• !Bundesnetzagentur

Beschlusskammer 10 BK10-20-0071 _Z

Beschluss

In·dem Verwaltungsverfahren aufgrund des Antrags der

Verkehrsverbund Rhein-Ruhr AöR, Augustastraße 1, 45879 Gelsenkirchen, vertreten durch den Vorstand,

Antragstellerin,

gegen

die DB Netz AG·, Theodor-Heuss-Allee 7, 60486 Frankfurt am Main, vertreten durch den Vorstand,

Antragsgegnerin,

Hinzugezogene: 1. BAG-SPNVe.V., Wilmersdorfer Straße 50/51 , 10627 Berlin, vertreten durch den Vorstand, 2. DB Cargo AG, Rheinstraße 2, 55116 Mainz, vertreten durch den Vorstand, 3. DB Fernverkehr AG, Stephensonstraße 1, 60326 Frankfurt am Main, vertreten durch den Vorstand, 4. DB Regio AG, Stephensonstraße 1, 60326 Frankfurt am Main, vertreten durch den Vorstand,

5. FlixTrain GmbH, Friedenheimer Brücke 16, 80639 München, vertreten durch die Geschäftsführung, 6. Mofair e.V., Reinhardtstraße 46, 10117 Berlin, vertreten durch den Vorstand, 7. National Express Rail GmbH, Maximinenstraße 6, 50668 Köln, vertreten durch die Geschäftsführung,

8. Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe, Niederwall 49, 33602 Bielefeld, vertreten durch den Verbandsvorsteher, 2

9. RDC Deutschland GmbH, Altonaer Poststraße 9, 22767 Hamburg, vertreten durch die Geschäftsführung,

- Verfahrensbevollmächtigte der Hinzugezogenen zu 2, 3 und 4:

der Hinzugezogenen zu 5.:

hat die Beschlusskammer 10 der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunika- tion, Post und Eisenbahnen, Tulpenfeld 4, 53113 Bonn, durch den Vorsitzenden Dr. Ulrich Geers, den Beisitzer Jan Kirchhartz und den Beisitzer Wolfram Krick

auf Grund der Online-Konsultation vom 07.07.2020 bis zum 14.07.2020 am 21 .10.2020 beschlossen:

Der Antrag wird abgelehnt. 3

1. Sachverhalt

Die Antragstellerin ist als Aufgabenträgerin für die Erbringung von Leistungen des Schienen- personennahverkehrs (SPNV) im Ruhrgebiet verantwortlich. Sie beauftragt dazu u. a. Eisen- bahnverkehrsunternehmen (EVU) mit der Erbringung der Verkehrsleistungen und erstellt ab- gestimmte Fahrpläne. Die Antragsgegnerin gehört zum Konzern der AG und betreibt das größte Schienennetz in Deutschland. Die von der Antragstellerin beauftragten EVU melden in Abstimmung mit ihr Trassen bei der Antragsgegnerin an. Das betrifft auch den Schienenweg Duisburg-Essen--Dortmund- Hamm, der sich im Zuständigkeitsbereich der Antragstellerin befindet und von der Antrags- gegnerin betrieben wird. Dabei handelt es sich um die zentrale Eisenbahnverbindung des Ruhrgebiets, die eine dichte Belegung mit Zügen des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) und des SPNV aufweist. Die Antragsgegnerin hat die Auslastungssituation des Schienenwe- ges zum Anlass genommen, ihn abschnittsweise für überlastet zu erklären. Das betrifft gemäß den Schienennetz-Benutzungsbedingungen (SNB) 2020 die folgenden Abschnitte, die anhand der Nummerierung im Verzeichnis der zulässigen Geschwindigkeiten (VzG-Nr.) bezeichnet werden:

• Bochum Hauptbahnhof (Hbf) - Dortmund Hbf (VzG-Nr. 2158) • Essen Hbf- Bochum Hbf (VzG-Nr. 2160) • Mühlheim (Ruhr) Hbf - Essen Hbf (VzG-Nr. 2300) • Duisburg Hbf- Mühlheim (Ruhr) Hbf (VzG-Nr. 2184) • Köln-Mühlheim - Duisburg Hbf (Fernbahn - VzG-Nr. 2650) • Köln Hbf- Köln Mühlheim (VzG-Nr. 2633, 2639, 2650, 2652, 2658, 2659) Über den Abschnitt Essen-Bochum verkehrt auch die Regionalbahnlinie 40 (RB 40) von Essen nach Hagen, die im Auftrag der Antragstellerin von der Abellio Rail NRW GmbH als EVU be- trieben wird. Daneben besteht ein weiterer Schienenweg zwischen Essen und Dortmund, der vor allem dem $-Bahn-Verkehr dient. Im Stadtgebiet von Essen liegt an diesem Schienenweg der Halt Essen-Steele. Ein weiterer Haltepunkt besteht in Essen-Kray Nord an dem Schienen- weg Essen-Gelsenkirchen. Im Zuge der Erstellung des Netzfahrplans 2020/2021 stellte die Antragsgegnerin auf dem Schienenweg zwischen Essen und Bochum fest, dass Trassenkonflikte vorlagen, bei denen den Anträgen verschiedener EVU nicht im Rahmen der Konstruktionsspielräume entsprochen werden konnte. Sie führte dazu am 12.06.2020 ein Koordinierungsgespräch durch, das unter anderem sechs Zugfahrten der RB 40 betraf, bei denen ein Trassenkonflikt mit einem Zug des SPFV der Hinzugezogenen zu 9. vorlag. Im Einzelnen betraf dies Trassenanmeldungen für die RB 40 mit den Zugnummern 89309 (Essen Hbf ab 09:07 Uhr), 89313 (Essen Hbf ab 11 :07 Uhr), 89317 (Essen Hbf ab 13:07 Uhr), 89321 (Essen Hbf ab 15:07 Uhr), 89325 (Essen Hbf ab 17:07) und 89329 (Essen Hbf ab 19:07 Uhr). Zusätzlich bestand ein Trassenkonflikt mit Anmeldungen der Hinzugezogenen zu 5., die Trassenanmeldungen abgegeben hatte, die weitgehend denen der Hinzugezogenen zu 9. entsprachen. Die Antragsgegnerin schlug zur Lösung des Trassenkonflikts vor, dass die betroffenen Zugfahrten der RB 40 die Halte in Es- sen-Kray Süd und zum Teil Wattenseheid auslassen sollten. Dies lehnten das EVU sowie die Antragstellerin ab , weil - anders als in Wattenseheid - in Essen-Kray Süd die RB 40 die einzige Bedienung im SPNV darstelle und dann statt einer stündlichen Bedienung die Halte zukünftig nur noch zweistündlich bedient werden könnten. Das durchführende EVU, die Abellio Rail 4

