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1 Die Grundung¨ des Forschungszentrums DESY

Die Geschichte beginnt im Jahr 1955. Die wissenschaftspolitischen undaußeren ¨ Umst¨ande waren der Gr¨undung eines gr¨oßeren wissenschaftlichen Unternehmens g¨unstig:

– Deutschland erhielt 1955 einen Teil seiner Souver¨anit¨at zur¨uck. Damit fiel das Verbot, kernphysikalische Forschungen zu betreiben.

– Das neugegr¨undete Bundesministerium f¨ur Atomkernenergie1) (BMAt) unter Franz Josef Strauss hatte Geld und war zu großen Unternehmungen bereit.

– Die Kernphysik hatte ein hohes Ansehen und es bestand in Deutschland ein großes Bed¨urfnis, den Vorsprung des Auslands auf diesem aktuellen For- schungsgebiet aufzuholen.

– Die 1954 erfolgte Gr¨undung des CERN, des europ¨aischen Zentrums f¨ur sub- atomare Forschung, konnte als Beispiel und Anreiz dienen.

Die damit gebotene Chance zu ergreifen – dazu bedurfte es jedoch einer außer- gew¨ohnlichen Pers¨onlichkeit. Sie trat auf in Gestalt eines 44-j¨ahrigen, aus Wien stam- menden Kernphysikers, der in den USA Karriere gemacht und 1954 einen Ruf als Professor an die Universit¨at erhalten hatte: Willibald Jentschke. Er war mit den Großprojekten der Forschung in den USA vertraut, war er doch selbst dort in lei- tender Funktion t¨atig gewesen. Hamburg konnte ihn nur reizen, wenn er hier ebenfalls etwas Neues, Großes w¨urde aufbauen k¨onnen. Dass ihm dies gelingen sollte, war ne- ben seiner fachlichen Kompetenz und dem Ehrgeiz, in der vordersten Liga der Physik mitzuspielen, ganz besonders auch seiner Hartn¨ackigkeit und Unverfrorenheit gepaart mit geschickt eingesetztem Wiener Charme zu verdanken. Die n¨aheren Hintergr¨unde und Einzelheiten sind in dem Buch von C. Habfast [1] geschildert; sie werden hier gek¨urzt wiedergegeben. Die Geschichte beginnt also mit Willibald Jentschke. Er wurde am 6. Dezember 1911 in Wien geboren. Im Alter von 24 Jahren wurde er an der Universit¨at Wien mit einer kernphysikalischen Arbeit promoviert. Bereits 1938, kurz vor der Entdeckung

1)Ab 1957 wurde es zum Bundesministerium f¨ur Atomkernenergie und Wasserwirtschaft.

Von schnellen Teilchen und hellem Licht: 50 Jahre Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY. Erich Lohrmann und Paul S¨oding Copyright © 2009 WILEYVCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim ISBN: 978-3-527-40990-7 2 1DieGr¨undung des Forschungszentrums DESY

Abbildung 1.1 Professor Willibald Jentschke (DESY-Archiv).

der Uranspaltung durch Hahn und Strassmann, hatte er sich mit der Kernphysik von Uran besch¨aftigt, und 1939 publizierte er im Anzeiger der Akademie der Wissenschaf- ten in Wien eine Arbeit mit dem Titel: Uber¨ die Uranbruchst¨ucke durch Bestrahlung ” von Uran mit Neutronen“. Weitere Arbeiten zum selben Thema folgten in der Zeit- ’ schrift f¨ur Physik‘ und in den Naturwissenschaften‘. Damit hatte er sich als einer der ’ Experten f¨ur Uranspaltung etabliert, und w¨ahrend des Krieges arbeitete er weiterhin an Fragen der Physik der Uranspaltung. Nach dem Krieg erhielt er 1947 ein Ange- bot, in die USA zu gehen, vielleicht auch unter dem Eindruck der russischen Kon- kurrenz bei der Rekrutierung wissenschaftlicher Talente [2]. Von 1950 bis 1956 war er Professor an der University of Illinois at Urbana und ab 1951 Direktor des dorti- gen Zyklotron-Laboratoriums. Unter seiner Leitung wurde das Zyklotron umgebaut und modernisiert. Jentschke war damit als Experte in Kernphysik und im Bau von Kernphysik-Beschleunigern ausgewiesen. 1DieGr¨undung des Forschungszentrums DESY 3

