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RUNDSCHAU

1/2018 Magazin der Pilotenverbände AEROPERS und SwissALPA Ausgabe 2/2020

ZRH und die Zukunft – die Kritiker Ÿ Einer für alle – alle für einen Ÿ Wenn China hustet … Ÿ Bionik beeinflusst neue Flugzeuggenerationen Ÿ Kosmische Strahlung Ÿ Decisive action: It’s go time! Inhalt

5 10 16 22

3 The President’s Voice 24 Kosmische Strahlung: Die Luftfahrt erlebt zurzeit arge Turbulenzen. Doch auch für Interview mit Vereinigung Cockpit diese Krise gilt: Es gibt eine Zeit danach. Die Lufthansa-Gruppe, In einem Interview mit Christian Dratwa von der Strahlen- und damit die SWISS und die Edelweiss, wird Teil dieser schutzgruppe der Vereinigung Cockpit stellen wir den Vergleich Zukunft sein. zu Deutschland an. In vielen Punkten ist die Lage in Deutsch- land ähnlich zu unserer, es gibt jedoch auch wichtige Unter- 4 Editorial/Impressum schiede.

5 ZRH und die Zukunft – die Kritiker 26 «Go-ahead» – Viele Menschen assoziieren Fliegen mit positiven Emotionen. Ein Simulator-Training der besonderen Art Es verbindet Menschen und Kulturen, ermöglicht Reisen, Fe- Simulator-Training gehört in der Aviatik schon seit vielen Jahren rien, Geschäftspartnerschaften und den Transport von Gütern. zum Alltag. Inzwischen gibt es aber auch andere Branchen, die Doch wo geflogen wird, da gibt es auch Lärm, Treibhausgase die Vorteile des Simulator-Trainings für sich entdeckt haben. Zu und andere Schadstoffe. So haben sich, wie an allen grösseren Besuch bei einer Firma, die sich der Simulation auf dem Gebiet Flughäfen dieser Welt, auch in Zürich zahllose Lärmschutzorga- der Medizin verschrieben hat. nisationen formiert – mit teils stark divergierenden Zielen. 30 Rückspiegel 10 Einer für alle – alle für einen In dieser Rubrik wird eine Auswahl von Kommentaren über «In der Krise rückt die Gesellschaft zusammen!» Das ist zumin- Luftverkehr und Flughäfen präsentiert. dest eine weit verbreitete Annahme und wird in der Corona- Pandemie auch vermehrt gehört. Solidarität und Zusammenhalt 32 Zeitreise lässt sich jedoch weder erzwingen noch befehlen. Entschei- Ein Rückblick über wichtige, erheiternde oder auch banale dend sind Werte und Verbundenheit. Facts aus 100 Jahren Luftfahrtgeschichte.

13 Wenn China hustet … 34 On The Air … Seit Anfang des Jahres hält ein Virus die Welt in Atem und Aktuelles aus der Fliegerei. bremst auch den Luftverkehr aus. Besonders hart trifft es Air- lines und Flugzeugbauer. Die Krise zeigt indes auch, wie stark 36 Pilots & Controllers «GET TOGETHER» die ganze Welt von China abhängig ist. 37 Gelesen 16 Make CDPLC great again! Viktor Sturzenegger und Henry Lüscher geben Buchtipps. Die USA führten im März 2020 in ihren kontinentalen Lufträu- men die CPDLC-Technologie ein. Ein Rück- und Ausblick auf 41 Eintritte die fast zwanzigjährige Geschichte der Datalink-Kommunika- tion. 41 Pensionierungen

18 Patente der Natur – wie Bionik neue 44 Wir trauern, Termine & Mitteilungen Flugzeuggenerationen beeinflusst Fliegen zu können wie die Vögel, ist ein uralter Menschheits- 45 Insertionstarife AEROPERS-«Rundschau» traum. Dass diese Metapher durchaus wörtlich zu nehmen ist, 46 Shooter’s Corner wird bei einem genaueren Blick auf moderne Flugzeugkonzepte Während viele Piloten in diesen Tagen gezwungenermassen am schnell klar. Seit Anbeginn der Luftfahrt lässt sich der Mensch Boden bleiben müssen, entfaltet die Natur ihre volle Pracht. Es von der Natur inspirieren. lohnt sich deshalb, frische Energie in der Natur zu tanken und 22 Take Action einmal etwas näher hinzuschauen. Die Welt des Kleinen bietet Sowohl im Alltag als auch in der Fliegerei werden wir immer eine ungeahnte Vielfalt an Motiven. wieder mit aussergewöhnlichen Situationen konfrontiert. Um diese bestmöglich meistern zu können, lohnt sich ein besseres Verständnis unserer mentalen und körperlichen Strukturen.

2 AEROPERS The President’s Voice Und plötzlich war alles anders. teile und FTL-Anpassungen (bei Redaktionsschluss Ich erinnere mich daran, als im liefen bei der SWISS und der Edelweiss noch die Ver- Februar in China das Corona- handlungen). In einem vertrauensvollen Verhältnis Thema drohte, Einfluss auf das zwischen Management und Belegschaft darf in einer SWISS-Streckennetz zu nehmen. ausserordentlichen Zeit wie dieser auch auf die Unter- Damals wies ich unseren Ressort- stützung der Piloten gezählt werden. leiter für Safety, Security und Trai- Aber was kommt danach? Dazu erinnere ich mich ning noch fast beiläufig an, die gerne daran, wie mir einer meiner Lehrer Anfang der Entwicklung im Blick zu behalten. 90er Jahre die Krise bei einem grossen deutschen Der Verlauf ist uns allen hinläng- Autobauer erklärt hat. Er zeigte auf, was es mit den lich bekannt. Die ganze Welt und mitten drin die Luft- ausufernden Streiks bei Opel damals auf sich hatte fahrt, befinden sich in einer ausgewachsenen Krise. und rundete die Ausführungen damit ab, dass es ein Wenn ich jetzt diese «President’s Voice» dem Thema Land gibt, in dem man Krisen und Erfolge friedlich Corona widme, dann laufe ich Gefahr, dass der eine teilt. Läuft es schlecht, leisten die Mitarbeiter einen oder andere sagen wird: «Ich kann es nicht mehr Beitrag. Läuft es wieder gut, lässt man die Angestell- hören. Wann ist das Thema vorbei?» Das ist wahr- ten profitieren. Er sprach natürlich von der Schweiz. scheinlich eine der meist gestellten Fragen der letzten Zugegeben: Die Darstellung ist etwas plakativ. Aber Wochen und eine seriöse Antwort kann darauf wohl sie spiegelt das wider, wofür die hiesigen Werte ste- niemand geben. Die Ausgangslage hat sich während hen, mit denen sich besonders die SWISS und die Edel- der gesamten Zeit ständig verändert und die Lagebe- weiss nach aussenhin gerne schmücken. Ich mache urteilung musste dem stetig folgen. Ich möchte trotz- mir absolut keine Illusionen, dass die Piloten in der dem einen Blick in die Zukunft wagen. Schweiz von Forderungen der Manager nach langfristi- Die Luftfahrt wird in regelmässigen Abständen von gen und substanziellen GAV-Anpassungen verschont Krisen erschüttert. Wir erinnern uns an 9/11 im Jahr bleiben werden. Es gibt allerdings keinen Grund dafür, 2001, gefolgt von der Finanzkrise 2008. Kurz darauf dass wir nach der Krise mit unseren Arbeitsbedingun- legte der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull den gen schlechter dastehen müssten als vorher. Flugverkehr im Jahr 2010 kurzzeitig komplett lahm. Wie lange die Krise noch dauert, weiss ich leider Die ganze Branche reagiert fragil auf exogene Störun- auch nicht. Aber ich bin überzeugt, dass wir sie über- gen. Und doch stellen die Fluggesellschaften in dieser stehen werden. globalisierten Welt relevante Versorgungswege sicher. Sie sind für das Überleben wirtschaftlicher und gesell- Der soeben von Euch gewählte AEROPERS-Vorstand schaftlicher Systeme wichtig und auch durch Video- wird sich weiter für «das langfristige Wohl der Mitglie- konferenzen nicht zu ersetzen. Es wird wieder geflo- der am Arbeitsplatz» einsetzen und dafür, dass die gen werden, es werden weiterhin Güter transportiert Piloten der SWISS und der Edelweiss gut vertreten und werden und die Luftfahrt wird auch diesem Fegefeuer am Ende der Krise noch an Bord sind. entkommen. Das ist meine persönliche Überzeugung. Die Rückkehr zum Erfolg war nie ein Selbstläufer und wie in der Natur, werden die Starken überleben. Es war überfällig, das irrationale Wachstum der Branche der letzten Jahre zu stoppen. Weder der Markt noch die Politik haben das geschafft. Nun wird der Markt Kilian Kraus, Präsident auf diese brutale Weise korrigiert. Das fairste an die- ser Krise ist, dass sie quer durch die gesamte Bran- che alle hart trifft. Nach der Corona-Krise werden sich die Welt und die Luftfahrt verändert haben. Für den europäischen Markt stütze ich die «3:2»-These vieler Experten. Sie besagt, dass die drei grossen Gruppen- Gesellschaften Lufthansa, Air -KLM und IAG sowie die Low-Cost-Anbieter Ryanair und Easyjet den … Markt bestimmen werden. Die seit Jahren überfällige Konsolidierung des europäischen Marktes könnte sich auf diese, leider schmerzhafte Weise, fortsetzen. Und so birgt auch diese Krise, durch eine solche Bereini- we are gung, Möglichkeiten und Chancen für die Zukunft. Ohne naiv zu sein, können wir davon ausgehen, dass die grossen in der Schweiz, namentlich die SWISS, die Edelweiss und Easyjet , grund- sätzlich solide genug aufgestellt sind, die Krise mit ihren Mitarbeitern zu meistern. In der gesamten Branche, wie auch in der Schweiz, verzichten die Piloten auf substanzielle Bestandteile ihrer Arbeitsbedingungen. Das betrifft Lohnbestand-

Rundschau 2 | 2020 3 Editorial

Statt unserer Flugzeuge umkreist uns entschieden, Euch eine etwas breitere Themenaus- gerade ein Virus die Welt. Die Situ- wahl zu präsentieren. ation betrifft uns alle, der Umgang Wie es mit der Aviatik in der Schweiz weitergeht, hängt ist jedoch individuell. Einige mögen nämlich nicht bloss vom Virus ab. Schon lange vor der aus der Vergangenheit die Zuver- Krise standen sich, was die Entwicklung der Schweizer sicht gewonnen haben, dass es Fliegerei angeht, verhärtete Fronten gegenüber. Der Flug- immer weitergeht. Andere fürchten hafen Zürich, in Zusammenarbeit mit den Schweizer Air- sich vielleicht – um den Rest der lines, ist ein massgebender Wirtschaftsmotor, der hilft, Karriere, um die frisch getätigte den langfristigen Wohlstand der Schweiz zu sichern. Doch Anzahlung auf ein Haus oder kurz, um ihre Existenz. mit dem Wachstum des Flugverkehrs erstarkten auch Ein gewisses Unbehagen verbindet uns alle. Was uns seine Gegner. Spätestens nach der einseitigen Deutschen aber genauso verbindet, ist die Zugehörigkeit zu zwei Verordnung formierte sich starker Widerstand bei den besonderen Pilotenkorps. Das Pilotendasein alleine mag lärmbetroffenen Bürgern in der Schweiz. Die Siedlungs- nicht einzigartig sein, das Lebensgefühl des Piloten bei politik des Kantons Zürich tat ihr Übriges, indem sie die unseren beiden Firmen aber sehr wohl. Ich bin froh, dass Erschliessung des Flughafengebietes forcierte. In der Serie ich Euch zu meinen Kollegen zählen darf. Denn in den «ZRH und die Zukunft» lässt Roman Boller nun Priska Sei- schwierigeren Momenten erinnere ich mich daran, dass ler Graf stellvertretend für die Kritiker des Flughafens zu es wohl wenige Firmen gibt, in denen Schwierigkeiten Wort kommen. Obschon uns von dieser Seite ab und zu mit solch professionellem Selbstbewusstsein entgegen- eine steife Bise entgegenweht, ist es auch in unserem Inte- getreten wird. Wir können etwas – und zwar mehr als resse die Argumente unserer Kritiker zu kennen. das gesetzliche Minimum. Gleiches gilt für unseren Ver- Ein Thema, das in solchen Diskussionen gerne verlo- band. Deshalb werden wir gemeinsam das Nötige dazu rengeht, ist der enorme Innovationswille in der Aviatik. beitragen, unseren Firmen die notwendige Hilfe zu leis- So beleuchtet Marcel Bazlen in dieser Ausgabe die Bio- ten. Was das langfristige Überleben der Firma sichert, ist mimetik. Leider ist das Marcels letzter Text. Er hat die zurzeit ein kurzfristiger Beitrag zum Gesamtwohl. Die «Rundschau»-Redaktion fast sechs Jahre lang unter- SWISS und die Edelweiss sind zukunftsfähige Unterneh- stützt. Getreu dem Motto «Gutes Pferd springt knapp» men, die ihre Existenzberechtigung nicht bloss in ihrem kamen seine Texte immer sehr pünktlich zum Redak- wirtschaftlichen Erfolg finden. Sie beweisen speziell in tionsschluss. Doch sie waren stets sehr tief und breit diesen Krisenzeiten mit Repatriierungs- und Cargo-Flü- recherchiert, sodass unsere Leser mit stilsicheren, prä- gen, dass sie die Airlines der Schweiz sind. Diese Leis- zisen und intelligenten Texten den jeweiligen Themen tungen werden nicht zuletzt von den Mitarbeitern an der näherkommen konnten. Wir werden Marcel in der Redak- Front erbracht – und damit auch von uns. Deshalb sind tion vermissen. Doch wer weiss, vielleicht überkommt ihn wir ein wertvolles Investitionsgut. Und deshalb können hin und wieder die Lust, in die Tasten zu hauen. wir auch professionell und selbstbewusst genug sein, Wir hoffen mit unserer Themenwahl ein wenig Abwechs- um in der Krise etwas herzugeben – aber nicht ohne klar lung in Euren Corona-Alltag gebracht zu haben. In diesem zu sagen, dass wir nach der Krise wieder gutes Geld wert Sinne wünschen wir Euch: Bliibet gsund! sein werden. Auch die «Rundschau» bleibt von den Einflüssen der Krise nicht verschont. So kommt es auch, dass Ihr die Rundschau nun zu Hause in den Händen haltet. Aber statt ebenfalls in die Corona-Kerbe zu hauen, haben wir Janos Fazekas

Impressum Herausgeber Layout AEROPERS André Ruth Ewiges Wegli 10 | 8302 Kloten Telefon +41 44 816 90 70 | Fax +41 44 816 90 75 Druck [email protected] | www.aeropers.ch Akeret Druck AG, 8600 Dübendorf Auflage Redaktion [email protected] 3000 Exemplare André Ruth, Redaktionsleiter, Captain A330/340 Erscheinungsweise Janos Fazekas, Redaktor, F/O A330/340 Viermal pro Jahr. Cover vierfarbig, Innenseiten schwarz/rot (Pantone 187) Dominik Haug, Redaktor, F/O A330/340 Marcel Bazlen, Redaktor, F/O A330/340 Inseratenannahme Roman Boller, Redaktor, F/O A320 AEROPERS-«Rundschau» Patrick Herr, Redaktor, F/O A330/340 Ewiges Wegli 10 | 8302 Kloten Henning M. Hoffmann, Geschäftsführer AEROPERS Telefon +41 44 816 90 70 | Mobile +41 79 261 31 64 Gaby Plüss («Go-ahead»), Flugverkehrsleiterin Zürich TWR und APPR [email protected] | www.aeropers.ch Mario Winiger, Flugverkehrsleiter Zürich TWR Copyright Ständige Mitarbeiter Sämtliche Texte und Fotos sind urheberrechtlich geschützt. Der Ab- Jürg Ledermann, Captain A330/340 druck, auch auszugsweise, ist nur mit ausdrücklicher Bewilligung der Zbigniew Bankowski («On The Air …»), Captain A330/340 Redaktion erlaubt. Oliver Reist («Zeitreise»), F/O B777 Dominique Wirz («Shooter’s Corner»), Captain A320 Titelbild: © Lukas Viglietti, Swissapollo Viktor Sturzenegger («Gelesen»), pens. Captain Henry Lüscher («Gelesen»), pens. Captain Redaktionsschluss «Rundschau» 3/2020: 19. August 2020

4 AEROPERS ZRH und die Zukunft – die Kritiker Viele Menschen assoziieren Fliegen mit positiven Emotionen. Es verbindet Menschen und Kulturen, ermöglicht Reisen, Ferien, Geschäftspartnerschaften und den Transport von Gütern. Doch wo geflogen wird, da gibt es auch Lärm, Treibhausgase und andere Schadstoffe. So haben sich, wie an allen grösseren Flughäfen dieser Welt, auch in Zürich zahllose Lärm- schutzorganisationen formiert – mit teils stark divergierenden Zielen.

Text: Roman Boller trem zugenommen. Da das süddeutsche Einzugsgebiet des Flughafens Zürich sowohl für die dort ansässigen Lärm als gemeinsamer Feind Firmen als auch für privat reisende Personen äusserst Was in vielen europäischen Flughafenregionen der wichtig ist, erstaunt diese Blockadehaltung umso mehr. Fall ist, ist auch in Zürich zu beobachten. Die gute Ein Blick auf die Ereignisse von vor 2003 erklärt diese Verkehrsinfrastruktur rund um den Flughafen Zürich Unnachgiebigkeit zumindest teilweise. In den 1970er sowie die Nähe zur Stadt machen das Gebiet zu einem Jahren wurde die Piste 14/32 in Betrieb genommen. attraktiven Wohnraum. Die intensive Bautätigkeit, die Die deutschen Behörden wurden hierzu nicht kon- seit Jahren zu beobachten ist, wird auch in Zukunft sultiert. Einige Jahre später wurde eine Vereinbarung kaum abreissen. Insbesondere, da das verdichtete geschlossen, die vorsieht, dass mindestens ein Drit- Bauen in der Flughafenregion politisch forciert wird. tel der Anflüge in Zürich auf die Piste 16/34 erfolgen Gemäss dem kantonalen Richtplan soll diese Region sollen. Da diese jedoch das Pistenkreuz tangieren und 80 Prozent des künftigen Bevölkerungswachstums somit die Kapazität einschränken, wurde die neue Vor- aufnehmen. Die Zunahme an Anwohnern rund um gabe vom Flughafen Zürich regelmässig missachtet. den Flughafen führt automatisch zu einem Anstieg Als Reaktion kündigte Deutschland die getroffene von Fluglärm betroffenen Personen. So haben sich in Vereinbarung im Jahr 2000 wieder auf und ein neuer den letzten Jahrzehnten diverse Organisationen gebil- Staatsvertrag wurde ausgehandelt. Dieser sah nebst det, die sich für den Schutz der Bevölkerung vor Lärm einer Reduktion der Nordanflüge neu auch Sperrzeiten einsetzen – jede natürlich in ihrem jeweiligen Gebiet. vor. Der damalige Verkehrsminister Moritz Leuenber- So kommt es, dass sich all diese Organisationen allge- ger geriet ab diesem Verhandlungsresultat ins politi- mein gegen Lärm und die Weiterentwicklung des Flug- sche Fadenkreuz und scheiterte mit dem Staatsvertrag hafens einsetzen. Wie sie dieses Ziel jedoch erreichen vor den eidgenössischen Räten im März 2003. In die- wollen, da gehen die Meinungen auseinander. Denn sem vertragslosen Zustand verfügte Deutschland ein- der verbleibende Lärm soll selbstverständlich mög- seitig noch drastischere Sperrzeiten, die bis heute Gül- lichst auf dem Gebiet der jeweils anderen Regionen tigkeit haben. Damit geriet die Schweizer Politik in die anfallen. Ausbauten und Investitionen an der Flugha- Defensive. Ein neuer Staatsvertrag mit Zugeständnis- feninfrastruktur werden aus taktischen Überlegungen sen wurde vom Schweizer Parlament 2013 ratifiziert. nicht grundsätzlich abgelehnt. Die Schutzverbände Auf deutscher Seite lässt sich jedoch unterdessen poli- des Südens unterstützen durchaus die längst über- tisch viel Kapital aus der Fluglärmthematik schlagen. fälligen Verlängerungen der Pisten 28 und 32. Diese So bleibt der neue Staatsvertrag bis heute blockiert Massnahmen würden es grösseren Flugzeugen einer- und ist wohl kaum mehr zu retten. Der heutige Sach- seits ermöglichen, länger von Westen her zu landen. plan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) etwa rechnet schon Andererseits wären mehr Starts Richtung Norden mög- gar nicht mehr mit einem Erfolg der Verhandlungen. lich. Beides würde den Süden entlasten und somit den Wer hat den Streit denn nun wann und aus welchen Westen und den Norden mehr dem Lärm aussetzen. Gründen begonnen? Das politische Wirrwarr ist gross Die Organisationen dieser Regionen setzen sich ent- und die Haltungen blockiert. Die Thematik verursacht sprechend gegen solche Ausbauten ein und fordern von der Piste 16 her den Südstart geradeaus über die Zürichseeregion. Diese Partiku- larinteressen erschweren jegliche vernünftige Diskussionen über Ent- wicklungsmöglichkeiten des Flug- hafens Zürich.

Die Deutschen sind schuld – oder? Seit 2003 darf das deutsche Gebiet zu Randzeiten frühmorgens und spätabends nur noch oberhalb einer gewissen Höhe überflogen wer- den, was den Betrieb am Flughafen Zürich erheblich beeinträchtigt. Mit dieser einseitigen Verordnung hat die Lärmbelastung in anderen Gebieten praktisch über Nacht ex- Fluglärm in der Region Zürich: Wo soll er anfallen?

Rundschau 2 | 2020 5 in beiden Ländern innen- und aussenpolitische Ver- ausserdem alle Regionen um den Flughafen Zürich werfungen. Warum das aktuelle System gemäss hiesi- gegenseitig bekämpft. Jeder wollte auf seinem Gebiet gen Lärmschutzverbänden jedoch nicht nur schlecht möglichst wenig Lärm. Irgendwann hat man sich dann ist, wird in folgendem Interview geklärt. gemeinsam darauf festgelegt, dass das Problem des Lärms vor allem zu den sensiblen Nachtstunden ein Auf ein Wort mit Priska Seiler Graf Thema ist. Seither versucht man gemeinsam, die im «Rundschau»: Frau Seiler Graf, Sie setzen sich stark Flughafengesetz festgeschriebene Nachtruhe durchzu- für den Umwelt- und Lärmschutz ein. Aus diesem setzen. Die Lärmdiskussion ist nach wie vor wichtig, Grund kämpfen Sie als Co-Präsidentin der Koalition fokussiert sich nun jedoch mehr auf den Schutz wäh- Luftverkehr Umwelt und Gesundheit (KLUG) und Prä- rend der Randzeiten. sidentin des Dachverbandes Fluglärmschutz an vor- derster Front gegen die Entwicklung des Flughafens Diese Nachtruhe von sieben Stunden am Flughafen Zürich. Was motiviert Sie dazu? Zürich ist in Europa einzigartig. Priska Seiler Graf: Seit 20 Jahren beschäftige ich Das kann man so nicht unbedingt sagen. In Frank- mich nun mit diesem Thema. Selber in Kloten wohn- furt haben sie zwar nur fünf Stunden Nachtruhe, haft, sehe ich natürlich die Ambivalenz des Flugha- die aber äusserst strikt eingehalten werden. Die sie- fens. Einerseits bringt er wirtschaftlichen Wohlstand ben Stunden in Zürich wären tatsächlich einzigartig, und Arbeitsplätze, auf der anderen Seite steht aber wenn diese wirklich eingehalten würden. Dies ist lei- auch die Umweltbelastung. Hierzu gehört nicht nur der der jedoch nicht der Fall. Da nach wie vor viel zu viele Lärm. In letzter Zeit hat sich der Fokus etwas gewan- Ausnahmen bewilligt werden, haben wir faktisch eine delt und es steht immer mehr auch die Klimafrage im deutlich kürzere Nachtruhe. Auch der Verspätungs- Fokus. Hier ist mir eine gesunde Balance wichtig. Eine abbau spätabends treibt bekannterweise den viel zu gewisse Entwicklung in Zürich ist durchaus berechtigt hohen Fluglärmindex nach oben. und ich will betonen, dass ich nicht gegen den Flug- hafen oder den Flugverkehr bin. Ich bin aber gegen Der Flughafenbericht 2018 zeigt aber gerade auf, unbegrenztes Wachstum und vertrete die Meinung, dass eben dieser Fluglärmindex dank neuen Flugzeu- dass es gerade vor der Coronakrise gewisse Entwick- gen und weiteren Massnahmen deutlich zurückgegan- lungen in der Luftfahrt gegeben hat, die ich nicht als gen ist. Die Zürcher Kantonsregierung stellt ausser- gesund empfunden habe. Wenn man für 30 Franken dem eine weitere Annäherung an den Richtwert von nach London fliegen kann, ist das absurd. Hier sehe 47 000 betroffenen Personen in den nächsten Jahren ich weder wirtschaftliche Wertschöpfung noch Nach- in Aussicht. Das müssten doch gute Neuigkeiten sein? haltigkeit. In diesem Spannungsfeld habe ich mich Hier kommt auch die seit letztem Jahr verwendete, schon immer bewegt, wobei die Lärmdiskussion mit neue Berechnungsmethode hinzu. Man kann natür- dem Scheitern des Staats- lich schon die Art der vertrages mit Deutschland Berechnung ändern und so richtig begonnen hat. «Charterflüge zu billigsten so den Wert verbessern. Die einseitige Einführung Das widerspiegelt dann der Überflugverbote hat Ticketpreisen nach Mallorca aber nicht mehr die Tat- in der Flughafenregion sachen. Ich war dazumal Zürich zu mehr Lärm ge- bringen null wirtschaftliche im Kantonsrat und habe führt und bei der Bevölke- mich selber für die Einfüh- rung zu viel Unverständ- Wertschöpfung.» rung dieses Fluglärminde- nis. Dazu kamen noch xes ausgesprochen. Dieser Wachstumsprognosen der Volkswirtschaftsdirektion, muss jedoch als Monitoring-Instrument betrachtet die von jährlich 450 000 Flugbewegungen sprachen. werden. Man kann daraus schliessen, aus welchen Dies war der Moment, als ich in diese Fluglärmthe- Gründen der Wert gestiegen oder gesunken ist. In den matik eingestiegen bin. Unterdessen hat sich einiges letzten Jahren ist dieser Index jedes Jahr gestiegen, verändert und neue Flugzeuge haben viel zur Lärm- ohne dass irgendwelche Massnahmen getroffen wur- reduktion beigetragen. Die Thematik ist nun auf eine den. Natürlich hat sich der Kanton Zürich durch seine höhere Ebene gehoben worden, indem nun eben mehr Siedlungspolitik selbst in dieses Dilemma begeben. Es von Klimapolitik die Rede ist. ist ein Widerspruch in sich, das Bevölkerungswachs- tum in der Flughafenregion voranzutreiben und gleich- Die Lärmthematik kommt also etwas aus der Mode zeitig den Fluglärmindex reduzieren zu wollen. Umso und man beschäftigt sich intensiver mit der Klima- wichtiger wird die Einhaltung der Nachtruhe, um den frage. Folgt man damit einer Modeerscheinung oder ist Wert in den Griff zu bekommen. die Lärmproblematik wirklich kleiner geworden? Ich wohne selber in der Anflugschneise der Piste Dieser offensichtliche Zielkonflikt führt auch in der 28 und sehe, dass die Lärmbelastung der individu- Kantonsregierung immer wieder zu Diskussionen. Was ellen Flugzeuge dank dem technischen Fortschritt ist denn nun wichtiger: Die Siedlungspolitik oder der tatsächlich abgenommen hat. Teilweise sind diese Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm? Fortschritte jedoch durch das grössere Verkehrsauf- Wie so oft in der Schweizer Politik müssen beide Sei- kommen wieder aufgehoben worden. Auch hier hat in ten berücksichtigt werden. Es ist klar, dass das Bevöl- letzter Zeit eine Entwicklung in die richtige Richtung kerungswachstum stattfindet und die Leute dort leben stattgefunden, indem sich die Auslastung der einzel- wollen, wo sie arbeiten. Gleichzeitig müssen diese Per- nen Flugzeuge verbessert hat. Am Anfang haben sich sonen jedoch auch vom gesundheitsschädigenden Lärm

6 AEROPERS geschützt werden. Studien belegen, dass vor allem der Grund wehrt sich der Süden gegen die Südstarts gera- Lärm während der Nacht die Gesundheit beeinträchtigt. deaus, obwohl diese aus Betriebssicht absolut Sinn Aus diesem Grund ist der Kompromiss wohl darin zu ergeben. Es muss am Vertrauen gearbeitet werden. finden, dass die Nachtruhe strikt eingehalten wird. Es gilt aber auch, Flugbewegungen zu vermeiden, die nicht Die einseitige Sperrung des süddeutschen Luftrau- nötig sind. Die Bedeutung der internationalen Anbin- mes zu Randzeiten hatte grosse negative Auswirkun- dung für die Wirtschaft will ich nicht bestreiten und die gen auf die hiesige Lärmbelastung. In Bern scheint man Bevölkerung soll auch in die Ferien fliegen können. Es nicht mehr an eine Umsetzung des Staatsvertrages zu gibt jedoch zu viele Billigangebote, mit denen eine Nach- glauben. Auch ein Postulat der Zürcher Ständeräte zur frage generiert wird, wo gar keine vorhanden gewesen Verknüpfung der Schweizer Anliegen bei grenzüber- wäre. Gegen dieses exzessive Fliegen wehre ich mich. schreitenden Dossiers hat bis heute keine Wirkung gezeigt. Wie stehen Sie als Nationalrätin dieser lang- Innerhalb der einzelnen Lärmschutzorganisationen wierigen Angelegenheit gegenüber? divergieren die Interessen stark. Der Süden pocht Als Doris Leuthard noch Vorsteherin des UVEK war, auf die überfälligen Pistenverlängerungen, alle ande- habe ich zu dieser Thematik selbst eine Anfrage im ren wollen den Südstart geradeaus forcieren. Welche Nationalrat gemacht. Die Antwort war, dass dieser Himmelsrichtung soll man denn Staatsvertrag auf Eis gelegt sei. nun priorisieren? Das momentan grosse Thema Die Entscheidungsträger dür- «Die Lärmbelastung rund um die Beziehung der fen sich schlussendlich von Schweiz zur EU mit dem Rah- keiner Himmelsrichtung beein- zwischen den Regionen menabkommen wird gros- flussen lassen. Es muss das se Auswirkungen auf diesen gelten, was von der Sicherheit ist momentan relativ Staatsvertrag haben. Dieser hat und vom Flugbetrieb am besten jedoch momentan neben diesen geeignet und am praktikabels- ausgewogen verteilt.» übergeordneten diplomatischen ten ist. Wie bereits erwähnt, ist Verhandlungen nicht oberste man in letzter Zeit von diesem Konkurrenzgedanken Priorität. Abgesehen davon ist man sich in meinen losgekommen. Man sitzt zusammen an einem Tisch Kreisen jedoch einig, dass das jetzige Regime am Flug- und diskutiert die wichtigsten Themen gemeinsam. hafen Zürich das gerechteste ist. Natürlich gibt es nicht Diese sind vermehrt übergeordneter Natur. Sie betref- das perfekte System, jedoch ist die Lärmbelastung zwi- fen das übermässige Wachstum des Luftverkehrs schen den Regionen momentan relativ ausgewogen als Ganzes, sowie Umweltthemen und eben auch die verteilt. Aus diesem Grund ist von unserer Seite her Einhaltung der Nachtruhe. Dieser letzte Punkt bringt auch kein grosser Druck zur Umsetzung des Staatsver- allen betroffenen Regionen etwas, unabhängig von trages mehr gekommen. Das Problem besteht jedoch der Himmelsrichtung. darin, dass noch keine Rechtssicherheit vorhanden ist. Man befindet sich nach wie vor in einem vertragslosen In der Diskussion um die Notwendigkeit von Pisten- Zustand, die jederzeit weitere einseitige Verschärfun- verlängerungen oder An- und Abflugregimen wird viel gen hervorbringen kann. Mit dem momentanen System über die Lärmverteilung und wenig über die Sicherheit fahren wir als Schweiz jedoch gar nicht so schlecht. gesprochen. Ist diese zweitrangig? Wenn das Pistenkreuz oder die Länge der Piste 28 Als Argument für den Schutz der Bevölkerung vor nicht sicher wären, würde man diese hoffentlich auch Lärm werden oft die resultierenden Gesundheitskos- heute schon nicht mehr betreiben. Das eigentliche Pro- ten vorgeschoben. Auf der anderen Seite steht der blem liegt darin, dass dieses System nicht sehr stabil Flughafen Zürich, Drehkreuz und Wirtschaftsmotor ist. Bestimmte Wetter- und Windlagen bringen rasch für den Kanton und die ganze Schweiz. Zweifeln Sie an Instabilität. Dass man aus diesem Grund die Pisten der Bedeutung des Flughafens Zürich? verlängern will, kann ich nachvollziehen. Der Grund Ich zweifle keinesfalls an der Wichtigkeit des Flug- für das heutige Misstrauen muss in der Vergangenheit hafens und bin auch nicht gegen den Flughafen gesucht werden. Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat der eigenen Bevölkerung, aber auch unseren Nach- barn in Deutschland Sachen versprochen, die nicht Priska Seiler Graf ist amtie- eingehalten wurden. Die Gemeinde Kloten hat genaue rende Nationalrätin, Stadträtin Abklärungen getätigt, bevor sie das Gebiet in der der Stadt Kloten und Co-Präsi- Anflugschneise der Piste 28 bebaut hat. Dabei wurde dentin der SP Zürich. Die ausge- vom Flughafen und dem Kanton versichert, dass dies bildete Real- und Oberschulleh- niemals eine Hauptpiste werden würde. Heute wissen rerin präsidiert ausserdem den wir, dass dies anders gekommen ist. Solche Vorkomm- Dachverband Fluglärmschutz nisse in der Vergangenheit belasten das Vertrauen bis (DVFS) sowie die Koalition Luft- heute. Wenn uns der Flughafen Zürich versichert, dass verkehr Umwelt und Gesund- Pistenverlängerungen und Schnellabrollwege einzig heit (KLUG). Aufgewachsen und der Stabilisierung des Systems entgegenkommen und wohnhaft in Kloten, interessiert und engagiert sie zu weniger Verspätungsabbau am Abend führen, ver- sich schon immer rund um die Themen Verkehr und stehe ich das. Dennoch ist die Befürchtung gross, dass Flughafen. Priska Seiler Graf ist verheiratet und hat solche Verbesserungen der Infrastruktur dann doch drei Kinder. zu einer Kapazitätssteigerung führen. Aus demselben