NRW GmbH, regte daraufhin eine Verschiebung der konfliktbehafteten Fahrten der RB 40 um wenige Minuten an . Die Antragsgegnerin prüfte dies und teilte am 16.06.2020 mit, dass fünf der sechs Zugfahrten bei einer Verschiebung um acht Minuten mit allen vorgesehenen Ver- kehrshalten realisiert werden könnten. Lediglich fü r die Zug-Nr. 89309 (Konflikt Nr. 1108) sei dies wegen eines weiteren Konflikts nicht möglich. Das durchführende EVU teilte daraufhin mit, dass es wegen der fehlenden Zustimmung der Antragstellerin diesem Vorschlag nicht zu- stimmen könne. Die Antragsgegnerin leitete daraufhin ein Streitbeilegungsverfahren ein. Die Antragstellerin hat am 18.06.2020 den vorliegenden Antrag nach§ 55 Abs. 7 ERegG bei der Bundesnetzagentur gestellt. Die Beschlusskammer hat die Antragstellerin unmittelbar nach Antragseingang darauf hingewiesen, dass nach erster Einschätzung selbst bei einer schnellstmöglichen Bearbeitung die ggf. zu erstellenden Vorrangkriterien bei der laufenden Netzfahrplanerstellung keine Anwendung mehr finden könnten. Die Antragstellerin hat darauf- hin an ihrem Antrag festgehalten und auf weitere drohende Trassenkonflikte in den folgenden Netzfahrplanperioden verwiesen. Am 25.06.2020 hat die Beschlusskammer das Eisenbahn- Bundesamt vom Eingang des Antrags in Kenntnis gesetzt. Die Beschlusskammer hat die Parteien nach Einleitung des Verfahrens zunächst schriftlich angehört. Vom 07.07.2020 bis zum 14.07.2020 ist ergänzend eine Online-Konsultation durch- geführt worden. Die Online-Konsultation diente als Ersatz für die ansonsten obligatorische öf- fentliche mündliche Verhandlung, die aufgrund der Vielzahl der Beteiligten während der CO- VID-19-Pandemie nicht stattfinden konnte. Zur Durchführung der Online-Konsultation hat die Beschlusskammer den Verfahrensbeteiligten eine Sachverhaltsdarstellung und eine struktu- rierte vorläufige rechtliche Bewertung zur Verfügung gestellt. Über die Einleitung der Konsul- tation und die gesetzte Frist hat die Bundesnetzagentur die Verfahrensbeteiligten unmittelbar in Kenntnis gesetzt und darüber hinaus die Öffentlichkeit durch einen Hinweis auf der Internet- seite der Bundesnetzagentur informiert. Sowohl die Antragstellerin als auch die Antragsgeg- nerin haben fristgerecht Stellungnahmen abgegeben. Am 20.08.2020 sowie am 21.08.2020 hat die Antragsgegnerin die Bundesnetzagentur über die beabsichtigte Ablehnung von fünf der o. g. sechs Trassenanmeldungen unterrichtet (Ver- fahren unter den Geschäftszeichen BK10-20-0203_Z, BK10-20-0206_Z, BK10-20-0208_Z, BK10-20-0210_Z, BK10-20-0212_Z). Dabei unterlagen die Trassenanmeldungen der Abellio Rail GmbH für die RB 40 jeweils den konfligierenden Anmeldungen der Hinzugezogenen zu 9. bzw. zu 5. aufgrund des höheren Regelentgelts der la nglaufenden Fernverkehrszüge. Die Beschlusskammer hat die beabsichtigten Trassenablehnungen ihrerseits nicht abgelehnt. Die Antragstellerin trägt vor, der stündliche Halt der Linie RB 40 an dem Haltepunkt Essen- Kray Süd sei erforderlich, um die Grundversorgung der Bevölkerung mit SPNV-Leistungen sicherzustellen. Um zu gewährleisten, dass die Halte auch stattfinden könnten, müsse die An- tragsgegnerin besondere Vorrangkriterien zugunsten des SPNV im Rahmen der Netzfahrpla- nerstellung einführen. Andernfalls wäre die Funktionsfähigkeit eingerichteter Taktsysteme im öffentlichen SPNV unmittelbar gefährdet. Zudem liege ein Fall besonderer Dringlichkeit vor, da die Bekanntgabe des vorläufigen Netzfahrplanentwurfs Anfang Juli 2020 erfolgen werde. Das Verfahren nach § 55 Abs. 7 ERegG ziele darauf ab, eine angemessene Verteilung der begrenzten Kapazität auf die einzelnen Verkehrsarten unter Berücksichtigung volkswirtschaft- licher Kriterien zu erreichen. Die Antragstellerin beantragt, 5

der Antragsgegnerin aufzugeben, binnen drei Wochen Vorrangkriterien zur Si- cherstellung der Funktionsfähigkeit eingerichteter Taktsysteme im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr einzuführen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.

Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, der Antrag sei hinsichtlich des überlasteten Schie- nenwegs Köln-Düsseldorf-Duisburg-Essen-Dortmund-Hamm bereits unzulässig, weil für den Abschnitt von Dortmund bis Hamm keine Überlastungserklärung vorliege. Eine Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien sei auch nicht geeignet, eine Beseitigung der Überlastung zu erreichen. Das sei nur der Fall, wenn die Kapazität insgesamt erhöht werde. Oie Aufstellung sei im konkreten Fall aufgrund des erarbeiteten Lösungsvorschlags mit einer Verschiebung von fünf Trassen um acht Minuten auch nicht erforderlich. Bei dieser Lösung erfüllten die in abweichender Lage konstruierten Trassen die Definition des vertakteten Verkehrs gemäߧ 1 Abs. 23 ERegG. Soweit Vorrangkriterien zu erstellen wären, könnten diese bei der Erstellung des Netzfahrplans 2020/2021 nicht mehr angewendet werden. Die Vorlage des vorläufigen Netzfahrplans sei für den 06.07.2020 vorgesehen. Bis dahin seien alle Streitbeilegungsverfah- ren abzuschließen und eine spätere Berücksichtigung der Vorrangkriterien ausgeschlossen. Am 09.10.2020 hat die Antragsgegnerin auf Nachfrage der Beschlusskammer mitgeteilt, wie sich die Trassennutzung nach Abschluss der ersten Anmeldeperiode zum Netzfahrplan dar- stellt und welche Einzelnutzungsverträge abgeschlossen wurden. Demnach sei der Abellio Rail GmbH ein Angebot für eine der sechs Trassen unterbreitet worden, das diese auch an- genommen habe (Zug-Nr. 89329, Essen Hbf ab 19:07 Uhr). Ein weiteres Angebot konnte für die Verkehrstage Montag-Freitag unterbreitet werden (Zug-Nr. 89309, Essen Hbf ab 09:07 Uhr). In den übrigen Lagen hätten die Hinzugezogenen zu 5. und 9. Angebote erhalten und Einzelnutzungsverträge abgeschlossen. Die Abellio Rail GmbH habe zudem im Rahmen der zweiten Anmeldeperiode zum Netzfahrplan vergleichbare Trassenanmeldungen abgegeben, die sich in Bearbeitung befänden. Die übrigen Verfahrensbeteiligten haben keine Stellungnahme abgegeben. Zur Wahrung einer einheitlichen Spruchpraxis in Fällen vergleichbarer oder zusammenhän- gender Sachverhalte und zur Sicherstellung, dass Regulierungsmaßnahmen aufeinander ab- gestimmt sind, ist die Entscheidung behördenintern abgestimmt worden. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Ausführungen unter Ziffer II. sowie auf den Inhalt der Verfahrensakte verwiesen.

II. Gründe

Der Antrag wird abgelehnt. Diese Entscheidung beruht auf§ 55 Abs. 7 ERegG. Der Beschluss über den nach Auslegung ermittelten Antrag (hierzu unter 11.1. ) ergeht sowohl formell (hierzu unter 11.2) als auch materiell (hierzu unter 11. 3) rechtmäßig. 6

11.1 Auslegung des Antrags Nach Lesart der Beschlusskammer beantragt die Antragstellerin, der Antragsgegnerin aufzu- geben, auf dem Schienenweg Essen-Bochum-Langendreer binnen drei Wochen Vorrangkri- terien zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit eingerichteter Taktsysteme im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr einzuführen. Der Antrag war auszulegen, weil der Wortlaut des Antragstextes keine Angaben dazu enthält, auf welchem Streckenabschnitt die gewünschten Vorrangkriterien eingeführt werden sollen. Aus der Begründung des Antrags ergibt sich jedoch, dass er sich auf den Streckenabschnitt Essen-Bochum-Langendreer bezieht. Das folgt daraus, dass die Antragsgründe sowohl stre- ckenseitig als auch verkehrsseitig umschrieben sind - nämlich mit Blick auf die Strecke Köln- Düsseldorf-Duisburg-Essen-Dortmund-Hamm und mit Blick auf den relevanten Teil der Linie RB40 (Essen-Hagen). Zum Schutz der Linie RB40 kann nur die Einführung eines Vorrangkri- teriums auf dem relevanten Streckenabschnitt erforderlich sein. In Bochum-Langendreer zweigt die RB 40 von der Strecke Essen-Bochum-Dortmund in Richtung und Hagen ab. Insofern bezieht sich der Antrag nur auf diesen Abschnitt des überlasteten Schienenweges. Die Antragstellerin hat mit Schreiben vom 03.07.2020 diesen Bezug auch noch einmal klarge- stellt.