Im Jahre 1954 erhielt er einen Ruf an die Universit¨at Hamburg. Um ihn angesichts der g¨unstigen Arbeitsbedingungen in den USA abzuwerben, war aber eine gewisse Großz¨ugigkeit von Seiten seines potentiellen neuen Arbeitgebers, der Freien und Han- sestadt Hamburg, erforderlich. Dies erkl¨art wenigstens zum Teil die Verhandlungsbe- reitschaft der Hamburger Beh¨orden. Auf der Seite der Universit¨at war es vor allem Professor Heinz Raether, der sich f¨ur die Berufung Jentschkes einsetzte – er wollte die große Physik“ nach Hamburg holen. Jentschkes Erfolge bei den Verhandlungen mit ” den Hamburger Beh¨orden sind legend¨ar. In jede neue Verhandlung kam er mit noch h¨oheren Forderungen, und schließlich bewilligte der Senat am 2. August 1955 die f¨ur damalige Verh¨altnisse ungeheuerliche Summe von 7,35 Mio DM2). Damit sollte ein neues Physikinstitut entstehen, dessen Mittelpunkt eine Kernmaschine‘ bilden w¨urde. ’ Jentschke nahm den Ruf an die Universit¨at Hamburg am 18. 10. 1955 an, und im Sommer 1956 kam er endg¨ultig nach Hamburg. In der Zwischenzeit hatte er erkannt, dass die Entscheidunguber ¨ die Eigenschaften dieser Kernmaschine sorgf¨altiger Uberlegung¨ bedurfte. Von Hause aus ein Kernphysi- ker, hatte er doch in den USA den Aufbruch in das neue Gebiet der Hochenergiephy- sik wahrgenommen. Seine finanziellen Forderungen beruhten auf dem Bestreben, in Hamburg ein international konkurrenzf¨ahiges Projekt auf diesem Gebiet zu realisieren. Eine Gelegenheit zur Konsultation mit deutschen Kollegen ergab sich bei dem interna- tionalen Symposiumuber ¨ High Energy Particle Accelerators‘ am CERN in Genf vom ’ 11. 6.–16. 6. 1956. Eine Diskussionsrunde, an der neben Jentschke auch W. Gentner, W. Paul, W. Riezler, Ch. Schmelzer, A. Schoch und W. Walcher teilnahmen, arbeitete einen Plan f¨ur den zuk¨unftigen Beschleuniger aus, der in Hamburg unter Jentschkes Leitung entstehen sollte [3]. Diese Runde bestand aus Deutschlands besten und erfah- rensten Experten auf diesem Gebiet. So waren z. B. W. Gentner, Ch. Schmelzer und A. Schoch maßgeblich an der Entwicklung und am Bau des Synchro-Zyklotrons SC und des großen 24 GeV Protonen-Synchrotrons PS am CERN beteiligt. Der sp¨atere Nobelpreistr¨ager W. Paul hatte 1954 am Bonner Physikalischen Institut mit dem Bau eines 500 MeV Elektronen-Synchrotrons begonnen. Die Maschine verwendete erst- mals in Europa das Prinzip der starken Fokussierung [4], welches den Bau großer Syn- chrotrons revolutionieren sollte – eine echte Pionierleistung. Das Bonner Synchrotron ging 1958 in Betrieb, ein Jahr fr¨uher als das PS am CERN.3) Professor Walcher hat sp¨ater anl¨asslich der Gr¨undung von DESY in einer Tischrede im Hamburger Rathaus die Kernpunkte der damaligen Diskussion beschrieben4): Es war den Beteiligten klar, dass die Hochenergiephysik ein neues wichtiges und aktuelles Forschungsgebiet sein w¨urde. Das Ziel war, den jungen deutschen Physikern neben CERN auch im eigenen Land ad¨aquate M¨oglichkeiten durch den Bau einer eigenen Forschungsanlage zu bie-

