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Besprechungen

Vorgeschichte

Manfred K.H. Eggert, Archäologie. Grundzüge einer geht er dann auf die traditionelle Differenzierung zwi- Historischen Kulturwissenschaft. Verlag A. Francke, schen Geistes- und Naturwissenschaften ein. Dabei stellt Tübingen und Basel 2006. XIV sowie 305 Seiten, 27 sich für ihn heraus, dass diese Dichotomie noch immer Abbildungen. sowohl die gängige administrative Praxis als auch die Diskussion innerhalb der Fächer und zwischen ihnen Die Auseinandersetzung mit den eigenen theoretisch- bestimmt. Die Frage, zu welcher dieser idealtypischen methodischen Grundlagen bildet einen wichtigen Be- Kategorisierungen die Archäologien zu rechnen seien, standteil jeder wissenschaftlichen Disziplin. Innerhalb beantwortet Eggert mit einer eindeutigen Zuweisung an der deutschsprachigen Archäologie gehört der Tübinger die Geisteswissenschaften. Wenn auch zahlreichen na- Professor Manfred Eggert zweifellos zu den Forschern, turwissenschaftlichen Verfahren in der modernen For- die diese Diskussion maßgeblich gefördert haben. Bei schung eine Schlüsselrolle zukommt, bleibt die zentrale seiner Arbeit ›Prähistorische Archäologie‹ von 2001 Fragestellung der archäologischen Fächer letzt endlich steht die Einführung in Konzepte und Methoden der historischer beziehungsweise kulturhistorischer Art. Prähistorischen Archäologie – letztere vorwiegend nicht In Kapitel III warnt Verfasser vor der Gefahr, die his- naturwissenschaftlich – im Vordergrund. Das vorlie- torische Aussagekraft der Archäologie mit der Qualität gende Werk ist dagegen darauf angelegt, die Archäolo- und Quantität ihrer Quellenbasis gleichzusetzen. Daher gie als historische Kulturwissenschaft zu umreißen und sei die noch immer weit verbreitete Bezeichnung als ihre Rolle sowie ihr Potential im Rahmen der histori- ›Wissenschaft des Spatens‹ unbefriedigend und reduk- schen Fächer zu bestimmen. Damit soll laut Verfasser tionistisch, ein Standpunkt, dem sich Rezensent an- ein Beitrag zur Entwicklung einer ›Archäologik‹ geleis- schließt. Dies sollte jedoch meines Erachtens keineswegs tet werden. Diese versteht er als archäologisches Gegen- mit dem – besonders von Anhängern der postprozes- stück zu den in der Geschichtswissenschaft unter nom- sualen Archäologie vertretenen – Ansatz verwechselt menen Bemühungen um eine ›Historik‹, das heißt um werden, nach dem für die Verbesserung des For- eine »Reflexion des historischen Denkens, durch die schungsstandes primär nicht neues Quellenmaterial, dessen Verfassung als Fachwissenschaft in den Blick sondern neue Theorien und Methoden erforderlich kommt« (S. 198). seien. Es geht vielmehr um eine ›theoriegeleitete‹ Quel- Das Werk umfasst insgesamt vierzehn Kapitel, die in lenerschließung, in der Empirie und Theorie in einem drei große Abschnitte gruppiert werden können. Nach dialektischen Verhältnis zueinander stehen. einigen einführenden Gedanken zur Fragestellung und Nach diesen einführenden Kapiteln erfolgt die sys - Struktur des Buches, sowie zu Aspekten wie dem Ver- tematische Darstellung der verschiedenen archäologi- hältnis der Archäologie zu den Naturwissenschaften schen Einzelfächer, deren Anordnung der zeitlichen oder zur Stellung der Feldarchäologie, liefern die Kapi- Tiefe ihres Forschungsgegenstandes entspricht: Prähis- tel IV bis X eine Darstellung der an deutschsprachigen torische, Vorderasiatische, Biblische, Klassische, Provin- Universitäten gelehrten archäologischen Einzelfächer. zialrömische, Christliche und Mittelalterliche Archäolo- Schließlich behandeln die letzten Kapitel grundsätz - gie. Dabei liegt der Schwerpunkt, wie zu erwarten, in liche Aspekte einer historisch-kulturwissenschaftlichen der Prähistorischen und der Klassischen Archäologie. Archäologiekonzeption. Etwas überraschend erscheint hingegen die Tatsache, Zu Beginn des Buches werden zunächst Zielsetzung dass die Ägyptologie bei dieser Analyse nicht berück- und Aufbau der Arbeit umrissen. Ferner erläutert Ver- sichtigt worden ist, eine Entscheidung, die Verfasser mit fasser Begriffe wie ›Archäologie‹ und ›Archäologien‹ ihrem als Universitätsfach vorwiegend philologischen oder ›Fach‹ und ›Disziplin‹. Im folgenden Kapitel II Charakter erklärt. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 294

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Zusammenfassend soll durch die Einzelanalysen die Schlüsselrolle in der Etablierung der archäo-lo gischen Vielfalt und zugleich die Einheit der Archäologie erörtert Disziplin (z. B. (S. L. Dyson, In Pursuit of Ancient und vergleichend analysiert werden. Die Herausarbei- Pasts. A History of Classical Archaeology in the Nine- tung der konzeptuellen Grundlagen und der Arbeits- teenth and Twentieth Centuries [New Haven 2006]) weise der verschiedenen Fächer steht dabei im Mittel- zum Teil auch Kritik auf Grund seiner traditionellen punkt des Interesses. Um den vergleichenden Charak- kunsthistorischen Prägung erhalten hat. Der Verfasser ter dieser Analyse zu erleichtern, folgen Kapitel IV bis X bemängelt zwar die aus der Fachtradition resultieren- einem einheitlichen Schema, was allerdings gelegentlich den Beschränkungen, stellt aber gleichzeitig auch eine zu Wiederholungen führt, die an manchen Stellen die ganze Reihe von Ansätzen vor, die auf eine Erweiterung Lektüre etwas langatmig erscheinen lassen können. der methodischen und theoretischen Grundlagen zie- Wie bereits angedeutet, beginnt der Verfasser mit len. Gerade hier wäre aber eine knappe vergleichende der deutschsprachigen Prähistorischen Archäologie. Bei Darstellung der Entwicklung im englischsprachigen der Erläuterung ihrer Forschungsgeschichte befasst er Raum von Nutzen gewesen. Schließlich plädiert Eggert sich vorwiegend mit den beiden Grundtendenzen, die für eine umfassend kulturwissenschaftliche Ausrich- die Entwicklungsphase des Faches prägten. Dabei steht tung des Faches. Die Öffnung für sozialgeschichtliche Rudolf Virchow exemplarisch für den naturwissen- Fragestellungen signalisiert für ihn einen ersten Schritt schaftlichen, Gustaf Kossinna für den historisierenden in diese Richtung (S. 132). Ansatz. Die Instrumentalisierung der Archäologie im Das achte Kapitel gilt der Provinzialrömischen Ar- Dritten Reich bleibt dagegen so gut wie unbeachtet. chäologie, deren historische Rahmenbedingungen zum Hier wäre, wie auch später im Fall der Klassischen einen durch die literarischen, zum andern durch die Archäologie, eine ausführlichere Auseinandersetzung epigraphischen und numismatischen Zeugnisse be- wünschenswert gewesen (vgl. z. B. J.-P. Legendre u. a. stimmt werden. Dennoch ist das Potential dieses Faches [Hrsg.], L’archéologie nazie en Europe de l’Ouest [Paris in Bezug auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen ar- 2007]; A. Leube [Hrsg.], Prähistorie und Nationalsozia- chäologischen und schriftlichen Quellen bei weitem lismus [Heidelberg 2002]). Nach einer knappen – in noch nicht ausgeschöpft. Im folgenden Kapitel IX setzt allen Kapiteln vorhandenen – Darstellung von Aspek- sich Verfasser mit der Christlichen Archäologie ausein- ten wie Forschungsgegenstand, Arbeitsrahmen und ander. Diese sollte sich seines Erachtens nicht in eine Quellen befasst sich Eggert dann mit den konzeptuellen ›Archäologie der Spätantike und des Mittelalters‹ ver- Grundlagen und der Arbeitsweise des Faches, deren Er- wandeln, sondern weiterhin ihre Nähe zur Kirchenge- örterung er am Beispiel von Sophus Müller und Her- schichte als Stärke betrachten (S. 168–169). Schließlich mann Müller-Karpe durchführt. Dabei verwundert es endet die Erörterung der verschiedenen Einzelfächer in nicht, dass er trotz der Fortschritte der letzten Jahr- Kapitel X mit der Archäologie des Mittelalters, die in zehnte die fehlende Tradition in der Reflexion über Deutschland in allererster Linie an den Landesdenk- Theorie- und Methodenfragen bemängelt. Wie der rus- malämtern vertreten ist. Ungeachtet der Geringschät- sische Archäologe Leo S. Klejn (Is German Archaeology zung vieler Historiker hat dieses Fach die traditionellen Atheoretical? Norwegian Arch. Rev. 26/1, 1993, 49–54) Vorstellungen vom mittelalterlichen Leben grundlegend bemerkt, hat diese Zurückhaltung allerdings nicht die differenziert und erweitert. Entwicklung von einigen durchaus interessanten Bei- Die Ergebnisse der verschiedenen Einzelbetrachtun- trägen zu theoretisch-methodischen Fragen verhindert, gen werden anschließend im elften Kapitel (»Grund- wenngleich diese meistens nicht als solche explizit for- züge der Archäologie«) zusammengefasst. Wie dieser muliert wurden. Überblick zeigt, handelt es sich bei der Archäologie Deutlich kürzer fällt Kapitel V aus, welches der Vor - um eine außerordentlich differenzierte Wissenschaft. derasiatischen Archäologie gewidmet ist. Die beträcht- Gleichzeitig kann aber auch eine Reihe von verbinden- liche zeitliche Ausweitung ihres Arbeitsfeldes stellt eine den Elementen ausgemacht werden. Dabei nennt Ver- der wichtigsten Entwicklungen dieses Faches während fasser das historische Anliegen, den besonderen Char- der letzten Jahrzehnte dar. Dagegen finden sich laut Ver- akter der Quellen, die darauf abgestimmte Methodik fasser noch wenige grundsätzliche Beiträge, die über das und Deutung sowie die gering entwickelte Neigung zu eigene wissenschaftliche Handeln reflek tieren. Gleiches expliziter Theoriebildung. gilt auch für die danach folgende Bib lische Archäolo- Ausgehend von einer Auffassung der Archäologien gie (Kapitel VI), die trotz aller Selbstständigkeit noch als historische Wissenschaften behandelt der Verfasser immer einen erheblichen Einfluss der Wissenschaft vom in Kapitel XII und XIII das Verhältnis von »Archäologie Alten Testament aufweist. Nur am Rande sei bemerkt, und Historie« sowie von »Archäologie und Kulturwis- dass angesichts der Schwierigkeiten, die sich für beide senschaft«. Als erstes werden die Gemeinsamkeiten und Fächer auf Grund der aktuellen politischen Lage im Unterschiede von Historie und Archäologie auf der Nahen Osten ergeben, ein kurzer Hinweis auf diese Pro- Basis der von Jörn Rüsen für die Geschichtswissen- blematik sicherlich nicht fehl am Platze gewesen wäre. schaft entworfenen »disziplinären Matrix« vergleichend In Kapitel VII widmet sich der Verfasser der analysiert. Während sich in den Bereichen von »Interes- deutsch sprachigen Klassischen Archäologie, einem Fach, sen lebenspraktischer Art«, »Funktionen der Daseins- das trotz seiner noch heute international gewürdigten orientierung« und – in deutlich geringerem Umfang – 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 295

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»Prämissen der Deutung« Übereinstimmungen finden, logie und Gegenwart beziehungsweise Öffentlichkeit weisen »Methodik« und »Formen der Darstellung« sowie von Geisteswissenschaften und Gegenwart. Den deutliche Unterschiede auf. Allerdings verfügt die Ar- Schwierigkeiten, denen die Geisteswissenschaften in chäologie im Gegensatz zur Geschichtswissenschaft bis- Zeiten klarer Dominanz wirtschaftlicher Interessen lang nicht über eine disziplinäre Matrix, beziehungs- gegenüberstehen, kommt dabei eine wichtige Rolle zu. weise fehlt ihr eine Archäologik. Deren Ausarbeitung Wie Verfasser zu Recht bemerkt, handelt es sich in bedarf nach Verfasser nicht nur eines Nachdenkens in Wirklichkeit allerdings nicht um eine »Krise der Geis - den verschiedenen Einzelfächern sondern auch einer teswissenschaften«, sondern der Gesellschaft bezie- fachübergreifenden Selbstreflexion. hungsweise der öffentlichen Institutionen und ihrer Interessant und in der Darstellung überzeugend ist Wertsetzungen (S. 263). seine Kritik an dem von Hans Jürgen Eggers (Einfüh- Äußerst fragwürdig erscheinen hingegen einige Aus- rung in die Vorgeschichte [München 1959]) geforderten führungen des Autors zum Verhältnis von Archäologie »getrennten Marschieren« der an einer Fragestellung und Gegenwart. Seiner Auffassung nach ist weder die beteiligten Wissenschaften (S. 220–229). Dieses Prinzip, Teilhabe an »gesellschaftlichen Diskursen« noch die das vom Mediävisten ReinhardWenskuserstmals in Frage Zukunftsbewältigung Aufgabe der Archäologie (S. 257). gestellt wurde (in: H.Jankuhn/R.Wenskus [Hrsg.], Ge- Man muss aber nicht unbedingt das von Eggert kriti- schichtswissenschaft und Archäologie. Untersuchungen sierte Prinzip der »archaeologia magistra vitae« vertreten, zur Siedlungs-, Wirtschafts- und Kirchengeschichte um der Ansicht zu sein, dass die Archäologie durchaus [Sigmaringen 1979] 637–657), hat über Jahrzehnte hin in der Lage ist, einen eigenen Beitrag zu gesellschaft- einen großen Einfluss auf die deutschsprachige For- lichen Auseinandersetzungen zu leisten. Im Gegensatz schung ausgeübt. Dennoch erscheinen interdisziplinäre zum Verfasser ist der Rezensent der Meinung, dass die Forschungsansätze, die von vornherein gemeinsame Fra- zeitliche Tiefe der Archäologie es ermöglicht, aktuelle gestellungen und einen ständigen Austausch vorausset- Entwicklungen und Problematiken aus einer Perspek- zen, wesentlich gewinnbringender. Allerdings sollte man tive der ›longue durée‹ zu betrachten und damit kritisch dabei immer berücksichtigen, dass die unterschied- zu analysieren (vgl. z. B. Ch.Scarre, The Human Past. lichen Quellengattungen keineswegs identische Aussa- Retrospect and Prospect. In: ders. [Hrsg.], The Human gen liefern müssen. Past [London 2005] 716–720). Ferner besitzen Bereiche In Kapitel XIII befasst sich Verfasser, wie bereits wie die Archäologie der Gegenwart ein erhebliches Po- angedeutet, mit dem Verhältnis von Archäologie und tential, um sich an heutigen gesellschaftlichen Diskur- Kulturwissenschaft. Er bedauert zunächst das Fehlen sen zu beteiligen (A. González-Ruibal, Time to Destroy. eines metatheoretischen Dialogs und eines übergreifen- An Archaeology of Supermodernity. Current Anthr. den kulturwissenschaftlichen Ansatzes in der deutschen 49/2, 2008, 247–279). Schließlich kann die Archäologie Archäologie. Unter den Schlagwörtern ›cultural turn‹ auch Beiträge zu anderen Kultur- und Sozialwissen- und ›cultural studies‹ werden dann einige der wichtig- schaften leisten (vgl. M.-A. Dobres, Technology and sten Aspekte der kulturwissenschaftlichen Diskussion Social Agency [Oxford 2000]). der letzten Jahre dargestellt. Dabei zeigt sich, dass die Ungeachtet einzelner Kritikpunkte bildet das vorlie- drei für die »Kulturale Wende« als wesentlich erachteten gende Buch einen gelungenen Versuch, die Stellung der methodologischen Punkte von der deutschsprachigen Archäologie als historische Kulturwissenschaft zu um- Archäologie nicht rezipiert worden sind. Die anschlie- reißen. Natürlich wird man in Zukunft weitere Studien ßende Erörterung der Kulturwissenschaft beziehungs- benötigen, um das hier vom Verfasser gegebene Bild er- weise der Kulturwissenschaften liefert die Grundlage, weitern und ergänzen zu können; besonders die Be- auf der Eggert seine Konzeption einer historischen Kul- schränkung auf den deutschen Sprachraum sollte dabei turwissenschaft skizziert. Unter letzterer versteht er jede überwunden werden. Auf jeden Fall erscheinen solche Wissenschaft, die historischer Methodologie folgt und umfassenden Arbeiten in Zeiten unvermeidbarer Spezi- den historischen Menschen und seine kulturellen Her- alisierung und wachsender ökonomischer Zwänge not- vorbringungen in ganzer Breite und Vielfalt erforscht wendiger denn je. Darüber hinaus vermittelt die hier (S. 242). Ziel ist es somit zu zeigen, dass sich indivi- gegebene Darstellung der verschiedenen Einzelfächer duell-historische Beschreibung und Generalisierung einen guten Einblick in die Strukturierung der archäo- nicht ausschließen. Schließlich versucht Verfasser, eini ge logischen Wissenschaft in Deutschland. Aus Sicht der wesentliche Aspekte seiner Auffassung der Archäologie spanischen Forschung, in der das Studium der Archäo- als historische Kulturwissenschaft zu umreißen. Seiner logie bislang nur innerhalb des Gesamtfaches der Ge- Forderung, dass sich die Archäologien immer wieder schichte möglich ist, kann Rezensent die Vielfalt und den auf ihren historischen Auftrag besinnen müssen, kann Spezialisierungsgrad der archäologischen Universitäts- sich Rezensent nur anschließen. Gleiches gilt für das fächer in Deutschland nur begrüßen und als vorbildlich Desiderat, auch traditionelle Fragestellungen aus einem anerkennen. Es bleibt nur zu hoffen, dass trotz finan- transdisziplinär ausgerichteten Blickwinkel zu analy - zieller Kürzungen und Umstrukturierung der Studien- sieren. gänge diese Vielfalt auch in Zukunft bewahrt bleibt. Das letzte Kapitel beinhaltet abschließende Bemer- kungen zu Aspekten wie dem Verhältnis von Archäo - Madrid Manuel A. Fernández-Götz 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 296

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Ute Seidel, Die jungneolithischen Siedlungen von Le- von achtzig Jahren Dauer. Zahlreiche Indizien sprechen onberg-Höfingen, Kr. Böblingen. Mit einem Beitrag aber gegen eine Kontinuität. Ein Argument der Autorin von Ursula Maier. Materialhefte zur Archäologie in ist dabei das Fehlen einzelner Stilphasen der Keramik. Baden-Württemberg Band 69. Konrad Theiss Verlag, Höfingen wird somit zu einem Lehrbeispiel, welche Stuttgart 2004. 692 Seiten, 87 Tafeln, 2 Beilagen. Deutungsmöglichkeiten für neolithische Mineralboden - siedlungen, wo eher ungünstige Erhaltungsbedingun- Im Titel der Publikation, der konventionell gewählt gen vorherrschen, tatsächlich gegeben sind. zu sein scheint, kommt eine sprachliche Nuance zum Das Siedlungsareal von Höfingen-Stelze, heute um- Ausdruck, welche sich für die weitere Neolithikums- benannt in »Ditzinger Straße«, ist bereits seit den zwan- forschung insbesondere des fünften Jahrtausends als ziger Jahren bekannt. Es wurde in der Literatur schon sehr wertvoll erweisen kann. Die Verfasserin behandelt öfters kurz behandelt. Rettungsgrabungen des Landes- nicht etwa eine einzelne Siedlung einer archäologischen denkmalamtes Baden-Württemberg im Vorfeld der Kulturgruppe, sondern ein lokales Siedlungsgefüge. Erschließung eines Industriegebietes führten hier in Dies kontrastiert mit Beiträgen, in denen bis in die den Jahren 1989 bis 1995 zur Freilegung von rund ein- allerjüngste Zeit bei chronologisch und strukturell ver- eindrittel Hektar Fläche mit weit über tausend Einzel- gleichbaren Arealen Südwestdeutschlands jeweils tat- befunden, wobei erstmals ein Siedlungsareal aller bis- sächlich nur von einer einzigen Siedlung die Rede ist. lang in der Region erkannten Epi-Rössener Gruppen Stilwandel wird in diesen Arbeiten dann als chrono - annähernd vollständig freigelegt wurde. lo gisches oder kulturelles Phänomen wahrgenommen, Ute Seidels Werk ist als Dissertation an der Univer- wenn im Fundmaterial erkennbar mehrere der for- sität Tübingen entstanden. Nach »Einleitung und Fra- schungsgeschichtlich bekannten Keramikstile ausge- gestellung« (S. 11 f.) folgen die Beschreibung des regio- prägt sind. Insbesondere die Terminologien von Armin nalen Forschungsstandes (S. 13–32), die Darlegung der Stroh und Jens Lüning sind dabei oft noch maßgebend. Grabungssituation (S. 33–38), eine Analyse der Gruben- Ute Seidel verleiht mit der Untersuchung von mehreren und Hausbefunde – dem Grundanliegen der Arbeit in diachronem Bezug stehenden Niederlassungen einem entsprechend ist unter anderem direkt daran eine Be- neuartigen Forschungskonzept Ausdruck. trachtung der räumlichen und zeitlichen Entwicklung Hier wird in Reinform exemplarisch dargestellt und des Siedlungsareals gekoppelt – (S. 39–118), die Vorlage in seiner Konsequenz erprobt, was die jüngste For- und vergleichende Einordnung von elf Menschenbe- schung für den Neckarraum vorbereitete. In Höfingen stattungen (S. 119–151) sowie die Beschreibung von zwei wird überzeugend die stilistische Entwicklung der Hundebestattungen (S. 152–153). Was die Funde anbe- Keramik nach spätem Winkelbandrössen im Sinne von langt, werden außer der Keramik als im Epi-Rössen Helmut Spatz beziehungsweise nach Rössen II von Jan prominenter Fundkategorie (S. 154–234), die Steinge- Lichardus nachgezeichnet. Die Sequenz der verzierten räte (S. 235–248), die Geräte aus Knochen und Geweih Keramik weist spätes Bischheim, initiales Schwieber- (S. 249–274) und die Schmuckobjekte (S. 275–310) ana- dingen und Schwieberdingen auf, sie mündet in frühes lysiert. In einem weiteren Kapitel (S. 311–317) sind des und klassisches (Neckar-) Schussenried und schließlich Weiteren zehn Radiokarbondaten vom Fundplatz prä- klingt die Verzierungstradition mit spätem Neckar- sentiert und ihr Aussagewert wird eingehend im regio- Schussenried aus, das chronologisch Michelsberg der nalen und überregionalen Zusammenhang untersucht. Stufe III erreicht. Weitere Siedlungsreste am Fundort Es folgt die Zusammenfassung, das umfangreiche Lite- sind der jüngeren Michelsberger Kultur zuzuweisen. raturverzeichnis sowie Ursula Maiers archäobotanische Die Verfasserin zeigt, dass archäologische Methode dem Expertise (S. 346–366). modernen Primat naturwissenschaftlicher Feindatie- Im Anhang sind verschiedene Listen untergebracht, rung durchaus ergänzend zur Seite treten kann. Wenn darunter ein nützlicher Katalog jungneolithischer Be- das Korsett gewohnter Terminologie abgestreift und die stattungen Südwestdeutschlands und angrenzender Analyse zu konsequenter Feindifferenzierung geführt Regionen (S. 390–404), ferner eine Liste von Radiokar- ist, werden Fundmaterialen und Fundkontexte vor dem bondaten (S. 405–410) für Bischheim bis Schussenried Hintergrund der neu gewonnenen Tiefendimension und chronologisch vergleichbaren Erscheinungen in des Neolithikums, welche die Methoden der absoluten Süd- und Westdeutschland und benachbartem Aus- Datierung eröffnen und die inzwischen das Rechnen in land. Hier wären etwa die schon seit längerem bekannten Jahrhunderten, gelegentlich sogar in Dezennien erlau- Bischheimer Daten von Guntersblum, Kreis Mainz- ben, durchaus besser verständlich. Die Verfasserin führt Bingen (U. Eisenhauer / M. Daszkiewicz, Arch. Korrbl. erneut vor, dass Grubenkonzentrationen der Frühkupf- 33, 2003, 167–186) und von einem in der Diskussion um erzeit beziehungsweise des frühen Jungneo lithikums Bischheim häufig übersehenen Befund von Nottuln, Resultate langfristiger, vermutlich aber wohl diskonti- Kreis Coesfeld (J. Eckert, Ausgr. u. Funde Westfalen- nuierlicher Siedlungsaktivitäten sind. In Höfingen sind Lippe 4, 1986, 39–63) zu ergänzen. Die Informationen durch Radiokarbondaten etwa sechshundert Jahre im umfangreichen Katalog der Funde und Befunde Besiedlung zwischen 4400 und 3800 v. Chr. (cal. BC) sind prägnant aufgearbeitet (S. 411–692). Das Fund - nachzuweisen. Die sieben erkannten keramischen Pha- material wird den Kriterien des Landesdenkmalamtes sen teilen diesen Zeitraum schematisch in Abschnitte Baden-Württemberg entsprechend durch Strichzeich- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 297

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nungen qualitätvoll präsentiert. Den Abschluss des auf den Versuch, das Siedlungsareal nach der Struktur Tafelteils bilden zwei Grabungsfotos sowie die Dendro- der unteren Einfüllungsreste von Gruben zu gliedern, gramme der Clusteranalysen nach der Methode von wie dies für Hochdorf unter der Annahme eines ein - Peter Caselitz (Taf. 85–87), die seit 1995 zum Standard zigen Dorfbrandes geschehen ist, obwohl dorteben - bei der Auswertung Epi-Rössener Gefäßformen ent - falls ein erheblicher Erosionsverlust zu verzeichnen wickelt worden ist. Diese statistische Methode hat war: E.Keefer, Hochdorf II. Eine jungsteinzeitliche Sied- den Vorteil, dass Keramik aus mehreren Stationen be- lung der Schussenrieder Kultur. Forsch. u. Ber. z. Vor- ziehungsweise Regionen unabhängig von den Intuitio- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 27 (Stuttgart 1988) nen der Bearbeiter direkt vergleichbar ist. Sehr wichtig 30 ff. Interessant ist die Beobachtung eines Gefäßdepots sind die beiden angefügten Beilagen. Auf der farbig be- in Grube 677, dessen Deutung allerdings unklar ist druckten Beilage 1 sind als Ergebnis der horizontalstra- (S. 44). Die Beschreibung der vier Hausstellen (sog. tigraphischen Auswertung alle in den Gruben des Sied- »Hausplätze«, (S. 51 ff.) ist nicht in allen Punkten über- lungsareals erkannten Keramikstile kartiert. zeugend; sie zeigt die im Epi-Rössen beim Fehlen von in Die sorgfältig recherchierte Arbeit zeigt den Fleiß den Boden eingegrabenen Häusern damit oft verbun - und die akribische Arbeitsweise der Autorin. Insbeson- denen Probleme. Hausplatz 3 ist sehr problematisch. Er dere ihr kritisches methodisches Bewusstsein bezüglich erinnert an jene asymmetrischen, durch Baumwurf ent- des chronologischen Aussagewertes von Verfüllmustern standenen Gebilde, die als Ringgruben bezeichnet wer- und Fundensembles in Siedlungsgruben kommt zum den (S. 54 Abb. 19). Dennoch mögen die Pfostengruben Ausdruck. Ute Seidel ist an der horizontalgraphischen in diesem Bereich auf ein Gebäude hinweisen, das dann Auswertung der Befunde sehr gelegen. Um diese im aber jünger als der Baumwurf ist. Im Bereich von Haus- Kontext verständlich zu machen, ist der Analyse der platz 1 steht Befund 406 wegen seiner runden Form und Siedlungsreste ein umfangreiches Literaturreferat vor- inneren Struktur im Verdacht, ein Baumwurf zu sein angestellt, in dem der Forschungsstand zum frühen (S. 50 Abb. 15). Bei den Hausplätzen 2 und 4 handelt es Jungneolithikum des Neckarraumes erschöpfend dar- sich trotz schlechter Erhaltung wohl um die Überreste gestellt ist. Es wird deutlich, in welchem Maße die For- von in den Untergrund eingetieften Gebäuden, wie sie schungen der achtziger und neunziger Jahre zum diffe- auch andernorts zahlreich dokumentiert sind. Wertvoll renzierten Verständnis dieser Zeit beigetragen haben. ist sodann die systematische Darstellung der Gruben- Im Telegrammstil sind wesentliche Ergebnisse der zahl- überschneidungen (S. 60 Tab. 3), obwohl nur wenige reichen Beiträge wie folgt aufzuführen: Das räumlich Befunde aussagefähiges Fundmaterial liefern. Wichtig erweiterte Konzept der Bischheimer Gruppe, die Auflö- bei der Befundsituation ist zudem die Tatsache, dass sung des Begriffes ›Wauwil‹ zugunsten von mindestens man im Süden des besiedelten Areals eine verlehmte drei verschieden alten taxonomischen Einheiten (Mer- Senke von fünfunddreißig Metern Durchmesser fand, dingen; Bruebach-Oberbergen; Borscht-Inzigkofen), die zur Tongewinnung, zur Abfallbeseitigung und für die Etablierung des Konzeptes der Merdinger Gruppe Bestattungen genutzt wurde. Die Befundsituation in überhaupt, die Erkenntnis des relativ frühen Ausklin- Höfingen wird von der Autorin insgesamt als lineare gens von Neckar-Schussenried am Übergang von Mi- Reihung von Gruben interpretiert und mit der zeilen- chelsberg Stufe II zu III und seine klaren Unterteilungs- parallelen Anordnung von Hausplätzen in Verbindung möglichkeiten, schließlich jene der Südexpansion der gebracht. Michelsberger Kultur in den mittleren Neckarraum, Die breit angelegte Behandlung der elf menschlichen welche durch Fundmaterial ihrer Stufen III und IV an- Skelettfunde – zwei frühadulte Frauen, sechs Kinder gezeigt wird, mit der daraus abzuleitenden Konsequenz, und drei Neugeborene – macht klar, wie sehr das ver - dass jüngeres beziehungsweise spätes Schussenried nur feinerte absolut- und relativchronologische System ein südlich der Schwäbischen Alb verbreitet gewesen sein solches Phänomen in seiner Prägnanz relativiert. Trotz kann. der Tatsache, dass es sich um die größte an einem Ort Im Kapitel »Die Fundstelle« schildert die Autorin bekannte Individuenzahl im Jungneolithikum des den Gang der Ausgrabungen und die üblichen dabei Neckarraumes handelt, ist die Anzahl der Bestattungen aufgetretenen Probleme. Nur im Kontext wird ver- in Relation zur Besiedlungsdauer geradezu als ver- ständlich, dass hier von 1384 Einzelbefunden die Rede schwindend klein zu bezeichnen. Die Gräber, welche ist (S. 38), im ersten Satz des folgenden Kapitels aber entweder ganz ohne Beigaben waren oder wenig signifi- nur von 1101 solchen (S. 39). Der Unterschied besteht kante Artefakte enthielten, werden nach Radiokar- nämlich zwischen Befundnummern auf dem Niveau bondatierungen den Phasen Schwieberdingen, Schus- von Planum 1 und der Anzahl vorhandener Befunde in senried und Michelsberg IV zugeordnet. Die Autorin Planum 2. Angesichts dieser großen Menge fällt die kommt zu dem Schluss, dass die Bestattungen unter Analyse der Befundarten (S. 39–61) recht schmal aus, wenig Arbeitsaufwand jeweils in der Nähe des aktuell zumal zahlreiche Abbildungen und Tabellen eingescho- bewohnten Areals, niemals aber in der Siedlung nieder- ben sind. Besonders wichtig ist die Information, dass gelegt wurden. Bezugnehmend auf ethnographische etwa mehr als ein halber Meter Sediment der alten Analogien erwägt sie (S. 150), ob die Gräber im Zu- Oberfläche durch Erosion verloren sind (S. 40). Wegen sammenhang stehen könnten mit der postulierten dieser schwerwiegenden Tatsache verzichtet die Autorin wiederholten Aufgabe der Siedlungen. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 298

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Die Analyse der Keramik ist nachvollziehbar und Die archäologische Forschung neigt ja dazu, be- führt zu detaillierten Ergebnissen. Weit über zehntau- stimmte momentan erreichte, aber oft zufällig entstan- send Gefäßeinheiten liegen vor. Die Autorin behandelt dene Quellensituationen überzubewerten und Folge- die Gefäßeinheiten als geschlossene Funde im Bewusst- rungen daraus fortzuschreiben. Sie leidet damit unter sein der Tatsache, dass die Kombinationsanalyse von bestimmten Risiken der Heuristik mehr als andere Formen, Verzierungsmotiven und Verzierungstechni- empirische Wissenschaften: Erstens ist das Verfahren, ken unter Einbeziehung weiterer Merkmale zu neuen Beschreibung und Erklärung auf bekannte Tatsachen Einsichten verhelfen kann. Sie klassifiziert die Motive zu gründen, risikobehaftet. »Bekanntheit« heißt hier der verzierten Keramik nach erprobtem Schema und nämlich nichts anderes als den Zufall, dass im Verlaufe unterscheidet mehrere spezifische Anordnungen dersel- der Forschungsgeschichte unter wechselnden Voraus- ben auf dem Gefäßkörper. Ihre Zusammenstellung ver- setzun gen gewisse Sachverhalte beschrieben und ge- deutlicht, dass es für die Beschreibung der Variabilität deutet worden sind, diese dadurch eine Prägnanzbil- verzierter Epi-Rössener Tonware zweckmäßig ist, Orna- dung erfahren haben und deshalb als wichtig erachtet mente in der Schulterzone von solchen in der Bauch- werden. »Wahr« kann bei dieser Sachlage in Ermange- zone an Gefäßen zu unterscheiden. Ein jüngst unter- lung eines objektiven Kriteriums nur das sein, was nommener Versuch, diese Tatsache außer Acht lassend, durch Übereinkunft als Tatsache angesehen wird. Ein spezifische Eigenheiten Bischheimer und Schernau- zweites Risiko liegt im Streben nach Konsistenz einer Goldberger Tonware im Nördlinger Ries emblematisch Theorie begründet, was dazu führt, gewisse Sachver- für so benannte »Schulterbandgruppen« darzustellen, halte in ursächliche oder logische Beziehung zueinan- überzeugt vor diesem Hintergrund nicht: A. Zeeb, Die der zu setzen. Goldberg-Gruppe im frühen Jungneolithikum Süd- Ein prägnantes Beispiel hierfür liefert auch der Text westdeutschlands. Ein Beitrag zur Keramik der Schul- der Verfasserin bei einer Scherbe mit herausgedrückten terbandgruppen. Univforsch. Prähist. Arch. 48 (Bonn Tonlinsen am Innenrand aus Befund N 503 (S. 200 f.). 1998) 18 f.; 85 ff. Der hier besprochene Band lässt die Dieses Merkmal wird unter dem sperrigen Titel »Son - Frage berechtigt erscheinen, welchen forschungsprakti- derscherben – Fremdformen« abgehandelt, wobei die schen Wert eine solche Umbenennung angesichts der Verfasserin die im Zusammenhang damit neuerdings schon jetzt etablierten Terminologien haben kann, die formulierte Theorie seiner Herkunft aus Zentralfrank- bestimmte Sachverhalte erkennbar differenzierter zu reich und die mit seiner Verbreitung von Christian umschreiben suchen. Durch die Änderung der Termi- Jeunesse ursächlich verknüpft gedachte Ausbreitung nologie wird weder auf keramische Traditionen an der der Michelsberger Kultur darlegt. Die Bestimmtheit, Schnittstelle von Epi-Rössen und Epi-Lengyel auf- mit der diese Interpretation vorgetragen wird, verwun- merksam gemacht, noch ist analytisches Potenzial bei dert angesichts der weiträumigen Verbreitung des der Auswertung neuer Grabungen mit ihr verbunden – Merkmals zwischen Weichsel und Ärmelkanal. Konse- meines Erachtens ein ganz wesentliches Gütekriterium quent zu Ende gedacht würde das bedeuten, dass die archäologischen Schrifttums. Trichterbecherkultur in Polen ihre Entstehung der Problematisch erweist sich im Folgenden die Kom- Michelsberger Kultur in Frankreich verdankt. Die position von Seidels Text insofern, als nach der Klassifi- Kenntnis zahlreicher Epi-Rössener und Michelsberger kation der technischen Merkmale der Keramik sowie Fundkomplexe gerade in Nordfrankreich liegt dem ihrer Formen und Verzierungen, der wichtigste Zwi- zugrunde. schenschritt, die Analyse von Kombinationen der Die Kenntnis dieser Befunde ist aber Ergebnis inten- Merkmale an Gefäßeinheiten, mit der Interpretation siver Bautätigkeit seit den siebziger Jahren, während das vermischt dargestellt wird, so dass ab S. 160 die Merk- Fundaufkommen in vielen Regionen Deutschlands seit malkombinationen der Keramik unter forschungsge- Langem stagniert und vor allem frühmichelsberger Sied- schichtlich bekannten Namen behandelt sind (»Rös- lungen kaum bekannt sind. Es ist daher eine gelehrte sen«, »Bischheim«, »Schwieberdingen«, »Schussenried«). Konstruktion, gestochene Tonlinsen in solchem Kon- Dieses Verfahren hat grundsätzlich weniger heuristi- text zu interpretieren, zumal diese in gleichalten Fund- schen Wert als die Darstellung von Merkmalkombina- verbänden etwa der kontinentalen Trichterbecher-A- tionen unter zunächst neutralen Überschriften. Das Be- Stufe Norddeutschlands, wie jetzt in Walmstorf oder streben, Merkmale bekannten Einheiten zuzuordnen, Flintbek, ebenfalls vorkommen: vgl. P. B. Richter, Das sollte prinzipiell nicht mit der Vorstellung in Konflikt neolithische Erdwerk von Walmstorf, Ldkr. Uelzen. geraten, die mit der Möglichkeit des Vorhandenseins Studien zur Besiedlungsgeschichte der Trichterbecher- von noch Unbekanntem rechnet. Dass selbst in gut er- kultur im südlichen Ilmenautal. Veröff. Urgesch. Slg. forschten Altsiedellandschaften jederzeit neue Fund- Landesmus. Hannover 49 (Oldenburg 2002) Taf. 45,1; gruppen zu beschreiben sind, lehren derzeit Untersu- B. Zich, Offa 49/50, 1992/93, 15–31, Abb. 5,3. Hier lohnt chungen zum frühen Jungneolithikum im Saalegebiet, ein Gedankenexperiment, das für die prähistorische Ar- wo die Epi-Lengyel-Entwicklung erst jetzt, rund hun- chäologie in allen ihren Bereichen analog durchgespielt dertdreißig Jahre nach der Entdeckung des Gräber- werden kann: Wäre etwa der Befund von Walmstorf feldes von Rössen, konkrete Konturen gewinnt (vgl. bereits 1974, im Jahr seiner Entdeckung, publiziert D. Kaufmann, Arch. Korrbl. 37, 2007, 365–378). worden, wie würden die Theorien zur Herkunft und 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 299

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Bedeutung dieses mit Erklärungspotenzial neuerdings Jana Esther Fries, Die Hallstattzeit im Nördlinger überfrachteten Einzelmerkmals heute lauten? Ries. Mit Beiträgen von Dirk Heinrich, Manfred Kun - Die nichtkeramischen Artefakte der Siedlungen von ter und Wolf-Rüdiger Teegen. Materialhefte zur Bayeri- Höfingen decken das Spektrum des bereits Bekannten schen Vorgeschichte, Reihe A, Band 88. Verlag Michael ab. Sie zeigen nur wenige Besonderheiten. Zu den ins- Laßleben Kallmünz/Opf. 2005. 439 Seiten, 58 Abbil- gesamt spärlichen Belegen für überregional beförderte dungen, 5 Tabellen, 6 Listen, 169 Tafeln, Beilage. – Gegenstände gehören zur Zeit der Schwieberdinger Almut Bick, Die Latènezeit im Nördlinger Ries. Ebd. Gruppe Aphanit aus den Südvogesen und bayerischer Band 91. Ebd. 2007. 444 Seiten, 96 Abbildungen, Plattensilex Typus Baiersdorf, zur Zeit von Schussen- 10 Listen, 138 Tafeln. ried westlicher Kreidefeuerstein. Die Aphanitbeile von Höfingen markieren das bisher nordöstlichste Vorkom- Das in Folge eines jungtertiären Meteoriteneinschlags men dieses Rohstoffs. Bei der Knochenindustrie ist es entstandene Nördlinger Ries stellt mit seinen rund fünf- möglich, für Neckar-Schussenried erstmals auch kleine undzwanzig Kilometern Durchmesser eine eigene na- Geweihzwischenfutter zu beschreiben. Interessant sind turräumliche Einheit dar. Wegen seiner Lößdecke und Überlegungen der Autorin im Zusammenhang mit den seinem kontinental gefärbten Klima ist es ausgespro- Schmuckobjekten (S. 304 f.). Sie erkennt eine Tradi- chen siedlungsgünstig. Schon deshalb hat das Ries auch tionslinie von Formen, die im Neolithikum vorwiegend als eine Art archäologischer Siedlungskammer seit lan- in der Farbe Weiß gebildet wurden. Erst im Verlaufe des gem besondere Aufmerksamkeit erfahren und ist entge- Jungneolithikums sei mit dem Aufkommen des Kup- gen der Ansicht im Vorwort des Bandes von Almut Bick fers die Bindung an die Farbe Weiß aufgelockert wor- (S. 9) nicht erst mit den beiden neuen Monographien den und neue Farben, nämlich Rot und Grün, hätten insgesamt ausgewertet worden (dazu S. 22), denn es gab an Bedeutung gewonnen. Diese und auch die im fol- dazu schon zuvor wichtige Arbeiten, etwa W.Dehn / genden Kapitel »Trachtgruppen der Steinzeit« (S. 305 f.) E. Sangmeister, Die Steinzeit im Ries. Materialh. Bayer. präsentierten Überlegungen sind zweifellos der weite- Vorgesch. A 3 (Kallmünz/Opf. 1954); W.Czysz, Sied- ren Überprüfung im Rahmen eigenständiger Untersu- lungsgeographie und Geschichte der Römerzeit und chungen wert. Auffallend ist in Höfingen wie anderswo frühalamannischen Landnahme im Nördlinger Ries auch, dass Utensilien zur Textilherstellung fehlen. (ungedr. Diss. München 1975); D. Baatz, Die Römer- An der Arbeit sind einige formale Punkte zu kritisie- zeit im Ries. In: Führer zu vor- u. früh gesch. Denkm. ren. Störend empfindet man, dass Informationen insbe- 40 (Mainz 1979) 184–197; H. Frei, Das Ries als vor- und sondere zur Chronologie der Tonware gleich mehrfach frühgeschichtlicher Siedlungsraum. Rieser Kulturtage 3 wiederholt sind. Diese Schwäche der Organisation des (Nördlingen 1981) 63–74; S. Ludwig-Luka now, Hügel- Textes wäre bei sorgfältiger Endredaktion zu beheben gräberbronzezeit und Urnenfelderkultur im Nördlinger gewesen. Dabei hätte auch ein weiterer Lapsus unbe- Ries. Materialh. Bayer. Vorgesch. A 48 (Kallmünz/Opf. dingt auffallen müssen, der sich angesichts der öffent - 1983). lich verstärkt geführten Diskussion um Urheberrechte Neu ist zunächst in der Kieler Dissertation von Jana als durchaus brisant erweist: Grundsätzlich fehlen Esther Fries – einer Arbeit, die bemerkenswerterweise Quellenangaben in den Unterschriften all jener zahlrei- bereits ein Jahr nach Fertigstellung gedruckt erscheint – chen Abbildungen, die vollkommen unverändert aus der ausgesprochen naturräumlich-siedlungsarchäologi- anderen Arbeiten genommen sind. Ein Quellenver- sche Aspekt, der innerhalb der Hallstattforschung bis- zeichnis sucht man vergebens. Unter anderem stammen lang keinen besonderen Rang einnahm. Er gewinnt vor folgende Abbildungen im Buch von anderen ohne ent - allem erst seit Untersuchungen wie W. Schier, Die vor- sprechende Kennzeichnung: 1–6; 32–38; 40–68. Bei Ab- geschichtliche Besiedlung im südlichen Maindreieck. bildung 39 wird merkwürdigerweise die Quelle ge- Materialh. Bayer. Vorgesch. A60 (Kallmünz/Opf. 1990) nannt. oder St. Gerlach, Der Eiersberg. Eine Höhensiedlung Trotz der aufgezeigten formalen Schwächen ist die der vorrömischen Eisenzeit und ihre Stellung in der vorgelegte Arbeit als sehr wichtiger Beitrag zum Sied- Siedlungslandschaft zwischen Rhön und Thüringer lungswesen Südwestdeutschlands zu werten. Sie ist für Wald. Ebd. A 69 (1995) zunehmende Bedeutung. die weitere Forschung unentbehrlich. Auswertungen Frau Fries hat eine gründlich erarbeitete und vorzüg- von Siedlungsgrabungen werden künftig kaum hinter liche Publikation vorgelegt, in der kaum Mängel er- den hier gesetzten inhaltlichen und methodischen Vor- kennbar sind. Man hätte lediglich in den Abb. 3, 34, 57 gaben zurückbleiben können. Die Arbeit zeigt zugleich, und 58 die Lage des Nördlinger Rieses eintragen kön- dass trotz einhundertjähriger Bemühungen die Erfor- nen; auf S. 26 f. wird der Unterschied zwischen Siedlun- schung der frühkupferzeitlichen Periode in Südwest- gen und Siedlungsfundstellen bzw. -plätzen (Abb. 4) deutschland erst am Anfang steht und dass gerade diese nicht genau definiert; bei der Beschreibung des Fund- mit ihren facettenreichen Funden und Befunden künf- materials – wie bei anderen derartigen Vorlagen ein tig weiter für Überraschungen und Diskussionen sor- meist kaum genutztes Kompendium – ist die Unter- gen wird. scheidung von Trachtbestandteilen und Schmuck (S. 119 ff.; 130 ff.) in Hinblick auf die Ringe nicht schlüs- Saarbrücken Ralf Gleser sig, da diese durchaus auch zur Tracht gehören. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 300

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Nach der üblichen Schilderung des Naturraums der Früh- und Mittellatènezeit (S. 52 ff.). Wie sorgfältig (S. 15 ff.) und der Forschungsgeschichte (S. 21 ff.), die und kundig das Fundmaterial ausgewertet wird, zeigt das Ries als gut erkundet ausweist, werden die vor allem allein schon die Beschreibung der Keramik (S. 59 ff.), durch Begehungen erfassten weit über zweihundert die von über zweihundert lokalisierbaren Fundorten Fundstellen beschrieben, von denen ein knappes Viertel kommt. Dabei orientiert sich Bick vor allem an den bisher untersucht sind, und hier vorrangig die Sied- für Manching gewonnenen Klassifikationen (S. 73 ff.). lungsstellen, welche drei Viertel dieses Bestandes aus- Wiederum stellt diese Arbeit ein wahres Kompendium machen. nicht nur für die Keramik dar (S. 106 ff.), sondern auch Es folgt ein wertvolles Kapitel zu prähistorischen für den Schmuck und Kleiderzubehör (S. 136 ff.). Der Fundplätzen und ihrer Umwelt, das vor allem Aspekte derzeitige Diskussionsstand wird zu vielen Sachgrup- der Hallstattzeit referiert (S. 35 ff.), bevor das Siedlungs- pen detailliert dargelegt, so unter anderem zu den Glas- wesen mit dem Schwerpunkt der Altgrabung auf dem armringen (S. 157 ff.), den Sapropelitringen (S. 163 ff.), Goldberg wie den noch laufenden, durch die Deutsche Perlen (S. 183 ff.) und Münzen wie Münzstempeln Forschungsgemeinschaft geförderten Untersuchungen (S. 193 ff.). Sogar die in der Regel wenig beachteten oder geschildert wird (S. 54 ff.). Hierbei dürfte Frau Fries schwer zeitlich wie typologisch einzuordnenden Spinn- richtig vermuten, dass das heterogene Bild von Vier - wirtel versucht Frau Bick für das Ries einzuordnen eckhöfen und weniger aufwendigen Höhensiedlungen (S. 207 ff.), und zwar in Anlehnung an D. Holstein, Die sowie den Sonderfällen Goldberg und Ipf am ehesten formale Entwicklung der Spinnwirtel in der Bronze- mit einem Nebeneinander wohlhabender bäuerlicher und Eisenzeit. In: Mille Fiori. Festschrift für Ludwig Familien und einer Oberschicht auf Goldberg bezie- Berger. Forsch. in Augst 25 (Augst 1998) 257–262. Hilf- hungsweise Ipf erklärt werden kann (S. 75). reiche weitere Kapitel handeln von Mühl- und Reib- Bei der Behandlung der Bestattungen, und dabei steinen, Waffen und Eisenbarren (S. 211 ff., partielle in der Mehrzahl von Brandgräbern, die keine ausge- Wiederholung des S. 47 ff. Gesagten). prägten sozialen Unterschiede aufweisen, ist dieVor - Im Gegensatz zur Arbeit von Jana Esther Fries ver- lage der Gräberfelder von Bopfingen und Nördlingen- mag Almut Bick durch die Einbeziehung der Latènezeit Baldingen hervorzuheben (S. 76 ff.). Das Fundmaterial und mit einem Ausblick zum Siedlungswesen der Hall- wird ausführlich und versiert besprochen (S. 101 ff.), statt- wie Römerzeit (S. 228 ff.), ein zeitlich längeres wobei die Zugehörigkeit der Keramik zur Ostalbgruppe Szenario zu entwickeln. Während in der Hallstattzeit gut herausgestellt wird (mit Wiederholungen S. 146 f.!). als bevorzugte Siedlungslandschaft das südliche Ries - Das Trachtzubehör und der Schmuck zeigen sowohl becken mit einer großen Dichte von Hochlagen nach- west liche als auch östliche Einflüsse, vor allem solche weisbar ist, die auch noch in der Frühlatènezeit vorge- aus Südwestdeutschland, der Schweiz und Ostfrank- zogen werden, liegt jetzt der Siedlungsschwerpunkt im reich. Westries. Unter dem Aspekt von Ab- und Zuwande- Das abschließende Kapitel zur Chronologie (S. 151 ff.) rungen ist das Ries im Frühlatène dünn, dagegen in der verdeutlicht, dass die frühe und späte Hallstattzeit eher jüngeren Latènezeit mit bevorzugter Anlage von Sied- anhand der Grabfunde und naheliegend weniger durch lungen auf schwach geneigten Unterhängen wieder Siedlungsmaterial erschließbar ist. stärker besiedelt. Dabei ist das Gebiet zur Frühlatène- Ein ausführlicher Katalog- und Abbildungsteil zeit kulturell nach Nordostbayern, in der jüngeren La- schließt den Band. tènezeit bei eigenständigen Ausprägungen, etwa in der Auch die Marburger Dissertation von Almut Bick ist Keramik, hingegen eng mit dem mittleren Neckarge- kurz nach ihrer Fertigstellung 2004/2005 bereits veröf- biet verbunden. Am Ende von LT D1 ist wie etwa in fentlicht worden. Wiederum liegt das übliche Schema Manching auch im Ries ein »allmähliches Ende der Be- der Darstellung vor, wobei zu fragen ist, warum im siedlung zu vermuten« (S. 243), welche erst »wieder mit Buch von Frau Bick der Rieser Naturraum und die der römischen Besetzung der Schwäbischen Alb und Forschungsgeschichte noch einmal beschrieben werden der Verlegung der Nordgrenze der Provinz Raetien von (S. 13 ff.), obwohl dies im Vorgängerband von Frau Fries der Donau nach Norden« (S. 244) unter anderen Krite- bereits ausführlich geschehen ist. Auch im Kapitel der rien der Ortswahl fortgesetzt wird. Fundplätze (S. 21 ff.) treten Wiederholungen auf. Sicht- Auch dieser Band schließt mit einem Katalog- und lich wird auf die editorische und redaktionelle Be - Abbildungsteil, hier mit einer größeren Zahl von Ver- treuung der Reihe in solcher Beziehung wenig Wert ge- breitungskarten (Abb. 60–63; 73–76; 79; 82; 83; 85; 86; legt. Karte 1–14). Bei den knapp zweihundertfünfzig lokalisierbaren Erwähnenswert seien noch die in der Arbeit von Fundorten der Latènezeit wird ihre unterschiedliche Frau Fries abgedruckten Publikationen zu Leichen- topographische Lage ebenso gut herausgestellt wie die brand resten von Bopfingen und Nördlingen-Baldingen Typen der wenigen bislang bekannten Hausformen. (Manfred Kunter), zu Tierknochen von Nördlingen- Versiert stellt Frau Bick die drei Viereckschanzen, die Baldingen (Dirk Heinrich) und zu Kinderbestattungen, beiden Brandopferplätze und die sechs Barren- und ebenfalls dorther (Wolf-Rüdiger Teegen). Münzstempeldepots dar (S. 43 ff.). Das gilt auch für die ausgreifenden Erörterungen zum Bestattungsbrauch Bonn Hans-Eckart Joachim 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 301

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Ulrike Söder, Die eisenzeitliche Besiedlung der Alten- Aura. Umso höher musste die Erwartung eines Lesers burg bei Niedenstein, Schwalm-Eder-Kreis. Marburger aus dem benachbarten Ostwestfalen liegen. Studien zur Vor- und Frühgeschichte Band 21. Verlag Ist es nicht normal, dass man bei solch einer Vorge- Marie Leidorf, Rahden 2004. 192 Seiten, 18 Textabbil- schichte nur enttäuscht werden kann? Diese Frage ist dungen, 109 Tafeln. bei diesem Buch jedenfalls mit »Jein« zu beantworten. Denn es erfüllt leider nicht die Erwartung des Rezen- Einige Leser der Bonner Jahrbücher werden die große senten. Es eröffnet möglicherweise neue Felder, die hat Erwartung des Rezensenten angesichts des angezeigten er dann aber wohl nicht erkannt. Wir werden im Fol- Buches möglicherweise nur schwer verstehen können. genden das Buch unter drei Blickwinkeln betrachten: Wenn man aber wie er schon länger in Ostwestfalen die Ausstattung, der Inhalt und das Fazit. tätig ist, sich in diesem Gebiet der »Völker zwischen Zur Ausstattung des Bandes: Der Rezensent ist zwar Kelten und Germanen« (R. Hachmann / G. Kossack / von Beruf kein Redakteur, hat aber genug Erfahrung H. Kühn, 1962) bewegt und sich immer wieder mit den gesammelt – auch mit dem Verlag Marie Leidorf, bei westfälischen Burgen der vorrömischen Eisenzeit be- dem die Veröffentlichung erschien –, um sagen zu dür- schäftigt, stets mit erheblichem keltischen Einfluss fen, dass der Verleger oder sein Geschäftsführer hier nur rings um den Weserknick zu tun hat, dabei insgeheim als Auftraggeber für die Druckerei in Erscheinung ge- im Unklaren darüber bleibt, ob die Bergbauleute im treten ist. Vom Verlag sind auftretende Probleme, im Siegerland wirklich vollwertige Kelten waren, und Zweispaltensatz des Kataloges zum Beispiel oder in der damit konfrontiert wird, dass Sebastian Möllers seine Lesbarkeit des Hauptplanes (S. 124, Abb. 15), nicht ge - Funde auf der Schnippenburg im Osnabrücker Land sehen und jedenfalls nicht gelöst worden. Schade! (vielleicht sogar zu Recht) als keltisch erklärt (Er sprach Allgemein ist die Ausstattung des Buches nicht be- allerdings 2007 für Nordwestdeutschland in der Latè- geisternd, dies ist aber wohl vor allem der Autorin an- nezeit von einer »keltisch geprägten vorgermanischen zulasten. Achtzehn Textabbildungen, wobei es sich Bevölkerung«, was uns doch wieder zu den »Völkern meist um Tabellen und Skizzen handelt, sind nicht ge- zwischen Kelten und Germanen« zurückbringt) – wenn rade üppig. Pläne der Burg – um die Wallburg geht es alle diese Voraussetzungen gegeben sind, dann nimmt doch! – gibt es nur zwei, nämlich einen etwas veralteten man das Buch von Ulrike Söder mit Ehrfurcht und aber das gesamte Gebiet erfassenden Plan auf S. 16 großer wissenschaftlichen Erwartung in die Hand. Es (Abb. 2) und eine Detailaufnahme mit Lage der Such- geht um die unter Eisenzeitspezialisten als mythisch schnitte an kaum erahnbarer Stelle, nämlich auf S. 124 geltende Altenburg bei Niedenstein, die unweit von (Abb. 15). Die über hundert Tafeln fassen zwar wohl alle Ostwestfalen liegt, fünf Kilometer südwestlich von bisherigen Funde aus der Altenburg zusammen, geben Kassel, also knapp sechzig Kilometer südöstlich der aber fast ausschließlich Zeichnungen der Verfasserin latènezeitlichen Burg Gellinghausen bei Borchen (Kreis wieder. Das bedeutet allerdings, dass sie für ihre Pro- Paderborn) und gut fünfzig Kilometer östlich der motion enorm viel Zeit in Zeichenarbeiten investiert außergewöhnlichen Wallburg Bruchhauser Steine bei hat, die ihr bei der Auswertung nachher gefehlt haben Olsberg im Hochsauerlandkreis. dürfte. Dadurch erklären sich einige Unzulänglichkei- Wahrlich, das ist kein Klischee: Es ging dem Rezen- ten der Veröffentlichung, die die Autorin ursprünglich senten wirklich so! Die Altenburg hat bereits viele gewiss perfekt gestalten wollte. Außerdem sind die Geschichte schreiben lassen. Frau Söder listet in ihrer dabei entstandenen Fundzeichnungen sachlich, aber elfseitigen Bibliographie (S. 181–191) elf Publikationen allzu schlicht. Vom Mythos Altenburg ist hier nichts zu auf, welche die Altenburg im Titel nennen, sowie un- spüren. veröffentlichte Grabungstagebücher und unzählbare Zum Inhalt des Buches: »Die Altenburg gehört Arbeiten, die sich mit dem damit verbundenen Mythos zu den bekanntesten eisenzeitlichen Höhensiedlungen befassen, ohne es im Titel kenntlich zu machen. So viel Nordhessens und wurde schon zu Beginn des letzten steht für jeden Archäologen und wahrscheinlich jeden Jahrhunderts großflächig untersucht. Von 1905 bis Althistoriker fest: Die Altenburg ist seit mehr als hun- 1913 sowie 1926 fanden dort vom Königlichen Museum dert Jahren für den Umfang der Ausgrabungen, die dort Kassel initiierte Ausgrabungen statt, die bereits 1930 in bis zum Ersten Weltkrieg geführt wurden, berühmt und einer umfangreichen Publikation vorgelegt wurden. Sie hat in der Frage nach dem Ende und der Gliederung war die Grundlage für die darauf folgenden jahrelangen der Spätlatènezeit eine erhebliche Rolle gespielt. Auseinandersetzungen über die Datierung und Bedeu- Zugegebenermaßen ist das alles längst Forschungs- tung der Altenburg. Fast ein Jahrhundert später, 1990 geschichte. Es gab aber eine Zeit, in der die Altenburg bis 1995, nahm das Vorgeschichtliche Seminar Marburg am Ende ihrer keltoiden Geschichte mit dem von Taci- unter Leitung von Prof. Dr. O.-H. Frey die Untersu- tus erwähnten Mattium gleichgesetzt wurde, mit jenem chungen wieder auf.« Hauptort der germanischen Chatten also, den der Dieser erste Absatz im Vorwort ist maßgeblich. Die schriftlichen Überlieferung nach die Römer unter Ger- berühmten Grabungen auf der Altenburg haben im manicus im Jahre 15 n. Chr. zerstört haben. Diese Deu- frühem zwanzigsten Jahrhundert stattgefunden und tung ist heute überholt, sie verleiht aber nach wie vor wurden 1930 ausführlich publiziert und nach dem dieser urgeschichtlichen Befestigung eine besondere dama ligen Stand ausgewertet. In der zu besprechenden 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 302

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Veröffentlichung geht es aber vornehmlich um die Aus- (Dendrodatum 193 v. Chr.) besiedelt wurde und die wertung der 1990 bis 1995 durch das Vorgeschichtliche regelhafte Besiedlung (dort) am Ende der Stufe Lat Seminar Marburg unternommenen Nachgrabungen. (= LT) D1 abbricht«. Es schriftlich auszudrücken war Vornehmlich oder ganz darum? Alle Funde scheinen wichtig – aber auch nicht unbedingt neu. zwar abgebildet und irgendwie angesprochen oder be- Der Siedlungsverlauf (das Wichtigste, denn darauf rücksichtigt zu sein, bald kommt man aber unweiger- weist der Titel der Arbeit hin) lasse sich nach der Ver- lich auf den Gedanken, dass es eigentlich nur um die fasserin »hypothetisch« in drei große Abschnitte unter- Nachgrabungen des Marburger Instituts geht: Die alten teilen. Zum ersten (Mittellatènezeit) gehören die Be- Grabungsberichte und -deutungen werden zwar dabei siedlung des Plateaus und seine spätere Befestigung mit gelegentlich angesprochen und zum Teil verzerrt ver- dem »Innenwall« sowie das sogenannte Becken I und wendet, aber nicht konstruktiv neu beleuchtet. der Beginn der Niederlegung des Massenfundes am Die Arbeit ist klassisch gegliedert. Es werden erst Südwesthang der Burg (damals außerhalb davon). Im einmal die Grundlagen (Forschungsgeschichte und To- zweiten Abschnitt (Spätlatènezeit) finden wir zahlreiche pographie, S. 9–14) und dann die Befunde (S. 15–32) ge- Einzeldeponierungen intakter Objekte und Siedlungs- schildert. Hier fällt allerdings auf, dass dieser Abschnitt spuren auf dem Falkensteiner Sattel nördlich und lediglich mit einem uralten Plan (1906, mit wenigen unterhalb der Burg. Im dritten Abschnitt (noch vor Nachträgen) und einer groben Grabungsplanübersicht Ende von Lat [= LT] D1) lassen sich ein Ausbau der bis- und zwar nur für die Unternehmungen aus den Jahren herigen Anlagen und vor allem eine Erweiterung mit 1990 und 1991 ausgestattet ist, also nicht bis 1995 aktua- dem äußersten Wall erkennen, welcher das Areal des lisiert wurde. Auf der Suche nach weiterer Befund - sogenannten Massenfundes umschloss. Verkürzt heißt dokumentation werden wir selten fündig. Ein neuer es allerdings für die drei Abschnitte »von der Mittel- Ausschnittsplan von der Burg ist auf S. 124 abgebildet, bis zum Ende der Spätlatènezeit« (statt der der immerhin die bisher archäologisch untersuchten Stufe LTD1; S. 115, Hervorhebung des Rezensenten). Bereiche verzeichnet, aber mit dem uralten Plan (S. 16) Die angedeutete Unterteilung der Stufe Lat (= LT) nur bedingt vergleichbar ist. Die alten Holzstrukturen D1, die sich aus der Differenzierung zwischen zweitem aus dem »Becken III«, die als Titelbild fungieren, wer- und drittem Siedlungsabschnitt ergibt, habe ich jedoch den ausführlicher im sogenannten Befundkatalog auf im Text und in den Abbildungen nicht nachvollziehen S. 135 wiedergegeben und die Befunde aus einem Such- können. Sie hilft also möglicherweise vor Ort, die Bau- schnitt in den Jahren 1994 und 1995 auf S. 146 abgebil- entwicklung zu beurteilen, aber dem Leser und dem det. Mehr Befunddokumentation gibt es im ganzen Rezensenten nicht, das Schema auf andere Anlagen und Band nicht. Siedlungen zu übertragen. Dies ist gewiss kein Einzel- Tiefergehend werden die Funde behandelt (S. 33–92) fall, sollte aber hier nicht verschwiegen werden. und im Fundkatalog aufgelistet (S. 147–179), der sich Die Fundkeramik enthalte nur so wenig Drehschei- als Sammlung umfangreicherer Bildunterschriften für benware, wie es bei gleichzeitigen »Siedlungen außer- die etwas über hundert Tafeln entpuppt. In diesem halb der keltischen Welt üblich ist« (S. 103). Dabei Fund katalog dürfen kurze Hinweise auf die nähere entspreche sie »eher der Durchschnittsware einer Durch- Fundstelle, aber keinerlei Kommentare oder gar Quel- schnittssiedlung und nicht einem Elitestandort mit lenkritik erwartet werden. Es sind eben Bildunterschrif- reprä sentativer Funktion« (ebd.). »Zusammenfassend ten – ausführlich zwar (und kaum lesbar, weil von un- lässt sich die Frage, ob die Altenburg ein Oppidum war, gezählten Abkürzungen völlig verunstaltet), aber mehr eindeutig verneinen« (S. 119). Diese Aussagen, die in nicht. Es läuft nach dem Motto: »Leser, siehe zu, dass Hinblick auf das Verständnis des Begriffs »Oppidum« du damit und unter Heranziehung des Befundkatalogs als »Elitestandort mit repräsentativer Funktion« erläu- und des Haupttextes irgendwie klar kommst. Ich jeden- terungsbedürftig wären, sind immerhin klar, was eine falls habe nicht mehr die Zeit, dir Brücken zu bauen.« etwaige Zugehörigkeit zur keltischen Welt betrifft. Viel Schließlich werden vor der Zusammenfassung, den weniger deutlich ist die Beantwortung der Frage, ob Katalogen der Befunde und Funde, der Literaturliste zum Schluss die germanischen Chatten die Altenburg und den Tafeln die Seiten 93–120 der Bedeutung der beherrschten, auch ohne bis in das Jahr 15 n. Chr. gehen Altenburg gewidmet. Hier müsste die Essenz der Arbeit zu wollen. Das weitgehende Fehlen von facettierten Ge- zu finden sein. fäßrändern (Ausnahme: Taf. 43, 4) wird zwar auf S. 119 Fazit: Wie sieht es mit der wissenschaftlichen Aus- aufgeführt, um eine germanische Anwesenheit zu be- sage der Arbeit aus? Wir können dabei die Nutzungs- streiten, der auffällige Gürtelhaken von der Altenburg phase zur Zeit der Michelsberger Kultur und weiteres (Taf. 5, 17) und ganz wenige Einzelfunde elbgermani- getrost ausklammern, weil es hier nur um die Eisenzeit scher oder Jastorfer Prägung hingegen stellen nach wie geht, wie schon der Buchtitel andeutet, und die Auslas- vor die Frage, was kurz vor Ende von LTD1, als die sung des Neolithikums deswegen legitim ist. Bleiben Römer noch lange nicht in Sicht waren, auf der Alten- wir also bei der Eisenzeit. Was die Latèneperiode be- burg geschah. trifft, die den Leser und den Rezensenten besonders Was die Befunddeutung angeht, wurde nicht ernst- interessiert, erfahren wir in der Zusammenfassung, dass haft versucht, eine neue Erklärung für die sogenannten die Altenburg »spätestens seit der Stufe Lat (= LT) C2 Becken zu finden, was vor dem Hintergrund der ver- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 303

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schiedenen ähnlichen Anlagen (»Wasserreservoir«, »Zis- mann Gerdsen auf CD-ROM angelegten Fundstellen- terne«: S. 97) aus dem Oppidum Bibracte (Mont Beuv- übersicht der Grabungsjahre 1961–1974 ab, so bildet die ray, Burgund) vielleicht gewinnbringend hätte probiert Arbeit von Lorenz das Kernstück der hier vorgelegten werden sollen. Dies hätte allerdings auf der Altenburg Publikation, die Susanne Sievers »zu einer brauchbaren überwiegend die Ergebnisse von Altgrabungen betrof- Dokumentation vereint« hat (Vorwort). Die einzigen fen, die offensichtlich nicht mehr wirklich zu Debatte Ergänzungen über 1988 hinaus, und zwar zu Manching standen. Aber der »Massenfund« aus dem Jahre 1990 und dem Titelberg, finden sich in den Anmerkungen 2, (226 Fundstücke, auf Taf. 76–101 dargestellt!) hätte 5 und 459. Ansonsten referiert Lorenz umfassend den mit ähnlichen Erscheinungen in den keltischen Oppida Publikationsstand Ende der achtziger Jahre, wobei er wirklich verglichen werden müssen. Dies hätte mög - vor allem die von Franz Schubert durchgeführte Stra- licherweise zu Ergebnissen geführt, die nun zur Beur- ßengrabung der Südumgehung von 1965–71 außer den teilung der weiträumigen Depotpraxis innerhalb der Befunden (diese werden nur S. 6–8 angesprochen) be- niedersächsischen Wallbefestigungen der Schnippen- handelt. Die von Schubert seit 1983 veröffentlichten burg (Ostercappeln, Landkreis Osnabrück) und von Überlegungen zur keltischen Metrologie sind von Orten wie der Amelungsburg (Hessisch Oldendorf, Lorenz bis 1995 jedenfalls nicht mehr berücksichtigt Landkreis Hameln-Pyrmont) und der Barenburg (El- worden. Das trifft auch für die bis zu diesem Zeitpunkt dagsen, Region Hannover) zur Verfügung stehen wür- weiteren Grabungen der Nordumgehung in den Jahren den. Fehlanzeige! Der große Bruder aus dem keltoiden 1984–87 und 1990–91 zu, während andere von 1996–99 Südosten hat versagt: Es würde »den Rahmen dieser (Altenfeld), 1999–2002 (EADS) und 2002 (E.ON) Arbeit sprengen«, heißt es auf S. 111. Es kommt nun zur nicht mehr von Belang gewesen wären. Immerhin wer- Entlastung der Autorin hinzu, dass die hessische Bo- den in den beigelegten Plänen nicht nur Grabungsbe- dendenkmalpflege sich geweigert hatte, Kenntnisse von funde der Jahre 1965–67 und 1971 gebracht, sondern illegalen aber gesprächsbereiten Metallsondengängern auch solche der Jahre 1955, 1957–58, 1960–62 und 1972– über zwei Hortfunde entgegen zu nehmen (S. 105). 74. Lorenz hat vor der Abfassung der Habilitations- Kann man das als Wissenschaftler wirklich verantwor- schrift lediglich zweimal über Manching publiziert ten? Spätestens hier, bei der Auswertung, merkt man, (Arh. Vestnik 36, 1985, 137–146; Rundgang durch eine wie dringend die Bearbeiterin diese Auskünfte hätte keltische Stadt [Pfaffenhofen 1986]). brauchen können, natürlich unter der in den histori- Seine vorliegende Untersuchung zur Erforschung schen Wissenschaften ganz normalen Infragestellung eines räumlich begrenzten Areals orientiert sich strikt der Glaubwürdigkeit der Informanten. am archäologischen Material mit nahezu 70.000 Ob- Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Veröffent- jekten, das in konsequenter Manier geordnet, gegliedert lichung von Ulrike Söder über die Altenburg bei Nie- und kulturell eingeordnet wird. Hierbei bezieht Lorenz denstein trotz der hier geübten Kritik selbstverständlich auch die Gegenstände der Zentralflächengrabung der ins Blickfeld aller an der Erforschung der Latènezeit Jahre 1955–73 ein. Um eine chronologische Gliederung Beteiligten gehört – vor allem wegen der Dokumen- des Materials festzulegen sowie die kleinräumliche Nut- tation des sogenannten Massenfundes aber auch des ge- zung der Grubenkomplexe zu erkunden, die nicht an samten Fundspektrums. Das Buch muss in die öffent- Baustrukturen gebunden sind, werden die Siedlungs- lichen Bibliotheken Eingang finden. gruben und das daraus geborgene Fundmaterial erfasst und abgebildet. Trotz gewisser Dokumentationsmängel Bielefeld Daniel Bérenger der aus der Humus- und Kulturschicht und dem Pla- num geborgenen Scherben (S. 5) lassen sich bei unter- schiedlicher Verteilung (S. 15) zwei Prozent der Fund - objekte Pfostenlöchern zuordnen, ein Fünftel bis ein Viertel gehört zu Gräben und der überwiegende Anteil Herbert Lorenz (†), Chorologische Untersuchungen in von drei Vierteln stammt aus Gruben. dem spätkeltischen Oppidum bei Manching am Bei- Die Keramik wird mit 47.000 Einzelscherben außer- spiel der Grabungsflächen der Jahre 1965–1967 und ordentlich sorgfältig beschrieben, indem drei Gruppen 1971; Hermann Gerdsen, Fundstellenübersicht der (Boden-, Wandungs- und Randscherben) in fünf Ge- Grabungsjahre 1961–1974. Die Ausgrabungen fäßgattungen gegliedert werden, welche vier Keramik- in Manching, Band 16. Franz Steiner Verlag, Stutt gart phasen der Stufen LT C2 bis LT D1 angehören (S. 16– 2004. 186 Seiten, 82 Abbildungen, 10 Tabellen, 55). Hierbei vermag Lorenz gut herauszustellen, dass die 117 Tafeln, 12 Beilagen; CD-ROM mit 329 Seiten und mit diesem Material kombinierbaren Fundkomplexe 258 Tabellen. unterschiedliche Siedlungsschwerpunkte in den unter- suchten Zonen A bis G widerspiegeln. Die Frage, ob die vorliegende Bochumer Habilitations- Die von Johann Schäffer, Ulrich Steger und Günter schrift von 1988 des im Jahr 1995 plötzlich verstorbenen Lange bestimmten rund 16.000 Tier- und mehr als vier- Herbert Lorenz in vorliegender Fassung noch nach hundert Menschenknochen werden in ihrer räumlichen sechzehn Jahren veröffentlicht werden sollte, lässt sich Verteilung und Zusammensetzung ebenso beschrieben positiv beantworten. Sieht man von der durch Her- (S. 55–71), wie die folgenden etwa 3.800 »Kleinfunde« 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 304

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aus Bronze, Ton, Glas, Knochen, Sapropelit, Stein und gung eine dem Autor Caesar angemessene Interpreta- Bernstein (S. 72–103). Dieses Kapitel stellt ein auf jeden tion mit dem Sammelbegriff »Oppidum« erlaubt. Es Fall gutes Kompendium zu zahlreichen jüngerlatène- gelte also keine »besondere Siedlungsqualität«, die zur zeitlichen Gegenständen dar, die zu etwa gleichen Tei- Bezeichnung als Oppidum berechtigt, und Manching len aus der Humus- und Kulturschicht beziehungsweise könne mit Hilfe von chorologischen Bearbeitungen aus Baustruktureinfüllungen kommen und eher in der und bei Beurteilung der Fundensembles in der Begriffs- nördlichen (Kleidungszubehör und Ringschmuck) oder bestimmung weiterhelfen (S. 164): In der etwa dreiein- südlichen (Eisenfragmente und Handwerksprodukte) halb Hektar großen Grabungsfläche seien »Differenzen Grabungsfläche belegt sind. in der Besiedlungsdauer verschiedener Areale, Differen- Zur Bewertung der Grabungsflächen 1965–67 und zen in der Besiedlungsintensität, sogar Differenzen in 1971 vermag Lorenz nur bedingt weitere Grabungsare- der Besiedlungsstruktur« erkennbar (S. 165). Es ist nicht ale der Jahre 1955–61, 1972–73 und 1984–87 einzubezie- erklärlich, wieso Lorenz dann letztlich im Hinblick auf hen, um siedlungsstrukturelle Deutungen zu erkennen die ergrabenen Flächenanteile zwar keine Handwerker- (S. 104–138). Indem die Sparten Keramik, Tier- und viertel, Adelsquartiere oder Kultbezirke zu erkennen Menschenknochen sowie Kleinfunde der Zentralflä- vermag, aber Manching, wie gesagt, als nicht urbanes chengrabung Krämer von 1955–1961 einbezogen werden, Zentrum, sondern als Adelssitz ansieht. kann Lorenz in Bezug auf die Besiedlungsgeschichte Wie alle anderen bislang erschienenen Manching- und Besiedlungsintensität chronologisch so viel aus - Bände ist auch die vorliegende Edition mit einem vor- sagen, dass der Siedlungsbeginn einer zunächst kleinen, züglichen Katalog- und Abbildungsteil ausgestattet. unbefestigten Anlage in der Wende von LT C1 zu LT C2 Die beigelegte CD-ROM beinhaltet außerdem neben erfolgte und dass das Ende einer späteren erheblich grö- 24 Listen und 258 aus der Habilitationsschrift über- ßeren, befestigten Siedlung an der Wende von LT D1 zu nommene Tabellen Konkordanzverzeichnisse, außer- LT D2 lag. Da zum Zeitpunkt der Bearbeitung nach dem die von Gerdsen verfassten Fundstellenübersichten Lorenz nur drei Prozent des umwallten Siedlungsareals der Grabungskampagnen und Notbergungen der Jahre (S. 131 Anm.238; S. 138) erforscht war, äußert er sich be- 1961–62/63, 1965–67 sowie 1971–74. züglich der Siedlungsgenese zwar zurückhaltend, denkt aber daran, dass Manching »die Tradition frühkeltischer Bonn Hans-Eckart Joachim Fürstensitze fortsetzt« und »als erweiterter Adelssitz vorstellbar« sei, der gewisse zentralörtliche Funktionen innehatte (S. 138; auch S. 165). Manching sei »nicht mehr als urbanes Zentrum« anzusehen (S. 165). Mit Recht ist diese »eigenwillige Interpretation Manchings als ›Fürs- Marlene Sophia Kaiser, Das keltisch-römische Gräber- tensitz‹« (Vorwort) kritisch und eher ablehnend zu be- feld von Wederath-Belginum. Teil 6: Die Aschengru- werten. ben und Aschenflächen, ausgegraben 1954–1985. Der folgende Ausblick zum Wesen spätkeltischer Trierer Grabungen und Forschungen, Band 6. Verlag Oppida bietet zwar einen forschungsgeschichtlich be- des Rheinischen Landesmuseums Trier 2006. VII und ziehungsweise archäologisch inzwischen überholten, 216 Seiten, 148 Tafeln, 5 Beilagen. aber nach wie vor guten Überblick zu allen relevanten Anlagen, dann aber eine vorzügliche Übersicht zu den Die Gräberarchäologie steht in Bezug auf die Technik weit über hundert Textstellen mit der Nennung des der Ausgrabung und die Deutung der Funde und Be- Terminus »Oppidum« in Caesars De Bello Gallico. In funde bei erstem Hinsehen scheinbar vor geringeren diesem Zusammenhang diskutiert Lorenz auch die bei Problemen als die Siedlungsarchäologie. In der Regel Caesar verwendeten Begriffe von »urbs, »castellum«, kommen weniger komplex aufgebaute und klarer be- »vicus«, »aedificium«, »murus« sowie »porta« und be- grenzte Schichtverbände vor. Deren Deutung als Re- tont mit Recht ausdrücklich, dass es bei Caesar keine likte von Beisetzungen verstorbener Individuen gelingt konkreten, generalisierbaren Hinweise gebe, Oppida als plausibel. Wir sprechen beim konkreten Einzelbefund Mittelpunkte von Kult, Verwaltung und Wirtschaft an- von einem ›Grab‹. Das darin eingeschlossene Fundgut zusehen (S. 149 f.). ist in vorgeschichtlicher Zeit zwar nicht konkret in sei- Nach kritischer Sichtung aller bekannten befestigten ner Funktion bei den mit dem Tod und den während und »offenen« Oppida im Lichte der archäologischen der Beisetzung verbundenen Riten zu deuten, und Forschung (S. 150–165) von West- nach Osteuropa – selbst bei Bestattungen der provinzialrömischen Kultu- Lorenz orientiert sich hierbei an der Auflistung von ren bleiben diesbezüglich meist Fragen offen. Dennoch Ulrich Schaaff und Annabel Taylor (Spätkeltische Op- ist seine Beschreibung als »Totenzubehör« zwar vage, im Raum nördlich der Alpen. Ausgr. Deutschland aber formal korrekt. Definitionsmerkmal eines Grabes 1 [Mainz 1975] 323–327) – kommt der Verfasser zum ist normalerweise das Vorhandensein von Knochen wichtigen Ergebnis, dass weder die Konstruktionsweise mindestens eines Menschen. Es gibt freilich insbeson- der Befestigung noch die Größe und mögliche Funk- dere auf Brandgräberfeldern häufig Befunde, wo solche tion einer Anlage und auch das unterschiedlich häufige fehlen. Andere Merkmale müssen Behauptungen zur Fundmaterial, sondern nur die Tatsache der Befesti- Bestattungsfunktion ermöglichen. Eine Klasse solcher 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 305

Vorgeschichte 305

Befunde auf Brandgräberfeldern der römischen Nord- fotografische Dokumentationen der Profile sind nicht westprovinzen sind seichte Eingrabungen, welche mit regelhaft vorgenommen worden. verkohlten Pflanzenresten (oft fälschlich einfach »Holz- Die aschenhaltigen Befunde liegen, soweit es doku- kohle« genannt) verfüllt sind. Sie werden seit den ersten mentiert wurde, etwa spannentief (15 bis 30 cm) unter Ausgrabungen im Gräberfeld bei Wederath in den fünf- der Geländeoberfläche. Die erhaltene Schichtstärke der ziger Jahren als Aschenflächen und Aschengruben be- Aschengruben liegt im Bereich um die zwanzig Zenti- zeichnet. Diese Begriffe haben sich in der Archäologie meter (11 bis 25 cm), diejenige der Aschenflächen ist der römischen Provinzen inzwischen allgemein durch- noch geringer (2 bis 15 cm). Es wird die Meinung ge - gesetzt. äußert, die Aschenflächen seien auf flachem Boden Mit dem vorliegenden, in gewohnt sehr guter abgelagert worden; diese Interpretation habe man im Qualität ausgestatteten sechsten Band der Publikations- Verlauf der Grabung und bei der Dokumentation reihe zum keltisch-römischen Gräberfeld von Wederath mehrfach angestellt (S. 1; 3). Die fehlende Eintiefung ist »Hochgerichtsheide« wird die Befundgruppe der auch das Abgrenzungskriterium gegenüber den Aschen- Aschengruben und Aschenflächen als Ganzes vorgelegt gruben. Das einzige im Buch fotografisch dokumen- und gedeutet. Der Aufbau des Buches unterscheidet tierte Profil einer Aschenfläche (Taf. 870, unten links; sich von den bislang publizierten fünf Bänden der hier leider ohne Nummer!) zeigt allerdings, dass diese Reihe, worin insgesamt fast zweieinhalbtausend Grab- in ockerfarbene, »steril« wirkende Erde eingelagert ist, funde der jüngeren Latènezeit und der Kaiserzeit doku- welche zudem unter- und oberhalb identisch wirkt. Die mentiert sind. Das Werk enthält außer Katalog und Asche reicht nicht bis an den dünnen Humushorizont Tafelteil einen auswertenden Text. Nach dem Vorwort heran. Also scheint sie in einer Grube abgelagert zu des langjährigen Grabungsleiters und Herausgebers der sein, deren Grenzen nicht mehr zu beobachten sind, Wederath-Reihe Alfred Haffner (S. VI) und der Einlei- weil »steriles« Sediment zu ihrer Verfüllung verwendet tung der Verfasserin (S. VII) folgen ein Kapitel über wurde. Wäre die Ascheschicht auf der alten Oberfläche, »Das Erscheinungsbild der Aschengruben und Aschen- auch nach Entfernung von Bewuchs und Oberboden, flächen« (S. 1–4), eines über die Funde (S. 5–19), schließ- platziert worden, müsste sie sich in verbrannter Erde lich eines über Möglichkeiten der Deutung (S. 20–30). lagernd darstellen. Bei rund einem Viertel der Aschen- Den Hauptteil bildet der Katalog der über vierhundert gruben wurden Anziegelungen der Wände beziehungs- Aschengruben (mit dem Kürzel »AG« versehen und mit weise der Sohlen beobachtet (S. 2; auf S. 22 ist zu erfah- arabischen Ziffern durchgezählt), der mehr als hundert ren, dass dies bei fast hundert Gruben und mehr als Aschenflächen (mit dem Kürzel »AF« und römischen einem Dutzend Flächen der Fall war). Über die Einfül- Ziffern) und einer Reihe wegen schlechter Erhaltung lungen wird berichtet, dass eine Schichtung des Öfteren oder Beobachtung unbestimmten Befunde (S. 34–212). beobachtet werden konnte und dass Konzentrationen Den Abschluss bilden Listen einiger wichtiger Fund - von Holzkohlen und rötliche Anziegelungsspuren des arten (S. 213 f.), der Tafelteil und der Plan der Aschen- darunter befindlichen Bodens auch auf vor Ort abge- befunde im Maßstab 1:200 auf fünf Beilagen. brannte Feuer hinwiesen (S. 4). Das Werk basiert auf einem zunächst von Angelika In den Einfüllungen von 85 Prozent der knapp sechs- Abegg und dann von der Verfasserin erarbeiteten Kata- hundert Aschenbefunde lagen Artefakte (S. 3); anders log von fast sechshundert Aschenbefunden, welcher gesagt enthielt ein halbes Hundert Gruben reine Asche- zwischen 1988 und 1994 entstand. Haffners Vorwort ist einfüllungen (S. 22). Das Fundgut zeigt erhebliche zu entnehmen, dass es aus Kostengründen nicht gelang, Feuereinwirkung. Das Kapitel »Die Funde« enthält zu- einen neuen Gesamtplan der Nekropole zu realisieren, nächst Informationen über geborgene Holzkohle, die der alle beobachteten Befunde in neuer Zählung be- überwiegend von Buchen und Eichen stammt, Lei- rücksichtigt. Auf den fünf Beilagen sind deshalb nur die chenbrände in fast jedem dritten Fall, Tierknochen Aschenbefunde ohne die Gräber kartiert. Räumliche in nur zehn Befunden, verkohlte Reste von Kultur- und Bezüge zwischen den im Buch präsentierten Objekten Sammelpflanzen sowie über Brot- und Gebäckreste, und den Gräbern sind folglich nur zu untersuchen, welche Letztere anhand der interessanten Untersuchungs- wenn die Gräberfeldpläne der vorhergehenden fünf ergebnissen von Max Währen gedeutet werden (S. 7). Bände einbezogen sind. Es folgt ein Abschnitt über Metallfunde, deren geringe Im Kapitel zum »Erscheinungsbild« finden sich Be- Menge auffällt: Münzen kommen in siebenundzwanzig merkungen zum Erhaltungszustand, zur Art der Doku- Befunden vor; Fibeln beziehungsweise Reste davon wur- mentation, zur Lage im Friedhofsareal, zu Formen und den in nur zwanzig Fällen geborgen. Darüber hinaus Dimensionen der Eintiefungen sowie zur Struktur der sind Nägel und Schuhnägel sowie ganz wenig Schmuck, Einfüllungen. Die Verfasserin macht deutlich, dass die Werkzeug und Gerät dokumentiert. Das Vorkommen Aschenbefunde sehr heterogen in Erscheinung traten einer zweiteiligen eisernen Trense des zweiten Jahrhun- und dass das Bild durch Erosion und Tiefpflügen derts n. Chr. in AG 377 ist als Besonderheit eigens zudem erheblich verzerrt sein muss. »Die Anzahl der zu erwähnen. Unter der Kategorie »Steine« sind Mahl- nachgewiesenen Aschenbefunde entspricht (…) keines- steinfragmente aus Basaltlava (vier Befunde), ein Wetz- falls dem ursprünglichen Zustand. Es ist mit beträcht- stein und Fragmente von Bergkristall vermerkt. Glas- lichen Verlusten zu rechnen« (S. 1). Zeichnerische und reste wurden in zweiundsechzig Befunden beobachtet. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 306

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Stark zerscherbte Tonware stellt den Löwenanteil gen Befunde in Wederath vor dem Hintergrund gleich- des Fundgutes. Sie tritt in vier Fünfteln der Aschen - zeitiger Objekte aus den römischen Nordwestprovinzen befunde auf. Es ist immer nur ein kleiner Teil eines unter Einbeziehung der Gräber. Die von ihr vorgetrage- Gefäßes vorhanden. Die Autorin bemerkt, dass eine nen Beobachtungen sind insgesamt durchaus stichhal- systematische Suche nach Anpassungen in Inventaren tig. Sie leiden aber darunter, dass ein Vergleich mit zeit- anderer Aschenbefunde und der Gräber nicht erfolgte. genössischen Grabinventaren vor Ort im Prinzip nicht Aus organisatorischen und arbeitsökonomischen Grün- durchgeführt wurde, was analytisch zunächst geboten den sind solche Vergleiche angesichts der Fundmenge wäre. Die Autorin legt vielmehr alle in der Literatur bis- tatsächlich kaum zu bewältigen. Auf S. 25 erfährt man lang vorgebrachten Interpretationsvorschläge dar und aber konkret, in ganz anderem Zusammenhang aller- überprüft in einem Ausschlussverfahren die Aschenbe- dings, dass Scherben bestimmter Gefäße in den Einfül- funde in Wederath systematisch auf ihren Informa- lungen von AG 140 und 141 sowie in AF LXXI lagen. tionsgehalt. Im Wesentlichen sind es vier Interpretatio- Unter der Keramik ist Terra Sigillata sehr häufig vor- nen. handen (254 Befunde), dagegen ist nur eine einzige Erstens gibt es die Möglichkeit, Aschenbefunde als Lampe dokumentiert. Alle in der Region geläufigen Gräber, das heißt entweder als Busta oder als Brand - Warenarten kommen vor, auch handgemachte Formen grubengräber zu interpretieren (S. 22–24). Es wird auf (75 Befunde). Probleme bei Tilmann Becherts Terminologie zur Klas- Der Text bleibt die Aufbereitung mancher Informa- sifikation der Grundtypen provinzialrömischer Brand- tion schuldig. Es sind zwar wichtige Keramikformen im gräber hingewiesen. Da dort der Begriff »Brandschüt- Einzelnen benannt, doch fehlt ein zusammenfassender tungsgrab« missverständlich ist, legt sie ihren Ausfüh- Überblick. Bei der rauwandigen Ware ist allzu pauscha- rungen eine verbesserte Systematik zu Grunde, die an lisierend von einem breiten Typenspektrum die Rede den Anfang das Merkmal »Auslese des Leichenbrandes (S. 15). Die Tatsache, dass im Katalog gelegentlich von oder nicht« stellt, dann die Art seiner Bergung berück- latènezeitlicher Keramik die Rede ist (z. B. AG 39, 129, sichtigt und erst dann auf die Verfahrensweise beim 130 und 161; AF LXXXI), bleibt unkommentiert. Min- Zuschütten des Grabes Bezug nimmt. Obwohl in eini- destens ein Befund ist mit größter Sicherheit latènezeit- gen Aschengruben Leichenbrandreste und verziegelte lich (AF LXXXI); er kam bei dem Latène-D-Grab 1252 Wände beobachtet wurden, schließt sie die Möglich - zum Vorschein. Versucht man, sich einen Überblick keit aus, dass es sich dabei um Gräber handele. Dies zu verschaffen, wird rätselhaft, weshalb in der Fundliste entspräche nicht den in Wederath geübten Sitten. Sie (S. 213) die Einzelnachweise für Terra Sigillata und hand- stützt diese Aussage allerdings auf die konventionelle gemachte Tonware aufgeführt sind, nicht aber für bel - Ansprache der Befunde in Wederath, die nicht aus einer gische, gefirnisste, glatt- und rauwandige Ware sowie Analyse hervorgegangen ist, sondern primär auf deren solche mit Goldglimmerüberzug. Diese Inkonsequenz Erscheinungsbild während der Ausgrabung vertraut. ist im Übrigen auch für Nägel festzustellen, die eben- Die Gefahr des Zirkelschlusses ist hier gegeben. falls in diesen Fundlisten nicht erscheinen, obwohl sie Als zweite Deutungsmöglichkeit wird detailliert er- eine sehr häufige Fundkategorie sind. So enthielt fast wogen, ob Aschenbefunde als Überreste von Verbren- jeder der seit 1978 untersuchten Befunde Eisennägel, in nungsplätzen anzusehen (S. 25–27) sind. Die Verfasse- Einzelfällen bis zu hundertsechzig Stück (S. 8). rin weist auf räumliche Bezüge von Aschenflächen, Im knapp gehaltenen Abschnitt zur Datierung Aschengruben und Grabgärten hin. Aus der Verteilung (S. 18) korrigiert die Verfasserin ältere Einschätzungen, der aschenhaltigen Befunde im Friedhof schlussfolgert wonach Aschengruben in Wederath vor allem dem sie, dass es größere Freiflächen im Gräberfeld gab, wo zweiten und dritten Jahrhundert zuzuordnen seien. Verbrennungen vorgenommen wurden, dass solche Viel mehr sind ihren Recherchen zufolge neunundfünf- aber auch in den Grabgärten stattfanden. Interessant ist zig Gruben sicher in das erste Jahrhundert zu datieren. hier in einer Passage der Wechsel der Stillage im Text. In den Jahrzehnten zwischen 70 und 130 n. Chr. seien Die sonst aus Klassifikation erwachsende Fakten prä- solche Gruben verstärkt angelegt worden. Schon gegen sentierende Autorin beschreibt konkret die komplexe Ende des zweiten Jahrhunderts werde die Sitte seltener Befundsituation im Südwesten des Gräberfeldes. Hier und nach der Mitte des dritten sei sie nicht mehr zu wird auch auf stratigraphische Überlagerungen auf- belegen. Ein sehr kursorischer Vergleich mit den Grab- merksam gemacht. Eine Benennung und systematische inventaren (S. 18 f.) zeigt, dass in Aschenbefunden eine Auswertung komplexer Befundsituationen kommt aber deutliche Akzentverschiebung festzustellen ist, was die sonst im Text nicht vor. Funktionalität des Fundmaterials anbelangt: Hier kom- Die dritte Möglichkeit, nämlich Aschenbefunde als men vorwiegend Breitformen wie Schalen und Teller Abfallgruben oder rituelle Niederlegungen von Schei- vor, vor allem Terra Sigillata, rot gestrichene Ware und terhaufenresten anzusehen, wird bei der Deutung präfe- solche mit Goldglimmerüberzug. Auch Glasreste sind riert (S. 27–29). Wichtiges Argument dafür ist die Dis- überproportional häufig vertreten, Münzen dagegen krepanz der Fundinhalte von Aschenbefunden gegen - unterrepräsentiert. über Gräbern, die auch andernorts zu beobachten sei Das Kapitel »Deutungsmöglichkeiten« (S. 20–30) ist und erstere als Scheiterhaufenrückstände erweise. Dar- breit angelegt. Die Autorin diskutiert die aschenhalti- aus folge, dass bei der Verbrennung anderes Totenzube- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 307

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hör vonnöten war als bei der Bestattung. Obwohl die- fünften Band der Publikation von Wederath (153 f.) auf sem Argument durchaus Geltung zukommt, sei darauf den Aschenbefund Grab 1720 A hin, der in Latène D2 verwiesen, dass im Gräberfeld von Hoppstädten-Weiers- zu datieren ist. Scherben von dort zeigen Anpassungen bach, Kr. Birkenfeld, in spätlatènezeitlichen und früh- zu solchen aus Wagengrab 1726. Es ergibt sich also römischen Gräbern die mit dem reichlichen Brand- schon für die späte Latènezeit ein direkter Bezug von schutt in den Grabraum gelangte verbrannte Keramik Grab und Aschenbefund, dessen Ansprache als Brand- sich nicht wesentlich von jener unterschied, welche un- grubengrab zudem wegen des Vorhandenseins von verbrannt auf der Grubensohle deponiert war: R. Gle- Leichenbrand plausibel erscheint. Zur Deutung der ser, Studien zu sozialen Strukturen der historischen Aschenbefunde allgemein sei noch angemerkt, dass Kelten in Mitteleuropa aufgrund der Gräberanalyse. beim Vergleich der latènezeitlichen mit den römischen Die keltisch-römische Nekropole von Hoppstädten- Belegungsabschnitten der Nekropole das fast vollstän- Weiersbach im Kontext latènezeitlicher Fundgruppen dige Fehlen von Aschenbefunden in den älteren aller- und römischer Okkupation. Saarbrücker Beitr. Altkde. dings auffällt. Deswegen ist die Frage zu stellen, ob es 81 (Bonn 2005) 226 ff. Des Weiteren gibt die Verfasserin nicht vorwiegend Rechtsvorschriften waren, die eine einer rituell motivierten Deponierung gegenüber profa- neue Friedhofsorganisation in der frühen Kaiserzeit er- ner »Abfallentsorgung« den Vorzug. forderten. Die vierte Möglichkeit, nämlich Aschenbefunde als Lässt man den Abschnitt zur Deutung der Befunde Überreste von Toten- und Opfermahlstätten anzusehen außer Betracht, zeichnet sich der Text durch eine ge- (S. 29), schließt sie plausibel aus, weil die Scherben wisse Vagheit bei der Benennung von Beobachtungen sich dann zu ganzen Gefäßen zusammensetzen lassen und Tatsachen aus. Es werden längst nicht alle im Kata- müssten. log enthaltenen Informationen aufbereitet. Die Mi- Das Buch stellt in der vorliegend zustande gekom- schung von allgemeiner Beschreibung mit der Behand- menen Form eine hervorragend dokumentierte Quelle lung von Beispielen zu signifikanten Einzelmerkmalen zum Totenritual in den römischen Nordwestprovinzen verleiht ihm zudem illustrierenden Charakter gleich dar, in das, vom Beginn der Ausgrabungen im Gräber- dem eines Ausstellungskataloges gerade dort, wo eine feld 1954 bis zur endgültigen Publikation, Arbeit aus vertiefte Darstellung zu erwarten wäre, nämlich beim fast fünfzig Jahren eingeflossen ist. Hier ist bereits die häufigsten Fundgut, der Keramik, und bei der zeit- dritte Forschergeneration am Werk. Diese Tatsache ist lichen Einordnung der Befunde als Basis jeglicher wei- als Ergebnis enormer Beharrlichkeit und als Ausdruck teren Auswertung. Die häufige Erwähnung von abso - eines bestimmten Arbeitsethos eigens zu würdigen. luten Zahlen oder Prozentangaben der Merkmalausprä- Wenn im Folgenden Kritik geübt wird, dann nicht, um gungen (meist aber auf mehrere Stellen im Text verteilt) den Wert des Buches selbst zu schmälern noch die Leis- kann daran nichts ändern. Diese beziehen sich stets auf tung der Autorin, die den Text trotz anderweitiger be- den gesamten Datensatz, mithin auf Befunde, die im ruflicher Belastung ausgearbeitet hat. Verlaufe von zwei Jahrhunderten angelegt wurden – für Marlene Kaiser hat die Deutungsmöglichkeiten der die Chronologie der Kaiserzeit eine sehr lange Zeit- Aschenbefunde sehr präzise anhand anderer Ritual- spanne. komplexe herausgearbeitet und sie auf das Material In einem Text, der vor allem den Charakter einer von Wederath übertragen. Es überrascht die Bestimmt- Quelle hat, wie im vorliegenden Fall, interessieren aber heit, wenn sie im zusammenfassenden Abschnitt »Aus- neben der Begriffsbildung selbst die Einzelfälle, die legung« die Deutung der Befunde auf gewisse Optionen unter dem Oberbegriff konkret subsumiert sind. Es beschränkt wissen will, nämlich »entweder Leichenver- sind Merkmale, Merkmalsausprägungen und ihre Vor- brennungsstätten oder Depots für die Rückstände der kommnisse zu benennen. Die Bausteine dazu liefert der Kremationsfeierlichkeiten« (S. 29). Andernorts kommt Text oft nicht: Die Verfasserin verzichtet vielfach auf sie beispielsweise zur Feststellung, wenigs tens sieben Listen der von ihr klassifizierten Merkmalsausprägun- Gruben (AG 111, 348, 389, 411, 412, 418 und 422) könn- gen. Sie gibt oft nur Beispiele oder erwähnt die Anzahl ten wegen des Vorhandenseins von relativ viel Leichen- der Befunde. Listen wären am einfachsten in Klam- brand (56–150 g) als Brandgrubengräber gedeutet wer- mern oder in Fußnoten direkt im Text zu platzieren ge- den (S. 24). Die Untergrenze des genannten Gewichts- wesen. Bei manchen Merkmalen wird dieses Verfahren intervalls ist sehr hoch angesetzt. In regulären Gräbern durchaus praktiziert. Der Text leidet unter dem Nach- anderer Nekropolen kommen viel leichtere Leichen- teil, dass viele Aspekte im sorgfältig recherchierten brände vor: Gleser a. a. O. 65 f.; N. und J. Metzler- Katalog in Eigenregie weiterverfolgt werden müssen – Zens / P.Méniel, Lamadelaine. Une nécropole de l’oppi- an und für sich spannende Arbeiten, die aber von der dum du Titelberg. Doss. Arch. Mus. Nat. Hist. et Art 6 Verfasserin selber als kompetentester Interpretin hätte (Luxemburg 1999) 252 ff. bewerkstelligt werden können. Man sollte meines Erachtens manche Aschenbe- Dies gilt für viele Merkmale der Funde und Be- funde folglich durchaus als Brandgrubengräber inter- funde, insbesondere aber für dasjenige der chronologi- pretieren und auch andere als die genannten dafür in schen Einordnung, das im Unterschied zu anderen Erwägung ziehen. Bereits publizierte Beobachtungen Merkmalen nicht einfach im Katalog genannt ist. Es ist weisen in diese Richtung. Rosemarie Cordie weist im für den Leser erst durch (statistische) Analyse für jeden 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 308

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Einzelbefund als Wahrscheinlichkeitskalkül zu gewin- relative Chronologie und die Horizontalstratigraphie nen. Hier wäre eine vertiefte Darstellung der Ansichten der nicht ganz zweitausend kaiserzeitlichen Gräber in der Verfasserin wünschenswert gewesen, was der For- Wederath inzwischen detailliert erarbeitet wurden: N. schung den Einstieg in das disparate Material zweifellos Geldmacher, Die römischen Gräber des Gräberfeldes erleichtert hätte. von Wederath-Belginum, Kr. Bernkastel-Wittlich. Typo- Möglichkeiten und Grenzen der Kombinationssta- logische und chronologische Studien. Diss. Univ. Kiel tistik beziehungsweise der Seriation sind am vorliegen- 2004. Elektronische Publ. Phil. Fak. Univ. Kiel 2007. den Material zu überprüfen. Ihr Fehlen sei der Verfasse- Laut Vorwort ist ein siebter Band der Publikations- rin hier nicht angelastet, immerhin steht die Geschlos- reihe in Vorbereitung. Er wird unter anderem naturwis- senheit der Befundensembles in Frage. Dem Kapitel senschaftliche Beiträge zur Anthropologie, Archäozoo- »Datierung« (S. 18) wird aber viel zu wenig Raum ge- logie und Archäobotanik enthalten, des Weiteren auf schenkt. Es ist für über dreihundert verwertbare Be- neuen Röntgenbefunden von Eisenresten basierende funde gerade einmal so lang wie die sehr ausführliche Nachträge zu einigen Grabinventaren. Die Bearbeitung Liste der neunundzwanzig Münzen (S. 7 f.), obwohl die der übrigen Befunde wie Wege und Grabgärten steckt Autorin ein an »Leitformen« orientiertes Wissen darü- allerdings noch in den Anfängen. Eine abschließende ber zu erkennen gibt. Ihren Ausführungen zufolge sind Bewertung der Nekropole von Wede rath-Belginum zweihunderteinundfünfzig Aschengruben und sechs - wird deshalb erst in fernerer Zukunft möglich sein. Mit undfünfzig Aschenflächen näher zu datieren. Der Text dem vorliegenden Werk ist allerdings ein großer und bleibt Details schuldig: es werden absolute Zahlen von wichtiger Schritt in Richtung einer Gesamtauswertung Befunden genannt, die für eine bestimmte Zeitstellung des Bestattungsplatzes gegangen. Die präsentierten konkret in Frage kommen. Nur die ältesten Befunde Daten sind unerlässlich für eine Gräberfeldanalyse, die finden etwas intensivere Aufmerksamkeit – sie werden soziale, wirtschaftliche und rituelle Aspekte des hier in claudische Zeit datiert, ohne Hinweise auf latènezeit- bestatteten und bestattenden Personenverbandes auszu- liche Befunde zu beachten –, doch lässt auch hier die loten trachtet. Durch die vorbildliche Gestaltung, die Formulierung Fragen offen: »Dazu (sic!) zählen die sorgfältige Dokumentation sowie die präsentierte Deu- Aschengruben 47, 130, 132, 196, 200, 216 und 217 sowie tung regt es zu solcher Analyse an. die Aschenflächen XLI und XLIII« (S. 18). Es ist somit noch erhebliches analytisches Potenzial vorhanden, zumal die Saarbrücken Ralf Gleser

KLASSISCHE ARCHÄOLOGIE

Helga Bumke, Statuarische Gruppen in der frühen raum ist dabei in drei Phasenabschnitte gegliedert – die griechischen Kunst. Jahrbuch des Deutschen Archäo- geometrische Epoche des achten Jahrhunderts (TeilI), logischen Instituts, Ergänzungsheft 32. De Gruyter, die archaische Zeit bis zum letzten Drittel des sechsten Berlin und New York 2004. 204 Seiten, 36 Tafeln. Jahrhunderts (TeilII) sowie die Gruppen spätarchaischer und frühklassischer Zeit (TeilIII). Der weiteren Unter- Helga Bumke legt mit ihrer Berliner Dissertation eine gliederung liegen unterschiedliche Kriterien zugrunde. Arbeit vor, die ein lange nicht mehr behandeltes Thema Für die geometrische Epoche werden mit Kampf-, Tier- zum Gegenstand hat. Von der älteren Forschung – Kon- und Reigentanzgruppen thematische Kategorien ge- rad Levezov, Bruno Sauer und Werner Technau – setzt wählt; für die archaische Zeit ist es mit der Untergliede- sie sich ab, indem sie deren definitorische Parameter für rung in gleichartig und verschiedenartig komponierte die Definition von Gruppentypen verwirft, ohne aller- Gruppen ein formales Kriterium; für die Spätarchaik dings eine eigene Klassifizierung zu geben (S. 7). So und Frühklassik sind thematische und formale Kate - erhält die Arbeit den Charakter einer Reihe von Einzel- gorien verschränkt, indem Zweikampfgruppen nebst studien. Die Verfasserin untersucht mehrfigurige Sta- zwei- und mehrfigurigen Kompositionen untersucht tuen- und Statuettenensembles, die formal, inhaltlich werden. Schon darin zeichnet sich ab, dass inhaltliche und kontextuell aufeinander bezogen sowie frei im Aspekte der Gruppenbildung nicht konsequent verfolgt Raum aufgestellt sind und damit nicht Teile eines werden, im Vordergrund steht die stilistisch-formale architektonischen Zusammenhangs darstellen oder Ele- Gestaltung. Eine knappe Zusammenfassung schließt mente von Geräten bilden. die Untersuchung ab. Die Publikation hat zum Ziel, Zeitstil und Erzähl- Die geometrische Gruppenplastik, bei der es sich weise von der geometrischen Zeit des achten Jahrhun- vornehmlich um kleinformatige Bronzen handelt, ist derts bis zum Strengen Stil, das heißt bis in die Früh- einem additiven Gestaltungsprinzip verpflichtet. Die klassik hinein, zu verfolgen. Der Untersuchungszeit - einzelnen Aktionsformeln sind mit Bedeutungen be- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 309

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legt: Ausgreifende Arme und bewegliche Knie werden Erst im späten sechsten Jahrhundert treten in der ar- zu inhaltlich besetzten Chiffren, die der geometrischen chaischen Plastik wieder Gruppenbilder auf, bei denen Wertewelt entstammen – ein Ergebnis, das durch die die einzelnen Elemente in einen Handlungszusammen- Studien von Nikolaus Himmelmann bereits vorge- hang treten. An verschiedenen Beispielen wird vorge- zeichnet war. Dass die Körperformeln zwischen einer führt, dass die Aktion keinen oder einen nur bedingten attributiven Bedeutung und einer situativen Sinnge- Einfluss auf die Körperkonzeption hat. Die Akteure bung changieren können, wird in Detailbeobachtungen sind »nie aus einer wirklich vollzogenen Körperbewe- nur angerissen, etwa zum aufgerissenen Raubtiermaul gung und Handlung heraus aufeinander bezogen«. bei der Löwenkampfgruppe Ortiz (S. 24). Auch der Noch wird auf ein »Wechselspiel der Kräfte« sowohl in Umstand, dass einzelne Figuren ganz aus der formel - Bezug auf die Körperhaltung als auch hinsichtlich der haften Artikulierung herausfallen und stattdessen einer Durchgestaltung des Körperbildes verzichtet (S. 129). situativen Charakterisierung folgen, wird an dem an- Die Inszenierung eines »organischen Wechselspiels« greifenden Hund desselben Stückes und der Gruppe (S. 113) der Körperkräfte war der frühen Klassik vorbe- aus Samos gut beobachtet (S. 23 und 26), aber nicht für halten. Erst mit der organischen Durchgestaltung des das Verständnis der Gruppen fruchtbar gemacht. Körpers wird es möglich, das Aufeinanderwirken der Der Analyse der früh- und hocharchaischen Zeit lie- Kräfte »als tatsächlichen Vorgang« zu veranschaulichen. gen großformatige Steinskulpturen sowie kleinforma- Mit dieser neuartigen Erfassung der Wirklichkeit geht, tige Bronzen zugrunde. Für diese Bildwerke konstatiert wie Bumke zu Recht bemerkt, eine neue Akzentsetzung Bumke einen Wandel der Gruppenkonzeption. Die erst- im Gehalt einher: Es kommt zu einer inhaltlichen mals mit den Bronzen aus Dreros greifbaren großplasti- Zuspitzung der Szenen. Bumke betont, dass nun eine schen Gruppen zeichnen sich dadurch aus, dass die in »Hinblick auf Raum und Zeit widerspruchsfreie einzelnen Statuen nicht durch einen Aktionszusam- Wiedergabe des Darstellungsinhaltes« möglich wird menhang verbunden werden, sondern in parataktischer (S. 189). Hier hätte sich eine differenziertere Auseinan - Reihung erscheinen. Die Verfasserin weist darauf hin, dersetzung mit dem Phänomen angeboten, wird doch dass durch dieses Kompositionsprinzip die Zusammen- diese Aussage durch ihre eigenen Beobachtungen relati- gehörigkeit von Statuengruppen oft hypothetisch bleibt. viert: Bei der Tyrannentötergruppe ist, wie ihre eigenen Als mögliche, jedoch weder notwendige noch hinrei- Beobachtungen zeigen, nicht ein spezifischer histori- chende Bedingungen für eine Zusammengehörigkeit scher Moment, sondern eine Konstruktion zweier ideal- kann laut Verfasserin neben einer gemeinsamen Basis, typisch konzipierter Angreifer vorgeführt, während die der vergleichbaren Größe der Stücke und dem Fund- Athena-und-Marsyas-Gruppe ein Aufeinandertreffen kontext auch die gleichartige Gestaltung gelten. For- zeigt, das in dieser Weise vom Mythos gar nicht vorge- male Gleichartigkeit repräsentiert folglich eine inhalt- sehen ist. liche Verwandtschaft und nicht – wie für die frühen Die grundsätzliche Entwicklung der formalen Gestal- Gruppen vielfach angenommen – eine physiognomi- tung von Statuengruppen, wie sie die Arbeit nachzeich- sche Ähnlichkeit der Dargestellten (S. 69 ff.). Für das net, überrascht vor dem Hintergrund älterer Studien unter dem Namen Kleobis und Biton bekannte Ensem- zur Stil- und Formgeschichte des frühen Griechenland ble zweier großformatiger Kouroi bedeutet dies etwa, wenig. So liegt denn der Wert des Buches insbesondere dass die Ähnlichkeit der Gestaltung nicht als Kriterium in der differenzierten, kritischen Diskussion einzelner für ihre Benennung als Brüderpaar angeführt werden Objekte. Im Mittelpunkt steht eine ausführliche Be- kann (S. 68 f.). Wichtig ist Bumkes Hinweis, dass spie- schreibung der stilistisch-formalen Konzeption der gelbildlich angelegte Gruppen offenbar auf einen archi- Skulpturen, um die Stücke innerhalb der skizzierten tektonisch definierten Rahmen Bezug genommen haben formalen Entwicklung zu verorten. Darüber hinaus (S. 79 f.). Alle Gruppenbildungen verbindet jedoch, werden unterschiedliche Aspekte zum Teil sehr ausführ- dass die Figuren in keinen Aktionszusammenhang tre- lich thematisiert. ten. Bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts hat man Bei bruchstückhaft überlieferten Plastiken nimmt zumeist auf aktionsreiche Kompositionen verzichtet, an die Rekonstruktion der Gruppe breiten Raum ein. Be- ihre Stelle treten, wenn man so will, ›würdevolle Reprä- sonders wertvoll sind die konzisen Beobachtungen zu sentationsgruppen‹. Dieses Phänomen der »Bezugs- den nur literarisch überlieferten Gruppenanathemen losigkeit« freiplastischer Gruppenstatuen wird von der der frühen Klassik – der Orneatenweihung in Delphi Verfasserin – meines Erachtens unzureichend – mit der sowie den Stiftungen der Achaier und Apolloniaten in Festgelegtheit einzelner statuarischer Typen begründet, Olympia, für die eine umfassende Rekonstruktion an- die keine situationsbedingte Varianz zugelassen hätten. geboten wird (S. 161 ff.). Die Datierung wird nur relativ »Erscheinung und Gestaltung der Statuentypen waren selten zum Thema gemacht – großen Raum nimmt sie anscheinend genau festgelegt und blieben offensichtlich für die geometrischen Tanzdarstellungen ein, die Bumke auch bei der Einbindung in einen Gruppenzusammen- auf Grund ihrer aufwendigen Fertigungstechnik zu hang verbindlich« (S. 71). Hier hätte man die veränderte Recht nicht vor das achte Jahrhundert datieren möchte Präsentationsform von Statuen zum Ausgangspunkt für (S. 33 ff.). Sofern bekannt, nimmt auch die Diskussion die Frage nach veränderten Bildbedürfnissen machen des Fundkontextes breiten Raum ein und ergibt insbe- können. sondere etwa für die Sphyrelata aus Dreros neue Er- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 310

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kenntnisse für das Bildverständnis. Während man bis- Lembke constitue désormais l’ouvrage de référence sur lang das ergrabene Herdhaus optimistisch als Apollon- ce monument. Mais, comme le sous-titre l’indique, il heiligtum deutet, in dem die Bronzen auf dem Altar ge- ne s’agit pas seulement d’une publication archéolo- standen und die Kultbildgruppe – Apollon mit Leto gique: l’auteur entreprend, à partir de l’exemple d’Am- und Artemis – dargestellt hätten, zeigt die Verfasserin, rit, une vaste enquête sur les modes d’acculturation et dass weder die Deutung als Apollonheiligtum gesichert ne propose rien de moins qu’une synthèse sur l’identité ist noch die Annahme, die Objekte seien auf dem Altar culturelle phénicienne. aufgestellt gewesen (S. 47 ff.). Ebenso kommt laut Ver- Les ambitions de l’auteur apparaissent dès l’intro- fasserin eine Deutung als Votivfiguren in Frage. Verein- duction, où est mis en place un cadre méthodologique zelt werden auch ausführlichere Überlegungen zur Dar- et conceptuel qui charpente, de manière souvent rigide, stellungsabsicht und damit zum Bildinhalt angestellt. tout l’ouvrage. Les chapitres consacrés à la publication Für die Geneleosgruppe wird zu Recht eine situative du monument et du mobilier sont, à bien des égards, Lesweise kritisiert, vielmehr handele es sich um die pa- exemplaires. Après l’historique des fouilles et des re- rataktische Reihung von »verbindlichen Statuentypen, cherches (p. 11–18), l’étude architecturale (p. 19–32) en- die chiffrenhaft dem antiken Betrachter die für diese visage tous les aspects de l’édifice et l’on suivra volon- Personen geltenden allgemeingültigen Verhaltens- und tiers l’auteur quand elle remet en question l’existence de Lebensideale vorführten« (S. 89). Auch bei der Tyran- deux tours d’angle du côté nord ainsi que celle des deux nentötergruppe wird eine situative Lesart, die den histo- piliers libres, proposés dans la publication de 1985. La rischen Moment des Mordes dargestellt sehen möchte, datation, à la fin du septième siècle, est elle aussi in Frage gestellt und statt dessen auf die Konstruiertheit convaincante et il faut sans doute renoncer à considérer der Gruppe verwiesen, die zwei idealtypisch charakteri- le sanctuaire d’Amrit comme un exemple d’architecture sierte Kämpfer in Aktion vorführt (S. 137 ff.). phénicienne de la période perse. Aus der Fülle der differenzierten Detailbeobachtun- Le gros de l’ouvrage porte sur l’abondant matériel gen, die hier nur beispielhaft referiert worden sind, recueilli (uniquement les fragments sculptés en pierre schlägt die Arbeit nur bedingt interpretatives Kapital. et les figurines de terre cuite, le reste – céramique et pe- Da je nach Objekt immer wieder unterschiedliche Kri- tits objets – n’étant pas étudié). Il y a 552 numéros dans terien in den Vordergrund treten, bleibt eine systema- le catalogue qui clôt le texte: cela n’épuise pas l’en- tische Zusammenschau der einzelnen Untersuchungs- semble des découvertes effectuées sur le site, mais kategorien aus. Dabei hätte es sich angeboten, die Er- montre l’immense travail accompli par l’auteur pour re- gebnisse zur Formgeschichte mit einer historischen trouver et cataloguer les fragments, dont un certain Analyse der Bildinhalte und einer Funktionsgeschichte nombre d’oeuvres disparues. Outre dix terres cuites, der Gruppen zu verbinden. Die in die Tiefe gehenden seuls huit fragments, pour l’essentiel des pièces non fi- Beobachtungen zu einzelnen Objekten stellen jedoch gurées, sont en calcarénite locale, et quinze en marbre einen zentralen Beitrag für die Erforschung der frühen (p. 33–39). Le reste, de type chypriote, est fabriqué dans Bildkultur dar. Sie bieten eine solide Grundlage für jede un calcaire dont l’analyse de Christos Xenophontos (an- weitere Beschäftigung mit frühgriechischer Plastik. nexe II, p. 218 s.) tend également à montrer l’origine chypriote. Le plus gros chapitre (p. 40–96) est donc Leipzig Annette Haug consacré à l’étude, typologique et stylistique, des sculp- tures en calcaire. L’auteur renonce, avec raison, au sys- tème de datation défini par Einar Gjerstad (p. 41) et suit un découpage simple, en trois phases archaïques. La ty- pologie proposée est souvent complexe, les catégories Katja Lembke, Die Skulpturen aus dem Quellheilig- nombreuses et les recoupements entre séries ne man- tum von Amrit. Studie zur Akkulturation in Phöni- quent pas: sur un même schéma plastique, les sculp- zien. Damaszener Forschungen, tome 12. Philipp von teurs chypriotes se sont plu à jouer de variantes qui ren- Zabern, Mayence 2004. XIV et 222 pages, 27 illustra- dent les classements difficiles, surtout quand il s’agit de tions dans le texte, 64 planches. fragments. Quelques interprétations suscitent des ré- serves : je vois mal comment la main qui apparaît sur le Malgré sa découverte ancienne – le site est décrit dans côté du fragment no. 187 (pl. 25 d) peut s’articuler avec des récits de voyageurs du dix-septième siècle –, le sanc- ce qu’on voit de l’arrachement du bras et l’interpréta- tuaire d’Amrit reste assez mal connu. Les fouilles et les tion comme groupe, proposée par Dunand, continue pillages, qui se sont multipliés dès la seconde moitié du à me paraître plus satisfaisante. L’auteur met bien en dix-neuvième siècle, ont mis au jour des fragments de évidence l’existence de types locaux – le »Maître des - sculptures, très vite dispersés dans différentes collec- maux« tenant un oiseau au lieu d’un lion – et les tions. La plupart des trouvailles provient des travaux de rapprochements suggérés sont tous convaincants. Elle Maurice Dunand, en 1926 (fouille d’une favissa), puis souligne ainsi avec raison le lien entre les sculptures entre 1954 et 1959, avec l’aide de Nessib Saliby, trou- de sa troisième phase archaïque et celles de Kition et vailles partiellement publiées dans deux articles et dans d’Idalion: le cinquième siècle est le moment où le un volume de synthèse paru en 1985. Le livre de Katja royaume de Kition entre, pour la première fois de façon 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 311

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assurée, dans l’histoire, et où il connaît une phase d’ex- ionien«, nu et vêtu, sont aussi attestés dans le monde pansion territoriale et d’accroissement de son influence, grec: un »dompteur de lion« de Camiros porte un politique et culturelle, à Chypre. Les trouvailles d’Am- même perizoma peint, un »kilt« rouge selon la descrip- rit montrent que son rayonnement allait bien au-delà tion de Frederick Norman Pryce (Catalogue of Sculp- des frontières de l’île. Le chapitre suivant, qui porte sur ture in the Department of Greek and Roman Antiqui- le culte (p. 97–109), s’intéresse aux seules conclusions ties of the British Museum I 1 [London 1928] no. B 335 qu’il est possible de tirer d’une documentation très la- pl. 36). Si donc l’existence de variantes locales est un cunaire. Les deux dédicaces à Echmoun constituent, de argument fort pour suggérer la présence de sculpteurs fait, les seuls témoignages utilisables pour identifier la chypriotes (kitiens?) à Amrit pour la série de la fin de divinité – ou, du moins, l’une des divinités – à laquelle l’archaïsme, il n’en est absolument pas de même pour la était consacré le lieu. série ancienne, qui ne se distingue en rien des autres lots Le dernier chapitre (p. 110–143) ne se contente pas de »chypro-ioniens«. replacer le sanctuaire d’Amrit dans son contexte, histo- Mais c’est surtout le cadre conceptuel défini et rique et culturel: le monument sert de prétexte ou, plu- l’usage qui en est fait qui éprouvent, dans ce chapitre, tôt, d’illustration, à une synthèse sur la civilisation phé- leurs limites. Dès l’introduction (p. 1–10), l’auteur mul- nicienne. L’auteur, qui envisage en quelques pages les tiplie les références à l’archéologie post-coloniale et à relations culturelles entre la Phénicie et les autres civili- l’anthropologie culturelle pour affirmer son affranchis- sations de Méditerranée orientale au premier millé- sement de l’hellénocentrisme. Pourtant, quelques lignes naire, fait preuve d’une remarquable maîtrise d’une do- plus loin, l’art phénicien est naturellement hybride cumentation dispersée et d’une évidente capacité à fran- puisque le »peuple« phénicien est fait de marchands et chir les barrières des spécialités disciplinaires. Mais de navigateurs (cliché répété p. 147). De même, parmi l’ambition même de son sujet entraîne des simplifica- les cinq échelles définies dans les modes de réception tions, des à-peu-près. La présentation de la situation des influences étrangères, le niveau le plus élevé, celui de historique de Chypre (notamment p. 125 s.) fourmille la création, reste l’apanage des seuls Grecs (réitéré de ce que Franz Georg Maier nomme des »factoids« p. 146). En quoi les sarcophages anthropoïdes en marbre, (Journal Hellenic Stud. 105, 1985, 32–39). Quelle source les ivoires ou les coupes métalliques gravées tiennent-ils indique que les Phéniciens »jouaient un rôle important moins de la création que les kouroi grecs ? Le classe- dans le transport du cuivre par mer«? C’est justement ment, qui offre toutes les garanties extérieures de l’ob- l’un des paradoxes des textes orientaux, notamment as- jectivité descriptive, est en fait un jugement de valeur. syriens, qu’ils ne mentionnent jamais le cuivre lorsqu’ils Et c’est un jugement qui repose sur un corpus limité, en traitent du tribut apporté par les rois chypriotes et le- objets et dans le temps. De fait, seule la plastique est en- vantins. Quelle est donc cette »koinè chypro-phéni- visagée, laissant hors du champ de l’étude des pans en- cienne« qui règne sur la côte sud de Chypre, à proximité tiers de la civilisation matérielle phénicienne, comme la de Kition, et touche notamment Salamine et Ama- céramique. Par ailleurs, la définition des aires d’in- thonte? Quelle est la relation logique entre la prise fluence ne prend pas en considération l’histoire. Or, si, d’Idalion par Kition et le fait que le premier royaume par exemple, bon nombre de productions phéniciennes s’était engagé du côté des insurgés lors de la révolte io- sont égyptisantes, elles le doivent moins à une influence nienne? Certaines interprétations sont, par ailleurs, dis- directe de la vallée du Nil qu’au fait que les civilisations cutables. Je pense notamment qu’il faut absolument syro-palestiniennes du premier millénaire sont en distinguer deux lots différents parmi les sculptures chy- grande partie les héritières, dans le répertoire du luxe, de priotes d’Amrit: la première série, la plus ancienne, la koinè culturelle qui caractérisait l’ensemble de la Mé- entre dans la catégorie »chypro-ionienne«; la seconde diterranée orientale au Bronze Récent. pourrait s’appeler »kitienne«, tant les liens entre les Ces réserves touchent les marges de l’ouvrage et ne trouvailles d’Amrit et celles de la région de Kition sont remettent nullement en question l’importance de la pu- étroits. La catégorie »chypro-ionienne« comprend, blication. Par sa qualité, le livre de Katja Lembke fait comme partout ailleurs, en particulier dans le monde d’Amrit l’un des sanctuaires phéniciens les mieux étu- grec, à la fois des oeuvres de style »mixte« et des œuvres diés. Il ne doit toutefois pas faire oublier qu’il s’agit d’un de type »purement« chypriote. L’auteur a donc raison de lieu de culte extra-urbain d’Arados et que les grands souligner qu’on ne peut pas faire l’économie de sculp- sanctuaires urbains de la Phénicie du premier millénaire teurs chypriotes (p. 129–137). Mais je doute qu’on puisse restent encore totalement inconnus. mettre en évidence des spécificités locales, preuve d’une adaptation des créateurs à la demande et donc de l’exis- Lyon Sabine Fourrier tence d’ateliers itinérants. L’argument, plusieurs fois présenté au cours de l’ouvrage, s’appuie sur deux torses masculins, de même facture, peut-être de même main, l’un nu (no. 184 pl. 22; 23), l’autre vêtu d’un perizoma peint (no. 168 pl. 22 e). Ce serait la preuve que le type Dieter Mertens, Städte und Bauten der Westgriechen. grec, nu, pouvait être modifié pour s’adapter au goût Hirmer, Munich 2006. – Edition italienne: Città e local (p. 136). Mais les deux types du kouros »chypro- monumenti dei Greci d’Occidente. L’Erma di Bret- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 312

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schneider, Rome 2006. 463 pages, 751 illustrations dans Vélia autour de 400, pour la simple raison qu’il n’exis- le texte, très souvent en couleurs. tait sans doute pas avant le dernier tiers du quatrième siècle. Mais le site n’a fait l’objet pour l’instant que de Ce livre très bien édité constitue une somme très atten- notices préliminaires et la publication définitive est en- due sur l’urbanisme et l’architecture des Grecs d’Occi- core en préparation, on aura donc l’occasion d’y revenir. dent. Le plan est principalement chronologique. L’in- La bibliographie est tout à fait à jour sur la plupart troduction est consacrée à la colonisation grecque en gé- des thèmes abordés. Le plan suivi est clair. La division néral, aux traditions architecturales des cultures locales en chapitres chronologiques oblige souvent à tronçon- ainsi qu’à celles des sociétés grecques de métropole au ner l’information sur les grands sites, mais le sommaire moment de la colonisation. Le premier chapitre (»Les au début du volume et l’index à la fin permettront de s’y débuts«) fait l’histoire des premiers établissements grecs retrouver sans trop de mal. Chacun des grands chapitres en Occident aux huitième et septième siècle, avec un se conclut généralement par une synthèse qui permet de assez long développement sur Mégara Hyblaea et, bien rassembler les idées maîtresses, ce qui fait que l’ouvrage, entendu, sur Sélinonte. Le second chapitre consacré au malgré l’abondance des informations, reste clair et facile haut-archaïsme comprend d’abord une étude détaillée à lire. des premiers temples, notamment des terres cuites ar- L’illustration est une des grandes richesses de ce livre. chitecturales, puis un développement sur la naissance Très nombreuse, souvent nouvelle ou redessinée, elle de l’architecture en pierre, et particulièrement sur le sera extrêmement utile, même si l’on pourra regretter temple d’Apollon à Syracuse, les grands temples de Sé- quelquefois un format un peu exigu, rançon de l’abon- linonte, les constructions achéennes d’Italie méridio- dance. Une critique tout de même: sans doute pour al- nale. Le chapitre est complété par l’étude des plans d’ur- léger la présentation, les numéros des illustrations, don- banisme des cités achéennes d’Italie méridionale, de nés dans la légende, ne sont pas répétés sous l’illustra- Locres, une étude poussée de l’urbanisme de Sélinonte tion elle-même, ce qui peut créer quelque incertitude. au sixième siècle, ainsi que des fondations plus récentes Quelques incertitudes aussi lorsque plusieurs images (Agrigente, Lipari, Marseille, Vélia). Le chapitre inti- font partie de la même figure, par exemple fig. 129, le tulé »Période de bouleversements dans l’architecture ar- temple d’Apollon à Cirò est en bas (b) et le temple C de chaïque tardive« est consacré aux temples de cette pé- Thermos en haut (a) contrairement à ce que dit le texte; riode charnière, avec une attention particulière à l’ordre ou p. 117, fig. 186, le temple Y et le temple d’Aphaia, ionique et aux mélanges d’éléments ioniques dans l’ar- dont on parle, sont à droite, les temples de Syracuse et chitecture dorique. de Sélinonte à gauche, ce qui peut déconcerter, l’ordre Le chapitre sur le cinquième siècle est à nouveau de lecture étant plutôt de gauche à droite. divisé en deux parties, la première sur les temples du Ces critiques mineures n’enlèvent rien à l’intérêt style sévère, particulièrement le temple de la Victoire à d’un ouvrage que tout chercheur sur la Grèce d’Occi- Himère et son »jumeau« syracusain, le temple E de dent devra avoir impérativement dans sa bibliothèque, Sélinonte et l’Héraion II de Poséidonia, les temples et dont on espère une prochaine traduction en français. ioniques de Métaponte et de Locres. Puis sont traitées les modifications dans la première moitié du cinquième Aix-en-Provence Henri Treziny siècle des grands centres urbains de Syracuse, d’Agri- gente, de Sélinonte, des cités achéennes de Métaponte et Poséidonia. Le chapitre sur »La maturité« traite des cités con- struites ou reconstruites dans la première moitié du cin- Klaus Junker, Griechische Mythenbilder. Einführung quième siècle, comme Naples ou Naxos, Himère (pour in ihre Interpretation. J. B. Metzler, Stuttgart und Wei- les modifications supposées apportées par Théron à un mar 2005. 190 Seiten, 36 Abbildungen. habitat mis en place dès le second quart du sixième siècle), Camarine, la ville basse de Vélia, et se termine Nach dem Abschluss des Lexicon Iconographicum My- par une réflexion sur Hippodamos et Thourioi. Mer- thologiae Classicae (LIMC) erschienen in den letzten tens aborde ensuite l’architecture »rationnelle« de la se- Jahren mehrere Beiträge zur antiken Mythologie, zu conde moitié du siècle, les questions de métrologie, de denen auch die vorliegende Schrift gehört. Dass das proportions et de tracés régulateurs dans les temples LIMC »sämtliche Figuren der griechischen und römi- d’Agrigente, de Sélinonte, de Kaulonia, et évidemment schen Mythologie« enthalte, wie Junker in seinem gut de Ségeste pour lequel son étude fait autorité. gegliederten, ausführlichen Literaturverzeichnis (S. 172) Le dernier chapitre, intitulé »Crise et récession à la schreibt, ist allerdings zu korrigieren. Von einer ganzen fin du Ve s. av. J.-C.«, permet à l’auteur de présenter un Reihe mythologischer Gestalten sind keine bildlichen copieux dossier sur les fortifications de Syracuse à l’épo- Darstellungen nachgewiesen. Sie erscheinen daher que de Denys, puis quelques réflexions sur Grecs et ita- nicht in LIMC. liques en Grande Grèce. Je noterai tout de même ici mon Das Buch ist in sechs Kapitel gegliedert. Das erste désaccord sur l’interprétation du site fortifié de Moio (S. 13–27) bringt zunächst als Fallbeispiel die Berliner della Civitella, qui n’a pas pu participer à la défense de Sosiasschale (Abb. 1; 2). Ihre Bilder innen und außen 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 313