11.2 Formelle Rechtmäßigkeit Der Beschluss ergeht formell rechtmäßig. Er ergeht insbesondere unter Wahrung der Vor- schriften über die Zuständigkeit und das Verfahren. Die Beschlusskammer ist für die Durchführung des hiesigen Verfahrens zuständig. Die Zu- ständigkeit für Anträge, die auf eine Verpflichtung eines Betreibers der Schienenwege zur Auf- stellung von Vorrangkriterien abzielen, liegt gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes (Bundeseisenbahnverkehrsverwaltungsgesetz - BEWG) i. V. m. § 77 Abs. 1 Satz 1 und 55 Abs. 7 Satz 1 Eisenbahnregulierungsgesetz (ERegG) bei einer Beschlusskammer der Bundesnetzagentur. Nach dem Organisationsplan der Bundesnetzagentur ist für derartige Entscheidungen die Beschlusskammer 10, Eisenbah- nen, zuständig. Die Verfahrensvorschriften sind gewahrt worden. Die Entscheidung ergeht nach Anhörung der Beteiligten(§ 77 Abs. 6 Satz 1 ERegG). Zudem ist den Beteiligten ein konzentrierter Austausch zu den wesentlichen verfahrensgegenständlichen Fragen ermöglicht worden. Grundsätzlich entscheidet die Beschlusskammer dazu aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung (§ 77 Abs. 6 Satz 3 ERegG), soweit die Beteiligten nicht auf die Durchführung der Verhandlung ver- zichten. Mit Schreiben vom 24.06.2020 hat die Antragsgegnerin die Durchführung einer öffent- lichen mündlichen Verhandlung beantragt. Die Beschlusskammer hat daraufhin allerdings we- gen der Vielzahl von Verfahrensbeteiligten entschieden, die mündliche Verhandlung gemäß § 5 Abs. 2 i. V. m. § 1 Nr. 20 des Gesetzes zur Sicherstellung ordnungsgemäßer Planungs- und Genehmigungsverfahren während der COVID-19-Pandemie (Planungssicherstellungsge- setz - PlanSiG) als Online-Konsultation durchzuführen. Gemäß § 5 Abs. 2 Alt. 2 PlanSiG genügt in Verfahren nach den in § 1 PlanSiG genannten Gesetzen, in denen die Durchführung. einer mündlichen Verhandlung angeordnet ist, auf die nach den dafür geltenden Vorschriften nicht verzichtet werden kann, eine Online-Konsultation nach § 5 Abs. 4 PlanSiG. In § 1 Nr. 20 PlanSiG wird das Eisenbahnregulierungsgesetz als eines der Gesetze genannt, auf deren Verfahren das PlanSiG Anwendung findet. Über die 7 beabsichtigte Durchführung einer Online-Konsultation hat die Beschlusskammer die Verfah- rensbeteiligten informiert (§ 5 Abs. 3 PlanSiG ). Die Beschlusskammer hat den Verfahrensbe- teiligten zudem umfangreiche Informationen zur Verfügung gestellt, die ansonsten im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert worden wären (§ 5 Abs. 4 Satz 1 PlanSiG), und den Verfahrensbeteiligten eine ausreichende Frist gesetzt, um sich zu den von der Beschlusskam- mer aufgeworfenen Punkten zu äußern. Die Beschlusskammer hat damit die gemäß § 77 Abs. 6 Satz 2 ERegG erforderliche öffentliche mündliche Verhandlung in zulässiger Weise ersetzt. Soweit dagegen die Antragsgegnerin rügt, dass § 5 Abs. 2 PlanSiG nicht die erforderliche Bestimmtheit aufweise, weil er nur ,mündliche Verhandlungen' in Bezug nehme, ist dem nicht zu folgen. Die verfassungsrechtlichen Beden- ken der Antragsgegnerin gegen die Anwendung dieser Vorschrift greifen nicht durch. Das rechtsstaatliche Gebot der Gesetzesbestimmtheit fordert keine restlose Umschreibung von Regelungstatbeständen durch den Gesetzgeber. Es verlangt lediglich, dass die „Rechtsunterworfenen [. . .) in zumutbarer Weise erkennen können [müssen], ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgespro- chene Rech_tsfolge vorliegen [. ..]. Dabei reicht es aus, wenn sich dies im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Aus- legungsregeln feststellen lässt[. ..]. " (BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 - 1 BvR 2307/94 - , BVerfGE 102, 254-346, Rn. 325, juris; vgl. zudem BVerfG, Statt- gebender Kammerbeschluss vom 19.06.2007 - 1 BvR 1290/05 - . Rn. 32, ju- ris) Nach diesem Maßstab ist gegen die Bestimmtheit des PlanSiG nichts zu erinnern. Die Geltung des § 5 Abs. 2 PlanSiG auch für ,öffentliche mündliche Verhandlungen' gemäß § 77 Abs. 6 Satz 2 ERegG ergibt sich aus einer Auslegung des § 5 Abs. 2 PlanSiG unter Anwendung der hergebrachten Auslegungsmethoden. Dieser Auslegung steht insbesondere nicht, wie die Antragsgegnerin meint, der Wortlaut von § 5 Abs. 2 PlanSiG entgegen. Vielmehr gestattet bereits dieser Wortlaut eine Anwendung der Vorschriften des PlanSiG sowohl auf nichtöffentliche als auch auf öffentliche mündliche Ver- handlungen. Der Wortlaut lässt dagegen nicht den Schluss zu, dass der Gesetzgeber sich bei der Schaffung des Gesetzes auf nichtöffentliche (bzw. beteiligtenöffentliche) mündliche Ver- handlungen beschränken wollte. Wäre dies der Fall gewesen, so hätte der Gesetzgeber eine entsprechende Formulierung wählen können. Durch die Aufnahme der Formulierung „mündli- che Verhandlung" hat sich der Gesetzgeber indes für einen den Kategorien „öffentlich" bzw. „nichtöffentlich" übergeordneten Begriff entschieden. Systematisch lässt sich erkennen, dass die im PlanSiG getroffenen Regelungen nicht zwin- gend von der Prämisse ausgehen, dass innerhalb eines Verfahrens unter Ausschluss der Öf- fentlichkeit verhandelt wird. § 5 Abs. 4 Satz 5 PlanSiG verweist etwa auf eine entsprechende Anwendung von § 3 Abs. 1 Sätze 5 bis 7 PlanSiG, wonach eine Veröffentlichung von Unterla- gen im Internet nur unter Wahrung der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des (entspre- chend} Berechtigten zu erfolgen hat. Dies impliziert jedoch auch, dass eine Beteiligung der Öffentlichkeit - sofern sie gesetzlich wie im Falle des § 77 Abs. 6 Satz 3 ERegG vorgesehen ist - auch unter dem PlanSiG sichergestellt werden kann und muss. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin geht auch der Wille des Gesetzgebers dahin, sowohl nichtöffentliche als auch öffentliche Verhandlungen unter das Regime des PlanSiG zu stellen. Sofern die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang auf die Regelung in § 5 Abs. 4 Satz 3 PlanSiG („Die zuständige Behörde hat geeignete Vorkehrungen dafür zu treffen, dass 8 nur die nach den Sätzen 1 und 2 Berechtigten Zugang zu der Online-Konsultation haben.") und die entsprechende Begründung des Gesetzesentwurfs, wonach damit dem „nichtöffentli- chen Charakter von Erörterungsterminen und mündlichen Verhandlungen Rechnung" getra- gen werden soll, vgl. BT-Drs. 19/18965, S. 14, verweist, greift dies zu kurz. Denn im Zusammenhang mit der Gesetzesbegründung wird dabei lediglich deutlich, dass dem Gesetzgeber bewusst war, dass es nichtöffentliche mündliche Verhandlungen geben kann, bei denen ein Zugang nur für einen sehr begrenzten Adressaten- kreis eröffnet werden darf. Im Zusammenspiel mit der übrigen Begründung aus dem Gesetz- entwurf lässt sich allerdings unschwer schließen, dass diese einengende Betrachtung nicht dazu gedacht war, in Verfahren, in denen die Einschränkung des Adressatenkreises nicht er- forderlich oder möglicherweise noch nicht einmal erlaubt ist, eine Beschränkung der Anwend- barkeit des PlanSiG herbeizuführen. Bereits die Problembeschreibung auf der ersten Seite des Gesetzentwurfs macht deutlich, dass das PlanSiG auch die öffentlichen mündlichen Ver- handlungen vor der Beschlusskammer umfassen soll. Dort heißt es ausdrücklich: „Wegen der im Zuge der COVID-19-Pandemie bundesweit verfügten Aus- gangs-und Kontaktbeschränkungen haben sowohl Länder als auch Unterneh- men und Unternehmensverbände auf praktische Schwierigkeiten bei der Durchführung von Verwaltungsverfahren hingewiesen. [. . .] Die gleiche Situa- tion ergibt sich z. B. in besonderen, in Fachgesetzen vorgesehenen Entschei- dungsverfahren von Beschlusskammern der Bundesnetzagentur (Telekom- munikationsgesetz und Postgesetz), in denen die Durchführung einer öffentli- chen mündlichen Verhandlung vorgeschrieben und ein Verzicht nur mit Ein- verständnis der Beteiligten möglich ist. " (BT-Drs. 19/18965, S. 1) Weiter heißt es unter der Beschreibung des Lösungsansatzes: „Mit dem Gesetz so// gewährleistet werden, dass Planungs- und Genehmi- gungsverfahren sowie besondere Entscheidungsverfahren mit Öffentlichkeits- beteiligung auch unter den erschwerten Bedingungen während der COVID- 19-Pandemie ordnungsgemäß durchgeführt werden können." (BT-Drs. 19/18965, S. 1 f.) Im Übrigen wäre, sollten nur nichtöffentliche Verhandlungen nach dem PlanSiG ersetzt werden können, nicht erklärlich, weshalb das ERegG überhaupt gemäߧ 1 Nr. 20 PlanSiG in die Liste der betroffenen Gesetze aufgenommen worden ist. Denn das ERegG kennt gemäß § 77 Abs. 6 Satz 2 ERegG grundsätzlich nur öffentliche mündliche Verhandlungen. Die Norm des § 77 Abs. 6 Satz 2 ERegG, wonach ausnahmsweise die Öffentlichkeit im Einzelfall von der Ver- handlung ausgeschlossen werden kann, wenn ansonsten eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses zu besorgen wäre, ändert hieran nichts. Die Entscheidung zur Durchführung der Online-Konsultation war auch nicht, wie die Antrags- gegnerin meint, ermessensfehlerhaft, weil in der möglichen Anreise der Hinzugezogenen kein Grund für die Durchführung der Online-Konsultation gesehen werden könne. Das PlanSiG re- gelt die Durchführung der Online-Konsultation als formwahrende Alternative zu mündlichen Verhandlungen gerade um zu vermeiden, dass sich Verfahrensbeteiligte in großer Zahl zu- sammenfinden müssen. In der Begründung des Gesetzesentwurfs heißt es hierzu: 9

