SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Interview Der Woche – Manuskript
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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Interview der Woche – Manuskript Autor: Stephan Ueberbach Gesprächspartner: Claudia Roth, Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen Redaktion: SWR Studio Berlin Stephan Ueberbach Sendung: Samstag, 15.09.2012, 18.30 – 18.40 Uhr, SWR2 2 SWR2 Interview der Woche vom 15.09.2012 SWR: Frau Roth, in den arabischen Ländern eskaliert die Gewalt. In vielen Ländern gibt es antiamerikanische, antiwestliche Proteste. Islamisten greifen Botschaften an, es gibt Tote und Verletzte. Was muss der Westen tun, was kann die Bundesregierung im Moment tun, um die Lage zu beruhigen? C.R.: Also es ist eine unglaubliche Gefahr. Wir müssen alles gemeinsam versuchen, um einen großen Flächenbrand zu verhindern. Es gab eine sehr gezielte Provokation mit einem widerwärtig ekelhaften Video. Diese gezielte Provokation unterstützt aber jetzt im ganzen arabischen Raum, oder in den Ländern, in denen Muslime leben, die Feinde der Demokratie. Und meine ganz große Angst ist, dass jetzt die Salafisten profitieren von dieser gezielten Provokation. Und dass die arabische Bewegung, der Frühling, der ja auch ein weibliches Gesicht hat - viele Frauen waren auf den Straßen und haben gekämpft für Demokratie, für Freiheitsrechte, für ihre Zukunft - dass das jetzt gekapert wird von den Feinden der Demokratie. SWR: Erleben wir gerade das Ende des „arabischen Frühlings“? C.R.: Ja, das darf eben nicht sein. Also da sind wir wirklich in der Verpflichtung und zwar auf allen Ebenen. Ich habe so viele Frauen getroffen, in Tunesien, in Libyen, im Irak, die sagen, wir wollen gleiche Rechte, wir wollen Demokratie, wir wollen Zukunft. Die Menschen, die in Ägypten unterwegs waren. Auch die grüne Bewegung im Iran. Das sind alles keine Märtyrer, sondern die sagen, wir wollen das, was ihr auch habt hier bei uns. Demokratie und Zukunftschancen. Und die dürfen wir nicht vergessen, denn vergessen tötet. SWR: Frau Roth, lassen Sie uns ins Inland blicken. Wir haben ja eine bemerkenswerte Woche hinter uns. Mit einem aufsehenerregenden Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Haben Sie sich eigentlich schon bei Peter Gauweiler und Gregor Gysi bedankt? C.R.: Nein, ich habe mich natürlich bei den beiden nicht bedankt. Aber ich finde dem Bundesverfassungsgericht gehört wirklich hohe Anerkennung. Es ist ein sehr, sehr gutes Urteil aus mehreren Gründen. Zum ersten, weil das Bundesverfassungsgericht der Mehrheit im Bundestag, also auch uns und auch mir bescheinigt, dass ich verfassungskonform agiert habe, in dem ich den Fiskalpakt zum Beispiel unterstütze, den ESM unterstütze. Das ist wichtig, das gibt Rückendeckung Interview der Woche : 2 dem Bundestag. Zweitens hat das Verfassungsgericht sehr, sehr deutlich gemacht, und das sei auch der Bundesregierung immer wieder aufs Butterbrot geschmiert, dass gerade in Krisenzeiten Demokratie stark sein muss. Und man hat Sicherheit dadurch gegeben, dass gesagt wurde, es gibt jetzt einen Deckel und über diesen Deckel beim ESM, 190 Milliarden, darf nicht freihändig ohne Rückkopplung entschieden werden. SWR: Das SWR Interview der Woche, heute mit Claudia Roth, der Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen. Frau Roth, im Fall der NSU-Mordserie kommen fast täglich neue Pannen ans Licht. Da