Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Regionale Entwicklung am Beispiel Oberemmental

Regula Zähner

Hinweis: Dies ist eine nachträglich erstellte elektronische Version ohne Bildmate- rial. Einzelne Querverweise bzw. Seitenzahlen können verschoben sein.

Hochschule für Soziale Arbeit Fachhochschule Zentralschweiz Institut WDF

NDK Kommunikation in der Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung NDK Grundlagenwissen zur Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung 2002-2004

Abschlussarbeit, eingereicht am 30. Juni 2004 Regula Zähner Austrasse 15, 3084 Wabern

1 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Abstract

Wandel gestalten – eine Überlebenskunst Regionale Entwicklung am Beispiel Oberemmental

Die vorliegende Arbeit umfasst drei Teile. Im ersten Teil wird die Region dargestellt. Der zweite Teil beantwortet die Frage nach kirchlichen Handlungsfeldern. Der dritte Teil stellt kurz die Me- thode „Participatory Learning and Action PLA“ vor und beurteilt, anhand der vorliegenden Er- kundung des Oberemmentals, ihre Anwendbarkeit für Abklärungen, die keine unmittelbare loka- le Aktivierung auslösen sollen.

Zu Teil 1: Achtzehn Interviews zeigen wie die Emmentalerinnen und Emmentaler ihre Region sehen, Stärken und Schwierigkeiten beurteilen und was sie für die Zukunft erwarten. Die lokale Sichtweise wird bezogen auf die Gegebenheiten der Region, die Geschichte, auf initiative Pro- jekte, die Statistik und die kantonale und nationale Politik. Die Gesamtschau stellt den Begriff Randregion in Frage. Das Gespenst Abwanderung wird präzisiert und erhält einen neuen Stel- lenwert. Erfreulicherweise konnte ich neun Erfolgskriterien dafür ausmachen, wie die Region Oberemmental in der Vergangenheit Strukturwandel immer wieder gemeistert hat.

Zu Teil 2: Wie könnte ein zukunftsweisendes Engagement der reformierten Landeskirche aus- sehen? Grundlagen, Angebot und Leistungen der Kirche sowie die Wünsche der Befragten weisen auf fünf Handlungsfelder hin, die folgendermassen überschrieben werden können: - Kirche in der Nähe - Gemeinschaft und Heimat - Hoffnung und Entwicklung - Gesellschaftsfragen - Brücken schlagen Diese Themenfelder werden im Rahmen des kirchlichen Auftrags an die Autorin weiter bearbei- tet werden.

Zu Teil 3: Anhand der konkreten Erkundung der Region Oberemmental werden die einzelnen Werkzeuge der PLA-Methode beschrieben, Schwierigkeiten dargestellt und auf Grenzen hinge- wiesen. Die Beurteilung ihrer Praxistauglichkeit fällt positiv aus: Mit dem Werkzeugkasten der PLA-Methode ist es möglich, sich in sehr kurzer Zeit einen relativ differenzierten Einblick in eine Region zu verschaffen. Die Resultate lassen sich mit anderen Informationsquellen verbinden und als Grundlagen für die institutionelle Weiterarbeit verwenden.

Bern, Juni 2004, Regula Zähner

NDK Kommunikation in der Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung NDK Grundlagenwissen zur Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung Hochschule für Soziale Arbeit Luzern, Fachhochschule Zentralschweiz

2 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Inhaltsverzeichnis

Einleitung ...... 4

Teil 1 ...... 6 Die Region Oberemmental ...... 6 1. Beschreibung und Begrenzung der Region ...... 6 2. Geschichte des Oberemmentals ...... 9 3. Das Oberemmental aus der Sicht der Bevölkerung ...... 14 Menschen: Mentalität und Befindlichkeit ...... 14 Gemeinschaft ...... 15 Natur und Landschaft ...... 15 Wirtschaft: Wärche und verdiene ...... 16 Wohnen und geniessen ...... 17 Das Oberemmental, der Kanton und die Welt ...... 18 Identität und Label ...... 19 Blickpunkt Jugendliche ...... 20 4. Initiatives Oberemmental: Innovationen, Nischen und Konzepte ...... 20 5. Die Region aus der Sicht der Statistik ...... 25 6. Das Oberemmental aus der Sicht des Kantons ...... 28 „Raumplanung ...... 28 Wirtschaftspolitik ...... 29 Bildungspolitik ...... 30 7. Der ländliche Raum aus der Sicht des Bundes ...... 31 Neue Regionalpolitik NRP ...... 32 8. Erkenntnisse ...... 32

Teil 2 ...... 37 Wie könnte ein zukunftsweisendes Engagement der Kirche aussehen? ...... 38 1. Fragestellung und Auftrag des Synodalrates ...... 38 2. Leistungen und Angebote der Kirche ...... 38 3. Wünsche an die Kirche ...... 39 4. Bedeutung der kirchlichen Leistungen für die Bevölkerung ...... 44 5. Erkenntnisse: Kirchliche Handlungsfelder im ländlichen Raum ...... 46

Teil 3 ...... 49 Methode und Vorgehen ...... 50 1. Die PLA-Methode und ihre Werkzeuge ...... 50 Methodischer Werkzeugkasten der PLA ...... 52 2. Von der Methode zur Praxis ...... 53 Ergänzende Recherchen und Quellen ...... 55 3. Die Gesprächswoche im Oberemmental – konkretes Vorgehen ...... 57 Rahmenbedingungen und Vorgehen ...... 57 Interviewpartnerinnen und Interviewpartner ...... 59 Durchführung und Verarbeitung der Interviews ...... 61 4. Erkenntnisse zur Methode ...... 61

Ziele erreicht – wie geht es weiter? ...... 64

Dank ...... 65

Bildnachweis der linken Seiten ...... 66 Literaturverzeichnis ...... 66

3 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Einleitung Im März 2003 besuchte ich im Rahmen meiner Ausbildung das Modul „Gemeinde-entwicklung“ in Steinbach in Österreich. Nach einer zehnstündigen strapaziösen Bahnfahrt erwartete mich dort im Kurslokal ein Plakat in Weltformat: waldige Hügel, grüne Wiesen, verstreute Bauernhöfe und im Hintergrund unverkennbar die Schrattenflue. Darunter stand „Eggiwil im “ und etwas kleiner „unsere Partner in der Schweiz“. Meine Verblüffung hätte nicht grösser sein kön- nen. Das Emmental liegt quasi vor meiner Haustüre, Eggiwil ist für mich in einer knappen Stun- de mit dem öffentlichen Verkehr zu erreichen. Wozu reise ich da nach Österreich? Seither ging mir die Frage nicht mehr aus dem Kopf: Was ist das Besondere am Oberemmental, das die Ös- terreicherinnen und Österreicher offensichtlich schätzen und das ich als Bernerin nicht kenne? Dank der Abschlussarbeit der Nachdiplomkurse und einer Fragestellung meiner Arbeitgeberin erhielt ich ein knappes Jahr später die Gelegenheit, dieser Frage – und weiteren – auf den

Grund zu gehen.

Ziel 1 Erkundung und Darstellung einer Region aus verschiedenen Blickwinkeln, die in den Medien und in der politischen Diskussion häufig als „Randregi- on“ bezeichnet wird. 1. Sichtweise der Emmentalerinnen und Emmentaler, die dort wohnen und arbeiten, Frauen und Männer aus Gewerbe, Landwirtschaft Fami- lienarbeit, Politik und Kirche, Zu- und Wegpendlerinnen und -pendler, Zu- und Weggezogene, Jung und Alt. Speziell sollen ihre Einschät- zung der Stärken, der Schwierigkeiten und der Zukunft sowie lokale Projekte dargestellt werden. 2. Sichtweise von Kanton und Bund: Zusammenfassung der kantonalen und eidgenössischen Politik auf der Grundlage der bestehenden Ge- setzesgrundlagen und der aktuellen Neuorientierung, speziell bezüg- lich Raumplanung, Wirtschaft und Bildung. 3. Erkenntnisse formulieren, die sich aus den beiden Sichtweisen erge- ben.

Ziel 2 Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn als Auftraggeberin erhalten Grundlagen für ihre Positionierung bezüglich Regionalpolitik und mögli- chen kirchlichen Handlungsfeldern. Spezielle Aufmerksamkeit gilt der Fra- ge nach einem sinnvollen und zukunftsweisenden Engagement der Kir- che, sowohl lokal in den Kirchgemeinden wie gesellschaftspolitisch.

Ziel 3 Anwendung und Vertiefung der im Studium erlernten Methode Participato- ry Learning and Action PLA. Speziell interessiert mich die Frage, ob sich die Methode für Gebietsrecherchen eignet, auch wenn sie nur partiell und kombiniert mit anderen Informationsquellen angewandt wird.

Zielgruppen Diese Arbeit richtet sich entsprechend der drei oben formulierten Ziele an die befragten und weitere interessierte Akteurinnen und Akteure des Oberemmentals, an die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, an die Hochschule für Soziale Arbeit sowie im Bereich Gemeinde-, Stadt- und Regionalentwicklung interessierte Fachleute.

Aufbau Ausgerichtet auf die drei Zielgruppen stelle ich die Arbeit in drei Teilen dar: 1. Erkundung im Oberemmental und Erkenntnisse daraus (ab Seite 7) 2. Kirchliche Fragestellung und mögliche Handlungsfelder für die Kirche (ab Seite 57) 3. Methode: Vorgehensweise und Reflexion (ab Seite 71). In Anerkennung der Region Oberemmental stelle ich die Erkundung und die inhaltlichen Ergebnisse an den Anfang der Arbeit.

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Es bleibt den Leserinnen und Lesern überlassen, wo sie in die Lektüre einsteigen wollen. Ein Quereinstieg bedeutet vermutlich vermehrtes Hin- und Herblättern, das ich mit Querverweisen zu erleichtern suche. Zu Beginn der Kapitel werde ich den inhaltlichen Bezug zu den Zielen und Methoden jeweils kurz darstellen, am Ende der Kapitel stehen meine Überlegungen als Kommentar in kursiver Schrift.

Nutzen Jede Zielgruppe ist eingeladen ihren eigenen Nutzen aus der Arbeit zu ziehen: Die Oberemmentalerinnen und -emmentaler können lesen, wie ich ihre Region von aussen wahrgenommen habe und was von Seiten des Kantons und des Bundes im Gange ist und möglicherweise Handeln er- fordert. Die Kirche erhält anhand des vertieften Einblicks in eine ländliche Region Grundlagen und Handlungsfelder für ihre Regionalpolitik. Fachleu- te fühlen sich eventuell ermutigt, mit dem beschriebenen methodischen Werkzeugkasten in die Arbeit in ihrer Region einzutauchen.

Gestaltung Auf den rechten Seiten steht die Arbeit entsprechend dem Inhaltsver- zeichnis. Auf den linken Seiten sind Illustrationen, Zitate und Anschau- ungsmaterial eingefügt. Besteht ein direkter Zusammenhang zwischen lin- ken und rechten Seiten weise ich darauf hin. Die übrigen linken Seiten sind ein Sammelsurium von Eindrücken, Kultursplittern, und Assoziatio- nen, über die ich gestolpert bin. Ihre Auswirkung auf das Gesamtbild ist nicht zu unterschätzen.

Sprache Entsprechend der Recherche, die von lockeren Gesprächen in Mundart bis zum Lesen von Fach- und Gesetzestexten reichte, ist auch die Arbeit in einem Mix von Originaltönen aus dem Emmental bis Fachjargon ge- schrieben. Es ist mir ein Anliegen, dass die Arbeit für alle Zielgruppen les- bar ist, dass sich einerseits die Befragten mit ihren Aussagen im Bericht über ihre Region wiederfinden, und dass andererseits das theoretisch ab- gestützte Vorgehen sowie die Erkenntnisse nachvollziehbar sind.

Grenzen Region: Ich verwende in der ganzen Arbeit den Begriff „Oberemmental“ und meine damit die Gemeinden des Amtsbezirks Signau, Details dazu im Kapitel „Beschreibung und Begrenzung der Region“ Seite 7. Glaubensgemeinschaften: Im Oberemmental gibt es verschiedene Glaubensgemeinschaften. Laut Statistik (Seite 41) können sie nur einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmachen. In den Interviews wurden sie spontan nur am Rande thematisiert, was nicht heisst, dass gewisse Grup- pen für lokal eingegrenzte Gebiete nicht prägend sein können. Ich habe diese Fragen abgegrenzt und verweise auf die Publi-kation „Gott und die Welt im Emmental“ von Thomas Hengarter, 1990. Kultur und Brauchtum: Ich verzichte auf eine vertiefte Beschreibung – das wäre eine separate Arbeit wert – und verweise auf die Kultursplitter mit Quellenangaben auf den linken Seiten. Heterogene Ziele und Zielgruppen: Manche Informationen sind für die eine Zielgruppe wichtig und der anderen bestens bekannt: Lesen Sie ein- fach bei dem Abschnitt weiter, der für Sie von Interesse ist. Ich stelle in dieser Arbeit eine möglichst vielseitige Sichtweise und breite Lesbarkeit in den Vordergrund.

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Teil 1

Die Region Oberemmental

Gliederung 1. Beschreibung und Begrenzung der Region 2. Die Geschichte des Oberemmentals 3. Das Oberemmental aus der Sicht der Bevölkerung Menschen: Mentalität und Befindlichkeit Gemeinschaft Natur und Landschaft Wärche und verdiene Wohnen und geniessen Das Oberemmental, der Kanton und die Welt Identität und Label Blickpunkt Jugendliche 4. Initiatives Oberemmental: Innovationen, Nischen und Konzepte 5. Die Region aus der Sicht der Statistik 6. Das Oberemmental aus der Sicht des Kantons Raumplanung Wirtschaftspolitik Bildungspolitik 7. Der ländliche Raum aus der Sicht des Bundes Neue Regionalpolitik 8. Erkenntnisse

1. Beschreibung und Begrenzung der Region Als Grundlage für die Erkundung und Darstellung grenze ich das Gebiet ein: Was ist das „0beremmental“ und wie ist es vom übrigen Emmental und der Schweiz abzugrenzen? Auch die angewandte PLA-Methode (Seite 71) setzt ein klar eingegrenztes Gebiet voraus. Eine Be- schreibung nach sieben Kriterien:

Geologisch Das Emmental kann als Schuttmasse der Ur- aufgefasst werden, de- ren Ablagerungen sich zu Molassegestein verfestigt haben, und zwar je nach Material zu Nagelfluh, Sandstein oder Mergel. Auf der Wasserun- durchlässigkeit des Mergels beruht das Vorkommen unzähliger Quellen, welche die für das Emmental typische Streusiedlung überhaupt erst er- möglichen. Da das Napfbergland während der grössten der vier Eiszeiten nur teilwei- se von Eis bedeckt war und während der letzten (Würm) gar eine eisfreie Insel zwischen den Gletscherströmen bildete, war es der Erosion durch kleine und grosse Gewässer viel früher und länger ausgesetzt als die an- deren Teile des schweizerischen Mittellandes. Nur die Täler der Haupt- flüsse weisen eine gewisse Breite auf. Sonst bietet das Bergland das Bild eines dichten, fiederartig verzweigten Netzes von engen, tiefen Tälern („Gräben“), zwischen denen langgedehnte, vielverästelte Kämme („Eg- gen“) als Erosionsreste stehen geblieben sind. (Fritz Häusler, 1982, 8)

Geografisch Eggen und Gräben lassen keine topografisch logischen Begrenzungen zu: Mal folgt die Grenze einem Hügelzug, mal quert sie ein Tal. Ganz grob kann man sich folgende rechteckige Fläche vorstellen: vom Napf über die Kantonsgrenze nach Süden bis Schangnau. Dann nach Westen bis Röthenbach, nach Norden über Signau bis Rüederswil. Dann nach Osten via Ran- flüh und Lüderen wieder zum Napf.

6 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Ämmital

Egge, Börter, Häng u Chräche Höger, Höger überall Naguflue u Bäch u Schäche Wälder, Matte Ämmital

Signou, Bärou, Mungnou, Schangnou Rüegsou, Aeschou, Eggiwil Wase, Sumiswald u Langnou Lützelflüe u Zäziwil

Ämmematt u Trueb, Tuebschache Grosshöchstette, Landiswil Hasli, Ramsei, Rüegsouschache Chonufinge u Bowil

Hogerland, Chrachetal Heimatland, Ämmital

Granium u Ätti, Müetti Süniswyb u Tochterma Hälfdirgott, duminigüeti Sime hü, spann d’Märe a

Säie, mäie, zacherfahre Bösha, wärche wie ne Hung Usla, ytue, gnuetue, spare U am Sunntig när i d’Stung

Herroherr di tüe mir lobe bättet lut der Brueder Schär Herroherr im Himmu obe Hergottdonner hei mir’s schwär

Hogerland, Chrachetal Heimatland, Ämmital

Mit de Bänggle, mit de Täsche Zieh sie us, u chöme hei Hei verlore, Pfyffe Fläsche Helde! We sy gwunne hei

Liebusfridusgödusdänu Kärnchrischteslisebeth Langeneggers Willus Mänu Wyler Miggus Annegret

Housi, Rüedu, Aschi, Chrigu Hie e Bursch u dert e Löu Chlafter, Rääf u Nouss u Strigu Niene geits so gangs wie’s wöu

Hogerland, Chrachetal Heimatland, Ämmital

Tinu Heiniger

7 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Das Oberemmental liegt in der Mitte der Schweiz: Wenn man Genf und den Bodensee mit einer Linie verbindet und Basel mit Chiasso, so kreu- zen sich die Linien im Oberemmental.

Politisch Das ganze Oberemmental gehört zum Kanton Bern und wurde seit dem Mittelalter von Bern mehr oder weniger beherrscht. Die Abgrenzung zum übrigen Emmental ist historisch nicht so klar, die Herren sassen mal in Trachselwald, später in Signau. Seit 1803 gibt es den Amtsbezirk Signau mit 9 Gemeinden: Eggiwil, Lang- nau, , Röthenbach, Rüderswil, Schangnau, Signau, Trub, Trub- schachen. Sehr klar ist die Abgrenzung nach Osten mit der Kantonsgrenze zu Lu- zern.

Kirchenpolitisch Der kirchliche Bezirk Oberemmental ist nicht deckungsgleich mit dem Amtsbezirk Signau. Er umfasst 14 Kirchgemeinden und reicht weit nach Norden ins Amt Trachselwald: zu den Gemeinden des Amtsbezirks Signau (s.o.) kommen Wasen, Sumiswald, Rüegsau, Lützelflüh, und Affol- tern im Emmental hinzu. Die Grenze zum Kanton Luzern ist zugleich Religionsgrenze zum katholi- schen Gebiet.

Verbandspolitisch Im Verband „Region Oberes Emmental“ haben sich 10 Gemeinden zu- sammengeschlossen. Zusätzlich zum Amtsbezirk Signau ist Landiswil (Amt Konolfingen) dabei. Die Gemeinden verbinden zwei gemeinsame Entwicklungskonzepte (1975 und 1990). Der Verband ist eine der 54 In- vestitionshilfe-Regionen (IHG) der Schweiz. Er ist gemäss kantonalem Baugesetz zuständig für die regionale Raumplanung.

Verkehrsmässig Seit 1875 durchquert die Bahnlinie Bern – Langnau – Luzern das Ober- emmental. Ebenso gibt es eine Querverbindung Bern – Burgdorf – Lang- nau. Auf diesen Hauptachsen ist das Gebiet mit öffentlichem Verkehr gut erschlossen. In viele Seitentäler gibt es zu den Hauptverkehrszeiten Bus- verbindungen. Die Streusiedlungen sind mit kleinen Strassen erschlossen – z.T. haben die Gemeinden ein riesiges Strassennetz zu unterhalten. Das Oberem- mental hat keinen Autobahnanschluss, dieser wird aber heftig diskutiert: Die einen erhoffen sich dadurch wirtschaftlichen Aufschwung (Ansiedlung von Gewerbe und Industrie), die anderen fürchten mehr Verkehr und ei- nen „Abfluss“ von einheimischem Gewerbe und von Arbeitskräften.

Kulturell Das Oberemmental verfügt über eine sehr reiche Kultur. Auf eine Be- schreibung verzichte ich wie in der Einleitung begründet.

Kommentar Es gibt keine offensichtlich klare Begrenzung des Oberemmentals. Je nach gewähltem Kriterium können die Grenzen verschieden verlaufen. Einzig die Kantons- und Religionsgrenzen nach Lu- zern – dem katholischen Gebiet – erscheinen mir politisch und historisch als ein Faktum. Trotz- dem erlebte ich das Oberemmental als sehr kompakt und stark in seiner Identität. Dies ist sicher zu einem guten Teil das Verdienst der Entwicklungskonzepte und des Verbandes Region Obe- res Emmental. Aus ganz praktischen Gründen habe ich entschieden, mich auf die Gemeinden des Amtsbezir- kes Signau zu beschränken, da über diese Gemeinden ab 1900 einigermassen vergleichbares statistisches Material vorhanden ist. Auch im Gespräch mit den Leuten erschien mir diese Ein- grenzung stimmig. Also umfasst in dieser Arbeit der Name Oberemmental die Gemeinden Eggiwil, Schangnau, Röthenbach, Langnau, Signau, Trub, , Rüderswil und Lauperswil.

8 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Ganz aktuell verändert sich die Begrenzung des Gebiets erneut: Am 29. April 2004 hat der Ber- ner Regierungsrat eine Bezirksreform beschlossen. Wenn das Volk 2006 zustimmt, werden ab 2009 die Amtsbezirke Signau, Trachselwald (im Norden) und Konolfingen (im Westen) in einen einzigen Amtsbezirk zusammengefasst. Der Amtssitz ist noch nicht definitiv bestimmt, die Chancen für Langnau stehen gut. Es stellt sich die Frage, wie das Oberemmental diese Ent- wicklung nutzen wird. Praktisch gewinnt die Region vermutlich ausser einigen zusätzlichen Ar- beitsplätzen in der Langnauer Verwaltung nicht viel – auch die drei dazu gewonnenen Ämter gelten eher als strukturschwach – jedoch ist der Statusgewinn möglicherweise nutzbar. Auch wird das neue „Amt Emmental“ direkt an die Grossagglomeration Bern grenzen. Hier könnten sich – geschickt genutzt – durchaus Chancen auftun.

2. Geschichte des Oberemmentals

Zur Erkundung einer Region gehört neben der räumlichen Darstellung auch die Zeitachse: Die Geschichte von der Besiedelung bis heute prägt die Gegenwart mit. In meiner Vorstellung bilden der Raum (horizontal) und die Zeitachse (vertikal) die Koordinaten, in die ich die aktuellen Er- eignisse einordnen kann. Daraus entsteht ein Gesamtbild. Aus der Geschichte ist vieles erklär- bar, was heute auf den ersten Blick seltsam anmutet. Zum Beispiel warum so viele prachtvolle Höfe auf den Eggen stehen oder warum die kleine Gemeinde Trub so zahlreiche Burger in der ganzen Welt hat. Auch spiegelt sich die Geschichte in der so typischen Emmentaler Kulturland- schaft. Viele Äusserungen in den Interviews ab Seite17 sind im Kontext der Geschichte besser zu verstehen.

Anmerkung: In diesem Kapitel habe ich auf das korrekte Nennen beider Geschlechter verzich- tet. Die Bäuerinnen, Mägde, Taglöhnerinnen und auch die Herrinnen werden nicht erwähnt. Lei- der gehen meine geschichtlichen Quellen nur unzureichend auf die Geschlechterrollen ein und sind sprachlich diesbezüglich nicht präzis. Meine Quellen legen den Fokus mehr auf die Stände: Die Adligen, der Bauernstand, die Tauner. Die geschlechterspezifische Aufarbeitung der Em- mentaler Geschichte wäre ein eigenes Projekt. Mehr Einblick bietet die Literatur. Sie beschreibt die Geschlechterrollen vielseitiger, z. B. Katharina Zimmermann in „Die Furgge“, Urs Hostettler in „Der Rebell vom Eggiwil“ und Simon Gfeller in „Frauenwille“.

Bis ca. 800 n. Chr. galt das obere Emmental als Urwald und war nicht besiedelt. Die riesigen Wälder wurden für die Jagd genutzt.

Gegen 1000 n. Chr. fand die alemannische Landnahme statt. In den folgenden Jahren wurden die Täler des oberen Emmentals urbar gemacht und besiedelt.

Um 1130 Gründung des Klosters Trub (Benediktiner), 1148 folgte Röthenbach

Bis 1300 war das grundlegende Netz der Dörfer, Weiler und Einzelhöfe ausgebrei- tet. Auch die Kirchen waren gebaut, einzig Schangnau (Ende 16. Jh.) und Eggiwil (1631) kamen später hinzu. Im Mittelalter waren die Bauern meist nicht freie Eigentümer sondern be- wirtschafteten als Hörige oder Leibeigene das Land eines adligen oder geistlichen Herrn. Jährlich mussten die Bauern einen Bodenzins und Ab- gaben leisten. Die Stadt Bern schloss mit den Herren Burgrechts- und Schirmverträge. Die adligen und geistlichen Herren verpflichteten sich, ih- re Leute zu Steuern und Kriegsdienst heranzuziehen. Um 1400 war prak- tisch das ganze Emmental von Bern abhängig.