„Mit dem Gesetz werden formwahrende Alternativen für Verfahrensschritte in Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie in besonderen Entscheidungs- verfahren zur Verfügung gestellt, bei denen sonst die Verfahrensberechtigten zur Wahrnehmung ihrer Beteiligungsrechte physisch anwesend sein und sich zum Teil in großer Zahl zusammenfinden müssten." (BT-Drs. 19/18965, S. 2) Insbesondere die Anzahl der Personen, die in einer mündlichen Verhandlung zur Wahrneh- mung ihrer Beteiligtenrechte anwesend wären, ist mithin ein ermessensleitendes Kriterium. Es kommt hingegen nicht darauf an, ob die Verfahrensbeteiligten der mündlichen Verhandlung auch fernbleiben könnten, um dem Infektionsschutz Rechnung zu tragen. Vielmehr soll durch die Online-Konsultation sichergestellt werden, dass die Beteiligungsrechte wahrgenommen werden und die Betroffenen gerade nicht aus Gründen des Infektionsschutzes auf eine Teil- nahme an einer mündlichen Verhandlung verzichten.

Zur Wahrung einer einheitlichen Spruchpraxis in Fällen vergleichbarer oder zusammenhän- gender Sachverhalte und zur Sicherstellung, dass Regulierungsmaßnahmen aufeinander ab- gestimmt sind, ist die Entscheidung behördenintern abgestimmt worden.

Eine - über die Information zur Verfahrenseinleitung hinausgehende - Beteiligung der Eisen- bahnaufsichtsbehörde hatte nicht zu erfolgen, weil sich keine Auswirkungen auf den Zustän- digkeitsbereich der Behörde ergaben.

11.3 Materielle Rechtmäßigkeit Der Antrag wird abgelehnt, weil die Voraussetzungen des § 55 Abs. 7 Satz 1 ERegG nicht vorliegen.

Gemäß § 55 Abs. 7 Satz 1 ERegG soll die Regulierungsbehörde auf Antrag eines Zugangs- berechtigten nach § 1 Abs. 12 Nummer 2 Buchstabe a) dem Betreiber der Schienenwege aufgeben, binnen drei Wochen Vorrangkriterien im Sinne der Absätze 4 und 5 ungeachtet der sonstigen Voraussetzungen des Absatzes 3 aufzustellen und zu veröffentlichen, soweit dies zur Beseitigung der Überlastung erforderlich ist, wenn ein Betreiber der Schienenwege einen Schienenweg für überlastet erklärt hat.

Zwar liegt ein statthafter Antrag vor (dazu unter 11.3.1 ). der sich auf einen überlasteten Schie- nenweg bezieht (dazu unter 11.3.2). Eine behördliche Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Aufstellung von Vorrangkriterien ist jedoch nicht zur Beseitigung der Überlastung erforderlich (dazu unter 11.3.3).

11.3.1 Antrag eines Zugangsberechtigten Ein statthafter Antrag liegt vor. Gemäߧ 55 Abs.7 ERegG sind Zugangsberechtigte nach§ 1 Abs. 12 Nummer 2 Buchstabe a) antragsberechtigt. Bei den in dieser Vorschrift genannten Zugangsberechtigten handelt es sich um zuständige Behörden im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsd ienste. Gemäß Art. 2 lit. b) der Verordnung sind zuständige Be- hörden jede Behörde oder Gruppe von Behörden eines oder mehrerer Mitgliedstaaten, die zur Intervention im öffentlichen Personenverkehr in einem bestimmten geografischen Gebiet be- fugt ist, oder jede mit einer derartigen Befugnis ausgestattete Einrichtung. Die Antragstellerin ist gemäß § 2 Abs. 3 des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr in Nordrhein- Westfalen als Aufgabenträger zuständige Behörde im Sinne der Verordnung. 10

11.3.2 Überlasteter Schienenweg Der Antrag bezieht sich auch auf einen überlasteten Schienenweg. Oie verfahrensgegenständ- liche Strecke Essen-Bochum-Langendreer gehört zu den überlasteten Schienenwegen Essen Hbf-Bochum Hbf und Bochum Hbf-Dortmund Hbf (VzG Nr. 2160 und 2158). Soweit die An- tragsgegnerin auf die fehlende Überlastungserklärung bezüglich eines nachgelagerten Stre- ckenabschnitts hinweist, beruht dies auf einem Irrtum hinsichtlich des Antragsumfangs. Der Antrag war von Anfang an lediglich auf die Strecke Essen-Bochum-Langendreer gerichtet (vgl. hierzu Abschnitt 11.1 ). Die Antragstellerin hat zudem mit Schreiben vom 03.07.2020 klargestellt, dass sich der Antrag auf diesen Streckenabschnitt bezieht.

11.3.3 Erforderlichkeit zur Beseitigung der Überlastung Die von der Antragstellerin angestrebte Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Aufstellung von Vorrangkriterien ist jedoch nicht zur Beseitigung der Überlastung erforderlich. Eine solche Ver- pflichtung wäre dann erforderlich, wenn sie unter gleich geeigneten Mitteln das mildeste Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks darstellte (hierzu unter 11.3.3.1 ). Oie Einführung von Vorrangkriterien im Sinne des § 55 Abs. 4 und 5 ERegG ist im konkreten Fall indes schon nicht geeignet, um die Auswirkungen der Überlastung abzumildern oder zu begrenzen (hierzu unter 11.3.3.2). Auch die alternative Lösung in Form einer Verschiebung von fünf Fahrten der RB 40 kann die Erforderlichkeit nicht begründen (hierzu unter 11.3.3.3).