Rundschau 2 | 2020 7 Zürich. Ich bin aber dagegen, dass dieser unnötig und Die Umnutzung des Flugplatzes Dübendorf ist entgegen dem natürlichen Bedürfnis wachsen muss. bereits in vollem Gang. Auf dem Gelände, das histo- Dieses Bedürfnis setzt sich aus den Notwendigkeiten risch schon immer aviatisch genutzt wurde, sollen für die Wirtschaft und die Fracht zusammen sowie künftig auch die Geschäfts- und Kleinfliegerei aus dem Wunsch der Bevölkerung ein- oder zweimal pro Zürich aufgenommen werden. Dieses Vorhaben ist Jahr in die Ferien fliegen zu können. Die Auswüchse, Ende letzten Jahres aufgrund fadenscheiniger Argu- die vor der Coronakrise zu beobachten waren, sollte mente weit zurückgeworfen worden. Wie stehen Sie man jedoch keinesfalls unterstützen. Charterflüge zu einer weiteren fliegerischen Entwicklung in Dübendorf billigsten Ticketpreisen nach Mallorca bringen null gegenüber? wirtschaftliche Wertschöpfung. Es gilt die Balance Ich bin klar dagegen, dass der Flugplatz Dübendorf zu finden zwischen dem wirtschaftlichen Wachstum zur vierten Piste von Kloten wird. Das macht raum- und dem Schutz der Bevölkerung. Dabei geht es um planerisch, volkswirtschaftlich und ökologisch keinen Verhältnismässigkeit und es ist an der Politik, diese Sinn. Da geht für mich der Kompromiss der Anrainer- zu garantieren. Das Wirtschaftswachstum bringt gemeinen – Historischer Flugplatz mit Werkflügen – schlussendlich nichts, wenn die Leute aufgrund der eher in die richtige Richtung. Dieser wurde auch von Belastung durch den Flughafen immer mehr Krank- der betroffenen Bevölkerung klar angenommen. Die heiten haben. im November 2019 angekündigte Neubeurteilung des zivilen Flugverkehrs in Dübendorf durch das UVEK Wie in jeder anderen Branche folgt auch in der unterstütze ich sehr. Luftfahrt das Angebot der Nachfrage. Das Mobilitäts- bedürfnis in der Bevölkerung ist gross, und besagte Gerade in der aktuellen Krisensituation zeigt sich, Charterflüge sind nicht selten ausgebucht. dass die Schweiz nicht nur wirtschaftlich auf eine Dieses «unnötige» Mobilitätsbedürfnis wird jedoch gute Anbindung ans nahe und ferne Ausland angewie- erst durch die billigen Ticketpreise geweckt. Es darf sen ist. Die SWISS und die Edelweiss haben Tausende nicht möglich sein, für 30 Franken nach Mallorca gestrandete Schweizer Bürger in die Schweiz zurück- zu fliegen. Aus diesem Grund unterstützen wir eine geholt und Cargo-Flüge für die Versorgung mit medi- Flugticketabgabe nach dem Verursacherprinzip, wie zinischem Material durchgeführt. Sie selber haben sich sie nun Bestandteil der Revi- gegen eine Unterstützung der sion des CO2-Gesetzes ist. Luftfahrt durch den Staat aus- Auch unsere Nachbarländer «Wenn man für gesprochen. Wieso? haben sie in vergleichbarer Ich bin keinesfalls gegen die Form. Es braucht in der Luft- 30 Franken nach Unterstützung der Luftfahrt, fahrt eine Strukturbereinigung. sondern vertrete den Stand- Es muss sozial, wirtschaft- London fliegen kann, punkt, dass diese an Bedingun- lich und ökologisch auf Nach- gen geknüpft werden muss. haltigkeit gesetzt werden. Es ist das absurd.» Auch der Bundesrat ist bezüg- braucht gesicherte Strukturen lich der Unterstützung zurück- mit Arbeitsplätzen, für die auch nachhaltige Löhne haltend und knüpft diese an wirtschaftliche Bedingun- bezahlt werden. Es gibt noch immer viele Arbeits- gen. Es ist klar, dass das Geld in der Schweiz bleiben plätze am Flughafen Zürich, die sehr schlecht ent- muss. Wir sind der Meinung, dass nun der Zeitpunkt schädigt werden und nur dank der Sozialhilfe der gekommen ist, auch konkrete klimapolitische Ziele zu Gemeinden existieren können. formulieren. Man soll ökologische Anliegen mit der

«Es gibt noch immer viele Arbeitsplätze am Flughafen Zürich, die nur dank der Sozialhilfe der Gemeinden existieren können.» (Symbolbild)

8 AEROPERS Unterstützung verknüpfen. Die Luftfahrtbranche hat und investiert derart grosse Beträge in die Forschung diesbezüglich noch viel zu wenig gemacht. Massnah- wie die Aviatik. men wie der viel zu günstige Emissionshandel in der Global gesehen gibt es sehr viele Leute, die gar nicht EU nützen nicht viel und sind Augenwischerei. Auch fliegen. Wenn diese Bevölkerungsgruppen so oft flie- gibt es nach wie vor keine internationale Kerosin- gen würden wie wir, würde sich das Problem verviel- steuer, keine Mehrwertsteuer und keine CO2-Abgabe, fachen. Die Schweizerinnen und Schweizer fliegen obwohl alle anderen Verkehrsteilnehmer besteuert am zweitmeisten. Nur in Norwegen wird noch mehr werden. Der Luftverkehr wurde bewusst bevorzugt geflogen, was auch mit der Grösse des Landes zu tun behandelt und da gilt es nun, gleiche Bedingungen hat. Es ist eine Wohlstandserscheinung. 80 Prozent für alle zu schaffen. Die Luftfahrt soll durchaus mit der Destinationen, die aus der Schweiz angeflogen finanziellen Mitteln unterstützt werden. Es ist dies werden, liegen in Europa und könnten auch mit dem jetzt aber auch der Zeitpunkt, um ökologische Anlie- Zug gut erreicht werden. Die 2,83 Prozent Anteil am gen zu berücksichtigen. CO2-Ausstoss müssen aufgrund der Tatsache, dass die Verschmutzung in der Atmosphäre stattfindet, mit Man könnte beinahe den Eindruck bekommen, die dem Faktor zwei bis vier multipliziert werden. Dies ist Luftfahrt sei alleiniger Verursacher des Klimawan- wissenschaftlich erwiesen und wird auch von der Luft- dels. Fakt ist jedoch, dass der Anteil der Luftfahrt am fahrtbranche nicht bestritten. Es gibt jedoch durchaus weltweiten CO2-Ausstoss 2,83 Prozent beträgt. Es gibt auch andere Branchen, die in Betracht gezogen werden Branchen wie die Landwirtschaft, die deutlich mehr müssen. Natürlich stimmt es nicht, dass die Luftfahrt Verschmutzung verursachen. Kaum eine andere Bran- alleine für den Klimawandel verantwortlich ist, aber che setzt sich klimapolitisch so ambitionierte Ziele der Anteil ist beachtlich. l

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Rundschau 2 | 2020 9 Einer für alle – alle für einen «In der Krise rückt die Gesellschaft zusammen!» Das ist zumindest eine weit verbreitete Annahme und wird in der Corona-Pandemie auch vermehrt gehört. Solidarität und Zusammenhalt lässt sich jedoch weder erzwingen noch befehlen. Entscheidend sind Werte und Gemeinsamkeiten.

Text: Dominik Haug dem 19. Jahrhundert zwischen «mechanischer» und «organischer» Solidarität. Die mechanische Solidari- Solidarität kommt von dem lateinischen «solidari- tät beruht auf Ähnlichkeit und bezieht sich somit auf tas» und bedeutet Zusammengehörigkeit. Es können die eigene Gruppe. Das kann eine Familie, Gesellschaft Individuen, mehrere Personen oder auch grössere oder ein Interessensverband sein. Innerhalb dieser Gruppen und gar ganze Gesellschaften sein, die sich Gruppe unterstützt man sich, weil sich die Individuen gegenseitig helfen und unterstützen. Seit der Ver- ähnlich sind. Je ähnlicher sie sich sind, desto mehr breitung des neuen Corona-Virus und der damit ein- sind sie zur Unterstützung bereit. Wer einem nicht hergehenden Pandemie ist das Wort «Solidarität» in ähnlich ist und damit Aussenstehender, hat keinen vieler Munde. «Man muss jetzt solidarisch handeln», Anspruch auf Unterstützung. Im Gegensatz hierzu sagen Politiker, Medien und Wissenschaftler. Dabei steht die organische Solidarität, bei der eine Gruppen- geht es um die Alten und Kranken, die in ihrer Exis- zugehörigkeit keine Voraussetzung ist. Hier ist man tenz bedrohten Unternehmer und Arbeitnehmer, die nicht aufgrund der Ähnlichkeit, sondern aufgrund ge- oder auch überforderten Eltern. Die Liste lässt sich der Abhängigkeit solidarisch. Selbst wenn ein Arbeit- lange fortsetzen. nehmer sich überhaupt nicht mit seinem Arbeitgeber identifiziert, ist er doch an dessen Wohl interessiert, Solidarität aus soziologischer Sicht weil er schliesslich von ihm abhängt. Mittlerweile hat Aus soziologischer Sicht ist mit Solidarität immer sich auch ein normativer Anspruch in der Solidarität eine gewisse Vorstellung davon gemeint, was wir uns eingeschlichen. Wir sollen nicht nur mit Menschen, gegenseitig an Unterstützung und Hilfe schuldig sind. denen wir ähnlich sind oder von denen wir abhängig Bei solidarischen Handlungen ist man dazu aufge- sind, solidarisch sein, sondern auch mit Menschen, die fordert, von seinen eigenen Interessen abzuweichen uns gleichgestellt sind. Je grösser dieser Kreis wird, und auch Nachteile in Kauf zu nehmen. Dies grenzt desto schwieriger tun wir uns, mit allen Mitgliedern die Solidarität von der Kooperation ab. Wer bei sei- dieser Gruppe solidarisch zu sein. nem Handeln auf seinen eigenen Vorteil hofft, handelt unter Umständen auch gut und richtig, aber nicht soli- Teildisziplin «Katastrophensoziologie» darisch. Für solidarisches Handeln sollte kein direkter In der Katastrophensoziologie gibt es Studien zu eigener Nutzen in Aussicht stehen. Dennoch ist Solida- Naturkatastrophen, Reaktorunfällen und auch Epide- rität nicht ausschliesslich selbstlos. Nur wer erwarten mien. Dadurch weiss man, dass eine Naturkatastrophe kann, dass er selbst auch die gleiche Unterstützung nicht mit einer Seuchenepidemie vergleichbar ist. Das erfahren würde, ist zur Inkaufnahme von Nachtei- Handeln der Menschen hängt immer davon ab, wovon len bereit. Sozialwissenschaftler unterscheiden seit die Gefahr für sie selbst ausgeht. Bei einem Erdbeben geht die Gefahr nicht von einem anderen Menschen, sondern von tektonischen Ver- schiebungen aus. Jeder ist gleichermassen dieser Gefahr ausgesetzt und keiner trägt eine Schuld an der Gefahr und an den Schäden. Bei einer Epi- demie ist dies anders. Hier geht die Gefahr von den Mit- menschen aus. Man hat Angst voreinander. Solidarität muss diese Angst erst einmal über- winden. In solchen Fällen sind Menschen extrem anfällig dafür, nur auf das eigene Über- leben zu schauen. Meistens werden Sündenböcke gesucht. So sprach Donald Trump bei- spielsweise vom «chinesischen Virus». Dabei ist Solidarität auch in solchen Situationen von Vorteil. Das lässt sich «Entscheidend sind gemeinsame Werte.» auch deutlich an der gut doku-

10 AEROPERS mentierten Reaktion der USA auf die Spanische Grippe dingungen. Gewerkschaften und Interessensverbände erkennen. Während es in Philadelphia keine individu- zeichnen sich durch gemeinsame Interessen der Mit- ellen Einschränkungen gab, wurden in St. Louis die glieder aus. Alle Mitglieder stehen grundsätzlich hin- Warnungen vor der Epidemie rasch in Massnahmen ter dem gleichen Ziel. Es herrscht folglich eine grosse des gegenseitigen Schutzes umgesetzt. Die Opferzah- mechanische Solidarität. Manche Unternehmen versu- len in Philadelphia waren um ein Vielfaches höher als chen diese Solidarität durch Aufspaltung der Beleg- in St. Louis. In solchen Situationen ist das eigene Wohl schaft in viele kleinere Gruppen zu verwässern. So lässt am besten gesichert, wenn eben nicht jeder allein auf sich ein «die gegen uns»-Gefühl von Neid und Missgunst sich selbst schaut, sondern möglichst viele untereinan- innerhalb der Arbeitnehmergruppe generieren. der solidarisch sind. Dieses solidarische Handeln und der eigene Verzicht haben sich gerade zu Beginn der Solidaritätsprinzip Corona-Pandemie sehr deutlich gezeigt. Viele Menschen Das institutionalisierte Solidaritätsprinzip kommt nahmen die Einschränkungen sehr ernst und hielten in der rechtlichen Form bei Versicherungen zum Aus- sich vorbildlich daran. Sie zeigten sich solidarisch mit druck. Reichskanzler Otto von Bismarck verabschie- den gefährdetsten Mitgliedern der Gesellschaft. Vielen dete Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland die waren die Bilder aus Nordita- Sozialgesetze. Er setzte damit lien bekannt und die Bedro- bis heute gültige Massstäbe hung dadurch sehr konkret. «Die Kurzarbeit ist für den Aufbau eines staatli- Je länger die Einschränkungen chen Sozialsystems. Unfall-, jedoch anhalten und je weniger auf das Engagement Kranken- und Altersversiche- konkret die Gefahr für einen rung hatten aber nicht nur die selbst ist, desto mehr rückt der Gewerkschaften Linderung der Not zum Ziel. das solidarische Handeln in Sie waren politisch motivierte den Hintergrund. Der Schutz zurückzuführen.» Massnahmen, um das Volk der Schwächeren scheint gege- von der damals herrschenden ben und die Bedrohung des eigenen wirtschaftlichen Monarchie zu überzeugen und von Arbeiterparteien Überlebens wird immer akuter. Dadurch verschieben abzuwerben. Jedes Mitglied der Gemeinschaft bezahlt sich die Prioritäten. Dies heisst jedoch nicht, dass die in diese Versicherungen ein. Aus diesem gemeinsam Gesellschaft im Falle eines Auflebens der Pandemie eingezahlten Geld werden denen, die einen Schaden nicht wieder solidarischer zusammenhalten würde. In erlitten haben, finanzielle Mittel zur Deckung dieses der jetzigen Situation heisst Solidarität das Vermeiden Schadens zur Verfügung gestellt. Auch bei der Arbeits- von körperlichen Kontakten. Ich handele solidarisch, losenversicherung handelt es sich um eine solche Ver- wenn ich zu Hause bleibe. Aber auch hierfür braucht sicherung im Sozialsystem. man das Vertrauen auf Wechselseitigkeit: Wenn ich zu Hause bleibe, möchte ich nicht, dass ein paar Strassen Kurzarbeit als Teil der Arbeitslosenversicherung weiter Corona-Partys gefeiert werden. Seit knapp einem Jahrhundert kennt man in der Schweiz die Kurzarbeit. Die Urform der Kurzarbeit Solidarität in der Arbeiterbewegung lässt sich auf das Kali-Gesetz in Deutschland aus dem Unter der Arbeiterbewegung versteht man zwei Jahr 1910 zurückverfolgen. Es regelte die Kompensa- Dinge. Im weiteren Sinne versteht man darunter Mas- tion des Arbeits- und Verdienstausfalls im Kaliberg- senbewegungen von abhängig Beschäftigten in Gesell- bau und der Düngemittelindustrie. Damals gab es in schaften mit industrieller, kapitalistischer Produk- diesen Industriezweigen Produktionsquoten, wodurch tionsweise. Sie hat die Emanzipation der Arbeiterklasse zeitweise einige Werke stillgelegt wurden. Die Arbeiter und die Erlangung von höheren Löhnen und besseren erhielten für diese Perioden eine sogenannte Kurzar- Arbeitsbedingungen zum Ziel. Als Mittel hierfür gel- beiterfürsorge aus Reichsmitteln. Im Jahr 1924 wurde ten Proteste, Streiks und Ähnliches. Im engeren Sinne mit der «Verordnung über die Erwerbslosenunter- versteht man unter der Arbeiterbewegung den Zusam- stützung» die «Kurzarbeiterunterstützung» ins Leben menschluss von Handwerkern und Lohnarbeitern in gerufen. Auch in der Schweiz wurde im gleichen Jahr Vereinen, Gewerkschaften und Parteien. Ziel ist die mit dem «Arbeitslosenversicherungsgesetz» erstmals Verbesserung der sozialen Lage und das Erkämpfen die Kurzarbeit eingeführt. Der Staat war durch die politischer Rechte. In Mitteleuropa besteht die Arbei- immer mehr aufkommende Arbeiterbewegung gefor- terbewegung aus vier Grundtypen: Gewerkschaften als dert, einen Spagat zu bewältigen. Auf der einen Seite Interessensvertretung in den Betrieben, Arbeiterpar- wollte er die Ursachen sozialer Spannungen lindern, teien als politische Organisationen, Genossenschaften auf der anderen Seite der Industrie stabile Arbeits- als Selbsthilfeorganisationen und Bildungsvereine wie beziehungen garantieren. Die Behörden mussten beispielsweise Arbeitersportvereine. sich daher mit dem Risiko der Arbeitslosigkeit aus- Mit voranschreitender Industrialisierung hat sich im einandersetzen. Zwar gab es auf kommunaler Ebene 19. Jahrhundert das Solidaritätsprinzip entwickelt. Die vereinzelte Aktivitäten, dennoch waren es die neu gegenseitige Absicherung innerhalb der Arbeiterschaft gegründeten Gewerkschaftsorganisationen, welche die gegen, für sie als existenziell bedrohlich wahrgenom- ersten Arbeitslosenkassen gründeten. Die Führer der mene, Entwicklungen der kapitalistischen Industriali- Gewerkschaften sahen in den Arbeitslosenversiche- sierung wurde zur Grundlage der Arbeiterbewegung. rungen ein Mittel zur Stärkung der gewerkschaftlichen Arbeiter schlossen sich in solidarischen Vereinigungen Solidarität, zur Begrenzung des Lohndrucks und auch wie Gewerkschaften und Interessensverbänden zusam- nicht zuletzt zur Rekrutierung und Bindung von Mit- men und kämpften gemeinsam für bessere Arbeitsbe- gliedern. Im grossen Unterschied zu Deutschland, ist

Rundschau 2 | 2020 11 mentiert, dass mit der Kurzarbeit Entlassungen nicht verhindert, sondern nur verzögert werden. Es entstün- den so Kosten für die Gemeinschaft in der Arbeitslo- senversicherung, die vermeidbar gewesen wären. Ein weiteres Argument zielt darauf ab, dass sich Unterneh- men die Arbeitsplätze von der Versicherung subven- tionieren lassen würden. Diese Arbeitsplätze seien auch ohne Unterstützung vorhanden gewesen und die Firmen würden so nur Lohnkosten sparen. Ob die Kritik berech- tigt ist, lässt sich nur fallweise und nicht pauschal beur- teilen. In der Finanzkrise 2008 scheint das Instrument funktioniert zu haben. Laut den Autoren einer Studie der «Konjunkturforschungsstelle KOF» hat die Kurzar- beit zwischen 2009 und 2015 dazu beigetragen, Entlas- Kurzarbeit ist ein Instrument, um Kündigungen zu sungen langfristig zu verhindern. Auch kostenmässig verhindern. habe sich der Einsatz gelohnt, da höhere Ausgaben für Arbeitslosenentschädigungen vermieden werden konn- die Arbeitslosenkasse und damit auch die Kurzarbeit ten. Zu einem weniger positiven Ergebnis kommt eine auf das Engagement der Gewerkschaftsorganisationen Studie der gleichen Forschungsstelle über die Rezession zurückzuführen. Breite Akzeptanz und den Durch- der Jahre 2001 bis 2003. Damals habe die Kurzarbeit bruch erlangte die Kurzarbeit Mitte der 1960er Jahre. nicht zum Erhalt von Arbeitsplätzen geführt. Vielmehr Nach den bislang nur durch Wachstum und teilweise habe die Mehrzahl der Firmen mit Kurzarbeit die Stellen Vollbeschäftigung gekennzeichneten Jahren des Wirt- doch abgebaut. Ähnlich sei es in den Krisen der Jahre schaftswunders suchte die Politik damals nach einer 1981 bis 1983 und 1991 bis 1993 gewesen. Möglichkeit, die ersten Wirtschaftskrisen in der Bun- Wie die Bilanz der Kurzarbeit in der aktuellen Corona- desrepublik Deutschland sozialverträglich zu über- Krise aussehen wird, kann noch niemand sagen. Sicher brücken. Das deutsche Modell der Kurzarbeit gibt es ist jetzt schon, dass die Kurzarbeiterentschädigung ausserhalb des deutschsprachigen Raums kaum. Die extrem teuer ist, da die aktuelle Krise alle Branchen Prozentsätze, die durch das Kurzarbeitergeld abge- betrifft. Heute schieben viele Betriebe sämtliche Ange- deckt sind, unterscheiden sich in den einzelnen Län- stellten in die Kurzarbeit. Zwei Quartale lang könne dern erheblich. In Deutschland sind 60 Prozent des man die Stellen wohl noch behalten, meint der Wirt- Lohns (mit Kindern 67 Prozent) abgedeckt. In der schaftshistoriker Tobias Straumann in der NZZ, länger Schweiz sind 80 Prozent und in den Niederlanden für aber kaum. Entsprechend wichtig sei es, die vom Bun- sechs Monate sogar 100 Prozent versichert. desrat verhängten Massnahmen möglichst bald wieder lockern zu können. Temporäres Hilfsmittel Historisch betrachtet, trug die Kurzarbeit teilweise Solidarität bei uns Mitgliedern dazu bei, Entlassungen zu vermeiden. Sie ist ein europä- Inwiefern diese Prophezeiung auf die SWISS und isches Produkt, das im Gegensatz zum amerikanischen die Edelweiss zutrifft, kann natürlich noch niemand Prinzip des «hire and fire» steht. In den USA werden sagen. Wir sind mit unseren Gesamtarbeitsverträ- in Krisen Mitarbeiter in grosser Zahl schnell entlassen. gen sehr gut aufgestellt. Selbst bei einem langfristig Bei einem Aufschwung dann aber auch in grosser Zahl niedrigeren Bedarf, wovon mittlerweile jeder ausgeht, wiedereingestellt. Seit Mitte März 2020 haben sich über haben wir mit dem reduzierten Arbeitspensum einen 30 Millionen US-Amerikaner arbeitslos gemeldet. In guten Ansatz, um möglichst mit allen Mitarbeitern der Woche des 25. April haben sich 3,8 Millionen Men- durch diese Krise zu kommen. Dies versichern uns schen arbeitslos gemeldet – ein trauriger Rekord in der immer wieder sowohl unsere Vorgesetzten als auch Geschichte der USA. Denn vor der Corona-Pandemie der Vorstand der AEROPERS. Nun liegt es an uns Mit- lagen die durchschnittlichen Erstanträge bei ungefähr gliedern und Piloten, die in der Öffentlichkeit allge- 100 000 pro Woche. Die Arbeitslosenquote liegt nun bei genwärtig eingeforderte Solidarität mit Leben zu fül- rund 15 Prozent. len. Wir gehören alle der gleichen Gruppe an, auch Auch in Ländern mit Kurzarbeit wie der Schweiz wer- wenn die Bedrohung durch die aktuelle Krise indivi- den die Arbeitslosenzahlen steigen. Dennoch dürfte duell unterschiedlich sein mag. Im Grundsatz ist sie die Zunahme deutlich geringer ausfallen. Anders als in jedoch vergleichbar. Seien wir solidarisch mit den der amerikanischen Wirtschaft setzt man hierzulande Schwächsten in unserer Gruppe. Versuchen wir etwas bei Krisen sehr schnell auf das Instrument der Kurzar- zu geben, um diesen mit der geringsten Seniorität beit. Es ist kein Zufall, dass Kurzarbeit insbesondere in und dem geringsten Lohn, Unterstützung zukommen Ländern und Branchen anzutreffen ist, wo die betriebli- zu lassen. Seien wir aber auch solidarisch zum von che Aus- und Weiterbildung grosse Bedeutung hat. Die uns gewählten Vorstand und vertrauen wir auf seine Schweiz mit ihrem dualen Bildungssystem steht hierfür Entscheidungen. Seien wir aber auch weiterhin solida- beispielhaft. Wer viel Geld und Zeit in die Ausbildung risch gegenüber unserem Arbeitgeber. Im Gegenzug seiner Mitarbeiter steckt, verzichtet sehr ungern auf dazu können wir dann auch Solidarität von diesem den Ertrag dieser Investition. Dies gilt für uns Piloten in einfordern. Geben wir, was wir können und erwarten höchstem Mass. wir im Gegenzug, dass nur das eingefordert wird, was Auch wenn das Instrument der Kurzarbeit sehr etab- auch einen Nutzen hat. Ganz im Sinne: Einer für alle – liert ist, ist es nicht unumstritten. Teilweise wird argu- alle für einen! l

12 AEROPERS Wenn China hustet … … bekommt die Welt einen Schnupfen, besagt ein Sprichwort an der Börse. Gerade erleben wir eindrücklich, wie der Ausbruch eines Virus in China die ganze Welt lahmlegen kann. Airlines, Flugzeughersteller und deren Zulieferer gehören zu den am stärksten betroffenen Unternehmen.

Text: Patrick Herr nehmen. Die Regierung in Peking steuert dabei die Investitionen sehr geschickt. Wenn ein Unternehmen Zum Jahresende 2019 meldeten die chinesischen seinen Anteil am riesigen Absatzmarkt der Volksre- Behörden gerade einmal 381 Infektionen mit dem publik dauerhaft sichern will, sollte es tunlichst auch neuartigen Corona-Virus. Während ich diesen Artikel dort investieren und Arbeitsplätze schaffen. BMW fer- schreibe, übersteigt die Zahl bereits weltweit drei Mil- tigt in Shenyang deshalb jährlich etwa eine halbe Mil- lionen Fälle und das öffentliche Leben steht weiter- lion Autos. Das iPhone von Apple wird fast komplett hin praktisch still. Während sich das Virus vielerorts in China zusammengeschraubt. In der Anfangszeit der nach wie vor mit atemberaubender Geschwindigkeit Corona-Krise traf es zahlreiche Produktionsstandorte ausbreitet, leidet unsere Branche besonders stark. In dann mit voller Wucht. Die Tesla-Fabrik in Shanghai vielen Ländern ist die Einreise nicht mehr erlaubt, die zum Beispiel wurde für fast zwei Wochen geschlossen. Nachfrage nach Flugreisen ist praktisch gleich null. Bei voller Auslastung könnte das einen Produktions- Primär erwischt das logischerweise die Airlines. Und ausfall von bis zu 10 000 Fahrzeugen bedeuten. wenn die Airlines schwächeln, müssen im zweiten Die Vernetzung der Flugzeughersteller mit China Schritt die Flugzeughersteller zittern. Dabei stecken ist ähnlich umfangreich. Airbus etwa fertigt in sei- diese gerade doppelt in Schwierigkeiten. Einerseits nem Werk in Tianjin fast zehn Prozent der weltwei- bricht die Nachfrage nach neuen Flugzeugen weg. ten A320-Produktion, bald sollen auch A350 dort fer- Andererseits stornieren viele Airlines ihre bestehen- tiggestellt werden. Die fast zweiwöchige Schliessung den Bestellungen, grössere Wachstumspläne werden der Fabrik riss also ein gewaltiges Loch in die Produk- gestrichen und grosse Flottenteile stillgelegt. tionsbilanz. Boeing, seit den Abstürzen der beiden B737Max Boeing gilt in China schon lange als Big Player. Laut ohnehin schon ständig in Schieflage, verzeichnet für eigenen Angaben betragen die Investitionen des Her- das Jahr 2020 bis heute bereits über 300 stornierte stellers in China knapp eine Milliarde Dollar pro Jahr. Bestellungen. Im März gingen gerade einmal 31 neue Bereits jetzt fliegen weltweit mehr als 10 000 Boeing- Bestellungen ein – acht davon sind für die US Navy und Flugzeuge, in denen chinesische Teile verbaut sind. werden von Kritikern auch gerne als kaum verdeckte Subvention der US-Regierung an Boeing bezeichnet. Bei Airbus ist die Lage nicht besser. Im März lagen die Bestellungen bei gerade einmal 21 Stück – im Vorjahresmonat waren es noch 58 Stück.