1400 – 1600 setzte ein markantes Bevölkerungswachstum ein, das zu einer drücken- den Landnot führte. Diese bewirkte einen weiteren Siedlungsvorstoss in die Hochwälder des Berglandes, wo durch Rodungen Alpen erweitert oder neu geschaffen wurden, und in die Schachen (Schwemmland am Talbo- den), die bis dahin ungenutzt blieben. Im Schachen liessen sich die Ange- hörigen des damaligen ländlichen Proletariats nieder, Kleinhandwerker und Tauner (Taglöhner). Oben

9 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Täuferfamilien wurden aus dem Emmental ver- trieben

„Alle schauen sie in die Richtung, aus der sie gekommen sind. Auch Madleni dreht sich um und hätte beinahe geschrien vor Weh. Da steht sie, die Furgge, breit und in der Mitte ein wenig eingefallen, mit vielen senkrechten Falten und weissen Schneeflecken, und drunter die Wimmialp, Gmeinenwängen und... die Luterschwändi. Madleni sieht Kühe, meint jede beim Namen nennen zu können, so nah sind sie. Der Berg ist voll Sonne, zum Juchzen schön. Aber keines lässt einen Juchzer fahren, auch die Kinder sind still. Traurig nicken die weissen Röschen im Hag.“

Aus: Die Furgge, Katharina Zimmermann, 1989, 197

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wohnten die Reichen, unten die Armen. In geschickter Anpassung an die Bodengestalt erfolgte die Besiedelung in Form von Dörfern, Weilern und Einzelhöfen. Die Gemeinden Trub, Schangnau, Eggiwil und Röthenbach waren immer Streusiedlungen und nahmen erst in neuester Zeit das Aus- sehen von Dörfern an. 1467 trat Langnau als Marktflecken in Erscheinung und wurde im 17. Jh. zum Zentrum für Handwerk und Gewerbe. Im ganzen Oberemmental ist keine Stadt entstanden, erst Mitte des 19. Jh. wurde Langnau zum Amtssitz vom Amt Signau ernannt.

1528 mit der Reformation wurden die Klöster Trub und Röthenbach aufgeho- ben, und Bern hatte die uneingeschränkte oberste Militär-, Gerichts-, Poli- zei- und Religionsgewalt. Die Reformation kam im Allgemeinen im Em- mental gut an, errichtete sie doch eine Schranke zum benachbarten ka- tholischen Entlebuch, die erfolgreich Umzug oder Heirat verhinderte. Die- se Grenze ist noch heute spürbar. Die neu entstandene reformierte Landeskirche ging scharf gegen abwei- chende Glaubensmeinungen vor, unterdrückte und vertrieb die Täuferfa- milien, die gerade im oberen Emmental sehr zahlreich waren, siehe Text- ausschnitt auf der linken Seite.

1600 wurden die Schachen von Gemeinland in Sondereigentum umgewandelt und unter den Bauern verteilt. Die Bauern betrieben vor allem Ackerbau und entwickelten die sogenannte „Aegertenwirtschaft“, in welcher die Fel- der in einem fünf- bis sechsjährigen Turnus als Acker, Wiese oder Weide genutzt wurden. Weitere Einkommensquellen waren Waldwirtschaft und Holzverarbeitung. Die hohen Weisstannen lieferten wertvolles Bauholz, das bei der Schneeschmelze über die Ilfis und die , weiter unten via Aare und Rhein bis nach Deutschland und Frankreich geflösst wurden. Das Emmental pflegte früh internationalen Handel und übernahm auch Neues, wie z.B. den Kartoffelanbau.

1653 wehrten sich die Emmentaler und Entlebucher Bauern im Bauernkrieg ge- gen die Obrigkeit in Bern und Luzern. Vorangegangen war der Dreissig- jährige Krieg, während dem das Emmental gute Geschäfte mit den kriegs- führenden Parteien gemacht hatte. Die anschliessende Wirtschaftskrise, Geldentwertung, die Habgier von Bern und die zunehmende Not der Bau- ern im Emmental führten zu dem Aufstand.

1750 Blütezeit des Leinwandgewerbes: Hanf- und Flachsanbau in den Ebenen, Heimspinnereien und Heimwebereien. Die Leinenverarbeitung bot Er- werbsmöglichkeiten für die Kleinbauern und Tauner. Mit der Einführung der maschinellen Herstellung des Garns und der Stoffe im 19. Jh. wurde die Heimarbeit unrentabel.

Um 1830 wurde der „Emmentaler“ erfunden. Vorher wurde Käse ausschliesslich auf den Alpen hergestellt – es herrschte die Überzeugung, dass Milch nur auf Alpen zu Käse reifen könne.

1837 ereignete sich die grosse Wassernot im Emmental, die Gotthelf veranlass- te den gleichnamigen Roman zu schreiben. Im Eggiwil steht heute noch ein Haus, wo man sehen kann, wie hoch das Wasser kam.

Bis 1850 stellte praktisch das ganze Emmental auf Milchwirtschaft um, Talkäserei- en wurden gegründet, und der „Emmentaler“ wurde in die ganze Welt ex- portiert. Durch die Umstellung von Ackerbau auf Milchwirtschaft, den Rückgang des Leinwandgewerbes und die Bevölkerungszunahme stieg die Anzahl der armen Bevölkerung massiv an. Schon seit Jahrhunderten sorgte das Erbrecht – der jüngste Sohn erbt den Hof – dafür, dass wohl die Bauernhöfe in ihrer Existenz gesichert

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Härdopfuschnätz

Auso, für achti han i Härdöpfu gwäsche, grüschtet u no einisch gschwäicht u nächhär chlyneri viergeggeti Würfeli gschnitte. Der gross Chochhafe han i afe füre gnoh. Zersch han i no müesse aafüüre, mir hii aube nume ds Zaabe ufem Elektrische gmacht.

aus: Härdöpfuschnätz, Truber Tagebuch von Marie Rüegsegger (2001, 44) Der Textausschnitt bezieht sich auf das Jahr 1956, als die Autorin 10 Jahre alt war.

12 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

waren, jedoch die übrigen Kinder – sollten sie nicht gut heiraten oder als Knechte und Mägde auf dem Hof bleiben – auf Arbeit oder Auswanderung angewiesen waren. Die Auswanderung brachte aber nur bedingt Entlas- tung, da die burgerliche Armenpflege auch für die ausgewanderten Armen unterstützungspflichtig blieb. Das Ausmass der Auswanderung lässt sich erahnen an der heutigen Zahl von 45’000 Truberinnen und Truber in der Schweiz. Die Armut der Region zeigte sich auch im düsteren Kapitel der Verdingkinder, nachzulesen bei Gotthelf im Roman Bauernspiegel (1838) und bei Fredi Lerch, „Die grosse Scham der armen Leute“ (2004).

1857 rettete der Übergang der burgerlichen zur örtlichen Armenpflege das Em- mental vor dem Ruin.

1832 – 1860 entstand im Emmental ein neues Strassennetz dank einem Gesetz, das den Strassenbau und -unterhalt zur Staatsaufgabe erklärte.

1864 – 1875 Bau der Eisenbahnstrecke Bern – Langnau – Luzern. (Bis hier zusam- mengefasst: Fritz Häusler, 1982, 9-29.)

1939 – 1945 Während dem 2. Weltkrieg war die ganze Schweiz von den Achsenmäch- ten umschlossen und auf Selbstversorgung angewiesen. Im Sinne des Plans „Wahlen“ wurde der Anbau von Nahrungsmitteln stark gefördert. Die offenen Ackerflächen wurden in diesen Jahren nahezu verdoppelt. Die Ar- beit wurde vor allem von den Frauen, Kindern und den Internierten geleis- tet. Der ländliche Raum hatte eine zentrale „vaterländische“ Rolle.

1950 ging die Anbaufläche fast auf die Vorkriegsgrösse zurück.

1960 strich der Bund die Subventionen für den Flachs- und Hanfanbau, was das Ende vieler Leinenwebereien im Emmental bedeutete.

1975 erarbeitete der Verband Region Oberes Emmental das erste Entwick- lungskonzept für die Region.

1979 trat die Raumplanungsgesetzgebung des Bundes in Kraft, die erstmals in der Schweiz die Nutzung des Raumes planerisch regelte und von den Kantonen Richtpläne forderte.

1990 entwickelte der Verband Region Oberes Emmental mit breiter Bürgerbe- teiligung das zweite Entwicklungskonzept (Seite 35).

1997 verabschiedete der Bund das Gesetz über die Förderung der Bergregio- nen, das eine Angleichung der Unterschiede zwischen Stadt und Land bewirken soll.

2002 Verabschiedung des kantonalen Richtplanes im Kanton Bern (S. 41).

2004 Wachstumsstrategie des Berner Volkswirtschaftsdepartementes (S. 43).

28. April 2004 Bundesrat Deiss stellt die neue Regionalpolitik des Bundes vor (S. 49).

29. April 2004 Der Berner Grossrat nimmt die Bezirksreform an (vgl. Seite 11).

Kommentar Das Oberemmental steht in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Kanton Bern, zur Schweiz und zur Welt. Kantonale, nationale und globale Politik und Wirtschaft wirken ganz direkt auf das lo- kale Gebiet. Das ist heute so – das galt aber, wie die Geschichte zeigt, auch schon früher. Die- se Zusammenhänge sind den Bewohnerinnen und Bewohnern bewusst. So zogen in den Inter- views mehrere Personen Parallelen zwischen dem Bauernkrieg 1653 und heute: Auch damals seien die Preise gefallen und die in Bern hätten nur in ihrem eigenen Interesse gehandelt.

13 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Steht der nächste „Aufstand des ländlichen Raumes“ bevor? Von Politikerinnen und Politikern von Agglomerationsgemeinden hörte ich in einem Workshop in Luzern Befürchtungen, wonach „die ländlichen Grossräte zu gut organisiert“ wären und „geschlossen ihre Interessen durchbo- xen“ würden. Auch in Bern wurden im Vorfeld der Abstimmung um die Tram-Erweiterung nach Bern-West Stimmen laut, die eine „Ohrfeige“ der Land- gegen die Stadtbevölkerung befürchte- ten. Im politischen System der Schweiz ist – zumindest im Falle von Verhinderungstaktik – durchaus eine gegenseitige Abhängigkeit zu erkennen. So wurde denn auch am 16. Mai 2004 die Tram-Erweiterung Bern West abgelehnt: Die Städte Bern, Thun, Biel waren dafür, die ländli- chen Gemeinden dagegen. Bei diesem Spiel können beide Parteien nur verlieren: Stadt und Land. Seit 2002 zeichnet sich kantonal und national ein markanter Richtungswechsel ab, der den länd- lichen Raum massiv unter Druck setzt. Es braucht eine Einsicht für die gegenseitige Abhängig- keit und den Willen, gemeinsame Ziele anzustreben, wenn sich der Gesamtkanton in eine posi- tive Richtung entwickeln soll. Am Beispiel des Tramprojekts Bern West kann das heissen: Mit dem Tram erlebt die Stadt Bern eine Aufwertung und – wer weiss – erhält der Drahtseilherstel- ler in Trubschachen den Auftrag für die neue Oberleitung.

3. Das Oberemmental aus der Sicht der Bevölkerung 18 Interviews bilden die Grundlage für die folgenden acht Themenfelder. Die Interviewpersonen äussern sich zu Stärken, Schwierigkeiten und Zukunftsaussichten ihrer Region. Die folgenden Texte sind eine Verdichtung ihrer Aussagen. Komplett nachzulesen sind die Stichworte und Kernsätze der Aussagen in Teil 3 ab Seite 70 auf den linken Seiten. Die Befragungsmethode und die Gruppenzusammensetzung der Interviewten sind in Teil 3 beschrieben (S. 79). Jedes Themenfeld gliedert sich in Stärken, Schwierigkeiten und einen Blick in die Zukunft. Am Ende jedes Themenfeldes ziehe ich ein kurzes Fazit mit meinem persönlichen Kommentar.

Menschen: Mentalität und Befindlichkeit Stärken Die Menschen sind verwurzelt in der Region. Sie beschreiben sich als bo- denständig, treu zu Familie, Nachbarschaft und Gemeinde. Sie sind stark und stolz. Die Emmentaler Kultur und das Brauchtum sind ihnen wichtig. Emmentaler Arbeiterinnen und Arbeiter sind loyal, zuverlässig, flexibel und zeichnen sich durch ein hohes Qualitätsbewusstsein aus. Mit Neuzuzüge- rinnen und Neuzuzügern kommen neue Ideen und kulturelle Impulse in die Region.

Schwierigkeiten Ebenso vorhanden sind aber auch Skepsis Neuem gegenüber und eine gewisse Trägheit, alt Bewährtes über Bord zu werfen und mit neuen Ent- wicklungen mit zu halten. Einige Menschen sind auch überfordert mit dem schnellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel: Angst um ihre Existenz und vor der Zukunft überschatten ihren Alltag.

Zukunft Als Veränderungspotential gaben die Befragten an, dass die Menschen noch innovativer werden könnten, sich besser verkaufen und vorwärtsge- wandt den Anschluss an die moderne Welt mit ihren neuen Medien und Technologien erreichen müssten. Sie müssten noch kreativer „die Rest- möglichkeiten der Region in Pluspunkte umsetzen“, sagte eine Frau im Eggiwil.

Kommentar Es war auffallend, wie häufig in den Gesprächen die Menschen als die grösste Ressource der Region genannt wurden. Den Befragten ist sehr bewusst, dass sie das Potenzial der Region sind und die Entwicklung ent- scheidend mitprägen. Eine Wirkung der Entwicklungskonzepte?

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Eine Eigenart der Emmentalerinnen und Emmentaler – so wie sie Gotthelf schon beschrieb?

Gemeinschaft Stärken Der soziale Zusammenhalt, Nachbarschaftshilfe und der Umgang mitein- ander werden als die absolute Stärke beschrieben: sowohl in der Familie, wo die Mehrgenerationenfamilie zu einem guten Teil die Kinderbetreuung und Altenpflege übernimmt, wie auch im Dorf. Dies ist durchaus auch als Wirtschaftsfaktor zu verstehen: Die Familien und Dorfgemeinschaften tra- gen einen grossen Teil dessen, was andernorts der Staat als Sozial- und Gesundheitsausgaben berappt. Überblickbare Grösse und Strukturen im Dorf geben Sicherheit. Gemein- same Tradition und Brauchtum – punktuell ergänzt mit neuer Kultur – vermitteln Identität und Heimatgefühl.

Schwierigkeiten Beklagt wird die mangelnde (staatliche) Anerkennung der unbezahlten Leistungen in Pflege, Kinder- und Altenbetreuung, der Ausbildungsplätze in KMU’s, der Nachbarschaftshilfe, der Freiwilligenarbeit, Gemeinschafts- förderung etc.: Würde der Staat diese Leistungen in barer Münze zahlen, wäre das Oberemmental nicht die ärmste Region des Kantons. Befürchtet wird, dass mit der Einführung professioneller Sozialhilfe das informelle Hilfsnetz geschwächt wird und grosse Bemessungslücken sichtbar wer- den.

Zukunft Als grosse Bedrohung für den sozialen Zusammenhalt werden die Schliessungen von Schulen, Käsereien und Dorfläden wahrgenommen: Wenn der alltägliche Kontakt wegfällt, wird Nachbarschaftshilfe schwierig, die Familien leben zunehmend isoliert, eine gewachsene Struktur geht verloren.

Kommentar Die Kehrseiten des sozialen Zusammenhalts, wie familiäre Enge, Überlas- tung oder soziale Kontrolle, werden nur zögerlich benannt – sind sie nicht vorhanden oder ein Tabu?

Natur und Landschaft Stärken Natur und Landschaft im Oberemmental seien schön und ein grosses Gut, darin sind sich alle Befragten einig. Die Landschaft mit ihrer Streusiedlung ist eine vom Menschen über Generationen gestaltete und gepflegte Kul- turlandschaft. Sie werden genutzt als Naherholungsraum von den Bewoh- nerinnen und Bewohnern der Ballungszentren. Die natürlichen Rohstoffe sind intakt, werden allerdings unterschiedlich intensiv genutzt: Wasser, Holz, Luft, Wind, Sonne. Es hat noch Platz zum Leben, zum Austoben oh- ne andere zu stören.

Schwierigkeiten Die dezentrale Infrastruktur (Strassennetz, Abwasser etc.) und die Erhaltung der Streusiedlungen sind teuer und belasten die Gemeinden. Die Abgelegenheit findet zumindest ein Teil der Jugendlichen nicht attrak- tiv. Als Naherholungsraum wird die Landschaft von vielen Städterinnen und Städtern „benutzt“: hinfahren, geniessen, abfahren.

Zukunft Die Kulturlandschaft ist gefährdet: Würde sie von der in der Landwirtschaft Tätigen nicht mehr gepflegt, würde sie verschwinden und mit ihr das typische Landschaftsbild sowie die besondere Tier- und Pflan- zenwelt des Emmentals. Für die Vermarktung der Landschaft sind vielfäl- tige Ideen vorhanden, von sanftem Tourismus bis Rennstrecke am Talbo- den. Die natürlichen Ressourcen Wasser, Sonne, Holz, Luft und Wind sol- len besser genutzt werden. Eine Bewohnerin gibt ihrer Hoffnung Aus- druck, dass sich die Schweiz in Anbetracht des

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globalen Raubbaus an der Natur auf den Wert ihrer Kulturlandschaften zu- rück besinnt.

Kommentar Es stellt sich die Frage nach dem Wert, den die Gesellschaft der Kulturlandschaft zumisst: Ist sie in ihrer Gesamtheit und ihrer heutigen Ausprägung ebenso schützenswert wie ein Baudenkmal? Ist nicht gerade die Anpassung an die menschlichen und wirtschaftlichen Gegebenheiten (siehe Geschichte, Seiten 11/13 und Seite 46) ein Charakteristikum? Würde ein „Gesetz zum Schutz der Kulturlandschaft“ die Entwicklung der Region behindern und die Gestaltungsfreiheit ihrer Bevölkerung be- schränken? Eine Gratwanderung.

Wirtschaft: Wärche und verdiene Stärken Gelobt wird die ausgeglichene Verteilung der Sektoren Landwirtschaft, Gewerbe und Dienstleistung mit je einem Drittel der Beschäftigten. Eben- so die vielen, gut qualifizierten Arbeitskräfte (vgl. Menschen, Seite 17), das gesunde Gewerbe mit vielen verschiedenen KMU’s inklusi- ve bestem Kundenservice und die Stärke im Gesundheits- und Pflegebe-

reich. Die traditionell partnerschaftliche Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in der Landwirtschaft – jede Person hat ein eigenes Arbeitsfeld, in dem er oder sie selbstverantwortlich handeln kann – begünstigt die Be- weglichkeit im wirtschaftlichen Wandel. Die wirtschaftliche Entwicklung im oberen Emmental sei zwar langsam, wird berichtet, aber breit und mit hoher Beteiligung von kleinen kreativen Betrieben und Projekten: „Weniger grossi Gümp, aber weniger anfällig.“ Die grossen Betriebe sind oftmals gut in die lokale Kultur eingebunden, z.B. Kambly und Zaugg. Es bestehe durchaus die Bereitschaft – nach reiflichem Überlegen – Wis- sen und Projekte von aussen zu integrieren, meint eine Bewohnerin, es existiere zudem eine lange Tradition an Aussenkontakten, vom mittelalter- lichen Flössergeschäft bis zum globalen Käsehandel.

Schwierigkeiten Erschwerend für die wirtschaftliche Entwicklung werden das tiefe Volkseinkommen, die hohen Steuern und die nur beschränkt möglichen öffentlichen Investitionen genannt. Der Strukturwandel in der Landwirt- schaft wird weitergehen. Viele rechnen damit, dass die heutige Anzahl Bauernbetriebe halbiert wird. Man vermutet, dass viele Bauernfamilien schon heute von der Substanz lebten. Es wird eine negative Verkettung der Wertschöpfung befürchtet: Geht’s der Landwirtschaft schlecht, erhält das lokale Gewerbe weniger Aufträge, landwirtschaftliche Nebenerwerbe und Gewerbe konkurrenzieren sich.

Zukunft Ideen für Veränderungen sind viele vorhanden: Die Landwirtschaft muss sich in Richtung weniger, aber grösserer Betriebe entwickeln, mehr Spezialitäten (vgl. Projekte, Seite 29) und kombinierte Betriebe („Land- wirtschaft und Streichelzoo“). Die Landwirtschaft als „Gestalterin der Kul- turlandschaft“ kann eine zentrale Rolle spielen bei der Erhaltung der Kul- turlandschaft und somit der Standortvorteile der Region bezüglich Woh- nen und Tourismus, wie auch für die Identität der Region. Gewerbe und Industrie müssen sich neue Nischen eröffnen, Richtung neue Technologien (nicht transportabhängig) und KMU mit hochqualifizier- tem Kundendienst. Im Technologie-Sektor müssen mehr Know-how im- portiert und die Zusammenarbeit mit den technischen Hochschulen aus- gebaut werden. Würden z.B. die Energieträger Sonne, Wasser und Holz besser genutzt, könnte das ganze Emmental versorgt werden (siehe Seite 32).

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Im Dienstleistungssektor geht es um den Ausbau des Pflegepotentials all- gemein, innovative Pflege- und Betreuungsleistungen sollen ausgebaut werden. Als beispielhaft wird die alternativmedizinische Abteilung im Re- gionalspital Langnau genannt.

Kommentar Die Region steht relativ ausgeglichen auf drei Standbeinen: Landwirtschaft, Gewerbe, Dienstleistung. Diese „Dreibeinigkeit“ verleiht ihr zwar nicht Reichtum, aber eine gewisse Stabilität und Balance, erkennbar z.B. an der sehr tiefen Arbeitslosigkeit. Es gibt nur wenige Gebiete, die von einem dominierenden Unternehmen abhängig sind. Auch die meisten Familien stehen auf mehreren Standbeinen: Landwirtschaft, etwas Tou- rismus, etwas Gewerbe, Nebenerwerb etc. Der vom Bundesamt für Um- welt, Wald und Landschaft geforderte Strukturwandel ist deutlich zu er- kennen. Der Selbstversorgungsgrad der Menschen in der Region ist hoch, nicht nur bezüglich Nahrungsmittel, sondern auch hinsichtlich inner- familiärer Betreuung, nachbarschaftlicher Hilfe und handwerklichem Können: Ein guter Teil der alltäglichen Bedürfnisse wird nicht monetär abgewickelt. Allgemein stellt sich die Frage: Ist das Oberemmental schnell genug, um mit der Marktöffnung, der globalen Wirtschaft, mit neuen Technologien mithalten zu können? Oder langsam und standhaft genug, um – wie so oft in der Vergangenheit – einen eigenständigen Weg zu finden?

Wohnen und geniessen Stärken Die Wohnqualität im oberen Emmental ist hoch: viel Sonne, nebelfrei, schöne Natur und Landschaft, gute Luft, Sicherheit. Auch für sanften Tou- rismus eignet sich die Region ausgezeichnet.

Schwierigkeiten Als Hindernis beschreiben viele die bestehende Baugesetzgebung, die Umnutzungen und Ausbau von landwirtschaftlichen Gebäuden erschwere, vgl. Abschnitt zum Raumplanungsgesetz (Seite 47). Die abnehmende oder fehlende Infrastruktur (Schulen, Käsereien etc.) sei nicht attraktiv für neu zuziehende Familien. Auch wird die oben gelobte „Nähe“ im Zusam- menleben nicht von allen Neuzuziehenden positiv empfunden. Einige be- fürchten, dass ein intensiveres Wohnstandortmarketing nicht nur die er- wünschten guten Steuerzahlerinnen und Steuerzahler anziehen könnte, sondern auch sozial Schwache, die vom günstigen Wohnraum auf dem Lande profitieren möchten und möglicherweise die Fürsorge belasten. Auch zum sanften Tourismus sind die Meinungen geteilt: „Kostet viel und bringt wenig“, meint ein Gesprächspartner trocken.

Zukunft Trotzdem wird gerade hier Potenzial geortet: In einer kürzlich erschienenen Diplomarbeit (Simon Bichsel, 2003) wird Wohnstandort- Qualität in Geldwert berechnet und als Ressource im Oberemmental be- nannt. Viele sehen im sanften Tourismus ein Wachstumspotenzial, spe- ziell wenn vermehrt zusammengearbeitet würde: Synergien nutzen statt Konkurrenz von vielen ähnlichen Angeboten. Es brauche mehr attraktive Angebote für die jüngere Generation, das sei auch für die einheimischen Jungen wichtig (Eisklettern, Canyoning im Räbloch etc.), das Emmental dürfe nicht ein „50plus-Seniorenreisli-Image“ erhalten – dazu fühlten sich auch „die Alten“ zu jung. Egal ob Wohnen oder Tourismus: Die Jungen fordern mehr (Vergnügungs-)Infrastruktur wie Läden, Bars, Discos etc.

