Welche Bretagne ?
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THEMENBLATT DIE BRETAGNE – WELCHE BRETAGNE ? Redaktion: Sächsisch-Bretonische Gesellschaft / Ingo Kolboom (aktualisiert Juli 2016) Wussten Sie, dass es von der Bretagne gleich mehrere Ausgaben gibt? Dass es zwei völlig unterschiedliche Landschaften gibt, die das Land in quasi zwei Charaktere teilen? Dass es eine historische Bretagne bestehend aus fünf Départements und eine Gebietskörperschaft Bretagne bestehend aus vier Départements gibt? Und dann noch eine „Hohe“ und „Niedere“ Bretagne? Und wussten Sie, dass es auch eine weltweite Bretagne gibt? Und dass die Bretagne zu den beliebtesten französischen Reisezielen bei deutschen Individualtouristen und Familien zählt? Wussten Sie auch, dass die Erzgebirgestadt Aue mit der nordbretonischen Gemeinde Guingamp verschwistert ist und dass aus Guingamp ein Großvater des Kgl. Kapellmeisters am Dresdner Hoftheater Carl Maria von Weber stammt? Dass es auch Sachsen gibt, die über die Bretagne schreiben und dichten, und dass es einen ganz speziellen bretonischen „Literarischen Weg“ gibt, der durch Sachsen führt? Wissen Sie, was „BZH“ bedeutet? „La Bretagne, en un mot comme en cent... La Bretagne, ou les Bretagne? Il y a tant de Bretagne, celles de la Manche et de l’Atlantique, celles de la côte et de l’intérieur (l’Armor et l’Argoat), celles du passé et d’aujourd’hui, celles du granit et celle des évasions...“ – „Die Bretagne, in einem Wort wie in hundert Wörtern… Die Bretagne oder die Bretagnes ? Es gibt so viele Bretagnes, die des Ärmelkanals und die des Atlantiks, die der Küste und die des Binnenlandes (das Armor und das Argoat), die der Vergangenheit und die der Gegenwart, die des Granits und die der Eskapaden...“ Patrick Poivre d’Arvor, Les 100 mots de la Bretagne. Paris: Presses Universitaires de France 2012 (=Que sais-je?), S. 3. Abb.: Die vier Départments (29, 22, 56, 35) der Region Bretagne bzw. (plus 44) die fünf Départements der historischen bzw. Kulturregion Bretagne. - © Geo Breizh.com 1 1. ARMOR UND ARGOAT Die bretonische Halbinsel weist zwei sehr unterschiedliche Landschaften auf, die sie und ihre Menschen mit zwei sehr verschiedenen Charakteren ausstatten: Da ist einerseits das Land „ARMOR“, „Land am Meer“; andererseits das Land „ARGOAT“, „Land des Waldes“. ARMOR, das sind die atlantisch geprägten Küsten-, Watten- Insel- und Meereslandschaften; der Name stammt ursprünglich von den Kelten, die das Land einst besiedelten und es „Aremorica“ (das Land vor dem Meer) nannten; demzufolge nannten die Römer diesen Nordwestzipfel Galliens „Armorica“. (=> Themenblatt BRETONISCHE GESCHICHTE). ARGOAT, das ist das einst sehr waldreiche Binnenland, das aber seit den Rodungen im Mittelalter nur noch wenige größere Waldbestände zählt. Es wird heute von Grünland und Ackerflächen beherrscht und weist unzählige, charakteristische Hecken bzw. Knicks und Steinmauern auf, die das Land schachbrettartig aufteilen. Das ist die Landschaft der „bocages“. (=> Themenblatt GEOGRAPHIE & LEBENSRAUM & MENSCHEN). O contraste des existences / Qu’unit ton nom prestigieux, / Bretagne aux horizons immenses, /Bretagne aux petits chemins creux! Cécile Périn (1877-1959), Côtes bretonnes. „Eine der ersten bretonischen Lektionen, die Nolwenn Dupin beigebracht hatte, lautete: ‚Die Bretagne gibt es nicht! Es gibt viele Bretagnen.’ So divers waren die bretonischen Landschaften, so groß die Unterschiede, Kontraste, Eigenheiten, die Widersprüche.“ Jean-Luc Bannalec: Bretonisches Gold. Kommissar Dupins dritter Fall. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2014, S. 42. 2. DIE HISTORISCHE BRETAGNE Da gibt es zunächst im allgemeinen Wortgebrauch dieses Land im äußersten Nordwesten Frankreichs, das geographisch, und kulturhistorisch identisch ist mit jenem mittelalterlichen Königreich und Herzogtum bzw. jener alten französischen Provinz namens Bretagne, entstanden auf dem Boden der alten römischen Provinz „ARMORICA“. Vier Städte markieren diese historische Landschaft: die Hafenstadt Brest an der äußersten Westspitze, die Hafenstadt Saint-Malo im Norden, dann Rennes im Osten, einst Sitz des Parlaments als Gerichtshof des alten Herzogtums, und schließlich Nantes im Süden an der Loire gelegen, jahrhunderte lang Residenz der bretonischen Herzöge, zuletzt der Herzogin Anne de Bretagne, Anna Breizh. Nantes vorgelagert, in der Mündung der Loire, liegt die alte Hafenstadt Saint-Nazaire, die unter Napoléon III. als Vorhafen von Nantes ausgebaut wurde und heute der größte Hafen an der französischen Atlantikküste ist. (=> Themenblatt BRETONISCHE GESCHICHTE). Schutzheilige dieser alten Bretagne ist Sainte-Anne, die Mutter der Jungfrau Maria, der seit dem 17. Jahrhundert eine besondere Verehrung zukam und die vor hundert Jahren, im Juli 1914, von Papst Pius X. offiziell zur Schutzpatronin der Bretagne erhoben wurde. Die seitdem jedes Jahr im Juli allerorten gefeierten „fêtes de Sainte-Anne“ haben in der heutigen Bretagne nicht an Popularität verloren, zumal der Name der Schutzheiligen mit dem der letzten, allseits populären Herzogin der Bretagne, Anne de Bretagne (1477-1514), identisch ist. Kaum eine Gemeinde von Saint-Malo bis Nantes, von Rennes bis Brest ließ es sich im Sommer 2014 nehmen, des 500. Todesjahres der Herzogin Anne mehr oder minder aufwändig zu gedenken. 