2)1 EUR = 1,9558 DM 3)Die weltweit erste Maschine dieser Art war ein 1,5 GeV Elektronen-Synchrotron, von Robert R. Wilson an der Cornell Universit¨at erbaut und 1953 in Betrieb genommen [5, 6]. 4)Er sprach als Mitglied des Arbeitsausschusses f¨ur die Vorbereitung von DESY sowie als Vorsitzen- der der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, und damit auch als Sprecher der ganzen deutschen Physikergemeinde. Seine Rede gibt eine gute Darstellung der damaligen Situation. Das macht sie historisch interessant. Sie ist deshalb im Wortlaut im Anhang E wiedergegeben. 4 1DieGr¨undung des Forschungszentrums DESY

ten. Schon hatten die anderen großen europ¨aischen Nationen solche Pl¨ane gefasst. Da wollten die deutschen Physiker nicht zur¨uckstehen. Das Ergebnis der Diskussion in Genf war das sogenannte Genfer Memorandum‘. ’ Darin wurde der Bau eines Elektronen-Synchrotrons von etwa 6 GeV Energie vorge- schlagen. So wurde die Konkurrenz mit den großen Protonen-Synchrotrons vermieden, die am CERN in Genf und am Brookhaven Nationallaboratorium in den USA im Bau waren, und zugleich die Aussicht zu komplement¨aren Untersuchungen er¨offnet. Die Energie von 6 GeV war die gr¨oßte Energie, die man damals realistischerweise mit Elektronen-Synchrotrons zu erreichen hoffte. Der Grund f¨ur diese Grenze ist die Syn- chrotronstrahlung, die der umlaufende Elektronenstrahl des Synchrotrons erzeugt. Die Intensit¨at dieser Strahlung steigt rasch mit der Energie an, und damit wachsen auch die Schwierigkeiten f¨ur den Betrieb einer derartigen Maschine. G¨unstig f¨ur diesen Vorschlag war auch, dass Prof. M. S. Livingston, einer der Er- finder der starken Fokussierung, an der Harvard Universit¨at ebenfalls den Bau eines 6 GeV Elektronen-Synchrotrons vorbereitete, den Cambridge Electron Accelerator‘ ’ (C.E.A.). Professor Livingston bot den deutschen Kollegen in uneigenn¨utziger Weise seine Hilfe beim Bau einer Schwestermaschine an, und die Aussicht, von der Erfahrung der Amerikaner profitieren zu k¨onnen, war hochwillkommen. Die beiden Maschinen in Cambridge und Hamburg w¨urden die gr¨oßten dieser Art in der Welt sein und da- mit in Neuland vorstoßen k¨onnen. Und auch in anderer Beziehung stieß dieser Plan in Neuland vor: Die Maschine sollte allen kompetenten Physikern in Deutschland zur Nutzung zur Verf¨ugung stehen und nicht mehr ausschließlich Eigentum‘ eines einzel- ’ nen Instituts sein. In dem Genfer Memorandum wurde weiterhin vorgeschlagen, die Maschine in Ham- burg unter der Leitung von W. Jentschke zu bauen. Hierbei spielten sicher die 7,35 Mio DM, die Hamburg zugesagt hatte, eine Rolle und auch dass die Aussicht bestand, in Hamburg ein g¨unstiges Gel¨ande f¨ur den Bau zu finden. Am 27. 6. 1956 wurde das Genfer Memorandum, welches wichtige Unterst¨utzung von erfuhr, dem Arbeitskreis Kernphysik des BMAt vorgetragen und fand die Zustimmung der Physiker und auch der Beh¨orde. Ministerialdirigent Dr. Alexander Hocker vom BMAt schlug vor, auch die Bundesl¨ander zu beteiligen. Damit wurde der Zust¨andigkeit der Bundesl¨ander f¨ur die Forschung Rechnung getragen und die deutschen Universit¨aten von Anfang an mit eingebunden. Dies sollte sich als sehr hilfreich erweisen. Am 21/22. 7. 1956 befasste sich auch der Fachausschuss Kernphy- sik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft mit den Pl¨anen. Dem Genfer Memo- randum folgend schlug er als Sitz des Beschleunigers Hamburg und als Projektleiter Willibald Jentschke vor. Schließlich stimmte die Kultusministerkonferenz in ihrer Sit- zung am 15. 12. 1956 dem Plan der Errichtung eines Hochenergiebeschleunigers in Hamburg ebenfalls zu. Ende 1956 wurde ein vorl¨aufiger Arbeitsausschuss etabliert. Ihm geh¨orten die Pro- fessoren W. Jentschke, W. Paul und W. Walcher, sowie Ministerialdirigent Dr. A. Hocker vom BMAt und der leitende Regierungsdirektor Dr. H. Meins und der Re- gierungsrat H.