11.3.3.1 Zweck der Verpflichtung nach § 55 Abs. 7 ERegG Zweck der Verpflichtung nach § 55 Abs. 7 ERegG ist es, eine volkswirtschaftlich sinnvolle Nutzung knapper Schienenwegkapazität festzuschreiben, wenn aufgrund einer Überlastung zu Lasten des SPNV von dieser abgewichen wird. Das ergibt sich aus einer Auslegung der Bestimmungen des ERegG unter Einbeziehung der Gesetzgebungsmaterialien. Gemäß § 55 Abs. 7 Satz 1 ERegG muss eine mögliche Verpflichtung eines Betreibers der Schienenwege zur Aufstellung von Vorrangkriterien erforderlich sein, um die Überlastung zu beseitigen. Eine Definition des überlasteten Schienenwegs findet sich in § 1 Abs. 13 ERegG: „Ein überlasteter Schienenweg ist ein Schienenwegabschnitt, auf dem der Nach- frage nach Zugtrassen auch nach Koordinierung der verschiedenen Ariträge auf Zuweisung von Zugtrassen während bestimmter Zeitabschnitte nicht in ange- messenem Umfang entsprochen werden kann. " Nach dem unmittelbaren Gesetzeswortlaut müsste allein schon die Verpflichtung zur Aufstel- lung von Vorrangkriterien dazu führen, dass die Gründe für die Überlastung wegfallen. Oie Auslegung anhand des reinen Wortlaut des Gesetzes führt jedoch im vorliegenden Fall nicht zu sachgerechten Ergebnissen. Oie Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien kann nicht dazu führen, dass ein Schienenweg fortan nicht mehr überlastet ist. Grund für eine Überlastungserklärung ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 ERegG, dass Anträgen auf Zuweisung von Schienenwegkapazität nach Koordinierung der beantragten Zugtrassen und nach Konsultation der Zugangsberechtigten nach den §§ 52 und 53 ERegG nicht in angemes- senem Umfang stattgegeben werden kann. Das gilt nach § 55 Abs. 1 Satz 2 ERegG auch dann, wenn absehbar ist, dass die Kapazität in naher Zukunft nicht ausreichen wird. Ein über- lasteter Schienenweg ist also dadurch gekennzeichnet, dass die Nachfrage die verfügbare Kapazität übersteigt. Aus diesem Grund kommt es entweder zu Trassenablehnungen oder zu einer verschlechterten Betriebsqualität. 11

Vorrangkriterien haben nach § 55 Abs. 4 Satz 1 ERegG dem gesellschaftlichen Nutzen eines Verkehrsdienstes gegenüber anderen Verkehrsdiensten, die hierdurch von der Schienenweg- nutzung ausgeschlossen werden, Rechnung zu tragen. Verkehrsdienste sind gemäß § 2 Abs. 2 AEG die Verkehrsarten Schienenpersonenfernverkehr, Schienenpersonennahverkehr und Schienengüterverkehr. Vorrangkriterien haben gemäߧ 52 Abs. 2 ERegG zur Folge, dass ein Betreiber der Schienenwege bestimmten Verkehrsarten im Netzfahrplanerstellungs- und Koord inierungsverfahren Vorrang einräumen kann bzw. muss. Konkret zielt der vorliegende Antrag darauf ab, dem Schienenpersonennahverkehr oder einzelnen Linien innerhalb dieser Verkehrsart Vorrang gegenüber anderen Trassenanmeldungen einzuräumen, um eine nach Auffassung der Antragstellerin ausreichende Grundversorgung der Bevölkerung mit den Leis- tungen des SPNV im Rahmen der Daseinsvorsorge zu ermöglichen. Vorrangkriterien können demnach zur Folge haben, dass Trassenanmeldungen eines be- stimmten Verkehrsdienstes Vorrang gegenüber anderen, konkurrierenden Trassenanmeldun- gen zukommt. Die konkurrierende Trassenanmeldung wäre entsprechend abzulehnen. Auch im Falle der Entscheidung von Konflikten auf Grundlage von Kriterien nach § 55 Abs. 4 und 5 ERegG überschreitet demgemäß die Nachfrage das Angebot. Es wird aber damit ausge- schlossen. dass Vorrangkriterien zu einer Beseitigung der Überlastung führen können. Eine Beseitigung der Überlastung kann vor allem durch bauliche Maßnahmen erf~lgen , die eine höhere Kapazität ermöglichen. Dabei kommen unter anderem ein mehrgleisiger Ausbau, kür- zere Blockabstände oder zusätzliche Überholungsgleise in Betracht. Vorrangkriterien können nach dem Verständnis der Beschlusskammer nicht zu einer Beseitigung der Überlastung in Form der hohen Nachfrage führen, sondern allenfalls in der Überlastungssituation eine andere Verteilung der begrenzten Kapazität erwirken. Die Beschränkung auf den unmittelbaren Wortlaut hätte demnach zur Folge, dass für§ 55 Abs. 7 ERegG kein Anwendungsbereich verbliebe. Dieses Ergebnis trägt jedoch wiederum der Absicht des Gesetzgebers, für überlastete Schienenwege eine Regelung zu treffen, nicht hinreichend Rechnung. Die Begründung zum Gesetzentwurf liefert dabei keinen unmittelbaren Anhalt zur teleologi- schen Auslegung. Ihr ist jedoch zu entnehmen, dass es dem Gesetzgeber nicht entscheidend um die Beseitigung der Überlastung, sondern vielmehr um die Abmilderung der Folgen ging (BT-Drs. 18/9099, S. 26): „Das Aufstellen von Vorrangkriterien soll von der Regulierungsbehörde einge- fordert werden, wenn ein überlasteter Schienenweg vorliegt. Dadurch verfügt die Regulierungsbehörde über die Kompetenz, die Festschreibung einer Ver- teilung zwischen den Verkehrsarten zu erwirken, die zu einer volkswirtschaft- lich sinnvollen Nutzung der knappen Kapazität führt. Die Regelung bleibt zu- gleich auf Fälle beschränkt, in denen aufgrund der Überlastung tatsächlich Notwendigkeit für entsprechende Eingriffe besteht. Satz 3 nennt Fälle beson- derer Dringlichkeit und damit Fallkonstellationen, in denen die Regulierungs- behörde tätig werden soll." Diese Auffassung wird auch in der Kommentierung vertreten: Statt der Beseitigung der Über- lastung soll es vielmehr um die „Abfederung" von negativen verkehrspolitischen Folgen der Kapazitätsengpässe gehen (vgl. dazu Ernert, in: Staebe, ERegG, § 55, Rn . 14; ähnlich Müller, in: Kühling/Otte, AEG/ERegG, § 55, Rn. 103). 12

Es ist zudem in den Blick zu nehmen, welche Zwecke im Regelfall mit der Anwendung des § 55 Abs. 3-5 ERegG verfolgt werden. Die Begründung zum Gesetzentwurf des § 55 Abs. 3 ERegG verweist auf „übergeordnete Gründe" (vg l. dazu BT-Drs. 18/8334, S. 213 f.): „Zur Steuerung der Nachfrage können Wegeentgelte einen Entgeltbestandteil umfassen, der die Knappheit der Schienenwegkapazität in Zeiten der Überlas- tung durch Entgelterhöhungen widerspiegelt. Sofern diese Ausdifferenzierung nicht zu einem befriedigenden Ergebnis führt, können Vorrangkriterien Anwen- dung finden, die in den Schienennetz-Nutzungsbedingungen festzulegen sind. Diese Vorrangkriterien können sich von den Vorrangkriterien im Streitbeilegungs- verfahren gemäß § 52 Absatz 7 unterscheiden, da sich die Zielrichtungen der beiden Verfahren unterscheiden. Im Streitbeifegungsverfahren geht es grund~ sätzlich darum, ob eine Trasse zu einem bestimmten Zeitpunkt erlangt werden kann. Im Verfahren zu den überlasteten Schienenwegen geht es darum, ob über- haupt eine Trasse zur Verfügung steht. Bei der Frage, ob ein Verkehr generell nicht durchgeführt werden kann, können auch übergeordnete Gründe eine Rolle spielen (s. Absatz 4). Sofern Anträge nur im geringen Maße nicht berücksichtigt werden können, ist noch nicht von einem überlasteten Schienenweg auszuge- hen. "