Kommentar Die Idee eines Wohnstandortmarketings erscheint bestechend: So

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kann das Oberemmental seine schöne Landschaft vermarkten und mit hohen Steuereinnahmen das Einkommen der Gemeinden verbessern. Ich möchte zwei Dinge kritisch anmerken: Holt man mehr Personen zum Wohnen als parallel dazu Arbeitsplätze geschaffen werden können, führt das zu vermehrten Pendlerströmen und weiteren typischen Problemen der Agglomeration. Das müsste gut bedacht sein. Weiter lese ich praktisch täglich in der Zeitung, dass Gemeinden und Regionen auf Wohnstandort- marketing setzen: Der Markt der langfristig guten Steuerzahlenden ist be- schränkt, speziell wenn man die sinkenden Bevölkerungszahlen (s. Statis- tik im Kommentar Seite 39) und die demografische Alterung im Kanton Bern in Rechnung stellt. Die Regionen werden sich stark konkurrenzieren, hier müsste über die eigene Region hinaus gedacht werden.

Das Oberemmental, der Kanton und die Welt Stärken Das Oberemmental liegt im Zentrum der Schweiz und relativ nahe der Städte. Es ist mit Strassen und öffentlichem Verkehr erschlossen. Vie- le Bewohnerinnen und Bewohner zeigen sich offen für die Zusammenar- beit mit anderen Regionen, sind bereit, auswärtige Projekte zu integrieren, und einige international tätige Firmen sind in der Region ansässig. Viele Familien haben bedingt durch die Auswanderung verwandtschaftliche Kontakte in die ganze Welt, wie eine ehemalige Truberin erzählt (vgl. auch Geschichte, Seite 13).

Schwierigkeiten Belastet ist das Verhältnis zum Kanton Bern: Faktisch werden nahezu alle kantonalen Angebote aus der Region zurückgezogen, die Leute füh- len sich im Stich gelassen. Ihre lokalen Werte würden nicht wahrgenom- men, ärgert sich ein Befragter, in „Bern oben“ herrschten vorgefasste Mei- nungen, die mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmten. Viele sehen Paral- lelen zur zeit vor dem Bauernaufstand vor 350 Jahren. Die Landwirtschaft ist abhängig von Direktzahlungen, entmündigt durch Subventionen, die Eigenverantwortung sinkt. Zudem haben sie Angst, komplett „abgenabelt“ zu werden, zum Beispiel im Verkehr. Mit Sorge nimmt die Bevölkerung die Schliessung verschiedener Schul- klassen und Gesamtschulen wahr. Die Kinder der kleineren Gemeinden gehen schon früh in andere Gemeinden zur Schule, z.B. in die Sekundar- schule nach Langnau und haben ihren Freundeskreis dort.

Zukunft Entwicklungsmöglichkeiten werden viele gesehen – wenn sie auch zum Teil widersprüchlich sind: - Mehr Autonomie von Bern und Experimentierraum für neue Entwicklun- gen; - die Interessenvertreter beim Kanton könnten kämpferischer sein; - vom Land in die Stadt sei es gleich weit wie umgekehrt – nicht alles müsste in den Städten zentralisiert, sondern spezielle Angebote könnten bewusst im ländlichen Raum platziert werden, wie zum Beispiel das Regi- onalspital mit seiner komplementärmedizinischen Abteilung oder Fach- hochschulen im technischen Bereich. Dasselbe gilt für den Kulturbereich. Kulturelle Aktivitäten wie das Stationentheater im Eggiwil, die Bilderaus- stellung im Trubschachen oder die Jazznights in Langnau werden als ge- glückte Beispiele genannt. - Eine „Modellregion Napf“ schaffen: Synergien mit der Biosphäre Entle- buch nutzen und in Europa gemeinsam als Modellregion für Entwicklung im ländlichen Raum auftreten. - Es könnte ein Finanzausgleich geschaffen werden zwischen Ge- meinden, die viele Kinder ausbilden und hohe Kosten haben, und

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Gemeinden mit tiefer Kinderzahl und tiefen Kosten. Dasselbe Modell wäre auch für die Altenpflege oder Kinderbetreuung vorstellbar. Die eingespar- ten Subventionen für Altersheime und Kindereinrichtungen könnten den Gemeinden vergütet werden.

Kommentar Häufig wird die Schliessung der Gesamtschulen in den Streusiedlungsgebieten im gleichen Atemzug mit Abwanderung genannt. Ich denke, die Schliessungsgründe sind ebenso in der demografischen Entwicklung zu suchen: Früher war im Oberemmental die Kinderzahl pro Familie wesentlich höher. Deutlich illustrieren dies die Nachrufe in der Wochen-Zeitung: „Lina Gerber-Ruch* wurde 1907 als fünftes von sieben Kindern in Röthenbach geboren. (...) Dem Ehepaar wurden vier Kinder geschenkt. (...) Viel Freude bereiteten Lina Gerber die fünf Grosskinder und vier Urgrosskinder.“ *Name geändert. Mit der erwarteten Abnahme der landwirtschaftlichen Betriebe, also auch der Bauernfamilien, werden zunehmend Schulklassen geschlossen.. Die Kinder werden früh mobil, zumindest wenn sie höhere Schulen besu- chen. Zum einen kann dies als Befähigung, sich in der Welt zu bewegen, verstanden werden, zum anderen beinhaltet dies sicher das Potenzial zur Abwanderung: Wenn das ausserfamiliäre Beziehungsnetz nicht mehr am Wohnort ist, zieht es einen in die Welt. Auffallend uneinig waren die Befragten, ob die Annäherung an oder gar die Verschmelzung mit der Grossagglomeration Bern wünschenswert wä- re oder nicht. Kritische Stimmen waren vor allem in Signau und Trubscha- chen zu hören, wo der Hauch der Agglomeration schon deutlich spürbar ist.

Identität und Label Stärken Die übereinstimmend genannten Stärken der vorangehenden Themenfeldern müssten hier wiederholt werden. Als zusätzliche Faktoren für die starke Identität werden das Entwicklungs- konzept II, siehe Seite 35, und die Arbeit des Verbandes Region Oberes Emmental genannt.

Zukunft Vorgeschlagen wird von einigen ein Label Emmental, das für Qualität und Echtheit stehe. Aber ebenso wichtig sei, dass die Standards, die nach aussen kommuniziert würden, in der Region dann auch wirklich um- gesetzt würden. Das Oberemmental brauche einen einheitlichen Auftritt, mit klaren Ver- antwortlichkeiten, klaren Kompetenzen, klaren Entscheiden, die den Wert und die Wichtigkeit der Region kommunizierten. Eine Frau meinte: „Nicht jammern, sondern sagen, was gut ist!“

Kommentar Absolut verblüffend war die hohe Übereinstimmung der befragten Frauen und Männer auf die Frage nach den Stärken ihrer Region. Nahezu alle sagten spontan: die Menschen, die Gemeinschaft, die Landschaft. Die Befragten verfügen offenbar über ein sehr klar umrissenes Bild der Res- sourcen und Stärken ihrer Heimat. Kaum ein Gebiet der Schweiz wurde in der Literatur so häufig und wortgewaltig beschrieben wie das Emmental. Sehr geschickt wird heute die Geschichte und Literatur für aktuelle, identi- tätsstiftende Events wie das Gotthelfjahr (vgl. linke Seite gegenüber S. 26) oder das Bauernkrieg-Jubiläum neu aufbereitet. Heimatmarketing? Als Erfolgsfaktor des Entwicklungskonzepts sehe ich den partizipativen Entstehungsprozess, bei dem alle Stärken und Problemfel- der der Region mit lokalen Akteurinnen und Akteuren aufgenommen, dis- kutiert und Lösungsvorschläge erarbeitet wurden. Für die

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Umsetzung sorgt der Verband Region Oberes Emmental – mit allen Ge- meindepräsidenten im Vorstand und einem angestellten Fachmann als Geschäftsführer.

Blickpunkt Jugendliche Stärken Die Jugendlichen meinen, die Leute seien freundlich und hätten Zeit. Die Natur sei ruhig. Es gebe viel Freiräume – zum Ausprobieren von Töff, Traktor und Auto.

Schwierigkeiten Es fehlten gute Einkaufsmöglichkeiten („ga Lädele“, kein Game-Laden etc.), die Region sei zu abgelegen und weit weg von grösseren Städten, für die einen ein „Bauernkaff“, andere meinten, „es hätte bald keine Bau- ern mehr“, es gäbe zu wenig Kinder – die Schulen gingen zu, kiffen sei ein Problem, und einige waren unzufrieden mit Lehrerinnen und Lehrern, Pfarrern und Nachbarschaft.

Zukunft Nach Visionen gefragt, meinte ein Lehrling lakonisch: „Mir näme’s wie’s isch.“ Andere fanden, das Emmental könnte schon ein wenig mo- derner werden, „dass die Leute wissen, was ein SMS ist“. Es bräuchte mehr Arbeitsplätze, mehr Läden, Discos, Bars und tiefere Steuern. Einer möchte die Tempobegrenzungen auf den Strassen aufheben, eine Renn- strecke bauen und das Autotuning – ein anderer das Kiffen – legalisieren.

Kommentar Die Jugendlichen sehen die Region ähnlich wie die Erwachsenen, wenn sie auch etwas andere Akzente setzen, andere Visionen haben und untereinander nicht immer einig sind. Die Beispiele spiegeln das Geschlechterverhältnis der befragten Gruppe: sieben junge Männer zu zwei jungen Frauen. Das Gespräch fand im Ju- gendtreff statt, vergleiche Methode, Seite 81.

4. Initiatives Oberemmental: Innovationen, Nischen und Konzepte Im vorangehenden Kapitel habe ich beschrieben, wie die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Region wahrnehmen. In diesem nun beschreibe ich die Handlungsebene: Was tun sie, um ihre genannten Stärken zu nutzen, gegen Schwierigkeiten anzugehen und den Schritt Richtung Zu- kunft zu wagen? Ganz bewusst stehen private Initiativen, unternehmerisches Handeln, grosse und kleine Projek- te neben den „grossen Konzepten“ des Verbandes Region Oberes Emmental oder des Eggiwi- ler Instituts. Die regionale Entwicklung im Oberemmental ist nicht nur das Produkt von grossen Strategien, sondern das Werk ganz vieler Hände, die ihren Beitrag geleistet haben. Die aufgeführten Projekte sind als Beispiele zu verstehen – so wie sie mir erzählt wurden –, es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, eine komplette Bestandesaufnahme aufzuführen. Die Auswahl stellt keine Wertung dar.

Initiativen von einzelnen Personen, Familien oder kleinen Betrieben Landwirtschaft Büffelkäse aus dem Schangnau: Fünf Bauernfamilien führten Wasserbüf- fel zur Milch- und Käseproduktion ein und schlossen sich in der Büffelge- nossenschaft Schangnau zusammen. Milchschafe im Eggiwil: Betrieb nach biologisch-organischen Richtlinien. Schafmilch und Käse sind gefragte Nischenprodukte, speziell auch für Al- lergiker. Viereckiger Emmentaler für die USA: Ein Käser in Schangnau kam auf die Idee, Emmentaler in Form von Quadern herzustellen. So eignet er sich bestens für den Transport und rindenfrei für die Herstellung von Cheese- burgern. Ausgezeichnet mit dem Innovationspreis 1999 des Verbandes Oberes Emmental. (Werner Kipfer, 2000, 112)

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Biogasanlage auf der Süderen: Zwei Brüder entwickelten eine „ganzheit- liche Biogasanlage“. Diese Erfindung wurde mit dem Innovationspreis 2003 ausgezeichnet und vom Direktor der Fachhochschule Burgdorf ge- ehrt.

Handwerk/Tradition Alphornmacher auf dem Knubel im Eggiwil. Ca. 80 Stunden Arbeit braucht es, um ein Alphorn herzustellen, vorwiegend Handarbeit. Die Alp- hörner werden bis nach Amerika und Japan exportiert. (Werner Kipfer, 2000, 35) Schönschrift in Signau: Wer eine alte, handschriftliche Widmung in ein Buch haben möchte, wird hier fündig.

Geschichte Ein Heimatbuch der besonderen Art ist das Buch über Lauperswil von Hans Minder. Darin ist jedes Haus bis Baujahr 1950 in Lauperswil erfasst. Grundbucheintrag, Bewohnende, Besitzerwechsel, Tiere, Katastrophen, Umschwung usw. sind pro Haus minuziös festgehalten und mit histori- schen Aufnahmen reich bebildert. Für seine Forschung ging Hans Minder von Haus zu Haus und schuf ein kostbares Zeitdokument, für die For- schung wie für die Erinnerung und Identität eines Dorfes. Diese Arbeit er- innert stark an das Dorf Steinbach in Österreich, wo zur Stärkung der lo- kalen Identität ein Inventar aller Häuser erstellt wurde.

Tourismus Bed and Breakfast mit Blick auf Eggiwil und den historischen Hof des Bauernführers Hans Galli. Hof 3 ist ein Kurs- und Kulturzentrum in einem 300-jährigen Bauernhaus. In der Multimediawerkstatt stellen die BetreiberInnen Homepages, Mes- seauftritte und Ähnliches her. Goldwaschen in der Ilfis mit dem Schweizer Meister Ruedi Aeschbacher aus Langnau.

Initiative Industrie und Gewerbe Grosse Firmen Von Frankiermaschinen (FRAMA Lauperswil), Güetzi (Kambly SA Trub- schachen), Schneefräsen (Zaugg AG Eggiwil), Drahtseilen (Jakob Trub- schachen), Holz-Paletten (WK Palette Schüpbach) bis zum Jakob-Markt (Einkaufszentrum, Gartencenter und Wollversand Jakob in Zollbrück) ar- beiten einige grössere Unternehmen erfolgreich im Ober-emmental. Sie beschäftigen je zwischen 70 und 520 Arbeitskräften. Diese Unternehmen kamen in den Interviews mehrfach zur Sprache als Beispiele dafür, dass das Oberemmental als Wirtschaftsstandort durchaus erfolgreich sein kön- ne.

Beispiel Als Beispiel für den massiven Strukturwandel – und für die Verbundenheit mit der Heimat Emmental sowie für die Zähigkeit ihrer Bewohnerinnen und Bewohner – kann die Firmengeschichte der Spinnerei und Weberei Rü- derswil gelten: 1906 gegründet, zählte die Fabrik zur Blütezeit des Flachs- und Hanfanbaus 130 Arbeitskräfte. Heute, da in der Schweiz praktisch kein Flachs mehr angebaut wird und Textilien in den Ländern des Südens billig produziert werden, beherbergen die alten Fabrikhallen 15 Arbeits- plätze für Textilhandel und Konfektion, mehrere Wohnungen und diverse Gewerbebetriebe (neue Technologien) mit weiteren 35 Arbeitsplätzen. (Aus Interview)

Initiativen vom Kanton oder von kantonal subventionierten Einrichtungen Landwirtschaft Frauen-Jetzt: Das INFORAMA – ehemals landwirtschaftliche Schule – in Langnau bietet in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Wiederein- steigerinnenkurse an.

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Ausbildung für Betreuungsleistungen für Personen aus dem ländlichen Raum, die in ihrer Familie Betreuungsplätze anbieten wollen (INFORAMA Langnau). Familienplatzierungen: Die OGG (ökonomische und gemeinnützige Ge- sellschaft des Kantons Bern) vermittelt Betreuungsplätze in Bauernfamili- en an ältere oder leicht pflegebedürftige Personen.

Landwirtschaft+ Ämmitaler Ruschtig ist ein Label für regional und ökologisch Gastronomie hergestellte Produkte. Der Verein fördert die branchenübergreifende Zu- sammenarbeit und Vermarktung.

Gesundheit Komplementärmedizinische Abteilung im Regionalspital Langnau: ein- zige alternativ-medizinische Abteilung in einem öffentlichen Spital.

Vereine, Verbände und Interessengemeinschaften Kultur Stationentheater: Bauernkrieg 1653 – Eine Winternacht im Eggiwil (2003). Ein Dorf spielt zusammen Theater, besinnt sich auf die eigenen Wurzeln und bewirtet über 6000 Gäste aus Stadt und Land. Jazz-Nights Langnau: Festival mit internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Ebenfalls Workshopprogramm und Auftrittsmöglichkeiten für Jugendliche und junge Bands. Bilderausstellung Trubschachen. Alle 2-3 Jahre finden in den Sommer- ferien in den beiden Dorfschulhäusern Ausstellungen mit Werken von namhaften Künstlerinnen und Künstlern statt. Publikum aus der ganzen Schweiz reist an. Gotthelfjahr 2004: Zum 150. Todesjahr des Emmentaler Dichters finden Veranstaltungen im ganzen Emmental statt: Theater, Filme, Lesungen, Wanderungen etc.

Tourismus 50plus: Touristisches Angebot für Gäste ab 50 Jahren zur Förderung des sanften Tourismus und der branchenübergreifenden Kooperation. Initiative von Pro Emmental, Wirtschafts- und Tourismusorganisation für die ganze Region Emmental. Unterstützt von Regio Plus – Impulsprogramm (vgl. Seite 47) des Bundes und begleitet von der Universität Bern. Klingende Wanderung rund um den Napf: Reisen von Orgel zu Orgel mit bekannter Organistin rund um den Napf. Grenzpfad Napf: Kartenmaterial, Führer und Hintergrundinformation für eine mehrtägige Wanderung auf der Kantonsgrenze. Unterstützt von Pro Patria und Regio Plus.

Medien Wochen-Zeitung für das Emmental und das Entlebuch Radio Emme, Lokalradio Das Emmental - Ansichten einer Region, jährliche Publikation des Bü- ros für Öffentlichkeitsarbeit, Kulturmühle Lützelflüh.

Eggiwiler Institut: Stadt-Land-Partnerschaft Das Beratungsbüro ASPOS (Atelier für systemische Gemeinde- und Re- gionalentwicklung) entwickelte den neuen Entwicklungs- und Beratungs- ansatz „Systemische Gemeinde- und Regionalentwicklung“. Seit 1996 ar- beitet ASPOS mit der Gemeinde Eggiwil zusammen. Daraus entstanden die folgenden Projekte: INTEGRATION: Emmentaler Netzwerk für Jugendhilfe. Emmentaler Bau- ernfamilien nehmen gefährdete Jugendliche aus den Städten auf. Die Ju- gendlichen besuchen die Dorfschulen. Die Jugendlichen und ihre Betreu- ungsfamilien werden fachlich begleitet. Eggiwiler Symposium: „Neue Partnerschaften zwischen Stadt und Land“ hiess 1998 das erste Symposium und brachte rund 60 Personen

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aus Stadt und Land ins Eggiwil. Die Förderung der Beziehungen zwischen Städten und ländlichen Regionen ist das Ziel der jährlich stattfindenden Bildungsveranstaltungen. Eggiwiler Institut: Ein Institut auf dem Lande als Kompetenzverbund für die Gemeinde- und Regionalentwicklung und als Plattform für die Entwick- lung neuer Projekte wie zum Beispiel: Triasol das vielseitige Holzelement aus dem Emmental: Bauelement aus heimischem Fichten- und Tannenholz. Triasol ist eine patentierte, ge- meinsame Produktentwicklung von Sägerei und Holzbau, unterstützt durch das Eggiwiler Institut.

Region Oberes Emmental – der Verband der Gemeinden Zweck Der Verband (vgl. Seite 9) - bezweckt die Verbesserung der Existenzbedingungen der regionalen Bevölkerung, - ist eine der Investitionshilferegionen der Schweiz, vgl. Seite 47, - ist zuständig für die regionale Raumplanung, - hat im Vorstand die Spitzen der kommunalen Politik, alle Parlamenta- rier von Bund und Kanton, die in der Region wohnhaft sind.

Aufgaben Der Verband realisiert die Massnahmen des Entwicklungskonzepts, koordiniert zwischen den lokalen Akteurinnen und Akteuren und setzt sich aktiv für die längerfristigen Interessen der Region ein.

Beispiele Innovationspreis: Jährlich verleiht der Verband einen Innovationspreis, vgl. Beispiele Seiten 29/31. Internetauftritte der Gemeinden: 9 von 10 der Verbandsgemeinden ha- ben eine eigene Website. Altersleitbild: Die Verbandsgemeinden beteiligen sich an der Entwicklung eines gemeinsamen Altersleitbildes, vorgespurt durch Langnau. Mehrjahresprogramm Energie: Koordination Energieholz Emmental und regionale Energieberatung als Hilfe für die kommunale Energiepolitik. Regio Plus Projekte: 50plus (Pro Emmental), Ausbildung Betreuungsleis- tung (INFORAMA), INTEGRATION (Eggiwiler Institut) und neu ein Projekt zum Wohnstandortmarketing.

Entwicklungkonzept II der Region Oberes Emmental 1990 bis 2005 1975 wurde das erste Entwicklungskonzept erarbeitet für den Zeitraum bis 1990. Mit dem Entwicklungskonzept II wurden Grundlagen für eine mo- derne regionale Entwicklung gelegt, die bis heute Gültigkeit haben. Das Konzept wurde unter vorbildlicher Bürgerbeteiligung und einer beeindru- ckenden Gesamtschau aller entwicklungsrelevanten Handlungsfelder er- arbeitet. Die drei Kernanliegen: „Die Region will: - die wirtschaftliche Situation verbessern - die regionale Identität bewahren - kulturell eigenständig bleiben um der Bevölkerung Entfaltungs- möglichkeiten in der Region zu bieten.“ (Entwicklungskonzept II, 1992, 6)

Kommentar Die Vielfalt, Kreativität und Anzahl der Projekte und privaten Initiativen ist beeindruckend. Be- schäftigt hat mich die Rolle der Frauen: Angetroffen habe ich sie eher in institutionell getragenen Projekten oder im privaten Umfeld. Zweifellos leisten sie wichtige Arbeit – jedoch häufig im Hin- tergrund. Hier läge meines Erachtens Entwicklungspotenzial.

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Tabellen zur Statistik

Fläche und Bevölkerung (Tab. 1) Gesamtfläche Bevölkerung Amt Signau 32’007 ha 24’537 1,3 ha/Person Kanton Bern 595’900 ha 950’209 0,6 ha/Person

Bevölkerungsentwicklung (Tab. 2) 1900 1941 1980 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Eggiwil 3’043 2’579 2’323 2’698 2’702 2’677 2’688 2’571 2’567 Trub* 2’606 2’173 1’607 1’650 1’618 1’593 1’566 1’548 1’521 Langnau* 8’169 8’726 8’821 8’712 8’790 8’820 8’791 8’833 8’814 Rüderswil 2’370 2’251 2’033 2’265 2’287 2’311 2’308 2’299 2’322 Trubschachen* 851 1’518 1’627 1’535 1’566 1’593 1’566 1’548 1’521 Amtsbezirk 25’047 25’274 24’743 24’743 24’790 24’815 24’707 24’618 24’537 Signau

Kanton Bern 589’433 938’730 941’144 943’427 943’696 947’079 950’209 Schweiz 3'315’000 4'266’000 6'366’000 7'140’000 *Im Jahr 1923 wurden Gebiete von Langnau mit 433 und Trub mit 184 Einwohnern der Gemeinde Trubschachen zugeteilt.

Wohnbevölkerung nach Heimat (2003) (Tab. 3) SchweizerInnen AusländerInnen Total Bevöl- Prozent Aus- kerung länderInnen Eggiwil 2’525 42 2’567 1,6% Trub 1’500 21 1’521 1,4% Langnau 8’183 631 8’814 7,1 Rüderswil 2’279 43 2’322 1,9% Trubschachen 1’380 155 1’555 10% Amtsbezirk Signau 23’362 1’175 24’537 5% Amt Bern (Stadt/Agglo) 194’366 42’889 237’255 18% Kanton Bern 833’347 116’862 950’209 12,3%

Bevölkerungsbilanz für das Jahr 2002 (Tab. 4) 1.1.2002 Lebend Gestorbene Geburten- Migrations- 1.1.2003 Geborene überschuss saldo Eggiwil 2’571 24 20 4 -8 2’567 Trub 1’548 15 22 -7 -20 1’521 Langnau 8’833 85 96 -11 -8 8’814 Rüderswil 2’299 29 16 13 10 2’322 Trubschachen 1’596 15 22 -7 -34 1’555 Amt Signau 24’618 246 239 7 -88 24’537 Amt Bern 237’381 2’129 2’624 -495 369 237’255 Kanton 947’079 8’498 9’232 -734 3’864 950’209 Lesebeispiel: Im Eggiwil sind 4 Kinder mehr geboren worden als Leute gestorben sind, jedoch sind 8 Personen weggezogen, also lebten am 1.1.2003 vier Personen weniger im Eggiwil als im Vorjahr.