-L. Schneider von der Hamburger Beh¨orde an. Dieses Gremium war f¨ur die wissenschaftliche Planung und die organisatorischen Maßnahmen bis zur offi- 1DieGr¨undung des Forschungszentrums DESY 5 ziellen Gr¨undung von DESY am 18. 12. 1959 verantwortlich. Auch ein Name wurde gefunden: Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY‘. ’ Der Weg bis zur offiziellen Gr¨undung von DESY war aber noch lang und steinig. Einer der zentralen Streitpunkte zwischen dem Bund und den L¨andern war die Finan- zierung und Kontrolle des neuen Forschungszentrums. Die Wissenschaft, und das war unbestreitbar der Gegenstand von DESY, geh¨orte in die Kompetenz der Bundesl¨ander, wor¨uber sie eifers¨uchtig wachten, einmal aus Prinzip, zum anderen weil sie eine en- ge Anbindung von DESY an die Universit¨aten und deshalb eine gewisse Kontrolle w¨unschten. Die Kooperation mit den Universit¨aten war von den Gr¨undungsv¨atern so gewollt und unter den beteiligten Beh¨orden nicht wirklich strittig. Es war auch klar, dass die Finanzierung der verschiedenen neuen in der Gr¨undung begriffenen For- schungszentren, von denen DESY eines war, die M¨oglichkeiten der L¨ander deutlich ubersteigen¨ w¨urde, und dass eigentlich nur das BMAtuber ¨ die notwendigen Mittel verf¨ugte. Ein Kompromiss war n¨otig, und um die Details wurde lange gerungen. Nach hartn¨ackigen Verhandlungen kam 1959 endlich eine Einigung zustande [1]. Ein ebenfalls sehr schwieriges Kapitel war die Rechtsform, wof¨ur ein eingetrage- ner Verein oder eine Stiftung zur Auswahl standen. Darin ging es unter anderem um eine Abw¨agung der Rechte und des Einflusses der Ministerien und der Wissenschaft- ler. Man einigte sich schließlich 1959 auf die Rechtsform einer Stiftung und auf eine Satzung [1]. Die offizielle Gr¨undung von DESY als eine selbst¨andige Stiftung des b¨urgerlichen Rechts erfolgte am 18. 12. 1959 in Hamburg durch die Unterzeichnung eines Staatsver- trags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Freien und Hansestadt Ham- burg (Abb. 1.2). Als Zweck der Stiftung nannte die Satzung in der damaligen Fassung: Zweck der ” Stiftung sind die Errichtung und der Betrieb eines Hochenergiebeschleunigers zur F¨orderung der physikalischen Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Atomkerne und Elementarteilchen und die Durchf¨uhrung der damit zusammenh¨angenden Unter- suchungen.“ Nach dem Staatsvertrag verpflichteten sich die Stifter Bund und Hamburg, die Bau- kosten bis in H¨ohevon60MioDMimVerh¨altnis 85:15 aufzubringen. Von den Be- triebskosten sollte der Bund 50% und die L¨ander, nach einem Beschluss ihrer Minister- pr¨asidenten vom 19. 7. 1959, nach dem Schl¨ussel des K¨onigsteiner Staatsabkommens den Rest zahlen, wobei Hamburg zus¨atzlich mit einer Sitzlandquote beteiligt war. Die- ses Verfahren war in der Praxis schwierig, um nicht zu sagen schmerzhaft. Der Grund war die große Zahl der an der Finanzierung beteiligten Partner und die komplizierten F¨orderbedingungen, eine Folge der Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Bund und den L¨andern. Auch war die Finanzlast f¨ur die L¨ander eigentlich zu groß, und das sollte in den n¨achsten 10 Jahren zu anhaltenden Schwierigkeiten f¨uhren. Mit der Gr¨undung wurde als eines der Organe der Stiftung ein vorl¨aufiges Direkto- rium eingesetzt: Willibald Jentschke als Vorsitzender, (Bonn) und Wil- helm Walcher (Marburg) als ausw¨artige Mitglieder. Zum Leiter der Verwaltung wurde Oberregierungsrat Heinz Berghaus ernannt, der aus der Hamburger Verwaltung kam. Der Verwaltungsrat der Stiftung konstituierte sich am 11. 4. 1960 und bestellte als Mitglieder des Direktoriums Willibald Jentschke, Peter St¨ahelin, Wolfgang Paul, Wil- 6 1DieGr¨undung des Forschungszentrums DESY