Dies spricht dafür, dass es bei der Anwendung der Vorrangkriterien gerade nicht vorrangig um eine Erhöhung der Kapazität geht. Es geht vielmehr um eine Optimierung der Auswahlent- scheidung, für welche Verkehre aus übergeordneter Sicht (knappe) Kapazität zur Verfügung gestellt werden soll. Insofern zeigt die Vorschrift des § 55 Abs. 7 Satz 3 ERegG, dass das Instrument der Vorrangkriterien auch im Rahmen des § 55 Abs. 7 ERegG nicht zur quantitati- ven Optimierung (also zur stärkeren Befriedigung der gegebenen Nachfrage der Zugangsbe- rechtigten), sondern zur qualitativen Optimierung des Verkehrsdienstemixes unter dem Ge- sichtspunkt des gesellschaftlichen Nutzens gedacht ist.

Gleichzeitig ist im Auge zu behalten, dass § 55 Abs. 7 ERegG allein durch Aufgabenträger aktiviert werden kann. Da der Aufgabenbereich der Aufgabenträger sich in Deutschland auf den SPNV begrenzt, hat die Vorschrift eine klare Ausrichtung auf die Interessen des SPNV. Sie befindet sich damit in einer erkennbaren Nähe zu § 52 Abs. 8 S. 2 ERegG, wonach der Betreiber der Schienenwege bei einer Entscheidung zwischen vertakteten Verkehren und an- deren Verkehren abweichend von den übrigen Regelungen des Streitbeilegungsverfahrens dem vertakteten SPNV Vorrang gewähren kann (d ie Vorschrift dient dazu, öffentliche Haus- halte nicht zwingend in das Höchstpreisverfahren mit einzubeziehen, vgl. BT-Drs. 249/05, S. 45). Der grundsätzlich ins Ermessen des Betreibers der Schienenwege gestellte Vorrang für vertaktete Nahverkehre in § 52 Abs. 8 S. 2 ERegG kann sich auf überlasteten Schienenwegen zu einem zwingenden Vorrang für Nahverkehre verdichten, wenn dies zur volkswirtschaftlich sinnvollen Verkehrsallokation notwendig ist. Bestätigt wird dieser Befund auch durch das Regelbeispiel in§ 55 Abs. 7 S. 3 ERegG. Danach sollen Fälle besonderer Dringlichkeit insbesondere dann gegeben sein, wenn die Funktions- fähigkeit eingerichteter Taktsysteme im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr unmittelbar gefährdet ist. Auch hier stellt die Norm ihre Ausrichtung auf den Schutz von SPNV-Verkehren klar. Im Ergebnis ist nach Auffassung der Beschlusskammer der Gesetzeswortlaut „Verpflichtung zur Beseitigung der Überlastung" als ,,Verpflichtung zur Beseitigung der Überlastungsfolgen, soweit diese in einer suboptimalen Erfüllung der gesellschaftlichen Nutzenfunktionen der ver- schiedenen Verkehrsdienste zu Lasten des SPNV bestehen" zu verstehen. Entscheidend ist 13 dabei die Suboptimalität des Gesamtgefüges. Das Gesamtgefüge ist nicht allein deshalb sub- optimal, weil nicht alle Bedarfe des SPNV befriedigt werden. Vielmehr liegt, wie das Regelbei- spiel des § 55 Abs. 7 S. 3 ERegG deutlich macht, eine verpflichtungsauslösende Schieflage im Verkehrsartenmix erst vor, wenn die fehlenden Trassen die SPNV-Verkehre in ihrer Funk- tionalität erheblich - etwa in Form einer unmittelbaren Gefährdung der Funktionsfähigkeit ein- gerichteter ÖPNV-Taktsysteme - beeinträchtigen.

11.3.3.2 Eignung der beantragten Verpflichtung zur Erreichung dieses Zwecks Die Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien ist allerdings im konkreten Fall bereits nicht geeignet und damit auch nicht erforderlich, um eine sich im Gesamtgefüge ergebende erhebliche Beeinträchtigung von SPNV-Funktionalitäten zu beseitigen. Denn es fehlt es bereits an einer erheblichen Beeinträchtigung der SPNV-Verkehre, die aus dem Verkehrsartenmix auf der betroffenen Strecke herrühren würde. Einmal liegt keine unmittelbare Gefährdung eines eingerichteten Taktsystems im Sinne des Regelbeispiels in§ 55 Abs. 7 S. 3 ERegG vor, d. h. die mangelhafte Bedienung auf dem überlasteten Streckenabschnitt gefährdet nicht das im Umfeld eingerichtete Taktsystem (dazu unter 11.3.3.2.1 ). Es liegen auch keine weiteren Um- stände vor, die die Eignung der beantragten Verpflichtung zur Erreichung des Zwecks belegen (dazu unter 11.3.3.2.2).

11.3.3.2.1 Gefährdung eines eingerichteten Taktsystems im SPNV Die Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien ist einmal nicht deswegen zur Errei- chung des mit§ 55 Abs. 7 ERegG verfolgten Ziels geeignet, weil die Funktionsfähigkeit eines eingerichteten Taktsystems im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr gefährdet wäre. Gemäß § 55 Abs. 7 Satz 1 ERegG soll die Regulierungsbehörde dem Betreiber der Schienen- wege aufgeben, Vorrangkriterien im Sinne der Absätze 4 und 5 aufzustellen und zu veröffent- lichen, soweit dies zur Beseitigung der Überlastung erforderlich ist. Die Geeignetheit und Er- forderlichkeit ist dabei indiziert, soweit die Funktionsfähigkeit eingerichteter Taktsysteme im öffentlichen Schienenpersonennahverkehr unmittelbar gefährdet ist. Das ergibt sich aus einer im Wege der systematischen Auslegung ergänzenden Heranziehung des§ 55 Abs. 7 Satz 3 ERegG. Diese Vorschrift soll das (im Rahmen des § 55 Abs. 7 Satz 1 ERegG gebundene) Ermessen der Regulierungsbehörde leiten. Das ergibt sich auch aus der Begründung des Ge- setzentwurfes, wonach Satz 3 Fälle besonderer Dringlichkeit und damit Fallkonstellationen benennt, in denen die Regulierungsbehörde tätig werden soll (vgl. BT-Drs. 18/9099, S. 26). Satz 3 übernimmt damit die Funktion eines Regelbeispiels, bei dessen Vorliegen ein Tätigwer- den der Regulierungsbehörde indiziert ist. Vorliegend besteht zwar ein eingerichtetes Taktsystem, dieses wird aber in seiner Funktions- fähigkeit nicht gefährdet. Der Begriff Taktsystem wird gesetzlich nicht erläutert. Er ähnelt dem Begriff des vertakteten Verkehrs, wie er in § 1 Abs. 23 ERegG definiert ist. Nach dieser Regelung liegt ein vertakteter Verkehr vor, wenn ein Eisenbahnverkehrsdienst grundsätzlich auf demselben Weg am selben Tag mindestens viermal und höchstens in zweistündigem Abstand grundsätzlich zur gleichen Minute durchgeführt wird. § 1 Abs. 23 ERegG fokussiert mithin einen einzelnen Verkehr. Der Begriff des Taktsystems hebt sich hiervon dahingehend ab, dass ein systematisches Zusam- menwirken mehrerer Bestandteile erforderlich ist. Ein Taktsystem im öffentlichen Schienen- 14 personennahverkehr zeichnet sich dadurch aus, dass mehrere Linien im Schienenpersonen- nahverkehr in einem oder mehreren Knoten in der Weise verknüpft sind, dass Anschlüsse und durchgehende Reiseketten hergestellt werden. Ein solches Taktsystem hat auch die Antragstellerin eingerichtet, wie sich nicht zuletzt aus der Darstellung des Verbundnetzes ergibt.