verschwinden Akten, da wird zwischen den einzelnen Behörden nicht kommuniziert, obwohl doch längst allen klar sein müsste, wie sensibel diese Frage ist. Haben Sie eine Erklärung dafür? C.R.: Ja ich muss Ihnen sagen, diese Woche hat einen eigentlich sprachlos gemacht. Es fehlen einem wirklich die Begriffe. Was muss eigentlich noch passieren. Wir erleben die schlimmste Aktenvernichtung, Nicht-Weitergabe von Informationen. Wir erleben einen MAD, militärischen Abschirmdienst, wo ich mich überhaupt frage, warum alles in der Welt braucht es den, der Informationen nicht weiter gibt, der 1995 mit einem der drei Rechtsterroristen Kontakt hatte, als der bei der Bundeswehr war, bekannt für seine rechtsextremistische Einstellung. Und dieser MAD gibt die Informationen nicht weiter. Das ist bodenlos. Und die Spitze ist dann, dass der bayerische Innenminister nicht die Praxis der Sicherheitsbehörden kritisiert, sondern den Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag kritisiert und sagt, dass die Arbeit des Untersuchungsausschusses das Ansehen der Sicherheitsarchitektur in unserem Land beschädigt. Ja, ich meine, wer beschädigt denn das Ansehen unserer Sicherheitsarchitektur mehr als der Verfassungsschutz, als die Geheimdienste. Da muss Licht rein, da muss Transparenz rein, da muss alles auf den Tisch. Nichts darf so bleiben wie es war, es muss Konsequenzen haben. Und es geht darum den Opfern des Rechtsterrorismus wieder Vertrauen zu geben, dass sie in ihrer Heimat Deutschland tatsächlich sicher sind. SWR: Sind wir, was diesen Skandal um die NSU-Mordserie angeht, an der Schwelle zu einer Staatsaffäre - oder schon sogar einen Schritt weiter? C.R.: Das ist mehr. Für mich ist das einer der größten Skandale in der bundesdeutschen Geschichte. Eine Geschichte des Geheimhaltens, des Vertuschens, des Schredderns, des Vernichtens von Informationen. Und wir sollten nicht vergessen was passiert ist. Über Jahre war es möglich, dass Rechtsterroristen in diesem Land eine Blutspur gelegt haben, dass Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihres Nachnamens, ihrer Religion getötet worden sind. Und jetzt kommt immer mehr raus, dass es unmittelbare Beziehungen zu diesem Umfeld gab. Der MAD, der einen von diesen Terroristen von den Dreien anwerben wollte. Das LKA Berlin, dass den Sprengstofflieferanten über zehn Jahre als Vertrauensperson bezeichnet, der ein Verhältnis mit der Zschäpe hatte, also das ist so bodenlos. Und Frau Merkel ist in der Verantwortung. Sie hat auch in dieser Woche in der Elefantenrunde gesagt, man könne sich darauf verlassen, dass alles getan wird um aufzuklären. Ja, warum hat denn ihr Minister de Maiziere die Informationen an den Untersuchungsausschuss nicht weitergegeben? Da ist die Chefin jetzt gefragt. Frau Merkel muss jetzt deutlich machen, dass Aufklärung Aufklärung heißt und nicht vertuschen, Nicht-Weitergabe von Informationen und schreddern. SWR: Die Grünen-Chefin Claudia Roth im SWR Interview der Woche. Frau Roth, Sie waren die erste die den Finger gehoben hatte für die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr. Bewerber gibt es nun eine ganze Reihe. Entscheiden wird die Basis bei Ihnen. Wie läuft Ihr persönlicher Wahlkampf? Interview der Woche : 3 C.R.: Na ja, ich habe also nicht den Finder gehoben. Sondern ich habe gesagt, wir Grüne sollten tunlichst mit einer Doppelspitze antreten als Spitzenkandidaten. SWR: Und dass Sie dafür zur Verfügung