Location, Location, Location … Neben der Nachfrageschwäche kämpfen die Hersteller noch mit einem anderen Pro- blem, auf das bislang eigentlich nur Globali- sierungsgegner hingewiesen haben. Die Krise zeigt gerade eindrucksvoll, in welcher Abhän- gigkeit die globale Wirtschaft von einzelnen Ländern, insbesondere von China und den USA steht. China hat gehustet und die Welt ist verschnupft. Mal abgesehen von der wörtli- chen Tragweite der Aussage zeigt sich gerade, wie viel Wahrheit in diesem Satz steckt. Jahre- lang galt es für grosse Hersteller aus praktisch allen Branchen als unumgänglich, die Produk- tionskette teilweise oder gleich ganz in China anzusiedeln. Das Land galt als wirtschaftlich stabil und eine repressive Regierung garan- tierte, dass Ärgernisse wie Arbeitnehmerfor- derungen gar nicht erst aufkamen. Darüber hinaus ist ein Land mit fast 1,4 Milliarden Einwohnern und einem in den letzten Jah- ren beständig zunehmenden Wohlstand ein Verschiffte Standardcontainer 2017 in Tausend. wahres Schlaraffenland für westliche Unter- Quelle: Der Spiegel

Rundschau 2 | 2020 13 Viele Konzerne befürchten 9 zudem, dass eine Verringerung der Ressourcenförderung in TAC Index ANP CN – EUR 2020 8 TAC Index ANP EUR – CN 2020 China infolge des Covid-19-Aus- bruchs zuallererst ausländi- 7 sche Abnehmer treffen könnte. Chinas Regierung könnte, da eine freie Marktwirtschaft fehlt, 6 die nötigen Rohstoffe und Pro- duktionsmittel ganz einfach im 5 Land behalten und erst mal die heimische Wirtschaft versor-

USD/kg 4 gen. Die Vormachtstellung als grösster Spieler macht's mög- 3 lich. Auch um den Ausschluss von den chinesischen Rohstoff- 2 vorkommen zu vermeiden, liessen sich viele Konzerne in China nieder. Da ausländische 1 Unternehmen nur als Joint Ven- ture mit chinesischen Firmen 0 Standorte aufbauen dürfen, 10.1.20 24.1.20 7.2.20 21.2.20 6.3.20 20.3.20 3.4.20 17.4.20 wäre der Zugang zu wichtigen Heftiger Anstieg bei den Preisen für Luftfracht von China nach Europa. Ressourcen immer noch gege- Quelle: aircargonews.net ben, so zumindest die Hoff- nung. In Zeiten, in denen ein Neben der Endfertigung sind die Flugzeugbauer aber irrational handelnder amerikanischer Präsident aber auch in hohem Masse auf einzelne Bauteile aus China auch gerne mal einen handfesten Handelskrieg mit angewiesen. Die für die A350 verwendeten Komposit- China anzettelt, wächst allerdings vielerorts die Sorge Bauteile stammen fast ausschliesslich aus einem Joint vor einer harten chinesischen Reaktion. Die ganze Welt Venture im chinesischen Harbin. Fehlen diese Teile, ist von China abhängig, und die chinesische Regierung stottert daher in der Folge auch die Produktion an weiss das auch. allen anderen Standorten. Bei Apple wurde das Problem der Abhängigkeit bereits 2015 diskutiert. Damals wurde die Idee der Der Stoff, aus dem die Flugzeuge sind Abkehr von China aber wieder verworfen. Nicht zuletzt Das nächste Problem der globalen Wirtschaft ist deshalb, weil der Zugang zu günstigen, qualifizierten ebenfalls «Made in China» – oder im Moment eben Arbeitskräften in China ebenso vorhanden ist wie der leider nicht. In China werden zahlreiche Rohstoffe in Zugang zu Rohstoffen in Hülle und Fülle. Seit Beginn grossen Mengen gefördert. Sinkt dort die Förderung, der Streitigkeiten zwischen den USA und China ver- fehlen wichtige Rohstoffe auf dem Weltmarkt. Das gilt sucht Apple jetzt wenigstens kleine Teile seiner Pro- vor allem für Aluminium. China ist seit langem der duktion aus China heraus in andere asiatische Län- weltgrösste Aluminiumproduzent mit einer jährlichen der zu verlegen. Das wirtschaftliche Zugpferd iPhone Produktion von zirka 33 Millionen Tonnen. Das zweit- kommt allerdings weiterhin aus der Fabrik in Zhengz- platzierte Indien produziert zum Vergleich gerade ein- hou. Und damit haben immerhin etwa 60 Prozent von mal 3,7 Millionen Tonnen pro Jahr. China produziert Apples Gesamtumsatz, genauer gesagt etwa 142 Milli- pro Jahr mehr Aluminium, als die anderen neun Staa- arden Dollar, ihren Ursprung in China. ten der Top Ten zusammen. Airbus bewegt sich bei der A350 zwar weg vom gross- Frachter zu Wasser und in der Luft flächigen Einsatz von Aluminium. Das neueste Produkt China, so scheint es zumindest bislang, hat die grosse besteht bereits zu mehr als 53 Prozent aus neuartigen Welle der Infektionen mittlerweile hinter sich. In den Verbundwerkstoffen. Dennoch gehört Aluminium wei- Fabriken wird wieder produziert und auch das öffent- ter zu den wichtigsten Materialien des Flugzeugbaus. liche Leben läuft langsam wieder an. Derweil stapeln Boeing setzt bei der 777X nach wie vor grösstenteils sich in den chinesischen Häfen nach wie vor Tausende auf Aluminium als wichtigsten Werkstoff. Damit sind Schiffscontainer, die während des Lockdowns nicht die Hersteller erneut stark von China abhängig, dieses abgefertigt werden konnten. Gleichzeitig fehlen diese Mal ganz am Beginn ihrer Wertschöpfungskette. Im Container in den USA und Europa, wo bis vor wenigen Kampf um die begehrte Ressource haben sie zudem Wochen noch mit voller Kraft Güter für den chinesi- mächtige Kontrahenten, allen voran die Automobil- schen Markt produziert wurden. Das bedeutet für den hersteller. Deren Bedarf an Aluminium ist im Moment Wirtschaftskreislauf, dass einerseits chinesische Roh- noch eher gering, da gerade die meisten Werke im Leer- stoffe und Waren im Moment nur schwer nach Europa lauf fahren. Da aber zu erwarten ist, dass die grossen kommen, und andererseits europäische Firmen ihre Autobauer in Deutschland und den USA kräftige staat- Produkte nur schwer nach China exportieren können. liche Unterstützungen erhalten werden, dürfte ihr Roh- Spätestens dann, wenn die Krise auch hier überwun- stoffbedarf bald wieder steigen und damit auch der den ist und die Produktion wieder läuft, wird das zum Aluminiumpreis. Problem. Allein im Februar, so die Agentur Sea Intel-

14 AEROPERS ligence, wurden über 270 000 Container wegen des ein Schlüsselmarkt. Gerade für Flugzeugbauer ist das Corona-Virus nicht von Asien nach Europa transpor- Verhältnis zu China also essenziell. tiert. Immerhin können die Airlines ein wenig davon Und die Runde der Anbieter ist klein. Sie wird von profitieren. Durch den Wegbruch der Seetransporte den zwei Branchengrössen Boeing und Airbus domi- stiegen die Kosten für Luftfracht massiv an. Anfang niert und durch eine Handvoll kleiner Mitspieler wie März kostete ein Kilogramm Luftfracht von Shanghai etwa Embraer und Sukhoi ergänzt. Gleichzeitig drängt nach Europa noch durchschnittlich 2,32 Dollar, Ende China mit dem Hersteller COMAC auf den Markt. Kei- April sind es nun bereits 8,93 Dollar. Obwohl die ner der beiden grossen Anbieter kann es sich also leis- Preissteigerung derzeit abzuflachen scheint, könnte ten, im Rennen um den chinesischen Markt aufzuge- die schrittweise Öffnung der Produktion in Europa die ben, da der andere sofort zuschlagen würde. Und um Preise wieder anheizen, weil die Vorräte erschöpft sind wirklich mitspielen zu dürfen, muss man eben weiter und dringend Nachschub aus China gebraucht wird. in China produzieren und investieren. Auch für die SWISS und die Edelweiss bietet der Ein- Wie gesagt, wir erleben eindrücklich, wie verzahnt bruch des Warenverkehrs auf See eine Möglichkeit, die Weltwirtschaft tatsächlich ist und wie ein einziges, wenigstens einen kleinen Beitrag zur Kostendeckung unvorhersehbares Ereignis all das ins Chaos stürzen zu leisten. kann. Eine Abkehr von China hin zu mehr Produktion Für die Weltwirtschaft ist all das aber ein Tropfen auf in Europa und den USA ist eine Illusion – sie ist zu den heissen Stein, da die Ladekapazitäten der Fracht- teuer und mit viel zu grossen Risiken behaftet. Zuerst fliegerei einfach viel zu gering sind. Als Vergleich: Das wäre ein aufwendiger und teurer Aufbau neuer Infra- weltgrösste Frachtflugzeug, die An-225, kann maximal strukturen nötig. Die logistische Herausforderung wäre 345 Tonnen Fracht transportieren, die Frachtversion der gigantisch. Darüber hinaus erforderte es einen riesigen Boeing 777 kommt auf maximal 102 Tonnen. Ein moder- Aufwand, an neuen Standorten auf die Schnelle das nes Containerschiff schafft etwa 150 000 Tonnen. nötige Personal zu finden. All das würde enorme - War das Stichwort Deglobalisierung bisher eher ten verursachen, die letztlich der Verbraucher tragen ein verschwommener Traum von weit links, hat die müsste. In einer freien Wirtschaftsordnung kann man Krise diesem Thema wieder Aufwind verschafft. Denn einzelnen Firmen ausserdem schlecht vorschreiben, wo gerade zeigt sich, dass der Warenverkehr und die sie zu produzieren haben. Die Globalisierung per Dik- Verteilung der Produktionsmittel zwar oft kreuz und tat umzukehren ist also unmöglich. Stattdessen scheint quer über den Erdball verteilt sind. Allerdings ver- es, als drehe sich der Wind bei einigen Unternehmen in teilt sich das Geschehen nicht auf viele Teilnehmer, Folge der Krise. Die Unternehmensberatung EY befragte sondern zum allergrössten Teil nur auf die Regionen kürzlich 145 Firmen in Deutschland. Etwa ein Drittel Nordamerika, Europa und Asien. Ein freier Waren- davon möchte wegen der Corona-Krise ihre Lieferket- transport zwischen diesen Regionen und ein schier ten umstellen. Vielleicht verlangsamt sich der Globali- unerschöpfliches Produktionspotenzial vor allem in sierungsprozess gerade von selbst, weil die Krise zeigt, Asien und besonders in China galt bisher als das Mass wie verletzlich das global vernetzte System sein kann. aller Dinge. Nun entpuppt es sich als Nadelöhr, durch Vielleicht macht er auch nur eine Pause. Dies dürfte das sich die ganze Weltwirtschaft zwängen muss. Für nicht die letzte Pandemie gewesen sein und selbst eine internationale Konzerne gilt es einmal mehr, die Risi- weniger globalisierte Welt ist kein Garant dafür, dass ken vorsichtig abzuwägen. Eine Abkehr von China und zukünftige Krisen weniger einschneidend wirken. eine Rückkehr zur Produktion in Europa oder in den Daher bleibt zu hoffen, dass wir in Zukunft andere USA beinhaltet viel mehr als nur höhere Lohnkosten. Mechanismen finden, um mit derartigen Krisen umge- Jedes Unternehmen riskiert damit den Ausschluss hen zu können. l vom chinesischen Markt an sich. Und selbst wenn in der aktuellen Krise die Prognosen nach unten korrigiert werden müssen, bleibt dieser Markt höchst attraktiv. Boeing ver- öffentlichte 2019 eine Pro- gnose über die zukünftige Marktentwicklung. Für China ging man dabei von einem Marktvolumen von 1,3 Billi- onen Dollar in den nächsten 20 Jahren aus. Das ist mit den Erwartungen für ganz Europa vergleichbar und fast so viel wie für Nord- und Süd- amerika zusammen. Diese Prognose dürfte zwar nun nicht mehr zu halten sein. Allerdings darf angenommen werden, dass sich an den Verhältnissen wenig ändern dürfte: China ist und bleibt Produktionsstandorte der Boeing 787. Quelle: slideshare.net

Rundschau 2 | 2020 15 Make CPDLC great again! In einigen europäischen Lufträumen bereits ein Muss, führten die Vereinigten Staaten erst im März 2020 flächendeckend die CPDLC-Technologie ein. Ein Rück- und Ausblick auf die bald zwanzigjährige Geschichte der Datalink-Kommunikation.

Text: Kevin Fuchs, F/O B777

Ein schleppender Start Ihren Ursprung findet die Control- ler-Pilot-Datalink-Communication Anfang der 2000er Jahre, als sie erstmals im Miami Air Route Traffic Control Center (ARTCC) eingesetzt wurde. Noch weit von den heutigen Möglichkeiten entfernt, wurden zu- nächst vier Services implementiert: Frequenzwechsel, Bestätigung der aktuellen Flughöhe, Bestätigung der Höhenmessereinstellung sowie ein Menü, über das vordefinierte Texte gesendet werden konnten. Einige Jahre später wurde eine Alternative zur regulären Kommu- nikation über VHF und HF vor allem auf dem Nordatlantik notwendig: Mit dem rapiden Anstieg der Über- flüge war ein System erforderlich, das sowohl die Kapazitätssteige- rung unterstützen als auch das Zeiten vor der Einführung von CPDLC: Blick in den Oceanic Operations Room gegenseitige Blockieren von Fre- von Shanwick 1989. quenzen ausschliessen konnte. Doch wer bedient CPDLC und wie funktioniert es? CPDLC wird so ab dem Wechsel zu Swiss Radar ab Flight Level 130 aktiv. Rege Nutzung im Schweizer Luftraum Interessant ist für mich vor allem zu erfahren, wer das Als Anwendung des ATN (Aeronautical Telecommu- CPDLC-System bedient: «Grundsätzlich ist der Radar nications Network) ist der Datenaustausch via CPDLC Executive, also der Lotse, der auch mit den Piloten funkt, heute bereits aus vielen Lufträumen nicht mehr weg- für die Bedienung des CPDLC zuständig. Simple Aufga- zudenken. ben, wie zum Beispiel die Übergabe an die nächste Leit- Pascal Büsser, Air Traffic Controller bei der Schweizer stelle, können jedoch auch vom Radar Planner durchge- Flugsicherung Skyguide, verrät mir, dass unter den Kol- führt werden.» legen, die den Upper Airspace (FL250-FL660) kontrollie- ren, der CPDLC-Service als zufriedenstellend wahrge- Der CPDLC-Gigant: North Atlantic Ocean nommen wird. Allgemein habe man bei Skyguide in den Vor der Datalink-Kommunikation wurde im ozea- letzten sechs Monaten einen regen Anstieg der Datalink- nischen Luftraum aufgrund der limitierten Reichweite Kommunikation feststellen können, sodass sich mittler- von VHF primär HF genutzt. Denn die Erdkrümmung weile rund 50 Prozent der Flüge ins System einloggen. verhindert die Übermittlung der sich in einer Gerade «CPDLC bietet insbesondere Vorteile für den oberen ausbreitenden VHF-Funkwellen. HF hingegen nutzt die Luftraum, im Approach-Sektor und Tower sind wir uns oberen Schichten unserer Atmosphäre zur Reflektion gewohnt, die Flugzeuge standardgemäss per Voice zu und leitet die Wellen von dort aus zur Erdoberfläche leiten», so Büsser weiter. Den Wunsch nach vermehrter zurück. Doch auch diese Technologie bringt Nachteile Benutzung von CPDLC auch mit sich, wie die Einflüsse im unteren Luftraum ver- «Einige Luftfahrtexperten des Erdmagnetfeldes. Sie wir- spüre man nicht. Im Gegen- ken sich negativ auf die Qua- teil: «Der Faktor Zeit ist bei prognostizieren gar das lität aus. Auch das Problem uns ein zentrales Thema – zu vieler Sender auf dersel- jede Anweisung an die Piloten Ende des Funkverkehrs ben Frequenz ist hinlänglich muss sofort umgesetzt wer- bekannt. Mit der Implemen- den.» Dies führe auch zu der per Voice.» tierung von CPDLC im Jahr Meldung Controller termina- 2002 wurde auch die Möglich- ted CPDLC, die im Cockpit beim Wechsel auf die Arrival- keit von Missverständnissen zwischen Lotsen und Pilo- Frequenz erscheint. Das Einloggen noch vor dem Start ten reduziert. Das prominenteste Beispiel war gemäss am Boden hingegen werde nicht als störend empfunden. eines Berichts der FAA von 2013 Flüge auf einer nicht

16 AEROPERS freigegebenen Flughöhe. Heutzutage nutzt mit knapp onierten HF Radio Operator, der die meisten Requests 90 Prozent die Mehrheit aller Flüge in der Shanwick Oce- nach Prestwick übermittelt. anic Control Area CPDLC. Der Name Shanwick ist ein historisch gewachsener Born in the USA Name, der sich aus zwei Teilen zusammensetzt. Die USA führten im ersten Quartal 2020 auch für ihre Einerseits aus dem ursprünglichen Shannon Aeradio, kontinentalen Lufträume flächendeckend CPDLC ein. das 1936 als Bodenfunkstelle für die Morse-Kommuni- Zum Vergleich: Das angrenzende Kanada vollzog diesen kation mit Flugbooten, die den Atlantik überquerten, Schritt bereits im Sommer 2014. In dem von der FAA gegründet wurde. Und andererseits aus der schotti- publizierten Handbuch zur Datalink-Kommunikation schen Stadt Prestwick, dem Hauptsitz der heutigen Ope- beruft man sich auf eine völlige Modernisierung und ration. Die Shanwick OCA ist mit bis zu 1500 täglichen Revolution der Luftverkehrskontrolle: Die Möglichkeit, Flügen die verkehrsreichste Nordatlantikregion. Daher mehr Verkehr abzufertigen, Verspätungen abzubauen wird jeden Vormittag im Operations Room des Prest- und Flugzeuge im Reiseflug sowohl sicherer als auch wick Centre ein taktischer Verkehrsplan für die ozea- effizienter zu bedienen, sind nennenswerte Vorteile. nischen Lufträume erstellt, um den erwarteten Flug- Missverstände – wie zum Beispiel falsche Read-backs – verkehr effizient zu bewältigen. Dabei wird der Fokus können auf ein Minimum reduziert werden. Dank des auf die südöstliche Ecke des Sektors gelegt, denn aus einzigen Identifiers KUSA für alle inneramerikanischen Zentraleuropa kommt zur Mittagszeit die grösste Welle. Lufträume möchte man sicherstellen, dass nicht mehr Hierbei werden die aufgegebenen Flugpläne abgeglichen als ein Logon pro Flug erfolgen muss. Bereits am Boden und bereits eine erste Sortierung der Flüge in unter- einzuloggen ist wie bisher an allen CPDLC-ausgerüste- schiedliche Flight Levels vorgenommen. Mittlerweile ist ten Towern erwünscht. Nach dem Take-off überprüft im NAT HLA ab Flight Level 350 CPDLC vorgeschrieben. das System eigenständig, ob das Flugzeug auch für die Eine Rückkehr zu konventionellem HF-Funk würde einen Enroute-Technologie zertifiziert ist (Eintrag J4 im Feld enormen Kapazitätsverlust bedeuten. Die Kommuni- 10 des ATC-Flugplans) und gibt es im positiven Fall an kation via Satellit ermöglicht Shanwick nicht nur eine die Abflugleitstelle weiter. Vergisst man, sich am Boden grössere Übersicht und besseres Situationsbewusstsein, einzuloggen, kann man das im Flug noch nachholen. sondern erledigt auch kleinere Aufgaben voll autonom, wie den Transfer zur nächsten OCA. Bei Shanwick wird Für die Zukunft unverzichtbar CPDLC vom Fluglotsen für alle Enroute Services selbst Folgt man Prognosen wie beispielsweise der des bedient. Für die Oceanic Clearance ist jedoch ein klei- Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums DLR von nes, separates Team sogenannter Clearance Delivery 2019, so können wir in den kommenden 20 Jahren Officers zuständig, die ebenfalls im Operations Room mit einer Verdopplung des Passagieraufkommens in arbeiten. Wer Shanwick Radio per HF kontaktiert, Europa rechnen. Damit steigt auch die Anzahl durch- spricht mit einem in Ballygirreen nahe Shannon stati- geführter Flüge. Das DLR rechnet für das Jahr 2040 mit rund 53 Millionen Flügen pro Jahr im deutschen Luftraum – 2016 waren es 35,5 Millionen. Ähnliche Prognosen machte das BAZL in einer bereits vor fünf Jahren veröffentlichten Studie: Von rund 760 000 IFR-Überflügen im Schweizer Luftraum erwartet man einen rasanten Sprung auf über 880 000 Überflüge im Jahr 2030. Daher können wir auch von einer weiteren Zunahme der Datalink-Kommunikation via CPDLC in den nächs- ten Jahren ausgehen. Einige Luftfahrtexperten prog- nostizieren gar das Ende des Funkverkehrs per Voice. Aus meinem Gespräch mit Pascal Büsser erfahre ich, dass auch für den Datalink am Flughafen Zürich Modernisierungsmassnahmen bevorstehen: Die soge- nannte PDC (pre-departure clearance) soll bei Erschei- nen dieser «Rundschau» bereits eingeführt worden sein. Ist das System in der Westschweiz am Flughafen Genf schon seit Jahren verfügbar, so sind Piloten für das Einholen der Clearance in Kloten oftmals mit einer überlasteten Delivery-Frequenz konfrontiert. PDC soll nun Abhilfe und neue Kapazitäten schaffen. Bei entsprechender Aus- beziehungsweise Umrüs- tung der Flugzeuge steht dieser Technologie wenig im Wege. Geniessen wir also beim nächsten Flug einmal mehr die vollen Frequenzen in der London TMA oder das Rauschen über HF für den SELCAL-Check auf dem Nord- atlantik. Denn schon bald genug wird es in den Cock- pits mit «ATC COMM ESTABLISHED» still werden. l CPDLC-Maske einer B777 nach Herstellung der Datalink-Kommunikation.

Rundschau 2 | 2020 17 Patente der Natur – wie Bionik neue Flugzeuggenerationen beeinflusst Fliegen zu können wie die Vögel, ist ein uralter Menschheitstraum. Dass diese Metapher durchaus wörtlich zu nehmen ist, wird bei einem genaueren Blick auf moderne Flugzeugkon- zepte schnell klar. Seit Anbeginn der Luftfahrt lässt sich der Mensch von der Natur inspirieren.

Text: Marcel Bazlen

Im Jahr 1889 veröffentlichte Otto Lilienthal sein Buch «Der Vogelflug als Grundlage der Fliegerkunst». Als Bio- mimetik-Wissenschaftler oder Analog- Bioniker hätte sich der Luftfahrtpionier wohl nicht bezeichnet. Doch rückwir- kend betrachtet wäre dies eine treffende Beschreibung seiner Tätigkeit gewesen. Denn die Bionik (auch Biomimetik oder Biomimikry genannt) versucht Phä- nomene der Natur auf die Technik zu übertragen. Dabei liegt der Bionik die Annahme zugrunde, dass die belebte Natur durch evolutionäre Prozesse opti- mierte Strukturen und Prozesse ent- wickelt, von denen der Mensch lernen kann. Als Wissenschaftsdisziplin sucht die Bionik gezielt nach Strukturen in der Natur, die als technische Vorbilder von Bedeutung sein können. Die Bionik hat sich zwar erst in den letzten Jahrzehn- ten, insbesondere aufgrund neuer Pro- Beim «Bird of Prey» orientiert sich Airbus stärker an der Natur als duktionsprozesse und Methoden sowie je zuvor. verbesserter Rechenleistungen, als Wis- senschaftsdisziplin etabliert. Doch gerade die Luft- Fortwährender Lernprozess fahrt hat seit ihrer ersten Stunde von Erkenntnissen Anhand heutiger Flugzeug- und Flügelkonstruktionen aus der Natur gelernt und profitiert. lässt sich also einiges über die Bedeutung der Bionik für den Flugzeugbau ableiten. Es ist dem Menschen durch Vorbild seit der ersten Stunde die Beobachtung genialer Phänomene aus der Natur Der Vogel war, ist und bleibt natürlich das prototy- gelungen, jede Flugzeuggeneration energieeffizienter, pische Vorbild der Natur für die Luftfahrt. Der Flügel sicherer und lärmschonender zu machen. Allerdings moderner Verkehrsflugzeuge ist dabei in vielfacher muss man weder Ornithologe noch Aerodynamiker Form eine bionische Errungenschaft. Ende des neun- sein, um zu sehen, dass dieser Lernprozess noch nicht zehnten Jahrhunderts erkannte man die Bedeutung abgeschlossen ist. Im Vergleich zur Vogelwelt sind wir der gewölbten Flügelform für die Auftriebserzeugung. auch über 500 Jahre nach da Vincis Manuskript «Über Damit war der Grundstein für den bis heute andau- den Vogelflug» noch regelrechte Flugamateure. Und ernden Erfolg der Fliegerei gelegt. Doch nicht nur die zwar nicht nur in Bezug auf Agilität und Finesse, son- Tragflächenform ist eine Errungenschaft der Natur. dern ganz besonders auch im Hinblick auf die Energie- Bereits in den 1920er Jahren wurde der deutsche Aero- effizienz. dynamiker Gustav Lachmann auf eine Besonderheit des Vogelflügels aufmerksam. Ihm fiel auf, dass viele Der beste Lehrmeister Vögel besonders im Bremsflug ihren Daumenfittich an Dieser Umstand ist in den Ingenieurbüros der grossen der Vorderkante ihres Flügels nach vorne hin absprei- Flugzeughersteller hinreichend bekannt. Doch die Fort- zen. Dadurch verhindern sie, dass sich die Strömung schritte hinsichtlich Rechenleistung und Produktions- vom Flügel ablöst. Diese Beobachtung veranlasste prozessen machen es nun möglich, sich noch mehr als Lachmann zur Konstruktion der ersten Vorflügel, die bisher an der Natur zu orientieren. In der Luftfahrtin- heute in verschiedenen Ausführungen bei fast jedem dustrie ist man deshalb überzeugt davon, dass die Bio- Flugzeug zu finden sind. Ebenso ist das Prinzip der nik einen grossen Anteil daran haben wird, einige der «Winglets» den verlängerten Handschwingen aus der grössten Herausforderungen der modernen Luftfahrt Vogelwelt nachempfunden. So ziemlich alle weiteren zu lösen. In diversen spannenden Projekten wird ver- Elemente eines modernen Flügels wie zum Beispiel sucht, Phänomene der Natur auf die Luftfahrt zu über- Stör- und Landeklappen finden ebenso ihre Gegenstü- tragen. Denn gerade im Bereich der Energieeffizienz ist cke in den Gefiederpartien der Vögel. die Natur weiterhin der beste Lehrmeister. Ihre Struktu-

18 AEROPERS heute kennen, über kurz oder lang wohl ausgedient.

AlbatrossOne – flatternde Flügelspitzen Eine Version des adaptiven Flü- gels wird momentan in Form von «semi-aeroelastischen Winglets» an einem rund zwei Meter langen A321-Modellflugzeug getestet. Ideen- und Namensgeber dieses Projekts ist der Albatros. Diese Vogelart besitzt lange, schmale Flügel. Ihre enorme Spannweite von fast vier Metern macht es ihr möglich, sehr energieeffizient und kräfteschonend durch die Luft zu gleiten. Das Problem ist allerdings, dass sich diese Effi- zienz der Albatrosse nicht ohne Weiteres auf Flugzeuge anwenden Inspiriert vom Albatros erforscht Airbus die Vorteile frei schwingender lässt. Denn starre Flügel übertra- Flügelspitzen. gen bei starken Böen oder Turbu- lenzen viel Last auf den Rumpf. ren und Prozesse sind dank ihrer langen, evolutionären Zusätzliche Spannweite wirkt hier wie ein Hebel. Das hat Optimierung extrem energiesparend. Verschwendung zur Folge, dass die Basis des Flügels bedeutend verstärkt ist der Natur fremd. Von wem also, wenn nicht von ihr, werden muss, wodurch das Flugzeug schwerer wird. Wie könnte man auf der Suche nach effizienteren Flugzeug- entwürfen mehr lernen? Anzeige Bird of Prey – Raubvögel als Vorbild Wie solch ein Flugzeugdesign aussehen kann, konnte man im letzten Jahr auf der «Royal International Air Tattoo»-Flugschau im britischen Fairford bestaunen. Bei dem Regionalflugzeugkonzept «Bird of Prey» orien- tiert sich Airbus stärker an der Natur als je zuvor. Das Design ist dabei offensichtlich gleich mehrfach von der effizienten Form und der Flügelmechanik eines Raub- vogels inspiriert. So spiegelt die verschmolzene Flügel- Rumpf-Verbindung den aerodynamischen Bogen eines Adlers wider. Auch die markante Heckstruktur ist von der des Adlers inspiriert. Dieses «Split Tail»-Konzept verspricht eine feinere Flugsteuerung und reduziert den Luftwiderstand durch die Absenz eines konventionel- len Seitenleitwerks. Diese Designstudie wird natürlich nie in Serie gebaut werden. Sie basiert jedoch auf rea- listischen, durchführbaren Ideen und Forschungsergeb- nissen aus den Bereichen Hybrid-Elektro-Antrieb, aktive Steuerungssysteme und Verbundstrukturen. Dabei soll Erbschaft- und Schenkungsteuer die Bedeutung der Biomimetik für Airbus unterstrichen werden. Besonders interessant beim «Bird of Prey» sind die sogenannten «Split Wingtips», die sich an den komplexen Flügelspitzen von Greifvögeln orientieren. Bei den Split Wingtips handelt es sich um individuell ansteuerbare Flügelspitzen, die für eine aktive Flug- steuerung sorgen und dabei sowohl den Widerstand als auch den Lärm deutlich reduzieren sollen. Natürlich ist nicht davon auszugehen, dass wir in naher Zukunft gefiederte Jets am Himmel sehen werden. Jedoch spie- len aktive Steuerungssysteme und adaptive Strukturen auf der Suche nach effizienteren Verfahren eine wich- tige Rolle. Denn nach wie vor hat der Vogel gegenüber einem modernen Flugzeug einen hervorstechenden Vorteil – adaptive, dynamische Flügelstrukturen und Oberflächen. Daher hat der starre Flügel, wie wir ihn

Rundschau 2 | 2020 19 geht also der Albatros, der über die grösste Spannweite Follow the Leader im Tierreich verfügt, mit Böen und Turbulenzen um? Nicht weniger faszinierend als Raubvögel und Albat- Im Reiseflug hat der Albatros normalerweise seine Flü- rosse sind Zugvögel. Auf ihren Reisen legen sie teil- gel an der Schulter arretiert. Dadurch kann er ohne mus- weise über zehntausend Kilometer ohne Zwischenstopp kuläre Anstrengung stundenlang durch die Luft gleiten. zurück. Besonders auffällig dabei ist die V-Formation, Kommt er nun in turbulentere Zonen kann er seine Flü- in der sich die Schwärme grosser Zugvögel fortbewe- gel schnell «entriegeln» und gen. Sie hilft dabei, weite mit den Enden seiner riesigen Flugstrecken energieeffizient Flügel flattern. «So gesehen hat der zu bewältigen. Dabei wird die Dies ermöglicht es ihm ohne Energieersparnis nicht nur Probleme Böen und Turbulen- starre Flügel, wie wir ihn durch den geringeren Luftwi- zen in den Griff zu bekom- derstand realisiert. Denn bis men. Mit dem AlbatrossOne- heute kennen, über kurz auf den ersten Vogel fliegen Demonstrator erforscht Air- alle Teilnehmer der V-For- bus nun erstmals die Vorteile oder lang ausgedient.» mation im «gratis» Auftrieb von freiflatternden Flügeln der Wirbelschleppen des in realen Testflügen. Erkennt das System Turbulenzen, vorausfliegenden Vogels. In Fachkreisen wird dies als öffnet es blitzschnell ein Gelenk an den semi-aeroelasti- Wirbelschleppen-Energie-Rückgewinnung bezeichnet. schen Winglets, die bis zu einem Drittel der Flügellänge Berechnungen haben ergeben, dass Zugvögel durch die ausmachen können, und entlastet so die Tragflächen. In V-Formation durchschnittlich zehn bis fünfzehn Pro- kürzester Zeit richtet die Automatik die Flügelspitzen zent Energie einsparen. optimal zwischen maximaler Spannweite und minima- Eine zweistellige Energieeinsparnis und gratis Lift – da ler Strukturbelastung aus. Durch die reduzierten Belas- wird der findige Luftfahrtingenieur natürlich hellhörig. tungen an der Flügelwurzel entstehen gleich mehrere Unter dem Namen «fello’fly» forscht man deshalb nun Vorteile, die sich positiv auf die Energieeffizienz aus- bei Airbus, in Zusammenarbeit mit Flugsicherungen und wirken. Die «flatternden Flügelspitzen» ermöglichen es, Airlines, an der technischen und operationellen Mach- die Tragflächen und den Rumpf von vornherein leich- barkeit der Wirbelschleppen-Energie-Rückgewinnung ter zu konstruieren. Des Weiteren erlaubt das Prinzip für die Zivilluftfahrt – insbesondere für Langstrecken- die Konstruktion von längeren Flügeln. Denn je länger flüge. Denn genau wie Vögel, kreiert jedes Flugzeug Wir- der Flügel ist, desto geringer ist der Widerstand – bis belschleppen. Hierbei geht Energie verloren. Positioniert zu einem bestimmten Optimum. Durch die längeren man nun ein Flugzeug im Aufwind dieser Wirbelschlep- und leichteren Flügel versprechen sich die Ingenieure pen, liesse sich diese Energie durch das Folge-Flugzeug signifikante Treibstoffeinsparungen. Erste Tests haben zurückgewinnen. Tests von Airbus haben gezeigt, dass gezeigt, dass der AlbatrossOne sowohl mit verriegelten sich durch diese Technik Kerosineinsparnisse von bis als auch mit frei schwingenden Flügelenden stabil fliegt. zu zehn Prozent realisieren lassen würden, ohne den In einem nächsten Schritt werden die beiden Modi nun Passagierkomfort zu beeinträchtigen. Das fello’fly Pro- kombiniert getestet und der Demonstrator wird Schritt jekt beinhaltet auch die Entwicklung eines Pilotenassis- für Schritt hochskaliert. tenzsystems, das es ermöglicht, sicher und exakt die

Gratis Auftrieb – die Wirbelschleppen-Energie-Rückgewinnung.