Abbildung 1: VRR-Schnellverkehrsplan 20201

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Zwar weist die Darstellung nicht aus, in welchem Umfang die verschiedenen Linien miteinan- der verknüpft sind. Jedoch ist bereits aus der Vielzahl der durch Stationshalte verknüpften Linien erkennbar, dass die Linien auch faktisch so verknüpft sind, dass sie Umstiegsverbin- dungen gewährleisten und hierdurch Reiseketten herstellen. Das bestehende Taktsystem wird aber durch die drohenden Haltausfälle nicht in seiner Funk- tionsfähigkeit gefährdet. Die Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit eines Taktsystems setzt zunächst die Beeinträch- tigung des systematischen Zusammenwirkens mehrerer Linien voraus, die zur Folge hat, dass Anschlüsse nicht mehr hergestellt und Reiseketten nicht mehr angeboten werden können. Zu- dem muss die Einwirkung der Überlastung so stark sein, dass nicht mehr nur eine Beeinträch- tigung des Taktsystems gegeben ist, sondern dessen Funktionsfähigkeit gefährdet ist. Dabei geht die Beschlusskammer davon aus, dass es nicht der Gefährdung des gesamten angebo- tenen Taktsystems bedarf, sondern auch die Gefährdung einzelner Teile des Taktsystems ausreichend ist.

1 Quelle: https://www.vrr.de/de/fahrplan-mobililaet/stadt-linien-netzplaene/ - zu letzt au fgerufen am 05.10.2020; für eine Darstellung unter Einbeziehung der Taktzeiten vgl. https://www.kcitf-nrw.de/filead- min/03_KC_Seiten/KCITF/Service/NRW_ 2020 _ ITF.pdf. 15

Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Entscheidung darüber, welcher konkrete Maßstab an die Gefährdung der Funktionsfähigkeit anzusetzen ist. Eine Gefährdung der Funktionsfä- higkeit scheidet jedenfalls aus, wenn die Beeinträchtigung durch die Überlastung so gering ist, dass ein so geringer Anteil an Fahrgästen oder Verbindungen betroffen ist, dass in der Ge- samtschau nur eine geringe Beeinträchtigung des Taktsystems festzustellen ist.

Im konkreten Fall sollen bei vier Fahrten der Linie RB 40 die werktä~lichen Halte in Essen- Kray Süd (und Wattenseheid) entfallen. Bei einer weiteren Zugfahrt sind an Samstagen und Sonntagen keine Halte möglich. Im Übrigen kann die Linie jedoch wie geplant verkehren, und auch bei den betroffenen vier bzw. fünf Zügen ist nicht erkennbar, dass das Taktsystem ins- gesamt in Frage gestellt wird. Die Anschlüsse in den Taktknoten werden in diesem Fall nicht in Frage gestellt. Daher liegt auch keine unmittelbare Gefährdung eines eingerichteten Takt- systems vor.

11.3.3.2.2 Fehlende Eignung im Übrigen Auch die weiteren Umstände des Einzelfalls führen nicht zu dem Ergebnis, dass eine Ver- pflichtung der Antragsgegnerin zur Aufstellung von Vorrangkriterien zur Erreichung des ge- setzlichen Ziels geeignet wäre. Angesichts des Regelbeispiels in § 55 Abs. 7 Satz 3 ERegG sind daran aus Sicht der Beschlusskammer vergleichsweise hohe Anforderungen zu stellen. Dafür spricht auch, dass die Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien massive Aus- wirkungen auf die anderen Verkehrsdienste in zeitlicher Hinsicht zur Folge haben könnte. Die weiteren Umstände müssten also in ihren Auswirkungen der unmittelbaren Gefährdung eines eingerichteten Taktsystems vergleichbar sein. Diese Schwelle wird vorliegend nicht erreicht. Das ergibt sich einerseits daraus, dass Alternativen zu dem Haltepunkt Essen-Kray Süd be- stehen (dazu unter 11.3.3.2.2.1) und andererseits die Auswirkungen der Haltausfälle hinsicht- lich der Zahl der betroffenen Reisenden begrenzt sind (dazu unter 11.3.3.2.2.2). Zudem sind die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Lösungsansätze gegeneinander abzuwägen (dazu unter 11.3.3.2.2.3).

11.3.3.2.2.1 Alternativen zum Haltepunkt Essen'-Kray Süd Es bestehen Alternativen zum Haltepunkt Essen-Kray Süd. Der Haltepunkt Essen-Kray Süd liegt im östlichen Stadtgebiet von Essen. Das Stadtzentrum ist ca. 2 km entfernt. In diesem Gebiet liegen insgesamt drei Schienenwege, die vom Essener Hauptbahnhof in Richtung Osten führen und Haltepunkte in der näheren Umgebung von Es- sen-Kray Süd aufweisen. Südlich verläuft ein vorwiegend von der S-Bahn befahrener Schie- nenweg in Richtung Bochum. An diesem Schienenweg liegt der Haltepunkt Essen-Steele in ca . 1 km Entfernung von Essen-Kray Süd. Dieser Haltepunkt wird von mehreren Linien in kur- zen zeitlichen Abständen bedient. Nördlich des Haltepunkts Essen-Kray Süd liegt mit Essen- Kray Nord ein weiterer Haltepunkt an einem von Essen Hbf nach Gelsenkirchen führenden Schienenweg. Die Entfernung beträgt rund 1,3 km. An diesem Haltepunkt verkehrt eine S- Bahn-Linie, die den Haltepunkt stündlich bedient. Daneben bestehen im Umfeld des Halte- punkts Essen-Kray Süd weitere Fahrtmöglichkeiten im innerstädtischen Öffentlichen Perso- nennahverkehr. Die Haltepunkte Essen-Steele und in geringerem Umfang auch Essen-Kray Nord stellen Al- ternativen zu den in Essen-Kray Süd ausfallenden Halten dar. Dabei ist allerdings zwischen 16

Fahrten von und nach Essen-Kray Süd aus bzw. in Richtung Westen und Richtung Osten zu unterscheiden. Für Fahrten in und aus Richtung Westen stellt Essen Hbf den einzig verbleibenden Verkehrs- halt der Linie RB 40 dar. Für diese Fahrten bestehen mehrere Alternativen, weil auch von den Haltepunkten Essen-Steele und Essen-Kray Nord der Essener Hbf angefahren wird. Zusätz- lich bestehen weitere Alternativen im innerstädtischen Nahverkehr. Die alternativen Haltestel- len sind dabei in Abhängigkeit von dem jeweiligen Standort fußläufig, mit dem Fahrrad oder auch öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Zum Teil weisen die Alternativen sogar eine häu- figere Bedienung auf, als sie am Haltepunkt Essen-Kray Süd angeboten wird. Für Fahrten in und aus Richtung Osten bestehen dagegen weniger Alternativen zum Halte- punkt Essen-Kray Süd bei Fahrten mit der Linie RB 40. Nach Auffassung der Beschlusskam- mer kann jedoch auch hier der Haltepunkt Essen-Steele eine Alternative darstellen. Nach Bo- chum Hbf bestehen im laufenden Fahrplan vier Verbindungen pro Stunde. Für den weiteren Linienverlauf der RB 40 nach Hagen werden mit einem Umstieg in Bochum zwei Verbindungen pro Stunde ausgegeben. Die Reisezeit beträgt dabei mit 48 Minuten gegenüber 36 Minuten mit der RB 40 eine Verlängerung um 12 Minuten, was die Beschlusskammer noch als zumut- bar bewertet. Aufgrund der bestehenden Alternativen ist die Beschlusskammer nicht der Auf- fassung, dass die Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien geeignet und erforderlich ist, um eine ausreichende Bedienung im SPNV sicherzustellen.