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stehen nach dem Verfasser (S. 21) in einem gedank- der aufgegriffen. So ist zum Beispiel die Bauplastik an lichen Zusammenhang, der mehr der Bildkunst als der vielen weiteren Stellen vertreten (Abb. 7; 18–20; 23; 36). Literatur entspreche. Verlangt sei hier »ikonographische Dass der Mythos vom Streit zwischen Poseidon und Kombinatorik«, die allerdings mit Gefahren verbunden Athena im Westgiebel des Parthenon nach den Perser- sei (S. 23). Diesen ist auch der Autor nicht ganz entgan- kriegen in Athen entstanden sei (S. 34 u. ö.), überzeugt gen. Im Innenbild der Schale ragt hinter der linken meines Erachtens nicht. Schulter des von Achill am Oberarm verbundenen Pa- Im methodischen Kapitel 5 (S. 109–139) gibt Junker troklos kein Köcher auf (so S. 13), sondern es handelt zunächst eine Geschichte der Hermeneutik. Das Vorge- sich, wie längst gesehen, um den Teil des Harnischs hen des führenden Gelehrten auf diesem Gebiet, Erwin zum Schutz der linken Schulter, der wegen der Wunde Panofsky, sei an Bibel und Heiligenviten gebunden und hochgeklappt ist. daher nur bedingt auf die klassische Mythologie zu Ein zweites Gefäß aus dem ersten Kapitel, auf das übertragen (S. 113). Einer von Panofskys zentralen der Autor später ebenfalls öfter zurückgreift, ist die Ber- Künstlern, Albrecht Dürer, hat jedoch eine ganze Reihe liner Amphore des Exekias (Abb. 4; 5). Wieder bestehe von Darstellungen antiker Mythen geschaffen. – Zwei eine gedankliche Kombination zwischen den beiden plastische Gruppen, Laokoon (Abb. 26) sowie Athena Bildern: Kriegers Abschied und Bergung eines Gefalle- und Marsyas (Abb. 27–29), werden geschickt als Bei- nen. Obwohl der letztere in der Forschung allgemein als spiele herausgegriffen. Für die Bewegung des Marsyas der tote Achilleus gilt, den Aias trägt, möchte der Ver- vergleicht der Verfasser überzeugend tanzende Satyr- fasser die beiden namenlos lassen (S. 25; 57; 113; 142). In spielsilene auf Vasen (Abb. 30). Er geht ferner intensiv Dichtung und Bildkunst pflegen jedoch normalerweise auf die Vorgeschichte und die Nachwirkung der be- beim Transport eines Gefallenen zwei Figuren aufzutre- rühmten Gruppe des Myron ein (S. 137–139). ten (vgl. Abb. 14). Nur Aias war stark genug, den riesi- Das letzte Kapitel, »Inhalte und Intentionen« (S. gen toten Achill samt Rüstung allein zu tragen. Es muss 140–170) basiert auf allen fünf vorausgehenden Ab- daher auf der Berliner Amphore bei Aias mit Achill blei- schnitten. Der Autor wendet sich gegen allzu einseitige ben, um den dessen Mutter Thetis klagt. Deutungen. »Anstatt eine vorrangig affirmative, bloß Kapitel 2 (S. 28–64) enthält ausführliche Definitio- bestätigende Wirkung zu entfalten, haben viele Bilder nen zu Mythen und zu deren bildlichen Umsetzungen. einen Bezug zur Reflexion über die von ihnen themati- Junker spricht von »Formen des visuellen Erzählens«. sierten Gegenstände geleistet« (S. 166). Affirmation und Er greift hier wie auch sonst weit aus – von attischen Reflexion werden an einem Beispiel erläutert, für das es Vasen bis hin zu römischen Sarkophagen (Abb. 11) und wie beim Innenbild der Sosiasschale (Abb. 1) keine zum Barberinischen Faun (Abb. 12), einem mythischen schriftlichen Quellen gibt: Achill und Aias während Wesen, bei dessen Schöpfung »visuelle Strategie« mit - einer Kampfpause beim Brettspiel (Abb. 37). Nach gewirkt habe (S. 54). Wie schwer die Unterscheidung einer früheren »affirmativen« Interpretation seien die zwischen Mythenbildern und solchen des damaligen beiden pflichtvergessen (S. 168). Da es sich aber um die Lebens ist, wird hier und anderenorts anhand von Bei- zwei größten achäischen Helden handelt, die beide spielen ausgeführt. schon vor der Einnahme Trojas starben, fordere dieses In Kapitel 3 behandelt der Verfasser vom histori- spezifische, wohl von Exekias erfundene Bild zur Refle- schen Standpunkt aus die sprachliche (S. 65–73) und xion heraus (S. 170). Der Gedanke an den frühen Tod bildliche (S. 73–89) »Mythenproduktion«. (Es ist zu hof- der beiden ist meines Erachtens durch ihre ungewöhn- fen, dass dieser Begriff nicht Schule macht.) Das führt lichen Mäntel unterstrichen. Sie gleichen in ihrer rei- unter anderem zur Frage nach den Anfängen des My- chen Verzierung einem Leichentuch (fùroj). thenbildes. Nach Ansicht des Autors gehören die Dar- In der gesamten Arbeit wendet sich der Verfasser er- stellungen auf der großen Polyphemamphore in Eleusis folgreich gegen jene, für die antike Mythenbilder nichts (Abb. 17) »zur ältesten Generation der eindeutigen My- anderes als Illustrationen von Texten sind. Dazu gehö- thenbilder« (S. 76). Dieses um 670 v. Chr. entstandene ren vor allem klassische Philologen. Nun setzt das Ver- Werk ist jedoch ein bis zwei Generationen jünger als die stehen von Bildkunst eine bestimmte Schulung des Se- gesicherten Heraklestaten oder das tro janische Pferd hens voraus, ähnlich wie das Verstehen von Musik eine auf böotischen Fibeln (vgl. F. Canciani, Archaeologia solche des Hörens. Dazu können Junkers gut ausge- Homerica, Lieferung N 2, Bildkunst II (1984) N 60 wählte Beispiele zusammen mit dem neuen LIMC- Abb. 21). Diese für die Mythologie wichtige Gattung Supplement (2009) manches beitragen. hätte vom Verfasser berücksichtigt werden sollen. In Kapitel 4 »Denkmälerarten und Funktionsberei- Würzburg Erika Simon che« werden die folgenden Bildgattungen im Überblick beschrieben: Vasenmalerei (S. 90–97), Plastik (S. 97– 101), römische Wandbilder sowie Mosaike (S. 101–105) und römische Sarkophage (S. 105–108). Aus den jeweils Natascha Sojc, Trauer auf attischen Grabreliefs. Frau- wenigen Seiten für sehr große Gebiete geht hervor, dass endarstellungen zwischen Ideal und Wirklichkeit. der Autor im Allgemeinen bleiben muss. Doch werden Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2005. 189 pages, 25 die gleichen Themen in anderen Kapiteln immer wie- black-and-white photos, 8 colour photos. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 314

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The study of Attic funerary monuments goes back a husband and wife work for the same goal; the unity of long time, starting with Alexander Conze and his »Die the family, the success of the household and, ultimately, attischen Grabreliefs« in four volumes, published be- the confirmation of citizenship. Motherhood would be tween 1893 and 1922. At first, the reliefs were mostly demonstrated by letting infants and older children ac- analysed and classified from a stylistic point of view. company the respectable lady of the house. Also, the main interest was on the inscriptions, the pic- Yet, another contributor to the study of iconography tures being of lesser importance. One of the first who and gender on the burial monuments is Natascha Sojc, took an interest into the iconography was the Danish in her very solid and most interesting book. This is a re- scholar Knud Friis Johansen, who published »The vised version of her dissertation for a Ph.D.-degree in Attic grave-reliefs of the Classical period« in 1951. His 1999, concerning women depicted on Greek Classical method was to look at the reliefs not as a pieces of art, burial reliefs. but using the iconography as a source for interpreting In this new book Sojc investigates the Attic funerary the social and moral values and attitudes of the Athen- reliefs with the aim to, based on iconographical meth- ian society. ods, interpret the motives of women in, as she puts it, a Every student of Classical Attic burial monuments »kulturhistorischen« context. This means that she is will have great help from the late Christoph W. Clair- analysing the different kinds of roles of women in the mont’s impressive corpus from 1993, »Classical Attic Athenian society, both real ones and those idealised, in Tombstones«, consisting of a detailed catalogue in six order to point out how women were to be commemo- volumes and a Plate Volume with photographs of about rated on the burial monuments. The period covered is two thousand reliefs. Also the inscriptions are published about 440 to 300 B. C. Obviously, it was not personal and commented on in the Catalogue Volumes. abilities of the individual, but rather the deep rooted A socio-political aspect, based on the iconological traditional idealisation of femininity and female virtue, message of the reliefs, was presented in 1997 by that was applied. And this idealisation reflected the Johannes Bergemann in his magnificent work »Demos attitudes of society as a whole, concerning male and und Thanatos. Untersuchungen zum Wertsystem der female gender roles. Polis im Spiegel der attischen Grabreliefs des 4. Jahr- The book contains nine thematic chapters. I will not hunderts v. Chr. und zur Funktion der gleichzeitigen go into detail and give an account on every one of them, Grabbauten«. Among other things, Bergemann argues but rather focus on some aspects that especially caught that the primary function of the burial reliefs was not to my interest. In her introduction, Sojc demonstrates a express grief and loss, but to point out the social norms broad knowledge concerning basic ideas on different and systems that formed the basis of society. This is in theories applied to Gender studies. Michel Foucault particular visible in motifs showing married couples, and Jacques M. Lacan are referred to, as well as Chris- women, and children, as well as in family scenes. The tiane Sourvinou-Inwood and her methods on a semi- reliefs are demonstrating members of a family as otic »reading« of images. strongly united (clasping hands in the so called dexiosis- Sojc’s investigation starts in the second chapter with gesture), expressing succession and continuance (chil- a short summery of the common opinion on women in dren born in a legitimate marriage), and not to forget, the Athenian society. The conceptions of public and exposing beautiful women as faithful wives and moth- private spheres are being discussed and here Sojc argues ers. By referring to these norms in public, the citizens that the dichotomy that we experience today in our so- would demonstrate their affiliation and loyalty to the ciety perhaps was not at value in the state, and that they thus rightfully deserve their political world. She also refers to earlier research that, in her status as members of the city-state. This could easily opinion, wrongly has placed women in seclusion in the work in a very practical sense. The burials were placed houses in a harem-like fashion. In order to demonstrate in public outside the city walls on terraces along the the free word spoken out by ancient women in connec- roads leading to and from the city. All passers by could tion to their status as married to citizens or prominent stay and watch the monuments, and after receiving the men of the state, Sojc also reflects on the Attic drama. iconological message, the point was taken! In this case Iphigenia in Aulis by Euripides is referred to In recent years, in monographs and articles, the re- in order to demonstrate that women (here Clytemnes- liefs have been approached from a gender perspective. tra addressing Achilles) would be able to communicate The images, no doubt, tell us a lot about gender values, with men and even demonstrate a certain authority. male and female attitudes and family structures in the However, I am somewhat hesitant to the method of Athenian society of the Classical period. Citizen- using Greek tragedy as an example of ordinary behav- women in real life, as we know it, were not to be found iour. Women (and men) in Greek drama are not ordi- in the public area, except for religious occasions. But nary people, their characters and acting being moulded within the iconographic framework of the burial relief on the myths. As a source of normal female behaviour it was considered appropriate, in order to demonstrate in Classical Athens, this example, to me, is a bit over the the values of being a legitimate wife and mother of chil- edge. dren – sons being favoured as the heirs and future pillars In the third chapter Sojc makes a comparison be- of society. The iconographic message would be that tween the iconography of white ground grave lekythoi 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 315

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and that of the burial reliefs. An important argument Sojc also discusses the young girls on the reliefs, with for the comparison is the overlap in time between the their body shapes, hairstyles and dresses. Obviously, lekythoi and burial monuments in the middle of the there was a conscious intention of demonstrating dif- fifth century. Sojc demonstrates that on the lekythoi, ferent age levels of the girls by focusing on the physical women are being pictured occupied with tasks that development from childhood to puberty. Even quite often are connected with the burial monument, or with young girls participated in ritual events of the city-state, preparations of the funeral – tasks that in the ancient as arktoi in the cult of Artemis Brauronia, and as ar- Greek society were women’s jobs. This would be an rephoroi and kanephoroi in the state cult of Athena. iconographic tradition passed over from the lekythoi to This, clearly, seems to have been important tasks to the burial monuments. refer to in images of young girls on the reliefs. One of the most interesting parts in the book is In order to find out how memory and identity of a when Sojc turns to the scenes on the burial reliefs la- deceased woman was expressed, Sojc turns once more belled »Frauengemachszenen«, or, in English, »scenes to the written sources, this time Xenophon. In his from the women’s quarters«. These scenes normally de- Oikonomikos, the norms and attitudes of a perfect wife pict a seated or rather, in my opinion, enthroned lady of comes to expression. A husband speaks to his wife on the house together with a standing female servant or a different matters that have to do with how to run a per- female relative. There would also often be a jewellery fect household, and also how to become a perfect wife. box as well as an infant or small child present. The In short, the norms of society – and of the Athenian methods that Sojc uses are analyses of the body-lan- family – prescribed that a woman should be beautiful, guage and how this is being expressed in gestures and but in that natural way which comes out of a healthy poses, and also in dressing and veiling. Sojc demon- life with activities and duties performed in the house- strates, in a convincing way, that women are being de- hold. Control of appetite is of importance and no arti- picted according to a standard frame which in particu- ficial make up needed. Also, the woman ought to be se- lar is noticeable in the »Frauengemachszenen«. The po- ductive and attracted to her husband, but to him only! sition of the deceased woman is easy to recognise in No flirtations with other men are accepted. Dutiful, but almost every scene. She is sitting on a chair with her modest participation in religious festivals of the city- back slightly bent, she is often beautifully dressed, the state is requested – but not to take into drinking during clothes being transparent as to reveal her body shape, the religious banquets. Now, Oikonomikos is a satire on and she is also wearing jewellery. The so called pudici- morality concerning the Athenian family and demon- tia-gesture is present, with her right hand kept to the strates what good happens to your economy and house- chin, the left arm in position to support the right elbow, hold if you, as a husband, train your wife to be an expert and the head slightly bowed. All of this reflects sorrow, on how to run the oikos – and what disaster that will but even more female modesty, restrain and beauty. It come if you fail to do so. The married couple in also demonstrates the idea of female virtue: women as Oikonomikos speaks freely to each other and it is un- legitimate wives and mothers, which was high priority derstood that husband and wife work for the same goal, on the political agenda, not only to husbands, but to so- the success of the oikos. But, still, there is not much ciety as a whole. equality here between the sexes. Even if the wife is aloud Sojc also notices that when women are depicted on to express her opinion, everything is on the terms of the so called »family scenes«, no infants can be detected, the husband. children present being a bit older. Here, the woman, Sojc’s main results concerning commemoration and being a gun≥, wife and also a mother, is seated on a identity of the women would, if I have correctly under- chair, placed in the centre and surrounded by members stood it, be as follows: The same norms that were con- of the household. Mothers and daughters are often sidered ideal for women in life, would be used for com- united in the dexiosis-gesture. The handshake could memorating them when they have died. They are being also be seen among husbands and wives. The meaning commemorated on the reliefs according to standard of the gesture has been interpreted as a sign of farewell, measures – not to any real or personal ones. Gestures, or a reunion in the underworld, but is still much de- dress, attitudes, and relations between women and bated. In my opinion, the dexiosis would be a sign of other persons express and expose these norms and atti- union and strength within the family, an alliance that tudes connected to the idealised construction of female will not break, even in times of death and separation. gender roles. Occasionally, tenderness in gesture and pose be- The pictures of the dead women also create comfort tween mother and daughter is clearly visible. Sojc sees for those left behind. By watching the imagery of the re- parallels in mythological, when an affectionate relation- liefs the mourners would be assured, over and over ship between mother and daughter, especially Demeter again, of women as being immaculate. The pictorial and Kore (Persephone), is being expressed. This myth composition, both in the scenes with the women’s would in particular create a solid feeling of consolation quarters and in the family scenes, focus on the expected to people and could easily be transformed to the picto- ideal virtues of a wife: beauty and sexual attraction – rial expression of female affection and consolation on yet, modesty; sorrow – yet, restrain. And not to forget: the reliefs. consolation and strength. With all these qualities ascer- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 316

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tained consolation, as well as strength are being brought Der Heilgott Asklepios bietet, so der Verfasser, einen to those left behind. »geradezu paradigmatische[n] Fall für die Entstehung One could add that this also constructs a collective einer griechischen Gottheit« (S. 21). Allerdings würden memory of the society. Parallels of how disturbing »bis heute alle frühen Belege für Asklepios eliminiert death is and how a common remembrance is created und auf wahllos herangezogene Vorgängergottheiten can be observed in our own modern society. Just read beziehungsweise Heilheroen bezogen«. Hinzu komme, the necrologies in the newspapers of deceased persons dass sich in der Forschung ein »epidaurozentrisches and note what is being focused on from their lives. Sojc Bild« des Asklepioskultes verfestigt habe (S. 27). Hier- gives a remarkable example from the death and memo- mit sind zwei in den Augen des Verfassers wesentliche rial of a famous American female editor of a fashion Defizite der modernen Asklepiosforschung benannt, journal and how her death was tackled in public. die er in der vorliegenden Arbeit durch eine »zusam - Among other things beauty, calmness, strength and a menfassende Betrachtung der Heiligtumsbefunde und feeling of »eternity« were the features that were used in ihre Konfrontation mit quellenorientierten kultge- a symbolic way for the commemoration of this woman, schichtlichen Modellen« zu beheben versucht, um »auf in order to create consolation and a way to handle the diesem Weg […] ein neues, zutreffenderes Bild von Ge- trauma that her premature death caused. schichte und Charakter des Asklepioskultes, das stärker To conclude, I find Natascha Sojc s book very re- als bisher den archäologischen Fakten, insbesondere der freshing since it introduces new ways of approaching Heiligtumsarchitektur als primärer Informationsquelle, women and their status in the Athenian society, both in Rechnung trägt«, zu entwerfen (S. 30 f.). Allerdings, their real life and in the idealised shape of the burial re- dies sei im Voraus bemerkt, gelingt es dem Verfasser liefs. I have not focused on the word »Trauer« (grief) auch auf der Basis einer solchen erneuten Sichtung des very much. Sojc s argument, as I understand it, is that archäologischen Befundes nicht, den Leser von der grief is present, but in a very subtle way. Intense sorrow Kernthese seiner Arbeit zu überzeugen, nach der näm- and mourning immediately connected with the death lich der Asklepioskult in Griechenland deutlich früher of a loved one is not at stake here, but rather consola- als bisher angenommen – an einigen Orten sogar be- tion, offered in cases of loss of a wife, mother or daugh- reits in geometrischer Zeit – eingesetzt habe. ter. The way in which women were depicted, with all Die bereits von ihrem Umfang her beeindruckende the ideal virtues like femininity, fertility, chastity, Untersuchung, die auf einer Heidelberger Dissertation beauty, eternal faithfulness, and strength, served to aus dem Jahr 1995 basiert, besteht aus einem Text- und comfort those left behind. The commemoration of the einem gesonderten Katalogband. Letzterer gliedert sich deceased is also transformed into a collective memory in einen regulären Katalog (im Folgenden zitiert als which could be applied to every woman. This is the »Kat.«), in dem 172 Heiligtümer und Kultstätten des only way a female could be commemorated on in pub- griechischen Mutterlandes einschließlich Thessaliens lic. Not for her own identity, or personal qualities, but aufgenommen sind, sowie in einen Appendixkatalog for the collective memory of the ideal identity, the icon (zitiert als »App.-Kat.«). Dort sind weitere 732 Stätten that is Woman. des Asklepioskultes im übrigen griechischen Bereich Sojc puts a lot of effort in her study of the burial re- sowie im östlichen und westlichen Mittelmeerraum liefs and convincingly argues that what earlier was con- erfasst. Während der Appendixkatalog keine Vollstän- sidered as a piece of art, turns out to be a very complex digkeit beansprucht und sich lediglich auf knappe source for gender structures and attitudes towards An gaben zum Fundgut sowie auf teils umfangreiche women and femininity in Classical Athens. The Literaturangaben beschränkt, strebt der Katalog selbst method used is splendid, the argumentation solid, the weitgehende Vollständigkeit an. Dieser enthält darüber results interesting. The author masters her subject well hinaus immer wieder auch ausführlichere Einzelunter- and delivers her thesis in a convincing manner. suchungen zu den jeweiligen Heiligtümern. Auch der I also whish to pay my complements to the Dietrich Textband gliedert sich in zwei große Themenbereiche. Reimer Verlag on the volume. The book is beautiful, Der eine betrifft die Frühphase des Asklepioskultes und with an attractive layout and good quality of the photo- seiner Stätten (Kap. III); thematisch gehört hierher graphs. This study deserves to be read by everyone auch das Kapitel zum Mythos des Asklepios (Kap. I). working on gender, iconography and burial reliefs (not Der andere Teil behandelt die Blütezeit des Kultes seit necessarily Attic ones). dem späten fünften Jahrhundert v. Chr. und enthält im Wesentlichen drei quasi monographische Untersu- Göteborg Agneta Strömberg chungen, die dem Asklepiosheiligtum von Epidauros (Kap. VI) und zwei seiner wichtigsten Filialgründungen in Athen (Kap. V) und in (Kap. VII2) gelten. Jürgen W. Riethmüller, Asklepios. Heiligtümer und Ein abschließendes Kapitel behandelt generell Typolo- Kulte, Bände I und II. Studien zu antiken Heiligtümern gie und Kultpraxis der Asklepieia (Kap. VIII). Das die- 2. Verlag Archäologie und Geschichte, Heidelberg sen Untersuchungen vorangestellte Kapitel II, in dem 2005. 392 und 502 Seiten, 5 Karten, 142 Abbildungen, die Frage der Definition und Wertigkeit der Kultzeug- 22 Tafeln. nisse erörtert sowie deren zahlenmäßige, chronologi- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 317

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sche und geographische Auswertung vorgenommen von Trikka, die seit der ersten Hälfte des vierten Jahr- wird, setzt eigentlich die folgenden Kapitel III–VII vor- hunderts v. Chr. unter anderem einen bärtigen, auf aus und soll daher hier erst im Anschluss an Kapitel VII einem Klappstuhl sitzenden Mann im Himation zei- besprochen werden, zumal in der bisherigen Form die gen, welcher eine vor ihm befindliche Schlange mit beiden thematisch zusammenhängenden Kapitel I und einem Vogel in seiner Rechten zu füttern scheint (96 III auf unglückliche Weise voneinander getrennt wer- Anm. 37 Taf. 1,4). Das Füttern der Asklepiosschlange den. Den Untersuchungen dieser beiden Kapitel, in mit einem Vogel ist allerdings in der Ikonographie des deren Mittelpunkt der vom Verfasser angestrebte Nach- Heilgottes bisher nicht nachzuweisen und bleibt auch weis eines erheblich früheren Beginns des Asklepioskul- sonst rätselhaft. Entsprechend gilt für eine weitere, tes steht und die mit 159 Seiten fast die Hälfte des möglicherweise etwas frühere Prägung des fünften Jahr- gesamten Textes einnehmen, gilt zunächst das Haupt- hunderts v. Chr., »auf der ein bartloser [!] Asklepios auf augenmerk dieser Rezension. einem Fels thronend erscheint, wie er [ebenfalls] eine Zu Beginn seiner Untersuchung zum Mythos des Schlange mit einem Vogel füttert« (S. 97 Anm. 41). Asklepios (Kap. I) betont der Verfasser, dass es vor allem Beide Münzen scheiden somit als »Nachweis für ein Apollon sei, der in der Ilias »als panhellenischer Heil- hohes Alter des Asklepioskultes in Trikka aus. gott in dem Sinne [erscheint], in dem [Asklepios] später Ein zweites altes Kultzentrum neben Trikka habe verehrt wurde« (S. 33); »der epische Asklepios [war sich »in der ostthessalischen Ebene, in dem zur Teil- dagegen] mit hoher Wahrscheinlichkeit […] eine landschaft Pelagiotis gehörigen Dotion Pedion« (S. 98) heroische, Agamemnon oder Menelaos vergleichbare befunden. Dieses sei zwar ebenfalls nicht sicher identi- Königsgestalt und zugleich ein in der Heilkräuterkunde fiziert, doch ist es nach Ansicht des Verfassers kein Zu- versierter Arzt – kein Gott« (S. 37). Als Gott erscheine fall, dass, ebenso wie im Falle von Trikka, zum Beispiel Asklepios vielmehr »definitiv erst am Ende des 5. Jhs. in auch in der Münzprägung des ostthessalischen der anlässlich der Gründung des Asklepieions von wiederum seit dem späten fünften Jahrhundert v. Chr. Athen im Jahre 420/19 v. Chr. aufgestellten Telemachos- Darstellungen aufkommen, die er mit Asklepios verbin- inschrift, in einer lex sacra aus Epidauros und wohl im den zu können glaubt. Doch gilt für das hier wiederge- homerischen Asklepioshymnos«, während »bei Pindar gebene Motiv eines Männerkopfes mit einer kleinen […] Asklepios noch Heros und Daimon« sei (S. 51). In- Schlange davor beziehungsweise des stehenden bärtigen sofern spreche »der Mythos […] a priori dafür, in dem Mannes, der eine Schlange füttert (S. 102; Kat. 159 Taf. ursprünglichen, epischen Asklepios einen alten Heil- 1, 6), dasselbe wie für das Motiv der oben genannten heros zu erkennen« (S. 54). Obgleich »mindestens sechs Münzen von Trikka. Auch lässt sich allein aus der Tatsa- Landschaften [Anspruch erhoben], Geburtsort des che, dass Asklepios bei Homer ein Fürst von Trikka war Heilgottes zu sein« (S. 37), spiegele allein die »frühe und dass nach Hesiod die Heimat der Koronis, der thessalische Version […] den ursprünglichen Horizont mythischen Mutter des Asklepios, in der ostthessali- des Geburtsmythos wider«, der sich »in allen übrigen schen Ebene gelegen habe, kaum, wie es der Verfasser frühen Zeugnissen zu Asklepios wieder findet« (S. 39). tut, folgern, es habe ebenso wie in Trikka auch »in die- Vor allem die Kultlegende des epidaurischen Hierons ser Gegend […] ein altes Kultzentrum [des Asklepios] zeige »aufgrund der notdürftigen Verbindung der my- gegeben, das wohl noch vor das 8. oder 7. Jh. v. Chr. zu- thischen Protagonisten mit Epidauros […] deutlich, rückreicht« (S. 102). dass ein ursprünglich fremder, thessalischer Mythos Ebenso wenig können zwei weitere Hinweise auf hierher übertragen wurde« (S. 45). einen angeblich uralten Asklepioskult in Thessalien Kapitel III schließt hier, wie gesagt, thematisch un- überzeugen. Solange »ein Asklepioskult auf dem Pelion mittelbar an, indem dieser »frühe Horizont« des Askle- […] archäologisch nicht fassbar« ist (S. 104), reicht eine pioskultes jetzt mit seinen Stätten genauer untersucht vom Verfasser angenommene »Kultverbindung zwi- wird. Zu Beginn betont der Verfasser nochmals, dass schen Asklepios und seinem mythischen Lehrer »das Übergewicht der literarischen Quellen zum Askle- Chiron« nicht aus, um in der dortigen Chironhöhle piosmythos ebenso wie die außerordentlich große Zahl (Kap. III 1, 3) einen alten Asklepioskult zu rekonstruie- der Kultorte recht eindeutig auf Thessalien als Ur- ren. Die Tatsache, dass das benachbarte Demetrias seit sprungsland des Heilgottes bzw. Heilheros Asklepios dem dritten Jahrhundert v. Chr. ein wichtiges Heilig- und seines Kultes« weise (S. 91). Mehr noch, Homer zu- tum des Asklepios Soter besessen hat (Kat. 162), wird folge sei Asklepios »ein heilkundiger Fürst von Trikka, man vielmehr mit einer im ganzen griechischen Bereich eine heroische Herrschergestalt«, gewesen, dessen ältes- seit dem dritten Jahrhundert zu beobachtenden deut- tes und berühmtestes Heiligtum sich auch nach Stra- lichen Zunahme an Asklepioskulten in Verbindung bon in Trikka selbst [Kap. III1, 1; Kat. 152] befunden bringen können (s. hierzu auch weiter unten). Was eine habe. Über dessen Lage und Aussehen allerdings lassen Inschrift des mittleren fünften Jahrhunderts v. Chr. in sich, wie der Verfasser nach gründlicher Prüfung aller der Nymphenhöhle auf dem Karapla-Berg bei Pharsa- bisherigen Lokalisierungsvorschläge (S. 93 ff.) feststellt, los (Kap. III1, 4; Kat. 147) betrifft, aus der hervorgeht, keine näheren Aussagen treffen, auch stünden Beweise dass diese »von Anfang an nicht nur den Nymphen, für ein hohes Alter des Kultes vorerst aus (S. 96). Be- sondern auch Apollon, Asklepios, Hygieia, Chiron etc. sonderes Interesse verdienten daher Münzemissionen geweiht« war, so wäre diese Höhle zwar, wie der Verfas- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 318

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ser zu Recht bemerkt, »der früheste sicher nachweisbare leicht auch der Hygieia« (S. 128). Der Verfasser sieht Kultort des Heilgottes [vielleicht doch eher des Heil- somit »den Beweis erbracht, dass Asklepios hier zu - heros!] in Thessalien überhaupt« (S. 106), doch auch mindest seit der Errichtung des Naos im 6. Jh. v. Chr. nicht mehr! Keinesfalls aber »versteht [es] sich von verehrt wurde« (S. 128 f.), womit »das Asklepieion von selbst, dass auch dieser, ebenso wie alle übrigen genann- Korinth […] das älteste baulich greifbare Asklepieion ten thessalischen Kulte ein höheres Altes besessen habe« Griechenlands« darstelle (S. 129). Sollte das querrecht- (S. 106). eckige Format der Kultbildbasis der jüngeren Phase Auch im benachbarten Mittelgriechenland glaubt überhaupt auch für die Basis des Vorgängerbaus ver- der Verfasser weitere frühe Kultorte des Asklepios nach- bindlich sein, hätte es da nicht viel näher gelegen, in weisen zu können (Kap. III 3). Dies gelte vor allem für den dortigen möglicherweise drei statuettenformatigen das Apollonheiligtum von Delphi (Kat. 119), wo »ein Kultbildern die Apollinische Trias zu erkennen, zumal kleiner Kultbezirk des Asklepios mindestens seit dem Apollon nachweislich für die Frühzeit des Baues be- späten fünften Jahrhundert v. Chr. […] am Hang über zeugt ist? Allzu offensichtlich steht hinter der Annahme dem Athener-Schatzhaus« gelegen habe. Nach ausführ- des Verfassers, es seien hier neben Apollon statt Leto licher Diskussion der bisherigen Lokalisierungsversu- und Artemis vielmehr Asklepios und Hygieia verehrt che (S. 110 ff.) will er in dem dortigen »sog. etruskischen worden, der Wunsch, im Temenos des Apollon und Schatzhaus einen Vorgängerbau des Naiskos des Askle- Asklepios von Korinth »das älteste baulich greifbare pios« aus dem sechsten Jahrhundert v. Chr. erkennen, Asklepieion Griechenlands« zu erkennen. Der Verfasser der somit »einer der frühesten Kultbauten des Heil - geht hierin sogar noch einen Schritt weiter, indem er gottes« wäre – »eine Vermutung, die sich jedoch nicht unter dem archaischen Naiskos Reste einer noch älteren weiter erhärten lässt« (S. 115). Dennoch meint er, hier Phase erkennt, eines »Baldachin[s], der wohl besser als »eine frühe […] wahrscheinlich […] noch ins 6. Jh. freistehendes, hölzernes Tetrastylon anzusprechen« sei. v. Chr. oder noch weiter zurückreichende Kultstätte« Da »solche Anlagen« nach Beobachtung des Verfassers des Asklepios identifiziert zu haben, so dass »wenig »soweit erkennbar, dem Heroenkult« dienten – siehe Zweifel am hohen Alter [auch] des phokischen [Askle- unter anderem auch im Asklepieion von Athen (Kap. pios-]Kultes« bestehe (S. 117). Dies werde darüber hin- V) –, liege es »folglich auf der Hand, in diesem Tetra - aus auch durch den Tempel des Asklepios in Orcho - stylon einen frühen Heroenkult des Asklepios zu erken- menos (Kap. III3, 3; Kat. 108) erhärtet, dessen früheste nen«, wobei nicht ausgeschlossen sei, dass dieser »noch Phase, wie der Verfasser nach wiederum ausführlicher mit den frühesten Keramikfunden aus geometrischer Diskussion der bisherigen Grabungsergebnisse (S. 118 ff.) Zeit zu verbinden ist« (S. 129). Der Verfasser schließt sowie auf der Basis eigener Untersuchungen (S. 121 f.) daraus, dass im späteren Temenos des Apollon und des feststellen zu können glaubt, aus dem frühen fünften Asklepios von Korinth »im frühen 6. Jh. v. Chr., viel- Jahrhundert v. Chr. stammt und »somit einer der ältes- leicht sogar schon im 8. Jh., […] sicher […] Apollon, ten nachweisbaren Tempel des Heilgottes« sei (S. 123) – vielleicht unter seinem Aspekt als Heilgott, verehrt vorausgesetzt, die vom Verfasser postulierte Kultkon - [worden sei], ebenso aber auch von Anfang an Askle- tinuität hat hier tatsächlich bestanden (vgl. zu dieser pios« (S. 130). Allerdings erscheint dieser Schluss des Problematik auch im Folgenden zum Asklepieion von Verfassers ebenso gewagt wie die Annahme, auf der Korinth). Kultbildbasis im Naiskos des sechsten Jahrhunderts Bei der Frage nach dem »frühe(n) Kulthorizont in hätten neben Apollon auch Asklepios und Hygieia ge- der Peloponnes« kommt dem Temenos des Asklepios standen. Im Übrigen lehrt ein Blick zum Beispiel auf die und des Apollon in Korinth (Kap. III4, 1; Kat. 21) be- früheste Phase des Artemisions von Ephesos, dass die sondere Bedeutung zu. Der dortige kleine Naiskos war Architektur früher Tempel durchaus einer solchen, an- einer Inschrift auf einem korinthischen Krateriskos aus geblich einem frühen Heroenkult des Asklepios dienen- der ersten Hälfte des sechsten Jahrhunderts zufolge of- den Baldachinform nahe gekommen ist (s. R. Tölle-Kas- fenbar zunächst Apollon geweiht. Der Name Asklepios ten bein, JdI 109, 1994, 41 ff. bes. 47; 49 Abb. 3); wie viel dagegen ist erst auf dem Fragment einer Kotyle aus dem mehr dürfte dies für Naiskoi dieser Zeit gegolten haben! späten fünften Jahrhundert bezeugt (S. 126). Bei dem Das Asklepieion von Sikyon (Kap. III4, 3; Kat. 23), kleinen Naiskos, »ein[em] normale[n] Antentempel das der Verfasser wegen dessen von Pausanias bezeug- mit distyler Vorhalle oder ein[em] Oikos mit Vorhalle«, tem chryselephantinen Kultbild von der Hand des Ka- handelt es sich allerdings nach Ansicht des Verfassers lamis für eine Gründung spätestens des zweiten Viertels »um eine altertümliche Grundrisslösung, für die sich des fünften Jahrhunderts v. Chr. hält, wäre in diesem Belege vor allem aus dem 7. und 6. Jh.« finden (S. 127). Zusammenhang nicht weiter der Erwähnung wert, Da die Kultbildbasis der jüngeren Phase dieses Naiskos hätte diese Datierung nicht zugleich auch Konsequen- »aufgrund ihres querrechteckigen Formates sicherlich zen für die Anfänge des Mutterheiligtums von Sikyon, mindestens zwei, wenn nicht drei kaum mehr als lebens- nämlich des Asklepieions von Epidauros (s. hierzu wei- große Agalmata« getragen habe, ergibt sich für den Ver- ter unten). Skeptisch stimmt nämlich die jugendlich- fasser »zwangsläufig der Schluss, dass der Bau von An- bartlose Gestalt der angeblichen Asklepiosstatue, die fang an den beiden Hauptkultinhabern im Temenos, zudem ein Zepter und einen Pinienzapfen in den Apollon und seinem Sohn Asklepios, geweiht war viel- Händen hielt. Bezeichnenderweise waren jugendliche 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 319

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Darstellungen des Heilgottes vor allem im zweiten Jahr- Asklepioskultes in Messene aus dem 7./6. Jh. v. Chr. hundert n. Chr. verbreitet, also zur Lebenszeit des […] gesichert« sieht (S. 143), so geht er hierin denn Pau sanias, so dass dieser hier ohne weiteres die Gestalt doch zu weit: Gesichert scheint durch diese Reliefs zu- einer anderen Gottheit, etwa Apollons, oder eines Heros nächst einmal allein die Verehrung einer Heroengestalt als Asklepios missdeutet haben könnte (s. im übrigen im sechsten Jahrhundert ähnlich derjenigen in Lako- auch im Folgenden zu Titane und weiter unten zu Epi- nien, zu deren möglichen Heilfunktionen im Übrigen dauros). auch die dort gefundenen Körperteilvotive sehr wohl Auch das des Asklepios Teitonios in Titane passen würden. (Kap. III4, 3; Kat. 24) besaß in der von Pausanias er- Als frühe Kultzeugnisse aus Elis (Kap. III4, 7) haben wähnten Statue des Asklepios Gortynios offensichtlich nach Ansicht des Verfassers ferner die Statuen des As- ein Bild des Heilgottes, das diesen jugendlich bartlos klepios und der Hygieia zu gelten, die als Bestandteil zeigte. Allerdings sei nicht auszumachen, »ob sich da- des von Pausanias beschriebenen Mikythosanathems in hinter vielleicht ein spezifischer, aus Arkadien stam- der Altis von Olympia (Kat. 76) bereits aus den siebzi- mender Heilkult verbirgt […], ebensowenig, welcher ger Jahren des fünften Jahrhunderts v. Chr. stammten – Zusammenhang mit dem [eben genannten] jugendli- eine befremdliche, wenn nicht sogar absurde Form des chen Gott im Asklepieion von Sikyon« bestand (S. 133). Nachweises, die der Verfasser allerdings in einer Reihe Dies gilt umso mehr, als die ebenfalls von Pausanias be- weiterer Fälle anwendet, um mit Statuen oder Statuet- schriebenen Agalmata des Asklepios und der Hygieia ten einen Kult des Asklepios oder der Hygieia wahr- im Naos selbst eher »unseren Vorstellungen vom Ausse- scheinlich zu machen (s. hierzu auch weiter unten die hen früharchaischer oder noch erheblich älterer Kult - Bemerkungen zum Katalog). bilder« entsprochen haben (S. 134). Hinzu komme, dass Arkadien (Kap. III4, 8) verfügte sogar über mehrere Pausanias zufolge »der Gläubige, wenn er sich die Gott- eigene Versionen des Geburtsmythos des Asklepios, von heiten geneigt machen wollte, [zunächst] das Kultbild, denen eine »aller Wahrscheinlichkeit nach mit einem das sie Hygieia nannten, verehren« musste, was der Ver- westarkadischen Geburtsmythos des Heilgottes zu- fasser zu Recht als Hinweis dafür versteht, dass hier »das sammenhängt, den der homerische Apollonhymnus be- Kultbild einer älteren, Asklepios und Hygieia voraus - reits für das sechste Jahrhundert v. Chr. belegt«. Dem- gehenden, weiblichen Gottheit zu erkennen [sei], das nach handele es sich also auch hier, »um eine sehr alte erst später als Hygieia uminterpretiert wurde« (S. 134). Tradition, die derjenigen von Messenien kaum nach- Hinzu komme, dass in Titane »der größte Teil des steht« (S. 145). Was die archäologischen Zeugnisse eines Opfertieres […] auf dem Erdboden […], der Holokau- frühen arkadischen Asklepioskultes betrifft, so finden tesis im heroischen und chthonischen Kult entspre- sich solche vor allem im Hieron von Gortys (Kat. 87), chend«, verbrannt wurde (S. 135). Die Annahme liege wo sich im oberen Teil des Heiligtums merkwürdiger- daher nahe, dass in Titane zunächst ein »älterer, ur- weise unter anderem Waffenweihungen und Terrakot- sprünglicher Heilheros verehrt wurde, an dessen Stelle ten weiblicher Figuren aus archaischer Zeit fanden. später […] Asklepios trat«. Dass letzteres »zu einem re- Dennoch steht für den Verfasser hier »außer Frage […], lativ frühen Zeitpunkt« geschah (S. 136), ist allerdings dass der Kultinhaber bereits damals Asklepios war« wiederum allein Vermutung des Verfassers. (S. 146). Außerdem könnten im unteren Teil des Heilig- Auch in Lakonien (Kap. III 4, 5) glaubt er, an einigen tums unter dem Tempelfundament verlaufende Mau- Stätten mögliche, wenn auch keine gesicherten An- ern des späten achten Jahrhunderts v. Chr. »zu Recht für haltspunkte für Asklepioskulte seit dem fünften Jahr- einen Kultbau, einen Vorgänger des [späteren] Askle- hundert zu erkennen, im Falle von Epidauros Limera piostempels, in Anspruch« genommen werden (S. 146). (S. 140 f.; Kat. 44) sogar seit dem sechsten Jahrhundert »Da an einer Kultkontinuität wohl nicht zu zweifeln« v. Chr. (s. hierzu auch weiter unten). Für Messenien sei, handele es sich hier »um einen [sehr alten], wenn (Kap. III4, 6) ist eine spezielle Fassung des Geburts - nicht den frühesten Kultbau des Asklepios überhaupt. mythos in den hesiodischen Ehoien und somit seit dem […] Allerhöchstens das Tetrastylon von Korinth oder siebten Jahrhundert v. Chr. bezeugt, die sich allerdings der Kultbau in Messene [ließen] sich an Alter damit lediglich »als Versuch [erweise], den ursprünglich thes- messen« (S. 146). Doch wir erinnern uns: Der genannte salischen Kult und Mythos für diese Landschaft zu ok- frühe Kultbau in Korinth dürfte eher der Apollinischen kupieren« (S. 141). Was die archäologischen Zeugnisse Trias geweiht gewesen sein und der ebenfalls sehr frühe betrifft, so sei in Messene (Kat. 69) ein »naosartiger Bau in Messene scheint eher für einen Heros, unter Kultbau« im östlichen Bereich des Asklepieions an der Umständen einen mit Heilfunktion, bestimmt gewesen interessant, der »drei Phasen aus dem 7.–6., dem zu sein. Im Übrigen lässt die Tatsache, dass eine der 4. und dem 3. Jh. v. Chr.« aufweise (S. 143), sowie ein arkadischen Geburtslegenden drei Asklepiosgestalten Bothros des sechsten bis vierten Jahrhunderts, in dem kennt, eine ähnliche Konstellation auch im arkadische sich unter anderem Votivpinakes mit Darstellungen Gortys zumindest möglich erscheinen. Schließlich sei fanden, die eine sitzende männliche Gestalt mit Kan- in Mantineia (S. 146 f.; Kat. 92) ein Kult für Asklepios tharos und Schlange zeigten, das heißt also, das geläu- und Apollon, Artemis und Leto zumindest seit klassi- fige Motiv spartanischer Heroenreliefs! Wenn der Ver- scher Zeit bezeugt. Da die Kult -statue des Asklepios fasser allerdings hierdurch »die Existenz eines frühen von der Hand des Alkamenes stamme, die Kultbilder 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 320

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der Apollinischen Trias aber erst Werke des Praxiteles ren zu können. Darüber hinaus lasse »der Fund von waren, erwägt der Verfasser hier die Möglichkeit, »dass Architekturterrakotten aus dem mittleren 6. Jh. […] die Asklepios […] der ursprüng liche Kultinhaber« gewesen Existenz eines Kultbaues, eines kleinen Naos, erwarten, sein könnte, auch wenn nicht ausgeschlossen werden gesichert [sei] ein solcher aber erst für das 5. Jh. v. Chr. könne, »dass der Naos von Anfang an als Doppeltempel durch die Opferinschrift und den Baubefund unter des Asklepios und der Letoiden angelegt war« (S. 148). Bau E« (S. 173). Der Fall Korinth allerdings lehrt, dass auch hier Apol- Auffällig ist besonders dessen Westorientierung, lon der Kultvorgänger des Asklepios gewesen sein dürfte. worin »ein erstes, wichtiges Indiz für einen heroischen Dies gilt im Übrigen auch für das Hieron von Epi- Charakter des Kultes erkannt werden« könne (S. 173). dauros (Kat. 32), dessen Anfänge der Verfasser in einem Obgleich die Befunde für Epidauros somit einen Kult- umfangreichen Kapitel (III 5) bespricht. So lautet der beginn um die Mitte beziehungsweise in der zweiten offizielle, in mehreren Inschriften erscheinende Name Hälfte des sechsten Jahrhunderts v. Chr. nahelegten, lie- des Heiligtums »Hieron des Apollon Maleatas und des ßen allerdings »Kultlegende und spätere Bedeutung Asklepios«. In den Iamata, den Berichten von Wunder- des Kultes« ein früheres Gründungsdatum erwarten. So heilungen, wird »Apollon stets jeweils als erster ge- hält es der Verfasser für wahrscheinlich, »dass Asklepios nannt« (S. 150). Tatsächlich war »Apollon Maleatas der bereits im Bezirk des Apollon Maleatas auf dem Kynor- ursprüngliche Kultinhaber und [fungierte] noch in spä- tion, seinem mythischen Geburtsort, verehrt« worden terer Zeit als Hauptgottheit […], auch wenn Asklepios war, bevor »sein Kult später, im 6. Jh., in ein eigenes ihn an Bedeutung längst übertroffen hatte« (S. 150). Heiligtum im Tal transferiert wurde« (S. 173). Die vom Zudem lag der »ursprüngliche Nucleus des Heiligtums Verfasser als Hinweis auf einen solchen Asklepioskult [im] Hieron des Apollon Maleatas auf dem Kynortion« auf dem Kynortion angeführte Statuette eines – be- (S. 151), wo seit »frühmykenischer Zeit […] ein Heilig- zeichnenderweise wieder unbärtigen – jugendlichen tum […] sicher greifbar« ist (S. 153). Dieses erlebte, Asklepios (Athen NM1809), die im dortigen Apollon- nachdem in den Dark Ages die Befunde abgerissen heiligtum gefunden wurde, stammt allerdings erst aus waren und erst wieder im mittleren achten Jahrhundert der Spätantike; so jetzt auch M. Bergmann, Chiragan, v. Chr. einsetzten, »in der zweiten Hälfte des 7. Jhs. v. , Konstantinopel. Zur mythologischen Chr. […] eine erste Blüte« (S. 154). »Gut denkbar wäre, Skulptur der Spätantike. Palilia 7 (Wiesbaden 1999) 51 dass das Heiligtum in mykenischer Zeit dem Maleatas Nr. 19 Taf. 47. 48, 1–3; 49, 1. 2. geweiht war« und »Apollon erst in den Dark Ages oder Auch außerhalb des Mutterlandes glaubt der Verfas- in spätgeometrischer Zeit hierher kam und sich mit ser, derartige frühe Kultzentren des Asklepios nachwei- ihm verband«, wobei »dahingestellt« sei, ob Maleatas sen zu können (Kap. III 6). Das gelte vor allem für die »eine alte Vegetationsgottheit« oder »eine chthonisch- Kykladen, wo »in der Antike […] ein deutlicher Bruch orakuläre Gottheit mit zumindest partiellem Heilcha - zwischen dem Nord- und dem Südteil zu verzeichnen« rakter« gewesen ist (S. 157). sei (S. 186), indem der Asklepioskult allein auf den süd- Die ersten archäologischen Befunde aus dem Askle- lichen, »dorischen Inseln […] durchgehend präsent« pieion im Tal stammen dagegen erst aus dem sechsten gewesen sei (S. 187). Interessant ist vor allem die Insel Jahrhundert v. Chr. (Kap. III 5, 3). Neben Inschriften (App.-Kat. 150), wo der Verfasser »eine besonders dieser Zeit oder eher aus dem frühen fünften Jahrhun- intensive Kultverbindung zwischen dem dorischen dert, die fast durchgehend im Bau E, dem sogenannten Hauptgott Apollon Karneios und Asklepios« feststellt Abaton zum Vorschein kamen und in denen von einem (S. 189). Dies veranlasst ihn zu der Vermutung, dass es Naos und einem Bomos des Asklepios die Rede ist, sind sich nicht nur im Falle des Apollon Karneios, sondern dies ferner gymnische Agone, die seit dem frühen fünf- auch bei Asklepios »um alte, mit dem Königtum [der ten Jahrhundert im Rahmen von Kultfeiern bezeugt Mutterstadt Sparta] verbundene Kulte handelt« (S. 190). seien. Einer der Sieger verweist auf einen Großvater, der Dies umso mehr, als anzunehmen sei, dass »bei der dort gesiegt habe, was sogar in die zweite Hälfte des Gründung der theräischen Kolonie in Kyrene 631 v. Chr. sechsten Jahrhunderts v. Chr. deutet (S. 159). Sorgfältige wohl kaum nur der Kult des Apollon Karneios […] aus Analysen der bisherigen Grabungsergebnisse und vor der übertragen [wurde], sondern […] auch allem Autopsie des Verfassers (S. 161 ff.) ergeben in der der des Asklepios« (S. 190). Auf diese Weise konstruiert Tat einen kleinen westöstlich orientierten Antentempel der Verfasser für Thera sowie für dessen Metropolis oder Tetrastylos-Prostylos unter der Westhalle von Bau Sparta eine Verehrung des Asklepios bereits im siebten E, der somit vor dessen Errichtung »im späten 5. oder Jahrhundert v. Chr., ohne hierfür irgendwelche An- eher in der 1. Hälfte des 4. Jhs.« zu datieren sei (S. 168). haltspunkte zu besitzen. Leider eine auch im Folgenden In ihm erkennt der Verfasser wohl zu Recht einen ersten allzu häufig geübte Praxis! Tempel des Asklepios, der ebenso wie sein Nachfolger Auf den ionischen Kykladen dagegen wirkt der auf den Altar H hin ausgerichtet gewesen sei. Wegen der Asklepioskult »deutlich unterrepräsentiert und spät« verwendeten Z-Klammern – eine »frühe, allgemein noch (S. 190) und stammt, wie der Verfasser später feststellt, ins 6. Jh. v. Chr. gesetzte Klammerform« (S. 169) – ebenso wie zum Beispiel auch »im festländisch- und glaubt der Verfasser, diesen ebenso wie den auf ihn kleinasiatisch-ionischen Bereich frühestens aus dem orientierten alten Asklepiostempel in diese Zeit datie- 4. Jh. v. Chr.« und ist dort »nachweislich auf epidauri- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 321

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sche Filialgründungen zurückzuführen« (S. 205). Eine Datum ein sicherer Terminus ante für die Existenz des Ausnahme bilde allerdings das Asklepieion von Paros koischen Kultes. Wenn der Verfasser allerdings dem (App.-Kat. 174), das der Verfasser eingehend untersucht hinzufügt, dass »als solcher wohl eher das mittlere 6. Jh. (S. 193 ff.) und in einen Bereich für Apollon auf der v. Chr. anzusehen [sei], da die Stadt wohl auch schon oberen Terrasse, wo dieser bereits seit geometrischer damals bestand« (S. 209), so handelt es sich auch hier Zeit verehrt worden sei, und einen für Asklepios auf der wieder um eine Annahme ohne jegliche Beweise. unteren Terrasse unterteilt, auf der sich ein Asklepios- In einem auswertenden Kapitel III 7 (S. 219 ff.) fasst tempel befunden habe, dessen »ältere Phase […] zu- der Autor sodann seine bisherigen Ergebnisse zusam- mindest ins 6. Jh. v. Chr.« zurückgereicht habe (S. 200). men. Es versteht sich von selbst, dass diese angesichts Dies hat nach Ansicht des Verfassers zugleich auch gra- der bisher geäußerten Monita vielfach erheblich relati- vierende Folgen für die Anfänge des Asklepioskultes auf viert werden müssen. Zwar wird man mit dem Verfasser der Insel Thasos (App.-Kat. 52), einer Kolonie von wohl weiterhin annehmen dürfen, dass Thessalien »Ur- Paros, den man bisher wie auf den übrigen ionischen sprungsort des Asklepioskultes« war (S. 219). Dass sich Kykladen erst in das vierte Jahrhundert v. Chr. datiert dort aber, wie der Verfasser behauptet (S. 219), eine ent- hat. »Nachdem nun die Existenz eines archaischen sprechende Kulttradition bis ins achte Jahrhundert Asklepioskultes auf Paros gesichert scheint«, so der Ver- zurückverfolgen lasse, ist, wie wir sahen, durch nichts fasser, »eröffnet sich die Möglichkeit an eine Kultein- bewiesen. Entsprechendes gilt auch für Mittelgriechen- führung aus der Metropolis Paros im Rahmen der land sowie für die Peloponnes, wo der Verfasser zum Koloniegründung im 7. Jh. v. Chr. zu denken« (S. 203 f.). Beispiel für Korinth annimmt, dass der dortige Askle- Unversehens werden hiermit die ohnehin vom Verfasser pioskult ebenfalls bis ins siebte oder achte Jahrhundert für das sechste Jahrhundert v. Chr. lediglich erschlosse- zurückgehe (S. 220). Allerdings wird man auf Grund nen Anfänge des Asklepioskultes auf Paros um ein gan- der Untersuchungen des Verfassers jetzt annehmen dür- zes Jahrhundert vorverlegt! Aber der Verfasser sattelt fen, dass der Asklepioskult in einigen wenigen Fällen noch eins drauf, indem er den Asklepioskult im thasi- ein etwas höheres Alter besitzt als bisher von der For- schen Emporion Antisara (App.-Kat. 41) mit in diese schung angenommen, so etwa in Epidauros, wo mögli- vermeintliche Beweiskette aufnimmt, wo »infolge des cherweise bereits seit der zweiten Hälfte des sechsten Zusammenhanges mit Paros und Thasos sicher von beziehungsweise dem frühen fünften Jahrhundert v. Chr. einem zumindest archaischen Asklepioskult […] auszu- ein entsprechender Kult nachzuweisen ist. Anhaltspunk- gehen« sei. Er fährt fort: »Damit scheint definitiv gesi- te für einen Kultbeginn bereits im achten Jahrhundert, chert, dass er [d. h. der Asklepioskult] bereits bei der wie der Verfasser vermutet (S. 221), gibt es jedoch in Koloniegründung des 7. Jhs. von Paros nach Thasos Epidauros ebenso wenig wie in Trikka, Larisa, Korinth übertragen wurde«, von dort wenig später nach Anti- oder Gortys. sara, wohl ebenfalls noch im siebten Jahrhundert. Auch der These des Verfassers, die weitere Ausbrei- »Diese Kette Paros-Thasos-Antisara [sei] somit das erste tung des Asklepioskultes über das griechische Mutter- gesicherte Fallbeispiel, dass Kultübertragungen im Zu- land hinaus sei durch die frühe Kolonisation der Ägäis- sammenhang mit frü-hen Koloniegründungen auch für inseln erfolgt (S. 221), wird man kaum folgen können. die Ausbreitung des Asklepioskultes eine wichtige Rolle Die vermeintlichen Anhaltspunkte hierfür hatten sich, gespielt haben« (S. 205). Kein Wunder, dass »innerhalb wie wir sahen, als Konstrukte des Verfassers erwiesen. der ionischen Kykladen […] dieser alte und bedeutende Wenn er darüber hinaus postuliert, dass diese ersten parische Asklepioskult völlig singulär« bleibt (S. 205), beiden Ausbreitungsphasen »sicher in die Dark Ages handelt es sich doch allein um ein Konstrukt des Ver- oder in geometrische Zeit zu setzen« seien (S. 222), fassers, das ihm im Übrigen später als Grundlage für so entbehrt dies ebenfalls jeglicher Grundlage. Reine seine in Kapitel III 7 entwickelte These von der Aus- Hypothese ist schließlich auch die vom Verfasser kon- breitung des Asklepioskultes in der Frühzeit auf dem stru ierte Geschichte des Asklepioskultes in Thessalien. Wege der Kolonisation dient. Demnach hätten die nordwestlichen Thessalier, als sie Auch das bedeutendste Heiligtum auf den ebenfalls »irgendwann zwischen dem 12. und 9. Jh. v. Chr.« in das dorisch besiedelten Inseln der Dodekanesos, nämlich Gebiet der beiden ursprünglichen Kultzentren, Trikka das Asklepieion von Kos (Kap. III6, 5; App.-Kat. 179), und die östliche Ebene des Dotion Pedion, eingedrun- gehört nach Ansicht des Verfassers zu solchen frühen gen seien und dabei die Ursprungsbevölkerung verdräng- Kultorten des Heilgottes und wird von ihm daher eben- ten, deren Stammesgott beziehungsweise Stammesheros falls eingehender untersucht (S. 206 ff.): »Mythos und Asklepios übernommen (S. 222). Zu dieser vorthessali- literarische Überlieferung [lieferten] mehrere eindeu- schen Bevölkerungsschicht hätten im Übrigen auch die tige Indizien für ein hohes Alter des koischen Kultes« Dorer gehört, die »bei ihrer Abwanderung [etwa auf die (S. 211). Neben Kultbelegen des späten fünften oder Peloponnes] ihre Kulte und Gottheiten mitgenommen frühen vierten Jahrhunderts v. Chr. und der Hippokra- [hätten], darunter auch Asklepios« (S. 224). tesvita sei dies vor allem die von Thukydides für das Was schließlich die in der Forschung verbreitete Jahr 424 v. Chr. überlieferte Gründung von Epidauros These betrifft, Asklepios habe bei seiner Ankunft die Limera. Da zu diesem Zeitpunkt »bereits ein Asklepios- Kulte älterer lokaler Heilheroen überlagert, so wird kult in Kos bestanden haben muss« (S. 209), sei dieses man dem Verfasser insofern zustimmen können, als 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 322

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dies »nicht als Grundvoraussetzung für die Gründung bildes«. So hätten »die alten Götter der Poleis, wie Zeus, eines Asklepieions gewertet werden« kann. Doch wird Athena und Apollon, […] viel an Vertrauen verloren, eine solche Überlagerung älterer lokaler Heilheroen [und] nicht mehr den religiösen Bedürfnissen und Er- durch Asklepios, die seiner Ansicht nach »eine allge- wartungen« genügt. Auch habe sich »der Schwerpunkt meine Spätdatierung der Einführung des Asklepioskul- von kollektiven Staats- und Genoskulten, in denen der tes« voraussetzt (S. 225) – deren Gültigkeit er, irrtüm- Einzelne fest in eine Kult- und Opfergemeinschaft ein- lich, widerlegt zu haben glaubt –, auch wieder nicht so gebunden war, hin zu Erlösungsreligionen [verlagert], selten gewesen sein wie der Verfasser annimmt. Zweifel- die den persönlichen Heilserwartungen der Menschen los von besonderer Bedeutung ist »die Kultverbindung eher entsprachen« (S. 229). Zugleich aber trage dieser zwischen Asklepios und Apollon«, die an einer Vielzahl Prozess »retrospektive Züge«. Dies komme »in der ge- von Heiligtümern, »besonders bei den bekanntesten steigerten Popularität bisher eher untergeordneter Gott- Bespielen Epidauros, Korinth, Paros, Kos und - heiten und Heroen« zum Ausdruck und »in diesen Zu- mon« – von letzterem war bisher allerdings noch nicht sammenhang [gehöre] zweifellos auch der Bedeutungs- die Rede – »als fester Topos begegnet«, zumal »in nahe- anstieg des Asklepios« (S. 229). zu allen Varianten [des Geburtsmythos des Asklepios] Bevor der Verfasser das Asklepieion von Athen und Apollon [nicht nur] als dessen Vater erscheint, sondern später auch dasjenige von Pergamon ausführlicher be- auch als älterer Heilgott, als Paian oder Apollon Iatros« spricht, nimmt er zunächst kurz auch zu anderen Filial- (S. 225). Wenn es dem Verfasser in diesem Zusammen- gründungen des epidaurischen Hierons Stellung (Kap. hang jedoch schwerfällt zu entscheiden, ob das Vorhan- IV 1). Insgesamt ließen sich »mindestens 22 direkte und densein eines älteren Apollonheiligtums den Ausschlag indirekte Filialen von Epidauros mehr oder weniger für die Gründung eines Asklepieions gab oder ob nicht sicher greifen«, wobei »das Verbreitungsgebiet in Grie- doch Asklepios als untergeordnete Gottheit bezie- chenland […] im Wesentlichen auf die Anrainerstaaten hungsweise Heros gleichzeitig mit Apollon gekommen des Saronischen Golfes, d. h. die Argolis, die Korinthia ist, dann beruhen diese Zweifel allerdings allein auf und Attika beschränkt« gewesen sei (S. 232). Die jewei- dem – nach Ansicht des Rezensenten weitgehend miss- ligen Kultlegenden enthielten stets »die Translation glückten – Versuch des Verfassers, die Kulteinführung einer heiligen Schlange aus dem Mutterheiligtum Epi- des Asklepios extrem früh, vielfach bis in die geometri- dauros ins Tochterheiligtum [als] Topos« (S. 236). Hie- sche Zeit vorzuverlegen. Vielmehr spricht alles dafür, rin dokumentiere sich ein »religionspolitischer Grün- dass in solchen Heiligtümern, in denen Apollon und dungsakt […] durch göttlichen Willen sanktioniert« Asklepios gemeinsam verehrt wurden, Asklepios erst (S. 227), da dort stets »Asklepios bzw. seine heilige relativ spät, in der Regel im späten fünften beziehungs- Schlange selbst die Initiative ergriff und den Standort weise, wie der Verfasser jetzt in einigen Fällen hat wahr- seines neuen Heiligtums bestimmte« (S. 236). Ob aller- scheinlich machen können, schon seit der zweiten dings die Feststellung des Verfassers, »dass der Heilgott Hälfte des sechsten Jahrhunderts v. Chr. als eigenstän- jeweils in Begleitung der Gesamtheit der Mitglieder der dige Gestalt hervorzutreten beginnt, und zwar »aller Asklepiadenfamilie, seiner Gattin Epione, der Söhne Wahrscheinlichkeit nach [zunächst als] alter Heilheros Machaon und Podaleirios, vor allem seiner Töchter Hy- […], der erst in späterer Zeit in den Rang einer Gott- gieia, Iaso, Panakeia und Aigle ins neue Heiligtum heit erhoben wurde« (S. 226). Für einen solchen ur- kam« (S. 237), Allgemeingültigkeit beanspruchen kann, sprünglichen Heroscharakter des Asklepios spreche, so darf bezweifelt werden. Was die durchweg enge Verbin- der Verfasser, auch dessen »Verbindung mit der dung zwischen Filialgründungen und Mutterheiligtum Schlange als seinem heiligen Tier und zugleich therio- anbelangt, so zeige sich diese nicht nur in gemeinsamen morpher Manifestation seiner chthonischen, heilenden Kultpraktiken und Riten, sondern vor allem in gemein- Kraft« ebenso wie zum Beispiel auch der Ritus der samen Kultfeiern. So wurden »in den Filialen jeweils Holokautesis im Asklepieion in Titane beziehungsweise zwei Feste für Asklepios gefeiert: eines zur Kommemo- die Westorientierung seiner Tempel in Epidauros und ration der Kulteinführung und ein zweites, das sich auf in Titane (S. 227 f.). das Mutterheiligtum bzw. auf ein für dieses wichtiges Die folgenden vier Kapitel (IV–VII) gelten der Blü- Datum bezieht« (S. 238). Auch die Heiligen Tiere, vor tezeit des Asklepioskultes, die »eingeleitet [wurde] durch allem die Äskulapnatter und der Hund, stellen ein ver- die [von Epidauros ausgehende] Gründung des Askle- bindendes Element dar, wobei »wie die Verbindung zur pieions von Athen im Jahre 429/19 v. Chr.« und bis in Schlange […] auch diejenige zum Hund, als einem das dritte Jahrhundert v. Chr. andauerte. Diese Phase, [dem] heroisch-chthonischen Bereich zugeordneten in deren Verlauf »Asklepios […] definitiv zu einer Tier, ein Relikt des alten Heilheroenkultes« darstelle panhellenischen Heilgottheit auf(stieg)« (S. 229), be- (S. 240). schreibt der Verfasser im Wesentlichen am Beispiel der Dieser für die Gestalt des Asklepios auch noch im Heiligtümer von Athen, Epidauros und Pergamon quasi späten fünften und im vierten Jahrhundert v. Chr. be- monographisch in drei eigenen Kapiteln (Kap. V–VII). stimmende Charakter eines Heilheros kommt vor allem Diese Kapitel gehören zweifellos zu den besten des im Asklepieion von Athen zum Ausdruck, das der Ver- Buches. Die Gründe für diesen Aufstieg sieht der Ver- fasser im Folgenden eingehend untersucht und das er fasser einerseits im »Verfall des überkommenen Götter- bereits in der Kapitelüberschrift als »ein Paradigma« 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 323

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bezeichnet (Kap. V; Kat. 2). »Kein zweites Asklepieion außerdem zu wissen, wann durch die Ostorientierung [erlaube nämlich] so weitgehende Rückschlüsse auf des athenischen Asklepiostempels die Angleichung an Charakter und unterschiedliche Aspekte des Heilkul- die Ausrichtung anderer Göttertempel vorgenommen tes«; in ihm erkennt der Verfasser den »Schlüssel zum und damit sozusagen die Gottwerdung des Asklepios Verständnis der Gestalt des Heilgottes, aber auch des vollzogen wurde. So lange aber ein entsprechender epidaurischen Mutterheiligtums« (S. 241), weshalb er Altar im Westen des Tempels in Athen nicht nachge- die Filialgründung Athen vor Epidauros bespricht. Die wiesen ist, der Verfasser vielmehr, auch am Altar im uns in zwei Exemplaren erhaltene sogenannte Telema- Osten, ebenso wie am Tempel selbst, zwei Bauphasen chosstele überliefert bekanntlich nicht nur das Grün- beobachten zu können glaubt, erhebt sich die Frage, dungdatum 420/19 v. Chr. für das Athener Heiligtum, weshalb in Athen – wenn dieser Tempel tatsächlich der sondern enthält darüber hinaus auch Hinweise auf des- Gründungsphase des Heiligtums angehört haben sollte sen bauliche Ausgestaltung. Am Anfang steht daher – damals nicht auch die Westorientierung des Askle- eine sorgfältige Analyse der Inschrift sowie der Darstel- piostempels im Mutterheiligtum übernommen wurde. lungen auf dieser Stele (S. 241 ff.). Als Zwischenergebnis Ist der früheste Asklepiostempel in Athen also mög - hält der Verfasser unter anderem fest, dass das Athener licherweise doch erst im Anschluss an den nach Osten Heiligtum »wohl von Anfang an […] einen Tempel des orientierten neuen Asklepiostempel in Epidauros, also Asklepios und der Hygieia, einen Altar, Peribolos mit frühestens in den achtziger Jahren des vierten Jahrhun- Propylon und eine Stoa, vielleicht eine frühe Inkuba- derts v. Chr. – und nicht, wie der Verfasser meint, be- tionshalle umfasste« (S. 250). Da, »von der Oststoa ab- reits im ausgehenden fünften Jahrhundert – errichtet gesehen, eine nähere Untersuchung der Architektur des worden? Heiligtums und seiner baulichen Entwicklung bisher Der andere wichtige Baukomplex im Heiligtum von noch aus(stehe)« (S. 253), ist es das Ziel des Verfassers, Athen, nämlich der aus Bothros und Tetrastylon beste- »anhand der Beobachtungen der bisher noch praktisch hende, erweist sich nach Ansicht des Verfassers als »für unpublizierten Bauten wie Tempel, Altar und Peribolos das Verständnis des Asklepieions von zentraler Bedeu- […] ein eigenes Bild von der Baugeschichte des Athener tung« (S. 267), zumal zumindest der untere Teil des Asklepieions zu entwerfen« (S. 256). Zunächst scheide Bothros seinen Beobachtungen zufolge aus dem späten »eine Verbindung der Bauten [auf der mittleren Ter- fünften Jahrhundert stammt, also aus der Gründungs- rasse] mit dem alten Asklepieion […] endgültig aus«, phase des Heiligtums. Dieser Bothros sei »als fiktives wie schon der dortige Horos der Krene nahelege; »das- Grab des Asklepios Zentrum und Ausgangspunkt sei- selbe [gelte] für die Weststoa, die aus bautypologischen ner der Erde verhafteten, aus ihr emporsteigenden iat- Gründen […] sicher ein Banketthaus darstellt« (S. 256). romantischen Kraft, die den Kranken heilt«, und somit Deshalb nimmt der Verfasser an, dass »zwischen Ost- als ein »Heroon« des Asklepios aufzufassen (S. 272). und Mittelterrasse immer eine Baulücke« geklafft habe Auch das Tetrapylon finde sich, wie entsprechende atti- (S. 258). Dies und »die Existenz eines West-Peribolos sche Weihreliefs für Herakles zeigten, in heroischem mit Propylon seit frühester Zeit lassen keinen Zweifel, Kontext (S. 271 f.) sowie wenig später auch auf entspre- dass das Asklepieion zu allen Zeiten seines Bestehens chenden Reliefs für Asklepios (Taf. 10, 1). Der Verfasser auf die Ostterrasse beschränkt war« (S. 259). schließt hieraus, dass das »Bothros-Tetrastylon für das Was die dortigen Bauten betrifft, so ist bereits er- Heroenopfer« an Asklepios stehe, während »Tempel kannt worden, dass »West- und Ostteil des Askle pios - und Altar für das olympische [Opfer]« bestimmt gewe- tempels bemerkenswerte Unterschiede auf(weisen)« sen sein könnten (S. 270). Hiermit lasse sich erstmals (S. 259), also offensichtlich auf zwei unterschiedliche »die Doppelnatur des Asklepios, seine gleichzeitige Ver- Bauphasen zurückgehen, wobei der spätere eine eindeu- ehrung als Heros und Gott« greifen, eine »Duplizität tige Ostorientierung besitzt. Der Westteil des Tempels der Kultanlagen« (S. 271), die dann auch in Epidauros bestehe »aus regelmäßigen Blöcken desselben Poros wiederkehre (S. 270 f.) und die den Verfasser zu der An- wie der Peribolos« (S. 259 f.), weshalb der Verfasser vor- nahme veranlasst, die Tholos in Epidauros habe bereits schlägt, Bauglieder dorischer Ordnung, die diesem Bau einen Vorgänger besessen (s. hierzu weiter unten). bereits zugewiesen und ins späte vierte Jahrhundert Nach einem Exkurs zum »Amyneion-Asklepieion v. Chr. datiert wurden, um ein Jahrhundert früher an- und der Rolle des Sophokles bei der Einführung des zusetzen und mit der Gründung des Telemachos in Ver- Kultes in Athen« (S. 273–278), wendet sich der Ver - bindung zu bringen (S. 260 ff.). Sollte sich diese frühe fasser in einem weiteren Kapitel der »monumentalen Datierung bestätigen, so wäre es nach Ansicht des Re- Neuge staltung des epidaurischen Hierons im 4. Jh. zensenten wichtig herauszufinden, ob der erste Bau v. Chr.« (Kap. VI; Kat. 32) zu. Am Anfang steht ein all- möglicherweise ebenso wie der archaische beziehungs- gemeiner Überblick über die wichtigsten Gebäude des weise früh- bis hochklassische Asklepiostempel im Heiligtums sowie eine kurze Charakterisierung »sekun- Mutterheiligtum Epidauros (s. hierzu weiter unten), ur- därer Kultbauten« (S. 279 ff.), anschließend kommt der sprünglich ebenfalls nach Westen orientiert war. Dies Verfasser ausführlich auf den spätklassischen Naos des bringt der Verfasser dort bekanntlich mit dem ur- Asklepios als einen der beiden zentralen Kultbauten des sprünglich heroischen Charakter des epidaurischen Heiligtums zu sprechen (S. 279–313). Neben Architek- Asklepios in Verbindung. Ebenso interessant wäre es tur und Skulpturenschmuck des Tempels werden das 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 324

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Bildprogramm und dessen Bezug zum Kultinhaber be- mit einem Spendeopfer am Bothros, dem kultischen sprochen, ferner die Innenausstattung der Cella und Zentrum der Thymele-Opferstätte« ergebe (S. 323). Im das darin befindliche Agalma des Thrasymedes. Hin- Übrigen verweist der Verfasser auf die engen Beziehun- sichtlich der Datierung des Asklepiostempels, der »den gen des Asklepios zum Ei, einerseits als Ausdruck seiner Beginn der Neuanlage des epidaurischen Hierons« be- heroischen Natur, andererseits als »bevorzugtes Nah- zeichne (S. 308 f.), entscheidet sich der Verfasser für ein rungsmittel von Schlangen, insbesondere Baumschlan- Datum zwischen 390 und 380 v. Chr. Der zu diesem gen wie der Aesculapnatter«. Auf die Tholos bezogen Asklepiostempel gehörige Altar liegt – im Gegensatz eröffne dies »die Möglichkeit, an ein Eieropfer mittels zum Altar H des unter der Westfront des Gebäudes Phialen am Bothros zu denken, bestimmt für den E liegenden Vorgängerbaues – jetzt nicht mehr im Heros oder die Schlange als seine Emanation« (S. 323), Westen, sondern im Osten und entspricht somit der was »in der Konsequenz […] zur alten Deutung des üblichen Orientierung von Tempeln anderer Gotthei- Labyrinths als Wohnort der heiligen Schlangen zu- ten. Die Frage, ob erst hiermit die »Gottwerdung« des rück(führe), nun allerdings unter dem entscheidend Asklepios verbunden gewesen sein könnte, lässt der veränderten Vorzeichen des Heroengrabes« (S. 324). Verfasser allerdings offen. Ebenso wie die Eierphialen »auf Heroenkult und -opfer In der Tholos-Thymele (Kap. VI 3), dem zweiten in der Tholos« wiesen im Übrigen »die Bukranien auf zentralen Kultbau des Heiligtums, »der bereits in den das Stieropfer nach olympischem Ritus am Altar des 80er Jahren des 4. Jhs., unmittelbar nach dem Tempel Asklepiostempels« hin; »deutlicher [könne] die Dop- des Asklepios, begonnen […] und, nach mehreren Stag- pelnatur des Kultinhabers, seine Verehrung als Heros nationsphasen, in den 50er Jahren fertig gestellt wurde« und Gott im Temenos [wohl kaum] vor Augen geführt (S. 318), erkennt der Verfasser, wie schon die Forschung werden« (S. 324). »Dass dieser Heroonkult erst mit der zuvor, ein »Heroon des Asklepios«. Im Zentrum des Anlage der Tholos im 4. Jh. entstand […, dem] wider- unter diesem Bau befindlichen Labyrinths habe sich ein spricht schon seine Transferierung nach Athen im Jahre Bothros befunden, dessen »Anlage […] der Schlüssel 420/19 v. Chr. Folglich [sei] von einem Vorgängerbau zum Verständnis der Tholos und des epidaurischen der Tholos auszugehen«, zu dem der Bothros gehört Heilkultes« sei (S. 316). Im Falle des Labyrinths handele haben könnte (S. 324). Diese Annahme des Verfassers sich um ein »unterirdisches Adyton«, dessen »Wegfüh- beruht allerdings allein auf seiner zuvor postulierten rung […] den Besucher auf einem zeremoniell vor - Frühdatierung des Bothros in Athen! geschriebenen Weg mit drei Umrundungen bei jewei- Zeugnisse einer solchen Doppelnatur des Asklepios ligem Richtungswechsel ins Zentrum« führe; dahinter glaubt der Verfasser selbst noch in der hellenistischen verberge sich »ein Lustrationsritus«, der »in einen sepul- Anlage des Asklepieions von Pergamon (Kap. VII2; kral-heroischen Kontext« gehöre (S. 320). Der Bothros Kat. 234), einem weiteren Filialheiligtum von Epidau- selbst habe vor allem dem »heroisch-chthonischen Blut- ros, nachweisen zu können. Allerdings haben sich hier opfer, einem Enagisma«, gedient (S. 320). In diesem die Akzente nun eindeutig zugunsten des göttlichen Zusammenhang verweist der Verfasser unter anderem Charakters des Asklepios verschoben. Nach einem kur- auf den Bothros im Asklepieion von Athen. Wie in zen Überblick über den hadrianischen Baubestand des Athen finde sich somit »dieselbe Konstellation, dieselbe Heiligtums (Kap. VII2, 1) stellt der Verfasser die Frage Duplizität der Kultanlagen […] auch in Epidauros, was nach den Anfängen des Kultes und möglichen Kultvor- bisher kaum Beachtung« gefunden habe (S. 321). Auch gängern (Kap. VII 2, 2). Zunächst betont er, dass der liege die Tholos – »der Integration des ›Heroons‹ in die Zeitpunkt, seit dem »hier, in der Stadtperipherie, ein Oststoa in Athen weitgehend entsprechend« – »genau Heiligtum existierte«, und derjenige, »zu welchem der vor der Front der Inkubationshalle«. Der darin voll - Asklepioskult hierher kam, […] mit dem allgemeinen zogene Vorgang der Inkubation stelle »nichts anderes Kultbeginn am Ort keineswegs unbedingt zusammen- als eine institutionalisierte Form des Schlafs auf dem fallen« müssten. Der Verfasser geht vielmehr davon aus, Heroengrab, als Ausstrahlungs zentrum der heilenden dass in Pergamon erst im zweiten Viertel des dritten Kraft«, dar (S. 321). Was die Tholos-Thymele selbst be- Jahrhunderts mit dem Kultbetrieb begonnen wurde, als trifft, so spreche allein deren Rundform für eine Inter- »gleichzeitig zwei Tempel auf der Felsbarre, zwei Altäre pretation als Heroon. Hinzu komme noch die symboli- und ein Inkubationsbau errichtet wurden und Askle- sche Bedeutung der sogenannten Eierphialen in den pios epigraphisch fassbar wird« (S. 337). Auch was den Metopen des Triglyphenfrieses, auf die bereits in der in der Gründungslegende genannten Archias betrifft, Forschung hingewiesen wurde und die der Verfasser für den zwei historische Personen in Frage kämen, hält nochmals eingehend untersucht (S. 322 ff.). der Verfasser eine Identifizierung mit dem gleichnami- Der Autor erkennt in diesen Eierphialen »eine Art gen Günstling Eumenes’ II., das heißt mit einer Person Kernos zur Darbietung von Eier[n], die im Toten- und des zweiten Viertels des dritten Jahrhunderts v. Chr., Heroenkult hohe Bedeutung besaßen«, und fordert eher für wahrscheinlich (S. 338 f.). Ferner sei »in Analo- daher »für ihr singuläres Erscheinen als wichtigster Bau- gie zum Mutterheiligtum Epidauros, Kos und zahlrei- schmuck der Tholos eine wesentlich konkretere Bedeu- chen anderen Orten die Annahme eines Vorgänger - tung« (S. 322), nämlich als »spezifische Opfergeräte«, so kultes des Apollon […] die wahrscheinlichste Lösung« dass sich »nahezu zwangsläufig […] eine Verbindung (S. 340), zumal später durch »Aelius Aristides […] im 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 325

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Temenos des Asklepios ein Tempel des Apollon Kalli- das sich als Kultbildbasis interpretieren lasse, nimmt teknos, desjenigen mit dem schönen Sohn«, bezeugt sei. der Verfasser sogar an, dass der Asklepios des Phyro Das heißt, dass auch in Pergamon »wie im Mutterhei- machos dort gemeinsam mit einer Statue der Hygieia ligtum [Apollon] mit seinem Sohne […] Hauptkult- zu einer Kultbildgruppe verbunden war, »der jüngere inhaber und als solcher unmittelbar an der Heilung Asklepiostempel [also ebenso] wie der Vorgängerbau, beteiligt« gewesen sei, was im Übrigen auch durch die ein Tempel für Asklepios und Hygieia« gewesen sei dortige, auf eine hellenistische Vorlage zurückgehende (S. 356). Hiermit schneidet der Verfasser allerdings ein Lex sacra bestätigt werde (S 340). Thema an, das ebenfalls Anlass lebhafter Diskussionen Ausgehend hiervon und von der Beobachtung, dass in der Forschung war und sicherlich auch weiterhin die Anlage des Heiligtums hellenistischer Zeit sich »um bleiben wird (s. hierzu auch Rez., Pergameus Deus zwei Altäre, den Süd- und den Mittelaltar 1, als Zen- [2003]). trum des Kultgeschehens« gruppiere und dass daher Aufs Ganze gesehen enthalten diese drei Kapitel, ein »von der gleichzeitigen Errichtung zweier nebeneinan- jedes Zeugnis gründlicher Auseinandersetzung mit der liegender Kultbauten auf der Felsbarre auszugehen« zum Teil durch Autopsie erzielten Befunden, eine sei (S. 340), macht der Verfasser den Vorschlag für eine Fülle wichtiger Beobachtungen, die nicht allein im neue Deutung der dortigen Kultbauten beziehungs- Hinblick auf die drei hier besprochenen Heiligtümer, weise Tempel (S. 343 ff.). In besagtem Mittelaltar 1 war sondern zugleich auch in der Frage des Wandels des nämlich seinen Beobachtungen zufolge eine »Opfer- Asklepios vom Heilheros zum Heilgott die bisherige grube« eingearbeitet, die der Verfasser wieder auf die Diskussion einen entscheidenden Schritt voranbringen »Doppelnatur des Heilgottes, seine gleichzeitige Ver - dürften. ehrung mit olympischem und heroisch-chthonischem Nicht minder wertvoll für künftige Forschungen Opfer« bezieht (S. 349). Hieraus und aus weiteren Un- sind die beiden umfangreichen Kataloge, in denen der tersuchungen des architektonischen Befundes zieht Verfasser eine beeindruckende Fülle an Material und in der Verfasser den Schluss, dass es der zugehörige Tempel einigen Fällen auch hier auf Autopsie beruhenden Be- im mittleren Bereich der Felsbarre – dem er die obachtungen zusammengetragen hat. Dies gilt vor dorischen Architekturglieder, unter ihnen das Archi- allem für die 171 im Katalog selbst erfassten möglichen travfragment mit dem Rest des Namens der Hygieia, Heiligtümer (tatsächlich sind es wegen der zusätzlichen zuweist (S. 349 ff.) – gewesen sei, der »dem Hauptin - Nummer 101a sogar 172), die stets mit einem in vielen haber des Temenos, Asklepios Soter, und seiner Tochter Fällen mehrere Seiten umfassenden Kommentar verse- Hygieia geweiht« war (S. 351), während der ebenfalls aus hen sowie häufig auch durch Pläne dokumentiert sind. der Gründungsphase des Heiligtums, also dem letzten Allerdings erweisen sich einige der Kriterien, anhand Drittel des dritten Jahrhunderts v. Chr., stammende derer der Verfasser solche Asklepieia zu identifizieren erste ionische Tempel auf der Südbarre, dessen Girlan- versucht (Kapitel II 1), überall dort als problematisch, den- und Bukranienfries sich mit demjenigen des wo diese entweder als einziger Hinweis auf eine mögli- Demetertempels auf der Burg vergleichen lasse (S. 345), che Kultstätte des Heilgottes dienen oder gemeinsam »nur Apollon Kalliteknos gehört haben [könne], der mit weiteren ›unsicheren‹ Kriterien Verwendung fin- wie in Epidauros neben seinem Sohn zweiter Hauptin- den. Nicht selten suggerieren solche Kriterien vor allem haber im Temenos« gewesen sei (S. 351). Beide Tempel auch einen früheren Kultbeginn als bisher angenom- mussten allerdings nach den Verwüstungen des Heilig- men wurde. Besonders problematisch sind in diesem tums durch Philipp V. im Jahre 201 v. Chr. durch Neu- Zusammenhang Münzen mit Darstellungen des Askle- bauten ersetzt werden (S. 342), wobei zumindest der pios beziehungsweise mit für ihn charakteristischen jüngere ionische Tempel »aufgrund der Fundlage seiner Symbolen, zumal diese »zumindest was die Zahl der Bauglieder […] noch bis in die Spätantike aufrecht durch sie belegten Kultorte betrifft, eine der größten [stand], also zu den von Aelius Aristides gesehenen und wichtigsten Gruppen« darstellen (S. 61). Bei genau- Tempeln« gehört hat (S. 344), während von einem spä- erer Betrachtung müssen allerdings allein im Mutter- teren dorischen Tempel bisher Bauglieder zu fehlen land von den dreißig Münzen klassischer und hellenis- scheinen (S. 350). – Das bedeutet aber, dass auch dieser tischer Zeit, die der Verfasser in diesem Zusammen- Vorschlag des Verfassers zur Deutung der Baureste auf hang nennt (S. 61 f.), mehr als die Hälfte, nämlich der Felsbarre weiterhin Gegenstand heftiger Diskussio- sechzehn, entweder ausscheiden oder als unsicher gel- nen in der Forschung bleiben dürfte. ten: so zum Beispiel Kat. 25, 154 (nicht Asklepios, son- Seiner »Neuinterpretation des Baubefundes« zufolge dern Zeus bzw. Apollon), 148 (eher der jugendliche (S. 352) kann ferner das Kultbild des Asklepios von der Apoll) und 163 (Asklepios mit Pilos?) sowie App.-Kat. 5 Hand des Phyromachos (Kap. VII2, 5) demnach »nur (kein Asklepios, keine Schlange am Altar!), 47, 134, 227, im dorischen Asklepios Soter-Tempel auf der Mittel- 557 (die Asklepiosserie ist jeweils nur eine unter mehre- barre gestanden haben« (S. 355). Allerdings komme »aus ren Götterprägungen) und 233 (»Asklepios« mit Lor- chronologischen Gründen […] nur der Nachfolgetem- beerkranz?). Zumindest unsicher sind Kultbelege zum pel in Frage, der […] ca. 200–190 v. Chr., wohl zusam- Beispiel Kat. 162, 165 (Münzen eines Koinons, nicht men mit seinem Kultbild wiederhergestellt wurde«. einer bestimmten Stadt) sowie App.-Kat. 184 (könnte Wegen der Dimensionen des dortigen Westfundaments, auch Apollon gelten) und 565. Im Übrigen hält bereits 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 326

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der Verfasser App.-Kat. 166 und 547 für fraglich. Dies peza des Kolotes entsprechende Kultstätten auch für das gilt in noch viel höherem Maße für kaiserzeitliche Heiligtum von Olympia wahrscheinlich zu machen Münzen mit der Darstellung des Heilgottes, die zu drei (Kat. 76 und 77); an anderer Stelle erfährt man aller- Vierteln aus antoninischer, in der Regel sogar erst aus dings, dass dies lediglich aus »arbeitstechnischen« Grün - severischer Zeit stammen und die der Verfasser eben- den geschehe (S. 75 Anm. 82). falls als Beleg für einen Kult des Asklepios in der jewei- Aus solchen Einschränkungen hinsichtlich der Wer- ligen Stadt wertet (S. 62). So handelt es sich in den vom tigkeit einiger wichtiger Kriterien, die dem Verfasser Verfasser für das griechische Mutterland genannten zur Identifizierung möglicher Asklepiosheiligtümer be- dreiundzwanzig von einunddreißig Fällen (tatsächlich ziehungsweise -kulte dienen, ergeben sich logischer- sind es lediglich einundzwanzig von neunundzwanzig), weise auch Konsequenzen für den anschließenden nu- in denen ein Asklepiosheiligtum oder -kult außer durch merischen und chronologischen Überblick (Kap. II2), solche Münzen angeblich auch durch weitere Indizien mit dem er dieses Kapitel beendet. Von den ursprüng- bezeugt ist (S. 63 mit Anm. 31), um höchst unsichere lich 172 (171 plus eine Zusatznummer) Kultstätten auf Belege; in fünf Fällen (Kat. 22, 28, 52, 68 und 85) han- dem griechischen Festland entfallen zwölf gleich wie- delt es sich lediglich um eine kurze Erwähnung bei der, da sie »entweder auszuschließen (Kat. 5, 107 und Pausanias, die hier als einziger weiterer Beleg für einen 136), zu hypothetisch (Kat. 62, 131, 149, 151 und 156 Kult beziehungsweise ein Heiligtum des Asklepios [trotzdem nennt der Verfasser Kat. 62 und 131 im Fol- dient, in acht Fällen (Kat. 20, 31, 66, 70, 72, 73, 90 und genden nochmals unter den unsicheren Fällen]) oder 96) fehlt entgegen der Behauptung des Verfassers selbst nur arbeitstechnischer Natur (Kat. 30, 60, 76 und 77)« eine solche Notiz! Und was generell die Wertigkeit der- seien. Dies erfährt allerdings nur ein sorgfältiger Leser artiger kaiserzeitlicher, vor allem severischer Asklepios- in einer Anmerkung (S. 75 Anm.82)! Dabei hätte eine münzen betrifft, so wäre unter anderem auch die be- solche wichtige Einschränkung unbedingt in den Text sondere Rolle zu berücksichtigen, die den Darstellun- selbst beziehungsweise als Vorbemerkung in den Kata- gen des Asklepios und der Hygieia auf Prägungen dieser log gehört. Ferner müssen dem Verfasser zufolge (S. 75) Zeit zugekommen ist; s. hierzu z. B. L.Winkler, Salus. weitere siebzehn Kultorte zumindest als unsicher gelten Vom Staatskult zur politischen Idee (Heidelberg 1995) (Kat. 15, 62, 95, 101, 109, 110, 111, 112, 115, 122, 123, 126, 131 ff., bes. 142 ff.; 150 ff. Interessant sind in diesem Zu- 131, 153, 163, 164 und 166 [Kat. 62 und 131 wurden aller- sammenhang ferner Statuen antoninischer beziehungs- dings bereits oben unter den sogenannten hypotheti- weise severischer Zeit, die Äskulap-Augustus geweiht schen Fällen genannt]); hinzu kommen ferner Kat. 151 sind, also dem regierenden Kaiser (App.-Kat. 512, 513 und 158, wo eine solche Identifizierung lediglich auf und 517). Zweifel am ›dokumentarischen Wert‹ kaiser- Hinweisen aus der Mythologie beruht, sowie die be- zeitlicher Asklepiosmünzen hätten im Übrigen bereits reits oben genannten dreizehn Fälle, in denen der Ver- dort aufkommen müssen, wo wie im Fall von Phleius, fasser lediglich auf Grund des Fundes kaiserzeitlicher Sikyon oder Troizen (Kat. 22, 23 und 41) bei Pausanias Statuen und Statuetten Kultstätten des Asklepios im von Kultbildern des jugendlich unbärtigen Asklepios griechischen Mutterland identifizieren will. Zählt man die Rede ist, die dortigen Münzen aber den bärtigen zusammen, so verbleiben auf dem griechischen Fest- Gott zeigen. land von den katalogisierten 172 lediglich 130 sichere Geradezu waghalsig ist die Annahme des Verfassers, beziehungsweise wahrscheinliche Kultstätten des Heil- dass »Statuen des Asklepios und der Hygieia […] zu- gottes. mindest im Regelfall als Anatheme im Heiligtum an- Bei den Kultgründungen liegt zweifellos »im Mutter- zusprechen« seien (S. 70), und dass dies sogar für Sta- land […] ein eindeutiger Schwerpunkt im 4. und 3. Jh. tuenfunde in Thermen gelte, die auch dort »durchaus v. Chr.«. Der Einschätzung des Verfassers, dass »Hin- Kultzeugnisse dar(stellen) oder immerhin auf eine allge- weise auf römische Neugründungen […] vollkommen« meine Popularität des Kultes in der Stadt hin(weisen)« fehlten (S. 76), hält einer genaueren Überprüfung je- (S. 70). Gleiches gilt ferner für die Annahme des Ver - doch nicht stand (s. weiter unten). Bei Anwendung fassers, dass auch »Marmorstatuetten in der überwie- strikterer Kriterien für die Identifizierung von Kultstät- genden Mehrzahl als Votive anzusprechen« seien und ten des Asklepios ebenso wie als Ergebnis der Bespre- ebenfalls »eine wichtige und relativ sichere Gruppe chung des Kapitels »Der Frühe Horizont« (Kap. III), von Kultzeugnissen« darstellten (S. 73). Allein dreizehn zeigt sich ferner, dass die Feststellung des Verfassers Kultstätten glaubt der Verfasser anhand solcher Statuen (S. 77), »im 5. Jh. v. Chr. [seien] 21 Asklepieia auf dem beziehungsweise Statuetten nachweisen zu können (z. B. griechischen Festland mit einiger Sicherheit« fassbar, Kat. 1, 6, 12, 26, 29, 38, 101a, 109, 116, 129, 150 und 164), nämlich Kat. 2, 3, 4, 9, 10, 21, 23, 32, 41, 42, 54, 75, 87, obgleich diese zumindest im Falle von Kat. 6, 26 und 29 92, 103, 108, 119, 135, 147 und 159 (hinzu kommen noch nachweislich in einem Gymnasium, in einer Therme die im Folgenden genannten Kat. 69 und 88), nicht auf- beziehungsweise in einem Wohnbereich gefunden wur- rechterhalten werden kann, vor allem wenn der Ver- den. Besonders befremdlich muss dem Leser in diesem fasser in diesem Zusammenhang nun wieder auf die Zusammenhang der Versuch des Verfassers erscheinen, bereits zuvor (S. 75 Anm. 82) als Belege ausgeschiedene mit Hilfe der Asklepiosstatue des Mikythosanathems Asklepiosstatue des Mikythosanathems und die Trapeza und einer entsprechenden Reliefdarstellung auf der Tra- des Kolotes verweist (S. 77 Anm. 85; Kat. 76 und 77). 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 327

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Entsprechendes gilt auch für die Behauptung des Ver- wahrscheinlich noch nicht einmal des sechsten Jahr- fassers, dass »die Befunde an mindestens 6 dieser Orte hunderts v. Chr. [nämlich Kat. 21, 32, 69, 88, 103 und 108] sogar ins In einem letzten Kapitel wertet der Verfasser schließ- 6. Jh., vereinzelt noch weiter« zurückführten (S. 77). Für lich 121 bisher ausgegrabene Heiligtümer in Hinblick auf eine archaische Frühphase des Asklepioskultes kommt Typologie und Kultpraxis der Asklepieia aus (S. 360– unseren Beobachtungen zufolge (s. oben zu Kap. III) 392). Was die Lage der Asklepieia betrifft (S. 361 ff.), so allenfalls Epidauros (Kat. 32), möglicherweise auch unterscheidet er sogenannte Landschaftsheiligtümer, Troizen (Kat. 41) und Gortys (Kat. 87 und 88) in Frage. die sich weitab jeder Siedlung befanden, von Asklepieia Anhaltspunkte für eine noch frühere, geometrische intra muros und extra muros, die an der Peripherie der Phase des Asklepioskultes fehlen jedoch selbst im Teme- Städte jeweils nur wenige hundert Meter innerhalb und nos des Apollon Maleatas in Epidauros (Kat. 33). außerhalb der Stadtmauer lagen. Hinzu kommen ferner Die Anfänge der übrigen genannten Heiligtümer intraurbane, nicht selten auf der Agora gelegene Heilig- dürften frühestens in das späte fünfte Jahrhundert tümer, bei denen sich der Hauptkult vielfach an einem v. Chr. fallen (z. B. Kat. 2, 3, 9, 10, 21, 54, 119, 135, 147 und anderen Ort innerhalb oder außerhalb des Stadtgebie- 159). Weitere Kultstätten des Asklepios klassischer Zeit tes befand. Eine allgemeine Typologie lasse sich für As- dürften etwa Kat. 4. 23. 69. 92. 99. 117. 118 und 130 sein, klepieia kaum erstellen. Immerhin weisen »extraurbane dagegen scheiden zum Beispiel Kat. 25. 140 wegen nicht Heiligtümer und Pilgerzentren« (Kap. VIII2, 1) gegen - eindeutig auf Asklepios zu beziehender Münzen als über »Kultbezirken intra muros« (Kap. VIII 2, 2) inso- Kultorte aus. Die meisten vorkaiserzeitlichen Asklepieia fern Unterschiede auf, als es sich bei letzteren zumin- stammen vermutlich erst aus hellenistischer Zeit; s. etwa dest in einigen Fällen um sogenannte Peristylhofan- Kat. 13. 64. 65. 80. 81. 89. 93. 97. 108. 121. 137. 138. 139. lagen handelt. Doch sind »weder die großen, relativ 142. 145. 155. 157. 162. 167. 168. 169. 170 und 171. ungeordneten, offenen Landschaftsheiligtümer noch Einige Stätten zählt der Verfasser ohne ausreichende die Heiligtümer in Form geschlossener Peristylhofan- Grundlage zu den klassisch-hellenistischen Gründungen, lagen […] ausschließlich für den Asklepioskult charak- nämlich solche, die lediglich von Pausanias erwähnt teristisch« (S. 371). Entsprechendes gilt im Übrigen werden (z. B. Kat. 19, 27, 42, 44, 45, 48, 49, 50, 55, 56, 57, auch für den verbreiteten »Tempel-Stoa-Typus« (Kap. 61, 62, 63, 71, 74, 75, 86, 102, 123 und 125; Kat. 62 und VIII 2, 4), also für den »kleinformatigen Naos […] vor 123 hatte der Verfasser schon zu den ›unsicheren‹ bzw. einer größer dimensionierten […] Inkubationshalle« ›hypothetischen‹ Fällen gezählt), die über den Perie- (S. 372), und für kleinere Kultanlagen, Höhlenheilig - geten hinaus nur durch meist severische Münzen (z. B. tümer sowie vor allem für Kultstätten in Heiligtümern Kat, 22, 28, 52, 68 und 85), eine kaiserzeitliche Statue anderer Gottheiten (Kap. VIII 2, 6). Wenn der Verfasser oder ein Dekret nicht näher bestimmbarer Zeit (Kat. 58 allerdings resümierend konstatiert, dass sich »die größ- und 91) oder aber einen anderen kaiserzeitlichen Autor ten und am reichsten ausgestatteten Asklepieia gerade (z. B. Kat. 82 und 104) bezeugt sind. Vielleicht sollte in den Städten bzw. den Territorien [befänden], in man in ihnen doch eher erst kaiserzeitliche Kultstätten denen [Asklepios] Hauptgottheit war« und in diesem des Asklepios erkennen. Dass Münzen mit einer Dar- Zusammenhang neben Epidauros, Messene und Kos stellung des Asklepios allein als Nachweis für ein ent- unter anderem auch Pergamon nennt (S. 374), so dürfte sprechendes Heiligtum am Ort ausreichen, wie der dies ein Versehen sein, denn in Pergamon blieb be- Verfasser offensichtlich meint (s. z. B. Kat. 20, 31, 66, kanntlich stets Athena die Hauptgottheit. Was die Tem- 70, 72, 73, 90 und 96), darf ebenfalls bezweifelt werden. pel des Asklepios und die sekundären Funktionsbauten In jedem Fall Gründungen der Kaiserzeit sind den Kult- der Asklepieia betrifft (Kap. VIII 3), so handelt es sich zeugnissen zufolge etwa Kat. 8, 11, 17, 19, 34, 46, 53, 103, bei ersteren am häufigsten um Antentempel oder tetra- 106 und 161, also immerhin mindestens zehn, wenn style Prostyloi dorischer Ordnung (S. 375). Im Übrigen man die genannten Erwähnungen allein bei Pausanias unterschieden sich Asklepieia von Kultbezirken anderer ebenfalls als kaiserzeitliche Zeugnisse wertet, sogar Gottheiten vor allem durch ein »relatives Übergewicht weitere dreißig erst kaiserzeitliche Kultorte – und dies, der sekundären Kultbauten, insbesondere der über - obgleich der Verfasser solche Gründungen für nicht dimensionierten Inkubationshallen« (S. 377). Quellen existent erklärt (S. 75). und Haine spielen ebenfalls eine wichtige Rolle im As- In ähnlicher Weise dürfte sich auch die Feststellung klepioskult (Kap. VIII 4), allerdings sei es unbegründet, des Verfassers relativieren, dass von den 192 außerhalb hieraus »weitergehende Schlüsse auf […] eine Rolle des des Mutterlandes liegenden Kultorten »die überwie- Asklepios als Natur- oder Waldgottheit abzuleiten […]. gende Mehrzahl […] nachweislich aus griechischer Immer blieb der architektonische Zusammenhang Zeit« stamme (S. 76). Und was solche tatsächlich grie- übergeordnet« (S. 380). chischen Gründungen betrifft, so handelt es sich, wie Hin und wieder ließen sich in den Asklepieia »Hero- bereits bei der Besprechung des Kapitels »Der frühe enbauten bzw. chthonische Kultanlagen nachweisen, in Horizont« (Kap. III) festzustellen war, im Falle der As- denen der Doppelcharakter des Asklepios« zum Aus- klepieia von Thera, Paros, Thasos und Antisara (App.- druck komme (Kap. VIII 5), der »noch über das 2. Jh. Kat. 41. 52. 147. 150) keinesfalls, wie der Verfasser postu- v. Chr. hinaus […] präsent« war; »vor Ende des 5. Jhs. liert (Kap. III6, 2), bereits um Gründung des siebten, [dagegen seien] dahingehende Indizien relativ spärlich« 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 328

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(S. 380). Neben »Heroa im Wortsinne, wie das Tetra - Frank Rumscheid, Die figürlichen Terrakotten von stylon in Athen und besonders die Tholos-Thymele . Fundkontexte, Ikonographie und Funktion von Epidauros«, die »jeweils Bothroi mit aufwendigem in Wohnhäusern und Heiligtümern im Licht antiker Oberbau« seien, zählt der Verfasser hierzu auch »unprä- Parallelbefunde. Priene I. Deutsches Archäologisches tentiöse Anlagen wie einfache Bothroi und bothros- Institut, Archäologische Forschungen 22. Dr. Ludwig artige Vorrichtungen« (S. 382). Dem für den Asklepios- Reichert Verlag, Wiesbaden 2006. 567 Seiten, 24 kult wesentlichen Element der Inkubation gilt sodann Schwarz weißbeilagen, 163 Tafeln mit etwa 1000 ein eigener Abschnitt (Kap. VIII 6), in dem sowohl vom Schwarzweißabbildungen. Ablauf der Inkubation als auch von dem architektoni- schen Rahmen, in dem diese stattfand, die Rede ist. Das Lange Zeit haben die antiken Terrakotten ein for- Kapitel endet mit dem Thema »Tempelmedizin oder schungsgeschichtliches Dasein im Schatten von ver- Wunderheilung – Bad Wörishofen contra Lourdes« meintlich aussagekräftigeren und anspruchsvolleren (Kap. VIII 6, 3). Der Verfasser stellt fest: »Asklepieia Denkmälerkategorien gefristet, aus dem sie erst in den sind in ihrer Grundstruktur […] Wunderheilstätten«, letzten Jahren durch das zunehmende Interesse der die »in einer langen Tradition von Traumorakeln« ste- Altertumswissenschaften an sozial-, religions- und kul- hen und »besonders mit Heroen verknüpft« sind (S. 390 turgeschichtlichen Fragen befreit wurden. Im Vorder- f.); »der Ritus der Inkubation [ist] nichts anderes als grund der modernen Terrakottaforschung steht – an- eine weiterentwickelte, institutionalisierte, zugleich nur ders als früher, als Sammlungskataloge das Bild be- noch symbolische Form des ursprünglichen Heilschla- stimmten – die Publikation und Diskussion von alten fes auf dem Heroengrab« (S. 391). Erst später, und hier und neuen Ausgrabungsfunden (exemplarisch und die vor allem in der römischen Kaiserzeit, seien an die Stelle vorliegende Arbeit thematisch ergänzend etwa A. Mul- derartiger Wunderheilungen dann »relativ konkrete ler, Etudes Thasiennes XVII. Les terres cuites votives Kuren, kalte und warme Wasserbäder, Schlammbäder, du Thesmophorion. De l’atelier au sanctuaire [1996]; Trinken von Heilwasser, Bewegung, Gymnastik etc.« D. Graepler, Tonfiguren im Grab. Fundkontexte helle- getreten (S. 392). nistischer Terrakotten aus den Nekropolen von Tarent Ungeachtet der in dieser Rezension vorherrschenden [1997]; G. S. Merker, Corinth XVIII 4. The Sanctuary kritischen Töne muss zum Schluss jedoch mit allem of Demeter and Kore. Terracotta Figurines of the Nachdruck betont werden, dass der Verfasser mit den Classical, Hellenistic, and Roman Periods [2000]). Ob- hier vorgelegten Untersuchungen ebenso wie mit schon die betreffenden Stücke oftmals nur fragmenta- den beiden ausführlichen Katalogen eine beachtliche risch überliefert sind, besitzen sie gegenüber den besser Arbeitsleistung vollbracht hat, die uneingeschränkten erhaltenen Tonstatuetten in Privatsammlungen und in Respekt verdient. Vor allem die umfangreiche Samm- Museumsbesitz den Vorteil der unbestrittenen Authen- lung des Materials und die sorgfältigen, zum Teil auf tizität und Kontextverbundenheit. Es ist mithin mög- Autopsie beruhenden Untersuchungen der architek - lich, anhand des archäologischen Fundmaterials Fragen tonischen Befunde sind eine bewunderungswerte Leis- nach der Relevanz der Terrakotten in der antiken Le- tung und dürften von bleibendem Wert sein. Jede benswelt in neuer und vertiefter Form zu diskutieren. erneute Beschäftigung mit dem Kult und den Heilig- Und genau dies ist das erklärte Ziel der hier zu bespre- tümern des Asklepios wird diese Arbeit zum Ausgangs- chenden Arbeit von Frank Rumscheid, die im Jahre punkt nehmen müssen; dies gilt in besonderem Maße 2002 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissen- für die drei fast monographischen Abhandlungen zu schaften der Freien Universität Berlin als Habilitations- den Asklepieia von Epidauros, Athen und Pergamon, in schrift angenommen und mit nur geringfügigen Modi- denen der Verfasser in überzeugender Weise die für den fikationen als erster Band einer neuen Schriftenreihe zu Charakter des Asklepios wichtige Rolle eines Heilheros den Ausgrabungen von Priene publiziert wurde. herausstellt. Diese und andere wichtige Beobachtungen Mit Hilfe einer sorgfältigen Analyse der Tonfiguren und Folgerungen des Verfassers werden die Forschung von Priene und ihrer Fundzusammenhänge will der gewiss zu erneuter Auseinandersetzung mit vielen der Autor erforschen, »ob figürliche Terrakotten in der An- von ihm erörterten Fragenkomplexen veranlassen. Was tike von ihren Käufern gezielt nach thematischen Ge- allerdings die generelle Auswertung all des Gesammel- sichtspunkten für eine spezifische Funktion ausgesucht ten und Beobachteten betrifft, so sei vor allem immer wurden oder ob es sich um mehr oder weniger gedan- dort eine gehörige Portion an Skepsis empfohlen, wo kenlos aufgestellten Nippes handelte (S. 24)«. Die Ter- der Verfasser einen allzu frühen Beginn des Asklepios- rakotten von Priene sind für dieses Vorhaben aus meh- kultes propagiert – im Übrigen eines der Hauptziele sei- reren Gründen prädestiniert: erstens wegen ihrer viel- ner Arbeit – oder wo er mögliche Heiligtümer und fach sehr genau bestimmbaren Provenienz im antiken Kulte des Heilgottes in einer ganzen Reihe von Fällen Stadtgebiet; zweitens wegen ihrer großen Zahl und auf der Basis allzu fragwürdiger Kriterien zu identifizie- ihrer oftmals außergewöhnlichen Qualität und Erhal- ren versucht. Berücksichtigt man dies, so wird man die tung sowie drittens wegen externer Datierungskriterien Arbeit stets mit großem Gewinn benutzen. in Form einer weite Teile des Stadtgebietes über- deckenden Zerstörungsschicht. Das im Katalog erfasste Erlangen Peter Kranz und für die Auswertung herangezogene Material 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 329

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schließt mit insgesamt 407 Exemplaren sämtliche bis Zu den rätselhaftesten Darstellungen von Priene ge- zum Jahr 1998 aus Priene bekannt gewordenen und hören die sogenannten Baubofiguren, die bis auf we- heute noch greifbaren Terrakottafiguren ein. Die Mehr- nige Ausnahmen aus dem Heiligtum der Demeter und zahl davon stammt aus den alten Ausgrabungen von Kore stammen. Offenbar spielten die Figuren, die aus Theodor Wiegand, die in der großen Priene-Pub - den Beinen, dem Geschlecht und dem Kopf einer Frau likation von 1904 ihre bis heute gültige Erstveröffent- unter Weglassung des Oberkörpers komponiert sind, lichung erfahren haben. im dortigen Kult eine besondere Rolle. Weil manche Die Arbeit ist in insgesamt sieben Kapitel gegliedert, von ihnen Opferkörbe mit Früchten tragen, können sie beginnend mit einer Einleitung, in der die Forschungs- nicht als gleichberechtige Göttinnen neben Demeter geschichte und Zielsetzung der Arbeit erläutert werden. und Kore angesehen werden. Aus dem gleichen Grund In Kapitel II werden die Fundkontexte der Terrakotten scheidet auch ihre Verbindung mit Baubo aus, der diskutiert. Besondere Bedeutung kommt dabei der Amme, die Demeter durch ihre obszöne Gesten zum Frage nach der Datierung der Zerstörungsschicht zu, in Lachen brachte. Rumscheids Gedanke, die Figuren der ein Großteil der Figuren gefunden wurde. Ausführ- könnten auf eine heute nicht mehr bekannte lokale lich werden die bisherigen Datierungsvorschläge refe- Kultgeschichte anspielen beziehungsweise lokale Kult- riert – und widerlegt. Rumscheids eigener Vorschlag, praktiken widerspiegeln, ist naheliegend angesichts der die Zerstörungsschicht auf Grund numismatischer Evi- Tatsache, dass die auffälligen Figuren außerhalb von denz in die Jahre um 135 v. Chr. zu datieren, überzeugt, Priene bisher nur aus dem Thesmomphorion von Samos wenn auch prinzipiell ein etwas späterer Zeitpunkt bekannt sind. denkbar bleibt. Für die Datierung der Terrakotten von In Kapitel V geht es erneut um die Frage nach der Priene liefert der Zerstörungsbefund in jedem Fall Aussagekraft des Kontextes für die Bewertung der Ter- einen Terminus ante quem im letzten Drittel des zwei- rakotten. Am Beispiel von drei besonders repräsentati- ten Jahrhunderts v. Chr. ven Fundkomplexen zeigt der Verfasser die Möglichkei- Das dritte Kapitel (III) ist gewissermaßen ein Ein- ten und Grenzen einer übergeordneten, Ikonographie schub. Hier werden in einem breit angelegten Über- und Befund miteinander verbindenden Analyse auf. blick auswärtige Fundzusammenhänge von Tonfiguren Untersucht werden die Funde (mehr als 35 Terrakotten) zur Diskussion gestellt, allen voran solche aus Wohn- aus dem Südostraum des Hauses 33 Ost, diejenigen aus häusern und Heiligtümern. Das umfangreiche Refe- dem Heiligtum der Demeter und der Kore (mehr als renzcorpus dient primär dazu, auffällige Lücken im zweihundert Terrakotten) sowie jene aus dem soge- Informationsbestand von Priene zu schließen. Gleich- nannten Raum A und dem nördlich daran anschließen- zeitig bildet es aber auch die Folie, vor der die Analyse den Raum südwestlich unterhalb der Athenaterrasse der Terrakotten von Priene zu bestehen hat. (mehr als zwölf Terrakotten), das heißt einem Wohn- Kapitel IV ist der Ikonographie und Deutung der haus, einem gesicherten Heiligtum sowie einer mut- in Priene gefundenen Terrakotten gewidmet. Diese maßlichen Heroenkultstätte. schließen sich zu einem breiten Repertoire von Bildthe- Es folgt ein Kapitel (VI) zu technischen Aspekten men zusammen, wobei neben eindeutigen Götterbil- der Terrakottaproduktion von Priene sowie die Zu- dern (Aphrodite, Isis, Athena, Dionysos, Herakles und sammenfassung (Kapitel VII). Den Schluss der Arbeit andere) eine Vielzahl von inhaltlich nicht mit Sicher- bildet der Katalog aller heute noch vorhandenen Stücke heit benennbaren weiblichen Gewandstatuetten das mit ausführlicher Beschreibung und vollständiger Bi- Typenspektrum bestimmt. In geringer Zahl treten my- bliographie. Eine Konkordanz der Inventar- und Kata- thologische Mischwesen, Kentauren und Satyrn sowie lognummern sowie ein Register – beides in modernen Schauspieler und Karikaturen in Erscheinung. Beson- Publikationen keine Selbstverständlichkeit mehr und dere Berühmtheit hat der 17 cm hohe Dornauszieher deshalb umso verdienstvoller – vervollständigen die Ar- Nr. 278 erlangt, der aller Wahrscheinlichkeit nach ein beit und sorgen dafür, dass der Leser im umfangreichen großplastisches Werk des dritten Jahrhunderts v. Chr. Werk schnell und gezielt zu den gewünschten Informa- parodiert. Mit seinem vor Schmerz zusammengekniffe- tionen findet. nen Banausengesicht, seinem simplen Gewand und der Es ist an dieser Stelle nicht möglich, die hier bespro- einfachen Hirtenmütze sowie dem ostentativ zur Schau chene Publikation in allen ihren Ergebnissen zu resü- gestellten, übergroßen Geschlecht verkörpert er den mieren. Stattdessen sei der Blick exemplarisch auf eine Typus des einfachen, bäurischen Tölpels entsprechend der zentralen Fragen der Arbeit gerichtet, jene nach der den Werten der städtischen Bourgeoisie seiner Zeit. Die Zweckbestimmung der Terrakotten im Wohnbereich. lange Liste der modernen Publikationen zu diesem Der Autor analysiert zu ihrer Beantwortung sämtliche Stück lässt erahnen, wie groß das Aufsehen gewesen Befunde von Priene und kommt zum Schluss (S. 74), sein muss, das es bereits in der Antike erregte; selbst dass Terrakotten in Häusern aller Größe vorhanden dann, wenn es nicht wie bisher angenommen ein hand- waren und dass sie zu deren Standardausstattung gehör- gefertigtes Unikat war, sondern ein mit Hilfe von Teil- ten. Mit Ausnahme des Fundkomplexes aus dem Süd- modeln gewonnenes Ergebnis serieller Produktion ostraum des Hauses 33 Ost liegt die Zahl der Funde pro darstellt, wie der Verfasser aus vorhandenen Fugen Haus in der Regel unter einem Dutzend und ist damit schließt. eher bescheiden gemessen an größeren Fundinventaren, 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 330

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wie sie beispielsweise aus den reichen Wohnhäusern von gert waren. Sie lassen sich also nicht als Zeugnis einer Eretria vorliegen. In vielen Fällen sind nur eine oder besonders aufwendigen figürlichen Ausstattung des An- zwei Tonfiguren nachgewiesen. Der Umstand, dass drons in Anspruch nehmen. Immerhin gibt es Grund figürliche Terrakotten auch außerhalb von Priene eine zur Annahme, dass die Statuetten nicht aus weiter Ferne häufig anzutreffende Fundgattung in Wohnhäusern herantransportiert wurden, sondern zum erweiterten darstellen, bestätigt den Eindruck ihrer Beliebtheit im Inventar des Hauses 33 Ost gehörten. Mit seiner großen Rahmen häuslicher Ausstattungen. Zahl an Tonfiguren und Marmorstatuetten ist das Weitaus problematischer ist die Einordnung der spe- Fund ensemble nämlich nicht nur eines der reichsten zifischen Funktion der Terrakotten im Wohnbereich. von ganz Priene, sondern es umfasst zugleich auch Mit Recht betont der Autor, wie schwierig es gerade in einige der qualitätvollsten Terrakottafiguren der Stadt, Priene ist, zwischen Funden zu unterscheiden, die am etwa den oben erwähnten Dornauszieher. Der Eigen- Ort ihrer späteren Wiederentdeckung verwendet wur- tümer der Statuetten muss eine Persönlichkeit mit be- den und solchen, die bei der Zerstörung der Häuser aus sonderem künstlerischem Feinsinn und stattlichem Ver- einem Obergeschoss heruntergestürzt sind oder auf mögen gewesen sein. Der Gedanke, dass er der Besitzer sonst eine Weise sekundär verlagert wurden. So nütz- des großen Peristylhauses 33 Ost war, bietet sich an. Die lich die präzisen Angaben zu den Fundstellen der prie- Terrakotten wären somit als Bestandteile einer größeren nischen Terrakotten deshalb auch sind, für die Frage statuarischen Kollektion anzusehen, die nach repräsen- nach dem Aufstellungsort der einzelnen Figuren inner- tativ-kunstkennerischen Gesichtspunkten zusammen- halb des Wohnhauses helfen sie nur selten weiter. Hier gestellt wurde, einer Kollektion, die in ihrer spezifi- ist man auf Vergleiche mit Befunden außerhalb Prienes schen Ausprägung in Priene freilich eher die Ausnahme angewiesen beziehungsweise auf allgemeinere Überle- als die Regel gewesen zu sein scheint. gungen zu Ikonographie, Format und Kontext. Auffällig ist – in Priene wie anderswo – der hohe An- Grundsätzlich werden von der Forschung zwei alter- teil von weiblichen Figuren unter den Terrakotten, eine native Verwendungsbereiche für die Terrakotten aus Vorrangstellung, die noch akzentuiert wird, wenn man Wohnhäusern favorisiert: der häusliche Kult einerseits alleine die Götterbilder betrachtet. Nicht Zeus, der und die repräsentative Ausstattung des Wohnraumes Beschützer des Hauses, oder Dionysos, der Gott des andererseits, namentlich der Andrones. In beiden Fäl- Weins und des Gelages, sondern Aphrodite ist die mit len ist die positive archäologische Evidenz in Priene be- Abstand am häufigsten dargestellt Gottheit, gefolgt von grenzt. In keinem der Wohnhäuser lässt sich die Ver- Kybele, Demeter und Athena. Der Verfasser zieht aus wendung von Terrakotten im Hauskult durch Befunde dieser Beobachtung den Schluss, dass zumindest im Be- in situ hieb- und stichfest erweisen. Dennoch steht reich des Hauskultes die Auswahl der Terrakotten »viel- außer Frage, dass solche Hauskulte praktiziert wurden leicht eher von den weiblichen Mitgliedern des Haus- und dass Terrakottafiguren dabei eine Rolle spielten. haltes« bestimmt wurde, welche eher Göttinnen um Wie sonst wollte man die Präsenz von insgesamt fünf Beistand angegangen wären (S. 402). Mit dieser These Kybelestatuetten (Nr. 8–12) aus Siedlungskontexten deu- tangiert der Autor eine Frage grundsätzlicher Natur. ten? Und wie das Vorkommen mehrerer ›Baubofiguren‹ Gibt es unter den häuslichen Terrakotten tatsächlich (Nr. 69, ehemals zwei Exemplare) unter den Siedlungs- solche, die eher für die männlichen und solche, die eher funden? Auch die Präsenz von Halbfiguren, Büsten und für die weiblichen Bewohner des Hauses konzipiert Protomen, einer Dionysosmaske, sowie von Hermen waren? Oder anders gefragt: Unterscheidet sich der Be- des Hermes und des Herakles lässt, wie der Autor mit deutungsgehalt einer Aphroditestatuette je nach ihrem Recht feststellt, eine kultische Verwendung der betref- Aufstellungskontext im Andron beziehungsweise in fenden (und weiterer) Terrakotten mehr als nur wahr- einem dem Hauskult gewidmeten Schrein? Nach Mei- scheinlich erscheinen. nung des Rezensenten ist eine solche Trennung der Überraschender noch als das Fehlen von sakralen Funktionsbereiche eher unwahrscheinlich. Vielmehr Befunden in situ ist die Seltenheit gesicherter Terrakot- spricht die hohe Zahl von Aphroditedarstellungen da - ta funde aus Banketträumen. Lediglich zwei Terrakotten, für, dass gerade diese Gottheit im Wohnbereich eine die Pädagogengruppe Nr. 334 und eine verschollene übergeordnete, die Männer- und Frauenwelt verbin- Aphrodite aus Haus 14, können zweifelsfrei als Ausstat- dende Rolle spielte. Als Behüterin des privaten Lebens- tungsstücke von Andrones identifiziert werden (S. 349). raumes garantierte sie den Fortbestand des Oikos und Ein Befund, der gern als Kronzeuge für die These einer sicherte dadurch zugleich das Ansehen und den Status bevorzugten Aufstellung von Terrakotten im Bankett- des Hausherrn in der Halböffentlichkeit des Sympo- ambiente herangezogen wird, das aus über fünfunddrei- sions. Die bei der Interpretation häuslicher Terrakotten ßig Tonfiguren und rund zehn Marmorskulpturen be- gerne in den Vordergrund gestellte Alternative ›Kult stehende Fundensemble aus dem Südostraum von oder Repräsentation‹ erweist sich vor diesem Hinter- Haus 33 Ost, muss nach den überzeugenden Überle- grund als irreführend. Vielmehr ergänzen und durch- gungen des Verfassers zur Heterogenität des Figuren- dringen die beiden Funktionsbereiche einander, was komplexes neu bewertet werden. Einiges spricht dafür, sich nicht zuletzt in der Tatsache widerspiegelt, dass die dass die Terrakotten zusammen mit den Marmorsta- Tonfiguren in ganz unterschiedlichen Bereichen der tuetten in dem Bankettraum temporär zwischengela- Wohnhäuser zum Vorschein gekommen sind und wohl 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:48 Uhr Seite 331

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bereits in der Antike bei identischem Sinngehalt an ver- dem Titel »Für eine Archäologie der Bilder« (S. 17): Er schiedenster Stelle im Haus aufgestellt werden konnten. möchte für den Betrachter den Zusammenhang wieder- In seiner Arbeit hat Rumscheid der inhaltlichen Viel- herstellen, aus dem die Reste des Denkmals gerissen schichtigkeit der spätklassischen und hellenistischen sind. Auch wenn die Betrachtungsweise der antiken Terrakotten von Priene mit einer sehr differenzierten, Zeitgenossen nicht wirklich rekonstruierbar ist, so lässt alle inhaltlichen Aspekte und methodischen Probleme sich doch unsere Sehweise durch den Kontext berei- ausleuchtenden und sorgfältig gegeneinander abwägen- chern. Der Verfasser weist zu Recht darauf hin, dass den Betrachtung in beispielhafter Form Rechnung ge- nach wie vor wichtige Grundsatzfragen zum Pergamon- tragen. Wenn die funktionale Verortung der Terra - altar strittig sind: Wie vereinbart sich der kraftvolle Stil kotten als Folge dieser kritischen Analyse von ihrer bis- der Gigantomachie mit der raffinierten Nüchternheit herigen, vermeintlichen Schärfe einiges eingebüßt hat, des Kleinen Frieses? Wie ist das Denkmal zu datieren? ist dies nur vordergründig ein Verlust. Er wird wettge- Welcher Gottheit wurde auf dem Altar geopfert? Aus macht durch die Erkenntnis, dass die antike Koroplas- welchem Anlass wurde er erbaut? Wer ist der Auftragge- tik aufgrund ihrer Konzeption für ein breites Spektrum ber? Grundsätzlich verfolgt die Monographie das Ziel, möglicher Adressaten und Verwendungsbereiche eine die verschiedenen Bedeutungen des Figurenschmucks multifunktionale Denkmälergattung darstellt, die sich sowohl im ästhetischer als auch in gesellschaftlich-poli - einer pauschalen Interpretation von vornherein ent- tischer und religiöser Hinsicht herauszuarbeiten. Mit zieht, in Priene ebenso wie an zahlreichen anderen diesen klaren Fragen und einer allumfassenden Zielset- Orten. zung soll zwar gemäß den Vorgaben der Reihe Antiqua ein breiter Leserkreis angesprochen werden. Es stellt Basel Martin Guggisberg sich aber bei der weiteren Lektüre bald heraus, dass dar- auf bei weitem nicht immer Rücksicht genommen wird. Das Buch ist Bernard Andreae für seine groß - zügige Unterstützung und den Studenten für ihre An - François Queyrel, L’Autel de Pergame. Images et pou- regungen und Kritik gewidmet. Zum Aufbau der Dar- voir en Grèce d’Asie. Collection Antiqua 9. Éditions A. stellung werden keine Hinweise gegeben. et J. Picard, Paris 2005. 207 Seiten, 21 Tafeln, 159 Abbil- Der Hauptteil gliedert sich in vier große Kapitel: dungen und 2 Karten. »Entdeckung und Ausstellung des Denkmals«, »Der Figurenschmuck«, »Die Funktion des Denkmals« und Die neuerlichen Sondagen in den Fundamenten des »Ästhetik«. Die Ergebnisse werden in einem kurzen Pergamonaltars 1994, die Restaurierung des Großen Schlusswort zusammengefasst. Stil- und Kompositions- und des Kleinen Frieses in den Jahren 1994 bis 2004, fragen werden also erst nach der Untersuchung der die Sonderausstellungen zum Telephosfries 1996/97 in Funktion des Denkmals behandelt und insofern an die New York, San Franzisko und Rom sowie dessen Neu- Interpretation angehängt, eine methodisch nicht sehr aufstellung im Pergamonmuseum regten zu neuen Be- einleuchtende Lösung. trachtungen dieses zentralen Denkmals der griechi- Die sehr ansprechende Aufmachung des Buches schen Kulturgeschichte an. Eine Reihe von Einzeldar- zeichnet sich durch reiches Bildmaterial aus. Einge- stellungen zu Fragen der Datierung, Baugeschichte oder stimmt wird der Leser noch vor der Einleitung mit Interpretation sowie eine Serie von populärwissen- einem qualitätvollen farbigen Tafelteil, der bei einer schaftlichen Veröffentlichungen aus gegebenem Anlass Aufnahme des Pergamonsaals in Berlin nach der Neu- erschienen in rascher Folge. Man könnte sich demnach präsentation 2004 beginnt und über Landschaftsauf- fragen, ob eine weitere Publikation zu diesem Thema nahmen der Altarterrasse und deren Umgebung sowie im Jahr 2005 ihre Berechtigung hat. Architekturmodellen von Pergamon zu einer kleinen, François Queyrel ist als Directeur d’études an der allerdings nicht sehr ausgewogenen Auswahl von Auf- École Pratique des Hautes Études in Paris ein ausgewie- nahmen des Großen Frieses führt. Er endet mit Photos sener Kenner der griechischen Archäologie und insbe- von weiteren Heiligtümern und Baudenkmälern in Per- sondere spezialisiert auf hellenistische Plastik. Er hat im gamon. Mai 2005, knapp ein Jahr nach Abschluss der Restaurie- Über den Text verteilen sich gleichmäßig die zahlrei- rungsarbeiten am Großen Fries im Juli 2004, die hier zu chen Schwarzweißabbildungen, darunter auch jeweils besprechende umfassende Gesamtdarstellung zum Per- neue Umzeichnungen der Friese (Abb. 33 und 75 von gamonaltar in der Reihe Antiqua veröffentlicht. In die- Florence André), Rekonstruktionszeichnungen und ser Reihe sind bisher acht Bände zu ganz unterschied- Pläne. Die Kapitel sind durch eine Vielzahl von Unter- lichen Themen der ägyptischen, griechischen, etruski- titeln und Zwischenüberschriften aufgelockert und da- schen und römischen Kulturgeschichte erschienen. durch angenehm abschnittsweise zu lesen. Der Satz- Erklärtes Ziel von Antiqua ist es, über neue Entdeckun- spiegel gliedert die Seiten in breite Randzonen neben gen oder neue Interpretationen für einen allgemeinen, dem Text, auf dem ausführliche Bildunterschriften und an der Antike interessierten Leserkreis zu informieren. die Anmerkungen platziert sind. Dies fördert die paral- Entsprechend erläutert der Autor die Absichten, die er lele Lesbarkeit der Anmerkungen, führt aber auch zu mit seiner Abhandlung verfolgt, in der Einleitung unter viel Weißraum, in den sich teilweise die Abbildungen 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 332