stehen. C.R.: Ja, es wäre ja komisch wenn eine Parteivorsitzende, die zehn Jahre Parteivorsitzende macht, das nicht auch der Partei anbietet. Ich habe nicht gesagt ich trete an, sondern wenn die Partei das will, würde ich mich dazu bereit erklären. Ich habe gesagt, so eine Entscheidung sollte nicht im Hinterzimmer fallen. Also, es geht nicht um die schönste Nase, sondern wir werden eine sehr politische, sehr inhaltliche Auseinandersetzung in den nächsten Wochen haben. Und wir werden Mitte November dann diese Personalfragen geklärt haben und dann noch stärker in dem Programmprozess für die Bundestagswahl einsteigen. SWR: Sie sind so verstanden worden oder so interpretiert worden, dass wenn Sie die Spitzenkandidatur nicht bekommen auch den Posten der Parteivorsitzenden abgeben wollen, würden, möglicherweise. Völlig falsch? C.R.: Ja, das ist völlig falsch. Das kann man nicht miteinander vergleichen, und das kann man auch nicht miteinander in Verbindung setzen. Das eine ist die Spitzenkandidatur für den Wahlkampf, und das andere ist der Bundesvorsitz, der natürlich im Wahlkampf auch eine große Rolle spielen wird. Aber da haben vielleicht manche gedacht, dass wär doch mal ganz schick die Roth los zu werden. Aber so kriegt man mich nicht los. SWR: Für Rot-Grün reicht es, zumindest nach den aktuellen Umfragen, im Moment nicht für eine eigene Mehrheit. Jetzt werden Sie natürlich jetzt sagen, dass sich das bis zur Wahl alles noch ändern kann, klar. Aber haben Sie „Plan B“, damit die SPD nicht in die große Koalition flüchtet? C.R.: Zunächst einmal habe ich „Plan A“. Ich glaube tatsächlich, dass es darum gehen wird die zwei Möglichkeiten deutlich zu konturieren. Entweder große Koalition, da hat es in dieser Woche auch schon ein bisserl danach gerochen in der ganzen Rentendebatte, das hat schon sehr Großkoalitionär gerochen. Es wollen dann alle zwar nicht so gemeint haben, aber das ist die eine Möglichkeit. Oder Rot- Grün. Das wird ein sehr politischer Wahlkampf werden. Also wir werden versuchen zu verhindern, dass Frau Merkel wie 2009 so einen Mehltau über die Republik legen kann, möglichst wenig über Politik reden, sie residiert über allem und ist für nichts verantwortlich. Nein, ich möchte dass wir politisch diskutieren. Was hat Frau Merkel mit Schwarz-Gelb für eine Politik zu verantworten, das wäre eine große Koalition, die nie eine Antwort auf die großen Herausforderungen hat. Und dem stellen wir gegenüber Rot-Grün mit einer anderen Politik und nicht nur mit einem Regierungswechsel. SWR: Stellen wir uns vor Rot-Grün würde vorne liegen, würde gewinnen im nächsten Jahr und Sie hätten die freie Auswahl. Ich würde tippen: Auswärtiges Amt. Richtig oder falsch? C.R.: Ja, das ist vor allem eine falsche Frage zum falschen Zeitpunkt, denn jetzt geht es erst einmal, Sie haben zu Recht vorher gesagt, es ist noch ein langer Weg, und jetzt geht es darum alles zu mobilisieren, alle Kraft zu mobilisieren, dass wir tatsächlich nicht nur einen Regierungswechsel sondern mit uns Grünen einen Politikwechsel in diesem Land hinbekommen, da ist jetzt erst mal die Konzentration drauf und dann werden wir ganz sicher gute grüne Frauen und Männer haben, die dann wichtige Funktionen ausfüllen können, aber das machen wir nicht jetzt vor der Wahl. Interview der Woche : 4 SWR: Aber dass das Internationale Ihnen nicht nur liegt, sondern Ihnen auch Spaß macht, da sind wir uns einig? C.R.: Kein Widerspruch! .