Abbildung 1.2 Unterzeichnung der Gr¨undungsurkunde des DESY im Hamburger Rathaus am 18. 12. 1959 durch Professor Dr. Siegfried Balke (links), Bundesminister f¨ur Atom- und Wasserwirtschaft, und Dr. Max Brauer, Erster B¨urgermeister von Hamburg (rechts) (DESY-Archiv).

helm Walcher und als Leiter der Verwaltung Regierungsdirektor Heinz Berghaus. In der darauf folgenden Amtsperiode 1964–66 bestand das Direktorium aus W. Jentsch- ke,P.St¨ahelin, M. Teucher von der Universit¨at Hamburg sowie W. Paul und W. Walcher als ausw¨artigen Mitgliedern. Das dritte Organ der Stiftung, der Wissenschaftliche Rat, wirkt in wissenschaftli- chen Angelegenheiten von grunds¨atzlicher Bedeutung mit. Er besteht aus angesehenen externen Wissenschaftlern, die meisten von ihnen von deutschen Universit¨aten. Er soll im Zusammenwirken mit dem Direktorium die Zusammenarbeit mit den Hochschulen und die optimale Nutzung der Forschungseinrichtungen f¨ordern. Er ist vor wesentli- chen Ausbau- und Erweiterungsmaßnahmen zu h¨oren und er kann auch selbst solche Vo r s c h lage ¨ einbringen. Da die Amtszeit der Mitglieder beschr¨ankt ist, erg¨anzt sich der Rat selbst durch regelm¨aßige Zuwahl. Mit der offiziellen Gr¨undung im Dezember 1959 waren die administrativen und fi- nanziellen Probleme DESYs keineswegs gel¨ost. P¨unktlich zum Festakt der Gr¨undung ging ein meterlanges Fernschreiben des Bundesrechnungshofs an Ministerialdirigent Hocker ein, das den Staatsvertrag und die Satzung ausgiebig kritisierte. Dennoch be- schloss man zu feiern und den Vertrag zu unterzeichnen, nachdem man vereinbart hat- te, den Text der Vertr¨age nachtr¨aglich nochmals zuuberpr¨ ¨ ufen. Eine Einigung mit 1DieGr¨undung des Forschungszentrums DESY 7 dem Rechnungshof erwies sich dann als nicht allzu schwierig; trotzdem verz¨ogerten b¨urokratische Finessen die endg¨ultige Eintragung der Satzung bis zum 18.April 1962. Als bedeutend schwieriger erwies sich die Finanzierung, wie im folgenden Kapitel n¨aher ausgef¨uhrt. Es stellte sich heraus, dass die urspr¨unglich f¨ur den Bau des Be- schleunigers vorgesehenen 60 Mio DM nicht ausreichen w¨urden. Als zus¨atzlicher Fi- nanzbedarf wurden 50 Mio DM genannt. Darin enthalten waren die Mehrkosten des Beschleunigergeb¨audes inklusive einer zweiten Experimentierhalle, Bauten f¨ur die In- frastruktur und Kosten f¨ur die Grundausstattung der Experimente. Die Verhandlungenuber ¨ diese Finanzierung, welche die Kompetenzen des Bundes und der L¨ander in der Forschung ber¨uhrten, gestalteten sich schwierig und zeitraubend. Schließlich gelang in einer Sitzung des Verwaltungsrats im Mai 1962 die Einigung auf ein neues Investitionsprogramm. Von den zus¨atzlichen 50 