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oder Tabellen hineinschieben. Die Unruhe in der Sei- Auch die Geschichte der Zusammensetzung der tengestaltung wird noch durch dreizehn Exkurse ver- Friese und deren Ausstellung in Berlin sowie deren po- stärkt, die mitten im Text zwischen zwei durchge- litische Bedeutung erhält breiten Raum (S. 36–42). Im zogenen Linien in anderem Schriftschnitt unter einer Zusammenhang mit den Beobachtungen Heinz Käh- gesonderten Überschrift ein Spezialthema aufgreifen. lers bei der Auslagerung der Friese während des Zweiten Diese oftmals für die Argumentation gar nicht nötigen Weltkriegs wird nur kurz und unvermittelt die wichtige Abschweifungen sind der flüssigen Lektüre eher hin - Frage erwähnt, ob die Friesplatten vor oder nach der derlich. Hingegen werden verschiedentlich Ergebnisse Ausarbeitung der Reliefs versetzt worden sind. Diese oder Forschungsdiskussionen übersichtlich in Tabellen- Frage verdiente eine ausführlichere Behandlung. form zusammengefasst. Auf insgesamt nur drei Seiten diskutiert Queyrel In den ausführlichen Hinweisen zur Textgestaltung die Rekonstruktion des gesamten übrigen Figuren- und Photoverwendung (S. 6) erläutert Queyrel, dass er schmucks des Pergamonaltars einschließlich der zahlrei- Photos des Zustands sowohl nach als auch vor der Res- chen weiblichen Gewandfiguren (S. 42–45). Unvollstän- taurierung der Friese abbildet und bei den alten Auf- dig und etwas unklar bleibt die Darstellung zu den nahmen darauf geachtet hat, dass sie heute verschwun- kleinen Götterfiguren vom Dach, die nicht einmal ab- dene Teile wiedergeben. In einigen Bildunterschriften gebildet werden. Der Autor schlägt für sie die Rekon- setzt er die Jahreszahl 2004 dazu, jedoch bei weitem struktion der Zwölf Götter vor, die in Pferde- und nicht bei allen Photos des restaurierten Zustands. Eine und Tritonengespannen auf den Seiten des Altardachs genaue Durchsicht der Illustrationen ergibt, dass zirka gruppiert sind. Das von Hoepfner entworfene und im dreißig Photos den neuen Zustand wiedergeben, wäh- Pergamonsaal aufgestellte Altarmodell bezeichnet er als rend über fünfzig Aufnahmen alt sind. Der Telephos- sehr bestechend. Er lehnt jedoch zu Recht die These fries wird sogar fast ausschließlich mit alten Photogra- Hoepfners, nach der das kleine Attalische Weihge- phien abgebildet. Dieser Umstand ist bedauerlich. Es schenk auf dem Rand des Opferalters aufgestellt war, als wäre für eine umfassende Gesamtdarstellung nach der wenig wahrscheinlich mit dem Hinweis ab, dass von Restaurierung sehr wünschenswert gewesen, den Lesern Kästner Spuren von Schutzplatten auf der Altarober- qualitätvolle Neuaufnahmen zu präsentieren, wie sie seite für das Opferfeuer gefunden worden sind. bereits in der Publikation von 2004 (H. Heres / V. Käst- Zum Abschluss dieses ersten Kapitels werden die Er- ner, Der Pergamonaltar) zu bewundern sind. Stattdes- gebnisse der jüngsten Restaurierungen erläutert und sen hat der Autor häufig eigene Aufnahmen verwendet anerkennend die dadurch erzielten Fortschritte für die (s. Bildnachweis S. 207), die teilweise durch starke Interpretation der Darstellungen hervorgehoben (S. 45– Unteransichtigkeit den Blick verzerren. Abbildung 31 47; ergänzend zur zitierten Literatur: Rez., Jahrb. Ber li- ist beispielsweise regelrecht irreführend, da sie Aphro- ner Mus. 38, 1996, 169–184). Der unkundige Leser kann dite mit dem Gipsabguss eines Kopfes wiedergibt, des- die Einzelheiten jedoch kaum nachvollziehen, da er in sen Zugehörigkeit durch die Untersuchungen während die Szenen auf den Reliefs noch gar nicht eingeführt der Restaurierung widerlegt werden konnte. wurde. Es schließt sich eine kurze Zusammenfassung Queyrel geht im ersten Kapitel (S. 21–48) zunächst der Diskussion zur Marmorherkunft und Farbgebung auf städtebauliche und architektonische Aspekte des an (S. 48). Pergamonaltars ein (S. 21–26). Er stützt sich bei der Im zweiten Kapitel (S. 49–111) führt Queyrel den Rekonstruktion des Baus auf die neuen Forschungen Leser wie einen Besucher des Altarbezirks vom Ostfries von Volker Kästner und Manfred Klinkott, die den über den Süd- und Westfries zum Nordfries um das Thesen von Wolfram Hoepfner widersprechen und der Denkmal herum und beschreibt jeweils in detailreicher ursprünglichen Rekonstruktion von Jakob Schrammen Dramatik die einzelnen Figurengruppen der Giganto- von 1906 nahe kommen. Hinsichtlich der Funktion als machie (S. 49–78). Er flicht auch Hinweise auf mytho- Altar nimmt er parallel zu Beschreibungen des Ritus am logische Hintergründe ein, die teilweise mit ausführ- Zeusaltar in Olympia bei Pausanias an, dass die Tiere lichen literarischen Zitaten illustriert werden, so dass auf der Terrasse vor dem Altarbau geschlachtet und der Leser von der Beschreibung etwas abgelenkt wird. die Fleischstücke anschließend oben auf dem Opfer - Bei der Diskussion der Figurenbenennungen bezieht er altar im Altarhof verbrannt wurden. Er weist in diesem nicht immer die neuesten während der Restaurierung Zusammenhang auf neue Funde im Apollonheiligtum gewonnenen Erkenntnisse mit ein (s. Heres/Kästner von Klaros hin. Dort konnten Blöcke mit Ringen zum a. a. O. 33–59). So bleibt beispielsweise unerwähnt, dass Festbinden der Tiere vor dem Altar identifiziert werden dem Gegner der Themis, Maimaches, auf dem Südfries (s. Rekonstruktionszeichnung Abb. 7). ein bärtiger Kopf zugewiesen werden konnte (vgl. Abb. Sehr eingehend beschreibt der Autor die Ereignisse 47 von 2004). Während er für den Ost-, Süd- und der Entdeckungs- und Grabungsgeschichte des Altars Westfries nur an einer Stelle unvermittelt eine For- (S. 28–36). Merkwürdigerweise geht er jedoch nicht ge- schungsmeinung diskutiert, geht er für den Nordfries nauer auf die Fundteilungsverhandlungen der dritten in allen Einzelheiten namentlich auf die jeweilige Dis- Grabungskampagne ein und lässt zum Beispiel die kussion in der Forschung ein, was dem eingangs zitier- Überstellung von Gipsabgüssen an den Sultan zum ten Adressatenkreis des Buches nicht entgegenkommt. Tausch für die Reliefs unerwähnt. Besonders ausführlich behandelt er die Frage nach der 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 333

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Darstellung der Nyx (S. 63–64 und 71–73). Er folgt dem lichten Auge wird in Pergamon ein Altar gebaut, der Vorschlag Kästners, in der bekannten Schlangentopf- Vorgänger des Pergamonaltars. Der auf einer Kline ge- werferin auf dem Nordfries nicht Nyx, sondern eine der lagerte Heros Telephos, umgeben von der vergöttlich- drei Moiren zu sehen. Stattdessen möchte er die Göttin ten Hiera und der trauernden Astyoche, seiner zweiten auf dem Südfries rechts vor Rhea als Nyx benennen, ein Frau, zeigt auf die Apotheose der Auge in der Altarbau- plausibler Vorschlag angesichts der Nähe zu Eos und szene. Abschließend fasst Queyrel die im Fries erzählte Helios, obgleich die dafür herangezogenen ikonogra- Lebensgeschichte noch einmal zusammen, ohne dabei phischen Belege methodisch nicht überzeugen. Zu den auf Fragen der Komposition, des Zusammenhangs mit insgesamt neun neuen Benennungsvorschlägen gehö- der umgebenden Architektur, der Erzählweise oder des ren auch Hephaistos und Hermes, die Queyrel am Auswahlprinzips der dargestellten Szenen einzugehen Nordfries erkennen will (S. 73–74 Abb. 69. 71). (S. 100). Entsprechend seiner lückenhaften Erhaltung bietet Im folgenden Abschnitt beschäftigt sich der Verfas- der Telephosfries breiten Spielraum für Umstellungen ser sehr eingehend mit der Frage nach der Herkunft der Plattenabfolge und neue Interpretationsvorschläge, der dargestellten Versionen des Mythos (S. 102–109). Er den der Verfasser ausgiebig nutzt (S. 79–100). Er dis - weist insbesondere auf die hochgelehrten Exegesen an kutiert zunächst die Reihenfolge der Szenen und geht den hellenistischen Höfen dieser Zeit hin und greift die erst viel später auf den dargestellten Mythos ein. Die These von Erika Simon wieder auf, nach der das ikono- Plattennummern werden wie üblich nach Winnefeld graphische Programm des Großen Frieses auf eine Aus- zitiert, erscheinen jedoch nicht in der in dreißig Szenen legung der Theogonie von Hesiod durch Krates von aufgegliederten Rekonstruktionszeichnung (Abb. 75), Mallos zurückgeht. Für die Telephosgeschichte stellt er wodurch der Text für den Leser schwer nachvollziehbar noch einmal die Abweichungen von der mythischen wird. Es sei hier nur auf die wichtigsten Umstellungen Tradition zusammen, die zum Ruhm der Pergamener beziehungsweise Neuinterpretationen im Vergleich zu und ihrer Könige dienten. An dieser Stelle wäre eine der Neuaufstellung von 1997 eingegangen: Queyrel ausführliche ikonographische Untersuchung anderer kehrt zu der Ansicht von Christa Bauchhenß-Thüriedl Darstellungen der Telephossage in Ergänzung zur Zu- zurück, dass Herakles die Königstochter Auge bei einer sammenstellung der literarischen Quellen nützlich. Zu kultischen Handlung im Kreis von drei Frauen beob- Recht verweist Queyrel auf das Hauptziel der reflektiert achtet und somit Platte 3 und Platte 11 zusammengehö- ausgewählten Darstellungen, die göttliche Abkunft des ren (S. 82). Er berücksichtigt dabei nicht die Argumen- Telephos und damit der Königsfamilie zu demonstrie- tation von Huberta Heres, dass die auf beiden Platten ren. unterschiedlichen Bäume, Eiche und Platane, entspre- Zum Schluss des Kapitels geht es um die Diskussion chend den Erzählprinzipien des Telephosfrieses ver- der Künstlerfrage, deren zahlreiche hypothetische Ant- schiedene Orte bezeichnen und dass die Darstellung worten mit Vorsicht und klarer Argumentation behan- der Gründung des Athenakults in Pergamon kaum feh- delt werden (S. 109–111). Die These, dass ein für die Ge- len kann. Die Bootsbauszene setzt er hinter die Ausset- samtkonzeption zuständiger Künstler auszumachen sei, zung des kleinen Telephos (S. 83). Ohne schlüssige Be- womöglich Phyromachos, hält der Autor für zu proble- weisführung sieht er Kybele in der bisher als örtliche matisch. Er bleibt bei der abschließenden Aufzählung Berggottheit interpretierten Figur, die über den das der verschiedenen Künstlersignaturen und deren kriti- Kind badenden Nymphen sitzt (S. 84–86). Somit werde scher Kommentierung. Telephos von der Löwin der Kybele gestillt. Die Begrü- Die Interpretation und im Zusammenhang damit ßungsszene am Strand mit Teuthras in der Mitte be- auch die Datierung des Denkmals sind Gegenstand des zieht Queyrel nicht auf die Ankunft der Auge, sondern dritten Kapitels (S. 112–147). Queyrel beginnt mit einer auf Telephos’ Eintreffen in Mysien. Die schwer zu deu- gründlichen Zusammenstellung der bisherigen Thesen tende Kultszene im letzten Teil des Frieses siedelt der zu der Frage, welchem Kult der Altar gewidmet war, Verfasser im Kybeleheiligtum in Pergamon an (S. 88– wobei auch der in den Fundamenten nachgewiesene 90): Auge führt den auf einem Felsen sitzenden Tele- Vorgängerbau eine Rolle spielt. Insbesondere interes- phos in Gegenwart des links thronenden Teuthras und siert ihn dabei die These von Eugenio La Rocca (Jahrb. der Hiera in den Kybelekult ein. Am linken Bildrand Berliner Mus. 40, 1998, 7–30), dass der Altar den Zwölf zeigt ein Hierophant der Kybele, ein Eunuch, mit dem Göttern und dem vergöttlichten Eumenes II. geweiht Finger auf das Geschehen. Gegen diese Deutung spre- war. Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kom- chen schon allein die Spitzohren der beiden sitzenden men, unternimmt er noch einmal eine ausführliche männlichen Figuren, die eindeutig auf den Reliefs zu Untersuchung der antiken Quellen, allerdings ohne erkennen sind und sie als dionysische Gestalten auswei- dabei quellenkritisch vorzugehen (S. 115–121). Seine be- sen. Queyrel übernimmt die neue Interpretation der sondere Aufmerksamkeit findet ein Ehrendekret für At- Bestattungsszene von Heres als Aufbahrung der Hiera talos III. aus Anlass der Rückkehr von einer siegreichen statt des Telephos, setzt sie jedoch hinter den Besuch Expedition. Die Priester werden darin aufgefordert, das des Telephos bei den Argivern (S. 92). Schließlich inter- Diadem der Zwölf Götter und des Gottes König Eume- pretiert der Autor die Szene am Schluss des Frieses als nes zu tragen und in den Tempeln der Götter zu opfern dreifache Apotheose (S. 94–95): Im Beisein der vergött- und zu beten. Daraus schließt der Verfasser auf die zen- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 334

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trale Bedeutung eines Kultes für die Zwölf Götter und Telephos weist, als Anspielung auf die Apotheose der den vergöttlichten König Eumenes in Pergamon. Ein Königin , und in der Altarbauszene erkennt weiteres Argument bieten ihm die Beobachtungen er Attalos II. Das Überwiegen der Göttinnen in der Hoepfners, wonach ein aufwendiger, wahrscheinlich Gigantomachie (dreiunddreißig gegenüber einund- königlicher Grabtumulus in der Ebene in der Achse auf zwanzig männlichen Göttern) wertet er als Hinweis auf den Großen Altar ausgerichtet ist. Er kommt zu dem die herausragende Rolle der Frauen in der Familie der Schluss, dass der Pergamonaltar gleichzeitig ein Dode- Attaliden. Einen großen Abschnitt widmet er noch ein- katheion und ein Eumeneion war. mal der Frage, welcher militärische Erfolg den Anlass In knapper und präziser Form widmet er sich an- für das Denkmal und dessen Reliefschmuck gegeben schließend der Forschungsgeschichte zur Datierung, hat. Den wichtigsten Sieg gegen die Gallier errang Eu- wobei er entsprechend seiner Interpretation der grund- menes II. 166 v. Chr. Doch hatte er sich auch anderen sätzlichen Frage nachgeht, ob der Altar zu Lebzeiten des Gegnern zu stellen, zum Beispiel den Makedonen. Eumenes II. oder nach dessen Tod dem vergöttlichten Queyrel möchte deshalb die Gigantenschlacht als Bild König geweiht wurde (S. 123–125). Seiner Ansicht nach für einen Universalsieg verstanden wissen, der über das reichen alle bisher vorgebrachten Argumente, insbeson- zeitliche Moment einer bestimmten Schlacht hinaus- dere auch auf der Grundlage der Keramik, für eine weist. In diesem Zusammenhang fehlt eine Ausein- genaue Festlegung des Baubeginns nicht aus. Jedoch andersetzung mit den Thesen von Klaus Junker, der greift er eine Argumentation im Zusammenhang mit sich gegen eine Gleichsetzung der Giganten mit den einer Sondermünzausgabe des Eumenes II. wieder auf, Galliern ausspricht und beispielweise die Meeresgötter bei der zum ersten Mal das Porträt des regierenden Kö- am Großen Fries als Hinweis auf die Rolle Pergamons nigs statt des Dynastiegründers Philetairos abgebildet als Seemacht in der Auseinandersetzung mit den Seleu- wurde, die also ein sehr einschneidendes Ereignis zum kiden und Makedonen wertet (Istanbuler Mitt. 53, 2003, Anlass gehabt haben musste. Diese Sonderemission 425–443; lediglich kurz erwähnt in Anm. 145). wurde bisher immer mit der Rettung des Königs aus Die anschließenden Interpretationsversuche können dem Anschlag bei Delphi 172 v. Chr. in Verbindung ge- als weitgehend spekulativ bezeichnet werden (S. 136– bracht. Neuere numismatische Erkenntnisse ergeben 147). Queyrel unternimmt eine topographische Lektüre jedoch eine spätere Datierung zwischen 163 und 161 der Gigantomachie in Bezug auf die umliegenden Hei- v. Chr. Des weiteren führt er an, dass die auf der Altar- ligtümer Pergamons und kommt zu dem Schluss, dass terrasse gefundenen Weihinschriften auf Statuenbasen die Zwölf Götter mit ihrer jeweiligen Darstellung vom alle von der Regierungszeit Attalos’ II. (158–138 v. Chr.) Fries direkt auf ihr Heiligtum weisen. Dabei ist mindes- bis an den Anfang des ersten Jahrhunderts v. Chr. zu tens die Hälfte der von Queyrel identifizierten Heilig- datieren sind. Darauf gründet er seine These, dass die tümer nicht gesichert, was in der dazu erstellten Tabelle Altarterrasse spätestens 149/48 angelegt wurde. Damit (S. 145) nicht kenntlich gemacht ist. Zusammenfassend sei der Tod Eumenes’ II. nicht als Datum des Abschlus- konstatiert der Autor, dass Pergamon als die Summe des ses der Arbeiten, sondern möglicherweise sogar erst als Universums und der Altar als dessen Zentrum zu ver- Zeitpunkt für deren Beginn anzusehen. stehen war. Wenngleich letztere Möglichkeit als unwahrschein- Es ist schwierig, einen Überblick über das letzte Kapi- lich zu gelten hat, so reiht sich der Autor in die seit den tel mit der Überschrift »Ästhetik« zu geben, da es etwas späten neunziger Jahren immer größer werdende Zahl unsystematisch am Schluss des Buches alle Aspekte der Forscher ein, die für eine Spätdatierung des Großen aufgreift, die bis dahin noch nicht behandelt wurden Frieses plädieren oder diese zumindest nicht für abwe- (S. 148–178). Einerseits geht es darin um Fragen der gig halten. Nicht alle von Queyrel vorgetragenen und Komposition, des Aufbaus und des Stils der Friese, an- hier nicht in sämtlichen Einzelheiten behandelten Ar- dererseits wird aber gleich eingangs nach einem herme- gumente sind stichhaltig. Aber es mehren sich doch mit neutischen Prinzip der Bilder gesucht. In einer nütz- dieser Darstellung die Indizien für einen späteren Bau- lichen Gegenüberstellung verweist Queyrel auf eine beginn des Pergamonaltars, als rund hundert Jahre lang Reihe klassischer Motive, auf die die Darstellungen be- angenommen. Technisch gesehen ist ein beträchtlicher wusst bezogen seien (S. 157–160). Die berühmten Vor- zeitlicher Abstand der beiden Friese voneinander nicht bilder sollten eine durch und durch griechische Kultur zwingend. Sie können fast gleichzeitig entstanden sein illustrieren (S. 169). Schließlich kommt er hier noch (s. Rez. in: P. Bol [Hrsg.], Die Geschichte der antiken einmal auf die Gesamtkonzeption zu sprechen, für die Bildhauerkunst III. Hellenistische Plastik [Mainz 2007] er dem kritischen Stoiker Krates von Mallos zumindest 208 f.). So müssen wir uns von der gängigen alten Lehr- eine wichtige oder sogar maßgebliche Rolle bei der meinung verabschieden, der Große Fries sei 180 v. Chr. Konzeption zuschreiben möchte. Das Kapitel schließt und der Telephosfries fünfzehn bis zwanzig Jahre später mit einigen rezeptionsgeschichtlichen Verweisen auf die entstanden. französische Klassik und die Moderne. Im Folgenden versucht der Autor, die beschriebenen Wenngleich das Buch aus den genannten Gründen Darstellungen auf den Friesen zu seiner Interpretation nicht ohne Vorbehalt für einen breiten Leserkreis emp- und Datierung in Beziehung zu setzen (S. 126–136). So fohlen werden kann, so hat es doch seine vollumfäng- sieht er beispielsweise die Epiphanie der Auge, auf die liche Berechtigung für die Hellenismusforschung und 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 335

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speziell für Nachwuchswissenschaftler. Dazu tragen renaissancezeitlichen schriftlichen Zeugnisse (Appen- auch die sehr umfangreichen Register mit einer er- dix 1: S. 287–292) und ein Katalog mit den sachlichen schöpfenden Bibliographie bei (zu ergänzen der wich- und bibliographischen Daten zu den zehn Skulpturen tige Aufsatz von H. v. Hesberg, Bildsyntax und Erzähl- (Appendix 2: S. 293–302) ergänzen den Text dokumen- weise in der hellenistischen Flächenkunst, Jahrb. DAI tarisch ebenso wie die Photographien und Zeichnun- 103, 1988, 309–365). Der Verfasser breitet in dieser gen, davon ein Drittel zur reichen photographischen Monographie seine an verstreuter Stelle seit mehr als Dokumentation der Kleinen Gallier selbst, leider nicht fünfzehn Jahren veröffentlichten Forschungen zum Per- alle von gleicher Qualität und wünschenswertem Kon - gamonaltar und zur pergamenischen Kunst aus. Insbe- trastreichtum. Register erschließen den Inhalt des sondere die literarischen Quellen werden umfassend Buches bis hin zu Hinweisen auf Sherlock Holmes und behandelt, während die methodische Behandlung der Albert Einstein, die Stewart als methodologische Rat - Bilder vergleichsweise eher zu kurz kommt. Eine knap- geber zur Seite stehen und ihm neben anderen reiche pere, auf das Wesentliche konzentrierte und struktu- Möglichkeiten zu Exkursen geben: sei es gegen hegelia- rierte Fassung des Stoffs des letzten Kapitels wäre einer nische, sei es gegen soziologische Interpretationsmo- klaren Darstellung der Hauptthesen entgegengekom- delle (S. 11), sei es zum Positivismus und zur induktiven men. Zu diesen zählen die Spätdatierung beider Friese Methode (S. 18–23) oder gegen den Formalismus der in die sechziger Jahre des zweiten Jahrhunderts v. Chr. Stilforschung (S. 62–66). Nicht zuletzt werden Stewarts und der Einweihung des Denkmals gegen 150, die Zu- eigene methodologischen Prinzipien und Ziele explizit weisung des Altars an die Zwölf Götter und den ver- formuliert (S. 76–80). Wir haben so nicht nur ein sach- göttlichten Eumenes II., die Verbindung des höchst raf- lich fundiertes, seine Methoden reflektierendes und finierten Gesamtkonzepts mit Krates von Mallos sowie offenlegendes, sondern auch gelehrtes und lehrreiches, die herausragende Rolle des Bauwerks im Kultgesche- aber flüssig zu lesendes Werk vor uns. hen und in der Politik der Pergamener. Queyrel schließt Fassen wir die bekannten Fakten zur Statuengruppe euphorisch mit dem Satz: »Die beiden Friese und die der ›Kleinen Gallier‹ zusammen: Pausanias sah im zwei- Architektur selbst nehmen uns hinüber in ein greifbares ten Jahrhundert n. Chr. an der Südmauer der Akropolis Universum, von Menschen geformt, wo wir die ganze die Weihung eines Attalos (Paus. 1, 25, 2). Sie zeigte Tiefe wiederfinden können, die der künstle rischen den legendären Gigantenkampf, die Schlacht zwischen Schöpfung eigen ist.« Das Buch wurde 2006 mit dem Athenern und Amazonen, den Kampf gegen die Perser Preis ›Salomon Reinach‹ der Académie des Inscriptions bei Marathon und die Unterwerfung der Galater durch et Belles-Lettres (Institut de France) ausgezeichnet. die pergamenischen Herrscher in Kleinasien und be- stand aus unterlebensgroßen Figuren. Durch Plutarch Brüssel Ellen Schraudolph (Ant. 60, 3; vgl. Dio Cass. 50, 15, 2) wissen wir, dass daneben an der Südmauer der Akropolis zwei kolossale Statuen des Eumenes und des Attalos standen. Von Pli- nius erfahren wir in seinem Buch über Bronzewerke Andrew Stewart, Attalos, Athens, and the Akropolis. (nat. 34, 84), dass mehrere Künstler plastische Darstel- The Pergamene Little Barbarians and their Roman lungen von Kämpfen der pergamenischen Könige Atta- and Renaissance Legacy. With an Essay on the Pedes- los und Eumenes gegen die Gallier schufen: Isigonos tals and the Akropolis South Wall by Manolis Korres. (oder Epigonos?), Phyromachos, Stratonikos und Anti- Cambridge University Press 2004. XXV und 358 Seiten, gonos. In Rom wurden 1514 neun etwas mehr als halb 287 Abbildungen. lebensgroße Figuren aus kleinasiatischem Marmor ge- funden, die zu einer einzigen Serie gehören und Gigan- Mit der vorliegenden Monographie ist Andrew Stewart ten, Amazonen, Perser und Galater darstellen, genau ein für die Erforschung der hellenistischen Skulptur die Personengruppen, die Pausanias als Bestand der grundlegender Beitrag gelungen. Erstmals werden die Statuengruppe nennt. Sie erscheinen als Fallende oder Statuen des sogenannten kleinen attalischen Weihge- Sterbende, also im Kampf Unterlegene. Heute sind sie schenks, die ›Kleinen Gallier‹, monographisch behan- auf die Museen in Neapel, Paris, Venedig und im Vati- delt: detektivisch von ihrer Erforschungsgeschichte kan verteilt; ein zugehöriger weiterer Perser befindet zurückschreitend zu ihrer Auffindung und von dort sich in Aix-en-Provence. Es handelt sich um römische weiter zurück zu ihrer Aufstellung im antiken Rom und Kopien der Bronzestatuetten, die Pausanias auf der schließlich zur Entstehungszeit der verlorenen bronze- Akropolis sah. Es ist vorderhand nicht bekannt, von nen Vorbilder der Marmorkopien auf der Athener welchem Künstler sie geschaffen und von welchem Akropolis (S. 11–241). Zugleich legt Manolis Korres die König Attalos von Pergamon sie gestiftet wurden, sei es von ihm an eben diesem Ort 1992 entdeckten mar - dem Ersten, der 241–197 v. Chr. regierte, dem Zweiten, mornen Basisblöcke vor, deren Einlassspuren für klein- der seit 192 v. Chr. als Bruder Eumenes’ I. aktiv und formatige Bronzestatuen erkennen lassen, dass sie 158–138 v. Chr. Basileus war, oder dem Dritten, der Teile der Basis eben jener sogenannten Kleinen Gallier 138–133 v. Chr. herrschte. waren, die vor der Südmauer der Akropolis standen Auf dieser Grundlage, die dem Leser indes zunächst (S. 242–285). Eine Zusammenstellung der antiken und nicht im Detail klargemacht wird, entfaltet Stewart die 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 336

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Geschichte der Erforschung der Figurengruppe (S. 11– schen Weihgeschenks seien »donated almost certainly 80). Ihre vielfältigen Reflexe in Malerei, Zeichnung und in 200 BC« (S. 12). Dem Leser ist also Stewarts Position Skulptur seit dem sechzehnten Jahrhundert werden mi- frühzeitig klar, denn der Autor ist sich sicher, dass es nutiös durchgemustert (S. 81–135). Anschließend wird Attalos I. war, der die Kleinen Gallier auf der Athener die Datierung der Figuren als römische Kopien im frü- Akropolis 199 v. Chr. errichten ließ, als Votiv zum Zei- hen zweiten Jahrhundert n. Chr. durch stilistische Ver- chen seiner guten Verbindungen nach Athen. Schon gleiche begründet (S. 136–142). Ihre römische Verwen- Heinrich Brunn, der die römischen Funde 1865 als dung rekonstruiert Stewart auf Grund fehlender Witte- erster mit den bei Pausanias genannten Figuren identi- rungsspuren (S. 142–143; im Katalog S. 294–302 werden fizierte, sah sie als – allerdings originale – unter Attalos I. sie allerdings fast alle als »lightly weathered« bezeich- geschaffene Skulpturen (S. 16–18), ein Datum, dessen net). Dies sei ein Hinweis auf eine Aufstellung im Inne- man sich zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts immer ren eines Bauwerkes in Rom, beispielsweise einer lan- sicherer glaubte. Als aber mit der Verfügbarkeit von gen Säulenhalle. Indem sie dort ohne ihre sieghaften Photographien detaillierte stilistische Vergleiche mög- Gegner dargestellt waren, seien sie Signa der Unterle- lich wurden, in die auch die erst seit 1886 in Deutsch- genheit von Barbaren, in ihrem dazu passenden Format land befindlichen und seit 1910 vollständig publizierten (S. 169: »like insects«) jedem Römer ein Hinweis auf die Reliefs des Pergamonaltares aus dem früheren zweiten eigene Überlegenheit. Wegen ihrer offenen, blutenden Jahrhundert v. Chr. einbezogen werden konnten, war es Wunden habe man sie zudem nicht ohne die Erinne- Georg Lippold, der 1914 auf der Grundlage von Stilana- rung an die blutigen Kämpfe und brutalen Imitationen lysen erstmals eine Entstehung der Kleinen Gallier mythischer Schlachten – die sie selbst ja darstellten –, unter Attalos II. gegen 150 v. Chr. postulierte, also nach die »fatal charades« (S. 163–166, nach einer Bezeichnung dem Pergamonaltar. Die Marmorfiguren seien römi- von Catherine Coleman) in den Arenen der Stadt wahr- sche Kopien (S. 43–62). Der »Flaschengeist des Forma- nehmen können. Der Versuch, die Bildwerke in diesem lismus«, wie Stewart die Lippold und andere hierbei Rezeptionskontext zu verstehen, überzeugt und eröff- leitende stilistische Methode nennt und als deren Hohe- net Perspektiven für weitere Studien zur Rezeption grie- priester ihm Gerhard Krahmer erscheint (S. 62), ver- chischer Bildwerke in Rom. breitete diese von nun an besonders im deutschsprachi- Die Originale aus Bronze in Athen sind das Thema gen Raum Gültigkeit beanspruchende Datierung, die des folgenden Kapitels (S. 181–237), das bereits auf die Rudolf Horn (Römische Mitteil. 52, 1937, 140–163) wei- im Anhang von Manolis Korres dargelegten Rekon- ter und bleibend begründete (s. a. S. 218 f.). Die eng- struktionen ihrer Basisblöcke (S. 242–285) aufbaut. Es lischsprachige Forschung lehnte sie gleichwohl ab (S. 73 lassen sich auf der Akropolis Überreste von vier langen, Tabelle1), so nun auch Stewart. Zu Recht äußert er sich etwa mannshohen marmornen Orthostatensockeln kritisch zur methodologischen Grundlage des späten nachweisen, die unmittelbar vor der Südmauer südöst- Datierungsansatzes: zum Postulat der Linearität jeder lich des Parthenon standen. Ihre Standplatten zeigen Stilentwicklung und zur Möglichkeit, solche Urteile Vergussspuren von kleinformatigen Bronzefiguren, zum anhand von Kopien zu fällen. Doch es bleibt bei der Teil den Standmotiven der Kleinen Gallier so ähnlich, Feststellung, dass es zunächst ihrer Widerlegung durch dass die Zugehörigkeit kaum zu bezweifeln ist. Offen- tragfähigere Argumente bedarf, will man sie als »For- bar diente jede der vier Basen der Darstellung eines an- malismus« außer Kraft setzen. deren Bildthemas. Stewarts Rechnung (S. 186–195) er- Stewart bringt folgende Argumente vor (S. 213–218): schließt eine Gesamtlänge von über hundert Metern. Die vier Basen mit vier Bildthemen erinnern (»bring to Anhand des durch die erhaltenen Vergusslöcher erre- mind«, S. 213) an die vier von Plinius genannten Künst- chenbaren Platzbedarfes für die einzelnen Figuren lässt ler, die für einen Attalos und einen Eumenes arbeiteten. sich ein Bestand von insgesamt mindestens hundert- Da Eumenes I. wegen fehlender Gallierkämpfe nicht in zweiunddreißig Skulpturen postulieren. Dazu gehörten Frage komme, könne nur Eumenes II. (reg. 197–158) ge- den Vergusslöchern zufolge auch Reiter, was bedeutet, meint sein, dann aber auch nur Attalos I. (reg. 241–197), dass die sieghaften Gegner im Kampf dargestellt waren, denn nur für diesen seien Gallierkämpfe nachgewiesen, denn Berittene dürften zumindest bei der Gigantoma- nicht aber für die Regierungszeit Attalos’ II. Alle vier chie, bei der Marathonschlacht und bei den pergameni- Künstler arbeiteten, so nimmt der Autor trotz existie- schen Galaterkämpfen zu den Sieger gehören (S. 188). render Zweifel an, zwischen dem mittleren dritten und Ist dies schon eine Feststellung, die die Beurteilung des dem frühen zweiten Jahrhundert v. Chr. Soweit wir Monumentes auf eine neue Grundlage stellt, so finden Skulpturen von ihrer Hand kennen, gingen diese gut sich in diesem Kapitel auch die weiteren entscheiden- mit den Kleinen Galliern überein. Damit ist dem Leser den Urteile, die gleichwohl auch die umstrittensten das Datum »around 200« nahegelegt. Gleichwohl: Es sind, nämlich zur Datierung und zum Verhältnis gegen- ist Plinius klar zu entnehmen, dass alle genannten über den älteren Gallierskulpturen der Pergamener. Auf Künstler Gallierkämpfe darstellten, und von Amazo- diese beiden Themen soll im Folgenden genauer einge- nen, Persern und Giganten keine Rede ist, ein Bezug gangen werden. auf die vier Themen umfassende Statuengruppe deshalb Schon zu Beginn des Buches liest man eher beiläufig, schwerlich möglich sein kann. Stewart nutzt zudem die ursprünglichen Bronzestatuetten des Kleinen attali- stilistische Argumente, deren Glaubwürdigkeit er vor- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 337

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her selbst in Frage stellt (in Hinblick auf das Porträt Etwas anders verhält es sich mit dem älteren Sieges- des Antisthenes [S. 216 Abb. 251] auch fragwürdige, vgl. monument der Attaliden, den ›Großen Galliern‹, einem R. von den Hoff, Philosophenporträts des Früh- und wenig nach dem Jahr 223 errichteten mehrfigurigen Hochhellenismus [München 1994] 148–150). Er zieht Denkmal aus leicht überlebensgroßen Figuren, das nicht in Betracht, dass Attalos II. als Bruder Eume- ebenfalls an mehrere Siege erinnerte. Von ihm sind nes’ II. auch schon vor seiner Regierung (158–136) an uns mit dem Sterbenden Gallier, dem Gallier Ludovisi Gallierkämpfen beteiligt war und deshalb natürlich und einigen kleineren Fragmenten ebenfalls nur weni - auch nach 158 noch als Stifter in Erinnerung an frühere ge Bestandteile in römischen Kopien bekannt (s. jetzt Zeiten in Frage käme. Dies alles spielt indes keine Rolle, H.-U. Cain, Münchner Jahrb. f. Bildende Kunst 57, räumt doch Stewart selbst ein, dass »none of this (…) 2006, 9–30). Stewart bespricht sie nur beiläufig (S. 16 helps us much with the long-disputed problem of the Abb. 27–28; S. 60 Abb. 81; S. 147 Abb. 167; S. 207–213 Akropolis Dedication’s date« (S 218). Die schlagenden Abb. 237–248). Er schließt sich John Marszals These Argumente sollen erst folgen (S. 219 f.), doch geschieht an, diese Großen Gallier hätten nicht, wie immer ange- dies nicht ohne Wiederholungen: Der Stil der Kleinen nommen, auf einem Langbathron im Athenaheiligtum Gallier stimme zwar, so wird nun erläutert, mit Skulp- von Pergamon gestanden, sondern in Delphi (J. Mars- turen der Zeit um 200 überein, sei aber gattungs- und zal, Ubiquitous Barbarians. Representations of the themenbedingt anders. Man fragt sich, weshalb unter Gauls at Pergamon and Elsewhere. In: N. T. de Grum- dieser Prämisse der Vergleich mit Philosophenbildnis- mond / B. S. Ridgway [Hrsg.], From Pergamon to Sper- sen zulässig, derjenige mit dem Pergamonaltar aber, longa [Berkeley 2000] 191–234). Ausgangspunkt dieser dessen Gigantenkampf ja ein identisches Thema zeigt These ist die Behauptung, die Pergamener Figuren, und der den Kleinen Galliern durchaus ähnlicher ist als deren Basen in Resten erhalten sind, seien allenfalls le- Bildwerke des späten dritten Jahrhunderts, nicht statt- bensgroß gewesen und die bekannten Kopien für diese haft ist. Stewart erspart sich eine Auseinandersetzung Basisblöcke in Pergamon zu mächtig. Zudem zeige der mit Horns stilistischen Urteilen. Erst sie könnte die sti- Rest des Vergusses eines Pferdehufes, dass auf dem Per- listischen Argumente entkräften, die weiter für ein gamener Langbathron auch Reiter und damit Sieger dar- Datum um 150 sprechen, sei es kurz nach, sei es gleich- gestellt gewesen seien (S. 191 Abb. 224; S. 197 Abb. 229). zeitig mit dem Pergamonaltar (dazu jetzt: C. Kunze, Schon Hans-Joachim Schalles (Untersuchungen zur Kul- Zum Greifen nah [München 2002] 223–227; H.-H. turpolitikder Pergamenischen Herrscher im 3. Jh. v. Chr., von Prittwitz und Gaffron in: P. C. Bol. [Hrsg.], Ge- Istanbuler Forsch. 36 [Tübingen 1985] 89–92 Abb. 5) hat schichte der antiken Bildhauerkunst III [Mainz 2007], nachgewiesen, dass der Gallier Ludovisi auf die Perga- beide allerdings noch unter der Annahme fehlender mener Basis passt. Die erhaltenen Reste von zwei Ver- Gegner, sowie soeben V. M. Strocka, Bonner Jahrb. 205, gusslöchern reichen nicht, um leicht überlebensgroße 2005, 378 f.). Figuren auszuschließen. Die Großen Gallier bleiben Stewarts entscheidende Argumente sind allein histo- also für das Langbathron im Athenaheiligtum von Per- rischer Art und als solche nicht neu (S. 220–226): Im gamon erhalten. Auch ist der Nachweis von Reitern Jahre 199 seien alle Bedingungen für die Errichtung der hier, wo auch Kämpfe gegen die Seleukiden dargestellt Kleinen Gallier als Stiftung Attalos I. in Athen erfüllt. waren, noch kein Indiz für die Darstellung der sieghaf- Er hatte im Jahre 200 selbst in Athen anwesend die ten Pergamener. Die uns bekannten Gallier des Monu- Athener gegen Philipp V. unterstützt und dafür außer- ments kommen in ihrer anders als die Kleinen Gallier ordentliche Ehren erhalten. Die Kleinen Gallier seien nicht auf ein Gegenüber bezogenen Handlungsdarstel- seine Antwort. Dass ein so aufwendiges Monument lung im Gruppenkontext gerade ohne unmittelbare aber in der unsicheren Zeit zwischen 200 und 197, dem Gegner aus: Es waren also auf einer Basis offenbar nur Todesdatum Attalos I., in Athen errichtet wurde, ist die Unterlegenen wiedergegeben; dazu geäußerte Über- eher unwahrscheinlich. Eine Aufstellung schon 209/8 legungen behalten hier ihre Gültigkeit (T. Hölscher, schließt auch Stewart aus, weil die Weihung damals zu Antike Kunst 28, 1985, 120–136; Kunze a. a. O. 47–51). »bombastic and meretricious« gewesen sei. Galt das Die andersgeartete Gestaltung des Siegesdenkmals, wel- nicht auch noch im Jahr 199? Die Stiftung durch Atta- che die Könige später bei den Kleinen Galliern suchten, los II., der den Athenern nach 158 auch die riesige Atta- erscheint um so erklärungsbedürftiger. Aber die Gro- losstoa errichten ließ, ist die plausiblere Lösung. Die ßen Gallier erlauben es auch, ein weiteres Indiz zur Kleinen Gallier sind eben kein Siegesmonument im tra- Beurteilung der ›Kleinen Gallier‹ zu entwickeln: Wie ditionellen Sinne des Hinweises auf einen bestimmten die bisherige Forschung unterstreicht Stewart zu Recht Kriegserfolg. Vielmehr repräsentieren sie durch die fi- (S. 207–213), dass der Sterbende Gallier im Kapitol das gurenreiche Einordnung der Galliersiege der Pergame- seitenverkehrte Vorbild für eine entsprechende Figur ner in den Mythos und die athenische Geschichte des kleinen Weihgeschenks in Neapel gewesen sei die weltgeschichtliche Bedeutung dieser königlichen (S. 299 f. Nr. 9 Abb. 15, S. 41 f.; 116; 187). Tatsächlich sind Triumphe in der distanzierten Rückschau. Dies ist nur die motivischen Ähnlichkeiten außerordentlich (ein zu einer Zeit denkbar, da man sich der Persistenz des weiterer Reflex findet sich am großen Fries des Perga- Erfolges sicher sein konnte, nicht also vor den Jahren monaltares: S. 207 Abb. 236), auch wenn der Große um 170 bis 160. Gallier ein stärkeres transitorisches Moment besitzt. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 338

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Gleichwohl fallen die völlig andere Körperproportio- Die Studie umfasst zwölf Denkmäler, die nach nierung und die wesentlich voluminösere und undiffe- einem gleichermaßen einleitenden wie auswertenden renziertere Gestaltung des Oberkörpers des Kleinen ersten Kapitel eingehend untersucht werden. Dieses Galliers auf. Die motivische Gleichheit setzt die Kennt- erste Kapitel zeigt die Entstehung, Eigenart und Bedeu- nis der Statue in Pergamon auf Seiten des Bronzebild- tung der klassizistischen Reliefs, indem es auf die Re- ners voraus, der den Kleinen Gallier schuf. Dieser wird zeption der Vorbilder eingeht, unterteilt in Formale Ge- also auch einmal in Pergamon tätig gewesen sein. Unter staltung und Bildkomposition und Figurenrepertoire, dieser Voraussetzung aber erscheint bei gleichem Genre sowie in je einem weiteren Abschnitt die Klassizisti- und Bildthema der stilistische Unterschied zwischen schen Weihreliefs als römische Denkmälergattung sowie beiden Bildwerken mit einem Abstand von nur etwa elf ihre Verwendung und Funktion beleuchtet. Jahren, wie ihn Stewart postuliert (S. 212 Tabelle 8), Hieran schließt sich die archäologische Auswertung kaum richtig beschrieben. Auch dies ist gleichwohl alles von folgenden Reliefbildern an: einem Stück mit Askle- andere als ein schlagendes Argument – für Stewart pios und Hygieia im Kapitol, einem Fragment mit den sicher ein formalistisches. nämlichen Gottheiten im Louvre, dem sogenannten Glaubt man Horns Argumenten nicht, so wartet die Diadumenosrelief im Louvre mit einer Göttertrias, Frage nach dem Datum der ›Kleinen Gallier‹ noch einer Darstellung von Demeter und Kore in Malibu, immer auf eine wirklich schlüssige Antwort. Diese ist den zusammenfassend behandelten Athenareliefs Lan- vermutlich erst nach einer systematischen kritischen ckorónski in Richmond sowie Lansdowne in Kopen- Neubewertung von Horns und Krahmers Grundlegun- hagen, dem Zweigöttinnenrelief in der Galleria Chiara- gen der Stilgeschichte des Hellenismus möglich, die monti, einer Tafel mit einem Götterpaar aus Tralleis in beim jetzigen Stand der Dinge nicht einfach ad acta ge- Aydın, einem Zweifigurenrelief in der Villa Albani, legt werden können. Und es gilt um so mehr, weil die dem Relief Del Drago mit einer Götterversammlung These der Einansichtigkeit der Kleinen Gallier in An- im Palazzo Altemps, der Darstellung eines Athener betracht der neuen Hinweise auf ihre Aufstellung einer Hierophanten mit Demeter und Kore in Athen, einer Revision bedarf. Mit seiner gelungener Publikation und Asklepiadentrias im Louvre sowie dem Stück des Fir - der großartigen Klärung des Standortes und des Figu- minus, wiederum mit Asklepios und Hygieia, ebenfalls renbestands der figurenreichsten antiken Statuenwei- im Louvre. Ein zweiseitiges Register beschließt die hung überhaupt, der sogenannten ›Kleinen Gallier‹ und Studie. ihrer sieghaften Gegner, hat Andrew Stewart dafür ein Die Reliefs wurden bislang kaum je erschöpfend hervorragende Grundlage geschaffen. behandelt, viele sind weitgehend, einige sogar völlig unbekannt. Allein die Athenareliefs Lanckorónski und Freiburg i. Br. Ralf von den Hoff Lansdowne sowie das Relief Del Drago wurden in der jüngeren Forschung umfassender gewürdigt, während für das Stück aus Tralleis sowie für jenes in der Villa Albani diskutiert wurde, ob es sich hierbei um Kopien Stephanie Böhm, Klassizistische Weihreliefs. Zur rö- oder Neuschöpfungen handelt. Als Produkte des klassi- mischen Rezeption griechischer Votivbilder. Palilia 13. zistischen Kunstbetriebes Roms wurden die hier zu- Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 2004. 128 Sei- sammengetragenen Werke jedoch noch nicht umfas- ten, 80 Abbildungen. sender untersucht. Alle hier betrachteten Einzelwerke eint, dass sie nach »Nova ficta … Graeco fonte« – »aus griechischer Quelle der Art griechischer Weihreliefs klassischer Zeit gearbei- Neugeschaffenes« betrachtet die von Stephanie Böhm tet sind, sich freilich im Detail als Neuschöpfungen spä- vorgelegte Arbeit zu klassizistischen Weihreliefs. Die terer Zeit offenbaren, was die Ikonographie, den Stil, Autorin befasst sich damit nach zwei Artikeln (Griechi- die Bildkomposition, das Verhältnis der Figuren zum sche Sepulkralkunst im römischen Klassizismus, Jahrb. Raum, die Relieftiefe und anderes betrifft. Bisweilen DAI 110, 1995, 405–429; Römisch-eklektische Weih - haben die Bildhauer – übrigens sind sie in keinem Fall reliefs nach griechischem Vorbild, Ant. Kunst 42, 1999, namentlich bekannt – die Vorlagen derart überzeugend 26–40) erneut mit dem Phänomen der eklektischen rezipiert, dass die moderne Forschung die Werke tat- Reliefschöpfungen klassizistischer Werkstätten. Das ur- sächlich als griechische Originale aus dem fünften Jahr- sprünglich für einen dritten Artikel zusammengetra- hundert v. Chr. ansieht. Dies ist der Fall bei den beiden gene Material wuchs freilich derart an, dass es in einer Athenareliefs wie bei dem Stück in der Galleria Chiara- umfassenderen monographischen Abhandlung aufging, monti. die 2002 abgeschlossen wurde. Die Ergebnisse ihrer Eine Einschätzung als griechische Originale des vier- Untersuchungen hat die Verfasserin auch an anderer ten Jahrhunderts erfuhren das Relief mit Asklepios und Stelle publiziert (Römisch-klassizistische Weihreliefs. Hygieia im Kapitol und das Relief mit der Asklepia - In: C. C. Mattusch / A. A. Donohue / A. Brauer [Hrsg.], dentrias im Louvre. Das Diadumenosrelief ebendort Proceedings of the XVIth International Congress of glaubte man als Fälschung zu erkennen, während das Classical Archaeology Boston 2003 [London 2006] Stück mit Demeter und Kore in Malibu einmal als 447–450). griechisches Original des ausgehenden fünften Jahr- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 339

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hunderts, ein anderes Mal als neuzeitliche Arbeit ange- Ein Denkmal wie das Stück Del Drago evoziert die sprochen wurde. nachgeahmte klassische Stilstufe besonders überzeu- Die Autorin datiert die Reliefs im einzelnen von der gend, wenngleich sich die Einzelfiguren bei genauerem Mitte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. bis in die Mitte Hinsehen doch als eklektische Neuschöpfungen offen- des zweiten Jahrhunderts n. Chr. und behandelt sie baren. Gerade bei diesen Neukreationen ist freilich die gemäß ihrer chronologischen Abfolge im Buch, wo- Deutung der Dargestellten bisweilen schwierig. durch sie Entwicklungslinien in der römischen Rezep- Wenngleich die römischen Weihreliefs sich erkenn- tion der griechischen Vorbilder aufzeigen kann. Das bar an griechische Urkunden-, Grab- und vor allem Vo- Spektrum reicht von den beiden Reliefs mit Asklepios tivreliefs anlehnen, wird man bei der Suche nach und Hygieia im Kapitol sowie im Louvre als Produkte stilistischen und typologischen Parallelen doch auch des späthellenistisch-eklektischen Kunstbetriebes – frei- immer wieder bei den Denkmälergattungen des römi- lich nicht der klassizistischen Richtung – der zweiten schen Ausstattungsluxus fündig. Die hier untersuchten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. bis zum früh- Weihreliefs sind damit als Vertreter einer eigenstän - antoninisch zu datierenden Relief des Firminus im digen Denkmälergattung innerhalb des römisch-klassi- Louvre, das sich bei aller Nachahmung doch am weites- zistischen Kunstbetriebes anzusehen. Als ein Produk- ten von den griechischen Vorlagen entfernt hat. tionszentrum der Reliefs lässt sich – analog zu anderen Die Rezeption der griechischen Vorbilder verrät sich Erzeugnissen des römischen Ausstattungsluxus wie in den römischen Werken vor allem in der Bildkom- marmornen Krateren und Kandelabern – Athen anneh- position und der formalen Gestaltung sowie in der men. Die verwendete Marmorsorte kann einen ersten Verwendung von Figurentypen namentlich aus dem Hinweis auf die Lokalisierung der Werkstatt geben. fünften Jahrhundert v. Chr. Hier fällt das zahlreiche Von der überwiegenden Mehrzahl der Stücke sind lei- Auftreten weiblicher Gewandfiguren auf, die Typen aus der die Fundumstände nicht oder nur unvollständig der Zeit von 420–400 aufnehmen. Entlehnt sind diese überliefert, so dass sie keinen Hinweis auf die Produk- Vorlagen den griechischen Urkunden- und Votivreliefs. tionsorte geben können. Deutlich seltener dagegen greifen die römischen Künst- Diese schlechte Überlieferungslage der Fundum- ler auf Vorlagen des Strengen Stils zurück, in dem ledig- stände ist es auch, die die Rekonstruktion von Verwen- lich die Figur der Athena auf dem Relief Lanckorónski dung und Funktion der römisch-klassizistischen Weih- entsprechend frühklassisch stilisiert erscheint. reliefs erschwert. Allein über das Hierophantenrelief Besonderer Beliebtheit erfreuen sich dann spätklassi- gibt es genaue Angaben: Es wurde 1959 nördlich des sche Asklepiosfiguren, die in den römischen klassizisti- Olympieion in Athen entdeckt, und zwar in einem im schen Reliefs häufig und in recht konventioneller zweiten Jahrhundert n. Chr. genutzten Areal zwischen Manier nachgeahmt werden, so im Relief im Kapitol, dem Hadrianstor und einer römischen Badeanlage. Das dem Fragment im Louvre sowie auf dem Firminus- Stück gehörte zur Ausstattung eines römischen Wohn- Relief. Hier sind es vor allem Votivreliefs des vierten hauses, wohl des Hierophanten, der sich in der Dedika- Jahrhunderts v. Chr., bei denen Anleihen genommen tionsinschrift – freilich ohne seinen genauen Namen zu werden. Auch das Relief mit der Asklepiadentrias, das- nennen – wie in der figürlichen Darstellung verewigte. jenige mit Demeter und Kore in Malibu und das Relief Ist dieses Bild auch Demeter und Kore geweiht, fand es Del Drago nehmen spätklassische Figurentypen auf, doch keinen Weg als Votiv in ein Heiligtum, das es in wie sie in den Gattungen der Votiv- und Urkundenre- der näheren Umgebung des Fundortes auch gar nicht liefs zur mannigfachen Anschauung standen. Doch auch gab. Vielmehr fungierte es als Teil des plastischen De- die Sepulkralkunst mit den griechischen Grabreliefs kors eines römischen Wohnhauses. konnte Pate stehen, wie die Darstellung des Jägers auf Von anderen Stücken ist zumindest durch ihre dem Stück in der Villa Albani belegt. Samm lungsgeschichte ein Bezug zu Rom gegeben, was Die Rezeption erschöpft sich in den römisch-klassi- darauf hindeutet, dass sie sich bereits in der Antike dort zistischen Werken jedoch nicht im sklavischen Kopie- befunden haben. Ein eindeutig stadtrömischer Fund ist ren der griechischen Vorlagen, sondern wird in jeweils das Relief des Firminus, das schon Schriftquellen des unterschiedlich hohem Maß durch zeitgenössische sechzehnten Jahrhunderts erwähnen. Elemente bereichert. Oftmals werden gezielt einzelne Vor diesem Hintergrund zumeist ungeklärter Fund- Motive wie etwa späthellenistische Musendarstellungen umstände lassen sich nurmehr Vermutungen zur anti- herangezogen, wodurch die typologische Einheitlich- ken Aufstellung und Funktion anstellen. Zunächst fällt keit einer Darstellung im Ganzen aufgebrochen wird. auf, dass keines der hier behandelten Stücke durch seine So beabsichtigten die römischen Bildhauer offenbar Fundumstände sicher in den Kontext eines Heiligtums nicht ein getreues Kopieren festgelegter Figurentypen, gehört. sondern orientierten sich am Überlieferten – wie in der Für griechische Weihreliefs ist des Öfteren ein Trans- Darstellung des Asklepios – und kombinierten es – wie port nach Italien und eine Wiederverwendung im de- in der Darstellung der Hygieia – eklektisch mit Neu- korativen Kontext, als Ausstattungsgegenstände von schöpfungen. Villen und Häusern wohlhabender Römer belegt. Ein Immer aber sollte das Relief insgesamt so wirken, als ähnlicher Zusammenhang lässt sich ebenso für die wäre es in einer früheren Zeitstufe gearbeitet worden. römisch-klassizistischen Weihreliefs annehmen. Immer 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 340

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aber muss man sie sich in eine Wand eingelassen den- als Teil einer Abfolge innerhalb der römischen Rezep- ken, da Vorrichtungen für eine freie Aufstellung bezie- tion griechischer Vorbilder zu betrachten – von spät - hungsweise Verzapfungen an der Unterseite fehlen und hellenistisch-eklektischen Exemplaren bis hin zu einem einige Tafeln nur eine sehr geringe Tiefe aufweisen. solchen Vertreter wie dem Relief des Firminus am Die Funktion dieser Denkmäler liegt also klar im de- Ende dieser Entwicklungslinie. Jenes wirkt gewisserma- korativen Bereich, erschöpft sich aber damit wohl noch ßen am stärksten römisch, ist aber gleichwohl immer nicht. Schließlich geben sich die Reliefs des Hierophan- noch griechischen Archetypen des vierten Jahrhunderts ten in Athen und das des Firminus als Weihungen an v. Chr. verpflichtet. Gottheiten wie Demeter und Kore beziehungsweise Es steht zu hoffen und zu erwarten, dass weitere Asklepios und Hygieia zu erkennen. Stehen die hier Untersuchungen noch mehr dieser oftmals verkannten untersuchten Objekte zwar stilistisch und typologisch Reliefbilder des klassizistisch-römischen Kunstschaffens den Schmuckreliefs nahe, sollten sie doch aufgrund bekannt machen. Die solide Grundlage für deren fun- ihrer Funktion auch im religiösen Bereich eher dem rö- dierte Einordnung sollte mit dieser Studie gegeben sein. mischen Weihrelief zugeordnet werden, als Produkte stilsicherer Nachahmung klassischer Vorbilder im Auf- Berlin Annika Backe-Dahmen trag einer gehobenen Käuferschicht. Zur Bewertung: Die in einem angenehm unpräten- tiösen Stil gehaltene Studie zeichnet sich aus durch eine saubere Methodik im Aufarbeiten der den einzelnen Reliefs zu Grunde liegenden Vorbilder und einer gut Christa Landwehr, Die römischen Skulpturen von begründeten und daher nachvollziehbaren Bewertung Caesarea Mauretaniae. Band III. Idealplastik. Bacchus der Einzeldenkmäler wie der Entwicklungslinien römi- und Gefolge – Masken – Fabelwesen – Tiere – Buk ra - scher Rezeption in ihrer Abfolge über drei Jahrhun- nien – nicht benennbare Figuren. Aufnahmen von derte. Die Auswertung der Untersuchung, mithin das Florian Kleinefenn. Mit Beiträgen von Rita Amedick, Ergebnis der Studie, findet sich dabei nicht als zu- Dagmar Grassinger und Adrian Zimmermann. Philipp sammenfassende Schlussbetrachtung nach den Einzel- von Zabern, Mainz 2006. XVI und 127 Seiten, 11 Abbil- untersuchungen, sondern wird diesen vorangestellt. dungen, 80 Tafeln sowie 32 Beilagen. Die Anmerkungen im ersten Kapitel stehen denn auch nicht für sich, sondern bestehen vielmehr zu einem Mit dem vorliegenden Band, dem dritten des auf fünf nicht unerheblichen Teil aus Verweisen auf die Fuß - Monographien aufgeteilten Katalogs der Skulpturen noten in den sich anschließenden Einzelbetrachtungen. von Cherchel, ist die Bearbeitung der Idealplastik abge- Durch diese Gliederung der Arbeit erhält auch der schlossen. Der vierte Band, dessen angekündigte Druck- Leser, der sich noch nicht ausführlich mit diesen Pro- legung auf ein baldiges Erscheinen hoffen lässt, wird die dukten des römisch-klassizistischen Kunstschaffens aus der nordafrikanischen Stadt stammenden Porträts befasst hat, die wesentlichen Informationen zum Ver- beinhalten. Daher erscheint es sinnvoll, dass das für den ständnis dieser Denkmälergattung gewissermaßen als letzten Band geplante Gesamtregister aufgegliedert und Extrakt der Einzeluntersuchungen vorab geliefert. Letz- die Erschließung der bislang behandelten Idealplastik tere zeichnen sich aus durch ein gewissenhaftes Auf - durch ein Ortsregister der verglichenen Stücke bereits arbeiten der rezipierten griechischen Vorlagen, von vorgezogen wurde. Den überwiegenden Teil der in die- denen oft Abbildungen gegeben werden. sem Katalog behandelten Gegenstände nehmen diony- Die Illustrationen insgesamt sind von angemessener sische Figuren, Masken und Reliefs ein, denen kleinere Qualität; einzelne etwas flau erscheinende Abbildungen und zum Teil recht unscheinbare Fragmente von Tieren (wie Abb. 4, 35, 43 und 52) dürften weniger dem Druck und Fabelwesen angeschlossen wurden; im dritten, mit als vielmehr der verwendeten Bildvorlage anzulasten »Nicht benennbare Figuren« überschriebenen Teil wer- sein. Bei den Bildunterschriften wird leider nur in Abb. den dagegen bedeutende Stücke wie um Beispiel der 19 und 21 zu den gezeigten Objekten die Inventarnum- bislang für Juba I. in Anspruch genommene Kopf Kat. mer angegeben, während bei den übrigen Abbildungen 256 (dazu s. u.) oder das Schmuckrelief Kat. 269 (s.u.) darauf verzichtet wird. Dass im Text des ersten Kapitels besprochen. Der große Umfang des Themenkreises zu lateinische Zitate einmal im Originalwortlaut (S. 9 mit Bacchus und seinem Gefolge war ursprünglich wohl Anm. 1 sowie S. 15 mit Anm. 20 und 21, bei letzterer eine der Ursachen dafür, dass dieser Komplex aus dem fehlt der Nachweis des Übersetzers), ein anderes Mal da- alphabetisch geordneten zweiten Katalogband ausge- gegen in der deutschen Übersetzung (S. 16 mit Anm.22) gliedert wurde und gesondert im Rahmen einer studen- erscheinen, für eine lateinische Sequenz Ciceros nur - tischen Qualifikationsarbeit behandelt werden sollte, mehr die Quelle ohne weitere Übersetzung angegeben um dann in die Reihe aufgenommen zu werden. Die wird (S. 19 mit Anm. 37), ist nur eine Kleinigkeit und ungedruckte Berner Dissertation von Adrian Zimmer- tut dem Wert der Arbeit im ganzen keinerlei Abbruch. mann (Kopienkritische Untersuchungen zum Satyr mit Dieser Wert liegt darin, zum einen jedes der zwölf der Querflöte und verwandten Statuentypen, 1994), der Reliefs als Einzeldenkmal sorgfältig zu untersuchen und auf Grund »anderer beruflicher Interessen aus der Ar- zu würdigen, es aber auch in seiner zeitlichen Stellung chäologie ausschied und damit das Projekt verließ«, 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 341

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stand der Verfasserin und den Mitautorinnen Rita tion von »Merkmalen« klar definiertes Bildmuster, ein Amedick und Dagmar Grassinger bei der Abfassung der »Konzept« angenommen (vgl. Jahrb. DAI 113, 1998, Texte zur Verfügung. Den beiden Letztgenannten, auf 141). Doch bereits Kat. 176–179 zeigen die Schwierig- die etwa jeder fünfte Katalogeintrag zurückgeht (zwei keit, für diese Figuren überhaupt ein Tertium compara- weitere entstammen der Feder von Zimmermann), ist tionis auszumachen. Eine Vorstellung von der Entste- die Bearbeitung von so beliebten und oft wiederholten hung und der konkreten Form der »Konzeptfiguren« Werken des späteren Hellenismus wie dem Dornauszie- lässt sich aus den Ausführungen in dem immer wieder her (Kat. 188, s. u.) und der Hermaphroditengruppe zitierten Aufsatz der Autorin kaum gewinnen – sie blei- (Kat. 191 und 192, s. u.) zu verdanken. ben nebulos und ihre Existenz fraglich. In ihren Vorbemerkungen stellt die Autorin fest, Auf ein durch zwei großplastische Wiederholungen dass »es für die dionysischen Skulpturen von Cherchel und mehrere Statuetten überliefertes Werk des späten … nur in einigen Fällen ältere Vorbilder gab, die auch Hellenismus geht hingegen Kat. 182 zurück. Berühmt- an anderen Orten kopiert wurden.« Vor allem Werke heit erlangte die 1862 in Pompeji zutage getretene, mit aus den Magazinbeständen hätten dazu beigetragen, Basis 63 cm hohe Bronzestatuette, die dem Typus den dass sich innerhalb der Idealplastik dieser Stadt »das Namen ›Narcissus‹ bescherte und in unzähligen Nach- Mengenverhältnis zwischen Kopien, Konzeptfiguren güssen Verbreitung fand. Dass es sich um den mit Zie- und Einzelfiguren stark zugunsten der letzten Gruppe genfell, Korymbenkranz und Schnürstiefeln ausgestat- verschoben« habe (S. XVI). Als Konzeptfiguren werden teten Dionysos handelt, stellt schon Heinrich Brunn die Dionysos- beziehungsweise Bacchusstatuen Kat. unmittelbar nach der Auffindung fest (Boll. dell’Insti- 176–179 bezeichnet (kritisch zu dem von der Verfasserin tuto di Corrispondenza Archeologica 1863, 92). Diese eingeführten Begriff R. von den Hoff, Gnomon 68, Statuette wird wegen ihrer vollständigen Erhaltung von 1996, 715 f. und Rez., Bonner Jahrb. 201, 2001, 580 f.). Landwehr zum Ausgangspunkt einer neuen Rekon- Kat 176–178 folgten demselben »Haltungsmuster« und struktion und Interpretation des dargestellten Sujets ge- wiesen wohl auch dieselbe »Attributkombination« auf: nommen. Auf Friedrich Hauser geht die Beobachtung Der Gott präsentiert sich mit dem Thyrsos in der Lin- zurück, dass die Figur mit der antiken, aber möglicher- ken, während der ihn begleitende Panther nach dem In- weise nicht ursprünglichen Basis nicht sachgemäß ver- halt des Kantharos beziehungsweise nach den Trauben bunden ist (Jahrb DAI 4, 1889, 113 ff.). Aus ihrer Ponde- in der gesenkten Rechten greift. Kat. 176 trägt freilich ration ergibt sich nämlich zwingend, dass das Körper- zusätzlich ein Ziegenfell, und obgleich alle drei Figuren gewicht ausschließlich auf dem rechten Bein lastete und auf ihrem rechten Bein stehen, ist die Ponde ration im dessen Fuß folglich mit der ganzen Sohle auftreten Körperaufbau ganz unterschiedlich gestaltet. Bei Kat. müsste. Bei entsprechender Aufstellung verändert sich 179 hingegen war das Standmotiv vertauscht; das »Hal- wesentlich die Haltung der Statuette, deren Oberkörper tungsmuster« dieses Statuenfragmentes wird mit der sich nun schräg nach hinten verschiebt. Im Vergleich zu überlebensgroßen Statue des Antinoos aus der Samm- der zeichnerisch veranschaulichten »Richtigstellung« lung Casali in Kopenhagen in Verbindung gebracht; bei Hauser neigt Landwehr in ihrer Textabbilung die der Gott war allerdings nicht mit der Nebris ausgestat- Körperachse jedoch um einiges stärker: Der Gott droht tet, sondern mit einem Fellmantel, der auf der linken nach hinten zu kippen, eine Haltung, die ihn als trun- Schulter auflag. Die Proportionen des Gesichts mit der ken charakterisieren soll. Schwankend versuche er, »mit breit angelegten Wangenpartie und dem kurzen Unter- der ausgestreckten rechten Hand und zusätzlich mit gesicht, die weiche Modellierung der Wangen sowie der den ausgestreckten Fingern … sein Gleichgewicht zu versonnene Ausdruck – diese Eigentümlichkeiten setz- finden und zu halten« (S. 13). Für die Existenz eines ten für das Fragment in Cherchel, in dem man, übri- Panthers, der mit dem Gott im Aktionszusammenhang gens zu unrecht, schon den Liebling Hadrians erkennen stehend die ungewöhnliche Geste der rechten Hand er- wollte, das Bildnis des Bithyniers voraus. Nahe ver- klären würde, sieht die Verfasserin kein Indiz. wandt ist ihm darin der Kopf des Dionysos Bevilacqua Während Hausers Rekonstruktionszeichnung durch- in der Münchner Glyptothek, der sich auch stilistisch aus plausibel und ansprechend erscheint, fordert der sehr gut vergleichen lässt (Rez., Glyptothek München. neue Vorschlag mit der übertrieben gekippten Haltung Katalog der Skulpturen Band VI. Römische Idealplastik nicht nur aus ästhetischen Gründen geradezu zum [München 1992] 86 ff. Nr. 13). Widerspruch auf. Die Differenz in der Höhe der unter Diese Dionysosstatuen rechnet Landwehr einer der rechten Sohle stehengebliebenen Masse beträgt Grup pe zu, die nicht nur durch Attribute, sondern wenige Millimeter, was bei einem flach auf die Unter- noch »durch weitere Übereinstimmungen verbunden« lage auftretenden Schuhwerk eine Neigung der Figur sei (S. 2). Ungeachtet der bereits an Kat. 176–179 sicht- von nur wenigen Grad ergeben kann; das dürfte in etwa bar gewordenen Variationsbreite erweitert die Verfas- der Hauserschen Wiederherstellung entsprechen. Schon serin das Spektrum des Möglichen durch zusätzliche, ein Blick auf die Textabbildung macht dagegen klar, divergierende Beispiele von Dionysosstatuen. Dennoch dass das Standbein nicht senkrecht auf den Boden trifft soll es sich nicht um Einzelstücke handeln: vielmehr und der Fuß nicht waagerecht beziehungsweise plan wird hinter diesen Darstellungen ein durch mehrfaches der Basisoberfläche anliegt. Diese kippelige Haltung Vorkommen und die immer wiederkehrende Kombina- lässt sich mit dem nach den Prinzipien des Tragens und 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 342

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Lastens gestalteten Körperbau nicht in Einklang brin- Komposition »innerhalb der Kleinkunst entstanden« gen, sie kann so nicht intendiert gewesen sein. Ganz sei und »dass das Bildmuster Verbreitung fand und fraglos wich im zugrunde liegenden Entwurf der Ober- Bronzestatuetten in unterschiedlichen Formaten und körper des Gottes zurück, eine Bewegung, die der Meis- mit kleinen Veränderungen ausgeführt wurden. Diese ter der Bronzestatuette allerdings glaubte »korrigieren« Vorlage wurde dann in antoninischer Zeit in groß - zu müssen, indem er die Schrägstellung der Figur be- formatige Marmorskulptur umgesetzt« (S. 13). Hier gradigte. Ein ganz ähnlicher Sachverhalt liegt beim scheint sich die Vorstellung über die Existenz von wie Silen mit dem Dionysosknaben vor, der in der Wieder- auch immer gearteten »Konzeptfiguren«, denen offen- holung des Braccio Nuovo im Vatikan aus seiner ange- sichtlich auch die Bronzestatuette aus Pompeji zuge- lehnten Haltung aufgerichtet wurde und im Vergleich rechnet wird (S. 13 f.), zu verselbständigen. Die Frage zu der Replik im Louvre zu schreiten scheint: Aus der nach der Methodik drängt sich auf. veränderten Haltung ergab sich auch hier die Notwen- Auch bei Kat. 184 (in Algier) handelt es sich nach digkeit, unter dem nun nicht mehr aufliegenden rech- Meinung der Verf. »um eine individuelle Ausgestaltung ten Standbein die Fußinnenseite zu unterlegen und den eines Bildmusters« (S. 16). Von der ursprünglich etwa entstandenen keilförmigen Spalt durch stehengelasse- 1,30 m hohen Figur eines Knaben, den links eine »kleine nen Marmor auszufüllen (vgl. die Wiedergabe der vati- Begleitfigur« und rechts eine »Wildkatze« flankiert kanischen Replik nach Gips bei H. Meyer, Riv. Arch. haben, existieren Wiederholungen in Agnano und im 10, 1986, 26 Abb. 5). Die Statuette aus Pompeji ist aber Museo Torlonia in Rom. Der Eindruck einer stärkeren durch einen solchen »Kunstgriff« nicht nur in die Vor- Biegung und Drehung des Torsos in Rom, die als derfläche geholt worden, die tragende Funktion des Unterschied zu Kat. 184 herausgestrichen werden, be- Standbeines scheint zusätzlich durch die Verlagerung ruht auf dem Aufnahmewinkel und der falschen Auf- des Körperschwerpunktes auf die linke Seite konterka- stellung des lediglich in der Publikation von Carlo riert worden zu sein. Im Vergleich zu den großplasti- Lodovico Visconti von 1884 vorgelegten Stücks. Aus - schen Wiederholungen lastet bei ihr das Gewicht nicht sagen über die angeblich unterschiedliche Armhaltung in der senkrechten Achse über dem rechten Bein, die erscheinen angesichts des Erhaltungszustandes gewagt: Medianlinie ist sehr viel stärker gebogen und der Brust- Darüber, wie weit der rechte Oberarm vom Körper ent- korb infolgedessen links stärker gewölbt. Besonders die fernt gehalten wurde, informiert lediglich die besser er- Rückseite macht die Krümmung des Torsos deutlich, haltene Statue in Agnano, deren Ellenbogen mittels die wohl auch der Hervorhebung des Gesäßes dienen eines Stegs mit dem Rumpf verbunden war. Vertrauen sollte. Zu diesem Zweck scheint auch die Nebris des verdient diese Haltung deswegen, weil sich an derselben Gottes vom Körper abgerückt worden zu sein: Bei der Stelle an der Hüfte der Statue in Algier ebenfalls die Bronzestatuette aus der Sammlung Käppeli in Basel Spur eines Verbindungsstegs erhalten hat. Die Form der schmiegt sie sich an und so auch bei den beiden groß- Bruchstelle schließt übrigens einen am Körper anlie- plastischen Wiederholungen. Dass die Baseler Statuette genden Ellenbogen aus, wie ihn die Verfasserin S. 15 das Motiv getreuer überliefert, nimmt schon P.Aman- annimmt. Eine tatsächliche Abweichung stellen in dry, La revue des arts 5, 1955, 203 f. an. Agnano allerdings die Flügel des kindlichen Begleiters Die Statuette in Neapel erweist sich somit als eine und das Fehlen des Panthers dar. (Ob dieser beim Stück raffinierte, das erotische Element herausstreichende im Museo Torlonia vorhanden war, bleibt ungewiss; es Modi fizierung eines Urbilds, das nach bisherigem muss jedenfalls damit gerechnet werden, dass es sich bei Stand der Forschung in späthellenistischer Zeit entstan- dem Tier in Algier um eine Zutat des antoninischen den ist. Der Verfasserin zufolge hat es ein solches Ori - Kopisten handelt.) Ansonsten stimmen die drei Werke ginal allerdings nicht gegeben, da »alle drei [sic!] in der Haltung und Gewanddrapierung des heranwach- Figuren unterschiedliche Maße« aufweisen sollen. Die senden Knaben überein – selbst die am Hals rechts her- Überlieferung umfasst freilich mehr als drei Werke, abfallende Locke kehrt bei allen wieder – sowie in der neben mindestens drei Statuetten auch zwei großplasti- Komposition mit dem Kleinkind, das dem stützenden sche Torsi. In der im sechzehnten Jahrhundert kom - Baumstamm vorgeblendet seinen rechten Arm nach ponierten Gruppe in Florenz misst der antike Teil des oben, dem Begleiter entgegen streckte. Das lässt doch Dionysos vom Halsansatz bis zu den Knien 0,85 m; es mit einiger Sicherheit annehmen, dass hinter der handelt sich also um eine maßgleiche Replik des Torsos Gruppe mehr als ein Bildmuster steht; vielmehr wird in Cherchel, an dem die entsprechende Entfernung, man davon ausgehen dürfen, dass mit den drei Repli- abgenommen am Gipsabguss in München (vgl. H.-U. ken die Kerngruppe nach einem Entwurf wohl des spä- Cain in: Dionysos. Die Locken lang, ein halbes Weib? ten Hellenismus fassbar wird. Dieser hat ganz offen- Ausst. München 1997/98, Taf. 10), nämlich 0,86m be- sichtlich auf römische Kopisten anregend gewirkt: Auf trägt. Die Übereinstimmung in den Maßen und die dieselbe Vorlage geht fraglos die von der Autorin er- ikonographische Gebundenheit innerhalb der Überlie- wähnte Gruppe im Louvre zurück (Anm. 12), in der die ferung sprechen gegen den Vorschlag, dass es »im vor- Hauptfigur und ihr kindlicher Begleiter jeweils durch liegenden Fall genügt, ein Bildmuster anzunehmen, das kleine Hörnchen und das Pedum zu Panfiguren umge- allen Künstlern der erhaltenen Figuren bekannt war« staltet wurden. Der jugendliche Gott trägt als Schulter- (S. 13). Die Verfasserin nimmt weiterhin an, dass die mäntelchen ein Fell, das ähnlich über dem linken 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 343

Klassische Archäologie 343

Unterarm liegt wie bei dem ebenfalls in den Zusam- sondern auch dass derjenige von Torlonia 151 nicht zu- menhang gehörigen Ganymed im Konservatorenpalast gehörig ist. Die Ergänzungen der beiden römischen (LIMC IV [1988] 155 Nr. 4 mit Abb. s. v. Ganymedes Gruppen hatten dazu geführt, dass der Gruppe in Cher- [H. Sichtermann]; Verf. im Cherchelkatalog II 67 f. chel beziehungsweise Algier ein inzwischen verscholle- Kat. 107 Beil. 30 b). Auch der Mundschenk des Zeus ner bärtiger Kopf aus den Westthermen der Stadt zuge- trug in seiner Linken ein Pedum, wie es ebenfalls für die wiesen wurde. Dieser Vorschlag erübrigt sich nun, und Figur in Agnano rekonstruiert wird: Dort weisen meh- das Aussehen des Satyrkopfes bleibt ungewiss, anders rere Bruchstellen am linken Oberarm darauf hin, dass als noch von Adrian Stähli angenommen (Die Verwei- die Hand einen länglichen, nach oben weisenden gerung der Lüste [Berlin 1999] 381). Kat. 191 macht aber Gegenstand gehalten hat, der ganz ähnlich wie beim deutlich, dass er vom Hermaphroditen abgewandt war, Pan im Louvre bis an die Schulter hinaufgereicht haben wie dies die Textabbildung 1 veranschaulicht. muss. Erwähnenswert erscheint in diesem Zusammen- Drei Repliken des Satyrs mit der Querflöte (Kat. hang, dass sich auf dem Stoffbausch über der linken 204–2006) setzen die Reihe der Kopien nach hellenisti- Schulter der Statue in Algier ebenfalls der Rest eines schen Werken fort; die Schöpfung scheint sich beson- Stegansatzes befindet (S. 15). Bei der Deutung der derer Beliebtheit erfreut zu haben, denn es sind über Gruppe müsste dies berücksichtigt werden. fünfzig Wiederholungen nachgewiesen. Für die »kriti- Die erneute Rezension der Repliken des Dornauszie- sche Untersuchung der einzelnen Repliken und die hers (unter Kat. 188) bestätigt, dass diese von einem ein- Rekonstruktion des Originals« wird auf die oben ge- zigen Entwurf abhängen (vgl. dazu schon P. Zanker, nannte Dissertation von Zimmermann verwiesen (S. 48 Klassizistische Statuen [Mainz 1974] 71 ff.). Dem Zeit- Anm. 3); ein Zusammenfassung dieser Recensio wäre geschmack des mittleren zweiten Jahrhunderts n. Chr. freilich an dieser Stelle willkommen. Es wird aber den- entspricht die fülligere Körpergestaltung bei den Wie- noch nachvollziehbar, dass an der zu den qualitätvoll- derholungen in Cherchel und Berlin, während die Stü- sten Werken des Museums zählenden Statue Kat. 206 cke im Konservatorenpalast und in London die knap- der virtuose Kopist eine Reihe von subtilen Abwand- peren und schlankeren Formen der frühen Kaiserzeit lungen vorgenommen hat; er veränderte unter anderem aufweisen. Diese unterschiedliche Modellierung be- auch die Stellung der Füße, an der anscheinend auch wegt sich im Rahmen dessen, was auch sonst innerhalb sonst gern herumexperimentiert wurde (vgl. S. 47 zu einer Replikenreihe beobachtet werden kann. Die von der Statue im Louvre MA 594, deren »diagonal in die Amedick formulierte Feststellung, »dass die Bildhauer Tiefe führende Räumlichkeit« in Beilage 17 durch Auf- ihr gemeinsames Vorbild jeweils selbständig interpre- nahme schrägt von unten eine deutliche Steigerung er- tierten und entsprechend variierten« (S. 21), kommt der fahren hat). Praxis des Kopistenwesens zweifellos sehr viel näher als Der erotische Charakter, der vor allem auf der Rück- die Vorstellung eines ausschließlich mit »Konzepten« seite von Kat. 206 in Erscheinung tritt, wird bei dem operierenden Werkstattbetriebs. Interessanterweise wur- Satyrn mit dem Schweinsfell noch gesteigert. Die Re- de auch an dem Dornauszieher in Cherchel von dem pliken tragen ein Ziegenfell (Kat. 207) beziehungsweise Kopisten das zugrundeliegende Urbild in seiner Nei- eine Pardalis (Kat. 208), doch wird für das Urbild der gung verändert: Er ist leicht nach vorne gekippt, so Überlieferung dem Schweinsfell, das die meisten der dass der sich dadurch ergebende Spalt unter der rechten Wiederholungen aufweisen, der Vorzug zu geben sein. Ferse durch stehengelassene Marmormasse ausgegli- Den Versuch, das Vorbild mit Hilfe von Gipsabgüssen chen werden musste. Obgleich die Statue darüber hin- aus dem Vatikan und aus Kassel zu rekonstruieren, do- aus durch die Zufügung eines Hundes erweitert wurde kumentiert inzwischen der Ausstellungskatalog Die (vgl. Textabb. S. 21), ist sie dennoch der direkten Über- zweite Haut. Panther-, Wolfs- und Ferkelfell im Bild lieferung der hellenistischen Vorlage zuzurechnen – die des Satyrn, Ausst. München 2005, 36 ff. Dort wird aus- auch in diesem Falle schon bald nach ihrer Entstehung führlich die sexuelle Konnotation des Schweinsfells im späten dritten Jahrhundert v. Chr. Anreiz zu man- behandelt. nigfaltigen Variationen und Umgestaltungen geboten Unter die »Nicht benennbare Figuren« ist im Teil C zu haben scheint. Eine solche Variation zum Thema des der Kopf Kat. 256 aufgenommen, dessen Benennung Dornausziehers stellt Kat. 190 dar: ein Satyr zupft einem als Juba I. die Verf. bereits in einem Aufsatz (Jahrb. DAI auf dem Fell gelagerten Pan den Stachel aus dem Huf. 116, 2001, 277 ff.) in Abrede gestellt hatte. Die Asym- Als solche stellt sie ein Einzelstück dar, das sich kompo- metrien in der Frisurwiedergabe und im Gesicht lassen sitorisch gut mit den sogenannten einansichtigen Grup - erkennen, dass der Kopf nach rechts gedreht war und pen vergleichen lässt. Deswegen wird von Rita Amedick auf Taf. 68a in der richtigen Ansichtsseite wiedergege- der Entwurf für das in antoninischer Zeit entstandene ben ist. Unverständlich erscheint es dagegen, wenn an Werk in Cherchel in den späten Hellenismus gesetzt. der nur grob bearbeiteten Rückseite eine schräg durch Einansichtig sind auch Kat. 191 und 192, welche die den Nacken verlaufende Fläche als Anhaltspunkt für in mehreren »nahezu maßgleichen« Repliken überlie- die Neigung des Kopfes nach vorne genommen wird ferte Gruppe von Hermaphrodit und Satyr wiederho- (vgl. dazu Taf. 68 b). Der Fortsatz, der sich im Nacken len. Dagmar Grassinger kann ermitteln, dass nicht nur rechts unmittelbar unter dem Lockenrand befindet (die die Satyrköpfe Berlin und Torlonia 157 ergänzt sind, Abbildung der rechten Profilseite fehlt; vgl dafür K. de 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 344

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Kersauson, Musée du Louvre. Catalogue des portraits scheint somit gut begründet und daher überzeugend. romains I [Paris 1986] 120 f. Nr. 54), spricht wohl eher Wenig plausibel dagegen der Vorschlag der Verfasserin, dafür, dass der Kopf ehemals mittels eines heute wegge- in Kat. 256 den ikonographisch nicht recht fassbaren brochenen Einsatzkegels – bei der Beschreibung des Er- mauretanischen Gott Deus Maurus zu erkennen. Auch haltungszustandes heißt es: »Nacken und Hals sind die stilistischen Vergleiche mit Werken hadrianischer schräg gebrochen« – in eine Statue oder Herme einge- Zeit (Kat. 111 und 115 sowie dem Porträt Kat. 302 setzt war; eine Vorstellung von dessen Form könnte die aus dem noch nicht erschienenem vierten Band der Kybele aus dem ersten Katalogband zu Cherchel Nr. 56 Cherchelpublikation, vgl. dazu auch Jahrb. DAI a. a. O. Taf. 82 vermitteln (s. auch ebenda Nr. 1 Taf. 1–3a). Eine 285 ff.) sind nicht geeignet, eine so späte Datierung aufrechte Kopfhaltung empfiehlt sich auch angesichts für das Porträt zu begründen. Erstaunlicherweise wird des Haarfalls: die langen, dicht gedrehten Korkenzie- über sehen, dass der in die Königszeit datierte Hermen- herlocken weisen bei der postulierten Neigung nicht kopf Kat. 212 eine frappante Parallele bildet (vgl. die senkrecht nach unten, sondern schräg nach hinten. Augenbildung und die charakteristische Bohrtechnik Die bereits in der Erstpublikation durch Victor sowohl an den Spirallocken, als auch am Nackenhaar Waille vertretene und von Klaus Fittschen untermau- des Hermenkopfes [Taf. 44d] und dem Bart des Por- erte Identifizierung des Kopfes als Juba I. ist nach Mei- träts [Taf. 68b]), und dieser wiederum aufs engste über- nung der Verfasserin nicht aufrecht zu erhalten. Ihre eingeht mit dem Porträt Jubas II. (Kat. 79; vgl. K. Fitt- Feststellung »Eine eindeutige, unverwechselbare Über- schen, Madrider Mitt. 15, 1974, Taf. 21 a und b; Verf., einstimmung zwischen Münzen und Marmorkopf be- Arch. Anz. 2002, 99 ff. Abb. 2). Anschließen lassen sich steht nicht«, basiert auf den Ausführungen im genann- das Bildnis der Kleopatra VII. in Cherchel (Fittschen ten Aufsatz. Dort wird vor allem daran Anstoß genom- a. a. O. Taf. 31 c und d; R. R. R. Smith, Hellenistic men, dass Fittschen in Gesicht und Bart des Kopfes eine Royal Portraits [Oxford 1988] Taf. 45 Nr. 69; Verf., Arch. Stilisierung in der Art spätklassischer Götter erkennt, Anz. a. a. O. Abb. 1) und schließlich die kolossalen die auf den Münzen Jubas nicht vorhanden sei. Dies Köpfe Kat. 118–123, die vermutlich den Palast Jubas II. soll die Gegenüberstellung des in unglückliche Schräg- schmückten. Man wird hinter diesen Schöpfungen stellung gebrachten linken Profils – Wiederum fehlt das dieselbe Werkstatt vermuten dürfen (vgl. dazu auch für den Münzvergleich geeignetere rechte Profil! – mit H. Herdejürgen, AntK 44, 2001, 25 f.), der offenbar auch einem Denar des Königs belegen (Jahrb. DAI 116, 2001, die Ausführung von Ahnenporträts (s. dazu K. Fitt- Abb. 2 und 3). Die Durchsicht der Münzprägungen schen in: N. Bonacasa – A. Di Vita [Hrsg.], Alessandria lässt allerdings den Verdacht aufkommen, dass die Au- e il mondo ellenistico-romano. Studi in onore di Achille torin absichtlich eine pathetische Version ausgewählt Adriani I [Rom 1983] 165 ff.; vgl. Smith, Royal Portraits hat, auf der der Bart nach einheimischer Tradition be- a. a. O. 98. 106. 140; D. W. Roller, The World of Juba II. sonders stark hervortritt und spitz zuläuft. In der Regel and Kleopatra Selene [New York 2003] 30. 138 f.) an - zeigen die Münzen einen glatten, langgesträhnten Bart vertraut wurde. Der Kopf Kat. 256 muss deswegen und eine beruhigte Physiognomie (vgl. z. B. N. Fran- als derjenige des Vaters des mauretanischen Königs ken, Jahrb. DAI 114, 1999, 143 Abb. 11; G. M. A. Richter, Juba II. Teil der damals entstandenen »Ahnengalerie« Engraved Gems of the Romans II [London 1971] gewesen sein, deren Existenz von Landwehr allem Nr. 472 a; dies., The Portraits of the Greeks III [London Anschein nach aber angezweifelt wird (s. Jahrb. DAI 1965] Abb. 2004; J. M. C. Toynbee, Roman Historical a. a. O. 281 Anm. 25); man darf gespannt sein, was sie – Portraits [London 1978] 91 Abb. 148), die ganz über - wie angekündigt – im vierten Band dagegen einzuwen- einstimmend auf der von der Autorin nicht erwähn - den hat. ten Glaspaste in Würzburg (E. Zwierlein-Diehl, Glas- Ein Glanzstück unter den Funden aus Cherchel ist pasten im Martin-von-Wagner-Museum der Univer- auch das heute im Louvre aufbewahrte Schmuckrelief sität Würzburg I [München 1986] 75 Nr. 72 Taf. 17), Kat. 269, zu dem es, ebenfalls im Louvre, eine aus einer aber auch auf den Gemmen in der Bibliothèque Natio- Florentiner Sammlung stammende Replik gibt (Beil. nale (Richter, Engraved Gems a. a. O. I [1968] Nr. 668 31 b und d; 32 a; Textabb. 2). Eine mit Chiton und Man- und II [1971] Nr. 472 = K. Fittschen in: Die Numider. tel bekleidetet weibliche Gestalt lehnt auf einem großen Ausst. Bonn 1979/80, 210 Abb. 125 = D. Plantzos, Helle- Prunkgefäß, dessen Körper figürlich verziert ist. Rechts nistic Engraved Gems [Oxford 1999] Nr. 130 Taf. 23) davon hat sich am Bruchrand beider Reliefs ein Globus und in der Sammlung Velay (Richter, Engraved Gems erhalten, der für die am häufigsten ausgesprochene a. a. O. II Nr. 473) vorkommt und durchaus an spät- Deutung der Frau als die Muse Urania ausschlaggebend klassische Götterbilder denken lässt. Fittschens Schluss- war. Dem schließt sich die Verfasserin an, obgleich folgerung, wonach das durch Münzen und geschnittene sie einräumen muss: »Eine Urania, die der auf den Steine überlieferte Porträt Jubas (Unbeachtet dabei ein Schmuckreliefs ähnlich wäre, gibt es bislang aus der provinzielles Relief aus Chemtou, das ebenfalls mit spätrepublikanischen und augusteischen Zeit nicht«. guten Gründen auf den Numiderkönig bezogen wird, Der Vergleich mit einem Sarkophag aus Civita Castel- vgl. zuletzt F.Bertrandy, Ant. Africaines 22, 1986, 57 ff.) lana rechtfertige jedoch die Benennung (S. 97 f.). und der rundplastische Kopf mit Binde im Louvre Das Prunkgefäß und seine Dekoration werden aus- auf ein gemeinsames Urbild zurückzuführen seien, er- führlich besprochen und die dritte Wiederholung des 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 345

Klassische Archäologie 345

Kraters auf einem Silberbecher aus dem Schatz von Ber- keinen entsprechenden Niederschlag in der bildlichen thouville mit einbezogen. Übereinstimmend kehren Überlieferung. Auch wenn sich die Raubgruppe einer darauf eine Raubszene und ein »Mann in Rückenan- Deutung hartnäckig widersetzt, so scheint das Pracht- sicht« wieder. Für die Gruppe eines weit ausschreiten- gefäß für die Interpretation des Reliefbildes doch eine den Mannes, der eine nackte weibliche Gestalt davon- Schlüsselrolle zu spielen. Schon wegen der bis auf trägt, wurde meist der Leukippidenraub vorgeschlagen. wenige kleine Details übereinstimmenden dreifachen Wegen der Nacktheit der Frau sei diese Deutung jedoch Wiederkehr des Dekors muss ihm mehr als die Funk- abzulehnen, ebenso der Bezug auf Kassandra: »für eine tion einer bloßen Stütze zugekommen sein – es muss Interpretation [des frevlerischen Frauenraubes] fehlen zum Verständnis des Wesens der darauf gelehnten Figur bislang konkrete Anhaltspunkte« (S. 97). Offen lässt die beigetragen haben. Für Urania erscheint ein mit Sagen- Autorin auch die Benennung des Mannes rechts davon. stoff verziertes Metallgefäß als Attribut kaum erklärbar. Das »spitze, lang herabfallende Gebilde« auf dem Relief Auch stellt sich bei dieser von der Forschung bevorzug- in Cherchel (S. 100 Anm. 36) ist, wie schon Theodor ten Deutung die Frage, welchen Gegenstand die Figur Schreiber richtig sieht, zweifellos als Gewand zu inter- dann in der Linken gehalten haben könnte: Die Bruch- pretieren, und zwar als die lange Chlamys, die bei dem stelle auf dem Hals des Kraters belegt eindeutig dessen auf Kresilas zurückgeführten Dio medes (s. dazu die ehemalige Existenz. In der Rechten wird der Radius er- Rezension zum zweiten Band der Cherchellpublikation gänzt, mit dem die Muse auf den an der Bruchkante er- in Bonner Jahrb. 201, 2001, 582 f.) in breiten Zickzack- haltenen Globus gewiesen haben soll. »Die nach rechts falten von der linken Schulter bis an die Wade des zu- hin offene Komposition« und die Betonung der linken rückgesetzten linken Beines herabfällt. Neben der Pon- Bildhälfte lassen nach Meinung Landwehrs aber »auf deration stimmen auch die Kopf- und Armhaltung mit eine mögliche Erweiterung des Schmuckreliefs … dem großplastischen Vorbild überein, und zu allem schließen« (S. 98). Diese Beobachtung möchte ich auf- Überfluss trägt die Figur auf dem Relief in Florenz auch greifen und vorschlagen, den Globus mit einer rechts noch das Palladion in dem angewinkelten und zurück- folgenden Figur, nämlich der dort anschließenden Ura- genommenen linken Arm (die Ritzlinien als dessen ar- nia zu verbinden. Dies nicht nur wegen der Schwierig- chaistische Gestalt »anzusehen«, ist ziemlich eindeutig keit, die das anzunehmende Attribut in der Linken der und nicht nur »möglich«, wie die Verfasserin Anm. 36 erhaltenen Frauengestalt bereitet, sondern auch, weil schreibt). Das Palladion hatte die Verfasserin allerdings ein langer Radius, quer über die Darstellung auf dem dem Urbild abgesprochen, ebenso wie das Schwert in Gefäß verlaufend, diese gleichsam entwerten würde. der Rechten (so im zweiten Band Kat. 79 und 80; vgl. Ein kurzer Griffel, der etwa in Schulterhöhe endete und Jahrb. DAI 107, 1992, 103 ff. bes. 116 ff.). Auf dem Gefäß die Szenen sichtbar ließe, erscheint plausibler. Dies des Silberbechers von Berthouville ist auf Tafel 10 bei hätte zur Folge, dass in der Linken der somit als die E. Babelon, Le trésor d’argenterie de Berthouville (1916) Muse Klio ausgewiesenen Frau eine Buchrolle zu ergän- aber deutlich zu sehen, dass die nackte männliche Ge- zen wäre. Darüber hinaus wären damit die Bedenken stalt in ihrem linken Arm nicht nur das Palladion mit hinsichtlich der für Urania singulären Ikonographie aus dem Speer in dem gewinkelt angehobenen Arm trägt, dem Wege geräumt, denn anders als für diese können sondern auch ein aufwärts gerichtetes Schwert in der für die Muse der Geschichte Parallelen angeführt wer- Rechten, ganz so, wie dies die Nachklänge des Opus den. Durch die Beischrift gesichert erscheint sie auf nobile in der Vasenmalerei, den Münzen und Gemmen einem Mosaik aus der Villa von Baccano (LIMC VII sowie anderen Medien über liefern (vgl. dazu Rez., Bon- [1994] 1014 Nr. 3 mit Abb. s. v. Musae [J. Lancha]): In ner Jahrb. 201 a. a. O. 583). Über die Benennung der lässiger Haltung und mit überschlagnen Beinen lehnt Figur auf den Prunkgefäßen kann somit kein Zweifel sie an einem Pfeiler, in der aufgestützten Linken das bestehen, ebenso wenig wie über die Deutung des zu- Diptychon haltend, auf das sie mit dem Griffel zeigt. grundeliegenden Urbilds, zu dem diese Attribute ge- Wie die weibliche Gestalt auf den Reliefs ist sie in Drei- hört haben müssen. viertelansicht wiedergegeben, ihr rechter Arm quer vor Wie bei Prachtgefäßen häufig, wurde für die figür- dem Körper geführt, und auch der gegürtete Chiton liche Dekoration des dargestellten Kraters auf ein klas- sowie der Verlauf des Mantels stimmen überein; den sisches Vorbild zurückgegriffen (D. Grassinger, Römi- aphrodisischen Zug, der an den Relieffiguren durch die sche Marmorkratere [Mainz 1991] 53 ff.). Die ikonogra- üppigen Formen und den durchscheinenden Stoff zum phische Herleitung der Raubszene hingegen stellt vor Ausdruck gebracht wird, betont das von der Schulter Probleme: Die Ähnlichkeit mit dem Leukippidenraub herab geglittene Gewand. Anschließen lassen sich die in ist unübersehbar, doch wird man durch Diomedes auf denselben ikonographischen Zusammenhang gehören- einen Darstellungsinhalt geführt, der – dem trojani- den Darstellungen der Klio auf Sarkophagen (M. Weg- schen Sagenkreis entnommen – eher an Kassandra den- ner, Die Musensarkophage. Die antiken Sarkophagre- ken lässt. Zwar wird bei Vergil geschildert, wie Aias die liefs V 3 [Berlin 1966] 20 Nr. 36 Taf. 31b; 75 f. Nr. 196 Seherin vom Kultbild der Athena wegreißt (»Siehe, da Taf. 72 und 74a; vgl. L. Paduano Faedo in: ANRW II schleppte man fort die Jungfrau, Priamus’ Tochter, flat- 12, 2 [Berlin und New York 1981] Tab. 8) und in der Ma- ternden Haars, Kassandra hinweg vom Altare Miner- lerei (vgl. A. De Simone – S. C. Nappo [Hrsg.], … vas« [Verg. Aen. 2, 404–405]), doch fand diese Version Mitis Sarni opes [Neapel 2000] Abb. S. 34). 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 346

346 Besprechungen

Auf den beiden Schmuckreliefs im Louvre weist die oder römischen Originalen erweisen, und solche, die Muse der Geschichte auf die Exzerpte aus dem Mythos eine allgemeine Vorstellung von einer Gottheit vermit- um Troja; zum Zeitpunkt der Entstehung des zugrunde teln, die verschiedenen Aspekte ihres Wesens oder die liegenden Urbilds könnten diese durchaus im Sinne für sie charakteristischen Aktionen veranschaulichen, einer aitiologischen Ausdeutung der Prinzipatsideologie ohne dabei auf ein konkretes Vorbild zurückgeführt verstanden worden sein (vgl. P. Zanker, Augustus und werden zu können. Angesichts des Gestaltungsspek- die Macht der Bilder [München 2003] 210 f.). trums dieser römischen Skulpturen stellt sich die Frage, Die Feststellung der Verfasserin, im dritten Band der ob eine scharf umrissene Kategorisierung und damit Skulpturen von Caesarea Mauretaniae hätten wir es eine Festlegung auf ein entsprechendes terminologi- »bis auf wenige Ausnahmen … mit genuin römischen sches Gerüst im Sinne Georg Lippolds überhaupt mög- Werken zu tun« (S. XVI), bedarf nach dem oben lich und nötig ist. Gesagten zweifellos einer Relativierung. Das darin pu- blizierte Material gliedert sich vielmehr in Werke, die München Michaela Fuchs sich als Wiederholungen nach bestimmten griechischen

ROM UND PROVINZEN

Stefan Schrumpf, Bestattung und Bestattungswesen schungsstandes zu den Riten und zur Organisation des im Römischen Reich. Ablauf, soziale Dimension und Bestattungswesens in Rom und Italien, wie sie der Ver- ökonomische Bedeutung der Totenfürsorge im latei- fasser nun bietet, fehlte und war dringend erwünscht. nischen Westen. Diss. Bonn 2006. Bonn University Schrumpfs Monographie wird für Altertumswissen- Press bei Vandenhoek & Ruprecht Unipress, Göttingen schaftler ein nützliches Arbeitsinstrument werden. 2006. 335 Seiten, 20 Abbildungen. Der Autor gliedert seine quellenreiche Studie in zwei Hauptteile. Zunächst untersucht er den Ablauf Weitverbreitete Auffassungen über römische Begräb- und die Hintergründe der römischen Bestattung von nisse und Grabanlagen beruhen immer noch auf ver- der Collocatio, der feierlichen Aufbahrung, bis zum dienstvollen, aber in Einzelfragen durch Neufunde und Abschluss der eigentlichen Trauerzeit und den perio- differenziertere Interpretation der Quellen inzwischen disch nachfolgenden Memorialfesten (S. 11–150). Es überholten Überblicksdarstellungen und Lexikonarti- folgt der zweite Hauptteil über diestaatlich-gesetz - keln vom Ende des neunzehnten und frühen zwanzig- liche Aufsicht, Organisation und verschiedene Dienst- sten Jahrhunderts, etwa H. Blümner, Die römischen leistungen im Zusammenhang mit dem römischen Privataltertümer³ (München 1911); J. Marquardt, Das Bestattungswesen (S. 151–281). Das Buch endet nach Privatleben der Römer² (Leipzig 1886); L. Friedländer, Schlussbetrachtungen über Bestattung und Bestat- Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms in der tungswesen im römischen Reich (S. 283–286) mit einem Zeit von Augustus bis zum Ausgang der Antonine¹ umfangreichen Verzeichnis von Quellen undLitera - [Leipzig 1922], oder den Artikeln der Realenzyklopädie tur (S. 287–322), Orts-, Personen- und Sachregistern zu Stichworten des Funeral- und Sepulkralwesens. (S. 323–335). Mono graphien zum gesamten römischen Bestattungs- Schrumpf ist mit dem disparat überlieferten und in wesen sind seitdem nur selten vorgelegt worden, vor seiner Interpretation oft umstrittenen literarischen und allem J. M. C. Toynbee, Death and Burial in the Roman epigraphischen Quellenmaterial zum römischen Bestat- World (London und Baltimore 1971). Allerdings finden tungswesen gut vertraut. Zu diesen Quellen gehören die Themenfelder ›Tod‹ und ›Bestattungswesen‹ in jün- auch viele weniger bekannte antiquarische und glehrte gerer Vergangenheit aus Sicht der Men talitäts- und Werke, Lemmata bei Lexikographen und die Scholien- Rechtsgeschichte der antiken Welt, von althistorisch- sowie Kommentarliteratur. Literarische und epigraphi- epigraphischer wie auch archäologischer Seite offenbar sche Quellen werden von Schrumpf insgesamt ausführ- wieder mehr Beachtung. So wurden umfangreiche Ver- licher gewürdigt als archäologische Quellenbefunde, suche unternommen, das vielfältige Material der die der Autor exemplarisch, zum Beispiel vor allem für Grabarchitektur morphologisch-deskriptiv in einer Ty- die Hauptstadt Rom, auch mit Gewinn berücksichtigt. pologie zu erfassen oder eine Entwicklungsgeschichte Allerdings wird sehr deutlich, dass Schrumpfs Ansatz bestimmter Grabformen vorzulegen. Es entstanden primär althistorisch ist. Das sehr reiche, regional und Spezialstudien zur Semantik der Grab architektur und nach den Quellengattungen äußerst differenzierte ar- ihrer soziologisch-historischen Interpretation. Doch chäologische Material wird meines Erachtens zu unsys- eine zusammenfassende Bilanz des derzeitigen For- tematisch berücksichtigt. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 347

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Schrumpf gibt seiner Monographie zwanzig Abbil- Städten und provinzialen Zentren andererseits differen- dungen bei. Hierbei handelt es sich um für sein Thema zieren. Die gravierendsten Konsequenzen ergaben sich zentrale Bildquellen wie etwa die Szenen einer Collo - wohl für die höchsten Schichten der römischen Aris - catio vom Grab der Haterier oder die Abbildung eines tokratie in Rom, deren Repräsentationsaufwand und Leichenzuges auf einem Relief aus Amiternum, Pläne öffentliche Statusdemonstrationen bei Begräbnissen und von Grabbezirken, Kolumbarien oder Photos von mittels Grabanlagen fortan aus Vorsicht deutlich unter- Gräberstraßen. Diese Abbildungen sind – wohl aus halb des Gepränges bleiben mussten, das für Mitglieder Kostengründen – jedoch zu klein und nicht hinreichend des Kaiserhauses üblich wurde. Auffällige Veränderun- deutlich. Dies ist bedauerlich, weil die antiken Bild- gen und Einschränkungen des materiellen Prunks be- quellen einen unmittelbaren visuellen Zugang zu der trafen also vor allem die Hauptstadt Rom, während in Thematik bieten. Sie würden auch eine ausführlichere den meisten Städten Italiens oder der Provinzen die Interpretation verdienen. lokale Elite in erstaunlicher Kontinuität ihren funeralen Regional konzentriert sich die Studie auf Rom und Luxus entfaltete und ihre religiösen und familiären Tra- Italien (mit Ausblicken auf den Westen des Reiches). ditionen fortführte. Diese Konzentration ist sinnvoll, weil im griechischen, Der Verfasser stellt die »pragmatischen Gesichts- asiatischen und ägyptischen Gebiet zu viele konkurrie- punkte« der römischen Totenfürsorge (S. 15 und öfter) rende regionale und lokale funerale Traditionen auf das in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen. Er verzich- Begräbniswesen während der späten Republik und der tet daher leider auf die intensive Fortführung der be- Kaiserzeit Einfluss nahmen, welche eine Untersuchung sonders von Religionshistorikern kontrovers geführten der römischen Elemente im Bestattungswesen behin- Diskussionen über die religiöse Bedeutung und den Ur- dern könnten. sprung bestimmter römischer Rituale und deren Trans- In chronologischer Hinsicht berücksichtigt Schrumpf formationen. Den Übergang von der Brandbestattung alle alten republikanischen Traditionen, die in die Kai- zur Körperbestattung in aufwendigen Sarkophagen, be- serzeit weiterwirkten, aber der Schwerpunkt der Studie sonders bei der römischen Elite zur Zeit Trajans und liegt – zu Recht mit Blick auf das reichere epigraphische Hadrians erklärt die Forschung in der Regel mit religi- Quellenmaterial – auf der frühen und mittleren heid - ösen und mentalitätsgeschichtlichen Veränderungen. nischen Kaiserzeit von der Errichtung des Prinzipates Der Verfasser (S. 74–76) weist dagegen auf eine starke bis zum dritten Jahrhundert n. Chr. In dessen Verlauf Zunahme von östlichen Senatoren seit dem Ende des und dann im vierten Jahrhundert ergeben sich nämlich ersten Jahrhunderts n. Chr. als wichtigen Faktor hin, unter Einfluss des vordringenden Christentums sowie deren lokale und religiöse Traditionen einen wesent- sozialer und ökonomischer Krisen des Reiches im Be- lichen Einfluss auf die bald vorherrschende Mode der reich des Bestattungswesens wesentliche Veränderun- Bestattung ausgeübt habe. Dieser Erklärungsversuch gen, die für die Spätantike eigenständige Untersuchun- hat den Rezensenten nicht überzeugt. gen zur Sepulkralkultur erforderlich machen, wie etwa Im Rahmen der Riten der Aufbahrung und Ehrung F.S. Paxton, Christianizing Death. The Creation of a des Toten noch in seinem Hause (collocatio) hebt Ritual Process in Early Medieval Europe (Ithaca und Schrumpf vor allem die dreifache Anrufung des Ver- London 1990); A. Samellas, Death in the Eastern storbenen (conclamatio) als eine typisch römische Zere- Mediterranean (50–600 A. D.). The Christianization of monie hervor. Das Zentrum der öffentlichen Statusde- the East. An Interpretation. Studien u. Texte Antike u. monstrationen der aristokratischen Gentes bildeten je- Christentum 12 (Tübingen 2002); U. Volp, Tod und doch die aufwendigen typisch römischen Pompae Ritual in den christlichen Gemeinden der Antike. Vigi- fune bres, die Begräbnisprozessionen durch die Haupt- liae Christianae Suppl. 65 (Leiden und Boston 2002); stadt, mit den zugehörigen Laudationes funebres. É. Rebillard, Religion et sépulture. L’Église, les vivants Hauptadressat aller in der Öffentlichkeit stattfindenden et les morts dans l’Antiquité tardive (Paris 2003). Rö- Teile des aristokratischen römischen Bestattungsrituals misch-italische Traditionen im Begräbnis- und Bestat- waren nämlich nicht primär die trauernden Angehöri- tungswesen wandelten sich allerdings auch bereits in gen des Verstorbenen, und diese Trauerzeremonien den ersten beiden Jahrhunderten in der Hauptstadt dienten auch nicht in erster Linie dazu, Angehörigen Rom und wichtigen Hafenstädten Italiens durch Ein- und Freunden Trost zu spenden, sondern sie zielten auf flüsse aus Mysterienreligionen oder auch jüdische öffentliche Statusrepräsentation in der sozialen Kon- Riten, ebenso bei Angehörigen der Armee an verschie- kurrenz der Gentes. Dabei verband sich auf typisch denen Standorten. römische Weise die genealogische Memorialpraxis mit Eine Forschungskontroverse besteht darüber, wie der Schaffung und Perpetuierung eines gemeinsamen einschneidend die Veränderungen im römischen und Geschichtsbildes. (Ergänzend zu einer von Schrumpf italischen Bestattungswesen durch den Übergang von bereits ausgewerteten Studie Uwe Walters vgl. auch der späten Republik zur Prinzipatsordnung gewesen ders., Memoria und res publica. Zur Geschichtskultur sind. In dieser Frage muss man sicherlich erstens vor im republikanischen Rom. Stud. Alte Gesch. 1 [Frank- allem zwischen unterschiedlichen sozialen Schichten furt 2004] 84 ff.). Erinnerungsfeste und Stiftungen mit und zweitens zwischen den Verhältnissen in der Haupt- dem Hauptzweck des Totengedenkens sind literarisch stadt Rom einerseits sowie der Lage in den italischen und epigraphisch gut dokumentiert und lassen eine ver- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 348

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breitete Sorge um die Sicherung der Memoria erkennen morialfeiern sowie Strukturen des Bestattungswesens (S. 100–119). Die sozialen Funktionen und vielfältigen verbinden. Eine ähnlich enge Verbindung von religiö- Nebeneffekte und -zwecke solcher Erinnerungsfeste sen Motivationen und Traditionen einerseits und sehr und Stiftungen, die den Zusammenhalt der Mitglieder weltlichen Nebenzwecken andererseits könnte man von Familien, Gentes oder Kollegien beförderten, wer- nun jedoch auch leicht in Epochen des nachantiken den zu Recht von Schrumpf betont. So geben die Ein- christlichen Begräbniswesens aufzeigen. Inwieweit sie zelposten der in Stiftungsdokumenten von den Stif- daher spezifisch römisch und für die späte Republik tungsgründern festgelegten Geldsummen, etwa in der und das heidnische Kaiserreich epochentypisch ist, Stiftung des Cominius Abascantus, Hinweise auf Ziele bleibt eine offene, durch Schrumpfs Thesen aufgewor- und Zwecke, die über die Sicherung der Memoria selbst fene Frage. eindeutig hinausführten. Der zweite Teil der Studie untersucht Aufsicht, Or- Einer der Vorzüge der Studie Schrumpfs besteht ganisation und Dienstleistungen im Zusammenhang darin, dass er seine Untersuchung über die Elite der Ge- mit der Bestattung (S. 151–281). Wie nicht anders zu er- sellschaft und die Mittelschichten hinaus ausweitet und warten, gab es im kaiserzeitlichen Rom und in den sich auch mit den in den Quellen viel schwieriger zu er- Städten Italiens differenzierte rechtliche Regelungen fassenden Bestattungen unterer Schichten beschäftigt, und Rahmenbedingungen des Begräbniswesens und den Armenbegräbnissen beziehungsweise der Entsor- Grabrechtes (S. 152–169 und passim Teil 2). Vor allem gung der Leichen von Mitgliedern sozialer Randgrup- inschriftliche Quellen haben hierüber wichtige neue Er- pen, also Bettlern, Mittellosen, Fremden, Verurteilten kenntnisse ermöglicht. Hingewiesen sei auf die Details und anderen sozial Stigmatisierten (S. 119–138). Das zur Organisation des Begräbniswesens in den Gesetzen bloße Beiseiteschaffen solcher Körper bestimmte das aus Puteoli und Cumae (Lex Libitinaria cumana und Handeln der Personen und Institutionen, die in Rom Lex Libitinaria Puteolana). Natürlich ist Schrumpf zu- und den italischen Städten für die städtische Hygiene, zustimmen, dass die Rechtswirklichkeit dabei nicht die Müllentsorgung und die Aufrechterhaltung der immer mit der für uns oft besser aus Gesetzestexten er- öffentlichen Ordnung zuständig waren. Alleine für die kennbaren Rechtstheorie übereingestimmt hat. Reich- Hauptstadt Rom rechnet Schrumpf mit mindestens lich Arbeit für römische gelehrte Juristen bot bereits die tausend Leichnamen pro Jahr, die in Massengräbern Auffassung der Grabstätten als Loci religiosi. Oft hören oder später auch in regelrechten Massenkrematorien wir ferner über Regelungen zur Verhinderung und Be- (S. 135–138) beseitigt wurden. strafung von Schändungen und missbräuchlicher Ver- Ein generelles Phänomen des »Bestattungseuerge- wendung von Grabbauten auch zu ungewöhnlichen, tismus« – also der systematischen Konzentration der sehr profanen Zwecken. Großzügigkeit eines Wohltäters auf das Begräbniswesen Schrumpf berichtet über die Kontroverse, ob man – scheint es nach Schrumpfs Darlegungen nicht gege- bestimmte literarisch oder epigraphisch bezeugte Kolle- ben zu haben. Dies war aber auch kaum zu erwarten, gien ausdrücklich als »Bestattungsvereine« bezeichnen denn antike Euergeten kannten viele attraktivere Mög- solle, obwohl der Terminus »collegium funeraticum« in lichkeiten, ihre Großzügigkeit öffentlichkeitswirksam antiken Quellen nicht explizit bezeugt, sondern erst in Szene zu setzen. Dennoch gibt es interessante Belege eine suggestive Wortprägung Theodor Mommsens ist, über Gräber als Geschenke (S. 138–148), zum Beispiel der zwischen Kult-, Berufs-, Geselligkeits- und Bestat- die Stiftung des Horatius Balbus im italischen Sarsina. tungsvereinen unterscheidet (S. 191–198). In jedem Falle Geschenke und Stiftungen einzelner Grabstellen waren gibt es zahlreiche Hinweise auf Totenfürsorge und die offenbar häufiger als Stiftungen einer größeren Anzahl, Ausrichtung von Begräbnissen als einen der maßgeb- denn bei Einzelschenkungen waren im Regelfall per- lichen praktischen Zwecke antiker römischer Kollegien. sönliche Beziehungs- oder Abhängigkeitsverhältnisse Diese zahlten – auch außerhalb der militärischen Ster- innerhalb echter Familien oder der Mitglieder eines bekassen – Funeratica in Geldsummen aus oder stellten Kollegiums als Motive im Spiel. für die Mitglieder Grabplätze zur Verfügung. Im sozia- Der Verfasser hält über den Ablauf der wichtigsten len Alltag funktionierten viele Kollegien bei Begräbnis- Zeremonien der römischen Bestattung zusammenfas- sen und der Sicherung der Memoria ihrer Mitglieder als send fest (S. 148–150), dass ein »pragmatischer Umgang« »Ersatzfamilien« (S. 169). der antiken Menschen in Rom und Italien mit der Pragmatische Einstellungen zum Grabwesen in Rom Thematik von Tod und Bestattung herrschte. Über und Italien werden deutlich, wenn man Schrumpfs Dar- den heuristischen Wert dieser Begriffsprägung wird legungen über das Grab als Immobilie und Handels- noch weiter zu diskutieren sein, denn in der römischen ware liest (S. 198–224). Grabgrundstücke und darauf Welt blieben fundamentale religiöse Motivationen wie schon befindliche oder noch zu errichtende Monu- die Pietas gegenüber den Ahnen (auch manchmal mente galten nach Ausweis überlieferter Verträge und die Furcht vor der Macht der Totengeister) die primäre der in der Kaiserzeit üblichen Verfahren ihres An- und Grundlage der meisten Zeremonien der Bestattung. Verkaufes mit Schrumpfs Worten als »völlig normales Mit solchen religiösen Motivationen ließen sich jedoch Handelsgut« (S. 202). Der Verfasser schließt auch aus in Rom und Italien durchaus diesseitige und welt liche der Organisation der Bestattungsbranche in Rom, dass Interessen und Zwecke wichtiger Zeremonien und Me- es sich bei diesem Geschäft trotz bestimmter Tabus um 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 349

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ein den »Gesetzen des Marktes gehorchendes Geschäft« Germanischen Zentralmuseums, Teil I und II, Verlag gehandelt habe (S. 285). des Römisch-Germanischen Zentralmuseums. In Kom- Fortschritte gegenüber älteren Darstellungen bieten mission bei Rudolf Habelt Bonn, Mainz 2004. 217 Sei- Schrumpfs detaillierte Untersuchungen zu der Organi- ten, 138 Tafeln schwarzweiß, 4 Farbtafeln. sation, den Arbeitsabläufen und dem Personal der römischen Bestattungsunternehmen (S. 224–281). Den Das Römisch-Germanische Zentralmuseum hat heute erstaunlich guten Verdienstmöglichkeiten für die Päch- wohl die größte Sammlung vollständig oder fast voll- ter eines lokalen Begräbnismonopols (libitinarii) und ständig erhaltener römischer Militärdiplome in der die Geschäftsführer von Bestattungsunternehmen (dis- ganzen Welt. Zahlenmäßig gibt es größere, doch unter signatores) stand eine verbreitete scharfe Kritik an ihrer dem Gesichtspunkt des Erhaltungszustands und der Geldgier gegenüber. Große Unterschiede bestanden, Qualität der Tafeln gibt es nichts Vergleichbares. Man- wie Schrumpf zu Recht hervorhebt, zwischen dem so - che dieser Stücke sind schon seit längerer Zeit durch zialen Ansehen, den Verdienstmöglichkeiten und den Einzelpublikationen bekannt. Speziell Margaret Roxan Lebensverhältnissen der Libitinarii und Dissignatores hat nicht wenige Stücke veröffentlicht, die ihr in Lon- an der Spitze der Bestattungsunternehmen (S. 256) don zur Analyse übergeben worden waren, bevor sie in einerseits und dem meist dem Sklavenstande angehöri- das Mainzer Museum gelangten. Nun aber hat Barbara gen einfachen Personal (operae) andererseits, das täglich Pferdehirt, die jetzige Direktorin der Abteilung Römer- bei den Begräbnissen in einen engen Kontakt mit der zeit des Museums in Mainz, die Sammlung als Ganzes Verbrennung oder Bestattung der Leichname kam. vorgelegt. Zur besseren Handhabung sind Text und Dieses Personal war sozial stark stigmatisiert und unter- Tafelteil in zwei Bänden getrennt publiziert. Es hat sich lag verschiedenen religiösen Tabus wegen der Gefahr bereits eingebürgert, das Werk als »RGZM« zu zitieren, einer Pollutio. Allerdings unterschätzt meines Erach- also fast analog zu CIL XVI und RMD = M. Roxan / tens Schrumpf die sozialen Folgen auch für die Libiti- P. Holder, Roman Military Diplomas I–V (London narii und Dissignatores während und nach ihrer aktiven 1987–2006). Geschäftstätigkeit. Dabei weist der Verfasser selbst auf Es ist eine phantastische Sammlung von Urkunden die Tabula Heracleenis (S. 259) hin, in der Praecones, auf Bronze, die das Römisch-Germanische Zentralmu- Dissignatores und Libitinarii verboten wird, Mitglied seum in Mainz zusammengebracht hat. Von den ein- des Dekurionenstandes zu werden, ein städtisches Amt undsiebzig Nummern der Diplome sind fünfundzwan- zu bekleiden oder auch nur in einer politischen Ver- zig vollständig oder fast vollständig mit beiden Tafeln sammlung das Wort zu ergreifen. Während ihrer Tätig- erhalten, achtzehn mit der Tafel I und eines mit einer keit waren sie also an jeglicher politischen Karriere ge- vollständigen Tafel II. Die Ziffern gehen bis 72, doch hindert und konnten sich in den besseren Kreisen kaum Nummer 17/18 repräsentiert nur ein Diplom, dessen von gleich zu gleich bewegen. An ihrer Tätigkeit haftete einzelne Fragmente erst spät als zusammengehörig er- eben doch ein größerer Makel als an den Geschäften kannt werden konnten, nachdem ein weiteres zugehö - anderer Publicani. Dem scharfen Spott und der Gering- riges Bruchstück anderweitig publiziert worden war; schätzung auch reich gewordener ehemaliger Libitinarii siehe W. Eck / D. MacDonald / A. Pangerl, Chiron 32, und Dissignatores bei römischen Dichtern und anderen 2002, 401 ff., bes. 403 Nr. 2. Auch die meisten anderen Autoren (etwa Martial, Juvenal, Petronius) möchte ich Fragmente (insgesamt zwanzig) sind so groß, dass die als Quelle für die soziale Stellung der Bestattungsunter- Rekonstruktion des Textes wenig Mühe bereitet. Ledig- nehmer in den vornehmen Kreisen Roms und den itali- lich acht sehr kleine Bruchstücke lassen wegen ihres schen Städte mehr Gewicht zugestehen als Schrumpf. Zustandes keine nähere Ergänzung zu. Zu diesen Di- Zahlreiche Details weisen aber in der Tat auf eine plomen kommen in den beiden Bänden sodann noch erstaunlich große Flexibilität und pragmatische Ein - drei weitere Texte, die sich freilich in ihrer Funktion stellungen der Römer zum Begräbniswesen hin. Einige ganz wesentlich von den anderen Dokumenten unter- Zeremonien und Einrichtungen dienten zwar zunächst scheiden. Denn während diese Diplome offizielle der Ehrung des Toten und Sicherung seiner Memoria, Rechtsurkunden darstellen, die in Rom im Auftrag der erfüllten aber zugleich und zukünftig ebenso sehr diver- kaiserlichen Administration von einem Unternehmer se profane Zwecke im Interesse der Lebenden. Die ge- hergestellt, offiziell gesiegelt und schließlich über die meinschaftliche Sorge um Verstorbene und Begräbnisse Militäradministration der jeweiligen Einheiten an die sowie das Totengedenken stärkten nämlich nachdrück- Empfänger ausgegeben wurden, sind diese drei Bronze- lich den sozialen Zusammenhalt der involvierten Fami- dokumente privat hergestellte ›Urkunden‹, die jedoch lien, Gentes, oder Kollegien. keine rechtliche Relevanz haben. Vielmehr haben Vete- ranen sie als Vorzeigestücke in Metall herstellen lassen, Köln Johannes Engels während das eigentliche Rechtsdokument, nämlich die Bestätigung über eine ehrenvolle Entlassung (honesta missio), bei den Nummern 73 und 74 wohl auf Wachs- tafeln ausgestellt war. Das dritte dieser Dokumente, Barbara Pferdehirt, Römische Militärdiplome und Nummer 75, ist nicht einmal formal als Entlassungsur- Entlassungsurkunden in der Sammlung des Römisch- kunde anzusehen, obwohl dieser Begriff in der Publika- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 350

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tion verwendet wird. Denn tatsächlich handelt es sich halters von Cappadocia Statorius Se cundus von Stumpf um eine Zusammenstellung verschiedener Vorgänge, und kritisiert meine zeitliche Festlegung in die Jahre die zumindest zum Teil auch in schriftlicher Form vor- zwischen etwa 124/25 und 126/27 [nicht in »Der Kleine lagen, nämlich ein Schreiben des Kaisers Philippus Pauly«, sondern richtig in »Der Neue Pauly«], ohne zu Arabs und seines Sohnes über die missio causaria eines bemerken, dass gerade das nun aus diesem Diplom be- Mitglieds der cohortes vigilum in Rom, eine Aufstellung kannte Konsulatsdatum des Senators im Jahr 121 den über die verschiedenen Einsatzorte dieses Vigilissolda- frühen Ansatz zwischen etwa 124/25 und 126/27 zusätz- ten im Verlauf seines Dienstes und schließlich seine lich absichert). Aufnahme in die Liste derer, die in Rom kostenloses Die Masse der Soldaten, die das Bürgerrecht mit die- Getreide erhielten (frumentum publicum). Da eben eine sen Dokumenten erhielten, stammt aus dem östlichen ausführlichere Kommentierung dieses Dokuments er- Donauraum: Vertreten sind Eravisci, Azali, Bessi und schienen ist (siehe F. v. Saldern, Zeitschr. Papyr. u. Epigr. vor allem die Thraces. (Deren Name wird freilich in den 156, 2006, 293–307), soll darauf hier nicht näher einge- Kommentaren zu einzelnen Diplomen und im Index in gangen werden, ebenso wenig auf die beiden anderen sprachlich unmöglichen Formen geboten. Denn die ›Urkunden‹ über honesta missio, weil auch sie anderswo Grundform des Namen lautet Thrax, nicht Thracus; ausführlich besprochen sind (s. W. Eck – M. Roxan, die ser Name wird aber offensichtlich vorausgesetzt, Arch. Korrbl. 28, 1998, 95–112). Diese drei Dokumente wenn auf S. 217 der Nominativ Thraci erscheint oder sind jedenfalls, entgegen dem Titel des Buches, nicht als S. 114 zu Nr. 38 der Dativ Thrac(o) lautet; richtig ist Urkunden im Rechtssinn anzusehen wie die Masse der freilich der Nominativ Plural Thraces und der Dativ diplomata militaria. Singular Thraci; S. 23 wird die feminine Form der Her- Insgesamt einundsiebzig Diplome, also Abschriften kunftsbezeichnung als Thrac(a) angegeben, analog zum von kaiserlichen Konstitutionen, die in Rom auf tabu- falschen Thracus; richtig aber lautet diese ethnische Be- lae aeneae publiziert waren, sind in dem Band zu- zeichnung Thraissa, Zeitschr. Papyr. u. Epigr. 155, 2006, sammengefasst. Wie nicht anders zu erwarten, ist die 241 ff. und ein noch unpubliziertes Diplom.). Die Stadt überwiegende Mehrzahl der Diplome, vierzig an der ad Istrum erscheint gleich zehnmal als Her- Zahl, für Auxiliartruppen ausgestellt worden. Für die kunftsort einzelner Soldaten. Dieser Befund hängt nicht Prätorianer finden sich fünfzehn, für die classes in Ita- zum wenigsten mit der Fundsituation zusammen, denn lien sechs, für die equites singulares drei und für die co- der Fall des Eisernen Vorhangs hat in den Balkan län - hortes urbanae nur zwei, wobei eines dieser Diplome dern zu einer ungehemmten privaten Verwendung von (Nr. 33) auf eine Konstitution zurückgeht, in die auch Metalldetektoren geführt, wodurch zahllose Metall ob- Prätorianer eingeschlossen waren. Lediglich sechs Stü- jekte und eben auch Diplome aus diesem Raum bekannt cke entziehen sich einer näheren Bestimmung. wurden. (Dazu ausführlich P. Weiß in: Documen ting Die Auxiliardiplome stammen vor allem von Trup- the Roman Army. Essays in Honour of Mar garet Roxan pen, die im Donauraum stationiert waren, also aus [London 2003] 189 ff.). Man kann, gerade nach den Moesia inferior (sechs Exemplare), Moesia superior zahllosen Dokumenten, die in den letzten beiden Jahr- (vier), Pannonia superior (sechs) und Pannonia inferior zehnten gefunden wurden, sicher sein, dass vor allem (vier); Germania, d. h. der Gesamtbereich des römi- die Gebiete mit thrakischer Bevölkerung ein zentrales schen Germanien bis etwa 85, ist zweimal, Germania Reservoir für die Rekrutierung der römischen Armeen inferior drei-, wenn nicht viermal vertreten, die anderen waren; viele dieser Soldaten kehrten offensichtlich nach Provinzen dagegen meist nur mit einem oder zwei Di- ihrer Entlassung wieder in ihre Heimat zurück. Doch plomen. Dabei ist auffallend, dass Thracia nur einmal darf dies nicht zu dem Schluss führen, die römischen vorkommt, obwohl für diese Provinz im letzten Jahr- Truppen hätten ganz überwiegend aus diesen Regionen zehnt viele Diplome aufgetaucht sind (s. M. M. Roxan / ihren Personennachschub erhalten. Aus anderen Provin- P. Weiß, Chiron 28, 1998, 371 ff.; W. Eck / D. MacDo- zen des Imperium Romanum fehlen nur bisher aus ver- nald / A. Pangerl, Rev. Études Militaires Anciennes 1, schiedenen Gründen größere Kontingente von Diplo- 2004, 63 ff.; P. Weiß, Zeitschr. Papyr. u. Epigr. 163, 2007, men. Doch zeigen neuere Funde, dass beispielsweise im 263 ff.); noch mehr überrascht, dass auch für Syria nur Jahr 135 in der Provinz -Pamphylia massenhaft re- ein einziges Diplom vorliegt, obwohl die Zahl der Do- krutiert wurde, als man für die Hilfstruppen in Iudaea, kumente für diese Region gerade in den vergangenen die im Krieg gegen BarKoch ba schwere Verluste erlit- Jahren besonders sprunghaft angestiegen ist (siehe zu- ten hatten, neue Rekruten brauch te (vgl. W. Eck, Rom letzt P. Weiß, Chiron 36, 2006, 248 ff.; W. Eck / A. Pan- herausfordern. Bar Kochba im Kampf gegen das Impe- gerl, ebd. 205 ff.). Verstärkt wird auch die Erkenntnis, rium Romanum. Das Bild des Bar Kochba-Aufstandes dass, entgegen früheren Vorstellungen, für Soldaten im Spiegel der neuen epigraphischen Überlieferung aller Provinzen Diplome ausgestellt wurden; denn zum [Rom 2007] 31 ff.). ersten Mal findet sich hier ein Exem plar für Galatia et Von besonderem Interesse sind die Diplome 32 bis Cappadocia (Nr. 7) und für Cilicia (Nr. 19. – Ein weite- 34; denn sie weisen noch Spuren der Tinte auf, mit der res Diplom für Cappadocia bei W. Eck / A. Pangerl, die Texte vorgeschrieben wurden, bevor man den Text Zeitschr. Papyr. u. Epigr. 150, 2004, 233 ff. Im Kom- eingravierte. Auf der Innenseite von Nummer 32 sind mentar übernimmt Pferdehirt die Datierung des Statt- die Tintenspuren noch deutlich zu sehen und zu lesen, 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 351