3. DIE „RÉGION BRETAGNE“ Dann gibt es die Gebietskörperschaft Bretagne, die Région Bretagne, eine der heute nur noch 13 französischen Gebietskörperschaften im französischen Mutterland. Sie ist zugleich die größte französische Halbinsel. Sie umfasst mit 2.730 Kilometer 42% des gesamten französischen Küstengebiets. 22 Regionen gehörten bis 2015 zur France métropolitaine: mit den Überseegebieten zählte Frankreich 27 Regionen. Die jüngste Territorialreform führte zu einer Zusammenlegung von mehreren Regionen auf dem Mutterland, so dass es mit Wirkung vom 1. Januar 2016 hier nur noch 13 Regionen gibt. Die Region Bretagne ist davon nicht betroffen; sie besteht nach wie vor aus den vier Départements Finistère (29), Côtes d’Armor (22), Morbihan (56) und Ille-et-Viliane (35). Hauptstadt der Region ist Rennes. 2 Es ist diese Bretagne, mit welcher der Freistaat Sachsen am 30. November 1995 eine „Gemeinsame Erklärung“ zur Zusammenarbeit unterzeichnete und sie damit zur offiziellen französischen Partnerregion erklärte. Mit einer Gesamtfläche von 27.208 km² ist sie fast 10.000 km² größer als der Freistaat Sachsen. Ihre Einwohnerzahl belief sich im Januar 2014 auf 3.237.097, die des Freistaates Ende 2014 auf 4.055.274 Einwohner. Die Conseil régional genannte Regionalverwaltung der Bretagne hat ihren Sitz in Rennes, in der mit 203.000 Einwohnern bevölkerungsreichsten Stadt der Region, im Osten des Landes, im Herzen des Departement Ille-et-Vilaine. Zählt man die Einwohner der Großmetropole Rennes dazu, dann sind das über 500.000. Die nächst größeren Städte sind (ohne die Umgebungsgemeinden) alles Hafenstädte oder küstennahe Städte: die Hafenstadt Brest (150.000) an der Westküste des Département Finistère; Quimper (63.000) im Süden des Finistère, gelegen am Zusammenfluss der Flüsse Jet, Steïr und Odet; die Hafenstadt Lorient (59.000) im Süden des Département Morbihan; die am Golf de Morbihan gelegene Stadt Vannes (51.000); die Hafenstadt Saint-Malo (50.000) an der Nordküste, im Département Ille-et-Vilaine; und ebenfalls an der Nordküste, im Département Côtes-d’Armor, Saint-Brieuc (46.000) mit dem vorgelagerten Handels- und Fischereihafen Le Légué. Andere bekannte Küstenstädte sind Morlaix, Lannion, Concarneau, Douarnenez, Roscoff und die Malerstadt Pont-Aven am Beginn des Mündungstrichters des Flusses Aven in den Atlantik ... Über 70% der Bevölkerung der Region wohnt in Städten oder im Vorstadtbereich, gegenüber 82% auf nationaler Ebene. „Située au cœur de l’Arc Atlantique européen, la Bretagne regroupe quatre départements et compte 2 700 km de côtes. Deux aires urbaines principales, Rennes et Brest, concentrent une part importante de la population, de l'emploi, en particulier de l'emploi qualifié, et de l'enseignement supérieur. Un maillage homogène de villes moyennes complète la structuration du territoire. À l'exception de la capitale régionale, les principales villes bretonnes sont situées près du littoral. (...) Au 1er janvier 2013, la population bretonne s'élève à 3 259 700 habitants, soit 165 200 de plus qu'en 2006 et près de 25 000 nouveaux habitants chaque année. Sur cette période, le taux de croissance annuel moyen régional (0,7 %) est supérieur de 0,2 point à celui de la France métropolitaine. La croissance démographique bretonne est une des plus dynamiques des régions métropolitaines. Elle est due pour les trois quarts à un solde migratoire positif, une partie importante des arrivées en Bretagne s'expliquant par de nombreux retours vers la région natale. En revanche, le solde naturel est faible en raison d'une population plus âgée qu'en moyenne nationale.“ INSEE. En résumé – Bretagne: http://www.insee.fr/fr/regions/bretagne/default.asp?page=faitsetchiffres/presentation/presentation.htm (Zugriff 02.12.2014). 4. DIE BRETONISCHE TEILUNG Die Aufzählung macht deutlich, dass die alte Hafenstadt Nantes, historischer Sitz der bretonischen Herzöge, mit dem Département Loire-Atlantique (44) nicht zur „Région Bretagne“ gehört. In der Tat: Nach dem Vorbild der 1917 geschaffenen „Wirtschaftsregionen“ und der 1941 von der Vichy-Regierung kreierten „Präfektenregionen“ wurde nach dem Zweiten Weltkrieg ab 1955 unter der IV. und V. Republik eine Dezentralisierung in die Wege geleitet, in der die „Région Bretagne“ (früher „Région de Rennes“) bis heute nur aus den oben genannten vier Départements besteht,