Millionenubernahmen ¨ der Bund und Hamburg 20 Millionen im Verh¨altnis 85:15 und weitere 20 Millionen im Verh¨altnis 75:25. Die restlichen 10 Millionen brachte die Stiftung Volkswagenwerk auf, einem Antrag des DESY- Direktoriums folgend. Damit konnten das Laborgeb¨aude und die Werkstatt bezahlt und ausgestattet werden. F¨ur die Betriebskosten dauerte es l¨anger, eine tragf¨ahige L¨osung zu finden. Zun¨achst hatten sich Bund und L¨ander auf j¨ahrliche Kosten von 10 Mio DM eingestellt. Eine realistische Einsch¨atzung der voraussichtlich ben¨otigten Mittel durch das Direktorium ergaben aber etwa 30 Mio DM, eine Summe, die sich f¨ur das Jahr 1965 als richtig her- ausstellen sollte. Ein Gutachten, welches das Bundesministerium f¨ur wissenschaftliche Forschung von Professor Schoch und von Professor Weisskopf, dem Generaldirektor des CERN einholte, best¨atigte die Sch¨atzung des Direktoriums. Auch der Arbeitskreis Kernphysik hatte diese Summe als realistisch anerkannt. Daraufhin erkl¨arte sich der Bund bereit, sich an den Betriebskosten von 30 Mio mit 50% zu beteiligen. Nach lan- gen Verhandlungen mit der L¨andergemeinschaft kam im Herbst 1963 auch eine Eini- gung mit den L¨andern f¨ur die Bereitstellung der restlichen 50% zustande. Die Betriebskosten stiegen aber weiter. Im Jahr 1967 erreichten sie 44 Mio DM. Da- mit gestalteten sich die j¨ahrlichen Diskussionen mit den Geldgebern als sehr m¨uhsam. DESY argumentierte, dass nur mit Betriebskosten in solcher H¨ohe eine effiziente Nut- zung der großen Investitionen m¨oglich sei. Eine tragf¨ahige L¨osung wurde erst 1969 im Vorgriff auf die Finanzreform des Bundes und der L¨ander von 1970 erreicht. Vom 1. 1. 1970 an wurde danach der DESY-Haushalt gemeinsam vom Bund und vom Sitz- land Hamburg nach dem Schl¨ussel 90:10 finanziert, und es kehrte etwas mehr Ruhe ein. Wie von den L¨andern bef¨urchtet versuchte nun aber der Bund, aufgrund seiner Fi- nanzierungs¨ubermacht einen st¨arkeren direkten Einfluss auf die Forschungszentren zu gewinnen. Soweit diese Versuche die wissenschaftliche Handlungsf¨ahigkeit von DESY zu ber¨uhren drohten, stieß dies auf den Widerstand des Wissenschaftlichen Rats von DESY unter seinem damaligen Vorsitzenden Professor Hans Ehrenberg (Mainz). Es konnte ein Kompromiss erzielt werden, der die Belange der Wissenschaft besser ber¨ucksichtigte und unter anderem dem Wissenschaftlichen Rat wichtige Kompetenzen wie die Mitwirkung bei grundlegenden wissenschaftlichen Entscheidungen und das Vorschlagsrecht f¨ur die Ernennung der Mitglieder des Direktoriums zugestand. Dazu geh¨orte auch die Stellungnahme zu dem Entwurf des j¨ahrlichen Wirtschaftsplans. 8 1DieGr¨undung des Forschungszentrums DESY