11.3.3.2.2.2 Fehlende Eignung aufgrund vergleichsweise geringer Reisendenzahlen Die auf den Haltepunkt Essen-Kray Süd entfallenden Reisendenzahlen sind so gering, dass unter Berücksichtigung der bestehenden Alternativen eine Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien nicht erforderlich ist. Nach Angaben der Antragstellerin nutzen durchschnittlich 763 Aus- und Einsteiger den Halte- punkt Essen-Kray Süd pro Tag. Dabei entfallen 365 Ein- und Aussteiger auf die Fahrten von und nach Essen Hbf und 398 Ein- und Aussteiger auf Fahrten in und aus Richtung Hagen. Dabei ist der Antragstellerin zuzugeben, dass auch die kurze Relation von und nach Essen Hbf Reisendenzahlen aufweist, die an den längeren Linienverlauf in Richtung Bochum und Hagen nahezu heranreichen. Insofern weist die Verbindung von Essen-Kray Süd in und aus Richtung Essen Hbf trotz der bestehenden Alternativen einen Nutzen für die Reisenden auf. Für beide Verbindungen gilt jedoch, dass die Reisendenzahlen auf die ausfallenden Halte zu beziehen sind. Dazu konnte die Antragstellerin keine Daten vorlegen. Die Beschlusskammer hat dazu die Anzahl der täglichen Fahrten der RB 40 zugrunde gelegt. Im laufenden Fahrplan verkehrt die RB 40 stündlich mit Ausnahme einer nächtlichen Betriebsruhe von vier Fahrten zwischen 0 und 5 Uhr. Wenn man eine theoretische durchschnittliche Nutzung der Fahrten der RB 40 unterstellt, würden auf jeden Halt in Essen-Kray Süd rund 38 Ein- und Aussteiger ent- fallen. Bei vier entfallenden Halten pro Werktag ergäbe sich eine Zahl von 152 Reisenden. Selbst wenn man berücksichtigt, dass sich die Reisendenzahlen nicht gleichförmig über den Tag verteilen und die ausfallenden Halte um 11:11, 13:11, 15:11und17:11 höhere Reisen- denzahlen aufweisen dürften als in den Tagesrandlagen, ergibt sich in Anbetracht der beste- henden Alternativen keine Eignung zur Erreichung der gesetzlichen Ziele im Hinblick auf eine Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien. 17

11.3.3.2.2.3 Fehlende Eignung im Hinblick auf die durch die Haltausfälle ermöglichte zusätzliche Trasse sowie die unterbliebene Verschiebung von fünf Fahrten um acht Minuten Aus Sicht der Beschlusskammer ist eine Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien auch deshalb nicht erforderlich, weil den Haltausfällen ein Nutzen in Form einer zusätzlichen Trasse zwischen Essen und Dortmund gegenübersteht. Allein die Halte der RB 40 in Essen-Kray Süd und in Wattenseheid nehmen so viel Schienen- wegkapazität in Anspruch, dass durch die Auslassung dieser Halte eine zusätzliche Trasse eingeplant werden kann. Bei einer Abwägung der verschiedenen Belange, wie sie im Falle einer behördlichen Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien zumindest generell vor- zunehmen wäre, wären diese Umstände in die Betrachtung einzustellen. Dabei geht die Be- schlusskammer davon aus, dass eine zusätzliche Trasse im konkreten Fall gegenüber den Haltausfällen einen höheren Nutzen bietet. Dafür spricht schon ein Vergleich der betroffenen Reisendenzahlen: Mit einer zusätzlichen Zugfahrt können je nach den konkreten Umständen mehrere Hundert Reisende befördert werden. Die Haltausfälle betreffen dagegen im vorlie- genden Fall deutlich geringere Zahlen und können durch Alternativen kompensiert werden. Ohne die Möglichkeit, durch das Auslassen einzelner Halte zusätzliche Trassen zu konstruie- ren, könnte ein vergleichbarer Nutzen zudem nur durch einen aufwändigen Ausbau ermöglicht werden. Dabei kommt es aus Sicht der Beschlusskammer jedoch auf die Umstände des kon- kreten Einzelfalls an. Vorliegend ist zudem darauf hinzuweisen, dass die zusätzliche Trasse nicht notwendigerweise (wie. im vorliegenden Fall) eine Trasse des SPFV sein muss. Es kann sich dabei auch um eine schnellere Trasse des SPNV handeln. Nach Kenntnis der Beschlusskammer beabsichtigt die Antragstellerin mittelfristig selbst, die Bedienung des Haltepunkts Essen-Kray Süd aufzuge- ben, um auf dem Schienenweg zusätzliche Trassen für den Rhein-Ruhr-Express zu ermögli- chen. Im Zuge dieses Konzeptes soll die derzeitige RB 40 über den Haltepunkt Essen-Steele nach Bochum und Hagen geführt werden. Voraussetzung dafür ist der Bau einer Verbindungs- kurve in Bochum-Langendreer, die die direkte Führung dieser Verbindung ermöglicht. Ein Planfeststellungsbeschluss zum Bau der (vorerst eingleisigen) Verbindungskurve ist am 30.12.2019 ergangen. Zudem spricht auch der Umstand, dass die Antragstellerin sich gegen die von der Antrags- gegnerin als umsetzbar angesehene Verschiebung von fünf der sechs Fahrten der RB 40 um acht Minuten ausgesprochen hat, gegen die Erforderlichkeit einer Verpflichtung der Antrags- gegnerin zur Aufstellung von Vorrangkriterien. Diese Verschiebung hätte zwar zu weiteren Nachteilen durch die Taktabweichung geführt und Anschlussverbindungen in Frage gestellt. Wenn die Antragstellerin der Bed ienung von Essen-Kray Süd eine überragende Bedeutung beigemessen hätte, hätte sie diese Nachteile ggf. in Kauf nehmen müssen.

11.3.3.3 Alternativvorschlag begründet ebenfalls keine Erforderlichkeit Der Alternativvorschlag in Form der Verschiebung von fünf Fahrten der RB 40 um acht Minuten führt ebenfalls nicht dazu, dass eine Verpflichtung zur Aufstellung von Vorrangkriterien durch die Beschlusskammer geeignet und erforderlich ist. Das ergibt sich bereits daraus, dass dieser Lösungsvorschlag nur alternativ zu dem Ausgangs- fall, nämlich den Haltausfällen von (ursprünglich) sechs Fahrten der RB 40 in Essen-Kray Süd , hinzutritt. Wenn bereits der Ausgangsfall nicht die Eignung und Erforderlichkeit zu begründen 18 vermag, kann dies auch nicht durch eine alternative Lösungsmöglichkeit erfolgen. Eine Ver- pflichtung der Antragsgegnerin wäre in diesem Fall nicht das mildeste geeignete Mittel. Inso- fern ist die Frage, ob die alternative Verschiebung von fünf der sechs Fahrten um acht Minuten die Eignung und Erforderlichkeit zu begründen vermag sowie eine unmittelbare Gefährdung eines eingerichteten Taktsystems darstellen würde, durch die Beschlusskammer nicht zu ent- scheiden.

Hinweis zu den Gebühren Gemäß § 69 ERegG erhebt die Regulierungsbehörde für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen Gebühren und Auslagen. Die Geltendmachung der Gebühren erfolgt nach § 77 Abs. 1 Satz 2 ERegG in einem gesonderten Bescheid. Mit E-Mail vom 24.05.2019 hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur die Verbändeanhörung zu einem Ent- wurf einer Besonderen Gebührenverordnung für individuell zurechenbare öffentliche Leistun- gen im Bereich der Eisenbahnregulierung (EReg-BGebV) eingeleitet. Dem Entwurf ist eine Anlage mit dem Gebührenverzeichnis beigefügt. § 5 des Entwurfs enthält unter der Überschrift „Alt-Sachverhalte" folgenden Regelungsvorschlag: „Für Sachverhalte, die nach dem 2. Sep- tember 2016 und vor dem ... [einsetzen: Datum des lnkrafttretens dieser Verordnung nach Artikel 3] entstanden sind, gilt die Anlage mit Wirkung ab dem (einsetzen: Datum des Beginns der Verbändeanhörung)." Dementsprechend werden für den vorliegenden Beschluss voraus- sichtlich Gebühren erhoben werden.

Rechtsbehelfsbelehrung Gegen diesen Beschluss kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage bei dem Ver- waltungsgericht Köln, Appellhofplatz 1, 50667 Köln erhoben werden.

Bonn, den 21.10.2020

Vorsitzender Beisitzer Beisitzer

Dr. Geers Kirchhartz Krick