Quelle wenn nicht anders angegeben: Bundesamt für Statistik

24 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Innovation, Wandel und eine stete Anpassung an die veränderten Bedingungen der Zeit, haben im Emmental eine lange Tradition und sind zur unverzichtbaren (Über-)Lebenskunst geworden. Ganz gleich ob Wassernot im 19. Jahrhundert oder Lothar im Jahr 1999, ob der Vogt von Signau oder die Herren in Brüssel: Das Emmental ist einem ständigen Entwicklungsprozess un- terworfen. Ein Unternehmer drückte dies so aus: „Man muss nicht immer von Krise oder Nieder- gang reden. Das sind einfach Veränderungsprozesse, die es zu managen gilt.“

5. Die Region aus der Sicht der Statistik Zur Überprüfung der Sichtweise und Einschätzung der Bevölkerung ist ein Blick auf die Statistik unabdingbar. Die Statistik kann Eindrücke belegen, interessant sind auch die Differenzen zwi- schen Eindrücken und Fakten. Zur besseren Übersicht beschränke ich mich auf jeweils zwei Berggemeinden (Eggiwil und Trub), zwei Talgemeinden (Rüderswil und Trubschachen) und die Zentrumsgemeinde Langnau. Das Zahlenmaterial ist in den Abbildungen auf den linken Seiten dargestellt, auf den rechten Seiten fasse ich Auffälligkeiten zusammen und setze sie im Kommentar in einen Zusammen- hang mit den Interviewaussagen und weise auf Übereinstimmungen bzw. Unterschiede hin.

Fläche und Bevölkerung Das Amt Signau ist mit 1,3 Hektaren Land pro Person im Vergleich mit dem Kanton Bern sehr dünn besiedelt. (Tab. 1)

Bevölkerungs- Der Amtsbezirk Signau als Ganzes hatte im letzten Jahrhundert sehr entwicklung stabile Einwohnerzahlen (von 1900 bis 2003: -2,03%). Das Zentrum Langnau legte Bevölkerung zu (+7,3%), Trub verlor konstant (-37,2%). Eggiwil verlor bis 1980 (-23,6%), gewann bis 1999 dazu (+14%) und verlor wieder bis 2003 (-4,9%). Rüderswil und Trubschachen blieben konstant. Die Bevölkerungszahlen haben im Kanton von 1900 bis 2003 um 38%, in der Schweiz um 53% zugenommen. (Tab. 2) Kommentar Markant ist das Null-Wachstum im Amt Signau gegenüber Kanton und Schweiz. Interessant ist der Bevölkerungszuwachs in den 90-er Jahren im Eggiwil: Aufwind durch Entwicklungskonzept und Aktivität des Eggiwiler Instituts? Seit 2000 zeichnet sich allerdings wieder eine Trendwende ab.

Wohnbevölkerung Der Amtsbezirk Signau liegt mit 5% ausländischer Bevölkerung nach Heimat deutlich unter dem kantonalen Durchschnitt von 12% oder gar dem Anteil in Stadt und Agglomeration Bern von 18%. Auch Langnau als Zentrum liegt mit 7,1% deutlich unter dem Durchschnitt von Stadt und Kanton, ebenso Trubschachen (hoher Gewerbeanteil) mit 10%. Den kleinsten Ausländeranteil weist Trub mit 1,4% auf. (Tab. 3) Kommentar Je höher der Anteil Landwirtschaft, desto weniger ausländische Bevölke- rung, je mehr industrielle Arbeitsplätze, desto mehr ausländische Arbeits- kräfte. Der Vergleich mit Stadt und Kanton Bern lässt den Schluss zu, dass die Stagnation des Bevölkerungswachstums auch mit mangelnder Zuwande- rung von ausländischen Bevölkerungsgruppen zu erklären ist.

Bevölkerungsbilanz Im Amtsbezirk Signau gab es im Jahr 2002 noch einen kleinen Geburtenüberschuss von 7 Geburten. Trotzdem nimmt die Bevölkerungs- zahl wegen Wegzugs (-88 Personen) leicht ab. Im gleichen Zeitraum hat der Kanton dank Zuwanderung (+3'864 Perso- nen) trotz rückläufiger Geburten (-734) an Bevölkerung zugenommen. (Tab. 4)

25 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Anzahl Beschäftigte nach Wirtschaftssektoren (Tab. 5) Verteilung in Sektoren nach Prozent Gemeinden Total Sektor 1 Landwirt- Sektor 2 Gewer- Sektor 3 Dienst- Beschäftigte schaft be/Industrie leistungen Eggiwil 1’321 60% 24% 16% Trub 708 73% 8% 19% Langnau 5’725 13% 30% 57% Rüderswil 936 42% 26% 32% Trubschachen 930 22% 52% 26% Amtsbezirk Signau 13’219 32% 28% 40% Kanton Bern 9% 27% 64% (Betriebszählung 1996)

Mobilität: Zu- und Wegpendler (Tab. 6) Erwerbstätige Wegpendler Prozent Arbeitsplätze Zupendler Prozent Eggiwil 1103 270 24% 895 128 14% Trub 784 219 28% 578 48 8% Langnau 4020 864 21% 4779 1849 39% Rüederswil 1055 485 47% 768 283 37% Trubschachen 782 283 36% 834 369 44% Amtsbezirk 11’361 3692 32% 10264 3275 32% Signau Eidgenössische Volkszählung 1990

Volkseinkommen pro Kopf (Tab. 7) 1990 1999 2000 Zuwachs 1990-2000 Amt Signau 20’600 23’600 23’200 12,6% Amt Bern 43’800 52’400 55’000 25,6% Kanton Bern 32’814 37’990 39’339 17,1% Schweiz 38’170 46’549 48’840 22,1% .* (Quelle: BfS, Finanzverwaltung Kt. Bern, Berechnung Büro D. Hornung, Bern)

Arbeitslosigkeit (Tab. 8) November 2002 Februar 2003 März 2004 Amt Signau 1,1% 1,5% 1,1% Kanton Bern 2,5% 3,0% 3,2% Schweiz 3,3% 3,9% (Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft, seco)

Anteil Reformierte Bevölkerung (Tab. 9) Bevölkerung Bevölkerung Prozent Pfarr- Trauungen Taufen Konf Abdan- reformiert Kt. Bern to- stellen ** ** ** kungen 2001 tal *** 2001 Eggiwil 2’446 2’688 91% 130% 8 33 41 21 Trub 1’449 1’566 92% 100% 14 24 23 27 Langnau 7’072 8’791 80% 300% 4 46 91 86 Rüderswil 2’124 2’308 92% 100% 9 21 20 15 Trubschachen 1’292 1’566 82% 100% 2 11 7 25 Amt Signau* 21’381 24’815 86% 1230% 85 288 277 241 Kt. Bern 649’587 943’696 68% *Der kirchliche Bezirk Oberemmental ist mit dem Amt Signau nicht identisch, es sind nur Gemeinden gerechnet, die im Amtsbezirk Signau liegen ** Die Zahlen der kirchlichen Handlungen sind vorsichtig zu interpretieren, da sie einerseits nicht immer in der Wohngemeinde statt- finden, z.B. über 1/3 der Hochzeiten finden in der Würzbrunnen Kirche in Röthenbach statt, andererseits sind die jährlichen Schwankungen relativ gross, z.B. bei den Konfirmandenjahrgängen. ***Quelle: Kirchenstatistik der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn

26 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Kommentar Prognosen in Pressemeldungen versprechen dem Kanton Bern eine Ab- nahme der Bevölkerung um 12% bis 2040. Wie wird sich das im Ober- emmental zeigen? Verstärkte Abwanderung aus dem landwirt-schaftlich geprägten Gebiet? Weniger Kinder auch auf dem Land? Keine Zuwande- rung? Wird nun das Schreckgespenst der Entvölkerung wahr? Oder bedeutet dieses Szenario einen gleichmässigen Rückgang im Kan- ton Bern und Abwanderung in die Grossregionen Zürich, Basel, Genf und den europäischen Raum? Heisst das Konkurrenzkampf aller Gemeinden im Kanton um die schwindenden Einwohnerinnen und Einwohner?

Beschäftigte nach Im Durchschnitt verteilen sich die Arbeitsplätze im gesamten Wirtschaftssektoren Amtsbezirk relativ ausgeglichen auf knapp 1/3 Landwirtschaft, knapp 1/3 Gewerbe und Industrie sowie gut 1/3 Dienstleistung. Die Verteilung im Zentrum Langnau mit 13% Landwirtschaft, 30% Gewerbe und 57% Dienstleistung nähert sich den Werten des Kantons an. Die Berggemeinden Trub und Eggiwil haben überwiegend Beschäftigte in der Landwirtschaft, Eggiwil dazu noch 1/4 im Gewerbe. In den Talgemeinden Rüderswil und Trubschachen sind die Sektoren ausgeglichener, Trubschachen hat mit 52% einen Schwerpunkt in der In- dustrie. (Tab. 5) Kommentar Vermutlich wird in den nächsten Jahren in allen Gemeinden eine deutliche Verschiebung in Richtung zweitem und drittem Sektor und somit hin zum kantonalen Durchschnitt stattfinden. Trotzdem hatte die ausgeglichene Verteilung auf die drei Sektoren in der Vergangenheit eine stabilisierende Wirkung: Zwar kein grosses Wachstum, aber eine gewisse Unabhängig- keit durch Branchenvielfalt, tiefe Arbeitslosigkeit dank mehrerer Existenz- felder der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Mobilität In Langnau und Trubschachen mit relativ vielen Arbeitsplätzen im zweiten und dritten Sektor überwiegen die Zupendlerinnen und Zupendler. In landwirtschaftlich geprägten Gemeinden wird weggependelt. Die Pendler- bewegung im Oberemmental verläuft also von den Berggebieten (und Streusiedlungen) in die Talgemeinden. Insgesamt war die Pendlerbilanz 1990 im Amt Signau ausgeglichen. (Tab. 6) Kommentar Aus der Volkszählung 2000 waren nur die Zahlen für das ganze Emmental erhältlich; dieses weist eine deutliche Mehrheit der Wegpendelnden von 36,5% auf, gegenüber 17,4% Zupendelnden. Ob sich die Pendlerbilanz im Amt Signau auch in diese Richtung entwickelt, müssen neue Zahlen bele- gen. Diese Entwicklung ganz sicher begünstigen würde die Option, das Oberemmental als Wohnstandort zu vermarkten.

Volkseinkommen Das Amt Signau hat mit 23'200 Franken das tiefste Pro-Kopf-Einkommen im Kanton Bern. Auch der Zuwachs in den letzten Jahren war geringer als im Kanton. Verglichen mit dem Schweizer Durchschnitt ist das Volksein- kommen halb so gross. (Tab. 7) Kommentar Während meines Aufenthalts im Oberemmental hatte ich nicht den Ein- druck einer armen Region mit deutlich sichtbaren Zeichen wie zum Bei- spiel im Jura mit teilweise verlassenen und zerfallenden Dörfern der Uh- renindustrie. In den Interviews tauchten verschiedene Erklärungsansätze auf: Ein Teil der Bauernbetriebe lebe von der Substanz, viele Leistungen vor allem im Betreuungsbereich würden nicht monetär abgegolten sowie der hohe Selbstversorgungsgrad. Die

27 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

bisherige Subventionspolitik des Bundes wird auch einen Teil dazu beige- tragen haben.

Arbeitslosigkeit Das Amt Signau weist mit 1,1% ausserordentlich tiefe Arbeitslosenzahlen aus. (Tab. 8) Kommentar Dank vielfältiger Einkommensquellen und mehreren Existenz-standbeinen der Emmentaler Familien gehen viele nur im äussersten Notfall „stem- peln“. Eher verstärkt man den Einsatz im landwirtschaftlichen Betrieb oder nimmt eine Gelegenheitsarbeit an. Dies hat wohl einerseits mit der Menta- lität (Stolz) andererseits mit sozialer Kontrolle und mit einer Tradition zur Unabhängigkeit zu tun. In den Gesprächen wurden mir diverse Beispiele erzählt.

Reformierte Der Anteil der reformierten Bevölkerung ist mit durchschnittlich 86% Bevölkerung sehr hoch. Kommentar Bedeutet dieser hohe Anteil an Kirchenmitgliedern auch eine Verpflichtung für die Kirche, sich da einzusetzen, wo sie noch gefragt ist?

Kommentar Die Statistik gibt ein differenzierteres Bild des Schlagwortes „Abwanderung“: Tiefere Kinderzah- len und eine sehr tiefe Zuwanderung tragen zu den gleich bleibenden oder leicht sinkenden Be- völkerungszahlen bei. Auch sind die einzelnen Gemeinden sehr unterschiedlich betroffen. Spannend ist die Frage, wie sich die Prognose über eine allgemein abnehmende Bevölkerung im Kanton Bern auf die Region Oberemmental auswirken wird und ob sich diese Entwicklung lo- kal beeinflussen lässt. Der Kanton muss sich die Frage stellen, wie er mit einer „Gesellschaft ohne quantitatives Wachstum“ umgehen will. Noch setzt der Kanton auf Wachstumsstrategien (vgl. Seite 43), an Stagnation auch nur zu denken ist tabu. Das Oberemmental ist in den letzten 100 Jahren nicht gewachsen, das Volkseinkommen ist tief und ein Strukturwandel folgt dem nächsten – und trotzdem ist bisher nicht die „grosse Katastro- phe“ über die Region hereingebrochen. Wo liegt das Geheimrezept dieser Region? Möglicher- weise wäre es für den Kanton interessant, von dieser Region zu lernen, wie man mit Nullwachs- tum und permanentem Strukturwandel überlebt?

6. Das Oberemmental aus der Sicht des Kantons Im kantonalen Richtplan und der „Weiterentwicklung der Wachstumsstrategie“ der Volkswirt- schaftsdirektion wird die Sicht des Kantons auf das Oberemmental deutlich: Wohin soll die Ent- wicklung gehen? Wo ist der Kanton bereit, den ländlichen Raum zu unterstützen? Was erwartet der Kanton von den ländlichen Regionen? Im Folgenden eine kurze Darstellung des kantonalen Richtplanes und der Wachstumsstrategie der Volkswirtschaftsdirektion, übernommen von der Website des Kantons.

„Raumplanung

Übersicht Der Richtplan des Kantons Bern legt fünf Leitsätze und sechs inhaltliche Hauptziele für die Raumordnung des Kantons Bern fest und skizziert mit zwei Entwicklungsbildern das angestrebte Szenario für die künftige Entwicklung. Gemäss diesem Szenario sollen die Kräfte im Kanton Bern auf Gebiete konzentriert werden, die wirtschaftlichen Erfolg versprechen und ergänzend die Regionen in der Weiterentwicklung ihrer Stärken unterstützen. Daraus werden die entsprechenden Strategien und konkreten Massnahmen abgeleitet. (...) fünf Leitsätze Der Richtplan orientiert sich an den folgenden fünf Leitsätzen: • der Kanton Bern nutzt seine Stärken,

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• wir fördern ein qualitatives Wachstum in Verantwortung für Um- welt, Gesellschaft und Kultur, • wir setzen auf die Innovationskraft in partnerschaftlicher Zusam- menarbeit, • wir setzen unsere Mittel dort ein, wo sie für unsere Ziele die beste Wirkung entfalten, • wir bauen auf die Qualitäten unserer regionalen Vielfalt, Sechs inhaltliche Hauptziele und gibt sechs inhaltliche Hauptziele vor: • den Boden haushälterisch nutzen, • Verkehrs- und Siedlungsentwicklung aufeinander abstimmen, • Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung schaffen, • Wohn- und Arbeitsstandorte differenziert aufwerten, • Natur und Landschaft schonen und entwickeln, • regionale Stärken erkennen und fördern. Entwicklungsbilder für die Raumordnung Mit den zwei Entwicklungsbildern (vgl. linke Seite) für die Raumordnungs- politik wird aufgezeigt, welche räumlichen Entwicklungen im Kanton Bern mit der Umsetzung der fünf Leitsätze angestrebt werden. Sie bilden die Grundlage für Entscheide, an welchen Orten welche Prozesse bewusst unterstützt werden sollen. Kerngedanke der zwei Entwicklungsbilder ist die Abkehr von der gleichmässigen und flächenhaften Förderung. Sie wird abgelöst durch die Konzentration auf wirtschaftlich erfolgsversprechende Zentren, die Förderung spezifischer regionaler Stärken sowie den wirkungs-orientierten Einsatz der knappen finanziellen Mittel des Kantons. Der Grundgedanke dabei ist eine nachhaltige Entwicklung für den Kanton Bern.“ (www.sta.be.ch, 2004)

Wirtschaftspolitik Weiterentwicklung der Wachstumsstrategie: Stärken und Potenziale entwickeln Die Volkswirtschaftsdirektion schreibt auf ihrer Website weiter: „Auszug aus dem Antrag Der Regierungsrat will im Rahmen der Weiterentwicklung der des Regierungsrates Wachstumsstrategie für den Kanton Bern ‚Stärken und Potenziale entwickeln’. Der Kanton Bern muss sich angesichts seiner Grösse und seiner Wohn- und Vielfalt sowohl als Wirtschafts- als auch als Wohnstandort Wirtschaftsstandort positionieren. Nur so lassen sich die ausgewiesenen Stärken gleichzeitig nutzen. Dazu gehören die zentrale Lage für die Wirtschaft ei- nerseits und die hohe Lebensqualität für das Wohnen andererseits. Intakte Landschaft Lebensqualität ergibt sich insbesondere durch die intakte Landschaft kulturelle Vielfalt und die kulturelle Vielfalt mit dem besonderen Stellenwert der Zweisprachigkeit. (...) Damit die anvisierten Massnahmen umgesetzt werden können, muss sich der Kanton den notwendigen finanziellen Handlungsspielraum verschaf- fen. Die vorgesehenen Massnahmen können nur im Rahmen der derzeit verfügbaren Mittel umgesetzt werden. Gleichzeitig bedeutet dieser Ansatz auch, dass der Kanton die Verhältnismässigkeit der staatlichen Auflagen auf allen Ebenen überprüft. Leistungen unterstützen Wer eine Leistung erbringt und mit Investitionen Risiken eingeht, auch im ländlichen muss Gewähr haben, dass er dabei unterstützt und nicht behindert Raum wird. Dies gilt sowohl für Grossprojekte in den Zentren als auch für Investitionen in einen KMU-Betrieb oder in Wohnraum in ländlichen Re- gionen. Das Modell ‚Stärken und Potenziale entwickeln’ will nachhaltiges Wachstum ermöglichen. Dabei sollen sich auch die Potentiale in den länd- lichen Regionen entwickeln können. 29 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Wachstum ermöglichen Die laufenden Arbeiten zur Förderung der Entwicklung im ländlichen Raum gestützt auf den kantonalen Richtplan wie auch die Arbeiten zur Revision des Tourismusförderungsgesetzes sollen am Grundsatz ‚Wach- stum ermöglichen’ ausgerichtet werden. Die Entwicklung von Nachhaltigkeit Stärken und Potenzialen muss sich am Grundsatz der Nachhaltigkeit orientieren. Damit sollen die Bedürfnisse der jetzigen Generation erfüllt werden, ohne dass die Möglichkeiten der künftigen Generationen einge- schränkt werden. Der vorgeschlagene Lösungsansatz ist konsistent mit dem kantonalen Richtplan wie auch mit den Beschlüssen der Regierung zur Reform zur dezentralen Besiedlung (...). Beide Projekte setzen auf eine gewisse Potentiale der Regionen Zentralisierung bzw. Konzentration der Aufgaben des Kantons bei nutzen gleichzeitiger Nutzung der Potenziale in den Regionen.“ (www.sta.be.ch, 2004)

Bildungspolitik Räumliche In den bisherigen Massnahmen sieht der Kanton eine räumliche Konzentration Konzentration der Studienangebote im Fachhochschulbereich vor und vermehrten Ausbildungstransfer zwischen Universität und Fachhochschu- len. Neu will der Kanton „die Rolle der Hochschulen in einem Wissens- cluster prüfen“ und der Wissenstransfer Wirtschaft – Wissenschaft för- dern. Höhere Berufsbildung soll in die Fachhochschulen integriert werden. Ziel ist, im Kanton Bern tertiäre Bildung zum Exportprodukt zu machen, Universitäten sollen vermehrt eigenwirtschaftlich werden, und der Anteil an ausserkantonal oder ausländischen Studierenden soll auf 40-50% er- höht werden. Auch die familienexterne Kinderbetreuung soll erweitert werden. (www.sta.be.ch, 2004)

Kommentar: Bedeutung für das Oberemmental Weisser Fleck Das Oberemmental liegt abseits der kantonalen, nationalen und europäischen Entwicklungsachsen. Mit der Konzentration der grossen Bil- dungs- und Dienstleistungseinrichtungen auf die Entwicklungsachsen und die Zentren wird die Region weiterhin kantonale Infrastruktur Verliert Infrastruktur verlieren. Auch von der übrigen Entwicklung im Bildungsbereich wird das Oberemmental wenig profitieren. Da der ländliche Raum nicht mehr flächendeckend gefördert werden soll, hat die Region vom Kanton – na- hezu – nichts mehr zu erwarten. Einzig Langnau als „regionales Zentrum von kantonalpolitischer Bedeu- tung für die regionale Steuerung“ wird im Richtplan erwähnt. Grundsätz- lich wird der Wert der intakten Landschaft anerkannt und initiative KMU’s oder der Bau von Wohnraum im ländlichen Raum sollen „nicht behindert werden“ – aber auch nicht aktiv gefördert. Zu prüfen sein wird die Aussage „Nutzung der Potenziale der Regionen“ (www.sta.be.ch): Heisst das, dass eine Region, die aktiv ihre Potenziale zu erkennen gibt, Projekte initiiert und handelt, vom Kanton unterstützt wird? Förderstrategien Im Massnahmenplan der Volkswirtschaftsdirektion steht: „Regional überprüfen differenzierte Förderstrategien für den ländlichen Raum entwickeln, Realisierung kurzfristig (2002-2006), unter Einbezug der Regionen und der Justiz-, Gemeinde- und Kirchendirektion.“ Hier wäre vermutlich der Punkt, nachzufragen und sich als Region in die Diskussion einzumi- schen – falls das nicht schon geschehen ist.

30 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

7. Der ländliche Raum aus der Sicht des Bundes Zwei Bundesgesetze wirken direkt auf den ländlichen Raum. Diese fasse ich unten zusammen und beschreibe ihre Wirkung auf das Oberemmental. Weiter steht auf Bundesebene ein Rich- tungswechsel hin zu „Neuer Regionalpolitik“ auf dem Programm. Auch dazu eine Zusammen- fassung und ein Kommentar.

Gesetzliche Grundlage „Der Bund hat ein Bundesgesetz zu Investitionshilfe in Berggebieten (IHG). „Dieses Gesetz soll: a. die wirtschaftlichen Entwicklungsvoraussetzungen und die Wettbe- werbsfähigkeit im Berggebiet verbessern; b. die Ausnützung regionaler Potentiale fördern; c. zur Erhaltung der dezentralen Besiedelung und der sozio-kulturellen Ei- genständigkeit und Vielfalt unseres Landes beitragen; d. eine nachhaltige Entwicklung im Berggebiet gewährleisten; e. die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden, Teilregionen und Regionen fördern; und so zur Verkleinerung der wirtschaftlichen und sozialen Dispa- ritäten beitragen.“ (IHG, 1997) Das Oberemmental ist als Bergregion anerkannt. Der Bund zahlte Infrast- rukturkosten wie zum Beispiel Erschliessungsstrassen, Schulhäuser, Ra- dio Emme, Bachverbauung, Wehrdienstmagazin, Wasserkraftwerk, Spi- tex-Stützpunkt, Kloster Trub etc. Im Laufe von zehn Jahren unterstützte der Bund 29 Projekte im Oberemmental.

Projektförderung Regio Plus ist eine Massnahme zur Unterstützung des strukturellen Wandels in den IHG-Regionen. Regio Plus fördert nur Projekte, die in Form von Kooperationen zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen, z.B. Landwirtschaft mit Tourismus, ausgeführt werden. Es werden innova- tive, modellhafte Konzepte, Kommunikation und Pilotprojekte unterstützt, jedoch keine Bauvorhaben. Das Programm dauert noch bis 2007, Projekte können über einen Zeitraum von fünf Jahren mit bis zu 50% der Gesamt- kosten unterstützt werden.

Raumplanung Das Bundesgesetz über die Raumplanung (RPG) regelt die Besiedelung des Landes. Es hat zum Ziel, die natürlichen Lebensgrundla- gen zu erhalten, wohnliche Siedlungen und räumliche Voraussetzungen für die Wirtschaft zu schaffen, das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben zu fördern, eine ausreichende Versorgungsbasis zu sichern und die Gesamtverteidigung zu gewährleisten. Es fordert die haushälterische Nut- zung des Bodens. Es beauftragt die Kantone diesem Sinne kantonale Richtpläne (RPG, 2004) auszuarbeiten. Streitpunkt Streitpunkt im oberen Emmental ist Art. 24 „Ausnahmen für Bauten ausserhalb der Bauzonen“: Kann ein Hofbesitzer, der die Landwirtschaft verkleinern oder aufgeben muss, seinen Wirtschaftsteil in Wohnungen umbauen? Grundsätzlich spricht das RPG den Kantonen die Möglichkeit für Ausnahmeregelungen zu. So steht im bernischen Richtplan, Mass- nahmen in Streusiedlungsgebieten: „In diesem Gebiet werden Ausnah- mebewilligungen gestützt auf das Bundesrecht gewährt.“ (www.jgk.be.ch/agr/d/raumplanung/richtplan, 2004)

Kommentar Neben Infrastrukturförderung setzt der Bund auf Anreize zur Entwicklung des ländlichen Raums: Legen die Regionen konkrete Projek- te vor, können sie unterstützt werden, vgl. Regio Plus. Grundsätzlich soll mit der heutigen Politik der soziale und wirtschaftliche Unterschied zwi- schen Stadt und Land angeglichen werden. Das Raumplanungsgesetz schützt einerseits den ländlichen Raum vor Zersiedelung, lässt aber Ausnahmeregelungen zur Erhaltung der

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vielfältigen Siedlungsstruktur grundsätzlich zu. Hier stellt sich die Frage, wie die Umsetzung in der Praxis aussieht, vergleiche „Schwierigkeiten“ im Abschnitt Wohnen.