20 AEROPERS Position hinter dem «Leader-Flugzeug» zu halten. Noch chende Eigenschaften weiter hinten eliminiert werden in diesem Jahr sind Flugtests mit zwei A350 geplant. Bei können. Versuche, den Schallschutzeffekt mit künstli- Airbus scheint man von dem Konzept schon jetzt über- chen Materialien nachzuahmen, waren bereits erfolg- zeugt zu sein, denn ein kontrollierter Entry-Into-Service reich. So lässt sich der Lärm zum Beispiel reduzieren, ist für Mitte dieses Jahrzehnts geplant. indem man die Wirkungsweise der gefransten, flexiblen Kante des Eulenflügels nachahmt. Möglich ist dies durch Der lautlose Jäger porenähnliche Öffnungen oder durch einfahrbare, elas- Nun sind energieeffizientere Technologien nicht die tische Ränder im Bereich der Flügelhinterkante. Auch einzige Aufgabe, mit der sich die Luftfahrt konfrontiert die samtartigen Daunen sind Teil der Überlegungen. sieht. Ebenso wird erwartet, dass Flugzeuge von Gene- Netzartige Überzüge im Bereich der Flügel, oder zum ration zu Generation leiser werden. Auch hierfür hat Beispiel auch am Fahrwerk, können einen Teil des ent- die Natur Lösungen parat, für deren technische Nach- stehenden Schalls absorbieren. ahmung sich Flugzeugingenieure interessieren. Das Geheimnis liegt auch hier in dynamischen Strukturen. Vielversprechender Blickfang Beim «Quiet Aircraft Technology»-Projekt der NASA Vögel sind natürlich nicht die einzigen Lebewesen, interessiert man sich diesbezüglich ganz besonders von denen wir lernen können. Auch unter Wasser sind für die Eule. wahre Experten unterwegs. Seit einigen Jahren wird Die nachtaktiven Jäger haben den lautlosen Flug evo- so zum Beispiel mit einer künstlichen Haihaut expe- lutionär perfektioniert. Geräusche entstehen im Flug rimentiert, die den Luftwiderstand reduzieren soll. Im normalerweise, wenn Luft über einen Flügel strömt. Februar dieses Jahres stellte Airbus auf der Singapur- Drei verschiedene Strukturen im Flügeldesign der Eule Flugschau ausserdem den Flug-Demonstrator «Mave- ermöglichen es ihr, diese Geräusche zu unterdrücken: ric» vor. Der Nurflügler besitzt die Form eines Manta- ein gezahnter Kamm aus steifen Federn an der Vorder- rochens. Im Vergleich zu konventionellen Flugzeugen kante, weiche Daunen an der Flügeloberseite und eine hat bei Nurflüglern der Rumpf einen deutlich grösse- flexible Hinterkante. Genau wie bei Vögeln, entsteht ren Anteil am Auftrieb des Flugzeuges. Wegen ihres auch bei Flugzeugen ein grosser Teil des aerodynami- geringen Radarschattens werden sie schon lange im schen Lärms durch Luftverwirbelungen an der Flügel- Militär eingesetzt. Im Bereich der Passagierflugzeuge vorderkante. Der gezahnte Kamm der Eule zerlegt diese ist dieses Design jedoch erst seit kurzem ernsthaft im in kleinere Mikrowirbel und sorgt dafür, dass sich der Kommen. Die breiten Flügel und das aerodynamische Luftstrom weniger ablöst. Dies reduziert den Geräusch- Design des Maveric versprechen eine Treibstofferspar- pegel, reicht jedoch noch nicht aus, um den Flug der nis von zwanzig Prozent gegenüber einem Flugzeug Eule lautlos zu machen. So schwächen die samtartigen mit konventionellem Rumpf – bei gleicher Triebwerks- Daunen an der Flügeloberseite turbulente Fluktuationen option. Dass der Nurflügler mehr als ein Aufmerksam- weiter ab und wirken wie ein nachträglicher Schalldämp- keitsmagnet ist, beweist der enorme Aufwand, den fer. Ihre Beschaffenheit und Struktur schluckt Schall Airbus für das zwei auf drei Meter grosse Testflug- besser als alle anderen bekannten Schallschutzmateri- zeug betreibt. Ein Demonstrator ist weit mehr als ein alien. Der lautlose Flug wird schlussendlich durch die Show-Flugzeug. Mit ihm lassen sich echte Flugdaten gefranste, flexible Kante am hinteren Ende des Flügels sammeln und somit aerodynamische Charakteristiken perfektioniert. Sie gleichen den Druck zwischen Ober- erforschen. Im Juni 2019 ist der Maveric zu seinem ers- und Unterseite aus, verhindern ein turbulentes Ablösen ten Testflug aufgebrochen. des Luftstroms und dämpfen den Schall. Bei der NASA, Airbus und anderen arbeitet man nun also daran, diese Bionische Zukunft Patente der Natur in die Luftfahrt zu übertragen. Von Die Liste der naturinspirierten Projekte in der Luft- der Eule hat man gelernt, dass die dominanten Geräu- fahrtbranche liesse sich noch lange weiterführen. Diese sche der Vorderkante besonders effektiv durch entspre- Fülle unterstreicht die Bedeutung, die der Bionik für die Konstruktion von nachhaltigeren Flug- zeugen zugeschrieben wird. Wie Martin Aston, Senior Manager bei Airbus und mit- verantwortlich für die «Bird of Prey»-Studie, betont: «Wir wissen von unserer Arbeit am A350XWB, dass die Natur die besten Lehr- stücke über Design liefert. Die Bionik macht uns diese zugänglich.» Dabei sind manche Projekte realistischer als andere. Einige wer- den für immer in den Schubladen verschwin- den. Doch die einzigartige Innovationskraft der Luftfahrtbranche wird dafür sorgen, dass Naturphänomene auch zukünftig einen Beitrag zu einer grüneren Luftfahrt leisten werden. Als Gustav Lachmann vor hundert Jahren am Daumenfittich eines Vogelflügels herumforschte, war ihm sicher noch nicht bewusst, dass dies zu einer Konstruktion Der Airbus Maveric – optimierte Aerodynamik durch fliessende führen wird, die heute aus der Luftfahrt Flügel-Rumpf-Konstruktion. nicht mehr wegzudenken ist. l

Rundschau 2 | 2020 21 Take action A woman beside you on the street suddenly collapses. The house next-door is on fire. Or if worse comes to worst, you are about to skid off the runway during landing. What do you do?

Text: Hans Osvalds, Captain A330/340 people behave in high stress incidents in certain ways and how you react will be dependent mainly on what You would probably say that it depends on the situa- your pre-crisis stress level is. Controlling your emo- tion, which is the truth – or at least part of the truth. tions and stress level will help as you go through the Every one of us stands the risk of experiencing an decision-making process. unexpected intrusion into our day-to-day lives. What During the decision-making process, your mind will you do about it depends on the situation, but also on most likely move through the 3D stages: whether you are prepared – both physically and men- n Denial tally. In most crisis situations there is no definite right n Deliberation or wrong way, and no perfect way – there is only the n Decisive action best we can do. The most important thing however is to do something. In almost every case, an imperfect Knowing these stages – and preparing for them plan is better than no plan, and action is better than ahead of time – can help you to recognize and deal inaction. with what is going on around you more effectively. In a crisis, your brain is quickly going to want to make some kind of decisions, and they are not always going Denial: This is not happening to be the best ones or even good ones. The human Have you ever heard gunfire in your neighborhood brain takes up only two percent of our body weight and blamed it on a firecracker? That is called denial but uses 20 percent of the body’s energy to power the and is perfectly normal since we do not want to believe communication between neurons. The reason is that in that bad things are actually happening. This is known normal cases, as many as 10 000 synaptic inputs from as social proof when we do not want to panic or look thousands of other neurons converge on a typical neu- silly, so we often look at people around us for cues ron and are then integrated by the postsynaptic cell. about what we should do (Is everyone else running and The results of this integra- screaming, or are they sit- tion, action potentials, are «Do not wait to make a ting quietly in their chairs? then transmitted down the Are others stopping to axon to the thousands of plan. If you depend on help?). Social proof is a cells to which the neuron psychological phenome- is synaptically coupled. everyone else to take care non that happens when- Stressful conditions will ever people are unsure significantly increase the of you, you are leaving out what to do. We assume number of synapses and that others around us put a strain on this energy the most important person.» know more about the situ- supply. Any disruption of ation, and so we do what this metabolic state, even a short one, can severely they do, whether or not it is the right thing to do. We disrupt the brain’s cognitive functions. In order to get also assume that other people are responsible for act- energy to the brain, the heart increases the blood flow ing, or that they have already done so, which makes so that it feeds the brain with more energy. If your it less likely for us to take responsibility when others heart rate soars above about 175 beats per minute, you are present. This is called diffusion of responsibility, are more likely to go into shutdown mode and not be and it means you are actually more likely to get help able to think clearly or act. The good news is that there when you are with a single person than when in a large are steps you can take to be a better decision-maker group of people. We are all preprogrammed to believ- in emergencies. Small things can help, for example a ing these things and therefore it is easy to deny that technique called «combat breathing» (inhale through an emergency is really happening, or that we need to your nose, hold, exhale through your mouth, hold) is do something about it. known to reduce your heart rate by 20–30 beats per minute. Eating enough so that you have high energy Deliberation: What are my options? levels instead of being tired keeps your brain in gear. Once you have recognized the emergency, you will There is science behind the way people react to stress- begin to consider your options. If you are smart, you ful situations, and if we know the basics, we can use it will have already started this process before the emer- to our advantage. gency happens and the more you have prepared, the In any situation, some things are most likely to be more options you will have to work with. totally out of your control: what kind of condition One way of preparing for a crisis situation is does the woman have, how large is the fire, how slip- called scripting and all it requires is a little imagina- pery is the runway? Some other things are however up tion. Think about the possibilities ahead of time, pay to you. Being aware of how you might react can lower attention to your surroundings and see what is avail- the brain’s metabolism rate and go a long way toward able to you. Then it is time to run different scenarios making a bad situation better. Science also tells us that in your head. How would you act in a certain crisis

22 AEROPERS Stay fit – if you are fitter, you are likely to be more rational. situation? How would a film about the situation look, shift your emotions. And if you do get mad, use that showing your actions, and you as a hero? anger as energy. Everybody hates the idea that we have to practice for emergency events but it is this practice that helps you to To summarize understand what to do or how to react when you do not n Stay fit – if you are fitter, you are likely to be more have much time. Not only can practice save your life, but rational. if you know how to save yourself, emergency respond- n Do not wait to make a plan. If you depend on every- ers on the scene can use their time and effort to save one else to take care of you, you are leaving out the others. You are one fewer person who needs assistance, most important person. and that saves lives. n Know yourself, know your situation, and be pre- pared to save your own or someone else’s life. Decisive action: It’s go time! You have registered that there is a problem and you Now is the time to put your plans into motion. Go have considered your options so what are you going to the exit, call for help, take cover, give CPR, make a to do next? The next step is of course to take decisive go-around… whatever you have decided to do. l action, but before that you should calm yourself and

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Rundschau 2 | 2020 23 Kosmische Strahlung: Interview mit der Vereinigung Cockpit In der «Rundschau» 04/2019 haben wir über die Strahlenbelastung in unserem Beruf berichtet. In einem Interview mit Christian Dratwa von der Strahlenschutzgruppe der Vereinigung Cock- pit stellen wir den Vergleich zu Deutschland an. In vielen Punkten ist die Lage in Deutschland ähnlich zu unserer, es gibt jedoch auch wichtige Unterschiede.

Text: Dominik Haug Der Grenzwert von sechs mSv pro Jahr wird nie erreicht, weil die Strahlendosis auch bei uns berech- «Rundschau»: In der Schweiz gilt der Grenzwert für net statt gemessen wird. Ausserdem wird zu dieser die Effektive Dosis von 20 mSv pro Jahr für Angestellte Berechnung noch ein Reduktionsfaktor benutzt in exponierten Berufen. (DDREF, Dose and Dose- Hierzu zählt auch die Luft- «Die Strahlendosis wird Rate Effectiveness Fac- fahrt. Ist dies in Deutschland tor), sodass die Dosis des auch der Fall? auch in Deutschland fliegenden Personals um Chrsitian Dratwa: Der den Faktor zwei zu gering Grenzwert und der Fakt, dass berechnet statt gemessen.» angegeben wird. Wir als Flugbesatzungen zu den ex- AG Strahlen fordern schon ponierten Berufen zählen, sind in Deutschland genau seit längerem, auf die Anwendung des DDREF zu ver- gleich. Auch die speziellen Regelungen für schwangere zichten, bisher leider erfolglos. Ebenso erfolglos ist Besatzungsmitglieder sind identisch. die Forderung, die Berechnungen mit Messungen zu ersetzen. Nach der Strahlenschutzverordnung in Deutschland muss die Strahlenbelastung generell minimiert werden. Bei der SWISS wird in der Planung die Strahlenbe- Bei der SWISS steht im OM A, dass ab sechs mSv der lastung nicht für alle Mitarbeiter generell minimiert, Arbeitgeber die Strahlenbelastung reduzieren muss, so wie es das Gesetz vorsieht (Strahlenschutzgesetz erst dann reduziert die SWISS die Belastung. Handelt § 8). Es wäre aber prinzipiell möglich, die Belastung die Lufthansa hier früher? für alle gleichmässig gering zu halten, unabhängig von Auch Lufthansa sieht hier keinen früheren Hand- der absoluten Belastung für den einzelnen Mitarbeiter. lungsbedarf. Wie sieht das in Deutschland aus? Auch die LH-Einsatzplanung arbeitet nicht nach Die SWISS nimmt Standardwerte zur Berechnung der Strahlenschutzgrundsätzen. Im CBT zum Strahlen- Belastung für ihre Mitarbeiter an. Ist das bei euch aus so? schutz wird den Crews der Tipp gegeben, den Wech-

«Leider ist das Strahlenschutz-Bewusstsein in der Aviatik noch sehr gering ausgeprägt.»

24 AEROPERS sel auf ein Langstreckenmuster hinauszuzögern oder weniger strahlenbelastete Flüge zu wünschen (Kurz- Die AG Strahlenschutz der Ver- strecke, Flüge nach Süden). Dies ist ziemlich lächer- einigung Cockpit besteht aus lich. Da allerdings die Grenzwerte nicht erreicht sechs Mitgliedern, die sich alle werden, wird kein Handlungsbedarf erkannt. Durch zwei Monate zu einer Sitzung das Strahlenschutzgesetz sind nun alle beteiligten Per- und einmal jährlich zu einer sonen, auch die Einsatzplanung, zu einer Fachkunde mehrtägigen Klausur treffen. verpflichtet. Ob dies eine Verbesserung bringen wird, Die Tätigkeit erfolgt ehren- bleibt abzuwarten. amtlich und unentgeltlich. Die Themenbereiche umfassen den Wir als AEROPERS versuchen unsere Mitglieder mit Schutz der Besatzungen vor regelmässigen Beiträgen für das Thema zu sensibili- ionisierender Strahlung und UV-Strahlung. sieren. Leider sind sich viele Mitglieder der Problem- Christian Dratwa ist A320-Kapitän bei der Luft- atik nicht sehr bewusst. Was unternehmt ihr, um das hansa und seit ungefähr zwei Jahren in der AG. Er Thema präsenter zu machen? hat unter anderem an der European Space Weather Auch bei uns ist das Strahlenschutz-Bewusstsein Week 2019 in Lüttich, Belgien, teilgenommen. leider sehr gering ausgeprägt. Zum einen durch die jahrelange Verharmlosung durch die Lufthansa und zum anderen, weil sich kaum jemand mit der Thema- Auch bei Airbus- und Boeing-Flugzeugen ist eine tik auseinandersetzt und auseinandersetzen will. Wir gewisse UV-A-Durchlässigkeit gegeben. Manche Cock- versuchen, dieses Bewusst- pitscheiben filtern viel UV-A- sein etwas aufzubauen, auch Strahlung heraus, manche durch regelmässige Beiträge «Die LH-Einsatzplanung weniger. Leider ist nicht in der «VC-Info». Weiterhin bekannt, welche Scheibe wie bieten wir einen E-Mail-News- plant nicht nach Strahlen- viel herausfiltert – auch bei letter an, mit dem wir bei Er- der Lufthansa Technik nicht. eignissen mit erhöhter Strah- schutzgrundsätzen.» Wir beschäftigen uns auch lenbelastung – beispielsweise mit der UV-Strahlung, und Solar Flares – aktuell infor- es gibt einige Fälle von Ke- mieren. Unsere Strahlenschutz-Policy ist auf der ratosen oder Hautkrebs, die darauf zurückzuführen Website der Vereinigung Cockpit nachzulesen, diese sein könnten. Allerdings besteht auch hier das Prob- Möglichkeit wir aber kaum genutzt. lem, dass es zu wenige Fälle gibt und eine Anerken- nung als Berufskrankheit sehr schwierig zu erreichen Woher bezieht ihr eure Quellen zur aktuellen Strah- ist. Wir sind aber auch hier am Ball. lenbelastung? Unsere Quellen sind diverse Newsletter der NOAA Laut SWISS Medical Services gibt es im Vergleich (National Oceanic and Atmospheric Administration) zur durchschnittlichen Bevölkerung nur eine minimal und deren SWPC (Space Weather Prediction Cen- erhöhte Anzahl an Hautkrebsfällen bei Piloten. Dies tre). Dazu noch ein EASA SpaceWeather Bulletin, mit könnte aber auch am unterschiedlichen Lebenswan- Werten von AVIDOS (Aviation Dosimetry) beispiels- del liegen. Gibt es Daten, wie das bei euren Piloten weise. aussieht? Die Lufthansa trifft in ihrem CBT die Aussage, dass Ich bin gerade dabei, mit einem eigenen Dosimeter in medizinischen Studien keine erhöhte Zahl der diese Standardwerte zu überprüfen. Habt ihr auch Krebsfälle durch die Höhenstrahlung messbar ist. schon mal eigene Messungen gemacht? Uns liegen jedoch Studien mit anderen Aussagen vor. Nein, weil leider die Schwierigkeit besteht, dass Viele Fälle werden nach Pensionierung von der Statis- Lufthansa diese Werte nicht anerkennen würde. Unter tik nicht mehr erfasst, belastbare Zahlen sind also Umständen könnten sogar wegen eines nicht für die schwer zu bekommen. Luftfahrt zugelassenen Gerätes Probleme entstehen. Das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raum- Vielen herzlichen Dank für das Interview. l fahrt) befürwortet die Berechnungsmethode stark und ist anderen Studien und Meinungen nicht zugänglich. Und das DLR ist einer der Hauptberatungsquellen der Lufthansa.

Bei einer stichprobenartigen Messung im Januar und Februar zeigt sich bisher, dass die Standardwerte recht gut zu stimmen scheinen. Allerdings betrifft dies bisher nur den Nordatlantik. Eine weitere Strahlen- quelle ist die UV-Strahlung. Ich habe in der Recherche herausgefunden, dass bei Turboprop-Maschinen nicht die gesamte UV-Strahlung durch die Cockpitfenster herausgefiltert wird. Habt ihr Daten zu Airbus- und Boeing-Maschinen? Offizielle Informationen dazu sind schwierig zu finden.

Rundschau 2 | 2020 25 «Go-ahead» – Ein Simulator-Training der besonderen Art Simulator-Training gehört in der Aviatik schon seit vielen Jahren zum Alltag. Inzwischen gibt es aber auch andere Branchen, die die Vorteile des Simulator-Trainings für sich entdeckt haben. Zu Besuch bei einer Firma, die sich der Simulation auf dem Gebiet der Medizin verschrieben hat.

Text: Gaby Plüss «Simulatoren für Training und Ausbildung in der Medi- zin» ein. Zudem erstelle ich eine Liste mit Fragen, die Wir schreiben Frühling 2019. Ich habe einen Termin ich vor Ort stellen möchte. Daneben recherchiere ich beim Arzt, der mich vor kurzem an meiner lädierten stundenlang im Internet. Dabei lande ich jedes Mal über Schulter operiert hat. Da mich das Thema schon län- kurz oder lang wieder bei VirtaMed. Dies führt mich ger interessiert, frage ich ihn, zur Annahme, dass es sich bei ob in der Medizin heutzutage dieser Firma vermutlich nicht auch mit Simulatoren trai- «Es existiert keine bloss um ein Leichtgewicht niert wird. Er bejaht mir diese auf dem Gebiet der medizini- Frage nicht nur, sondern offe- Aufsichtsbehörde für schen Simulation handelt. riert mir im gleichen Atem- Leicht nervös warte ich im zug, die Besichtigung eines chirurgische Tätigkeiten.» Sommer 2019 in Schlieren auf solchen Simulators zu organi- meinen Arzt. Er begleitet mich sieren. Klar lasse ich mir eine auf meiner Besichtigung und solche Gelegenheit nicht entgehen. Umso mehr, als wird mir bei meinen eigenen Gehversuchen hoffentlich dass er mir in Aussicht stellt, auch gleich selbst Hand ein wenig zur Seite stehen. Ferner wird er mir sicher anlegen zu dürfen. auch die eine oder andere Frage auf meiner Liste beant- Im Gegensatz zu all meinen bisherigen Artikeln, wage worten können. Schliesslich ist er schon seit Jahrzehn- ich mich mit diesem Text an ein Gebiet, von dem ich ten als international anerkannter orthopädischer Chir- absolut keine Ahnung habe. Entsprechend fällt auch urg und Sportmediziner tätig und verfügt über einen meine Vorbereitung um einiges umfangreicher aus, als entsprechenden Erfahrungsschatz. ich es gewohnt bin. Um mich auf meinen Besuch bei der Martina Vitz, Head of Training and Education, begrüsst Firma VirtaMed in Schlieren bestmöglich einzustimmen, uns herzlich zu unserem Besuch. Sie wird uns durch den lese ich mich auf deren Homepage gründlich ins Thema Nachmittag begleiten. Zuerst gibt sie uns einen kurzen Überblick über die Firmengeschichte. 2007 aus einem ETH-Spin-off gegründet, ist die Firma heutzutage im Bereich Arthroskopie-Simulatoren weltweit führend. An den drei Standorten Schlieren, Tampa und Shanghai arbeiten rund 120 Mitarbeiter. Dabei decken sie sämtli- che Bereiche selbst ab. Dazu gehören etwa Grundlagen- forschung, Hard- und Softwareentwicklung, Produktion und Simulator Assembly, Product Management, Mar- keting, Finance, Verkauf, Versand und Administration. Martina Vitz schätzt, dass weltweit zwischen 700 und 1000 ihrer Simulatoren im Einsatz sind. Leser, die sich detaillierter für die Firmengeschichte von VirtaMed inte- ressieren, können einen Blick auf deren Homepage wer- fen. Die wichtigsten Meilensteine sind in einer lesens- werten Timeline zusammengefasst.

Eine Plattform, diverse Anwendungsmöglichkeiten VirtaMed bietet Simulatoren für die Bereiche Ortho- pädie, Geburtshilfe und Gynäkologie, Laparoskopie und Urologie an. Die Plattform, auf der das jeweilige Gerät aufbaut, ist dabei stets dieselbe. Da mein Arzt ein orthopädischer Chirurg ist, haben wir uns bei unserem Besuch auf die orthopädische Chirurgie beschränkt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb auch nur auf dieses Gebiet. Am Arthroskopie-Simulator ArthroS lassen sich Ein- griffe am Sprunggelenk, am Knie, an der Hüfte und Die Plattform für Arthroskopie-Simulation mit den an der Schulter trainieren. Ein Zusatz zum Kniemodul verschiedenen Modulen. Links unten ist das Basis- erlaubt es, die Rekonstruktion des vorderen Kreuzban- Modul FAST abgebildet. des zu schulen. Der Wechsel zwischen den einzelnen

26 AEROPERS Modulen dauert dabei keine Minute. Gearbeitet wird mit angepassten Originalinstru- menten aus dem OP. Zum Einsatz kommen unter ande- rem Arthroskop, Tasthaken, Fasszange, Punch und Shaver. Die Instrumente entsprechen in Funktionalität und Anwen- dungsweise den Originalen. Dadurch kann sich der Trai- nee bereits am Simulator mit den Standardabläufen und den Routinehandgriffen von Operationen vertraut machen. Dies erleichtert den anschlies- senden Wechsel in den OP beträchtlich. Dank magnetischem Tra- cking ermöglicht der Simula- tor ein realistisches Tastgefühl und liefert haptisches Feed- back. Hochrealistische HD- Eine Trainings-Situation am Simulator. Grafiken lassen sich praktisch nicht von Originalaufnahmen unterscheiden. Zudem schirm. Dabei kommen auch spielerische Methoden zum verfügt der Simulator über zusätzliche Hilfselemente Einsatz. So kann man beispielsweise mit der Kamera vir- wie Aussenansichten des Gelenks, farbige Hinweise tuelle Sterne suchen und sie mittels Fasszange einsam- und Schatteninstrumente. Diese zeigen den Trainees, meln und in einem Gefäss deponieren. Oder man schult wie sie verschiedene Aufgaben ausführen sollen – seine Fähigkeiten, indem man eine Runde Tetris spielt. inklusive der Handhabung der Instrumente und der Im Gegensatz zu den anatomischen Modellen liefert der Durchführung der einzelnen Schritte. Falls nötig, zeigt FAST jedoch kein haptisches Feedback. Er gibt während der Simulator während der Übung auch Korrekturhin- der Übung aber auch Rückmeldungen, ob zum Beispiel weise. Wird etwa mit einem Instrument zu viel Druck das Bild korrekt zentriert ist. ausgeübt oder zu viel Knorpel entfernt, erfolgt eine entsprechende Rückmeldung. Selbstverständlich kön- Zielpublikum nen auch diverse Komplikationen eingebaut werden. Zielpublikum für ein Training an einem ArthroS sind So kann der Ausbildner zum Beispiel auf Knopfdruck in erster Linie angehende Fachärzte. Seit 2013 kommt eine Blutung im Gelenk simulieren, was sich – aviatisch der Simulator auch bei mündlichen Abschlussexamen gesprochen – durchaus mit einem CAT-3-Approach für den Facharzttitel zum Einsatz. Dabei müssen die vergleichen lässt. Kandidaten ihre arthroskopischen Fähigkeiten während Dank einer grossen Auswahl an Übungen lassen sich der Prüfung am Simulator unter Beweis stellen. individuelle Lehrpläne erstellen. Während der einzel- Daneben eignet sich der Simulator, je nach Thema, nen Übungen protokolliert der Simulator eine Vielzahl auch für gestandene Fachärzte, die ihre manuellen Fer- von Daten. Nach Abschluss der Übung ist so eine genaue tigkeiten zwischen einzelnen Eingriffen zusätzlich trai- Auswertung möglich. Diese zeigt zum Beispiel die für nieren möchten. So kann ein Hüftspezialist am Simula- die Aufgabe benötigte Zeit, die Bewegungen sämtlicher tor etwa einen Zugang zum Gelenk beliebig oft legen. Instrumente oder die mit der Kamera zurückgelegte Beim Training an einer verstorbenen Person ist das hin- Distanz auf. Für jede Übung sind Zielwerte definiert. gegen nur ein einziges Mal möglich. Dadurch lässt sich die Performance der Trainees mes- Ebenfalls zum Zielpublikum gehören Industriekun- sen und der Lernfortschritt dokumentieren. den, die ein neues OP-Instrument auf den Markt bringen möchten. Deren Mitarbeiter müssen ein solches Instru- Basismodul ment den Ärzten vorführen können, was eine entspre- Nebst den anatomischen Modellen gibt es auch ein chende Schulung voraussetzt. Basismodul namens FAST (Fundamentals of Arthrosco- pic Surgery Training). Anstelle eines anatomischen Simulator versus Patienten Modells sieht der FAST für mich ein bisschen wie ein Das Training am Simulator lässt einen zeitweise fast «quer halbiertes, weisses Ei mit diversen schwarzen vergessen, dass man es nicht mit einem echten Patien- Punkten auf der Oberfläche» aus (siehe Bild). Bei den ten zu tun hat. So können Trainees am Simulator nicht «schwarzen Punkten» handelt es sich um die Eingänge nur handwerkliche Fähigkeiten trainieren, sondern auch für die diversen Instrumente. in strategischem Denken geschult werden. Manuell ler- Am FAST können Anfänger zu Beginn ihres Trainings nen sie beispielsweise, wie ein neues Kreuzband veran- die beidhändigen Basic Skills der arthroskopischen kert wird oder wie sie defekten Knorpel entfernen. Stra- Chirurgie erlernen und trainieren. Diese beinhalten tegisch gesehen lautet die entsprechende Fragestellung, gleichzeitige Kameraführung, Orientierung im Gelenk, wo das Kreuzband verankert, respektive wie viel defek- Instrumentenbenutzung und optische Kontrolle am Bild- ter Knorpel entfernt werden muss.

Rundschau 2 | 2020 27 einzelnen Gruppen durchaus einen gewis- sen Einfluss haben. Dass sich die Medizin der Wichtigkeit von CRM inzwischen sehr wohl bewusst ist, beweist auch das Unispital Zürich. Die- ses betreibt ein Simulationszentrum, das unter anderem spezielle Teamtrainings anbietet. Diese sind besonders auf die Bedürfnisse von Ad-hoc-Teams ausgerich- tet, in denen die Mitglieder immer wieder in neuen Zusammensetzungen arbeiten. Dabei wird immer interprofessionell und je nach Lernzielen auch interdisziplinär trainiert. Wer mehr dazu erfahren möchte, findet die entsprechenden Informationen auf der Homepage des Simulationszent- Im linken Teil die runde Ansicht, wie sie sich auch im OP präsentiert. rums. Die rechteckigen Fenster sind Teil der Hilfselemente, über die der Simulator zusätzlich verfügt. Legale Aspekte Eines der Themen, das mich ebenfalls Dennoch hat der Simulator Grenzen. Die menschliche interessierte, war die Frage nach legalen Aspekten in Komponente lässt sich trotz modernster Technik nicht der Medizin. Genauer gesagt wollte ich wissen, ob es abbilden, obwohl sie einen nicht zu unterschätzenden eine Aufsicht analog BAZL gibt und wie es mit Mindest- Einfluss auf die Strategie hat. Stellt man einen schlan- fallzahlen pro Operateur aussieht. Schliesslich müssen ken, sportlichen Mittzwanziger einem übergewichtigen, wir Lotsen, nebst anderem, auch eine Mindestzahl von kettenrauchenden Endsechziger gegenüber, ist die Stra- Arbeitsstunden pro Kontrollsektor vorweisen, damit tegie nicht die Gleiche, auch wenn beide mit dem sel- unsere Berechtigungen nicht verfallen. ben Befund konfrontiert sind. Vergleichen lässt sich das Laut meinem Arzt existiert keine Aufsichtsbehörde für etwa mit den Unterschieden, die wir zwischen einzelnen chirurgische Tätigkeiten. Aber es gibt eine Weiterbildungs- Fluggesellschaften immer wieder feststellen. Obwohl pflicht. Genauer gesagt muss der Nachweis von gewissen der gleiche Flugzeugtyp geflogen wird, kann das Speed Weiterbildungspunkten gegenüber Fachverbänden und Management im Endanflug recht unterschiedlich ausfal- der Ärztekammer erbracht werden, um die Zulassung zu len. Um diese Feinheiten entsprechend zu berücksichti- behalten. Ferner besteht im Kanton Zürich für gewisse gen, braucht es Erfahrung aus dem Livebetrieb – je mehr Operationen eine Mindestzahl, die ein orthopädischer desto besser. Chirurg vorweisen muss, damit er diese Eingriffe über- haupt vornehmen darf. Für das erstmalige Einsetzen einer CRM-Aspekte Knie- oder einer Hüftprothese liegt diese bei 15 Opera- Der Simulator, den ich besuchen durfte, ist haupt- tionen pro Jahr. Für den Austausch von solchen Prothe- sächlich für handwerkliches Einzeltraining ausge- sen beträgt die Mindestzahl 50 Eingriffe pro Jahr. Zudem legt. CRM-Aspekte stehen bei diesem Training nicht muss ein angehender Facharzt auf dem Gebiet der ortho- an erster Stelle. Trotzdem können sie ins Training pädischen Chirurgie eine Mindestanzahl von Operationen einfliessen. So kann der Ausbildner zum Beispiel mittels Kommunikation, wie sie im OP stattfindet, den Teamaspekt in das Training einbauen. Dadurch kann sich der Trainee mit gewissen Abläufen bereits im Simulator so weit vertraut machen, dass er sie im OP ohne grosse Erklärungen aus- führen und zum hoffentlich erfolgreichen Ausgang einer Operation beitragen kann. Aviatisch gesprochen lässt sich das bei- spielsweise mit einem Missed Approach vergleichen. Wenn es dazu kommt, wis- sen alle Beteiligten ohne grosse Diskussi- onen, was zu tun ist. Die Handgriffe und Abläufe müssen sitzen, diskutieren und debriefen kann man nach erfolgreicher Landung. Daneben können Trainees auch zu zweit an einem Simulator trainieren. Während der eine das handwerkliche Training ausführt, kann der andere unterstützend zur Seite stehen und sich so am Resultat beteiligen. Trainieren mehrere Gruppen nebeneinan- Links eine Simulatorgrafik, rechts die entsprechende der, kann das auf die Dynamik innerhalb der Originalaufnahme.

28 AEROPERS durchführen, bevor er den Fach- arzttitel erlangen kann.

Eigene Gehversuche Wie eingangs erwähnt, durfte ich auch ein wenig Hand anlegen. Meine Versuche beschränkten sich dabei auf das Basismodul FAST. Ich war damit bereits bes- tens ausgelastet und teilweise auch ein wenig überfordert. Ich behaupte, sagen zu dürfen, dass ich ein gutes räumliches Vorstellungsvermögen habe, ist dieses doch eine der Grundvor- aussetzungen für meinen Beruf. Trotzdem empfand ich es als sehr anspruchsvoll, schon nur die verschiedenen Instrumente in die vorgegebenen Richtungen zu führen und dabei gleichzei- tig die eine oder andere Auf- gabe zu erfüllen. Als schwierig empfand ich speziell die Tat- sache, dass man zwar mit den Für den Simulator angepasste Originalinstrumente. Händen arbeitet, die Arbeit aber auf dem Bildschirm überwachen muss. Spass hatte ich unkonventionelle Lösungsansätze ausprobieren und dennoch eine ganze Menge, fühlte ich mich beim Ein- Grenzen ausloten oder sogar bewusst überschreiten, sammeln der virtuellen Sterne zeitweise doch ein wenig ohne gleich gravierende Konsequenzen befürchten zu in die gute alte Gameboyzeit zurückversetzt. müssen?