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doch der Text war nie eingraviert worden. Jüngst haben Severian(a) [Misen(ensis) (sic!), quae est sub ---]lentio sich auch noch an einem weiteren Diplom solche Claudiano. Im Kommentar wird dazu bemerkt, die zum Reste der Vorbeschriftung nachweisen lassen: W. Eck / Nomen gentile gehörenden Buch stabenreste -LENTIO A. Pangerl, Zeitschr. Papyr. u. Epigr. 157, 2006, 181 ff. ließen eine ganze Reihe von Ergänzungen zu; dabei Das zeigt mit aller Klarheit, was man auch schon bisher wird auf H. Solin / O. Salomies, Repertorium nomi- vermuten musste, dass nämlich die Texte regelmäßig num gentilium et cognominum Latinorum² (Hildes- vor der Gravierung mit Farbe vorgeschrieben wurden; heim 1994) 272 verwiesen, wo Namen wie Lentius, Ca- anders wäre die zumeist sehr sorgfältige Verteilung der lentius, Valentius, Clentius, Tallentius, Pollentius und oft mit sehr kleinen Buchstaben geschriebenen Urkun- Taemulentius angeführt sind. Doch für Namensrekon- den auf die nicht sehr großen Bronzetafeln nicht er - struktionen von Senatoren und Rittern ist der einfache klärlich. Wichtig ist diese Beobachtung aber vor allem Verweis auf die dort verzeichneten Namen öfter nicht deswegen, weil sich auf diese Weise wohl manche hilfreich, da im Werk von Solin und Salomies wie er - Eigenheiten, die sich bei der Lesung ergeben, leichter forderlich alle Namen angeführt werden, ohne jedoch erklären lassen. Nicht selten geht man davon aus, in vie- Hinweise zu geben, zu welcher soziopolitischen Gruppe len Diplomen seien Schreibfehler zu konstatieren. Dass ein Name üblicherweise gehören kann. Da ist ein Blick solche vorgekommen sind, kann man kaum bestreiten. in das Namensmaterial der Prosopographia Imperii Ro- Doch in manchen, vielleicht sogar in vielen Fällen, bei mani oder der Prosopographia Militiarum Equestrium denen man dies angenommen hat, liegen vermutlich von Hubert Devijver oft hilfreicher. Denn im Kreis der gar keine echten Schreibfehler vor, vielmehr haben Mitglieder des ordo senatorius oder equester sind nicht manche Graveure immer wieder vergessen, einzelne alle Namen möglich. Tatsächlich lässt sich auch bisher vorgeschriebene Teile von Buchstaben einzugravieren keiner der Namen, die bei Solin und Salomies mit der oder sie haben eine Serife stärker ausgezogen, als dies Buchstabenfolge -LENTIUS erscheinen, im Namens- vorgegeben war, wodurch dann heute angeblich zum material der Reichsführungsschicht nachweisen. Somit Beispiel statt eines L ein I oder umgekehrt ein I statt ist es von vorneherein nicht sehr wahrscheinlich, dass eines L zu stehen scheint. So wird in der diplomatischen der praefectus classis Misenensis des Jahres 225 einen ge- Abschrift von Nummer 23 (dies ist im Übrigen keine tragen hat, der auf -lentius endete. Tabella I, sondern eine TabellaII) das Gentilnomen des Doch sind solche Überlegungen auch unnötig. Denn Präfekten als STATLIIVS wiedergegeben. Doch ist so- eine aufmerksame Kontrolle des Photos auf Tafel 109 wohl bei dem angeblichen L als auch dem folgenden I in Band II zeigt, dass das vermeintliche L vor dem lin- jeweils unten ein kleiner Fortsatz nach rechts zu sehen. ken Bruchrand in Wirklichkeit ein S ist, vor dem auch Der minimale Unterschied berechtigt wohl nicht, hier noch ein Rest eines B zu sehen ist, das zu der Präposi- einen Fehler der Art anzunehmen, wie es mit STAT- tion [su]b gehört. Das so identifizierte S ergibt mit dem LIIVS suggeriert wird, vielmehr kann man hier ohne nachfolgenden Namensteil das gut bekannte Nomen Bedenken STATILIVS schreiben. Auch in Nummer 26 gentile Sentius, das allein in der PIR mehr als zwanzig- sind die vermeintlichen Fehler wohl auf diese Weise zu mal in den höheren sozialen Schichten verzeichnet ist. erklären. Im Übrigen hätte es sich empfohlen, den mo- Bei Devijver ist es auch zweimal für ritterliche Offiziere dernen Regeln der Klammersetzung zu folgen. Die angeführt. Damit ist an der fraglichen Stelle in Wirk- Klammern <> zeigen heute Buchstaben an, die in einer lichkeit ein Sentius Claudianus als praefectus classis Mi- Inschrift vergessen wurden. Wenn man aber wirklich in senensis im Jahr 225 genannt. Er war direkter oder zwei- dem Wort von einer Falschschreibung ausgehen wollte, ter Nachfolger eines Appius Celer, der am 29. Novem- dann sollte das mit Stat il ius wiedergegeben werden. ber 221 als Präfekt der misenischen Flotte bezeugt ist Ähnlich sollte etwa in Nummer 4 mit dem Namen (RMD IV 307) und seinerseits wohl Nachfolger eines Dexter verfahren werden. Eine gewisse Einheitlichkeit Aelius Secundinus war, der in einem Diplom aus dem in den üblichen diakritischen Zeichen wäre dringend Jahr 218 genannt ist (R. S. O. Tomlin, Zeitschr. Papyr. erforderlich. u. Epigr. 154, 2005, 271 ff.). Sentius Claudianus scheint Die Diplome enthalten nicht wenige neue Informa- bisher nicht bekannt zu sein, es sei denn, man dürfte tionen zur Prosopographie der Kaiserzeit. Neue Kon- ihn mit einem Claudianus identifizieren, der unter Ma- sulndaten sind genannt, ebenso neue Statthalter, durch ximinus Thrax im Jahr 235 als praeses provinciae Ponti die manche Lücken in den Fasti geschlossen werden amtierte (Année Épigr. 1986, 652). Doch da das Cogno- können. Nicht immer sind freilich die notwendigen men Claudianus nicht sehr selten ist, kann dies nur eine Schlussfolgerungen im Kommentar zu den einzelnen Möglichkeit sein. Texten gezogen worden. Die folgenden Beobachtungen Nummer 29 bezeugt eine neue Konstitution für die sollen auf einige dieser Probleme hinweisen. Truppen von Syria Palaestina aus dem Jahr 142, wohl Unter der Nummer 56 wurde eine Konstitution für vom 15. Januar. Das Cognomen des Statthalters ist die classis Misenensis publiziert, die am 17. Novem ber nur zum Teil erhalten; es wurde, sicher zutreffend, als 225 unter den Konsuln Manilius Fuscus und Domitius [Se]neca rekonstruiert. Sein Gentilnomen sei unbe- Dexter in Rom veröffentlicht wurde. Der Name des kannt – so der Kommentar. Präfekten, der auf der Innenseite von Tafel I zu lesen ist, Doch das Nomen dieses konsularen Legaten aus wird in folgender Form präsentiert: [in classe] praetoria dem Jahr 142 lässt sich bestimmen, denn wir kennen aus 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 352

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den Jahren um 133/35 einen Statthalter von Lycia-Pam- spräche also dafür, dieses Suffektpaar nicht ins Jahr 203, phylia mit dem Namen [Domitiu]s Seneca, in dem sondern ins Jahr 202 zu setzen. Dafür könnte auch man einen Sohn eines Domitius Seneca sehen darf, der sprechen, dass in RMD III 187, einem Diplom vom seinerseits Sohn des Domitius Apollinaris war, der etwa 31.8.203, eben Fulvius Plautianus und Septimius Geta 93/95 ebenfalls Lycia-Pamphylia als prätorischer Legat noch zur Datierung genannt sind, nicht aber die damals verwaltet hatte (A. Balland, Fouilles de VII. amtierenden suffecti; man hat sie in diesem Jahr offen- Inscriptions d’époque impériale du Létoon [Paris sichtlich nicht (mehr) zur Datierung verwendet. Auch 1981] Nr. 41–45; W. Eck, Chiron 12, 1982, 321 ff.; ebd. 13, von hier aus erscheint es deshalb eher möglich, die bei- 1983, 174 ff.; Chr. Kokkinia, Die Opramoasinschrift von den neuen Suffektkonsuln ins Jahr 202 zu setzen. [Bonn 2000] 34; 210). Dieser Domitius Zu den Personen der beiden Konsuln wird im Kom- Seneca iunior sollte, wie es damals üblich war, kurz mentar nichts weiter gesagt. Q. Caecilius Speratianus nach seiner prätorischen Statthalterschaft in Lycia- ist bisher unbekannt. Doch ist es nicht sehr wahr- Pamphylia zu einem Suffektkonsulat gekommen sein, scheinlich, dass er aus einer nichtsenatorischen Familie wohl gegen Ende der hadrianischen Regierungszeit stammt. Eher gehörte er zu der senatorischen Familie, oder in den ersten Jahren des Antoninus Pius. Dass er zu der aller Wahrscheinlichkeit nach ein Q. Caecilius sodann wenige Jahre später als konsularer Statthalter Dentilianus, cos. suff. 167/8, zu zählen ist, ebenso ein von Syria Palaestina erscheint, entspricht den damals Q. Caecilius Secundus Servilianus, der nach einer prä- eingespielten Normen der senatorischen Laufbahn torischen Statthalterschaft in Thracia unter Commodus (W. Eck in: ANRW II 1 [1974] 197 ff. = Criteri di avan- um 193 zum Konsulat gekommen war und nach einer zamento nella carriera senatoria. In: Tra epigrafia, pro- cura aedium sacrarum et operum locorumque publicorum sopografia e archeologia. Scritti scelti, rielaborati ed 208/209 als Prokonsul von Asia amtierte (dazu P. M. M. aggiornati [Rom 1996] 181 ff.; G. Alföldy, Konsulat Leunissen, Konsuln und Konsulare in der Zeit von und Senatorenstand unter den Antoninen [Bonn 1977] Commodus bis Severus Alexander (180–235 n. Chr.) 53 ff.). Man darf damit die entsprechende Passage auf [Amsterdam 1989] 148; 223; 314.). der Außenseite des Diploms 29 für Syria Palaestina aus Für das Jahr 241 ist ein Clodius Pompeianus als con- dem Jahr 142 folgendermaßen wiederherstellen: sul ordinarius bezeugt (PIR² P 570); der Abstand von ET SVNT IN [SYR PAL SVB DOMITIO fast vierzig Jahren macht es recht wahrscheinlich, dass SE]NECA. er der Sohn dieses neuen Suffektkonsuls von 202, Clo- Die Zahl der Buchstaben beträgt in dieser Zeile drei- dius Pompeianus, gewesen ist. Wichtiger aber scheint, ßig. Das entspricht fast genau dem, was sich auch in dass für den suffectus von 202 nunmehr das Praenomen den vorausgehenden Zeilen zeigt. Damit ist diese Er- Lucius bekannt ist. Bisher war man nämlich stets davon gänzung zusätzlich abgesichert (vgl. W. Eck, Zeitschr. ausgegangen, das Gentilnomen bei Clodius Pompeia- Papyr. u. Epigr. 155, 2006, 253 ff.). nus, consul ordinarius 241, sei mit dem Gentile Claudius Unter der Nummer 46 wird im Diplomtext ein bis- austauschbar und deshalb habe ein direkter Zusam - her unbekanntes Suffektkonsulnpaar genannt: a. d. pr. menhang mit der Familie des Claudius Pompeianus, kal. Maias Q. Caecilio Speratiano, L. Clodio Pompeiano consul ordinarius iterum im Jahr 173, einem Schwieger- cos. Die Jahresdatierung ist nicht ganz gesichert, da die sohn Mark Aurels, bestanden (s. die Hinweise in PIR² tribunicia potestas des Septimius Severus auf die Zeit P 570). Doch Claudius Pompeianus trägt, wie das bei vom 10.12.202 bis 9.12.203 führt, während umgekehrt einem Claudius auch am ehesten zu erwarten ist, das diejenige Caracallas auf das vorausgehende Jahr ver- Praenomen Tib(erius). Dagegen führten die Clodii Pom- weist. Da die beiden Konsuln am 30. April amtierten, peiani, wie man nun sieht, das Praenomen Lucius. Da- müssen sie ihr Amt bereits spätestens am 1. April ange- mit aber sollte man eher davon ausgehen, dass es sich in treten haben; damit amtierten die vorausgehenden con- Wirklichkeit um eine andere Familie handelt, die ohne sules ordinarii maximal drei Monate. Im Jahr 202 führ- Verbindung zu den Tiberii Claudii Pompeiani exis- ten Septimius Severus zum dritten Mal und Caracalla tierte. zum ersten Mal die fasces. Üblicherweise traten die Nummer 22 aus dem Jahr 123 bringt das Konsulats- Herrscher relativ schnell von ihrem Konsulat zurück, datum: a. d. XVIII k. Mai. Q. Articuleio Paetino, L. Ve- oft schon im Januar. Doch Caracalla war zum ersten nuleio Aproniano cos., was dem 14. April 123 entspricht. Mal Konsul und dann ist es eher wahrscheinlich, dass er Bisher konnte man nur davon ausgehen, dass die ordi- für einige Monate im Amt verblieb. Im folgenden Jahr narii noch im März die fasces führten. Entsprechend 203 dagegen, als Fulvius Plautianus und Septimius Geta war nicht klar, wie lange die nachfolgenden suffecti ihr beide als consules iterum amtierten, scheint es weniger Amt ausgeführt hatten. Da jetzt die ordentlichen Kon- wahrscheinlich, dass ihre Amtszeit länger dauerte. Eher suln im April noch amtierten, kann das erste Suffekt- traten sie schon bald von dieser Funktion zurück. Dann paar nicht vor dem 1. Mai die fasces übernommen haben. müssten freilich die nachfolgenden Suffektkonsuln viel- Die viermonatige Amtszeit für die ordinarii macht eine leicht schon im Januar oder im Februar die fasces über- gleich lange Konsulatszeit auch für die Nachfolger nommen haben, die dann kaum mehr noch Ende April wahrscheinlich. Dies müssten dann T.Salvius Rufinus amtiert hätten, wie die im Diplom Nr. 46 genannten Minicius Opimianus und Cn. Sentius Abur(n)ianus Caecilius Speratianus und Clodius Pompeianus. Das gewesen sein; denn sie sind durch RMD I 21 am 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 353

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10. August 123 bezeugt. Ferner darf man auch nach allen Statthalters Flavius Flavianus noch erhalten, der bis vor Hinweisen, die wir haben, Metilius Secundus, dessen kurzem in dieser Funktion nicht bekannt gewesen war Kollege allerdings nicht bekannt ist, in das Jahr 123 (vgl. B. E. Thomasson, Fasti Africani [Stock holm1996] setzen; das für ihn bezeugte Datum ist der 17. Oktober 228 f.) Zur Identifizierung mit einerPer son gleichen (W. Eck / A. Pangerl, Zeitschr. Papyr. u. Epigr. 152, 2005, Namens findet sich bei Pferdehirt nichts. Doch könnte 238 ff.). Damit kann man für das Jahr 123 mit größter er mit einem Flavius Flavi[anus] identisch sein, der an Wahrscheinlichkeit drei Konsulnpaare in folgender einem consilium des Präfekten von Ägypten Valerius Verteilung ansetzen: Proculus zwischen 144 und 147 teilgenommen hat (Ber- k. Ian. Q. Articuleius Paetinus, L. Venuleius Aproni- liner Griechische Urkunden I [Berlin 1895] 288; vgl. anus; PIR² F 270). Da der Präfekt von Ägypten zu seinem k. Mai. T. Salvius Rufinus Minicius Opimianus, Cn. consilium auch höhere ritterlicheAmtsträ ger seiner Sentius Aburnianus; Provinz heranziehen konnte, etwa einen der Epistrate- k. Sept. P. Metilius Secundus, [---]. gen, den iuridicus oder einen der ritterlichen Funk- In Nummer 20 wird als Statthalter von Dacia infe- tionsträger, die für die großen Speicheranlagen bei Ale- rior im Jahr 122 ein Cocceius Naso genannt. Er gehöre, xandria zuständig waren, wäre es leicht denkbar, dass wie es im Kommentar heißt, zum ritterlichen Zweig der der spätere Statthalter von Mauretania Tingitana zuvor gens Cocceia; denn diesen habe es neben dem senatori- in Ägypten tätig gewesen ist. Unter den bei M. Chris - schen Zweig sicher gegeben (S. 61). Diese Vorstellung tol / A. Magioncalda, Studi sui procuratori delle due ist einigermaßen bizarr. Eine gens Cocceia als eine defi- Mauretaniae (Sassari 1989) 124 ff. gesammelten Lauf- nierbare Einheit gibt es notwendigerweise in der Kai- bahnen findet sich zwar nur ein Fall (Nr. 18), in dem ein serzeit nicht, genauso wenig wie eine gens Claudia oder späterer Statthalter von Mauretania Tingitana vorher eine gens Ulpia. Dies sind zumeist unreflektierte mo- als procurator Neaspoleos in Ägypten tätig war. Doch derne Konstruktionen ohne konkreten Inhalt. Es gibt sind insgesamt nur recht wenige vollständige Laufbah- natürlich zahlreiche Familien, die das Nomen gentile nen dieser Personengruppe bekannt, so dass man daraus Cocceius führen, ebenso wie andere den Familiennamen nichts Negatives schließen kann. Der zeit liche Abstand Claudius oder Ulpius. Doch die meisten dieser Fami- zwischen dem Amt in Ägypten und der Statthalter- lien, die auch in verschiedensten Städten und in weit von schaft in Mauretania Tingitana würde jedenfalls dazu einander entfernten Provinzen leben, hängen in keiner passen. Es besteht ferner die Möglichkeit, dass dieser Weise mehr verwandtschaftlich zusammen. Gerade die- Flavius Flavianus mit einer senatorischen Familie aus ser Zusammenhang aber wäre das Hauptkriterium, um Ammaedara zu verbinden ist (M. Corbier in: Epigrafia von einer gens im römischen Sinn zu sprechen. e ordine senatorio II [Rom 1982] 708; doch vgl. auch Das Nomen gentile Cocceius führte auch Kaiser H. Halfmann in: ebd. 626). Ein L. Flavius Flavianus Nerva. Er hat wie viele Kaiser das römische Bürgerrecht war außerdem gegen Ende des zweiten Jahrhunderts verliehen, wobei sich die Beschenkten wie oft üblich quaestor der Provinz Achaia (PIR² F 273). auch dessen Gentilnamen zulegten. Doch dieser neue Natürlich bringen diese vielen Diplome auch nicht ritterliche Amtsträger kann nach allem, was wir sonst wenige Informationen zur Dislokation von einzelnen über römische Neubürger wissen, nicht zu einer Fami- Truppen. Auf diese Weise werden die Einsichten, wann lie gehören, die erst von Nerva das Bürgerrecht erhalten Truppen von einer Provinz in eine andere verlegt wur- hatte. Denn üblicherweise dauerte es deutlich länger, den, immer dichter und verlässlicher. Dennoch schaf- bis ein Mitglied einer solchen Neubürgerfamilie in den fen gerade die Diplome mit ihren Informationen auch Ritterstand gelangen und dann sogar höhere prokura - gewisse Probleme. Nicht selten scheint es, als ob ein- torische Stellungen übernehmen konnte. Der Ritter zelne Einheiten sehr oft zwischen verschiedenen Pro- Cocceius Naso sollte also eher zu einer Familie gehören, vinzen hin und her versetzt worden seien. Das ist sicher die schon länger zum römischen Bürgerverband ge- auch vorgekommen, doch vermutlich weit seltener, als hörte. Dann aber müsste sie am ehesten aus Italien es angenommen wird. Doch soll dieses Problem hier stammen, wofür im Übrigen auch das Cognomen Naso nicht näher verfolgt werden, weil dazu das Gesamt- spricht. Denn die Heimat zumindest der Mitglieder material behandelt werden müsste. des ordo senatorius beziehungsweise equester, die dieses Gewisse Probleme zeigt der Band in der Behandlung Cognomen führten, war ohne Ausnahme das Mutter- der lateinischen Sprache sowie der Onomastik, obwohl land Italien (s. die Personen, die in PIR² V 3, S. 337 f. es dafür, jedenfalls für den lateinischen und griechi- aufgeführt sind). Das dürfte auch für Cocceius Naso schen Bereich genügend Hilfsmittel gibt. Da wird stets zutreffen. von »Cauder« gesprochen, wenn cauda, das ›Schwänz- Das Diplom Nummer 34 enthält den Text einer Kon- chen‹ des Buchstabens Q gemeint ist (so zu Nr. 31; 33; stitution für die Truppen von Mauretania Tingitana. 34; 35; 37; 38; 39; 41; 43). Seite 61 wird in Anm. 7 Davon sind noch weitere Kopien bekannt, die in Zeit - Nr. zu 20 gesagt: ein »Alenpräfekt wird mit voller (!) schr. Papyr. u. Epigr. 153, 2005, 188 und 197 ff. sowie ebd. Tria nomina (…) genannt«; Neutrum Plural und Femi- 162, 2007, 235 ff. zusammengestellt sind. Nur in RGZM ninum singular sollten unterschieden werden. Bei Num- 34 und einem der in Zeitschr. Papyr. u. Epigr. 153, 2005, mer 28 steht im Lesetext als Herkunftsort Pe rin(thos) 197 ff. publizierten Diplome ist auch der Name des statt richtig Perin(tho). Seite 56 erscheint im Lesetext 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 354

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classe praetoria Misenen(sis) statt Misenen(si). Auf S. 207 danach« geendet haben. Doch wie soll man damit ver- wird aus dem Cognomen eines Zeugen im Genitiv: einbaren, dass Albanus von mindestens 121 bis 127, also FILONIS der Nominativ FILONIS abgeleitet; richtig insgesamt eine überdurchschnittliche Zeit, Präfekt die- wäre natürlich FILO (= Philo). Seite 206 wird aus dem ser Flotte blieb? Cogno men PARTHENI nicht der richtige Nominativ Nummer 26. DIVI[ in Zeile 1 der Außenseite sug - Parthenius gebildet, sondern PARTHE NVS. Ein Blick geriert durch die Klammer einen Textverlust; doch in in die Bände von H. Solin, Die griechischen Personen- der folgenden Zeile geht der Text weiter mit NERVAE; namen in Rom. Ein Namenbuch Bde I–III² (Berlin somit fehlt nichts. In Zeile 7 ist nicht eine cohors I Aelia 2003) hätte das leicht gezeigt. Ebenso hätte man dazu Caes(aria) (schon der Name ist ein Unding) genannt, die von B. Lörincz herausgegebenen Bände des Ono- sondern die cohors I Aelia Gaes(atorum). Das G ist deut- masticon provinciarum Europae Lati narum = OPEL lich auf dem Photo zu erkennen. Diese Einheit ist auch (seit 1994) heranziehen können, nicht mehr das veral- sonst in Pannonia superior bezeugt. tete Werk von András Mocsy, das zudem keine Belege Nummer 28. Im Lesetext steht Somosatis statt Samo- bringt. Bei Nummer 60 wird, wie auch im Index, satis. Die Ausführungen zum Namen des Empfängers MIXIMINVS nicht zu Maximinus verbessert; Nr. 22 stehen zweimal hintereinander; der Verweis auf die extr. Z. 23 stand sicher nicht der Name FIORENTINA Anmerkung 3 bringt keine entsprechende Information. (so auch S. 203), denn das ist italienisch, sondern Nummer 31 (S. 89 ff.). Das Diplom bestätigt die Statt- FLORENTINA. Seite 205 wird der Zeugenname als halterschaft des Mummius Sisenna für 151, nicht für HELVS geschrieben, obwohl er Helius heißen müsste. 150. Es folgen einige Detailhinweise: Nummer 33. Das Praenomen des consul prior lautet Nummer 1. Die Konstitution kann zeitlich näher ein- M.’, also M(anius), nicht M(arcus). gegrenzt werden: Da Vespasian zum siebten Konsulat Nummer 35. Es heißt nicht equitib(us) et pedit(ibus) designiert ist, kann sie nicht vor Ende März ausgestellt exer[c(itus) Germ(aniae) pi(i) fid(elis)], sondern … worden sein. Dass damals gleichzeitig zwei Konstitutio- Germ(anici) … nen für Moesia ausgegeben wurden, ist trotz der Zwei- Nummer 41. Dieses Diplom gehört zu einer Kon - fel der Autorin völlig sicher, nicht anders als im Jahr 78. stitution des Jahres 160, von der bereits zwei andere Zeile 6 der Innenseite ist CVM zu lesen, nicht nur VM. Diplome publiziert sind: RMD III 173 und W. Eck / Dass dieses Diplom zu zwei Schwesterkonstitutionen A. Pangerl, Scripta classica Israelica 24, 2005, 101 ff. Ein gehört, wird nun auch durch ein weiteres Dokument viertes Diplom ist noch nicht veröffentlicht. Alle Vete- gezeigt; siehe dazu in Kürze P. Weiß, Chiron 38, 2008. ranen stammen aus der Provinz Lycia-Pamphylia, was Zu Vettulenus Cerialis als Statthalter in Moesia bereits darauf hindeutet, dass dort im Jahr 135 nach den massi- seit dem Jahr 73 siehe W. Eck / A. Pangerl, Dacia 50, ven Verlusten während des Bar-Kochba-Aufstandes ein 2006, 93 ff.). dilectus für das Heer in Syria Palaestina durchgeführt Nummer 2. Zu der Formel et sunt in Germania in wurde. diesem Diplom sollte man bemerken, dass Germania für Nummer 46. Im Kommentar zu diesem Diplom aus die römische Administration damals noch einen zusam - dem Jahr 203 heißt es, sowohl »für das Jahr 202 als menhängenden Bezirk darstellte, gleichsam eine Erb- auch für 203 n. Chr.« seien bisher keine Suffektkonsuln schaft der augusteischen Zeit; formal werden die beiden bezeugt; aber in Nummer 45, das von der Verfaserin Heereskommanden am Ober- und Niederrhein in den ins Jahr 202 datiert wird, ist gerade ein neues Paar ge- Konstitutionen für Germania noch nicht unterschieden. nannt. Nummer 4. In der diplomatischen Abschrift steht Nummer 49. In der Überschrift muss es heißen Zeile 9 intus: ET, in der Umschrift steht irrig t; das SEVERVS ET ANTONINVS, nicht ANTONINI. Nomen gentile des Statthalters lautet Novio, nicht Nummer 57. Im rekonstruierten Text fehlt uxores vor Norico. duxissent. Nummer 7. Cappadocia-Galatia wurde in flavisch- Nummer 63. Dass der jeweilige Kaiser den Titel pro- traianischer Zeit nicht »normalerweise«, sondern immer consul in den Diplomen nur dann führt, wenn er sich zusammen verwaltet. außerhalb Roms aufhielt, war nicht erst seit Septimius Nummer 8. Das Diplom zeigt mit der Nennung eines Severus üblich, sondern seit Hadrian, wenn nicht sogar Ubius, der etwa 74 n. Chr. rekrutiert wurde, dass zu die- seit den letzten Jahren Traians. sem Zeitpunkt noch peregrine Ubier existierten, dass Nummer 64. In der Überschrift steht zweimal Maxi- somit durch die Gründung der Colonia Claudia Ara minus, an der zweiten Stelle ist aber Maximus nötig als Agrippinensium (Köln) nicht alle Ubier in die Bürger- Name des Sohnes von Maximinus Thrax. schaft der Kolonie eingeschlossen wurden. Nummer 75. Bei diesem Angehörigen der vigiles, Nummer 14. Es ist die Tabella II, nicht Tabella I er- M. Aurelius Mucianus, der im Jahr 248/49 entlassen halten, ebenso bei Nummer 23. wurde, wird im Kommentar noch mit den Latini Iuni- Nummer 21. Bei dem Präfekten der Flotte von Ra- ani argumentiert. Doch damals lag die constitutio Anto- venna, Numerius Albanus, könnte »möglicherweise« die niniana bereits weit mehr als dreißig Jahre zurück. Auch »wohlwollende kaiserliche Unterstützung seiner Kar- bei den vigiles wurden seit diesem allgemeinen Bürger- riere mit dem Regierungsantritt Hadrians oder bald rechtserlass nur noch römische Bürger rekrutiert, so 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 355

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dass das Problem der Latini Iuniani keine Rolle mehr 2000–2002), connus de l’auteur. D’autres travaux man- spielte. Wenn man mit dieser Personenkategorie argu- quent à l’appel, comme celui de W. Goffart (Barbarians mentieren will, dann müsste man beweisen, dass es sich and Romans, A. D. 418–584 [Princeton 1980), pour une um einen Latinus Iunianus handelt. période peu envisagée ou celui de J.-M. Carrié et Zum Index Seite 198: Hier wird der Konsulat von A. Rousselle (L’Empire romain en mutation, des Sévères Murrenius Severus und Cassius Regalianus unter dem à Constantin, 192–337 [Paris 1999]: sur la question des Jahr 203 eingeordnet, unter Nummer 45 aber richtig ins comitatenses), ou pour des raisons de calendrier de Jahr 202. Statt Q. Nummius Iunior muss es richtig lau- parution, mais ils complèteront utilement sur l’un ou ten: Q. Numisius Iunior, und statt Nummius Senicio l’autre point, les vues de Le Bohec, dans le domaine richtig Senecio. de l’histoire militaire (la troisième édition revue de Seite 206: L. Pullius Marcio, nicht Marco. P. Richardot, La fin de l’armée romaine, 284–476 [Paris Seite 217: Es fehlen im Index unter den Provinzen 2005]), ou de l’examen de la Notitia Dignitatum (Con- Cappadocia Nr. 7; Dacia inferior Nr. 20; Syria Nr. 6. cepción Neira Faleira, La Notitia Dignitatum. Nueva Bei Germania fehlt Nr. 4, bei Germania inferior Nr. 24, edición crítica y comentario histórico. Colleccion Nueva bei Moesia inferior die Nr. 14 und 23, bei Moesia supe - Roma [Madrid 2005]) et de l’architecture militaire rior Nr. 40, bei Noricum Nr. 32, bei Thracia Nr. 28; sie (M. Reddé et al. [ed.], Les fortifications militaires. L’ar- hätten dort zumindest als Konjektur genannt werden chitecture de la Gaule romaine. Documents d’archéolo- müssen. Unter der Rubrik »Stämme« sollte es ferner gie Française vol. 100 [Paris et Bordeaux 2006]). heißen Brittones, nicht Brittoni, Thraces, nicht Thraci Quoi qu’il en soit, Le Bohec fait œuvre utile en pro- (siehe bereits oben). posant une vue d’ensemble de l’armée romaine tardive Alles in allem: Eine wunderbare Sammlung von sous divers angles et, comme le plan de son ouvrage le Diplomen mit einem reichen Inhalt, die jeder konsul- démontre, il entend bien répondre à des attentes mul - tieren muss, der mit dieser Quellengruppe arbeitet. tiples. Une introduction générale met en place les ma - Freilich hätte man sich gewünscht, dass die Publikation tériaux; la définition de la période traitée qui peut oscil- mit etwas mehr Sorgfalt ausgeführt worden wäre; so ler entre Bas-Empire et Antiquité tardive, l’examen de aber wird man immer wieder selbst überprüfen müssen, l’état de la recherche et des sources, le cadre historique ob die kommentierenden Bemerkungen tragfähig sind. et géographique. Les trois premiers chapitres sont dé- Auf den Index ist nicht immer Verlass, aber das gibt diés à la description des armées dans un cadre historique vielleicht Anlass, die Texte selbst genau durchzulesen. et chronologique précis, à savoir sous les règnes succes- (Peter Weiß danke ich für verschiedene Hinweise, sifs de Dioclétien, Constantin I, Constance II et Julien. die in diese Besprechung eingegangen sind.) L’auteur enchaîne sur une série de chapitres techniques au nombre de dix, avant de reprendre l’approche histo- Köln Werner Eck rique qui était celle du début, avec l’illustration de la période valentinienne, puis de la période qui corres- pond à la fin de l’Occident romain. On voit bien le souci de l’auteur d’établir une rup- ture dans le traitement de l’histoire des faits entre la pre- Yann Le Bohec, L’armée romaine sous le Bas-Empire. mière moitié du quatrième siècle d’une part et la se- Collection Antiquité-Synthèses volume 11. Picard, Paris conde partie du Bas-Empire d’autre part. En réalité, 2006. 256 pages, 45 planches. pour justifier cette présentation, il part du principe qu’il n’y a pas eu une armée à destinée unique durant le Bas- Yann Le Bohec avait déjà abordé le thème de l’armée ro- Empire, mais cinq, celles qui sont reliées aux règnes de maine, dans un ouvrage consacré a ›L’armée romaine Dioclétien, de Constantin Ier, de Constance II et Julien sous le Haut-Empire‹, paru en 1989 et traduit en italien, réunis, des Valentiniens et de Théodose. Il en ajoute anglais, espagnol et russe, avant de prendre en charge, naturellement une autre, celle du cinquième siècle, qui en 2002, l’organisation d’un congrès international à n’a pas été à proprement parler traitée dans l’ouvrage. Lyon sur le thème de l’armée du Bas-Empire: Y. Le Dans la première moitié de ce siècle, l’armée poursuit sa Bohec / C. Wolff (éd.), L’armée romaine de Dioclétien à mutation et il est clair que là aussi devraient pouvoir se Valentinien Ier. Collection du Centre d’études romaines distinguer des évolutions multiples. Vu le peu d’intérêt et gallo-romaines, n. s. cahier 26 (Lyon 2004). Dans une porté à ce demi-siècle et même si les sources historiques certaine mesure, il lui revenait donc de compléter sa sont lacunaires pour l’Occident, le titre de l’ouvrage lui- première œuvre en préparant un autre manuel relatif à même (l’armée sous le Bas-Empire) s’en trouve un peu l’armée tardive. inadapté. L’auteur tente de justifier sa position en exa- Celui-ci s’inscrit dans une dynamique de recherche gérant l’importance de la date fournie par la prise de qui a fortement été marquée ces dernières années par la Rome en 410. Elle ne signifie pas, même en Occident, la production de travaux consacrés au même thème ou transformation lente de l’armée vraie en une milice qui à des thèmes parallèles, comme ceux de P. Southern et ne subsiste plus que de nom (p. 15). Le sort de l’armée K. R. Dixon, The Late Roman Army (London 1996) ou du Bas-Empire n’est pas scellé aussi rapidement. Le dos- des articles parus dans la revue ›Antiquité tardive‹ (8–10, sier archéologique qui est en construction montre déjà des 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 356

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désaccords avec ce point et que dire de la partie orien- armées sur le terrain. En effet, des termes nouveaux tale de l’Empire pour cette même période. Il sera utile, apparaissent: un certain nombre d’unités reçoivent l’ap- dans le futur, de poursuivre l’enquête un peu au-delà. pellation de comitatenses et des textes, fort rares, com- Les chapitres relatifs à l’histoire de l’armée (1 à 3, 14 mencent à parler des riparenses et des limitanei. Ces et 15) sont construits sur un schéma semblable où il derniers ne peuvent qu’être envisagés sous un angle gé- est question de mettre l’accent sur les guerres et les ré- ographique, quant à leur localisation. Qu’en est-il alors formes. L’histoire militaire plus mouvementée se trouve des comitatenses? Comme il en sera encore question naturellement davantage développée pour les années dans un chapitre dévolu à la stratégie, l’auteur ne peut 353–363 et 375–410, mais les éléments de réforme y sont les considérer comme une armée à part entière et émet moins mis en valeur. déjà l’idée qu’il s’agit d’un titre honorifique. Ici, mais Entre les chapitres évoqués à consonance historique, c’est un détail, le Limes Belgicus, qui n’existe pas, est on en trouve donc d’autres (dix) à objet thématique; ils cité mal à propos en vue de nier une opposition entre sont successivement dévolus au recrutement, aux uni- armée immobile et mobile qui relève du phantasme tés, aux soldats et à la hiérarchie, à l’architecture mili- (p. 36). taire, à la tactique et au combat, à la stratégie, à la ques- Au troisième chapitre, il est question d’histoire évé- tion du rapport entre les civils et les militaires. Ils con- nementielle sous les règnes de Constance II et de Julien cernent toute la période envisagée dans le livre. plus que d’analyse de l’organisation des armées ou des Il est utile d’envisager maintenant, chapitre par cha- réformes. Il est vrai qu’il faut attendre 355 pour pouvoir pitre, quel est l’apport de l’ouvrage. s’appuyer sur une source de première importance, Dans le premier chapitre, il ne fait pas l’impasse sur Ammien Marcellin. Dès lors l’auteur se perd un peu l’héritage militaire à la fois difficile et mal connu du dans les faits politiques, puis dans les récits des guerres troisième siècle ou de la fin de ce siècle. Il suggère à juste contre les Alamans et les Perses. On a du mal à aperce- titre qu’il vaut mieux se fonder sur l’emplacement des voir les projets de réformes, sauf peut-être dans le do- troupes pour en inférer les théâtres d’opérations sur les maine du recrutement. Dans ces conditions, il est ma- frontières, les trente et une légions de l’époque d’Auré- laisé d’établir qu’il pouvait exister à cette époque une lien n’étant pas dispersées de manière équilibrée. Sui- troisième armée spécifiquement différente de la précé- vant l’opinion maintenant répandue, Gallien, pour toute dente. innovation militaire, ne dispose que de quelques unités Le chapitre consacré aux règnes de Valentinien Ier et de cavalerie différemment équipées. de Valens s’adresse à une période rendue plus accessible En opposant d’emblée des réformes imaginées pour grâce aux données de l’historien Ammien Marcellin le règne de Dioclétien à des vraies réformes qu’il situera (chapitre 14). Ici aussi, les pages présentées sont très plus volontiers sous Constantin, Le Bohec met le doigt narratives et davantage dédiées à des faits de guerre ou à nouveau, avec intelligence, sur les questions principa- de politique; il est vrai qu’il faut s’accommoder d’une les qui agitent les cénacles des chercheurs. nouvelle situation, dans laquelle Valentinien I s’occupe Il énumère à raison les réformes que Dioclétien n’a de l’Occident et Valens de l’Orient et considérer que pas faites, mais qui lui ont été imputées. Lorsqu’il est l’année 375 représente un tournant dans cette époque question de couper l’armée en deux entités, le comitatus troublée. En rapport avec la réforme des armées, remar- ne représenterait pas une réalité bien avérée. La défense quons tout spécialement l’hypothèse présentée par l’au- en profondeur, si elle existe sous Dioclétien, est calquée teur à propos de la bipartition en corps de troupes des sur un modèle qui existe dès la fin du troisième siècle, seniores et des iunores qui est antérieure à 364. Au cours dont l’auteur ne fait pas mention. Un type d’architec - du quatrième siècle, les unités sont devenues de plus en ture militaire tétrarchique a aussi été mis en exergue par plus petites et ce mouvement s’est accéléré, il suppose les découvertes archéologiques, mais le dossier a été donc que les iunores ont été formés par les soldats déta- suffisamment critiqué pour en revenir à une prudence chés du corps d’origine aux fins de créer une nouvelle chronologique salutaire. Le bilan de Dioclétien est plu- troupe, fille de l’ancienne (p. 189). L’autre réforme im- tôt à rechercher ailleurs. C’est un réactionnaire à qui on portante mise en discussion est celle de la réorganisation peut attribuer une réforme du recrutement militaire et de la frontière rhénane avec la construction de nouvel- une augmentation des effectifs, selon une proportion les forteresses et d’un nouveau cordon frontalier. L’au- qu’il convient de modérer. teur pense qu’il ne faut pas créditer Valentinien I de tou- Dans le deuxième chapitre, il est question de mon- tes ces constructions, comme le font les archéologues. trer le bilan de Constantin qui, avec un certain empi- De la même manière, on n’a pas pu se rendre compte à risme, apporte de réelles réformes à l’armée qui lui l’époque d’un choix virtuel qui aurait été fait visant à re- donne son vrai visage du Bas-Empire (p. 37). Accessoi- noncer de manière irrémédiable à la stratégie de l’offen- rement, ou sans qu’il n’en ait le choix, il a recours à des sive (p. 191). barbares. La question centrale est celle de la réforme du Le chapitre 15, consacré à l’histoire postérieure à 378, haut commandement (Magistri militum, Scholae pala- est aussi de nature événementielle, avec en toile de fond tinae). la question de la fin de l’Occident romain. Pour traiter Côté tactique et stratégie, cette réforme va dans le cette question plus avant, il est clair qu’il aurait fallu dé- sens d’une perception différente de l’organisation des passer le terme de 410 proposé, voire même celui de 450. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 357

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Quelques appréciations notamment sur le plan écono- rite d’être repris. Pour l’essentiel, il décrit les différents mique sont excellentes mais incomplètes. En outre, maillons de la chaîne de la hiérarchie militaire, soit les l’auteur ne dégage pas les grandes lignes de l’évolution officiers supérieurs, les officiers subalternes, les sous- de l’armée à ce moment, en dehors du fait du partage officiers et les soldats. L’armée du quatrième siècle ap- consommé entre Occident et Orient, qui voit le jour. paraît bien complexe, avec une hiérarchie comprenant Les principales lacunes bibliographiques concernant toujours de nombreux degrés et une assez grande variété cette partie viennent d’ailleurs de l’Orient. de fonctions. Celle de maîtres de milice change de na- L’auteur a aussi méritoirement abordé bien d’autres ture et n’échappe pas à la germanisation précoce. Sans aspects dans son ouvrage. Il s’agit des chapitres situés compter que les termes de comte et de duc ou d’autres au centre de son manuel qui approchent l’armée sous sont ambigus et peuvent être employés dans plusieurs divers angles thématiques et techniques (chapitres 4 à sens. 13). L’architecture militaire est évoquée dans le septième Le recrutement est analysé au quatrième chapitre. La chapitre. L’auteur a bien perçu les changements majeurs question centrale reste évidemment celle de la propor- du Bas-Empire et les conditions dans lesquelles a été dé- tion entre romains et barbares. L’auteur synthétise bien veloppée une nouvelle architecture castrale. Mais toute et de manière ramassée les divers aspects du mode de l’architecture n’y est pas étudiée, loin s’en faut. Il n’en a recrutement qui s’organise principalement sous les retenu que des exemples emblématiques, comme celui deux formes connues, à savoir directe et indirecte dans du camp à plan ›tétrarchique‹, qui force les archéolo- un cadre parafiscal dans ce dernier cas, où il faut ajouter gues à ne plus accorder trop d’importance à la démarche les formes subséquentes: mercenariat, prisonniers de typologique sensée déboucher sur des certitudes chro- guerre enrôlés de force et fédérés. Dans le sillage de ceci, nologiques. La question de la forme prise dans les la perte de qualité est bien reconnue. Par contre le pro- camps par certains bâtiments, les principia et les caser- blème de la chronologie de cette mise en place ou d’une nes par exemple, n’est pas plus déterminante d’une évolution entre les règnes de Dioclétien et de Valens chronologie précise. En réalité, la fonction du site et sa n’est pas facile à éclairer si ce n’est grâce aux travaux de situation dans l’orbite d’une région est plus importante. Jean-Michel Carrié (p. 57). L’auteur étudie ensuite deux Quant aux rubriques consacrées aux grandes et petites questions plus simples, celle de l’origine du recrutement enceintes et aux grands sites militaires, elles sont traitées et de la Notitia Dignitatum. fort rapidement; le débat essentiel devrait consister à Le cinquième chapitre est consacré aux unités. L’im- établir s’il s’agit d’une ville ou d’une fortification mili- portance numérique globale des effectifs constitue un taire, la terminologie antique étant bien souvent impré- problème difficile et continue d’être en débat. La garde cise et de peu d’utilité dans cette perspective. Il faut impériale est le corps d’armée qui évolue le plus souvent tenir compte aussi d’une évolution toujours possible et qui est représenté par un dédale de termes utilisés et le fait est bien souvent avéré au cinquième siècle: pour la désigner. Quant aux légions, sa réorganisation l’occupation civile remplace une initiative qui est mili- commence clairement avec Dioclétien et le nombre taire à l’origine. La ›petite‹ architecture militaire n’a pas n’augmentera plus après Constantin. Même si le phé- eu droit de cité dans le manuel. Elle relève pourtant nomène de la multiplication des unités et de la diminu- bien des ouvrages militaires: les tours de garde en ré- tion des effectifs est en marche, certaines légions con- seau, les ports militaires, les burgi et les fortifications de servent encore un nombre anormal de soldats. Une cer- hauteur qui n’offrent pas, il est vrai, une architecture de taine uniformisation finit par s’imposer. Les auxiliaires grande qualité ou sont parfois reliés à des initiatives et les cohortes d’infanterie poursuivent assez bien la émanant de la population. tradition du Haut-Empire. La cavalerie, dont on sait Les deux chapitres suivants, 8 et 9, sont ouverts sur qu’elle occupe une place nouvelle notamment dans la les questions de tactique. Le premier met en avant l’évo - tactique au combat, ne paraît pas avoir grossi outre lution de l’équipement militaire, l’exercice, la logisti- mesure. Pour la marine, on sait l’attachement des Té- que, la diplomatie, le renseignement et le stratagème; trarques et de Constantin à sa réorganisation. Finale- l’autre est dédié à la forme des combats. ment, il convient aussi, dans cette perspective, de réin- Si nous sommes informés de l’existence de nom- terroger la Notitia Dignitatum, sans compter qu’elle a breux ateliers de fabrication d’armes de guerre (une aussi été utilisée pour mettre en avant un concept de bi- quarantaine), leur mode de fonctionnement mériterait partition entre armée de campagne et armée frontalière une nouvelle étude. Pour les gynécées, on a envisagé pour mieux s’en référer à une de stratégie, alors aussi la possibilité que les ateliers urbains en question que la division réelle est plus celle d’Ammien Marcellin auraient procédé à une sous-traitance auprès de petits qui distingue soigneusement l’armée d’Orient et l’ar- fournisseurs privés (F. Vicari, Produzione e commercio mée d’Occident (p. 76). dei tessuti nell’Occidente romano. British arch. reports, Le chapitre 6 concerne la hiérarchie de l’armée. Il est Int. ser. 916 (Oxford 2001). Dans le descriptif des assez long et prend en compte les organes d’encadre- équipements militaires qu’il réalise, l’auteur maîtrise ment de l’armée du Bas-Empire, ce qui est d’autant plus bien la bibliographie sur le sujet. En ce qui concerne méritoire qu’il n’existe pas assez de travaux récents sur le l’approvisionnement, cette rubrique est l’occasion de sujet et que l’auteur estime à juste titre que le sujet mé- revenir sur la question longtemps débattue du soldat- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 358

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paysan (p. 116–117) et sur l’annone militaire pour la- nées sur la frontière aient été appelées par ce nom? quelle l’Egyp te et ses papyrus font merveille en termes Dans cette perspective, Le Bohec propose d’y voir un de documentation. Le traité (foedus) demeure, enfin, terme honorifique dont certains corps de troupes au- au centre des préoccupations lorsqu’il s’agit de pré - raient bénéficié. Automatiquement, les comitatenses senter le thème de la diplomatie (p. 120–122). L’auteur ne seraient plus des unités cantonnées près de la cour avoue son scepticisme sur la loyauté des signataires impériale ou des unités faisant partie d’une armée de barbares. mouvement. L’argument utilisé dans le même sens à Dans le chapitre consacré au combat, Le Bohec pro- propos des pseudo-comitatenses emporte naturelle- pose un tour d’horizon sur les ennemis, dont la diversité ment moins la conviction: des unités méritantes, mais est maintenant mieux connue que le nombre. Enfin, qui ne l’avaient pas été suffisamment pour être pleine- pour esquisser une théorie de la bataille, la documen- ment (récompensées comme) comitatenses. En finale, tation sur laquelle il s’appuie, à savoir huit batailles de l’auteur préfère insister sur l’existence de trois grandes plaine connues pour le quatrième siècle avec plus ou armées réparties dans les secteurs frontaliers les plus moins de détails par les récits des historiens, est suffi- menacés. sante. On en dira à peu près la même chose à propos Reste la question de la défense en profondeur, qui des sièges, qui ont l’avantage, avec les commentaires peut être dissociée du problème précédent. Quels que d’Ammien Marcellin, de nous faire connaître des dé - soient les occupants des fortifications concernées, la tails de l’architecture des villes concernées, les progrès théorie repose sur des éléments matériels et ne doit pas de l’artillerie et, finalement, la poliorcétique (aussi par être arrimée au schéma précédent. Encore faudra-t-il y Végèce). ajouter des approches chronologiques plus nuancées. Le Trois chapitres (10 à 12) enchaînent les questions de fait n’est pas acquis une fois pour toutes. Les tours de stratégie. Ils sont structurés de la façon suivante: le pre- garde et les burgi, le long des routes, n’occupent pas mier envisage la conception d’ensemble pour autant tout l’espace chronologique du Bas-Empire et les forti- qu’il en ait une, avec la présentation du débat histori- fications de hauteur, dispersées dans la campagne, à con - que, les questions de vocabulaire, les principes stratégi- dition qu’ils ne s’agissent pas d’habitats perchés, sont ques et les réalités matérielles. Le second chapitre est souvent plus tardives. dédié à l’Europe, soit aux territoires du nord-ouest et à Le chapitre 13 met en relation l’armée et la politique, ceux du Danube. Dans le troisième, enfin, il est ques- les soldats et l’économie, les soldats et les religions. L’ar- tion de l’Orient, de l’Afrique et de l’Espagne. mée est un acteur essentiel dans le domaine de la poli - Le Bohec résume parfaitement bien la querelle histo- tique comme elle l’était déjà au troisième siècle. Par rique, dans son ensemble, qui a été portée sur les fonts contre le pouvoir d’achat des militaires n’est plus com- baptismaux par Theodor Mommsen, puis relancée de parable à ce qui se passait précédemment, le rôle éco - manière très contemporaine par Edward Nicolae Lutt- nomique de l’armée est en diminution. Il est vrai que wak. Il faut en dégager les trois éléments principaux. Il l’on y connaît des problèmes de trésorerie et la situation faut d’abord admettre que l’Antiquité n’a pas pu conna- de l’armée de frontière, au cinquième siècle, mériterait ître, autrement que de manière empirique, la notion de d’être examinée de ce point de vue, notamment après stratégie ou qu’elle ne pouvait l’appliquer que de mani- l’arrêt des frappes monétaires en Occident. La composi- ère conjoncturelle. Il y a bien une division de l’armée tion très barbare de l’armée de la fin du quatrième siècle qui s’est faite entre comitatus et limitanei, mais cette di- ne facilite pas, quant elle, l’uniformisation des croyan- vision peut-elle être acceptée comme une opposition ces religieuses. Le siècle connaît des situations mixtes ou entre une armée mobile et une armée sédentaire? Il y a évolutives; une vue générale sur ces questions est don- bien eu, et beaucoup d’érudits sont au moins d’accord née par l’auteur. sur cette dernière idée, une défense du territoire en pro- L’ouvrage est accompagné de quelques illustrations fondeur qui n’existait pas au Haut-Empire. L’erreur bien utiles. Les cartes sont suffisamment nombreuses, principale a été que l’on a rapproché souvent cette no- peut-être à l’inverse des plans d’architecture assez peu tion de la défense en profondeur de l’existence de deux représentatifs de la diversité qui caractérise le Bas-Em- armées de statut différent. pire dans ce domaine. Pour les cartes, toutefois, on re- Le Bohec propose une solution à ce dilemme. La grettera leur mauvais graphisme, surtout pour la carte question n’est pas réellement de faire la différence entre d’ensemble (fig. 1) qui aurait mérité d’être spécialement une armée mobile et sédentaire, toutes les armées pou- redessinée pour cet ouvrage et, dans le même temps, on vant être mobiles par nature, et si elles ne le sont pas, voit que beaucoup de cartes régionales utilisées sont très c’est parce qu’elles ne sont pas appelées sur un théâtre anciennes (1976 ou 1983). d’opération. En fait, il nie l’existence du comitatus en L’existence même d’un manuel comme celui-ci s’im- termes d’organisation militaire: on ne voit nulle part posait ; il est facile à consulter et il rassemble toutes les que les comitatenses aient formé une armée (p. 143) et problématiques liées à l’histoire de l’armée au quatrième d’après Jean-Michel Carrié et Sylvain Janniard, aucun siècle. Cette vue de synthèse de Le Bohec correspond à argument ne permet de dire que les unités dites comi- un outil de travail de grande envergure. tatenses étaient une garde élargie de l’empereur. Com- ment, enfin, expliquer que certaines troupes station- Louvain Raymond Brulet 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 359

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Axel von Saldern, Antikes Glas. Handbuch der Archä- in the Roman Empire, discussing the extent of their ologie. C. H. Beck, München 2004. xxv and 708 pages likely local production and the characteristics of an with 73 figures, 64 plates with 406 figures. area’s glass typologies. This section also includes listings of important sites in each area which are well worth Over the last sixty years the study of ancient glass has consulting and pointers to some of the extant problems. progressed from strength to strength, and the articles in In the appendices, a number of much shorter chap- numerous specialist and non-specialist publications tes- ters deal with other overarching aspects of glassre - tify to the rapidity of progress and change within the sarch, including the brief introductions to glass techno- discipline. But what had so far been lacking was an up logy as well as production and working sites, already to date handbook for the specialist that summarized the mentioned, questions of transport, the likely contents state of research and guided the reader to the necessary of vessels, the chances of survival over considerable time additional literature to aid in his or her own research. periods, as well as repairs and then concludes with a It had, however, become something of a truism, that short section on fakes and reproductions. The book the field had now progressed well beyond what one concludes with a thematic bibliography naming the expert could encompass alone. Axel von Saldern, for- most important works for each fields, as well as listings mer curator at the Corning Museum of Glass and the of the literature cited and provides a separate, but very Brooklyn Museum, associate director of the Kunstmu- welcome, list of the unpublished MA and Ph. D. theses seum Düsseldorf and director of the Museum für Kunst that are crucial to the study of glass at present. und Gewerbe in Hamburg, is probably one of the few The reviewer is well aware that it is not usually the doyens of the field who could attempt an overview of role of a handbook to be read cover to cover, but having two thousand years of glass production with any hope done so, she was consistently held captive by the excel- of success. That the editor Beck was able to recruit him lent style and clarity of Saldern’s text and the substantial to write this volume is thus an immense achievement amount of editorial work that must have gone into the that will be of lasting benefit to the field. production of the book. If there is one fly in the oint- Yet even at over seven hundred pages this work has ment, it is that Beck despite its beautiful produc tion, had to make economies, and it is probably best to state was unable to produce at least a selection of the more from the beginning what this book is not for: of neces- than four hundred photographs of glass vessels and ob- sity, certain areas of study will find themselves underre- jects in colour, as in the case of the Shrines (plates 85 presented. Glass technology and studies of glass work - and 86), or at a slightly larger scale, as in the case of the ing sites do receive short summaries, but substantial Kantharos Disch (plate 363), to bring out what makes help is offered in references to relevant descriptions and these objects so noteworthy. Nevertheless, the photos other important articles elsewhere. Other areas are less are of high quality and usually make their points well. fortunate, however. Saldern interprets his topic ›Antikes As for the likely target readership, like its predeces- Glas‹ to stand for material from the origins of glass ma- sor, Kisa’s Das Glas im Altertum, it is directed at con- king to the end of the classic age, that is the fourth and noisseurs of the material. But more realistically, given its fifth centuries in the west and the sixth in the East. high, if well justified price, it is likely to become a much Roman period glass objects, Merovingian and Sassanid consulted work on the shelves – or more often the desks glass and non-Roman glass production north of the – of specialists in Mediterranean glass, especially those Alps (especially glass objects) get very little mention, working with complete vessels in museums and other with the exception of Celtic pre-Roman glass jewellery collections. Having used it during the pro duc tion of (pp. 90–93). Instead of approaching the subject as a jack several settlement site glass reports over the last few of all trades, Saldern thus displays himself for what months, it has become a kind of firm friend to the re- he is: the master of Mediterranean vessel glass and by viewer when dealing with luxury glass, albeit it has focusing on these Mediterranean vessel glass traditions proved less useful when dealing with more common he produces a book that will be an asset for years to every day wares, such as plain bowls, drinking vessels come to workers in these fields. and the ubiquitous containers. Saldern is well aware of The introducing chapters present an overview of the this and points readers to publications of large assem- current state of research on pre-Roman glass produc - blages of such material. For example, to name but a few tion, covering its beginnings in the Near East and (p.474–479), he cites the Colchester report by Hilary Egypt, through the glass inlays of the first millennium E. M. Cool and Jennifer Price for Britain and Beat BC, to the core-formed vessels and the numerous glass Ruetti’s report on Augst and Kaiseraugst, for Germany. working centres of the sixth to first centuries BC. The Moreover researchers would also be well advised to con- largest part of the book is then dedicated to Roman ves- sult Saldern’s regional chapters, which cover these unde- sel glass, with detailed studies taking in all of the major corated vessels in greater detail than the typological luxury vessel groups, which display Saldern’s expertise overview. Having tested it as a textbook, the reviewer to the full. This typological section concludes with a would, however, have to report that the handbook is of brief overview of the undecorated, non-luxury types only limited use to an absolute beginner in the field. and a number of unusual vessels. On pages 528–623 he Students that I pointed towards the book – even those reviews the various regional schools of glass production to whom the German language was not an issue – 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 360

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found that it assumes already a substantial amount of lon et le ›furor‹ des Erinyes (IV), Oreste au tombeau prior knowledge of the basics of glass studies. It thus face à l’ombre de son père dans le cadre de l’hypogée du does not help the newcomer to identify and separate Viminal (V). different material and in this it differs markedly from, L’introduction concerne l’actualité et l’actualisation for example, J. Price / S. Cottam, Romano-British Glass du mythe. Les théories modernes sur les mythes ne nous Vessels. A Handbook (York 1998), which addresses a aident guère, en fait, à saisir la notion qu’en avaient les market with less expertise. But then such a Handbuch is Anciens. Leur interprétation sur les sarcophages en rela- traditionally meant as a rapid reference work for the tion avec la vie humaine reste un sujet de discussion. initiate, and not a beginners’ introduction. Mais une figure comme celle d’Oreste n’a pas non plus Writing a handbook in a field that receives as much a priori un prestige impeccable, même dans l’imaginaire attention as glass studies do at present, inevitably raises gréco-romain. On ne voit guère apparemment tel dé- the question of how the work will hold up over time. funt susceptible de s’identifier avec un matricide exposé Predictions are hard to make in this area, but the over- aux Furies. Le symbolisme funéraire, si cher à Franz views of the literature on the relevant vessel type which Cumont, n’offre pas les moyens de résoudre l’énigme. precedes every entry provide a good idea of whether the A cet égard aussi, la rhétorique des ›consolations‹ ou des type in question has been understood and recognized ›laudationes‹ qu’occasionnaient les funérailles n’est pas for some time, or whether the material is currently un- plus éclairante que les considérations récentes sur l’ima- dergoing re-assessment. gerie sépulcrale comme expression du sentiment chez The section that is likely to become obsolete quick - les survivants endeuillés. est is the overview of regional schools. Some, such as Bielfeldt veut donc revoir cette iconographie Britain and the Rhineland, are well studied and their d’Oreste, afin de cerner strictement son originalité, ses characters can be deemed to be well understood, but novations (par rapport aux images antérieures attes- others are of such a large scale, for example the Danube tées), le choix des motifs, les emprunts possibles à d’au- provinces, by comparison to other such landscapes, tres contextes et leur intégration au thème, l’accent mis such as Southern and Central Italy, that it seems un - sur les points intéressant les Romains de l’époque anto- likely that further research will not have established nine. La littérature du temps relative à Oreste devrait smaller but better defined landscapes, like Greece, with- alors permettre de vérifier si son code moral correspond in them in ten or twenty years time. Yet, even here, à celui des sarcophages (tel du moins que l’auteur croit Saldern has offered us a basis to work from in the con- pouvoir le cerner). siderable work to come, and we owe him a huge debt of La découverte de l’Orestie dans cette sculpture funé- gratitude. raire a intéressé les artistes et les antiquisants du sei - Saldern dedicates the handbook to Donald Harden, zième au dix-huitième siècle. Mais la Tombe de la as a person who moved glass studies forward like few Méduse au Viminal fit découvrir en 1839 un exemplaire others. In summarising Harden’s work and that of many assez exceptionnel, celui du Museo Gregoriano Profano others working in the field (including himself), Axel (ex-Latran), au Musée du Vatican. Il offrait l’intérêt ma- von Saldern has set up an imposing monument to jeur d’être en place avec deux autres sarcophages. L’au- twentieth century glass studies. It is to be hoped that it teur en a traité en s’intéressant au regard du visiteur will be well used and that it will soon be translated into antique: Mitt. DAI Rom 110, 2003, 117 ss. Cette révé- English to make it available to a more international lation a suscité la controverse et divisé les exégètes, en market. particulier sur l’ordre de lecture (de gauche à droite ou inversement). En vérité, on a tenu longtemps à vouloir Liverpool Birgitta Hoffmann reconnaître sur les sarcophages ou ailleurs la lettre même de la tradition littéraire, faute de quoi – plus ré- cemment – on recourait à la médiation conjecturale d’archétypes figurés plus ou moins mal adaptés par les marbriers romains qui, au deuxième siècle ap. J.-C., Ruth Bielfeldt, Orestes auf römischen Sarkophagen. finiront par œuvrer pour une production de »masse« Der Außenseiter wird Leitbild. Dietrich Reimer Ver- (toutes proportions gardées). En réalité, les sarcophages, lag, Berlin 2005. 363 pages, 32 planches, 91 figures. loin de transcrire les Choéphores d’Eschyle ou les Elec- tre de Sophocle et d’Euripide, voire les versions des tra- Cette publication procède de la version remaniée d’une giques latins (dont nous ne savons presque rien), nous dissertation soutenue dans l’hiver 2000/2001 à l’Uni - livrent une nouvelle, inédite Orestie qui se distingue versité de Munich. L’auteur y traite d’un mythe qui aussi de l’iconographie d’époque hellénistique. Celle n’a pas suffisamment retenu l’attention des archéolo- des sarcophages est toujours plus complexe; c’est le cas gues travaillant sur l’art sépulcral romain. Cinq grandes de l’art romain en général, où s’agglomèrent souvent parties portent respectivement sur le double assassinat tant d’éléments disparates. Curieusement, l’auteur com - d’Egisthe et Clytemnestre (I), Iphigénie en Tauride (II), pare leur déchiffrement (p. 58) au traitement culinaire les valeurs romaines dans ce dernier cycle (III), la roma- d’un oignon dont on détache avec soin les lamelles une nisation du héros criminel, entre sa piété envers Apol- à une avant d’arriver au coeur, pour y trouver le sens 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 361

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profond du »bulbe«: ambitieux dessein, qui prête géné- qu’Agamemnon apparaît en songe aux jeunes gens, reusement un génie singulier aux artisans de l’Urbs, car pour les inciter au meurtre, dans l’Orestis tragoedia de il faut bien constater à l’occasion qu’ils commettaient Dracontius, de la fin du cinquième siècle, lequel n’a des confusions et des erreurs sur leurs cartons graphi- probablement rien inventé. La scène représentée sur ques. Mais, certes, l’exemplaire trouvé au Viminal n’a l’exemplaire du Viminal, à gauche, signifierait la recon- rien d’ordinaire: il sort d’un atelier ayant de bons sculp- naissance par le mort d’un acte de pietas. »Mission teurs étrangers aux poncifs du travail en série. accomplie«, semble dire Oreste. Quant à la main droite Quoi qu’il en soit, l’auteur nous montre pertinem- levée de Pylade, elle me rappelle le geste du général ment, pour commencer, que l’image d’Oreste quittant vainqueur à ses troupes sur le sarcophage Ludovisi ou Delphes (trépied pythique) n’a pas d’équivalent dans celui des chasseurs saluant le moment où le défunt l’art grec illustrant le théâtre d’Eschyle. En revanche, le héroïsé va embrocher un fauve, lion ou sanglier. C’est profil du héros s’apparente à celui de Diomède. Oreste le signe du succès. Mais sur le »pasticcio« de la Villa a la caution d’Apollon et une Erinye dort à ses pieds. Albani (pl. 17,1), l’ombre voilée est celle d’une femme: Heinrich Brunn avait justement discerné, dès 1844, que Clytemnestre, comme dans le prologue des Euménides? le mouvement du relief sur le sarcophage du Viminal On ne sait rien, au vrai, de ce relief à droite, et l’identité oriente l’oeil de droite à gauche et que le dieu delphique de cette défunte surgie du tombeau relève de la pure est censé exhorter Oreste à la vengeance. Dans la céra- spéculation. Finalement, l’odieux du matricide serait mique grecque, c’est la mort d’Egisthe qui a du succès: relativisé au profit de l’hommage rendu au père plutôt celle de Clytemnestre n’apparaît qu’une fois, sur une que de l’oracle delphique, comme dans la trilogie amphore de Malibu. Le double meurtre s’impose sur d’Eschyle. les urnes étrusques, où un génie ailé les sépare. Sur Les illustrations du cycle »taurique« mettent égale- un exemplaire de Volterra (p. 105), le tueur d’Egisthe ment en évidence la pietas en même temps que la virtus. s’appelle »Puluctre« (Polyktor). Est-ce une raison pour Sur le sarcophage de Munich, où les actions se juxtapo- croire que, sur les sarcophages, c’est Pylade qui exécute sent plus distinctement, quoique sans un ordre rigou- l’usurpateur (p. 92–94)? Sur le fragment de Klein-Glie- reusement chronologique, le sanctuaire d’Artémis a le nicke (pl. 14,1), une colonne s’élève entre les deux mises style et l’ambiance des reliefs pittoresques. Mais, avec à mort. Sur les exemplaires du Viminal, de Madrid, de ses têtes coupées de victimes humaines, ce paysage sacré Cleveland et dans la Galerie des Candélabres du Vati- a des connotations menaçantes: ambivalence qui n’est can, les personnages tuant Egisthe et Clytemnestre ont pas sans évoquer l’esprit hadrianien du mythe d’Actéon la tête orientée différemment, ce qui souvent implique sur le sarcophage à encarpes du Louvre, tout autant que un changement de scène. La duplication d’un même cette Iphigénie armée d’un glaive, mais aimablement acteur dans le relief romain à cycle continu n’a rien comparable à Vénus, fait songer à la Diane accroupie d’insolite. En tout état de cause, Oreste incarne l’héro- traitée comme l’Aphrodite de Doidalsès sur ce même ïsme d’un redresseur de torts voué au matricide. exemplaire Borghèse. L’héroïne change d’aspect dans la Sur le sarcophage de Saint-Pétersbourg (p. 119ss.), il suite du drame, qui contraste avec l’apparence idyllique arrache brutalement Egisthe de son trône, suivant un de la première scène: on y voit Pylade (?) combattre les schème de la céramique attique. A droite, la mort de gardes du roi Thoas, qui portent le costume des soldats Clytemnestre s’apparente à l’image qu’en donnent les parthes, tandis qu’Iphigénie s’embarque avec l’idole. urnes étrusques. Son attitude ferait penser à Polyxène. L’affrontement armé n’a pas d’antécédent iconographi- Mais le genou appuyé sur le corps de la reine nous rap- que. On songe aux premiers sarcophages à scènes de pelle Héraclès maîtrisant la biche, voire (à mon sens) la batailles, mais ils n’apparaissent qu’ultérieurement dans Nikè bouthutousa de l’Acropole ou Mithra terrassant la production funéraire. L’auteur note qu’à l’extrême le taureau. Clytemnestre apparaît donc alors comme la droite l’homme qui entraîne Iphigénie (p. 191, fig. 69) a victime d’un sacrifice, pour ainsi dire. Le rôle des Furies une tête ›trajanienne‹. Mais le traitement du personnage (p. 128ss.) soulève des questions. Je ne suis pas sûr est-il assurément antique? Je comprends mal, en tout qu’on doive opposer à l’exemplaire de l’Ermitage celui cas, que Bielfeldt veuille assimiler cet embarquement du Viminal et d’autres analogues: l’Erinye à la torche ou à celui du dernier voyage que pilote le nocher Charon au serpent y double Oreste qui brandit le glaive, et elle (p. 194–195). paraît bien l’encourager, elle aussi, au meurtre. Mais les Les deux exemplaires de Weimar acquis après la mort Furies »vaincues par le sommeil« (Eschyle, Euménides de Goethe, mais en raison même de son Iphigénie en 68), ce que déplore Clytemnestre (ibid. 94), font pro- Tauride, ont droit à une analyse détaillée. L’un d’eux blème en raison de la double hache qu’on leur voit tenir. nous montre successivement l’épisode de la lettre, la C’est aussi l’attribut de l’Amazone assoupie ou de la na- reconnaissance des deux enfants d’Agamemnon devant tion vaincue et captive dans l’art romain: une force con- l’idole d’Artémis et la fuite en bateau. Sur l’autre (comme damnée à l’impuissance, comme les Euménides que sur le sarcophage de Berlin) on voit Oreste prostré au neutralise Apollon (p. 148). milieu de la frise devant un Thoas cuirassé à la romaine, L’entrevue de Pylade et d’Oreste avec l’ombre du cependant qu’à droite le roi fait comparaître les étran- père est (semble-t-il) une »Neuschöpfung« des sarco- gers, tout comme un général dans une scène de soumis- phages (p. 158). Aucun texte connu n’en fait état, sauf sion ou comme Achille recevant Priam: situation que 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 362

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l’auteur croit empreinte d’ironie, compte tenu des rôles celle dont l’auteur prétend nous persuader. Le grand inversés, le Barbare occupant la place du Romain vain- sarcophage à encarpes qu’apercevait d’emblée le visiteur queur. Je doute que les contemporains des deux sarco- antique (fig. 87) nous montre des Gorgones qui, outre phages y aient été sensibles. D’ailleurs en l’occurrence, leur fonction primairement apotropaïque, évoquaient les prisonniers ne ploient point le genou et n’ont rien de l’au-delà (Hes. theog. 274–275; Aischyl. Prom. 799; vaincus à proprement parler. L’histoire n’aboutit pas Phot. 250 ; 444 a), tout comme les Griffons (Aischyl. au sauvetage des héros, comme en d’autres séquences. Prom. 804) des petits côtés. Le Satyre et les putti, qui S’y exaltent surtout l’amitié, l’affection fraternelle, la soutiennent les guirlandes, nous réfèrent à un monde piété: valeurs auxquelles peut s’ajouter la vaillance dans d’ivresse bienheureuse, tandis que les enfants et un l’affrontement final sur l’exemplaire de Munich. Amour s’ébattant sur ou avec divers animaux dans une Précisément, un gros chapitre est consacré à ces ver- course folle, au front du couvercle, n’ont rien qui nous tus romaines. Le rapt de l’Artémis taurique – confon- renvoie aux vertus gentilices, même si l’on com parait la due avec le Palladium dans une peinture de la Villa San vie à une compétition. Un couvercle de S. Callisto (ASR Marco à Stabies (les légendes des fig. 78 et 79, p. 244, V 2, 3, 90 n.°119 pl. 53) reproduit une séquence ana - sont à intervertir), sur une fresque pompéienne et une logue, mais avec uniquement des chevaux. La variété gemme de Florence – illustre l’attachement de la »pia folâtre des montures sur le couvercle du Viminal a une virgo« (Ov. Pont. 3, 28) à la déesse, tout en nous ren- tonalité plutôt enjouée, qui va de pair avec l’atmosphère voyant, quoique très indirectement, au salut de Rome dionysiaque de la cuve. Seuls les encarpes mêmes pour- par ce pignus imperii. Oreste passait pour avoir apporté raient nous rappeler l’hommage saisonnier des produits la Diane scythique à Aricie, et les restes du héros comp- de l’année aux morts de la famille, un acte de piété sans taient - avec le Palladium – au nombre des sept »gages connotation morale à proprement parler. de l’empire«. Mais, sur les sarcophages, je ne détecte pas Quant aux deux autres cuves, les mythes qu’elles la moindre allusion à l’idole troyenne de Pallas. A noter nous rééditent à leur manière concernent des trépas en- que sur les deniers alexandrins de Julia Domna (RIC voyés par les dieux châtiant l’hybris humaine (Niobi- IV 1, 174 no. 612 A), c’est une Vesta assise à gauche qui des) ou inspirés par les dieux (Oreste), afin de venger tient le Palladium, et non pas Pietas, malgré la légende l’infidélité meurtrière: »deis auctoribus«, pour repren- (p. 250). Les monnaies de Trajan, d’Hadrien et d’Anto- dre les mots de Juvénal. nin le Pieux représentaient déjà ainsi la déesse gardienne Il faut assurément réagir contre le parti pris qu’on du foyer romain. eut jadis de vouloir à tout prix faire coïncider l’image Le cycle d’Iphigénie occupe le couvercle de l’exem- avec un texte. Plus récemment, on eut aussi le tort de plaire issu de la Tombe de la Méduse. Dans cette frise, le privilégier une »Quellenforschung« orientée quasi ex- sanctuaire figure à gauche; sur la cuve, le trépied delphi- clusivement sur l’art grec classique ou hellénistique, au que à droite: axe des lieux sacrés inverse de celui qui lieu de repenser les sarcophages dans leur environne- nous montre l’ombre d’Agamemnon à gauche sur la ment romain et de les comprendre en leur temps: mais cuve, Iphigénie voilée à droite sur le couvercle. Ce comment? L’exégèse »structuraliste« des images n’est pas »chiasme« autorise-t-il à croire que la vierge vogue en sans faire trop belle la part des visions arbitraires. En ré- mer, comme un mort sur le Styx? J’hésite à m’engager alité, il s’agit d’analyser la composition des bas-reliefs en sur ce terrain scabreux que mine une tentation structu- tenant compte des moindres variations d’une décennie raliste. à l’autre dans l’évolution du style et de la »mise en Quelle image avait Oreste dans la littérature ro- scène«. Une explication d’Oreste sur les sarcophages ne maine? C’était un sujet de déclamation pour l’entraîne- va pas sans une étude attentive de la facture et de l’art ment des jeunes rhéteurs à la défense des causes diffi- perceptibles sur ces monuments durant moins d’un ciles. Significative surtout me paraît l’expression de demi-siècle. Ce qui n’est pas fait. Or la façon dont on Juvénal, qui allait au théâtre: »ille deis auctoribus ultor / traite un sujet peut être signifiante. patris erat caesi media inter pocula« (Iuv. 8, 216–217). D’autre part, les marbriers (ou les responsables des Oreste a tué »à l’instigation des dieux«, pour obéir à cartons qu’ils devaient avoir sous les yeux) n’étaient l’oracle d’Apollon. Cicéron, qui cite son cas (Pis. 47), vraisemblablement pas influencés par le texte des tragé- dit bien que »les dieux font terrifier les criminels par les dies classiques à l’époque antonine. Du théâtre grec, on torches des Furies« (ibid. 46). Mais on a l’impression ne savait alors que les adaptations jouées sur les tréteaux qu’au temps des sarcophages Oreste a la grandeur tragi- romains, versions plus ou moins simplifiées pour un que d’un justicier victime du destin. public sensible à la chair et au sang. Les marbriers eux- J’ai peine à reconnaître sur l’exemplaire du Viminal mêmes devaient en avoir la mémoire toute fraîche. Cer- ces valeurs proprement familiales que violent les ravages tes, de ce théâtre romain réinterprétant les drames grecs de l’amour-passion dans le cas de Clytemnestre, brisant nous ne sommes guère informés – en dehors d’allusions la fides de l’union conjugale qui les sous-tend au regard éparses et de certaines fresques pompéiennes – que par des Romains (à en juger, du moins, par les nombreux ce que nous en disent Lucien dans son De saltatione ou sarcophages à dextrarum iunctio). Je ne suis pas con- Apulée dans ses Métamorphoses (10, 29–34). Mais ce vaincu non plus qu’on doive déchiffrer dans les trois théâtre populaire faisait plus d’effet sur les gens que la cuves de la Tombe de la Méduse la même cohérence que lecture d’Eschyle, Sophocle ou Euripide. Une grande 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 363

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part, je crois, de l’imagerie sépulcrale romaine transcrit funts qui tiennent pour beaucoup d’entre eux une place les impressions directes ou indirectes de ces pantomi- importante dans la société, et qu’elles portent donc une mes à grand spectacle. C’est, par exemple, le cas des signification forte; mais aussi d’un point de vue histo- sarcophages illustrant les amours de Vénus et de Mars riographique, puisque ce sont les travaux fondamentaux surpris par les Olympiens: voir Lucien De saltatione 63 que Gerhard Rodenwaldt leur a consacrés qui ont large- (II p. 162, 11–17 Jacobitz). La marque du théâtre se ment contribué à façonner la vision que nous avons vérifie dans la composition des faces antérieures. Je n’ai aujourd’hui encore de ce domaine spécifique de l’art pas lieu d’y revenir ici. Mais beaucoup de panneaux a romain. priori confus ou déconcertants peuvent s’expliquer en Soulignons d’emblée la qualité matérielle du volu - relation avec un modèle scénique, aussi prégnant qu’au- me, qui ne surprend pas (elle est conforme à celle que jourd’hui les séries télevisuelles. l’on trouve dans l’ensemble de cette série), mais qui Les aventures d’Oreste, tû perì tón cOρésthn dρù- est ici particulièrement évidente dans le soin apporté à mata (Lukian. Salt. 46, ibid. p. 159, 13–14 J.) avaient leur l’illustration: 672 figures d’excellente qualité, qui per- place dans ces représentations, et le même Lucien mettent au lecteur de prolonger l’analyse de chaque (Dom. 23, ibid. III p. 191, 4–5 J.) qualifie bien son drame œuvre, un certain nombre étant regroupées en de très de dicai

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La série est relativement nombreuse, sans être totale- tre sur plusieurs sarcophages à strigiles. Reinsberg fait ment homogène, puisque les différents schémas icono- bien apparaître que, davantage encore que le mariage, graphiques qui composent ces reliefs ne se combinent c’est la caractérisation du défunt comme citoyen qui pas toujours de la même manière, comme l’a bien fait est le point central de ces monuments. Il s’agit donc observer l’auteur, et qu’on peut distinguer des assembla- d’une série qui est liée, bien plus que d’autres, à une élite ges sensiblement différents les uns des autres: il suffit de sociale, et qui paraît limitée à Rome; nous avons vu ce- placer côte à côte le sarcophage de l’annone (no. 82), pendant qu’on rencontre des exceptions. C’est à partir celui d’Acilia (no. 88), celui de Mantoue (no. 33) et celui de ces deux constatations que l’auteur a organisé le ma- du Vatican (Cortile du Belvédère, no. 152), sans parler, tériel à sa disposition, en distinguant trois sections: un bien évidemment des sarcophages à strigiles et de ceux premier groupe sur lequel apparaissent à la fois des scè- à décor architectural, qui reprennent des groupes de nes liées au mariage et d’autres dans lesquelles le personnages empruntés aux exemplaires à frise conti- défunt apparaît en chef militaire (»Feldherrn/Hoch- nue. Mais il est revenu à l’auteur d’avoir parfaitement zeits-Sarkophage«); un deuxième groupe dans lequel ordonné cette masse de documents. le couple est représenté au moment du mariage ou Nombreuse, cette série réunit également plusieurs dans une scène de sacrifice (»Hochzeits/Opfer-Sarko - pièces de grande importance, qui constituent autant de phage«), un troisième enfin dans lequel sont représen - jalons dans l’histoire de l’art romain: celui d’Acilia, déjà tés le cortège d’un magistrat et une femme en orante mentionné, celui dit des deux frères, à Naples, le sarco- (»Magistrat-Orans-Sarkophage«). Ce dernier groupe, phage de Balbin, pour en citer quelques-uns, tirent leur auquel Rodenwaldt avait consacré des pages capitales, importance à la fois de leur valeur plastique, souvent compte quelques pièces de grande importance (sarco- remarquable, des symboles qu’ils portent et des person- phage »des deux frères«, d’Acilia et du musée Torlonia); nages qu’ils concernent. On aurait pu d’ailleurs penser c’est aussi le plus complexe, dans la mesure où l’unité que cet ensemble rassemblé sous l’appellation de »Vita thématique apparaît moins aisément: Reinsberg con - romana«, en raison même des images qu’il offre et de la sacre donc deux développements à définir quels magis- qualité de plusieurs des défunts qu’il abrite, ne trouve- trats sont ici représentés et à justifier la cohérence de la rait sa source que dans les ateliers de Rome. Curieuse- série (p. 129–131). ment, ce n’est pas tout à fait le cas, comme le prouve un Le deuxième groupe est celui qui apparaît le plus tôt, sarcophage de Palerme (no. 66), très tardif il est vrai autour du milieu du deuxième siècle, pour disparaître (360–380), très marqué dans son traitement: l’artisan, une cinquantaine d’années plus tard: l’attestation la tout en reprenant des modèles de l’Urbs, manifeste plus récente en est un fragment de couvercle de la villa qu’il ne possède guère d’expérience dans le domaine de Albani, datable des alentours de 200 (no. 124). Les sar- la sculpture. Il s’agit sur le plan iconographique d’une cophages représentant des officiers sont à peine moins intéressante combinaison que l’on rapprochera, avec précoces: dès les années 160, la thématique est bien Reinsberg, du sarcophage de Liverpool (no. 25). A Pa- établie, et elle se prolonge de manière assez régulière lerme, le couple d’époux est placé dans un contexte »in- jusqu’à la fin du quatrième siècle: c’est un sarcophage tellectuel« qui combine Muses et Philosophes: la musi- d’Arles (no. 3) analogue à un exemplaire plus ancien de que à l’épouse, la philosophie au mari. Mais quelques Tipasa par la structure de sa face principale, qui est le autres exemples montrent bien qu’il s’est parfois pro- plus tardif. Il est bien connu puisque ses deux faces laté- duit des »dérapages«, des usurpations d’images, dans le rales présentent des images chrétiennes; mais on note à cas notamment de Gaius Statius Celsus, judicieusement son propos que le côté militaire de l’iconographie est analysé par l’auteur (p. 154): ce »scriba«, modeste magis- plutôt discret, et ne tient en fait qu’au costume du trat de la province d’Africa, reprend à son compte un défunt (tunique et chlamyde) dans l’une des scènes. schéma iconographique réservé à de plus hauts person- Quant au troisième groupe, il n’apparaît guère avant nages. Il y a là un intéressant sujet de réflexion sur la toute fin du deuxième siècle pour durer jusqu’à la fin l’accès aux images et sur leur valeur dans le monde du quatrième siècle, avec une faveur particulière dans romain. les années 240–270 ; l’exemple le plus tardif, le dernier L’introduction du volume, relativement brève, a une de l’ensemble des sarcophages consacrés à la vita ro- double orientation: historiographique, comme nous mana, est en fait un petit côté d’un sarcophage chrétien l’avons signalé plus haut, s’attachant à rappeler les éta- »à portes de ville« (cathédrale de Mantoue, no. 32). pes de la réflexion sur ces monuments, mais aussi thé- Cette répartition, qui repose sur une analyse fine de matique: il s’agit en effet de définir ce que l’on doit en- la part de Reinsberg des différents groupes iconographi- tendre par la »vita romana«: les sarcophages traités par ques, paraît très satisfaisante, même si aux marges entre l’auteur étaient autrefois regroupés pour la plupart sous les trois groupes la distinction est quelquefois délicate. le terme de »Hochzeitsarkophage«, soulignant ainsi que La longue durée du premier groupe (»Feldherrn/Hoch- les images liées au mariage faisaient l’unité de la série, zeit«) permet de suivre l’évolution de son décor sur près qu’elles constituent un thème central ou secondaire des de deux siècles et demi, sous tous ses aspects: en une reliefs et que le couple manifeste son union dans une frise narrative très dense, à Mantoue (no. 33) ou à Fras- scène de dextrarum iunctio ou que l’époux et l’épouse cati, ou sur des reliefs structurés par une architecture, soient répartis sur deux images, comme cela se rencon- comme à Arles, à l’intérieur de laquelle les images sont 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 365

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réparties en petites unités typologiques, comme sur les iconographique poussée pose en particulier le problème quelques exemplaires à strigiles. Mais les différences du réalisme de ces images qui illustre, en principe, des peuvent être grandes dans la conception de ces panne- actes de la vie réelle. Mais on doit souligner, avec l’au- aux, entre l’exemplaire de Mantoue qui conserve l’esprit teur (p. 66), que réalisme ne signifie pas représentation d’une composition narrative dense, à personnages mul- biographique. L’image représentée ne veut certes pas tiples, tous engagés dans une action, même s’ils se dire que les défunts l’ont vécue sous cette forme. Sur ce répartissent entre trois scènes, et celui de la catacombe point, l’auteur a d’excellentes formules. La même atten- de Prétextat (no. 73), le sarcophage dit de Balbin, où les tion aux schémas d’ensemble et aux détails se retrouve figures principales se réduisent à sept, beaucoup moins encore dans l’étude du dernier ensemble (»Magistrat- impliquées dans une action concrète et qui prennent Orans-Sarkophage«): il en ressort en particulier une im- par là même une force symbolique plus forte: c’est ce pression d’émiettement des modèles, qui se manifeste que l’auteur met en évidence avec pertinence (p. 65), par exemple dans le fait que les représentations du pro- faisant apparaître également que dans la seconde moitié cessus consularis sont réparties en pas moins de quatre du troisième siècle se manifeste une poussée vers l’ab- groupes. straction ornementale qui annonce l’art de l’Antiquité Ces sarcophages liés à la »vita privata« posent, plus tardive: ainsi sur les sarcophages sur lesquels le couple que d’autres, la question de la liberté des sculpteurs et est réparti en deux panneaux disposés aux extrémités, de leurs acheteurs devant les modèles: il y avait un cer- notamment autour d’une porte centrale, comme à Cor- tain nombre d’images obligées en raison de leur valeur, doue (no. 11). Reinsberg met aussi très judicieusement le sacrifice, les noces, la soumission des Barbares et au- en évidence le fait que plusieurs exemplaires de cette tres. Mais alors, comment pouvait-on les concilier avec série ont d’étroits rapports avec d’autres types: celui du le souci d’évoquer une vie particulière? Si l’on pense que Vatican, cortile du Belvédère (no. 152) – une scène de le défunt, avant sa mort, ou ses parents, avaient choisi soumission de Barbares – est étroitement lié avec une dans l’atelier une cuve déjà prête, l’aspect personnel est thématique exclusivement militaire, proche de celle de alors à peu près complètement gommé. Si l’on estime Néoptolème, telle que l’illustre, entre autres, une cuve en revanche que ces sarcophages représentent pour la du Museo Nazionale Romano (dont certains éléments plupart une commande particulière, on a du mal à com- se retrouvent aussi, comme l’avait montré Achille Adri- prendre également qu’il n’y ait pas davantage d’allusions ani, dans la toreutique): le thème du mariage a dans ce précises au défunt si l’on n’accepte pas l’idée que ces re- cas complètement disparu; mais la combinaison peut présentations ont une charge symbolique exception- aussi s’opérer avec des thèmes mythologiques, comme nelle: c’est bien ce qui est en filigrane derrière toutes les on le voit sur la très belle cuve de Berlin (no. 6), dont analyses, et qui ressort des vingt pages conclusives (p. une moitié est consacrée à la chasse d’Adonis. Une con- 170–190). On en retiendra tout particulièrement en naissance intime de chacun de ces sarcophages conduit effet les remarques qui sont présentées sur les liens pré- l’auteur à des observations très précises rassemblées cis avec la carrière des défunts, pour beaucoup des séna- ensuite dans une large et dense synthèse qui constitue teurs, plus rarement des chevaliers. Dans quelques cas, une véritable réflexion stylistique sur l’évolution des sar- pour le sarcophage dit de l’annone par exemple, il est cophages romains dans leur ensemble, et pas seulement même possible de reconnaître la fonction qui avait été de ceux consacrés à la »vita privata«. assumée. Mais on restera toujours prudent, puisque, C’est aux rapports entre les développements typolo- Reinsberg l’a bien mis en évidence, ces images peuvent giques et l’iconographie qu’est consacrée la deuxième être reprises par de plus modestes personnages. partie, la plus longue (130 pages). L’auteur entreprend Au total donc, c’est à bien des égards un volume-clé là, type par type, un examen de chaque groupe icono- qui est publié ici. Il faut savoir gré à l’auteur de lui avoir graphique, à la manière de ce qu’avait fait Richard Bril- donné toute la qualité qui s’imposait. Cette publica- liant il y a près d’un demi-siècle. Le groupe du mariage tion, qui honore l’éditeur, c’est-à-dire l’Institut archéo- trouverait ainsi ses modèles les plus anciens sur des logique allemand, démontre, si besoin en était, l’impor- monnaies émises à l’occasion du mariage en 145 de Marc tance de la série des »Antike Sarkophagreliefs« pour Aurèle et de Faustine, qui constitueraient un terminus l’histoire de la sculpture romaine, mais aussi pour l’his- post quem pour la série. Nous ne sommes pas tout à fait toire de la société. On ne peut que souhaiter ardem- convaincus, pour notre part, qu’il faille nécessairement ment qu’elle poursuive son existence, pour parvenir à chercher là l’origine du schéma: si l’on peut penser qu’il son terme dans les meilleurs délais. apparaît autour de 140, il serait peut-être plus prudent de considérer que les monnaies en question n’en repré- Paris François Baratte sentent que la première attestation datée. L’auteur met également en valeur les variantes iconographiques, par- fois légères, mais néanmoins significatives. Mais Reins- berg souligne à juste titre (p. 78) les questions que pose le groupe central de cette série : la dextrarum iunctio, Simon Keay, Martin Millett, Lidia Paroli und Kristian comme d’autres chercheurs l’ont déjà remarqué, n’ap- Strutt mit zahlreichen Beiträgen weiterer Forscher, Por- paraît jamais dans les sources littéraires. Cette analyse tus. An Archeological Survey of the Port of Imperial 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 366

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Rome. Archaeological Monographs of the British Hafens oder der einzigartigen Achteckform des trajani- School at Rome, Band 15. Alden Group, Oxford 2005. schen. 360 Seiten, 1 Faltplan, 109 Fotografien, 121 überwiegend Lidia Paroli stellt im Folgenden die wesentlichen Li- ganzseitige Pläne und Grafiken, 26 Tabellen. nien der Dokumentation zu Portus seit der Renaissance vor (S. 43–59). Anders als in vielen Häfen herrschte dort Die hier besprochene Studie zu Portus, dem wichtigs- eine Nutzungskontinuität bis ins Mittelalter vor, so dass ten Hafen Roms, ist in neun Kapitel aufgeteilt, die gerade den frühesten Plänen des sechzehnten Jahrhun- der Feder verschiedener Autoren entstammen und sehr derts ein beachtlicher Zeugniswert zu Strukturen zu- unterschiedliche Aspekte berühren. Daher scheint es kommt, die heute nicht mehr erhalten sind. Die sehr angeraten, diese Kapitel als autarke Einheiten zu be- informative Skizze beinhaltet darüber hinaus die we- sprechen. sentlichen Stationen der Entwicklung vom antiquari- Es sei als Gesamteindruck vorweggenommen, dass schen zum wissenschaftlichen Forschungsinteresse, was die Publikation dem umfassenden Anspruch an eine sich auch gut anhand der Genese der älteren Plan- Städtemonographie, den der Titel suggeriert, vollauf ge- grundlage verfolgen lässt. Problemfälle der Deutung recht wird: Die Kenntnis der Topographie von Portus wie die Struktur und Funktion des sogenannten Palaz - wird tatsächlich auf eine neue Grundlage gestellt, die zo Imperiale oder die genaue Lokalisierung eines halb- vorwiegend auf den geophysikalischen Prospektionen runden Baus mit theaterähnlichem Grundriss (Abb. des Autorenteams und mehrerer Mitarbeiter basiert, 5.23; 8.15) – man denke an die sehr ähnliche Exedra in aber auch auf der Auswertung von Luftbildern und den Ostia, Regio I XII 3 – können exemplarisch zeigen, wie Ausgrabungen der Sopraintendenz von Ostia an der deutlich sich die ältere Plangrundlage zum Teil vom Basilika von Portus. Die Hafenstadt kann bezüglich Plan Italo Gismondis unterscheidet, der ersten nach ihrer Form, ihres architektonischen Anspruchs der heutigen Maßstäben brauchbaren Karte des Terrains Gründungsphase sowie ihrer Fortentwicklung mit kon- (Abb. 3.5; 3. 6). Der gut strukturierte Überblick ergänzt tinuierlichem Übergang ins Mittelalter als einzigartig die reicher bebilderten älteren Studien zu Portus wie gelten. Bislang war die Stadtstruktur von Portus auf etwa V. Mannucci, Il parco archeologico naturalistico Grund der nur ungenügend dokumentierten Grabun- del Porto di Traiano (Rom 1996) 18–27. Als Quintessenz gen des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhun- fällt auf, dass Portus trotz seiner formalen Einzigartig- derts jedoch kaum auswertbar. Der hier erstmals vorge- keit und großen historischen Bedeutung bislang über- legte Stadtgrundriss auf Basis des magnetometrischen raschend spärlich behandelt wurde. Dies stellt um so Befunds lässt zwar per se nur eingeschränkte Aussagen deutlicher die Notwendigkeit der vorliegenden topo- zur Chronologie zu, erweist sich aber als äußerst aus - graphischen Studie heraus. sagekräftiges Gesamtbild, um urbanistische Muster zu Der nächste Abschnitt leitet zum Hauptteil der verstehen sowie die Grenzen und die Dichte der Sied- Arbeit über (S. 61–69). Das Autorenteam von Simon lungsaktivitäten zu bestimmen. Der so erfasste Gesamt- Keay, Martin Millett und Kristian Strutt sowie eine und Endzustand der Stadtentwicklung ist eine zwar Reihe weiterer Mitarbeiter stellt die verwendeten Me- idealisierende, aber gleichwohl unverzichtbare Grund- thoden der Untersuchung zu Portus vor. Nochmals lage, um durch zukünftige Sondagen, Grabungen und wird die Forschungsgeschichte – vor allem zum Karten- Bauaufnahmen die wichtigsten Bauten gezielt auf ihre material – berührt: Auch neuere Detailpläne zu den er- Nutzungsgeschichte hin stratigraphisch erforschen zu grabenen Bereichen von Portus wurden bislang nicht können. vereinheitlicht, die Plangrundlage musste daher grund- Der sehr informativen und gut strukturierten Ein - legend neu konzipiert werden. Die technischen Spezi- leitung von Simon Keay, Martin Millett und Helen Pat- fikationen des geophysikalischen Surveys werden ge- terson zur Fragestellung und Arbeitsorganisation im nauso wie die Prämissen der Geländebegehung auf acht ersten Kapitel folgen wichtige Hintergrundinformatio - Seiten ausführlich gewürdigt. nen zum Verständnis der Stätte im zweiten: Einem kur- Vom selben Autorenteam folgt die Vorstellung der zen historischen Überblick schließt sich Antonia Arnol- Ergebnisse der geophysikalischen Surveys (S. 71–171), dus-Huyzendvelds Analyse der geologischen Formatio- die auch auf der Arbeit einer Reihe von weiteren Mit - nen in der Region um Portus an, die sich vor allem aus arbeitern beruhen. In sehr übersichtlich strukturierter neueren Untersuchungen der Sopraintendenz von 2001 Abfolge wird der Leser auch ohne Vorkenntnisse in die und 2002 speist (S. 14–30). Als Abrundung des Kapitels hier erstmals zusammenhängend dokumentierte Topo- dient ein weit gefasster Blick auf die Bedeutung des graphie der Stätte eingeführt. Dazu dient zunächst eine Tibers und der Getreidehäfen Roms, so vor allem des Karte mit tabellarischem Überblick (S. 72 f.) zur Auftei- nur fünf Kilometer entfernten Ostia (S. 30–42). Fausto lung und Benennung der von 1997 bis 2004 untersuch- Zevi zieht in seinem Beitrag auch andere kaiserliche ten Gebiete, wobei die innerstädtischen als Areale, die Großprojekte bis hin zur Trockenlegung des Fuciner peripheren als Zonen bezeichnet werden. Es schließt Sees in Vergleich zu Portus und erarbeitet damit ein ein beschreibender Teil mit Karten der insgesamt vier grundlegendes Verständnis, wie über die reine Funk - Zonen im etwas ungewöhnlichen Maßstab von 1:3000 tionalität hinaus der Herrschaftsanspruch Roms visua- und zwanzig Areale (Maßstab 1:1500) an, der sich auch lisiert wurde, etwa anhand der Größe des claudischen im Druckbild möglichst unmittelbar an den Plänen 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 367

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orientiert (S. 75–171): Die recht unregelmäßig abfol- den, weil zwischen der modernen Via Portuense und gende Einfügung der Pläne in den Fließtext erweist sich dem Tiber bislang noch keinerlei Forschungen statt - nach anfänglichem Vorbehalt als sehr praktisch. Her- fanden. Gerade dieser Teil ist jedoch besonders inten - vorzuheben ist ferner die Gegenüberstellung der oft siver agrarischer Nutzung und Raubgräberaktivität aus- recht heterogenen magnetometrischen Befundbilder gesetzt. mit ihrer Auswertung, also den neugefertigten Plänen Bei diesen Prämissen wird klar, dass es nur sehr ein- als dem hier präsentierten Herzstück der Arbeit. Je nach geschränkt möglich sein kann, aus der Verteilung des verwendeter Filtereinstellung kann sich die Reduktion Fundmaterials Aussagen zur Nutzung der prospektier- und Deutung der Information als graduell weniger ver- ten Bauten zu gewinnen. Im Verhältnis zu den durch trauenswürdig bis irreführend erweisen, eine Gegen- das Luftbild oder die Prospektionen bekannten Bauten überstellung wie hier praktiziert lässt auch den kriti- ist auffällig, dass besonders dichte Konzentrationen von schen Leser – soweit es bei vertretbarem drucktech - Funden gerade jenseits der Gebäudegrenzen auftraten. nischen Aufwand eben geht – an der Herleitung der So verwundert bereits beim ersten Blick der überra- Grundrisslinien teilhaben. Mit einer weitgehend ent- schend gleichmäßig gestreute Befund im Plan (Abb. schlackten Legende wird ebenso einfach wie klar visua- 5.67) auch in nachweislich nicht bewohnten Arealen, lisiert, wo dem Befund zu trauen ist, wo Störungen die zum Teil als Nekropolen dienten, zum Teil jedoch auftraten oder sichtbare Strukturen den Befund der Freiflächen bildeten. Letztere waren zwar nicht bebaut, Prospektionen ergänzen können. Als einziger Kritik- könnten aber zumindest einer abusiven Nutzung aus - punkt fällt auf, dass die fotografische Dokumentation gesetzt gewesen sein, etwa als Müllhalden. Offenbar überwiegend verzichtbar bleibt, was den blassen Druck rekurriert der Befund daneben zudem auf die intensive und die fast durchgehend geringe handwerkliche Qua- Landwirtschaft und lange Beraubungsgeschichte an lität der Aufnahmen betrifft. Das ist vor allem deshalb dieser Stelle. Die Erklärung des Plans erweist sich zu- zu bedauern, weil so die deutlichen Qualitäten der mindest für manche Ausschnitte durchaus als problem- Publikation zumindest beim ersten Durchblättern un- bewusst (S. 157–159): »However, their distribution does nötig relativiert werden. Zur Visualisierung des Status coincide broadly with the pattern of geographical ano- quo sei auf die deutlich besseren Fotografien etwa bei malies indicative of heavily disturbed structures.« Mannucci a. a. O. 54–78 verwiesen, der unter anderem Es ist selbstverständlich, dass alle aufgenommenen auch ältere Luftfotografien zum Stadtgebiet von Portus Materialgruppen bearbeitet sind: Der nächste Ab- präsentiert. schnitt ist dementsprechend den Fundmünzen, Ziegel- Eine wesentliche Grundlage zur Deutung des vor- stempeln, Marmorobjekten, Glasfunden und der Kera- städtischen Terrains liefern bislang unpublizierte Luft- mik gewidmet (S. 173–239). Verzichtbar erscheint – mit fotografien, die durch einen Zufall der Vegetationsent- Ausnahme der Keramik – allerdings die rastergenaue wicklung außergewöhnliche Resultate lieferten und hier Auswertung ihrer Verteilung, weil es sich um geringe dankenswerterweise erstmals großformatig abgedruckt Stückzahlen handelt, wobei den Einzelstücken eine um werden. Zu Recht ist dieser Evidenz eine ausführliche so überraschendere Würdigung vor allem im fotogra - Erörterung gewidmet (S. 135–156). Den Höhepunkt bil- fischen Teil zukommt. det ein methodenkombinierter Plan (Abb. 5.65). Es er- Die einzige etwas grundlegendere Kritik muss daher scheint als ein kleiner Wermutstropfen, dass die visuelle weniger an der Konzeption des topografischen Surveys Integration zusätzlicher Grabungsbefunde zumindest an sich als an der Darstellung und Gewichtung seiner in ihrer Umzeichnung einen adäquaten Detailreichtum Ergebnisse ansetzen – wiederum seien dabei die Kera- vermissen lässt (Abb. 5.66). mikbefunde ausgenommen. Auch bei den Fotografien Es schließen sich die Ergebnisse der Begehungen an hätte man sich eine etwas andere Gewichtung ge- (S. 157–172). Der hier verfolgte topographische Survey wünscht, um die fast durchwegs ausgezeichnete Plan- scheint vielversprechend, auch wenn einige äußere Fak- grundlage des magnetometrischen Befunds noch besser toren seine Aussagekraft bereits im Vorfeld zwangsläu- veranschaulichen zu können. So sehr man aber zu den fig relativierten: So war es unter anderem wegen der zentralen Prospektionen vergeblich brauchbare Über- Vegetation nicht möglich, die gesamte Fläche einheit- blicksfotos zum Status quo der Ruine sucht, so aus - lich zu untersuchen. Da es sich um eine sehr unter- giebig widmen sich fotografische Abbildungen den In- schiedlich dichte Verbreitung und in einigen Arealen schriften und Ziegelstempeln, deren Informationswert zudem um zu zahlreiche Oberflächenfunde handelte, sich völlig ausreichend im Text abhandeln ließe. als dass diese vollständig aufzunehmen gewesen wären, In dieser Hinsicht fallen hier auch zunächst einige wird von den Initiatoren der Begehungen ferner eine Pläne auf, deren Aussage wenig überraschen kann: So Beschränkung auf aussagekräftige Stücke propagiert. ist der Abb. 5.73 beispielsweise zu entnehmen, dass Das wird bereits eingangs im Buch überzeugend darge- Basalt hauptsächlich in Straßennähe gefunden wurde, legt (S. 67–69). Der für Begehungen zugängliche Teil während Tesserae, Wandputz und Knochen als Neben- liegt außerhalb des eigentlichen Areals von Hafen und effekte der Raubgräberei vor allem aus den scheinbar Stadt, das als Ganzes durch einen spätantiken Mauer- bauleeren Arealen stammen, die als Nekropolen be- ring gekennzeichnet ist. Dennoch scheint die Wahl nutzt wurden (Abb. 5.75 bis 5.77). Auch die geringe An- des Areals einen Glücksfall für die Forschung zu bil - zahl der Fundmünzen rechtfertigt eher einen knappen 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 368

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Katalogeintrag als eine eigene Behandlung (S. 173–177). haft gewonnenem Material gegenüberste hen. Auch Ihr Datierungsspektrum legt »unsurprisingly« nahe, dass die Auswertung der Art, Verteilung und Dich te der es einen »continuing supply of bronze coins down to Marmor- und Buntmarmorfunde (S. 185–191 Abb. 6.22; the 430s« gegeben habe. Gerade im Kontext von Portus, 6.23), der skulpierten Fragmente (S. 193–202 Abb. 6.24) das als Hafen bis ins neunte Jahrhundert hinein in oder der Inschriftenbruchstücke (S. 203–207 Abb. 6.52) Funktion blieb, wäre die Frage nach Kontinuität oder gerät rasch an die Grenzen der Methode von Begehun- Zäsur für die Zeit nach 430 weit drängender: Hier in gen. Ein Blick auf das besser erforschte Ostia mag die Portus entstand zumindest nach der Wende zum fünf- Problematik belegen, Erkenntnisgewinn zur Nutzung ten Jahrhundert noch eine neue Stadtmauer, während des Areals oder anspruchsvolle Deutungen auf Basis die spätkaiserzeitlich renovierte Befestigung im nur auch von erheblich größeren Stückzahlen insbesondere fünf Kilometer entfernten Ostia im fünften Jahrhun- aus einem Areal zu ziehen, das bereits der spätantiken dert nicht mehr wiederhergestellt wurde. Selbst für Spoliengewinnung und danach für Jahrhunderte unge- Ostia, das von der direkten Handelsverbindung unter schützt Witterung, Raubgräbern und Ackerbau ausge- anderem durch die Unbenutzbarkeit des linken Tiber- setzt war: Auch Inschriften aus eindeutig sepulkralem arms damals bereits längst abgeschnitten war, ist durch Kontext fanden sich in Ostia beispielsweise fast in der eine große Anzahl von Fundmünzen aus älteren Gra- gesamten Innenstadt. Das lag einerseits an der spätanti- bungen eine kontinuierliche Verbreitung von Geld - ken Wiederverwertung, sei es als Pflas terung oder Füll- stücken zumindest bis zur Mitte des Jahrhunderts be- material, andererseits an ihrer nicht dauerhaft geplan- legt. Kann die Aufgabe des vorstädtischen Areals, das ten Zwischenlagerung im Einzugsbereich von Kalk- in diesem Survey untersucht wurde, also analog zu den öfen. Ohne eine Flächengrabung ist die Unter scheidung Vorgängen in den tibernahen Stadtvierteln in Ostia aus zwischen primären und sekundären Verwendungszu- dem Fehlen späterer Münzen geschlossen werden? Exis- sammenhängen von Fundstücken also nicht möglich. tiert ein Zusammenhang mit dem Bau der sogenannten Betrachtet man aber alle Funde des Surveys, dann kann Konstantinischen Stadtmauer? man zumindest einen ungefähren Überblick zur Sied- Ein auch für die breitere historische Perspektive be- lungsdynamik in diesem bislang noch nie untersuchten sonders interessanter Hortfund aus Portus, der vanda - Areal von Portus gewinnen: Die Vorstadt lässt sich lische Münzen enthielt, wird hier zwar zitiert (S. 177), damit an die bisherige Kenntnis zum innerstädtischen man vermisst in diesem Kapitel jedoch die Einbindung Areal anschließen, mit den Worten der Bearbeiter: »The der Ergebnisse in einen größeren Rahmen. Historische material from the survey enriches what is known al - Fragen lassen sich nur vor dem Hintergrund der Auf - ready from the analysis of excavated contexts in the arbeitung aller Münzfunde, auch derjenigen aus Alt - urban area of Portus« (S. 209). grabungen klären, die sich mit konkreten Gebäuden und Die hier vorgestellten Reste, die leider sicherlich nur ihrer stratigraphischen Einbindung verbinden lassen einen Bruchteil dessen widerspiegeln, was Raubgräber und so Aussagen etwa zu Nutzungszeiträumen und Ein- hier zutage fördern, geben insgesamt einen deutlichen sturzzeitpunkten ermöglichen. Eine kulturhistorisch- Anhalt, dieses vergessene Areal um Portus ins allge- urbanistische Bewertung der reichen Evidenz früherer meine Bewusstsein zurückzurufen und als schützens- Grabungen bleibt diesbezüglich auch nach den hier vor- wert zu begreifen. Womöglich kann in nicht allzu ferner gelegten Surveydaten unabdingbar, die zumindest zu Zukunft der hier erstmals für die Wissenschaft erschlos- solchen Fragen keine weiterführend brauchbare Mate - sene Bereich am Tiberufer gesichert und einer systema- rialgrundlage liefern konnten. tischen Erforschung zugeführt werden, um die dort in Ähnliches gilt für die Ziegelstempel, die beim Survey beispielhafter Dichte geballten vorstädtischen Bauten zutage traten (S. 177–185). Insbesondere auf Grund besser verstehen zu können, bevor diese weiter geplün- ihrer spärlichen Anzahl (Abb. 6.5) und problematischen dert werden. Zuordnung zu einzelnen Bauten eignen sie sich kaum Die genannten Kritikpunkte an der tendenziell für komplexe Betrachtungen: Die These, dass Portus wenig zielorientierten und selbstläufigen Fundauswer- auf anderen Versorgungswegen durch Baumaterial be- tung mussten hier im Sinn einer Rezension etwas aus- liefert worden wäre als das nahe gelegene Ostia (S. 183), führlicher behandelt werden, sie sind jedoch keineswegs wäre von grundlegendem Interesse, kann jedoch auf Basis repräsentativ für das Gesamtbild: Die Kritik setzte an der wenigen Ziegelfunde und ihrer heterogenen Her- der internen Gewichtung und Präsentation eines etwa kunft von mehreren bislang unbekannten Bauten wohl dreißigseitigen Teils (S. 173–207) innerhalb der anson- nicht überzeugend vertreten werden. Entsprechend sten exzellenten Studie von knapp vierhundert Seiten anspruchsvolle Überlegungen wurden bislang vor allem an. Davon bleibt die grundlegende Leistung der Arbeit auf Material aus Ostia angewandt, wo auf Grundlage unberührt, die zum einen und vor allem auf den geo- der Flächengrabung Tausende von Ziegelstempeln physikalischen Prospektionen und ihrer vorbildlichen exakt kontextualisiert sind. Besonders die neueren Bau- Präsentation und Auswertung beruht, zum anderen untersuchungen von Janet DeLaine konnten dabei eine aber auch auf einigen sehr wertvollen Beobachtungen oft sehr individuelle Komplexität der Bau vorgänge er- zur Fundkeramik (S. 207–239), die ebenfalls aus dem weisen, eine Vorgehensweise, der im besprochenen vorstädtischen Areal bis zum Tiber stammt. Einer der Band verallgemeinernde Schlüssen aus sehr ausschnitt- vielen Vorzüge der Studie, ihre Vielfalt und konzeptio- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 369

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nelle Breite, kommt auch den Begehungen zugute, was Weise, die Zusammensetzung des Materials zielgerich- zumindest diese Gruppe von Fundmaterial betrifft: teter aufzuarbeiten und auch konkrete stadtgeschicht- Ganz im Gegensatz zu den anderen Materialgruppen liche Fragen einzubinden. ermöglicht die Keramik bereits auf Grund ihrer Menge Die eigenen und neuen Untersuchungen durch das – 1583 überwiegend zur Gefäßidentifikation geeignete genannte Autorenteam und seine Mitarbeiter werden in Fragmente – repräsentative Aufschlüsse, die sowohl zu einem weiteren Teil durch einen Überblick über »other den vorstädtischen Arealen, aber auch zu ganz Portus recent fieldwork« ergänzt (S. 241–268). Diese konzep- Aussagen erlauben und auch für die Import- und Nach- tionelle Erweiterung der Perspektive der Oberflächen- frageentwicklung im Raum um Portus über bereits be- surveys auf bisherige Grabungsbefunde wird dem um- kannte Einzelstudien deutlich hinausgehen. Nicht zu fassenden Obertitel des Bandes gerecht. Zwar wurde Unrecht ist der Keramik daher auch der größte Teil des der Beitrag von Lidia Paroli zu den Ausgrabungen der Kapitels zum Fundmaterial gewidmet. Basilika von Portus als Teilbereich weiterer Grabungen Die chronologische Auswertung wird durch eine all- bereits an anderen Stellen auszugsweise publiziert – gemeinere Synthese gekrönt (S. 238 Abb. 6.84). Auch etwa gleichzeitig mit der vorliegenden Studie: A. Gal- wenn man berücksichtigt, dass die Aussagekraft der lina-Zevi / R. Turchetti (Hrsg.), Le strutture dei porti Oberflächenfunde sich vor allem auf die letzten und e degli approdi antichi (Soveria Mannelli 2004) 233– wichtigsten Siedlungsepochen beziehen, also die hohe 266 –, er bietet aber vor allem Einblicke in Stratigraphie Kaiserzeit und die Spätantike, bleibt doch ein brauch- und Stadtentwicklung, die einem Survey per se nicht barer Überblick, der sich mit vielen anderen Befunden möglich sind. So macht die enorme Aussagekraft der parallelisieren lässt, zum Teil auch aus der weiteren Befunde Vorfreude auf zukünftige ergänzende Gra- Region um Ostia. Umso mehr wäre eine genauere Her- bungstätigkeit auch an anderen Stellen in Portus. An leitung von Interesse, inwiefern der Höhepunkt der Stelle von Grabungen wären ferner auch räumlich be- Funddichte an Feinware um 400 erreicht wurde und grenzte Sondagen zum besseren Verständnis vieler De- die Kontinuität afrikanischer Importe auch noch das tails der geophysikalischen Untersuchung extrem viel- fünfte Jahrhundert bestimmte – ein ganz der späten versprechend, gerade was den Anteil spät- und nach- Blüte und neuen Funktion der Region geschuldetes antiker Umbauten betrifft, die im magnetometrischen Ergebnis, das seine beste Parallele in der spätantiken Befund erstmals sichtbar wurden, jedoch in ihrer Funk- Umwandlung des benachbarten Ostia von der Gewer- tionsweise und Abfolge vorerst zwangsläufig unklar bestadt zum Konsumzentrum und ›Elite-Resort‹ gefun- bleiben müssen. den hätte (Rez., Mitt. DAI Rom 111, 2004, 299–381). Die bereits erwähnte theaterähnliche Struktur (Abb. Als Kritikpunkt zur Keramikauswertung könnte 5.23; 8.15) oder die ebenfalls bereits im neunzehnten man einzig anmerken, dass der Betrachtungsrahmen Jahrhundert angegrabenen spätantiken Portiken (S. 295) mit seiner Zweiteilung in Late antique 1 (300–500) und wären Idealfälle für punktuelle und daher nur wenig 2 (500–700) gerade bei der spätantiken Materialdichte invasive Fundamentsondagen. Dadurch könnte die je- in der Region Portus etwas zu schematisch konzipiert weils wichtige Frage der Bauabfolge geklärt werden, zu scheint. Insbesondere der Charakter der zweiten Hälfte der bisher nur grundsätzlich einander widersprechende des fünften Jahrhunderts als Übergang würde eine Deutungen vorliegen. etwas anders gelagerte Konzeption von Kategorien er- Als exzellente Zusammenführung der Evidenz kann warten lassen, was offenbar auch aus dem Befund die eigentliche Auswertung von Keay und Millett gel- Abb. 6.84 selbst hervorgeht: Das Material gäbe, wenn ten. Sie ist in die Abschnitte »Integration and Discus- man die Spektren der jeweiligen Verwendungshori- sion« (S. 269–296) und »Portus in Context« (S. 297– zonte bei verschiedenen Materialgruppen genauer aus- 314) geteilt, und hier wird knapp und übersichtlich ein werten könnte, zumindest in Tendenzen innerhalb in vielen Aspekten grundlegend neues Bild von Portus einer weiteren Kategorie – etwa von 400 bis 550 – Auf- entworfen. Durch zukünftige Detailstudien lassen sich schluss, seit wann und wie rasch das vermutete vorstäd- auf der gut aufbereiteten Plangrundlage – mehr als das tische Siedlungsareal vor den spätantiken ›Mura Cos- hier bereits geschehen konnte – urbanistische Parallelen tantiniane‹ substantiell verlassen wurde. Hing das also zu Ostia oder anderen Hafenstädten einbetten. Vor Ort mit dem Mauerbau selbst oder etwa mit den bekannten können Fundamentsondagen die Kenntnisse der Strati- Plünderungen um 455 und 470 zusammen? Oder waren graphie sowie Abfolge und Funktion der einzelnen Bau- für das geringere Aufkommen später Fundstücke weni- ten näher klären helfen. Aber auch auf der hier bereits ger eine Siedlungskontraktion als tatsächlich überge- erarbeiteten Basis ist es zum ersten Mal für Portus mög- ordnete »changes in systems of unloading and storage« lich geworden, urbanistische und historische Fragen (S. 238) verantwortlich, die hier leider nicht näher zu stellen, zumindest zu jenem Zustand, der zuoberst exemplifiziert werden? Als Materialvorlage ist es zu lag und das hochkaiserzeitlich-spätantike Stadtbild be- begrüßen, wenn – wie hier geschehen – bei der Kon- trifft: Welche repräsentativen Gebäude gab es in Portus? zeption der Kategorien im Vorfeld der Begehungen Folgte Portus den im Italien der hohen und späten Kai- versucht wird, keine Ergebnisse vorwegzunehmen. Die serzeit üblichen Linien der Stadtenwicklung? Was fehlte ausführliche und gut strukturierte Präsentation erlaubt hier in Portus an Infrastruktur? Wie autonom war Por- so zumindest zukünftigen Studien in vorbildlicher tus in städtebaulicher Hinsicht also und welche zen - 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 370

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tralörtlichen oder administrativ-politischen Funktio- wissenschaftlich einzuordnen. Kaum eines der Stücke nen behielt Ostia für Portus auch in der Spätantike? ist größer als einen halben Meter in der maximalen Aus- Welcher Einschnitt für die urbane Funktion und regio- dehnung, das kleinste misst nur wenige Zentimeter. nale Prosperität bedeutete der Bau der spätantiken Faszinierend sind die Ergebnisse, die Kremer erarbeiten Mura Costantiniane? Inwieweit kontrastierten damals konnte. Es gelang ihr, einen Teil der Fragmente etwa noch repräsentative nichtsakrale Neubauten wie Porti- dreißig Statuen und Statuetten zuzuordnen, wofür ken oder Platzanlagen den urbanen Verfall? übrigens die Fundorte der Stücke im Heiligtum kaum Die ausgezeichnete Präsentation und grundlegende Hinweise boten. Wichtigere Hilfsmittel dafür waren Aufarbeitung der Resultate der geophysikalischen Sur- das Steinmaterial – überwiegend Kalksandstein und veys und der breite Blick auf die bisherige Forschung Sandstein, Marmor nur bei Kat. 1 –, die Proportionen wiegt bei weitem den eingeschränkten Aussagewert ei- und stilistische und handwerkliche Merkmale. Viele niger Materialgruppen der Fundanalyse auf. Das Buch Bruchstücke lassen sich trotz aller Bemühungen den- ist ohne Zweifel der beste Überblick zu Portus, den es noch nicht zuordnen. bislang gibt, und zugleich die schlechthin grundlegende Soweit es möglich ist, werden alle Fragmente in Studie zu seiner Topographie. Allein damit wird sie zu Zeichnungen von einem Fünfzigstel Größe (Abb. 32–60) einem Muss für jede altertumswissenschaftliche Biblio- und in Fotos dargestellt, einige, an denen Überzug- und thek. Farbreste erhalten sind, sogar in Farbe. Ausnahmen sind hier die beiden qualitätvollen Köpfe Kat. 2/6 (Taf. 6 Berlin Axel Gering und 7) und 15/1 (Taf. 38), die keine Farbreste aufweisen, sowie das Armfragment 8/2 (Taf. 28), das wohl wegen der Anstückung mit Bleiverguss so abgebildet wurde. Auf Grund der Inschriften war schon seit langem be- kannt, dass auf dem Pfaffenberg ein Jupiterheiligtum Gabrielle Kremer, Die rundplastischen Skulpturen. stand. Es überrascht daher nicht, dass die überwiegende Das Heiligtum des Jupiter Optimus Maximus auf Zahl der Skulpturen Statuetten im Schema des thro- dem Pfaffenberg/Carnuntum, hrsg. von Werner Jobst, nenden Jupiter sind. Neun von ihnen werden im ein - Band II. Der Römische Limes in Österreich, Heft 41, leitenden Text zeichnerisch rekonstruiert (Abb. 20; Sonderband 2. Verlag der Österreichischen Akademie 23–31). Der beliebteste Figurentypus zeigt den Gott mit der Wissenschaften, Wien 2004. 124 Seiten, 60 Abbil- nackten Unterschenkeln (S. 21 f.: Kat. 3 Abb. 25; Kat. 4 dungen, 72 teils farbige Tafeln. Taf. 13–15; Kat. 7 Abb. 28; Kat. 9 Abb. 30), eine sonst nicht sehr häufige Variante, die möglicherweise auf ein Das antike Heiligtum auf dem Pfaffenberg bei Bad lokales Vorbild zurückgeht, zu dem Kremer aber nur Deutsch-Altenburg beziehungsweise nahe der römi- Vermutungen äußern kann. Kat. 4 und Kat. 9 (Abb. 30) schen Provinzhauptstadt Carnuntum wurde in den sitzen nicht auf einem der üblichen Throne, sondern neun ziger Jahren des letzten Jahrhunderts endgültig auf einem Klappstuhl in Art der Sella curulis, dem bei zerstört. Es fiel dem Kalksteinabbau für die Zement- Kat. 4 eine lederbespannte Rückenlehne zugefügt ist produktion zum Opfer. Nur die Funde, die Grabungs- (S. 22 ff.). Da auf dem Pfaffenberg auch eine Anlage für dokumentation und als Produkt aus diesen beiden die den Kaiserkult inschriftlich nachgewiesen ist, erklärt Publikation des Heiligtums können in Zukunft von der Kremer diesen ungewöhnlichen Sitz damit, dass hier Bedeutung dieser Anlage zeugen. Elemente des Jupiterkultes mit der Kaiserverehrung Die Österreichische Akademie der Wissenschaften kombiniert worden sind. hat daher zu Recht eine auf sechs Sonderbände im Rah- Die anderen rekonstruierbaren Statuetten zeigen men von Heft 41 der Serie ›Der Römische Limes in Juno (Kat. 15), Minerva (oder Roma oder Mars: Kat. 16 Österreich‹ geplante Publikationsreihe begonnen, von und 17), Victoria (Kat. 18–20), möglicherweise Jupiter der bisher zwei Bände erschienen sind, die Inschriften- Dolichenus (Kat. 21) und einen Genius (Kat. 23), eine publikation aus der Feder von Ioan Piso von 2003 und Auswahl, die keine Besonderheiten erkennen lässt. Die nun die Vorlage der rundplastischen Skulpturen von Verehrung des Dolichenus – ein bärtiger Kopf mit Gabrielle Kremer. Phrygermütze wird vermutungsweise auf diesen Gott Es war eine sehr schwierige, entsagungsvolle Arbeit, gedeutet – ist auf dem Pfaffenberg inschriftlich nachge- der sich die Autorin für ihren jetzt vorliegenden Band wiesen (vgl. Piso a. a. O. 18 f. Nr. 3). unterzogen hat (vgl. ihren Vorbericht in: P. Noelke mit Zurückhaltend äußert sich die Autorin zu einigen in F. Naumann-Steckner u. B. Schneider [Hrsg.], Romani- der Literatur verbreiteten Deutungen. Sie führt gute sation und Resistenz in Plastik, Architektur und In- Gründe dafür an, dass zwei Göttinnen, von denen nur schriften der Provinzen des Imperium Romanum. Neue die Köpfe (Kat. 15/1: Juno? Kat. 16: Minerva?) erhalten Funde und Forschungen. Akten VII. Internat. Coll. sind, nicht zusammen mit dem Jupiterkopf Kat. 2/6 zu über Probleme d. provinzialröm. Kunstschaffens, Köln einer Gruppe der Kapitolinischen Trias gehört haben 2001 [Mainz 2003] 395–405). Über dreihundert Frag- können (S. 29 ff.). Bei der Jupiterstatue 13 verwirft sie mente aus den verschiedenen Grabungen galt es zu ebenso zu Recht alle Theorien, die sich um den unge- sichten, zu Figuren zusammenzufügen und schließlich wöhnlichen eisernen dreizackartigen Aufsatz, der wie 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 371

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ein Vogelstachel in die Kalotte eingelassen war, gebildet Mit diesem Buch greift der Verfasser ein Thema auf, haben, und erklärt dieses ungewöhnliche Attribut als mit dem er sich seit längerem in mehreren Teilstudien Blitzzeichen und damit als einen Hinweis auf Jupiters auseinandergesetzt hat. Bereits aus dem Jahr 1982 Funktion als Wettergott. stammt ein kurzer Beitrag zur Frage ›Die Elbe als Ziel Nur für die überlebensgroße Jupiterstatue Kat. 2 ver- römischer Expansion‹ (Sitzber. Akad. Wiss. DDR 1982 mutet Kremer, dass sie das Kultbild eines der Tempel Nr. 15/G [1983] 37–44), worauf teilweise wörtlich auch auf dem Pfaffenberg gewesen sei (Tempel II). Die eben- das Eingangskapitel des vorliegenden Buches zurück- falls lebensgroße Statue 7 kann sie sich als Bekrönung greift. Im letzten Jahrzehnt sind weitere Studien und eines Säulenmonuments denken, zu dessen Figuralka- Vorarbeiten hinzugekommen, darunter ›Die Elbe in pitell die stilistisch ähnlichen Köpfchen Kat. 31 gehören den Schriften des Tacitus‹ (in: Imperium Romanum. könnten. Auch Kat. 4, 5 und 8 können von Säulenmo- Studien zu Geschichte und Rezeption. Festschr. Karl numenten stammen, deren Fundamente im Nordteil Christ zum 75. Geburtstag [Stuttgart 1998] 395–409) des Heiligtums vermutet werden. Andere Skulpturen oder ›Die Elbe und der nördliche Ozean in der Historia stammen von offiziellen Weihungen, etwa die Vikto- ‹ (in: Historiae Augustae Colloquium Perusi- rien von Siegesmonumenten. num [Bari 2002] 291–307). Mit der literarischen Über- Gering wiegen gegenüber all den guten Ergebnissen lieferung ist der Autor gut vertraut, insbesondere auch kleinere Nachlässigkeiten. Etwa sind in Abb. 20 die durch seine Mitarbeit in dem mit wichtigen Kommen- Schlangenbeine der den Thron Jupiters stützenden taren versehenen Sammelwerk Griechische und latei - Giganten mit Fischschwänzen statt Schlangenköpfen nische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas bis dargestellt, und kann die Beschreibung der Münze aus zur Mitte des 1. Jahrtausends u. Z. (Berlin 1988–1992). Akmoneia (S. 29 u. Abb. 21), die ebenfalls den Thron Etwas anders angeordnet ist die wenig später besorgte Jupiters stützende Giganten zeigen soll, nicht ganz am Quellensammlung H.-W. Goetz / K.-W. Welwei, Altes Bild nachvollzogen werden. Germanien. Auszüge aus den antiken Quellen über Trotz alles Positiven bleibt ein ungutes Gefühl: Zwar die Germanen und ihre Beziehungen zum römischen wird deutlich, welche Erkenntnisse möglich sind, wenn Reich 1 und 2 (Darmstadt 1995). Beide Zusammenstel- in der von Gabrielle Kremer vorgeführten Weise akri- lungen bieten hervorragende Voraussetzungen für über- bisch alle Fragmente langjähriger Grabungen un ter- greifende Studien wie die hier vorgelegte, was auch der sucht werden, aber es wird auch deutlich, dass dies nur Verfasser herausstellt, der sich durchgängig auf beide mit ungewöhnlichem Aufwand geschehen kann, der Quellenwerke bezieht. bei der Aufarbeitung von normalen Grabungen nicht Über die Elbe in der Geschichte der Völker in anti- denkbar ist, ganz zu schweigen von Rettungsgrabun- ker Zeit ist in der Vergangenheit mehrfach und unter gen. Auch die Frage der Ausstattung des Bandes stellt verschiedenen Gesichtspunkten gehandelt worden. sich. Muss das Material des Pfaffenberges, so wichtig Nicht immer stand sie dabei im Mittelpunkt einer his- die Grabung auch ist, wirklich in einer Reihe publiziert torischen Untersuchung wie bei J. Deininger, Flumen werden, deren fast das Format DIN A 3 erreichende Albis. Die Elbe in Politik und Literatur der Antike schmale Faszikel nur liegend aufbewahrt werden kön- (Hamburg 1997), aber sie spielte doch eine beachtliche nen und schlicht unhandlich sind? Müssen wirklich Rolle in diesbezüglichen und verwandten Lexikonarti- auch weitgehend amorphe Fragmente als großforma- keln (bes. D. Timpe / G. Mildenberger, in: RGA² VII tige Fotos wiedergegeben werden, wie etwa auf Taf. 41? [1989] 101–113 s. v. Elbe / Elbgermanen) oder im Rah- Dies sind aber Fragen, die dem Herausgeber des Werkes men zahlreicher archäologischer und historischer gestellt werden müssen, nicht der Autorin, deren Arbeit Untersuchungen, in denen insbesondere die politischen zu loben ist. und wirtschaftlichen Beziehungen Roms zu den Völ- Ob sich der Aufwand gelohnt hat, wird man daran kerschaften an der Elbe, aber auch die militärischen messen können, welche Ergebnisse über die reine Zu- Auseinandersetzungen mit den Bewohnern in und aus sammensetztätigkeit hinaus für das Verständnis des diesem Großraum thematisiert wurden. Der Verfasser Heiligtums als Ganzes erzielt wurden – aber das wird möchte in seiner Studie andere Akzente setzen als bisher wahrscheinlich erst bei Vorlage des gesamten Werkes geschehen. Er will nicht nur nach der Kenntnis des zum Pfaffenberg möglich sein. Stroms an sich bei Griechen und Römern fragen, »son- dern nach der Wahrnehmung des gesamten Stromge- Swisttal Gerhard Bauchhenß bietes einschließlich von dort ausgehender Einflüsse … Die Behandlung des Elberaumes in der antiken Litera- tur soll in den Gesamtrahmen der Beziehungen von Römern und Germanen zwischen dem 2. Jh. v. Chr. und dem 6. Jh. n. Chr. eingebettet werden.« Klaus-Peter Johne, Die Römer an der Elbe. Das Strom- Das Vorhaben ist damit weit gespannt und bedarf gebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im angesichts der nicht einmal siebzig Erwähnungen bei politischen Bewusstsein der griechisch-römischen An- über zwanzig Autoren in der antiken Literatur – weit tike. Akademie Verlag, Berlin 2006. 347 Seiten, 15 Text- weniger als Rhein und Donau – der Einbeziehung in - abbildungen, 8 Karten. direkter Indizien und auch der argumentativen Rück- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 372