Neue Regionalpolitik NRP Expertenbericht Eine Expertenkommission des Bundesrates legt für 2008 eine „Neue Regionalpolitik“ vor, gedacht als Ablösung von IHG und Regio Plus. Die Neue Regionalpolitik setzt auf mehr Wettbewerbsfähigkeit und Eigeninitia- tive aus den Regionen. Sie beschränkt sich nicht auf die IHG-Regionen, ist flächendeckend für die ganze Schweiz und schlägt variable Koopera- tionen zwischen verschiedenen Regionen (z.B. Grossagglomeration- ländlicher Raum) vor. Die Agglomeration wird als Wirtschaftsmotor gese- hen und die ländlichen Regionen sind aufgerufen, die städtischen Impulse aufzugreifen und produktiv umzusetzen. Neu – und sehr umstritten – ist, dass der wirtschaftliche und soziale Ausgleich zwischen städtischen und ländlichen Gebieten nicht mehr staatlich gemildert, sondern dem Markt überlassen werden soll. (Brugger und Partner 2003)

Kommentar Es stellen sich viele Fragen: Ist der ländliche Raum heute überhaupt ge- nügend wettbewerbsfähig um zu überleben? Welchen Wert – abgesehen von der möglichen Ressource für Wirtschaftswachstum – hat der ländliche Raum für die Städte/Agglomerationen bzw. für die Schweiz? Wie reagie- ren die ländlichen Kantone auf dieses „abgehängt werden“, und wie wirkt sich das auf die Abstimmungslandschaft bzw. die Demokratie in der Schweiz aus? Müsste eine nachhaltige Entwicklung in der Schweiz nicht auf einem gesellschaftlichen Konsens zur Erhaltung der ländlichen Räume und der Städte mit den Agglomerationen basieren?

8. Erkenntnisse In diesem Kapitel verknüpfe ich die einzelnen Betrachtungsebenen von Region, Geschichte, Sichtweise der Bevölkerung, Statistik, Kanton und Bund untereinander und mit meinen Überle- gungen – in den vorhergehenden Kapiteln dargestellt im Kommentar – zu einer Gesamtsicht. Ich fasse meine Erkenntnisse in fünf Punkten zusammen.

1. Der Begriff „Randregion“ ist in Frage zu stellen Zum Begriff Ob Zentrum oder Rand ist eine Frage des eigenen Standpunktes. Emmentalerinnen und Emmentaler würden ihre Heimat nicht als „Rand“ bezeichnen, sondern als ihren Lebensmittelpunkt, ihr Zentrum der Welt. Genauso ungern habe ich als Bewohnerin der Agglomeration Bern gehört, wie ein Emmentaler Politiker meine Heimat als „Ballungszentrum“ be- zeichnet hat. Die beiden Begriffe zeigen die unterschiedlichen Blickwinkel und auch die impliziten Bilder. Überspitzt gesagt: Die Randregion ist da, wo die zivilisierte Welt aufhört, und im Ballungszentrum konzentriert sich ein Klumpen Industrie, Menschen, Verkehr, Lärm und Umweltverschmut- zung. Diese Begriffe sind einem Stadt-Landdialog nicht förderlich. Begeg- nungen und Begehungen können diese Bilder zurecht rücken.

Genau hinschauen Es gibt nicht „die Randregion“ oder „den ländlichen Raum“ mit einem ein- heitlichen Problem-Muster. Es gilt, genau hinzuschauen und mit der Be- völkerung – den lokalen Expertinnen und Experten –

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unterschiedliche Handlungsansätze zu entwickeln. Das Entwicklungskon- zept II ist dafür ein schönes Beispiel. Es braucht eine Regionalpolitik, die der Vielfältigkeit der Regionen gerecht wird.

2. Heute von Abwanderung zu sprechen ist verfrüht, noch sind die Bevölkerungs-zahlen stabil. Allerdings überlagern sich im Oberemmental im Moment drei Entwicklungen, die das Bild von Abwanderung hervorrufen. Sie haben unter-schiedliche Ursachen, verstär- ken sich aber in der Wirkung. Das Produkt dieser Wirkungen wird in den kommenden Jahren zu massiver Abwanderung führen und den Zuzug in die Region erschweren, wenn nichts dagegen unternommen wird. 1. Kantonale Politik Der Kanton verfolgt die Politik der Zentralisierung von Entwicklung, Leistungen, Wachstum auf Entwicklungsachsen. Diese Politik lässt das Oberemmental links liegen. Dies wird sichtbar in der Schliessung der landwirtschaftlichen Grundausbildung, von Teilen des Regionalspitals, der Jugendberatungsstelle etc.

2. Demografische Noch ist das Oberemmental die kinderreichste Region im Kanton Bern Entwicklung – aber auch hier haben die Kinderzahlen pro Familie abgenommen. Es gibt weniger Schülerinnen und Schüler. Die Streuhöfe sind nicht verlassen, sondern in der Regel bewohnt und gut gepflegt, allerdings von kleineren Familien. Dies führte zur Schliessung mehrerer Gesamtschulen im Berggebiet. Der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer ist im Vergleich zum übrigen Kanton sehr tief. Die stagnierende Bevölkerungszahl ist also weniger auf Abwanderung als auf mangelnde Zuwanderung zurückzuführen.

3. Öffnung der Märkte, Diese Vorgänge treffen die Landwirtschaft im Oberemmental hart. Preiszer- fall, Wohl sind die Sektoren übers ganze Gebiet mit je einem Drittel relativ Strukturwan- del ausgeglichen verteilt, doch gibt es Gemeinden mit einem Landwirt- schaftsanteil von 60%. Auch liegen rund die Hälfte der Betriebe unter der „kritischen Grösse“. Der Wandel ist also massiv und schnell. Sichtbar ist dieser Wandel an geschlossenen Käsereien und zusammengelegten Hö- fen.

3. Das Oberemmental hat bis heute in beispielhafter Weise den Strukturwandel gemeis- tert. Als Erfolgsfaktoren konnte ich ausmachen: Hoher mit Nahrungsmitteln, Energie, Bau/Handwerk, Pflege, Betreuung. So Selbstversorgungsgrad hat das Oberemmental zwar die Region mit dem tiefsten Einkommen, und die öffentlichen Kassen sind leer, es sind jedoch kaum Anzeichen von Armut sichtbar.

„Existenz auf Sowohl in den Gemeinden wie in den Familien bestehen mehreren Beinen“ mehrere Erwerbssektoren, z.B. Landwirtschaft+kleiner Gewerbebetrieb +Krankenkassenverwaltung. Oder: Handwerk+Bed and Break- fast+Teilzeitanstellung. Die Variationen sind vielfältig und erprobt.

Langsame vielfältige Der Widerstreit von Beharren (Mentalität) und Kreativität, lokaler Entwicklung Verwurzelung und Weltoffenheit liess eine nachhaltige, gesunde Entwicklung der ganzen Region zu. Für die grossen Projekte (z.B. interna- tionaler Tourismus wie im Berner Oberland) war die Region stets zu lang- sam, aber im Kleinen entwickelten die Einheimischen und die Zugezoge- nen viele Möglichkeiten, z.B. Schlafen im Stroh, Kutschenfahrten, Büffel- käse etc.

Tiefe Wurzeln – Das Emmental hat eine beispiellose Geschichte (verglichen mit einer starke Tradition Agglomerationsgemeinde) und vieles davon ist in Literatur, Kunst und Brauchtum heute noch sichtbar. Auch die Kulturlandschaft ist eine von

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**Resolution von Eggiwil 2003 **

350 Jahre nach dem Bauernkrieg sind die Zu- kunftsaussichten für die ländlichen Gebiete in der Schweiz wiederum schlecht.

In den letzten Jahren werden allein im Bergge- biet pro Woche 10 Landwirtschafts-betriebe auf- gegeben. Die Post, die Swisscom, die SBB und weitere ehemalige Bundesbetriebe haben über 20'000 Stellen abgebaut. Viele Betriebe im Tou- rismus (Gastgewerbe, Bergbahnen) sind stark verschuldet und haben Mühe, dringend notwen- dige Investitionen zu finanzieren.

Kein Wunder ist die Bevölkerung in den letzten fünf Jahren in mehr als der Hälfte der 54 Schweizer Bergregionen rückläufig. Die Abwan- derung hat eingesetzt – gerade auch in den Ge- bieten, die sich einst im Bauernkrieg gegen die städtischen Obrigkeiten erhoben hatten und da- mals verraten wurden.

Wir wollen weiterhin in unseren Landregionen le- ben und arbeiten können.

Dabei ist uns klar, dass es in erster Linie an uns selber liegt, den aktuellen Herausforde- rungen mutig und innovativ entgegen zu tre- ten. Unsere Anstrengungen können jedoch nur Erfolg haben, wenn die Standortnachteile unse- rer Regionen nicht noch grösser werden: Wir sind auf Rahmenbedingungen angewiesen, mit denen eine nachhaltige Entwicklung unserer Landregionen möglich ist. (...)

Stadt und Land einst, heute und in Zukunft 6. Eggiwiler Symposium im Gedenkjahr „350 Jahre Bauern- krieg“, 21./22. Mai 2003. Diese Resolution wird im Juni 2004 mit Unterschriften von 450 Gemeinden aus der ganzen Schweiz dem Bundesrat übergeben. Der ganze Text kann nachgelesen werden auf www.oberemmental.ch

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Menschenhand gestaltete Landschaft; da sind Geschichte und Tra-dition stark spürbar. Interessanterweise taucht altes Wissen in neuer Form wie- der auf, z.B. von der Bäderkultur und Naturheilkunde zur Komplementär- medizin. Episoden aus der Geschichte werden in Markennamen wieder aufgegriffen, wie der „Flösserkäse“, der auf den Holz- und Käseschmug- gel im 17. Jahrhundert hinweist (vgl. Seite 30)

Emmental als Das Emmental hat auf Grund des Erbrechts eine grosse Tradition an Nabel der Welt Auswanderung. So hat die Gemeinde Trub über 100’000 Bürgerinnen und Bürger auf der ganzen Welt (vgl. Geschichte Seite 15). Auch durch die Käsevermarktung verfügten die Emmentalerinnen und Emmentaler früh über ein Know-how im internationalen Handel. Das bedeutet, dass sehr viele Emmentaler Familien sehr früh Kontakte in die ganze Welt hat- ten und heute noch haben. Eine gewisse Weltoffenheit ist spürbar.

Über Generationen geübt Die Emmentalerinnen und Emmentaler erleben in ihrer Geschichte Wandel zu vollziehen nicht den ersten Strukturwandel, z.B. fand 1815-1830 die Umstellung von Ackerbau auf Milchwirtschaft (Emmentaler Käse) statt, 1960 führte die Streichung der Subventionen für Flachs- und Hanfanbau zu massiven Folgen für die textilverarbeitende Industrie.

Offen für Impulse Nach sorgfältiger Prüfung sind die Emmentalerinnen und Emmentaler von aussen durchaus bereit, Impulse von aussen aufzunehmen. Die Gemeinde Eggiwil erkannte zum Beispiel die Chancen des Projekts Integration (Sei-

te 33) und machte mit.

Zusammenhalt in der Dank hoher Sozialkompetenz, Tradition von Familienbetrieben und Region Nachbarschaftshilfe ist es der Region gelungen, ihre Ausgaben für Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitsbereich (Kinderkrippen, Alters- heime und weitere Betreuungseinrichtungen) tief zu halten.

Know-how für Die Entwicklungskonzepte I und II sind mit Abstand die frühesten Entwicklungskonzepte regionalen Entwicklungskonzepte im Kanton. Das aktuelle und Kontinuität Entwicklungskonzept II ist von sehr hoher Qualität. Es wurde Ende der 80-er Jahre partizipativ mit der Bevölkerung erarbeitet, damals ein absolut innovatives Vorgehen. Heute ist die Region gut organisiert in einem Ver- band. Mit den Gemeindepräsidenten sitzen Entscheidungsträger an der Steuerung. Der Verband ist professionell geführt – mit hoher fachlicher Kompetenz und lokalen Kenntnissen.

4. Die kantonalen Rahmenbedingungen und die nationale Regionalpolitik haben sich seit 1990 rasant entwickelt. Eine neue Entwicklungsrunde ist angesagt. Gute Grundlagen Das bestehende Entwicklungskonzept bietet eine gute Grundlage. Viele Feststellungen und Massnahmen sind noch heute gültig und können übernommen werden. Die Veränderungen auf kantonaler, nationaler und ev. globaler Ebene müssen jedoch diskutiert und neue Strategien entwi- ckelt werden. Ich sehe die folgenden Themenfelder:

Sinkende Laut Prognosen werden die Bevölkerungszahlen im ganzen Kanton Bevölkerungszahlen bis 2040 um 12% abnehmen. In welchen Regionen ist diese Abnahme im Kanton Bern zu erwarten? Wie will das Oberemmental reagieren, bzw. wären hier über- regionale Strategien anzuwenden, um eine unproduktive Konkurrenzie- rung der Regionen zu vermeiden? Wie lautet die Strategie des Oberem- mentals? Diese gilt es zu entwickeln.

Kantonaler Richtplan Die Strategie des Kantons ist klar: Konzentration auf den Wachstumsstrategie Entwicklungsachsen und dabei die ländlichen Regionen zumindest „nicht behindern“. Klärungsbedarf besteht bei Formulierungen der Volkswirt- schaftsdirektion wie „Nutzung der Potenziale der Regionen“ und „Regional differenzierte Förderstrategien für den ländlichen Raum

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entwickeln“. Auch hier wären in der Region in Zusammenarbeit mit der lo- kalen Wirtschaft, der Bevölkerung und der Politik Strategien zu entwickeln.

Bezirksreform Könnte die Verwaltungsreform positiv genutzt werden, um ein grösseres regionales Netzwerk zu knüpfen und mehr Gewicht im Kanton zu erhal- ten?

Neue Regionalpolitik In den letzten Jahren hat das Oberemmental als IHG-Region von der Unterstützung des Bundes für Infrastruktur und Regio Plus-Projekte profitiert. Diese läuft 2007 aus. Wenn die nationale Politik sich entschei- den sollte, die Ausgleichspolitik zwischen Grossagglomeration und ländli- chem Raum ersatzlos zu streichen und dem freien Markt zu überlassen, sollte das Emmental gewappnet sein. Dies heisst: Ideen entwickeln, wie eine Kooperation mit den Städten und Gemeinden auf den Entwicklungs- achsen aussehen könnte.

Szenarien für die Würde der Anteil der Beschäftigten im landwirtschaftlichen Sektor auf Landwirtschaft entwickeln 9% wie im kantonalen Durchschnitt sinken: Was würde das für die Region bedeuten? Wie will das Oberemmental dann aussehen?

Überregional denken In der Geschichte hat das Emmental mehrfach bewiesen, dass seine Nase vorn behalten Bevölkerung Wandel gestalten kann. In der Zeit der grossen Not um 1653 gelang sogar eine Kooperation mit der Entlebucher Bevölkerung – dies wäre auch heute zu prüfen. Es ist an der Zeit, das Wissen und die Kräfte zu bündeln. Überregionales Denken und Planen ist angesagt: Die verschiedenen Regionen müssen eine gemeinsame Strategie suchen, um sich nicht gegenseitig auszubremsen, weder die ländlichen Regionen ge- genseitig, noch Stadt – Land.

5. Gegenseitig Lernen: Stadt–Land-Partnerschaft heisst nicht nur „die Kleinen lernen von den Grossen“ Seitenwechsel Der Kanton und die Agglomeration Bern können von der Region Oberemmental durchaus etwas lernen: Zum Beispiel lebt das Oberem- mental seit 100 Jahren mit einer gleichbleibenden Bevölkerungszahl und minimalem Wirtschaftswachstum – eine Herausforderung, die laut Prog- nosen auf den ganzen Kanton Bern zukommt. Gibt es Alternativen zum Wachstumsdenken und könnten die oben beschriebenen Erfolgskriterien des Oberemmentals partiell auf andere Regionen oder den Kanton über- tragbar sein?

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Aus der Geschichte:

Der Kirchenbau

Besorgt über die Ausbreitung der täuferischen „Irrlehre“ beschliesst der Berner Rat, aufs Re- formationsjubiläum hin solle mit dem Bau einer Kirche im Eggiwil begonnen werden. Den Gläu- bigen soll der lange, beschwerliche Kirchgang nach Signau erspart bleiben.

Aus: Urs Hostettler, Der Rebell vom Eggiwil

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Teil 2

Wie könnte ein zukunftsweisendes Engagement der Kirche aussehen?

Gliederung 1. Fragestellung und Auftrag des Synodalrates 2. Leistungen und Angebote der Kirche 3. Wünsche an die Kirche 4. Bedeutung der kirchlichen Leistungen für die Bevölkerung 5. Erkenntnisse: Kirchliche Handlungsfelder im ländlichen Raum

1. Fragestellung und Auftrag des Synodalrates In diesem Kapitel stelle ich den Auftrag des Synodalrates, seine Fragestellung und meine Teil- aufgabe bei der Erfüllung des Auftrags dar.

Auftrag zur Bearbeitung der Thematik „Regionalpolitik der Kirche“ Auftrag Am 30. Oktober 2003 erteilte der Synodalrat (Exekutive der Reformier- ten Kirchen Bern-Jura-Solothurn) dem Bereich Gemeindedienste und Bil- dung den Auftrag: „Legen Sie dem Synodalrat Entscheidungsgrundlagen und Anträge vor, damit dieser über eine allfällige Policy zu einer kirchli- chen Regionalpolitik Beschluss fassen kann, im Horizont der Tendenzen von primär Kanton aber auch Bund, die Randregionen zurückzustellen.“

Beteiligte Innerhalb des Bereiches wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt mit Walter Rohrer, Fachstellenleiter Gesellschaftsfragen und Wirtschaftsethi- ker, Thomas Schweizer, Beauftragter Tourismus, und mir als Vertreterin der Fachstelle Gemeinde-Entwicklung.

Aufgabenteilung In der Arbeitsgruppe spezialisierten wir uns entsprechend unseren beson- deren Interessen und bestehenden Kontaktnetzen auf den lokalen, den kantonalen und nationalen Fokus. Als Vertreterin der Fachstelle Gemein- de-Entwicklung fiel mir der lokale Blickwinkel zu, den ich mit der anste- henden Abschlussarbeit verbinden konnte.

Anpassung des Auftrags Sehr bald war in der Arbeitsgruppe klar, dass wir Handlungsbedarf für ei- nen kirchlichen Beitrag zur Regionalentwicklung sahen und uns nicht auf eine Policy beschränken wollten. Wir beantragten die Anpassung des Auf- trags im Sinne von „schlagen Handlungsfelder vor“.

2. Leistungen und Angebote der Kirche In diesem Kapitel beschreibe ich kurz die Grundlagen sowie die bestehenden Leistungen und Angebote der Kirche. Diese bilden die Basis für das Entwickeln von möglichen Handlungsfel- dern. Ich beschränke mich auf die Reformierte Kirche, nachfolgend „Kirche“ genannt. Ich beginne mit der gesetzlichen Grundlage, der Kirchenordnung und deren Umsetzung in den Kirchgemeinden. Auf den linken Seiten sind zur Illustration die Kirchgemeinden Signau und Trubschachen mit ihren Angeboten dargestellt.

Rechtliche Grundlage Der Kanton Bern anerkennt die evangelisch-reformierte Kirche als Landeskirche und erteilt ihr die Aufgabe, ihre „inneren Angelegenheiten“ selber zu ordnen. Dies betrifft: Zuständigkeit „Alles, was sich auf die Wortverkündigung, die Lehre, die Seelsorge, den Kultus sowie die religiöse Aufgabe der Landeskirchen, des Pfarram- tes und der Kirchgemeinden, die Diakonie und die Mission

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bezieht, gehört zu den inneren Angelegenheiten.“ (Gesetz über die berni- schen Landeskirchen, 1943, Art. 3) Auftrag Gemäss geltender Kirchenordnung lautet der Auftrag an die Kirchgemeinden: „1 Die Kirchgemeinde ist gerufen zum Hören und Tun des Wortes Gottes, zur Gemeinschaft im Gottesdienst und im Alltag, zur Weitergabe ihres Glaubens und zum solidarischen Dienst an den Menschen. 2 Sie wird aufgebaut durch die Gaben und Kräfte, die Gott ihren Gliedern schenkt. Sie bietet ihre Dienste allen ihren Gliedern an.“ Darunter ist zu verstehen 1. Die feiernde Gemeinde: Gottesdienst, Taufe, Abendmahl, kirchli- che Trauung und kirchliche Bestattung. 2. Die Weitergabe des Glaubens: Kirchliche Unterweisung und Kon- firmation. 3. Das Evangelium für alle: Sonntagsschule, Kinder- und Jugendar- beit, Erwachsenenbildung, Elternarbeit, Kirchenmusik, Evangelisa- tion und kirchliche Medienarbeit. 4. Die solidarische Gemeinde: „Solidarischer Dienst an allen Men- schen, besonders aber an den Bedrängten, Benachteiligten und Notleidenden“. (Kirchenordnung 1990, Art. 18-85)

Umsetzung Die Organe der Kirchgemeinde sind 1. die Gesamtheit der kirchlichen Stimmberechtigten 2. das Kirchenparlament (Legislative) 3. der Kirchgemeinderat (Exekutive) 4. das beauftragte Personal (Kirchenordnung, 1990, Art. 100-143) In der Praxis – vor allem in den kleineren Kirchgemeinden – heisst das: Es gibt den Kirchgemeinderat als Führungsgremium, das Pfarramt, das Sig- ristenamt und Freiwillige. In den grösseren Gemeinden gibt es zusätzlich eine Katechetin oder einen Katecheten und sozial-diakonische Mitarbei- tende. Finanziert werden die Kirchgemeinden durch die Kirchensteuer (Inkasso durch den Kanton), durch Spenden und Kollekten. Die Pfarrstellen finan- ziert der Kanton. Die Kirchgemeinden verfügen über ein Kirchengebäude, meist auch über ein Kirchgemeindehaus und ein Pfarrhaus (oft im Besitz des Kantons). Die Pfarrerinnen und Pfarrer – mit ihren Familien – wohnen in der Regel in ih- rer Kirchgemeinde. (Vgl. linke Seiten mit den Beispielen von Signau und Trubschachen.)

3. Wünsche an die Kirche In den Interviews fragte ich alle Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, was sie sich für ihre Region von der Kirche wünschten. Ich habe ganz bewusst nicht nur Leute in den kirchlich engagierten Kreisen befragt, sondern möglichst einen Querschnitt der Bevölkerung (vgl. Seite 79). Im Oberemmental sind 86% der Bevölkerung Mitglied der Reformierten Kirche, (vgl. kirchli- cher Bezirk, Seite 9, Geschichte, Seite 13, Statistik, Seite 38). Die Aussagen sind nach Stichworten gegliedert, mein Kommentar jeweils kursiv.

Nähe, Beziehung und Seelsorge Präsenz Die Präsenz des Pfarramtes im Dorf wurde mehrmals als wichtig betont.

Alte Menschen Geschätzt wird die seelsorgerliche Arbeit mit den alten Menschen, sei es zu Hause oder im Altersheim. Junge Menschen Erwartet wird eine Zunahme an Seelsorge mit jüngeren Menschen und Familien in einer Zeit, in der gesellschaftlicher Wandel bis ins Emmental

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Kirchgemeinde Trubschachen Die Kirchgemeinde Trubschachen hat 1292 Mitglieder. Der Pfarrer (100%) wohnt mit Frau und Kindern im Pfarrhaus. Der untere Stock des Pfarrhauses steht der Spielgruppe der Kirchgemeinde und weiteren Veranstaltungen zur Verfügung. Der Pfarrer ist 24 Stunden er- reichbar und leistet das Grundangebot der Amtswochen. Mit dem Pfarrer aus dem be- nachbarten Trub findet Kanzeltausch statt. Die Pfarrfrau ist im Pfarrhaus präsent, leitet die Spielgruppe (gegen Entschädigung), die Kin- derKirche (freiwillig) und betreute bis vor kur- zem Asylsuchende (z. T. über die Gemeinde entschädigt). Drei Personen aus dem Dorf tei- len sich stundenweise in das Sigristenamt (Ne- benverdienst). Die Angebote werden im Kirchenboten der Kirchgemeinde Trubschachen publiziert, so im Januar 2004: • Predigt auf Radio Emme • KiKi – Kirche für Kinder, ein Nachmittag im Monat • Andacht im Spitexpavillon mit an- schliessendem Essen • Gesprächskreis für Senioren: 2 mal pro Monat im Pfarrhaus • Gruppe Schwerkrankenbegleitung, ein Abend im Pfarrhaus • Abendgottesdienst im Pfarrhaus • Predigtautodienst • Spielgruppe, morgens für 3 – 5 Jährige (Trubschachen hat nur ein einjähriges Kindergartenangebot) • Sammlung Brot für Alle

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dringt (z.B. Scheidungen, neue Familienformen, Migration) und existen- tielle wirtschaftliche Veränderungen zu erwarten sind.