Flächendeckendes Simulator-Training [email protected] Flächendeckendes Simulator-Training gehört in der Während ich diese Zeilen verfasse, befinden wir uns Aviatik schon seit vielen Jahren zum Alltag. Die Vorteile mitten im Lockdown in der Woche vor Ostern. Eigent- liegen dabei klar auf der Hand. Auch nach über 25 Jah- lich hätte ich an dieser Stelle gerne etwas über den Aus- ren profitiere ich immer noch tausch mit Piloten von Chair vom Simulator-Training und Airlines geschrieben. Geplant den dazu gehörenden Debrie- «Man schult seine war, dass Chair uns ab April fings. Dass sich angehende Observerflüge anbietet und die Fachärzte die nötigen Fertig- Fähigkeiten, indem man Chair-Piloten uns als Observer keiten heutzutage – zumindest auf eine Schicht begleiten. Lei- teilweise – im Simulator aneig- eine Runde Tetris spielt.» der hat uns das Corona-Virus nen können, bevor sie es mit einen dicken Strich durch die echten Patienten zu tun bekommen, empfinde ich des- Rechnung gemacht. Flüge sind absolute Mangelware, halb als sehr beruhigend. Damit verbessern sie nicht nur und Besucher dürfen wir bis auf Weiteres keine mehr ihre persönlichen Fähigkeiten, sondern tragen so auch empfangen. einen nicht unerheblichen Anteil zur Verbesserung der Doch selbst ohne Verbot wäre ein Besuch bei uns im Patientensicherheit bei. Moment nicht sehr spannend. Als Folge des Lockdowns Trotzdem hat sich das Simulator-Training in der Medi- ist das Verkehrsvolumen um rund 90 Prozent eingebro- zin noch längst nicht flächendeckend durchgesetzt. Vor chen, und wir sind – wie viele andere auch – von Kurzar- allem Weiterbildungen von gestandenen Fachärzten fin- beit betroffen. Hätte ich im Januar prophezeit, dass wir den praktisch keine am Simulator statt. Dass dies aber vormittags um 11 Uhr bald ein leeres Radarbild sehen durchaus wünschenswert wäre, zeigt etwa ein Erfah- werden, wäre ich vermutlich für komplett verrückt rungsbericht eines Arztes an einer Klinik in Bonn. Darin erklärt worden. Doch genau dieses Bild hat sich mir schreibt er, dass er sich als erfahrener Anwender als nur Anfang April präsentiert. Total surreal und fast schon bedingt geeignet für das Simulator-Training einschätzte. zum Weinen. Er sei jedoch rasch eines Besseren belehrt worden und Ebenfalls vorläufig dem Corona-Virus zum Opfer habe selbst als Fortgeschrittener das eine oder andere gefallen ist unser Stammtisch. Wann wir den Anlass fort- Aha-Erlebnis gehabt. setzen können, steht momentan noch in den Sternen. Es bleibt zu hoffen, dass es nur noch eine Frage der Solange Abstandsregeln gelten, macht eine Durchfüh- Zeit ist, bis das Simulator-Training auch in der Medi- rung keinen Sinn. Wir werden aber auf jeden Fall regel- zin weltweit zum Alltag gehört. Dass dies nicht scha- mässig via AEROPERS über den aktuellen Stand der den kann, beweist die Aviatik schon seit vielen Jahren. Dinge informieren. Bis dahin bin ich selbstverständlich Wo, wenn nicht im Simulator, können wir auch einmal weiterhin per E-Mail erreichbar und freue mich über jeg- eingeschliffene Verhaltensmuster kritisch hinterfragen, liche Zuschriften. l

Rundschau 2 | 2020 29 Rückspiegel In dieser Rubrik wird eine Auswahl von Kommentaren über Luftverkehr und Flughäfen präsentiert.

Text und Bilder: Thomas O. Koller, Vizepräsident Komitee «Weltoffenes Zürich»

Zentrale Bedeutung der Mobilität 10. März 2020

Die Krise rund um das Corona-Virus belegt, von welch zentraler Bedeutung die Mobilität für unsere Gesellschaft ist. Deren Einschränkung führt zu sozi- alen und wirtschaftlichen Erschütterungen unge- ahnten Ausmasses. Die Krise zeigt schlaglichtartig, was geschieht, wenn wir das Rad der Zeit zurückdre- hen und das durch die globale Mobilität gewonnene gesellschaftliche, kulturelle und ökonomische Poten- zial «auf die Halde werfen». Unabhängig davon, wie sich die Krise um das Virus weiterentwickelt, müs- sen wir deshalb darüber nachdenken, wie wir den Edelweiss A340 in San José, Costa Rica, vor dem globalen Austausch von Ideen und Gütern, wie wir Heimflug in die Schweiz. den unmittelbaren gesellschaftlichen Kontakt über alle Grenzen hinweg weiterhin garantieren können. Die Menschen vertrauen darauf: Denn globaler Aus- tausch und weitgespannte kulturelle Kontakte sind Corona und die Kaffeeküche unerlässliche Voraussetzungen für Prosperität und 30. März 2020 Wohlstand. Homeoffice ist das Gebot der Stunde. Zahllose Besprechungen laufen über «Skype», «Zoom» und Konsorten. Das funktioniert auch ganz gut. Nur eines kann diese Art Kommunikation nicht: Nähe vermitteln, Emotionen transportieren oder Zwi- schenmenschliches zulassen. Thomas von Wald- kirch, einer der Väter des Zürcher Technoparks, hat einmal gesagt: «Der kreativste Ort im Technopark ist nicht das Labor, sondern die Kaffeeküche.» Das bringt es auf den Punkt. Der zwischenmenschli- che Kontakt setzt eine besondere Energie frei. In der direkten Begegnung wächst Vertrauen, werden Kompromisse geschmiedet und werden innovative Lösungen gefunden. Genau deshalb wird unsere Gesellschaft ohne die individuelle Mobilität auf Dauer nicht funktionieren. Weder kleinräumig noch international. Darum brauchen wir Luftverkehr – Sorge in der Zeit 23. März 2020

«Sorge in der Zeit, dann hast du in der Not.» Das gilt auch für die internationale Anbindung der Schweiz. Dass wir in der aktuellen Krise auf Fluggesellschaf- ten abstützen können, die aus der Schweiz heraus operieren, erweist sich als extrem wertvoll. Die SWISS und ihre Schwestergesellschaft Edelweiss führen im Auftrag des Bundes Repatriierungs- und Frachtflüge durch. Wir sind sicher, dass alle, die irgendwo in der Welt «gestrandet» sind, das ebenso zu schätzen wis- sen wie ihre Angehörigen! Es ist sicher nicht falsch, wenn wir uns auch dann noch daran erinnern, wenn diese Krise überwunden ist.

30 AEROPERS auch in der Zukunft. Stellen wir also sicher, dass die Schweizer Luftfahrt eine faire Chance erhält, diese komitee existenzbedrohende Krise zu überstehen. weltoffenes zürich

Kuhhandel kontraproduktiv! 23. April 2020 Das Komitee «Weltoffenes Zürich» vertritt Wirt- schaftsinteressen. Die Pflege der internationa- Die Corona-Pandemie für einen Kuhhandel «Bürg- len Verkehrsanbindung der Schweiz, namentlich schaftskredite gegen Ticketabgaben» zu missbrau- die Stärkung der Konkurrenzfähigkeit des Hubs chen, ist nicht zielführend. Zum Ersten: Die Ein- Zürich, steht im Zentrum der Arbeit. Medien- und führung von Ticketabgaben unter ökologischem Öffentlichkeitsarbeit sowie systematische Interes- Vorwand und die gleichzeitige Unterstützung der senvertretung gegenüber Politik und Verwaltung Schweizer Luftfahrt für die Bewältigung der Covid- definieren das Tätigkeitsspektrum auf kantonaler 19-Verwerfungen sind in sich widersprüchlich. und nationaler Ebene. Die eine Hand gibt, die andere nimmt sofort wie- Thomas O. Koller, Kloten, ist Vizepräsident des der. Das ist barer Unsinn. Zum Zweiten: Niemand Komitees «Weltoffenes Zürich» und führt dessen sträubt sich gegen Massnahmen für eine umwelt- Geschäfte. Hauptberuflich ist er Inhaber einer PR- verträglichere Luftfahrt. Aber wenn, dann bitte so, Agentur in Zürich. dass es etwas bringt! Jeder innereuropäische Flug ist im Durchschnitt 50 Kilometer länger als er sein müsste. Der Grund: Der europäische Luftraum wird Die Beiträge auf diesen Seiten von 37 Flugverkehrsleitungen in 60 Kontrollzentren wurden erstmals auf Facebook überwacht. Die Kosten dieser Zersplitterung: Vier publiziert. Für den direkten Milliarden Euro pro Jahr und Umweltauswirkungen, Link den Bildcode per Smart- die einfach zu vermeiden wären. Es braucht keine phone mit einer entsprechen- unnütze Flugticketabgabe. Es braucht bloss den den QR-App scannen! politischen Willen, den europäischen Luftraum effi- zient zu bewirtschaften. Weitere Informationen: www.weltoffenes-zuerich.ch

struktur unseres Landes aufzufangen. Es geht darum, das vollständige Grounding der Schweizer Luftfahrt abzuwenden. Dass die Mobilität langfris- tig möglichst nachhaltig organisiert werden muss, daran zweifelt niemand, auch die Luftfahrt nicht. Im Gegenteil, gerade die Schweizer Airlines enga- gieren sich mit Milliardenbeträgen für topmoder- nes, umweltschonendes Fluggerät. Und das nicht erst, seitdem die Grünen den Luftverkehr als poli- tisches Thema entdeckt haben.

Gegroundete Fluggeräte der SWISS, Edelweiss, und Helvetic in Dübendorf.

Kuckuckseier und Erpressungsversuche 5. Mai 2020

Ideologische Kuckuckseier im Luftfahrtgesetz und klimapolitische Erpressungsversuche – so operier- ten die Grünen in der Debatte um die «Dringliche Änderung des Luftfahrtgesetzes angesichts der Covid-19-Krise». Mit Verlaub: Sie sind im «falschen Film». Zum Glück hat dies das Parlament auch so gesehen. Es ging und geht bei dieser Gesetzes- Die brandneue Embraer 190-E2. 17 Prozent anpassung nicht um das Klima, sondern darum, weniger CO2-Ausstoss pro Pax-Kilometer gegen- die existenzielle Bedrohung einer Schlüsselinfra- über dem Vorgängermodell.

Rundschau 2 | 2020 31 Zeitreise Ein Rückblick über wichtige, erheiternde oder auch banale Facts aus 100 Jahren Luftfahrtgeschichte. Von April bis Mai …

Text: Oliver Reist zu der damaligen Zeit undenkbar. Auch das Fahrwerk bot ein erhebliches Potenzial zu Gewichtseinsparung. … vor 65 Jahren Kurzfristig wurde sogar erwogen, den Prototypen nur Anfang der 1950er Jahre kehrten deutsche Raketen- mit Kufen auszurüsten. Schlussendlich erhielt die U-2 in wissenschaftler zurück, die nach dem Ende des Zwei- der Rumpfmitte und im Heck ein einziehbares Doppel- ten Weltkriegs in die Sowjetunion verschleppt worden rad. Zum Starten wurden Stützräder am Flügel montiert, waren. Sie berichteten der CIA, dass in der Gegend die abgeworfen werden konnten. Am 1. August 1955 des Kaspischen Meeres ein Raketentestgelände erbaut begannen die ersten Rollversuche. Der Flügel erzeugte wurde. Um die Bedrohung einschätzen zu können, benö- allerdings mehr Auftrieb als erwartet und die U-2 hob tigte der US-Nachrichtendienst dringendst Luftaufnah- bereits bei einer Geschwindigkeit von 70 Knoten ab. Es men und gelangte mit dieser Forderung an die US Air gelang dem Testpiloten Tony LeVier, der bereits den Force. Die amerikanische Luftwaffe hatte jedoch keine Erstflug des Starfighters absolviert hatte, die U-2 halb- Flugzeuge, um unerkannt strategische Aufklärungsflüge wegs kontrolliert zu landen. Drei Tage später fand der durchzuführen. Seit zwei Jahren tobte der Stellvertreter- offizielle Erstflug statt. Kurz vor 4 Uhr nachmittags krieg der beiden Grossmächte in Korea. Spionageflüge war es so weit. Trotz des herannahenden Gewitters ent- über der Sowjetunion waren deshalb politisch äusserst schloss sich die Crew, den Testflug durchzuführen. delikat und mussten unbemerkt bleiben. Unter dem LeVier äusserte sich enthusiastisch über den Flugfunk: Projektnamen «Bald Eagle» wurden die Flugzeugher- «It flies like a baby buggy.» Doch die Probleme began- steller Bell, Fairchild und Martin Aircraft eingeladen, ein nen bei der Landung. Um keinen Strömungsabriss zu Konzept für ein Flugzeug zu entwerfen, das eine Höhe provozieren, erhielt LeVier die Anweisung, dass die U-2 von 70 000 Fuss mit einer Nutzlast von 310 Kilogramm zuerst mit dem Hauptfahrwerk aufsetzen müsse. Er erreichen konnte. Bei der CIA ging man davon aus, dass folgte den Vorgaben des Konstrukteurs, obwohl er eine die sowjetischen Radare Objekte auf dieser Höhe nicht andere Meinung hatte: «It should be brought in to a two erfassen konnten. Da es sich bei der Ausschreibung point landing just like any taildragger.» Beim ersten Lan- um einen eher kleineren Auftrag handelte, wurden die deversuch schwebte die U-2 fast über die ganze Piste, grossen Rüstungsfirmen nicht berücksichtigt. Einzig um nach einer Bodenberührung gleich wieder abzuhe- der Flugzeughersteller Lockheed konnte dank guten ben. Der zweite Versuch war nicht besser. Das Gewitter Verbindungen zum Pentagon einen Entwurf einreichen. näherte sich währenddessen bedrohlich dem Flugplatz. Bis heute verfügt Lockheed über eine geheimnisumwit- Erst der fünfte Versuch klappte. Bei hohem Anstellwin- terte Entwicklungsabteilung (Lockheed Advanced Deve- kel, kurz vor dem Strömungsabriss, setzte er mit allen lopment Programs), die unter dem Pseudonym «Skunk Rädern gleichzeitig auf. Zehn Minuten Später ergoss Works» bekannt ist. Erfolgreiche Projekte wie der P-80 sich dass Gewitter über den Flugplatz. Shooting Star oder der XF-104 Starfighter wurden dort unter der Führung des brillanten Konstrukteurs Clarence «Kelly» Johnson innert kürzester Zeit realisiert. Unter der Bezeichnung CL-282 präsentierte Johnson innerhalb von wenigen Wochen einen einfachen wie genialen Ent- wurf. Er nahm den Starfighter als Grundlage und ver- dreifachte die Spannweite des Flügels. Da die Air Force auf die Verwendung eines anderen Triebwerks bestand, wurde der Lockheed-Entwurf abgelehnt. Johnson gab nicht auf und überzeugte die CIA von seinem Konzept. Lockheed erhielt den Auftrag unter der Bedingung, dass das von der Air Force favorisierte – und bezahlte – Pratt & Whitney J57-Triebwerk verwendet wurde. Die restlichen Entwicklungskosten übernahm die CIA. Der Zeitplan war ambitiös. Johnson hatte versprochen, dass der erste Prototyp innerhalb von acht Monaten fliegen U-2 nach einem Testflug. würde. Das Flugzeug erhielt die Bezeichnung U-2. Zur Verschleierung des Verwendungszwecks wurde anstatt In den folgenden Monaten tastete sich die U-2 in neue des Buchstabens «R» für Reconnaissance der Buch- Höhen vor. Das Triebwerk reagierte sehr sensibel auf stabe «U» für Utility verwendet. Eine «U-1» existierte Schubänderungen. Ab einer Höhe von 45 000 Fuss kam bereits. Um das neue Triebwerk aufnehmen zu können, es immer wieder zu Triebwerksausfällen. Probleme musste der Rumpf vergrössert werden. Dies bedeutete bereitete auch das Ölsystem. Über den Kompressor der ein höheres Gewicht, das wiederum die maximale Flug- Turbine gelangte Öl in die Klimaanlage. Auf der Innen- höhe beeinflussen würde. Wo immer möglich musste seite der Kabinenhaube bildete sich dabei ein Ölfilm. Gewicht gespart werden. Auf einen Schleudersitz und Um die Frontscheibe zu reinigen, nahmen die Testpilo- auf eine absprengbare Kabinenhaube wurde verzichtet. ten jeweils ein Tuch mit, dass sie am Ende eines Stocks Ein Notausstieg aus einer Höhe von 21 Kilometern war befestigten. Durch Änderungen an den Bleed Valves und

32 AEROPERS in der Türkei vom Kurs abgekommen sei und schliess- lich abgestürzt ist. Die U-2 war bis dahin weitgehend unbekannt. Da gleichzeitig in Los Angeles ein Luft- und Raumfahrtkongress stattfand, wurden die anwesenden Journalisten zur nahegelegenen Edwards Air Force Base gebracht. Um den Wettererkundungsflug glaubhaft zu inszenieren, wurde dort eiligst eine U-2 mit fiktiven NASA-Markierungen versehen. Am nächsten Tag zierte das Foto des revolutionären Wetterbeobachtungsflug- zeugs die Titelseiten der amerikanischen Zeitungen.

U-2-Doppelsitzer. am Öl-Filter konnten die Mängel etwas reduziert werden. Letztendlich brachte erst ein überarbeitetes Triebwerk (J57-P-31), das im Januar 1956 geliefert wurde, Abhilfe. Mit dem neuen Antrieb gelang es, eine Höhe von 73 800 Fuss zu erreichen. Der erste operationelle Spionageflug fand am 20. Juni 1956 statt. Vom amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Wiesbaden (BRD) flog die U-2 über die Tschechoslo- wakei, die DDR und über Polen. An Bord befanden sich U-2 mit fiktiver NASA Beschriftung. drei Kameras. Durch die Überlagerung der Aufnahmen konnte ein stereografisches Bild erzeugt werden. Nach Die Demaskierung der Cover-Story liess nicht lange der Landung wurde der Film umgehend in die USA geflo- auf sich warten. In einer impulsiven Rede enthüllte gen. Die Eastman Kodak Company entwickelte die Filme der sowjetische Machthaber Nikita Chruschtschow die für die CIA an ihrem Firmensitz in New York. Erstmals Wahrheit über den Spionageflug. Powers wurde drei seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erhielten die Monate später in einem Schauprozess zu drei Jahren Nachrichtendienste aktuelle Luftaufnahmen der Ost- Gefängnis und sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt. blockstaaten. Zwei Wochen später, am US-Independence Zwar wurde er 1962 in Berlin gegen einen sowjetischen Day, wurde zum ersten Mal die Grenze zur UdSSR auf Spion ausgetauscht, aber eine triumphale Heimkehr gab einer Höhe von 70 000 Fuss überflogen. Entgegen den es nicht. Hinter vorgehaltener Hand wurde ihm vorge- Annahmen der CIA konnten die sowjetischen Radaran- worfen, dass er die U-2 nicht zerstört und sich nicht lagen die Flüge verfolgen. Trotzdem war die Flugabwehr umgebracht hatte. machtlos. Der MiG-17-Abfangjäger erreicht eine maxi- male Höhe von 55 000 Fuss und einsatzbereite Boden- Luft-Raketen standen noch nicht zur Verfügung. Wäh- rend den nächsten vier Jahren flog die U-2 unbehelligt über die UdSSR. Das änderte sich am 1. Mai 1960. Der CIA-Pilot Francis Gary Powers hob am frühen Morgen vom Flugplatz Peschawar im Norden Pakistans ab. Sein Ziel war die Nato-Basis Bodo in Norwegen. Nach andert- halb Stunden Flugzeit überquerte er die Grenze zur Sow- jetunion und startete seine Spionagemission. Als er sich dem Ural näherte, wurde sein Flugzeug von einer hefti- gen Explosion erfasst. Dabei wurden Teile des Flügels abgerissen. Powers gab später zu Protokoll: «What was left of the plane started spinning, only upside down.» Als das Flugzeug tiefere Luftschichten erreichte, gelang es ihm die Kabinenhaube zu öffnen und sich mit dem Neuste Version (U-2S). Fallschirm zu retten. Insgesamt feuerte die Fliegerabwehr 14 neuentwi- Die Aufklärungsflüge über der Sowjetunion wurden ckelte SA-2 Boden-Luft-Raketen auf die U-2 ab. Verse- nach diesem Zwischenfall eingestellt. 65 Jahre nach hentlich wurde dabei auch ein eigener MiG-19-Abfang- ihrem Erstflug sind weiterhin 32 U-2, davon fünf Dop- jäger getroffen. Da die U-2 nicht in Bodo gelandet war, pelsitzer, für die US Air Force im Einsatz. ging man in Washington schon bald davon aus, dass Sie wurden mehrfach überarbeitet und mit neuen Sen- Powers beim Einsatz ums Leben gekommen ist. Mögli- soren ausgestattet. Eines hat sich seit dem Erstflug nicht cherweise hatte er sich aber auch im Falle einer Gefan- verändert: Die U-2 bleibt eines der am schwierigsten zu gennahme mit einer vergifteten Injektionsnadel umge- landenden Flugzeuge. Um das Landen zu erleichtern, bracht. Am 3. Mai publizierte die NASA im Auftrag der folgt der U-2 während dem Ausschweben ein PS-starkes CIA eine Pressemeldung über den Absturz eines ihrer Auto. Der Fahrer – auch ein U-2-Pilot – übermittelt dabei Flugzeuge, das während eines Wetter-Erkundungsfluges via Funk die Höhe über der Piste. l

Rundschau 2 | 2020 33 On The Air… Text: Zbigniew Bankowski sich die Fluggesellschaft über grosses Interesse der Schweizer Bevölkerung. Local News … Der Gemeinderat von Lugano hat einem Kredit zur World News … Rettung des Flughafens Lugano Agno zugestimmt. 2019 lief das Rennen um neue Aufträge und Ausliefe- Das Parlament des Tessiner Hauptorts hat grünes Licht rungsrekorde zwischen den beiden Herstellern Airbus für eine finanzielle Hilfe von insgesamt 5,76 Millionen und Boeing ganz anders als sonst. Infolge des Groun- Franken gegeben. Diese Summe soll für die Rekapita- dings der B737MAX sieht es bei Boeing düster aus. lisierung der Lugano Airport SA sowie zur Deckung Allerdings ist die Boeingkrise für Airbus kein Grund eines Teils der Verluste bis Ende dieses Jahres verwen- für übertriebenen Optimismus. Da die A320-Familie det werden. Zuvor hatte der Grosse Rat des Kantons auf Jahre ausverkauft ist, kann man davon kaum profi- Tessin eine Finanzspritze von 3,84 Millionen Franken tieren. Man muss damit rechnen, dass die USA die 2019 schon in Aussicht gestellt. Die deutsche Bedarfsflug- erhöhten Zölle auf Airbus-Flugzeuge weiter erhöhen, gesellschaft Private Wings bewarb sich beim Bundes- und auch auf die in Alabama montierten Maschinen amt für Zivilluftfahrt um die Erlaubnis, die Inlandver- ausdehnen. Und die vereinbarten Milliardeneinkäufe bindungen Lugano–Genf und Lugano–Zürich mit einer der Chinesen in den USA dürften demnächst zu Hun- im Tessin stationierten Dornier 328-100 mit 32 Plät- derten von Boeing-Bestellungen führen. Der gemein- zen zu bedienen. Da die Beförderung von Passagieren same Backlog hat sich erstmals seit langem nicht und Fracht zwischen zwei Destinationen im Inland erhöht: 7482 Flugzeuge bei Airbus und 5406 bei Boe- aber gemäss dem Schweizer Luftfahrtrecht ausdrück- ing. Airbus lieferte 863 Jets aus (gegenüber 800 im lich schweizerischen Unternehmen vorbehalten ist, Vorjahr): 48 A220, 642 Flugzeuge der A320-Familie, 53 lehnte das BAZL das Begehren ab. Ende April ist lei- A330, 112 A350 und 8 A380. Geplant waren eigentlich der die Betreiberfirma des Flughafens Lugano Agno in noch mehr, aber nach der wohl überwundenen Neo- die ordentliche Liquidation gegangen. Der Flughafen Triebwerks-Problematik hakt es bei der A320-Familie in selber soll jedoch nicht geschlossen werden, sondern der Supply-Chain und weiterhin stehen grössere Men- wenn möglich in private Hände übergehen. gen fast fertiger Flugzeuge vor allem in Finkenwerder herum. Offiziell wird gerne auf die unerwartete Kom- plexität beim A321ACF mit der neuen Türanordnung verwiesen, aber es parken auch diverse A320 und nicht nur A321. Boeing konnte nur 380 Flugzeuge an Kun- den übergeben (gegenüber 806 im Vorjahr): 127 B737, 7 B747, 43 B767, 45 B777 und 158 B787. Bekanntlich stehen um die 400 neu gebaute B737MAX am Boden und warten auf die Re-Zertifizierung des Musters. Première grosse annulation de commande d'avi- ons depuis la crise du Covid-19. Avolon, la troisième société mondiale de location d'avions possédant dans son portefeuille 855 avions, a annulé une commande Private Wings betreibt zehn Dornier 328. de 75 Boeing B737MAX qui devaient être livrés d'ici à 2023, ainsi que quatre Airbus A330neo qui devaient Die virtuelle Berner flyBair lieferte seit l'être d'ici à 2021. Avolon a néanmoins conservé une November dank einer Crowdfunding-Aktion eine wahre option sur seize autres B737MAX, mais a repoussé Erfolgsgeschichte mit der Einnahme von deutlich über leurs livraisons à 2024 et au-delà. Le loueur d'avions a einer Million Franken ab. Doch wurde die Frage auf- par ailleurs reporté à 2027 la livraison de neuf Airbus geworfen, wie die Flüge durchgeführt werden könnten. A320neo, qui devaient être initialement livrés entre Prompt kündigte der erste vorgesehene Flugpartner 2020 et 2021. Résultat, le carnet de commandes d'Avo- German Airways Anfang Jahr den Deal mit flyBair lon sur la période 2020-2023 passe de 284 à 165 appa- auf, weil ihre fünf Flugzeuge an einen anderen Opera- reils. Cette annonce marque le point de départ d'une tor vermietet werden sollen und die Besatzungen für période de fortes turbulences pour l'industrie aéronau- Sion nicht zertifiziert werden können. Anfang Februar tique. Avec l'arrêt quasi-total du transport aérien pour konnte nun flyBair einen Vertrag für eine vorerst sechs deux ou trois mois et une reprise qui s'annonce lon- Monate andauernde Flugkooperation mit Helvetic Air- gue et difficile, les compagnies aériennes jouent leur ways unterzeichnen. Alle flyBair-Flüge werden von Hel- survie. Les demandes d'annulations ou de reports de vetic Airways durchgeführt und der Sommerflugplan livraisons se multiplient. Selon Alexandre de Juniac, solle fast unverändert bleiben. Zum Einsatz kommt ein directeur général de l'association internationale du Flugzeug des Typs Embraer E190-E1. transport aérien (IATA), aucune compagnie aérienne ne wird die flyBair-Flüge als Vollcharter mit Helvetic-Flug- va acheter d'avions au cours des six ou neufs prochains nummer durchführen. Ab Juli bietet flyBair Flüge von mois, soit jusqu'à la fin de l'année. S'ajoutent aussi les Bern nach Jerez, Mallorca, Menorca, Olbia und Preveza risques de faillite de certaines compagnies ayant des sowie von Sion nach Palma de Mallorca an. Seit ihrem commandes en cours, car les États ne pourront pas Markteintritt im Dezember 2019 und dank der Eröff- aider tous les transporteurs. Si cette perspective se nung der eigenen Buchungsplattform flybair.ch freut vérifie, les constructeurs d'avions seront privés des

34 AEROPERS rentrées de cash assorties aux livraisons d'avions, puis- control system had closed a high pressure shut-off qu'une bonne partie du prix des appareils est payée à valve after inconsistent output from the integrated ce moment-là. L'absence de prise de commandes les control panel. The previous incident occurred on one privera également des prépaiements. Enfin, autre dan- of Asiana’s A350-900s, operating between Seoul and ger pour Airbus et Boeing, les faillites et la baisse de Singapore. About one hour after tea was spilled on the capacité de certaines compagnies vont augmenter le centre pedestal, the right-hand Trent engine shut down volume d'avions d'occasion qui feront concurrence aux and after restart was unsuccessfully attempted, the air- avions neufs. craft diverted safely to Manila. Flight recorder analysis Dassault Aviation made two Falcon jets available indicated a high-pressure shut-off valve closure com- as part of the French military mission to contain the mand. coronavirus COVID-19 epidemic, Operation Resilience. They carried out their first mission, transporting medical personnel. The two business jets transported 26 doctors and medical staff back to Paris who had accompanied patients with coronavirus transferred by train to Brest, western France, in an effort to alleviate the pressure on hospitals of the capital city. The Fal- con 900 and the Falcon 8X are configured to respec- tively accommodate 13 and 15 passengers. Too small to transport patients in intensive care, they will only be used to transport medical freight and medical per- sonnel. Dassault put forward the capacity of its air- craft to land at small airports, in all weather and with- out requiring ground infrastructure, which allows for quick transportation of medical teams or equipment. The Airbus A350 centre pedestal. It is not the sole plane maker to dedicate resources to the ongoing effort. Airbus set up an air bridge between Short News … Europe and China to bring protective facemasks and United Airlines bestellte 50 Airbus A321XLR zur other medical equipment to be spread among France, Lieferung ab Ende 2024. Ab 2025 sollen sie primär auf , the United Kingdom, and . To carry dem Nordatlantik die B757-200 ablösen. Gleichzeitig out this mission, the manufacturer allocated an A330- verschob United zum wiederholten Mal die Lieferungen 800, an A330 MRTT (Multi Role Tanker Transport), an ihrer A350XWB, nun auf 2027. Das wäre 18 Jahre nach A350-1000, an A400M and part of the Beluga fleet. der ursprünglichen Bestellung. Zehn weitere A350XWB-900 gehen an Air France. Damit kann die Airline die letzten vier A340 vorzei- tig ausmustern und auch die A380 bis 2022 ersetzen. Air France bestätigte auch ihre vor mehreren Monaten angekündigte Bestellung über 60 A220-300 als A318 und A319 Ersatz. Auf der Singapore Air Show wurde ein Vorvertrag mit der Green Africa Airways aus Nigeria über 50 A220-300 zur Lieferung ab 2021 bekannt gegeben. Green Africa befindet sich schon seit einigen Jahren im Aufbau und hatte vorher einen Vorvertrag mit Boeing über 50 B737MAX plus 50 Optionen geschlossen. Kurz danach vereinbarte Green Africa mit der russischen GTLK Leasinggesellschaft die Miete von drei in Holland abgestellten werksneuen A220, die Redwings (Russia) The Airbus A350-1000 prototype loaded with masks nicht übernommen hat. Damit möchte man den Betrieb at Tianjin. schon im August 2020 aufnehmen.

Crash News … Airbus and Rolls-Royce are investigating two inci- dents in which A350s experienced un-commanded in- flight engine shutdowns after drinks were spilled on cockpit controls. One case involved a Delta Air Lines A350-900 en route to Seoul, which diverted to Fair- banks (Alaska) after its right-hand Trent XWB engine shut down. Some 15 minutes before the event, a drink was spilled on the centre pedestal between the two pilot seats, primarily on the integrated control panel for engine start and electronic centralised aircraft monitor functions. The right-hand engine shut down and the crew was unable to restart it, so they diverted and landed safely in Fairbanks. The electronic engine Green Africa aus Nigeria bestellte 50 Airbus A220.

Rundschau 2 | 2020 35 Ende Dezember verbuchte Airbus einen Auftrag sind ja mehr oder weniger an die Wand gefahren. Syn- über 40 A330-900neo eines ungenannten Kunden. ergy scheint jedoch noch zu existieren, und man bietet Man vermutet, sie sind für die grossen staatlichen Air- aktuell für die Reste der indischen Jet Airways. lines in China. Vier A330-300 und acht A350XWB-900 für Hong Unerwartet stornierte die Lufthansa im Januar zwei Kong Airlines wurden auch storniert, ebenso wie 15 A350XWB-900 (bleiben noch 43). A350XWB-900 für Hainan Airlines. Ebenfalls wurden Nordic Aviation Capital bestätigte ihren angekündig- die acht A321ceo für UTAir (Russia) und die zehn A220- ten Auftrag über 20 A220, der als sechs A220-100 und 300 für Braathens Regional (Schweden) storniert. 14 A220-300 konkretisiert wurde. Emirates hat über die auf der Dubai Air Show genann- Aer Lingus übernimmt planmässig zwei werksneue ten Zahlen hinaus ihren Boeing B777X-Auftrag wei- Airbus A330-300, die vermutlich die letztgebauten ter reduziert, beziehungsweise einige Bestellungen in A330ceo in PAX-Version sind. Ab jetzt wird nur noch Optionen umgewandelt. Aus 150 B777X und vor Dubai die neue A330neo in Toulouse gebaut. noch offenen sechs B777-300ER sind jetzt 115 B777X Avianca Colombia reduzierte ihre ausstehende geworden. A320/A321-Bestellung um 20 Flugzeuge von 108 Die amerikanische Trans State Holding stornierte ihre auf 88. Dabei werden auch die Liefertermine in die 2009 platzierte Bestellung von 50 Mitsubishi SpaceJet Zukunft verschoben und sollen jetzt zwischen 2025 M90 inklusive weitere 50 Optionen. Da sich bekanntlich und 2029 erfolgen. die Scope Clauses der US-Airlines (Regionaljets bis 76 Die China Aircraft Leasing (CALC) bestellte 40 Sitzen) nicht wie erwartet geändert haben, kann dieser A321neo. In Summe sind es 252 Flugzeuge der Flugzeugtyp nicht für die US Legacy Carriers (American, A320-Familie für CALC, von denen laut Airbus-Angaben Delta, United) betrieben werden. zum Zeitpunkt der neuen Order 87 ausgeliefert waren. Wizz Air will als Joint Venture mit der Abu Dhabi CALC wandelte die Bestellung von acht der 50 B737MAX Development Holding Company (ADDH) eine Wizz in zwei B787-9 um. Diese wurden bereits geliefert, und Air Abu Dhabi gründen, die bereits 2020 den Betrieb es handelt sich um zwei für Hainan produzierte Flug- mit A321neo aufnehmen soll. Man will nicht nur nach zeuge, die nun bei Bamboo Airways (Vietnam) sind. Europa, sondern auch nach Indien und Afrika fliegen. Airbus hat in seinem Auftragsbuch etwas aufgeräumt Azerbaijan Airlines hat grosse Pläne und will die und die offenen Aufträge der Synergy Group aus Bra- Flotte sowie das Streckennetz bis 2025 erheblich aus- silien storniert. Es handelt sich um 62 A320neo, einen bauen. Es wird von weiteren acht B787, drei B777 und A330-200F und zehn A350XWB-900, die alle für Avi- zehn A320neos berichtet. Ausserdem wurden vor eini- anca Brasil vorgesehen waren. Aber die Airlines der ger Zeit zehn B737MAX in Auftrag gegeben. Die erste ist Synergy Group, ausser der früheren Oceanair in Brasi- schon produziert, aber man werde die B737MAX wegen lien auch Avianca Argentina sowie Aeromar in Mexiko, der Probleme erst in fünf Jahren einflotten. l

Pilots & Controllers «GET TOGETHER»

Nächste Treffs 30. Juni 2020 l Juli/August 2020 – Sommerpause l 29. September 2020 (vorbehältlich der aktuellen Situation, Entscheid wird jeweils kurzfristig gefällt und kommuniziert) Wir treffen uns jeweils ab 17 Uhr in der Angels’ Wine Tower Bar im Radisson Blu am Flughafen Zürich.