Dies fand in einer Neufassung der Satzung von 1970 seinen Niederschlag. F¨ur das Direktorium waren fortan keine ausw¨artigen Mitglieder mehr vorgesehen. Ferner wur- de ein Wissenschaftlicher Ausschuss‘ eingesetzt, eine Folge der seit 1968 gef¨uhrten ’ Debatte zur demokratischen Mitbestimmung‘. Der Wissenschaftliche Ausschuss be- ’ steht aus den leitenden Wissenschaftlern, aus gew¨ahlten Mitgliedern aus den Reihen der Wissenschaftler und Ingenieure vom DESY sowie aus gew¨ahlten Vertretern der am DESY t¨atigen deutschen Institute. Als vorl¨aufiger Wissenschaftlicher Ausschuss vom Direktorium Ende 1969 etabliert, wurde er nach komplizierten Diskussionenuber ¨ den Wahlmodus schließlich 1972 offiziell eingef¨uhrt. Seine Aufgabe besteht in der Be- ratung des Direktoriums in Angelegenheiten von grunds¨atzlicher wissenschaftlicher Bedeutung. Er kann zudem dem Wissenschaftlichen Rat Anregungen zur Zusammen- setzung des Direktoriums geben. Sehr wichtig f¨ur die Arbeit von DESY erwies sich das Prinzip der Globalsteuerung. Innerhalb der durch den Haushalt und die Bewilligungsbedingungen sowie die Vorga- ben des Wissenschaftlichen Rats gezogenen Grenzen konnten wissenschaftliche und technische Entscheidungen weitgehend frei getroffen werden. So war das DESY in der Lage, rasch und effektiv auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Entwicklungen zu reagieren. Die hier vorgestellte kurze Darstellung der rechtlichen und finanziellen Entwicklun- gen, die am Ende DESY zu einem arbeitsf¨ahigen Forschungsinstitut machten, wird der tats¨achlichen Geschichte nicht gerecht. Diese ist ausf¨uhrlich von C. Habfast [1] dokumentiert. Die Etablierung von Großforschungszentren mit ihrem großen Bedarf an Investitions- und Betriebsmitteln schuf Probleme f¨ur die verfassungsm¨aßige Aufga- benteilung zwischen Bund und L¨andern, die so nicht vorhersehbar gewesen waren. Das Ringen um Geld, Macht und Einfluss f¨uhrte auch bei prinzipiell gutwilligen Akteuren zu manchen, sagen wir, interessanten Schachz¨ugen. Es war dem Verhandlungsgeschick und dem Einsatz vor allem von Pers¨onlichkeiten wie W. Jentschke, W. Paul und W. Walcher sowie auf der Seite der Verwaltung vor allem dem Ministerialdirigenten Dr. A. Hocker zu verdanken, dass schließlich ein gutes Ergebnis zustande kam.