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bindung großräumiger Ereignisse an das Thema, wo berücksichtigt, die durchaus neue Aspekte in die Dis- direkte Zeugnisse fehlen. Der Untertitel verdeutlicht kussion eingebracht haben. Auch die Datierung früher denn auch, dass das Buch eine größere Breite der Per- Militäranlagen am Rhein steht erneut zur Diskussion spektive besitzt als der Haupttitel vermuten lässt. Ande- oder auch die Frage der Neuaufstellung einer Legio I rerseits ist nicht zu übersehen – und auch unvermeid- erst nach der Varusschlacht, um nur einige Probleme zu lich –, dass sich das Buch über weite Strecken in die nennen. Reihe der zahlreichen Untersuchungen zu den poli- Gegliedert ist das Buch in vierzehn größere Ab- tisch-militärischen Beziehungen zwischen Rom und der schnitte, die teils dem historischen Prozess folgen, teils Germania magna einordnet, bei Johne allerdings immer systematische Aspekte aufgreifen, die sich insbesondere wieder ergänzt um historisch-geographische Aspekte, an der literarischen Überlieferungslage orientieren. die auch in verschiedenen Kapiteln eigens thematisiert Dabei spielen Fragen der antiken Geographie eine zen- werden und bei den Textanalysen der diversen antiken trale Rolle, die vom Verfasser durchweg überzeugend Autoren sehr sorgfältig herausgearbeitet werden. auf der Grundlage einer eingehenden Interpretation der Das übergreifende Thema »Rom und Germanien« entsprechenden Quellen diskutiert werden. Das einlei- hat seit einigen Jahren in Wissenschaft und Publizistik, tende Kapitel greift ein Zitat des Germanicus auf, wel- aber auch bei interessierten Laien wieder Konjunktur. ches diesem von Tacitus (ann. 2, 14, 4) vor der Schlacht Dieses mag auf den ersten Blick überraschen, hat aber bei Idistaviso 16 n. Chr. in den Mund gelegt wird: mehrere Gründe. Einer davon liegt in den neu entdeck- »Schon ist die Elbe näher als der Rhein.« Ausgehend ten und erschlossenen archäologischen, epigraphischen von diesem Ereignis und der taciteischen Gestaltung und numismatischen Quellen. Der literarischen Über- der Kriegszüge des Germanicus verweist der Autor auf lieferung, die seit Beginn der kritischen historischen die nach wie vor in der Forschung bestehenden Kontro- Wissenschaft in allen denkbaren Hinsichten ausgedeu- versen über die Germanienpolitik des Augustus und sei- tet worden ist und dabei wiederholt zu sachfremden ner unmittelbaren Nachfolger. Dabei stellen sich für Zwecken im Sinne nationaler oder lokalpatriotischer den Verfasser im Hinblick auf die dem Buch zugrunde Identitätsstiftung instrumentalisiert wurde, wird man liegende Thematik als Kernfragen, seit wann und in wirklich Neues in der Regel nur im Kontext neuer welcher Form den Griechen und Römern die Elbe und Quellen gewinnen können. Johnes Buch ist denn auch ihr Stromgebiet bekannt wurden, wann und unter wel- über weite Strecken eine Bestandsaufnahme bekannter chen Umständen der Plan einer Ausdehnung des römi- und vielfach behandelter Vorgänge. Darin einbezogen schen Reiches bis zur Elbe entstanden ist und welche sind aber auch die neueren Entdeckungen wie der Rolle die Elbe und die sie umgebenden Landschaften Waffenplatz Hedemünden, die teils militärischen, teils nach dem endgültigen Scheitern aller Expansionspläne zivilen Anlagen an der Lahn aus der frühen römischen in der antiken Literatur spielten. Kaiserzeit (Waldgirmes und Dorlar, wozu sich das dem Der erste Fragekomplex rankt sich um einen Aus- Verfasser wohl noch nicht bekannte Oberbrechen ge- schnitt des geographischen Weltbildes der Antike. Erör- sellt), das Lager Marktbreit am Main, der Kampfplatz tert werden »Das Stromgebiet der Elbe aus der Sicht der Kalkriese, das Plumbum Germanicum aus und in dem Griechen in vorchristlicher Zeit« (Kap. II), der »Furor Siegerland und nicht zuletzt die Tabula Siarensis mit teutonicus«, der sich nicht zuletzt mit dem Zug der den aufschlussreichen offiziellen Ehrungen für Ger - Kimbern und Teutonen verbindet (Kap. III), und »Cae- manicus. Zu allen diesen neueren Quellen gibt es be- sars Suebenland«, also die Ereignisse am Rhein von 58 reits eine reiche Forschungsliteratur, die vom Autor – bis 17 v. Chr. (Kap. IV). Die folgenden Kapitel V bis IX soweit herangezogen – durchweg sachgerecht und ohne thematisieren die augusteische und tiberische - eigene weitreichende und unbegründete Hypothesen nienpolitik bis zum Jahr 20 n. Chr. Im Zentrum stehen ausgewertet wird. Darin liegt ein besonderer Wert sei- dabei die »Entdeckung« der Elbe durch Drusus und die ner Studie, die somit einen guten Überblick bietet, der mit und seit dem ersten Aufenthalt des Tiberius kon - auch als ein solider Ausgangspunkt für weitergehende zipierte, wenngleich nur kurzfristig durchgehaltene und vertiefende Untersuchungen herangezogen werden Strategie einer indirekten Herrschaft Roms über die kann. Germania magna. Große Bedeutung misst der Verfasser Bei der Spannweite des Themas – es umfasst weit dem von Velleius Paterculus (2,104, 2) so charakterisier- mehr als ein halbes Jahrtausend Geschichte und Über- ten »immensum bellum« zu, dem erneuten Ausbruch lieferung – ist es allerdings unvermeidlich, dass der ak- von schweren Kämpfen der Römer mit Germanen nach tuelle Stand der Diskussion bei den vielen Detailpro- der vermeintlichen Pazifizierung des Gebietes im öst- blemen nicht immer rezipiert werden konnte. Dieses lichen Vorfeld des Rheins nach den Kriegszügen des betrifft insbesondere die Auswertung archäologischer Drusus und Tiberius 12–8/7 v. Chr. In diesem Krieg und und numismatischer Zeugnisse, die sich teilweise auch seinen Folgen sieht der Verfasser eine veritable Wende auf Datierungsfragen und damit auf historische Zu- in der politischen Zielsetzung Roms, welche nunmehr sammenhänge auswirken. Die entsprechende Literatur auch eine formelle Provinzialisierung dieses Gebietes ist allerdings schwer überschaubar. Unter anderem wur- ins Auge fasste. Der Triumph des Tiberius und die Auf- den die Arbeiten von Maria Paz García-Bellido über die gabe von Dangstetten und Rödgen als militärische hispanischen Truppen im römischen Germanien nicht Stützpunkte scheinen in der Tat darauf hinzudeuten, 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 373

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dass kurzfristig der Rückzug Roms aus dem Gebiet der generelle Verschlechterung des Wissens über das Innere Germania magna geplant war, doch ist Vorsicht gebo- Germaniens seit etwa dem Jahr 230 n. Chr. (Kap. XIII). ten. Das Anfangsdatum von Haltern zwischen 6/5 und Das abschließende Kapitel (XIV) befasst sich dann mit 2 v. Chr. lässt sich zwar nicht mit Gewissheit festlegen, der Spätantike und den erhaltenen Schriften von den jedoch deuten neuere Erkenntnisse darauf hin, dass Panegyrici Latini über Eutropius bis zu Sidonius Apol- Waldgirmes bereits um 4 v. Chr. besetzt wurde. War das linaris in der Mitte des fünften Jahrhunderts. Auffal- »immensum bellum« also Folge einer neuen Politik lend ist die deutlich zunehmende Unkenntnis von Au- oder deren Ursache? Manches spricht für den ersten Teil toren und deren Leserschaft über die Elbe und das von der Alternative. ihr durchflossene Gebiet, so dass es sich mehr und mehr Nachdem Tiberius noch im Sommer 5 n. Chr. mit um literarische Wiederaufbereitung eines älteren Wis- großer Streitmacht an der Elbe erschienen war, musste sensstandes handelt. im Folgejahr der geplante Feldzug gegen den Marko- Beschlossen wird das Buch von einer detaillierten mannen Marbod kurzfristig abgebrochen werden. Eine Zeittafel, einer Auswahlbibliographie und einem Na- intensivierte Provinzialisierungspolitik wurde dann von men- und Stellenregister. Varus betrieben, die schließlich im Verbund mit ande- In der Bilanz hat der Verfasser ein materialreiches ren Vorgängen wie den Streitigkeiten innerhalb der und informatives Buch vorgelegt, welches sich durch Führungsschicht der Cherusker zum Aufstand und zur detaillierten Quellenbezug auszeichnet und thematisch berühmten »Schlacht im Teutoburger Wald« führte. Was weit ausholt. Es bietet gerade durch seine differenzierte den Ort derselben betrifft, äußert sich der Verfasser ge- Argumentation und die Verweise auf kontroverse For- rade auch im Hinblick auf Kalkriese zurückhaltend. schungspositionen eine gute Grundlage für weitere Hier wie auch an anderen Stellen liegt der besondere Vertiefungen im Detail. Die umsichtige Benutzung ins- Wert des Buches vor allem darin, unterschiedliche Posi- besondere der literarischen Überlieferung bezeugt eine tionen in der Forschung klar zu benennen, ohne sich profunde Kenntnis dieser Quellengattung und ist eben- selbst unbedingt festzulegen. Er entzieht sich da mit so hervorzuheben wie die klare und nüchterne Darstel- allerdings – bis zu einem gewissen Grad notgedrungen lung. Besonderes Interesse verdienen die Abschnitte zur – einer intensiven Auseinandersetzung mit strittigen Geographie und zur Phase nach Tiberius, ein Zeitraum, Problemen. der einerseits von der Forschung eher stiefmütterlich In den wiederholt hohen Verlusten Roms nach behandelt wird, über den sich der Autor andererseits Wiederaufnahme der Feldzüge durch Germanicus und jedoch durch verschiedene Beiträge als guter Kenner dementsprechend in dem Missverhältnis zwischen Auf- ausgewiesen hat. Übersehen werden gelegentlich die wand und Ergebnis liegt – wie allenthalben von der Erkenntnisse, die aus anderen als literarischen Quellen Forschung betont – der tiefere Grund für die Ablösung hätten gewonnen werden können. Dies betrifft auch die des Germanicus und das Ende einer offensiven Ger ma- Bezüge zur römischen Innenpolitik beziehungsweise zu nienpolitik, ohne dass diesbezügliche Ansprüche grund- der den germanischen Raum überschreitenden Grenz- sätzlich aufgegeben worden wären. Entsprechend dem politik Roms. bekannten Satz im Schreiben des Tiberius an Germani- cus, in dem er dessen Abberufung begründete, sollten Osnabrück Rainer Wiegels nunmehr die Cherusker und die übrigen rebellischen Stämme, da Rom Rache genommen habe, ihren inneren Streitigkeiten überlassen bleiben (Tac. ann. 2, 26, 3), eine sachgerechte Entscheidung, wie die Folgezeit zei- gen sollte. Wolfgang Czysz, Heldenbergen in der Wetterau. Feld- In einem dritten Fragenkomplex erörtert der Verfas- lager, Kastell, Vicus. Mit Beiträgen von Gisela ser »den Strom und die ihn umgebenden Landschaften Amberger, Hans-Georg Bachmann, Michael Gechter, mit ihren Bewohnern im geographischen Weltbild und Barbara Pferdehirt und Helmut Schubert sowie von im politischen Bewusstsein der Römer, wie es sich in Josef Baas, Lothar Bakker, Susanne Biegert, Dieter Eck- ihrer eigenen Literatur nach der Expansionszeit dar- stein, Regina Franke, Günter Gall, Maria Hopf, Hans- stellt« (so als Thema S. 23 formuliert). Strabon, Pompo- Jürgen Hundt, Ursula Ibler, Klaus Kortüm, Heinz Per - nius Mela, Plinius der Ältere und Tacitus – besonders sicke, Egon Schallmayer, Helmut Schmalfuss, Manfred seine Germania – werden diesbezüglich ausgewertet Schmid, Burghart Schmidt, Gerwulf Schneider, Mar- (Kap. X und XI), Cassius Dio und Klaudios Ptolemaios kus Scholz und Gabriele Sorge. Limesforschungen 27. bilden dann den Gegenstand eigener Untersuchungen, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2003. 489 Seiten, 172 welche die Verhältnisse des zweiten Jahrhunderts in den Abbildungen, 143 Tafeln, 5 Beilagen. Blickpunkt rücken (Kap. XII). Daran anschließend werden die dramatischen Ereignisse von Caracallas Ger - Das zweibändige Werk behandelt die Ausgrabungen, manenkrieg 213 bis zum Feldzug des Probus 277/278 die in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhun- thematisiert. Behandelt werden unter anderem das Auf- derts an diesem Fundort in der südlichen Wetterau im tauchen der Alamannen, der Augsburger Siegesaltar, Hinterland des obergermanischen Limes unternom- das Ende des obergermanisch-rätischen Limes und die men wurden. Anlass für die Aufnahme archäologischer 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 374

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Untersuchungen war die sich rasch ausbreitende Toranlage wird an der Süd west front anhand von Pfos- moderne Ortserweiterung. Die Ausgrabungen erfolgten ten an der Innenkante des Wehrgrabens erschlossen. teils als Notbergungen, teils als von der Deutschen Wegen des Grundplans des Lagers III vermutet der Ver- Forschungsgemeinschaft unterstützte Maßnahmen des fasser seine Ausrichtung nach Nordosten. In der öst- Hessischen Landesdenkmalamtes vornehmlich unter lichen Lagerhälfte konnten Pfostenstellungen und eine der Leitung des Hauptverfassers. Der Fundplatz der rö- Herdstelle beobachtet werden, ohne dass Aussagen zur mischen Anlagen, der zuerst von Georg Wolff am Ende Funktion dieses Innengebäudes möglich waren. Etwa des neunzehnten Jahrhunderts untersucht wurde, liegt hundertachtzig Meter nordwestlich des Lagers III hatte nicht unmittelbar an der äußeren Limestrasse, sondern bereits Georg Wolff Reste eines Steingebäudes mit Zie- etwa zehn Kilometer westlich im Hinterland auf der gelschutt gefunden – darunter ein gestempeltes Legions- Hochterrasse am Westufer der Nidder an einer Furt. In ziegelfragment –, das er als Lagerbad interpretierte. römischer Zeit war Heldenbergen ein wichtiger Stra- Später wurde dieses Bad durch ein Steingebäude ersetzt. ßenknotenpunkt, von dem aus die Militärplätze von Bei den Ausgrabungen der siebziger Jahre konnte dieser Altenstadt, Marköbel und Rückingen am Limes, ferner Befund durch einen Kontrollschnitt noch einmal er- Friedberg im Nordwesten, Okarben im Westen und fasst werden. Auf Grund der großen Entfernung zum Hanau-Salisberg im Süden erreichbar waren. Lager und einer fehlenden Wasserzufuhr hat der Verfas- Auf den S. 22–26 wird die Periodeneinteilung zum ser Zweifel an einer Deutung als Badeanlage. Er unter- besseren Verständnis der nachfolgenden Ausführungen suchte die Verbreitung der dreißig aufgefundenen Zie- vorweggenommen. Der archäologische Gesamtbefund gelstempel im Areal des späteren Vicus, die mehrheit- der römischen Zeit lässt sich grob in zwei Abschnitte lich die Legio XXII Primigenia pia fidelis nennen und einteilen: Die militärische Phase (Perioden 1 a–c und 2), ungefähr in die beiden ersten Jahrzehnte des zweiten die nach Abzug der Garnison durch die Zivilsiedlung Jahrhunderts gehören. Da im Lager III keine Ziegel zu- (Perioden 2 bis 5) abgelöst wurde. Im Verlauf der mili- tage kamen, geht er davon aus, dass alle gestempelten tärischen Phase (S. 27–64) wurden in Heldenbergen Ziegel mit dem sogenannten Lagerbad in Verbindung drei Truppenlager angelegt: Lager I, das sogenannte stehen. Allerdings ist der archäologische Befund zu Poly gonallager, hatte mit seiner fünfeckigen Form die dürftig und der Bezug der Ziegelfunde zum Steinge- größte Ausdehnung, Spuren einer Innenbebauung feh- bäude zu unsicher, um die Neubewertung dieses Baus len. Gegenüber den Untersuchungen von Georg Wolff als Straßenposten oder Wachturm zu stützen. ergab die Neubearbeitung einen abweichenden Um- Auf den S. 49–64 skizziert der Verfasser die Ge- wehrungsverlauf, so dass sich die Innenfläche von schichte der drei Heldenberger Lager vor dem Hinter- zehneinhalb auf achteinhalb Hektar reduziert. Inwie- grund der römischen Okkupation der Wetterau. Bislang weit es einen Befestigungsabschnitt parallel zur Terras- fehlen Funde, die eine Verbindung der Militäranlagen senkante der Nidder gab, konnte bislang nicht festge- mit den Operationen der frühen Kaiserzeit herstellen. stellt werden. Die Lagerumwehrung bestand aus einem Am ehesten kommt ein Zeitraum zwischen den Jahren Spitzgraben. Der Nachweis der Holz-Erde-Umweh - 83 und 110 für die Errichtung der Lager in Frage. Auf rung gelang nur selten: Hauptsächlich im Bereich des Grund des Mangels an Kleinfunden in den Graben- Südtores konnten einige Pfostenstellungen beobachtet füllungen ist eine Feindatierung vor allem der Anfangs- werden. Insgesamt sind drei Tore bekannt: Zwei an der belegung über die Fundauswertung kaum möglich. Es Westseite und eines an der Südecke. Das Lager II liegt konnte lediglich festgestellt werden, dass die Gräben in parallel zur Südwestfront innerhalb des Lagers I und ist trajanischer Zeit (laut Reliefsigillata etwa um 110) ver- mit einer Größe von etwa 1,25 Hektar bedeutend klei- füllt waren. Trotz dieser eingeschränkten Quellenlage ner. Der Spitzgraben mit steiler Böschung wurde nur an versucht der Verfasser eine Zeitbestimmung mit Hilfe drei Seiten nachgewiesen. Da Spuren einer Holz-Erde- anderer Kriterien: Er verweist auf das Fehlen von Reini- Umwehrung fehlen, wurde das Lager wahrscheinlich gungsgräbchen an den Grabenspitzen der Lager I und von einem Rasensodenwall geschützt. Obwohl von den II, was zusammen mit den fehlenden Innenbauten nur Toren nur dasjenige an der Südseite gerade noch durch eine kurzfristige Belegung andeutet. Ferner argumen- die Ausgrabungen erfasst wurde, vermutet der Verfasser, tiert er mit dem ältesten Fundhorizont am Platz, der so- dass die Straße A – aus westlicher Richtung von Okar- wohl nach der Analyse der Münzen (Beitrag Kortüm) ben herkommend – die Via praetoria bildete: Demnach als auch der Terra sigillata (Beitrag Pferdehirt) einen Be- war das Lager nach Westen ausgerichtet. Eine Lagerin- ginn in nachvespasianischer Zeit anzeigt. Grundriss nenbebauung konnte nicht festgestellt werden. Das und Größe des polygonalen Lagers I entsprechen flavi- zeitliche Verhältnis zu Lager I ist nur zu erschließen. schen Anlagen in Germanien und Britannien. Konkrete Auch das Lager III mit einer Innenfläche von lediglich Anhaltspunkte für die hier stationierte Einheit liegen 0,62 Hektar liegt innerhalb des Polygonallagers I und nicht vor. Auf Grund der ungewöhnlichen Größe hält zwar in seinem Ostareal. Die Anlage, deren vier Seiten der Autor eine Vexillatio für wahrscheinlich, die even- durch die modernen Grabungsschnitte erfasst wurden, tuell aus verschiedenen Truppen zusammengestellt wor- war wiederum durch einen einzelnen Spitzgraben ge- den war. Vor dem historischen Hintergrund bietet sich schützt. Spuren einer Holz-Erde-Umwehrung fehlen, am ehesten ein Zusammenhang mit dem Chattenkrieg so dass ein Rasensodenwall angenommen wird. Eine Domitians im Jahr 83 an. Obwohl eine Abfolge der bei- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 375

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den Lager I und II nicht erkennbar ist, vermutet der ser E und F gemeinsame Längswände hatten. Insgesamt Verfasser in dem Lager II das jüngere. Auch in diesem wurden vier aufeinander folgende Bauphasen erkannt, Fall sprechen die Indizien für eine kurzfristig besetzte die jedoch kaum zu synchronisieren waren, lediglich die Anlage. Nach historischen Überlegungen käme eine beiden Brandschichten bilden grundstücksübergrei- erneute Inbesitznahme des Platzes im Sommer 84 in fende Leithorizonte. Deshalb erfolgt die Beschreibung Frage, als von Mainz eine Strafexpedition unter Aulus der Baubefunde nicht nach Phasen, sondern nach Par- Bucius Lappius Maximus gegen die Chatten geschickt zellen. Im Anschluss werden die archäologisch fassbaren wurde. Der Verfasser schließt allerdings eine Erbauung Merkmale der Streifenhäuser und ihre Ausstattung be- während des Saturninus-Aufstandes – und unmittelbar sprochen. Es fällt die weitgehend identische Breite der danach – sowie den Kämpfen mit den Germanen nicht Grundstücke auf, die zwischen 7,60 und 8,60 Meter aus. Als Besatzung erwägt er wegen der geringen Größe (durchschnittlich 7,80–8,00 Meter) betrug. Als Ein- von eineinviertel Hektar eine Cohors quingenaria equi- heitslängen der „Kernbauten“ konnten achtzehn Meter tata. Gegenüber den beiden Lagern I und II hat das (etwa sechzig römische Fuß) ermittelt werden. Die Heldenberger Lager III eine abweichende Orientierung, Häuser B, D und F erreichten mit ihren Anbauten die nach Ansicht des Verfassers mit einem Übergang Gesamtlängen von bis zu zweiunddreißig Metern. Ob- über die Nidder oder eventuell mit einer Schiffslände zu wohl es keine archäologischen Hinweise für die Fortset- erklären ist. Sowohl das Anfangs- als auch das Schluss- zung der Parzellengrenzen hinter den Häusern gab, datum lässt sich nicht genauer als in das letzte Viertel spricht die Anordnung der Eingrabungen wie Brunnen, des ersten Jahrhunderts beziehungsweise ungefähr in Latrinen und ähnliches für die Fortsetzung der Grund- das erste Jahrzehnt des zweiten Jahrhunderts datieren; stücksgrenzen im rückwärtigen Teil der Parzellen. Ihr an anderer Stelle (S. 64) favorisiert der Verfasser aller- Ende konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Das dings ein Gründungsdatum »um 95«. Für eine nicht Ausdünnen der Befunde nach sechzig Metern lässt allzu lange Belegung des Lagers spricht die Tatsache, den Verfasser eine einheitliche Parzellengröße von 480 dass die Innenbauten nicht in Stein und die Umweh- Quadratmetern vermuten. rung sehr provisorisch errichtet waren. Bei der Bauweise der Vicushäuser herrscht im Gegen- Auf den S. 62–64 behandelt der Verfasser in der satz zur Militärarchitektur die Holzpfostenbauweise vor, Zusammenschau die Stellung Heldenbergens im römi- wobei sowohl einzelne Pfostengruben als auch Pfosten- schen Grenzsystem der östlichen Wetterau. Es wird die gräbchen beobachtet wurden. Anhand von Lehmsta- Überlegung Georg Wolffs diskutiert, nach der dieser kenbruchstücken lässt sich die Stärke der Fachwerk- Militärplatz neben Ober-Florstadt, Hanau-Mittelbu- wände auf lediglich acht bis zehn Zentimeter berech- chen und Hanau-Salisberg beziehungsweise Hanau- nen. Auf Grund besonders kräftiger Pfosten im Bereich Kesselstadt Teil einer älteren, weiter westlich verlaufen- der Portikus wird eine Rekonstruktion der Vorderseite den Limeslinie war. Lässt der Verfasser diese Frage noch in Form eines Vorbaus des Obergeschosses (maenia- offen, verdichten sich in jüngster Zeit durch Ausgra- num) oder eines Balkons erwogen. Für ein Oberge- bungen in Hanau-Mittelbuchen und Beobachtungen schoss sprechen laut Verfasser die eingesunkenen Holz- in Nidderau Hinweise, die die Wolffsche These stützen stützen und ihre enge Stellung (Haus F). Das Fehlen (vgl. M. Reuter in: E. Schallmayer [Hrsg.], Limes Impe- von Dachziegeln und Schieferplatten spricht für eine rii Romani. Saalburg-Schr. 6 [Bad Homburg v. d. H. organische Dachdeckung. Nach dem Massenfund von 2004] 97–106). Jedoch sind unsere Kenntnisse zu die- Eisennägeln in einem Steinkeller zu urteilen sind sen frühen Anlagen derzeit noch sehr bruchstückhaft, wahrscheinlich Holzschindeln verwendet worden. Die sie bedürfen weiterer Untersuchungen. Raum einteilung war innerhalb der Streifenhäuser nur Auf die Auswertung der militärischen Phase folgt schwer zu erkennen. Die Handwerkstätigkeiten (Töp- die Beschreibung der freigelegten Befunde des Zivil - ferei, Metallverarbeitung) fanden weitgehend im Freien, vicus mit den Perioden 2 bis 5 (S. 65–128). Südlich der das heißt im rückwärtigen Teil der Parzellen, statt. Hin- Straßen A und E, die vom Verfasser als ,Plateae’ be- ter Haus F lag – wohl in Periode 4 – eine Darre. Dort zeichnet werden, konnten großflächig die vorderen Be- befanden sich auch zahlreiche Eingrabungen, die der reiche von sechs Parzellen mit Streifenhäusern ausgegra- Verfasser nach den Maßen (Größe und Tiefe) und ihrer ben werden. Der Verfasser schätzt nach der Streuung Bauweise in sechs Kategorien einteilt: Brunnen, (Erd-) von Oberflächenfunden sowie auch anhand von Bau- Keller, Kastengruben, Schächte, »Zisternen«, Latrinen, stellenbeob achtungen die Gesamtzahl der Streifenhaus- wobei die engen Schächte und vermutlich die »Zister- parzellen auf etwa fünfzig bis siebzig, wobei er mit nen« ebenfalls als Latrinen gedeutet werden. In der einer bewohnten »Kernzone« von ungefähr zweieinhalb Frühzeit der Besiedlung befanden sich die hölzernen Hektar rechnet. Der Zivilvicus von Heldenbergen ge- Brunnen immer innerhalb der Häuser, danach außer- hört demnach zu den kleineren Siedlungen der Provinz halb. Im späten zweiten Jahrhundert wurden in den Obergermanien. Häusern B und D Steinkeller errichtet. Innerhalb dieses Abschnitts behandelt der Verfasser In einem eigenen Kapitel (S. 118–125) wird das Pro- ausführlich die Baubefunde und die Baugeschichte der blem der Müllentsorgung und Fragen der Nutzungs- sechs freigelegten, nebeneinander liegenden Parzellen dauer der Eingrabungen thematisiert. Es zeigt sich, dass mit ihren Streifenhäusern, die mit Ausnahme der Häu- der Müll im Umfeld der Häuser, teilweise sogar in den 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 376

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Häusern selbst deponiert wurde. Nachweislichstammte öfen auf dem Grundstück des Streifenhauses B (Periode der Abfall sogar von den Nachbargrundstücken. Brun- 3 und 4) gefunden, der erste Ofen innerhalb des Hauses nen, Keller et cetera waren geeignete Orte der Entsor- und der zweite auf der Parzelle hinter dem Gebäude. gung. Dabei kam es immer wieder zu Absenkungen des Schmiedeaktivitäten lassen sich in Form von Schlacken Erdreichs, die nachträgliche Auffüllungen notwendig bereits in den Wehrgräben der Lager nachweisen. Be- machten. Eine Übersicht, die die Eingrabungen auf sonders häufig kamen sie in den Perioden 3 und 4 zum den sechs Streifenhausparzellen auflistet (Tab. 16), ver- Vorschein, während sie in der letzten Periode (5) fehlen. deutlicht, dass alle diese Befunde wahrscheinlich eine Die Keramikproduktion spielte vor Ort eine besondere verhältnismäßig lange Nutzungszeit belegen. Entspre- Rolle. Bislang sind aus älteren und jüngeren Untersu- chend der gesamten hundertdreißigjährigen Siedlungs- chungen sechs sogenannte »stehende« Töpferöfen sowie periode waren zum Beispiel die Brunnen mindestens große Mengen an Fehlbränden bekannt, die sich auf vierzig Jahre in Gebrauch. die Streifenhäuser A und E und auf fünf Areale an den In der Folge wird die Baugeschichte des Vicusareals Westumwehrungen der ehemaligen Lager II und III mit den sechs Streifenhäusern zusammengefasst (S. 125– verteilen. Aus dieser Lage kann der Verfasser Rück- 128). Der Beginn des Zivilvicus setzt um die Jahre schlüsse auf die Organisation des Töpferhandwerks 96–98 ein, wobei sich der Verfasser der Grenzen zeit- ziehen: Die Streuung der Betriebe und ihre enge An- licher Einordnung mit Hilfe des vorhandenen archäo- bindung an die Wohnhäuser deuten darauf hin, dass logischen Materials bewusst ist. Die Gegenüberstellung es wahrscheinlich keine Brenngemeinschaften, keine von südgallischen und nichtsüdgallischen Sigillaten ausgewiesenen Töpferquartiere und keine Speziali - deutet darauf hin, dass das Haus auf dem Grundstück E sierung bei den Arbeitsgängen gab, sondern dass alle das älteste dieser Häuserreihe ist. Insgesamt erreichten Arbeiten innerhalb eines Streifenhauses im Familienbe- die Heldenberger Streifenhäuser ein hohes Alter: Haus F trieb durchgeführt wurden. In den Streifenhäusern stand ohne Austausch der Wandpfosten über hundert selbst wiesen außer den Öfen nur wenige Anlagen und Jahre, die Häuser C und D weisen in den hundert - Gerätschaften auf das Töpferhandwerk hin, die anhand dreißig Jahren ihres Bestehens nur zwei Bauphasen auf. der Keramikprodukte zu erschließen sind, so Dreh- Abgesehen von zwei Steinkellern und einem steinernen scheiben, Rollrädchen, Metall-Lamellen und anderes. Brunnen fand in diesem Vicusareal kein Ausbau der Ausführlich wird das Produktionsspektrum der Hel- Häuser mit diesem Baumaterial statt. Der Verfasser denberger Töpfereien beschrieben, bei dem es sich um schätzt (S. 72), dass im Vicus Heldenbergen insgesamt große Serienproduktionen handelte. Mit Ausnahme weniger als zehn Prozent der Häuser in Stein ausgebaut zweier in Modeln hergestellter Lampen des Typs wurden. Loeschcke IX wurde ausschließlich scheibengedrehte Außerordentlich wichtig sind zwei Zerstörungshori- Ware angefertigt, es gibt keinen Hinweis auf handge- zonte, die mit historischen Ereignissen in Verbindung formte Ware. gebracht werden. Der erste, dem einige Häuser (C und Die Keramikherstellung erfolgte im Vicus Helden- D) im Ortskern zum Opfer fielen und mit dem die bergen im Zeitraum von etwa 100 bis in die zweite Keramikproduktion in Heldenbergen endete, kann mit Hälfte des zweiten Jahrhunderts. Namentlich lässt sich Hilfe der Terra sigillata in die sechziger Jahre des zwei- nur der Töpfer Lucius Primus auf einer Reibschüssel ten Jahrhunderts datiert werden. Hinweise auf eine mit lokaler Provenienz belegen; von einem zweiten ist kriegerische Zerstörung fehlen zwar, aber die Tatsache, lediglich der Buchstabe S bekannt. Die Mehrheit der dass in benachbarten Militärplätzen wie Altenstadt, Heldenberger Produkte bleibt anonym (S. 143 f). Oberflorstadt und Echzell etwa zur gleichen Zeit große Auf den Seiten 177–179 streift der Verfasser das Zerstörungshorizonte bezeugt sind, macht einen Zu- einzige bislang bekannte, an der Westseite des Vicus sammenhang mit den überlieferten Chatteneinfällen gelegene Gräberfeld, das bei Ausgrabungen im Jahr der Jahre 162 beziehungsweise 170/171 plausibel. Gleich- 1904 in Teilen freigelegt wurde. Von den ursprünglich wohl ist ein lokales Schadenfeuer grundsätzlich nicht etwa zweihundert Brandbestattungen, deren Beigaben auszuschließen. Demgegenüber ist der zweite Zerstö- zwischenzeitlich verschollen waren und heute keine ge- rungshorizont, der um das Jahr 233 zu datieren ist, von schlossenen Grabinventare bilden, konnte durch eine einschneidender Bedeutung, da mit ihm schlagartig die glückliche Fügung ein Teil der Funde ausfindig ge- römische Besiedlung am Ort endet. macht und untersucht werden. Demzufolge erstreckt Auf den S. 129–176 stehen Aspekte der Handwerks- sich der zeitliche Rahmen dieser Bestattungen von der betriebe des Vicus von Heldenbergen, die sich anhand Periode 2 (Beginn des zweiten Jahrhunderts) bis in die von Befunden und Funden belegen lassen, im Mittel- erste Hälfte des dritten Jahrhunderts. Es scheint sich punkt der Untersuchungen. Die Bronze- und Eisenver- ausnahmslos um Brandbestattungen zu handeln. arbeitung sowie Knochenschnitzereien sind anhand von Auf den S. 194–199 behandelt der Verfasser die Werkabfällen, Werkzeugfunden und zwei Schmiede - Funde und Befunde der Ausgrabungen, die in die nach- öfen bezeugt. Während der Verfasser zwei Werkstätten römische Zeit gehören. Mit einer Siedlungsunterbre- des Bronzehandwerks auf Grund ihrer Fundverbreitung chung von ungefähr hundertfünfzig Jahren setzte am im östlichen Bereich der Zivilsiedlung und vor dem Ende des vierten Jahrhunderts im Bereich des ehemali- Südtor des Lagers III vermutet, wurden zwei Schmiede- gen Lagers III (»Auf dem Mühlberg«) eine Aufsiedlung 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 377

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durch die Alamannen ein, die nur durch wenige Funde der Zerstörungsschicht des Jahres 233 zeigt, vor diesem dokumentiert ist. Der Verfasser ordnet sie ohne nähere Zeitpunkt in Benutzung. Begründung dem Teilstamm der Bukinobanten zu. Im Bei den Ausgrabungen konnten 533 Scherben von gleichen Gebiet befand sich in karolingischer Zeit eine 447 bestimmbaren Reliefsigillatagefäßen und 118 ge- fränkische Siedlung, von der bei den Ausgrabungen drei stempelte, sogenannte glatte Sigillaten geborgen wer- Holzgebäude und ein Grubenhaus erfasst wurden. den. Die Zahl der letzteren erhöht sich um 210 Alt- Über den fränkischen Bauten entdeckte man Spurrillen funde, deren Bearbeitung Barbara Pferdehirt übernom- früh- und hochmittelalterlicher Wege. men hat (S. 216–231). Ausgangspunkt der Analyse ist Es schließen sich auf den S. 205–336 »Studien zu ihre umstrittene Einteilung in Töpfergruppen, die die chronologisch wichtigen Funden und Fundgruppen« Verfasserin 1986 im Jahrbuch des Römisch-Germani- an. Klaus Kortüm untersucht die sechsundachtzig schen Zentralmuseums Mainz vorgelegt hat und die an Münzfunde der Ausgrabungen, indem er nach einem dieser Stelle übernommen wird. Das Gefäßspektrum von ihm entwickelten Verfahren die Münzkurve Hel- umfasst in der Hauptsache Schüsseln des Typus Dra- denbergens mit anderen Plätzen Obergermaniens ver- gendorff 37. Gefäße des Typus Dragendorff 29, 30 und gleicht. Es zeigt sich ein ähnliches Bild wie am Mili- Knorr 78 sind in nur geringen Stückzahlen erhalten. tärstandort Hanau-Salisberg. Die chronologische Ver- Der Vergleich mit anderen Fundplätzen ähnlicher Zeit- teilung der Prägungen deutet einen um etwa fünf bis stellung vor allem im Hinblick auf das Verhältnis der zehn Jahre früheren Beginn als bei den Lagerplätzen im Schüsseln Dragendorff 29 und 37, der Dekorelemente Taunus und in der Wetterau oder am Neckarlimes an. im allgemeinen und auf das Vorkommen später Relief- Dies lässt auf ein Anfangsdatum des Lagers III ein- töpfe bewog die Verfasserin, einen Besiedlungsbeginn schließlich des Vicus um 95/100 schließen. Im zweiten in den neunziger Jahren anzunehmen. Der Beginn der Jahrhundert zeichnet sich nach der abfallenden Münz- Vicusbesiedlung erfolgte im ersten Jahrzehnt des zwei- kurve ein Siedlungsrückgang ab. Die Schlussmünze aus ten Jahrhunderts. Das Fehlen später Reliefsigillata aus den Jahren 228/231 gibt den Terminus post quem für die Trier und Rheinzabern (Gruppe III b) zeigt das zeit liche Enddatierung von Heldenbergen an. Ende des Fundplatzes an. Der Vergleich mit benachbar- Michael Gechter untersucht in seinem 1982 abge- ten Orten wie Frankfurt-Heddernheim, Butzbach (La- schlossenen Beitrag (S. 207–209) die achtzig Fibelfunde gerdorf), Butzbach-Degerfeld (Kleinkastell) und dem von Heldenbergen. Er unterteilt sie in Mantel- und Lager Altenstadt bezeugt, dass in Heldenbergen bereits Schmuckfibeln, wobei erstere vor allem von Männern vor der Zerstörung des Ortes zwischen 230 und 240 die beziehungsweise Soldaten, letztere von Frauen getragen Belieferung mit Terra-Sigillata-Geschirr zurückging, wurden. Anhand von Zeithorizonten ausgewählter wobei die Verfasserin eine allmähliche »Abwanderung Lager- und Siedlungsplätze ergibt sich für Helden- der Vicusbewohner« vermutet. Wie bei der Reliefware bergen ein Beginn in frühflavisch-domitianischer Zeit. ist unverziertes Geschirr der vor- und frühflavischen Seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts ging der Ge- Zeit selten; wegen des ähnlichen Fundspektrums bei brauch von Schmuckfibeln merklich zurück. den gestempelten Sigillaten von der Saalburg datiert die Eine römerzeitliche Zikadenfibel wird in einem Verfasserin den Beginn Heldenbergens in die spätdo- eigenen Beitrag (S. 210–213) von Ursula Ibler behandelt. mitianische Zeit. Bedauerlicherweise kam diese Gewandspange als Streu- Die Analyse der Graffiti auf Gefäßkeramik und einer fund im Lager III zu Tage. Während frühere Forschun- Salbenreibplatte unternimmt Markus Scholz (S. 231 f.). gen von einer Zeitstellung in der Epoche der Völkerwan - Es sind lateinische und keltische Namen der Besitzer derungen ausgingen, wurde in jüngster Zeit eine Gruppe sowie Maßangaben erhalten. Germanisches Namensgut dieser Zikadenfibeln in die römische Kaiserzeit datiert. lässt sich nicht fassen. »Mulsum« (Honigwein) ist auf Die frühen Fibeln, zu denen das Exemplar aus Helden- einem Krug eingeritzt. Dass die Zeichenfolge »V S« auf bergen gehört, fallen besonders durch ihren Sehnen - einer Salbenreibplatte »fünf Sesterzen« bedeutet, ist haken auf, andere Merkmale sind ihre geringe Größe unwahrscheinlich, dafür würde man die Abkürzung und Plastizität, Weißmetallüberzug und anderes. Ferner »HS V« erwarten. Es handelt sich eher um eine Zahlen- begegnen Zikaden als Ziermotiv auf anderen kaiserzeit- angabe »V S(emis)« oder um ein Namenskürzel. lichen Fibeltypen und Haarnadeln. Der Verbreitungs- Mit Hilfe einer Tabelle (Tab. 50) versucht der Haupt- schwerpunkt der frühen Variante liegt im pannoni- verfasser, einen Überblick über die Gefäßkeramik mit schen Gebiet; in den westlichen Provinzen sind nur Ausnahme der Reliefsigillata zu geben, wobei weniger vereinzelte Stücke nachgewiesen, zu denen ein weiterer, konkrete Fundvergesellschaftungen als vielmehr die unpublizierter Fund aus Groß-Gerau hinzukommt. Anteile einzelner Gefäßformen in den jeweiligen Perio- Regina Franke (S. 214–216) stellt einen silbernen, den aufgelistet sind. Ausgangspunkt dieser Keramik - in Durchbruchtechnik gearbeiteten herzförmigen analyse ist die anhand der Randscherben ermittelte Schwertriemenanhänger vor, der ungefähr im Zeitraum Mindeststückzahl. Da die Abgrenzung der Perioden vom Ende des zweiten Jahrhunderts bis vermutlich zur nicht immer eindeutig ist, kann diese Tabelle nur grobe Mitte des dritten Jahrhunderts zusammen mit ähnlich Entwicklungslinien aufzeigen. Hinzu kommt die Ver- verzierten Beschlagplatten Bestandteil des Balteus war. mischung von Fehlbränden aus den hauseigenen Töp- Das Heldenberger Exemplar war, wie die Fundlage in fereien mit dem Gebrauchsgeschirr. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 378

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Zu den naturwissenschaftlichen Beiträgen zählt die auch Stücke in Privatbesitz (bis 1977) und schließlich anthropologische Auswertung von ungefähr sechzig diejenigen verzeichnet, die vom örtlichen Heimatverein Menschenknochen, die der Hauptverfasser selbst durch- geborgen wurden. Vergleichsfunde werden nicht bei führte. Diese Knochenreste lagen nicht mehr im Ske- allen Fundgattungen angeführt. Unter der Bezeichnung lettverband, sondern waren über das gesamte Vicusareal ›P‹ werden pro Periode zwanzig datierte Fundkomplexe verstreut. Es handelt sich um Schädel und Knochen vorgelegt (Taf. 114–134). von mindestens sechs meist männlichen Individuen, Die Funde aus den Gräbern sind auf den S. 443–447 wobei alle vollständig erhaltenen Schädel erhebliche separat katalogisiert. Im Anhang A werden wichtige Schlag-, Hieb- und Stichverletzungen aufweisen. Dies Fundkomplexe der Ausgrabungen zwischen 1973 und spricht für eine brutale Tötung, die in einigen Fällen an 1979 aufgelistet, bei Anhang B handelt es um eine den bereits am Boden liegenden Menschen erfolgte. Übersicht der Fundstellen im Vicus mit einer Kurzbe- Die meisten Skelettreste lagen in Befunden der Peri- schreibung. Die Publikation ist mit fünf Beilagen aus- ode 5, deren Ende der Verfasser in das Jahr 233 ansetzt. gestattet, die dem Leser einen schnellen Überblick über Die Untersuchung der 5902 Tierknochen erfolgte den Fundplatz und seine Ausgrabungen verschaffen. durch mehrere Bearbeiter, nämlich Angela von den Mit diesem Doppelband wird die Tradition der Driesch, Joachim Boessneck, Joris Peters und Gabriele Publikationsreihe ›Limesforschungen‹ der Römisch- Sorge. Die Überreste von Haustieren machen etwa Germanischen Kommission des Deutschen Archäologi- neunzig Prozent des Gesamtbestandes aus. Schlacht- schen Instituts fortgesetzt, in der mit Fundplätzen wie und Speiseabfälle überwiegen. Jagd spielte bei der Er- Okarben, Holzhausen, Rödgen, Butzbach, Altenstadt nährung der Bewohner des römischen Heldenbergen und Hesselbach Grabungsergebnisse benachbarter Mili- keine Rolle. Für die Fleischversorgung dienten in erster tärplätze am nördlichen Obergermanischen Limes ver- Linie Rinder. öffentlicht wurden. Besonders hervorzuheben ist die Helmut Schmalfuß behandelt in seinem Beitrag die Leistung des Hauptverfassers Wolfgang Czysz. Von der Reste von Insekten und Mollusken, die in drei Latrinen Leopold-Franzens-Universität Innsbruck wurde das gefunden wurden, während Maria Hopf Abdrücke von Werk als Habilitationsschrift angenommen. Ohne Zwei- Getreide- und Dreschrückständen in den lehmverzie- fel mussten die Auswertung der Grabungsbefunde und gelten Wänden eines Töpferofens analysiert. die Rekonstruktion der Besiedlungsentwicklung des Die Auswertung der Pflanzenreste wurde bereits un- Fundplatzes im Mittelpunkt der Untersuchungen ste- mittelbar nach den Ausgrabungen im Saalburg-Jahr- hen. Dies geschah in akribischer Weise. Ein weiterer buch 32, 1982, 110–119, von Josef Baas veröffentlicht, das Hauptgesichtspunkt ergab sich durch die verschiede- Resümee ist an dieser Stelle nochmals abgedruckt. Die nen handwerklichen Tätigkeiten, die von archäologi- holzanatomische Bestimmung führte Dieter Eckstein scher und naturwissenschaftlicher Seite auf breitem durch: Bei den dreiundfünfzig geborgenen Hölzern Raum behandelt werden. Hier konnten wichtige Ein- überwog die Eiche. Burghart Schmidt untersuchte die blicke in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Siedlung Hölzer zweier Brunnen dendrochronologisch; fehlende und in die Zusammensetzung ihrer Bewohner gewon- Splintholzreste erlauben nur eine ungefähre Datierung nen werden. Zwangsläufig musste die Auswertung der in die Jahre 107 bis 117. Metallurgische Analysen der Massen an Keramikfunden hinter diesen Hauptaspek- Eisenschlacken und zweier birnenförmiger Schmelztie- ten zurückstehen. Dies mag als ein gewisses Manko auf- gel ergab, dass mit Hilfe des Rennfeuerverfahrens für gefasst werden, ihre nach heutigem Standard adäquate den Eigenbedarf Eisenerze verhüttet wurden und Bunt- Bearbeitung und Publikation hätte den Rahmen des metall gegossen wurde, nämlich Bronze mit hohen Machbaren jedoch bei weitem gesprengt. Die Ausstat- Kupfer- und Zinnanteilen. tung der beiden Bände mit Abbildungen, Tafeln und Drei Beiträge widmen sich keramiktechnischen Beilagen ist aufwendig und qualitätvoll. Fehler hat der Fragen des Fundplatzes Heldenbergen. Wolfgang Czysz Rezensent nur selten bemerkt: An Stelle des Begriffs unterscheidet makroskopisch und anhand von An- und ›Kastell‹ ist die Bezeichnung ›Lager‹ oder ›Truppenlager‹ Dünnschliffen neben Terranigra-Gefäßen acht Waren- treffender. Auf S. 49 ist statt ›Wiesbaden-Kastel‹ die Be- gruppen meist orangeroter oder beige-gelbbrauner zeichnung ›Mainz-Kastel, Stadt Wiesbaden‹ zu verwen- Farbe, wobei er die B-Ware in zwei Untergruppen auf- den. Da sich die Auswertungen der Ausgrabungen not- teilt. Auf den mit dem Rasterelektronenmikroskop gedrungen über einen langen Zeitraum erstreckten, erstellten Schwarzweißaufnahmen lässt sich für den hätten einige Beiträge, die frühzeitig fertiggestellt waren, Betrachter diese Trennung der B-Ware nicht nachvoll- der Aktualisierung bedurft. Obwohl die auf archäologi- ziehen. Susanne Biegert und Gerwulf Schneider analy- schem Weg untersuchten Areale nur einen kleinen Aus- sierten ausgewählte Keramikscherben der Ausgrabung, schnitt des Fundplatzes berühren, kann der Verfasser die diese Einteilung weitgehend bestätigen. Weitere ein plausibles Bild der Geschichte des Militärstandortes Beiträge (Heinz Persicke und Manfred Schmid) befas- und der anschließenden Zivilsiedlung Heldenbergen sen sich mit Dichte und Porösität der Heldenberger sowie der Lebensumstände seiner Bewohner am Rande Töpfergefäße; mit Ausnahme der Ware D sind die des Imperium Romanum entwerfen. Keramiken verhältnismäßig dicht. Im ersten Katalog- teil sind sowohl die Funde aus den Ausgrabungen als Köln Norbert Hanel 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 379

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Nico Roymans, Ethnic Identity and Imperial Power. nal in the sense that individuals invoke membership of The Batavians in the Roman Empire. Amsterdam different groups to which they belong, depending on Archaeological Studies, volume 10. Amsterdam Univer- the circumstances. sity Press, 2004. 277 pages, 114 illlustrations. This social constructionist view of ethnicity has its roots in a kind of social theory developed in opposition This elegantly written and lavishly illustrated volume to essentialist and ahistorical notions of ethnicity which both records the latest stage in a long program of re - have often been linked to nationalist and even racist search, and also makes a genuinely original contri - agendas. »Ruretania for the Ruretanians«, as Ernest bution that demands to be read by all researching Iron Gellner used to sum up the nationalist credo, depends Age and early imperial societies in Rome’s western pro- on a notion of Ruretanians as an objectively real people, vinces. with origins lost in the mists of time and wholly As a study focused on the archaeology and history of distinctive from their neighbours not just in habit, taste the populations of the lower Rhine and their encounter and custom but also in moral nature or character. with Rome, it represents a continuation of work that Claims of common biological ancestry are not neces- Roymans and his collaborators have been conducting sary but are common to that version. Roymans shares for two decades now. Their work marries the traditional the social theorists’ caution about such concepts when strengths of field-work and artefact studies, often con- he asserts the subjective nature of ethnicity, and its tem- ducted in less than ideal conditions, with interpretative porary and contingent nature. Ethnicities are formed techniques borrowed from anthropology. Earlier con- (in ethnogenesis), develop dynamically over time and tributions include Roymans’ own 1990 thesis ›Tribal So- eventually pass away (in what is now sometimes termed cieties in Northern Gaul‹; a series of studies funded by ethnonemesis). There are, however, difficulties with the the Nederlandse Organisatie voor Wetenschappelijk social constructionist approach, at least in its more Onderzoek since 1989 through its Pionier Project extreme forms. The more we regard ethnicity as contin- ›Power and Elite‹ (some published in the collective vo- gent and situational the more difficult it is to account lumes ›Images of the Past‹ and ›From the Sword to the those very long lasting ethnic groups, or why some Plough‹, both co-edited by Roymans); Ton Derks’ im- people will maintain their allegiance to ethnicities long portant ›Gods, Temples and Ritual Practices‹; and also a after they have become uncomfortable, disadvanta - good deal of fieldwork, notably the excavations of geous or downright hazardous. The future of multi-cul- the temple site at Empel. The present volume is sole- tural and multi-ethnic Europe with its many diasporic authored by Roymans: this contributes to its thematic populations would be easier if individuals and minority unity, but it draws on the work of a team. Roymans is populations were always happy to shift into more easily careful to credit at each stage of his argument the many accommodated ethnic modes as their situations chang - collaborators whose studies have contributed to this ed. But there is little sign that the alienation of mino- project, and in some senses the book comprises a series rities is a transitory or transitional experience. Examples of discrete studies, bound together by a central argu- abound from antiquity to the modern day, of ethnic mi- ment. Two are numismatic, on gold triskelos Scheers norities persisting in defiance of the prejudice or hosti- thirty-one coins and on triquetrum coinages respec- lity of surrounding populations. If adaptation and tively. Two are historical, dealing with aspects of the accommodation is so easy, why are there still Muslims conquest and the juridical-political status of the pre- in Bosnia or Palestinian Christians? To answer that Flavian Batavian polity. One deals with three pieces of ethnic affiliation matters more to many than their im- monumental art. About one third of the book consists mediate economic or political advantage does seem to of a report and analysis of the mass of archaeological raise problems for the notion of ethnicity as a con - material from the site or sites of Kessel-Lith, largely re- venient mask or strategem. To be sure the question of covered during dredging operations. The remainder of how apparently labile social identities seem on occasion the book develops an argument about ethnicity, specifi- to become locked together with much more durable cally about the origins and evolution of the Batavian personal and psychological identities is not really a people. problem for Roymans’ purposes. But those working in It is that discussion of ethnogenesis – in which an the eastern provinces might well ask themselves why anthropological approach draws together archaeologi- Greeks, Jews and some others held on so tenaciously to cal, numismatic, epigraphic and historical studies – that identities that sometimes marginalised them in relation constitutes the real originality of the project. Roymans to Rome, rather than follow the more relaxed, (or more draws on a range of modern studies of ethnicity to strategic?) pattern of western populations. Equally, develop a set of working hypotheses. Ethnic groups are those of us concerned with western populations might groups whose members »consider themselves and are ask, even if we cannot answer, why pre-Roman identi- considered by others as culturally distinctive«. More - ties were so readily abandoned in so many cases. Why over their unity is formed during relations with others did it matter less to be an Eburone than a Greek? What and always open to challenge. The unity of an ethnic the social constructionist model of ethnicity does offer group is constructed ideologically, it often involves in- Roymans is an approach to prehistoric identities that vented traditions and myths of origins, and is situatio- does not depend on culture-historical equations of spe- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 380

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cific archaeological facies with particular peoples. What identity was developed. The tombstones of Batavian is really remarkable about this book is the subtlety of auxiliaries show their rejection of German and bar - the picture Roymans has been able to develop without barian identities. Back home they were municipalized claiming to have identified »Batavian pottery«, »Bata- early and traces of monumental art suggest that first the vian brooches« or the like. local royal house and later a more broadly based elite To this general theory of ethnicity, Roymans adds played a leading role in promoting urbanization. The insights drawn from other studies notably John Creigh- very success of the Batavians in finding a role within the ton’s important ›Coinage and Power in Late Iron Age Roman system led to the eventual decline of this ethnic Britain‹ (Cambridge 2000) and Reinhard Wenskus’ identity, not in a catastrophe but simply through a pro- rather older ›Stammesbildung und Verfassung: das Wer- cess where other identities – Roman and Noviomagan – den der frühmittelalterlichen Gentes‹ (reprint Stuttgart came to be invoked more often. 1977). From the former, Roymans derives ways to relate This account is extremely plausible. It makes excel- coinages to particular peoples and dynasties without re- lent sense of the broad continuity of house forms, eco - turning to now discredited historicising approaches to nomic life, ceramic types and some settlements along - the Iron Age. He also draws comforting analogies with the historical evidence for the appearance of a new Creighton’s picture of other royal dynasties at the very people. Numismatic evidence plays a major part in giv - edge of empire making successful use of Roman sym- ing the Chattian ›Traditionskern‹ some archaeological bols and myths to develop a new regal style. From expression: the recent great improvements in the chro- Wenskus, Roymans borrows the idea that in many cases nology of Iron Age coinages allow Roymans to effec - of ethnogenesis it is possible to discern a small core tively track the core group from the region of the Düns- group – a ›Traditionskern‹ – which supplies ethnonym, berg in central Hesse to the lower Rhine. The early date myths of origin and so on to a more heterogeneous po- proposed for municipalization looks much more plau - pulation. Ideas of this kind have been recently applied sible given the recent find of an apparent urban centre to archaic Greece. Erich Gruen’s recent edited volume at Waldgirmes under construction before the Varian ›Cultural Borrowings and Ethnic Appropriations in disaster. The end of the story is less clear than the be- Antiquity‹ (Stuttgart 2005) provides a range of exam- ginning, given the small number of usable inscriptions ples, including an important paper by Hans-Joachim which are the only way of measuring individual claims Gehrke, some of whose earlier work Roymans also about their identity, but this is hardly the focus of this draws on. This eclectic use of anthropology, ancient and study. mediaeval history and archaeological theory is very One of the strengths of the way the book is organ - much Roymans’ trademark. In this book, it is deftly ised is that the individual studies can to a large degree be combined to tell a clear, and largely convincing, story. read in isolation. Roymans is well aware that some must Here is Roymans’ Batavian story, in a nutshell. The remain more speculative than others which are impor- historical Batavians, as known from the pages of Taci- tant contributions in themselves. So chapter six on the tus’ ›Histories‹, originated in a historical moment of Trisquetrum coinage is furnished not only with twenty- ethnogenesis, perhaps at the very end of Caesar’s Gallic two distribution maps, line drawings of coin types, and War. They were formed from a union between local po- tabulated information on variations in the silver: cop- pulations, some of them survivors of Caesarian massa- per ratio from lower Rhine finds but also an appendix cres, and a core group originating among the Chatti of giving full details of find spots. Those familiar with the the middle Rhine who were perhaps already tied to the publications of the ›Power and Elite‹ project will not Romans by treaty. The creation of this new entity be surprised to find this volume documented by a mass involved little transformation in the material culture of tabulated data, maps, plans and in the case of the of the lower Rhine, and some existing sanctuaries re- monumental sculpture discussed, colour plates as well. mained in use, but a centre emerged or remained im- Most speculative are the attempts to reconstruct foun- portant at Kessel-Lith, a predecessor of both oppidum dation myths for the Batavians. Like Derks’ similar dis- Bata vorum and Noviomagus (modern day Nijmegen). cussion of the Remi in his monograph cited above, Around these religious and political central places a set these investigations are easily the best guesses available of new traditions were woven, probably including de - but no more than that. The head of Caesar and the scent from Hercules, whose wandering features in many Tiberius column from Nijmegen, neither with a very contemporary local traditions in the west and whose secure context, can be interpreted in many ways. Like- worship is well attested in the area, and perhaps also in- wise the fragmentary inscription from Escharen (also cluding a mythic role for Julius Caesar himself. This ori- discussed in chapter nine) might belong to a ›tabula ginal Batavian population originally included groups patronatus‹, but many other interpretations are possible like the Cannenefates who would, after the Batavian of a bronze on which only the emperor’s name can be Revolt during the Flavian civil war, be politically sepa - restored. Discussions of invented traditions do, how- rated from them. From the beginning the Batavians ever, play a very valuable part in the argument as a had a special place in the Roman order as suppliers whole in indicating the kind of ideological activity that of cavalry, and it is in the context of military service must have accompanied components of these changes alongside the legions that many dimensions of Batavian attested in other media. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 381

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Perhaps the most important part of this volume is Monique Dondin-Payre und Marie-Thérèse Raepsaet- the discussion in chapter seven of the great body of late Charlier (Hrsg.), Sanctuaires, pratiques cultuelles et La Tène metalwork recovered from dredging at Kessel- territoires civiques dans l’Occident romain. Le Livre Lith. Very little can be said about the structure of this Timperman, Brüssel 2006. XXVI und 514 Seiten, zahlrei- complex site, but the densest amount of material is con- che Abbildungen. centrated along a two kilometres long zone where the Meuse and Waal almost or (as Roymans argues) actually Die Arbeitsgruppe »L’empreinte de Rome sur les did touch in antiquity. The material includes weaponry, Gaules et les Germanies« am Centre Gustave Glotz des cauldrons, personal equipment and also coins and Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) human skeletal material. At least a part of this must re- in Paris und an der Freien Universität Brüssel stellt in late to ritual activity, although whether this is to be im - dem vorliegenden Buch ihre Ergebnisse vor, die den ag ined as one or more major events, like that giving rise Einfluss Roms auf das religiöse Leben im römischen to the structures of human bones at Ribemont, or rath - Westen zeigen sollen. Im Mittelpunkt stehen römische er as a long period of cult activity more like those at La Strukturen und öffentliche Kulte, insbesondere die Tène itself is unclear. Some activity seems datable Funktion der Religion für die politischen Institutionen (large ly on the basis of Nauheim fibulae) to the beginn - (S. VII). Der Schwerpunkt liegt auf der »religion publi- ing of La Tène D 1, that is to the late second century que«, also auf den von der Civitas zum Nutzen aller B. C. It remained a centre until the early Augustan Bürger kontrollierten Kulte. Ganz im Sinne der Polis - period, when architectural fragments suggest the con- religion werden Munizipalstrukturen – Civitas, Kolo- struction of a major early Roman temple. That chrono- nie oder Munizipium – als essentiell für das Verständnis logy places the growth of the centre before the Batavian religiöser Strukturen in den Provinzen angesehen ethnogenesis. If correct then the process is not anal - (S. VII–IX). ogous to those instances known from more recent west Das Buch ist in drei Abschnitte gegliedert: (1) Funk- African history, when new arrivals imposed a warrior tionsmodelle für die westlichen »sanctuaires civiques«, aristocracy on top of existing acephalous societies, and (2) Heiligtümer in Gallien und Germanien, (3) Dedi- instead the new Chattian arrivals either seized control kanten und Devotionalien. Vorgelegt werden insgesamt of the levers of social power in a society already central - dreizehn Beiträge plus Einleitung [S. V–IX] und ein ab- ised, or else built their polity on the ruins of one only schließendes Fazit von John Scheid (S. 439–448). Der recently destroyed by Roman arms. Roymans suggests erste Beitrag beschäftigt sich mit drei Kultstätten in we are seeing here developments analogous to those as- der Chora von Korinth aus dem achten bis zweiten sociated with oppida further south at around the same vorchristlichen Jahrhundert (Laurence Gillot, S. 3–29), time, and suggests that Kessel-Lith was a major centre um das Grundmodell exemplarisch zu erklären: Extra- of production for coins, glasswork and metalwork. The urbane Heiligtümer drücken demzufolge die Identität circumstantial case for seeing the region as participating und territoriale Souveränität der Polis aus und dienen in similar developments to those that generated oppida der Integration der verschiedensten sozialen Gruppen in eastern France and southern and western Germany, der Bevölkerung (S. 21 f.). Anschließend wird die enge to the great ditched enclosures of southern Britain and religiöse und institutionelle Beziehung zwischen Rom to the monumental central places of Romania is a strong und Ostia untersucht (Françoise Van Haeperen, S. 31– one. That said, the exact nature of what was happening 50). Im Fall der Colonia Augusta Emerita (Bertrand at Kessel-Lith remains conjectural. The idea of it as a Goffaux, S. 51–99) werden die Kulte als »système reli- centre of production remains essentially an argument gieux fondé sur les règles institutionelles romaines« from silence. Roymans correctly states there are no interpretiert (S. 51), in der es die Rolle des öffentlichen other candidates at present. But in this lowland and Ritus sei, den Zusammenhalt des »système poliade« much altered landscape who knows what other major zu sichern (S. 53). Das Profil der epigraphisch belegten sites remain to be found? Dedikanten lässt zudem keine Korrelation mit der Ver- Whatever does emerge from the next decades of re- ehrung römischer beziehungsweise regionaler Götter search, its analysis will be deeply indebted to this book. erkennen (S. 72); indigene Gottheiten, wie Lacipaea, One of the most attractive features of Roymans’ work is werden in die Kolonie integriert (S. 66 f.). the easy way in which he not only builds on his previous Im Beitrag zu Britannien (Grégoire Van Havre, achievements, but also revises his earlier conclusions S. 99–118) wird versucht, Munizipalstrukturen zu rekon- when appropriate. At the vanguard of those who in the struieren. Ein Collegium peregrinorum wird als Hin- eighties rewrote late European prehistory beginning weis auf die Einführung des »système municipale« an- from economy and society, Roymans now leads the way gesehen (S. 104), während eine »urbanisation très avan- in exploring cultural and ideological dimensions of the cée« sowie die Organisation eines öffentlichen Kultes same material and in this work leads the way in reinte- auf dem gesamten Territorium des (kurzlebigen) Klien- grating historical evidence. The result is a study that is a telkönigtums des Togidubnus angenommen wird, etwa model for similar projects all over Europe. anhand der frühen Monumentalisierung ländlicher Heiligtümer wie Hayling Island (S. 115). Für das Volk St. Andrews Greg Woolf der Dobunni vermutet der Autor ein »schéma compara- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 382

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ble à celui de la Gaule« (S. 116). Da epigraphische und et Augusti, der ein nahe dem Kultort gelegenes Theater archäologische Testimonien nicht unbedingt die »réa- stiftet, zeigen, dass dies nicht die Kultstätte eines Pagus lité institutionelle« widerspiegeln würden (S. 115), wäre war, sondern von der gesamten Civitas kontrolliert es laut Van Havre denkbar, dass beispielsweise die wurde: »la cité, un tout qui fusionne ses composants« Popularität von Merkur bei den Dobunni lediglich (S. 154; 443). die Anwesenheit von Händlern und Socii widerspiegelt Der dritte Abschnitt widmet sich den Dedikanten (S. 115 Anm.54). Insofern erschwert die Quellenlage und Devotionalien, darunter eine systematische Ana- den Versuch, Religion mit Munizipalstrukturen in Ver- lyse der Stifter, die auf den neunundsechzig Silberob- bindung zu bringen. Leider spiegelt die berücksichtigte jekten aus dem Heiligtum des Merkur Can(etonensis) Literatur nicht immer den neuesten Forschungsstand von Berthouville genannt werden [Elisabeth Deniaux, wider; bedauerlich ist etwa die Nichteinbeziehung von S. 271–295); die Erwähnung der Stips auf den Artefak- R. Niblett, Folly Lane (London 1998) zum gleichnami- ten wird als wichtiges Indiz für einen öffentlichen Kult gen Heiligtum. der Civitas der Lexovii gewertet (S. 294). Véronique Die Rolle der großen Heiligtümer für die Integrität Rey-Vodoz (S. 219–238) bietet einen nützlichen Über- großer territorialer Civitates führt uns zum zweiten blick über die Evolution der Opfer- und Votivgaben Abschnitt des Sammelbandes mit einer Reihe wich - und über die Offenheit, mit der neue Kultformen in tiger Fallstudien: das Quellheiligtum Villards d’Héria Gallien angenommen wurden, wie etwa anatomische der Sequaner (William Van Andringa, S. 121–134), Bois Exvoten und Keramik (für Miniaturvotivobjekte l’Abbé in der Civitas von Amiens (Monique Dondin- [S. 231] siehe jetzt Ph. Kiernan in: Rez. / A. C. King Payre, S. 135–158), das suburbane Heiligtum La Motte (Hrsg.), Continuity and Innovation in Religion in the du Ciar bei Sens (Agendicum; Bertrand Debatty, Roman West, Journal Roman Arch., Suppl. 67 [Ports- S. 159–180) und schließlich Blicquy in der Civitas Ner- mouth 2007] 153–175). Inwieweit uns die römischen viorum (Evelyne Gillet, Nicolas Paridaens, Léonce Arvalakten aber helfen können, die Situation in Gallien Demarez, S. 181–215). Der extraurbane Kultkomplex zu verstehen (S. 224), ist fraglich; Rey-Vodoz vermutet, Blicquy ist besonders interessant: Die Stelle eines bron- dass das Votum in der Antike sowohl für Griechen, zezeitlichen Gräberfeldes wird in der späten Latènezeit Römer und Gallier üblich war (auch für J.-L. Brunaux, zum Ort einer Kultstätte auserkoren (S. 184); im ersten Les religions gauloises [Paris 2000] 146 f., ist das Votum nachchristlichen Jahrhundert entsteht ein »bois sacré typisch keltisch; für Scheid ist es dagegen ein Zeichen artificiel« als Residenz der Gottheit (S. 191 f.); neben der Romanisation: S. 312; 445). Die Lex aedis Fugensis dem Umgangstempel und der Portikus entwickelt sich aus Zentralitalien (S. 236 f.), nach der Opfergaben bis zu seiner Aufgabe im dritten Jahrhundert ein »ro- wiederverwendet werden können, etwa durch Verkauf, manisierter« Kultkomplex mit Theater und Thermen wird als Hinweis für den Einfluss römischen Sakral- (S. 213). Obwohl eine explizite epigraphische Doku- rechtes auf indigene Mentalitäten gesehen, da laut Cae- mentation fehlt, wird auch in Blicquy unter Anlehnung sar und Strabo solche Objekte in Gallien nicht entweiht an andere große Heiligtümer eine Kontrolle und Finan- werden durften. Hier wie an anderen Stellen in diesem zierung durch die Civitas vermutet (S. 215). Die Idee, Band wird der römische Einfluss besonders heraus- den auf der Bilingue von Vercelli erwähnten »campus« gestellt; in diesem Zusammenhang erscheint es dem für »deis et hominibus« mit dem Theater von Blicquy »à Rezensenten deshalb notwendig, auf die archäologisch l’extérieur de l’enceinte cultuelle« zu assoziieren (S. 211), greifbare Entwicklung indigener Kultpraktiken bereits erscheint wenig nachvollziehbar, da die Vercelli-In- seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. hinzuweisen, die schrift ja die Grenzen einer Kultstätte im keltischen eine solche Eigendynamik entwickelte, dass der Ein- Sinne definiert. fluss römischer Strukturen auf diesen Prozess nicht Obwohl die Quellenlage für La Motte du Ciar äu- überbewertet werden sollte. ßerst problematisch ist, wird es als bedeutendes Beispiel Insofern ist es für das Studium der Provinzialreligio- für die Rolle suburbaner Heiligtümer in Gallien gewer- nen eine wichtige Erkenntnis, dass der Kaiserkult kaum tet. Nach Ansicht des Autors gibt es keinen Umbruch belegt ist, selbst in den vom Militär dominierten Regio- zwischen vorrömischer und römischer Epoche, da die nen. Nicht einmal ein Prozent des epigraphischen Be- religiösen Praktiken in diesem monumentalen Heilig- fundes in der Germania Superior (S. 386) und praktisch tum verschmelzen, als Indiz für die Integration der keine Inschrift aus Köln (S. 304) sind dafür namhaft zu Civitas der Senonen in die römische Welt (S. 176). Die machen. Für Scheid ist der Kaiserkult »une partie très vermutete Trias der senonischen »dieux poliades« – particulière du culte public, dont il convient de ne pas Mars, Vulcan und Vesta – wird als Einverleibung indi- exagérer l’importance« (S. 304). gener Götter in die munizipalen Strukturen durch die In Scheids Analyse zu Niedergermanien (S. 297– Adoption römischer Theonyme interpretiert (S. 173– 346) zeigt sich auch, dass der Status einer Gemeinde 176). (Kolonie, Munizipium, peregrine Civitas) keinen Ein- Bezüglich des ländlichen Heiligtums Bois l’Abbé soll fluss auf das lokale Pantheon hat; auch die Dedikanten die Erwähnung der kaiserlichen »numines« und des – ob Peregrine oder römische Bürger – verehren die - »pagus« der Catoslovgi auf der ins zweite bis dritte Jahr- selben Götter (S. 314). Für Scheid gibt es keine »religion hundert datierten Weihinschrift eines Sacerdos Romae à deux vitesses« und keinen Unterschied zwischen rö- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 383

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misch und indigen: Jede Provinz, Civitas und Familie beispielsweise auf dem Forum am heutigen Domhügel konstruiert ihr eigenes Pantheon, das auf den lokalen in Worms (Borbetomagus) und den vangionischen Vici Kontext zugeschnitten ist und ursprünglich vorhan- wie Alzey. Aspekte, die das Argument einer Polisreligion dene Kulte integriert, etwa den Matronenkult (S. 314). sogar unterstützen würden, wären auch der Kult von Der keltische Kalender im Fall von Villards (s. o.) zeigt Merkur und Rosmerta, wenn die Autorin die in Ober- für Scheid beispielsweise die doppelte Identität der germanien weitverbreiteten Skulpturen für dieses Göt- Sequaner, die gallische und die römische (S. 443). terpaar berücksichtigen würde, sowie Mars Loucetius Aspekte von Synkretismus und Interpretatio romana und Nemetona als »divinités poliades« der Vangionen, beziehungsweise Interpretatio indigena werden nur bei- da fast alle uns bekannten Weihinschriften aus dem läufig behandelt. Gerade der ostgallisch-obergermani- geographischen Umfeld von Borbetomagos stammen sche Raum bietet jedoch viele religiöse Synkretismen, (vgl. RGA² a. a. O.). doch in Raepsaet-Charliers Analyse der »géographie In seinem abschließenden Fazit des Bandes (S. 439– sacrée« Obergermaniens (S. 347–435) werden lediglich 448) kommt Scheid unter anderem zu dem Schluss, Inschriften und keine bildlichen Darstellungen berück- dass die Beiträge »la romanité institutionelle et cultu- sichtigt. Über siebenhundert Inschriften (davon ein relle« der Civitates nördlich der Alpen zeigen würden. Fünftel fragmentarisch oder unleserlich und mehr als Das religiöse Leben in Gallien und Germanien würde neun Zehntel aus der Zeit 150–250 n. Chr. [S. 351]) sind sehr den Modalitäten im römischen Italien ähneln, so jedoch kaum repräsentativ für eine differenzierte statis- dass sich die Kultpraktiken nur durch die Namen der tische Analyse für insgesamt neunzehn Civitates. (Trotz Dedikanten und bestimmter Gottheiten von denen der Sonderrolle von Mainz ist die Annahme einer fikti- im übrigen römischen Reich unterscheiden würden ven Civitas der Aresaces, die bis nach Koblenz reichen (S. 448). soll, nicht gerechtfertigt [S. 347], siehe RGA² XXXIII So viel vermeintliche Eindeutigkeit reizt aber auch [2006] 237–247 s. v. Wangionen [Rez.]). Dass die Pan- zum Widerspruch. Es ist bedauerlich, dass der Band thea und Bevölkerungsstrukturen der obergermani- mit einer Konfrontation beginnt, nämlich der bereits schen Civitates jeweils ein eigenes Profil entwickeln im Vorwort erklärten kategorischen Ablehnung und (S. 395–397), ist wohl nicht überraschend, aber die Ausblendung jener angelsächsischer Arbeiten (S. VI– grobe Dreiteilung der Analyse in rechtsrheinisch, links- VII), in denen versucht wird, die Komplexität der Ro- rheinisch und »gallorömisch« – letzteres für die süd- manisierungs- und Akkulturationsprozesse differenzier- lichen Civitates der Helveter, Lingonen und andere – ist ter zu erfassen und religiöse und kultische Aspekte in wohl wenig hilfreich, genausowenig wie gewisse ethni- ihrer Vielschichtigkeit nachzuvollziehen. Während die sche Etiketten, etwa »germanisch«. Herausgeber die Romanisation als einen »unbestreit - Die rein epigraphische Analyse hat viele Nachteile, baren Prozess« sehen (S. vi), wird etwa Greg Woolfs Kri- wie im Fall des Jupiter. Dass dieser als »dieu ›municipal‹ tik an der Polisreligion pauschal in Gillots Methoden- par excellence« für Gallien beschrieben wird (S. 358), kapitel zurückgewiesen (S. 7). Aus diesem Miss trauen überrascht. Vorwiegend Merkur und Mars sind ja als gegenüber »les théories toutes faites« möchte dieser Band Gott des »touta« (populus) in Gallien belegt und selbst laut Scheid eine empirische und komparativistische Ar- in Griechenland war Zeus meist kein Polisgott (vgl. beit entgegensetzen (S. 440). Aber stattdessen werden Linke, Zeus als Gott der Ordnung. In: Klaus Freitag / andere Modelle und Theorien fast un reflektiert ange- Peter Funke / Matthias Haake, Kult –Politik – Ethnos. wandt: Das Konzept einer Polisreligion nach griechi- Überregionale Heiligtümer im Spannungsfeld von Kult schem Vorbild erscheint nicht nur als Arbeitshypothese, und Politik. Historische Einzelschriften 198 (Stuttgart sondern als Axiom. Ungeprüft wird vorausgesetzt, dass 2006). Für die Autorin hat Merkur dagegen »des liens griechische Heiligtümer als Modell für unser Verständ- non explicités« mit der Civitas (S. 359). Doch der Cha - nis der gallorömischen Sakralbezirke dienen können rakter des ostgallisch-obergermanischen Jupiters lässt (S. vii; 8; 24 f.; 440). Bei eingehender Betrachtung wird viele Besonderheiten erkennen, wie etwa die Verehrung hingegen erkennbar, dass sich die Sakrallandschaften von Jupiter und Juno Regina als vermutlich aus der kel- der westlichen Civitates voneinander sehr unterschied- tischen Religion stammendes Götterpaar und nicht als lich entwickelt haben: Die Kulte in Nîmes (Nemausus) kapitolinische Trias zusammen mit Minerva. (Obwohl konzentrieren sich beispielsweise sehr auf die Stadt und sie nur zweimal als Trias in Obergermanien vorkommt, ihr Augusteum im Gegensatz zu dem fast unüberschau- ist die kapitolinische Trias übrigens für die Autorin baren Netz an ländlichen Kultstätten im nahe gelege- »quasiment omniprésente« [S. 396].) Die weitverbreite- nen Aquae Sextiae. Beide haben übrigens den Status ten Jupitergigantenreiter, die uns die Komplexität des einer Kolonie. Ursachen dürften sowohl in den sozio- lokalen Gottes näherbringen, werden von der Autorin religiösen Strukturen der späten Eisenzeit als auch in nur in einem Nebensatz erwähnt, da sie sich meist »de- den unterschiedlichen Strategien zu finden sein, welche hors des sanctuaires« und im privaten Kontext finden lokale Eliten im Rahmen der sich verändernden kultu- würden und somit nicht Teil des öffentlichen Kultes rellen und politischen Parameter entwickelt haben. seien (S. 387). Eine derartige Schlussfolgerung erscheint Darin wären aber entsprechend längerfristige Prozesse aber fraglich, wenn man die Ansammlung von Jupiter- zu sehen, während einige Autoren der vorliegenden Bei- gigantensäulen in zentralen Kultstätten berücksichtigt, träge anzunehmen scheinen, dass Bevölkerungen gera- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 384

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dezu ihre »neue religiöse Landschaft«, gemäß der Lex 294)? Der Ausbau von Kultstätten, ebenso wie Skulp - coloniae Genetivae, an einem bestimmten Stichtag ein- turen und lateinische Inschriften, erscheint vor allem fach »kreieren« (S. 444), was zudem einen unrealisti- als ein kulturelles Phänomen. Wurden beispielsweise schen Konsens innerhalb der lokalen Eliten in den west- Quellheiligtümer, wie Villards und Bath (S. 121–134), lichen Civitates voraussetzen würde. Auch die meisten nur deshalb monumentalisiert, weil sie dem Zusam- im vorliegenden Band vorgestellten Heiligtümer besit- menhalt einer Civitas dienten? Oder spiegelt ihre Popu- zen vorrömische Anfänge und schon in vorrömischer larität in der Kaiserzeit nicht auch Erkenntnisse über Zeit gab es – auch ohne die Institution der Civitas – die medizinische Heilwirkung des Wassers wider? Die Unterschiede zwischen pri vaten und öffentlichen, häus- Architektur einer Kultstätte drückt zudem das Selbst- lichen und kollektiven Kulten. verständnis einzelner Mäzene aus, und bestimmte Viele der Autoren sind sich der Unzulänglichkeit der soziale Gruppen innerhalb einer Civitas (gentes, socii, Quellenlage für öffentliche Kulte durchaus bewusst, ethnische Gruppen) versuchten durch den Ausbau von umso bedauerlich ist die Tatsache, dass alternative Er- Kultstätten, denen sie sich zugehörig fühlen, ihre gesell- klärungsmodelle oft ausgeklammert werden. Scheid schaftliche Position und Identität zu demonstrieren, räumt immerhin ein, dass er trotz des relativ guten epi- wie etwa die Socii von Apt und ihr Merkurheiligtum in graphischen Befundes für Köln (Colonia Claudia Ara Villars (Vaucluse). Und finanziell wäre selbst ein einzel- Agrippiniensium) keine konkrete Aussage zum »pan- ner Grundbesitzer, der sich eine prachtvolle Villa leisten théon public« machen kann (S. 304 f.). Für Befunde, die kann, eher als eine Civitas in der Lage gewesen, ein Hei- dem Denkmodell der Polisreligion widersprechen, fin- ligtum zu errichten. den sich Erklärungen. So wird zum Beispiel im Fall der Das in diesem Band herausgestellte Modell der Senonen deutlich, dass Mars primär in der Stadt und Polisreligion sorgt unter anderem dafür, dass lokale Merkur auf dem Land verehrt wird. Doch wird dies als Unterschiede zwischen den Civitates in den Hintergrund unbedeutend verworfen, da Merkur – so wie Mars – auf gedrängt werden; dieses einseitige Interpretations- einen »dieu celtique souverain et guerrier« zurückgehen schema lässt zu wenig Spielraum für die Einbeziehung würde, man somit die »même fonctions que les divini- von Widersprüchen und abweichenden religiösen Kult- tés poliades« erkennen dürfe und sich die Bevölkerung praktiken. Die anzunehmende Vielfalt lokaler religiöser »autour de valeurs communes« versammelt haben Vorstellungen wird ausgeblendet, ebenso wie der indi - könne (S. 175). viduelle Charakter der Kulte. Funktion, Mythologie Die Rolle der Civitas wird oft überbewertet und an- und Evolution lokaler Götter, wie im Fall des viel- dere Strukturen vernachlässigt. In diesem Zusammen- schichtigen Jupitergigantenreiters, finden in den vorlie- hang sind die »Clans« interessant, die John Scheid in genden Untersuchungen nur wenig Berücksichtigung. den Mittelpunkt des niedergermanischen Matronen- Außerdem scheint es fraglich, inwieweit eine kaiserzeit- kultes stellt (S. 297–346). Ebenso geht Ton Derks in liche Civitas beziehungsweise Polis tatsächlich Kon- seiner sehr überzeugenden Neuinterpretation des Lenus- trolle über die auf ihrem Territorium ausgeübten Kulte Mars-Kultes in Trier (S. 239–270) auf Initiationsriten besessen hat: Mysterienkulte und Christentum wären ein, in denen Familien das Erwachsenwerden ihrer Kin- Beispiele für religiöse Entwicklungen jenseits der Ein- der zelebrieren. Diese »rites de passage« sind für Derks flusssphäre der Polis. keine Kreation ex nihilio nach der römischen Erobe- Den Autoren und Herausgebern verdanken wir rung, sondern basieren auf vorrömischen Vorstellungen einen umfangreichen und grundlegenden Überblick (S. 265), die in Trier eine römische Form an nahmen. über wichtige epigraphische und archäologische Mate- Derks argumentiert aber überzeugend, dass diese Riten rialgrundlagen zur Religion im römischen Westen; die und Ausdrucksformen je nach Region, Gottheiten und zum Teil zum Widerspruch herausfordernden Schluss- persönlichem Status variieren können (S. 265). In sei- folgerungen einiger Autoren bieten darüber hinaus nem Fazit interpretiert Scheid das Lenus-Mars-Heilig- Anregung zu vielfältiger Diskussion. tum als Indiz dafür, dass germanische und gallische Heiligtümer demselben »modèle formel« gehorchen Osnabrück Ralph Häußler und sich nicht von den übrigen Heilig tümern des römi- schen Reiches unterscheiden würden (S. 442). Es ist unbestritten, dass durch Urbanisierung und Integration gallischer Volksgruppen in übergeordnete soziopolitische Strukturen der Kaiserzeit die Rolle indi- Jean-Charles Moretti und Dominique Tardy (Hrsg.), gener Kulte neu definiert werden musste. Doch sollte L’architecture funéraire monumentale. La Gaule dans man kritisch hinterfragen, inwieweit Munizipalstruktu- l’Empire romain. Archéologie et histoire de l’art 24. ren alleine dafür verantwortlich sind. Wären dann nicht Editions du Comité des Travaux historiques et scientifi- vergleichbare Prozesse bereits in den latinischen Kolo- ques, Paris 2006. 522 Seiten, zahlreiche Abbildungen. nien und den Munizipien der voraugusteischen Epo- che, etwa in der Gallia Cisalpina oder Narbonensis, zu Das Buch ist ein eindrucksvoller Sammelband von drei- erwarten? Ist die Monumentalität eines Heiligtums ßig Artikeln, die die Ergebnisse eines Kolloquiums dar- wirklich ein Indiz für einen öffentlichen Kult (S. 215; stellen, das vom 11. bis 13. Oktober 2001 in Lattes statt- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 385

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fand. Organisatoren der Veranstaltung waren Christian deutschsprachigen Untersuchungsgebiet gewonnen Landes und das Institut de Recherche sur l’Architecture wurden, bleiben ausgeblendet. Auch die Anmerkung Antique (IRAA) des Centre National de la Recherche der Herausgeber, dass es keine Synthesen zur Grab - Scientifique (CNRS). Gleichzeitig wurde im Musée architektur gebe, ist wissenschaftsgeschichtlich gesehen Archéologique Henri-Prades von Lattes die Ausstellung nicht richtig: Schon Jean-Jacques Hatt publizierte ein ›La mort des notables en Gaule romaine‹ gezeigt, für die beeindruckendes Werk (La tombe gallo-romaine [Paris Christian Landes einen Katalog unter demselben Titel 1951]), wohlgemerkt auf Französisch. Seitdem ist von zusammenstellte (erschienen Lattes 2002) mit einer verschiedenen Verfassern eine größere Anzahl zusam- Übersicht aller Grabmonumente im römischen Gallien. menfassender Arbeiten geschrieben worden, auf die Anlass für das Kolloquium, die Publikation der Akten auch Autoren des Sammelbandes verweisen. Zu nennen und die Ausstellung war die Entdeckung zahlreicher sind als Werke, die einen generellen Überblick bieten: monumentaler Grabmäler in Frankreich und den um- Death and burial in the Roman World (London 1971) liegenden Ländern in den letzten Jahrzehnten und vor von J. M. C. Toynbee, Römische Grabbauten der frü- allem die »absence totale de toute synthèse sur ce type hen Kaiserzeit (Stuttgart 1979) von H. Gabelmann, d’édifice« (S. 7). Während sich der Ausstellungskatalog Römische Grabdenkmäler (Waldsassen 1983) von W. K. auf Frankreich beschränkt, bezog das Kolloquium die Kovacsovics, Römische Grabbauten (Darmstadt 1992) Grabarchitektur des ganzen römischen Reiches ein, um von H. von Hesberg, Römische Gräberstraßen. Selbst- auch wichtiges Vergleichsmaterial zu den Grab mälern darstellung – Status – Standard (München 1987), her- aus anderen Provinzen des Reichs zusammen zubringen. ausgegeben von H. von Hesberg und P. Zanker, und Dadurch konnten Besonderheiten der gallorömischen Monde des morts, monde des vivants en Gaule rurale Grabarchitektur, ihres Ursprung, ihrer Entwicklung (Tours 1993), herausgegeben von A. Ferdière. An regio- und ihrer Bedeutung näher betrachtet werden, so dass nalen oder einzelne Provinzen betreffenden Arbeiten anschaulich wurde, was aus der mediterranen Welt sind zu nennen: W. Gauer, Die rätischen Pfeilergrab - stammte und was auf eigenem Boden gewachsen war. mäler und ihre moselländischen Vorbilder. Bayer. Vor- Die Reihenfolge der Beiträge in den Akten ist im geschbl. 43, 1978, 57 ff.; J.-N. Andrikopoulou-Strack, Wesentlichen diejenige des Kolloquiumsprogramms Grabbauten des 1. Jahrhunderts n. Chr. im Rheingebiet. geblieben. Sie sind in drei Abschnitte gegliedert: ›Re- Beih. Bonner Jahrb. 43 (Köln/Bonn 1986); T. Panhuy- gionale Synthesen‹, ›Monumente aus den gallischen sen, Romeins beeldhouwwerk tussen Rijn en Maas, und germanischen Provinzen‹ und ›Spätantike bis Neu- in het bijzonder uit Maastricht. In: CSIR Nederland. zeit‹. Die Artikel sind zumeist auf Französisch verfasst, Germania inferior – Maastricht (Maastricht/Assen nur je ein Beitrag erscheint auf Spanisch beziehungs- 1996) 79 ff.; B. Numrich, Die Architektur der römi- weise Italienisch. schen Grabdenkmäler aus Neumagen. Beih. Trierer Die Herausgeber haben wie die Kongressorganisato- Zeitschr. 22 (Trier 1997); Y. Freigang, Die Grabmäler ren ihre Ambitionen nicht in allem verwirklichen kön- der gallo-römischen Kultur im Moselland. Jahrb. nen. Das Buch liefert letztlich keine Gesamtsynthese, RGZM 44, 277–440; S. Willer, Römische Grabbauten aber sehr wohl eine Fundgrube von regionalen Über- des 2. und 3. Jahrhunderts nach Christus im Rhein - sichten und Betrachtungen von Teilaspekten der römi- gebiet. Beih. Bonner Jahrb. 56 (Mainz 2005). Auch ein schen Grabarchitektur, daneben werden nahezu alle Band wie der von V. Kockel, Die Grabbauten vor dem jüngst entdeckten Grabmonumente aus Frankreich Herkulaner Tor in Pompeji (Mainz 1983), mit seinem und der Schweiz besprochen und neue Untersuchun- wichtigen Beitrag zur monumentalen Grabarchitektur, gen vorgelegt. muss hier erwähnt werden. Nun zu den Beiträgen des ersten Buchteils. Im ersten Teil des Buches (›Synthèses régionales‹) fin- Henner von Hesberg, Les modèles des édifices funé- den sich Übersichten zur römischen Grabarchitektur in raires en Italie. Leur message et leur réception (S. 11–39). Norditalien, den Donauprovinzen, Griechenland und Ausgangspunkt ist die Rekonstruktion eines tiberi - Spanien; Italien kommt noch einmal vor beim Typus schen (?) Mausoleums in Köln für einen Dispensator der Rundmausoleen. In Syrien und Jordanien werden Augusti, das aus einem viereckigen Unterbau mit einem einige regionale Entwicklungen behandelt, für Palmyra architektonisch gegliederten, geschlossenen Oberbau und das Gebiet der Nabatäer eine Bibliographie gebo- (Monopteros) mit bekrönendem Dach bestanden haben ten. Kartenmaterial fehlt bei den meisten Artikeln. In dürfte. Der Verfasser sucht nach möglichen Vorbildern diesem Teil des Sammelbandes wird auch früheren Ent- im Mittelmeerraum, besonders in Italien. Dabei geht er wicklungen in der hellenistischen Architektur Auf- davon aus, dass nicht nur ein spezifischer Monument- merksamkeit gewidmet, und es findet sich eine interes- typus in seiner Entwicklung betrachtet werden sollte, sante neue Hypothese zur Entwicklung der Grabtürme. sondern dass die Grabkunst in Italien einen ununter- Bedauerlich ist, dass die gut dokumentierte Grab - brochenen Strom von Formen und Strukturen bildet, architektur der nördlichen Regionen Galliens und der die miteinander kombiniert werden konnten zu vielen, beiden germanischen Provinzen kaum angesprochen zuweilen regionalen Varianten. Er bespricht Säulenmo- wird. Alle Kenntnisse und Ergebnisse, die im Lauf nopteroi, Sockel mit Tänzerinnenfries, Monu mente auf von über einem Jahrhundert in diesem hauptsächlich dreieckigem Grundriss, geschlossene Monopteroi und 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 386

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Tumuli. Er endet mit den wenigen engen Parallelen in schen Kolonien, im zweiten sind sie weiter verbreitet. Gallien, dem Juliermonument in St. Rémy-de-Pro ven - Hypogäen, architektonisch gestaltete Grabaltäre, Kam- ce, einem Fragment in Arles und dem Tour de l’Horloge mergräber mit und ohne Krypta, einige Grabtempel in Aix-en-Provence, vermutet aber auch, dass vergleich- und Heroa werden angesprochen. Besonders wird das bare Monumente bei den Militärlagern in Germanien Grabmal des Philopappos (um 115 n. Chr.) erwähnt. während der Eroberungsphase standen. Das Monu- Die Architektur der Gräber ist schlicht und schließt ment in Köln gehört nach Meinung des Autors in die an diejenige der öffentlichen und kultisch genutzten mediterrane Entwicklung, wie er nicht zuletzt durch Gebäude an. den Vergleich mit der Rotunde von der Porta Marina in Annie Sartre-Fauriat, Influences exogènes et tra - Ostia zu zeigen versucht. ditions dans l’architecture funéraire de la Syrie du Sud Jean-Charles Balty, Des tombeaux et des hommes. (S. 125–139). Trotz seiner abgeschiedenen Lage hat der À propos de quelques mausolées circulaires du monde Hauran viele Einflüsse aufgenommen, die zum Beispiel romain (S. 41–54). In Rundmausoleen werden seit der an den monumentalen hellenistischen Gräbern aus Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. Personen aus den dem Beginn der ersten Jahrhunderts n. Chr. erkennbar Kreisen um den Princeps und die letzten Imperatores sind. Nach der Eingliederung in das Römische Reich der Republik beigesetzt. Aber das Mausoleum des Au- im zweiten Jahrhundert erlebt die Grabkunst dann eine gustus übertraf mit einem Durchmesser von dreihun- Blüte: Es gibt nun Sarkophage, monumentale Inschrift- dert Fuß alle anderen dreimal an Größe. In den Provin- platten und Grabporträts in Relief. Die regionale Archi- zen folgen diesem Muster in der ersten Hälfte des ersten tektur bleibt einfach; ebenso wird weiter der harte, Jahrhunderts n. Chr. zahlreiche Grabbauten, die von dunkle Basalt verwendet. Im Laufe der Zeit entwickeln den sozialen Eliten der Städte, vor allem aus der Klasse sich lokale Varianten. der Equites, genutzt werden. Diese Mausoleen haben Jacques Seigne, Les monuments funéraires de Gérasa Durchmesser von zwanzig bis sechzig Fuß. de la Décapole (Jordanie) (S. 141–158). Der Autor be- Monika Verzár-Bass, Il mausoleo in Italia Settentrio- spricht kurz vier erhaltene Grabmonumente von Ge- nale (S. 55–77). Norditalien zerfällt bezüglich der Grab- rasa. Er schließt daran die Besprechung eines Komple- formen in zwei verschiedene Kunstlandschaften: Die xes von fünfundzwanzig skulpierten Steinen an, die 1993 Regio VIII und die Regio X lassen deutlich Einflüsse in der Südnekropole gefunden wurden. Diese verbindet aus dem östlichen Mittelmeerraum erkennen mit Ädi- er mit einer Reihe von Werkstücken, die 1932 am Fuß kulen und Monopteroi auf hohen Podien (die ›Mauso- des Hadriansbogens, dessen oberste Teile er 1994 stu- leumsgrundform‹ nach Hanns Gabelmann) sowie run- dieren konnte, dokumentiert worden waren. Dabei den und achteckigen Formen. In der Gallia Cisalpina entdeckte er aufs Neue einige wiederverwendete Steine, gibt es deutlich weniger Grabmonumente, die dann vor die mit seiner Fundgruppe verbunden werden können. allem Einflüsse aus Mittelitalien erkennen lassen. Die Er rekonstruiert daraus einen monumentalen Grabbau monumentale Grabarchitektur beschränkt sich größ- mit zwei Stockwerken auf rundem Grundriss und be- tenteils auf die augusteische Zeit; danach kommen mo- krönt von einem konisch zulaufenden Dach. Der archi- numentale Grabaltäre vor, ›Grabcippi‹ und Grabsteine, tektonisch gegliederte Unterbau hat einen Durchmes- die große Grabarchitektur im Kleinen imitieren. ser von sechseinhalb Metern; auf ihm wird eine Tholos Gabrielle Kremer-Molitor, L’architecture funéraire mit Säulenkranz rekonstruiert. Die Höhe der drei Bau- monumentale dans la Norique, la Pannonie et la Dacie glieder betrug knapp fünfzehn Meter. Seignes äußert (S. 79–98). Die Untersuchung aller großen Grabmo - die überzeugende und Aufsehen erregende Hypothese, numente von Noricum durch die Autorin im Jahre 2001 das Grabmal sei von dem aus Gerasa selbst stammen- (Antike Grabbauten in Noricum. Sonderschr. Österr. den Architekten Diodoros, Sohn des Zebedas, nach Arch. Inst. 37 [Wien 2001]) ermöglichte es, eine regio- 27/28 n. Chr. errichtet worden. Dafür sprechen kon- nale Typologie zu erarbeiten. Zu unterscheiden sind die struktive und stilistische Übereinstimmungen mit dem aus zwei Stockwerken bestehenden Mausoleen mit Ädi- von Diodoros errichteten dortigen Zeusheiligtum, etwa kulavarianten, Altäre auf einem Podium oder einem das ungewöhnliche System geteilter Architrave, die mit Stufensockel, bekrönt von einer Pyramide oder einem Steindübeln verbunden sind. Da Abbruchmaterial vom Medaillon, Grabmäler in Form eines Pfeilers oder in Grabmal im Hadriansbogen wieder verwendet wurde, Baldachinform. Das architektonische Formenrepertoire bestehen in chronologischer Hinsicht keine Einwände. und ikonographische Vorlieben zeigen eine regionale Pascale Clauss, Typologie et genèse du mausolée- Sonderentwicklung. Die wichtigste Periode für die mo- tour (S. 159–180). Die Autorin hat 1999 ihre Disserta- numentale Grabkunst in diesen Provinzen beginnt etwa tion über die Grabtürme in Nordafrika und im Nahen in der Mitte des zweiten Jahrhunderts n. Chr. Osten aus hellenistischer und römischer Zeit an der Jean-Charles Moretti, L’architecture monumentale Pariser Sorbonne I abgeschlossen (›Les tombeaux en en Grèce continentale sous le Haut-Empire (S. 99–123). forme de tour en Afrique du Nord et au Proche-Orient Achaia, Macedonia und Epirus weisen nur wenig römi- aux époques hellénistique et romaine‹). Ihr Beitrag fasst sche Grabarchitektur auf und lassen auch ein anderes die Resultate dieser Arbeit zusammen, mit neuen Ge- Bild erkennen als Italien und der Westen. Im ersten danken zu Ursprung, Verbreitung und Entwicklung Jahrhundert gibt es Grabmonumente nur aus römi- der Grabtürme. Clauss unterscheidet zwei Arten von 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 387

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Grabtürmen: Bei der einen werden in der Ädikula die Julio-Claudiens (S. 253–271). Der interessante Beitrag Verstorbenen dargestellt, bei der anderen nicht. Abwei- beschäftigt sich mit den verborgenen Schätzen von Nar- chend von den üblichen Vorstellungen wird das Mauso- bonne. Dreißig aus der gewaltigen Masse von skulptier- leum von Halikarnass nicht als Anfangspunkt für ten Blöcken ausgewählte Steine tragen sogenannte die Entwicklung der Turmmausoleen gesehen, sondern historische Darstellungen von Rechtspflege, Opfern, nur als Glied in einer längeren Kette. Nach Ansicht der Liktoren und Amtssymbolen. Die monumentalen Mau- Autorin war nicht Kleinasien für die Genese der römi- soleen, von denen sie stammen, wurden im Auftrag der schen Grabtürme bestimmend, sondern Karthago. In obersten Beamten aus dem Ordo decurionum der Stadt seiner römischen Umwelt entwickelte der Grabturm vielleicht in Serie gefertigt. Der Autor schlägt aber mit viele Varianten für den monumentalen Rahmen der überzeugenden Argumenten eine andere Gruppe als Selbstdarstellung der Auftraggeber. Der Beitrag enthält Auftraggeber vor, die Seviri Augustales, die den gleichen eine grafisch gestaltete Zeittafel mit allen wichtigen Ehrgeiz hatten wie die städtischen Beamten. Grabmonumenten vom sechsten Jahrhundert v. Chr. Anne Roth Congès, Le mausolée d’Argenton (Le Fu- bis zum vierten Jahrhundert n. Chr., aufgeteilt in die geret, Alpes-de-Haute-Provence). Un problème de res- Kategorien Grabtürme und Prototypen. titution (S. 273–287). Von einem bekannten Fundplatz Andreas Schmidt-Colinet, L’architecture funéraire in den Südalpen wurden auf einer Seehöhe von tau- de Nabatène et de Palmyre. Une bibliographie (S. 181– senddreihundert Metern nahe bei Annot zwischen den 189). Der Autor bietet eine sehr knappe Übersicht der Flüssen Var und Verdon in den Jahren 1988/1989 rund Grabarchitektur der betreffenden Region mit einer hundert Fragmente eines Grabbaus ohne Fundament Typentafel und einer Bibliographie. ausgegraben. Die Autorin hatte auf dem Kongress eine Anne-Marie Guimier-Sorbets, Architecture funé- Rekonstruktion vorgestellt, die viel Kritik fand, an dem raire monumentale à l’epoque hellénistique. Des modè- sie aber in ihrem Artikel festhält. Der Unterbau mit les macédoniens aux nécropoles alexandrines (S. 191– einer Breite von fünf Metern ist würfelförmig; in Ni- 203). Die Autorin bespricht einige architektonische und schen sind dort Porträts von Familienmitgliedern ange- dekorative Details makedonischer Grabmäler und ihre bracht. Auf dem Würfel folgt ein sich gut ein fügender Übernahme in den Hypogäen Alexandriens; dazu lie- Quadrifrons. Problematisch ist aber, dass ein weiteres fert sie eine besondere Betrachtung zu Kline und Bal - Stockwerk in Form einer Tholos mit einer sitzenden dachin. Grabstatue und einer konischen Dachpyramide hinzu- María Luisa Cancela y Ramírez de Arellano, Los gefügt wird. Die Proportionen zwischen dem Unterbau monumentos funerarios hispanos (S. 205–219). Die his- und dem kleinen Baldachin stimmen nicht. Eine Mög- panische Grabarchitektur unterscheidet sich nicht sehr lichkeit, das Problem zu lösen, wäre, aus dem Fund- von derjenigen der anderen westlichen Provinzen und komplex zwei Grabmonumente zu rekonstruieren, einen hat wegen der Lage und der frühen Kolonisierung viel Grabturm und ein Baldachingrab, eine Lösung, die die mit der Narbonensis gemein. Die größte Dichte an Autorin zurückweist. Grabmonumenten findet sich in den Tälern von Ebro Jean-Marc Mignon und Stéphanie Zugmayer, Les und Guadalquivir, entlang der ganzen Mittelmeerküste mausolées de Fourches-Vieilles à Orange (Vaucluse; und an der Via Augusta. S. 289–320). Eine Notgrabung im Sommer 1999 führte zur Entdeckung von vier Grabarealen längs der Agrip- Der zweite Teil des Buchs (›Monuments des Gaules et pastraße, einen knappen halben Kilometer nördlich des des Germanies‹) besteht aus einer Reihe von Aufsätzen, Bogens von Orange. Anhand der Architekturteile und die den heutigen Kenntnisstand über römische Grab - Fundamente sind zwei monumentale Grabbauten zu architektur in Frankreich, der Schweiz und Luxemburg unterscheiden, ein reichverzierter Grabturm und ein bündeln. schlichter monumentaler Rundbau. Die vorgeschla- Gilles Sauron, Architecture publique méditerrnéen - gene Rekonstruktion des etwa neunzehn Meter hohen ne et monuments funéraires en Gaule (S. 223–233). Der Gebäudes zeigt einen würfelförmigen, architektonisch Aufsatz bietet einige Betrachtungen zur äußeren Ähn- gestalteten Sockel, einen geschlossenen achteckigen lichkeit zwischen der öffentlichen Architektur im Mit - Monopteros mit Sphingen an den Ecken des Sockels, telmeergebiet und der gallorömischen Grabkunst. einen achteckigen offenen Monopteros für die Grabsta- Michel Christol, Élites, épigraphie et mémoire en tuen und ein Pyramidendach. Der Bau wird mit dem Gaule méridionale (S. 235–251). Die Ausübung öffent- von Faverolles verglichen, der aus typologischen Grün- licher Ämter von einzelnen Mitgliedern der Nobilitas den ebenfalls augusteisch datiert wird. Eine sehr große kann auf verschiedene Art verewigt werden: manchmal Menge an Daten gibt die Grundlage für Beschreibung durch die Errichtung eines monumentalen Grabes, und Rekonstruktion des Rundbaus für Titus Pompeius dann wieder nur durch eine Grabtafel, die an die Kar- Phrixus Longus, der mit seinem Durchmesser von fünf- riere des Verstorbenen erinnert, durch die wir Einsicht zig Fuß und einer rekonstruierten Höhe von fünfund- gewinnen können in die gesellschaftlichen Strukturen. zwanzig Fuß ein großartiges Beispiel für diesen Grab- Emmanuelle Rosso, Le décor sculpté des mausolées maltypus bietet. Aufgrund epigraphischer Befunde de Narbonne. Problèmes d’interprétation. À propos de wird er in die Zeit zwischen Augustus und Claudius l’auto-représentation des élites narbonnaises sous les datiert. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 388

388 Besprechungen

Jacques Planchon und Gérard Charpentier, Le mo- Faverolles, der aus einem würfelförmigen Sockel mit nument funéraire d’Aulus Pompeius Fronto à Saillans Eckpilastern, einem achteckigen, geschlossenen und ar- (Drôme; S. 321–335). Untersuchungen im Jahre 1989 chitektonisch gegliederten Monopteros, einer achtecki- an einem seit Jahren bekannten Fundort mit einer gen offenen Tholos und einem pyramidenförmigen Furt und vermutlich einem Hafen, Meilensteinen, Dach besteht. Die Gesamthöhe des Monuments muss einer Brücke und bearbeiteten römischen Steinblöcken ungefähr dreiundzwanzig Meter betragen haben, wobei an der Straße von Valence nach Italien, der mit der ein Fußmaß von 29,4 cm verwendet wurde. Mutatio Darentiaca identifiziert wird, haben Reste der Simone Deyts, La décoration architectonique du Fundamentierung eines monumentalen Rundbaus von mausolée de Faverolles (S. 387–394). Leider fehlen epi- fünfundzwanzig Metern Durchmesser freigelegt. Ge- graphische Angaben, aber die Skulpturreste bieten funden wurden auch Steine des Epistyls, von Gesimsen einige Anhaltspunkte, die Deyts in ihrem knappen und einem Fries. Schon 1982 war eine Inschrift entdeckt Text über die Ikonographie des Monuments verwendet, worden mit dem Text »A(ulo) Pompeio Sex(ti) f(ilio) / um es in die Zeit zwischen 20 und 40 n. Chr. zu da - Volt(inia tribu) Frontoni / Vocontei«, eine ungewöhn - tieren. liche Weihung eines Stammes an eine Privatperson. Das Jean-Claude Barçon, Lydie Joan und Hervé Laurent, Mausoleum wird in die augusteische Zeit datiert. Le monument funéraire de Chavéria (Jura) (S. 395– Jean-Claude Béal und Gérard Charpentier, Nouvel- 406). Von 1997 bis 2001 wurde ein umfangreiches Aus- les remarques sur le mausolée d’Andance (Ardèche) grabungsprojekt bei einem 1976 durch Luftbilder ent- (S. 337–354). Yves Burnand identifizierte 1979 die noch deckten kultischen Komplex von achthundert auf drei- bis zu einer Höhe von acht Metern aufrecht stehenden hundert Metern durchgeführt. In den Jahren 1992 und Ruinen ›de la Sarrasinière‹ auf dem Westufer der Rhône 1997 war ein im Grundriss erhaltenes Gebäude unter- als einen monumentalen Grabbau. Das massive Mauer- sucht worden, das man für einen gallorömischen Tem- werk besteht aus einem Sockel und einer Exedra, die pel hielt, der sich nun als Grabturm aus einem würfel- nach Osten auf den Fluss hin ausgerichtet ist. Der förmigen Unterbau und einem viersäuligen prostylen Mauerkern war ursprünglich mit Kalksteinblöcken ver- Grabtempel des zweiten Jahrhunderts n. Chr. erwies. kleidet, die nur noch als Negativ im Mörtel zu erken- Laurent Flutsch und Pierre Hauser, Les mausolées nen sind. Der Bau wurde ins erste Jahrhundert n. Chr. d’Avenches-en Chaplix. Mythologie et démolition datiert. (S. 407–418). In den Jahren 1988 und 1989 wurden im Djamila Fellague, Les mausolées de la nécropole de Norden von Avenches (Schweiz) zwei außergewöhn- Trion à Lyon (S. 355–376). Eine höchst willkommene, liche, eng verwandte Mausoleen aus den Jahren 25/30 wichtige Darstellung der 1885 ausgegrabenen und dann beziehungsweise um 40 n. Chr. unter äußerst günstigen schlecht publizierten Gräberstraße von Trion (Lyon) Bedingungen untersucht. Die Rekonstruktion der bei- mit zehn turmförmigen Mausoleen nebeneinander, ver- den um die fünfundzwanzig Meter hohen Monumente, gleichbar zum Beispiel mit der Gräberstraße von Sar- eine Kombination von stark überhöhten Grabtürmen sina. Dazu präsentiert die Autorin ein kolossales Kapi- mit viersäuligen prostylen Ädikulen und Dachpyrami- tell (H. 84 cm; B. oben 144 cm, unten 82 cm), das einen den sowie vorgelagerten Exedren ist erstaunlich und Pfeiler (82 cm × 82 cm) mit architektonisch geformten wird zu Diskussionen führen. In diesem Beitrag wird Eckpilastern (B. 17 cm) bekrönte. Es wird in dieselbe kurz eingegangen auf die Diskussion über die Ikono- Zeit wie das Mausoleum von Glanum datiert (40/30 graphie der mythischen Darstellungen. Thematisiert oder 30/20 v. Chr.). Die Autorin rekonstruiert aus die- wird auch der Verfall und endgültige Abbruch der sem Kapitell einen »tombeau-pilier« und deutet diesen Mo numente im Verlauf des dritten Jahrhunderts, durch anschließend wegen des Fundkontextes mit Grabtür- den über neun Zehntel des ursprünglichen Baumateri- men als ein Grabmonument, aber sie kann dafür keine als verloren gingen. einzige Parallele aufzeigen. Sie erwähnt auch die Gat- Philippe Bridel, Le mausolée de Wavre (Suisse). Res- tung der Iuppitersäulen als Vergleichsstücke und er- titution et présentation muséographique (S. 419–433). innert an die weite Verbreitung dieser Art von Weihe- Der Autor legt eine neue Rekonstruktion des 1976 von monumenten, ohne jedoch mögliche Verbindungen ihm publizierten Grabmals von Wavre vor. Er schlägt aufzuzeigen. Dennoch scheint gerade diese Gruppe von nun einen zehn Meter hohen Bau des frühen zweiten Denkmälern ergiebiges Material zu enthalten, nämlich Jahrhunderts vor, der aus einem architektonisch geglie- die monumentalen Götterpfeiler mit scheinbarer und derten würfelförmigen Sockel und einer viersäuligen echter architektonischer Verzierung: Nimwegen, Tibe- prostylen Ädikula besteht. Diese ist bekrönt von einem riuspfeiler; Paris, Nautenpfeiler; Pfeiler von Mavilly in Satteldach mit Dreieckgiebel, dessen Schrägen oben be- Dijon; auch zum Beispiel den Sockel der Großen Main- krönt werden von einem Ornament aus miteinander zer Iuppitersäule; weiter Vinsobres, Pfeiler mit Iuno verbundenen gegenständigen S-förmigen Motiven. und Minerva; Maastricht, Pfeiler von Derlon. Das Ka- Jean Krier, Le mausolée de Betrange et les monu- pitell von Trion könnte am Anfang dieser Reihe stehen. ments funéraires du 1er siècle ap. J.-C. en région mosel- Serge Février, Description du décor architectonique lane (S. 435–444). Sehr genaue Notuntersuchungen du mausolée de Faverolles et données métrologiques zwischen 1997 und 2003 auf dem Gelände einer Villa (S. 377–386). Der Autor beschreibt den Grabturm von rustica erbrachten unter anderem die Ergebnisse, dass 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 389

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der Gutshof im dritten Jahrhundert zweimal befestigt Jerko Marasović, Katja Marasović und Snježana Pe- wurde und das Gelände im sechsten und siebten Jahr- rojević, Le Mausolée de Dioclétien à Split (S. 497–506). hundert als Begräbnisplatz einer adeligen Familie ge- Es werden die Resultate der systematischen Ausgrabun- nutzt wurde. Im dritten Jahrhundert wurden etwa sech- gen der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts vorge- zig Blöcke von einem monumentalen Grabbau für die stellt, die durchgeführt wurden, um über das Aussehen Befestigung verwendet. Krier bespricht die wichtigsten des Mausoleums und die Einrichtung der umliegenden dieser Werkstücke und gelangt zu der Vermutung, dass Räume genauere Kenntnisse zu erlangen. das Mausoleum vielleicht für den Gründer der Domäne Jean-Pierre Adam, Un conservatoire de l’héritage errichtet wurde, dass es eine enge stilistische Verwandt- antique et de l’académisme dans l’architecture funéraire. schaft mit südfranzösischen Monumenten gibt und Le cimétière du Père-Lachaise (S. 507–520). Der Aufsatz dass eine Datierung in die zwanziger Jahre des ersten zeigt anhand des Pariser Friedhofs, wie die antike Grab- Jahrhunderts denkbar ist. Vermutlich machte nach sei- kunst als Quelle der Inspiration für den Neoklassi- nen Darlegungen die Grabkunst in der Region Trier zismus diente. eine eigene und frühere Entwicklung durch als in der Rheinzone (Köln, Mainz). Dagegen spricht freilich, dass Wenn wir die thematischen Absichten des Kolloquiums auch die frühe Skulptur in der Rheinzone eine starke betrachten und den hier besprochenen Sammelband, Beeinflussung durch die Narbonensis zeigt, die be- halten wir es für eine vertane Chance, dass die Heraus- sonders an der dichten Reihe der durch Gabelmann be- geber keinen Versuch unternommen haben, dem Band kannten Reitergefechtdarstellungen abzulesen ist. einen zusammenfassenden Beitrag, eine Synthese, hin- Jean-Luis Paillet und Dominique Tardy, Les monu- zuzufügen. Die Reihe guter Beiträge, die neuen Ent - ments funéraires des Cars en Corrèze: premier bilan des deckungen und die reiche Literatur hätten eine gute recherches (S. 445–472). Grabungskampagnen seit dem Basis dafür geboten. Für alle, die sich mit provinzial- Beginn des vorigen Jahrhunderts, vor allem in den Jah- römischer Grabarchitektur beschäftigen, ist dieses Buch ren 1937–39, 1949–55 und 1974–76 wurden erst 1996–99 aber ein unverzichtbares Nachschlagewerk und eine aufgearbeitet. Die Präsentation zweier monumentaler echte Fundgrube. Das Werk ist zudem vorzüglich redi- Grabtempeln vom Ende des zweiten oder dem Beginn giert und die Aufsätze sind gut illustriert. des dritten Jahrhunderts n. Chr. ist ein Resultat davon. Es sind zwei in der gallorömischen Grabarchitektur ein- Maastricht Titus Panhuysen zigartige Bauwerke, Tempel auf einem dreigliedrigen, rechteckigen Grundriss mit einer Treppe im Osten, von denen einer eine Apsis im Westen aufweist. Der Beitrag bietet genaue Detailinformationen über die Grund - lagen der eindrucksvollen Rekonstruktionen. Gestempelte südgallische Reliefsigillata (Drag. 29) aus Georges Soukiassian, Les piles funéraires du Sud- den Werkstätten von La Graufesenque. Gesammelt Ouest (S. 473–477). Soukiassian bietet eine knappe von der Association Pegasus, Recherches Européennes Übersicht mit Typentafel über die fünfzehn bekannten sur la Graufesenque. Bearbeitet von Geoffrey B. Dan- Grabpfeiler des heutigen Départements Gers und der nell, Brenda M. Dickinson, Brian R. Hartley, Allard alten Aquitania. Sie sind acht bis fünfzehn Meter hoch, W. Mees, Marius Polak, Alain Vernhet, Peter V. Webs- bestehen aus einem Sockel und zwei Stockwerken, in ter. Kataloge Vor- und Frühgeschichtlicher Altertümer deren oberem eine Nische für das Bild des Verstorbenen Band 34 A. Verlag des Römisch-Germanischen Zentral- vorhanden ist, und einer Dachpyramide oder einem museums Mainz 2003, 13 Bände. Unpaginiert, zahlrei- Satteldach. Sie gehören in das erste oder spätestens das che Abbildungen. zweite Jahrhundert n. Chr. Ein enormes Werk, außer aller Norm im wahren Sinn Der dritte Teil (Monuments de l’antiquité tardive et hé- des Wortes: Dreizehn Ordner mit vierfach gelochten, ritage antique dans l’architecture moderne) ist als eine unpaginierten Blättern, einseitig bedruckt, der erste Band interessante Zugabe zu betrachten, die aber keinen Bei- mit sieben kurzen Vorworten von beteiligten Autoren trag zur thematischen Fragestellung des Sammelbandes in den vier Sprachen Englisch, Französisch, Niederlän- bietet. disch und Deutsch, einer halben Seite »Ziel der Vor- Jean Guyon, Les mausolées romains tardifs à plan lage« und einer halben Seite »Aufbau des Kataloges« centré (S. 481–496). Der Aufsatz präsentiert einige Grab- in Deutsch mit Übersetzungen in Englisch und Fran - bauten in Rom aus den ersten Jahrzehnten des vierten zösisch. Was folgt, sind Hunderte von Seiten mit Ab - Jahrhunderts, einer Zeit, in der dort einige originelle bildungen ohne Kommentar. Auf festen Einband und Architekturformen entstanden, darunter auch der Zen- Paginierung ist verzichtet, damit Supplementa einge- tralbau. Die kaiserlichen Rotunden des Maxentius an fügt werden können. Bereits jetzt sind drei Lieferungen der Via und der Helena an der Via Labicana mit Korrekturen und Nachträgen erschienen. waren die Prototypen. Guyon geht auch auf die Dis- Am Schluss jedes Bandes findet sich eine Folge von kussion ein über die Bedeutung dieser Bauwerke für die Nachweislisten zu den Abbildungen, zunächst Angaben Entwicklung der christlichen Architektur. zu Fundort, Fundstelle und Aufbewahrung. Es folgt der 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 390

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englische Terminus »die«, ein nicht erklärter Begriff, Szenen. Es ist, als scheuten die Gallier die Darstellung den meines Wissens Brian R. Hartley geprägt hat. Es von Lebewesen. handelt sich um die Vorlage für den jeweiligen Stempel, Auch wenn diese reliefverzierten Schüsseln durchaus eigentlich um die Patrize. (Eine exakte Definition er- im modernen Sinn Fabrikware sind, so kann ihre künst- hofft man sich in dem soeben angezeigten Werk B. R. lerische Qualität nicht in Frage gestellt werden. Der Hartley / B. M. Dickinson, Names on Terra Sigillata, vorliegende Katalog ist ein sprechendes Zeugnis dafür; Bull. Inst. Class. Stud. Univ. of London, Suppl. 102 möge er dazu beitragen, dass die Gattung in der Ge- [London 2008]). Abschließend folgt die Kategorie schichte der Ornamentik ihren gebührenden Platz er- »Publikation«, ein Literaturkürzel, das am Schluss der halten wird. Liste aufgelöst wird. Der Katalog enthält mehr als drei- Abriebe von Dekor auf südgallischem Geschirr wur- tausend Eintragungen. den bereits im frühen zwanzigsten Jahrhundert im Zuge Mitgearbeitet haben zahlreiche Institutionen: die eines allgemein wachsenden Interesses an kunsthand- Universität von Cardiff, Archaeology and Ancient His- werklichem Schaffen gesammelt. Der Stuttgarter Zei- tory; die Direction Régionale des Affaires culturelles chenlehrer Robert Knorr (1865–1957) verfasste eine de Midi-Pyrénées, Service régional de l’archéologie, Reihe von Publikationen, in denen er Umzeichnungen Toulouse; die Katholische Universität Nimwegen, Pro- von Abrieben zusammen mit den Töpferstempeln vor- vinzialrömische Archäologie; das Musée de Millau; das legte. Bis heute sind sie Referenzwerke für Zuschrei- Musée Fenaille, Rodez; die Universität von Toulouse, bungen von Reliefsigillata ohne erhaltene Signatur an Le Mirail, Unité toulousaine d’archéologie et d’histoire; eine Manufaktur. Die Herausgeber des neuen Opus und schließlich die Universität von Leeds, School of sehen sich expressis verbis in der Fortsetzung dieser Tra- Classics. dition. Die verbesserte Bildqualität eröffnet grundle- Die Wandknickschüsseln Dragendorff 29, um die es gend neue Dimensionen, nämlich die Sicherstellung hier durchwegs geht, entstanden aus Formschüsseln mit von Punzenidentität und das Erkennen von Fehlstellen innerem Dekor, die sich durch den beim Trocknen ver- an Punzen. Die Abbildungen von Knorr sind besten- ursachten Schrumpfungsprozess aus der Form heraus- falls auf die Hälfte verkleinert, während die neuen Vor- lösten. Rand und Boden wurden in einem separaten lagen durchgehend im Originalmaßstab sind. Knorr Arbeitsgang angedreht. Der Formschüsseldekor wurde hat die Abriebe mit großem Können umgezeichnet, zum großen Teil mit Punzen eingestempelt, das lineare seine Graphiken entsprechen aber oft doch nicht ganz Werk wie Rankenbögen freihändig zugefügt. den Originalen. Sie erreichen daher nie die Zuverlässig- Auf den Tafeln sind Abriebe der Reliefverzierung keit der direkten Reproduktion der Abriebe. Einen und der dazugehörenden Töpferstempel auf dem inne- Punzenkatalog nach dem vorliegenden Werk bereitet ren Gefäßboden besagter Schüsseln in Originalgröße Allard Mees vor. ausgebreitet. Sie sind nach Töpfernamen geordnet, bei Für Knorr und seine Zeitgenossen besaß die Sigillata den Tria nomina ist das Cognomen maßgeblich. Die lo- neben dem kunsthandwerklichen Aspekt einen zusätz- ckere Anordnung, die gekonnte Montage, die feinfüh- lichen Reiz: das antike Objekt mit namentlicher Nen- lige Überarbeitung der Vorlagen – Zigarettenpapiere, nung des Herstellers. Das signierte Werk kam der positi- die über den Dekor gelegt und mit Graphitstaub über- vistisch ausgerichteten Forschung des späten neunzehn- strichen wurden – lassen ein Tafelwerk von hoher ten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts sehr entgegen. Qualität und besonderer Art entstehen, eine Zusam- Es war die Zeit der großen Schöpfungen von Corpora, menschau antiker Ornamentik, die gallisch-keltisches in der unter anderem Beazley für die griechische Kera- Formempfinden mit hellenistisch-klassizistischem Bild- mik sowie Felix Oswald und August Oxé für die römi- repertoire verbindet. Welch hohes Niveau an techni- sche Sigillata ihre Namenlisten anlegten. Im gleichen scher Perfektion, linearer Sicherheit und Sinn für Ge- Zug erhielt die Sigillata durch die Ausgrabungen im staltung den Formschüsselherstellern in den Werkstät- Lippetal ihren Stellenwert, wo historische Quellen die ten von La Graufesenque bei Millau (Dep. Aveyron), archäologischen Befunde chronologisch sicherten. dem antiken Condatomagus, eigen war, zeigt sich be- Die Datierung der Fundstellen stand natürlich nicht reits bei einem ersten Durchblättern: Die Aufgliede- von Anfang an fest. Scharfsinn und Kenntnis der histo- rung in zwei Zonen ist kanonisch, der Zonenteiler ist rischen Quellen führten die damals tätigen Ausgräber meist ein mit Perlschnüren gesäumter Halbrundstab. aber bald zu Ergebnissen, die später nur noch modifi- Großzügige Ranken und florale Muster wechseln mit ziert oder gefestigt wurden. Exemplarisch ist der Fall von metopenartig unterteilten Bändern, Sequenzen von Oberaden, wo die Dendroanalysen die historische Da- geometrischen Motiven wie Kreis, Quadrat und Recht- tierung von Loeschcke auf ein halbes Jahr bestätigten. eck. Die Gallier vermochten Schwung und architekto- Die Gattung der Terra Sigillata wurde für die Pro vin - nisch strenge Gliederung zu kombinieren. Blättchenge- zialrömische Archäologie zum chronologischen Leitfossil schuppte, geriefelte und mit schlanken Blattzungen ersten Ranges und ist es bis heute geblieben. Sie erlaubt überzogene Flächen belegen den Bezug zu toreutischen als weltweit verhandeltes Gut aus zentraler Produktion Vorlagen aus dem mediterranen Bereich. Seltener sind dank der Cross-dating-Methode und mit tels ge schlos- figürliche Motive, einzeln eingefügte Tiere und Tier- sener Fundkomplexe aus kurzen Zeiteinheiten, archäo- friese, noch rarer menschliche Figuren oder gar figurale logische Stätten in ein historisches Gefüge einzubauen. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 391

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Mehrere Generationen provinzialrömischer For- rechnungen wissen wir, dass Ofenbestückungen mit scher bemühen sich seither um tieferes Eindringen in mehr als dreißigtausend Stücke gängig waren. Die rie- die Kenntnis des antiken Sigillatahandwerks. Der Ab- sige Produktion ist als Antwort auf die Marktlage zu ver- lauf der einzelnen Produktionsschritte, die Organisa- stehen. Wohl im Zuge von Rationalisierungsmaßnah- tion der Manufakturen und die Vermarktung sind The- men schlossen sich Ateliers zudem zeitweilig zusammen men, die neben dem Streben nach Verfestigung der und verwendeten gemeinsam ihre Punzeninventare. Chronologie von verschiedenen Seiten und immer wie- All diese wechselnden Zusammenhänge der Betriebe der angegangen werden. lassen sich bis heute nur bedingt entflechten. Daher Fundamentale Kenntnislücken erschweren jedoch sind Zuschreibungen an Töpfer grundsätzlich mit Fra- den Fortschritt. Der Einsicht, dass nur eine breite Ma- gezeichen zu versehen; wer sich intensiv mit der südgal- terialaufnahme zu Resultaten führen kann, haben die lischen Keramik abgibt, weiß dies. Autoren des vorliegenden Werks in extenso Folge ge- Weiß das aber der durchschnittliche Benutzer des leistet. Die unpublizierten Bestände in Museen und Kataloges? Oder anders gefragt: wer konsultiert die Ausgrabungsdepots sind aber erschlagend und eine Aus- dreizehn Ordner? Kaum ist es der engere Kreis der For- wahl ist unabdingbar. Die Autoren haben sie nicht sys- scher, die sich mit südgallischer Ware beschäftigen; sie tematisch getroffen. Den Schwerpunkt bildet der Pro- werden vermutlich vor allem den digitalen Katalog im duktionsort La Graufesenque, die übrigen Aufnahmen Internet mit seinen Sucherleichterungen konsultieren. decken sich mit den Forschungsregionen der Autoren: Hingegen werden Feldforscher, die gerne ihre Funde in Gallien, Germanien, Britannien, vereinzelte Komplexe nützlicher Zeit anhand von Parallelen bestimmen und aus Italien. Dieses pragmatische Vorgehen ist verständ- zeitlich einordnen möchten, den Katalog als Bestim- lich; dadurch wird die Beurteilung auffälliger Unter- mungsbuch verwenden; die robusten Ordner sind sogar schiede in den Absatzgebieten einzelner Töpfer oder dem schmutzigen Klima in einer Grabungsbaracke Töpfergruppen aber stark beeinträchtigt. (Vgl. A. Mees, gewachsen und die gegenüber Knorr verbesserten und Diffusion et datation des sigillées signées et décorées de vervielfachten Abbildungen erleichtern den Zugang. La Graufesenque en Europe. L’influence de l’armée sur Für diesen Benutzerkreis wäre ein Kommentar, der den l’évolution du pouvoir d’achat et du commerce dans les heutigen Wissensstand zusammenfasst und die offenen provinces romaines., Kongr. Langres [2007] 145–208). Probleme schildert, unbedingt notwendig. Natürlich ist Trotz guter statistischer Grundlage und speziellen Aus- es möglich, sich anhand der reichlich zitierten Literatur wertungsprogrammen sind Registrierungslücken für ein Bild zu machen, aber wie viele Nichtspezialisten die Beurteilung der gesamten Verbreitung problema- verfügen über diese Zeit? Wer kann abwägen, was heute tisch. Allerdings ist die publizierte Version der Sammel- gesichert ist und wo die Schwachstellen des Wissensge- tätigkeit eine Etappe auf dem Weg zur angeblich not- bäudes sind? – Es sind die Autoren, die kompetent und wendigen Vollständigkeit; die Internetversion (www. kritisch den Katalog verfasst haben. Sie sind die führen- rgzm.de/samian/home/frames.html) enthält bereits fast den Forscher zur südgallischen Sigillata. Wenn sie ihr die doppelte Menge Einträge. Wissen in einem kurzen Bericht über den Stand der Dass die Signatur auf dem Gefäßboden und der Forschung zusammenfassen würden, wäre der Sache Reliefdekor in direkter Verbindung zueinander stehen, außerordentlich gedient. Das Faszinosum des hier vor- ist eine nahe liegende Arbeitshypothese. Sie bildet die gelegten Werkes, das mit seiner großen Anlage besticht, Grundlage für die Zuschreibung fragmentierter Stücke würde noch gesteigert. an einen Töpfer, wenn gleiche Punzen festgestellt wer- den können; aus solchen Zuschreibungen werden Da- Basel Katrin Roth-Rubi tierungen abgeleitet. Die wackeligen Füße dieses Sys- tems sind seit langem bekannt: Es lässt sich verfolgen, dass Punzen- und Formschüsselhersteller nicht immer identisch sind. Der Vergleich genauer Punzeninventare H[ilary] E. M. Cool, The Roman Cemetery at für die einzelnen Manufakturen beziehungsweise Töp- Brougham, Cumbria. Excavations 1966–67. Mit Bei- fer zeigt, dass bildgleiche Punzen von verschiedenen trägen von Julie Bond, B. Dickinson, Jeremy Evans, Formschüsselherstellern verwendet werden. A. P. Fitzpatrick, S. Greep, B. R. Hartley, Jacqueline I. Ebensowenig müssen Formschüsselhersteller und der McKinley, Quita Mould, H. W. Pengelly, Fay Worley sogenannte Töpfer, dessen Name im Inneren des Gefä- sowie Lindsay Allason-Jones, M. J. Baxter, Justine ßes steht, identisch sein. (Zum Problem der Töpfersig- Bayley, Sarnia Butcher, Gill Campbell, David Dung- natur und dem daraus ableitbaren Wissen über Model- worth, Martin Henig, Frank Jenkins, Jacqui Watson, hersteller und Fabrikbesitzer siehe J. Kees Haalebos / Tony Wilmott. Britannia Monograph Series 21. Society A. W. Mees / M. Polak, Arch. Korrbl. 1991, 79–91). for the Promotion of Roman Studies, London 2004. Offensichtlich konnten die Betriebe in Condatomagus XXVIII und 514 Seiten, 349 Abbildungen, 112 Tabellen, Punzen und Formschüsseln von Spezialisten erwerben, eine CD-ROM. oder diese arbeiteten wechselnd in verschiedenen Be- trieben. Die Struktur der Töpfermanufakturen war auf Die Ortschaft Brougham (ausgesprochen wie ›broom‹, riesigen Warenausstoß ausgerichtet: Dank der Töpfer- lat. Brocavum) liegt in der Grafschaft Cumbria im 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 392