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36 AEROPERS Gelesen

Text: Viktor Sturzenegger

Vom Holozän ins Quarantän und das Befinden der mit unglaublichen Szenen Das Jahr 2020 wird sicher nachhaltig in die konfrontierten Angehörigen der Suchtrupps lässt Geschichtsbücher aufgenommen. Ich kann mich niemanden beim Lesen unbeteiligt. Die Arbeit der jedenfalls nicht an ein weltweites Ereignis während Care-Teams und die Akribie der Aufarbeitung des meines bisherigen Lebens erinnern, das allen Men- Unfalls durch die Behördenvertreter werden gewür- schen auf diesem Planeten ähnliche Veränderungen digt – einzelne Akteure dabei hervorgehoben. Urs ihrer Lebensweise aufbürdete wie das Virus, das von Schroeder gelingt es dabei, die Ereignisse aus vermutlich aus dem Wildtiermarkt in Wuhan kam. persönlicher Sicht von Beteiligten aufzuzeichnen, Meine Frau und ich befinden uns seit Mitte März fak- ohne voyeuristisch oder anbiedernd zu werden. So tisch in Isolation. Der Umstand, dass wir in unserer entsteht ein Mosaik menschlicher Sonderleistungen Wohnung einen gewissen Auslauf geniessen, Balkon und emphatischer Momente in einer für viele Men- und genügend Platz sind vorhanden, täuscht nicht schen lebensverändernden Katastrophe. über die Tatsache hinweg, dass diese Situation nicht Das Buch ist eine wertvolle Ergänzung zu den bis- frei gewählt ist. Und das sind wir uns spätestens seit her im Zusammenhang mit SR111 erschienenen Ver- meiner Pensionierung überhaupt nicht gewohnt. öffentlichungen. In weniger globalem Ausmass verändern auch ein- zelne Katastrophen ebenso nachhaltig das Leben der Urs von Schroeder: Im Strudel einer Katastrophe. beteiligten Menschen. elfundzehn, Zürich 2020 ISBN 978-3-905769-58-6

… und die Erinnerung an SR111 In den Abendstunden des Scheitern einer Emanzipation 2. Septembers 1998 stürzte Früh dran war sie, die kürz- eine MD-11 der mit lich Verstorbene. Nicht mit dem 229 Menschen an Bord bei Sterben, aber mit ihrer Vorstel- Peggy’s Cove in Nova Scotia mit lung zu leben, zu lieben und brennendem Cockpit steuerlos zu arbeiten. Und letztlich ist ins Meer. Alle, die wir damals sie doch an den Konventionen bei der Swissair arbeiteten, wis- aufgelaufen wie ein steuerloses sen noch, wo sie sich am frü- Schiff auf Grund. hen Morgen Schweizer Zeit des Kristine Bilkau erzählt in 3. September 1998 befunden ha- ihrem Roman von einer Toch- ben. Kennen noch ihre ersten ter, die den Nachlass der Toten Gedanken, die bei der Benach- sichtet und dabei auf Briefe richtigung über die Tragödie auftauchten. Und ich eines ihr unbekannten Mannes bin heute noch fasziniert vom emotional berüh- Namens Edgar stösst. Sie sind an ihre Mutter gerich- renden Umgang der Protagonisten der Swissair mit tet, belegen mit alten Fotos eigene Erinnerungen, diesem Ereignis. Ähnlich ergeht es offenbar Urs von führen zu neuen Erkenntnissen und werfen auch Schroeder, der damals selbst im Kommunikations- neue Fragen auf. bereich des Unternehmens engagiert war. Der Fokus Daraus entsteht das Bild der jungen Antonia Weber seines neuen Buchs über das «Unglück von Halifax» in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, liegt denn auch auf den Menschen, die von der Kata- die den Zwängen einer kontrollierenden Mutter ent- strophe direkt betroffen waren. fliehen will und dabei vom Aufbruch der neuen Zeit Schon im ersten Teil der Geschichte erzählt der profitieren kann. Auf einem Bild jener Zeit trägt sie Autor aus der Sicht von Angehörigen der Passagiere, ihr Haar kurz, und das zitronengelbe Kleid steht ihr von Fischern und ihren Frauen in Neuschottland, gut. Dabei stellt die Tochter sich lebhaft vor, wie es von Mitgliedern der Swissair-Crew, der Landesver- damals war – wer ihre Mutter eigentlich war. tretung des Flug-Unternehmens und der Untersu- Im Durchforsten der Bücher, Briefe und Bilder chungsbehörde für Flugunfälle Kanadas, was sie in ihrer Mutter entfaltet die Tochter in einer fabulieren- den Stunden vor dem Unglück beschäftigte. Dieser den Nachempfindung ihres Lebens und Liebens die Anfang schliesst mit einer kurzen Beschreibung des Geschichte von Antonia Weber. Als Sekretärin mit Unfallhergangs ohne Effekthascherei. Ambitionen ist sie im Büro eine geschätzte Arbeits- In der Folge zeichnet Urs von Schroeder detailge- kraft. An einer Bushaltestelle trifft sie einen jungen nau und immer aus der Sicht einzelner Betroffener Mann, in den sie sich sofort verliebt. Er ist anders den Aufbau der Suche nach Überlebenden, die Akti- als die anderen, ruhiger, vorsichtiger und akzeptiert vitäten in Genf, Zürich, New York und Neuschott- scheinbar ihren Wunsch nach Unabhängigkeit. Als land. Die Betreuung der Angehörigen der Opfer er die Möglichkeit erhält, für seine Arbeitgeber in durch Care-Teams der Swissair und des Codeshare- Hong Kong eine Filiale zu gründen, scheut er selbst Partners Delta Airlines steht bald im Brennpunkt, anfangs das Risiko. Antonia möchte aber sofort

Rundschau 2 | 2020 37 ausbrechen und sondiert schon eigene Arbeitsmög- Künstler nicht kalt lässt, er ihr in ihrer Naivität aber lichkeiten in der chinesischen Grossstadt. So ent- eher Angst einflösst. schliesst sich Edgar doch für die Reise, bittet aber Einigermassen traurig ist die Geschichte schon – Antonia zu Hause zu warten, bis er sich eingerichtet die Alleinerbin des beträchtlichen Vermögens Alfred hätte. Worauf sie ihre eigenen Pläne hintanstellt. Eschers wird in ihrer Unabhängigkeit des Denkens Edgars Briefe sind schon am Anfang ihrer Bezie- und intellektuellen Kapazität vom schwachen Gat- hung Ausdruck einer empfindsamen Seele. Doch die ten anfangs zwar in ihrer Kulturförderung gestützt. Fähigkeit sich zu entscheiden, die Antonia vielleicht Doch der Übervater Bundesrat lässt kaum ein Inte- in etwas vorschneller Art besitzt, geht ihm völlig resse an der Schwiegertochter erkennen. Im Gegen- ab. So schreibt er ihr nach längerer Zeit des Hinhal- teil zieht er rasch alle Hebel, lässt die untreue Ehe- tens, er sende ihr mit dem nächsten Luftpostbrief frau für verrückt erklären und den ungebührlichen die Tickets für den Flug nach Hong Kong. Doch dann Jugendfreund des Sohnes in Rom ins Gefängnis ste- plätschert der briefliche Redefluss ins Leere und cken, nachdem das Liebespaar dorthin geflüchtet lässt die junge Frau, die sich von ihrem früheren ist. Leben schon abgenabelt hat, um aufzubrechen in Die Stille der Isolation Lydias beeinträchtigt den eine rosige Zukunft, allein zurück. Handlungsfluss des Romans etwas, gewährt aber im Der Roman ist eine subtile Zeichnung der Stellung Ganzen einen differenzierten Einblick in grossbür- der Frau in unserer Gesellschaft in ihrer Entwicklung gerliche Kreise Zürichs und der Schweiz im 19. Jahr- seit der Nachkriegszeit. Das Konventionelle, gegen hundert. Lukas Hartmann zeichnet eindrücklich das das sich die «Generation Rock and Roll» auflehnte, Bild einer starken Frau, die mangels gesellschaftli- dominiert die Geschlechterrollen – was eine echte cher Unterstützung – ihrer eigenen und derjenigen Unabhängigkeit der Frau betrifft – zu Antonias Zei- ihres Geschlechts im Allgemeinen – letztlich in die ten und bis heute. Eine einigermassen betrübliche Scheidung und den Verlust eines grossen Teils ihres Erkenntnis aus einem sehr lesenswerten Buch. Vermögens getrieben wird. Gerade in diesen Tagen, wo Zeit kein rares Gut ist, Kristine Bilkau: Eine Liebe, in Gedanken. eine fein gearbeitete, lesbare Geschichte. Luchterhand, München 2018 ISBN 978-3-630-87518-7 Lukas Hartmann: Ein Bild von Lydia. Diogenes, Zürich 2018 ISBN 978-3-257-07012-5 Im Schatten der Väter Frauengestalten beschäftigen auch Lukas Hartmann in seinen Glauben, Wissen, Sehen Stoffen von Zeit zu Zeit, und Lucy Barton ist eine purita- er spinnt deren Biografie dabei nisch aufgewachsene Frau aus meist in eine romandienliche dem Mittleren Westen der USA. Konstellation mit historisch In Elizabeth Strouts Roman nicht zwingend verbrieften lässt sie ihr Leben vor dem Hin- Nebenfiguren. Ein Kunstmittel, tergrund eines längeren Kran- dessen sich auch die Schöpfer kenhausaufenthalts, der schon von TV-Serien wie «Upstairs – viele Jahre zurückliegt, Revue Downstairs» oder «Downton passieren. Abbey» mit grossem Erfolg Der monatelange Krankheits- bedienen. aufenthalt im Spital erhält So wird in Hartmanns Schilderung des Lebens durch den überraschenden der Lydia Welti-Escher ein Dienstmädchen, Luise Besuch von Lucys Mutter eine Gaugler, zur erzählenden Hauptfigur eines Bezie- Wende. Die wortkarge Frau bringt ihre Tochter mit hungsdramas, das die Schweiz in der zweiten Hälfte ihrer eigenen Art der unausgesprochenen Liebe, des 19. Jahrhunderts beschäftigte. Im Mittelpunkt die sich im Gebrauch des Kosenamens erschöpft, stehen die Tochter des konventionsfreien Unter- ihres rigorosen Glaubens und der Fähigkeit «Dinge nehmers und Politikers Alfred Escher und deren zu sehen» wieder zu Kräften und Hoffnung. Im Ehemann Friedrich Emil Welti, Sohn eines legen- Gespräch zwischen den Beiden entfaltet sich die Bio- dären Bundesrats. Diese Ehe scheint vor allem dazu grafie einer leicht zu verunsichernden Frau, die sich gedient zu haben, die zwei Väter in ihren entspre- zum Schreiben berufen fühlt und doch nicht richtig chenden Bemühungen um das Gotthard-Tunnel- an sich glauben kann. Projekt zu vereinen und entsprang kaum romanti- Lucy wächst in einem Dorf im ländlichen Illinois schen Gefühlen. Hartmann zeigt dies aus der Sicht auf. Eine sonst schon abgelegene Situation wird der Kammerzofe und ebnet damit dem Ausbruch bei ihr durch die Tatsache, dass ihre puritanischen der Gattin in eine Beziehung mit dem Jugendfreund Eltern sich etwas ausserhalb der Dorfgemeinschaft des Gatten, dem Künstler Karl Stauffer, den Weg eingerichtet haben und die Kinder in der Schule des Verständnisses der Lesenden. Zwar kommt der gehänselt werden, zur gefühlten Isolation. Die Mut- egomane Stauffer bei der Kammerzofe Luise nicht ter wird dabei als besonders streng und auch phy- gut an – aber es zeigt sich, dass auch sie der laute sisch strafend beschrieben. Berührend ist, dass das

38 AEROPERS arme Mädchen einen Baum, der allein auf dem Feld Die Tochter des Schriftstellers steht, als ihren Freund bezeichnet. Und schon wieder geht es um Anfangs wohnt die Familie noch in der Garage des Nachlass. Um den Tod eines Hauses eines Onkels. Mit spärlicher Heizung und Elternteils und die damit ver- nur einem Fenster. So beginnt Lucy nach der Schule bundenen Anstrengungen der in einem beheizten Klassenzimmer weiterzulernen, Nachfahren. In diesem Buch statt in die kalte Behausung der Familie zurückzu- ist es auch eine Tochter, die kehren. Auch wird sie von einem Lehrer unterstützt, nach vielen Jahren in die Stadt der sie schätzt und seiner Klasse die Geschichte der ihrer Kindheit zurückkehrt, um Ureinwohner Amerikas ohne Unterschlagung der ihren Vater zu beerdigen. Eine Brutalität weisser Siedler näher bringt. Lucys Stun- ambivalente Beziehung prägte den im Warmen und das viele Lesen schlagen sich die beiden, und in den letzten jedenfalls in guten Noten nieder. Sie erhält ein Sti- Jahren haben sie sich aus den pendium für ein Studium an einem College ausser- Augen verloren. halb Chicagos. Dort lernt sie erst einen eingebildeten Also muss die Tochter sich mit den wenigen Hin- «Künstler» kennen, Professor mit wenig Empathie. terlassenschaften ihres immer mit minimalem Mate- So etwas kann nicht von Dauer sein, also kommt Wil- rial belasteten Vaters in seiner kleinen Wohnung liam ins Bild. Laborstudent aus Maine, der möglichst beschäftigen. Selbst reist sie nur mit einem Ruck- weit entfernt von seiner anhänglichen verwitweten sack an, ganz die Tramperin, die sie in ihrer rast- Mutter im Mittleren Westen studiert, aber unbe- losen Art ihr Leben lang sein wird. Darin gleicht sie dingt an die Ostküste zurückkehren will. Der blonde auch ihrem Vater, der zeitlebens Schriftsteller war, Deutschstämmige weckt allerdings während seines wenig geschrieben hat und seine Werke selbst nicht Besuchs bei Lucys Familie unliebsame Erinnerungen mehr lesen mochte. Bis auf das letzte, kleine Buch im cholerischen Vater. In der Folge bricht der Kon- über das Verschwinden der Wolken, das Hannah, so takt zur Familie ab, zumal William und Lucy nach heisst die Tochter, in seinem Nachttisch findet. New York ziehen. Hannah trifft bei der Beerdigung des Vaters seinen Die grosse Stadt ist wie die Erfüllung aller Wün- Anwalt, in dessen Kanzlei sie schon als Schülerin sche der jungen Frau, die bald Mutter wird und ihr gejobbt hat, und lässt sich – wie oft im Buch und Schreiben, ganz im Einklang mit ihrem mangelnden ihrer Geschichte betrunken – wieder mit ihm ein. Selbstwertgefühl, eher wie ein Hobby betreibt. Ihre ehemalige Freundin Vivian riecht den Braten Die Begegnung mit einer Schriftstellerin fördert zwar, doch liegen ihre Interessen auf einem See, der ihre Ambition allerdings, und so erscheint in einer Hannahs Vater zum täglichen Schwimmen diente, Literaturzeitschrift bald eine Geschichte von ihr. und einer Zukunft in einem am Baggersee liegenden Episodenhaft kommt das Leben von Lucy Barton Gestüt, umgebaut zur Altersresidenz. daher, und am Ende verliert sich die Geschichte im Der Verflechtungen in diesem Ort von Hannahs Aufarbeiten der für sie wichtigen Beziehungen. Töch- Vergangenheit gibt es also viele – nicht zuletzt auch ter, Mutter, Vater, William, von dem sie inzwischen mit Vivians 16-jähriger Tochter Julia, die so sehr von geschieden ist, und ihr neuer Partner, ein Cellist in Hannahs Vater angetan war, dass sie sich selbst als der Philharmonie, der gerne lacht und sogar isst, was dessen Tochter wähnte. Und er fand in ihr vielleicht sie kocht. Ihre Schwester fordert immer wieder Geld wirklich die Tochter, die er sich im letzten Aufbäu- von der erfolgreichen Schriftstellerin ein und kauft men des Alters und seiner Unterstützung für die jun- dann damit Dinge, die Lucy nicht einleuchten. Das gen Umweltaktivisten, zu denen auch Julia gehört, Leben eben. gewünscht hat. Der Roman fasziniert mich mit seiner Beschrei- Diese Geschichte ist eingebettet in eine apokalyp- bung der Menschen aus der Sicht von Lucy und ihrer tische Welt, die gezeichnet ist von Trockenheit und Mutter, aber auch mit der Fähigkeit der Autorin, dem Versagen einer ganzen Generation, die Welt Gefühle der Minderwertigkeit, die sich aus der Her- lebenswert zu gestalten und für die Nachfahren leb- kunft und Beziehung zu Mitmenschen ableiten, für bar zu erhalten. John von Düffel (was für ein Name!) die Lesenden erlebbar zu machen. Dies schärft das gelingt es in seinem Roman Verständnis zu fördern Bewusstsein für die Sprache als Ausdrucksmittel der für die Wut der Ohnmächtigen, ohne allzu klischiert Seele durch den Geist. Ein Thema, das mich schon und moralistisch zu sein. Ein Spiegel an unserer seit langem beschäftigt. Aber lassen Sie sich durch Wand. diesen Einwurf nicht verdriessen, es ist ein emphati- sches, sehr lesbares Buch. John von Düffel: Der brennende See. DuMont, Köln 2020 Elizabeth Strout: Die Unvollkommenheit der Liebe. ISBN 978-3-8321-8122-2 btb Verlag bei Random House, München 2018 ISBN 978-3-442-71657-9

Rundschau 2 | 2020 39 Gelesen

Text: Henry Lüscher

Rentner unter sich Garant für eine der gut dotierten Stellen sind, mit Eigentlich hatte Hansjörg denen die Schule in ihren Prospekten wirbt. Schneider (82) in einem Interview Gordy, mit einer Persönlichkeitsstörung belastet, gesagt, das Buch «Kind der Aare» entdeckt Verbindungen zwischen einer Bank, der (2018) sei sein letztes gewesen. «Foggy Bottom», einem Financier und der staatlichen Aber kürzlich korrigierte er diese Behörde zum Zweck, an die staatlichen Zuschüsse Aussage: Es sei ihm langweilig heranzukommen. Kurz bevor sich Gordy in die eisi- geworden im Alter, und plötzlich gen Fluten des Potomac River stürzt, klärt er seine sei Komissär Hunkeler in seiner drei Freunde über diese Konstellation auf. Sein Tod Schreibmaschine (!) wieder leben- öffnet den dreien die Augen. Sie fragen sich, was sie dig geworden. Und so habe er noch an dieser Uni sollen und entschliessen sich, das den bisher neun Hunkeler-Roma- letzte Semester sausen zu lassen. nen einen zehnten hinterherge- Sie wollen Geld verdienen und geben sich als schickt. Anwälte aus. Sie suchen sich Verkehrsopfer aus, Der pensionierte Komissär Hunkeler genniesst im kassieren pro Fall 1000 Dollar und verteidigen die Basler Kannenfeldpark seinen Sonntagskaffee und Leute vor den Richtern, meist erfolgreich. Niemand wird plötzlich auf eine Leiche aufmerksam. Soll er verlangt nach Anwaltspatenten, was sie ermutigt, oder soll er nicht? Die Neugierde ist stärker, er will auch lukrativere Fälle zu akquirieren. Aber da wird selber Hand anlegen und die Gründe für den Tod es brenzlig, sie fliegen auf und müssen sich wie- dieses stadtbekannten Kunstkritikers herausfinden, der etwas Neuem zuwenden. Sie haben Glück, dass der offenbar durch eine Pétanque-Kugel ins Jenseits gerade eine Sammelklage gegen die oben erwähnte befördert worden ist. Hunkeler trifft sich mit Leuten Bank gestartet wird, der sie sich mit erfundenen Man- aus der Kunst- und Kulturszene und versucht, ein danten anschliessen. Motiv zu finden. Natürlich kommt er dabei seinen Zolas Eltern und Bruder wurden verhaftet und in ehemaligen Kollegen von der Basler Polizei immer Ausschaffungshaft gesteckt. Illegale Einreise. Zola ist wieder in die Quere und wirbelt da und dort Staub in den USA geboren, deshalb wird sie nicht behelligt. auf, gibt aber auch Tipps und Vermutungen weiter. Sie kümmert sich juristisch und vermeintlich auch Um der Polizei nicht allzu oft zu begegnen, pendelt finanziell um das Wohlergehen ihrer Familie, wobei er zwischen und seinem Bauernhaus im Elsass das Geld auf wundersame Weise in diversen Händen hin und her. Der Autor beschreibt diese Fahrten oder verschwindet. So fliegt sie nach Dakar und will vor die spannende Nachtwanderung sehr anschaulich, Ort zum Rechten schauen. romantisch und wortreich. Der Autor geht mit uns In Miami fallen die falschen Mandanten der Finanz- durch die Schauplätze, schildert die Szenerie und cha- aufsicht auf, natürlich genau in dem Moment, wo rakterisiert die Personen plastisch und eindrücklich. die Auszahlungen beginnen. Wie bei John Grisham Die Auflösung des Falles ist kein Paukenschlag, son- üblich, können Todd und Mark gerade noch ihre dern ein leises Herantasten an die verdächtige Person, zugewiesenen Zahlungen auf die vorher zweckdien- ein Gespräch, Verständnis und Rat. lich eingerichteten Konti auf den Bahamas überwei- sen, bevor die Behörden zuschlagen – und ins Leere Hansjörg Schneider: Hunkeler in der Wildnis. greifen. Todd und Mark haben sich in die Karibik Diogenes Verlag, Zürich 2020 abgesetzt. Zola erhält ihren Anteil nach Dakar über- ISBN 978-3-257-07097-2 wiesen und kann mit ihrer Familie ein gutes Leben finanzieren. Verschuldete Studenten Und wenn sie alles richtig angelegt haben, so leben In den USA können junge sie noch heute gut von den Erträgen. Leute ein staatliches Darlehen beziehen, das ihre Ausbildung John Grisham: Forderung. finanziert. Das muss nach Ende Heyne Verlag, München 2019 des Studiums zurückgezahlt ISBN 978-3-453-43970-2 werden. Die Juristenschule «Foggy Bottom» hat es auf diese lukrativen Ausbildungsbeiträge abgesehen, nimmt es aber mit der Qualität des Unterrichts nicht so genau. Das Quartett Zola, Todd, Mark und Gordy ist im letzten Semester ihres Jura- Studiums, haben bereits massiv Schulden angehäuft und müssen feststellen, dass ihre lückenhafte Aus- bildung und die Reputation der privaten Uni kein

40 AEROPERS Eintritte

n Lennart Armbrust (EDW) n Clemens Jauch (SWR) n Valentin Tobler (EDW) n Fabio Ballak (SWR) n Jan-Alexander Kleine-Beek (SWR) n Patrick Schlatter (SWR) n Luca Bucheli (SWR) n Silvio Koller (SWR) n Thomas Schick (SWR) n Clemens Brunner (SWR) n Clemens Kopp (SWR) n Martin Weber (EDW) n Daniel Faierson (SWR) n Timothy Merz (SWR) n Pascal Weber (EDW) n Moritz Fankhauser (SWR) n Matthias Meuwly (EDW) n Matthias Wistocat (SWR) n Kevin Giulini (SWR) n Martin Ritzer (EDW) n Zacharias Zaugg (SWR) n Maximilian Hieber (SWR) n Justin Rochat (SWR) n Patrick Jabkowski (SWR) n Joshua Tauer (SWR)

Wir heissen alle AEROPERS-Neumitglieder herzlich willkommen!

Pensionierungen

Leider ist in der letzten Ausgabe ein Teil von Adis Text verloren gegangen, deshalb hier ein zweiter Versuch …

Adrian Wagner

Eintritt: 10.10.1987 Pensionierung: 31.12.2019 Total Flugstunden: Knapp unter 20 000

Karriere F/O: MD80, MD11, F100 CMD: A320

Schnell ist es gegangen, schon bin ich pensioniert. Die Fliegerei bleibt ein kurzweiliges Tätigkeitsfeld, deshalb sind und waren wir darin tätig und lieben es. Dies trotz allen unangenehmen Rahmenbedingungen. Den regen Austausch mit so vielen interessanten und gut ausgebildeten Crewmitgliedern werde ich im Ruhestand bestimmt vermissen.So schön es war, höre ich jetzt nach all diesen Jahren doch auch gerne auf und erwarte gespannt die neue Lebensphase. Ich wünsche euch weiterhin viele tolle und sichere Flüge und möge nie mehr ein Grounding eintreten. (Anm. der Redaktion: Dies wurde geschrieben, als man noch nicht viel über das Thema Corona wusste …) Viele Grüsse, Adi

Urs Baltisberger

Eintritt: 15.6.1985 Pensionierung: 31.3.2020 Total Flugstunden: 17 300

Karriere PIL-F/E: DC10 F/O: MD80, B747 CMD: A320, A330/340, B777

Ich darf auf viele schöne und spannende Momente in der Linienfliegerei zurückblicken, und da waren viele Begeg- nungen mit Euch tragend. Dass ich gerne fliege ist bekannt und die Kombination von Aufgaben in der Instruktion, im «Büro» und in einem spannenden aviatischen Umfeld haben mir persönlich eine einmalige Karriere ermöglicht. Dafür bin ich allen Involvierten dankbar. Für mich wird es noch eine beschränkte Zeit in einem neuen aviatischen Umfeld () weitergehen. So hoffe ich, dass ich Euch nie während meiner fliegerischen Tätigkeit treffen werde. Im hohen Pilotenalter mit einem Doktor an Bord unterwegs zu sein, ist eventuell auch nicht schlecht … Ich wünsche Euch eine gute Zeit, dass ihr Euren Beruf in vollen Zügen geniessen könnt und das Schöne an Euren Flügen wahrnehmt.

All the best, Balti

Rundschau 2 | 2020 41 Eric van Duijn

Eintritt: 29.8.1983 Pensionierung: 30.4.2020 Total Flugstunden: ca. 18 000

Karriere F/O: DC9, MD80, A310 CMD: A320, A330/340, B777

Während ich diese Zeilen schreibe, ist die Welt dabei, förmlich aus den Fugen zu geraten: Ein Virus droht, unsere avi- atische Welt arg in Mitleidenschaft zu ziehen. In der Filmwelt ist es dann jeweils an einem Mitarbeiter mit der Dienst- nummer 007, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Doch in den letzten Jahren bekundete ebendieser des Öfteren Mühe, seinen Medical Check zu bestehen, suchte oft nach Motivation für sein immer härteres Training und haderte, wie wir alle, mit der IT-Branche. Das viele Bechern harter Getränke half auch nicht über die Unzulänglichkeiten hinweg. Im letzten Film warf er endgültig das Handtuch. Zu alt für die anstehende Veränderung, zu unstet die Hand, sein Job ein Auslaufmodell: In Zukunft ist alles elektronisch, sogar die Viren. Ein Blick auf meine Dienstnummer auf der Senioritätsliste lässt keinen Zweifel: Die Zeit ist reif – 007! Rechtzeitig den Jungen Platz machen und sich selber aus der Schusslinie nehmen heisst die Devise. Die Zeit der alten Männer (mit den jungen Frauen) ist vorüber. Ihr seid dran – die nächste Generation! Ich wünsche euch eine sichere Hand in allen Krisen, die uns noch bevorstehen, einen klaren Geist bei allen Entscheidungen und ein grosses Herz für alle PADs. Dass das Leben danach nicht weniger abwechslungsreich sein wird, könnt ihr diesen Herbst (Viren-halber leider nicht mehr zeitgleich mit diesem Schreiben) in den Kinos hautnah mitverfolgen!

«Shaken, not stirred» – cheers, Eric

Jens Dill

Eintritt: 5.4.1987 Pensionierung: 31.3.2020 Total Flugstunden: 18 961

Karriere F/O: MD80, A310 CMD: A310, B757/767, A32x, A330/340

Vieles werde ich vermissen, am meisten die Menschen, denen ich in all den Jahren begegnen durfte. Haltet durch, es kommen mit Sicherheit wieder bessere Zeiten!

Mit kameradschaftlichen Grüssen, Jens Dill

Andy Ilk

Eintritt: 21.9.1987 Pensionierung: 31.3.2020 Total Flugstunden: genug

Karriere F/O: SF34, B777 CMD: SF34, SB20, MD80, A320, ARJ, B777

Während ich diese Zeilen schreibe, wütet der Corona-Orkan. Ich bin überzeugt, dass die SWISS dank des vorhan- denen Teamgeists diese Krise bewältigen wird! Meinen Traumberuf durfte ich lange Jahre mit grosser Freude aus- üben. Krisen habe ich auch miterlebt, die waren allerdings nicht vergleichbar mit der jetzigen … Unerwartet früh verlasse ich die SWISS wegen gesundheitlicher Probleme. Euch allen wünsche ich, dass ihr noch lange das täglich ändernde Wolkenbild geniessen könnt.

Macheds guet und viele Dank für die unvergässliche Erläbnis, Andy

42 AEROPERS Marc Perrenoud

Eintritt: 25.5.1987 Pensionierung: 31.3.2020 Total Flugstunden: 17 000

Karriere F/O: MD80, B747 CMD: A32x, A330/340

As I write these lines, we all are in the middle of this COVID-19 crisis. I would like to express my gratitude for being able to work through my whole career by «staying in our beautiful Switzerland» – and by changing the name of my employer only once by removing the letters «AIR» from «SWISS»! I wish all of you the same in this fragile aviation environment. Keep on flying passionately and thank you for shar- ing so many beautiful moments with me …

Merci, Marc

Hans Breitenmoser

Eintritt: 1.1.1989 Pensionierung: 31.5.2020 Total Flugstunden: 23 161 davon 18 389 SWISS/Swissair

Karriere F/O: MD80, A310 RHS CMD: A320 CMD: A310, B757/767 , A320/330/340 SWISS

Lastflight Destination Osaka, mit meinem Lieblingsflugzeug A340, mit der gewünschten Besatzung und zusam- men mit meiner ganzen Familie – und dann das: Ein Turnaround nach Newark mit der A330 ohne meine Crew und Familie. Diesen traumhaften und anspruchsvollen Beruf nach 32 Jahren so hinter sich zu lassen und in Pension zu gehen, trübt die Freude. Natürlich nicht wegen des angesprochenen Lastflights, sondern wegen der Unsicherheit für alle, die weiter in dieser schwierigen Zeit bei der SWISS eine Zukunft haben. Meine grosse Hoffnung ist, wie es auch Thomas Klühr gesagt hat, dass die Krise möglichst mit der gesamten Belegschaft gemeistert werden kann. Sicher braucht es jetzt grosse Solidarität von allen, damit dies gelingt. Dazu wünsche ich viel Kraft und Durchhaltewillen. Allen einen lieben Dank für die sehr schöne Zeit, die ich bei der SWISS, der Balair und der Swissair erleben durfte. Viel Neues wartet nun auf mich – aber ihr werdet mir fehlen …

Bis bald, euer «Breiti»

Rundschau 2 | 2020 43 Wir trauern

Folgende Mitglieder sind seit der letzten Ausgabe verstorben:

Walter Lüdi 1.4.1929 – 25.2.2020 Captain DC10, pensioniert am 30.4.1987

Paul Habegger 30.1.1926 – 22.2.2020 Ehrenmitglied, Captain DC10, pensioniert am 31.1.1984

Hansjörg Zolliker 15.6.1944 – 15.3.2020 Flight-Engineer B747, pensioniert am 30.6.1999

Manfred Bayer 8.7.1929 – 14.4.2020 Captain B747, pensioniert am 31.7.1987

Leander Markus Ritzi 19.6.1931 – 14.4.2020 Captain DC10, ehemaliges Mitglied, pensioniert am 30.6.1989

Henk Brink 24.3.1939 – 15.4.2020 Captain B747, ehemaliges Mitglied, pensioniert am 30.9.1996

Willy Gygax 2.6.1921 – 2.5.2020 Flight-Engineer, pensioniert am 30.6.1976

Wir werden den Verstorbenen ein ehrendes Andenken bewahren.