Kommentar Insbesondere vor dem Hintergrund, dass z.T. Schulen, Käsereien, Lädeli und Poststellen geschlossen werden, erhält das Pfarramt im Dorf eine neue Bedeutung: ganz praktisch als Möglichkeit für ein Gespräch oder für Hilfe in einer Notsituation. Aber auch ideell: „Die lassen uns nicht auch noch im Stich.“

Gemeinschaft und kirchliches Leben Kirchliche Rituale Die Befragten nehmen vor allem die kirchlichen Rituale bei Lebensüber- gängen wahr: Taufe, Konfirmation, Hochzeiten und Beerdigungen. „Die gehören einfach zum Leben“, und auch ein Alpgottesdienst darf nicht feh- len.

Kulturelle Anlässe Gelobt wurden auch nicht kirchlich geprägte, aber von der Kirche initiierte oder mit getragene kulturelle Veranstaltungen: Vorträge, Diskussionen usw. mit dem Ziel, Begegnung und Kontakt zu schaffen, da die informellen Treffpunkte wie Käsereien zunehmend verschwinden. Oder grosse Ver- anstaltungen wie das Stationentheater.

Networking Mehrere Befragte schlugen vor, dass die Kirche vermehrt Menschen zu- sammenführen, „Networking“ betreiben könnte. Im klassisch diakonischen Sinne könnten Nachbarschaftshilfe, kleine Hilfen im Alltag etc. unterstützt und koordiniert werden. Die Kirche könnte vermehrt freiwillige, unbezahlte Arbeit sichtbar machen, unterstützen und aufwerten. Sie könnte aber auch innovativ regionale Wertschöpfungsketten anregen, sensibilisieren, mit Know-how und Kontakten unterstützen.

Heimat Die Kirche soll sich für die Jungen einsetzen. Sie soll die Attraktivität der Region für die junge Generation erhöhen, trendige Freizeitmöglichkeiten schaffen und dafür sorgen, dass die Jungen ihr Beziehungsnetz nicht in die Zentren verlegen. Sie soll den Kindern helfen, ihre Umgebung bewusst wahrzunehmen, und Identifikation und Heimat schaffen.

Kommentar Kirchliche Rituale und Feste wurden häufig benannt, hier treffen sich Tra- dition, Folklore und Kirche. Ebenfalls mehrfach geäussert wurde der Wunsch, dass die Kirche die Gemeinschaft „zusammenhalten“ sollte. Mit der Anerkennung und Wertschätzung von Freiwilligenarbeit sowie von weiteren unbezahlten Dienstleistungen, z. B. der Frauen bei der Pflege äl- terer Familienangehöriger, kann die Kirche einen wichtigen Beitrag für die Region leisten.

Hoffnung Träume Die Kirche soll Träume verwirklichen (Aussage eines 18-Jährigen).

Gesellschaftspolitik Klare Stellungnahme „Im Kanton und in der Schweiz soll die Kirche klar für die ländlichen Regi- onen Stellung beziehen“, wünschen sich einige Befragte. Sie soll auf die Probleme, die durch die kantonale Politik, durch den Preiszerfall etc. ent- stehen, aufmerksam machen und auf deren Folgen für die Menschen in den ländlichen Regionen hinweisen.

Werte aufzeigen Sie soll aber auch die Stärken des ländlichen Raums aufzeigen: Natur, Erholungsgebiet, intakte soziale Netze, gegenseitige Unterstützung und Nachbarschaftshilfe, Werte der Menschen wie Zuverlässigkeit und Ver- bindlichkeit.

Sensibilisieren Im Emmental selber soll die Kirche sensibilisieren für nachhaltige,

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regionale Entwicklung, aber auch neue Themen wie Migration etc. aufgrei- fen.

Kommentar Die Befragten unterschieden zwei Bereiche: Innerhalb des Ober- emmentals könnte die Kirche neue Themen aufgreifen und ausserhalb der Region könnte sie als Sprachrohr wirken. Ganz wichtig war hier der Hin- weis, dass auch die positiven Werte des ländlichen Raumes kommuniziert werden müssten und nicht nur eine Problemsicht.

Materielle und immaterielle Unterstützung Finanzen Vor allem die Jugendlichen wünschen sich materielle Unterstützung für Veranstaltungen, den Jugendtreff aber auch Beiträge an die von der Schliessung bedrohten Schulen. Sie möchten, dass die Kirche junge Leu- te unterstützt, die in der Region ein kleines Geschäft oder Unternehmen eröffnen möchten. Die Erwachsenen sehen eher eine materielle Unter- stützung von Entwicklungsprozessen.

Bildung Immateriell könnte die Kirche langfristiges regionales Denken unterstüt- zen, benennen die Erwachsenen, Zusammenhänge (z.B. Globalisierung) aufzeigen und ganz allgemein sensibilisieren und bilden.

Kommentar Für die Jugendlichen stehen konkrete finanzielle Beiträge im Zentrum. Die Erwachsenen wünschen sich eher Bildung im Sinne von Hilfe zur Selbst- hilfe.

Brückenschlag Stadt – Land Dialog Stadt-Land Die Kirche soll aktiv zum Dialog Stadt – Land beitragen. Die christlichen Werte können verbindend wirken. Eine Interviewpartnerin schlug ganz konkrete Projekte für Gemeinde-Patenschaften, Begegnungen und Stadt- Land-Austausch vor.

Umlagerung Es wurde die Frage gestellt, ob gewisse Umlagerungen von sozial- diakonischen Angeboten von der Stadt aufs Land möglich wären, so sind z. B. Angebote in der Jugend- oder Altersarbeit in den Städten häufig von den staatlichen Organisationen gut abgedeckt, während auf dem Land überhaupt keine Angebote existieren.

Kommentar Verstärkt wird diese Frage durch die Tatsache, dass im Oberemmental 86% der Bevölkerung reformiert sind: So würde die reformierte Kirche vermehrt dort Angebote machen, wo ihre treuesten Mitglieder zu Hause sind.

Eigenschaften Alltäglich Die Kirche soll im ländlichen Raum etwas Selbstverständliches, ein Teil des alltäglichen Lebens und der Kultur bleiben.

Offen Die Kirche soll ein offener Ort für alle bleiben, eine Alternative zu den christlichen Gemeinschaften.

Profiliert Die Kirche soll profiliert auftreten und Position beziehen – jedoch nicht moralisch ins Gewissen reden.

Kommentar Einige Aussagen betrafen weniger den Inhalt der kirchlichen Angebote als die Art und Weise, in der die Angebote erwünscht sind.

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Strukturplakat 8 Mögliche Beiträge der Kirche Menschen Natur und Landschaft Oberemmental, Kanton, Welt Umbau Pfarrstellen: Dezidierte Stellungnahme für die „Gotte/Götti“-Beziehungen Stadt- - mehr Beziehungsarbeit Schöpfung Agglo-Land (Patenschaften, - weniger Gottesdienste (z.B. Partnerschaften, Projekte) Kanzeltausch) Verbinden, „verheimaten“ der Verbindende christliche Werte Jungen in der Region über Stadt und Land hinweg hel- Wohnen und Tourismus fen den Dialog zu fördern Jugendarbeit Heimat: bei Kindern beginnen, Wahrnehmen, benennen der naher Raum und Schöpfung Werte der ländlichen Bevölke- wahrnehmen rung Sensibilisieren für Verände- Attraktivität der Region für Junge Vermitteln, Brücken schlagen rungsprozesse erhalten zwischen Stadt und Land

Hilfreich erlebt: bei Todesfall, Alpgottesdienste sind toll! Überlegung: soz.diak. Werke in Beerdigung den Städten dem Staat übertra- gen, neue auf dem Land auf- bauen Beratungsangebot erhalten und Zusammenarbeit Kirche – Staat ausbauen (Seelsorge und EPF- fördern (z.B. Gemeinschaftshaus Beratungsstellen) bei Kirche Trub) Erwachsenenbildung Vermitteln, vernetzen

Diakonie für alte Menschen

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zu den Wün- schen an die Kirche bezüglich der Themen „Menschen“, „Natur und Landschaft“, „Oberemmen- tal, Kanton und Welt“ festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

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4. Bedeutung der kirchlichen Leistungen für die Bevölkerung Im folgenden Abschnitt führe ich die kirchlichen Grundlagen, ihre Umsetzung in den Kirchge- meinden mit den genannten Wünschen der Bevölkerung und meiner Einschätzung zusammen. Dieses Kapitel hat den Stellenwert eines Kommentars. Ich gehe nur auf die „handfesten“ Leis- tungen der Kirche ein, die spirituelle Bedeutung der Kirche für die Bevölkerung war mit der an- gewandten Methode nicht zu erfassen.

Kirchliches Als selbstverständlich gilt das Grundangebot mit Gottesdiensten, Grundangebot Kasualien, Seelsorge und kirchlichem Unterricht. Wohl betonen einige Interviewpartner, sie „gienge nid grad hüfig zPredig“, aber „wo dr Vatr gschtorbe isch, byni um dHilf froh gsy“.

Präsenz Eine ganz besondere Leistung ist die Präsenz im Dorf: Noch wohnt der Pfarrer, die Pfarrerin, die Pfarrfamilie mitten im Dorf und ist einfach da. „I ha’s nid so mit dr Chiuche, aber we si furt wär, würd si fähle.“ Ein Pfarrer oder eine Pfarrerin ist 24 Stunden erreichbar, also auch in schwierigen Si- tuationen wie Todesfällen, persönlichen Krisen, Lebensüberdruss, Streit und so weiter. Dies ersetzt nicht die Beratungsstellen in den Zentren, eini- ge Interviewpartner meinten aber, „wenn die Beziehung stimmt, ist der Pfarrer schon eine Anlaufstelle für Sorgen“.

Gemeinschaft und Im ländlichen Raum gibt es wohl viele aktive Vereine, jedoch nicht das Geselligkeit Überangebot an Veranstaltungen wie in Stadt und Agglomeration. Da sind Spielnachmittage für Kinder, Jodlerchörli, Gospelchor etc. wichtige verbin- dende Anlässe. Beziehungsarbeit oder „dr Chitt im Dorf“ (Interviewaussa- ge) sind zentrale Leistungen der Kirche – geleistet durch den Pfarrer oder die Pfarrerin, aber sehr häufig auch durch die Pfarrfrau oder den Partner.

Anerkennung Kirchgemeinden haben eine lange Tradition in Freiwilligenarbeit. Die der Freiwilligenarbeit Beziehungspflege mit den Freiwilligen und die Anerkennung ihrer Arbeit – in der Kirche, aber auch in der Gemeinde – sind wichtige Aufgaben. Nach einer Studie aus dem Jahr 2000 kann man hochgerechnet von rund 980 Freiwilligen oder von 20’3999 geleisteten Arbeitsstunden im Oberemmen- tal ausgehen (Charles Landert, 2000).

Kirche/Pfarrhaus Auf dem Lande wird – oftmals – in Pfarrhäusern Gastlichkeit gelebt. als gastlicher Ort Gespräche mit Brautpaaren, Taufeltern und Ratsuchenden sowie Ge- sprächsgruppen finden im Pfarrhaus statt. Das Kirchgemeindehaus wird für verschiedene Veranstaltungen genutzt – von Mittagstisch über Theatergruppe bis Vorträge.

Pilotversuche Oftmals übernimmt die Kirche in ländlichen Gemeinden Angebote, die und Lückenbüsser in Städten längst zur selbstverständlichen städtischen Infrastruktur gehören: Die kirchliche Spielgruppe ersetzt das zweite staatliche Kinder- gartenjahr, die AG Jugendtreff sucht einen Jugendraum, der Memoryclub bietet Gedächtnistraining für ältere Menschen und die Gesprächsgruppe Schwerkrankenbegleitung trägt dem Umstand Rechnung, dass auf dem Land viele Schwerkranke und Sterbende zu Hause gepflegt werden. Die Kirche übernimmt zum Teil eine Pionierrolle, bringt Jugendarbeit ins Rollen oder füllt Lücken da, wo staatliche Infrastruktur gebraucht würde, aber nicht vorhanden ist.

Vernetzung In den beiden beschriebenen Gemeinden (Seiten 58/60) führen die und Koordination Kirchgemeinden Veranstaltungen in Kooperation mit Organisationen wie dem Landfrauenverein, der Spitex etc. durch. In den kirchlichen Publikationsorganen (sämann, Kirchenboten) werden allerlei nützliche Angebote publiziert: Rotkreuzfahrdienst, Börse für kleine Dienste und

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Strukturplakat 8 Mögliche Beiträge der Kirche Gemeinschaft Pfarrer soll im Dorf wohnen, teil- Pfarrer „da“: als Mensch integ- Neue Aufgaben für Kirch- haben, „da sein“, „Kitt“ riert, niederschwellig gemeinden: Networking, Empo- werment Pfarrfrau leistet wichtige diakoni- Ansprechperson in der Nähe an- Networking fördern: Menschen sche Arbeit statt Beratungsstelle weit weg zusammenführen, Moderation Pfarrfrauenbüro: Theke, Kaffee- Nähe zu den Leuten: verständ- Zu Leuten in Aussenbezirke ge- maschine, Zusammenhalt lich und achtsam sein hen, kulturelle Angebote Kirchen-Angebote auf Abruf auf Angebote für „neue Rand- Kulturelles wie Stationentheater: dem Lande wäre verheerend: gruppen“: Seelsorge, Beratung, Aktivierung des Gemeinwesens Pfarramt gehört ins Dorf Projekte Intaktes, flächendeckendes Soziale Aufgaben übernehmen: Identifikation mit der Heimat för- Netzwerk nutzen: noch hat jedes psych. Unterstützung einzelner, dern, Gemeinschaftsgefühl Dorf seine Kirche, Pfarramt auch junger Personen fördern Diakonie junge und alte Men- Jugendtreff Eggiwil Freizeitbereich ist für Junge schen wichtig Kirche ist noch in Rituale integ- Sozialkapital fördern: gegen- riert seitige Unterstützung, Empo- werment

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zu den Wün- schen an die Kirche bezüglich „Gemeinschaft“ festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

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Nachbarschaftshilfe, Hauspflege usw. Die Kirche vernetzt, koordiniert und kommuniziert Angebote im Gemeinwesen.

5. Erkenntnisse: Kirchliche Handlungsfelder im ländlichen Raum Ich sehe die folgenden fünf Handlungsfelder. Sie basieren auf den Erkenntnissen von Teil 1 und Teil 2. Sie haben klar den lokalen Fokus Oberemmental, bauen aber auf den bestehenden Rahmenbedingungen der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn auf. Die finanzielle, perso- nelle und (kirchen-)politische Machbarkeit sowie die generelle Übertragbarkeit auf andere Regi- onen werde ich hier nicht beurteilen.

1. Nähe Die Kirche macht sich stark für Seelsorge und Diakonie in der Nähe. Präsenz, Nähe und Mitmenschlichkeit sind Stärken der Kirche im ländli- chen Raum. Mit der Zunahme der älteren Bevölkerung, dem verschärften existenziellen Druck und dem gesellschaftlichen Wandel (neue Familien- formen, Migration) werden diese Bedürfnisse zunehmen. Speziell da ei- nerseits die lokale Versorgung durch staatliche Einrichtungen abnimmt und andererseits eine gewisse Akzeptanz für kirchliche Angebote (noch) vorhanden ist. Beziehungsarbeit und Präsenz werden deutlich höher ge- wertet als der regelmässige sonntägliche Gottesdienst. Möglicherweise wäre hier der Wechsel von einer Komm-Struktur (in der Kirche auf die Gläubigen warten) zu einer Geh-Struktur (die Menschen aufsuchen, die Zuspruch brauchen) angezeigt. Man darf zudem die Frage stellen, ob diese Aufgabe von Pfarrerinnen und Pfarrern geleistet werden muss oder ob diese Leistung durch sozial-diakonische Mitarbeitende er- bracht werden könnte. Präsenz in der Nähe kann auch heissen, dass klar unterschieden wird, welche Leistungen wirklich in der Nähe erbracht wer- den müssen und welche überregional organisiert werden können.

2. Gemeinschaft Die Kirche stärkt die Gemeinschaft und Beheimatung. In und Heimat Gemeindeleben, Kultur, Ritualen und Tradition ist die Kirche auf dem Land gut verwurzelt. Zugleich ist das Gefühl von Dazugehören, Zuhau- sesein, Verwurzelung und Heimat jedes Menschen die Grundvorausset- zung für ein zufriedenes Leben und somit die beste Prävention gegen Abwanderung. Hier hat die Kirche ein grosses Wissen und Erfahrung, die sie nutzen sollte.

3. Hoffnung Hoffnung, Ermutigung und Wertschätzung sind Grundwerte des und Entwicklung christlichen Glaubens und Handelns. Dies wird im ländlichen Raum dringend benötigt und kann der Beitrag der Kirche zu einer nachhaltigen Entwicklung sein. Nicht leere Versprechungen sind gefragt, sondern das Aufzeigen eines Weges, Hoffnung gepaart mit Know-how. Dies würde ei- ne spezielle Qualifikation der kirchlichen Mitarbeitenden erfordern. Ein vertieftes Verständnis für die Prozesse in der Regionalentwicklung und methodisches Können für Networking und Moderation wären nötig.

4. Gesellschaftsfragen „Die Kirche setzt sich ein für die Benachteiligten und nimmt öffentlich Stellung“, steht in der Kirchenordnung. Anders als Verbände, Interessen- vertreter, politische Parteien oder die Verwaltung kann die Kirche glaub- haft einen unabhängigen Standpunkt einnehmen und diesen aus christ- lich-ethischer Sicht begründen. Gefragt ist nicht blinde Parteinahme son- dern eine klare Stellungnahme: wo Menschen im ländlichen Raum be- nachteiligt werden, wo Kulturlandschaft bedroht ist, welchen Wert diese Räume und ihre Bevölkerung haben, wo Lösungsmöglichkeiten liegen – und welchen Beitrag die Kirche dazu leisten kann.

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Strukturplakat 8 Mögliche Beiträge der Kirche Wirtschaft Sensibilisieren, Know-how ver- Wertschätzung für die Bauern Regionale Wertschöpfungs- mitteln für Leistung für Natur und Tiere ketten unterstützen und Zusam- menhänge aufzeigen Langfristiges, nachhaltiges, regi- Geld in Entwicklungsprozesse Finanzhilfe für junge Jung- onales Denken unterstützen UnternehmerInnen

Weitere Themen Gesellschaftspolitisch auf Sozial- Kirche ist ein natürlicher selbst- Kirche unsichtbar, aber wenn sie kapital setzen, sichtbar machen, verständlicher Teil des Lebens weg wäre, würde sie fehlen beziffern, in Firmen tragen und der Kultur Kirche muss sich klar positionie- „ein Schangnauer füllt die Kirche Landeskirche hat schweren ren, Profil gewinnen nicht“, aber Kirche doch wichtig Stand: aus Tradition in Kirche Landregionen unterstützen Lokal schauen, was nötig ist Keine Chance mehr, Einfluss zu nehmen Auseinandersetzung mit Migrati- Kirche soll nicht moralisch ins Offener Ort, Alternative zu on/Ausländer („noch unbekannt“) Gewissen reden frommen, engen Gemeinschaf- ten Neue Formen in der Kirche, Kirchliche Berufe, Pfarrer brau- Fromme, Engagierte sind in neue Gottesdienste chen neue Kompetenzen: neue Gruppierungen und Gemein- Aufgabenfelder schaften (ausserhalb Landeskir- che) Finanzielle Beiträge an Schulen, Einsetzen für mehr Freiheit, we- Leute sind religiös: wenn Lan- Jugendtreff, Veranstaltungen niger Regeln deskirche geht, machen sie’s selber Träume verwirklichen

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zu den Wün- schen an die Kirche bezüglich „Wirtschaft“ und weitere Themen festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

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5. Brücken schlagen Die Kirche schlägt Brücken zwischen Stadt und Land. Die Kirche verfügt über ein flächendeckendes Netz an Kirchgemeinden in den ver- schiedensten Räumen: Stadt, Agglomeration, Kleinstädte, Land. Verbin- dend sind der christliche Glaube, die christlichen Werte, das Dach der Kir- che. In dieser Spielanlage sind die verschiedensten Projekte mit dem Ziel von Solidarität, Dialog, Austausch und Begegnung vorstellbar und mit re- lativ geringem Aufwand realisierbar. Zum Beispiel Gemeindepatenschaf- ten, Austausch-Konfirmandenlager, Taufwaldprojekte, Kirchensonntag und so weiter.

Fazit Im gleichen Boot Im Kanton Bern sind die kirchlichen Geschicke untrennbar mit der Entwicklung im Kanton verbunden. Wenn die Bevölkerung abnimmt, die Wirtschaft stockt, der Kanton spart und die Steuereinnahmen sinken, wer- den Pfarrstellen gestrichen und auch die Einnahmen aus den Kirchen- steuern schwinden. Dies wirkt sich direkt auf das Angebot der Kirche aus. Es liegt also – abgesehen von christlich ethischen Überlegungen – auch ganz handfest im Interesse der Kirche – in ihren Wirkungsbereichen – mit zum Wohlergehen des ganzen Kantons beizutragen und eine aktive, vor- ausschauende Haltung in der Regionalpolitik einzunehmen.

Legitimation Die Kirchenordnung sieht ein Engagement wie in den Handlungsfeldern beschrieben durchaus vor: in der feiernden Gemeinde, im „Evangelium für Alle“, worunter auch Jugendarbeit, Erwachsenenbil- dung und Medienarbeit verstanden werden, und in der solidarischen Ge- meinde.

Kirchentreue Die Bevölkerung im Oberemmental ist zu 86% Mitglied der reformierten Kirche, in einzelnen Gemeinden sind es sogar 92%: Lässt sich daraus eine besondere Verpflichtung für eine Engagement der Kirche für diese treuen Mitglieder und ihre Region ableiten? Speziell in bedräng- ten Zeiten?

Chancen und Mit ihrem flächendeckenden, intakten Netz von Kirchgemeinden und Ressourcen Pfarrämtern sowie eigenen Aus- und Weiterbildungseinrichtungen verfügt die Kirche über beste Voraussetzungen, in der Regionalentwick- lung eine gestaltende Rolle einzunehmen. Allerdings erfordert dies ein kla- res Erkennen der Problemlage und den Willen, in diesem Bereich einen Schwerpunkt zu setzen.

Oekumene Die Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche ist zu suchen, einerseits in Anbetracht der katholischen Bevölkerung im Oberemmental, anderer- seits in Hinblick auf eine gesamtschweizerische Zusammenarbeit über Kantons- und Religionsgrenzen hinweg.

Pionierrolle Die Politik von Bund und Kanton setzt auf Entwicklungsachsen und die Agglomerationen als Wirtschaftsmotor. Wachstum in jeder Hinsicht ist oberstes Ziel. Möglicherweise ist hier ein Paradigmenwechsel angesagt. Hier wäre eine Nische – geradezu ein Brachland – wo die Kirche Ideen entwickeln, in ihrem Wirkungsbereich Projekte lancieren und ihren Standpunkt in den gesellschaftlichen Dialog einbringen könnte.

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Strukturplakat 1

Menschen: Mentalität und Befindlichkeit Stärken Zukunft Schwierigkeiten Treue zur Arbeit Moderner werden: ...dass die Viele Leute sind zu sehr auf Regi- Identifikation mit dem Betrieb Leute wissen was ein SMS ist on bezogen, wenig Blick für die Welt, internationale Entwicklung Zuverlässig, vielseitig einsetzbar Leute könnten innovativer sein „was der Bauer nicht kennt, frisst er z.B. Bauer, Maurer, Zimmer- und Stärken besser einsetzen nicht“ mann, Bäuerliche Wurzel und Arbeits- Restmöglichkeiten in Pluspunkte Skeptisch für Neues, braucht viel moral: zuverlässig, loyal, arbeit- umsetzen, z.B. im sanften Tou- Überzeugungsarbeit sam rismus Leute sind freundlich und haben Emmentaler „verkaufen“ sich Bauernkaff Zeit schlecht gegen aussen „treue Seelen“, firmentreu Festhalten, klammern an Tradition (viele Leute, ev. Mehrheit) hervorragende Arbeitskräfte Menschen sind pessimistisch - glauben zu wenig an sich Arbeitskraft: flexibel, wärche, - fühlen sich als Randregion anständig - jammern, zeigen Stärken zu we- nig Begeisterungsfähigkeit der Men- Spürbare Angst schen - vor der Zukunft - vor der wirtschaftlichen Entwick- Eigenaktivität ist höher, da man lung weniger konsumieren kann - Unsicherheit Neuzuzüger bringen neue Im- Diffuse Angst, hilflos, pulse gehen Sachen nicht an eher rückwärtsgewandt setzen auf falsche Tradition „Menschenschlag“: loyal zur Re- Druck, Depression lastet über eini- gion, Gemeinwesen, Familie, gen in der Region Arbeitgeber Menschen geprägt von der Soziokulturelle Werte sinken, wie Landschaft: verwurzelt, zurück- Sorgfalt, Qualität, „ein Wort ist ein haltend – offen Wort“ aufgeschlossen – wenig Komfort Stolze Menschen

Wurzel in gelebtem Brauchtum und Tradition

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zum Thema „Menschen: Mentalität und Befindlichkeit“ festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

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Teil 3

Methode und Vorgehen

Die Untersuchung im Oberemmental führte ich mit der Grundhaltung und dem Werkzeugkasten der PLA-Methode (Participatory Learning and Action) durch. Allerdings mit der Einschränkung, dass ich den Teil „Action“ wegliess, da mein Auftrag (Seite 57) lediglich die Aufgabe umfasst, Entscheidungsgrundlagen zu liefern.