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Nordwesten Englands zwei Kilometer von Penrith ent- Die Dokumentationslücken führten zu Unklarhei- fernt am Westrand des Edentals an einer strategisch ten, welche Befunde überhaupt als Gräber anzuspre- neuralgischen Stelle im römischen Fernstraßennetz: chen sind, was vermutlich zu einigen Widersprüchen in Von der wichtigsten nordsüdlichen Straße westlich der der Publikation geführt hat: Während in der Tabelle 4.1 Pennines, die Carlisle (Luguvalium) nahe der Hadrians- (S. 42) 293 grabrelevante Befunde erfasst werden, weist mauer mit dem Süden verband, gabelte sich hier am der Katalog (S. 46–265) drei Befunde mehr und An- Zusammenfluss der beiden kleinen Flüsse Eamont und hang 5 (S. 274–279) zwei weniger auf. Dabei werden in Lowther eine Fernstraße nach Südosten hin über Brough der genannten Tabelle unter anderem 123 Urnengräber (Verteris) nach Catterick (Cataractonium) und weiter und 73 Befunde unbekannter Bestimmung angegeben nach York (Eburacum). Eine weitere Straße führte nach (darunter wohl Grab 25 als fragliches Körpergrab), wäh- Südwesten über ein Lager in Ambleside (Galava) zum rend der Anhang demgegenüber ein Urnengrab mehr Lager und Hafen Ravenglass (Glannaventa) hin. Früh und vier Befunde unbekannter Bestimmung weniger entdeckte Einzelfunde, zwei Münzhorten sowie In- auflistet (einschließlich Grab 25 sind es 70). Die Tabelle schriften weisen auf eine Belegung des Ortes vornehm- 11.6 (S. 446) listet ebenfalls 123 Urnengräber, die Tabel- lich im dritten Jahrhundert hin, obschon strategische len 11.13 und 11.14 (S. 455 f.) einen weiteren Befund mehr Überlegungen eine solche bereits seit 72/73 n. Chr. auf als die Tabelle 4.1. Der Vergleich mit dem Katalog denkbar erscheinen lassen (S. 6 f.). Die einzigen in- zeigt, dass im Anhang 5 das Doppelurnengrab 90 (das schriftlich bezeugten Militäreinheiten sind ein »nume- dort erwähnte »Grab 90« müsste »Grab 91« heißen) rus equitum Stratonicianorum« (RIB I, Nr. 780), der sowie die Befunde 119, 319, 349 und 350 keinen Eingang bislang nur hier bezeugt ist, sowie ein unbekannter gefunden haben. Etwas unglücklich ist die Behandlung »cuneus equitum«, der hier wohl später diente. Sechs des Doppelgrabes 135/138, das einen Grabkomplex bil- Inschriften erwähnen eine lokale Gottheit Belatuca- dete. Dennoch werden die beiden gleichzeitigen Bestat- drus, die wohl mit Mars gleichgesetzt wurde. tungen separat behandelt, mit der Folge, dass Begräb- Ausgelöst durch den Bau eines Abschnittes der Fern- nis 135 (S. 139 f.) der Phase 3 zugeordnet wird, Bestat- straße A 66 wurden 1966 und 1967 Notbergungen öst- tung 138 (S. 142 f.) dagegen der Phase 2. Die Datierung lich des Lagers und Vicus von Brougham durchgeführt. der Gräber erfolgte offenbar über die Einzelbestim- Dabei wurde ein römischer Friedhof ergraben, der sich mung der Keramik, eine Kombinationstabelle oder eine als das bislang größte freigelegte Gräberfeld eines Mili- Korrespondenzanalyse wurden nicht erstellt. Vielleicht tärstandortes im Norden Englands erwies. Anschlie- führte die chronologische Aufsplitterung von Grab 135/ ßend fiel es dem Straßenbau zum Opfer. Vornehmlich 138 zur kleinen Diskrepanz zwischen Tabelle 4.1 (S. 42) durch Hilary Cool wurde erst 2000 bis 2002 eine Aus- und Tabelle 7.2 (S. 314), wo die grabrelevanten Befunde wertung vorgenommen, deren Ergebnisse hier vorge- für die drei Phasen um einen Eintrag abweichen. Es fin- legt werden. In diesem Fall kann man es eher als einen den sich einige Tipp- bzw. Druckfehler, vor allem in Vorteil sehen, dass man eine Generation auf die Bear- deutschsprachigen Titeln, die meist aber keine ernsthaf- beitung hat warten müssen, denn vor allem die Ergeb- ten Verwechslungen hervorrufen; die Terra-Sigillata- nisse einiger Spezialisten sind beeindruckend und las- Stempel auf den Gefäßen 69.4, 90.12 und 160.4 werden sen darüber hinaus erahnen, welche Information aus verbalhornt wiedergegeben. Die fehlende Seitenangabe bereits vorgelegtem Material ähnlicher Fundstätten noch »000« auf S. 282 konnte ich nicht auflösen. Eine letzte, gewonnen werden könnte. Da auf der damaligen Gra- sorgfältige Überprüfung des Gesamtwerkes hätte man- bung nicht gesiebt wurde, konnten Pollenanalysen lei- che Ungereimtheiten beseitigt. der nicht durchgeführt werden. Dass dies sowieso kaum Der Friedhof erstreckte sich entlang eines vorher un- möglich gewesen wäre, offenbart eine (Not-)Grabungs- genutzten, etwa zehn Meter höher gelegenen Hügel- geschichte, die sich zum größten Teil nicht vor, sondern chens einen halben Kilometer östlich des Lagers bezie- während der Straßenbauarbeiten abspielte (S. 10 f.). hungsweise hundertfünfzig Meter östlich des Vicus und Auch das spätere, oft unglückliche Schicksal der Unter- bildete somit einen Blickfang in der Lokaltopographie lagen und Funde wird beleuchtet (S. 12–14). Die Aus- an der Nordseite der Fernstraße in Richtung York. Nur gräber erkannten Scheiterhaufenreste vielfach nicht. ein Teil des Gräberfeldes wurde ergraben, die Gesamt- Die Kriterien für deren Identifizierung waren nämlich ausdehnung bleibt unbekannt. Eindeutige Friedhofs- unklar, da römische Friedhöfe in Britannien zum Zeit- oder Grabgruppenbegrenzungen konnten nicht beob- punkt der Entdeckung noch nicht adäquat publiziert achtet werden (S. 26). Dagegen fanden sich ein Areal waren (S. 14–17). Viel weiter ist man in den vier dazwi- mit Pflastersteinen sowie die Fundamente zweier stei- schen liegenden Dekaden auch nicht gekommen, denn nerner Grabmonumente (Beitrag Fitzpatrick S. 28–33), das zu besprechende Buch stellt erst die zweite mono- von denen das eine drei Meter auf drei Meter groß ist, graphische Vorlage eines römischen Friedhofes im das andere etwa viereinhalb Meter Durchmesser hat; Nordengland überhaupt dar (zuvor L.P. Wenham, The beide wiesen Skulpturen auf (S. 425; 429 f.). In einer an Romano-British Cemetery at Trentholme Drive, York Steinbrüchen reichen Gegend wie dieser ist es nicht ver- [London 1968]), so dass es wohl als Standardreferenz für wunderlich, dass mindestens 81 Grabgruben mit Sand- die britischen Kollegen für die nächste Zeit dienen steinplatten als Teil- oder Vollumfassung versehen sind wird, obschon die Fundensembles ungewöhnlich sind. (S. 34–38); von diesen können sieben oder acht als meist 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 393

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nordsüdlich ausgerichtete Körpergräber gedeutet wer- den Erklärungen die Information in Access- und Excel- den, deren einstige Inhalte vergangen sind und die Dateien wiedergibt. Die Gläser werden im Katalog eventuell nachrömisch zu datieren wären (S. 462). Ein nicht typologisiert. Die von S. Greep bearbeiteten Bein- Grab (227; S. 191) scheint mit einem angenagelten Korb- artefakte werden einer eigenen Typologie (bone veneer werk ummantelt gewesen zu sein. Von Interesse ist die types) unterworfen, die auf S. 276–282 entschlüsselt Feststellung, dass manchmal eine rituelle Reinigung der ist. Bei den Fundabbildungen zeigt ein kreisförmiges Grabgruben vorgenommen wurde, was inzwischen in Piktogramm in Form einer Mondphasendarstellung mehreren Friedhöfen, jüngst gar in Körpergräben beob- den jeweils verwendeten Maßstab zwischen 2:1 und 1:8 achtet wurde (zuletzt J. Topál, Changes in the funerary an. Die meisten Grabpläne werden mit etwa 1:14 (sic!) practice in the western cemeteries of Aquincum, Pan- eigentlich zu großzügig wiedergegeben. nonia. In: A. Faber / P. Fasold / M. Struck / M. Witteyer Nur wenige Bestattungen können als beigabenreich [Hrsg.], Körpergräber des 1.–3. Jahrhunderts in der bezeichnet werden: Gräber 36 und 273 enthielten acht, römischen Welt. Schr. Arch. Mus. Frankfurt 21 [Frank- Grab 307 mindestens neun Beigaben, darunter eine furt/M. 2007] 137–152, hier 146, mit früherer Literatur). Pfeilspitze, einen Gagatarmring sowie Perlen. Weil Per- Auch wird vermutet (S. 444), dass die Urnen absichtlich len im Brougham normalerweise Frauen vorbehalten neben den Scheiterhaufen gestellt wurden, um sie eben- waren, führt dieser Befund zur Spekulation, ob der ein- falls mittels Feuers rituell zu reinigen. Ustrina konnten deutig männliche Tote eine eher weibliche Rolle im nicht ausgemacht werden (S. 267). Leben einnahm (S. 452 f.). Ein ähnlicher Fundkomplex Der ausgegrabene Teil des Brandgräberfeldes gehört fand sich unlängst in Xanten (C. Bridger / K. Kraus, Rö- in die Zeit vom ersten Viertel des dritten bis zum An- mische Gräber in Xanten. Die Grabung Viktorstraße 21 fang des vierten Jahrhunderts; es gibt keine Hinweise im Jahr 2000. Bonner Jahrb. 200, 2000 [2003] 45–48; auf eine frühere Belegung und nur wenige für eine spä- 51; 54 f. Grab 10). Acht Gräber beinhalteten Schmuck- tere. Dies deutet auf einen neuen Friedhof für eine neue gegenstände aus Gold und andere Gräber enthielten Bevölkerung, die vermutlich mit einer neuen Besatzung durchaus kostbare Objekte. Aus Grab 273 kam ein Sil- des Lagers zusammenhängt. Die Belegung wird in drei berring mit Gemme aus Karneol, welche die Darstel- Hauptphasen von je dreißig oder vierzig Jahren geglie- lung einer Ameise aufwies, während Grab 280 einen dert, wobei mit der Phase 3 eine spätere Phase 3B ver - Goldanhänger mit Gemme aus Karneol mit einer Stein- gesellschaftet wird. Neben der im dritten Jahrhundert bockdarstellung enthielt. Als museales Prachtstück gilt in Britannien vorherrschenden Black-Burnished-Ware eine emaillierte Patera aus Grab 107, die mindestens ein tritt eine signifikante, ja ungewöhnlich hohe Anzahl Jahrhundert alt war, als sie als Sekundärbeigabe im von Terra Sigillata, vorwiegend aus dem mittel- und Grab eines fünfundzwanzig bis fünfundvierzig Jahre ostgallischen Raum, sowie engobierte Ware aus Trier alten Erwachsenen deponiert wurde (S. 124–128), wäh- beziehungsweise dem Rheinland auf. Bei der Relief- rend alle andere Metallgefäße (38 Stück) auf dem Schei- sigillata handelt es sich meist um Schüsseln der zweiten terhaufen mitverbrannt wurden (Beitrag Mould S. 373– Hälfte des zweiten Jahrhunderts, also um Altstücke, 379). Ein Unikat im Rahmen romano-britischer Fried- die vornehmlich als Sekundärbeigaben in die Gräber höfe ist das Fragment eines Goldblattglases, leider nur gelangten. Ein weiterer Import aus Germanien war eine ein Streufund (S. 370). Gänzlich oder beinahe völlig in Köln hergestellte Venusstatuette aus Terrakotta fehlen Münzen sowie Objekte, die in Verbindung mit (S. 122 f.). Amphoren, Krüge und Trinkgefäße in Terra Schreiben, Spielen, Nähen, Beleuchtung, Toilette und Sigillata treten kaum auf, dagegen sind Schalen oder Transport zu bringen wären. Unter der Rubrik der Schüsseln dieser Ware sowie Becher und Feinkeramik Gerätschaften kamen lediglich drei Messer vor (S. 396). allgemein häufig (S. 335–349). In den allermeisten Ur- Insgesamt 56 Befunde enthielten Schuhnägel, meist nengräber (88,7 Prozent) dienten Töpfe als Knochenbe- wenige, was vermutlich auf ein Aufsammeln pars pro hältnisse. toto aus dem Scheiterhaufen hindeutet. Erwartungsgemäß bildet der Katalog das längste Ka- Die eingehende Analyse der Grabformen und -bei- pitel des Buches (S. 41–265), das insgesamt 227 Gräber gaben zeigt eine Reihe von statistisch relevanten Auf - beziehungsweise 296 grabrelevante Befunde behandelt. fälligkeiten auf (vgl. S. 469 Anhang 1). Kindern und Erfreulicherweise werden Text, Befund- und Fund- Jugendlichen wurden keine oder nur wenige Objekte zeichnungen zusammengehalten. Der Text ist meist beigegeben. Im Falle einer Mitgabe wurden manche knapp gehalten: Der Phasenzuweisung und anthropo- Gegenstände nur Kindern zugewiesen, so etwa impor- logischen Bestimmung folgt eine Auflistung der Grab- tierte Glanztonkeramik sowie Näpfe von Form Dragen- beigaben – wobei zwischen einerseits den Objekten, die dorff 33, die nur Kindern bis acht Jahren beigegeben auf dem Scheiterhaufen mitverbrannt worden waren, wurden (S. 362 f.). Dagegen fanden sich Metallgefäße und andererseits den unverbrannten Beigaben unter- und Schuhnägel ausschließlich in Gräbern Erwachse- schieden wird – sowie anschließend eine Befundinter- ner. Auch gab es eine bewusste geschlechtsspezifische pretation. Im Text wurde bei der Keramik auf Maß - Selektion mancher Beigaben (vgl. Rez., Das römerzeit- angaben, bei Gefäßen allgemein auf Nennung des Fas- liche Gräberfeld ›An Hinkes Weißhof‹ in Tönisvorst- sungsvermögens verzichtet; diese Werte findet man in Vorst, Kreis Viersen. Rhein. Ausgr. 41 [Köln 1996] 260 f.; der Datenbank auf der mitgelieferten CD, die neben G. Rasbach, Römerzeitliche Gräber aus Moers-Asberg. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 394

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Funde aus Asciburgium 12 [Duisburg 1997] 32): Bei- Das römische Gräberfeld auf der Keckwiese in Kemp- spielsweise wurden nur Männern Trinkgefäße aus Glas ten. Materialh. Bayer. Vorgesch. A 34 [Kallmünz 1978] beigegeben (S. 371), was im Norden Englands grund- 142 f.; zuvor R. v. Uslar, Westgermanische Bodenfunde sätzlich als selten gilt. Auch sind die Formen als solche des ersten bis dritten Jh. n. Chr. aus Mittel- und West- selten und die meisten Stücke weisen Abnutzungsspu- deutschland. Denkmäler d. Frühzeit 3 [Berlin 1938] 159), ren auf. Da aber Gläser vornehmlich in Gräbern mit deren überwiegende Anteile an Knochenbrand nach zahlreichen Beigaben vorkamen, könnte es sich weniger außerhalb des Friedhofes gelangten. Dabei hält sie es um geschlechtskennzeichnende, denn mehr um status- für möglich, dass die Überreste mancher Verstorbenen spezifische Beigaben handeln. Gläser, die Flüssigkeiten zurück in ihre – eventuell germanische – Heimat über- enthielten, waren dem Scheiterhaufen vorbehalten. führt worden waren, nachdem sie zuvor temporär Keine Glasperle fand sich in einem eindeutig männ- bestattet und wieder gehoben wurden (S. 459 f.). Dar - lichen Grab (21 Fälle; S. 389), während eine kupfer- über hinaus geht sie grundsätzlich davon aus, dass bei legierte Melonenperle im Männergrab 227 lag. fast jeder Verbrennung Knochenbrand außerhalb des Gill Campbell widmet sich den noch erhaltenen Friedhofes entsorgt wurde (S. 301). Demographische Holzkohlenstücken aus 69 Gräbern (S. 267–271). Im Überlegungen beruhen auf der Annahme von mindes- Gegensatz zu bislang publizierten römischen Brandgrä- tens 146 Bestatteten aus sicheren Grabkontexten bezie- berfeldern in Deutschland und der Schweiz, wo die hungsweise 207 Individuen unter Berücksichtigung Holzarten bestimmt wurden (vgl. A. Kreuz, Functional aller Befunde. Hiervon waren mindestens 29 Prozent and conceptual archaeobotanical data from Roman cre- (bzw. 23 Prozent) unter achtzehn Jahren alt, ein deutlich mations. In: J. Pearce u. a. [edd.], Burial, Society and höherer Anteil als in den meisten bislang anthropolo- Context in the Roman World [Oxford 2000] 45–51) gisch untersuchten römischen Friedhöfen in den Nord- und meist Buche und Eiche die dominierenden Holzar- westprovinzen. Dabei fehlten die Säuglinge, die eher in- ten für den Scheiterhaufenbau sind, überwiegen in humiert wurden und taphonomisch bedingt nicht Brougham die Birke mit zwei Drittel der Befunde (47 mehr nachweisbar sind. Tendenziell fallen die meisten Fälle, 68 Prozent) und die Erle bei fast jedem zweiten Kleinkindergräber in die früheren Phasen der Belegung, Befund (31 Fälle, 45 Prozent). Beide sind wenig geeignet was auf eine damals jüngere Population gegenüber der für Scheiterhaufen, bildeten aber sicherlich die häu - späteren Phase hindeutet (S. 288–290). Hingegen fan- figsten Waldhölzer der Umgebung, die vornehmlich den sich kaum eindeutig alte Personen, obwohl drei durch feuchte Alluvium- und Tonböden geprägt ist. Grabsteine eine Frau sowie einen Mann von achtzig Tendenziell wurde die langsam brennende Erle für Jahren und eine dritte Person von siebzig Jahren erwäh- Männerkremation, die kurzer aufflammende Birke aber nen (S. 414 f. Nrn. 14, 17 und 19). Bei der Hälfte der für die Einäscherung der zierlichen Körper von Frauen Erwachsenen (51 Prozent) konnte das Geschlecht fest- und Kindern verwendet. Zehn Vorkommen von Esche gestellt werden, was zu einer Aufteilung von 32 zu 19 zu- scheinen von Möbelteilen herzurühren, denn drei waren gunsten der Frauen führt. Die Bearbeiterin (S. 291) mit beinernen Zierelementen vergesellschaftet, die von sieht hierin eine Bestätigung ihrer Erfahrung, dass Klinen stammen dürften. Kleinere Eisennägel scheinen weibliche Knochenbrände leichter als männliche zu er- ebenfalls von Klinen oder Holzkästchen zu stammen kennen sind, obschon andere Bearbeiter das Gegenteil (Beitrag Mould S. 271 f.). empfinden (z. B. M. Kunter, in Rez. a. a. O. 270 sowie Die auffälligsten Funde im Friedhof von Brougham ebd. S. 284 Anm.1445). Der Grad der Verbrennung war sind über tausend Fragmente verzierten Beins und Ge- allgemein gut. Die Autorin unterscheidet unter ande- weihs aus 92 Befunden – die Angabe von 32 Prozent auf rem zwischen Gräbern mit zwei bestatteten Individuen, S. 273 würde bedeuten, dass man mit 288 Gräbern rech- die entweder vereinzelt oder zusammen verbrannt und net –, die jedoch eventuell aus wenigen Verbrennungen dann im selben Grab niedergelegt wurden (»dual depo- herrühren könnten. Alle Teile weisen Verbrennungs- sits«), und acht, die neben der Hauptniederlegung eine spuren auf und werden als zu Totenbetten zugehörige meist kleine, zusätzliche Knochenansammlung dessel- Zierelemente interpretiert (Beitrag Greep S. 273–282). ben Individuums aufwiesen (S. 303 f. »accessory burials«; Sie kommen nahezu ausschließlich in Gräbern von Er- leider werden sie nicht aufgelistet, so dass man sie wachsenen vor, nie bei Kindern und kaum bei Jugend- nur mit großer Mühe aus dem Katalog herausfiltern lichen (4 Prozent). kann; vgl. S. J. de Laet / A. van Doorselaer / P.Spitaels / Signifikant für die romano-britische Archäologie ist H. Thoen, La nécropole gallo-romaine de Blicquy die Untersuchung der Knochenbrände durch Jacque- [Hainaut-Belgique]. Diss. Arch. Gandenses 14 [Bruges line McKinley (S. 283–309), denn mit 322 Proben stel- 1972] 22 Grabform A/b; Rez. a. a. O. 228, Form 1.1.1; 233 len sie das größte Ensemble menschlicher Überreste aus Form 1.2.1). Mit »redeposited pyre debris« (S. 304–306) einem Militärstandort Nordenglands dar. Diese Proben bezeichnet sie etwas ungenau Brandschüttungsgräber, rühren von mindestens 146, höchstens von 207 (S. 288) wobei in einem Fall (Grab 158) zwei Individuen bestat- oder gar 237 (S. 309 mit Anhang 5) Personen aller Al- tet worden waren. tersgruppen her. Die Verfasserin bezeichnet die Gräber Im Beitrag von Julie Bond und Fay Worley (S. 311– »that … contain very small quantities of bone« als Ke- 331) werden auch die Tierüberreste eingehend betrach- notaphien (S. 284; 306 f.; 457–460; vgl. M. Mackensen, tet, was bisher erst einmal bei einem römischen Fried- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 395

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hof in England geschah (zuvor K. Rielly in: B. Barber / in der Maslomeczgruppe gefunden werden; ein Graffito D. Bowsher, The Eastern Cemetery of Roman London. auf einem Topf im Grab 152 mit dem Frauennamen Excavations 1983–1990. Museum London Arch. Service Bata, dessen männliche Form Bato in erster Linie bei Monogr. 4 [London 2000] 366–368). Nahezu 23 Pro- den Breuci aus Pannonien belegt ist; es ist nicht auszu- zent der Befunde enthielten Tierüberreste, dabei waren schließen, dass sich auch hinter dem Graffito »]HILA« Kindergräber deutlich unterrepräsentiert. Im Gegen- ein germanischer Name verbirgt (vgl. CIL 13, 8666 aus satz zu normalen römischen Gräberfeldern (vgl. eine Kalkar-Burginatium); auch die rituelle Reinigung von Zusammenstellung bei H. Hiddink, Het grafritueel in Grabgruben scheint im Balkangebiet ihren Ursprung de Late Ijzertijd en Romeinse tijd in het Maas-Demer- zu haben. Ein Grabstein erwähnt eine Person aus Pan- Scheldegebied, in het bijzonder van twee grafvelden bij nonien (S. 414 Nr. 14), ein zweiter einen Germanen Weert. Zuidnederlandse Arch. Rapp. 11 [Amsterdam namens Vidaris (RIB I, 785). Aus Grab 75 stammt ein 2003] 169–177) war das Schwein mit nur drei Fällen Zierelement in Form einer Swastika, die ebenfalls nicht kaum vertreten. Statt dessen findet man neunmal Pferde im Norden Britanniens autochthon war. sowie mindestens achtzehnmal Schaf und Ziege, außer- Mit 29 Grabsteinen bietet Brougham eine weitere dem mindestens zehnmal Rind, zweimal Hund und zu- wichtige Quelle für die Friedhofsarchäologie (Beitrag sammen fünfzehnmal Huhn und Gans. Zum Teil stel- Fitzpatrick S. 407–435), zumal 18 davon bei oder nach len die Knochen die Reste von Speisebeigaben dar, zum den Ausgrabungen zu Tage kamen. Sie zeigen, dass viele Teil aber eher persönliche Habe, denn in einigen Fällen Gräber oberirdisch gekennzeichnet waren, was auch in sind komplette Tiere mit verbrannt worden, darunter der niedrigen Anzahl angeschnittener Bestattungen er- ganze Pferde, und zwar in den Gräbern 102, 215 und kennbar ist. Weiterhin bezeugen sie eine Gesellschaft eventuell auch in 217 (bezüglich Grab 194 gibt es eine mit engen Familienbindungen und kein rein militäri- Diskrepanz zwischen Tab. 7.4 [S. 316], wo ein ganzes sches Milieu, wo Soldaten ihre verstorbenen Kamera- Tier, und S. 325 f. mit Tab. 7.18, wo nur ein Hinterbein den beerdigten. Etwa zwei Drittel der Namen weisen erwähnt wird). Dies ist der erste Fall in Britannien, wo einen keltischen Ursprung auf. man verbrannte Pferdeknochen aus römischen Brand- Wer die Aufgabe übernommen hat, Altgrabungen zu gräbern erkannt hat. Bei den Gräbern 194 und 303, in bearbeiten, auf denen man vorher nicht gearbeitet hat, denen ebenfalls Pferdeknochen vorkamen, handelt es weiß aus eigener Erfahrung, welche Schwierigkeiten sich um Bestattungen einer zwanzig- bis vierzigjährigen sich dort verbergen. Hilary Cool und ihrem Team ge- und einer einundzwanzig bis fünfundvierzigjährigen bührt unser Dank, das Fundmaterial von Brougham Frau, wo sich Teile von Schwertscheidenbeschlägen aus mit vielen Fragezeichen behafteten Befunden sorg- (,scabbard slides’) aus der Militärausrüstung fanden. fältig bearbeitet zu haben. Für die romano-britische Dieser Befund führte zur These, dass es sich hier um Archäologie wird sie in der nächsten Zukunft oft kon- Reiterinnen der lokalen Militäreinheit handele und zu sultiert werden, denn es gibt nur wenige moderne weiteren Spekulationen über die Grenz- und Straßen- vergleichbare Studien aus England (zuletzt Barber / überwachung in diesem Teil des Reiches. Wurden hier Bowsher a. a. O.; A.Mackinder, A Romano-British Ce- Frauen in einer irregulären Einheit als berittene Botin- metery on Watling Street. Museum London Arch. Ser- nen, Späherinnen und ähnliches eingesetzt oder erhiel- vice, Arch. Studies Ser. 4. [London 2000]). Vielleicht ten sie Funde von ihren Männern? Betrachtet man die wird im Buch daher auf viele Eigentümlichkeiten auf- anthropologische Bestimmung, werden beide freilich merksam gemacht, die in der kontinentalen Archäolo- nur mit »female??« angeführt, was McKinley lediglich gie bereits seit längerer Zeit erkannt und oft diskutiert als »most likely« bezeichnet. Demnach müssten wir hier sind, etwa primäre Beigaben oder Scheiterhaufenabfälle Vorsicht walten lassen bis Komparanda aus benachbar- (vgl. M. Polfer, Das gallorömische Brandgräberfeld und ten Friedhöfen gesammelt sind. der dazugehörige Verbrennungsplatz von Septfontai- Kupferlegierte Objekte wurden größtenteils am nes-Dëckt [Luxemburg]. Doss. Arch. Musée National Scheiterhaufen verbrannt, darunter Teile von vier Hem- d’Hist. et d’Art 5 [Luxemburg 1996]; M. Witteyer, Die morer Eimern (S. 374), die selten in Britannien und Gräberstraße von Mainz-Weisenau. In: A. Haffner / eher in germanischen als in römischen Gräbern zu fin- S. v. Schnurbein [Hrsg.], Kelten, Germanen, Römer im den sind (vgl. unlängst C. Reichmann, Neue spätantike Mittelgebirgsraum zwischen Luxemburg und Thürin- Gräber mit Kreisgräben in Gellep. Arch. Rheinland gen [Bonn 2000] 329 f.; M. S. Kaiser, Das keltisch- 2005 [Stuttgart 2006] 95). Solche Gefäße dürfen Kost- römische Gräberfeld von Wederath-Belginum 6. Die barkeiten dargestellt haben. Einige andere Funde deu- Aschengruben und Aschenflächen ausgegraben 1954– ten auf eine Verbindung mit dem germanischen und 1985. Trierer Grabungen u. Forsch. 6, 6 [Mainz 2006] transdonauländischen Raum hin (S. 464–466): vier 20–30). Im Text ist es auffallend, dass relativ wenige Miniatureimeranhänger, die vor allem aus sarmatischen Vergleiche mit Fundorten auf dem europäischen Fest- sowie gotischen Kontexten im Karpatenraum bekannt land getätigt werden, obschon öfters eine germanische sind und nun erstmals in einem vorangelsächsischen oder donauländische Verbindung diskutiert wird. Da Kontext in Britannien gefunden wurden (S. 384); Perlen die insulare Archäologie immer noch verhältnismäßig in rot-blau sowie Goldperlen, die ebenfalls in sarmati- wenige Vorlagen römerzeitlicher Gräberfelder aufzu- schen und gotischen Zusammenhängen, vornehmlich weisen hat, könnten die britischen Kollegen davon pro- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 396

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fitieren, noch öfter den Blick auf die reiche zömeteriale El capítulo 2 analiza (p. 25ss.) la arquitectura de la Palette diesseits des Ärmelkanals zu werfen. vetus urbs (hoy bajo la moderna Santiponce) y de su historia desde la fundación hasta el nacimiento de la Xanten Clive Bridger nova urbs en el periodo adrianeo. Pocos son los materi- ales hallados de este momento, destacando las piezas que estudiara Heinrich Drerup (Zwei Kapitelle aus Italica, AEspA 45–47, 1972–1974, 91 ss.) que se suman a algunas terracotas diseminadas por la ciudad. Especial Sven Ahrens, Die Architekturdekoration von Italica. énfasis se hace en el análisis del teatro por ser un edificio Iberia Archaeologica, tomo 6. Verlag Philipp von bien conservado y situado en la vetus urbs, excavado en Zabern, Mainz 2005. 354 láminas, 105 tavolas y ocho las últimas décadas de donde además se conoce abun- anexos. dante material. Su construcción se fecha en época au- gustea y su primera construcción alternaría la piedra El presente trabajo fue la Disertación del autor en la caliza con el mármol. Una primera refectio se observa Universidad Humboldt de Berlín, ampliada y corre- en el tercer cuarto del siglo primero y una segunda en la gida. Tiene como primordial interés el tratarse de uno segunda mitad del siglo segundo. La porticus post scae- de los primeros trabajos que estudia la totalidad de la nae tendría la misma cronología fundacional. El edificio decoración arquitectónica en una ciudad de la provincia escénico puede presumir de contar con un gran lujo, bética: Italica. El hecho de ser ésta una ciudad bien co- característica similar a otros teatros como los de Arles nocida en lo que fue la ampliación adrianea (nova urbs) y Cartagena. El capítulo finaliza analizando otros ele- otorga al trabajo un especial interés. El autor desarrolla mentos arquitectónicos sueltos del siglo primero de en nueve capítulos y un apéndice su trabajo que abarca nuestra era. desde las primeras piezas conocidas fechadas en el siglo El capítulo 3 (p. 58 ss.) analiza la producción del siglo segundo a. de C. hasta el año 712, momento en que Ita- segundo comenzando por el análisis de un discutido lica fue conquistada por los árabes. edificio conocido como Templo de Diana. Su existencia En el primer capítulo se define el objeto de estudio se fundamenta en la planta incisa sobre una placa de (p. 135), es decir, la decoración arquitectónica italicense mármol, hasta hoy inédita, hecha en 1900 por Francisco entendida como aquellos elementos arquitectónicos es- Aurelio Álvarez. Puede demostrarse, como lo hace el culpidos empleados en la arquitectura de interior y ex- autor, la presencia de un abundante lote de piezas en la terior; así mismo, enumera y define (p. 13s.) los distin- zona donde presumiblemente apareció este edificio, al tos términos empleados; afirma el autor que la finalidad norte del teatro. Cosa muy distinta y que habría que del trabajo es doble (p. 15s.): conocer mejor la historia analizar con mayor detenimiento, es la certeza de hal- de Italica a través del análisis comparativo de su decora- larnos ante un edificio de cuya existencia sólo tenemos ción arquitectónica, para lo cual la datación de las pie- una planta incisa en mármol. zas estudiadas en el catálogo se establece a partir del Será el periodo adrianeo cuando se observe por análisis estilístico-comparativo con otros elementos a primera vez la igualdad entre ciertos elementos arqui- nivel local, regional o supraregional. Pero además, el tectónicos italicenses y algunos modelos de Roma, conocer la procedencia del material ayudará, según el Ostia y Villa Adriana. La construcción de la nova urbs autor, a fechar la evolución de edificios singulares. (p. 64ss.) magno proyecto cuya denominación se debe La cronología es la línea argumental del trabajo, ana- a García y Bellido, supuso la construcción de algunos lizandose en cada periodo todas aquellas construcciones edificios donde se observa la presencia de maestranzas edificadas o reformadas. El material estudiado (p. 18) urbanas en Italica. Tal sería el caso del templo de culto procede de museos, del propio yacimiento, de coleccio- imperial o Traianeum (p. 67 ss.), así denominado por nes particulares y otras piezas has sido documentadas Pilar León, quien excavó e interpretó de manera magis- mediante trabajo de archivo. tral dicho edificio. La similitud de plantas con la biblio- Para conocer el estado de la investigación en Italica, teca de Adriano en Atenas y el templo de Trajano en el autor plantea un resumen sobre las noticias de aquella Pérgamo fecharía el comienzo del proyecto en los años localidad (p. 19–21) y unas breves notas sobre la historia veinte de la segunda centuria. Importante papel tiene en de las colecciones y excavaciones (p. 22s.) Sabemos así el análisis de este edificio la investigación sobre la deco- que Scipión el Africano fundó la ciudad tras la batalla ración arquitectónica pues de ese modo se pueden co- de Ilipa en el año 206 a. de C., si bien hay muchas dudas nocer las distintas dimensiones de las piezas y su respec - sobre este primer momento. Asciende al rango munici- tiva ubicación. La similitud en la factura de algunas pal con César o Augusto y al colonial con Adriano. Por piezas respecto a otras de Roma, Villa Adriana y Ostia su cercanía al rio Guadalquivir, navegable en esta zona, (confirmado por algunas letras inscritas tanto en Italica estaría bien comunicada con Roma y Ostia, donde po- como en Ostia) permiten asegurar el trabajo de los mis- dría llegarse en ocho . Las excavaciones realizadas en mos talleres en ambas penínsulas. los últimos siglos han depositado su material en museos Otros edificios fechados en esta época son las termas y colecciones privadas, entre las que destaca la de la menores y las mayores (Baños de la Reina Mora) que Condesa de Lebrija. han sido excavadas de antiguo y por ello se desconoce su 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 397

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decoración. También a este momento pertenece el anfi- que en este momento llegan a toda la zona bética, te- teatro, documentado desde el siglo decimosexto y muy niendo su foco más importante en las principales ciuda- expoliado. Su construcción se fecharía en el mismo des aledañas al rio Guadalquivir. Para este mismo siglo momento en que se construyó la nova urbs. También segundo puede aceptarse la presencia de talleres locales se documenta una refectio del teatro en los momentos que abastecerían el mercado para la edilicia doméstica. finales del siglo segundo o en los inicios del tercero. El capítulo 8 (p. 128ss.) resume las principales apor- El autor aborda en el capítulo 4 (p. 83ss.) los elemen- taciones de este trabajo. tos que forman parte de la decoración arquitectónica de El libro que hasta aquí hemos resumido tiene un in- los siglos segundo al cuarto, momento en que se evi- discutible valor para la investigación de las ciudades de dencia una clara herencia de los talleres pujantes en el la Bética, cual es el que por primera vez se lleva a cabo periodo adrianeo. De interés en este momento es la lle- un estudio sistemático de toda la decoración arquitectó- gada de capiteles corintio-asiáticos, algunos de los cua- nica de una ciudad que, en buena parte, fue abando- les se han realizado en mármol de Luni y procedentes de nada de antiguo, con lo que las investigaciones que en la capital; otras influencias orientales se detectan en este las últimas décadas se han realizado ofrecen una infor- mismo momento. Finaliza este capítulo analizando el mación complementaria del más alto valor. En la pen- resto de materiales de este momento, destacando en este ínsula Ibérica, el primer trabajo que recogía un análisis punto las balaustradas. similar en ciudades superpuestas fue el de Sagunto (Pa- Al análisis de la decoración fechada en los siglos loma Chiner, la decoración arquitectónica en Sagun- quinto al séptimo se dedica el capítulo 5 (p. 107ss.) y tum, Valencia 1990) y hasta finales de esa misma década ello por el destacado papel que tuvo Itálica en el periodo no se publicó el correspondiente a una capital de pro- visigodo. Destacan los elementos litúrgicos en este mo- vincia (C. Márquez, Decoración arquitectónica de Co- mento y también son destacables las más estrechas rela- lonia Patricia. Una aproximación a la arquitectura y ciones con Mérida, de donde seguramente vendrían urbanismo de la Córdoba romana [Córdoba 1998]). El muchos de los modelos empleados. trabajar en ciudades superpuestas dificulta la labor de Las cuestiones de técnica se tratan en el capítulo 6 análisis de material; el autor del libro que ahora reseña- (p. 114ss.), donde se analizan las líneas incisas sobre mos tuvo el acierto de trabajar sobre un yacimiento en superficies lisas que señalan la forma de las molduras o parte libre de esas limitaciones. Es así como ha podido bien los límites de determinados elementos, aunque analizar en detalle edificios clave en la arqueología clá- también sirven para ubicar correctamente los orificios sica andaluza como son el teatro y el Traianeum. Sobre de anclaje. el teatro baste decir que en la reciente monografía que lo Uno de los apartados más interesantes del trabajo del estudia (O. Rodríguez Gutiérrez, El teatro romano de autor se expone en el capítulo 7 dedicado a los talleres Italica. Estudio arqueoarquitectónico [Madrid 2004]) (p. 119ss.). Ya desde fines del segundo siglo a. de C. lle- se validan los resultados obtenidos por Ahrens y que le gan influencias itálicas a esta zona que pudieron ser han sido de gran interés a la autora para poder estudiar transformadas en piezas bien por talleres locales o regio- la evolución de las distintas partes que definen el edifi- nales. El análisis de las terracotas parece evidenciar la cio. Respecto al Traianeum, ya fueron puestos de mani- presencia de un taller en Italica o sus cercanías que ab- fiesto en 1988 los elementos esenciales de aquel magno astecerían a otros centros urbanos como Munigua. La proyecto edilicio (P.León, Traianeum de Italica [Sevil la aparición de tegulae con el sello del Legatus pro prae- 1988]) que han sido tratados con posterioridad en traba- tore Marcus Petronius en distintas ciudades parece indi- jos monográficos dedicados a la decoración arquitectó- car unos proyectos edilicios comunes dirigidos por una nica (S. Rodero, Algunos aspectos de la decoración ar- entidad superior a la local. quitectónica del Traianeum de Itálica, Romula 1, 2002, También urbanos son algunos modelos que plantean 75–106) Mérito de Ahrens es profundizar en dichas lí- la posibilidad de la intervención de talleres de Roma en neas y demostrar la intervención de talleres urbanos en Italica, posibilidad demostrada en otros puntos de la aquella privilegiada ciudad de la Bética. Betica como es el caso de su capital, Colonia Patricia. Sí He de plantear mis dudas acerca del denominado hay talleres de índole regional que abastecerían de ma- Templo de Diana. Tal como dije anteriormente, el ma- terial a ciudades como Italica y Carmona, documentan- terial localizado al norte del Teatro indica la presencia dose piezas idénticas realizadas por los mismos. La pre- de un edificio o conjunto que difícilmente podemos sencia en el periodo adrianeo de talleres urbanos encar- admitir se trate del mencionado templo. El único argu- gados de hacer proyectos como el Traianeum y la llegada mento en que se basa para definir su imagen es el plano de talleres orientales en este mismo momento se de- de un edificio realizado sobre una placa de mármol. No muestra por la similitud de siglas con que firman las pie- conocemos caso semejante y no entendemos porqué no zas dichos artesanos. Las letras P, D e I demuestran dicha se hizo dicha planta sobre el papel; a partir de aquí, cu- similitud toda vez que se encuentran en Italica y en alquier análisis del edificio resulta, desde mi punto de Ostia. Además de ello se constata la llegada de produc - vista, arriesgado, lo que no resta mérito en absoluto al tos de talleres cordobeses que formarían parte de impor - intachable tratamiento que el autor hace del material. taciones de piezas en el siglo segundo y tercero. Tam- Ciertamente, el material hallado en la zona debió perte- bién serían importados los capiteles corintio-asiáticos necer a un edificio o a un conjunto del que hasta el mo- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 398

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mento sólo podemos acercarnos a través del material La obra recoge treinta y nueve contribuciones agru- arquitectónico. padas en seis partes. Las mismas no aparecen nombra- Resulta destacable el capítulo dedicado a los talleres. das o definidas temáticamente, aunque se reconozca en El hecho de que dicho tema ocupe un capítulo indica la ellas los campos de interés de Blázquez en su dilatada importancia que el autor le da a este tema, y no le falta trayectoria. Pensando en un público general no familia- razón en ello; los talleres son los artífices de esta arqui - rizado con la producción del autor, hubiera sido de - tectura porque confirman las directas vinculaciones entre seable una introducción a cada uno de los bloques ade- la Urbs y la provincia bética no sólo en el principado de más de su titulación. Un breve prólogo justifica la edi- Adriano, algo que sería perfectamente comprensible, ción, cuyo ›leitmotiv‹ no es otro que »recoger en un sino también en momentos anteriores y posteriores. La volumen diferentes trabajos, publicados en diversas re- dificultad en demostrar la actividad de estos talleres vistas y congresos españoles y extranjeros, varios de ellos acentúa el mérito del autor. difíciles de consultar por su dispersión, y de este modo La metodología empleada es la habitual en este tipo facilitar su consulta para el gran público interesado en la de estudios. El análisis comparativo entre las piezas y la Antigüedad« (p. 11). Como único complemento edito- definición de los detalles en los que basa esta compara- rial se relaciona al final la procedencia de los textos ori- ción resultan intachables en este sentido. Se observa una ginales (pp. 845–847), donde se advierte la coautoría de clara preferencia de modelos urbanos (ya sea a través de algunos de ellos, como los escritos en colaboración con piezas importadas o mediante el concurso de talleres María Paz García-Gelabert (parte II, capítulos 7 y 8 y que habían trabajado en proyectos adrianeos localizados parte V, capítulo 2), Javier Cabrero (parte II, capítulo 5 en Villa Adriana, Ostia y Roma) o también a través del y parte III, capítulo 10) y Guadalupe López Montea- influjo de la capital de provincia, Colonia Patricia, con gudo, María Luz Neira y Pilar San Nicolás (parte VI, la que mantiene vínculos claramente destacables. capítulo 6). Los trabajos que nutren la obra están publi- En resumen, el trabajo de Ahrens supone una aporta- cados entre 1987 y 2001, la mayoría en la década de los ción muy importante al conocimiento de la arquitectura noventa. De ellos los más tempranos han renovado par- romana en la Betica en general y de la decoración arqui- cialmente su aparato crítico en la presente edición. tectónica en particular. Su publicación será una referen- Compartido por la totalidad de estudios que lo inte- cia obligada también para quienes quieran aproximarse a gran, el principal aporte del libro, además del conoci- la historia del emblemático yacimiento italicense. miento de la obra y metodología del autor, es sin duda la actualización bibliográfica de todos y cada uno de los Córdoba Carlos Márquez temas que aborda, bien sean éstos monográficos o secun- darios a la narración. En todos los casos hay profusión de notas con extensas citas bibliográficas, en ocasiones desbordantes (así, p. 80 n. 1, p. 122 n. 1, p. 199 n. 5, p. 253 n. 1, p. 464 n. 1, p. 506 n. 38 y pp. 672 sq. n. 2). Las refe- José María Blázquez Martínez, El Mediterráneo y Es- rencias, oportunamente incluidas pero poco comenta- paña en la Antigüedad. Historia, religión y arte. Edi- das, responden más a una enumeración de títulos que ciones Cátedra, Madrid 2003. 847 páginas, 30 figuras. a una disección analítica o crítica, lo cual no invalida su caudal informativo. Desde un legado positivista, el Superados los ochenta años y con un acervo científico autor suele proceder presentando primero las fuentes de más de cinco décadas, el profesor Blázquez sigue en primarias del asunto en cuestión y compilando después activo. Prueba de ello son las recopilaciones de trabajos la bibliografía moderna. No existe sin embargo un cri- propios que desde inicios de los años noventa viene terio unívoco de cita, acaso aconsejable, pues mientras publicando en la editorial Cátedra bajo enunciados en unos artículos las referencias van en notas a pie de como el que nos ocupa. El presente volumen se enmarca página, en otros se relacionan al final del capítulo. En por tanto en la tradición de estudios recopilatorios del cualquier caso el potencial documental de los trabajos autor, de la que son muestra títulos como Religiones en de Blázquez, su utilidad con vistas a profundizar en la España antigua (1991), España romana (1996), Mitos, muy diversas materias, son tan incuestionables como dioses y héroes en el Mediterráneo antiguo (1999), Los elogiables. pueblos de España y el Mediterráneo en la Antigüedad. Haciendo un recorrido por el contenido de este Estudios de arqueología, historia y arte (2000), Religio- volumen, la primera parte se compone de tres estudios nes, ritos y creencias funerarias de la Hispania prerro- sobre la Protohistoria hispana. El primero de ellos refe- mana (2001), El Mediterráneo: historia, arqueología, re- rido a las estelas de guerrero del Suroeste, y los dos si- ligión, arte (2006) o Arte y religión en el Mediterráneo guientes, algo redundantes, a las relaciones entre la Meseta antiguo (2007). Ya antes, en la editorial Istmo, había in- y Oretania sobre una serie de indicadores arqueológicos iciado esta tendencia con una serie de compilaciones y onomásticos. Las corrientes céltica e ibérica que ca- sobre la Hispania romana: La Romanización I. II (1986), racterizan la Edad del Hierro peninsular tienen su regis- Nuevos estudios sobre la romanización (1989), Aporta- tro blazquiano en la región oretana. Este espacio de la ciones al estudio de la España romana en el Bajo Impe- alta Andalucía receptor de influencias mediterráneas e rio (1990) o Urbanismo y sociedad en Hispania (1991). indoeuropeas, es bien conocido por nuestro autor gra- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 399

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cias sobre todo a sus excavaciones en Cástulo (Linares, temas tratados y su puesta al día bibliográfica (el artí- Jaén), yacimiento privilegiado para conocer el proceso culo sobre la historia militar de Hispania, desde la urbano desde el Orientalizante hasta la Tardoantigüe- Segunda Guerra Púnica hasta el sometimiento de los dad. Además de llamar oportunamente la atención cántabros, es en este sentido ejemplar; pp. 79–121), y los sobre los recursos naturales y la impronta púnica de la topoi que arrastran algunos de sus enfoques, como el de región (fueron los cartagineses los primeros en sacar las invasiones germanas del siglo tercero y sus secuelas provecho de las minas de Sierra Morena), el autor se catastrofistas (pp. 207–214 y más adelante de nuevo, centra en la presencia de elementos meseteños en Ore- p. 684). tania que a su juicio avalarían una irrupción de merce- La tercera parte reúne diez estudios sobre mitología, narios celtibéricos. Blázquez aborda el tema desde un religiosidad y ritual en el Mediterráneo antiguo. Mien- difusionismo celta (ya presente en su artículo La expan- tras algunos no tienen relación alguna con la Península sión celtíbera en Carpetania, Bética, Levante y sus cau- Ibérica (»La mitología entre los hebreos y otros pueblos sas, Celticum 3, 1962, 409–428) algo obsoleto, y en este del antiguo Israel«, »Alejandro Magno, homo religio- sentido entiende que los rasgos de ciertas armas recupe- sus«, »La vinculación de la novela con la mitología reli- radas en necrópolis ibéricas, incluso la panoplia de los giosa«), pareciendo por ello poco afines al título del guerreros de Porcuna o el »ritual descarnatorio« repres- libro, otros abordan uno de los temas que desde un entado en ese conjunto escultórico (pp. 72sq.), entre principio más han interesado al autor: Oriente en otras evidencias, denunciarían su adscripción celtibé- Occidente. Más explícitamente, los influjos fenicios – rica. Y tras ella, la llegada de hordas guerreras al valle del o semitas como le gusta denominarlos a Blázquez – en Guadalquivir, tesis en la que coincide con García-Gela- la concepción ideológica y plástica de las culturas pro- bert, con quien nuestro autor firma varios artículos. Sin tohistóricas, particularmente Tarteso y el mundo ibé- embargo, como algunas revisiones ponen de manifiesto rico. Desde su célebre Tartessos y los orígenes de la colo- (F. Quesada, Porcuna, Cástulo y la cuestión del su- nización fenicia en Occidente (publicado en 1968 y puesto carácter meseteño, indoeuropeo o céltico de su varias veces reeditado), que junto a las aportaciones de panoplia. In: Actas del II Congreso de Arqueología Antonio García y Bellido y Antonio Blanco, sus maes- Peninsular. Vol. II [Zamora 1999] 425–434, la filiación tros, son el punto de partida en el estudio del fenómeno céltica de esos elementos es más pretendida que real. orientalizante en nuestro país, Blázquez se ha seguido Y lo que resulta más instructivo, en el registro arqueoló- ocupando de estas cuestiones. Así, a la vez que revisado gico un elemento foráneo no tiene por qué significar el corpus de importaciones mediterráneas en la Penín- siempre una intrusión étnica; por el contrario caben sula, cuya iconografía analiza desde la extrapolación otras explicaciones que van desde la asimilación cultural directa de los mitos orientales, nuestro autor se ha ido al comercio o al intercambio de prestigio, ninguna de haciendo eco de nuevos datos y lecturas sobre la presen- las cuales presupone necesariamente una irrupción de cia de fenicios, púnicos y griegos en Iberia. En ello ab- extranjeros y, sin embargo, son acordes al carácter aglu- ogan trabajos aquí incluidos como »El impacto fenicio tinador e interactivo de las sociedades ibéricas. en la religiosidad indígena de Hispania«, »El santuario La segunda parte del libro es la más miscelánea de de Cancho Roano y la prostitución sagrada« o »Temas todas al mezclar trabajos de variada temática, ocho en religiosos en la pintura vascular tartésica e ibérica y sus total. Desde las guerras en Hispania y su importancia prototipos del Próximo Oriente fenicio«, contem- para la carrera militar de grandes generales romanos – plando en todos ellos últimas novedades arqueológicas. además de Aníbal – a la red viaria hispanorromana, y La cuarta parte también tiene un claro hilo argumen- desde la epigrafía de Cartago Nova a los productos de la tal: el cristianismo primitivo. Estamos ante un campo tierra en fiel tradición a las laudes Hispaniae que canta- predilecto del profesor Blázquez al que ha contribuido ran Estrabón, Plinio o Justino. Otros cuatro artículos con tesón. Reflejo de ello son los nueve estudios aquí abordan en parejas de dos aspectos más concretos. Son reunidos. De nuevo sobre una encomiable base docu- los relativos a sectores arqueológicos y la historia de mental, el autor aborda múltiples cuestiones: desde Cástulo (»El complejo de El Olivar« y »Cástulo en el principios teológicos e ideológicos (»Filosofía y cristia- Bajo Imperio«) y las excavaciones en el Monte Testaccio nismo: el temor ante la muerte«, »La Academia de Ate- de Roma. Desde 1989 Blázquez dirige junto a José nas como foco de formación humanística para paganos Remesal los trabajos arqueológicos en este excepcional y cristianos«), hasta la evolución del cristianismo en el yacimiento, formado a lo largo de tres siglos por la acu- Imperio (»El cristianismo, religión oficial«) o trayecto- mulación de cascotes anfóricos que transportaron aceite rias vitales de personajes (»Relaciones de los grandes bético. El conocimiento directo del lugar y la disponi- ascetas de finales de la Antigüedad con las altas magis- bilidad de datos propios dan interés y solvencia a estas traturas del estado«), sin olvidarse de extremos más contribuciones sobre producción oleícola, con el aña- anecdóticos (»Los anticonceptivos en la Antigüedad«, dido de complementarse, siendo la primera de carácter »Usos religiosos del aceite en el Próximo Oriente en la divulgativo (Un monte de aceite andaluz), y la segunda Antigüedad Tardía y sus precedentes«) no exentos de de mayor calado científico (Las excavaciones españolas interés. en el monte Testaccio). Por lo demás, esta sección testi- Más breve es la quinta parte del libro. La componen monia por igual el basto conocimiento del autor en los tres artículos difícilmente relacionables – salvo el común 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 400

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denominador de su tiempo romano –, a saber: »Nerón, plasman, síntesis como la que nos ocupa, el empeño de el mecenas asesino«, »Historiografía de la España ro- su autor por mantenerse al día y, a partir de lo mismo, mana imperial« y »La situación de los artistas y arte- su particular método recopilatorio-documental. Si bien sanos en Grecia y Roma«. Como fácilmente se deduce, este último ha sido superado, Blázquez y su obra tienen sólo el segundo tiene conexión con la Antigüedad pe- en su favor, nadie lo pondrá en duda, el haber sido res- ninsular. Constituye éste un prolijo ensayo bibliográfico pectivamente maestro y guía de las varias generaciones – más que historiográfico, pese al título – de todo lo de historiadores y arqueólogos que han avanzado en el competente al estudio de la Hispania romana: lo esen- conocimiento del Mediterráneo y España en la Anti- cial de la historiografía de los siglos decimoctavo, deci- güedad. monoveno y principios del vigésimo, las colecciones de fuentes, las historias de España romana, los corpora epi- Madrid Eduardo Sánchez-Moreno gráficos, síntesis regionales de romanización – muy en boga en los últimos años ochenta coincidiendo con la creación de las Autonomías españolas (p. 688) –, mono- grafías de ciudades hispanas, congresos, revistas y ho- Jonas Eiring und John Lund (Hrsg.), Transport Am- menajes, etcétera, sin desatender capítulos temáticos phorae and Trade in the Eastern Mediterranean. como las vías romanas, aspectos de colonización, muni- Monographs of the Danish Institut at Athens, Band 5. cipalización y administración, la historia económica y Aarhus University Press 2004. 539 Seiten, 257 Schwarz- social, los espectáculos públicos, el evergetismo, la epi- weißfotos, 25 Farbfotos, 207 Zeichnungen, 43 - grafía jurídica, el ejército o la religión. Cuarenta páginas gramme, 31 Tabellen, 11 Verteilungskarten und 23 Land- inundadas de referencias, ¡cerca de quinientos títulos karten. comprendidos entre 1754 y 2001! Blázquez en esencia. La sexta y última parte es la más compacta al desti- Das Buch ist das Ergebnis eines archäologischen Kon- narse específicamente a la musivaria antigua. A través de gresses, der vom 26. bis 29. September 2002 am Däni- seis artículos advertimos la dedicación del profesor schen Institut in Athen stattfand und das hundertjäh- Blázquez al estudio de los mosaicos romanos e hispa- rige Bestehen der dänischen Ausgrabungen auf der Insel norromanos con títulos tanto generales (»El mosaico Rhodos feierte. Schon 1909 publizierte Martin P. Nils- romano en Hispania«), como centrados en motivos ico- son aus dem Zusammenhang dieser Forschungen her- nográficos (»El grifo en mosaicos africanos y su signifi- aus seine ersten Ergebnisse über die Transportamphoren cado«, »Grifos y ketoi en mosaicos de Italia, Hispania, von Rhodos (Exploration archéologique de Rhodes 5), África y el Oriente«, »Retratos en los mosaicos hispanos die für weitere Studien zu Amphoren des östlichen y del Próximo Oriente en el Bajo Imperio«) o ejemplos Mittelmeers richtungweisend wurden. concretos (»Mosaico báquico de Baños de Valdeara- Die Ergebnisse dieses Kolloquiums präsentieren sich dos«). Desde hace más de tres décadas constituye ésta im vorliegenden Band, der schon zwei Jahre später er- una de sus líneas de investigación más consagradas, en schien. Er umfasst sechsundvierzig Beiträge, eine Ein- la que ha fraguado un buen equipo de colaboradoras leitung und eine Zusammenfassung, eine Bibliographie entre las que cabe citar a Guadalupe López Montea- und eine Teilnehmerliste des Kolloquiums. Als kleiner gudo, María Luz Neira y Pilar San Nicolás. Con la sal- Makel sei bemerkt, dass die Artikel alphabetisch nach vedad de dos imágenes previas de monedas de Alejan- Autorennamen geordnet sind und nicht nach themati- dro Magno (pp. 267 y 283), esta parte final incorpora schen Schwerpunkten, die sich hier anbieten würden. el material gráfico – más bien escaso – del libro: en Das Buch gibt einen umfassenden Einblick in die todos los casos fotografías de mosaicos en blanco y heutigen Methoden der Forschungen zu Amphoren negro (entre pp. 733 y 837). aus dem östlichen Mittelmeer. Gerade in den letzten ¿Qué se obtiene de un libro como el que nos ocupa? zwanzig Jahren haben sich die wissenschaftlichen An- El lector, conviene advertirlo, no hallará en él un ensayo sätze auf diesem Gebiet massiv verändert und stützen unívoco de la Antigüedad hispana y mediterránea, lo es- sich nicht mehr ausschließlich auf epigraphische Unter- perable del título. Tampoco la historia de fenicios, grie- suchungen. gos y romanos en el far west; ni una síntesis ordenada de So stellt Catherine Abadie-Reynal (S. 15–21) ihre ers - temas que sitúen a Iberia en un marco cultural o geo- ten vorläufigen Ergebnisse aus vor. Dieser Ort gráfico más amplio. Es, nullo modo minimus, un reco- ist nun mit Wasser des neu gebauten Birecik-Stau- nocimiento al trabajo de uno de los más fecundos y lau- damms am Euphrat bedeckt, so dass keine weiteren reados estudiosos de la Hispania antigua, felizmente Ausgrabungen mehr möglich sind. Die Mehrzahl ihres entre nosotros. Una ventana abierta a cuarenta de sus Materials kommt aus den späten römischen und byzan- paisajes escritos. En este sentido la presente recopilación tinischen Perioden. Nur fünf Prozent der Amphoren de estudios, como otras suyas similares, dan perfecta stammen vom Mittelmeer, während die restlichen als cuenta de los intereses que han guiado al profesor Bláz- lokale oder regionale Stücke anzusehen sind. Beispiele quez a lo largo de los años: el legado semita en Occi- von anderen Fundorten zeigen, dass ein solcher Anteil dente y las religiones antiguas, Cástulo y el monte Tes- an Importstücken nicht ungewöhnlich ist. Bemerkens- taccio, los mosaicos y la Tardoantigüedad. Igualmente wert ist der Hinweis, dass sogar eine kleine Anzahl an 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 401

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Mittelmeeramphoren in das etwa hundertfünfzig Kilo- Produktionsorte miteinander zu verknüpfen und zum meter von der Stadt entfernte Hinterland Zeugmas anderen die Benutzung bestimmter Tone zeitlichen weitertransportiert wurde. Perioden zuzuordnen. Zudem konnte im Fall der Sino- Auch die Beiträge von Donald T. Ariel (S. 23–30), peamphoren festgestellt werden, dass auch optisch voll- Kristian Göransson (S. 137–142), Gerhard Jöhrens kommen unterschiedlich aussehende Amphoren aus (S. 149–153), Georgiy Lomtadze und Denis Zhuravlev identischem Tonmaterial hergestellt sind. Nur unter- (S. 203–209), Grzegorz Majcherek (S. 229–237), Ewdok- schiedliche Brennbedingungen im Ofen haben eine Papuci-Władyka und Tatiana N. Kokorzhitskaia andere Oberflächenfarbe und eine andere Mineral- (S. 313–324) sowie Vivien G. Swan (S. 371–382) lassen struktur hervorgerufen. durch die differenzierte Betrachtung der Amphoren- Fragestellungen über die Nutzung und die Wieder- typen und die unterschiedliche Verbreitung bestimmter verwendung von Amphoren diskutieren Craig Barker Formen in einer Periode, in einer Region oder auch an (S. 73–84), John Lund (S. 211–216), Natalia Vogeikoff- einem Ort, Rückschlüsse auf die Erschließung der An- Brogan und Stavroula Apostolakou (S. 417–427) sowie siedlung und ihrer Geschichte zu. Kathleen Warner Slane (S. 361–369). Etliche Beiträge befassen sich mit den zentralen Da- Natürlich können Beiträge über den antiken Handel tierungsfragen, die mit dieser Fundgattung unweiger- in diesem Buch nicht fehlen. Die Beiträge von Rita lich verbunden sind. Auf Grund neuerer Grabungen Auriemma und Elena Quiri (S. 43–55), John R. Leonard und einer wachsenden Anzahl von Funden sowie diffe- und Stella Demesticha (S. 189–202), Daniele Malfitana renzierter Grabungstechniken stehen heute sehr feine (S. 239–250), Andrei Opait (S. 293–308), Roberta Tom- chronologische Gerüste für die rhodischen, knidischen ber (S. 393–402) und Samuel R. Wolff (S. 451–457) bie- und thasischen Amphoren zur Verfügung und erleich- ten neue Einblicke und lassen Strukturen des antiken tern damit die Datierung neuer lokaler Amphorengrup- Warenaustauschs sichtbar werden. Die Untersuchun- pen. Niculae Conovici (S. 99–101), Gérald Finkielsztejn gen von Elizabeth Lyding Will (S. 433–440) und David (S. 117–121), Carolyn G. Koehler, Philippa M. Wallace F. Williams (S. 441–450) zeigen enge Verknüpfungen Matheson (S. 163–169), Mark L. Lawall (S. 171–188), Va- des römischen Weinhandels zwischen Italien und In- silica Lungu (S. 217–227), Sandrine Marquié (S. 251– dien in den beiden Jahrhunderten um die Zeitenwende. 262), Vinnie N rskov (S. 285–291), Jane Timby (S. 383– Diese Handelsbeziehungen kommen jedoch nach dem 392) und David F. Williams (S. 441–450) versuchen Vesuvausbruch 79 n. Chr. und dem dadurch hervor- überzeugend jeweils mit ihren Untersuchungsmetho- gerufenen Zusammenbruch der Weinproduktion in den das chronologische Raster der östlichen Ampho- Kampanien vollständig zum Erliegen. Gleichzeitig gibt renchronologie zu modifizieren und sozioökonomische es noch viele ungelöste Fragen hinsichtlich der Export- Aspekte mit einfließen zu lassen. Mark L. Lawall führt und Importbeziehungen zwischen den einzelnen Regio- zudem überzeugende Argumente dafür auf, die bisher nen. Dies wird auch noch einmal am Beispiel der puni- nicht eindeutig bestimmbare sogenannte Nikandros- schen Amphoren und deren geringem Auftauchen im gruppe in Ephesos zu lokalisieren. östlichen Mittelmeerraum deutlich (Samuel R. Wolff, Mit jedem neu dazukommenden Amphorenstempel S. 451–457). sind nach wie vor epigraphische und ikonographische Amphorenstudien stützen sich traditionell auf epi- Studien nötig, die heute vielschichtig interpretiert wer- graphische, historische und chronologische Aspekte. den wollen. Catherine Aubert (S. 31–41), Chrysa Kara- Die Beiträge in diesem vorliegenden Band zeigen, dass dima (S. 155–161), Henryk Meyza (S. 273–284), Anna de die Amphorenforschung sich verstärkt auch auf die Fra- Vincenz (S. 403–406). Die neuesten ikonographischen gestellungen und Methoden der modernen Keramik- Untersuchungen von Nathan Badoud (S. 57–65) sowie forschung ausrichtet und damit vielschichtigere Aussa- Yvon Garlan und Francine Blondé (S. 123–136) zeigen, gen möglich sind. So ist allen Autoren gemeinsam, dass dass die abgebildeten Gegenstände oder Figuren auf sie auf Grund der komplexeren Fragestellungen meh- den Stempeln sehr spezifische Aussagen und Bedeutun- rere keramologische Bearbeitungsmethoden anwenden. gen für den Produzenten beziehungsweise den Konsu- Der Tagungsband zeigt die Vielfältigkeit und das enor- menten hatten. Gleichzeitig zeigen beide Beiträge, dass me Potenzial hinsichtlich typologischer, chronologischer, die Forschung mit der Entschlüsselung der Bilder erst ökonomischer, historischer Aussagen, die die Autoren am Anfang steht. in herausragender Weise darstellen. Sie geben somit Schon seit langem sind für werkstoffwissenschaft- auch die Richtung an, die die Amphorenforschung zu- liche Studien mineralogische Analysen notwendig. Nun künftig beschreiten sollte. haben sich petrographische (, S. 85–97) und geochemische (Sinope S. 103–115, Rhodos S. 325–327) Lindlar Christiane Römer-Strehl Untersuchungen auch in der östlichen Amphorenfor- schung etabliert. So wird mit Hilfe naturwissenschaft- licher Methoden eine differenzierte Warengruppen - einteilung des Amphorenmaterials möglich. Importe Georgios I. Despinis, Hochrelieffriese des 2. Jahrhun- lassen sich besser identifizieren und deren Produktions - derts n. Chr. aus Athen. Mit einem Vorwort von Klaus orte finden. Es ist möglich, Tonlagerstätten und deren Fittschen. Hrsg. Deutsches Archäologisches Institut, 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 402

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Athenische Abteilung. Hirmer Verlag, München 2003. bibliothek und von der Römischen Agora ausdrücklich 336 Seiten, 91 Tafeln. angegeben. Auch die Stücke im Akropolismuseum stammen ursprünglich sehr wahrscheinlich aus dem Be- Das Buch stellt zunächst eine große Zahl von Relief- reich nördlich der Akropolis (S. 66). fragmenten aus Athen zusammen, die stilistisch und In einem knappen Kapitel (S. 71–74) werden die zum Teil auch typologisch dem Fries des Phaidrosbemas technischen Merkmale der Fragmente behandelt. Die im Dionysostheater nahestehen und wiederholt mit Maße der Basisstreifen und die Plattendicke sowie die diesem in Zusammenhang gebracht worden sind. Ihr Besonderheiten der Bearbeitung von Rückseiten und Fundort ist in den allermeisten Fällen unbekannt. Des- Unterseiten sind wichtig für die Zuweisung an die ein- pinis bespricht sie zunächst nach ihren aktuellen Aufbe- zelnen Gruppen. Die Höhe der Figuren beträgt gut wahrungsorten gruppiert und klärt schrittweise ihre neunzig Zentimeter, die der Platten einen Meter oder Zugehörigkeit zu der von ihm konstituierten Gattung etwas darüber. Die Konturen zahlreicher Figuren sind der Hochrelieffriese. Wo technische Indizien nicht wei- mit durchlaufenden Bohrrillen nachgezogen. Wichtig terhelfen können, ist dabei der stilistische Habitus ent- für das Verständnis der Gattung ist die Beobachtung scheidend (S. 7). Auf diese Weise entstehen vier zu- von antiken Messpunkten am Fragment Kat. I33, denn sammenhängend besprochene Gruppen: Fragmente im sie zeigen, dass die Figuren maßgetreu nach einer Vor- Athener Nationalmuseum (Kat. I1 – I 62, S. 7–38); im lage kopiert worden sind (S. 73). Akropolismuseum (Kat. II 1 – II 9; S. 38–43); im Maga- Daran schließt sich der Vergleich der rekonstruierba- zin der Hadriansbibliothek (Kat. III1 – III 20, S. 43–51) ren Figuren mit dem Fries am Phaidrosbema an, dessen sowie Fragmente in Sammlungen außerhalb Griechen- Forschungsgeschichte in diesem Zusammenhang eben- lands (Kat. IV1 – IV 5, S. 52–55). Stücke, deren Zuge- falls besprochen wird (S. 75–91). Mindestens zehnmal hörigkeit zu den Hochreliefs nicht mit Sicherheit entsprechen die von Despinis untersuchten Fragmente nachzuweisen ist, werden entsprechend gekennzeich- Figurentypen, die auch an dem Bema vorkommen; net; ebenso sind einige Teile angeführt, die von frühe- technische und stilistische Unterschiede zeigen jedoch ren Bearbeitern einbezogen und photographisch doku- zugleich, dass sie nicht zu dem selben Denkmal gehören mentiert worden sind, sich heute aber nicht mehr mit können. Vielmehr stammen sie von einem Monument, Gewissheit auffinden lassen. Im Anschluss daran sind das ebenfalls Dionysos, Ikarios, die Kureten und Peplo- auszuscheidende Stücke aufgeführt, bei denen sich eine phoren darstellte und wohl ebenfalls acht Platten mit früher vermutete Zugehörigkeit nicht bestätigen lässt zweiunddreißig Figuren umfasste. Von diesen in der (Kat. V1 – V10, S. 55–60). Alle Katalogstücke sind durch Gruppe A zusammengefassten Fragmenten eines diony- die Angabe von Maßen, Bibliographie, Erhaltungszu - sischen Frieses sind Stücke zu trennen, die zu einem stand und erhaltenem Formenbestand detailliert und Kampffries gehören (Gruppe B) sowie zu Darstellun- genau aufgenommen, wobei auch auf die Beschreibun- gen mit stieropfernden Niken (Gruppe C) oder Frauen- gen früherer Bearbeiter verwiesen wird. Die techni- gestalten (Gruppen D und E). Die stilistische Analyse schen und stilistischen Verwandtschaften, die entschei- ergibt, dass alle Gruppen wohl aus derselben Werkstatt dend sind für die Zuweisung an die Hochrelieffriese, stammen, vielleicht mit Ausnahme der besonders qua- werden in den Katalogtexten vermerkt, jedoch nicht im litätvollen Gruppe C (S. 114). Für alle ergibt sich eine Einzelnen erläutert. Der vorzügliche Abbildungsteil des Datierung in die hadrianische Zeit (S. 119 f.), während Buches macht eine Bestätigung der vorgeschlagenen der Fries des Phaidrosbemas etwas später angesetzt und Zuweisungen aber leicht nachvollziehbar. Dass Frag- in die frühe Regierungszeit des Antoninus Pius datiert mente unterschiedlicher Aufbewahrungsorte zusammen - wird. gehören können, wird durch die Anpassung eines Kop- Nicht mit Sicherheit zu klären ist wegen des frag- fes in Atlanta (Kat. IV3, vgl. S. 111) an eine weibliche mentarischen Erhaltungszustandes und wegen der feh- Gewandfigur im Athener Nationalmuseum (Kat. I26) lenden Fundnachrichten die Frage nach den Monu- evident. menten, zu denen die Hochrelieffriese ursprünglich In einem eigenen Kapitel (S. 61–70) werden die Pro- gehört haben. Ihre Zurichtung spricht für eine Anbrin- venienzen und Fundstellen der Fragmente behandelt. gung an großen Basen oder Altären. Wegen des Themas Hinweise dafür geben Eintragungen in den Inventarbü- ist für die Gruppe A ein Zusammenhang mit einem chern und Markierungen an den Stücken selbst, doch Dionysosheiligtum anzunehmen, das wegen der er- sind diese Informationen nicht selten verwirrend und schlossenen Fundorte wohl nördlich der Akropolis zu widersprüchlich. Despinis kann nachweisen, dass die vermuten ist, so dass das von Despinis dort lokalisierte meisten Fragmente im Nationalmuseum zwischen 1872 Lenaion in Frage käme (S. 130–135). Für die Reliefs und 1875 gefunden wurden und bis 1875 im Turm der am Phaidrosbema wird vermutet, dass sie in frühanto- Winde magaziniert waren, wo Funde aus dem Stadtge- ninischer Zeit für den Altar des Dionysos-Eleutherios- biet nördlich der Akropolis aufbewahrt wurden, vor Heiligtums nach dem etwas älteren Fries kopiert allem von der Plaka und der Römischen Agora (S. 65). wurden (S. 142–144). Über den ursprünglichen topogra - Mörtelreste legen die Vermutung nahe, dass sie in spä- phischen Kontext der anderen Gruppen von Hoch - tere Mauern verbaut gewesen waren. Für Fragmente der relieffriesen sind zur Zeit allenfalls Mutmaßungen Gruppe III wird eine Provenienz von der Hadrians - möglich. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 403

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Im Anschluss an seine eigenen Untersuchungen do- Monumente ernst genommen und mit Geduld und kumentiert der Verfasser die Forschungen Margarete Kennerschaft systematisch aufgearbeitet werden. Biebers, die sich intensiv mit demselben Material be- schäftigt hatte. Er druckt ein fast zweihundert Blätter Köln Dietrich Boschung umfassendes, unvollendetes und unpubliziert gebliebe- nes Manuskript, das die ausführlichste frühere Beschäf- tigung mit den Reliefs darstellt und das sich seinerseits mit den älteren Untersuchungen von Alfred Brückner, Hartwin Brandt und Frank Kolb, Lycia et Pamphylia. Joannes N. Svoronos und Richard Delbrück ausein- Eine römische Provinz im Südwesten Kleinasiens. andersetzt. Es behandelt zunächst die Reliefs des Phai- Orbis Provinciarum. Philipp von Zabern, Mainz 2005. drosbemas; im Anschluss daran die Fragmente unter vi und 146 Seiten, 176 Abbildungen. technischen, typologischen und stilistischen Aspekten. In einem zweiten Anhang wird der wissenschaftliche Die Serie Orbis Provinciarum, deren Ziel die monogra- Briefwechsel zwischen Bieber, Brückner, Delbrück, phische Vorstellung aller Provinzen des Römischen Paul Wolters und anderen, meist deutschen Archäolo- Reiches ist, ist auf einem guten Weg. Nach den Bänden gen abgedruckt. Diese Dokumente, die Despinis in der zu Noricum von Thomas Fischer und zu Pontus et Einleitung (S. 2–5) erläutert, verraten für den Beginn Bithynia von Christian Marek kann hiermit als drittes des zwanzigsten Jahrhunderts ein großes Interesse der Stück der Reihe die Provinz Lycia et Pamphylia vor - Forschung an den Fragmenten, der sich zum einen an gestellt werden, inzwischen liegen darüber hinaus auch dem bereits von Brückner erkannten Zusammenhang die Bände zu Dacia von Nicolae Gudea und Thomas mit den Reliefs aus dem Dionysostheater, zum andern Lobüscher, zu Germania inferior von Tilmann Bechert aus der damals vermuteten Datierung in die Zeit der sowie zu Moesia superior von Miroslava Mirkovic vor. Hochklassik ergab. Wenn diese vielfältigen Bemühun- Auch bei dem vorliegenden Band ist es dem Verlag gen durchwegs erfolglos blieben, so hängt dies einerseits und seinem Beirat gelungen, zwei Bearbeiter zu gewin- mit den großen politischen Katastrophen des vergange- nen, die ausgewiesene Kenner der behandelten Region nen Jahrhunderts zusammen: Bieber hatte ihr Manu- sind. Die Autoren haben seit über fünfzehn Jahren eine skript, wie Despinis nachweist, 1914/15 angefertigt, und stattliche Anzahl an Arbeiten zu Lykien und Pamphy- die zunächst nur als vorübergehend geplante Zurück- lien vorgelegt und konnten für das vorliegende Buch stellung der Arbeiten dürfte auch mit dem Ausbruch aus einem reichen Materialfundus schöpfen. des Ersten Weltkriegs zusammenhängen. Aber das Schei- Nach einem Vorwort und der Präsentation von For- tern so vieler Anläufe war zweifellos auch eine Folge der schungsstand und Quellenlage führen die Verfasser in problematischen Überlieferungssituation, die eine über- die Geographie des behandelten Raumes ein (›Die Land- zeugende Einordnung der Reliefs erschwerte. schaften Lykien, Pamphylien und Pisidien‹, S. 12–19). Das vorliegende Buch löst diese Aporie, soweit dies Neben der für die historische Entwicklung der Region heute möglich ist. Dies geschieht zum einen unter Ein- und ihrer Poleis wichtigen naturräumlichen Gliede- beziehung der älteren, sorgfältig dokumentierten Stu- rung, nämlich der Querriegel des Taurus, die den Ost- dien von Brückner und Bieber, vor allem aber durch die westverkehr behindernden Gebirge, die nordsüdlich eingehende und überaus gründliche Untersuchung der orientierten Flüsse als Verkehrsrouten, die Kleinräu- Fragmente selbst, durch die umsichtige und metho- migkeit Lykiens gegenüber der großen Schwemmland- disch klare Auswertung aller verfügbaren Quellen sowie ebene Pamphyliens und das von Hochebenen geprägte durch die überzeugende stilistische und typologische Pisidien, geht es den Verfassern dabei auch um eine Einordnung. Die vorbildliche photographische Doku- ethnographisch-kulturelle Definierung der Regionen mentation erschließt die Fragmente ebenso wie die Lykien, Pamphylien und Pisidien. wichtigsten Vergleichsstücke. Die Monographie macht Während sich Pisidien einem solchen Unternehmen damit eine ganze Gattung von qualitätvollen Reliefs aus weitgehend entzieht, lässt sich über Sprach- und Bau- den attischen Werkstätten der hadrianischen Zeit be- denkmäler der Süden der lykischen Halbinsel als Kern- kannt, die eklektisch auf das Figurenrepertoire und den gebiet der lykischen Kultur rekonstruieren. Pamphylien stilistischen Habitus der Klassik zugreift. Die Verwen- ethnographisch und kulturell zu bestimmen ist dagegen dung des Punktierverfahrens, das exakte Kopien ermög- schon wieder deutlich schwieriger, und die Uneinigkeit lichte, zeigt die hohe Wertschätzung der zeitgenössi- der Forschung setzt sich bis in die Reihen der beiden schen Neuschöpfungen. Denn während kaiserzeitliche Verfasser fort: Idyros und werden hier als Reliefs sonst durchwegs frei gearbeitet wurden, bemüh- bereits zu Lykien gehörige Poleis bezeichnet (so etwa ten sich Bildhauer hier um eine möglichst genaue Ab- auch Der Neue Pauly IX (2000) 756 f. s. v. Phaselis bildung der Vorlagen, denen damit der gleiche hohe [A. Thomsen]), während bei der Beschreibung von Pha- Rang zugewiesen wurde wie den Werken des fünften selis (S. 55; 60 f.) mit guten Gründen darauf hingewie- und vierten Jahrhunderts v. Chr. Despinis demonstriert sen wird, dass diese Polis trotz der späteren Zugehörig- eindrücklich, dass auch scheinbar disparate Trümmer- keit zum Lykischen Bund kaum als lykisch betrachtet stücke neues Licht auf vermeintlich gut untersuchte werden kann. Darüber hinaus ist auch Plin. nat. 5, 96 Epochen und Gattungen werfen können, wenn sie als und 100 heranzuziehen, wo Phaselis als Endpunkt Pam- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 404

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phyliens gilt, beziehungsweise die Darstellung Lykiens gen ist die Darstellung der städtischen Finanzen nicht erst südlich von Phaselis beginnt. ganz auf dem Stand der Forschung: So eindrucksvoll Das folgende Kapitel widmet sich der Vor- und sich der Euergetismus gerade auch in Lykien mit der Frühgeschichte der Doppelprovinz (›Der Weg zur Pro- Ausnahmeerscheinung des sehr großzügigen Wohltä- vinzialisierung‹, S. 20–24): Während Pamphylien bereits ters Opramoas darstellt, ist es keineswegs die gängige 133 v. Chr. mit dem Attalidenreich an Rom fiel, wurde Meinung, dass die Poleis »vor allem von den großzügi- Lykien erst unter Claudius provinzialisiert. Wie Kolb gen Spenden wohlhabender Bürger abhängig waren« kürzlich nachgewiesen hat (In: N. Ehrhardt / L. M. (S. 36). Vielmehr haben H. Galsterer, Atti Accad. Rove- Günther [Hrsg.], Widerstand – Anpassung – Integra- retana d. Agiati 248, 1998, 75–98 und W.Eck in: Actes tion. Die griechische Staatenwelt und Rom. Festschrift du Xe congrès international d’épigraphie Grecque et für Jürgen Deininger zum 65. Geburtstag [Stuttgart Latine, Kongr. Nîmes 1992 (Paris 1997) 306–331 darauf 2002] 207–221), ist dabei direkt die Doppelprovinz hingewiesen, dass die Bedeutung des Euergetismus bis- Lycia et Pamphylia geschaffen worden. her aufgrund der überproportional häufigen inschrift- Die weitere Verwaltungsgeschichte der Provinz bis zu lichen Dokumentation überschätzt wird. ihrer Teilung im vierten Jahrhundert verlief wenig spek- Der letzte Abschnitt des Kapitels gilt der wie in takulär (›Die administrative Entwicklung der Provinz weiten Teilen des südlichen Kleinasiens auffallend klar bis zum Ende der Antike‹, S. 25 f.). Verschiedene Details strukturierten Gesellschaft der Provinz. Die damit zu- bleiben angesichts der Quellenlage umstritten, doch die sammenhängende große Bedeutung der Geburt kulmi- Verfasser steuern hier einen recht plausiblen Kurs. niert nicht umsonst in Lykien mit der umfangreichen Auf die gründliche Dissertation ihres Schülers Ralf genealogischen Inschrift auf dem Mausoleum der Li- Behrwald gestützt geben die Autoren in einem weiteren cinnia Flavilla (IGR III 500). Abschnitt einen Überblick über ›Das lykische Koinon Die folgenden beiden Kapitel bilden in gewisser in der Kaiserzeit‹ und die Entwicklung des vermutlich Weise die eindrucksvolle Zusammenfassung der Feld- in den Abwehrkämpfen gegen Rhodos im zweiten Jahr- forschungen, welche die Verfasser bereits seit vielen Jah- hundert v. Chr. entstandenen Bundes (S. 27–30). ren im südlichen Kleinasien unternommen haben. Der Dass der territoriale Bereich des Bundes als Epar- erste Teil gilt – wieder nach den drei Regionen geglie- cheia bezeichnet wird (S. 28 unter Bezug auf IGR III dert – dem Thema ›Die Zentralorte der Poleis in ihrer 676) ist eine etwas unglückliche Verkürzung. Tatsäch- historischen und urbanistischen Entwicklung‹, S. 40– lich ist in der Inschrift einer der auch aus anderen Re- 82), während der zweite Teil ›Ländliche Siedlungsstruk- gionen Kleinasiens bekannten Unterbezirke der kaiser- tur und Agrarwirtschaft, Komen-Zentren, Dörfer, Wei- lichen Verwaltung gemeint (vgl. IGR III 675, wo in der ler und Gehöfte‹ in den Blick nimmt (S. 83–98). lateinischen Version auch von »provincia« gesprochen Der Handel und die verschiedenen Handwerks- wird), die sich gewöhnlich an den traditionellen Land- zweige werden anschließend auf Basis einiger Inschrif- schaften orientierten. Das heißt, de facto wird sich die- ten und vor allem der archäologischen Quellen vorge- ser Bezirk zumindest weitgehend mit dem Gebiet des führt (›Gewerbe und Handel‹, S. 99–104). Bundes gedeckt haben, ohne dass er mit ihm genau Im folgenden Kapitel werden die Eliten am Beispiel identisch gewesen sein muss. der aus berühmten epigraphischen Zeugnissen bekann- Ein weiterer Abschnitt gilt der Kommunikation zwi- ten Opramos von Rhodiapolis, Iason von Kyaneai und schen Untertanen und Reichsadministration (›Provinz- Gaius Iulius Demosthenes vorgestellt (›Die gesellschaft- verwaltung und Polis-Autonomie‹, S. 31–33), die in der liche Elite der Provinz‹, S. 105–108). Auffällig ist die behandelten Provinz durch einige eindrucksvolle in- starke Präsenz von Frauen in öffentlichen Funktionen, schriftliche Zeugnisse belegt ist. meist in Priesterämtern, und in epigraphischen Zeug- Im folgenden Kapitel ›Politische und gesellschaft- nissen, ebenso das in Lykien und weiten Teilen Pisidiens liche Organisation der Poleis‹ (S. 34–39) haben sich klei- mit der Ausnahme von offenbar eher geringe nere Unebenheiten in die sonst konzise und sinnvolle Interesse am Aufstieg in die Reichselite, während die Gliederung des Buches eingeschlichen: Eigentlicher Führungsschicht des wohlhabenderen Pamphylien sich Gegenstand sind die inneren Strukturen der Polis, so durchaus in der Reichsaristokratie nachweisen lässt. dass der Abschnitt zu Zusammenschlüssen von Poleis In wenigen Regionen des römischen Reiches sind so (S. 36) hier nicht recht passt. Dies umso mehr als er die viele lokale oder regionale Agone bezeugt wie im Raum wichtigen Ausführungen zu den städtischen Finanzen von Lykien, Pamphylien und Pisidien (›Feste, Kulte (36 f.) unnötig von dem thematisch eng verwandten und Agone‹, S. 109–118). Viele von diesen gingen auf Abschnitt zur politischen Organisation (S. 34 f.) trennt. Stiftungen von Angehörigen der lokalen Aristokratie Nicht ganz einsichtig erscheint auch, dass nach dem zurück, nach denen sie benannt wurden. Interessanter- hier präsentierten Abschnitt zur städtischen Gesell- weise waren dabei Auswärtige meist ausgeschlossen, so schaft (S. 37–39) knapp siebzig Seiten später noch ein dass die Teilnehmer ebenfalls fast ausschließlich aus den Kapitel ›Die gesellschaftliche Elite der Provinz‹ (S. 105– lokalen Eliten kamen. Die Autoren erschließen hierzu 108) folgt. dem Laien eine Fülle von Spezialstudien vor allem bri- Souverän werden die Ämter, ihre Kompetenzen und tischer, französischer und niederländischer Gelehrter. die Gliederung der Bürgerschaften besprochen. Dage- Allerdings stammen die Münzen aus (S. 111 Abb. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 405

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150) und mit den berühmten Ringerdarstel- bemerkt und sie mit der Kunstlandschaft von Pamphy- lungen mitnichten aus der römischen Kaiserzeit. lien und Kilikien verbinden können (siehe S. 1). Als Der Besprechung der Agone als dem heute am bes- Entstehungszeit nennt er das zweite und dritte Jahr- ten greifbaren Phänomen der Religion folgt ein Über- hundert n. Chr. Seitdem ist nur eine kleine Zahl von blick über die wichtigsten Kulte in den drei Regionen. Arbeiten erschienen, die einerseits das Material berei- Hier erweist sich die Kontinuität alter anatolischer Kulte cherten und sich andererseits mit der Laufzeit der Gat- in Lykien am stärksten, während in Pamphylien die tung befasst haben. Einen wesentlichen Beitrag zur Spuren abgesehen von der Artemis von Perge eher ge- Definierung der regionalen Gruppe leistete Nu in Asgari ring sind. Dagegen waren in Pamphylien Gründungs- in ihrer unpublizierten Dissertation von 1965, die dem heroen aus dem griechischen Mythos besonders präsent. Autor zur Verfügung stand. Unter den von ihm behan- Der durch das Schwinden der epigraphischen und delten Stücken nahm Nikolaus Himmelmann nach den numismatischen Quellen deutlich schwerer zu erfassen- Porträtköpfen bereits eine chronologische Spanne vom den Spätantike ist das letzte Kapitel gewidmet (›Lykien, späteren ersten Jahrhundert bis in die Mitte des zweiten Pamphylien und Pisidien in der Spätantike‹, S. 119–132). Jahrhunderts n. Chr an (siehe S. 2). Das Verhältnis der Während einzelne Städte bereits frühzeitigen Verfall er- Gattung zu den Sarkophagen interessierte Guntram lebten oder ihre Zentralorte auf besser zu verteidigende Koch, der zu dem Ergebnis kam, dass die beiden Denk- Höhenlagen zurückzogen, scheinen gerade die größe- mälergruppen mit Girlandendekor im zweiten Jahr- ren Städte oft noch eine Spätblüte erlebt zu haben, bis hundert n. Chr. wohl gleichzeitig entwickelt wurden ihnen dann die Araberangriffe ein Ende setzten. (siehe S. 2). Eine Zeittafel, ein Glossar, ein Register und ein An- Der Verfasser hat sich in der an der Philipps-Univer- hang beschließen den Band. sität Marburg eingereichten Dissertation die Klärung Insgesamt haben die Autoren, wenn man von eini- der Ikonographie, der Werkstätten und der Chronolo- gen kleineren Unebenheiten absieht, einen gelungenen gie der Ostotheken zur Aufgabe gemacht und die Mate- Beitrag zur Reihe Orbis Provinciarum vorgelegt. Eine rialbasis durch mehrere Reisen in der Türkei auf die Vielzahl von schönen Fotos und Karten geben dem Band solide Zahl von 251 Stücken erweitern können, darunter eine zusätzliche Attraktivität. Besonders der Epigraphi- zirka 44 einzelne Deckel. Das Material ist in einem ker freut sich, dass der Band eine Reihe von guten In- Katalog präsentiert, der das notwendige Minimum schriftenphotos vorlegt, in Abb. 174 sogar eine noch an Informationen wiedergibt. Bis auf Ausnahmen ist unpublizierte Bauinschrift von der Kirche der Gottes- allerdings sogar die Erwähnung der Girlandenträger gebärerin Maria aus Kyaneai. Ein Band also, für den fort gelassen, was bei den nicht abgebildeten Kästen zu man dankbar sein kann. lückenhafter Dokumentation und Problemen der Iden- tifizierung führt. Wegen der alphabetischen Anordnung Zürich Jens Bartels der Stücke nach den Aufbewahrungsorten kann das Fehlen eines Registers noch verschmerzt werden. Hin- derlich für die Nutzung des Buches ist es allerdings, dass es keine Seitenhinweise auf den Text gibt. Eine reprä- Taner Korkut, Girlanden-Ostotheken aus Kalkstein in sentative Auswahl des Materials ist auf 64 Tafeln wie - Pamphylien und Kilikien. Untersuchungen zu Typo- dergegeben, die entsprechend der chronologischen Ent- logie, Ikonographie und Chronologie. Sarkophag-Stu- wicklung angeordnet sind. Die Aufnahmen stammen dien Band 4. Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2006. überwiegend vom Autor und sind entsprechend den 129 Seiten, 38 Abbildungen, 64 Tafeln. jeweiligen Bedingungen von etwas schwankender Qua- lität. Einzelheiten wie etwa eine Hochzeitskrone auf Die Ostotheken aus Pamphylien und aus mehreren Taf. 34,1 (Kat. 212) sind leider nicht zu erkennen. Ein küstennahen Orten im westlichen Rauen Kilikien bil- Anhang mit Zeichnungen der Girlandenschemata er- den durch die große Einheitlichkeit ihres Dekors eine laubt einen raschen Überblick und entspricht dem geschlossene, auffällig homogene Denkmälergruppe. Standard der Publikationen des Sarkophagcorpus, in Girlanden aus unterschiedlichen Blattarten sind an dessen Rahmen die Arbeit als Band der Sarkophag-Stu- Stierköpfen oder Palmetten befestigt, in den Girlanden- dien erschienen ist. schwüngen sind fast durchgehend Bildnisköpfe oder Die Untersuchung der regional spezifischen Osto- Büsten angebracht. Dieser Reliefschmuck ist bei den thekengruppen Kleinasiens ist hinsichtlich ihrer zeit- überwiegend eckigen Kästen auf drei Seiten wiederholt, lichen Entwicklung von größtem Interesse, da einerseits während auf einer Schmalseite eine Tür dargestellt ist. stets nach den autonomen Wurzeln der kaiserzeitlichen Als Material wurde der lokal anstehende Kalkstein ver- Grabkunst gefragt wird und andererseits die künstleri- wendet. Die Deckel haben Dachform. Nur gelegentlich schen Impulse und ikonographischen Einflüsse von Rom sind einfache Namensinschriften von geringem Aus - und Attika auf Kleinasien beobachtet werden. Ferner ist sagewert angebracht (S. 38; 59). das Aufkommen von girlandengeschmückten Sarko- Anton Luigi Pietrogrande hatte erstmals 1935 die ge- phagen in Kleinasien aufs engste mit den Ostotheken meinsamen Züge im Dekor einzelner Kalksteinkästen verknüpft, die das gleiche Schmuckschema verwenden in Sammlungen von Rom, Athen, und Antalya und teils als Vorläufer, teils als Parallelprodukte auf - 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 406

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treten. Die ältesten reliefgeschmückten Ostotheken in nahezu durchgehend mit kleinen Porträtköpfen verse- Kleinasien stammen aus den pisidischen Städten Ter- hen sind. Der Verfasser hat dieses Kriterium auch vor- messos und Sagalassos, wo seit dem ausgehenden vier- nehmlich genutzt und versucht, die Frisurdarstellungen ten Jahrhundert v. Chr. diese repräsentative Form von mit den Porträts des Kaiserhauses und der rundplasti- Bestattungsbehältern kontinuierlich nachweisbar ist. schen Bildniskunst zu verbinden. Auf dieser Grundlage Schon in augusteischer Zeit lassen sich dort Ostotheken kommt er zu einer Einordnung der Büsten zwischen in lokalem Kalkstein mit Girlandendekor nennen, tiberische (Kat. 15) und severische Zeit. Wegen des Mi- die Anregungen der ostionischen Grabaltäre aufgreifen niaturformates der Köpfe und der spezifischen Arbeits- (V. Köse, Eine augusteische Ostothek aus Sagalassos in weise in dem weichen Kalkstein, die flüchtig ist und Pisidien, Istanbuler Mitt. 48, 1995, 249–261). In Ephe- nicht sehr detailliert, ist die unmittelbare Gegenüber- sos und seinem Umkreis kann ebenfalls bereits eine vor- stellung zu den lebensgroßen Porträts allerdings schwie- kaiserzeitliche Gruppe von truhenförmigen Steinurnen rig und kann nicht immer überzeugen. Im übrigen nachgewiesen werden. Seit augusteischer Zeit werden berücksichtigt der Verfasser nicht genügend die sehr dann Kästen mit Girlandendekor hergestellt, die bis ins tra ditionalistische Haltung der breiten Gesellschafts- ausgehende zweite Jahrhundert n. Chr. zu verfolgen schichten des griechischen Ostens in Kleidung und Fri- sind. Bei ihnen wird intensiv die Frage diskutiert, ob sur. Man folgt hier nur ausnahmsweise den rasch wech- sie maßgeblich von den hellenistischen Rundaltären in- selnden Moden Italiens, wie die Grabreliefs mit ihren spiriert sind oder auch schon früh Einflüsse von der ganzfigurigen Darstellungen anschaulich machen und römischen Grabkunst aufgegriffen wurden, worauf die die häufige Wiedergabe der Frauen mit Kopfschleier römischen Namen der Bestatteten in Ephesos deuten. auf den Ostotheken im übrigen bestätigt. Das ange- Eine schon früh parallel einsetzende Sarkophagpro - deutete Stirntoupet einiger weniger Frauenköpfchen duktion macht die Sonderstellung der Region der (Kat. 5; 104; 154) dürfte kaum auf die flavische Zeit, Provinzhauptstadt sichtbar (H. Thür, Der späthelle - also auf einen Zeitraum von gut zwei Jahrzehnten, be- nistisch-frühkaiserzeitliche Girlandensarkophag S 1 in: schränkt gewesen sein, sondern kann ohne Not auch D. Knibbe / H. Thür [Hrsg.], Via Sacra Ephesiaca II. mit Frisuren des früheren zweiten Jahrhunderts n. Chr. Grabungen und Forschungen 1992 und 1993 [Wien 1995] verbunden werden, als man hohe und in große Schne- 49–53; Chr. M. Thomas / C. Içten, The Ephesian Ossu- cken gelegte Haaraufbauten trug, die man in den Mini- aries and Roman Influence on the Production of Burial aturköpfen ebenso reflektiert sehen kann (etwa Kat. 5). Containers in: H. Friesinger / F. Krinzinger [Hrsg.], 100 Auf Kat. 104 könnte sogar eine tragische Theatermaske Jahre österreichische Forschungen in Ephesos, Sympo- dargestellt sein. Bei einigen Beispielen kann die Einord- sion Wien 1995 [Wien 1999] 549–554). nung in weit auseinanderliegende Zeiträume auf Grund In der Arbeit von Torkut hat die Anordnung des der Frisuren nicht überzeugen und führt sicher dazu, Kapitels zur Chronologie des Materials an vorletzter dass über die zahlenmäßige Gewichtung der Ostothe- Stelle zur Folge, dass der zeitliche Faktor bei der Be- ken noch diskutiert werden wird. Frauenköpfe mit trachtung der Typologie und auch der Ikonographie schuppenförmig nebeneinander geordneten Haarmoti- nicht berücksichtigt wird, und so mancher Sachverhalt ven um die Stirn werden teils in flavische (Kat. 91), teils ohne seine zeitliche Einbindung beziehungslos er- in frühantoninische Zeit (Kat. 100; 192) eingeordnet. scheint. So wird beispielsweise im Kapitel zur Typologie Die starke zeitliche Differenzierung einer sehr verbrei- (S. 3) die Rundform einiger Ostotheken als offenkun- teten Frisur mit gescheiteltem Haar, das in leichten dige Übernahme von der Gattung der hellenistischen Wellen zum Hinterkopf geführt ist, kann ebensowenig Rundaltäre gesehen, aber erst anlässlich der Werkstatt- nachvollzogen werden, so zum Beispiel Kat. 15 (tibe- scheidung (S. 50) und weiter hinten im Chronolo gie - risch), 11 (30–50 n. Chr.), 53 (10–120 n. Chr.), 43 (130– kapitel (S. 60) wird das Verhältnis zu den vorkaiser - 140 n. Chr.) und 2 (170–180 n. Chr.). Eine offenkundig zeitlichen Altären erläutert, von denen offenbar der sehr verbreitete Tracht sind seitlich herabhängende Pro totyp einer ersten Rundurne (Kat. 224) abhängt. So - Haarstränge, die an den Enden meist eine Volute bilden wohl nach ihrem Aufbau als auch nach der Form der oder auch dünn auslaufen. Der Verfasser erklärt sie bei schlauchförmigen Girlande ohne Lünettenschmuck der als ältestes Beispiel eingeordneten Rundostothek für gleicht die Ostothek hellenistischen Grabaltären bezie- geklappt dargestellte Haarstränge, wie sie bei frühkai- hungsweise auch den vereinzelten Sarkophagen helle- serzeitlichen Frisuren von den Ohren in den Nacken nistischer Zeit. Lediglich die verkleinerte Form und die führen (S. 60 zu Kat. 15). Bei zeitlich späteren Gruppen große Aschenhöhlung hebt sie von den Altären ab. bezeichnet er sie als ein von römischen Moden unab- Durch die ausschließliche Verwendung von Blättern für hängiges Trachtdetail (S. 62; 65). Die Datierung der die Girlande ist hier jedoch schon eine regional typische spätesten Phase der Ostotheken wird von ganz ähnlich Wahl getroffen. Die Rundform wird in der Folgezeit gestalteten Frauenköpfen getragen, deren Frisur mit ge- sporadisch aufgegriffen bis ins späte zweite Jahrhundert scheiteltem Haar und seitlich herabhängenden Sträh- n. Chr. (Kat. 185; 226; 227), die Beispiele stammen je- nen (zum Beispiel Kat. 12; 212) vom Verfasser mit seve- doch ausschließlich aus Side und Perge (S. 50). rischen »Helmfrisuren« in Verbindung gebracht wird Die Grundlage für eine Chronologie der Ostothe- (S. 71), die jedoch schwerlich von den übrigen, als lokal ken in Pamphylien und Kilikien erscheint ideal, da sie bezeichneten Frisuren mit seitlichen Haarsträhnen zu 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 407

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unterscheiden sind, welche sehr viel früher eingeordnet geblich von der Einordnung zweier Kästen mit Frauen- werden. Diese Standardfrisur gleicht in vielen Fällen porträts getragen (S. 73 zu Kat. 48. 102), die gerade nicht (z. B. Kat. 2; 6; 30; 119; 149; 150; 185; 193; 212; 213; 219; so spät erscheinen und daher allenfalls den Beginn der 243) recht genau der Vorderansicht rundplastischer Por- Palmetten anzeigen können. Die Köpfe tragen bis in träts aus severischer Zeit mit wellig gescheiteltem Haar Höhe der Ohren reichende Melonenfrisuren, die allen- und anschließenden herabhängenden Haarsträngen mit falls mit einer Mode in antoninischer Zeit verbunden spiralförmiger Kerbung, die vor und hinter den Ohren werden können, wenn sie nicht sogar die zeitlose Jung- erscheinen können (z. B. Selçuk, Museum: J. Inan – mädchenfrisur wiedergeben, was angesichts des zweiten E. Rosenbaum, Roman and Early Byzantine Portrait Frauenkopfes auf Katalogstück 48 möglich erscheint Sculpture in Asia Minor [London 1966] 134 Nr. 163; 164 (K. Fittschen / P. Zanker, Katalog der römischen Por- Taf. 95; 101, 1: 218–235 n. Chr. – Istanbul, Archäologi- träts in den Capitolinischen Museen und anderen kom- sches Museum, Inv. 5062: J. Inan – E. Alföldi-Rosen- munalen Sammlungen der Stadt Rom III [Mainz 1983] baum, Römische und frühbyzantinische Porträtplastik 86 zu Nr. 118). Die große Gruppe der Ostotheken mit aus der Türkei. Neue Funde [Mainz 1979] 280 f. Nr. 272 Palmetten dürfte daher möglicherweise schon im späte- Taf. 194; 195; vgl. M. Bergmann, Chiragan, Aphrodisias, ren zweiten Jahrhundert n. Chr. einsetzen. Eine immer Konstantinopel [Wiesbaden 1999] 19; 71 Taf. 24; 25,1: rationeller und abstrakter gestaltete Arbeitsweise zeich- Anfang 3. Jh. n. Chr.). Diese Vergleiche sprechen für net dann später entstandene Kästen aus, deren absolute eine entsprechend späte Einordnung weiterer Stücke Einordnung jedoch schwer zu fixieren ist. und eine noch größere Konzentration von Ostotheken Nach der skizzierten Methode kommt der Verfasser im früheren dritten Jahrhundert n. Chr. Für die These zu folgender zeitlicher Verteilung der Denkmäler: In einer regional verbreiteten Frisur dieser Art schon in das erste Jahrhundert n. Chr. datiert er zehn Stücke, in vorseverischer Zeit wäre eine bessere Absicherung und traianisch-hadrianischer Zeit sind es neunundzwanzig, Begründung wünschenswert. An kleinformatigen Por- in der Antoninenepoche neunundvierzig Beispiele, in die träts auf stadtrömischen Urnen finden sich gelegentlich Periode zwischen 190 und 250 n. Chr. ordnet er dann Schulterlocken in einer Zeit, als sie dort als Venus - das Gros von siebenundsiebzig Ostotheken ein. Nach angleichung verstanden werden können (Rom, Museo den oben geäußerten Zweifeln an einigen Frisurenbe - Nazionale Romano, Inv. VC 45: F. Sinn, Stadtrömische stimmungen sollte besonderes Augenmerk auf die Marmorurnen [Mainz 1987] 184 Nr. 385 Taf. 62 b). bisher früh datierten Stücke gelegt werden und bei- Bei den Männerfrisuren wertet der Verfasser glattes spielsweise durch die Untersuchung der eng mit ihnen Strähnenhaar als Hinweis auf eine Entstehung in Ab- verbundenen pamphylischen Rundaltäre mit Porträt- hängigkeit der Frisur von Trajan und ordnet sie ent - büs ten (z. B. Taf. 64, 4. 6) Sicherheit geschaffen werden. sprechend zeitlich ein (S. 64 zu Kat. 80 und weiteren Dagegen ist die große Dichte des Materials im späten Stücken). Da diese einfache Frisur jedoch seit dem zweiten und in der ersten Hälfte des dritten Jahrhun- mittleren ersten Jahrhundert n. Chr. als einfache Kna- derts überzeugend. Nach den jetzt vorgelegten Ergeb- benfrisur nachgewiesen und bis in severische Zeit nissen setzen die Ostotheken in Pamphylien (Side und unterschiedslos zu finden ist (K. Fittschen, Zur Datie- Perge) zwar früher als die Sarkophage ein, zeigen jedoch rung des Mädchenbildnisses vom Palatin und einiger analog zu dieser Bestattungsart eine enorme Zunahme ande rer Kinderporträts. Jahrb. DAI 106, 1991, 304; im mittleren zweiten Jahrhundert n. Chr., als in dieser P. Cain, Männerbildnisse neronisch-flavischer Zeit Region auch die Verwendung der Marmorsarkophage [München 1993] 76), stellt sie nur einen sehr vagen beginnt, die jedoch größtenteils aus Importen besteht Anhalt dar. (S. 77) (zur Sarkophagproduktion siehe G. Koch, Sar- Als zweites Kriterium der Chronologie dient der kophage der römischen Kaiserzeit [1993] 183–185). Die Girlandenschmuck, der vom Verfasser auch stets als Ostotheken beeinflussen dementsprechend auch nicht Korrektiv bei der Taxierung nach den Büsten berück- den Dekor der Sarkophage, auf denen keine Girlanden sichtigt wird. Vergleiche zum Schmuck der Sarkophage aus Akanthus oder Lanzettblättern zu finden sind. Um- oder zu Architekturgirlanden können nur sehr einge- gekehrt kommt es auf den Ostotheken im späteren schränkt gezogen werden und gerade bei der zahlen- zweiten Jahrhundert n. Chr. zu einigen Übernahmen mäßig großen Gruppe der Spätzeit bieten nur Ausnah- von Dekorformen von Sarkophagen (S. 81), die der mestücke (S. 76 zu Kat. 211) die Möglichkeit zu einem Verfasser gleichermaßen auf attische, kleinasiatische und stilistischen Vergleich, während die Menge der Normal- stadtrömische Vorbilder (S. 20 f. 27) zurückführt. Als produktion nur relativ innerhalb der Gattung beurteilt Beispiele seien Eroten und Niken als Girlandenträger, werden kann. Damit geht ein beträchtlicher Unsicher- tanzende Komasten und Eichblattgirlanden genannt. heitsfaktor einher, da sowohl Werkstatteigenheiten als In den felsigen Gegenden des Rauen Kilikien wird auch schwankende Qualität das Aussehen unterschied- die große Zahl der Ostothekenbestattungen auf die lich prägen. Bodenbeschaffenheit zurückgeführt, die kaum Erdbe- Die große Zahl von Kästen, die in die erste Hälfte stattungen erlaubte und damit auch den Brauch der des dritten Jahrhunderts n. Chr. eingeordnet sind, tra- Stein sarkophage nicht aufgriff (S. 77). Für Körperbe- gen vielfach die vereinfachte Form der Palmette als Gir- stattungen verwendete man hier ausschließlich Ton- landenträger und als Lünettenmotiv und werden maß- und Bleisarkophage (Koch a. a. O. 189 f.). 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 408

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Einzig in der Nekropole von Side wurden Osto- schen Büstengrabsteinen, bei denen die Bildnisse eben- theken in situ frei aufgestellt gefunden. Hinweise wie falls gleichrangig nebeneinander gereiht sind und ohne Dübellöcher an der unteren Leiste und auf den Felsen Handlungszusammenhang Personen darstellen, die in der Nekropolen machen die freie Aufstellung auch für dem Grab ihre letzte Ruhe gefunden haben (S. 37). Die andere Kästen wahrscheinlich. Parallel wird jedoch durchgehend griechische Kleidung der Dargestellten auch die Unterbringung in Grabhäusern angenommen, und die große Zahl der traditionell verschleierten in denen Bänke, Nischen und Arkosolien geeignete Stell- Frauen sprechen dafür, dass diese Grabmäler auf die Be- flächen boten. Wegen der Regel, dass die Türdarstel- dürfnisse der einheimischen Bevölkerung zugeschnit- lung üblicherweise auf der Schmalseite rechts der Vor - ten waren und deren Bestattungsbrauch spiegeln. Es derseite liegt und die gegenüberliegende Schmalseite sind mehrheitlich relativ schlichte Gräber, die mit ein- vernachlässigt ist, schließt der Verfasser auf eine An - fachen Mitteln die Erinnerung an die Verstorbenen ordnung in paralleler Ausrichtung an Gräberstraßen wach halten sollten, ohne Zeichen von Erhöhung oder oder in Grabhäusern (S. 79). Analog findet man auch gar Heroisierung der Toten. bei Sarkophagen mehrfach die Hervorhebung einer Ein weiteres durchgehend angebrachtes Schmuck- Schmalseite (Koch a. a. O. 184). element auf den Kästen ist die Tür an einer Schmalseite, Der Dekor der Kalksteinostotheken bleibt über die die zusammen mit dem dachförmigen Deckel die angenommene Periode von über zwei Jahrhunderten Ostothek als Haus charakterisiert. Der Verfasser (S. 34) hinweg auffällig stabil. Blattgirlanden mit ein bis drei verweist auf die ältere Tradition dieser Vorstellung in Schwüngen sind zunächst an Bukephalien und in der Kleinasien, Grabmonumente mit Türen zu versehen Endzeit an Palmetten befestigt, die aus den gleichen und damit als Haus des Toten zu gestalten. Für eine An- Bossenformen ausgehauen sind und daher teilweise spielung auf den Eingang zum Hades, wie sie gelegent- sogar noch Hörner haben. Die Blattgirlanden bestehen lich in Italien gemacht wird, fehlen jedoch eindeutige überwiegend aus Akanthus und langen glatten Blättern. Hinweise. Eine symbolische Ebene darf man trotzdem Der Verfasser bezeichnet sie als Lotus, obwohl sich die unterstellen, auch wenn nicht konkret an die Vorstel- von ihm genannten Autoren (S. 8 Anm. 51) alle von die- lung des griechischen Mythos angeknüpft wird. Verein- ser alten Bezeichnung distanziert haben, zumal sich die zelte figürliche Motive oder Waffen, Phialen, Kratere Blattform nicht botanisch bestimmen lässt. In jüngerer sind selten und stellen vermutlich sporadische Sonder- Zeit ist die Bezeichnung als Lanzettblatt üblich (Frank anfertigungen dar oder entstanden auf Grund zufälliger Rumscheid, zitiert ebd.). Anregungen von Sarkophagreliefs, was jedoch in keinem In den Lünetten sind von Anfang an Köpfe oder Falle zur Übernahme in das Standardrepertoire führte. auch vereinzelt Oberkörperbüsten angebracht, die offen - In der Betrachtung des Materials nach den Her- bar einzelne Personen besonders hervorheben, da sie zwi- kunftsorten, die leider nur bei 35 Prozent der Stücke be- schen kleine Porträtköpfe eingefügt sind. Diese Eigen- kannt sind, ergeben sich plausible Ergebnisse (S. 51 ff.), heit kann auch auf den pamphylischen kaiserzeitlichen die am Ende in der Zusammenfassung (S. 83) mit den Rundaltären beobachtet werden, die allerdings bisher chronologischen Dimensionen zu einem anschaulichen nur beiläufig behandelt sind (S. 15 Anm. 75 Taf. 64, 4. 6: Überblick kombiniert sind. Die Ostotheken von Side, Side, Museum, Inv. 11.5.72; Altar aus Perge, Antalya, Perge, , Selinous und lassen sich nach Mus. – S. 25 f. Anm. 166: Altar in Side, Museum, Inv. ihrem Dekor scheiden und repräsentieren daher zu- 155, nach Korkut um 100 n. Chr., nach Berges frühkai - gleich Werkstätten. Nur aus Perge und Side sind Stücke serzeitlich). Als Vorläufer für die Tradition, Bildnisse aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. zu sichern, sie kön- der Toten auf den Bestattungsbehältern darzustellen, nen daher möglicherweise als Städte bezeichnet werden, verweist der Verfasser denn auch auf späthellenistische in denen diese Art der Bestattung geformt wurde. In Ostotheken aus dem benachbarten Pisidien. Das durch- den Orten des Rauen Kilikien lassen sich dagegen erst gehende Interesse an der Bildnispräsentation kann folg- im zweiten Jahrhundert n. Chr. Ostotheken nachwei- lich als markantes Merkmal der Region gewertet wer- sen. Das Bild von einer Gattung mit stark regionaler den. Mit diesen Büsten sollten die Toten in Erinnerung Prägung wird dadurch abgerundet, dass offenbar nur gehalten werden, auch wenn bei dem kleinen Format ein Stück in Arles (Kat. 182) außerhalb des unmittel- kaum eine individuelle Ähnlichkeit erreicht wurde. baren Umkreises der produzierenden Orte gefunden Meistens sind Paare dargestellt. Die ungleiche Zahl wurde und die Gattung in der Regel nicht in den Ex- von weiblichen und männlichen Köpfen auf manchen porthandel gelangte (S. 51). Kästen sowie vereinzelt nicht ausgearbeitete Bossen Mit der Zusammenstellung des umfangreichen (Kat. 243; 244) deuten auf eine Ausarbeitung nach Auf- Materials und der Verknüpfung mit den verwandten trag (S. 40). Bis zu vier und sogar fünf Köpfe auf einer Gattungen sowie den aktuellen Fragestellungen hat der Ostothek und der Fund von Ascheresten mehrerer In- Verfasser die Erforschung der kaiserzeitlichen Grab- dividuen machen anschaulich, dass die Kästen üblicher- denkmäler erfreulich vorangebracht und eine hoch - weise als Bestattungsbehälter mehrerer Personen dienen interessante Gattung für die weitere Diskussion er- konnten. Der Verfasser kommt daher auch zu dem schlossen. Schluss, dass die Büsten mit den Verstorbenen zu iden- tifizieren sind und vergleicht sie mit den mittelitali- Würzburg Friederike Sinn 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 409

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Tonnes Bekker-Nielsen, The Roads of Ancient Cyprus. Quellenwert der Meilensteine treffen die zentralen Museum Tusculanum Press, Kopenhagen 2004. 308 Punkte, wie besonders die Frage der zum Teil unsiche- Seiten, zahlreiche Abbildungen und Karten. ren Identifizierung, des Fundortes (mit relevanter Kri- tik S. 39 Anm. 22 an Mitford a. a. O.) sowie des In- Mit der vorliegenden Dissertation zum Straßenwesen schriftentextes beziehungsweise Formulars, das den des antiken Zypern hat sich der Autor einer ausgedehn- Straßenbau nur selten deutlich offen legt. ten Thematik gewidmet und diese in Form einer aus- Das Kapitel zum historischen Hintergrund (S. 46– führlichen Studie aufgearbeitet. Dabei stützt er sich 64) behandelt im Überblick die Topographie und histo- vor allem auf eigene Feldforschung, die er durch zahl- rische Entwicklung der Insel von der Perserherrschaft reiche Graphiken, Fotos und Karten dokumentiert, bis zur arabischen Eroberung, wobei auch die wirt- sowie auf die relevanten antiken Quellen, Reiseberichte schaftliche und soziale Situation in hellenistischer Zeit und diverse Vorarbeiten; hierzu zuletzt T.B. Mitford in: und unter römischer Herrschaft sowie der Status der ANRW II 7,2 (1980) 1332–1337. römischen Provinz Berücksichtigung finden. Danach In seiner Einleitung legt der Verfasser anschaulich die folgen in »The travellers« (S. 65–79) nur unvollständige im modernen Zypern nicht einfachen Rahmenbedin- Hinweise auf die Besucher Zyperns wie auf die Popu- gungen für Feldforschungen zum Straßennetz sowie die larität des paphischen Heiligtums der Aphrodite. Un- Notwendigkeit zur Durchführung derselben angesichts begründet bleibt die Behauptung »her sanctuary does der raschen ökonomischen und damit baulichen Verän- not appear to have attracted large numbers of visitors derungen dar. Genese und Methodik beruhen auf dem compared with, for instance, Delphi or Epidauros«. An- dänischen Akmas-Projekt (1990–1995), das unter ande- gesichts der Berichte wie etwa bei Strabo oder Tacitus rem auch die Erkundung der Straßen in Westzypern sowie der erhaltenen Weihgeschenke mit zahlreichen umfasste. Bekker-Nielsen untersucht nun mittels eige- Inschriften erscheint die These nicht einleuchtend (vgl. ner Anschauung vor Ort sowie anhand der literarischen F. G. Maier / V. Karageorghis, Paphos. History and Ar- wie epigraphischen Quellen das gesamte Straßensystem chaeology [Nikosia 1984] 182 f.; 208; 239–244; 270–278; der Insel für die hellenistische und römische Epoche, D. Leibundgut Wieland, Arch. Anz. 2003, 157–172; wobei er im Ergebnis ein nützliches Modell der Straßen- siehe in Kürze umfassend zu den Weihgaben dies. / netzes schaffen und nicht jede Meile verifizieren will. L. Frey-Asche, Weihgeschenke aus dem Heiligtum der Die einführenden Bemerkungen (S.13 f.) bieten mit Aphrodite in Alt-Paphos. Terrakotten, Skulpturen und der Erklärung von Begriffen (stadion, roads), Straßen- andere figürliche Kleinvotive. Ausgr. Alt-Paphos auf zählung, Koordinaten und Karten die notwendigen Cypern VII [im Druck]). Die sich anschließenden ganz Benutzerhinweise des Buches; gefolgt von einer Abkür- allgemeinen Informationen über Transportarten und zungsliste. Im ersten Kapitel zur Auffindung antiker deren Dauer, die man nicht zwingend in diesem Buch Wege (S. 17–32) resümiert der Autor zunächst Metho- suchen würde, weisen – auch mangels Zeugnissen – nur den der Straßenforschung ausgehend von frühesten gelegentlich Bezug zur Insel auf, was ebenso für die gut Studien (Nicolas Bergier, Ernst Curtius), die allein auf bekannten Wagendarstellungen auf Münzen und Re- Schriftquellen beruhten, bis hin zur Schwierigkeit, ar- liefs (aus Arlon, Langres) gilt. Zu verkürzt erscheinen chäologische Reste als antike Straßen zu identifizieren, Informationen über die Nachrichtensysteme bei Per- weshalb folgerichtig die diversen Quellengattungen sern und Ptolemäern, wenn sie mit dem staatlichen (literarische und epigraphische Dokumente, Karten Transportwesen der Römer (cursus publicus) gleichge- und Reiseberichte) gemeinsam heranzuziehen sind. Im setzt und als »Roman imperial post« bezeichnet werden. Detail vorgestellt und bewertet werden dann exempla- Mit dem Kapitel »Road design and construction« risch drei Untersuchungen zu verschiedenen Regionen (S. 80–100) dringt Bekker-Nielsen langsam zur engeren und mit unterschiedlichen Forschungsansätzen, und Thematik des Buches vor, indem er nun die wichtigen zwar (a) zum römischen Britannien (»morphological Informationen, die man sich schon im Methodenkapi- approach«) (b) Sizilien (»text-based approach«) (c) Israel tel (S. 17–32) gewünscht hätte, insbesondere über juris- (»contextual approach«). Aufbauend auf diesen Vor - tische und bauliche Kriterien zur Definition und Diffe- gehensweisen zeigt der Verfasser, dass die jüngere For- renzierung antiker Straßen beziehungsweise Wegetypen schung von technischen Entwicklungen profitiert, in - liefert. Hier werden primär die Verhältnisse in Italien dem nun Luft- und Satellitenaufnahmen, großange- geschildert, obwohl im Hinblick auf Zypern eine kla- legte archäologische Surveys sowie die Anwendung von rere Definition von Viae publicae in den Provinzen und Geoinformationssystemen (GIS) einbezogen werden. den dortigen Bedingungen notwendig erscheint. (Ob- Er definiert schließlich seinen sogenannten integrierten wohl im Literaturverzeichnis S. 286 genannt, hat der Ansatz (»integrated approach«), der die Feldforschung, Beitrag von M. Rathmann in: E. Olshausen / H. Sonn- das Textquellenstudium und den kontextuellen Zugang abend [Hrsg.], Zu Wasser und zu Land. Verkehrswege miteinander verbindet. Im folgenden Teil zu den Quel- in der antiken Welt. Kolloquium 1999. Stuttgarter Koll. len (S. 33–45) werden die relevanten antiken Doku- z. hist. Geogr. d. Altert. 7 [Stuttgart 2002] 410–418, mente einschließlich moderner Reiseberichte und Kar- offenbar keine Berücksichtigung gefunden.) ten, insbesondere des neunzehnten Jahrhunderts, kurz Auch die schwierige Frage nach der Finanzierung des vorgestellt. Bekker-Nielsens kritische Bemerkungen zum Straßenbaus wird kurz angesprochen, kann jedoch im 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 410

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Rahmen der Arbeit kaum adäquat behandelt werden. Nicht zur Kenntnis genommen hat der Autor den So kulminieren die Überlegungen in der unzureichend römischen Straßenabschnitt von »road 112« (S. 119), der begründeten Behauptung (S. 99) »the statement on a über den Resten des Nordosttores des Aphroditeheilig- Cypriot milestone (appendix. No. 5), that Titus ›(via)s tums von Alt-Paphos fassbar ist. (Diese ist bereits ange- novas fecit‹, is no evidence of financial involvment«. zeigt in den Grabungsberichten F.G. Maier, Arch. Anz. (Die falschen Klammern – es müsste heißen: »[via]s« – 1968, 678; ders., Arch Anz. 1971, 6 f.; ders., Arch Anz. sind im Appendix korrigiert.) Die im Folgenden (S. 100) 1977, 35; ders. – M.-L. v. Wartburg in: V.Karageorghis vom Verfasser angeführten Meilensteine aus Zypern, (Hrsg.), Archaeology in Cyprus 1960–1985 (1985) 159; die ein Weihformular (mit dem Namen des Kaisers im siehe jetzt ausführlich F.G. Maier, Nordost-Tor und Dativ) aufweisen, zeigen, dass die Steine zu Ehren des Belagerungsrampe II. Grabungs- und Baubefund. Herrschers von der Gemeinde gesetzt wurden, können Ausgr. in Alt-Paphos auf Cypern VI [Mainz 2008] 17; jedoch die genannte These nicht untermauern. Die 133; 141.) Ferner lässt die Vorlage von »road 11« Präzision oben zitierte Formulierung aus dem Namen im Nomi- vermissen. nativ – hier dem Kaisernamen – plus dem Begriff »fecit« Es folgen Appendix, Bibliographie, Register zu dagegen ist in Bauinschriften, zu denen die Meilen- Quellen, Personen und Orten sowie Karten. Ein An- steine im weiteren Sinn gehören, üblich und dokumen- hang legt die Texte der neunundzwanzig zypriotischen tiert das finanzielle Engagement des Bauherrn, also des Meilensteine vor (S. 232–276). Der Epigraphiker hätte Kaisers. Freilich werden Umfang und Art des kaiser- sich zum Teil mehr oder präzisere Angaben sowie eine lichen Beitrags in der kurzen Formel nicht spezifiziert, bildliche Dokumentation der Meilensteine gewünscht, sind jedoch damit klar bezeugt. was aber letztlich die Aufgabe eines Inschriftencorpus Ab S. 101 folgt der Hauptteil des Buches: Zunächst wie CIL XVII ist, für das hiermit eine sehr nützliche wird er eingeleitet durch einen historischen Überblick Zusammenstellung vorgelegt wurde. Bei den Karten ist über die Entwicklung des zypriotischen Straßensystems zu beklagen, dass die hier verwendete historische Karte (S. 101–113). Hilfreich sind die beigefügten Kartenskiz- von Lord Horatio Herbert Kitchener etwas unscharf zen, denen allerdings eine Nummerierung der Straßen wiedergegeben ist; nur die Namen größerer Orte lassen fehlt, wie sie von Bekker-Nielsen im Folgenden erarbei- sich einigermaßen lesen. Die kleineren Toponyme sind tet ist. Man hätte damit dann zugleich eine zeitliche praktisch nicht lesbar und damit ist einiges nicht auf Einordnung der Hauptrouten, die jedoch nicht immer dem Plan verifizierbar. begründet ist, klar erkennen können. Der Band beeindruckt vor allem durch die Vorlage In den folgenden Kapiteln werden die Ergebnisse großangelegter und umfassender Feldforschungen so- der Untersuchung im Einzelnen vorgelegt und die Stra- wie durch die reiche Ausstattung, da neben Karten und ßen im Uhrzeigersinn, ausgehend vom Westen, vorge- Graphiken zahlreiche Fotos – auch farbige – vor allem stellt (S. 114–219). Schmerzlich vermisst man hier eine von Straßen in der Landschaft beigefügt sind. Auch die Überblickskarte, in der alle Wege oder zumindest doch Breite der angesprochenen Themen trägt dazu bei, das die Hauptstrecken mit Nummern verzeichnet sind. gesetzte Ziel zu erlangen. Geschmälert werden die Er- Dadurch ist man gezwungen, sich jedes Mal durch die rungenschaften der Studie zum Teil durch Verkürzun- Detailkarten am Ende des Bandes (dazu s. u.) zu blät- gen beziehungsweise Unachtsamkeiten sowie eine nicht tern. Immerhin wird im abschließenden Teil der Studie immer umfassende Kenntnis von Quellen und For- über das Straßennetz (S. 220–227) und die Ergebnisse schungsliteratur. des Bandes (S. 228–231) dann eine Liste aller Straßen ge- geben (S. 220–222). Zürich Anne Kolb

ALTE GESCHICHTE

Andreas Luther, Mischa Meier, Lukas Thommen wohl aber, dass diese alles andere als einfach ist. Der (Hrsg.), Das frühe Sparta. Franz Steiner, Stuttgart 2006. Band ist das Ergebnis eines 2004 in Berlin abgehaltenen 224 Seiten. Kolloquiums. Alle Autoren sind durch Monographien zur Geschichte Spartas oder des frühen Griechenlands Nachdem in den vergangenen Jahren vielerlei didak- als kompetent ausgewiesen, der vorliegende Band re- tisch angelegte Werke zur Geschichte Spartas erschie- präsentiert in erster Linie die deutschsprachige Sparta- nen, liegt unter dem Titel »Das frühe Sparta« nun ein forschung. Sammelband vor, der sich dezidiert an Fachwissen- Lukas Thommen eröffnet das Buch mit einer Ein- schaftler richtet. Dies bedeutet nicht, dass die Kenntnis führung und einer Untersuchung über das Territorium des Forschungsstandes Voraussetzung der Lektüre ist, des frühen Sparta in Mythos, Epos und Forschung. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 411