Termine & Mitteilungen

Vorstandswochen Diverses Pensionierten-Stamm ATC-Piloten-Stamm

22. – 26.6.2020 30.6.2020 30.6.2020

20. – 24.7.2020 6. – 8.7.2020: Strategieseminar 28.7.2020 Sommerpause

24. – 28.8.2020 28.8.2020: AEROPERS-Rideout 25.8.2020 Sommerpause

Der Pensionierten-Stamm findet im Restaurant des Fliegermuseums, Überlandstrasse 255, 8600 Dübendorf, statt. Zeit: ab 14 Uhr.

Der ATC-Piloten-Stamm findet im Radisson Blu Hotel, Angels’ Wine Tower Bar, statt. Zeit: ab 17 Uhr

44 AEROPERS Insertionstarife AEROPERS-«Rundschau»

Herausgeber, Inseratewesen, Layout AEROPERS Airline Pilots Association Ewiges Wegli 10, 8302 Kloten Telefon 044 816 90 70 [email protected] 2 (Gfi) 1 (Gfa) Druck 182 x 264 185 x 242 Akeret Druck AG 4-farbig Wallisellenstrasse 2 4-farbig 8600 Dubendorf Telefon 044 801 80 10 [email protected]

Format A4 – 210 x 297mm Satzspiegel: 186 x 272 mm

Drucktechnisches Daten ab CD oder per E-Mail-Übermittlung (.pdf, .eps vektorisiert, .tiff)

Programme 4 (G) Photoshop, Indesign, Illustrator (Bitte nehmen Sie fur Details Kontakt mit der Redaktion auf.) 182 x 264 einfarbig Druckverfahren 3 (Afi) Offset (Schwarz und Pantone 187 C, CMYK) 182 x 132 4-farbig Redaktion Ein Team von Piloten und der Geschäftsfuhrer des Verbands

Auflage 3000 Exemplare; Leserschaft: 1450 aktive Pilotinnen und Piloten, 830 Pensionäre, Luftfahrtunternehmen, Behörden, Medien usw.

Erscheinungsweise Viermal im Jahr (März, Mai, September, November) 6 (A2) 86 x 264 Annahmeschluss Inserate 2020 einfarbig 3/2020: 19. August 2020 5 (A1) 4/2020: 18. November 2020 182 x 132 einfarbig

(Bitte Inserate frühzeitig anmelden)

Tarife in CHF Format 1-mal 2-mal 4-mal 1 (Gfa) 1500.– 2700.– 4800.– 2 (Gfi) 1200.– 2150.– 3850.– 3(Afi) 800.– 1450.– 2550.– 4 (G) 850.– 1700.– 2700.– 8 (B2) 5/6 (A1/2) 550.– 1000.– 1750.– 86 x 132 7/8 (B1/2) 425.– 765.– 1360.– 7 (B1) 182 x 66 einfarbig Weitere Formate auf Anfrage (2-mal –10% / 4-mal –20%) einfarbig AEROPERS-Mitglieder erhalten 10% Ermässigung.

Rundschau 2 | 2020 45 Shooter’s Corner Makrofotografie: Die Faszination des Kleinen Während viele Piloten in diesen Tagen gezwungenermassen am Boden bleiben müssen, entfaltet die Natur ihre volle Pracht. Es lohnt sich deshalb, frische Energie in der Natur zu tanken und einmal etwas näher hinzuschauen. Die Welt des Kleinen bietet eine ungeahnte Vielfalt an Motiven. Diese zu fotografieren ist zwar herausfordernd, aber sehr spannend.

Text: Dominique Wirz einem Balgengerät arbeiten – einige allgemeine Probleme der Aus der Nähe betrachtet sehen Dinge nämlich oft Fotografie werden grösser, je kleiner die Objekte wer- anders aus. Vermeintlich Bekanntes erscheint in völlig den. Je grösser der Abbildungsmassstab, umso … anderem Licht. Makrofotografen rücken ihren Motiven n … kleiner wird die Schärfentiefe. besonders dicht auf den Leib. Sie zeigen Formen, Far- n … empfindlicher wird die Bildschärfe durch Bewegun- ben und Strukturen, die dem oberflächlichen Betrach- gen der Kamera oder des Objektes gestört. ter verborgen bleiben. Makrofotografie bedeutet daher n … mehr Licht geht verloren durch den langen Auszug auch, ständig Neues zu entdecken. Gerade das macht der Optik. den Reiz dieses fotografischen Spezialbereichs aus. Die intensive Beschäftigung mit einem kleinen Motiv Für scharfe Bilder braucht es also entsprechend bündelt aber auch die Gedanken und lässt einen die schnelle Verschlusszeiten, ein Stativ oder einen Anti- Zeit und all die Sorgen um Corona vergessen. Die Schüttel-Mechanismus an der Kamera beziehungsweise neuen Ansichten unserer Welt tun gut. So hat die Mak- dem Objektiv. rofotografie auf mich auch einen erholsamen oder gar meditativen Effekt. Die Entdeckungsreise in die Welt Wichtigste Tipps des Kleinen kann direkt vor der Haustüre, im Garten Mit folgenden Tipps gelingt Ihnen der Einstieg in die oder im Wald beginnen. Makrofotografie: n Weiches Licht bei bewölktem Himmel eignet sich oft Technische Hilfsmittel besser, um die Feinheiten des Kleinen zu zeigen. Wenn Nah rangehen können wir grundsätzlich mit jeder also die Sonne mal nicht scheint und manch eine Land- Kamera, sei dies eine einfache Kompaktkamera, ein schaft trostlos aussieht, so lohnt sich die Motivsuche Smartphone oder eine Systemkamera (Spiegelreflex oder im Kleinen erst recht. spiegellose). Systemkameras bieten aber wegen der Ein- n Überlegen Sie sich vor der Aufnahme genau, welche stellmöglichkeiten und der Wechselobjektive viel mehr Bildpartien in jedem Fall scharf abgebildet werden Möglichkeiten für den ambitionierten Fotografen. Objek- sollen. Wenn möglich sollte dann die Kamera so aus- tive haben aber bei der Schärfeeinstellung eine Nahein- gerichtet werden, dass die gewünschte Schärfeebene stellgrenze, über die hinaus wir nicht näher ans Motiv parallel zur Sensorebene verläuft. herangehen können. Mit folgenden Hilfsmitteln können n Ein Stativ wirkt im Nahbereich Wunder! Das Festle- wir diese Einschränkung überwinden: gen der Schärfe ist buchstäblich Millimeterarbeit, die n Zwischenringe werden zwischen Objektiv und Kamera zusätzlich durch das erwähnte Verwacklungsproblem montiert. Sie verringern die Naheinstellgrenze eines im Nahbereich erschwert wird. Ein Stativ empfiehlt Objektivs. Da man so näher ans Motiv kommt, vergrös- sich nicht nur bei unbewegten Objekten wie Pflanzen sert sich auch der Abbildungsmassstab. Wegen ihres oder Steinen, sondern auch bei Kleintieren und Insek- geringen Gewichts sind sie ideal für unterwegs. ten. Nur so kann die Schärfe präzise festgelegt und n Konverter sind Zwischenringe mit optischen Elemen- das Bild in Ruhe komponiert werden. ten. Sie verlängern die Brennweite und damit den Abbil- n Achten Sie auf den Hintergrund. Dieser soll bezüg- dungsmassstab, eignen sich aber nur für Teleobjektive. lich Helligkeit und Farbe möglichst mit dem Motiv n Vorsatz- oder Nahlinsen, die wie ein Filter aufge- kontrastieren. Einen unruhigen Hintergrund können schraubt werden, eignen sich nur als Behelf, da sie qua- Sie mittels einer offenen Blende als unscharfe Fläche litativ oft nicht überzeugen können. erscheinen lassen. Je weiter der Hintergrund entfernt n Makroobjektive decken den ganzen Massstabsbereich ist, desto besser wird dies gelingen. Andererseits zwischen unendlich und dem Massstab 1:1 ab, was Auf- können Sie durch Abblenden die Struktur des Hinter- nahmen in natürlicher Grösse ermöglicht. Sie erzeugen grunds deutlich werden lassen und so im Bild zusätz- die schärfsten Bilder von allen genannten Varianten liche Informationen über das Umfeld liefern. und sind handlich. Wer wirklich gerne Makro fotogra- n Versuchen Sie mit natürlicher Beleuchtung zu fotogra- fiert, kommt daran nicht vorbei. fieren. So bleibt die Stimmung erhalten, und das Bil- dergebnis lässt sich viel besser abschätzen, als beim Herausforderungen Einsatz von Blitzgeräten. Schatten können Sie bei Unabhängig davon, ob wir mit einem Makroobjek- Bedarf mittels eines Reflektors aufhellen. Mit diesem tiv, mit hochwertigen Nahlinsen, Zwischenringen oder lenken Sie das Sonnenlicht um. Als Reflektor reicht

46 AEROPERS schon ein weisser Karton. Alternativ können Sie mit weg blitzen. Deswegen muss man den Blitz entfesselt einem lichtdurchlässigen Material zwischen Sonne einsetzen oder ein Makroblitzgerät verwenden. Aber und Motiv dafür sorgen, dass gar nicht erst harte aufgepasst: Blitzlicht ist verhältnismässig hart und Schatten entstehen. Dafür eignet sich zum Beispiel erzeugt entsprechend dunkle Schatten. Ausserdem Pergamentpapier oder ein weisser Regenschirm. Ein fällt das Licht nach hinten rasch ab, was oft zu einem solcher «Diffusor» lässt das Sonnenlicht «weicher» völlig schwarzen Hintergrund führt. Deswegen hat werden. sich bei mir der Einsatz von mindestens zwei Blitzen n Bei grösseren Abbildungsmassstäben oder auch bei bewährt: Ein Hauptblitz von oben, um das Sonnen- bewegten Motiven kann ein Blitz helfen. Der kame- licht zu simulieren, und ein schwächerer Blitz von der rainterne oder aufgesetzte Blitz eignet sich aber lei- Seite, um die Schatten aufzuhellen. Die Blitze können der nicht dazu. Er würde einfach über das Motiv hin- bei vielen Systemen drahtlos über die Master-Slave- Funktion der Kamera gesteuert und in ihrer Stärke dosiert werden.

Wer diese Tipps beherzigt oder sie zum Anlass nimmt, sich in dieser faszinierenden Thematik zu ver- tiefen, der wird mit etwas Geduld und Experimentier- freude bald tolle Fotos schiessen und sich an der Welt des Kleinen freuen.

Aktuelle Fotokurse fotowerkstatt-kreativ.ch

Weitere Fototipps dominique-wirz.ch/blog 1

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4 5 1. Durch die intensive Beschäftigung mit einem kleinen Motiv gewinnt der Moment an Bedeutung. So hat Makrofotografie einen erholsamen Effekt und kann zum Glücksempfinden beitragen. 2 Weiches Licht bei bewölktem Himmel eignet sich oft besser, um die Feinheiten des Kleinen zu zeigen. 3. Damit trotz der geringen Schärfentiefe alle Schmetterlinge scharf sind, muss die Kamera so ausgerichtet werden, dass die Schärfeebene parallel zur Sensorebene verläuft. 4. Ein Hauptblitz von oben simuliert das Sonnenlicht, ein schwächerer Blitz von der Seite hellt die Schatten auf. 5. Spezielle Makroblitze, die an einem Ring am Objektiv befestigt werden können, erleichtern das Fotografieren von bewegten Kleintieren erheblich.

Rundschau 2 | 2020 47 EXKLUSIVES RECHTSSCHUTZANGEBOT FÜR MITGLIEDER DER SWISSALPA Ist man in einen Streitfall verwickelt, ist guter Rat sprichwörtlich teuer.

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Es gelten die Allgemeinen Bedingungen (AB) privaLex® Global-Rechtsschutz, Ausgabe 06.2016, sowie die Zusatzbedingungen (ZB) Rechtsschutz für Eigentümer von selbst bewohnten Liegenschaften (Ausgabe 02.2014) sowie für den Multi Risk Rechtsschutz (Ausgabe 01.2017). Der Rechtsschutz im Zusammenhang mit der statutarischen Tätigkeit der SwissALPA wird ausschliesslich über die Berufs-Rechtsschutzdeckung der bei der CAP versicherten Pilotenvereinigung gewährt. Ihre Daten werden absolut vertraulich behandelt. Bei der Bearbeitung und Aufbewahrung von Personendaten beachten wir die Vorschriften des Bundesgesetzes über den Datenschutz (DSG) und seiner Verordnung. Die Daten werden nur für die gewünschten Zwecke genutzt (z.B. Erstellen einer Offerte/Police oder Zustellung von Unterlagen) und nicht an Dritte weitergegeben. Wir behalten uns aber vor, Ihre Daten im Zusammenhang mit Produkteoptimierungen und für interne Marketingzwecke zu bearbeiten. Sie haben ein Recht auf Auskunft sowie unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Berichtigung, Sperrung oder Löschung Ihrer elektronisch gespeicherten Daten.

Allianz_SwissALPA_Multirisk_210x250_d.indd 1 14.12.18 08:55 The President’s Voice

Und plötzlich war alles anders. Ich erinnere mich daran, als im Februar in China das Corona-Thema drohte, Einfluss auf das SWISS-Streckennetz zu nehmen. Damals wies ich unseren Ressortleiter für Safety, Security und Training noch fast beiläufig an, die Entwicklung im Blick zu behalten. Der Verlauf ist uns allen hinlänglich bekannt. Die ganze Welt und mitten drin die Luftfahrt, befinden sich in einer ausgewachsenen Krise. Wenn ich jetzt diese «President’s Voice» dem Thema Corona widme, dann laufe ich Gefahr, dass der eine oder andere sagen wird: «Ich kann es nicht mehr hören. Wann ist das Thema vorbei?» Das ist wahrscheinlich eine der meist gestellten Fragen der letzten Wochen und eine seriöse Antwort kann darauf wohl niemand geben. Die Ausgangslage hat sich während der gesam- ten Zeit ständig verändert und die Lagebeurteilung musste dem stetig fol- gen. Ich möchte trotzdem einen Blick in die Zukunft wagen. Die Luftfahrt wird in regelmässigen Abständen von Krisen erschüttert. Wir erinnern uns an 9/11 im Jahr 2001, gefolgt von der Finanzkrise 2008. Kurz darauf legte der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull den Flugver- kehr im Jahr 2010 kurzzeitig komplett lahm. Die ganze Branche reagiert fragil auf exogene Störungen. Und doch stellen die Fluggesellschaften in dieser globalisierten Welt relevante Versorgungswege sicher. Sie sind für das Überleben wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Systeme wichtig und auch durch Videokonferenzen nicht zu ersetzen. Es wird wieder geflogen werden, es werden weiterhin Güter transportiert werden und die Luft- fahrt wird auch diesem Fegefeuer entkommen. Das ist meine persönliche Überzeugung. Die Rückkehr zum Erfolg war nie ein Selbstläufer und wie in der Natur, werden die Starken überleben. Es war überfällig, das irra- tionale Wachstum der Branche der letzten Jahre zu stoppen. Weder der Markt noch die Politik haben das geschafft. Nun wird der Markt auf diese brutale Weise korrigiert. Das fairste an dieser Krise ist, dass sie quer durch die gesamte Branche alle hart trifft. Nach der Corona-Krise werden sich die Welt und die Luftfahrt verändert haben. Für den europäischen Markt stütze ich die «3:2»-These vieler Experten. Sie besagt, dass die drei grossen Gruppen-Gesellschaften Lufthansa, Air France-KLM und IAG sowie die Low- Cost-Anbieter Ryanair und Easyjet den Markt bestimmen werden. Die seit Jahren überfällige Konsolidierung des europäischen Marktes könnte sich auf diese, leider schmerzhafte Weise, fortsetzen. Und so birgt auch diese Krise, durch eine solche Bereinigung, Möglichkeiten und Chancen für die

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Zukunft. Ohne naiv zu sein, können wir davon ausgehen, dass die grossen Airlines in der Schweiz, namentlich die SWISS, die Edelweiss und Easyjet Switzer- land, grundsätzlich solide genug aufgestellt sind, die Krise mit ihren Mit- arbeitern zu meistern. In der gesamten Branche, wie auch in der Schweiz, verzichten die Pilo- ten auf substanzielle Bestandteile ihrer Arbeitsbedingungen. Das betrifft Lohnbestandteile und FTL-Anpassungen (bei Redaktionsschluss liefen bei der SWISS und der Edelweiss noch die Verhandlungen). In einem vertrau- ensvollen Verhältnis zwischen Management und Belegschaft darf in einer ausserordentlichen Zeit wie dieser auch auf die Unterstützung der Piloten gezählt werden. Aber was kommt danach? Dazu erinnere ich mich gerne daran, wie mir einer meiner Lehrer Anfang der 90er Jahre die Krise bei einem grossen deutschen Autobauer erklärt hat. Er zeigte auf, was es mit den ausufern- den Streiks bei Opel damals auf sich hatte und rundete die Ausführungen damit ab, dass es ein Land gibt, in dem man Krisen und Erfolge friedlich teilt. Läuft es schlecht, leisten die Mitarbeiter einen Beitrag. Läuft es wie- der gut, lässt man die Angestellten profitieren. Er sprach natürlich von der Schweiz. Zugegeben: Die Darstellung ist etwas plakativ. Aber sie spiegelt das wider, wofür die hiesigen Werte stehen, mit denen sich besonders die SWISS und die Edelweiss nach aussenhin gerne schmücken. Ich mache mir absolut keine Illusionen, dass die Piloten in der Schweiz von Forderungen der Manager nach langfristigen und substanziellen GAV-Anpassungen ver- schont bleiben werden. Es gibt allerdings keinen Grund dafür, dass wir nach der Krise mit unseren Arbeitsbedingungen schlechter dastehen müss- ten als vorher. Wie lange die Krise noch dauert, weiss ich leider auch nicht. Aber ich bin überzeugt, dass wir sie überstehen werden.

Der soeben von Euch gewählte AEROPERS-Vorstand wird sich weiter für «das langfristige Wohl der Mitglieder am Arbeitsplatz» einsetzen und dafür, dass die Piloten der SWISS und der Edelweiss gut vertreten und am Ende der Krise noch an Bord sind.

Kilian Kraus, Präsident

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Editorial

Statt unserer Flugzeuge umkreist gerade ein Virus die Welt. Die Situation betrifft uns alle, der Umgang ist jedoch individuell. Einige mögen aus der Vergangenheit die Zuversicht gewonnen haben, dass es immer weitergeht. Andere fürchten sich vielleicht – um den Rest der Karriere, um die frisch getätigte Anzahlung auf ein Haus oder kurz, um ihre Existenz. Ein gewisses Unbehagen verbindet uns alle. Was uns aber genauso verbindet, ist die Zuge- hörigkeit zu zwei besonderen Pilotenkorps. Das Pilotendasein alleine mag nicht einzigartig sein, das Lebensgefühl des Piloten bei unseren beiden Fir- men aber sehr wohl. Ich bin froh, dass ich Euch zu meinen Kollegen zählen darf. Denn in den schwierigeren Momenten erinnere ich mich daran, dass es wohl wenige Firmen gibt, in denen Schwierigkeiten mit solch professio- nellem Selbstbewusstsein entgegengetreten wird. Wir können etwas – und zwar mehr als das gesetzliche Minimum. Gleiches gilt für unseren Verband. Deshalb werden wir gemeinsam das Nötige dazu beitragen, unseren Firmen die notwendige Hilfe zu leisten. Was das langfristige Überleben der Firma sichert, ist zurzeit ein kurzfristiger Beitrag zum Gesamtwohl. Die SWISS und die Edelweiss sind zukunftsfähige Unternehmen, die ihre Existenzberechti- gung nicht bloss in ihrem wirtschaftlichen Erfolg finden. Sie beweisen spe- ziell in diesen Krisenzeiten mit Repatriierungs- und Cargo-Flügen, dass sie die Airlines der Schweiz sind. Diese Leistungen werden nicht zuletzt von den Mitarbeitern an der Front erbracht – und damit auch von uns. Deshalb sind wir ein wertvolles Investitionsgut. Und deshalb können wir auch professio- nell und selbstbewusst genug sein, um in der Krise etwas herzugeben – aber nicht ohne klar zu sagen, dass wir nach der Krise wieder gutes Geld wert sein werden. Auch die «Rundschau» bleibt von den Einflüssen der Krise nicht verschont. So kommt es auch, dass Ihr die Rundschau nun zu Hause in den Händen haltet. Aber statt ebenfalls in die Corona-Kerbe zu hauen, haben wir uns ent- schieden, Euch eine etwas breitere Themenauswahl zu präsentieren. Wie es mit der Aviatik in der Schweiz weitergeht, hängt nämlich nicht bloss vom Virus ab. Schon lange vor der Krise standen sich, was die Entwicklung der Schweizer Fliegerei angeht, verhärtete Fronten gegenüber. Der Flughafen Zürich, in Zusammenarbeit mit den Schweizer Airlines, ist ein massgeben- der Wirtschaftsmotor, der hilft, den langfristigen Wohlstand der Schweiz zu sichern. Doch mit dem Wachstum des Flugverkehrs erstarkten auch seine Gegner. Spätestens nach der einseitigen Deutschen Verordnung formierte

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 sich starker Widerstand bei den lärmbetroffenen Bürgern in der Schweiz. Die Siedlungspolitik des Kantons Zürich tat ihr Übriges, indem sie die Erschlie- ssung des Flughafengebietes forcierte. In der Serie «ZRH und die Zukunft» lässt Roman Boller nun Priska Seiler Graf stellvertretend für die Kritiker des Flughafens zu Wort kommen. Obschon uns von dieser Seite ab und zu eine steife Bise entgegenweht, ist es auch in unserem Interesse die Argumente unserer Kritiker zu kennen. Ein Thema, das in solchen Diskussionen gerne verlorengeht, ist der enorme Innovationswille in der Aviatik. So beleuchtet Marcel Bazlen in dieser Ausgabe die Biomimetik. Leider ist das Marcels letzter Text. Er hat die «Rundschau»- Redaktion fast sechs Jahre lang unterstützt. Getreu dem Motto «Gutes Pferd springt knapp» kamen seine Texte immer sehr pünktlich zum Redaktions- schluss. Doch sie waren stets sehr tief und breit recherchiert, sodass unsere Leser mit stilsicheren, präzisen und intelligenten Texten den jeweiligen The- men näherkommen konnten. Wir werden Marcel in der Redaktion vermissen. Doch wer weiss, vielleicht überkommt ihn hin und wieder die Lust, in die Tasten zu hauen. Wir hoffen mit unserer Themenwahl ein wenig Abwechslung in Euren Corona-Alltag gebracht zu haben. In diesem Sinne wünschen wir Euch: Blii- bet gsund!

Janos Fazekas

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 ZRH und die Zukunft – die Kritiker Viele Menschen assoziieren Fliegen mit positiven Emotionen. Es verbindet Menschen und Kulturen, ermöglicht Reisen, Ferien, Geschäftspartnerschaften und den Transport von Gütern. Doch wo geflogen wird, da gibt es auch Lärm, Treibhausgase und andere Schadstoffe. So haben sich, wie an allen grösseren Flughäfen dieser Welt, auch in Zürich zahllose Lärmschutz- organisationen formiert – mit teils stark divergierenden Zielen.

Text: Roman Boller

Lärm als gemeinsamer Feind Was in vielen europäischen Flughafenregionen der Fall ist, ist auch in Zürich zu beobachten. Die gute Verkehrsinfrastruktur rund um den Flug- hafen Zürich sowie die Nähe zur Stadt machen das Gebiet zu einem attrak- tiven Wohnraum. Die intensive Bautätigkeit, die seit Jahren zu beobachten ist, wird auch in Zukunft kaum abreissen. Insbesondere, da das verdich- tete Bauen in der Flughafenregion politisch forciert wird. Gemäss dem kantonalen Richtplan soll diese Region 80 Prozent des künftigen Bevölke- rungswachstums aufnehmen. Die Zunahme an Anwohnern rund um den Flughafen führt automatisch zu einem Anstieg von Fluglärm betroffenen Personen. So haben sich in den letzten Jahrzehnten diverse Organisatio- nen gebildet, die sich für den Schutz der Bevölkerung vor Lärm einsetzen – jede natürlich in ihrem jeweiligen Gebiet. So kommt es, dass sich all diese Organisationen allgemein gegen Lärm und die Weiterentwicklung des Flug- hafens einsetzen. Wie sie dieses Ziel jedoch erreichen wollen, da gehen die Meinungen auseinander. Denn der verbleibende Lärm soll selbstverständ- lich möglichst auf dem Gebiet der jeweils anderen Regionen anfallen. Aus- bauten und Investitionen an der Flughafeninfrastruktur werden aus tak- tischen Überlegungen nicht grundsätzlich abgelehnt. Die Schutzverbände des Südens unterstützen durchaus die längst überfälligen Verlängerungen der Pisten 28 und 32. Diese Massnahmen würden es grösseren Flugzeugen einerseits ermöglichen, länger von Westen her zu landen. Andererseits wären mehr Starts Richtung Norden möglich. Beides würde den Süden ent- lasten und somit den Westen und den Norden mehr dem Lärm aussetzen. Die Organisationen dieser Regionen setzen sich entsprechend gegen solche Ausbauten ein und fordern von der Piste 16 her den Südstart geradeaus über die Zürichseeregion. Diese Partikularinteressen erschweren jegliche

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 vernünftige Diskussionen über Entwicklungsmöglichkeiten des Flugha- fens Zürich.

Die Deutschen sind schuld – oder? Seit 2003 darf das deutsche Gebiet zu Randzeiten frühmorgens und spätabends nur noch oberhalb einer gewissen Höhe überflogen wer- den, was den Betrieb am Flughafen Zürich erheblich beeinträchtigt. Mit dieser einseitigen Verordnung hat die Lärmbelastung in anderen Gebieten praktisch über Nacht ex-trem zugenommen. Da das süddeut- sche Einzugsgebiet des Flughafens Zürich sowohl für die dort ansäs- sigen Firmen als auch für privat reisende Personen äusserst wichtig ist, erstaunt diese Blockadehaltung umso mehr. Ein Blick auf die Ereig- nisse von vor 2003 erklärt diese Unnachgiebigkeit zumindest teilweise. In den 1970er Jahren wurde die Piste 14/32 in Betrieb genommen. Die deutschen Behörden wurden hierzu nicht konsultiert. Einige Jahre spä- ter wurde eine Vereinbarung geschlossen, die vorsieht, dass mindestens ein Drittel der Anflüge in Zürich auf die Piste 16/34 erfolgen sollen. Da diese jedoch das Pistenkreuz tangieren und somit die Kapazität einschränken, wurde die neue Vorgabe vom Flughafen Zürich regelmässig missachtet. Als Reaktion kündigte Deutschland die getroffene Vereinbarung im Jahr 2000 wieder auf und ein neuer Staatsvertrag wurde ausgehandelt. Dieser sah nebst einer Reduktion der Nordanflüge neu auch Sperrzeiten vor. Der damalige Verkehrsminister Moritz Leuenberger geriet ab diesem Verhand- lungsresultat ins politische Fadenkreuz und scheiterte mit dem Staatsver- trag vor den eidgenössischen Räten im März 2003. In diesem vertragslosen Zustand verfügte Deutschland einseitig noch drastischere Sperrzeiten, die bis heute Gültigkeit haben. Damit geriet die Schweizer Politik in die Defen- sive. Ein neuer Staatsvertrag mit Zugeständnissen wurde vom Schweizer Parlament 2013 ratifiziert. Auf deutscher Seite lässt sich jedoch unterdes- sen politisch viel Kapital aus der Fluglärmthematik schlagen. So bleibt der neue Staatsvertrag bis heute blockiert und ist wohl kaum mehr zu retten. Der heutige Sachplan Infrastruktur Luftfahrt (SIL) etwa rechnet schon gar nicht mehr mit einem Erfolg der Verhandlungen. Wer hat den Streit denn nun wann und aus welchen Gründen begonnen? Das politische Wirrwarr ist gross und die Haltungen blockiert. Die Thematik verursacht in beiden Ländern innen- und aussenpolitische Verwerfungen. Warum das aktuelle System gemäss hiesigen Lärmschutzverbänden jedoch nicht nur schlecht ist, wird in folgendem Interview geklärt.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Auf ein Wort mit Priska Seiler Graf «Rundschau»: Frau Seiler Graf, Sie setzen sich stark für den Umwelt- und Lärmschutz ein. Aus diesem Grund kämpfen Sie als Co-Präsidentin der Koalition Luftverkehr Umwelt und Gesundheit (KLUG) und Präsidentin des Dachverbandes Fluglärmschutz an vorderster Front gegen die Entwicklung des Flughafens Zürich. Was motiviert Sie dazu? Priska Seiler Graf: Seit 20 Jahren beschäftige ich mich nun mit die- sem Thema. Selber in Kloten wohnhaft, sehe ich natürlich die Ambiva- lenz des Flughafens. Einerseits bringt er wirtschaftlichen Wohlstand und Arbeitsplätze, auf der anderen Seite steht aber auch die Umweltbelas- tung. Hierzu gehört nicht nur der Lärm. In letzter Zeit hat sich der Fokus etwas gewandelt und es steht immer mehr auch die Klimafrage im Fokus. Hier ist mir eine gesunde Balance wichtig. Eine gewisse Entwicklung in Zürich ist durchaus berechtigt und ich will betonen, dass ich nicht gegen den Flughafen oder den Flugverkehr bin. Ich bin aber gegen unbegrenz- tes Wachstum und vertrete die Meinung, dass es gerade vor der Corona- krise gewisse Entwicklungen in der Luftfahrt gegeben hat, die ich nicht als gesund empfunden habe. Wenn man für 30 Franken nach London fliegen kann, ist das absurd. Hier sehe ich weder wirtschaftliche Wertschöpfung noch Nachhaltigkeit. In diesem Spannungsfeld habe ich mich schon immer bewegt, wobei die Lärmdiskussion mit dem Scheitern des Staatsvertra- ges mit Deutschland so richtig begonnen hat. Die einseitige Einführung der Überflugverbote hat in der Flughafenregion Zürich zu mehr Lärm ge- führt und bei der Bevölkerung zu viel Unverständnis. Dazu kamen noch Wachstumsprognosen der Volkswirtschaftsdirektion, die von jährlich 450 000 Flugbewegungen sprachen. Dies war der Moment, als ich in diese Fluglärmthematik eingestiegen bin. Unterdessen hat sich einiges verän- dert und neue Flugzeuge haben viel zur Lärmreduktion beigetragen. Die Thematik ist nun auf eine höhere Ebene gehoben worden, indem nun eben mehr von Klimapolitik die Rede ist.

Die Lärmthematik kommt also etwas aus der Mode und man beschäftigt sich intensiver mit der Klima-frage. Folgt man damit einer Modeerschei- nung oder ist die Lärmproblematik wirklich kleiner geworden? Ich wohne selber in der Anflugschneise der Piste 28 und sehe, dass die Lärmbelastung der individuellen Flugzeuge dank dem technischen Fort- schritt tatsächlich abgenommen hat. Teilweise sind diese Fortschritte jedoch durch das grössere Verkehrsaufkommen wieder aufgehoben wor-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 den. Auch hier hat in letzter Zeit eine Entwicklung in die richtige Richtung stattgefunden, indem sich die Auslastung der einzelnen Flugzeuge verbes- sert hat. Am Anfang haben sich ausserdem alle Regionen um den Flugha- fen Zürich gegenseitig bekämpft. Jeder wollte auf seinem Gebiet möglichst wenig Lärm. Irgendwann hat man sich dann gemeinsam darauf festgelegt, dass das Problem des Lärms vor allem zu den sensiblen Nachtstunden ein Thema ist. Seither versucht man gemeinsam, die im Flughafengesetz fest- geschriebene Nachtruhe durchzusetzen. Die Lärmdiskussion ist nach wie vor wichtig, fokussiert sich nun jedoch mehr auf den Schutz während der Randzeiten.

Diese Nachtruhe von sieben Stunden am Flughafen Zürich ist in Europa einzigartig. Das kann man so nicht unbedingt sagen. In Frankfurt haben sie zwar nur fünf Stunden Nachtruhe, die aber äusserst strikt eingehalten werden. Die sieben Stunden in Zürich wären tatsächlich einzigartig, wenn diese wirklich eingehalten würden. Dies ist leider jedoch nicht der Fall. Da nach wie vor viel zu viele Ausnahmen bewilligt werden, haben wir faktisch eine deutlich kürzere Nachtruhe. Auch der Verspätungsabbau spätabends treibt bekannterweise den viel zu hohen Fluglärmindex nach oben.

Der Flughafenbericht 2018 zeigt aber gerade auf, dass eben dieser Fluglärmindex dank neuen Flugzeugen und weiteren Massnahmen deut- lich zurückgegangen ist. Die Zürcher Kantonsregierung stellt ausserdem eine weitere Annäherung an den Richtwert von 47 000 betroffenen Per- sonen in den nächsten Jahren in Aussicht. Das müssten doch gute Neu- igkeiten sein? Hier kommt auch die seit letztem Jahr verwendete, neue Berechnungs- methode hinzu. Man kann natürlich schon die Art der Berechnung ändern und so den Wert verbessern. Das widerspiegelt dann aber nicht mehr die Tatsachen. Ich war dazumal im Kantonsrat und habe mich selber für die Einführung dieses Fluglärmindexes ausgesprochen. Dieser muss jedoch als Monitoring-Instrument betrachtet werden. Man kann daraus schlie- ssen, aus welchen Gründen der Wert gestiegen oder gesunken ist. In den letzten Jahren ist dieser Index jedes Jahr gestiegen, ohne dass irgend- welche Massnahmen getroffen wurden. Natürlich hat sich der Kanton Zürich durch seine Siedlungspolitik selbst in dieses Dilemma begeben. Es ist ein Widerspruch in sich, das Bevölkerungswachstum in der Flughafen-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 region voranzutreiben und gleichzeitig den Fluglärmindex reduzieren zu wollen. Umso wichtiger wird die Einhaltung der Nachtruhe, um den Wert in den Griff zu bekommen.