Gliederung 1. Die PLA-Methode und ihre Werkzeuge Methodischer Werkzeugkasten der PLA 2. Von der Methode zur Praxis Ergänzende Recherchen und Quellen 3. Die Gesprächswoche im Oberemmental – konkretes Vorgehen Rahmenbedingungen und Vorgehen Interviewpartnerinnen und Interviewpartner Durchführung und Verarbeitung der Interviews 4. Erkenntnisse zur Methode

1. Die PLA-Methode und ihre Werkzeuge Im Folgenden stelle ich die Methode und ihre Entstehungsgeschichte kurz vor. Im Kommentar diskutiere ich die Abweichung meiner Befragung von der Lehrmeinung.

Geschichte Am Anfang (1980) stand Rapid Rural Appraisal RRA. Ethnologinnen und Ethnologen suchten eine Möglichkeit, in kurzer Zeit eine ländliche Region kennen zu lernen und Informationen und Hypothesen über ländli- ches Leben und vorhandene Potenziale zu erwerben. Ab 1990 wurde die Methode zu Participatory Rural Appraisal PRA weiter entwickelt. Neu dar- an war die aktive Rolle der einheimischen Bevölkerung: Gemeinsam Ent- wicklungschancen analysieren, bewerten und damit Grundlagen für ein gemeinsames Handeln legen. Ab 1993 reden wir von Participatory Lear- ning und Action PLA, also gemeinsam lernen und handeln im Sinne der politischen Bewusstseinsbildung und als Anstoss zu Empowerment- Prozessen. Entwickelt wurden die Methoden vor allem in der Entwick- lungszusammenarbeit. (Helfensberger, Kuchen, 2003)

Grundhaltung Grundsätzlich neu ist das Verständnis der Rollen der auswärtigen Fachleute und der einheimischen Bevölkerung: Für die lokalen Gegeben- heiten sind die Bewohnerinnen und Bewohner die Expertinnen und Exper- ten, sie kennen ihr Gebiet mit Stärken und Schwierigkeiten am besten, sie kennen Lösungen für die anstehenden Probleme und sie wissen auch, was sie zur Lösung beitragen können. Die auswärtigen Fachleute werden zu Lernenden und begleiten den Prozess. Zur Methode gehört auch, dass nur soviel Wissen zusammengetragen wird, wie für die Weiterarbeit nötig ist, die Methode nennt das „optimale Unwissenheit“ und „angepasste Un- genauigkeit“. Typisch ist weiter, dass die Untersuchung schnell (rapid) ist, innerhalb weniger Tage oder Wochen von der Erfassung über Aufarbei- tung bis Präsentation an Ort stattfindet.

Einordnung meiner Meine Untersuchung entspricht am ehesten einem RRA: Es geht vor Untersuchung allem um schnelle und gründliche Informationsbeschaffung im ländlichen Raum. Allerdings übernehme ich die Grundhaltung und das Rollenverständnis der späteren Entwicklungsphase der Methode (PRA):

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Strukturplakat 2

Gemeinschaft Stärken Zukunft Schwierigkeiten Sozialer Aspekt: Beziehungen, Dorf freundlicher gestalten: Gefahr der Abwanderung, wenn einander kennen Markt, mehr Eigenaktivität im soziokulturelle Netze / Freizeit / Gemeinwesen Beziehungsnetz nicht mehr in der Region „Für enand luege“ Nahräumliche Strukturen erhal- Topografie und Streusiedlung: ten Jeder für sich Nachbarschaftshilfe Schulen und Lädeli werden ge- „I ha ke Zyt“, zunehmende Hek- schlossen: informelle Treffpunk- tik, wenn beide Eltern arbeiten Grossfamilie: Kinder- Gross- te gehen verloren (Talgemeinde) eltern- Pflegekinderbetreuung als Know-how und volkswirt- schaftlicher Nutzen Sozialer Zusammenhalt: „Mi Neue Randgruppen entstehen: Neuer Sozialdienst: Eigenhilfe luegt zunenand“, weniger indivi- -die nicht mitkommen im Wandel sinkt, Versorgungsansprüche dualistisch -Scheidungen, neue Familien steigen, Bemessungslücken Qualität im Umgang miteinander: Gemeinwohl vor Eigennutz Fremdenfeindlich (nicht offen, Grüssen – Akzeptanz - Respekt still, Stammtisch,Abstimmungen) Zusammengehörigkeit: zune- Überschaubarkeit und Nachbar- Soziale Modelle (wie inner- nand luege, als Mensch wahr- schaftshilfe machen das Leben familiäre Kinderbetreuung) zahlt genommen, integrieren Neue – lebenswerter sich nicht aus mit der Zeit Kultur+Tradition von Interessen- Wurzeln für die Kinder auf den Alte „verhockete“ Genossen- gemeinschaften Weg ins Leben schaften Netz von Vereinen, hoher Anteil an freiwilligem und ehrenamtli- chen Engagement Bewusstsein für Tradition, wird gepflegt in Vereinen+Musik Qualitativ hochstehendes Brauchtum, Kultur auf ehrenamt- licher Basis Breites Kulturangebot: volks- tümlich bis international, Jazz bis Comicfestival Überblickbare Dorfstruktur: man weiss, wer wie wo Sicherheit: Kinder gehen lassen Grundvertrauen

Tiefes Gewaltpotenzial (vergli- chen mit Stadt/Agglo) Nicht fremdenfeindlich Intakte 3-Generationen-Familien Nicht fremdenfeindlich

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zum Thema „Gemeinschaft“ festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

51 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Ich verstehe mich als Lernende bezüglich der Region, bzw. die Befragten sind für mich die lokalen Expertinnen und Experten.

Kommentar Meine Anwendung der Methode wird vom PLA-Experten Michael Schön- huth sehr kritisch gesehen, da ich PLA nur abklärend einsetze, und die Befragten keinen Einfluss darauf haben, was weiter geschieht. Im schlimmsten Fall könnten – laut Schönhuth – die Ergebnisse, gerade weil sie mit partizipativen Elementen erhoben wurden, als demokratisches Fei- genblatt für weitere Handlungsstrategien missbraucht werden (Schönhuth, 1996, 31). Diese Überlegung kann ich nachvollziehen. Trotzdem halte ich es für unverzichtbar, das Wissen und die Bedürfnisse der direkt betroffe- nen Bevölkerung in die Überlegungen zu (kirchlichen) Handlungsfeldern einzubringen. Wichtig erscheint mir, meinen Auftrag und meine Ziele den Betroffenen gegenüber transparent zu machen und die Gesprächsteil- nahme ohne falsche Versprechungen und freiwillig zu gestalten. Unter dieser Voraussetzung finde ich es absolut sinnvoll, nützliche Elemente von bestehenden Methoden anzuwenden und verantwortungsvoll in einen bestehenden Auftrag einzubauen. Arbeitshypothese Der abklärende Teil der PLA-Methode eignet sich ausgezeichnet, um in- nert kürzester Zeit einen vertieften Einblick in eine Region zu erhalten und die Ergebnisse für eine Weiterarbeit aufzubereiten.

Methodischer Werkzeugkasten der PLA Die einzelnen Schritte der PLA-Methode sind einfach und leicht verständlich. Es wird das Bild eines Werkzeugkastens benutzt. Im Folgenden die einzelnen Werkzeuge:

Lokale Eine Vorbereitungsgruppe vor Ort – möglichst ausgewogen Vorbereitungsgruppe zusammengesetzt – begleitet den Prozess und stellt ihre lokalen Kenntnisse und Kontakte zur Verfügung.

Direkte Beobachtung Sehen, hören, wahrnehmen wie die Leute leben ist eine wichtige Grundla- ge der Methode. Ebenso Nachfragen und das Erfahrene erklären lassen, sich von Einheimischen in einer sogenannten Querschnittwanderung die Gegend zeigen lassen.

Halbstrukturierte Anhand einiger Themenfelder die Befragten erzählen lassen, möglichst Interviews im freien Gespräch, offen sein für neue Themen und Anliegen. Das Ge- spräch wird anhand eines vorgegebenen Rasters protokolliert.

Wahrnehmungsfilter Jederzeit bewusst sein, dass man auf Grund des persönlichen Hinter- grundes (Beruf, Lebenssituation) Wahrnehmungsfilter hat und Gefahr läuft, nur gewisse Dinge zu hören und andere auszublenden. Es ist von Vorteil, Gespräche zu zweit in immer wechselnden Teams zu führen, um blinde Flecken zu minimieren.

Arbeit im Team Die Wahrnehmungen werden fortlaufend diskutiert und analysiert in einem Team von Männern und Frauen aus verschiedenen Berufen und mit un- terschiedlichen persönlichen Hintergründen.

Priorisieren Die Befragten ordnen ihre Aussagen nach Wichtigkeit ein. Visualisieren Die Gesprächsergebnisse werden optisch dargestellt, zuerst auf Karten, dann auf dem Strukturplakat (vgl. Beispiele auf den linken Seiten) und später bei der Präsentation.

Präsentation Die Ergebnisse werden unmittelbar nach Abschluss der Befragung öffent- lich präsentiert, diskutiert und die Bewohnerinnen und Bewohner zur akti- ven Mitarbeit in der Umsetzung animiert.

52 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

2. Von der Methode zur Praxis Die folgenden Werkzeuge habe ich übernommen und für die Rahmenbedingungen meines Auf- trages angepasst. Die Chancen und Schwierigkeiten der Anpassungen sind jeweils kursiv als Kommentar eingefügt.

Lokale Zwei lokale Akteure – einer aus dem kirchlichen Feld, der andere als Vorbereitungsgruppe Funktionär eines Zweckverbandes – halfen mir, eine Liste mit möglichen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern zusammen zu stellen. Kommentar Die Akteure stellten sich als Schlüsselpersonen heraus. In wenigen Tage organisierte ich Gesprächstermine mit den von mir gewünschten Personen. In dieser frühen Phase kannte ich keine Frau als Schlüsselper- son. Wohl ist es mir gelungen, durch hartnäckiges Nachfragen Frauen für Gespräche zu finden, trotzdem drohte sich während der ganzen Arbeit immer wieder die männliche Sichtweise in den Vordergrund zu schieben. Hat das mit den Geschlechterrollen im Gebiet zu tun oder zeigt sich hier ein Fehler in der Vorbereitung? Rückblickend hätte es sich gelohnt, die- sem Punkt mehr Aufmerksamkeit zu widmen – ebenso bereichernd wäre eine Schlüsselperson aus der jungen Generation gewesen. Augenfällig wird hier der Zusammenhang zwischen Vorbereitung/Spielanlage und Verlauf/Ergebnis.

Arbeit vor Ort Ich habe mir für eine Woche in der Region eine Arbeitsbasis eingerichtet und von dort aus agiert. Kommentar Dies hat sich absolut bewährt. Die Gastfreundschaft vor Ort liess die Ar- beit zum Erlebnis werden. Auch waren alle ablenkenden Einflüsse ausge- schaltet und viele spontane Begegnungen und Gespräche wurden mög- lich: im Lädeli, an der Bushaltestelle etc.

Direkte Beobachtung fand im Alltag statt. Die Querschnittwanderungen sind auf Seite 79 be- schrieben. Arbeit im Team Ich habe alleine gearbeitet. Ein Team stand mir nicht zur Verfügung. Re- flexion über die Eindrücke und den Prozess holte ich mir durch Gespräche / Besuche während der Gesprächswoche wie durch die Diskussion der ersten Resultate mit Kolleginnen und Kollegen in der Zeit danach. Kommentar Das fehlende Team war für die laufende Reflexion ein Mangel. Als Vorteil habe ich empfunden, dass ich als Einzelperson wesentlich offener war für Kontakte mit der Bevölkerung im Vergleich zu dem PLA-Modul in Zürich Altstetten, in dem die Kursgruppe jederzeit für soziale Kontakte zur Verfü- gung stand.

Wahrnehmungsfilter Regelmässig habe ich im Gespräch Antworten zusammengefasst und Formulierungen zusammen mit den Gesprächspartnerinnen und Ge- sprächspartner präzisiert. Kommentar Missverständnisse und blinde Flecken waren mangels Team oder techni- scher Hilfsmittel nicht auszuschliessen. Trotzdem half mir das Wissen um die Gefahr von Missverständnissen und Interpretationen besser hinzuhö- ren und exakt zu protokollieren.

Priorisieren Am Ende jedes Gespräches liess ich die Interviewten ihre Aussagen auf die wichtigsten fünf Antworten pro Frage präzisieren. Das diente zugleich der Überprüfung der Aussagen. Kommentar Im PLA-Modul lernten wir pro Frage drei Antworten aufzunehmen, um die Datenmenge einzugrenzen. Im Oberemmental „gönnte“ ich mir fünf Ant- worten. Der Nachteil war tatsächlich die Datenmenge von rund 360 Ein- zelaussagen, die zu verarbeiten waren. Der Vorteil überwog: In sehr vie- len Interviews erhielt ich auf die erste Frage nach den Stärken der

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Strukturplakat 3

Natur und Landschaft Stärken Zukunft Schwierigkeiten Vielfältige Landschaft Wenn Infrastruktur sinkt und Dezentrale Infrastruktur in der Abwanderung einsetzt kann typischen Streusiedlung kostet Landschaft nicht mehr gepflegt viel Geld werden Landschaft, Gegend, nebelfrei Landschaft kann vermarktet Abgelegenheit: zu weit weg von werden grösseren Gemeinden, Stadt Landschaft, Wald Weltweit Raubbau an Natur führt „benutzt werden“ als Naherho- zur Verknappung: dann wird viel- lungsraum der Städter: kommen, fältige Kulturlandschaft und geniessen, gehen Landwirtschaft wieder wichtig Natur Rennstrecke bauen Landschaft Natur, ruhig, Emme Gut erhaltene Landschaft Landschaft: Kulturlandschaft Landschaftspflege erhalten: cha- rakteristische Kulturlandschaft, Naherholungsraum Natur-Landschaft (inkl. Landwirt- Intakte Landschaft und hohe Le- schaft und Menschen) bensqualität machen attraktive Firmenstandorte (neue Arbeitsplätze) Intakte Kulturlandschaft Landschaft naturnah Naherholungsraum Wasser, Holz Luft, Umwelt Wald (nachwachsender Roh- stoff) Unverbrauchte Natur und viel Platz Freiräume zum ausprobieren von Töff, Traktor und Auto

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zum Thema „Natur und Landschaft“ festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

54 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Region fast stereotyp dieselben drei Antworten „die Landschaft, die Men- schen, die Gemeinschaft“, hingegen kamen bei der vierten und fünften Antwort kamen wichtige zusätzliche Aspekte zur Sprache.

Visualisieren Ich habe alle Kernaussagen aus den Gesprächen auf grossen Struktur- plakaten, Abschrift siehe linke Seiten 70-84, zusammengetragen. Sie bil- den die Grundlage für die Kapitel „das Oberemmental aus der Sicht der Bevölkerung“ und „Wünsche an die Kirche“. Kommentar Vor diesem Arbeitsschritt fand die Rückreise nach Bern statt: Um die far- bigen Antwortkarten zu schreiben, eignete sich ein Gästezimmer bestens, zur grossflächigen Aufarbeitung war ich froh um die Büroinfrastruktur. Ich führte diesen Schritt sofort nach der Gesprächswoche durch, um die Er- gebnisse möglichst frisch zu sichern.

Schlusspräsentation Auf eine unmittelbare Päsentation in der Region habe ich verzichtet. So entstand kein Zeitdruck beim Verarbeiten der Resultate. Kommentar Durchaus positiv erlebt habe ich die zeitliche Distanz zwischen den Ge- sprächen und der Verarbeitung sowie das etappenweise Vorgehen, das mich zu einer gewissen „Langsamkeit“ zwang. Viele Eindrücke aus der Gesprächswoche haben sich mit Informationen und Bildern aus der Ta- gespresse, Literatur, aus Planungsberichten und Gesetzestexten zu ei- nem Gesamtbild zusammengefügt. Dieser „Fermentationsprozess“ er- schien mir sehr hilfreich, gerade auch im Zusammenhang mit der von der Methode geforderten „optimalen Unwissenheit“ und „angepassten Unge- nauigkeit“. Die leichte Unschärfe und phasenweise Verwirrtheit ob der vielschichtigen Eindrücke haben Schritt für Schritt ein Gesamtbild entste- hen lassen.

Feedback aus der Da die Präsentation in der Region wegfiel – und damit auch eine Region allfällige Korrektur durch die Betroffenen – lasse ich die Arbeit von zwei Personen aus dem Oberemmental gegengelesen und kommentieren. Auch bekommen alle Gesprächsteilnehmerinnen und Gesprächsteilneh- mer, die das wünschen, ein Exemplar der Arbeit. Kommentar Damit werden die Gesprächsteilnehmerinnen und Gesprächsteilnehmer mit zur Zielgruppe dieser Arbeit. Dies erlebe ich als besondere Herausforderung, was den Aufbau, die Sprache und die Ges- taltung betrifft, vgl. Einleitung Seite 3.

Ergänzende Recherchen und Quellen Zusätzlich zu den Interviews mit der regionalen Bevölkerung habe ich weitere Quellen beigezo- gen. Speziell die Sichtweise des Kantons und des Bundes erforderte andere Informationsquel- len.

Im Vorfeld Literatur und Sachbücher über das Oberemmental, Kunst und Kultur, Musik und Kulinarisches, Landkarten und natürlich das Internet.

Im Oberemmental Alles was mir in die Finger gedrückt wurde: Fahrpläne, Prospekte, lokale Presse, Diplomarbeiten, Konzepte, Vorträge, Leitbilder, Statistiken, spe- ziell - Entwicklungskonzept II, 1990 – 2005, Region Oberes Emmental - Diplomarbeit „Wohnqualität im Emmental am Beispiel des Amtsbezirks Signau“, von Simon Bichsel, NDS Public Management, Berner Fach- hochschule - „Stehenbleiben kommt nicht in Frage“, Potenziale der Gemeinde Eg- giwil von Karin Gasser und anderen, Universität Bern, Interfakultäre Koordinationsstelle für allgemeine Ökologie, 2001

Nach der Befragung Gesetzliche Grundlagen und Strategiepapiere von Bund, Kanton, Kirche, speziell:

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Strukturplakat 4 Wirtschaft: Wärche und Verdiene Stärken Zukunft Schwierigkeiten Mentalität Arbeiter: positives Image Neue Gewerbe ansiedeln, Techno- Tiefstes Volkseinkommen vom Kan- logietransfer in Region ton Bern Arbeitskräfte gut ausgebildet, flexib- Neue Technologien in Region holen Durchschnittseinkommen sehr tief, le Arbeitsbedingungen, (z.B. Software), anspruchsvolle Ar- wenig Kaufkraft, tiefe Steuerein- Erfahrung in internationaler Zusam- beitsplätze nahmen, wenig Investitionen menarbeit Gut verwurzelte Produkte von Erfindungen machen, Wissenstrans- Tiefstes ProKopf-Einkommen der Schweizer Qualitätsware wie fer von Hochschulen Schweiz Kambly oder Jakob Topfirmen in Gemeinwesen einge- Arbeitsplätze in der Region schaf- Bauern leben von der Substanz bunden (Kambly, Zaugg) fen: Technologie (vgl. Frama), für Hoher Selbstversorgungsgrad Zuzüger Milchpreis sinkt, Käsereien schlies- sen, nur Grosse überleben Landwirtschaft ist bio und tierge- Neue Technologien machen Arbeit Hofgrösse in der Landwirtschaft: recht zuhause möglich, nicht täglich pen- Hälfte zu klein zum Überleben deln Waldwirtschaft: Energieträger, Bau- Technische Hochschulen ins OE Arbeitskräfte zu teuer, Produkte zu stoff, in Gegend nutzen „silicon valley“ billig (z.B. Textilindustrie) Ausgewogene Sektoren: Alternativmedizin als Spezialität för- Wertschöpfung in der Region sinkt 1/3 Landwirtschaft, 1/3 Gewerbe dern, Pflegepotenzial fördern mit Milchpreis, Käsereien schlies- 1/3 Dienstleistung Pflegeressourcen ausbauen sen, Gewerbe leidet Mischung Gewerbe-Landwirtschaft- Innovative Nischen in Landwirt- Preiszerfall der landwirtschaftl. Pro- Dienstleistung schaft: Büffel, Schaf, Kräuter etc. dukte: Landwirtschaft und Gewerbe ausbauen gehen zurück Innovative Betriebe: weniger grosse Nischen für Bauernbetriebe: 2. Strukturwandel in der Landwirt- Gümp – weniger anfällig Standbein schaft: 2007 Grenzen für Milch und Käse offen Arbeitsteilung zwischen Mann und Landwirtschaft und innovative (an- Landwirtschaft des OE ist nicht kon- Frau ist traditionell partnerschaftlich dersartige) Nische kombinieren: + kurrenzfähig in weltweiter Entwick- Pflege lung + Streichelzoo +Baustoffe etc. Gesundes Gewerbe Nicht explosionsartig wachsen Träge, nicht marktfähig Impulse von aussen: ASPOS, pro Neue Märkte nötig für Gewerbe „Nicht wahrhaben wollen“ des wirt- Emmental, regioplus, Bäregg, Pfar- (ausserhalb Oberemmental, in Ag- schaftlichen Wandels rer glomeration) Moderne Kommunikationsmittel ma- 2. Standbein für bäuerliche Bevölke- OE ist in wirtschaftlich gesättigten chen Kontakt/Handel mit ganzer rung, Landwirtschaft erhalten Märkten tätig, viele Kleinstbetriebe, Welt möglich viele staatsgesteuerte Betriebe (Bauern) Stark im Gesundheits- und Pflege- Landwirtschaft und Käsereien erhal- Kaum Industriearbeitsplätze bereich ten Niedere Arbeitslosigkeit! Energiebereich: Holz, Wasser, Solar Region nicht interessant für Banken nutzen: genug für OE und Investoren Gemeinsam – parallel entwickeln: Beizen, Läden, Käsereien zu verur- Lädelistruktur nimmt ab: Wolle, Ei- Gewerbe- und Wohnstandort sacht einen Strudel von Schliessun- senwaren, Schuhgeschäft gen Grossverteiler übernehmen ver- Wirtschaftliche (Not-)Lage ernst Hohe Steuerfüsse mehrt regionale Produkte nehmen: Kapitalfluss, Marktbedin- gungen Hohe Steuern, tiefe Einkommen Österreicher Modell: Landwirtschaft Druck auf Landwirtschaft: ½ Betrie- Wert der landwirtschaftlichen Pro- und Gewerbe arbeiten eng zusam- be gehen ein, Nachfolge nicht gesi- dukte zu tief men in geschlossenen Kreisläufen chert, Druck auf Gesundheit Neue Produkte: Kleine Höfe verkauft, Grosse ma- Weniger Bauern bewirtschaften z.B. ASPOS, Projekt Integration chen weiter mehr landwirtschaftliche Fläche Landwirtschaftliche Betriebe redu- ziert auf die Hälfte

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zum Thema „Wärche und verdiene“ festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

56 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

- Kantonaler Richtplan - Weiterentwicklung Wirtschaftswachstum von der Volkswirtschaftsdi- rektion des Kantons Bern - Kirchenordnung des Evangelisch-Reformierten Synodalverbandes Bern-Jura - Tageszeitungen und die Wochen-Zeitung aus dem Emmental

Kommentar Schon die Internetrecherche im Vorfeld rückte mir einige Bilder im Kopf zurecht. Ich war völlig verblüfft, wie umfassend die Region mit ihren An- geboten im Netz präsent ist. In der heutigen Zeit wäre, zumindest in unse- rem Kulturraum, eine vorausgehende Internetrecherche dem PLA- Werkzeugkasten zwingend hinzuzufügen. Auch die Aufarbeitung der Geschichte und ein Streifzug durch Literatur und Kultur – darum die linken Seiten – halte ich für wichtige Elemente, um ein Gebiet zu verstehen zu lernen. Diesen Elementen habe ich mehr Auf- merksamkeit geschenkt, als in der PLA-Methode unbedingt gefordert ist.