Alte Geschichte 411

Überlegungen zur Helotie in Lakonien stellt Karl- Heinz Bellen † und Heinz Heinen (Hrsg.), Bibliogra- Wilhelm Welwei an, während sich Martin Dreher und phie zur antiken Sklaverei. Im Auftrag der Kommis- Alberto Maffi mit der Verfassung im frühen bezie- sion für Geschichte des Altertums der Akademie der hungsweise Recht und Rechtsprechung im späten Wissenschaften und der Literatur (Mainz) neu bearbei- Sparta beschäftigen. Andreas Luther kommt bei seiner tet von Dorothea Schäfer und Johannes Deißler auf Titelfrage nach dem Namen der Volksversammlung zu Grundlage der von Elisabeth Herrmann in Verbindung dem Ergebnis, dass die normale, monatlich abgehal- mit Norbert Brockmeyer erstellten Ausgabe, Bochum tene Volksversammlung als Ekklesia bezeichnet wurde, 1983. Forschungen zur antiken Sklaverei, Beiheft 4. dagegen die nur einmal im Jahr aus Anlass der Apellai, Zwei Teilbände. Franz Steiner, Stuttgart 2003. XIII und eines Apollonfestes, stattfindende Versammlung, auf 623 Seiten sowie VIII und 186 Seiten. der auch die Ephoren gewählt wurden, den Namen Apella trug. Lässt sich dies bestätigen, würde dies auch Im Jahr 1950 begründete Joseph Vogt an der Mainzer zu einem neuen Verständnis der Großen Rhetra bei - Akademie der Wissenschaften das Arbeitsvorhaben tragen. »Forschungen zur antiken Sklaverei«, mit dessen Hilfe Winfried Schmitz belegt in seinem Beitrag »Die versucht werden sollte, zur marxistisch geprägten Skla- Macht über die Sprache: Kommunikation, Politik und vereiforschung in den Staaten des Ostblocks ein west - soziale Ordnung«, wie die sprichwörtliche lakonische liches Gegenbild zu entwerfen. Zu diesem Zweck wurde Brachylogia, die später zum bloßen Anekdotenreservoir neben einer Reihe »Forschungen zur antiken Sklaverei« degenerierte, sich als Mittel der Systemstabilisierung und einer weiteren »Übersetzungen ausländischer und Herrschaftskontrolle im Konflikt der Generatio- Arbeiten zur antiken Sklaverei« schließlich, um einen nen entwickelte. Überblick über die bestehende Forschung zu schaffen, Im Anschluss setzt Mischa Maier die Entstehung des eine »Bibliographie zur antiken Sklaverei« begründet, »Homoiosideals« bereits in die Zeit nach Abschluss des die 1971 erstmals erschien (N. Brockmeyer, Bibliogra- Zweiten Messenischen Krieges. Die spartanische Wur- phie zur antiken Sklaverei, hg. v. J. Vogt [Bochum 1971]) zel des Eids von Plataiai (in der inschriftlichen Fassung) und später deutlich erweitert und mit verändertem Zu- behandelt Hans van Wees in seinem Aufsatz »The Oath schnitt von Gliederung und Register neu herausgege- of the Sworn Bands. The Acharnae Stela, the Oath of ben wurde (N. Brockmeyer / E. Hermann, dass., 2 Bde., Plataea and Archaic Spartan Warfare«, während Ernst hg. v. H. Bellen / J. Vogt [Bochum 1983]) Nach zwanzig Baltrusch das Verhältnis von »Polis und Gastfreund- Jahren hat die Mainzer Akademie nunmehr eine grund- schaft« vor dem Hintergrund spartanischer Außenpoli- legend überarbeitete Ausgabe dieses Hilfsmittels zur tik mit isolationistischen Tendenzen untersucht, die Sklavereiforschung herausgegeben. Dass auch nachdem dem König Kleomenes zugeschrieben wurden. die marxistische Geschichtswissenschaft weitgehend an Stefan Rebenichs Beitrag widmet sich der Sparta- Einfluss verloren hat, das Interesse an diesem Thema rezeption, ein eigenes Kapitel, das mit dem Mythos von nicht erlahmt ist, zeigt sich vor allem im deutlich ge- Leonidas und seinen Dreihundert spätestens seit den wachsenen Umfang dieser Neuausgabe. Erfasste man Türkenkriegen beständige Aktualität hat. Rebenich kon- 1983 über fünftausend Titel, so besitzt die Bibliographie zentriert sich auf die deutsche Altertumswissenschaft, nun nicht weniger als das Doppelte an Einträgen. was in zweieinhalb Jahrhunderten höchst wechselhafter Die Neuausgabe der Bibliographie zur antiken Skla- Geschichte zu entsprechend interessanten Ergebnissen verei besteht aus zwei Teilbänden, von denen der erste führt. die eigentliche Bibliographie, der zweite ein Abkür- Das beharrliche Problem jeglicher Spartaforschung zungsverzeichnis und das Register enthält. Die Biblio- ist die Quellenlage, die dazu zwingt, den bekannten, graphie gliedert sich im wesentlichen wie die von schon Dutzende Male interpretierten und ausgedeute- Herrmann besorgte und 1983 erschienene Ausgabe: ten, immer und immer wieder gelesenen Quellen noch I. Sklaverei als Forschungsproblem (S. 3–101); II. Antike neue Aspekte abzugewinnen. Dies ist ein Manko, kann Quellen zur Sklaverei (S. 102–171); III. Geschichte der sich aber in eine Stärke verwandeln. Wenn wie im antiken Sklaverei (chronologisch-regional) (S. 172–285); vorliegenden Band ausgewiesene Forscher, die ihr IV. Sklavenaufstände und Räuberunwesen (S. 286–317); philo logisches Handwerk beherrschen, sich der Quel- V. Sklaverei im Rahmen der Gesellschaft (S. 318–421); len annehmen, kann der Leser zumindest auf ein intel- VI. Sklaverei in Staat und Verwaltung (S. 422–433); lektuelles Vergnügen hoffen. Es sind nicht unerwartete VII. Sklaverei in der antiken Wirtschaft (S. 434–480); Ergebnisse, sondern originäre Vorgehensweisen und VIII. Rechtsfragen zur antiken Sklaverei (S. 481–565); Methoden, die hier überzeugen. Ob die einzelnen The- IX. Freilassung und Freigelassene (S. 566–599); X. Skla- sen stichhaltig sind, wird die Forschungsdiskussion der verei in der antiken Theorie (S. 600–626). Lediglich die nächsten Jahre zeigen. Sofern die Aufsätze »mehr Fra- Benennung von Abschnitt VI weicht dabei von der gen als Antworten« enthalten (so Maffi), dann erfüllen Ausgabe aus dem Jahr 1983 ab, in welcher er noch mit sie ihren Zweck. Noch immer sind gute Fragen die »Sklaverei als soziale Erscheinungsform« überschrieben beste Voraussetzung für ebensolche Antworten. war. Veränderungen in den Forschungsschwerpunkten in den letzten Jahren zeigen sich vor allem durch abwei- Bonn Wolfgang Will chende Zuschnitte innerhalb dieser Kapitel. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 412

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Problematisch bleibt – wie bei allen klassischen ge- die Antike bisher weitgehend unerforscht ist. Seit den druckten Bibliographien – die Zuordnung einzelner neunziger Jahren thematisieren einzelne Untersuchun- Titel zu Sachbereichen, was sich in der großen Anzahl gen zwar Gewalt in Athen (D. Cohen, Law, Violence von Querverweisen unter den einzelnen Abschnitten and Community in Classical Athens [Cambridge 1995]; äußert. G. Herman, How violent was Athenian Society, in: Der zweite Band enthält Abkürzungsverzeichnis und R. Osborne – S. Hornblower (Hrsg.), Ritual, Finance, Register, welche die Suche nach Stellen, griechischen und Politics. Athenian Democratic Accounts Presented to lateinischen Begriffen, Geographica, Sachen, Namen David Lewis [Oxford 1994] 99–117) sowie das Wesen und modernen Autoren ermöglichen. Vor allem das im der Räuberbanden in Rom, eine umfassende Untersu- Gegensatz zur letzten Ausgabe neu hinzugefügte Stel- chung zur Sozialgeschichte der Kriminalität liegt aber lenregister erweist sich dabei als Gewinn. nicht vor. Wenn auch an der Bedeutung einer solchen Erfas- Um dem »Verbrechensgefüge« (S. 8) auf die Spur zu sung der Arbeiten zur antiken Sklaverei an sich ebenso kommen, hat der Autor möglichst verschiedenartige wenig gezweifelt werden kann wie an der hervorragen- Rubriken von Delikten in den Blick genommen, trotz den Ausstattung der beiden Bände, so stellt sich den- der deutlich bekundeten Gefahr, dass durch eine solche noch die Frage, ob die gewählte Form der gedruckten Methodik mehr ein mosaikartiges Bild denn ein har- Bibliographie noch zeitgemäß ist. Gerade bei der monisches Gefüge entsteht. Das disparate Quellen - Menge jährlich hinzukommender Arbeiten besitzt diese material lässt indes kaum eine andere Vorgehensweise Form der Aufbereitung den Nachteil, sehr rasch zu ver- zu, da Ansprüche und Motive der Quellenschreiber alten. Dies zeigt sich schon in dem Ausmaß des Biblio- weit auseinanderliegen. So sind juristische Quellen auf- graphie-Updates, das die Mainzer Akademie der Wis- grund ihres normativen Charakters für die Problemstel- senschaften im Internet als PDF-Datei zur Verfügung lung häufig unzureichend. Als ergiebig erweisen sich stellt und dessen halbjährliche Aktualisierung geplant dagegen ägyptische Papyri, die über einzelne Prozesse ist. Insofern ist die Planung einer online zur Verfügung und die individuelle Ahndung von Verbrechen Aus- stehenden Datenbank, wie sie auf der leider nicht in- kunft geben. Bisher wenig beachtete Notizen finden tensiv gepflegten Homepage zumindest angekündigt sich beispielsweise in Heiligenviten, in denen sich die wird, sehr zu begrüßen. Schreiber etwa zum Motiv einer Tat äußern, sowie in Bemerkungen spätantiker Kirchenväter. Literarische Bonn Jan Timmer Quellen sind durch ihre rhetorische Färbung bisweilen schwer zu interpretieren (S. 10), da ihre Beschreibungen sozialer Phänomene kaum die Realität widerspiegeln. Durch die Quellen liegen die Schwerpunkte der Unter- suchung im klassischen Athen des fünften und vierten Jens-Uwe Krause, Kriminalgeschichte der Antike. Jahrhunderts v. Chr. und in Rom zwischen 200 und C. H. Beck, München 2004. 228 S. 600 n. Chr. Um den sozialen Kontext der Kriminalität, die all- Das Werk von Jens-Uwe Krause ist ein besonderes tägliche Strafpraxis und den Umgang mit Straftätern zu Buch. Rechtsgeschichten zu Griechenland und Rom verstehen, werden im zweiten (Athen, S. 13–23) und sind zahlreich verfügbar, Phänomene und Straftatbe- vierten (Rom, S. 44–86) Kapitel das Verhalten des Staa- stände, Delikte und Prozesse gut erforscht (nur als Bei- tes bei Abweichungen von der Norm beobachtet, in den spiele seien aufgeführt: M. Bretone, Geschichte des rö- Kapiteln drei (Athen, S. 24–43) und fünf (Rom, S. 87– mischen Rechts. Von den Anfängen bis zu Justinian 201) die Motive der Verbrecher, ihre soziale Herkunft [München 1992]; W. Jones, The Law and legal Theory sowie ihr Alter und Geschlecht analysiert (S. 8). Der of the Greeks [Oxford 1956]; M. Kaser, Römisches inhaltliche Akzent fällt deutlich in den Bereich der Privatrecht10 [München 1992]; W. Kunkel, Römische römischen Antike, der drei Viertel des Bandes ein- Rechtsgeschichte [Köln u. Wien 1990]). Eine Kriminal- nimmt. geschichte gibt es bisher nicht. Der Autor schlägt eine Für die Fragestellung in Kapitel zwei ertragreich ana- neue Richtung ein, indem er sich auf die Suche nach lysiert ist die Gesellschaftsordnung in Athen, andere dem Täterprofil macht und nach dem Umgang mit Kri- Poleis werden nicht berücksichtigt. Die Struktur der minalität und Gewalt und den Antworten des Staates Polisgesellschaft bedingte bestimmte Formen der darauf fragt. In welcher Form Regulierungsmechanis- Rechtspflege, auch in Bezug auf die Rolle der Nachbar- men eingerichtet wurden und wie staatliche Ordnung schaftshilfe bei der Verbrechensbekämpfung und die ohne polizeilichen Apparat auskommt und dabei trotz- begrenzten Möglichkeiten staatlicher Unterstützung dem als soziales System funktioniert, wird eingehend dabei. Die moralische Verpflichtung zu aktiven Eingrif- erläutert und diskutiert. Vor allem für die frühe Neu- fen gegen Unrecht war sehr hoch, Unterstützung durch zeit, aber auch für das Mittelalter liegen im Rahmen Zeugen wurde erwartet. Hauptklageform war zunächst sozialgeschichtlicher Ansätze Studien zum Verständnis die Dike (dích), die Privatklage seitens des Geschädig- von Gewalt und Untersuchungen zu Strategien von ten, seit Solon kam die Popularklage hinzu. Eine Gra- Konfliktbewältigung vor, wohingegen das Feld für phe (graf≥) konnte durch jeden Bürger eingereicht 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 413

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werden. Um einer Klagewelle durch diese neue Form chen wurde, oder aber als Graphe, wobei Leib und der Anklage entgegenzuwirken, musste allerdings der Leben des Angeklagten auf dem Spiel standen. Die Kläger mindestens ein Fünftel der Geschworenen über- strenge Ahndung bei Diebstahldelikten bezeugt den zeugen, andernfalls hatte er eine Strafe von tausend hohen Stellenwert privaten Eigentums. Drachmen zu entrichten. Charakteristisch für die athe- Bei Tötungsdelikten wurde zwischen vorsätzlicher nische Gerichtsbarkeit war die vage Formulierung der und fahrlässiger unterschieden, wobei erstere vor dem Anklagepunkte, umso konkreter fiel das Strafmaß aus, Areopag verhandelt wurde, während für die letztere das wenn der Schuldspruch gefällt war. Das Strafmaß Palladion zuständig war. Auch Sexualdelikte wurden konnte dann nur den Forderungen der Anklage oder zur Anzeige gebracht, was voraussetzt, dass sie in der der Verteidigung entsprechen. In einer Anklage, die auf Antike überhaupt als Delikte angesehen wurden. Das einer Graphe beruhte, fiel die Entscheidung über das Urteil einer Ehebruchanklage (graf¶ moieíaj) konnte Strafmaß erst nach der Verurteilung. Die Strafen be- zum Tod führen. Die beteiligte Frau wurde verstoßen standen meist in einer Geldbuße, schwerwiegendere und durfte an keiner religiösen Zeremonie mehr teil- Verbrechen konnten aber auch mit dem Verlust der nehmen. Ehre (çtimía) bis hin zur Todesstrafe geahndet werden; Die weitaus umfangreichsten Kapitel umfassen die letztere wurde beispielsweise bei geständigen Dieben römische Antike. In Rom entsprachen den Elfmännern unverzüglich vollstreckt. Ganz anders als in Rom wurde in etwa die seit 290/87 amtierenden Tresviri capitales, das Urteil nur zum Teil vor der Öffentlichkeit voll - welche Gefängnisse und Hinrichtungen überwachten. zogen. Daran ist eine sehr unterschiedliche Intention Der inneren Sicherheit dienten in Rom die seit 27/26 der Strafe erkennbar. Die Zahl staatlicher Organe v. Chr. durch Augustus eingerichteten Prätorianer, seit der Rechtsfindung und Exekutive war in Athen recht 13 v. Chr. drei Stadtkohorten. In den Provinzen wurde begrenzt. So überwachte das Beamtenkollegium der diese Funktion durch die dort stationierten Truppen Elfmänner die staatlichen Gefängnisse, dreihundert wahrgenommen. Über einen Polizeiapparat zur Unter- skythische Sklaven sorgten für Ordnung, aber Athen suchung oder Spurenverfolgung verfügte man nicht, verfügte über keinen Polizeiapparat als Instrument zur auch hier war die Bevölkerung weitgehend auf Eigen- Verbrechensbekämpfung oder Deliktaufklärung. Es initiative angewiesen, was die Auffindung der Täter galt als Akt von Sophrosyne (Selbstbeherrschung), ein anbetraf. Kam keine außergerichtliche Einigung zu- Unrecht vor Gericht zu bringen und nicht etwa Selbst- stande – wobei eine Schlichtung mit privat ausgehan- justiz zu üben. Zur Wahrung der Ehre (tim≥) gehörte deltem finanziellen Ausgleich auf nachbarschaftlicher ein selbstbeherrschtes Auftreten gemäß der Normen des Ebene sicherlich an der Tagesordnung war – so ging Verhaltenskodex, jede affektgeladene Handlung war der Fall vor Gericht. Eskalationen oder organisierte möglichst zu vermeiden (zum Begriff der Ehre vgl. Racheakte auf privater Ebene fanden in Rom kaum Christel Brüggenbrock, Die Ehre in den Zeiten der statt, was bedeutet, dass den staatlichen Vollzugsorga- Demokratie. Das Verhältnis von athenischer Polis und nen zugetraut wurde, Vergeltung zu üben oder die Ehre Ehre in klassischer Zeit [Göttingen 2006]). eines Einzelnen und seiner Familie wiederherzustellen. In sehr übersichtlicher Struktur stellt der Autor im Selbstjustiz oder gar Blutfehden sind aus Rom nicht be- nächsten großen Abschnitt die einzelnen Delikte vor, kannt, obwohl ein derart an der familia orientiertes für Athen und Rom nach den gleichen Kategorien ge- staatliches Konzept diese Art der Vergeltung nahegelegt gliedert: An die Tatbestände der Beleidigung bezie- hätte. Der Rechtsgelehrte Paulus vermerkt dazu, dass hungsweise verbaler Gewalt, Körperverletzung im wei- Privatpersonen nicht tun dürfen, was der Staat über- teren Sinn (dích aceíaj) schließen sich Tötungsde- nehmen konnte (Dig. 50, 17, 176 pr.). Marcus Aurelius likte, Diebstahl und Sexualdelikte an. In Athen wie in erklärte, dass Ansprüche an die Richter abzugeben Rom folgten verbalen Attacken häufig körperliche Aus- seien. In einem Kaisergesetz von 389 n. Chr. werden einandersetzungen; die Täter waren hier oft unter den eigenmächtige Handlungen zur Wiedererlangung von jungen Aristokraten zu finden, die nach Symposien Gütern untersagt (Cod. Theod. 4, 22, 3) (S. 95). Eine oder anderen Treffen, zum Beispiel in den Gymnasien, Staatsanwaltschaft kennen wir aus Rom nicht, als Klä- durch die Stadt zogen. Gewalt war ein alltägliches Phä- ger fungierten die Bürger. Ständige Gerichtshöfe, die nomen. Die Grenzüberschreitung lag in der Demüti- sogenannten Quaestiones mit speziellen Befugnissen, gung, der Ehrabschneidung des Gegners, und so ver- begegnen uns erst mit Beginn des Dritten Punischen wundert es kaum, dass neben der Anklage der Dike, in Krieges, konkret das Repetundengericht. Tribunale mit der die Beweislage durch das direkte Zeugnis des Scha- den Zuständigkeiten für Mord, Gewaltverbrechen und dens leichter war und die im allgemeinen mit einer Ab- Körperverletzung wurden unter Sulla eingerichtet, dazu findung in Form einer Geldbuße abgegolten war, eine kam unter Augustus ein ständiger Gerichtshof für den Graphe angestrengt wurde. Hier wurde die Beschädi- Bereich Ehebruch. In den Provinzen bereisten die Statt- gung oder sogar der Verlust der Ehre behandelt, die halter regelmäßig die jeweiligen Konventsstädte, in Ahndung konnte bis zur Todesstrafe reichen. Auch denen die Gerichte tagten. Diebstahl konnte als dích clop¢j verhandelt werden, In der Zuteilung des Strafmaßes hatten Richter wobei dem Geschädigten im Fall des für ihn günstigen einen beträchtlichen Ermessensspielraum (S. 70). Bis- Gerichtsentscheids doppelter Schadensersatz zugespro- weilen drifteten Strafnorm und Strafpraxis weit ausein- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 414

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ander (S. 76), so verordneten zum Beispiel christliche denn in den allermeisten bezeugten Fällen handelte es Amtsinhaber seltener die Todesstrafe (S. 78); bei der sich um spontane Eigentumsdelikte, die aus der Not ge- Übergabe einer Provinz war der Rechenschaftsbericht boren waren. über eine unblutige Statthalterschaft mustergültig. Auch Räuberbanden stahlen zur Selbstversorgung, Anders als in Griechenland traf in Rom die Straftäter oft hatten Räuber Familien. Sie trieben im Gebirge oder häufig die Maßnahme der Zwangsarbeit, wobei unter- ländlichen Gegenden ihr Unwesen und waren vor allem schieden wurde zwischen der Verurteilung ›ad metal- für Reisende bedrohlich. Gerade Delikte, die durch lum‹, die die Verurteilten Sklaven gleichstellte, und Räuberbanden begangen wurden, sind schwer zu be- dem ›opus publicum‹, in dem der Verurteilte sein Bür- werten, da sich viele literarische Topoi um die Räuber- gerrecht behielt. Klare Differenzierungen wurden in der romantik ranken und damit die klare Sicht versperren. Bestrafung von Humiliores und Honestiores vorge- Räuber entstammten zumeist der Unterschicht, Ban- nommen. Letztere wurden bei der Verurteilung zur den erhielten aber oft Verstärkung durch jugendliche Todesstrafe – wenn es denn dazu kam – durch das Aristokraten aus der Stadt, die sich den Banden zeit- Schwert gerichtet. Entwürdigende oder quälende For- weise aus Abenteuerlust anschlossen, meist jedoch aus men der Todesstrafe waren auf Angehörige der Humi- dem Motiv der Armut, oder desertierten Soldaten. liores beschränkt. Auf Mord stand in der Antike die Todesstrafe, wenn Im letzten großen Abschnitt wendet sich der Autor der Fall vor Gericht gebracht wurde. Bei Tötungsdelik- einzelnen Delikten zu. In ägyptischen Papyri finden wir ten konnte die Familie des Opfers aber stattdessen auch Exempel für Verbalattacken, Worte wie ›Herumtreiber‹ durch einen finanziellen Ausgleich entschädigt werden. oder ›Dieb‹ kommen vor. Solche Beschimpfungen führ- Gefürchtet war der Giftmord, wie zahlreiche Fluch - ten häufig zu Handgreiflichkeiten, Beleidigungen wie täfelchen belegen. Am häufigsten kamen Mordtaten in körperliche Auseinandersetzungen wurden unter den der Familie vor. Überliefert sind Fälle, in denen Mit- Begriff ›iniuria‹ gefasst. Entscheidend wirkten sich hier giftjäger ihre Frauen aus dem Fenster stürzten und dies die Standesgrenzen aus, so wog die Beleidigung durch als Unfall tarnten. In den Rhetorenschulen behandelt einen Sklaven viel schwerer als durch einen Gleichge- ein vorgegebenes Thema einer Übungsrede nicht von stellten oder gar Mächtigeren, dessen Beleidigung klag- ungefähr den Vatermord. Manches Mal führten harte los hinzunehmen war. Im Zwölftafelgesetz finden sich Spannungen zwischen Vätern und Söhnen durch Be- Hinweise auf klare Standesgrenzen und unterschiedli- vormundung der Heranwachsenden zu solchen Taten, che Behandlung: Beim Knochenbruch eines Freien die sehr streng geahndet wurden, nämlich etwa noch wurden dreihundert As Geldbuße geltend gemacht, für unter Konstantin mit dem Tod durch Säcken. einen Sklaven die Hälfte davon. Strafen für dauerhaften Ein zweites Delikt, das die Familie direkt betraf, war körperlichen Schaden, der einem Freien zugefügt wor- der Ehebruch, der zur Zeit des Augustus gemäß der Lex den war, war die Talion. Dabei stand der Weg zum Iulia de adulteriis staatlich verfolgt wurde, was bedeu- außergerichtlichen Vergleich aber grundsätzlich offen, tete, dass nicht nur der Ehemann und der Vater die der der geschädigten Familie durch die finanzielle Zu- Ehebrecherin anklagten, sondern jetzt auch Unbetei- wendung wesentlich mehr von Nutzen sein konnte als ligte eine Anklage anstrengen konnten. Unter den Seve- die Talion. Bevorzugte Orte gewalttätiger Auseinander- rern wurde das Strafmaß verschärft. Jetzt drohte bei setzungen in der Stadt waren Stätten mit Ansammlun- Verurteilung die Hinrichtung, und zwar auch dem Ehe- gen von Menschen, etwa Theater, Bäder und Markt- brecher. Die Diskussion von Konzilsteilnehmern aus plätze sowie Kneipen und Garküchen, in denen auch der Spätantike zeigt allerdings, dass die Todesstrafe – Alkohol ausgeschenkt wurde. Tendenziell konnte bei zumal unter christlichen Vorzeichen – nicht durch - Alkoholeinfluss auf verminderte Schuldfähigkeit plä- gehend angewendet wurde. Es wurde erörtert, ob der diert werden, auch Taten in jugendlichem Übermut be trogene Ehemann wieder heiraten durfte, bevor die konnten milder geahndet werden. Auf dem Land konn- Frau starb, was voraussetzt, dass nicht hingerichtet ten Rivalitäten zwischen bäuerlichen Familien bis zur wurde. Strafnorm und Strafpraxis waren, wie angedeu- Zerstörung der Ernte oder Diebstahl des Viehs führen. tet, bewusst nicht deckungsgleich, im Strafrecht wur- Die Landbevölkerung lebte in einem eigenen Kultur- den also Sanktionen angedroht, die gar nicht zur Aus- raum, weshalb hier auch die Justiz durchaus eigenen führung kommen sollten. Hierfür kommen meines Regeln folgte. Erachtens drei Gründe in Betracht: Entweder wurde Im allgemeinen zielte die Strafe für Diebstahl in durch die Verringerung des Strafmaßes staatliche Milde Rom auf Ausgleich, der geständige Täter hatte der For- oder Gnade von Seiten der Richter bezeugt, was auf derung auf zunächst den doppelten, in späteren Epo- einen starken Staat schließen ließe. Diese Art des Vor- chen auf den vierfachen Schadensersatz nachzukom- gehens kann aber auch auf einen schwachen Staat oder men. Vermochte er dies nicht, so erfolgte körperliche schwache Vollzugsorgane hindeuten, da die Strafe mög- Züchtigung. Strafverschärfend wirkten eine nächtliche licherweise gar nicht vollzogen werden konnte. Am Tatzeit und der Gebrauch von Waffen, auch wurde der wahrscheinlichsten ist jedoch hier wie für die frühe Diebstahl im Winter strenger geahndet, da er schwerere Neuzeit anzunehmen, dass wohl durch den Buchstaben Not für die Bestohlenen nach sich ziehen konnte. Or- des Gesetzes ein Abschreckungseffekt erzielt werden ganisierte Diebesbanden oder Berufsdiebe gab es wenig, sollte. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 415

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Der Frage nach dem Täterprofil und der Motivation und frühen römischen Kaiserzeit zwischen Bodensee widmet der Autor sein letztes Kapitel, ein bisher kaum und Bündner Pässen (Vorarlberg, Liechtenstein, beachteter oder erforschter Ansatz. Im Ergebnis legt er Sankt Gallen, Graubünden). Veröffentlichungen der dar, dass als Verdächtige am häufigsten die Risikogruppe Kommission zur vergleichenden Archäologie römischer junger Männer aus gutem Hause in Frage kommt, die Alpen- und Donauländer der bayerischen Akademie sich in Gruppen organisierten und ihre Grenzen austes- der Wissenschaften. Münchner Beiträge zur Vor- und teten, oft unter dem Einfluss von Cliquenangehörigen Frühgeschichte Band 59. C. H. Beck, München 2006. oder Alkohol. Sowohl Diebstahl als auch kriminelle 336 Seiten, 60 Abbildungen, 1 Kartenbeilage. Spontanaktionen, zum Beispiel Vandalismus, sogar Mord sind am häufigsten in der Antike jungen Ange- Die vorliegende Arbeit versteht sich als zusammenfas- hörigen der Aristokratie nachzuweisen. Schon damals sender historischer und archäologischer Forschungs- begehrte die Nachwuchselite in Städten mit hohem überblick für den Epochenübergang von der Spätlatè- Studentenaufkommen wie etwa Rom, Karthago oder nezeit bis in die ersten Jahrzehnte der römischen Herr- Antiochia auf (S. 191). Weibliche Täter sind kaum be- schaft (etwa 100 v. Chr. bis 50 n. Chr.) für den unter zeugt, Frauen traute man fast nur den Giftmord zu, dem Begriff »Alpenrheintal« zusammengefassten Raum armen Witwen vielleicht noch Eigentumsdelikte. Brei- vom Bodensee über den Bregenzer Wald und Arlberg tere Schichten der Bevölkerung waren gegenüber Skla- zur Silvretta, vom Engadin über Hinter- und Vorder- ven, ärmeren Bauern und Deserteuren misstrauisch ein- rhein zum Walensee und zurück zum Bodensee (S. 11). gestellt, auch Angehörige des Stadtproletariats wurden Nach der heutigen politischen Einteilung umfasst das beargwöhnt und schnell verdächtigt. Dabei steckt hin- Untersuchungsgebiet das Bundesland Vorarlberg in ter den Straftaten von Sklaven oft blanke Not infolge Österreich, das Fürstentum Liechtenstein und die Kan- schlechter Versorgung, oder aber sie wurden durch ihre tone St. Gallen, Appenzell, Glarus und große Teile Herren dazu angestiftet. Man kann jedenfalls in der Graubündens in der Schweiz. Antike weder von einer kriminellen Subkultur noch Anschließend an die einleitende räumliche und zeit- von einem weiten Kreis von Berufskriminellen spre- liche Abgrenzung des Forschungsgebietes folgt ein chen. Es gab zwar gedungene Mörder, doch kriminelle Überblick über die wichtigste Literatur einschließlich Organisationen sind nicht bekannt. Vor allem die weit einer chronologischen Wertung derselben. Das Kapitel verbreitete These von der Zunahme der Gewalt in der zur Forschungssituation beschreibt getrennt nach den Spätantike wird vom Autor überzeugend widerlegt, aktuellen politischen Einheiten sowohl die Forschungs- wobei er zum Beispiel zu Recht darauf hinweist, dass geschichte als auch die aktuelle Organisation der ein sorgfältig ausgearbeitetes Geflecht von Gesetzen Boden denkmalpflege (S. 12–16). kaum zwingend den Schluss auf vermehrte Delikte zu- Der Lage des Untersuchungsgebietes im zentralen lässt, sondern viel eher auf die intensivierte Entwick- Alpenraum unter Einschluss der historisch bedeuten- lung staatlicher Gewalt schließen lässt. den Alpenpässe Julier (2284 m), Maloja (1815 m), Septi- In der vorgelegten Studie steht einer sehr systemati- mer (2310 m) und Splügen (2113 m), die die besondere schen Analyse der Prozessordnung für Athen die Schil- Geltung der transalpinen Handels- und Wirtschafts- derung einer bunten Vielfalt von Gerichtsformen und routen in alpinen Regionen veranschaulichen, wird Verfahren aus Rom mit einem klaren Fokus auf der Kai- durch einen umfangreichen Abschnitt zur Verkehrsgeo- serzeit gegenüber. Zum ersten Mal wird hier auf breiter graphie Rechnung getragen (S. 17–35). Neben den Basis nach Ansätzen zur Erforschung der Kriminalität zuvor genannten Passübergängen nach Oberitalien und gesucht, die sich nicht allein nach den fixierten Rechts- der gemeinsamen, dem Rhein ab Chur bis zum Boden- ordnungen richten. Es wird auch keine weitere Rechts- see nordwärts folgenden Weiterführung werden die für geschichte verfasst, sondern eine Sammlung von Straf- den Untersuchungszeitraum wichtigen Querverbin- tatbeständen und Delikten geboten, deren Struktur dungen am Südufer des Bodensees Richtung Brugg erstmals an der Motivation der Täter orientiert ist. Dar- (Vindonissa) und die Walenseeroute sowie die Strecke aus ergeben sich unter anderem völlig neue Einblicke in von Bregenz (Brigantium) Richtung Nordosten nach Strafauffassung und Strafpraxis. Der Blick in die Frühe Kempten (Cambodunum) und weiter nach Augsburg Neuzeit erweist sich hier immer wieder als lohnend. (Augusta Vindelicum) und zur Donau besprochen. Die Abgerundet wird der Band durch ein Literaturverzeich- wohl vorwiegend dem regionalen Verkehr dienenden nis (S. 208–215) und ein Register (S. 224–228). Ihm ist Verbindungen durch Seitentäler (Walgau, Klostertal, ein großer Leserkreis zu wünschen! Montafon, Prättigau, Engadin, Schanfigg, Vorderrhein- tal und Lugnez) werden entsprechend abgehandelt. Bochum Meret Strothmann Anschließend widmet sich der Verfasser der althisto- rischen Forschung und besonders den antiken Schrift- quellen zur vorrömischen Bevölkerung, zum Triumph des Lucius Munatius Plancus von 44/43 v. Chr., dem Werner Zanier, Das Alpenrheintal in den Jahrzehnten Feldzug des Publius Silius Nerva 16 v. Chr. und aus - um Christi Geburt. Forschungsstand zu den histori- führlich dem Alpenfeldzug von Tiberius und Drusus schen und archäologischen Quellen der Spätlatène- 15 v. Chr. sowie dem Beginn und der Organisation der 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 416

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römischen Verwaltung bis zur Provinzwerdung Rätiens dörfli, die zwischen 3 v. und 2 n. Chr. datiert und wohl unter Tiberius (S. 36–65). nur im Kontext mit einer römischen Siedlung zu sehen Im Hauptteil der Arbeit (S. 66–233) wird die ge- ist. Bei der Annahme einer frührömischen Militärsta- samte bislang publizierte archäologische Hinterlassen- tion hält er sich aufgrund des Fehlens gesicherter Hin- schaft von Relevanz im Untersuchungsraum aus der weise wohlweislich zurück und erspart uns einen neuen späten Latèneperiode und der frühen römischen Kai- Vorschlag für dessen Lokalisierung. serzeit besprochen. Einleitend wird die archäologische Die drei römischen Militärtürme am Walensee er- Quellensituation beleuchtet und eingegangen auf die fahren in diesem Band eine ausführliche Beurteilung widrige Verknüpfung von einerseits ungenügender mit detaillierter Besprechung der bisherigen Literatur Differenzierung zwischen Fundstellen der Phasen (S. 102–119), wobei die Communis opinio deren Datie- LTD1 und LTD2, da die chronologische Zuweisung rung in augusteische Zeit unterstützt. Die jüngst von letztlich aus dem Fibelspektrum resultiert, sowie ande- Katrin Roth-Rubi (dies. / V. Schaltenbrand Obrecht / rerseits dem sehr spärlichen Fundanfall in der Region M. P. Schindler / B. Zäch, Neue Sicht auf die Walensee- sowohl aus der Spätlatènezeit als auch der Frühzeit der türme. Vollständige Fundvorlage und historische Inter- römischen Herrschaft. Die geringe Dichte an archäo - pretation. Jahrb. SGUF 87, 2004, 33–70, bes. 49) vor- logischen Befunden wird durch die naturräumliche geschlagene Datierung um oder nach 20 v. Chr. lehnt Beschaffenheit des Untersuchungsgebietes als Gebirgs- Zanier ab wegen des zu geringen Fundmaterials aus den zone mit größeren landschaftlichen Veränderungen Türmen und der unsicheren Feindatierung auf Grund- durch Bergstürze, Erdrutsche, Überschwemmungen und lage des Sigillataspektrums. Die Aufgabe der Türme lag Lawinen, sowie den geringen Anteil an für archäologi- nach seiner Auffassung vornehmlich darin, »die Verbin- sche Entdeckungen förderlichen Ackerflächen erklärt. dung zwischen den Bündner Pässen und der Nordost- Die einzelnen Fundorte werden in etwa einer Rei- schweiz im Bereich des Walensees zu bewachen und zu hung von Nord nach Süd folgend besprochen, wobei sichern« (S. 119). die beiden quasi-städtischen Zentren Bregenz und Anschließend folgt eine kurze Vorstellung der wich- Chur sowie die römischen Militärtürme am Walensee tigsten Fundstellen des Untersuchungszeitraumes im vorangestellt behandelt werden. Bundesland Vorarlberg (S. 119–130) mit dem bekann- Für Bregenz (Brigantium, S. 75–87) stehen beson- ten, 1880 beim Torfstechen entdeckten spätlatènezeit- ders drei Fragen im Vordergrund der Untersuchung: lichen Schatzfund aus Lauterach und einem bemer- Gab es eine vorrömische Siedlung? Existierte in Bregenz kenswerten neuen, durch einen Sondengänger geborge- ein frühkaiserzeitliches Kastell, und wann wurde die nen – wohl okkupationszeitlichen − Depotfund von römische Siedlung gegründet? Zanier muss in Anbe- einer Felswand am Fuß des Blasenberges, der aus einem tracht des aktuellen Forschungsstandes die Beantwor- vollständigen Gladius mit verziertem bronzenen Stich- tung großteils zu Recht offen lassen. Die Ablehnung blatt, einem Ringknopfgürtelhaken und achtzehn repu- eines Oppidum Brigantion in der Bregenzer Oberstadt blikanischen Denaren besteht. Die Aufnahme dieses ist aufgrund des Fehlens jeglicher Hinweise – abgesehen unpublizierten Neufundes in den Band ist zwar sehr er- von der verlockenden topographischen Gestalt − zu freulich, doch hofft der Leser − wohl aus bearbeitungs- unterstützen wie auch die kritische Stellung zum Um- rechtlichen Gründen − vergebens auf Abbildung und fang der militärischen Präsenz. Die referierten Vor- Münzliste. Die Vorstellung der Vorarlberger Fundstel- schläge reichen von einem kleinen augusteischen Posten len wird abgeschlossen mit dem Scheibenstuhl bei Nen- bis zu einem Auxiliarkastell unter Tiberius. zing und dem Montikel, dem Unterstein und dem Ähnlich wie in Bregenz stellt sich für Chur (Curia, »kleinen Exerzierplatz« in Bludenz, gegen dessen konti- S. 88–102) der Forschungsstand zur Übergangszeit als nuierliche Besiedlung von der Spätlatèneperiode bis in sehr bruchstückhaft und ungenügend dar. Einzelne die frühe römische Kaiserzeit sich »keine stichhaltigen spätlatènezeitliche Streufunde deuten auf eine entspre- Einwände vorbringen lassen« (S. 130). chende Besiedlung hin, deren Lokalisierung aber weder Die Besprechung der Fundstellen im Kanton Sankt rechts der Plessur auf der Anhöhe des sogenannten Gallen (S. 131–146) beginnt mit dem Rorschacherberg, Hofes, der für die Spätantike in Chur bedeutend ist, der Fundmaterial der Bronze-, Hallstatt-, Spätlatène- noch im Welschdörfli auf der linken Seite der Plessur und Römerzeit liefert, und dem Münzdepotfund von möglich erscheint. Großflächige Planierungen in der Bruggen aus dem Jahr 1824, der in seiner Datierung Mitte des ersten Jahrhunderts n. Chr. zerstörten hier zwischen 42 v. Chr. und dem zweiten Jahrzehnt n. Chr. ältere Siedlungsschichten, wodurch auch die Beurtei- recht umstritten ist. Dann folgen der Montlingerberg lung der Anfangsdatierung der römischen Siedlung auf bei Oberriet, für welchen eine durchgehende Besied- Grund gesicherter Befunde verhindert wird. Entgegen lung von der Spätlatènezeit bis ins erste Jahrhundert der häufig vertretenen Meinung, dass das römische n. Chr. angenommen wird, der vom fünften Jahrhun- Curia erst in tiberischer Zeit besiedelt wurde, spricht dert v. Chr. bis in die Spätantike in verschiedenen For- sich Zanier klar und zu Recht für eine mittelauguste- men und Ritualen genutzte Brandopferplatz auf dem ische Gründung aus und verweist auf hinreichend ent- Ochsenberg bei Wartau und die eisenzeitliche Siedlung sprechendes Fundmaterial und das bekannte Fragment auf dem Hügel Castels bei Mels am Eingang des Seez- einer Ehreninschrift an Lucius Caesar aus dem Welsch- tals, deren Enddatierung fraglich ist. Geschlossen wird 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 417

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die Liste mit dem nicht zufriedenstellend interpretier- pretiert wird die von der Bronzezeit bis in die Spätlatè- baren Fundplatz auf dem Plateau Severgall oberhalb neperiode belegte steile Kuppe Spundas oberhalb von von Vilters, dem aus vier Hellebardenäxten und sechs Scharans. Lanzeneisen bestehenden Waffendepotfund von Wee- Das Ende der spätlatènezeitlichen Siedlung mit einer sen am Westrand des Walensees und den beiden von zwei Meter breiten Wehrmauer, Pfostenbauten und Wallanlagen umgebenen spätlatènezeitlichen Siedlun- Trockenmauerfundamenten auf dem Bot da Loz bei gen Gasterholz bei Schänis und auf dem Chastli-Bürg Lantsch im Zusammenhang mit dem Alpenfeldzug ist bei Eschenbach. nach Zanier nicht genau bestimmbar. Eine vorrömische Im Fürstentum Liechtenstein (S. 146–163) widmet Vorgängersiedlung für das nach der Mitte des ersten sich Zanier zuerst den spätlatènezeitlichen Fundstellen Jahrhunderts zerstörte frühkaiserzeitliche Gebäude Malanser, Schneller, Lutzengüetle und Lutzengüetle- sieht er durch einzelne Funde angedeutet. Die zumeist kopf im Bereich des Schellenberges, die abgesehen vom als Straßenstation an der römischen Julierroute inter- Brandopferplatz auf dem Schneller als Siedlungsareale pretierte Siedlung mit mehreren Gebäuden auf der Flur gedeutet werden. In Schaan widersetzt sich der durch Cadra in Riom beginnt im Bereich des Hauptgebäudes eine spätantike Höhensiedlung bekannte Geländesporn mit einem tiberischen Holzbau, an dessen Stelle ein ›Auf Krüppel‹ wegen der Zerstörung älterer Kultur- Neubau in Stein unter Claudius errichtet wird. Zahl - schichten durch spät- und nachantike Geländeverände- reiche Funde aus der Zeit von etwa 10 v. bis 50 n. Chr. rungen einer erschöpfenden Beurteilung, auch wenn stammen von einer Fundstelle ohne eindeutige Befunde Streufunde aus dem Bearbeitungszeitraum bekannt östlich des Padnalhügels bei Savognin, für die eventuell sind. Die beiden vorzüglich erhaltenen römischen Bron- ein militärischer Charakter vermutet werden kann. zehelme vom Typus Hagenau aus Schaan interpretiert Der 1786 entdeckte Schatzfund von Cunter-Burvagn Zanier als Deponierung der frühen Kaiserzeit. Die zahl- mit keltischen Gold- und Silbermünzen sowie Ring- reichen Fundstellen auf und um den Gutenberg in Bal- schmuck, von welchem nur mehr wenige Stücke erhal- zers möchte er am ehesten als Opferplätze in Heilig- ten sind und für den als Schlussmünzen Rauriker-Qui- tümern sehen, die zugehörigen Siedlungen vermutet er nare aus der Mitte des ersten Jahrhunderts v. Chr. »neben den Heiligtümern auf Kuppen oder in der vorliegen, entzieht sich einer gesicherten und aussage- Ebene« (S. 162). kräftigen historischen Deutung, da zahlreiche Fund - Die Übersicht der wichtigsten Fundplätze wird mit stücke verloren sind. der Behandlung des Kantons Graubünden abgeschlos- Die neu entdeckten vorwiegend militärischen Fund- sen (S. 164–204). Die Auflistung beginnt mit dem nahe stücke aus dem Umfeld der Crap-Ses-Schlucht und vom der liechtensteinischen Grenze gelegenen vermutlichen Septimerpass werden ausführlich besprochen (S. 26–31 Brandopferplatz von Fläsch am Lutzisteig, der von der und 196–204) und erfreulicherweise auch abgebildet Bronzezeit bis ins vierte Jahrhundert n. Chr. bestand (Abb. 4; 5; 56, 1–4; 57). Zanier führt als mögliche Erklä- und – nicht untypisch – im ersten Jahrhundert n. Chr. rungsmodelle für die Fundzusammensetzung »Rück- archäologisch kaum fassbar ist. Entsprechend wird der stände von Kämpfen, Überreste von kurzfristigen La- Fundplatz Russonch in Scuol zu beurteilen sein. Für die gerplätzen, Verluste beim beschwerlichen Marsch in Fundstelle Chrea in Schiers ist nicht klar, ob es sich um steilem Gelände, bewusste Deponierungen« (S. 204) an. einen Ort für Brandopfer oder Bestattungen oder aber Nach der Besprechung der einzelnen Fundplätze im um einen Siedlungsrest handelt. Unklar bleibt auch Untersuchungsgebiet folgt eine Diskussion des archäo- der Siedlungscharakter von Trimmis in der augusteisch- logischen Fundguts, nach aussagekräftigen Materialgat- tiberischen Epoche wegen des Fehlens von Importkera- tungen gegliedert (S. 204–233). Am Beginn steht die Be- mik und Münzen und der spärlichen Befunde. Auf dem urteilung der keltischen und republikanisch-römischen Hügel Carschlingg bei Castiel im Schanfigg wurde eine Münzen aus dem Alpenrheintal, bei denen jeweils ein spätlatènezeitliche Siedlung bei der Anlage einer befes- deutliches Übergewicht der Edelmetallprägungen vor- tigten spätantik-frühmittelalterlichen Höhensiedlung herrscht. Wegen des bescheidenen spätlatènezeitlichen praktisch vollständig beseitigt. Münzumlaufs lehnt Zanier eine »regelrechte Münz- Weiters besprochen werden die von der Bronzezeit geldwirtschaft« (S. 211) im Arbeitsgebiet ab und rechnet bis ins Spätlatène belegte Siedlung auf der Mottata mit einer solchen seit der frühen Kaiserzeit, deren Geld- oberhalb von Ramosch mit zwei spätlatènezeitlichen zirkulation er die meisten republikanischen und auch Gebäuden, die beiden wahrscheinlich spätlatènezeit- die griechischen Münzen zuordnet. lich, sicher aber spätestens in augusteischer bis claudi- Für die über hundert Fibeln aus dem Arbeitsbereich scher Zeit genutzten Hügel Bot Panadisch (Siedlung) wird ein deutliches Übergewicht für die beiden Jahr- und Bot Valbeuna (Brandgräberfeld oder Brandopfer- zehnte vor und nach der Zeitenwende konstatiert. Bei platz) bei Bonaduz sowie die bronze- bis spätlatènezeit- den Spätlatèneformen überwiegt klar die Nauheimer lich belegten Siedlungen auf den Hügeln Grepault bei Fibel inklusive Nebenformen und die Knotenfibel Alm- Trun (Metallverarbeitung Ende des ersten Jahrhunderts gren 65. Für das frühkaiserzeitliche Fibelspektrum sind v. Chr.) und Cresta südlich von Cazis (hier auch römi- mannigfache Einflüsse und Kontakte zum römisch- sche Funde, aber keine Befunde). Zumeist als Beobach- italischen, westlich-gallischen und östlich-norischen tungs- oder Wachposten mit weitreichender Sicht inter- Fibelkreis erkennbar (S. 218). 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 418

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Schwierig gestaltet sich die Beurteilung der kerami- Importgüter aus Italien, Gallien und dem nördlichen schen Hinterlassenschaft, da einerseits importierte Alpenvorland, wie keltische Münzen, sogenannte Cam- Feinkeramik (etwa Ware ähnlich der Campanakeramik) panakeramik, Graphitton- und Kammstrich-Grüb- kaum vertreten ist und Amphoren erst von tiberischer chen-Keramik sowie Trachtbestandteile, Hellebarden- Zeit an fassbar werden, andererseits gerade die Grob- äxte und Negauer Helme. Mit der römischen Erobe- keramik nur schwer zeitlich eingrenzbar ist und die rung gelangte italische Terra Sigillata über die Bündner zahlreich vertretenen handaufgebauten Gefäße dem Pässe ins Alpenrheintal und über die Walensee- und Untersuchungszeitraum nur vermutungsweise zuzu - Bodenseerouten in die Nordschweiz und bis ins bayeri- ordnen sind. Für die Spätlatènezeit ist lediglich die sche Alpenvorland, wobei seit frühtiberischer Zeit die Graphittonkeramik in größeren Mengen sicher nachge- Belieferung von Süden her wohl nur mehr bis Chur wiesen. reichte. Glasarmringe, Lanzenspitzen und letztlich auch Ne- Abschließend widmet sich Zanier der Frage der Ro- gauer Helme lassen sich nur begrenzt für eine gesicherte manisierung der einheimischen Bevölkerung im Alpen- Datierung in die Zeit von 100 v. Chr. bis 50 n. Chr. her- rheintal und weist auf die unterschiedlichen Ansichten anziehen. Anders verhält es sich mit den sogenannten hin, wann diese stattgefunden haben soll. Aus der In- Hellebardenäxten, die der alpinen spätlatènezeitlichen schriftenarmut der Region wird zumeist von althisto- Bevölkerung zugewiesen werden können und mit der rischer Seite ein später Romanisierungszeitpunkt – Niederlage der Raeter im römischen Alpenfeldzug ver- häufig erst in der Spätantike oder gar im Frühmittel- schwinden. alter – erschlossen, hingegen wird durch das Einsetzen Der Hauptteil der Publikation wird abgeschlossen römischen Kulturguts in Form von Kleinfunden bald von einem Kapitel über die Eroberung des Alpenrhein- nach der Eroberung durch die Römer von Archäolo - tals in augusteischer Zeit, das Siedlungswesen, die Reli- gen häufig eine schnelle Übernahme fremder Kulturer- gion und den Kult sowie wirtschaftliche Aspekte und scheinungen im täglichen Leben angenommen. Zanier die Romanisierung. erklärt die geringe Anzahl an römischen Inschriften Für den Alpenfeldzug 15 v. Chr. sieht Zanier auch einerseits mit der anzunehmenden regional bedingten durch die Neufunde vom Septimer und aus der Crap- Nutzung von Holz als Schriftträger und andererseits Ses-Schlucht mehr neue Fragen aufgeworfen als Antwor - mit der nicht flächendeckenden Urbanisierung der ten gegeben. Die von Roth-Rubi vorgeschlagene Früh- Provinz Rätien und dem damit verbundenen geringe- datierung der Walenseetürme, von Zürich-Lindenhof ren Inschriftenbedarf der peregrinen Bevölkerung »im und Dangstetten sowie deren Zusammenhang mit der ländlich-bäuerlichen Sektor« (S. 280). Vorbereitung zum Feldzug sieht er durch die offensicht- Abgerundet wird der vorliegende Band durch eine lich von Süden in das Alpenrheintal vordringenden Zusammenfassung in deutscher und englischer Sprache römischen Abteilungen als nicht schlüssig an (S. 237). sowie sechs Fundlisten zu Fundplätzen, Graphittonker- Eine mehrjährige Vorbereitungszeit für den Feldzug amik, Glasarmringen, keltischen und römisch-republi- gegen die Alpenvölker lehnt Zanier zu Recht ab. kanischen Münzen, Negauer Helmen und einzeln ge- Der Kenntnisstand zum Siedlungswesen im Alpen- fundenen Lanzeneisen im Arbeitsgebiet. Im Anhang rheintal sowohl der Spätlatèneperiode als auch der frü- befinden sich das Verzeichnis der abgekürzt zitierten hen römischen Kaiserzeit ist in Bezug auf die Sied- Literatur, ein Abbildungsnachweis und ein Ortsregister, lungsdichte und archäologische Untersuchungsinten- das – wie auch die Fundlisten – bei der Benutzung des sität mehr als dürftig und ermöglicht kaum Aussagen, Buches sehr hilfreich ist. In einer Einlegtasche im hin- die über die Beurteilung der naturräumlichen Gege- teren Buchdeckel findet der Leser eine nach Zeitstel- benheiten hinausreichen. lung und Funktion differenzierte übersichtliche Kar - Als gängige Begräbnisform sieht Zanier wegen des tierung der Fundstellen. Fehlens entsprechender Körpergräber die Brandbestat- Das Buch besticht durch anschauliche Luft- und tungsplätze. Sie sind von Brandopferplätzen häufig nur Landschaftsbilder zu den einzelnen Fundplätzen und durch ein differierendes Verhältnis zwischen den kalzi- deren topographischem Umfeld. Bedauerlich ist das nierten Menschen- und Tierknochen zu unterscheiden. häufige Fehlen von Planabbildungen oder Detailkarten, Unter den wirtschaftlichen Aspekten wird zuerst die nur die Fundorte Bregenz, Chur, Bludenz, Eschnerberg Metallverarbeitung behandelt: Kupfer- und Eisenerzla- und Blazers sowie die Walenseetürme werden veran- gerstätten finden sich innerhalb des Arbeitsgebietes im schaulicht, nützlich der Grundriss der römischen Ge- Montafon, am Gonzen bei Sargans und im Oberhalb- bäude in Riom, Flur Cadra. In dieser Hinsicht ersetzt stein, wobei radiokarbondatierte Verhüttungsschlacken die nun vorliegende Arbeit den in derselben Reihe 1982 vom Castels bei Mels aus der Spätlatènephase oder erschienen Band »Die Geschichte des Alpenrheintals in frühen Kaiserzeit stammen. Für das Oberhalbstein ist römischer Zeit auf Grund der archäologischen Zeug- Kupferverhüttung von der Bronzezeit bis in die jüngere nisse« von Bernhard Overbeck leider nicht, auch wenn Eisenzeit belegt, für die späte Latèneperiode wahr- dort die topographischen Detailkarten sehr schema- scheinlich und für die römische Kaiserzeit vermutet. tisch gehalten sind. Positiv zu vermerken ist die Abbil- Die überregionalen Handelskontakte der Spätlatè- dung der aktuellen Fundstücke aus dem Umfeld der nezeit zeigen sich im archäologischen Fundbild durch Crap-Ses-Schlucht und vom Septimer sowie der Fibeln 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 419

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und Hellebardenäxte, einem Negauer Helm und einer mi di tipo differente, ad esempio per quanto concerne Auswahl von Lanzenspitzen aus dem Untersuchungsge- l’orientamento ideologico dei vari scrittori greci e latini biet in Form von Zeichnungen. Zumindest für die in nei confronti di un fenomeno religioso alquanto estra- die Listen aufgenommenen weiteren Fundstücke wäre neo al loro immaginario, o fanno sorgere la questione se Entsprechendes wünschenswert gewesen. si possa o meno parlare di religione celtica come una Unpublizierte Neufunde konnten selbstverständlich specie di resistenza alla romanizzazione, soprattutto nicht systematisch aufgenommen und dokumentiert nella fase di espansione romana, dalla tarda repubblica werden. Einige wichtige Entdeckungen fanden erfreu - all’impero. Anche la cosiddetta interpretatio romana di licherweise dennoch Eingang in den Band, wie bei- certune divinità – testimoniata nella nota narrazione di spielsweise der okkupationszeitliche Depotfund von Cesare – desta interrogativi, per quanto riguarda, ad einer Felswand am Fuß des Blasenberges bei Feldkirch. esempio, gli scopi e le motivazioni che la dettarono. In Die Redaktionsarbeit ist, wie bei den Münchner generale, si tratta di un cospicuo numero di fonti, ripor- Beiträgen nicht anders zu erwarten, sorgfältig durchge- tate da autori differenti per contesto storico e sociale, führt, und kleine bibliographische Fehler wie beispiels- formazione culturale, genere letterario impiegato, il weise in Fußnote 45, wo der Rezensent durch einen che accresce ulteriormente le difficoltà di valutazione o typographischen Fehler mit dem Archäologen des di classificazione. Bene ha fatto dunque l’editore, se- Vorarlberger Landesmuseums verwechselt wird, fallen condo criteri che sono espressi nella chiara presenta- nicht ins Gewicht. zione (pp. 10–15), ad offrire una ricostruzione di tali Ingesamt ist die Publikation als grundlegende Zu- problemi, mettendo in evidenza, tra l’altro, anche al- sammenfassung des aktuellen Forschungstandes und cune critiche mosse a Zwicker da una autorità del cali- eine fleißige Zusammenschau der bisher erschienenen bro di Joseph Vendryes. Lodevole è anche la decisione Literatur anzusprechen und jedem an der Thematik di presentare in qualche caso il contesto più ampio in interessierten Leser sehr zu empfehlen. cui la testimonianza viene riportata, unitamente ad una informazione di carattere generale come sostegno. Ciò Innsbruck Gerald Grabherr vale a maggior ragione per autori tardi che sembrano in tutta verisimiglianza basarsi su fonti di epoca anteriore. Lo si può osservare già nel primo testimonium, o nel numero 15, per non parlare del caso macroscopico di Andreas Hofeneder, Die Religion der Kelten in den an- Posidonio, cui hanno attinto a piene mani Strabone e tiken literarischen Zeugnissen. Sammlung, Überset- Diodoro (cfr. p. 113), e il cui probabile utilizzo da parte zung und Kommentierung. Band I. Von den Anfän- dello stesso Cesare va messo in conto, sebbene in misura gen bis Caesar. Verlag der Österreichischen Akademie molto meno servile e con larga rielaborazione auto- der Wissenschaften, Vienna 2005. 352 pagine. noma (p. 189sgg.). Più in particolare, il presente volume raccoglie e in- La celebre immagine del pupazzo di paglia (The Wicker tegra i testimoni di Zwicker fino all’età di Cesare, com- Image), incisione del 1657 ispirata al resoconto cesariano prendendo dunque due tra le massime auctoritates anti- dei sacrifici umani praticati a scopo rituale dai Galli, che, ossia Posidonio e Cesare stesso; ma anche Aristo- campeggia sulla copertina di questo poderoso e denso tele, Polibio, ed altri. L’integrazione di numerosi passi volume. Esso, cui dovrebbero negli intenti dell’autore rispetto a Zwicker, che pure, lo ribadiamo, aveva avuto seguirne altri due, è un’opera dai molti pregi, destinata il merito di enucleare la maggior parte delle fonti, è il a porsi come alternativa moderna e a superare sotto tutti primo aspetto di interesse. Basterà scorrere, per farsene gli aspetti la pur preziosa – e fino a questo momento un’idea, le testimonianze tratte dal de Bello Gallico: unica – raccolta in tre volumi di Johannes Zwicker sulle trentacinque in Hofeneder, contro le undici di Zwicker. fonti letterarie greche e latine inerenti alla religione Anche nei passi di Polibio è significativo l’incremento celtica: Fontes Historiae Religionis Celticae (Bonn rispetto a Zwicker. Di ogni testimonium vengono of- 1934–36). Il lavoro di Hofeneder si inserisce all’interno ferte succinte e puntuali notizie sull’autore, completate di un più ampio progetto patrocinato dall’Accademia da dettagli bibliografici; segue poi la presentazione dei delle Scienze austriaca, che mira all’allestimento di un testi, affiancati da una traduzione tedesca – precisa e corpus epigrafico concernente le principali testimo- corretta per quello che ho potuto constatare –, ed il nianze della religione celtica, nelle sue varie sfaccettature, commento. Il modello che probabilmente l’autore ha in cronologiche e geografiche, ed anche nella non sempre mente è la altrettanto pregevole raccolta di M. Stern, facile delimitazione di figure divine poco conosciute, di Greek and Latin Authors on Jews and Judaism (Gerusa- teonimi non altrimenti attestati o, viceversa, di dèi cui si lemme 1974–1984), punto di riferimento ancora oggi sono sovrapposti frequenti fenomeni di interpretatio, insuperato per le fonti greco-romane sull’Ebraismo. Di come dimostrano i saggi già apparsi, che raccolgono gli natura analoga, ma con attinenza allo Zoroastrismo ed Atti dei Convegni del progetto Fontes Epigraphici Reli- alla religione persiana, è il volume A. de Jong, Traditions gionis Celticae Antiquae. of the Magi (Leida e New York 1997). La discussione delle fonti letterarie – mediate, dun- In primo luogo, va notato come l’idea di religione sia que, e non dirette – pone, invece, chiaramente proble - intesa in senso piuttosto largo (questo, comunque, già in 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 420

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Zwicker): la scelta delle testimonianze abbraccia, quindi, dei sacrifici umani cui si accompagna un motivo docu- anche aspetti più propriamente geografici, zoologici, mentato anche archeologicamente come quello delle etnografici o anche antropologici, senza tralas ciare il teste tagliate, il culto dei morti, l’immortalità dell’anima nesso, non sempre distinguibile con precisione, tra reli- e la metempsicosi (20 T9). Di un certo rilievo è inoltre gione e magia. Al primo gruppo si possono far risalire un passo come quello di Posidonio (20 T7), che pone motivi largamente diffusi, come quello dell’isola in ulteriori problemi per una eventuale sovrapposizione mezzo all’Oceano, ovvero quello del viaggio oltremond- con il culto dionisiaco ed il menadismo, una questione ano, ma anche le differenziazioni tra le varie tribù celti- che, ad una cursoria indagine, sembra tralasciata nella che. Un compendio dei due motivi è offerto ad esempio vasta bibliografia sul culto di Dioniso, ma che merite- da 6 T1, un frammento di Ecateo, che presenta inoltre la rebbe di essere ulteriormente approfondita. Infine, i assimilazione tra Celti ed Iperborei. Quanto al secondo due brani cesariani che costituiscono il clou di questo gruppo, vi sono delle testimonianze che fanno riferi- primo volume (23 T15 e T16) si segnalano per chiarezza mento agli animali sacri, primo fra tutti il corvo (pp. 110. espositiva ed equilibrio. 170), o il cavallo (p. 96), il serpente (p. 20), o a tabu ali- Il commento è molto preciso, erudito e dettagliato. mentari, quali l’interdizione dal cibarsi di lepre o anatre Meritano di essere segnalate le discussioni di tipo lin- (p. 179). Allo stesso tempo, rientra tra gli interessi degli guistico sui nomi propri di persona, di città o popo- storici antichi il porre in evidenza fenomeni di rituali lazioni, che possano avere attinenza con i teonimi; si collettivi praticati soprattutto dai guerrieri, essendo dai vedano per esempio l’etimologia del nome Albione Celti la guerra ritenuta un atto religioso (p. 88), o cos - (p. 19), Taranis (p. 51), il culto di divinità chiamate Dios- tumi particolarmente insoliti, come la devotio rituale curi (p. 59), Essuvios (p. 172) ed altro (pp. 178; 225; 226). (16 T4, Polibio; 20 T2, Posidonio; e soprattutto 23 T7, La discussione ha anche il merito di proporre un con- Cesare), il rapporto tra signori e servi, un patronato fronto costante, come fanno di norma gli studiosi di che assumeva non di rado il carattere di una fedeltà fino cultura celtica, con fonti antico-irlandesi, che meglio alla morte (cfr. 23 T31), la eventuale comunanza di mogli servono ad illuminare consuetudini e fenomeni ricor- (23 T11), ovvero le pratiche omosessuali tra guerrieri renti. Si vedano al riguardo il motivo del bardo e l’elo- (cfr. 20 T15), il dipingersi il volto a scopo apotropaico gio del sovrano, non di rado disgiunto da componenti (23 T10) o il combattere nudi (20 T12), per non dimen- di canzonatura o dileggio (p. 124), le profezie (p. 149) o ticare particolari usanze durante i banchetti o durante anche il passo di Cesare in cui le donne a seno nudo i funerali (23 T18). Talora, forse, i passi discussi non durante un assedio gettavano suppellettili preziose, che hanno strettissima attinenza con l’aspetto religioso pro- trova dettagli simili nel Tain (23T26, p. 225). Interes- priamente detto e mi risulta difficile motivarne la loro santi sono anche i paragoni soprattutto col mondo inserzione, per esempio 4 T1, 5 T5, 8 T1 (anche Hofen- germanico, o, in senso più ampio, indoeuropeo. Si eder, del resto, propende per eliminare il passo dalla confronti la discussione del tema della battaglia fluviale raccolta) e 15 T1, ma in ogni caso, melius abundare. (p. 34), del lato sinistro come generalmente infausto In generale, comunque, le conclusioni cui giunge (p. 115), ovvero per il tema del fuoco celato nelle acque l’autore, dopo una meditata rassegna della letteratura (p. 108). Si potrà a proposito di questo utilmente con- precedente, sono di norma improntate a saggia pruden- sultare anche D. Briquel, Tarquins de Rome et idéologie za e a buonsenso. Le ho condivise quasi tutte, ad esem- indo-européenne. Rev. Hist. Religions 215, 1998, 369– pio a proposito di 21 T1 (p. 161), su Diviciaco (p. 168), 395; 419–450. contro l’ipotesi di Zecchini, a mio parere poco convin- Il volume è chiaro, ben stampato, praticamente nulli cente, di una resistenza alla romanizzazione capeggiata gli errori di stampa. L’autore ha dispiegato vasta dott - dai druidi (p. 184) e sul noto incipit cesariano »natio rina e precisa informazione; il risultato è un lavoro Gallorum admodum dedita religionibus« (p. 200), e sul solido e serio. Ad esempio, è difficile, all’interno di una giuramento dei druidi (p. 227). Esemplare, a tal riguar- bibliografia ricca e davvero completa (pp. 240–326), do, inoltre, è la discussione dei passi di Diogene Laerzio trovare delle voci mancanti. Ma se volessimo essere pig- (14 T1 e T2), che presentano uno stretto nesso tra reli- noli ed integrare l’elenco, avremmo dato maggiore spa- gione propriamente detta e filosofia, secondo quell’at- zio ai lavori di un maestro dell’indo-europeistica come teggiamento della cultura antica verso la presunta pu- Georges Dumézil, che hanno valore soprattutto meto- rezza della religione celtica, messa a paragone con la dologico. Oppure si pensi, tra gli studiosi italiani, che filosofia indiana e pitagorica. Spesso esso è denotato dai pure sono citati con una correttezza scientifica assai commentatori moderni come quasi simpatetico. Tale rara in questi tempi dominati dall’inglese, agli studi di atteggiamento ha, peraltro, in Posidonio il rappresen- Enrico Campanile, per esempio il volume complessivo tante più celebre, come mostra il famoso brano sui rap- Saggi di linguistica comparativa e ricostruzione cultu- porti tra i druidi e Pitagora (20 T9), ed è presente pure rale (Pisa 1999). Meritevole anche un suo studio, di ca- in Alessandro Polistore (22 T1). Di particolare interesse rattere divulgativo, ma assai chiaro e ben impostato, La sono anche le notazioni concernenti gli aspetti più cele- religione dei Celti. In: G. Filoramo (ed.), Storia delle bri della religione celtica, come ad esempio la venera- religioni I (Roma e Bari 1994) 605–633, a proposito zione per gli alberi ed il forte senso della natura (pp. 22 della tripartizione in druidi, bardi e vati, che in realtà e 96: sul culto lunare; p. 194: i santuari silvestri), il tema celerebbero, secondo lo studioso, diverse funzioni di un 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 421

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»intellettuale polivalente«, attestato in Gallia come pure, Dorothee Elm von der Osten, Jörg Rüpke und Katha- più tardi, nella società irlandese: utilmente questo la- rina Waldner (Hrsg.), Texte als Medium und Reflexion voro avrebbe potuto essere richiamato a proposito di von Religion im römischen Reich. Pots damer Alter- 20 T13 (pp. 147 sgg.). Analogamente, a proposito del tumswissenschaftliche Beiträge, Band 14. Franz Steiner Männerbund (p. 32), avrei citato la classica opera di Verlag, Stuttgart 2006. 260 Seiten, 1 Abbildung. S. Wikander, Der arische Männerbund (Lund 1938). La discussione sul motivo delle teste tagliate, centrale nella Der vorliegende Sammelband enthält zwölf Beiträge, religione celtica, avrebbe potuto giovarsi di J.-L. Voisin, die im Wesentlichen auf ein Teilkolloquium zurück - Les Romains chasseurs de têtes. In: Du châtiment dans gehen, das im Rahmen des Schwerpunktprogramms la cité (Roma 1984) 241–293. Si veda anche Cl. Sterckx, ›Römische Reichsreligion und Provinzialreligion‹ der Les mutilations des ennemis chez les Celtes préchré- Deutschen Forschungsgemeinschaft im November tiens. La Tête, les Seins, le Graal (Parigi 2005). Sulle biz- 2003 in Eisenach veranstaltet wurde. Das Verbindende zarrie di certi costumi, quali la poliginia, si può consul- dieser Aufsätze ist, dass die von ihnen analysierten Texte tare con profitto G. Casadio, Non desiderare la donna nicht in ihrer Funktion als religionsgeschichtliche d’altri. La famiglia secondo natura dei barbari. In: L. de Quelle für bestimmte kultische Praktiken, sondern als Finis (ed.), Civiltà classica e mondo dei barbari. Due Medien eines religiösen Diskurses betrachtet werden: modelli a confronto (Trento 1991) 104–135, in part. »Nicht Religionsphilosophie rückt hier in den Blick, 127 sgg., un contributo purtroppo penalizzato dalla sede sondern Texte, die sich aus unterschiedlicher Perspek- peregrina di pubblicazione. Un concetto metodologico tive mit Religion beschäftigen, als selbstverständlicher come la interpretatio romana delle divinità (largamente Bestandteil von Erzählungen und Vergangenheitsent- discusso a p. 203) non cessa di essere foriero di nuove würfen, als Gegenstand von Regelungen und Polemi- interpretazioni, come dimostrano i recenti studi di ken, schließlich als eigentlicher Inhalt, als zentrale Bot- C. Ando, Interpretatio romana, Classical Philology 100, schaft der Texte« (S. 8). Wie die Herausgeber einfüh- 2005, 41–51, che verisimilmente non è stato incluso rend ganz richtig bemerken, ist das Medium Text für nella bibliografia perché uscito contemporaneamente al die antike Religionsgeschichte »vernachlässigt worden, volume. Si tratta, comunque, solo di suggerimenti più so intensiv es auch als Quelle für die Rekonstruktion che di rimproveri, e, forse, tali integrazioni potranno der dahinter stehenden Religion benutzt worden ist« comparire nei volumi successivi. (S. 9). Dementsprechend werden die antiken literari- Vi sono inoltre utili indici che ne permettono anche schen Texte, welche die Religion zum Gegenstand una consultazione parziale, intendo dire come repertorio haben, in den einzelnen Beiträgen weniger in ihrer o come fonte per controlli, sebbene una lettura continua - Funktion als Referenten über diesen Gegenstand, son- tiva come quella da me eseguita risulti in ogni caso piace- dern vielmehr als Teil der Religion selbst gesehen. So vole e permetta di leggere o rileggere passi curiosi, sorri- klar definiert auf der einen Seite die methodische Vor- dere di fronte alle ingenuità o alle naivetés degli etnografi gangsweise ist, so inhomogen sind andererseits die antichi, come illustra la leggenda della figlia del re che untersuchten Texte, die aus einem Zeitraum von meh- porge da bere al suo futuro sposo (5T4). Questo motivo reren Jahrhunderten und ganz unterschiedlichen Kul- trova vari paralleli in altri ambiti folklorici e che, osserva turen stammen. Neben Bibel und Talmud werden finemente l’autore, permane fin nell’Arabella di Richard Autoren wie etwa Vergil, Livius, Plutarch, Lukian, Ter- Strauss, ma che allo stesso tempo si riconnette alla Trank tullian, Minucius Felix, aber auch griechische Roman- der Souveränität, celebrata, aggiungerei io, in diverso schriftsteller oder juristische Texte der späten Kaiserzeit contesto, nella ballata goethiana del re di Thule. Si po- berücksichtigt. Angesichts der großen thematischen trebbero ugualmente citare i festeggiamenti di durata Bandbreite können hier unmöglich alle Einzelbeiträge annuale (12T1) e, similmente, la leggenda dell’aurum ausführlich besprochen werden. Ich beschränke mich Tolosanum (20T4, 20T5), o anche il passo sulla paura daher auf knappe Inhaltsparaphrasen und einige wenige che i Celti hanno del cielo che cada sulle loro teste (7T1). Detailbemerkungen. Non ci resta dunque che auspicare che la encomiabile Den Anfang machen zwei Arbeiten, die sich Vergils fatica dell’autore possa presto offrire al lettore gli altri Aeneis zum Thema gewählt haben. In ›Mobilità e due volumi progettati. Al tempo stesso ci auguriamo religione nell’Eneide. Diaspora, culto, spazio, identità che qualcuno desideri completare l’opera, ponendo locali‹ (S. 13–30) geht Alessandro Barchiesi der Darstel- mano al mare magnum delle fonti medievali, che lung von religiösen Praktiken in diesem Epos nach. comunque presenta problemi di altro genere, per esem- Nebst einem praktischen Verzeichnis der hierfür rele- pio nel considerare la veridicità della maggior parte di vanten Stellen (S. 14–17) wird eine ganze Reihe von esse, o gli eventuali rapporti tra gli autori cristiani e le interessanten Detailbeobachtungen geboten. antiche e mal sopite credenze pagane. Tale aspetto non Gleichfalls der Aeneis gewidmet ist der Beitrag von era stato trascurato da Zwicker, ma, per comprensibili e Hubert Cancik, ›Götter einführen. Ein myth-histori- giustificate ragioni di economia editoriale, è stato sches (sic!) Modell für die Diffusion von Religion in accantonato dal presente editore. Vergils Aeneis‹ (S. 31–40). Untersucht wird, welche Rolle und Bedeutung der Vorstellung des »inferre deos« in Pisa Chiara O. Tommasi diesem Werk zukommt. Wichtig ist, dass die land - 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 422

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suchenden Trojaner gewissermaßen mit ihrer Religion, tung von êcclhsíai nicht nur widerspiegelt, sondern die in den Penaten verkörpert ist, wie mit einem beweg- gleichermaßen selbst in Gang setzt. Wichtig ist ihm lichen Gut herumziehen. Die Religion wandert gleich- ferner die Beobachtung, »that textual variety may be sam mit ihnen. Ein missionarischer Anspruch sei damit less representative of theological/ideological diversity aber keineswegs verbunden, denn »deos inferre Latio« and conflict than of performative flexibility with very bedeute nicht die Missionierung der einheimischen La- few ideologically marked contrasts« (S. 91). tiner, sondern das Eindringen der fremden Religion Katharina Waldner wählt für ›Die poetische Gerech- durch die Einwanderung ihrer Träger. »Vergil erklärt tigkeit der Götter. Recht und Religion im griechischen die neulatinische Religion sozusagen diffusionistisch« Roman‹ (S 101–123) Gerichts- und Bestrafungsszenen in (S. 37). Trefflich fasst Cancik die zentrale Bedeutung Charitons ›Chaireas und Kallirhoë‹, Xenophons ›Ephe- der trojanischen Kultgegenstände in die Worte: »Die siaka‹, sowie Achilles Tatios’ ›Leukippe und Kleitophon‹ Penaten sind ihr wichtigster ›Identifikator‹: Tracht, zum Gegenstand ihrer Untersuchung. In den fiktiven Sprache, Namen können die Troianer aufgeben, nicht Welten dieser Romantexte trägt letztlich die Gerechtig- ihre sacra. Eine bemerkenswerte Lösung und Isolierung keit immer den Sieg davon, freilich ist dafür regelmäßig von ›Religion‹ aus dem politischen und kulturellen Sys- das Eingreifen der Götter vonnöten. Verbindendes tem« (S. 38). Element dieser kaiserzeitlichen Romane ist auch, dass Ulrike Egelhaaf-Gaisers Aufsatz ›Der triumphie- in ihnen »eine idealisierte, rein griechische Polisreligion rende Leser. Die Siegesfeier von Amphipolis in der als Garantin einer gerechten Ordnung erscheint; diese Geschichtserzählung des Livius‹ (S. 41–61) beschäftigt Ordnung herrscht, ebenso wie die griechischen Götter, sich mit der literarischen Inszenierung römischer Sieg- im gesamten Universum, das die Protagonisten berei- haftigkeit im Kontext der imperialen Geschichtskon- sen« (S. 121). zeption, wobei anhand des Modellfalls Amphipolis Sehr lesenswert sind dann die Ausführungen von untersucht wird, »in welches räumliche und semanti- Simon Goldhill, ›Religion,Wissenschaftlichkeit und grie- sche Bezugsfeld der Historiker diesen exemplarischen chische Identität im römischen Kaiserreich‹ (S. 125–140). Erinnerungsort stellt« (S. 43). Überzeugend versteht es Einleitend betont er, dass ungeachtet gegenteiliger die Autorin, herauszuarbeiten, dass Livius im Rahmen christlicher Polemik der heidnische Polytheismus im seiner Darstellung des Dritten Makedonischen Krieges zweiten Jahrhundert in voller Blüte stand. Aus diversen die altehrwürdigen Sakralorte Dion und Samothrake zu Gründen ist jedoch die griechische Religion dieser Zeit überbieten trachtet, indem »er Amphipolis als neuen von der Forschung stiefmütterlich behandelt, systema- und wirkungsmächtigen Gedächtnisort in seiner impe- tisch unterschätzt und allzu oft den Epigraphikern über- rialen Sakrallandschaft etablieren will« (S. 49). Bei der lassen worden. Dagegen zeigt ein Blick auf die Werke Betrachtung des Liviustextes werde deutlich, »wie rigo- von Vertretern der sogenannten Zweiten Sophistik (Pau- ros die imperiale Raumordnung die bisher existieren- sanias, Plutarch und Aelius Aristides), dass für diese den Ortsbindungen zerschlug und alten Landmarken Autoren die forschende Auseinandersetzung mit der eine neue Semantik aufzwang« (S. 52). eigenen religiösen Tradition eine ganz entscheidende Die beiden folgenden Aufsätze beschäftigen sich mit Bedeutung besitzt. Für Goldhill ist gerade die Rolle der dem frühen Christentum und sind primär für die neu- väterlichen Bräuche und Riten »ein grundlegendes Ele- testamentliche Forschung von Interesse. Christoph Auf- ment in dieser Arbeit an der Erschaffung einer griechi- farth, ›»Euer Leib sei der Tempel des Herrn!«. Religiöse schen kulturellen Identität. Die Reaktion der Intel - Sprache bei Paulus‹ (S. 63–80), wendet sich gegen die lektuellen auf das religiöse Leben in den Städten des traditionelle Auffassung, der Apostel habe mit dem im Kaiserreichs – ein Leben, das in den epigraphischen Titel angeführten Zitat den jüdischen Tempelkult kriti- Quellen so eindringlich belegt ist – ist ein wesentlicher sieren wollen. Vielmehr ist dieser Ausspruch eine rheto- Bestandteil des zeitgenössischen Polytheismus. Durch rische Metapher, die sich in ganz ähnlicher Form auch ihre religiöse Schriften verhandeln (sic!) diese Autoren, bei nichtchristlichen Autoren (Seneca, Apuleius) findet. wie man im römischen Kaiserreich ein gebildeter Grie- Paulus ziele mit seiner Bemerkung »nicht auf die Ab- che wird« (S. 138). schaffung des Kultes, sondern ethisiert im Gegenteil die Im Beitrag von Dorothee Elm von der Osten, ›Die Rituale und füllt sie mit Bedeutung. Der Kult soll sich Inszenierung des Betruges und seiner Entlarvung. Divi- nicht auf die heilige Stätte und auf die heilige Zeit be- nation und ihre Kritiker in Lukians Schrift ›Alexandros grenzen, aber er ist Vorbild für die Ausweitung der Hei- oder der Lügenprophet‹‹ (S. 141–157), wird der religions- ligkeit in den Alltag und das Innerliche der Menschen« historische Quellenwert dieses Werks näher analysiert. (S. 75). Der Vergleich mit den pythischen Dialogen Plutarchs Ian H. Henderson, ›Early Christianity, Textual Re- und dem nur fragmentarisch überlieferten Traktat ›Die presentation and Ritual Extension‹ (S. 81–100), geht Entlarvung der Schwindler‹ (go≥twn f±ra) des Oino- dem komplexen Wechselverhältnis zwischen frühchrist- maos von Gadara macht deutlich, dass Lukian mit sei- lichen Texten und Ritualen nach, speziell bezüglich ner Kritik am Orakelkult der Schlange Glykon (der von Taufe, Eucharistie und Exorzismus. Grundsätzlich tritt Alexandros in Abonuteichos eingeführt wurde) in einer er dafür ein, dass die christliche Rezeption, Produktion älteren Tradition der Divinationskritik steht. Folglich und Verbreitung komplexer Texte die rituelle Ausbrei- dürfen die diesem Kult zugeschriebenen Eigenschaften 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 423

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auch zumeist nicht als Spezifika des Glykonkultes ange- Besonders lehrreich ist der Aufsatz von Jörg Rüpke, sehen werden, da sie vielfach literarischer Topik ge- ›Literarische Darstellungen römischer Religion in schuldet sind. Auch die Figur des Alexandros muss christlicher Apologetik. Universal- und Lokalreligion zu großen Teilen als literarisches Konstrukt betrachtet bei Tertullian und Minucius Felix‹ (S. 209–223). Am werden. Gleiches gilt schließlich für die Rolle, die Beispiel der beiden Schriften ›Ad nationes‹ und ›Apolo- Lukian als Erzähler und als Handelnder in der Ge- geticum‹ von Tertullian sowie dem Dialog ›Octavius‹ schichte einnimmt. Der Satiriker hat sich hierfür an von Minucius Felix wird untersucht, welchen Ge- andere Autoren der Zweiten Sophistik angelehnt, die brauch diese Apologeten von den älteren literarischen sich in ihren Schriften als Exegeten der Religion präsen- Darstellungen römischer Religion machen, namentlich tieren und Modelle für den richtigen Umgang mit ihr von Ciceros ›De divinatione‹ und Varros ›Antiquitates für Gebildete entwerfen. »Deren Selbstdarstellung wird rerum divinarum‹. Den beiden frühchristlichen Auto- vom Autor Lukian aufgenommen und ironisch gebro- ren ist gemein, dass sie Informationen über römische chen: Der ›Lukian‹ des Textes lässt sich also nicht eins Kulte nicht um ihrer selbst willen bringen, sondern zu eins mit dem Autor selbst gleichsetzen« (S. 155). diese für ihre spezifischen Aussageabsichten instrumen- Diese meines Erachtens sehr überzeugende Interpreta- talisieren. tion steht im Einklang mit ganz ähnlichen Beobachtun- Hubert Cancik versucht in seinem zweiten kurzen gen, die von der jüngeren Forschung an anderen Schrif- Beitrag ›Wahrnehmung, Vermeidung, Entheiligung, An- ten Lukians gemacht wurden. eignung. Religionen bei Tertullian, im Talmud und bei Der folgende Essay von Andreas Bendlin, ›Vom Eusebios‹ (S. 225–232), anhand von Tertullians Schrift Nutzen und Nachteil der Mantik. Orakel im Medium ›De spectaculis‹, dem Talmudtraktat ›Abodah Zarah‹ von Handlung und Literatur in der Zeit der Zweiten (›Fremder Dienst‹) und Eusebius’ ›Praeparatio evange- Sophistik‹ (S. 159–207) ist der längste des ganzen Ban- lica‹ die verschiedenen Arten der Wahrnehmung und des. Zunächst wird eine Reihe von epigraphischen (In- Konstruktion römischer Religion zu veranschaulichen. schriften des Opramos von Rhodiapolis und des Dioge- Den Abschluss des Kolloquiumsbandes bildet Ru- nes von Oinoanda) und literarischen Texten (Alexander dolf Haenschs Studie ›Religion und Kulte im juristi- von Aphrodisias’ Schriften ›De fato‹ und ›De providen- schen Schrifttum und in rechtsverbindlichen Verlaut- tia‹, Plutarchs Pythische Dialoge) ausführlich vorge- barungen der Hohen Kaiserzeit‹ (S. 233–247). Einlei- stellt, die interessante Einblicke in die Bedeutung von tend wird darauf hingewiesen, dass Religion und Kult Orakelstätten gewähren, aber auch die zeitgenössische in den erhaltenen Rechtsquellen dieser Epoche nur eine Kritik an der Mantik veranschaulichen. In einem wei - sehr untergeordnete Rolle spielen. Haensch betont je- teren Abschnitt wird der Frage nachgegangen, warum doch zu Recht, dass dieser Befund trügerisch ist: Das es gerade in der Zeit der Zweiten Sophistik zu einer juristische Schrifttum und die imperiale Gesetzgebung Renaissance des Orakelwesens gekommen ist. Abgelehnt der Hohen Kaiserzeit sind bekanntlich über weite Teile wird das religionspsychologische Erklärungsmodell von nur fragmentarisch in der großen Exzerptensammlung Eric Robertson Dodds, wonach diese Blüte charakteris- der Digesten des Kaisers Iustinian respektive im Codex tisch für das sogenannte ›Zeitalter der Angst‹ sei. Für Iustinianus überliefert. Diese Werke sind aber zu einem Bendlin ist dagegen der literarisch-epigraphische Be- Zeitpunkt entstanden, als das Christentum bereits seit fund aus dieser Zeit, der auf ein merklich gestiegenes hundertfünfzig Jahren offizielle Staatsreligion war. Da Interesse an mantischen Themen hinweist, kein hin - nun Iustinian der von ihm eingesetzten Kommission reichender Beweis für eine Änderung im religiösen Ver- den Auftrag erteilt hatte, alles Überflüssige und Veral- halten. Vielmehr reflektiere sich hierin ein neuartiges tete auszumerzen, dürften gerade Hinweise auf pagane Kommunikationsverhalten, welches jedoch »nicht vor- Kulte diesen Streichungen zum Opfer gefallen sein. Aus schnell mit einer sich in jener Zeit vollziehenden grund- den wenigen literarischen Überresten sowie einigen epi- legenden Veränderung des religiösen Habitus gleichge- graphisch und auf Papyrus überlieferten Rechtstexten setzt werden« darf (S. 185). Stattdessen greift Bendlin für werden einige besonders signifikante Beispiele ausge- das Phänomen der Renaissance der Orakel ein Erklä- wählt. Hieraus wird die generelle Hochschätzung der rungsmodell auf, »das den Wandel des epi graphic habit‹, Kulte bei den rechtssetzenden Instanzen deutlich, es also des quantitativen Indikators der inschriftlichen fällt aber auch auf, »wie knapp und wenig detailliert in Kommemorationskultur im Römischen Reich, zwi- den untersuchten Texten auf die einzelnen Kulte und schen dem ersten und dem dritten Jahrhundert n. Chr. generell auf den Bereich des Religiösen eingegangen als Widerspiegelung eines Wandels des Kommunika- wird« (S. 245). Dies sollte sich erst in der Spätantike tions- und Repräsentationsverhaltens der kaiserzeit- ändern, die auch im religiösen Bereich eine wortreiche lichen Eliten deutet, und das aus der Art, wie jene Eli- Gesetzgebungssprache pflegte. ten über Religion kommunizieren, auf sich verändernde Das Buch beschließen Zusammenfassungen der ein- kulturelle Wahrnehmungsmuster schließt« (S. 187). Das zelnen Aufsätze (S. 248–252) und ein Stellenregister letzte Kapitel des Aufsatzes beschäftigt sich noch mit (S. 253–260). Resümierend lässt sich sagen, dass mit den unterschiedlichen Formen der Orakelkritik am diesem Band dem Religionshistoriker eine Sammlung Beispiel des Oinomaos von Gadara (›Die Entlarvung wertvoller Beiträge in die Hand gelegt wurde. Vor allem der Schwindler‹) und Lukians (›Alexandros‹). in methodischer Hinsicht bietet das Buch viele nütz - 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 424

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liche Anregungen. Wiederholt ist deutlich geworden, Restbestand von 445 Namensfragmenten aus unvoll- dass die antiken (literarischen) Texte nicht unbedenk- ständigen Inschriften bietet. Angekündigt ist ein zwei- lich als Steinbruch für Detailinformationen zur Reli- ter Band, der die Cognomina enthalten soll. gion ausgeschlachtet werden können. Will man diesen Für den praktischen Gebrauch ist allerdings diese Zeugnissen gerecht werden, muss jede seriöse Forschung Art der Aufteilung in Einzelbände zu hinterfragen. um eine über den engeren Kontext hinausgehende Zweifellos wäre ein Katalog, der in alphabetischer Rei- Interpretation und Analyse dieser Nachrichten bemüht henfolge sowohl Gentil- als auch Cognomina verzeich- sein. Lobend hervorzuheben ist schließlich noch die net, der Handhabbarkeit dienlicher, wie etwa der er- sehr geringe Anzahl an Druckfehlern, die der Sorgfalt wähnte Atlas antroponímico de la Lusitania romana. der Autoren sowie der Arbeit des redaktionellen Teams Der Verfasser gibt in der Einleitung keine Begründung ein gutes Zeugnis ausstellt. für diese Trennung. Insgesamt bleiben die einleitenden Bemerkungen mit knapp zwei Seiten (S. 11 f.) recht Wien Andreas Hofeneder kurz. Der Leser erfährt, welche Personenkreise aufge- nommen und welche Quellen berücksichtigt wurden. Dass neben den in den duae Germaniae bezeugten Per- sonen auch Händler, Soldaten und Angehörige der Verwaltung, die in anderen Reichsteilen Spuren hinter- Andreas Kakoschke, Die Personennamen in den zwei lassen haben, aber eine nieder- oder obergermanische germanischen Provinzen. Ein Katalog. Band I: Gentil- Origo besitzen, Aufnahme gefunden haben, ist zu nomina Abilius–Volusius. Verlag Marie Leidorf, Rah- begrüßen. Der Verfasser weist jedoch nachdrücklich den/Westfalen 2006. 457 Seiten. darauf hin, dass Namen, die im Bereich des Instrumen- tum domesticum bezeugt sind, vielfach unberücksich- Das Interesse an Personennamen als sozialgeschicht- tigt geblieben sind. Erfreulicherweise ist festzustellen, licher Quelle für die römische Antike hat in den ver- dass der Autor hier nicht zu restriktiv verfahren ist. Um gangenen Jahren deutlich zugenommen, wie beispiel- einige Beispiele herauszugreifen: Der in Niedergerma- haft der von M. Dondin-Payre und M.-Th. Raepsaet- nien tätige Ziegelproduzent Marcus Val(erius) San(…) Charlier herausgegebene Sammelband Noms, identités findet Erwähnung (GN 1346 Nr. 135), allerdings bleibt culturelles et romanisation sous le Haut-Empire (Brüs- die von Kakoschke vorgeschlagene Ergänzung des Cog- sel 2001) belegt, dessen Schwerpunkt auf Gallien und nomen zu San(ctus?) fraglich. Verzeichnet ist etwa auch den beiden germanischen Provinzen liegt. Grundlegende der Personenname Domitius (GN 422 Nr. 58), der auf Überblicke über Vorkommen, Verbreitung und Häu- einer Tabula defixionis aus Bad Kreuznach zu lesen ist figkeit lateinischer Namen bieten für Europa immer (CIL XIII 7553). Es fehlt hingegen der Name des in noch A. Mócsy, Nomenclator provinciarum Europae augusteischer Zeit wohl in Köln und Haltern tätigen Latinarum et Galliae Cisalpinae (Budapest 1983) und Töpfers ›P. Flos(…)‹ (S. Biegert / S. von Schnurbein, B. Lörincz (Hrsg.), Onomasticon Provinciarum Europae Neue Untersuchungen zum Sigillatastempel P.FLOS. Latinarum I–IV (Budapest 1994 und Wien 1999–2002), In: B. Liesen / U. Brandl [Hrsg.], Römische Keramik. zu letzteren siehe die kritischen Anmerkungen von Herstellung und Handel. Xantener Berichte 13 [Mainz H. Solin, Gnomon 72, 2000, 234–239 und 76, 2004, 2003] 1–5), den der Autor unlängst mit dem aus Köln 244–247. Ergänzend hierzu sind mittlerweile für einige bekannten Marcus Petronius Luci filius Flosclus zu wenige Provinzen Namenlexika verfügbar, so für Lusi- identifizieren suchte (A. Kakoschke, M. Petronius Flos- tanien M. Navarro Caballero / J. L. Ramírez Sádaba culus. Ein italischer Unternehmer aus dem römischen (Hrsg.), Atlas antroponímico de la Lusitania romana Köln? Münster. Beitr. Ant. Handelsgesch. 25, 1, 2006, (Mérida und Burdeos 2003). Wer bislang zu Personen- 1–10). Generell bleibt zu hoffen, dass die zahlreichen namen in den beiden germanischen Provinzen forschte, einfachen Handwerker, von denen wir meist nur das musste auf die Namenindizes des CIL XIII und der Nomen simplex kennen, zumindest im folgenden Band verschiedenen Nachträge zu CIL XIII zurückgreifen so - der Cognomina Aufnahme finden werden, erlaubt wie die an verschiedenen Orten publizierten Neufunde deren Onomastik doch Einblicke unter anderem in berücksichtigen. Dieses umständliche Arbeiten gehört die Namengebung und die mögliche ethnische Zusam- nun der Vergangenheit an, denn der Verfasser füllt mit mensetzung sonst nur schlecht bezeugter niederer seiner Zusammenstellung eine entsprechende Lücke. Schichten. Sie auszuschließen, wäre aus sozial- und Ausgewertet wurde neben literarischen Quellen das ver- wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive nicht zu rechtfer- fügbare epigraphische Material, das heißt vor allem tigen. Steininschriften, Militärdiplome, Holz- und Bleitäfel- An die Einleitung schließen sich ein Abkürzungsver- chen, aber auch Kleininschriften wie Ziegelstempel. zeichnis und ein umfangreiches Literaturverzeichnis Töpfermarken fanden dagegen nur in begrenztem Um- von 35 Seiten an (S. 17–52). Man hätte dieses an einigen fang Eingang in die Sammlung. Gegenwärtig liegt der Stellen kürzer fassen können, etwa bei der ausführ- erste Band vor, der unter 1480 Lemmata die deutlich lichen Nennung sämtlicher Bände des CIL (I–XVI). über sechstausend in Nieder- und Obergermanien be- Auf Seite 53 beginnt schließlich der über vierhundert legten Gentilnomina aufführt und zudem noch einen Seiten starke Katalog der Gentilnomina. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 425

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Positiv hervorzuheben ist die Gestaltung der Na- Kommentar durchaus sinnvoll gewesen wäre. Anzu- menlemmata. Es werden nicht nur der isolierte Einzel- merken ist ferner, dass das Cognomen einer durch einen name und der Quellenverweis gebracht, sondern alle fragmentierten Weihestein aus dem Bereich des Matro- Namensbestandteile, der Fundort, die zeitliche Stellung nenheiligtums von Nöthen-Pesch bekannten Person und – soweit möglich – Angaben zum Status der Person (S. 449, Restbestand Nr. 93) nicht zu [M]erca[tor], son- und zu Häufigkeit und Verteilung des jeweiligen Per - dern wohl zu [M]erca[torius] zu ergänzen ist. Gestri- sonennamens im römischen Reich. Hinsichtlich der chen werden kann aus dem reichhaltigen Namenmate- Nennung der Belegstellen ist lediglich die Zitierweise rial zum Nomen gentile Flavius (GN 497) die Nr. 166, nach l’Année Épigraphique zu kritisieren. Der Um- Lucius Fla(vius) Ve(tus). Der Name konnte unlängst stand, dass die Jahreszahl des Bandes nicht durch sicher zu Lucius Flavius Ve[rucla] ergänzt werden und Komma von der folgenden Nummer der Inschrift ge- findet sich bereits in der gleichen Liste unter Nr. 161. trennt ist, sondern nur durch ein Leerzeichen, wirkt Alles in allem hat Andreas Kakoschke mit seinem irritierend. Als hilfreich erweist sich freilich der Kom- ausführlichen Onomastikon der Forschung ein wich - mentar, der jedem Namenlemma beigegeben ist. Bei- tiges Hilfsmittel an die Hand gegeben. Abzuwarten spielsweise sind zu Candidinius (GN 263) auch Hin- bleibt nun der zweite Band mit den Cognomina. weise auf möglicherweise oder zumindest sehr wahr- scheinlich aus den germanischen Provinzen stammende München Peter Rothenhöfer Personen verzeichnet, die in die eigentliche Namenliste nicht aufgenommen sind. Leider hat der Verfasser feminine Namenformen nicht gesondert unter eigenen Lemmata angegeben. Vielmehr stehen sie unter den maskulinen Belegen. So Heinz Heinen, Antike am Rande der Steppe. Der erscheint etwa Bassiania Felicula aus Köln unter dem nördliche Schwarzmeerraum als Forschungsaufgabe. Lemma Bassianus beziehungsweise Bassianius, ebenso Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Ab- wie eine Bassiania Quieta aus Euskirchen und vier wei- handlungen der Geistes- und sozialwissenschaftlichen tere Frauen, die das Gentilnomen Bassiana tragen. Glei- Klasse 2006, Nr. 5. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2006. ches gilt für die in Köln bezeugte Arsulana Germanilla, 91 Seiten, 1 Karte, 22 Abbildungen. Gattin des niedergermanischen Eques Romanus Mar- cus Gavius Primus, die als einziger Eintrag unter Arsu- Seit den politischen Veränderungen der neunziger Jahre lanus (GN 130) aufgeführt ist. Hier hätte eine Differen- ist das Gebiet des nördlichen Schwarzmeerraumes wie- zierung bei den Lemmata – man werfe einen Blick auf der verstärkt in das Blickfeld westeuropäischer Alter- die Indices des CIL – zu deutlich mehr Klarheit beige- tumsforscher gerückt. Internationale Feldforschungen, tragen, und es wäre ein schnellerer Zugriff auf die ent- Konferenzen oder gemeinsame Publikationsprojekte sprechenden Personen möglich. führen erfreulicherweise zu einem stetig steigenden wis- Im Folgenden seien noch einige detaillierte Anmer- senschaftlichen Austausch, der lange Zeit auf Grund kungen zum Namenkatalog gegeben: Unter Secundi- der vorherrschenden Rahmenbedingungen nicht mög- nius (GN 1131) fehlt der inschriftliche Beleg für den lich war. Dennoch ist dieser wissenschaftliche Diskurs Besitzer einer Villa rustica aus Rheinbach-Flerzheim nicht erst eine neue Erscheinung der letzten beiden Jahr- (siehe M. Gechter, Vom 1. bis zum 5. Jahrhundert. Der zehnte, sondern fußt auf einem sicheren Fundament, römische Gutshof der Secundinii bei Rheinbach-Flerz- welches noch zu Zeiten der Teilung Europas gelegt heim, Rhein-Sieg-Kreis. Rhein. Landesmus. Bonn 2, wurde. Altertumsforschern wie Heinz Heinen auf deut- 1986, 17 f.). Unter dem Namenlemma Titius (GN 1303 scher oder Jurj G. Vinogradov auf sowjetischer Seite ist Nr. 14) findet sich eine der wenigen Personen aus den es dabei zu verdanken, dass die Kontakte zwischen ein- germanischen Provinzen, für die ein Aufstieg in die zelnen Wissenschaftlern und institutionellen Einrich- höhere Reichsverwaltung bezeugt ist. Der Agrippinen- tungen zu beiden Seiten des Eisernen Vorhangs niemals ser Gaius Titius Gai filius Claudius Similis war Procu- wirklich abgebrochen sind. Ein eindrucksvol les Bei- rator provinciae Lusitaniae et Vettoniae und wurde in spiel hierfür ist sicherlich die vom Verfasser herausge - Mérida geehrt (CIL II 484). Fälschlicherweise gibt Ka- gebene deutschsprachige Publikation ›Die Geschichte koschke hier als Provinz Hispanien an, richtig muss es des Altertums im Spiegel sowjetischer Forschung‹ heißen: Lusitanien. Nicht selten existieren auch Inter- (Darmstadt 1980), die einen fundierten Einblick in den pretationsspielräume bei der Lesung oder Auflösung seinerzeit aktuellen Forschungsstand bietet. von Inschriften, wie folgendes Beispiel illustriert: In Auch in der vorliegenden Publikation beschäftigt einem Graffito aus dem Ahrtal wird unter anderem sich der Autor mit dem nördlichen Schwarzmeerraum. eine Person erwähnt, die den Namen Titus Tusaucus Ursprünglich war sie als schriftliche Fassung eines Vor- getragen haben könnte; eine andere Lesart lautet dage- trages konzipiert, den er im Jahr 2000 vor der Aka - gen »T(i)tus Augusti (servus)« (U. Schillinger-Häfele, demie der Wissenschaften und Literatur in Mainz IV. Nachtrag zu CIL XIII 142). Der Verfasser hat das gehalten hat, doch entstand durch die Einbindung ver- mögliche Gentilnomen Tusaucus nicht aufgenommen, schiedener von ihm geleiteter Forschungsprojekte ein obwohl dies mit einem entsprechenden Hinweis im erweitertes Manuskript, das gleichsam als eine Art Re- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 426

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chenschaftsbericht für diese Untersuchungen zu verste- auch durch vorläufige Veröffentlichungen dieser In- hen ist (S. 5). Dabei verweist der Autor zu Beginn seiner schriften in verschiedenen Fachorganen nicht ersetzt Schrift, in der er sich explizit um Allgemeinverständ- wer den kann (S. 18). Anhand eines ausgewählten epi- lichkeit bemüht, auf die Notwendigkeit einer zielorien- graphischen Denkmals wird im Folgenden gezeigt, tierten Themenauswahl und Schwerpunktsetzung, die wie groß der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn für auch die Auswahl der Forschungsliteratur aus dem eher die Schwarzmeerforschung dabei tatsächlich sein kann westlichen Sprachraum bestimmt (S. 5 f.). (S. 19–28). So wird in einer 1985 in Semibratnee (›Sie- In einer kurzen Einleitung (S. 6–11) zur Geschichte ben-Brüder-Siedlung‹) aufgefundenen Inschrift nicht und Archäologie des nördlichen Schwarzmeerraumes nur erstmals der antike Name dieses wichtigen Zen- skizziert der Verfasser zunächst das Vordringen des grie- trums im Osten des Bosporanischen Reiches aufge- chischen Kulturkreises an die Küstenregionen zwischen führt, sondern auch bislang kaum bekannte historische Bug und Dnjepr in der Ukraine sowie der Kubanregion Ereignisse zur Zeit Leukons I. (389/88–349/48 v. Chr.) im Süden Russlands, das mit den Kolonisationsbewe- überliefert (S. 20 f.). In Kombination mit bereits länger gungen im siebten Jahrhundert v. Chr. seinen Anfang bekannten schriftlichen und archäologischen Zeugnis- nahm. Anschließend hebt er aus der Fülle an interes- sen – unter anderem Herodot – verweist der Verfasser santen Fragestellungen, die sich dem Historiker bei einer dann auf die Möglichkeiten und Grenzen einer quel- Beschäftigung mit dem Schwarzmeerraum bieten, exem- lenübergreifenden Interpretation. Beispielsweise lassen plarisch drei Themenkomplexe hervor, die seiner Mei- sich unsere Vorstellungen über eine gewisse Eigenstaat- nung nach besonders beachtenswert sind (S. 9): Wie lichkeit des sindischen Herrschaftsgebietes in klassi- gestalteten sich die Beziehungen der Griechen und der scher Zeit konkretisieren, während die in der Inschrift einheimischen Bevölkerung? Welche Verbindungen un - aufgeführten Personennamen wie Oktamasades für die terhielten die griechischen Siedler zu ihren Heimat - Onomastik des nördlichen Schwarzmeerraumes von städten? Und schließlich: Wie vollzog sich die Ausdeh- besonderem Interesse sind (S. 23). Der Autor warnt in nung des römischen Machtbereichs in den griechischen diesem Zusammenhang aber auch, und dies vollkom- Osten und somit auch in den Schwarzmeerraum? men zu Recht, vor einer allzu konkreten Verknüpfung Die archäologische Forschung unternimmt schon verschiedenartiger Quellen, wenn beispielsweise der seit einiger Zeit Untersuchungen in dieser Richtung, Grabkontext des berühmten Solochakurgans im ukrai- während gerade die althistorische Landschaft Deutsch- nischen Dnjeprgebiet einem aus der Literatur bekann- lands »die Chance eines Neubeginns bisher nicht ge- ten skythischen Herrscher zugewiesen wird: »Natürlich nutzt« hat und diese von ihr sogar »bis auf wenige Aus- ist es verlockend, literarische Überlieferungen und ar- nahmen nicht einmal recht wahrgenommen worden chäologische Zeugnisse nicht nur miteinander zu kon- ist« (S. 11). Gerade diesem Desiderat möchte der Ver - frontieren (was methodisch völlig in Ordnung ist), son- fasser mit seinem Beitrag entgegentreten und dabei auf- dern sie darüber hinaus irgendwie zur Deckung zu zeigen, welche Perspektiven neue Forschungen zum bringen (was bedenklich sein kann)« (S. 27). nördlichen Schwarzmeerraum offenbaren. Im zweiten Hauptkapitel widmet sich der Verfasser Im ersten Hauptkapitel über ›Herodots skythische einer faszinierenden Thematik aus der späteren Ent- Welt‹ (S. 11–28) verweist der Autor beispielsweise auf die wicklungsphase des Bosporanischen Reiches (S. 28–58), vielfältigen Möglichkeiten eines interdisziplinären For- der nach seiner Ansicht bislang noch nicht die gleiche schungsansatzes, der die schriftlichen und archäologi- gebührende Aufmerksamkeit wie den vorangegangenen schen Quellen gleichermaßen berücksichtigt (S. 12). So Epochen gewidmet wurde (S. 28 f.). bedarf es seiner Meinung nach als dringendes Desiderat Exemplarisch stellt der Autor in diesem Zusammen- eines grundlegenden Kommentars zum Skythenlogos hang die Beziehungen zwischen dem Bosporanischen im vierten Buch des antiken Historiographen, der Reich und Rom in den Mittelpunkt seiner Betrachtun- das reiche Material der Archäologie nicht nur als reine gen, deren thematischer Rahmen in dem Teilprojekt Illus tration heranzieht, sondern dieses »im Sinne einer eines Trierer Sonderforschungsbereiches definiert wurde systematischen Konfrontation verschiedener Interpre- (S. 29). Nach einer kurzen Einleitung zur Forschungs- tations muster und unterschiedlicher Gattungen von geschichte, in der vor allem die nationalistischen Strö- Überlieferung« (S. 14) zu nutzen weiß. Kann die For- mungen in der sowjetischen Zeit Erwähnung finden, schung in diesem Zusammenhang auf wenige russische skizziert der Verfasser mittels einiger Beispiele der schrift- oder auch italienische Publikationen zurückgreifen, so lichen Überlieferung das Selbstverständnis der Füh- konstatiert der Verfasser auf deutscher Seite eine »kom- rungsschicht am Bosporos, die sich in steigendem Maße plette Fehlanzeige« (S. 18). über ihre Verbindungen zum römischen Kaiserhaus Wesentlich besser zugänglich ist der Altertumsfor- legitimierte. So findet die Formulierung fil

Alte Geschichte 427

antiken Plastik, dass man vor Ort durchaus auch wei - zung führt der Verfasser exemplarisch literarische und terhin eine gewisse Eigenständigkeit hervorhob (S. 42– epigraphische Quellen an, die zudem schlaglichtartig in 46). Allerdings solle man dabei »Romfreund schaft und Bezug zu archäologischen Denkmälern gesetzt werden ›nationale‹ Tradition nicht als Gegensätze konstruiert, (S. 68–75). sondern als eine durchaus lebensfähige Doppelbindung« Am Ende resümiert der Autor sehr treffend: »Nur begreifen. So ist die Gewandstatue eines Würdenträgers unter dem engen Blickwinkel einer strikt auf die klas - aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert, die in sische Antike gerichteten Betrachtung stellt der nörd - griechischer Tradition gestaltet ist und deren Portrait liche Schwarzmeerraum ein Randgebiet dar, doch in deutlich durch die römische Plastik geprägte Züge auf- der weiten Perspektive der Universalgeschichte bildet weist, mit einem Halsschmuck ausgestattet, der an ein dieser Raum zwischen Meer und Steppe eine geschichts - Statussymbol lokaler Eliten am Bosporus erinnert. Ge- trächtige Kommunikationszone« (S. 76). Vor allem aber rade an solchen herausragenden Stücken sieht der tritt der Verfasser explizit für eine interdisziplinäre Her- Autor zu Recht das Beziehungsgeflecht der Traditionen angehensweise an das Fundspektrum des nördlichen von Griechen, Römern und Steppenvölkern auch im Schwarzmeerraumes ein, das gleichermaßen sowohl die Bild offenbar werden (S. 46). Der zweite Teil des Ab- Vor- und Frühgeschichte, die Klassische Archä ologie schnitts ist schließlich der spätantiken Phase des Bos - und Alte Geschichte, die Epigraphik und Numismatik poranischen Reiches gewidmet, für welche nur noch und schließlich die Literatur- und Sprachwissenschaft wenige themenbezogene, jedoch nicht minder interes- tangiert (S. 77). Wie fruchtbar diese Forschungen dar - sante Inschriftenzeugnisse vorliegen (S. 50–58). über hinaus für die Zusammenarbeit inter nationaler Im letzten Hauptkapitel ›Weitere Themen und Per- Forscherteams sein können, belegt ein kurzer Verweis spektiven‹ (S. 58–76) führt der Verfasser exemplarisch auf erfolgreiche Kooperationsprojekte der letzten Jahre. zwei weitere Forschungsgebiete an, die bislang in unter- Dem Autor ist es gelungen, einen prägnanten Bei- schiedlicher Intensität bearbeitet worden sind. So lie- trag zur Themenvielfalt und zu den Forschungsper- ßen sich im Rahmen eines bereits abgeschlossenen spek tiven zu leisten, die eine Beschäftigung mit dem Schwerpunktprogramms der Deutschen Forschungsge- nördlichen Schwarzmeerraum offenbaren kann. Seine meinschaft Untersuchungen zum Achilleuskult im nörd- bemerkenswerte Kenntnis der historischen, vor allem lichen Schwarzmeerraum als Modellfall eines nordpon- der epigraphischen Quellen dieser Region ermöglichen tischen Akkulturationsphänomens durchführen, deren es ihm wie kaum einem anderen deutschen Wissen- Zielsetzungen und Rahmenbedingungen in aller Kürze schaftler, Zusammenhänge aufzuzeigen, Besonderhei- skizziert werden (S. 59–66). Das Augenmerk des For- ten hervorzuheben und die erzielten Beobachtungen scherkreises um den Verfasser nahm dabei den Kult des mittels einer interdisziplinären Herangehensweise über- Achilleus in und seiner Chora sowie das Heilig- zeugend auszuwerten. Dabei kann die vorgelegte Publi- tum des Heros auf der Insel Leuke in den Blick (S. 60). kation natürlich allein schon auf Grund des skizzierten Fragestellungen zur eigentlichen Entwicklung des Kul- breiten Themenspektrums keine umfassende archäolo- tes standen dabei ebenso im Fokus der Wissenschaftler gisch-historische Darstellung zum nördlichen Schwarz- wie der unterschiedliche Grad einer ethnischen und der meerraum sein. Auch sind die dargelegten Interpre ta - daraus folgenden »onomastischen Durchmischung der tionsvorschläge zu einzelnen Objekten, etwa dem be- Stadtbevölkerung« (S. 65), die sich gerade im epigraphi- kannten Kamm aus dem Solochakurgan, exemplarisch schen Quellenmaterial aufzeigen lässt. Basierend auf und in aller Kürze wiedergegeben, obwohl sie vor den Untersuchungen von Joachim Hupe wehrt sich der dem Hintergrund ikonographischer Besonderheiten Autor jedoch gegen den vielfach in der Forschung ver- der gräko-skythischen Kunst im Detail bis heute viel- wendeten Begriff einer Sarmatisierung Olbias. Das Auf- fach und sehr kontrovers diskutiert werden. Eine aus- treten iranischer Namen in der Onomastik der Stadt führliche Behandlung dieser Stücke ist aber allein schon könne durchaus auch als Einbindung dieses Bevölke- durch die Zielsetzung des Beitrages nicht vorgesehen. rungsteils in »die Verfassung, Sprache und Kultur« der Der Verfasser lenkt vielmehr durch schlaglichtartiges Polis verstanden werden und somit Indiz einer erfolg- Hervorheben jüngerer Forschungsprojekte und zukünf- reichen Hellenisierung sein (S. 65). In diesem Zusam- tiger Vorhaben den Blick des Lesers auf eine Region, die menhang bringt der Verfasser seine Hoffnung zum Aus- lange Zeit nicht im Fokus der deutschen Altertumswis- druck, dass die durchgeführten Forschungen zukünftig senschaften stand. Auch die Tatsache, dass sich das als Impuls für weitere Untersuchungen aufgenommen Buch mit Themen beschäftigt, die nicht nur die bospo- werden (S. 66). ranischen oder skythischen Eliten betreffen, muss in Das Thema »Sklaverei im nördlichen Schwarzmeer- diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben wer- raum« (S. 66–76) ist schließlich dem Autor nach ein den. Insgesamt ist die vorgelegte Publikation jedem, der immer noch auffallendes Desiderat, welches auch zu Zei- sich für dieses Forschungsgebiet interessiert, uneinge- ten der Sowjetunion nicht umfassend behandelt wurde schränkt zu empfehlen. und welches bemerkenswerte Forschungsperspektiven ermöglicht. Zum besseren Verständnis seiner Einschät- Berlin Jochen Fornasier 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 428

428 Besprechungen

SPÄTANTIKE, FRÜHES MITTELALTER UND MITTELALTER

Alexander Demandt und Josef Engemann (Hrsg.), Vita des Kaisers nicht nur die bekannten und viel be- Konstantin der Große. Geschichte – Archäologie – mühten Texte der Lobredner und Kirchenväter heran- Rezeption. Schriftenreihe des Rheinischen Landes - gezogen werden dürfen, die während seiner Lebenszeit museums Trier 32. Trier 2006. 297 Seiten, 33 farbige und entstanden. Auch den späteren, in der Bewertung des 52 schwarzweiße Abbildungen, 21 Pläne und Strich- Herrschers sehr divergierenden Quellentexte können zeichnungen. Details seiner Lebensstationen entnommen werden. Als Beispiel untersucht Bleckmann die Umstände von Kon- Dem Reigen der Ausstellungen über Konstantin den stantins letzter Reise, die ursprünglich als Heereszug Großen schloss sich nach Rimini 2005 und York 2006 gegen Persien geplant war und durch seine Krankheit in im Jahr 2007 auch die Stadt Trier an, die als Regie- Nikomedien ein unerwartetes Ende fand. Eusebius be- rungssitz des Kaisers auf ihre antiken Wurzeln großen nennt diese Umstände nur allgemein, während nach Wert legt. In einem 2005 abgehaltenen Kolloquium An gaben späterer Quellen nicht erst das Aufsuchen der wurden die aktuellen Forschungsansätze zu diesem Heilquellen, sondern schon der beginnende Kriegszug Herrscher in großer Bandbreite vorgestellt. Erfreuli- zu Konstantins Aufenthalt in Kleinasien führte (S. 21– cherweise konnten die Referate in dem vorzustellenden 30). Band schon rasch im folgenden Jahr veröffentlicht Die Quintessenz der Beiträge von Hartwin Brand werden. Dessen Umschlaggestaltung ist dem des etwa über Konstantins Reformen (S. 31–37), von Elisabeth doppelt so umfangreichen Trierer Ausstellungskataloges Hermann-Otto über »Frauen und Sklaven unter Kon- angeglichen und weist beide als Parallelpublikationen stantin« (S. 83–95) und von Detlef Liebs über die kaiser- aus. Erfreulich ist die recht sorgfältige Lektorierung liche Gesetzgebung (S. 97–107) ist die Erkenntnis, dass und die ästhetisch ansprechende Gestaltung. Politik und Rechtswesen insgesamt stark konservative Wie bei Tagungsbänden häufiger zu beanstanden, Züge trugen. Sie zielten in erster Linie auf die Bewah- überlappen sich auch in diesem Fall die Inhalte der ein- rung des Bestehenden und die vorsichtige Reaktion auf zelnen Beiträge, ohne dass explizit aufeinander Bezug den gesellschaftlichen Wandel. In der Regierungsform genommen wird. In diesem Fall müsste die Schluss - war Konstantin darauf bedacht, die vortretrarchischen redaktion zusätzliche Querverweise einfügen. Bedenkt Verhältnisse wieder herzustellen. Selbst auf den ersten man zudem, dass die Forschungsansätze der meisten Blick christlich motivierte Gesetze wie im Sklavenrecht Autoren schon aus anderen Publikationen meist gut dürften wesentlich als Reaktion auf soziale Veränderun- bekannt sind, dann ist es besonders zu bedauern, wenn gen zu interpretieren sein. Umstritten bleibt unter den gerade der entscheidende Ertrag einer Tagung unbe- Autoren in diesem Zusammenhang, ob und wie weit rücksichtigt bleibt, nämlich die Diskussion und die ver- eine christliche Grundanschauung des Kaisers be- gleichende Bewertung der Meinungen. Der eigentliche stimmte Regelungen im Bereich der Gerichtsbarkeit wissenschaftliche Diskurs geht damit letztlich ohne beeinflusst hat. Lesepublikum einher. Herausragend ist die vorbildliche literarkritische und Die insgesamt dreiundzwanzig Beiträge sind in den traditionsgeschichtliche Untersuchung des Mitheraus- drei Rubriken »Geschichte«, »Archäologie« und »Rezep- gebers Alexander Demandt über Formen und Funktio- tion« jeweils alphabetisch nach den Autorennamen ge- nen kaiserlicher Träume und Visionen (S. 49–59). Man ordnet zusammengestellt. Folglich sind thematisch ver- merkt diesem Beitrag positiv an, dass er als öffentlicher wandte Beiträge nicht benachbart platziert. Da zudem Vortrag für ein weiteres Publikum bestimmt war. Die in ein Orts- und Sachverzeichnis fehlt, ist der Leser damit die Populargeschichte eingegangene Kreuzesvision vor alleingelassen, die vergleichbare Aspekte betreffenden der Schlacht an der Milvischen Brücke wurde im Ab- Ausführungen quer durch das Buch aufzuspüren. stand von drei Jahren erstmals von Laktanz niederge- Gleichwohl kann man die Sammlung als gute Ein- schrieben. Ihre spätere Popularität gewann sie aber erst führung in wichtige Themen der aktuellen Forschung mehrere Jahrzehnte später, als Eusebius sie um eine zu Konstantin ansehen, von denen im folgenden nur Himmelsstimme erweiterte und nicht nur Konstantin einige besonders hervorgehoben werden sollen. allein, sondern das gesamte Heer dieser Vision teilhaftig In der Rubrik »Geschichte« kreisen die Beiträge werden ließ. Die Stilisierung des siegreichen, sich auf mehr oder weniger explizit um die nach wie vor nicht den Christengott stützenden Konstantin, der über den eindeutig zu beantwortende Frage, wie früh und wie wider bessere zeitgenössische Kenntnis zum Christen- klar Konstantin sich als bekennender Christ verstanden feind gebrandmarkten Maxentius triumphiert, muss hat beziehungsweise als solcher angesehen wurde. Der man als Lehrstück folgenreicher doktrinärer Ge- Kirchenvater Laktanz genießt bei Timothy D. Barnes schichtsdeutung ansehen. Visionen und Träume wurde in seiner Analyse früher Augenzeugen des späteren Kai- in diesen Zusammenhängen dienstbar gemacht, um die sers den Status eines glaubwürdigen Autors (S. 13–20). Politik des Kaisers zu rechtfertigen oder zur Verstär - Bruno Bleckmann weist dagegen zu Recht darauf hin, kung der Intentionen der Geschichtsschreiber zu inter- dass zur Rekonstruktion einer ideologisch unbelasteten pretieren. 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 429

Spätantike, Frühes Mittelalter und Mittelalter 429

Unter der Rubrik »Archäologie« sind einige Beiträge die auch im christlichen Kontext nicht mehr anstößig versammelt, die Konstantin eher peripher betreffen. Zu wirkte. diesen müssen die Ausführungen über die Skulpturen- Sible de Blaauw (S. 163–172) und Paolo Liverani ausstattung reicher spätantiker Häuser (Niels Hanne - (235–244) bestätigen in ihren Beiträgen, dass sich der stad, S. 209–219) und über die in anderen Publikatio- kaiserliche Einfluss bei den vom Herrscher initiierten nen breit diskutierte Mosaikkuppel von Centcelles bei Kirchenbauten eher grundsätzlich auf die allgemeinen Tarragona mit ihrem umstrittenen kaiserlichen Bezug Vorstellungen und großen Linien beschränkt hat, wäh- (Achim Arbeiter, S. 109–125) gerechnet werden. rend die Details der Bauausführung und der Ausstat- Leider nur an der Oberfläche eines wichtigen The- tung jeweils den spezifischen Aufgaben angepasst wur- mas kratzt Alix Barbet in dem Aufsatz über Darstel - den. lungen des Christogrammes in der spätantiken Wand- Auf das Verhältnis Konstantins zu den das Reich malerei (S. 127–141). Das als Labarum von Konstantin in der Spätantike durchgängig bedrohenden Barbaren im Feld eingeführte Siegeszeichen taucht vor allem im geht Josef Engemann in seinem ebenfalls als öffentli- Kontext von Grabanlagen auf, nicht nur gemalt, son- chem Vortrag gehaltenen Beitrag ein (S. 173–184). Der dern auch in der Sarkophagplastik und verschiedenen Autor erkennt hier eine Forschungslücke, da üblicher- Gattungen der Kleinkunst. Selbst in der »Hauskapelle« weise die innen- und religionspolitischen Aspekte dis- von Lullingstone, für die eine neue Rekonstruktion des kutiert werden, nicht aber der von Brutalität und Grau- malerischen Programms vorgelegt wird, ist das Symbol samkeit geprägte Umgang mit den Fremdvölkern. keineswegs außergewöhnlich. Man nimmt verwundert Während die zeitgenössischen Lobredner wohl auch auf wahr, dass Barbet nicht viel stärker die Umstände be- allerhöchsten Auftrag die Stärke und Entschlossenheit denkt, auf Grund deren das schon in seiner ursprüng- des Herrschers priesen und der rohen Wildheit der Bar- lichen Funktion als apotropäisches Zeichen eingesetzte baren gegenüberstellten, bemühten sich die Historien- Christogramm selbstverständlich auch in den folgen- schreiber schon bald, derartig mit Gewalt verbunden den Generationen als unheilabwehrend verstanden Aspekte in den Hintergrund zu rücken, um ein makel- wurde. loses Bild Konstantins entstehen zu lassen. Engemann Der genannte Beitrag ist leider ein Negativbeispiel zeigt auf, wie Texte und Bildthemen ideologischer dafür, wie im Bereich der Untersuchung antiker Sach- Natur einander bedingten. Als Beispiele werden ge- kultur Quellentexte oft zu wenig hinterfragt werden nannt der Herrscher, der über einen unterlegenen und textkritische Untersuchungen nicht ausreichend Gegner hinweg reitet oder ihn am Haarschopf packt, zur Kenntnis genommen werden. Beispielsweise wer- sowie der siegreiche Feldherr, der mit einem auf den ge- den Bibeltexte wie in längst vergangen geglaubten Zei- bückten Barbaren gesetzten Fuß posiert. Neben diesen ten zur undifferenzierten Deutung von Dekorationsele- Siegesgesten, die als Bild- und Textformeln für viele menten der Malerei herangezogen. Gerade im Rahmen Herrscher allgemein verständlich waren, lobten die der fächerübergreifenden Sichtung während des Kollo- Panegyriker aber auch konkrete Grausamkeiten, wie quiums hätte die Gelegenheit bestanden, das Verhältnis das Schicksal zweier fränkischer Könige, die im Jahr 306 der erhaltenen Texte und Bilder zueinander eingehend wilden Tieren im Amphitheater vorgeworfen wurden. zu besprechen, um hier sachgerechte Aussagen machen Gleichwohl zeichnet sich Konstantin aufs Ganze ge - zu können. Kunstgeschichtler und Archäologen sind sehen im Vergleich zu seinen Vorgängern und Nachfol- auf die Erkenntnisse und Analysen der Althistoriker gern weder durch besondere Brutalität noch durch und Quellenkundler ebenso angewiesen, wie das umge- außergewöhnliche Milde aus. kehrt der Fall ist. Da Nachgeschichte und Überlieferung in modernen Die schon weiter oben formulierte Frage nach dem Biographien historischer Persönlichkeiten inzwischen Ausmaß des christlichen Elements im Selbstverständnis ihren angemessenen Raum erhalten, können in dem Konstantins berührt auch Marianne Bergmanns Aus- Tagungsband auch vier Beiträge der Rubrik ›Rezep - führungen über das Verhältnis von Kaiser und Sonnen- tion‹ nicht fehlen. Lukas Clemens schildert, wie antike gott (S. 143–161). Die starke Präsenz des Sol nicht nur Monumente in Trier, Rom und Konstantinopel wäh- auf konstantinischen Münzen, sondern darüber hinaus rend bestimmter Epochen als authentische Zeugnisse in der Ausrichtung des Konstantinsbogens in Rom auf für Konstantin und seine Familie angesehen wurden eine wuchtige Statue des Sonnengottes sowie in der be- (S. 245–258). Dabei verwundert, dass zwar die histori- kannten Statue in der neuen Hauptstadt Konstanti - schen Mythen entlarvt werden, der wahrhaft moderne nopel, die eine Skulptur des Kaisers als nackter Helios Mythos von der Darstellung der Konstantinsgattin krönte, ist auffällig. Bergmann plädiert dafür, diesen Fausta auf einem Paneel der Trierer Deckengemälde Sachverhalt im Zuge einer allmählich wachsenden dagegen als gesicherte Tatsache vermittelt wird. Die christlichen Weltanschauung des Herrschers vor allem kenntnisreiche Abhandlung zum Wandel des Konstan- im Zusammenhang mit politischen Erwägungen und tinsbildes bei Raffael, Rubens und Pietro da Cortona einer Anknüpfung an vortetrarchische Traditionen zu (Rolf Quednau, S. 273–284) leidet stark darunter, dass interpretieren. Nach dem Jahr 324 habe sich die ur- keinerlei Abbildungen der besprochenen Kunstwerke sprünglich heidnisch konnotierte Anschauung in eine beigegeben sind und daher die Argumentation nur allgemein verstandene Sonnenmetaphorik verwandelt, unter Heranziehung zusätzlicher Tafelwerke nachvoll- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 430

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zogen werden kann. Damit wurde wohl mit Blick auf [Mainz 1992] 260 ff.; zum rheinischen Fundstoff im all- die Druckkosten eine Chance verpasst, denn auf den gemeinen jetzt unverzichtbar U. Müssemeier / E. Nie- besprochenen Bilder wird deutlich, dass die vermehrte veler / R. Plum / H. Pöppelmann, Chronologie der me- Kenntnis antiker Kunst seit der Renaissance zu einer rowingerzeitlichen Grabfunde vom linken Niederrhein »ikonographischen Archäologisierung« geführt hatte. bis zur nördlichen Eifel. Mat. Bodendenkmalpflege Durch wenige visuelle Beispiele hätte die Verbindung Rheinland 15 [Köln 2003]). Bei der Chronologie der zu den Kapiteln über die Sachkultur augenfällig ge- frühchristlichen Grabinschriften beruft sich die Verfas- macht werden können. serin auf die bekannten Studien von Nancy Gauthier Abschließend ist positiv an dem Kolloquiumsband und Winfried Schmitz und konstatiert die bekannten zu werten, dass Aufsätze in vier Sprachen aufgenom- Probleme bei der Einordnung dieser Fundgattung in men wurden, die durch deutsche, englische und fran - die Zeit des fünften Jahrhunderts (S. 26 f.). Umso wich- zösische (warum nicht auch italienische?) Resümees tiger wäre hier der Hinweis auf die beiden Grabin- einem weiteren Publikum verfügbar sind. Über die schriften aus Worms gewesen, die auf Grund zugehö - meist gestrafft gehaltenen Beiträge im eingangs erwähn- riger Grabinventare sicher in das fünfte Jahrhundert ten Ausstellungskatalog hinaus bietet sich damit die gehören (Die Franken. Wegbereiter Europas2. Ausstel- Möglichkeit, ein eingehendes Bild der Diskussion um lungskat. Berlin [Mainz 1997] 870 ff.). Konstantin zu gewinnen und die vielfältigen Literatur- Einer historischen Einleitung (S. 28–36) folgen die nachweise weiter zu verfolgen. analytischen Kapitel des Buches. Das erste behandelt die Einführung des Christentums im Rheinland des Henfenfeld Peter Baumann vierten Jahrhunderts. Zur Frage der Bewertung der un- sicheren Überlieferungslage in Bezug auf die Schriften des Irenäus von Lyon mag sich die Autorin nicht äußern (S. 37) und zählt lediglich die sicheren Quellen zu den Bischöfen des vierten Jahrhunderts auf. Dabei hält sie sich dicht an den Primärquellen, ohne über mögliche Marie-Pierre Terrien, La christianisation de la région Interpretationen zu spekulieren, etwa zu den Wir- rhénane du IVe au milieu du VIIIe siècle. Zwei Bände. kungsorten des Kölner Bischofs Maternus oder dem si- Besançon 2007. 214 Seiten mit 32 Abbildungen und 220 cherlich später erfundenen sogenannten Konzil von Seiten mit 57 Abbildungen. Köln aus dem Jahr 346. Im Gegensatz zu den Schrift- quellen kann aus dem archäologischen Quellenbestand Mit der vorliegenden Publikation legt die Verfasserin des Rheinlandes, außerhalb von Trier, derzeit keine Kir- nunmehr ihre 1998 an der Universität Tours abgeschlos- che oder gar Bischofskirche des vierten Jahrhunderts sene Dissertation über die Christianisierung des Rhein- herausgelesen werden, wie auch die Verfasserin resü- landes vor. Bereits seit 2004 war das Werk als leicht miert (S. 41 f.). Die sehr diffizile und kontrovers disku- überarbeitete Universitätspublikation unter dem glei- tierte Baugeschichte der Trierer »Doppelkirchenanlage« chen Titel gedruckt, allerdings mit geringer Verbrei- mit der Zusammenfassung Gauthiers von 1980 zu be - tung. Jetzt wird eine wiederum bearbeitete und auch legen (S. 43) entspricht entfernt nicht dem Stand der teilweise aktualisierte Fassung ihrer Arbeit veröffent- Forschung (zusammenfassend mit Lit. Ristow a. a. O. licht. Es handelt sich um zwei etwa gleichgewichtige 193 ff.). Bände, einer mit der inhaltlichen Auswertung (Syn- Ausführlichen Raum gibt die Autorin einer mit Ge- thèse, Bd. I), der andere mit dem Katalog (Corpus, winn zu nutzenden kritischen Betrachtung der Über - Bd. II). Behandelt sind die wichtigsten Fundorte mit lieferung zur Legende der Märtyrer der Thebaischen frühchristlichen Quellen aus spätantiker bis frühkaro- Legion (S. 44–63). Keine Berücksichtigung konnte hier lingischer Zeit zwischen dem niederrheinischen Rin- eine Publikation zum Thema aus jüngster Zeit mehr dern im Norden und dem Gebiet um Landau im finden (O. Wermelinger / Ph. Bruggisser / B. Näf / Süden. Nach Westen wurden die Belgica und damit J.-M. Roessli [Hrsg.], Mauritius und die Thebäische auch bedeutende Befunde in der Trierer und Luxem- Legion. Akten Internat. Koll. Freiburg, Saint-Maurice, burger Region ausgespart, die aber an anderer Stelle Martigny 2003. Paradosis 40 [Freiburg im Üechtland ausführlich und aktuell publiziert sind (S. Ristow, Frü- 2005]). Der Analyse der Schriftquellen folgt die Be- hes Christentum im Rheinland. Die Zeugnisse der schreibung der archäologische Befunde. Dabei geht die archäologischen und historischen Quellen an Rhein, Verfasserin beim Bonner Münster von falschen Voraus- Maas und Mosel. Jahrbuch 2006 Rhein. Ver. Denkmal- setzungen aus, da ihr die Neubearbeitung des Materials pflege u. Landschaftsschutz [Köln 2007]). und damit auch die neue Datierung von Bau D in das Der auswertende Teil beginnt mit einer Einführung sechste Jahrhundert noch nicht bekannt sind (Ch. Kel- in die Chronologie des merowingischen Fundstoffs, ler / U. Müssemeier, Die merowinger- u. karolingerzeit- wobei nicht über die achtziger Jahre hinausgegangen lichen Bauten unter der Münsterkirche in Bonn. In: wird und zentrale Beiträge deshalb fehlen (zur Bewer- Archäologisches Zellwerk. Beitr. zur Kulturgesch. in Eu- tung der Kölner Gräberfelder vgl. B. Päffgen, Die Aus- ropa u. Asien. Festschr. Helmut Roth., hg. v. E. Pohl / grabungen in St. Severin zu Köln. Kölner Forsch. 5, 1–3 U. Recker / C. Theune. Internat. Arch. Stud. honoraria 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 431

