Furcht überwindet. Daß Fifer und Fiddler musizie- ren und singen, statt stabile Häuser zu bauen, ist ja eigentlich Symptom ihrer mangelnden Vorsicht. Aber sobald ihr Song als Kommentar auf die Austreibung des Wolfs wiederholt wird, verschiebt sich seine Funktion: Er erscheint selbst als ein Mittel zur Bewältigung des Bedrohlichen – und in der Übernahme dieser Funktion durch das Publikum mag ein tieferer Grund für seine enorme Popularität in den 1930er Jahren liegen.2 Diese Bewältigung geschieht im Film allerdings nicht nur durch musikalische Ermutigung, sondern auch durch komische Gewalt: Der Wolf wird von Practical Pig auf eine Weise traktiert, die seine Fluchtbewegung als grotesk-komischen Tanz erscheinen läßt und zum Verlachen reizt. Abgesehen von der genregemäßen Komi- sierung fällt das Lachen in diesem Fall auch deshalb nicht schwer, weil der Körper des Wolfs ohnehin von Anfang an als ein grotesker, in Gier und Aggressivität sich selbst verzerrender vorgeführt wird. Die mutwillig gesteigerte austreibende Gewalt, die sich an ihm vollzieht, erscheint insofern lediglich als ordnungsrestituierende Umpolung dessen, was seinem Körper als einem naturhaft transgressiven schon immer eingezeichnet ist.3 Immerhin wird die Brisanz des Exklusionsschemas un- terhalb der Irrealität der Zeichentrick-Tierwelt sofort einsichtig, wenn man be- denkt, daß die Figur des Wolfs erst in einer zweiten Fassung, die 1934 in die Kinos kam, von einigen Attributen bereinigt wurde, die offensichtlich dem Fundus anti- jüdischer Stereotype entstammten.4 Wie auch immer jedoch der kurze Film auszudeuten war: Disneys Big Bad Wolf erweist sich darin als Sproß einer in die Traditionen der Tierfabel driftenden Ne- benlinie jener imaginären Wölfe, die seit alters her von der politischen Theorie beschworen werden, um eine ordnungsbedrohende und deshalb zu bannende oder auszuschließende Gefahr roher Gewaltsamkeit zu bezeichnen.5 Diese Gefahr wird allerdings nicht lediglich als Bedrohung der Ordnung von außen gedacht; proble- matisch erscheinen vor allem die Risiken des Umschlagens legitimer und kontrol- lierter Gewaltformen in illegitime und exzessive: Der Wächter des platonischen Staats, der dem Hund gleichen sollte, kann leicht dem Wolf ähnlich werden und die Schafe reißen, die er zu bewachen hätte; und sogar der gute und gerechte Herr- 2 Der Titelsong konnte genutzt werden „to exorcise the demons of doubt and insecurity“, vgl. Inge 1984, 62. 3 Auch in den drei Fortsetzungen der Three Little Pigs – The Big Bad Wolf (1934), Three Little Wol- ves (1936), The Practical Pig (1939) – endet die Geschichte jeweils mit der gewaltsamen Wolfsaus- treibung; vgl. Merritt/Kaufman 2006, 140f., 170f. und 206f. Überraschend klar wird insbeson- dere in Three Little Wolves mit der Bewältigung der Wolfsgefahr zugleich eine fundamentale Am- bivalenz des darin implizierten sozialen Exklusionsgeschehens in Szene gesetzt: Der Wolf wird hier am Ende in einen von Practical Pig konstruierten „Wolf Pacifier“ gelockt, worin sein Körper zunächst maschinell mit Schlägen bearbeitet, dann geteert und gefedert und schließlich mithilfe einer Kanone weit weggeschossen wird. 4 Reitberger 1979, 57f.; Gabler 2007, 454f. 5 Vgl. etwa Münkler 1994, 107-124. F5944_Hoefele_Kellner.indd 96 04.03.16 08:54.