3. Die Gesprächswoche im Oberemmental – konkretes Vorgehen

Rahmenbedingungen und Vorgehen Zu Gast im Eggiwil Die meisten Interviews fanden zwischen dem 2. und 6. Februar 2004 statt. In dieser Zeit war ich Bed-and-Breakfast Gast im Eggiwil und legte alle Wege mit öffentlichen Verkehrsmitteln und zu Fuss zurück. In Aus- nahmesituationen wurde ich abgeholt. Die weiten Wege, die zufälligen Begegnungen, Landschaft und Leute bildeten den ergänzenden optischen und emotionalen Hintergrund der Gespräche.

Querschnittwanderung Zu den Befragungen kam eine Rundfahrt mit einem Lokal-Historiker (siehe Seite 31), der jedes Haus, jeden Stein und Baum mit seiner jeweili- gen Geschichte kennt. Ein Spaziergang mit einer Dorfbewohnerin und die Vogelperspektive auf Trubschachen rundeten den Blick auf Land und Leu- te ab.

Auswahl der Bei der Auswahl der Interviewpersonen verfolgte ich das Ziel, Interviewpersonen möglichst vielfältige Sichtweisen als Spiegel der Oberemmentaler- Bevölkerung einzuholen. Auf der Basis meiner Internetrecherche und im vorbereitenden Gespräch mit den Schlüsselpersonen stellte ich eine Liste mit möglichen Interviews zusammen. Weitere Interviews kamen spontan vor Ort oder über weitere Empfehlungen hinzu. Lediglich auf eine Anfrage erhielt ich eine Absage.

Setting Die Interviews vereinbarte ich im voraus telefonisch und liess die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner Zeit und Ort nach ihren Wün- schen und Bedingungen im Alltag bestimmen. So führte ich total 18 Gespräche. 12 Interviews fanden bei den Befragten zu Hause oder am Arbeitsplatz, 5 Interviews in Restaurants oder anderen öffentlichen Räu- men statt. Das Gruppeninterview mit 9 Jugendlichen führte ich am 20. Februar im Jugendtreff. Die Jugendlichen sind in den untenstehenden Statistiken speziell erfasst, ihre Aussagen fliessen als Gruppeninterview ein.

Kommentar Sehr beeindruckend war die Bereitschaft aller Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner, sich auf die Begegnung einzulassen, aus ihrem Alltag zu berichten und ihre überaus qualifizierte Sichtweise der Situation einzubringen. Eine absolute Ausgewogenheit der Interviewgruppe herzustellen war in

57 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Strukturplakat 5 Wohnen und geniessen Stärken Zukunft Schwierigkeiten Nebelfrei: Wohnqualität „oben“ Wohnortmarketing: Bildungsbür- Enge Baugesetzgebung für Um- (Hanglagen) ger (gute Steuerzahler) in Regi- nutzung bei landwirtschaftlichem on holen Strukturwandel Hohe Wohnqualität Baugesetzgebung lockern: Um- Flexiblere/dichtere Nutzung im nutzung von leerstehenden Streusiedlungsgebiet sollte mög- Bauernhöfen möglich machen lich sein Schön zum Leben: Wohnquali- Bausubstanz umnutzen dürfen Baurecht in der Landwirtschafts- tät, tiefe Kriminalität zone: hindert Umnutzung Niedere Arbeitslosenquote, we- Mehr Läden, mehr Bars, Pubs, Raumplanungsgesetz: sinnvolle nig Kriminalität Discos Umnutzung der Bausubstanz Spital bauen sollte möglich sein Hohe Wohnqualität Touristisch (sanft) ausbaufähig Je weniger Infrastruktur desto weniger attraktiv für Neuzuzüger Nebelfrei: sanfter Tourismus, Tourismus steigern Zu wenig Einkaufsmöglichkeiten, Sport (ausbaubar) z.B. kein Game-Laden Nischen, innovativ: Bäderkultur, Extensiver Tourismus: älteres Zu wenig Kinder, Schulen gehen Komplementärmedizin Segment, junge: Eisklettern, zu Napfmarathon, Canyoning Ferienwohnungen, Ferien auf Tourismus naturnah: für Agglo- Wenig Neuzuzüger, zu ländlich, dem Bauernhof meration, für 50+, konzentrierter, zu wenig anonym Synergien nutzen, mehr Power Unzufrieden mit Lehrern, Nach- barn Billiger Wohnraum zieht sozial Schwache an, Fürsorge belastet Sanfter Tourismus kostet viel und bringt wenig

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zum Thema „Wohnen und geniessen“ festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

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Anbetracht der kurzen Vorbereitungszeit nicht möglich. Einzelne Bevölke- rungsgruppen sind etwas überrepräsentiert, z.B. Politiker oder die Alters- gruppe 40-60. Da die Resultate quantitativ nicht gewertet werden, fällt dies nicht wesentlich ins Gewicht.

Interviewpartnerinnen und Interviewpartner An den Kategorien der befragten Bevölkerungsgruppen lässt sich erkennen, welche Blickwinkel ich gesucht habe. Die Zahlen zeigen, wie viele und welche Personen ich tatsächlich befragt ha- be.

Verteilung nach Gemeinden und Geschlecht Gemeinde Frauen Männer Gemeinde Frauen Männer Eggiwil 4 (+2 Jug.) 2 (+7 Jug.) Schangnau - 1 Langnau 1 2 Signau 1 Lauperswil - 1 Trub 1 Röthenbach - - Trubschachen 1 1 Rüderswil - 2 Übriges Emmental 1 Total 8 (+2 Jug.) 9 (+7 Jug.) (bei PendlerInnen/Weggezogenen ist die für die Befragung relevante Gemeinde gezählt)

Verteilung nach Altersgruppen Alter Frauen Männer Alter Frauen Männer 10-20 Jahre 2 7 41-60 Jahre 4 6 21-40 Jahre 3 2 61-80 Jahre 1 1

Verteilung nach Arbeitsgebieten und Funktionen Arbeitsgebiet Personen Übrige Funktionen / Engagement Personen Landwirtschaft 3 Politik Gemeinde 3 KMU 5 Politik Kanton 2 Dienstleistung/Verwaltung 9 Regierungsstatthalter 1 - davon bei Kirche 3 Kirchgemeinderat 3 Tourismusangebot 5 Ehrenamt/Freiwilligenarbeit** 13 Schule/Ausbildung 9 Spezielles Wissen zu Regionalent- 6 wicklung *alle Teilanstellungen/-aufgaben gezählt, also sind Doppelnennungen häufig **nur Erwachsene erfasst, der Status der Jugendlichen in der Betriebsgruppe des Jugendtreffs oder in Vereinen ist nicht klar zuzu- ordnen

Hin- und Wegbewegung Zupendelnde in das Oberemmental 1 Frau 2 Männer - Wegpendelnde aus dem Oberemmental 1 Frau - 2 Jugendliche Pendeln innerhalb OE 1 Frau 3 Männer 5 Jugendliche Wohnen und Arbeit in der Gemeinde 4 Frauen 4 Männer 2 Jugendliche

Zugewanderte in den letzten 20 Jahren 5 Frauen 1 Mann 3 Jugendliche Weggewanderte 1 Frau - -

Kommentar Bei der Gruppe der Jugendlichen kamen die jungen Frauen deutlich zu wenig zum Zug, sie waren sowohl zahlenmässig als auch durch die Ge- sprächssituation im Jugendtreff benachteiligt. Hier wird auch die Grenze „Zufall“ sichtbar: Das Vorgespräch liess vermuten, dass genügend junge Frauen dabei wären, da sie in der Betriebsgruppe aktiv sind, vom zahlrei- chen Besuch der jungen Männer waren wir am Abend alle überrascht. Weiter nachfragen wäre hier nötig gewesen, aber im Rahmen dieser Ar- beit nicht möglich. Auffallend hoch ist der Anteil zugewanderter Personen. Ein Zufall? Einige Zugewanderte hatten Emmentaler Wurzeln, zogen als junge Erwachsene aus in die Welt und kehrten – gut ausgebildet – zurück. Diese (Einzel-) Biographien stehen im Widerspruch zu Statistik und Volksmeinung. Hier würde es sich lohnen, weiter zu forschen und nach der Motivation für die Rückkehr zu fragen. Dies könnte überraschende Einsichten bringen.

59 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Strukturplakat 6 Das Oberemmental, der Kanton und die Welt Stärken Zukunft Schwierigkeiten Zusammenarbeit Berggebiet OE mit Entwicklung Richtung Schlafge- Kanton zieht lokale Angebote zu- Flachland CH meinde rück: Geburtenabt., Inforama Grun- dausbild., Egge, Post, BIZ Kontakt Stadt-Land: Nischenbetrieb Agglomeration frisst sich bis nach Kantonaler Richtplan mit Entwick- wie Projekt Integration bringt Wert- Trubschachen: „Grosssiedlung lungsachsen: OE hat viele Werte, schöpfung in Region Bern-Thun-Burgdorf-Langnau die sich dort nicht rechnen lassen Talgemeinden, spez. Langnau sind Kirchgemeinderat zunehmend von Zur „Randregion“ gemacht werden gut erschlossen Städtern besetzt Recht gut erschlossen Zuzug guter Steuerzahler fördern Ummodellieren in Grossregionen oder Lastenausgleich: Region erhal- von sozialen Einrichtungen: Lungen- ten liga, Suchtberatung etc. Nähe zu Ballungszentren Kämpferische Grossräte Kanton setzt auf Zentralisation und Konzentration Interessen der Region werden poli- Entmündigung durch Subventionen, tisch vertreten Eigenverantwortung sinkt Bildungsfinanzausgleich: Gemein- „Nicht wichtig sein“ für kantonale, den mit wenig Kindern zahlen, wer CH-Anbieter wie Post, Politik, Richt- viele Kinder ausbildet erhält Zu- plan schüsse „Kultur auf dem Lande“ Städter auf Schleichende Abwanderung: Streu- das Land holen (z.B. Stationenthea- siedlung –Dorfkern, Teil- ter, Bilderausstellung Trubscha- abwanderung 20-64 Jähriger chen) Nicht alles in Städten zentralisieren: In „Bern oben“ herrschen vorge- Auch Spital (Spezialität) oder Aus- fasste Meinungen bildung (FH) auf Land Synergien nutzen, voneinander ler- Lokale Werte werden nicht wahrge- nen: Entlebuch und Oberemmental nommen (Landschaft, Handwerk) Modellregion für Europa: Napf mit Service public wandert ab: Schulen, Emmental und Entlebuch Post, Bahnhöfe, Teile Spital, BIZ unklar Lebensqualität erhalten: Junge blei- Medizinische Grundversorgung ben (Landärzte) nimmt ab Mehr Autonomie von Bern: Experi- Abhängigkeit von Direktzahlungen mentierfeld Emmental und Bürokratie Viel Freiheit, weniger Staat, damit Wenn Schulen, Lädeli, Post schlies- sich Kreativität entwickeln kann sen fehlt Treffpunkt für Gemein- schaft ÖV ausbauen, Güter auf die Schie- Bildungsabwanderung: mehr Aus- ne bildungen auswärts, Junge kehren nicht zurück Erschliessung: nicht abgenabelt Rückgängige Jahrgänge in den werden Schulen Auszug der Jungen ZT. Mit ÖV schlecht erschlossen Verkehrsknopf Burgdorf lösen aber Schüler müssen nach 6. Klasse auch Privatverkehr massiv verteuern nach Langnau, nach 9. Klasse nach Bern/Burgdorf Schulen geschlossen Schliessung landwirtschaftliche Schule und andere Ausbildungs- möglichkeiten Abgeschnitten werden (zB. Postau- tokürzung nach Thun) Dezentrale Struktur: grosses Stras- sennetz, viel ÖV, Erschliessungs- wege Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Zugang Emmental: auch Wegfahrt Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert! aus der Region Zu wenig schnell in den Zentren Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zum Thema „Das Oberemmental, der Kanton und die Welt“ festgehalten.

60 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Die Zusammensetzung der befragten Personen stimmt prozentual nicht mit der Statistik überein. So hätte ich zum Beispiel zu wenige in der Landwirtschaft Tätige und zu viele zugewanderte Frauen befragt. Hier wird deutlich, dass die PLA-Methode keine repräsentativen Daten liefern kann. Eine Grenze war zudem meine Kapazität als Einzelperson. Bei ei- nem grösseren Team wäre es besser möglich gewesen, die Durchmi- schung der Befragten den tatsächlichen Verhältnissen der Bevölkerungs- gruppen anzupassen. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Ergebnisse wesentlich anders wären.

Durchführung und Verarbeitung der Interviews Befragung In einem locker strukturierten Gespräch erfragte ich die Daten zur Statistik und stellte vier Standardfragen. Die Gespräche dauerten zwischen knapp einer und anderthalb Stunden. Neben den „harten Fakten“ war es mir ein Anliegen, auch die Menschen, ihren Alltag, ihre Befindlichkeit, ihre Sicht der Welt, Geschichten und Anekdoten kennen zu lernen. Daraus entstand fortlaufend ein leicht unscharfes Gesamtbild im Hintergrund der konkreten Aussagen. Auch wurde mein echtes Interesse mit grosser Offenheit und der Bereitschaft belohnt, mir als Aussenstehender „ihre Welt“ verständlich zu machen,. Die vier Fragen 1. Wo sehen Sie die Stärken der Region? 2. Wo sehen Sie die Schwierigkeiten der Region? 3. Wie wird es weitergehen, welche positiven Visionen oder auch negativen Zukunftsszenarien sehen Sie? 4. Welches könnte der Beitrag der Kirchen zu einer positiven Entwicklung sein? Erfassung Die Antworten auf Frage 1 – 4 erhielt jeweils eine Farbe pro Frage, es entstand je ein vierfarbiges Bündel pro Interview. Die Antworten sind anonym, lediglich für mich mittels Interviewnummer identifizierbar (falls Rückfragen notwendig würden). So kamen rund 360 Karten mit Kernaussagen als Datengrundlage zu- sammen. Diese fasste ich in sieben Oberbegriffe (Themenbündel) zu- sammen und kam so zu sieben Strukturplakaten, wo jede Aussage erfasst ist. Die Oberbegriffe richten sich nicht nach gängigen Einteilungen zur Be- schreibung einer Region, sondern sind aus den Antwortkarten entwickelt. Für die Kirchenfrage habe ich ein achtes Strukturplakat für die kirchen- spezifische Weiterverarbeitung erstellt.

Verdichtung Aus den Strukturplakaten habe ich die genannte Stärken, Schwierigkeiten, Zukunftsperspektiven und mögliche Kirchenbeiträge herausgezogen und zu Texten verdichtet. Sie bilden die Kapitel „Das Oberemmental aus der Sicht der Bevölkerung“, ab Seite 17 und „Wünsche an die Kirche“, ab Sei- te 59.

4. Erkenntnisse zur Methode Hingehen und Die Gesprächswoche vor Ort – hingehen, fragen, wahrnehmen – ist wahr- nehmen sehr wertvoll, um Aussagen über eine Region machen zu können. Auch Vorurteile – als Städterin – lassen sich so bestens überprüfen.

Stärken und Während der Gespräche ist es wichtig, gezielt nach den Ressourcen Entwicklungen der Region zu fragen und den Bereich auszuloten, in dem Entwicklungen im Fluss sind. Spontan werden die Probleme meist als erstes erzählt.

Mythen Mythen sind von Fakten zu unterscheiden. Ein Beispiel: Alle in Bern und etliche Personen in der Region wiesen mich immer wieder auf Ab- wanderung als Hauptproblem der Region hin. Die Statistik,

61 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Strukturplakat 7

Identität und Label

Stärken Zukunft Schwierigkeiten Nicht nur Entwicklungskonzept Geschlossener Auftritt OE sondern Auftrag, Stellenprozente -klare Verantwortlichkeit etc. zur Realisierung - klare Kompetenzen - klare Entscheide Überschaubarkeit: 1 Zentrum, Dem Kanton, der Agglomeration 9 ähnliche Gemeinden und der Stadt die Wichtigkeit und Wert der Region zeigen Attraktive Region interessant machen Label „Emmental“ mit Spezialitä- ten von Büffelkäse bis Komple- mentärmedizin Oberemmental soll wachsen, Standortmarketing Vermarkten als Wohnregion Nicht Jammern, sagen, was gut ist. Emmental als Begriff für Qualität und Innovation etablieren Hoher Qualitätsstandard in der Region: „Echtheit“ des Images der Produkte Lebenswerte Region: Tradition und Neues verbinden, Vielfalt Qualität erhalten und ausbauen, anstatt auf Quantität setzen Das Einfache, Bescheidene, Menschliche „Willkommenfüh- len“ vermarkten Ressourcen – auch Werte – nut- zen in Modellprojekten und auf den Markt bringen

Auf diesem Strukturplakat (vgl. Methode Seite 83) sind die einzelnen Aussagen zum Thema „Identität und Label“ festgehalten.

Anmerkung: Die Strukturplakate sind Notizen aus der Gesprächswoche und sprachlich nicht redigiert!

62 Wandel gestalten – eine Überlebenskunst

Beobachtungen und Gespräche ergaben ein wesentlich differenzierteres Bild.

Achtsame Vorbereitung Der Vorbereitungsphase ist genügend Aufmerksamkeit zu schenken. Es ist wichtig, mit einer möglichst optimalen Spielanlage in die Region zu ge- hen – Fehler im Vorfeld lassen sich nur schwer korrigieren.

Zufall und Improvisation Während der Durchführung spielt der Zufall mit – wie z.B. beim Gespräch mit den Jugendlichen. Es lohnt sich, eine gewisse Kapazität für spontane Gespräche und Recherchen offen zu lassen und beweglich zu bleiben.

Grenzen Manchmal war es schwierig, sich nicht in Einzelfragen zu verzetteln und die „optimale Unwissenheit“ und „angepasste Ungenauigkeit“, wie die Me- thode sie fordert, einzuhalten. Gerade bei überraschenden Entdeckungen musste ich meiner Neugier die Grenze „dies wäre das Thema einer neuen Arbeit“ setzen. Methode geeignet Ich halte rückblickend die PLA-Methode für sehr geeignet zum Erkunden einer Region, sowohl in der verkürzten Form, wie ich sie anwandte, wie auch für eine Einzelarbeit. Viel entscheidender als eine lehrbuchmässige Anwendung sind die bewusste Methodenwahl, die Kenntnis der allfälligen Schwachstellen, und die transparente Haltung gegenüber den Befragten.

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Ziele erreicht – wie geht es weiter? Am Ende blicke ich zurück auf die eingangs formulierten Ziele für die drei Teile der vorliegenden Arbeit. Sind sie erreicht und wie geht es weiter? Auch kann ich eine erste Reaktionen aus der Region anfügen.

Teil 1: Erkundung der Oberemmentals Während meiner Woche im Oberemmental habe ich gehört, wie siebzehn Frauen und Männer sowie eine Gruppe Jugendlicher ihre Region sehen, Stärken und Schwierigkeiten beurteilen, was sie für die Zukunft erwarten und was sie sich von der Kirche wünschen. Ihre Sichtweise ha- be ich mit den Gegebenheiten der Region, der Geschichte, initiativen Projekten, der Statistik, der kantonalen und nationalen Politik in Verbindung gebracht. Die Gesamtschau stellte für mich den Begriff Randregion in Frage. Das Gespenst Abwanderung konnte ich präzisieren und ihm einen neuen Stellenwert zuweisen. Erfreulicherweise konnte ich neun Erfolgskriterien dazu ausmachen, wie die Region Oberemmental Strukturwandel immer wieder meistert. Besorgt stimmt mich die kantonale und nationale Politik für den ländlichen Raum, und ich hoffe, dass das Oberemmental auch diesen Wandel rechtzeitig im vollen Ausmass erkennt und in alter Tra- dition innovativ und konstruktiv handelt. Fasziniert haben mich die Berührungspunkte von Geschichte und Tagesaktualität, von globaler Entwicklung und lokalem Handeln, von statistischen Daten und einzelnen Menschen. Überzeugt bin ich davon, dass überregional diskutierte Entwicklungsziele und -massnahmen nö- tig sind. Dass die Konkurrenz der Regionen und gegenseitiges Verhindern von Entwicklungs- chancen, beziehungsweise nötiger Unterstützung, in eine Sackgasse führen. Damit ist die „Erkundung“ abgeschlossen. Zum Lesen und Weiterdenken steht die Arbeit nun zur Verfügung.

Teil 2: Wie könnte ein zukunftsweisendes Engagement der Kirche aussehen? Grundlagen, Angebot und Leistungen der Kirche sowie die Wünsche der Befragten weisen auf klare Handlungsfelder hin. Ein parallel entstandenes Grundlagenpapier meines Kollegen zuhan- den des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes entwarf aus der gesamtschweizeri- schen Sicht nahezu dieselben Handlungsfelder für die Kirche im ländlichen Raum. Trotz unter- schiedlicher Perspektiven und unabhängig von der Arbeitsweise zeigen Analyse und Schluss- folgerungen in dieselbe Richtung. Ich bin überzeugt davon, dass die Entwicklung im ländlichen Raum für die Kirche ein wichtiges Thema ist, dass sie einiges zugunsten der ländlichen Bevölkerung bewirken könnte und sie hier eine alte Tugend in einer neuen Nische erfolgreich aufnehmen könnte: Solidarität mit und Em- powerment für Menschen, die von der gesellschaftlichen Entwicklung im Regen stehen gelas- sen werden. Dieser Teil der Arbeit geht weiter. Beim Synodalrat ist ein Antrag zur Weiterarbeit an den Hand- lungsfeldern, Sensibilisierung der (kirchlichen) Öffentlichkeit und zum Entwickeln von Modellen und Projekten hängig. Mit der synodalrätlichen Antwort wird sich zeigen, welche Priorität die Kir- chenleitung diesen Fragen einräumt.

Teil 3: Die PLA-Methode Für meine Fragestellung in Teil 1 und den Auftrag in Teil 2 hat sich die PLA-Methode in verkürz- ter Form und ergänzt mit anderen Informationsquellen bestens bewährt. Ich vermute sogar, dass diese partielle Anwendungsform praxisrelevant ist, da im Arbeitsalltag selten ein grosses Team und ein entsprechend finanzkräftiger Auftraggeber vor Ort zur Verfügung stehen. Etwas unbefriedigend bleibt, dass in meiner Arbeitsanlage nur Papier und keine lokale „Action“ he- rauskommen konnte. Übrigens wurde mir berichtet, dass im Gohlgraben bei Langnau vor vielen Jahren ein RRA durchgeführt wurde, über das man heute noch spricht. Es ist für mich durchaus eine Option, einmal ein „komplettes PLA“ durchzuführen – vielleicht im Rahmen einer Weiterbildung mit kirchlichen Angestellten, die sich mit der Situation im ländlichen Raum auseinandersetzen und eine aktivierende Methode kennen lernen möchten.

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Erste Reaktionen aus der Region Vier Personen aus der Region oder mit starker Verbundenheit zur Region haben die Rohfas- sung der Arbeit gegengelesen. Insgesamt waren die Reaktionen sehr positiv. Sie fanden den Aussenblick auf das Oberemmental spannend und die Beschreibung exakt. Manchmal über- raschte mein Blickwinkel oder die Verbindung zu Geschichte, Kultur und Tagespolitik. Sie er- kannten die Region wieder. Hilfreich waren ergänzende Hinweise, die ich – so weit möglich – aufgenommen habe. Nach- denklich stimmte mich eine Reaktion auf das Stichwort „Jammern“ (Interviewaussage S. 36, links): „mag sein, dass dies jemand gesagt hat, aber ich versichere Ihnen, dass dies gerade nicht die Qualität der Emmentaler ist. Schweigen und nochmals Schweigen wohl eher, män- gisch fasch bis zum Verrucktwärde (...)“. Vielleicht unterstreicht gerade diese Aussage, dass es sich lohnt, zu den Leuten hinzugehen, ihnen zuzuhören und ihrer Sicht der Dinge eine Plattform zu geben.

Die Gesprächswoche im Oberemmental wird mir unvergesslich bleiben.

Dank Ganz herzlichen Dank an Alle, die sich spontan zu einem Gespräch bereit erklärt haben! Natür- lich freue ich mich besonders darauf, künftig wieder mit guten Schuhen und ohne fachlich- geschärfte Brille durchs Oberemmental zu streifen, hier im „Bären“ und dort im „Löwen“ einzu- kehren – und vielleicht die eine oder den anderen wieder zu treffen.

Besonderen Dank an Gerlind Martin, Journalistin mit Emmentaler Wurzeln, für den kritischen Blick auf Verständlichkeit, Übersichtlichkeit und Lesbarkeit der Arbeit. Ebenso an Esther Enderli, Trudi Fankhauser und Marc Lauper für Korrekturen, weiterführende Hinweise und persönlichen Gedanken.

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Bildnachweis der linken Seiten Soweit möglich sind die Künstlerinnen und Künstler direkt auf den linken Seiten be- zeichnet. Zwei Fotos stammen aus dem Web und sind nicht näher zuzuordnen, die üb- rigen Fotos habe ich während der Gesprächswoche im Oberemmental gemacht. TRACHSEL Hansueli, aus: Gotthelf lesen, Hrsg. Fritz von Gunten (2004) Bern ZBINDEN Emil, aus: Steinige Wege, Hrsg. Simon Gfeller Stiftung (2003) Heimisbach KERN, Hans, Fotograf im Eggiwil, Postkarte

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