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16 [Rahden, Westf. 2001] 287 ff.; vgl. auch, obwohl im dem Kölner Dom. Befunde und Funde vom 4. Jahr- Werk von Terrien herangezogen, Ristow a. a. O. 153 ff.; hundert bis zur Bauzeit des Alten Domes. Stud. Kölner zur Problematik jetzt: S. Ristow, Liturgie wo und wann? Dom 9 [Köln 2002]). Zur Deutung der frühen Architekturbefunde unter Der Schlussteil ist den neuen Gemeinden des sechs - dem Bonner Münster. In: Märtyrergrab – Kirchenraum ten und siebten Jahrhunderts gewidmet. Aus der Über- – Gottesdienst II. Interdisziplinäre Studien zum Bon- lieferung leitet die Verfasserin zum sechsten Jahrhun- ner Münsterstift, hg. v. A. Odenthal / A. Gerhards. Stud. dert die Rekonstruktion einer punktuell vorangebrach- Kölner Kirchengesch. [Siegburg 2008] 13 ff.). Auch die ten Christianisierung in der ehemaligen Germania Bearbeitung der Kölner Architektur von Sankt Gereon, prima und auf persönliche Initiative zurückgehende ebenfalls im Mittelalter mit den Thebaern verknüpft, Kirchenbauten an den Kristallisationspunkten dieser liegt jetzt aktuell vor und konnte nicht mehr einge- Aktivitäten ab. Für die ehemalige Germania secunda bunden werden (U. Verstegen, Ausgrabungen und Bau- sieht sie eine stärkere Fortwirkung der romanischen forschungen in St. Gereon zu Köln. Kölner Forsch. 9 Einflüsse und damit verbunden auch eine stärkere Kon- [Mainz 2006]). Ausführlich fällt die Betrachtung tinuität des Christentums seit der Römerzeit (S. 110 f.). der Clematiusinschrift von Sankt Ursula in Köln aus. Dies alles aber bleibt schwerpunktmäßig an den alten Hier wäre ein Abgleich der Argumente mit den von Siedlungszentren nachweisbar. Auf dem Land und in G. Nürnberger, Die Ausgrabungen in St. Ursula zu den fränkischen Gräberfeldern lassen sich kaum Spuren Köln, Phil.-Diss. Bonn 2002 (auf den Internetseiten der des Christentums erkennen. Getragen von der mero- Universität zugänglich) gebotenen Gründen für eine wingischen Elite erscheint eine Christianisierung mit spätere Ansetzung der Inschrift als »probablement caro- flächenhaften Zügen im siebten und der ersten Hälfte lingienne« interessant gewesen. Die Verfasserin ent- des achten Jahrhunderts (S. 129–154). Abschließende scheidet sich für die Theorie, dass die Inschrift eine Kapitel sind dem Bestattungsbrauchtum, Schmuck - ältere Vorlage des sechsten oder siebten Jahrhunderts stücken mit sicher oder zumindest möglicherweise besessen haben könnte, ohne dieses schon länger als ein christlichen Motiven und den Themenfeldern des Jahrhundert umstrittene Zeugnis des nachantiken Köl- germanischen Gefolgschaftswesens im Zusammenhang ner Christentums zwingend chronologisch einordnen mit der Annahme des christlichen Glaubens in entspre- zu können. Undurchsichtig bleibt der Forschungsstand chenden Kreisen gewidmet. zu Sankt Ursula, auf den sich die Autorin bezieht, denn Der Katalogteil gibt in übersichtlich gegliederter einerseits gibt sie die Grabungsaufarbeitung von Nürn- Form die wichtigsten Informationen und verschiedent- berger als im Gange an (Bd. 2, S. 117), verwendet auch lich Pläne zu einzelnen Orten an, die alphabetisch an- seine Phasenpläne (ebd. S. 119, Abb. 36), bezieht aber geordnet sind. Der in der Topographie des Rheinlandes andererseits Nürnbergers Arbeit nicht in ihr Ergebnis- unkundige Leser benötigt zur schnellen Übersicht, an referat ein (vgl. G. Nürnberger, Die frühchristlichen welcher Stelle sich der jeweils katalogisierte Ort befin- Baureste der Kölner Ursulakirche. In: Neue Forschun- det, die Karten und die Tabelle auf den Seiten 208–211. gen zu den Anfängen des Christentums im Rheinland, Zur Erleichterung der Nutzung wären diese besser als hg. v. S. Ristow. Jahrb. für Ant. u. Christentum, Erg.- Beilage mitgeliefert worden. Überhaupt fehlen entspre- Bd., Kl. R. 2 [Münster 2004] 149 ff.). Die Zusammen- chende Ansprachen zusammengehöriger Orte und ge- fassung der spärlichen Reste der Überlieferung zu rhei- meindlicher Zuweisungen. Neben dem Eintrag Köln nischen frühchristlichen Anlagen und der mit ihnen findet sich etwa eine selbständige Nennung von Mün- verbundenen Martyrerverehrung in einer Übersichtsta- gersdorf ohne den Zusatz Köln, die auch in Kartierung belle (S. 70) täuscht wesentlich mehr Exaktheit vor, als und Register so erschlossen ist. Ein Hinweis auf die nach der Quellenlage wirklich gegeben ist. Insofern Lage des Kölner Stadtteils fehlt. Verschiedene Schreib- muss die Frage erlaubt sein, ob dieses aus dem natur- fehler (Birkersdorf statt Birkesdorf) und außer der wissenschaftlichen Bereich entlehnte Instrument an die- Reihe auch französische Einsprengsel (Qualbourg) bei ser Stelle notwendig ist, um Beziehungen oder Unter- Ortsnamen bleiben beim Druck ohne entsprechende schiede zwischen den gerade einmal sieben Beispielen Redaktion nicht aus. Etwas unglücklich erscheint dem aus dem Rheinland aufzuzeigen. Rezensenten die Umsetzung aller Kirchennamen in Der folgende Hauptabschnitt ist der Fragestellung das Französische, da die Verwendung der deutschen nach der Kontinuität und damit verbunden dem fünf- Namen zum Beispiel im Rahmen der Literaturlisten, ten Jahrhundert gewidmet. Nach den Namen auf den in denen natürlich fast ausschließlich deutsche Be - überlieferten Grabinschriften postuliert die Verfasserin zeichnungen vorhanden sind, die schnelle Zuordnung eine Sonderstellung Kölns als Sammelpunkt romani- erleichtern würde. Positiv zu vermerken ist der Schema- scher Kultur im fünften Jahrhundert. Für das sechste tismus, die genannten Quellen in ihrem chronologi- Jahrhundert werden die bekannten Quellen zu den schen Ablauf der historischen Erläuterung voranzustel- Bischofssitzen referiert und im Folgenden die Frage len, ebenso wie die zum Teil sich wandelnden Benen- nach Gräbern in Kirchen erörtert. Nur eingeschränkt nungen von Kirchen im Gang ihrer Überlieferung in berücksichtigt wurde in diesem Zusammenhang die der Überschrift zu präsentieren, beides aus den Bänden Neubearbeitung der frühchristlichen Phasen der Köl- der Topographie chrétienne des cités de la Gaule des ner Domgrabung (S. Ristow, Die frühen Kirchen unter origines au milieu du VIIIe siècle bekannt. Im Übrigen 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 432

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ist die Handlichkeit des Kataloges zu loben; sie wird es Rheinland als dynamische Region mit großem Quel- der französischsprachigen Wissenschaft ermöglichen, lenreichtum wahrgenommen werden wird. die rheinischen frühchristlichen Quellen in kompri- mierter Form leicht zu erschließen. Köln Sebastian Ristow Inhaltliche Schwerpunkte, die auch weiterführendes Material bieten, liegen in der Betrachtung der histori- schen Abläufe und der Heranziehung einer großen Menge – auch nicht zeitgenössischer, also bedeutend späterer verfasster – Schriftquellen zu den aufgenom- menen Orten. Eine neutrale Ansprache der Baube- Günther Moosbauer, Kastell und Friedhöfe der Spät- funde ist nicht immer gegeben. In der Architektur un- antike in Straubing. Römer und Germanen auf dem spezifische Bauten werden als »Kirchen« bezeichnet, die Weg zu den ersten Bajuwaren. Mit einem Beitrag von oft nur wegen darüber liegenden Kirchen mit dieser Mike Schweissing. Passauer Universitätsschriften zur funktionalen Einordnung versehen wurden (etwa Alzey, Archäologie, Band 10. Verlag Marie Leidorf, Rahden Bad Kreuznach, der spätantike Bau von Sankt Severin 2005. 304 Seiten, 66 Abbildungen, 57 Tafeln, 30 Tabel- in Köln oder Sankt Alban in Mainz,). Analog dazu len, 10 Diagramme, 2 Beilagen. werden Apsiden als »Chor« angesprochen, auch wenn von der Autorin selbst die kirchliche Funktion in Zwei- In dieser Habilitationsschrift legt Günther Moosbauer fel gezogen wird. Verschiedene Detailfragen wären auch sämtliche spätantiken Funde und Befunde aus Strau- an die Fundansprache heranzutragen. Nach Ansicht bing vor. Für den osträtischen Grenzort bezieht er bei des Rezensenten geht die Verfasserin fehl, wenn sie der Bearbeitung Ausgrabungen ein, die bis ins Jahr die bekannte sechsstrahlige Fibel aus dem Frauengrab 2000 ausgeführt wurden. Nach einem einführenden 47 von Iversheim (Rheinisches Landesmuseum Bonn Überblick über die Forschungsgeschichte diskutiert er Inv. 60.600e) als »fibule cruciforme« klassifiziert (Bd. 1, zunächst den Fundstoff aus Gräbern und Siedlung. S. 25). Den breitesten Raum nehmen dabei Funde aus den Be- Hinsichtlich der in vielen Fällen fehlenden Aktua- stattungen der Gräberfelder Azlburg 1 und Azlburg 2 lität muss betont werden, dass eine vollständige aktua - ein. Es folgt eine Gräberfeldanalyse mit Gräberfeld- lisierte Neubearbeitung des Textes von 1998 einen chronologie, Untersuchungen zu Graborientierungen, nicht vertretbaren Arbeitsaufwand bedeutet hätte (dazu zu Bestattungs- und Grabformen sowie Skelettlagen vgl. die umfangreichen Aufarbeitungen des rheinischen und zu den Grabausstattungen. Das anschließende Materials bei Ristow, Frühes Christentum a. a. O.; s. a. Kapitel über Herkunft, Alter und Geschlecht der Ver- Von den Göttern zu Gott. Frühes Christentum im storbenen bezieht Angaben aus dem Beitrag von Mike Rheinland, Ausstellungskat. Bonn [Tübingen 2006]). Schweissing ein. Die Darstellung der Grabfunde Vielleicht darf an dieser Stelle auch der Hinweis ge - schließt mit dem Katalog ab. äußert werden, dass die regionalspezifisch ausgewiesene Anschließend werden die spätantiken Siedlungsbe- Bearbeitung einer archäologischen Fundprovinz aus funde vorgestellt, die vor allem bei der Basilika St. Peter einem anderen Land heraus immer ein Wagnis darstellt lokalisierbar sind. Dort wurden unter anderem Reste der und dass dieses Unterfangen, wenn das Buch im Jahr Nordmauer des spätrömischen Kastells nachgewiesen. 1998 erschienen wäre, als überaus gelungen zu bewerten Grab- und Siedlungsfunde werden dann in einer ab- wäre. schließenden Synthese in einen historisch-archäologi- Ein großer Wert des Werkes liegt im Bereich der wis- schen Kontext eingeordnet. senschaftlichen Transferleistung zwischen den in römi- Schweissing stellt in seinem umfangreichen Beitrag scher und merowingischer Zeit zusammenhängenden archäometrische Untersuchungen an Skeletten aus Gebieten des heutigen Frankreich und des linksrhei- Straubing und Neuburg an der Donau vor. Dieser An- nischen Deutschland. Die Rezeption grundlegender satz erlaubt es, mit Hilfe standorttypischer Strontium- Quellencorpora auf beiden Seiten der modernen isotopensignaturen Hinweise über die Herkunft der Sprachgrenze lässt vielfach zu wünschen übrig und Toten zu geben. Neben der Vorstellung der naturwis- kann durch solche Arbeitsvorhaben, wie das hier umge- senschaftlichen Arbeitsmethode, des beprobten Materi- setzte, nur verbessert werden. Selbstverständlich liefert als sowie der archäometrischen Ergebnisse diskutiert das Buch auch verschiedentlich neue Ansätze und zeigt Schweissing eigene Modelle zur Migration der unter- eine eigene Sicht auf die Fragen der Christianisierung suchten, teilweise aus Nordbayern und Böhmen stam- der Region auf. Dies ist umso höher zu bewerten, wenn menden Populationen, die er mit archäologisch be- man berücksichtigt, dass die Ausgangsbasis der bereits gründeten Angaben über die Herkunft dieser Bevölke- 1998 fertiggestellten Dissertation in eine Phase der Auf- rungsteile vergleicht. arbeitung fast aller bedeutenden rheinischen Kirchen- Die archäologische Auswertung von Moosbauer be- grabungen fiel. Von den bei diesen Bearbeitungen neu ginnt mit einem forschungsgeschichtlichen Kapitel zu erbrachten Ergebnissen sind einige auch schon in das Straubing, dem antiken Sorviodurum. Darin gibt er in vorliegende Buch eingeflossen, sodass auch von Seiten straffer Form einen Überblick über die Entwicklung des der französischen frühchristlichen Archäologie das Ortes von der Entstehung des ersten Kastells bis ins 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 433

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Frühmittelalter, der durch eine Einführung in die geo- schen Grabfunde in Südbayern. Münchner Beitr. zur grafische Situation von Straubing selbst sowie dem Vor- und Frühgesch. 14 [München 1971] 45 ff. und 56 näheren Umland einschließlich dem nördlich der Donau ff.) vorzieht, greift zu kurz. So beruht die bei Keller gelegenen Fundplatz Friedenhain abgerundet wird. (S. 45 f. mit Abb. 18) vorgestellte typologische Gliede- Das Fundmaterial aus den Gräberfeldern sowie die rung des Gürtelzubehörs auf den unterschiedlichen Siedlungsfunde von Straubing werden in den einzelnen Formen von Beschlägen und Riemenzungen. Sie ist Materialgruppen gemeinsam behandelt. Aus dem Grä- nicht mit dem Argument des Verfassers auszuhebeln, berfeld Azlburg 1 sind 111 Bestattungen aus 107 Gräbern dass die Datierungen bei Keller (S. 56 ff.) zu sehr auf bekannt, das Gräberfeld Azlburg 2 ist mit 45 Bestattun- münzführenden Gräbern beruhten. Hier vermischt der gen in 43 Gräbern weniger umfangreich. Aus dem Alt- Autor eine typologische mit einer einer absolutchro - stadtgräberfeld stammen sechs weitere spätantike Kör- nologischen Argumentation. Bei den Beschreibungen pergräber. stört die Verwendung eines unpräzisen Ausdruckes wie Die der Materialanalyse zugrunde liegende Gliede- »schwalbenschwanzförmige Riemenzunge« (S. 14 zu rung wirkt nicht völlig stringent, was wohl auf die Abb. 6, 3), wenn eine herzförmige Riemenzunge mit ab- Zusammensetzung des Fundmaterials zurückzuführen gerundeten Enden vorliegt, der Begriff »Beschläg« wirkt ist. Gläser (S. 47 ff.) oder Keramik (S. 50 ff.) werden zu- etwas antiquiert. nächst kurz zusammenfassend vorgestellt, erst dann er- Zu einzelnen Gürtelteilen seien hier noch kurze folgt die Auswertung nach Formen beziehungsweise bei Be merkungen ergänzt. Ein Vergleichsstück zu der der Keramik nach Waren und Formen. Bei Kleidungs- Schnalle mit nierenförmigem Beschlag aus Azlburg 2 zubehör oder Schmuck stehen dagegen gleich einzelne Grab 18 (vgl. S. 14 f. mit Abb. 6, 2) ist in silberner Aus- Materialgruppen wie die Fibeln zur Diskussion. Arm- führung von Ságvár Grab 20 bekannt (A. Burger, The ringe und Fingerringe werden jeweils in einem eigenen Late Roman Cemetery at Ságvár, Acta Arch. Hung. 18, Kapitel behandelt. Dagegen sind unterschiedliche 1966, 99 – 234 bes. 102 u. 202 Fig. 95, 20, 1). Die Schmuckbestandteile wie Ohrringe, Perlenketten und Schnalle aus Azlburg 2, Grab 1 (vgl. S. 15 f. mit Abb. 8.2 Perlen in einem Abschnitt zusammengefasst worden. und Taf. 36,1) ist in die große und variantenreiche Die Untersuchung der Gürtel und des Gürtelzubehörs Gruppe der Tierkopfschnallen mit punzverziertem umfasst auch die erhaltenen Schnallen und Beschläge Rechteckbeschlag einzureihen (vgl. H.-W. Böhme, Ger- von mutmaßlichen Beuteln und Taschen (S. 18 f.). Käm- manische Grabfunde des 4. bis 5. Jahrhunderts zwi- me und Nadeln sind zusammengefasst, wohl weil sie schen unterer Elbe und Loire. Münchner Beitr. zur Vor- aus dem gleichen Material Bein bestehen und mit der und Frühgesch. 19 [München 1974] 69 ff.). Die Grund- Behandlung der Haare in Verbindung stehen. Waffen, form mit zum Beschlag beißenden Tierköpfen und Werkzeuge, Geräte und Beschläge aus Metall sind großer, rechteckiger Beschlagplatte und einige Details trotz unterschiedlicher Verwendungszwecke ebenfalls wie die U-förmigen Zierelemente mit Kreisaugen fin- in einem gemeinsamen Kapitel erfasst. den sich in der Gruppe Hermes-Loxstedt (vgl. Böhme Aus der Fülle des diskutierten Materials sollen hier a. a. O. Taf. 30, 10 aus Liebenau oder Taf. 94, 13 aus nur einige ausgewählte Sachgruppen und Befunde vor- Oudenburg Grab 3; dort endet etwa auch der Dorn in gestellt werden. einem Tierkopfende). In Anbetracht der individuellen Zum Kleidungszubehör der Männer gehören unter- Gestaltung der unterschiedlichen Exemplare und unter schiedliche Zwiebelknopffibeln (S. 7 ff.). Chemische Berücksichtigung der Verbreitung (Fundliste zur Form Untersuchungen an sieben Exemplaren zeigen keine Hermes-Loxstedt bereits bei Böhme a. a. O. S. 366 und signifikanten Werkstoffübereinstimmungen. Die Legie- Karte 15) erscheint der Verdacht auf eine Herkunft aus rungen sind daher offenbar nicht typisch für eine Werk- einer donauländischen Werkstatt noch nicht ausrei- statt, sondern es wurde Rohmaterial unterschiedlicher chend begründet. Die Schnalle ist an einem Niet repa- Zusammensetzung wiederverwendet (S. 11). riert. Diesen Umstand bezieht der Verfasser in die Bei der Einordnung der Gürtelschnallen und -be- Datierung ein und geht von einer langen Verwendung schläge entscheidet sich der Verfasser für ein von Mar- bis in die fortgeschrittene erste Hälfte des fünften Jahr- kus Sommer vorgeschlagenes Gliederungssystem nach hunderts aus. Rechnet man mit einem Datierungs- Sorte, Form, Typus und Variante (vgl. M. Sommer, Die schwerpunkt der Form Hermes-Loxstedt in der zweiten Gürtel und Gürtelbeschläge des 4. und 5. Jahrhunderts Hälfte des vierten Jahrhunderts (vgl. Böhme a. a. O. im römischen Reich. Bonner H. Vorgesch. 22 [Bonn S. 80 Texttafel A), scheint dieser Ansatz auch bei An- 1984]). Das am technischen Aufbau der Schnallen nahme einer langjährigen Benutzung etwas spät. Bei orientierte Gliederungssystem Sommers führt dazu, der Schnalle des Typus Ehrenbürg-Jamoigne aus Azl- dass der Autor (S. 14 ff.) unter Sorte 1, für die ein um die burg 1, Grab 79 wurde offenbar nachträglich ein Gürtel- Achse gebogener Beschlag und eine rechteckige Aus - beschlag hinzugefügt. Der Autor sieht dies ebenfalls als sparung für den Dorn charakteristisch sind, typologisch nachträgliche Reparatur und spricht sich für eine lange unterschiedliche ovale, nierenförmige, dreieckige oder Benutzungsdauer bis weit ins fünfte Jahrhundert aus rechteckige Beschlagformen zusammenfasst. Die Be- (S. 16 f.). gründung, mit der er diesen Ansatz anderen typologi- Einen breiten Raum nimmt die Diskussion des schen Einordnungen (vgl. etwa E. Keller, Die spätrömi- Schmucks ein. Armringe fanden sich in beiden Nekro- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 434

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polen, aus sechsundzwanzig Gräbern liegen neunund- den sind (vgl. etwa den Befund eines Holzkästchens siebzig Stücke vor. Vierundfünfzig bestehen aus Bronze, ohne Metallbeschläge mit Armringen und Nadeln aus vierundzwanzig aus Bein und einer aus Glas (S. 20 ff. Eschweiler-Lohn, dazu G. König / R. Gottschalk, Von mit Diagramm 1). Nach der anthropologischen Unter- bescheidener Pracht. Rhein. Landesmus. Bonn 2/1998, suchung stammen drei Armringe aus Männergräbern. 33–37). In Grab 99 wurden Perlen bei der linken Schul- Bei den Bronzestücken machen Tierkopfarmringe mit ter gefunden, sie sollen zu zwei Ketten gehört haben. dreiundzwanzig und Drahtarmringe mit sechzehn Exem - Perlen und ein Bronzedrahtfragment aus Grab 53 lagen plaren den überwiegenden Teil der Funde aus, zu den im Bereich der Brust, diese Perlenkette befand sich also weniger häufigen Typen gehören sieben Stücke mit fa- in Traglage. cettierten Außenseiten, sechs aus Blech und zwei an- Im Gräberfeldteil Azlburg 1 fanden sich mehrere dere. Die Verteilung in den beiden Gräberfeldern ist Beinkämme. Eine Variante mit profilierten Schmal - nicht gleichmäßig. Der überwiegende Teil der Tier- seiten setzt hier wohl bereits in der zweiten Hälfte des kopf- und der Drahtarmringe stammen aus Azlburg 1, vierten Jahrhunderts ein (S. 38). während alle Armringe mit facettierten Außenseiten in Waffen, Werkzeuge, Geräte, Beschläge und andere Azlburg 2 gefunden wurden. Armringe aus Knochen Gegenstände aus Metall sind in einem Kapitel zu- konzentrieren sich auf wenige Gräber. In Azlburg 1 sind sammengefasst (S. 40 ff.). Intentionelle Waffenbeigaben zwölf Exemplare aus vier Bestattungen bekannt, in Azl- fehlen in den Gräbern. Dem durch einen Pfeilschuss burg 2 stammen zwölf Stück aus einem einzigen Grab. getöteten Mann in Grab 4 steckte die Pfeilspitze in der Die zahlreichen unterschiedlichen Armringe aus den Wirbelsäule (S. 40). Zu den Geräten gehören mehrere Straubinger Gräberfeldern passen sich zwanglos in breitlanzettförmige Messer sowie ein Feuerstahl mit bekannte Typen ein, über die bei genauer anzuspre- ringförmiger Öse. Ein kleines Buntmetallgefäß aus Azl- chenden Stücken die Datierung erfolgt. Im Kapitel zur burg 1 Grab 68 wird auf Grund der Fundlage beim Kinn Chro nologie (vgl. S. 79 ff.) wird zusätzlich herausge- als Becher interpretiert. stellt, dass auch die Anzahl der Armringe für die zeitli- Glasgefäße sind in den Straubinger Gräberfeldern che Einordnung wichtig ist. Von der Zeitstufe B an selten. Bei einer ovoiden Kanne ist der Hals wie bei wurden ein bis zwei Armringe beigegeben, während in Stücken aus Pannonien mit einem dicken Glasfaden Zeitstufe C mehr als zwei Exemplare zur Ausstattung umwickelt; ihr sternförmiger Standring hat eine Paral- gehören. lele im Lorcher Espelmayrfeld (S. 47). Einen zylindri- Fingerringe aus Buntmetall oder seltener aus Silber schen Einhenkelkrug mit faltenverziertem Rand ordnet wurden von Männern wie von Frauen getragen. Die der Autor mit Verweis auf pannonische Exemplare ins Durchmesser der Exemplare aus Männergräbern sind vierte Jahrhundert ein (S. 48 f.). Bei zwei Flaschen mit durchwegs größer als bei den Ringen aus Frauengräbern rundem Gefäßkörper, langem Hals und umgeschlage- (S. 31 Anm. 107). Bei einem Exemplar aus Azlburg 1, nem Rand wird im Text auf Vorkommen in Augst und Grab 18 mit zur Platte hin verbreiterter, seitlich gezack- in Pannonien hingewiesen, die wesentlich weitere Ver- ter Schiene und herhausgefallener Platte handelt es sich breitung auch in den Rheinprovinzen und in Gallien wohl um ein Altstück. Zu einem verbogenen Silberring erschließt sich ansatzweise aus den Anmerkungen (S. 49 mit Querrillen aus Azlburg 1, Grab 87 sind Vergleichs- mit Anm. 174 und 175). Ein Schrägrandbecher mit Rand- stücke vor allem aus dem Barbaricum bekannt. lippe und ein glockenförmiger Becher mit ausgestell- Im Gräberfeld Azlburg 1 liegen aus mehreren Frau- tem, verrundetem Rand stammen aus spätrömischen engräbern weitere Schmuckstücke vor. Dazu gehören Gräbern, erinnern aber bereits an frühmittelalterliche Metallohrringe, einer davon mit Perlenanhänger. Bei Formen (S. 49). Grab 89 lagen zwei ultramarinblaue doppelkonische Bei der Diskussion der Keramik (50 ff.) weist der Perlen rechts des Schädels und eine blauschwarze kuge- Verfasser darauf hin, dass sich Siedlungsware und Funde lige Perle links neben dem Kopf (S. 34 und Taf. 31). Auf- aus den Gräbern unterscheiden. Aus dem Siedlungs- grund des Befundes deutet der Verfasser diese Perlen material von St. Peter stammen Fragmente von sieben als Teile von Ohrringen, deren Metallteile völlig vergan- rädchenverzierten Terra-Sigillata-Schüsseln aus den Ar- gen seien. Da ein Bronzearmreif aus dem gleichen Grab gonnen. Dagegen kommen in Gräbern glatte Argon- jedoch recht gut erhalten ist, scheint dieses Argument nensigillaten vor, es handelt sich um einen Teller aus nicht ganz überzeugend. Die Perlen aus Grab 89 kön- dem Altstadtgräberfeld sowie zwei weitere Teller und nen stattdessen auch zu einer seitlich verrutschten Hals- einen Becher aus dem Gräberfeld Azlburg 2. Aus dem kette gehört haben. Altstadtgräberfeld sind außerdem drei Kegelhalsbecher Bei der rechten Schulter von Frauengrab 18 lagen aus Terra Nigra und einer die Terra Nigra imitierenden Perlen und Verschluss einer Kette zusammen mit Arm- Ware bekannt, von denen die beiden Exemplare aus ringen, einem Fingerring und einer Nadel (vgl. Katalog Grab 24 als lokale Varianten rheinischer Becherformen S. 124 f. und Taf. 6). Diese Konzentration dürfte darauf interpretiert werden (S. 55 f.). Bleiglasierte Ware ist meines Erachtens darauf hindeuten, dass diese Objekte durch ein Gefäßunterteil aus Azlburg 2 Grab 10 vertre- und vielleicht auch ein dort liegendes Unguentarium ten (S. 58). Reibschüsselfragmente, die teilweise Spuren gemeinsam in einem vergangenen Behälter wie einem von Engobe beziehungsweise von Bleiglasur aufweisen, Holzkästchen ohne Metallbeschläge aufbewahrt wor- stammen aus Siedlungsfunden von St. Peter. Auch hier 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 435

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rechnet der Autor mit einer Herkunft aus einer in der Das römische Gräberfeld von Bregenz-Brigantium. Region ansässigen Werkstatt. Bei der Vorstellung der Münchener Beitr. zur Vor- und Frühgesch. 51 [Mün- streifenbemalten Gefäße geht er von einer lokalen Pro- chen 1997]) außerdem die Beigabenlosigkeit bei Frauen duktion in mittelkaiserzeitlicher Tradition aus (S. 58 f. als datierendes Kriterium diskutiert. Vier von zehn bei- und Abb. 25). Hier wäre ein intensiverer Vergleich mit gabenlosen Frauengräbern werden in Straubing von der inzwischen durch zahlreiche Exemplare vertretenen jüngeren Bestattungen überlagert. Als Kennzeichen der streifenbemalten Keramik des Rheinlandes interessant Zeitstufe A schlägt er die Kombination mit einer Aus- gewesen (vgl. B. Liesen, Spätantike bemalte Keramik richtung der Gräber von west nach ost oder westnord- aus Köln. Kölner Jahrb. Vor- u. Frühgesch. 32, 1999, west nach ostsüdost vor. Diese nach Aussage des Autors 787–806). Gerade die weitmundigen Kannen oder auf »schwachen Kriterien« beruhende, »mit äußerster Krüge, die in Straubing im Altstadtgräberfeld und in Vorsicht« vorgenommene Einteilung für die Zeitstufe A Azlburg 2 (vgl. S. 57 Abb. 25, 5; 6; 8) vorkommen, stehen in Azlburg 1 scheint tatsächlich nicht unproblematisch. den rheinischen Formen nahe (vgl. etwa Liesen 788 So sind die Ausrichtungen der Längsachsen der Gräber Abb. 1, 8; 2, 1–3). Streifenbemalte Keramik am Rhein der Zeitstufen A und D vergleichbar. Im Westen der kommt nach 350 n. Chr. nur noch vereinzelt vor, eine Nekropole liegt etwa das in Stufe A datierte beigaben- Datierung, die den Ansätzen aus Straubing nicht wider- lose Grab 100 ungefähr parallel zu dem in D eingeord- spricht (S. 59; Liesen a. a. O. 797 f.). Auf Grund dieser neten beigabenführenden Grab 99. Gleiches gilt auch Ähnlichkeiten sowie der anderen in Straubing nach - für die beigabenlosen Gräber 83 und 86 der Stufe A gewiesenen Importkeramik aus dem Westen scheint es sowie das ebenfalls über Beigaben in Phase D datierte naheliegend, dass die streifenbemalte Keramik des vier- Grab 79 und weitere Bestattungen wie Grab 6 und Grab ten Jahrhunderts in Straubing ebenfalls mit rheinischen 22 im Norden oder für Grab 66 im Osten, welch letzte- Formen in Verbindung steht. Somit zeichnet sich ab, res eine Bestattung aus Stufe A überlagert. Zieht man dass die Bevölkerung von Straubing bis ins vierte Jahr- die Möglichkeit in Betracht, dass es aus anderen Grün- hundert mit Terra Sigillata aus den Argonnen von den, etwa wegen Armut, auch in jüngeren Phasen noch direkten Importen, darüber hinaus wohl bei streifenbe- wenigstens einige beigabenlose Frauenbestattungen malter Ware und Terra Nigra von Anregungen aus den geben kann, sind Folgerungen wie die, dass die Gräber Provinzen am Rhein profitierte. von Stufe D im Zentrum des Gräberfeldes liegen Unter der Keramik des spätantiken Straubing ist (S. 82), nicht in dieser Eindeutigkeit sinnvoll. Bei den nicht nur Drehscheibenware vertreten. Eine handge- beigabenführenden Männerbestattungen ist nur Grab machte Lampe ist möglicherweise vor Ort hergestellt 14 mit einer Zwiebelknopffibel des Typus Pröttel 1 der worden (S. 56). Ein handgemachter Krug, den der Zeitstufe A zuzuordnen. Verfasser nach Form und Ware mit Stücken aus dem Die Zeitstufe B datiert der Verfasser von 330/340 bis frühmittelalterlichen Gräberfeld Straubing-Bajuwaren- 350/360 (S. 80 f.). Frauen sollen seitdem einen bis zwei straße vergleicht, mag ebenfalls aus lokaler Produktion Armringe ins Grab bekommen haben. Grab 60a mit stammen (S. 60). In Grab 60 des Gräberfeldes Azlburg 1 Beigabe zweier Bronzearmringe dient als Grundlage zur fand sich eine handgemachte, ovalfazettierte Schale des Datierung mehrerer parallel von westsüdwest nach ost- Typs Friedenhain-Přešt’óvice, Fragmente weiterer Ge- nordost gerichteter Gräber im südlichen Bereich der fäße dieser Art sind auch aus Siedlungsgrabungen bei Nekropole in dieser Epoche. Unter den über Ausrich- St. Peter bekannt. Im Rahmen der Fundvorstellung tung und Lage in Zeitstufe B eingeordneten Bestattun- stellt der Autor die Forschungsgeschichte dieser Mate - gen (S. 80 und Abb. 31) finden sich jedoch auch Gräber, rialgattung ausführlich vor (62 ff.). Zum Spektrum ger- deren Datierung über die Beigaben nicht in dieser manischer handgemachter Keramik gehören auch die Schärfe abgesichert ist. So ordnet der Autor die Perlen sogenannten spätrömischen Töpfe, von denen ein aus Grab 58 in die letzten beiden Drittel des vierten Exemplar aus Azlburg 1 Grab 27 und Scherben aus dem Jahrhunderts ein (vgl. S. 37), was den Stufen B bis zum Areal bei St. Peter stammen. Vergleichsstücke zu einer Übergang von C nach D entsprechen würde. Im Män- handgemachten, ritzverzierten Flasche aus Azlburg 2 nergrab 45 fand sich außer einem Eisennagel ein buckel- Grab 41 sind aus dem Gräberfeld von Friedenhain be- förmiger Bronzeniet, den der Verfasser mit Nieten aus kannt (S. 68 f.). Basel Aeschenvorstadt Grab 379 vergleicht (vgl. Som- Aus Grab- und Siedlungszusammenhängen liegen mer a. a. O. Taf. 51, 10). Das Grab aus Basel ist mit seiner außerdem Gefäße in Lavezstein vor (S. 73 f.). punzverzierten Gürtelgarnitur und einer Fibel vom Die Gräberfeldanalyse beginnt mit einem Kapitel Typus Keller 5 aber jünger als Zeitstufe B. Bei Grab 88 zur Chronologie. Bei der zeitlichen Gliederung der ein- mit einer Münze hadrianischer Zeit weist der Autor zelnen Nekropolen (S. 78 ff. mit Abb. 31 und 32) stützt darauf hin, dass Altmünzen dieser Art in Bregenz und sich der Verfasser auf die Datierungen der Grabinven- Augst erst im fünften Jahrhundert auftreten (S. 80 mit tare. Diesen stellt er Beobachtungen zu Lage, Orientie- Anm. 322). In der Gruppe der parallel zu Grab 60a rung und Überschneidungen der Bestattungen zur liegenden Toten finden sich also mehrere Bestattun - Seite. Für die in die Jahre von 290/300 bis 330/340 gen, deren Datierungsspielraum deutlich über Phase B gesetzte Zeitstufe A in Azlburg 1 wird unter Bezug auf hinausgeht. Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich die Situation im Gräberfeld von Bregenz (M. Konrad, in dieser Gruppe kein weiteres gleich ausgerichtetes 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 436

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Frauengrab mit einem oder zwei Armringen findet. von nordwest nach südost ausgerichtet sind, während Allerdings ist Frauengrab 89 mit einem einzelnen Bron- Gräber mit dieser Armhaltung in Azlburg 2 meist genau zearmreif anders als andere Gräber aus Zeitstufe B im entgegengesetzt ausgerichtet sind. südlichen Gräberfeldteil, nämlich von nordost nach süd- Die Grabausstattungen variieren stark (S. 103 ff.). In west ausgerichtet. Das Datierungskriterium der Grab- Azlburg 1 weist nur etwa jedes fünfte nachweisbare ausrichtung ist also auch in dieser Epoche angreifbar. Männergrab mit Beigaben auf, in Azlburg 2 dagegen Im Norden des Gräberfeldes sind die meisten Gräber jedes zweite. Zu den auffälligen Unterschieden gehört der Zeitstufe B genau anders gerichtet als im Süden, weiterhin, dass in Azlburg 1 nur ein Mann Gefäßbei - nämlich von westsüdwest nach ostnordost. Der Ver - gaben erhielt, übrigens ein Gebietsfremder, während in fasser hält es für möglich, dass hier zwei Belegungs- Azlburg 2 drei ortskonstante sowie drei Männer unbe- phasen vorliegen, die durch die Beigaben nicht weiter stimmter Herkunft mit Keramik beziehungsweise in differenziert werden können. Zu diskutieren wäre, ob einem Fall mit einem Glasgefäß bestattet wurden. diese unterschiedlichen Ausrichtungen nicht auch auf Bei den Frauen wurden in Azlburg 1 fast zwei Drittel andere Hintergründe wie etwa Bestattungsregionen der Gräber mit Beigaben versehen, in Azlburg 2 sind es zweier unterschiedlicher Familien zurückgehen kön- drei Viertel. In Azlburg 1 fehlt provinzialrömische Kera- nen. mik, die in Azlburg 2 in zwei Bestattungen vorkommt. Bei der von 350/360 bis 390/400 dauernden Zeit- Eine mögliche Entwicklung von der Beigabenlosigkeit stufe C in Azlburg 1 nimmt der Beigabenreichtum wei- der Frauen in Zeitstufe A bis hin zu relativ reich mit ter zu, Frauen erhielten regelmäßig mehr als zwei Arm- Schmuck ausgestatteten Gräbern in den Perioden C ringe. In Männergräbern kommen neben Trachtbe- und D wurde bereits oben diskutiert. standteilen auch Keramikbeigaben vor (S. 81). Die Beigaben der Kinder- und Säuglingsgräber sind Phase D setzt der Autor vom Ende des vierten bis von denen der Bestattungen Erwachsener deutlich in die Mitte des fünften Jahrhunderts an (S. 81 f.). Als zu unterscheiden. Außer Schmuckstücken fanden sich Datierungskriterium nennt er Beigaben, die im späten ältere Metallobjekte, oft Eisen- oder Bronzefragmente. vierten Jahrhundert entstanden sind, aber bereits Be- Gefäßbeigaben fehlen. nutzungsspuren aufweisen. Auch die anthropologische Auswertung lässt Unter- Zu den Beigaben, die in Periode D erstmals vorkom- schiede zwischen den Gräberfeldern Azlburg 1 und men sollen, gehören Kämme mit profilierten Schmal- Azlburg 2 erkennen. In Azlburg 2 liegt der Anteil der seiten. Nach der Einordnung dieser Stücke (S. 38) nach Männer deutlich höher als in Azlburg 1. Darüber hinaus der Mitte beziehungsweise in das letzte Drittel des vier- sind in Azlburg 1 Männer über vierzig Jahre und jüngere ten Jahrhunderts wäre ein Auftreten seit Zeitstufe C Männer in vergleichbarer Anzahl bestattet worden, anzunehmen gewesen. Häufiger als in den vorangegan- während in Azlburg 2 die Zahl jüngerer Männer deut- genen Stufen treten in Phase D Perlenketten in den lich höher liegt und Säuglinge fehlen. Auch fand sich in Schmuckausstattungen der Frauengräber auf. In diese Azlburg 2 im Verhältnis mehr militärisches Zubehör. Spätphase gehört auch ein Gefäß des Horizonts Frie- Der Verfasser schließt daraus wohl zu Recht, dass in denhain-Přešt’óvice. Azlburg 2 der Anteil an Gräbern aktiver Soldaten grö- Das kleinere Gräberfeld Azlburg 2 hat eine kürzere ßer ist als in Azlburg 1. Benutzungsdauer als Azlburg 1 und wurde etwa von Methodisch außerordentlich interessant ist die Ver- der Zeit um 300 bis ins erste Viertel des fünften Jahr- bindung der von Schweissing durchgeführten Stron - hunderts belegt (S. 83 ff.). Die Datierungskriterien tiumanalyse von Zähnen und Knochen zur Bestim- übernimmt der Verfasser modifiziert aus dem Gräber- mung der Herkunft von Individuen aus Straubing und feld Azlburg 1. Neuburg an der Donau mit den Provenienzbestim- Nach der Gräberfeldchronologie stellt Moosbauer mungen nach archäologischen Kriterien (S. 109 ff. und die Grabbefunde vor. Gelegentlich kommen in den Beitrag Schweissing S. 249 ff.). In Azlburg 1 war bei 27 Nekropolen Azlburg 1 und 2 Mehrfachbestattungen vor. Skeletten und in Azlburg 2 bei 14 Skeletten eine Stron- Bei den Einzelgräbern sind unterschiedliche Sargfor- tiumisotopenanalyse möglich, dies entspricht jeweils men (S. 97 ff.) nachgewiesen, darunter Baumsärge. Bei etwa einem Viertel der aus den beiden Gräberfeldern der Herstellung von Bohlenkisten wurden in einigen bekannten Population. Archäologische und archäo - Fällen Eisennägel verwendet, andere wurden mit reinen metrische Herkunftsbestimmungen sind häufig mitein- Holzverbindungen zusammengefügt. Es sind nicht nur ander vereinbar, so sind die Toten aus Azlburg 1 Grab 14 rechteckige Holzsärge dokumentiert, sondern auch ein mit Militärgürtel und Feuerzeug sowie Grab 15 mit trapezförmiger. Die Toten wurden, soweit erkennbar, handgemachter Keramik gebietsfremd. alle in Rückenlage bestattet. Die Lage der Arme ist Allerdings stimmen die mit den verschiedenen Me- unterschiedlich (S. 101 f.). Die Positionierung beider thoden gewonnenen Herkunftsangaben nicht immer Unterarme auf dem Oberkörper wurde nur bei Gräbern überein. Bei einigen der nach archäometrischen Krite- beobachtet, die der Autor in die Zeitstufen C und D rien ortstreuen Individuen in Azlburg 1 finden sich ar- datiert. Besonders häufig kommt die Lage mit beiden chäologische Hinweise auf elbgermanische Zusammen- Händen im Becken vor, wobei diese Bestattungen in hänge. So wurde in Grab 27 ein handgemachter soge- Azlburg 1 meist von westsüdwest nach ostnordost oder nannter Spätrömischer Topf beigegeben, in Grab 70 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 437

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fand sich ein Feuerzeug und in Grab 89 ein Kolben - bestimmung als außerordentlich nützliches Verfahren. armring. Die bestimmbaren Skelettreste aus Azlburg 2 Eine Abweichung von Strontiumisotopen der Knochen stammen alle von ortskonstanten Individuen. Aus und Zähne von regionalen Isotopensignaturen kann Grab 3 mit einer handgemachten Keramikflasche und jedoch nur bei einer Herkunft aus einem Gebiet mit Grab 11 mit einem Kolbenarmring sind dort ebenfalls abweichenden geologischen Voraussetzungen vorliegen. Befunde bekannt, bei denen zwar archäologische Hin- Die Strontiumosotopenanalyse bestätigt die archäo lo - weise auf eine germanische Herkunft vorliegen, die gische Ansprache eines Gebietsfremden nur dann, wenn archäometrischen Ergebnisse aber keine Abweichung diese Voraussetzung erfüllt ist. Bei einer hypothetischen von lokalen Strontiumisotopensignaturen zeigen. Zuwanderung aus einer Region mit vergleichbarer Iso- Auch im zum Vergleich herangezogenen Gräberfeld topenzusammensetzung, wie sie etwa nördlich der Donau von Neuburg an der Donau stimmen neu gewonnene bei Neuburg vorkommen (vgl. S. 223 sowie die Isoto- archäometrische und bereits bekannte archäologische pensignaturen für Böden in Bayern, Beitrag Schweissing Hinweise (vgl. Beitrag Schweissing S. 265 ff. sowie S. 259 Abb. 2), wäre eine Migration mit der gewählten zur Vorlage der Gräber E. Keller, Das spätrömische Grä- archäometrischen Methode nicht nachweisbar. berfeld von Neuburg an der Donau. Materialh. zur Eine kurz nach der Migration am neuen Wohnort Bayerischen Vorgesch., Reihe A, Band 40 [Kallmünz/ geborene Generation von Zuwanderern ist bereits nicht Opf. 1979]) auf eine Herkunft der Toten bei zahlrei - mehr mittels Strontiumisotopenanalyse nachzuweisen chen Bestattungen überein. Wie in Straubing sind zu - (Schweissing S. 255 ff.). Wenn solche Personen noch an dem Gräber nachzuweisen, in denen nach der Stron - fremden Beigaben- oder Grabsitten festhalten, ergibt tiumsignatur ortstreue Individuen gemäß archäologi- sich ebenfalls eine Diskrepanz zwischen archäologi- schen Kriterien als Germanen interpretiert werden schen und archäometrischen Herkunftsangaben. Da in könnten. Zusätzlich sind dort noch gebietsfremde Indi- Neuburg Zuwanderungen im Kindesalter erfolgten viduen mit rein provinzialrömischen Beigaben nach- (vgl. Beitrag Schweissing S. 287), mögen hypothetische weisbar. jüngere Geschwister dieser als Kind zugewanderten Aus den Diskrepanzen von archäologischen und ar- Germanen nach archäometrischen Ergebnissen durch- chäometrischen Hinweisen auf die Herkunft einzelner aus als ortstreu bestimmt worden sein. Traditionelle Bei- Personen zieht der Autor verschiedene Schlüsse. Er gaben- und Bestattungssitten wurden im neuen Lebens - macht deutlich, dass eine ethnische Zuweisung von In- bereich nicht zwangsläufig schon in der Einwanderer- dividuen in einzelnen Gräbern über fremde Beigaben generation aufgegeben und daher können auswärtige kritisch gesehen werden muss. Solche Kleinfunde könn- Beigaben oder Grabsitten dagegen durchaus auch bei ten demnach als Zeichen eines fremden Kultureinflus- Individuen auftreten, die nach der archäometrischen ses auf Zuwanderung zurückgehen, müssen dies jedoch Methode nur als ortskonstant bestimmbar sind. Der nicht. Einzelne Gegenstände wie der Kolbenarmring Beweis, dass einzelne fremde Grab- oder Beigabensitten aus Azlburg 2 Grab 11 mögen Eingang in die allgemeine, durch eine einheimische Bevölkerung übernommen also auch provinzialrömische Mode der Spätantike ge- worden wären, scheint hier also durch archäometrische funden haben. Archäologisch seien Zuwanderer nicht Untersuchungen von wenigen Individuen noch nicht unbedingt von Ortsansässigen, die teilweise Tracht und erbracht. Ausrüstung der Zugewanderten übernommen hätten, In den untersuchten Gräberfeldern sind außerdem zu unterscheiden. Bei archäometrisch bestimmten Ge- Gebietsfremde nachweisbar, die nach ihrer Beigaben- bietsfremden finden sich zwar in einigen Fällen nicht- ausstattung von der einheimischen Bevölkerung nicht römische Beigaben- oder Grabsitten, manchmal fehlt zu unterscheiden sind, also nach archäologischen Krite- bei ihnen aber auch jedes archäologische Indiz für eine rien akkulturiert sind. Hier bietet der Vergleich von Zuwanderung. Damit seien rein archäologisch heraus- archäologischen und archäometrischen Ansätzen unter gearbeitete Kulturkreise oder Kulturzonen nicht an eine Umständen neue Differenzierungsmöglichkeiten. So Ethnie gebunden. Innerhalb eines Gräberfeldes sei es kann Schweissing (vgl. S. 274) aufgrund von Strontium - nicht statthaft, die Herkunft der Population ganzer analysen in Neuburg gegenüber den mittels Analyse der Gräbergruppen über die ethnische Einordnung einiger Grabzusammenhänge erkannten Germanen eine zu- Bestattungen zu bestimmen. sätzliche gebietsfremde Frau, aber gleich zehn zusätz - Der archäometrische Ansatz bietet eine Möglichkeit, liche gebietsfremde Männer bestimmen. Damit scheint Fragen zu Migrationen unabhängig von archäologischen sich anzudeuten, dass in Neuburg Männer stärker ak- Aussagemöglichkeiten zu erörtern. Nach den Ergeb - kulturiert sind als Frauen beziehungsweise dass die hier nissen der vorliegenden Untersuchung ist Moosbauers angelegten archäologische Kriterien für ›einheimische‹ kritische Sichtweise auf die Ergebnisse einer rein archä- Männergräber zu überprüfen sind. ologischen Herkunftsbestimmung zwar erklärbar, ich Die Auswertung bezüglich Migrationen wird durch hätte mir an dieser Stelle noch eine intensivere Diskus- den Umstand eingeschränkt, dass lediglich ein Viertel sion gewünscht. der Toten von Neuburg an der Donau und Straubing Die Strontiumisotopenanalyse erweist sich für die archäometrisch untersucht werden konnte. So sind in bearbeiteten Gräberfelder sowohl als Kontrollinstru- Azlburg 2 über Strontiumsignaturen ausschließlich orts- ment wie auch als eigenständiger Weg zur Herkunfts- konstante Personen nachweisbar. Aus Grab 1 mit einem 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 438

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Militärgürtel, aus Grab 5 mit einer Eisenschnalle (wohl und Strontiumanalysen nachweislich nicht nur Män- zu Skelett 5 a) und aus Grab 41 mit einer handgemach- ner, sondern auch Frauen zugewandert sind, war der ten ritzverzierten Flasche liegen lediglich archäologi- römische Militärdienst nach Auffassung des Autors sche Indizien für mögliche germanische Bestattungen nicht Hauptgrund der Migration (S. 223). Hier ist je- vor, Strontiumisotopenanalysen fehlen für diese Indi- doch darauf hinzuweisen, dass in Gräberfeldern etwa in viduen. In Azlburg 2 können aufgrund des geringen Nordgallien (auch in Bestattungsplätzen von Kastellen) Probenumfangs also trotz fehlender archäometrischer neben traditionell germanisch interpretierten Waffen- Nachweise durchaus ortsfremd gebürtige germanische gräbern auch Frauen mit germanischem Trachtzubehör Zuwanderer bestattet worden sein. nachzuweisen sind und daher offenbar Söldner mit ihren Archäologische und archäometrische Untersuchun- Familien einwanderten (vgl. Böhme a. a. O. 166 ff. mit gen liefern in den untersuchten Gräberfeldern häufig tabellarischer Zusammenstellung von Waffen- und Frau- gleiche Ergebnisse für die Herkunft der Toten. Eine enfibelgräbern in mehreren Gräberfeldern; 67 Abb. 56). solche Übereinstimmung kann weitergehende Schlüsse Da in Gestalt des Mannes aus Azlburg 1 Grab 14 (Zwie- ermöglichen. So ist in Azlburg 1 der Tote aus Grab 14, belknopffibel) ein im Erwachsenenalter zugewanderter ein im Erwachsenenalter zugewanderter Mann der Mann mit Militärzubehör schon in Zeitstufe A bekannt Zeitstufe A, mit einem Feuerzeug als germanischem ist und zudem viele Bestattungen archäometrisch nicht Indiz sowie mit Zwiebelknopffibel und Gürtel als Mili- auswertbar waren (vgl. oben), sollte der Militärdienst tärzubehör ausgestattet worden. Die Bestattung bietet der Männer als wichtiger Migrationshintergrund wei - also einen durch unabhängige Methoden abgesicherten terhin in Betracht gezogen werden. Hinweis darauf, dass in Straubing bereits früh mit der Nach dem Juthungeneinfall von 357/58 und weiteren Anwesenheit germanischer Söldner zu rechnen ist. historisch überlieferten Alamannenstürmen wurde die Spätantike Siedlungsbefunde wurden vor allem im Grenze in valentinianischer Zeit verstärkt. Für das Grä- Kastellbereich auf einem Geländesporn bei der Basilika berfeld Azlburg 1 lässt sich in dieser Zeit (ZeitstufeC) St. Peter angeschnitten. Unter dem Gebäude selbst ein Zuzug von Germanen nachweisen. Da im stärker wurden Kulturschichten mit spätantiken Kleinfunden militärisch geprägten Gräberfeld Azlburg 2 über Stron- dokumentiert. Bei Grabungen im Norden der Kirche tiumanalysen nur ortskonstante Individuen nachweis- konnten Reste der nördlichen Kastellmauer mit einem bar sind, geht der Verfasser davon aus, dass keine neue mutmaßlichen Durchlass oder Tor nachgewiesen wer- Truppe in Straubing stationiert worden sei. den. Parallel zur Mauer wurden Pfostensetzungen be- Im fünften Jahrhundert lassen sich in Straubing und obachtet, bei denen es sich vermutlich um Reste eines in Neuburg an der Donau Zuwanderer nicht nur archä- Wehrganges handelt. Aussagekräftige Befunde der ologisch, sondern auch über Strontiumanalysen nach- Innenbebauung fehlen. Aus Vergleichen mit der Topo- weisen. Es war sogar die Bestimmung Ihrer Herkunft graphie und Architektur und den Münzreihen anderer aus Nordbayern und Böhmen möglich. Da in den unter- Kastellgründungen schließt der Verfasser auf eine Er- suchten Gräberfeldern auch ortstreue Individuen vor- richtung des Lagers unter St. Peter in den Jahren zwi- kommen, handelt es sich um eine Mischbevölkerung. schen 294 bis 300 n. Chr. Verbrannte Münzen deuten Soweit eine lokale Bevölkerungskontinuität besteht auf Schadenfeuer in der Zeit um 300 und um die Mitte (der Autor weist hier auf die Nekropolen Straubing- des vierten Jahrhunderts hin. Nicht gesichert ist, ob der Alburg und Straubing-Bajuwarenstraße hin, vgl. S. 232 zweite Brand auf den Juthungeneinfall 357/58 zurück - mit Anm. 664), geht diese Mischbevölkerung während zuführen ist. Die Münzreihe mit einer 411/13 geprägten des Frühmittelalters im Stamm der Bajuwaren auf. Siliqua als Schlussmünze weist eine Besiedlung des Im Beitrag zur Archäometrie stellt Schweissing zu- Areals bis ins fünfte Jahrhundert nach. Im Westen der nächst die Strontiumisotopenanalyse als Methode zur Peterskirche befand sich ein Grubenhaus, das nach - Herkunftsbestimmung vor. Für Bayern als Bearbei- kastellzeitlich datiert wird. tungsraum bietet sich die Methode auch deswegen an, In einer kompakten Synthese ordnet der Autor da hier relativ scharf umgrenzte geologische Regionen anschließend die Situation in Straubing in die archäo- mit unterschiedlicher Strontiumisotopenzusammen- logisch-historische Situation der Spätantike ein. Die setzung vorliegen. Nach einer Vorstellung des zu bepro- Provinz Rätien wurde nach 297 n. Chr. geteilt. Die benden Materials und des Analyseverfahrens folgt die Legio III Italica wurde in mehrere Abteilungen aufge- Vorstellung der Ergebnisse für die einzelnen Gräber- spalten, zusätzliche neue Einheiten in den Kastellen am felder. Donau-Iller-Limes stationiert. Für Straubing geht der Bei der Interpretation in Bezug auf Migration stellt Verfasser auf Grund der topographischen Situation und Schweissing heraus, dass in Neuburg der Anteil gebiets- eines bei St. Peter gefunden, bislang singulären Ziegel- fremder Frauen mit gut der Hälfte (56 Prozent) höher stempels der Legio III Italica davon aus, dass hier in als bei gebietsfremden Männern mit deutlich über spätrömischer Zeit ein Detachment dieser Einheit sta- einem Drittel (37 Prozent). Als mögliche Ursache sieht tioniert wurde. Eine Blüte des Ortes in der konstanti- er Exogamie von Frauen, die wohl aus wirtschaftlichen nischen Epoche habe einen wirtschaftlichen Anreiz Gründen in ein anderes Gebiet heirateten. Die nachge- für Zuwanderer aus dem böhmischen Gebiet geboten. wiesenen Zuwanderungen lagen bei den Verstorbenen Da nach dem Befund von Geschlechtsbestimmungen aus Neuburg bereits lange Zeit zurück, wahrscheinlich 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 439

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wenigstens zwei Jahrzehnte; diese gebietsfremden Per- gleichbaren methodischen Ansätzen immer wieder von sonen wanderten bereits in ihrer Kindheit ein (S. 285 ff. Interesse sein. bes. S. 287). Der hohe Frauenanteil und der fehlende Nachweis von erst im Erwachsenenalter zugezogenen Düsseldorf Raymund Gottschalk Männern sei möglicherweise ein Hinweis darauf, dass Germanen auch ohne direkten Bezug zur römischen Armee in das Gebiet südlich der Donau eingewandert seien (vgl. jedoch bereits oben zum Beitrag Moos- bauer). Für Neuburg bleibt zudem die Frage nach dem Ivan Mikulčić, Spätantike und frühbyzantinische Be- Verbleib der Eltern der jung eingewanderten Kinder festigungen in Nordmakedonien. Städte – Vici – Re- und damit nach der ersten Zuwanderergeneration offen. fugien – Kastelle. Veröffentlichung der Kommission Bei einer angenommenen Exogamie wäre auch zu er - zur vergleichenden Archäologie römischer Alpen- und örtern, warum die hier festgestellte Migration bereits Donauländer der Bayerischen Akademie der Wissen- im Kindesalter erfolgte und die Kinder nicht erst nach schaften. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühge- Verheiratung und Auswanderung der Frauen am neuen schichte, Band 54. Verlag C. H. Beck, München 2002. Wohnort geboren wurden. 508 Seiten, 410 Abbildungen, 7 Beilagen. Während in Azlburg 2 nur ortstreue Individuen nachweisbar sind, sind in Azlburg 1 von siebenund- In der siedlungsarchäologischen Betrachtung der by- zwanzig untersuchten Individuen vier gebietsfremd. zantinischen Kerngebiete und ihrer angrenzenden Nach- Der Anteil von Frauen ist dabei nur etwa halb so hoch barregionen kann die Forschung bislang auf eine wie bei den Männern, was von Schweissing im Ver- qualitativ sehr unterschiedliche Publikationslage zu- gleich zu Neuburg mit möglichen Unterschieden in rückgreifen. Dies betrifft insbesondere den Mangel an Bezug auf die Aufnahme von Fremden begründet wird. Überblicksarbeiten größerer Siedlungsräume bis hin zu In Anbetracht der geringen Zahl bestimmter Indivi- einer umfassenden Betrachtung der Provinzen des spät- duen scheint das Ergebnis jedoch statistisch kaum aus- römisch-frühbyzantinischen Reiches im Zeitraum von sagekräftig. der Spätantike bis zur spätbyzantinischen Zeit, woraus In der archäometrischen Abschlussbewertung wird vor allem im Hinblick auf das einschlägige Fundmate- noch einmal die betont, dass die Herkunft germani- rial ein vergleichsweise überschaubarer Forschungs- scher Söldner aus Nordbayern und Böhmen nachge- stand resultiert. wiesen werden konnte. Ein Teil der Bevölkerung weist Umso wichtiger ist die vorliegende Arbeit von Ivan lokaltypische Strontiumsignaturen auf, Personen aus Mikulčić zu bewerten. Georg Kossack und Günter zentralrömischem Gebiet waren nicht nachweisbar. Als Ulbert bringen dies im Vorwort des Buches deutlich Ausblick weist Schweissing darauf hin, dass bei zukünf- zum Ausdruck. Auch wenn in jüngerer Zeit Arbeiten, tigen Untersuchungen auch Isotope anderer chemi- wie etwa zuletzt die beispielhafte Vorlage von Hansgerd scher Elemente zu einer differenzierteren Herkunfts - Hellenkemper und Friedrich Hild ›Lykien und Pam- bestimmung herangezogen werden können. phylien‹ (Tabula Imperii Byzantini Band 8 [Wien 2004]) Die vorliegende Arbeit stellt einen wichtigen Schritt oder von Ludmila G. Khrouchkova ›Early Christian für die Erforschung des spätantiken Straubing und monuments in the Black Sea Coast Region‹ (Moskau für die Diskussion von Wanderungsbewegungen und 2002) dies punktuell verbessert haben, ist man doch Bevölkerungsveränderungen in Rätien dar. Gerade in nach wie vor auf das Studium kleinerer und kleinster Bezug auf Migrationen und ethnische Interpretierbar- Grabungsberichte angewiesen, um einen Überblick keit archäologischer Funde, die in der frühgeschicht- über siedlungsdynamische Prozesse oder die infrastruk- lichen Forschung intensiv erörtert werden, eröffnete turellen Gegebenheiten der jeweiligen Großregion zu der gewählte Ansatz die Möglichkeit neuer, differen- gewinnen. zierter Ansätze. Für Teile der Populationen von Strau- Das vorliegende Buch erschließt den Denkmäler- bing und dem Gräberfeld von Neuburg mit elbgerma- bestand und die historischen Quellen spätantiker und nischen Charakteristika konnte ein Zuzug aus Nord- frühbyzantinischer befestigter Siedlungen im Gebiet bayern und Böhmen nachgewiesen werden. Wenn bei des nördlichen Makedonien. Räumlich wird damit das anderen Teilen der Bevölkerung die traditionelle archä- heutige Staatsgebiet Mazedonien abgedeckt, also vor- ologische Herkunftsbestimmung gegenüber derjenigen nehmlich der Bereich der antiken Provinz Macedonia mittels Strontiumisotopenanalyse nicht übereinstim- Salutaris beziehungsweise Macedonia II., mit den Rand - men, sind weitere Überlegungen erforderlich. Die unter- bereichen der Nachbarprovinzen. schiedlichen hier gegeneinander abgewogenen Erklä- Der Verfasser stellt einen Befund von außerordent- rungsmodelle – etwa die vom Verfasser erwogene Über- licher Qualität im Sinne der Dichte und des Erhal- nahme ›fremder‹ Beigaben durch die einheimische tungszustandes vor; dies verdeutlicht allein schon der Bevölkerung beziehungsweise die oben ergänzend erör- umfangreiche Katalog des Bandes gemeinsam mit den terte Beibehaltung von traditionellen Grabausstattun- ausführlichen Kartenbeilagen. gen seitens einer schon am neuen Wohnort geborenen Die Einleitung formuliert den Anspruch des Wer- Zuwanderergeneration – werden für Arbeiten mit ver- kes, zivile wie militärische Anlagen, Siedlungen und 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 440

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Höhensiedlungen sowie Kastelle katalogartig zu erfas- tanregionen in Verbindung mit den archäologischen sen und antiquarisch einzuordnen. Über das Heraus- Belegen spätantiker Bergbautätigkeit in Mitteleuropa, arbeiten eponymer Verbindungen zwischen archäologi- den Mittelgebirgsregionen und Alpenräumen, aus Spa- schem und historischem Befund legt die Arbeit einen nien oder auch dem Iran vor (vgl. auch M. Chronz, Der Schwerpunkt auf die Klärung des Grenzverlaufs und Bergbau in byzantinischen Texten. Ber. d. geol. Bundes- des Straßensystems der ehemaligen Provinzen von spät- anstalt [Wien] 35, 1996, 67 ff.). Interessant wäre hier die antiker bis frühbyzantinischer Zeit. Allein dies ist ein Frage nach der Nutzungsdauer bis in frühbyzantinische hoher Anspruch, erwartet man doch bei der Grund - Zeit, um aus wirtschaftsgeschichtlicher Sicht für das lagenarbeit zum Katalog sowohl Vollständigkeit als auch fünfte und sechste Jahrhundert mögliche Aussagen zu Detailgenauigkeit. Gleichzeitig wird damit der Cha - Prosperitäten oder eben degressiven Entwicklungen tref- rakter des Werkes deutlich: eine Mischung aus archäo- fen zu können. lo gischer und historisch-geographischer Methode, die Darauf folgt auch forschungsgeschichtlich mit ›Spät- besonders im Katalogteil zu spüren ist. Durch die un- antike Stadtgründungen‹ (51 ff.) eines der wesentlichen mittelbare Verknüpfung beider Methoden fällt die Be- Kapitel des Bandes. Ausgehend von der tabellarischen wertung im Einzelfall schwer, will man nicht umfäng- Zusammenstellung frühkaiserzeitlicher bis spätantiker lich die zugrunde liegende Primäredition der Quellen sowie frühbyzantinischer Städte zeigen stichpunktartige zu den einzelnen Fundorten parallel studieren. Überprüfungen anhand des Kataloges, dass hier ein Die Bemerkungen zum Kirchenbau, die eine Zahl von belastbarer und genau recherchierter Gesamtbefund mehr als zweihundert Architekturkomplexen aufführen, dargestellt wird. Eine im Sinne der Vollständigkeit ver- finden ihre Ergänzung in einem eigenen auswertenden gleichbare Synthese gibt es bislang mit Ausnahme der Kapitel zu den christlichen Kultgebäuden (S. 69 ff.). bereits zitierten Arbeit zu Lykien und Pamphylien so Dies ist insofern gut und wichtig, als der Katalog das von keiner anderen spätantiken Provinz. Versprechen, unterscheidende Kriterien zwischen spät- Ein Detailproblem der Forschung diskutiert der antiken und frühbyzantinischen Kirchenbauten sowie Verfasser ausführlich in Gestalt der Identifizierung der unterschiedlichen Ausstattungen etwa an Bauplastik antiken Stadt Justiniana Prima, wobei er die Gleichset- darzustellen, nur vereinzelt einzulösen vermag. zung mit Cari in Grad auf Grund deren begrenzter Im Kapitel ›Forschungsgeschichte und Forschungs- Größe – die allerdings durch die Topographie vorgege- stand‹, das knapp und wertungsfrei die Desiderate der ben ist –, der im Befund nicht nachweisbaren, bei Pro- Forschung herausstellt, wird die Schwierigkeit des Unter- kopios aber genannten Repräsentationsbauten und vor fangens deutlich, war der Verfasser doch gezwungen, auf allem auch wegen der peripheren Lage im Nordwesten Grund der heterogenen Quellenlage beziehungsweise der Dacia Mediterranea ausschließt. Er präferiert hier, auch der Unterschiedlichkeit der zugrunde liegenden durchaus in Anlehnung an Argumente Carolyn S. Sni- örtlichen Grabungsberichte in größerem Umfang Neu- velys (RAC XIX [2001]), auf Grund der dichten Abfolge vermessungen, topographische Aufnahmen und Bau- der Kirchenbauten die Lokalisierung eines Bischofs - aufnahmen sowie Dokumentationen am erhaltenen Be- sitzes, während er das antike Scupi (Skopje) aufgrund fund der Altgrabungen vorzunehmen. seiner geographischen Lage, der Disposition zweier Anhand der gut überlieferten Militärgeschichte mit stark befestigter Kastelle im Vorfeld der Stadt und der gesicherten historisch belegten Zerstörungswellen in umfangreichen Befestigung der Oberburg in justinia- Makedonien, so etwa der Auswirkungen des späten nischer Zeit als die eigentliche Gründung Justinians I. vierten Jahrhunderts um die Schlacht von Adrianopel ansieht. Damit bleibt allerdings der planmäßige und oder dann wieder der hunnischen und ostgotischen In- repräsentative Charakter von Cari in Grad (mit der vasionen der zweiten Hälfte des fünften Jahrhunderts, imposanten Kolonnadenstrasse) als Neugründung des wie auch am Zug der Hunnen und Kutriguren um 540 frühen sechsten Jahrhunderts ebenso unberücksichtigt arbeitet der Verfasser im Kapitel ›Organisation und wie die Möglichkeit, dass der bei Prokop angedeutete Geschichte‹ überzeugend die Auswirkungen an den je- städtische Charakter mit einer reichen Ausstattung an weiligen Orten und Befunden heraus. öffentlichen Bauten auch als Topos verstanden werden Die Verbindung zwischen historischen Quellen – im könnte. Einzelnen wesentlich der Notitia Dignitatum, des Geo- In Abgrenzung zu den Städten folgt die Behandlung graphen von Ravenna, natürlich der wichtigen Quelle der ›Befestigten ländlichen Siedlungen‹ (57 ff.) sowie der Prokopios von Caesarea und dem Itinerarium Burdiga- Refugien beziehungsweise Fluchtburgen, also Anlagen lense für das vierte Jahrhundert – und archäologischem mit überwiegend fortifikatorischem Charakter, im Ein- Befund bleibt auch für die Abschnitte ›Straßen‹ (30 ff.) zelnen insbesondere Vici und befestigte Höhensiedlun- und ›Siedlungen‹ (38 ff.) schlüssig und nachvollziehbar. gen, wobei nun folgendes Problem manifest wird: An- Hilfreich für den Leser wäre eine genauere Verortung hand der Tabellen 1–3 und der Katalogbeiträge wird die der unübersichtlichen Karte Abb. 1 gewesen. Trennung beider Klassifizierungen, also der Höhenbe- Das Kapitel ›Wirtschaft‹ (48 ff.) beinhaltet wesent- festigungen und der Fluchtburgen, weder in funktiona- liche Aussagen zum spätantiken Bergbauwesen anhand ler Hinsicht noch topographisch nachvollziehbar. der Lokalisierung der Erz- und Edelmetallminen. Ver- Diese Irritation zieht sich durch das gesamte Kapitel gleichbare Kontinuitäten liegen auch aus anderen Mon- ›Die Siedlungen‹ (S. 50 ff.), das nun mehrfach Über- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 441

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schneidungen aufweist, die sich auch in den Tabellen Die Entwicklung des heutigen Bitola, des antiken wiederfinden, ohne dass die zugrundeliegenden typolo- Heracleia Lyncestis, das möglicherweise auf eine helle- gischen Trennungen klar werden. nistische Gründung zurückgeht, ist anhand der Topo- Ein Grundproblem besteht bereits darin, dass unter graphie und einer ausführlichen Grabungs- und For- dem übergeordneten Thema ›Organisation und Ge- schungsgeschichte gut nachvollziehbar. Innerhalb der schichte‹ nun bereits die archäologischen Befunde zi- Befestigungsanlage mit wenigstens zweifacher Erweite- tiert werden, weshalb man nicht begreift, warum die rung entstand zunächst eine wohl noch profane Bau- ›Militäranlagen‹ (S. 63 ff.) nicht unter dem folgenden phase im frühen vierten Jahrhundert, dann die Bischofs- übergreifenden Kapitel ›Die Befestigungen‹ vorgestellt residenz des späten fünften Jahrhunderts nach einer werden. Dies hat zur Folge, dass etwa die Kastelle und deutlichen Zäsur mit einer Zerstörungsschicht der Jahr- die Refugien sowohl in den Tabellen 7 und 8 mit dem hundertmitte, die bis in das späte sechste Jahrhundert numismatischen Befund wie auch noch einmal, nun überdauert. Einzelfunde wie die abgebildete Gürtel- aber selektiv und richtigerweise nach Funktionsberei- schnalle vom Typ Sucidava repräsentieren gemeinsam chen gegliedert, unter den ›Wehranlagen‹ (S. 91 ff.) be- mit dem Münzspektrum (bis Mauricius Tiberius) sehr handelt werden. anschaulich diese jüngste Phase der Stadt. Hilfreich ist die Übersicht ›Sakrale Einrichtungen Ebenso vorbildlich ist die Zusammenfassung des Be- und Zeugnisse des Christentums‹ (S. 69 ff.), die in kon- fundes von Gradsko, besser bekannt als das antike Stobi ziser Form und bereichert durch gliedernde und aus - im Bezirk Titov Veles, an der wichtigen Fernstraße von sagekräftige Tabellen die unterschiedlichen Typen der Ceramiae (Herakleia) nach Serdica (Pantalia) gelegen. Kirchenbauten für die Spätantike und die frühbyzanti- Hier wird der komplexe Befund mit einer detaillierten nische Zeit erläutert. Dabei wird deutlich, dass sich Beschreibung des städtischen Gesamtorganismus vor- die Datierung der Kirchenbauten in den meisten Fällen gestellt, insbesondere die den antiken Stadtplan über- auf konkrete Grabungsbefunde, datierende Kleinfunde prägenden Kirchenbauten des vierten bis sechsten Jahr- und die Ausstattung der Kirchen mit Baudekoration hunderts, beginnend mit der Bischofskirche der Mitte und Mosaikböden stützen kann. des vierten Jahrhunderts und den auch im archäologi- Die Auswahl der Kleinfunde (S. 107 ff.; ›Ausgewähl- schen Fundgut klar erkennbaren Zerstörungshorizon- ter Fundstoff‹) ist selektiv und im Grunde für keine der ten des Hunneneinfalls im Jahr 447 sowie eines Erd - vorgestellten Fundgruppen erschöpfend. Auf Grund bebenschadens des frühen sechsten Jahrhunderts. der Vielzahl der Katalogeinträge und Orte ist dies auch In Ergänzung zu den eingangs gemachten Bemer- nicht möglich. Es bleibt aber offen, ob etwa für die kungen hätte man sich unter Kat. 195 (Suvodol) und Tracht- und Schmuckbestandteile eine Sichtung des Kat. 333 (Kozjak) Hinweise auf die vor Ort an den Basi- Materials erfolgte und unter den frühbyzantinischen liken nachgewiesenen Baptisterien gewünscht. Funden (S. 114 ff.) die vorgestellten Materialien eine Der große Wert dieses anspruchsvollen Werkes liegt gewisse Vollständigkeit repräsentieren, oder ob aus der in der systematischen Begehung, Erfassung, Dokumen- Literatur im Sinne einer Auswahl lediglich die repräsen- tation und topographischen Neuaufnahme der Denk- tativen Stücke zusammengestellt wurden. mäler. Der Leser wird die nun sehr gute Zugänglichkeit Der Katalog ist durchgehend mit exakten und ästhe- des Materials und die durchgehende Illustration mit tisch ansprechenden Zeichnungen ausgestattet, die vom qualitätvollen Fundstellenkartierungen und Plänen zu Verfasser stammen, ebenso die sehr qualitätvollen Klein- schätzen wissen. Ein wesentlicher Ertrag sind die exzel- fundzeichnungen. In den Plänen und Grundrissen ver- lenten historisch-topographischen Kartenbeilagen mit wischen sich mitunter die Bereiche zwischen Schraf fu- der Verortung der Fundstellen, der Straßen- und Ver- ren und Befundgrenzen beziehungsweise Mauerzügen kehrswege sowie der Provinz- und Staatsgrenzen. Ge- zu stark, so dass eine saubere Unterscheidung manch- rade zu letzteren hat der Verfasser unseren Kenntnis- mal nur schwer möglich ist. stand entscheidend vermehrt und präzisiert. Allein schon die zu bewältigende Materialmenge be- dingt eine durchgehend knappe und konzise Beschrei- Bonn Thomas Otten bung im Katalog. Wenn dann, nur einmal exemplarisch am Beispiel von Oktisi (Gradište; Kat. 447; 488 f.) her- ausgegriffen, trotz einer differenzierten Planabbildung im Text auf eine Nennung der Bauphasen beziehungs- Andrea Schmidt, Stephan Westphalen, in collaboration weise Vorgängerbauten der Basilika und deren Datie- with Sebastian Brock, Mat Immerzeel and Christine rungen verzichtet wird, erscheint dies allerdings zu sehr Strube, Christliche Wandmalereien in Syrien, Qara verkürzt. Für den mit der Spezialliteratur nicht Vertrau- und das Kloster Mar Yakub. Sprachen und Kultur des ten erschließen sich daher manche Katalogbeiträge nur Christlichen Orients, Band 14. Verlag Dr. Ludwig Rei- bei gleichzeitiger Lektüre der zugrundeliegenden Gra- chert, Wiesbaden 2005. 240 pages, 44 figures, 26 plates, bungsberichte. Im Falle von prominenten befestigten 20 colour plates. Städte wie etwa Bitola (Kat. 175) und Gradsko (Kat. 368) gewinnt man dagegen einen schnellen und informativen Medieval archaeology of the Levant is still far from be- Überblick, mit jeweils ausführlichen Illustrationen. coming an important tool in uncovering the history of 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:49 Uhr Seite 442

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the region, although considerable progress has been centuries, a centre of flourishing Christian culture (Zur made in this field during the past twenty years. From Geschichte des Bistums Qara im Qalamun, pp. 13–68). this perspective the fact that wall paintings, as a more Her research is based mainly on colophons in liturgical spectacular aspect of the culture of that period, attract manuscripts preserved in the Monastery of Saint more attention than architecture or pottery, seems Catherine at Sinai and in Lebanese monasteries. natural. A significant number of wall paintings discover- Historic sources reveal little about the early history ed or rediscovered in several churches of Palestine, of the bishopric. A bishop was possibly present at Qara Lebanon and Syria, and their exceptional state of pre- (Goaria in antiquity) by the middle of the fifth century, servation, make them an invaluable witness documen- but no further mentions of the bishopric appear after ting the multi-cultural world of the Crusader-period 636 up until the twelfth century, when it regains some Levant. Gustav Kühnel (Wall Painting in the Latin of its former importance following the Byzantine re- Kingdom of Jerusalem [Berlin 1988]) published a signi- conquest of Northern Syria in the tenth to eleventh ficant study on the monuments of Palestine. Lebanon, century. Several inscriptions preserved in the church at an important region on the map of monumental Dair Mar Yakub, as well as manuscripts, suggest that in Crusader period art, has also benefited from several the second half of the twelfth century Syriac and Arabic noteworthy publications, by Lévon Nordiguian and prevailed as the common languages of the Christian Jean-Claude Voisin (Châteaux et églises du moyen âge Melkite population and that Arabic attained the status au Liban [Beirut 1998]), Mat Immerzeel (Inventory of of the main language during the Mamluk period. Lebanese Wall Paintings. Essays on Christian Art and The question of patronage is another discussed and Culture in the Middle East 3, 2000, 2–19), Nada Hélou, unsolved problem. Only one early source mentions (Wall Paintings in Lebanese Churches. Essays on Chris- (in 1477) the Persian martyr Saint James Intercisus as a tian Art and Culture in the Middle East 2, 1999, 13–36), patron of the monastery of Mar Yakub, this informa- and in particular by Erica Cruikshank Dodd, who pu - tion later being repeated in the eighteenth century. blished a catalogue of murals known from the churches The history of Dair Mar Yakub, as reconstructed by and monasteries of Lebanon (Medieval Painting in the Andrea Schmidt, has several important phases. We can- Lebanon, SKCO 8 [Wiesbaden] 2004). For many years not preclude, in compliance with the authors’ submis- Syria was neglected and once research was initiated it sion, that the tower of the monastery represents the focused on the relatively well-preserved monuments most ancient part of the whole complex. Stephan West- from the regions of Homs and Qalamun. For these rea- phalen presents one solitary coin of Justin II (569–570) sons Erica Cruikshank Dodd wrote in 1982 in her preli- found in the monastery as a possible trace of this early minary study of the paintings from the monastery of phase. Disaster for the whole Christian community of Mar Musa el Habashi near Nebek in Syria: »When these Qalamun came in 1266, when troops of Sultan Baibars investigations (sc. Crac des Chevaliers, Marqab, Qara; massacred, expelled or sold into slavery the Christian the reviewer) are completed, the picture of monumen- inhabitants of the region. At that time the church of tal art in greater Syria during the Crusades should be- Saint Nikolaos at Qara was transformed into a mosque. come clearer«. More than twenty five years have elapsed Qara monasteries flourished in the fifteeenth and since these words were written and the time has come to sixteenth centuries under the guidance of Bishop Maca- present the results of some of the announced projects. rios, who founded an important scriptorium involved The book edited by Andrea Schmidt and Stephan in the translation of liturgical manuscripts from Greek Westphalen and published in an important series, Spra- into Syriac and Arabic, a fact that coincided with the chen und Kultur des Christlichen Orients, launched switch of the Melkite Church to the Byzantine liturgy. in 1997, is a result of several field projects devoted to Manuscripts copied here enabled the author to save the wall paintings of the Byzantine, Early Islamic and from oblivion the families of Abu Salih and Dawud ibn medieval periods. Although the main focus is on the Musa, copyists active at that time. project of restoration and study of the murals from the The fall of the monastery came with the plundering monastery of Mar Yakub in Qara, it also contains im- carried out by Ottoman soldiers in 1645, though even portant chapters on the results of two other projects more disastrous was the earthquake of 1759 that de - conducted almost simultaneously in one region of Syria stroyed even the wells in the region. The place owes its and devoted to wall paintings dated roughly to the same revival to the creation of the Melkite-Catholic Church period, namely those from Ma’arrat Saydnaya and in Syria, and especially to the activity in the second half Androna (al-Andarin). of the nineteenth century of Bishop George ‘Ata, who The book is composed of four main chapters com- rebuilt the church and constructed the mill and school. pleted by shorter but important studies on the technical At present Dair Mar Yakub is being renovated by aspects of conservation and on the Syriac inscriptions. the ecumenical community ›Les moniales de l’Unité Andrea Schmidt, a professor of history of the Eas- d’Antioche‹. tern Medieval Church at the Université Catholique de The active presence of the nuns at Dair Mar Yakub Louvain, presents in her study the history of the Bisho- paved the way for the wall painting restoration project pric of Qara, situated in the mountainous region of directed by Stephan Westphalen. The project presented Qalamun, between Homs and Damascus, that was, for by him in the second part of the book (Das Kloster Mar 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:50 Uhr Seite 443

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Yakub und seine Wandmalereien, pp. 69–153) deman- about the phenomenon of the Holy Horsemen in the ded four campaigns and was supported between 1999 art of the medieval East. Westphalen recalls several and 2001 by the German Archaeological Institute, in similar depictions to conclude that the main problem close collaboration with the Syrian Direction Générale concerning the localisation of the workshop (Jaroslav des Antiquités et des Musées. Folda and Lucy-Anne Hunt versus Mat Immerzeel) still The monastery of Mar Yakub occupies a rectangular remains unresolved, although recent discoveries of wall space (56x48m) enclosed by a wall. It consists of a tower, paintings in the Lebanese church of Mar Sarkis at Kaf- dwelling structure, church and a mill powered by water tûn offer some new observations in favour of the opi- from an ancient qanat. All buildings were constructed nion of the last of these opponents. according to the local tradition, with their lower courses There is a clear difference in style between the layers. built of stone and their upper sections of sun-dried The hesitant drawing of the small and clear figures is mudbrick. It is interesting to recall that an almost ident- characteristic of the first one, whereas the second layer ical technique was employed at Dura Europos in the features large surfaces painted in linear fashion. Roman period and seems to be deeply rooted in Syrian According to Dodd, the paintings of the second architecture. The author suggests that all construc tions, layer form a group of ›Syrian‹ style together with paint - with exception of the tower, were built after the earth- ings from Dair Mar Musa and Krak des Chevaliers in quake of 1759, perhaps even in the nineteenth century. Syria and Mart Shmuni, Dair es-Salib, Wadi Qadisha, The monastery church is unique in the context of Mar Charbel at Ma’ad, and Mar Tadros at Bahdeidat in other examples from Syria or Lebanon and has two Lebanon. On the basis of iconographic studies West- storeys: the upper one having possibly been used only phalen proposes 1200–1250 as the period during which by the monastic community. The lack of any additional the paintings at Mar Yakub were created. elements of architectural decoration makes the murals It is now difficult to imagine any iconographic study the only chronological criterion chosen by the author. of the wall paintings without prior conservation work, Westphalen is aware of the shortcomings of such a and from this point of view we are most fortunate that method and underlines that stylistic observations are the editors of the book have decided to include two in- limited by the state of preservation of the paintings dispensable technical studies of the paintings. Susanne and by their partial displacement to the museums in Bosch and Janka Verhey (Zur Maltechnik, dem Zu- Damascus and Dair ‘Atiya. Nevertheless, careful exami- stand und der Restaurierung der beiden Malschichten, nation of the remains has led the author to identify two pp. 124–130) describe the techniques used in the con- paint layers in the church. struction of the walls and the stratigraphy of the conse- The first one (introduced by Westphalen as Erste cutive layers constituting the paintings. The first layer Malschicht. Zur Rezeption byzantinischer Bildvorlagen bears no traces of any tools, but preparatory sketches in im syrischen Hinterland) represents one of the oldest red are visible on some parts of the walls. It is difficult medieval wall paintings in Syria and Palestine, the style to decide whether the second layer was painted using and iconography of which are unique in the region. The the al secco or al fresco technique. The authors provide Cycle of Christ is the main theme and was composed a detailed presentation of the whole process of conser- originally of eighteen representations, of which only ten vation, including an enumeration of the chemicals used have survived, for example the Annunciation, Presen- during treatment. The latter information is most useful tation in the Temple, Baptism in Jordan, Miracles of for those who would like to continue the conservation Jesus. The Cycle of Christ is exceptional on the map of of paintings at Mar Yakub in the future or to start a new the Syro-Lebanese region, where separate figures of the project in another location. saints dominate. The discussion of the iconography This study is completed by Dietrich Rehbaum’s ana- leads to the conclusion that the paintings are linked sty- lysis of the painting materials, pigments and binding listically to the work of craftsmen from and material (pp. 130–134). Cyprus and are related to Byzantine cultural spheres The chapter on the Mar Yakub wall paintings ends animated by the renewal of the Antioch patriarchate with a catalogue, in which the author presents thirteen after the Byzantine reconquest of Northern Syria and fragments from the first layer and another twelve the nomination of bishops described by Schmidt. The from the second one, giving a detailed and most useful beginning of the eleventh century also saw the con - de scription including, in some cases, Syriac inscrip- struc tion of the church at Mar Yakub. tions. The second paint layer (Zweite Malschicht. Ein Bei- The third part of the book, by Mat Immerzeel, direc - trag zum syrischen Stil) was marked by a radical change tor of the Paul van Moorsel Centre for Christian Art in decoration: the Christ Cycle was replaced by a row and Culture in the Middle East at Leiden University, of bishops (an innovation in twelfth century Syria), presents the results of a project focused on the deco - a Deesis scene, and figures of the prophets and apostles. ration of the Chapel of the Prophet Elijah in Ma’arrat The triumphal arch and naos were decorated with a Saydnaya, a Greek Orthodox monastery that has played scene of Moses receiving the Tablets of Law. the role of an important religious and cultural centre The partially damaged figure of a horseman situated since the second half of the twelfth century (The on the southern wall of the naos has incited discussion Decoration of the Chapel of the Prophet Elijah in 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:50 Uhr Seite 444

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Ma’arrat Saydnaya, pp. 155–182). A study of the wall tions of Early Christian art are numerous, but in some paintings was accomplished between 1997 and 1999 as instances we are left with the impression that the au- part of the Syrian-Netherlands Cooperation for the thors, due to limited space, create discussion rather Study of Art in Syria. than answer questions. The chapel, as proposed by the author, was initially The technical aspect of the publication is without used as a hermit cell, possibly later becoming the centre reproach. Only two minor faults were noted in the of a small monastic community dependent on the mo- whole book (p. 77 and n. 31 on p. 189) – the best mea- nastery of Saydnaya. sure of the quality of the editing work. Numerous figu- Several paintings from Ma’arrat Saydnaya were men- res, including colour photographs of the paintings, pro- tioned by travellers, but only a few have survived in the vide a perfect accompaniment to the text. Especially chapel that initially occupied a cave: Saint George and useful are the schematic drawings showing the location Saint Demetrios, Saint Nikolaos, Theotokos with Child of particular fragments of the paintings. seated enthroned, the Ascension of Elijah, Bishop Saint One lesson can be learnt from all of the projects pre - Athanasios, probably Saint Andrew of Crete and Saint sented in the book. Conservation and study of the wall Stephen, although the iconographical program of the paintings at Dair Mar Yakub started when the restora- chapel is difficult to reconstruct. tion of the church itself had already been completed. The author believes that the paintings reflect the The German team was deprived of the opportunity to work of at least three artists. The figure of the prophet closely examine its architecture, or to make test trenches Elijah was probably painted in the eleventh century, that could possibly deliver additional evidence support- when most of the representations were created, accord - ing the dating established solely on the grounds of ing to Immerzeel, by a Cypriote painter some time be - iconography. The photographs, unfortunately, show no tween the last decade of the twelfth century and the architecture, no naos, walls and so on. Equally, the middle of the thirteenth century. study of wall paintings from the chapel of Elijah is The presentation of the discovery in 2003 in the West entirely founded on iconographic and stylistic analysis, Hall of the late antique Syrian kastron (AD 559) An- although the author mentions thirteenth-century pot- drona (al-Andarin) of a wall painting and Syriac inscrip- tery spotted at the foot of the cave. Missing evidence, tion constitutes the fourth part of the book, written by the sad phenomenon seen in so many Syrian and Leba- Christine Strube – an archaeologist and specialist in nese medieval churches, is especially disappointing when Early Christian art (Eine Verkündigungsszene im Kas- compared to the encouraging efforts made by the ex - tron von Androna/al-Andarin, pp. 183–198). The frag- cavator of Androna to marry the archaeological, epigra- mentarily preserved painting represents the Annuncia- phic and iconographic evidence. tion: Mary, visited by Gabriel, is seated on a throne. There is one other troubling question that always Strube compares the style of the painting to examples arises when we talk about the Early Islamic and medie- known from Caesarea Maritima (sixth to seventh cen- val periods, as in the case of Qara: what happened to the tury) or from the Rabbula Gospel (AD 586) to propose a Christian communities during the long time between relativelybroad chronological range for the painting:from the seventh to the eighth and the eleventh to the twelfth 559 (construction of the kastron) to the eighth century. centuries? In contrast to previous studies, Androna has provided We should thank the editors of ›Sprachen und Kul- sound archaeological evidence accompanying the dis - tur des Christlichen Orients‹ and the authors for this covery that is employed by Strube in a convincing way. interesting and important publication. The Syriac votive inscription from Androna, pre - sented by Sebastian Brock, an authority on Syriac cul- Warsaw Tomasz Waliszewski ture and language, mentions a certain Abraham ful - filling the role of an administrator (pp. 199–202). Brock, taking into consideration the archaeological and epigraphic evidence, proposes two chronological solu- tions: the inscription was painted in the late sixth to Kirsten Krumeich, Spätantike Bauskulptur aus Oxy - early seventh century, or in the second half of the eighth rhynchos. Lokale Produktion. Äußere Einflüsse. century, when a monastery possibly existed in the kas- 2 Bände. Spätantike. Frühes Christentum. Byzanz. tron of Androna. Reihe A, Band 12. Verlag Dr. Ludwig Reichert, Wiesba- In conclusion, ›Christliche Wandmalereien in Syrien, den 2003. 500 Seiten, 800 schwarzweiße und 4 farbige Qara und das Kloster Mar Yakub‹, is an important Abbildungen. publication which offers new evidence on the artistic heritage left by the Christians of the East. Its weight lies Die mittelägyptische Stadt Oxyrhynchos ist wegen in the fact that the material traces of medieval Christia- ihrer Papyrusfunde in der Forschung bekannt. Bei den nity in Syria and Lebanon are disappearing irrevocably, britischen und italienischen Ausgrabungen zwischen and all efforts focused on salvaging this heritage have to 1896/97 und 1934 wurde auch ein beachtlicher, aber be praised. The iconographic study is well founded and bislang weitgehend unbekannt gebliebener Bestand an in some cases leads to interesting conclusions. Evoca- Bauplastik vor allem auf dem Gelände der Nordnekro- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:50 Uhr Seite 445

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pole gefunden. Diesem Fundmaterial widmet sich Kirs- Formenguts, die in Konstantinopel selbst nicht überlie- ten Krumeich in ihrer 1999 abgeschlossenen Bonner fert sind, wovon beispielsweise das gänzlich umfloch- Dissertation, die Hans-Georg Severin betreute. Es han- tene Kämpferkapitell zeugt. Marmorne Fertigimporte delt sich um gut 650 überwiegend aus lokalem Kalk- aus der Hauptstadt sowie Halbfabrikate, die in Ägypten stein gefertigte Säulen – und Pilasterkapitelle, Säulen- selbst, mutmaßlich im Einfuhrhafen Alexandria, voll- schäfte, Fries-, Gesims- und Archivoltenblöcke sowie endet wurden, vermittelten äußere Einflüsse in die mit- Nischenhäupter, die aufgrund ihres Fundorts als Re- tel ägyptische Provinz. likte aufwändiger Grabbauten der Spätantike gedeutet Die Autorin gibt einen guten Überblick über die werden, ohne dass hierzu freilich eine hinreichende Entwicklung der Akanthusblattformen und sieht die Grabungsdokumentation vorliegt. heimische Produktion im Kontext von Einflüssen aus Einführend gibt Krumeich allgemeine Erläuterun- Konstantinopel und deren Rezeption in Alexandria, gen über die Stadt (S. 3–10), die in der ägyptischen während sie keinen Einfluss aus anderen Provinzen Spätzeit ein wichtiges Verwaltungszentrum und 386 erkennt. In Oxyrhynchos lasse sich vom vierten Jahr- n. Chr. Hauptstadt der neuen Provinz Arkadia wurde. hundert bis zum Erlöschen der lokalen Produktion im Bis in das vierzehnte Jahrhundert war Oxyrhynchos sechsten Jahrhundert eine traditionalistische, an helle- unter dem bis heute für die Nachfolgesiedlung al-Bah- nistisch-römischen Vorbildern geschulte Auffassung nasa gebräuchlichen Namen koptischer Bischofssitz. beobachten, bei der trotz eines raschen Wechsels der Es folgen Angaben zur Grabungsgeschichte; auf dem Dekorformen Neuerungen aus der Hauptstadt nur zö- Nekropolenareal kommen Apsidensäle und Grabkam- gerlich und teilweise rudimentär übernommen wurden. mern neben ›einfachen‹ Bestattungen vor (S. 9 f.; 13–17). Dies mag vor allem für die bis ins späte fünfte, ja bis ins Die Monographie wertet die in einem ausführlichen sechste Jahrhundert produzierten korinthischen Kapi- Katalog als zweiten Band beigegebenen Funde archäo- telle gelten, welche neue Akanthusformen aufweisen. logisch-kunstgeschichtlich aus, ein umfangreicher Ab- Neue Kapitelltypen bilden die Ausnahme. Dagegen bildungsteil führt die Vielfalt der überlieferten Bau - könnten die häufigen, etwa gleichzeitigen im Detail von skulptur vor Augen. Ausgeschlossen werden die vorlie- Vorbildern aus Konstantinopel herzuleitenden skulptu- genden kaiserzeitlichen Skulpturfunde (S. 13). Für die ralen Swastikamäander angeführt werden, die sie entge- chronologische Gliederung (S. 19–22) übernimmt die gen der früheren Meinung ihres Doktorvaters nicht Verfasserin das von Ernst Kitzinger 1938 erarbeitete mehr als ägyptische Sonderform deuten kann. Modell eines weichen Stils im vierten Jahrhundert, auf Die Entwicklung der Blattformen stellt Krumeich den der harte Stil aus Herakleopolis (Ehnasya) im fünf- anhand schematisierter Umzeichnungen dar. Bei den ten Jahrhundert und darauf im sechsten Jahrhundert Weinblättern werden tendenziell schlanke Formen be- der koptische Stil im eigentlichen Sinne gefolgt sei. vorzugt. Die Beschreibungen sind im ganzen Werk prä- Hinzu kommen eigene Motivstudien anhand von stil- zise und fassen die Stilentwicklung gut zusammen. Be- prägendem Material aus Alexandria und vor allem aus sonders eindrucksvoll ist bei einer Gruppe korinthi- Konstantinopel. Hierbei rechnet Krumeich eine gewisse scher Kapitelle die Integration von Halbsäulen in die Rezeptionsdauer ein und verzichtet auf enge Datie- Blattstruktur des Kalathos erläutert. Sogar abstrakt er- rungsansätze. Sie gliedert ihr Material nach Vorbemer- scheinende Motive wie zur Kreisform reduzierte Gra - kungen zu Steinmaterial, Stuckauftrag und Farbfassung natäpfel, die sich im Laufe der Entwicklung aus ihrem (S. 17–19) in der auswertenden Betrachtung typologisch ursprünglichen Kontext gelöst haben, führt die Ver - (S. 23–139): Erstens Kapitelle, zweitens sonstige Stützen- fasserin auf ihren gegenständlichen Ursprung zurück. glieder und Ziersäulen, drittens Friese, Gesimse und Lediglich in einigen Randbereichen lassen sich Kritik- Archivolten, viertens Nischenhäupter und Bogenfelder punkte anführen. So dürfte die ausschließlich auf sowie fünftens Schrankenplatten und Transennen. Die Grund der Korbform einer einzigen Werkstatt zugeord- Übersichtlichkeit leidet bisweilen etwas darunter, dass nete Kapitellgruppe wegen stilistischer Divergenzen die verschiedenen Gattungen teilweise in getrennten nicht zu halten sein: Bei K 9, 11, 13 und 33 ist im Gegen- Kapiteln gemeinsam, das heißt dem Dekor folgend be- satz zu K 23 und 51 die Mittelrippe betont. Form und handelt werden. Proportion der Kapitelle dürften wohl eher durch den Einflüsse hauptstädtischer Entwürfe aus Konstanti- jeweiligen Verwendungszweck bestimmt sein. Die Ge- nopel können bis in das sechste Jahrhundert aufgezeigt staltung der Details zeigt deutliche Unterschiede im werden. Neue Einzelmotive wie das großgezahnte Akan- Umgang mit den Vorlagen, so dass hier zumindest zwei thusblatt oder geometrisiertes Weinlaub, sowie Muster- Werkstätten zu fassen sein dürften. rapporte wie axial verkettete Kreisfolgen, aber auch Es folgt ein Kapitel zum figuralen und symbolischen Gesamtformen wie die des Kämpferkapitells wurden Relief (S. 139–156), das pagan-mythologische Figuren übernommen und mit dem traditionellen, kaiserzeit- vor allem aus dem dionysischen Kreis von christlichen lich geprägten Repertoire verknüpft. Der Ersatz der Symbolen sowie solche glaubensneutralen Inhalts Blattkelche korinthischer Kapitelle durch herzförmige trennt. Krumeich sieht ein Weiterleben antiker Sym - Rankenfelder mit stilisierten Weinblättern sei hier als bolik, die sie nicht als reines Bildungszitat, sondern im ein Beispiel für diesen Prozess genannt. Die lokale privaten Grabbau des fünften und sechsten Jahrhundert Adaption bezeugt mitunter Spielarten hauptstädtischen als bewusst rückgewandt heidnischen Ausdruck ver- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:50 Uhr Seite 446

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steht. Eine zielgerichtete Zerstörung figürlicher Dar- Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Würt- stellungen wird mit dem Ikonoklasmus in Verbindung temberg, Band 86. Kommissionsverlag Konrad Theiss, gebracht, der die christlichen Symbole verschonte Stuttgart 2003. 278 Seiten mit 198 Abbildungen und (S. 155 f.). etlichen Tabellen. Anschließend geht die Verfasserin auf die ansatz- weise zu erschließenden Ensembles ein, die am Ort Der vorliegende Band entstand aus dem Umfeld der gefunden wurden und eine Vorstellung von den Grab- archäometallurgischen Forschungsprojekte, die unter bauten der spätantiken Stadtelite vermitteln können der Ägide des Landesdenkmalamtes Baden-Württem- (S. 157–162). Aus Lehmziegeln errichtete Grabgebäude, berg zwischen 1989 und 1998 durchgeführt wurden. Die teilweise mit Steinfundamenten und steinernen Türlai- Stiftung Volkswagenwerk hat die Forschungen über ins- bungen, dürften mit Bauplastik aus Kalkstein dekoriert gesamt zehn Jahre finanziell gefördert. Im Rahmen des gewesen sein. Gesichert ist der ursprüngliche Bauzu- Projektes sollte zunächst ausgehend von den Bohnerzen sammenhang nur in wenigen Fällen. Aus dem Rahmen der Schwäbischen Alb den Spuren der keltischen Eisen- fällt konstruktiv der ganz aus Stein errichtete, in den gewinnung nachgegangen werden, folgend dem Para- Jahren 1931 und 1932 durch Evangelista Breccia frei - digma, die leicht auffindbaren Bohnerze hätten eine gelegte zweigeschossige rechteckige Grabbau, der eine ausreichende Basis für eine blühende Eisenwirtschaft Apsis besitzt und gegen 500 n. Chr. umgebaut wurde. während der späten Hallstattzeit und der Latènezeit ge- Hinzu kommt ein größerer, bereits etwas früher von Sir boten. Bis in jüngste Vergangenheit wurde an dieser William Matthew Flinders Petrie freigelegter, ebenfalls Vorstellung festgehalten und man hat es etwa im Ver- zweigeschossiger Apsidensaal, der in der ersten Hälfte bund eines Schwerpunktprojektes der Deutschen For- des sechsten Jahrhunderts aus Lehmziegeln errichtet schungsgemeinschaft wieder zu beleben gesucht. Neu- und reich mit Marmor imitierender Bemalung und ere Forschungen haben mittlerweile den Weg gewiesen, Bauskulptur ausgestaltet wurde. und sowohl in den Landschaften des Nordschwarzwal- Teile des Baudekors der in der zweiten Hälfte des des wie auch im Rothtal Nachweise erbracht, die die siebten Jahrhunderts errichteten Basilika von Kom an- Nutzung von Brauneisensteinen aus dem eisernen Hut Namrud gehören in das fünfte bis sechste Jahrhundert von Gangvererzungen wie auch die Nutzung von Rasen- und können als Spolien ebenfalls von der Nordnekro- eisenerzen belegen (P. Wischenbart / R. Ambs / G. Gass- pole stammen (S. 163 f.). Sehr knapp ist die Zusammen- mann, Keltische Stahl- und Eisenproduktion im Roth- fassung des Bandes geraten (S. 165). tal [Bayerisch-Schwaben]. Ber. Arch. Landkreis Neu- Zahlreiche Anhänge informieren über Dekorformen, Ulm 2 [Neu-Ulm 2001]; G. Gassmann / M. Rösch / die kaiserzeitliche Bauskulptur sowie die Sammlungs- G. Wieland, Das Neuenbürger Erzrevier im Nord- zusammenhänge und geben Konkordanzen (S. 176–185). schwarzwald als Wirtschaftsraum während der Spät- Als zweiter Band folgt der nach den gleichen Prinzipien hallstatt- und Frühlatènezeit. Germania 84, 2006, 273– wie im Auswertungstext geordnete Katalog mit um- 305.). Danach ist schon seit der späten Hallstattzeit mit fangreichem Tafelteil. regelrechten Montanrevieren zu rechnen, die nun ab- Der Band ist ein gelungenes Übersichtswerk und seits der postulierten Zentralorte und wirtschaftlichen gibt Anstöße für die weitere Beschäftigung mit der Zentren produzierten. Hinterlassenschaft des vierten bis siebten Jahrhunderts Doch hat die Suche nach dem keltischen Eisen auch in Ägypten. Ergebnisse zur Entwicklung von Blatt - zu systematischen Forschungen im Bereich der Alb an- formen sind wohl auch auf andere Räume im Byzanti- geregt. Schon von 1963 bis 1965 hat der Geologe Ludwig nischen Reich übertragbar. Aber auch benachbarte Dis- Szöke auf der Suche nach der möglichen Erzbasis für ziplinen wie die europäische Frühgeschichtsforschung eine Eisenerzeugung im Umfeld des keltischen Oppi- können von der ausgewerteten Zusammenschau der dums im Heidengraben die Spuren des Erzabbaues in Ornamentik profitieren. Form von Pingenfeldern kartiert und untersucht. Sie stellten für das vorliegende Projekt eine hervorragende München Bernd Päffgen Ausgangsbasis dar. Es waren vor allem die Ergebnisse einer Sondiergrabung zum hochmittelalterlichen Ver- hüttungsplatz im Gewann Kurleshau bei Metzingen, die seit 1990 zu einer neuerlich Beschäftigung mit den archäometallurgischen Fundplätzen der mittleren Abbau und Verhüttung von Eisenerzen im Vorland Schwäbischen Alb angeregt haben. Die Feldarbeiten der mittleren Schwäbischen Alb. Mit Beiträgen von wurden von 1993 bis 1994 von Martin Kempa durchge- Thomas Engel, Matthias Franz, Andreas Hauptmann, führt und in Zusammenarbeit mit den Archäometallur- Martin Kempa, Ünsal Yalçın, Winfried Reiff, Günther gen Ünsal Yalçın und Andreas Hauptmann in der Fol- A. Wagner, Irmtrud B. Wagner und Hildegard Wiggen- gezeit ausgewertet: Erste Ergebnisse wurden bereits 1995 horn. Anhang: Die Eisenproduktion im frühen und vorgelegt (Ü. Yalçın / A. Hauptmann, Zur Archäo - hohen Mittelalter. Archäologie, Metallurgie, Landes - metallurgie des Eisens auf der Schwäbischen Alb. In: geschichte, Internationales Kolloquium am 4.–5. No- Beiträge zur Eisenverhüttung auf der Schwäbischen vember 1994 in Schwäbisch Gmünd. Forschungen und Alb. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württem- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:50 Uhr Seite 447

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berg 55 [Stuttgart 1995] 269–309), eine ergänzende und wohl als Zuschlagstoffe verwendet (siehe unten). Den- vollständige Diskussion der Ergebnisse erfolgt im vor- noch ist die Erzbasis durchaus arm etwa im Vergleich liegenden Buch. mit mächtigen Erzbänken weiter östlich (etwa dem Die in diesem zweiten Band der südwestdeutschen Braunenberg bei Aalen). Doch bei der Beurteilung der Eisenforschungen vorgelegten Ergebnisse spiegeln die Fundverteilung muss man auch Forschungsstand, Be- klassische Herangehensweise an eine Montanland- sitzverhältnisse und topographische Gegebenheiten mit- schaft: Sie werden von einem bergbauarchäologischen berücksichtigen: Schlackenhalden sind vor allem in den Teil eingeleitet, der auf den durch Kempa durchgeführ- Waldgebieten zwischen Reutlingen und Kirchheim er- ten Forschungen beruht (S. 9–115). Ihm zur Seite stehen halten, was nicht auf Zufällen der Überlieferung be- Untersuchungen zu den geologischen Grundlagen der ruht, sondern durch topographische Gegebenheiten und Erzbasis durch Matthias Franz und Winfried Reiff vor allem durch die Nähe zu den Lagerstätten bedingt (S. 117–126) sowie die archäometallurgischen Auswer- ist. Dieses Ergebnis ist insofern wichtig, als es mit den tungen durch Yalçın und Hauptmann (S. 127–157). Er- im Laufe der Arbeiten erhobenen Daten zur zeitlichen gänzt werden sie von anthrakologischen Untersuchun- und technikgeschichtlichen Stellung der Fundstellen gen zum Platz von Metzingen-Neuhausen durch Tho- übereinstimmt: Diejenigen östlich von Frickenhausen mas Engel (S. 159–163) sowie einen kurzen Beitrag zu bezeugen überwiegend frühmittelalterliche Eisengewin- den Thermolumineszenzdatierungen aus der Feder von nung in zeittypischen Rennöfen mit durchschnittlich Günther und Irmtrud Wagner sowie Hildegard Wig- großen Schlackenhalden. Dagegen sind die westlich bei genhorn (S. 165–168). Metzingen liegenden hochmittelalterlichen Fundge- Hatte man sich in den südwestdeutschen Eisenfor- biete allein durch ihre im Durchschnitt viermal so gro- schungen zunächst um die Untersuchung frühalaman- ßen Schlackenhalden auffällig und unterscheiden sich nischer Zeugnisse im Osten der Schwäbischen Alb be- durch den archäometallurgischen Befund der Verhüt- müht, so stand durch die Entdeckung des Platzes von tungsabfälle ebenso wie durch die Größe der bei ver- Metzingen-Kurleshau plötzlich die Mittlere Alb im schiedenen Grabungen festgestellten Schmelzöfen (zu Zentrum des Interesses. Der hochmittelalterliche Ofen Metzingen-Neuhausen S. 49 ff., zu Kurleshau S. 67 ff.). hatte auf Grund seiner Größe und vor allem seines Nach Kempa sind für die regional unterschiedlich ent- Schlackenbefundes die Aufmerksamkeit der Forscher- wickelte Eisengewinnung historische Rahmenbedingun- gruppe erregt: Die Verhüttungsschlacken, später als gen verantwortlich, die mit der wirtschaftlichen Akti- ›Typus Metzingen‹ zusammengefasst, sind bis neunzig vität des Adels im hohen Mittelalter zusammenhängen Prozent glasig erstarrt und weisen einen Gehalt von (S. 89 f.). Forschungen zu vergleichbar gut bekannten weniger als einem Zehntel Eisenoxydul (FeO, Wüstit) Verhüttungsrevieren, wie etwa dem Harz, haben gezeigt, auf. Solche Schlacken können nicht im sogenannten dass Brennstoffressourcen in Form von Waldbesitz eine direkten Verfahren entstanden sein, dem Rennofenpro- ähnlich wichtige Rolle spielen wie der Zugriff auf die zess, sondern weisen möglicherweise auf eine fort- Lagerstätten selbst. Man denke etwa an die Tätigkeit schrittlichere Technik am Übergang zur Roheisenver- des Klosters Walkenried oder der Stadt Goslar im Ober- fahren hin, dem sogenannten indirekten Verfahren harz (siehe unter anderem C. Bartels / M. Fessner / L. (siehe dazu weiter unten). Dieser Befund führte nun zu Klappauf / F. A. Linke, Metallhütten und Verhüttungs- ausgedehnten Arbeiten in einem durchaus willkürlich verfahren des Goslarer Montanwesens. Entwicklung umgrenzten Forschungsareal der Schwäbischen Alb, und Veränderungen des Hüttenwesens vom Mittelalter dem Bereich um Metzingen und Frickenhausen im bis zur Schwelle der Industrialisierung nach Schrift- alten Oberamt Urach, welches die südlichen Teile der quellen und archäologischen Befunden. In: H.-J. Ger- heutigen Kreise Reutlingen und Esslingen umfasste. hard / K. H. Kaufhold / E. Westermann [Hrsg.], Euro- Die modernen Geländearbeiten Kempas setzen vor päische Montanregion Harz I. Veröff. Bergbau-Mus. 98 allem die Vorarbeiten Szökes fort und konzentrierten [Bochum 2001] 265 ff.). Ob dies im vorliegenden Fall sich auf zwei Fundstellenkonzentrationen um Metzin- zutrifft, bedarf aber eingehender Sichtung der jüngeren gen und östlich von Frickenhausen. Im Laufe der Ar- Archivalien. Es gilt, Besitzverhältnisse für ältere Perio- beiten stellte sich heraus, dass die dort angetroffene den zu zurückzuverfolgen – ein spannender Versuch, Fundverteilung zu einem guten Teil auf der Erzbasis um weiteres Licht auf die Montanzeugnisse zu werfen. des Braunen Jura (überwiegend Dogger b) beruht. Die Selbst die frühmittelalterliche Eisengewinnung kann Untersuchungen von Franz und Reiff (117 ff.) zeigen in vor diesem Hintergrund gesehen werden: Nicht nur, diesem Zusammenhang, dass die erzführende Concava- dass die Befunde aus dem alamannischen Altsiedelland bank mehrere eher geringmächtige Vererzungen trägt, ausgreifen und eine bewusste Rohstoffpolitik andeuten, unter denen vor allem Toneisensteingeoden (Typus I) auch die Ofenformen haben sich deutlich, was Größe und Limonitkrusten (Typus II) aufgrund ihrer relativ und Technik anbetrifft, von den frühalamannischen hohen Eisengehalte (im Mittel zwischen 52,5% und Formen fortentwickelt, die noch ganz in germanisch- 59,7%) herausragen und wohl die hauptsächliche Erz- kaiserzeitlicher Tradition gestanden hatten. Im Gegen- basis darstellen. Dass daneben auch geringhaltige erz- satz zum älteren Typus Essingen wird die Schlacke nun führende Kalke der Concavabank in den Verhüttungs- abgestochen; auch die sogenannten Windformen (ei- prozess gelangten, ist ebenso verständlich: Sie wurden gentlich besser: Blasebalgdüsen beziehungsweise Wind- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:50 Uhr Seite 448

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düsen) deuten durch die Nutzung von Feuerfesttonen zu entnehmen. Zu notieren wäre ferner, dass die Ge- eine zentrale Tonversorgung für das Gebiet von Fri- stellfläche beziehungsweise der Innenraum dieser Öfen ckenhausen an: Die unterschiedliche Charakterisierung mit etwa achtzig Zentimetern bis einem Meter Höhe des Tons der Düsen ist erst im Ansatz erarbeitet, hält für einen herkömmlichen Rennofen ungewöhnlich aber Perspektiven für weitere Forschungsarbeit bereit, groß ist. Dazu kommt der archäometallurgische Be- vor allem was die zeitliche Einordnung und Gliederung fund der Schlacken, die eher an solche des Roheisens, der verschiedenen Ofenbaumaterialien anbetrifft. Das denn an herkömmliche Fayalitschlacken des Rennofen- Abbaufeld (Pingenzug) und der Ort der Weiterverabei- prozesses erinnern. So durfte im archäometallurgischen tung lagen in der Regel möglichst nahe zueinander. Ob Bericht eine spannende Diskussion erwartet werden. man allerdings Lücken in der Radiokarbonreihe dieser Es stand implizit die Frage im Raum, ob der Typus Verhüttungsplätze im späten siebten und frühen achten Metzingen eine Übergangsform vom direkten zum in- Jahrhundert (siehe S. 36 ff. Abb. 23) allzu weit historisch direkten Verfahren der Eisenherstellung bildet. Nach ausdeuten sollte, wie Kempa dies tut, muss bezweifelt der Untersuchung der auf der Halde gelandeten Schla- werden. Die Datenreihe ist statistisch gesehen zu dünn, cken beziehungsweise einiger offensichtlich verworfe- um sie als Ausdruck abnehmender fränkischer Zentral- ner Roheisenstücke ist zweierlei klar gewalt und einer Neuordnung nach dem Cannstädter Das Roheisen wurde im flüssigen Zustand gebildet. Blutgericht von 746 zu deuten. Hier wie bei der Frage Das hat zu einer fast vollständigen Trennung von Eisen- der räumlichen Strukturen des Montanwesens gilt es, oxydul und Silikaten sowie zu einer Abfuhr von Phos- weitere ähnliche Projekte durchzuführen und die Be- phor und Schwefel geführt. Unzweifelhaft ist es gelun- funde auf breiterer Basis zu verstehen. gen, ein Eisen mit relativ hohen Kohlenstoffgehalten zu Die durchgeführte Feldarbeit kann sicher als bei- erzeugen und eine relativ hohe Ausbeute im Vergleich spielhaft gelten. Sie zeigt, wie man an die eigentlich mit dem herkömmlichen Rennofenprozess zu errei- spröden Denkmäler heranzugehen hat: Kempa erreicht chen. Die aufgefundenen Reste des Roheisens sind hier eine wichtige Dokumentation. Neben topographi- wegen des hohen Schwefel- und Phosphorgehalts nicht schen Studien wurde eine repräsentative Anzahl von zu gebrauchen gewesen und sagen deshalb noch nicht Fundorten zumindest teilweise ergraben, die Größe der unbedingt etwas über das eigentlich erwünschte End- Schlackenhalden geschätzt und damit Grunddaten für produkt des Verhüttungsganges aus. eine weitere Interpretation zur Verfügung gestellt. Man Andererseits lassen die archäologischen Befunde vermisst allerdings eine deutliche Dokumentationsstra- nämlich weder an einen Dauerbetrieb mit wassergetrie- tegie, etwa mit Hilfe magnetischer Messungen, die sich benen Blasebälgen denken, noch lässt sich der Ausgra- ja auf Hüttenplätzen sehr bewährt haben und nicht nur bungsbefund auch nur entfernt an die späteren Floß- zur Lokalisierung von Öfen führen, sondern auch die oder Hochöfen anschließen, etwa solche aus dem Sauer- Gesamtausdehnung von Halden deutlich machen. land oder aus Schweden (Lapphyttan). Auch die vorge- Auch die Grabungen lassen ein Konzept der Untersu- legte Stoff- und Energiebilanz ist hier nicht eindeutig, chung und Probenentnahme vermissen, was zuletzt in ebenso wenig wie die thermodynamischen Daten. Erste entsprechenden Projekten zur historischen Eisengewin- Bemerkungen zu diesem Dilemma kommen von Gun- nung im Mittelgebirgsraum exemplarisch vorgeführt tram Gassmann (Rezension zum hier besprochenen wurde (siehe C. Willms in: B. Pinsker [Hrsg.], Eisen- Band, Germania 83, 2005, 487 f.). Er weist auf die Ent- land. Zu den Wurzeln der nassauischen Eisenindustrie nahme des Verhüttungsproduktes aus dem Reaktor- [Wiesbaden 1995]; A. Jockenhövel / Chr. Willms, Das raum, besonders aber auf die Bedeutung der Winddü- Dietzhölzetal-Projekt. Archäometallurgische Untersu- sen hin. Diese haben vor allem auf Grund ihrer Größe chungen zur Geschichte und Struktur der mittelalter- eine zweifache Rolle gespielt, indem sie den Einsatz von lichen Eisengewinnung im Lahn-Dill-Gebiet [Hessen]. Blasebälgen und die Nutzung des natürlichen Windzu- Münstersche Beitr. Ur- und Frühgesch. Arch. 1 [Rah- ges zuließen, beides auch nebeneinander. Sie erinnern den 2005]). Auch wenn in dieser Hinsicht an anderen an die Siegerländer Windöfen der Latènezeit, die ja Orten weiterreichende Konzepte verwirklicht werden ebenfalls durch große Reaktorräume auffallen. Die konnten, schmälert das den Verdienst der vorliegenden Düsen führen, wie Gassmann auf Basis von Harald Dokumentation keineswegs: Sie wird von Karten und Straube ausführt, zum sogenannten Frischen des Roh- Plänen ergänzt und von einem detaillierten Fundstel- eisens – vor allem in ihrem Umfeld – und erlauben lenverzeichnis beschlossen (S. 91–115). damit die Herstellung eines schmiedbaren Weichstahls. Ein Detail der Feldforschung leitet nun auf den ar- Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang bei Be- chäometallurgischen Bericht von Yalçın und Haupt- trachtung der sogenannten Gestellflächenbelastung mann über, der in Zusammenarbeit mit Bernd Lychatz (S. 144 ff.), die zeigt, dass bei der Größe des Reaktorrau- erstellt wurde. Kempa hat während der Grabungen an mes die für die Roheisenproduktion nötige Windzu- den Verhüttungsplätzen vom Typus Metzingen immer fuhr über einen Blasebalg kaum zu erreichen ist. Also wieder die Beobachtung machen können, dass die ei- wäre mit zusätzlicher Windzufuhr oder sogar mit meh- gentliche Ofenbrust, in die auch die Düsen eingesetzt reren Blasebälgen beziehungsweise mit beträchtlichen waren (sie fanden sich in der Ofenvorgrube), aufgebro- thermodynamischen Ungleichgewichten zu rechnen. chen war, augenscheinlich um ein Verhüttungsprodukt Dies spricht somit für einen direkten Prozess, in dem 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:50 Uhr Seite 449

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gefrischte Weichstähle beziehungsweise Weichstahllup- Espelund arbeitet heraus, wie viel nicht nur von den pen erzeugt werden konnten. Interessant sind vor die- Erzen und der metallurgischen Erfahrung, sondern sem Hintergrund auch die Kalziumoxidanteile in den auch von den wirtschaftlichen Umständen abhing, wie Schlacken, die sich in der betreffenden Region seit und mit welcher Technik in den einzelnen norwegi- früh alamannischer Zeit (siehe S. 148, Abb. 32) beständig schen Landschaften gearbeitet wurde. Für die Plätze erhöhen. Das dürfte auf zweierlei hindeuten: Erstens, vom Typus Frickenhausen sind dagegen Beobachtun- dass kalkreichere Armerze verstärkt in den Verhüttungs- gen wichtig, wie sie zu ganz ähnlichen Ofentypen in der prozess gelangten und zweitens, dass diese wohl als ide- Oberpullendorfer Bucht schon in den sechziger und ales Verschlackungsmittel erkannt wurden. Noch heute siebziger Jahren gemacht wurden: Der Forschungsbe- zählt ja das Erdalkalimetall Kalzium zu den wichtigen richt von Kasimir Bielenin (S. 189 ff.) zu den frühmittel- Reduktionsmitteln in der Stahlerzeugung, denn der alterlichen Schlackenabstichöfen von Dörfl und Drass- Zuschlag von Kalk führt zu Roheisen mit geringem markt verweist auf eine Verhüttungstechnik, die gene- Phosphor- und Schwefelgehalt (siehe dazu auch Beitrag rell während des späten Früh- und Hochmittelalters im von Dietrich Horstmann, S. 234 ff.). Wir werden vorerst östlichen Mitteleuropa verbreitet war (siehe allgemein nicht entscheiden können, ob es die eisenarmen Erze R. Pleiner, Iron in Archaeology. The European Bloo- waren, die zwangen, die vereinzelt hohen Eisengehalte mery Smelters [Prag 2000] 75 ff.; J. Gömöri, The ar- der liegende Bankkalke zu nutzen. Dabei können, be- chaeometallurgical sites in Pannonia from the Avar and wusst oder unbewusst, kalkreiche Zuschläge in den Ver- early Árpád period. Register of Industrial Archaeologi- hüttungsprozess gelangt sein (zu den Erzen der Beitrag cal Sites in Hungary I. Ironworking [Ödenburg 2000]). von Franz und Reif, S. 122 ff.). Es wird aber den frühge- Ob man sie als fränkisch bezeichnen sollte, wie Kempa schichtlichen Verhüttungstechnikern nicht verborgen (S. 36 f.) dies tut, um damit vermeintliche Verhüttungs- geblieben sein, dass diese Erze beziehungsweise Erz - phasen unter fränkischer Oberhoheit zu belegen, ist vor mischungen zu bestimmten Vorteilen verhelfen. Dem allem mit Blick auf andere Ofentypen im Westen (etwa begegneten sie mit einer speziellen Anpassung der Ver- aus Boécourt, Kanton Jura) eher zu bezweifeln. Was mit hüttungstechnik. Sie hat zwar nicht zum gängigen den zu dieser Zeit im Rennofen produzierten Roh - Roh eisenverfahren des späten Mittelalters geführt, lässt luppen geschah, lässt vor allem der ebenfalls im Jura lie- aber durch das Ausbringen eines an den Düsen ge- gende Befund einer Handwerkersiedlung von Liestal- frischten Weichstahls an ein gutes Verhüttungsergebnis Röserntal erkennen: Dort erfolgte das Ausheizen und denken. Dabei muss es aber einen hohen Schlackenan- die Weiterverarbeitung an zentraler Stelle. Dies lassen fall gegeben haben, was ja auch die Größe der Halden die Vorberichte von Jürg Tauber (S. 197 ff.) und Vincent zeigt. Serneels (S. 205 ff.) erkennen. Das indirekte Roheisenverfahren hat sich augen- Eine weitere Gruppe von vier Artikeln beschäftigt scheinlich entwickelt, als immer weniger metallreiche sich mit Ergebnissen zu den mittelalterlichen Verhüt- Erze Verfügung standen und zugleich der Metallbedarf tungsprozessen im rechtsrheinischen Schiefergebirge im späten Mittelalter steig. Dabei stand es regional und den angrenzenden Landschaften: Vor allem die Er- noch lange in Konkurrenz zum direkten Verfahren, das gebnisse, wie sie seit etwa zehn Jahren zum märkischen ja fallweise bis in die Neuzeit hinein betrieben wurde. Sauerland existieren, markieren noch immer den For- Fragen dieser Art wurden auch in einem Kollo- schungsstand. Nach dem Tod von Manfred Sönnecken quium behandelt, das 1994 in Schwäbisch Gmünd an- ist es hier kaum zu weiteren Forschungsprojekten ge- lässlich des archäometallurgischen Forschungsprojektes kommen. Mit den Beiträgen von diesem und Hans abgehalten wurde. Die abgedruckten Beiträge spiegeln Ludwig Knau (S. 219 ff.) sowie dem Aufsatz des mittler- in Vielem den Forschungsstand aus der Mitte der neun- weile ebenfalls verstorbenen Eisenmetallurgen Dietrich ziger Jahre. Ein Kommentar ist darum nicht in allen Horstmann (S. 231 ff.) wird also ein aktueller For- Fällen zielführend und würde den Autoren angesichts schungsstand beschrieben, vor allem was den Übergang des veränderten Forschungsstandes nicht immer ge- vom direkten zum indirekten Verfahren in dieser Re- recht. Dennoch ist die Auswahl der publizierten Bei- gion betrifft. Ergänzend hierzu sind die Arbeiten von träge gerade in Hinblick auf den vorliegenden Band als Dieter Lammers zu einem sehr gut erhaltenen Renn - ausgesprochen glücklich zu bezeichnen. Auf viele der ofenensemble im hessischen Lahn-Dill-Kreis (Dietz- im Hauptteil gestellten Fragen und Ergebnisse finden hölztal-Ewersbach, S. 241 ff.) und vor allem von Chris- sich Beiträge aus anderer Richtung, die das Problem der toph Willms zu einer Floßofenhütte im oberen Wip- mittelalterlichen Eisentechnik am Übergang vom di- pertal (S. 213 ff.) zu lesen. Vor allem gilt es, den Beitrag rekten zum indirekten Verfahren beleuchten. von Horstmann als grundlegend für das prozesstechni- So etwa widmen sich vier Beiträge dem früh- bis sche Verständnis hinsichtlich des Übergangs vom direk- hochmittelalterlichen Rennofenverfahren: Arne Espe- ten zum indirekten Verfahren herauszustellen. Nicht lund (S. 172 ff.) gibt einen Überblick über die norwegi- weniger grundlegend ist auch der Beitrag von Andreas schen Anlagen, die bis in das achtzehnte Jahrhundert Kronz und Ingo Keesmann zu fayalitischen Schmelzen hinein betrieben wurden. Interessant etwa die Beobach- (S. 259 ff.). Sie beschreiben die wesentlichen mineralo- tung großer Blasebalgdüsenquerschnitte, die auch die gischen Zusammenhänge des Rennofenverfahrens und Bewetterung durch den natürlichen Luftzug zuließen. bieten eine Reihe neuer Erkenntnisse, die aus der Zu- 09_Besprechungen_S_293 drh 14.01.2009 11:50 Uhr Seite 450

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sammenarbeit mit den Projekten der Volkswagenstif- Kronz und Keesmann für das mittelalterliche Renn- tung zum Dietzhölztal entstanden sind. Interessanter- ofenverfahren vorschlagen. weise wurden auch einige Proben aus dem Siegerland Forschungsgeschichtlich interessant ist schließlich mitberücksichtigt, etwa Rudersdorf (siehe A. Kronz in: ein Beitrag von Gerd Weisgerber (S. 251 ff.), in dem Jockenhövel/Wilms a. a. O. 463 f.), die offensichtlich als nicht nur ein historischer Überblick zur alten Eisenfor- Verhüttungsschlacken eingestuft werden. Bei der nahe schung des Siegerlandes, sondern auch eigene For- Wilnsdorf liegenden Fundstelle (auch als Höllenrain schungsergebnisse zu Hüttenplätzen des Leimbachtales bekannt: H. Laumann, Die Metallzeiten. In: Der Kreis vorgelegt werden. Interessant sind vor allem auch Gra- Siegen-Wittgenstein. Führer arch. Denkm. Deutsch- bungsergebnisse zu den offensichtlich mittelalterlichen land 25 [Stuttgart 1993] 159 f.) handelt es sich aber nicht Pingen der Steinbachsecke, eine Quellengattung, die in um einen Verhüttungsort, sondern eher um einen zen- anderen Verhüttungslandschaften bislang eher vernach- tralen, durch Ausheiz- und Schmiedeprozesse gepräg- lässigt wurde. ten Verarbeitungsplatz mit mehreren Podien. Ebenso Obwohl das vorliegende Buch erst relativ spät nach erfolgt die Interpretation der Schmelzsysteme meines Abschluss sowohl der Forschungen wie auch des Kollo- Erachtens ohne ausreichende Diskussion möglicher quiums in Druck gegangen ist, markiert es den beacht- Zuschläge, weswegen vor allem im mittelalterlichen lichen Stand, den vor allem die deutschen Untersu- Rennofenprozess des Lahn-Dill-Raums der abschmel- chungen zur mittelalterlichen Eisengewinnung wäh- zenden Ofenwand eine so große Bedeutung zugewiesen rend der letzten Jahrzehnte erarbeiten konnten. Es ist wird. Im Siegerland etwa lässt sich jetzt (aktuelle Pro- ein Handbuch für alle, die sich zu dem Thema infor- jektdaten des Deutschen Bergbau-Museums Bochum) mieren wollen, und unerlässlich für jene Fachleute, die jedenfalls für die Latènezeit schon die Anwendung von auf diesem Gebiet arbeiten. Feuerfesttonen nachweisen, sogenannten Muliten. Dies spricht jedenfalls für andere technische Muster, als sie Bochum Thomas Stöllner