Dieser offensichtliche Zielkonflikt führt auch in der Kantonsregierung immer wieder zu Diskussionen. Was ist denn nun wichtiger: Die Siedlungs- politik oder der Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm? Wie so oft in der Schweizer Politik müssen beide Seiten berücksichtigt werden. Es ist klar, dass das Bevölkerungswachstum stattfindet und die Leute dort leben wollen, wo sie arbeiten. Gleichzeitig müssen diese Perso- nen jedoch auch vom gesundheitsschädigenden Lärm geschützt werden. Studien belegen, dass vor allem der Lärm während der Nacht die Gesundheit beeinträchtigt. Aus diesem Grund ist der Kompromiss wohl darin zu finden, dass die Nachtruhe strikt eingehalten wird. Es gilt aber auch, Flugbewegun- gen zu vermeiden, die nicht nötig sind. Die Bedeutung der internationalen Anbindung für die Wirtschaft will ich nicht bestreiten und die Bevölkerung soll auch in die Ferien fliegen können. Es gibt jedoch zu viele Billigangebote, mit denen eine Nachfrage generiert wird, wo gar keine vorhanden gewesen wäre. Gegen dieses exzessive Fliegen wehre ich mich.

Innerhalb der einzelnen Lärmschutzorganisationen divergieren die Inte- ressen stark. Der Süden pocht auf die überfälligen Pistenverlängerungen, alle anderen wollen den Südstart geradeaus forcieren. Welche Himmels- richtung soll man denn nun priorisieren? Die Entscheidungsträger dürfen sich schlussendlich von keiner Himmels- richtung beeinflussen lassen. Es muss das gelten, was von der Sicherheit und vom Flugbetrieb am besten geeignet und am praktikabelsten ist. Wie bereits erwähnt, ist man in letzter Zeit von diesem Konkurrenzgedan- ken losgekommen. Man sitzt zusammen an einem Tisch und diskutiert die wichtigsten Themen gemeinsam. Diese sind vermehrt übergeordneter Natur. Sie betreffen das übermässige Wachstum des Luftverkehrs als Gan- zes, sowie Umweltthemen und eben auch die Einhaltung der Nachtruhe. Dieser letzte Punkt bringt allen betroffenen Regionen etwas, unabhängig von der Himmelsrichtung.

In der Diskussion um die Notwendigkeit von Pistenverlängerungen oder An- und Abflugregimen wird viel über die Lärmverteilung und wenig über die Sicherheit gesprochen. Ist diese zweitrangig?

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Wenn das Pistenkreuz oder die Länge der Piste 28 nicht sicher wären, würde man diese hoffentlich auch heute schon nicht mehr betreiben. Das eigentliche Problem liegt darin, dass dieses System nicht sehr stabil ist. Bestimmte Wetter- und Windlagen bringen rasch Instabilität. Dass man aus diesem Grund die Pisten verlängern will, kann ich nachvollziehen. Der Grund für das heutige Misstrauen muss in der Vergangenheit gesucht wer- den. Der Regierungsrat des Kantons Zürich hat der eigenen Bevölkerung, aber auch unseren Nachbarn in Deutschland Sachen versprochen, die nicht eingehalten wurden. Die Gemeinde Kloten hat genaue Abklärungen getä- tigt, bevor sie das Gebiet in der Anflugschneise der Piste 28 bebaut hat. Dabei wurde vom Flughafen und dem Kanton versichert, dass dies nie- mals eine Hauptpiste werden würde. Heute wissen wir, dass dies anders gekommen ist. Solche Vorkommnisse in der Vergangenheit belasten das Vertrauen bis heute. Wenn uns der Flughafen Zürich versichert, dass Pis- tenverlängerungen und Schnellabrollwege einzig der Stabilisierung des Systems entgegenkommen und zu weniger Verspätungsabbau am Abend führen, verstehe ich das. Dennoch ist die Befürchtung gross, dass solche Verbesserungen der Infrastruktur dann doch zu einer Kapazitätssteige- rung führen. Aus demselben Grund wehrt sich der Süden gegen die Süd- starts geradeaus, obwohl diese aus Betriebssicht absolut Sinn ergeben. Es muss am Vertrauen gearbeitet werden.

Die einseitige Sperrung des süddeutschen Luftraumes zu Randzeiten hatte grosse negative Auswirkungen auf die hiesige Lärmbelastung. In Bern scheint man nicht mehr an eine Umsetzung des Staatsvertrages zu glauben. Auch ein Postulat der Zürcher Ständeräte zur Verknüpfung der Schweizer Anliegen bei grenzüberschreitenden Dossiers hat bis heute keine Wirkung gezeigt. Wie stehen Sie als Nationalrätin dieser langwieri- gen Angelegenheit gegenüber? Als Doris Leuthard noch Vorsteherin des UVEK war, habe ich zu dieser Thematik selbst eine Anfrage im Nationalrat gemacht. Die Antwort war, dass dieser Staatsvertrag auf Eis gelegt sei. Das momentan grosse Thema rund um die Beziehung der Schweiz zur EU mit dem Rahmenabkommen wird gros-se Auswirkungen auf diesen Staatsvertrag haben. Dieser hat jedoch momentan neben diesen übergeordneten diplomatischen Verhand- lungen nicht oberste Priorität. Abgesehen davon ist man sich in meinen Kreisen jedoch einig, dass das jetzige Regime am Flughafen Zürich das gerechteste ist. Natürlich gibt es nicht das perfekte System, jedoch ist die

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Lärmbelastung zwischen den Regionen momentan relativ ausgewogen ver- teilt. Aus diesem Grund ist von unserer Seite her auch kein grosser Druck zur Umsetzung des Staatsvertrages mehr gekommen. Das Problem besteht jedoch darin, dass noch keine Rechtssicherheit vorhanden ist. Man befin- det sich nach wie vor in einem vertragslosen Zustand, die jederzeit weitere einseitige Verschärfungen hervorbringen kann. Mit dem momentanen Sys- tem fahren wir als Schweiz jedoch gar nicht so schlecht.

Als Argument für den Schutz der Bevölkerung vor Lärm werden oft die resultierenden Gesundheitskosten vorgeschoben. Auf der anderen Seite steht der Flughafen Zürich, Drehkreuz und Wirtschaftsmotor für den Kan- ton und die ganze Schweiz. Zweifeln Sie an der Bedeutung des Flughafens Zürich? Ich zweifle keinesfalls an der Wichtigkeit des Flughafens und bin auch nicht gegen den Flughafen Zürich. Ich bin aber dagegen, dass dieser unnötig und entgegen dem natürlichen Bedürfnis wachsen muss. Dieses Bedürfnis setzt sich aus den Notwendigkeiten für die Wirtschaft und die Fracht zusammen sowie dem Wunsch der Bevölkerung ein- oder zwei- mal pro Jahr in die Ferien fliegen zu können. Die Auswüchse, die vor der Coronakrise zu beobachten waren, sollte man jedoch keinesfalls unter- stützen. Charterflüge zu billigsten Ticketpreisen nach Mallorca bringen null wirtschaftliche Wertschöpfung. Es gilt die Balance zu finden zwi- schen dem wirtschaftlichen Wachstum und dem Schutz der Bevölkerung. Dabei geht es um Verhältnismässigkeit und es ist an der Politik, diese zu garantieren. Das Wirtschaftswachstum bringt schlussendlich nichts, wenn die Leute aufgrund der Belastung durch den Flughafen immer mehr Krankheiten haben.

Wie in jeder anderen Branche folgt auch in der Luftfahrt das Angebot der Nachfrage. Das Mobilitätsbedürfnis in der Bevölkerung ist gross, und besagte Charterflüge sind nicht selten ausgebucht. Dieses «unnötige» Mobilitätsbedürfnis wird jedoch erst durch die bil- ligen Ticketpreise geweckt. Es darf nicht möglich sein, für 30 Franken nach Mallorca zu fliegen. Aus diesem Grund unterstützen wir eine Flug- ticketabgabe nach dem Verursacherprinzip, wie sie nun Bestandteil der Revision des CO2-Gesetzes ist. Auch unsere Nachbarländer haben sie in vergleichbarer Form. Es braucht in der Luftfahrt eine Strukturbereini- gung. Es muss sozial, wirtschaftlich und ökologisch auf Nachhaltigkeit

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 gesetzt werden. Es braucht gesicherte Strukturen mit Arbeitsplätzen, für die auch nachhaltige Löhne bezahlt werden. Es gibt noch immer viele Arbeitsplätze am Flughafen Zürich, die sehr schlecht entschädigt wer- den und nur dank der Sozialhilfe der Gemeinden existieren können.

Die Umnutzung des Flugplatzes Dübendorf ist bereits in vollem Gang. Auf dem Gelände, das historisch schon immer aviatisch genutzt wurde, sollen künftig auch die Geschäfts- und Kleinfliegerei aus Zürich aufge- nommen werden. Dieses Vorhaben ist Ende letzten Jahres aufgrund faden- scheiniger Argumente weit zurückgeworfen worden. Wie stehen Sie einer weiteren fliegerischen Entwicklung in Dübendorf gegenüber? Ich bin klar dagegen, dass der Flugplatz Dübendorf zur vierten Piste von Kloten wird. Das macht raumplanerisch, volkswirtschaftlich und ökolo- gisch keinen Sinn. Da geht für mich der Kompromiss der Anrainergemei- nen – Historischer Flugplatz mit Werkflügen – eher in die richtige Richtung. Dieser wurde auch von der betroffenen Bevölkerung klar angenommen. Die im November 2019 angekündigte Neubeurteilung des zivilen Flugver- kehrs in Dübendorf durch das UVEK unterstütze ich sehr.

Gerade in der aktuellen Krisensituation zeigt sich, dass die Schweiz nicht nur wirtschaftlich auf eine gute Anbindung ans nahe und ferne Ausland angewiesen ist. Die SWISS und die Edelweiss haben Tausende gestrandete Schweizer Bürger in die Schweiz zurückgeholt und Cargo-Flüge für die Versorgung mit medizinischem Material durchgeführt. Sie selber haben sich gegen eine Unterstützung der Luftfahrt durch den Staat ausgespro- chen. Wieso? Ich bin keinesfalls gegen die Unterstützung der Luftfahrt, sondern ver- trete den Standpunkt, dass diese an Bedingungen geknüpft werden muss. Auch der Bundesrat ist bezüglich der Unterstützung zurückhaltend und knüpft diese an wirtschaftliche Bedingungen. Es ist klar, dass das Geld in der Schweiz bleiben muss. Wir sind der Meinung, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, auch konkrete klimapolitische Ziele zu formulieren. Man soll ökologische Anliegen mit der Unterstützung verknüpfen. Die Luft- fahrtbranche hat diesbezüglich noch viel zu wenig gemacht. Massnah- men wie der viel zu günstige Emissionshandel in der EU nützen nicht viel und sind Augenwischerei. Auch gibt es nach wie vor keine internationale

Kerosinsteuer, keine Mehrwertsteuer und keine CO2-Abgabe, obwohl alle anderen Verkehrsteilnehmer besteuert werden. Der Luftverkehr wurde

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 bewusst bevorzugt behandelt und da gilt es nun, gleiche Bedingungen für alle zu schaffen. Die Luftfahrt soll durchaus mit finanziellen Mitteln unterstützt werden. Es ist dies jetzt aber auch der Zeitpunkt, um ökologi- sche Anliegen zu berücksichtigen.

Man könnte beinahe den Eindruck bekommen, die Luftfahrt sei alleiniger Verursacher des Klimawandels. Fakt ist jedoch, dass der Anteil der Luft- fahrt am weltweiten CO2-Ausstoss 2,83 Prozent beträgt. Es gibt Branchen wie die Landwirtschaft, die deutlich mehr Verschmutzung verursachen. Kaum eine andere Branche setzt sich klimapolitisch so ambitionierte Ziele und investiert derart grosse Beträge in die Forschung wie die Aviatik. Global gesehen gibt es sehr viele Leute, die gar nicht fliegen. Wenn diese Bevölkerungsgruppen so oft fliegen würden wie wir, würde sich das Pro- blem vervielfachen. Die Schweizerinnen und Schweizer fliegen am zweit- meisten. Nur in Norwegen wird noch mehr geflogen, was auch mit der Grösse des Landes zu tun hat. Es ist eine Wohlstandserscheinung. 80 Pro- zent der Destinationen, die aus der Schweiz angeflogen werden, liegen in Europa und könnten auch mit dem Zug gut erreicht werden. Die 2,83 Prozent Anteil am CO2-Ausstoss müssen aufgrund der Tatsache, dass die Verschmutzung in der Atmosphäre stattfindet, mit dem Faktor zwei bis vier multipliziert werden. Dies ist wissenschaftlich erwiesen und wird auch von der Luftfahrtbranche nicht bestritten. Es gibt jedoch durchaus auch andere Branchen, die in Betracht gezogen werden müssen. Natürlich stimmt es nicht, dass die Luftfahrt alleine für den Klimawandel verant- wortlich ist, aber der Anteil ist beachtlich. l

Priska Seiler Graf ist amtierende Nationalrätin, Stadträtin der Stadt Kloten und Co-Präsidentin der SP Zürich. Die aus- gebildete Real- und Oberschullehrerin präsidiert ausserdem den Dachverband Fluglärmschutz (DVFS) sowie die Koalition Luftverkehr Umwelt und Gesundheit (KLUG). Aufgewachsen und wohnhaft in Kloten, interessiert und engagiert sie sich schon immer rund um die Themen Verkehr und Flughafen. Priska Seiler Graf ist verheiratet und hat drei Kinder.

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Einer für alle – alle für einen «In der Krise rückt die Gesellschaft zusammen!» Das ist zumin- dest eine weit verbreitete Annahme und wird in der Corona- Pandemie auch vermehrt gehört. Solidarität und Zusammenhalt lässt sich jedoch weder erzwingen noch befehlen. Entscheidend sind Werte und Gemeinsamkeiten.

Text: Dominik Haug

Solidarität kommt von dem lateinischen «solidaritas» und bedeutet Zusam- mengehörigkeit. Es können Individuen, mehrere Personen oder auch grössere Gruppen und gar ganze Gesellschaften sein, die sich gegenseitig helfen und unterstützen. Seit der Verbreitung des neuen Corona-Virus und der damit einhergehenden Pandemie ist das Wort «Solidarität» in vieler Munde. «Man muss jetzt solidarisch handeln», sagen Politiker, Medien und Wissenschaft- ler. Dabei geht es um die Alten und Kranken, die in ihrer Existenz bedrohten Unternehmer und Arbeitnehmer, die ge- oder auch überforderten Eltern. Die Liste lässt sich lange fortsetzen.

Solidarität aus soziologischer Sicht Aus soziologischer Sicht ist mit Solidarität immer eine gewisse Vorstellung davon gemeint, was wir uns gegenseitig an Unterstützung und Hilfe schuldig sind. Bei solidarischen Handlungen ist man dazu aufgefordert, von seinen eigenen Interessen abzuweichen und auch Nachteile in Kauf zu nehmen. Dies grenzt die Solidarität von der Kooperation ab. Wer bei seinem Handeln auf seinen eigenen Vorteil hofft, handelt unter Umständen auch gut und richtig, aber nicht solidarisch. Für solidarisches Handeln sollte kein direkter eige- ner Nutzen in Aussicht stehen. Dennoch ist Solidarität nicht ausschliesslich selbstlos. Nur wer erwarten kann, dass er selbst auch die gleiche Unterstüt- zung erfahren würde, ist zur Inkaufnahme von Nachteilen bereit. Sozialwis- senschaftler unterscheiden seit dem 19. Jahrhundert zwischen «mechani- scher» und «organischer» Solidarität. Die mechanische Solidarität beruht auf Ähnlichkeit und bezieht sich somit auf die eigene Gruppe. Das kann eine Familie, Gesellschaft oder ein Interessensverband sein. Innerhalb dieser Gruppe unterstützt man sich, weil sich die Individuen ähnlich sind. Je ähnli- cher sie sich sind, desto mehr sind sie zur Unterstützung bereit. Wer einem nicht ähnlich ist und damit Aussenstehender, hat keinen Anspruch auf Unter- stützung. Im Gegensatz hierzu steht die organische Solidarität, bei der eine

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Gruppenzugehörigkeit keine Voraussetzung ist. Hier ist man nicht aufgrund der Ähnlichkeit, sondern aufgrund der Abhängigkeit solidarisch. Selbst wenn ein Arbeitnehmer sich überhaupt nicht mit seinem Arbeitgeber identifiziert, ist er doch an dessen Wohl interessiert, weil er schliesslich von ihm abhängt. Mittlerweile hat sich auch ein normativer Anspruch in der Solidarität einge- schlichen. Wir sollen nicht nur mit Menschen, denen wir ähnlich sind oder von denen wir abhängig sind, solidarisch sein, sondern auch mit Menschen, die uns gleichgestellt sind. Je grösser dieser Kreis wird, desto schwieriger tun wir uns, mit allen Mitgliedern dieser Gruppe solidarisch zu sein.

Teildisziplin «Katastrophensoziologie» In der Katastrophensoziologie gibt es Studien zu Naturkatastro- phen, Reaktorunfällen und auch Epidemien. Dadurch weiss man, dass eine Naturkatastrophe nicht mit einer Seuchenepidemie vergleich- bar ist. Das Handeln der Menschen hängt immer davon ab, wovon die Gefahr für sie selbst ausgeht. Bei einem Erdbeben geht die Gefahr nicht von einem anderen Menschen, sondern von tektonischen Ver- schiebungen aus. Jeder ist gleichermassen dieser Gefahr ausge- setzt und keiner trägt eine Schuld an der Gefahr und an den Schä- den. Bei einer Epidemie ist dies anders. Hier geht die Gefahr von den Mitmenschen aus. Man hat Angst voreinander. Solidarität muss diese Angst erst einmal überwinden. In solchen Fällen sind Menschen ext- rem anfällig dafür, nur auf das eigene Überleben zu schauen. Meistens werden Sündenböcke gesucht. So sprach Donald Trump beispielsweise vom «chinesischen Virus». Dabei ist Solidarität auch in solchen Situationen von Vorteil. Das lässt sich auch deutlich an der gut dokumentierten Reaktion der USA auf die Spanische Grippe erkennen. Während es in Philadelphia keine individuellen Einschränkungen gab, wurden in St. Louis die Warnungen vor der Epidemie rasch in Massnahmen des gegenseitigen Schutzes umge- setzt. Die Opferzahlen in Philadelphia waren um ein Vielfaches höher als in St. Louis. In solchen Situationen ist das eigene Wohl am besten gesichert, wenn eben nicht jeder allein auf sich selbst schaut, sondern möglichst viele untereinander solidarisch sind. Dieses solidarische Handeln und der eigene Verzicht haben sich gerade zu Beginn der Corona-Pandemie sehr deutlich gezeigt. Viele Menschen nahmen die Einschränkungen sehr ernst und hiel- ten sich vorbildlich daran. Sie zeigten sich solidarisch mit den gefährdetsten Mitgliedern der Gesellschaft. Vielen waren die Bilder aus Norditalien bekannt und die Bedrohung dadurch sehr konkret. Je länger die Einschränkungen

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 jedoch anhalten und je weniger konkret die Gefahr für einen selbst ist, desto mehr rückt das solidarische Handeln in den Hintergrund. Der Schutz der Schwächeren scheint gegeben und die Bedrohung des eigenen wirtschaftli- chen Überlebens wird immer akuter. Dadurch verschieben sich die Prioritä- ten. Dies heisst jedoch nicht, dass die Gesellschaft im Falle eines Auflebens der Pandemie nicht wieder solidarischer zusammenhalten würde. In der jet- zigen Situation heisst Solidarität das Vermeiden von körperlichen Kontakten. Ich handele solidarisch, wenn ich zu Hause bleibe. Aber auch hierfür braucht man das Vertrauen auf Wechselseitigkeit: Wenn ich zu Hause bleibe, möchte ich nicht, dass ein paar Strassen weiter Corona-Partys gefeiert werden.

Solidarität in der Arbeiterbewegung Unter der Arbeiterbewegung versteht man zwei Dinge. Im weiteren Sinne versteht man darunter Massenbewegungen von abhängig Beschäftigten in Gesellschaften mit industrieller, kapitalistischer Produk-tionsweise. Sie hat die Emanzipation der Arbeiterklasse und die Erlangung von höheren Löh- nen und besseren Arbeitsbedingungen zum Ziel. Als Mittel hierfür gelten Proteste, Streiks und Ähnliches. Im engeren Sinne versteht man unter der Arbeiterbewegung den Zusammenschluss von Handwerkern und Lohnarbei- tern in Vereinen, Gewerkschaften und Parteien. Ziel ist die Verbesserung der sozialen Lage und das Erkämpfen politischer Rechte. In Mitteleuropa besteht die Arbeiterbewegung aus vier Grundtypen: Gewerkschaften als Interessens- vertretung in den Betrieben, Arbeiterparteien als politische Organisationen, Genossenschaften als Selbsthilfeorganisationen und Bildungsvereine wie beispielsweise Arbeitersportvereine. Mit voranschreitender Industrialisierung hat sich im 19. Jahrhundert das Solidaritätsprinzip entwickelt. Die gegenseitige Absicherung innerhalb der Arbeiterschaft gegen, für sie als existenziell bedrohlich wahrgenommene, Entwicklungen der kapitalistischen Industrialisierung wurde zur Grund- lage der Arbeiterbewegung. Arbeiter schlossen sich in solidarischen Verei- nigungen wie Gewerkschaften und Interessensverbänden zusammen und kämpften gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen. Gewerkschaften und Interessensverbände zeichnen sich durch gemeinsame Interessen der Mit- glieder aus. Alle Mitglieder stehen grundsätzlich hinter dem gleichen Ziel. Es herrscht folglich eine grosse mechanische Solidarität. Manche Unternehmen versuchen diese Solidarität durch Aufspaltung der Belegschaft in viele klei- nere Gruppen zu verwässern. So lässt sich ein «die gegen uns»-Gefühl von Neid und Missgunst innerhalb der Arbeitnehmergruppe generieren.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Solidaritätsprinzip Das institutionalisierte Solidaritätsprinzip kommt in der rechtlichen Form bei Versicherungen zum Ausdruck. Reichskanzler Otto von Bismarck verab- schiedete Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland die Sozialgesetze. Er setzte damit bis heute gültige Massstäbe für den Aufbau eines staatlichen Sozialsystems. Unfall-, Kranken- und Altersversicherung hatten aber nicht nur die Linderung der Not zum Ziel. Sie waren politisch motivierte Mass- nahmen, um das Volk von der damals herrschenden Monarchie zu überzeu- gen und von Arbeiterparteien abzuwerben. Jedes Mitglied der Gemeinschaft bezahlt in diese Versicherungen ein. Aus diesem gemeinsam eingezahlten Geld werden denen, die einen Schaden erlitten haben, finanzielle Mittel zur Deckung dieses Schadens zur Verfügung gestellt. Auch bei der Arbeitslosen- versicherung handelt es sich um eine solche Versicherung im Sozialsystem.

Kurzarbeit als Teil der Arbeitslosenversicherung Seit knapp einem Jahrhundert kennt man in der Schweiz die Kurzarbeit. Die Urform der Kurzarbeit lässt sich auf das Kali-Gesetz in Deutschland aus dem Jahr 1910 zurückverfolgen. Es regelte die Kompensation des Arbeits- und Verdienstausfalls im Kalibergbau und der Düngemittelindustrie. Damals gab es in diesen Industriezweigen Produktionsquoten, wodurch zeitweise einige Werke stillgelegt wurden. Die Arbeiter erhielten für diese Perioden eine soge- nannte Kurzarbeiterfürsorge aus Reichsmitteln. Im Jahr 1924 wurde mit der «Verordnung über die Erwerbslosenunterstützung» die «Kurzarbeiterunter- stützung» ins Leben gerufen. Auch in der Schweiz wurde im gleichen Jahr mit dem «Arbeitslosenversicherungsgesetz» erstmals die Kurzarbeit einge- führt. Der Staat war durch die immer mehr aufkommende Arbeiterbewegung gefordert, einen Spagat zu bewältigen. Auf der einen Seite wollte er die Ursa- chen sozialer Spannungen lindern, auf der anderen Seite der Industrie sta- bile Arbeitsbeziehungen garantieren. Die Behörden mussten sich daher mit dem Risiko der Arbeitslosigkeit auseinandersetzen. Zwar gab es auf kommu- naler Ebene vereinzelte Aktivitäten, dennoch waren es die neu gegründeten Gewerkschaftsorganisationen, welche die ersten Arbeitslosenkassen gründe- ten. Die Führer der Gewerkschaften sahen in den Arbeitslosenversicherun- gen ein Mittel zur Stärkung der gewerkschaftlichen Solidarität, zur Begren- zung des Lohndrucks und auch nicht zuletzt zur Rekrutierung und Bindung von Mitgliedern. Im grossen Unterschied zu Deutschland, ist die Arbeitslo- senkasse und damit auch die Kurzarbeit auf das Engagement der Gewerk- schaftsorganisationen zurückzuführen. Breite Akzeptanz und den Durch-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 bruch erlangte die Kurzarbeit Mitte der 1960er Jahre. Nach den bislang nur durch Wachstum und teilweise Vollbeschäftigung gekennzeichneten Jahren des Wirtschaftswunders suchte die Politik damals nach einer Möglichkeit, die ersten Wirtschaftskrisen in der Bundesrepublik Deutschland sozialver- träglich zu überbrücken. Das deutsche Modell der Kurzarbeit gibt es ausser- halb des deutschsprachigen Raums kaum. Die Prozentsätze, die durch das Kurzarbeitergeld abgedeckt sind, unterscheiden sich in den einzelnen Län- dern erheblich. In Deutschland sind 60 Prozent des Lohns (mit Kindern 67 Prozent) abgedeckt. In der Schweiz sind 80 Prozent und in den Niederlanden für sechs Monate sogar 100 Prozent versichert.

Temporäres Hilfsmittel Historisch betrachtet, trug die Kurzarbeit teilweise dazu bei, Entlassungen zu vermeiden. Sie ist ein europäisches Produkt, das im Gegensatz zum ame- rikanischen Prinzip des «hire and fire» steht. In den USA werden in Krisen Mitarbeiter in grosser Zahl schnell entlassen. Bei einem Aufschwung dann aber auch in grosser Zahl wiedereingestellt. Seit Mitte März 2020 haben sich über 30 Millionen US-Amerikaner arbeitslos gemeldet. In der Woche des 25. April haben sich 3,8 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet – ein trauriger Rekord in der Geschichte der USA. Denn vor der Corona-Pandemie lagen die durchschnittlichen Erstanträge bei ungefähr 100 000 pro Woche. Die Arbeits- losenquote liegt nun bei rund 15 Prozent. Auch in Ländern mit Kurzarbeit wie der Schweiz werden die Arbeitslosen- zahlen steigen. Dennoch dürfte die Zunahme deutlich geringer ausfallen. Anders als in der amerikanischen Wirtschaft setzt man hierzulande bei Kri- sen sehr schnell auf das Instrument der Kurzarbeit. Es ist kein Zufall, dass Kurzarbeit insbesondere in Ländern und Branchen anzutreffen ist, wo die betriebliche Aus- und Weiterbildung grosse Bedeutung hat. Die Schweiz mit ihrem dualen Bildungssystem steht hierfür beispielhaft. Wer viel Geld und Zeit in die Ausbildung seiner Mitarbeiter steckt, verzichtet sehr ungern auf den Ertrag dieser Investition. Dies gilt für uns Piloten in höchstem Mass. Auch wenn das Instrument der Kurzarbeit sehr etabliert ist, ist es nicht unumstritten. Teilweise wird argumentiert, dass mit der Kurzarbeit Entlas- sungen nicht verhindert, sondern nur verzögert werden. Es entstünden so Kosten für die Gemeinschaft in der Arbeitslosenversicherung, die vermeid- bar gewesen wären. Ein weiteres Argument zielt darauf ab, dass sich Unter- nehmen die Arbeitsplätze von der Versicherung subven-tionieren lassen wür- den. Diese Arbeitsplätze seien auch ohne Unterstützung vorhanden gewesen

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 und die Firmen würden so nur Lohnkosten sparen. Ob die Kritik berechtigt ist, lässt sich nur fallweise und nicht pauschal beurteilen. In der Finanzkrise 2008 scheint das Instrument funktioniert zu haben. Laut den Autoren einer Studie der «Konjunkturforschungsstelle KOF» hat die Kurzarbeit zwischen 2009 und 2015 dazu beigetragen, Entlassungen langfristig zu verhindern. Auch kostenmässig habe sich der Einsatz gelohnt, da höhere Ausgaben für Arbeitslosenentschädigungen vermieden werden konnten. Zu einem weniger positiven Ergebnis kommt eine Studie der gleichen Forschungsstelle über die Rezession der Jahre 2001 bis 2003. Damals habe die Kurzarbeit nicht zum Erhalt von Arbeitsplätzen geführt. Vielmehr habe die Mehrzahl der Firmen mit Kurzarbeit die Stellen doch abgebaut. Ähnlich sei es in den Krisen der Jahre 1981 bis 1983 und 1991 bis 1993 gewesen. Wie die Bilanz der Kurzarbeit in der aktuellen Corona-Krise aussehen wird, kann noch niemand sagen. Sicher ist jetzt schon, dass die Kurzarbeiterent- schädigung extrem teuer ist, da die aktuelle Krise alle Branchen betrifft. Heute schieben viele Betriebe sämtliche Angestellten in die Kurzarbeit. Zwei Quartale lang könne man die Stellen wohl noch behalten, meint der Wirt- schaftshistoriker Tobias Straumann in der NZZ, länger aber kaum. Entspre- chend wichtig sei es, die vom Bundesrat verhängten Massnahmen möglichst bald wieder lockern zu können.

Solidarität bei uns Mitgliedern Inwiefern diese Prophezeiung auf die SWISS und die Edelweiss zutrifft, kann natürlich noch niemand sagen. Wir sind mit unseren Gesamtarbeitsverträgen sehr gut aufgestellt. Selbst bei einem langfristig niedrigeren Bedarf, wovon mittlerweile jeder ausgeht, haben wir mit dem reduzierten Arbeitspensum einen guten Ansatz, um möglichst mit allen Mitarbeitern durch diese Krise zu kommen. Dies versichern uns immer wieder sowohl unsere Vorgesetz- ten als auch der Vorstand der AEROPERS. Nun liegt es an uns Mitgliedern und Piloten, die in der Öffentlichkeit allgegenwärtig eingeforderte Solida- rität mit Leben zu füllen. Wir gehören alle der gleichen Gruppe an, auch wenn die Bedrohung durch die aktuelle Krise individuell unterschiedlich sein mag. Im Grundsatz ist sie jedoch vergleichbar. Seien wir solidarisch mit den Schwächsten in unserer Gruppe. Versuchen wir etwas zu geben, um diesen mit der geringsten Seniorität und dem geringsten Lohn, Unterstüt- zung zukommen zu lassen. Seien wir aber auch solidarisch zum von uns gewählten Vorstand und vertrauen wir auf seine Entscheidungen. Seien wir aber auch weiterhin solidarisch gegenüber unserem Arbeitgeber. Im Gegen-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 zug dazu können wir dann auch Solidarität von diesem einfordern. Geben wir, was wir können und erwarten wir im Gegenzug, dass nur das einge- fordert wird, was auch einen Nutzen hat. Ganz im Sinne: Einer für alle – alle für einen! l

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Wenn China hustet … … bekommt die Welt einen Schnupfen, besagt ein Sprichwort an der Börse. Gerade erleben wir eindrücklich, wie der Ausbruch eines Virus in China die ganze Welt lahmlegen kann. Airlines, Flugzeughersteller und deren Zulieferer gehören zu den am stärksten betroffenen Unternehmen.

Text: Patrick Herr

Zum Jahresende 2019 meldeten die chinesischen Behörden gerade einmal 381 Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus. Während ich diesen Arti- kel schreibe, übersteigt die Zahl bereits weltweit drei Millionen Fälle und das öffentliche Leben steht weiterhin praktisch still. Während sich das Virus vie- lerorts nach wie vor mit atemberaubender Geschwindigkeit ausbreitet, lei- det unsere Branche besonders stark. In vielen Ländern ist die Einreise nicht mehr erlaubt, die Nachfrage nach Flugreisen ist praktisch gleich null. Primär erwischt das logischerweise die Airlines. Und wenn die Airlines schwächeln, müssen im zweiten Schritt die Flugzeughersteller zittern. Dabei stecken diese gerade doppelt in Schwierigkeiten. Einerseits bricht die Nachfrage nach neuen Flugzeugen weg. Andererseits stornieren viele Airlines ihre bestehen- den Bestellungen, grössere Wachstumspläne werden gestrichen und grosse Flottenteile stillgelegt. Boeing, seit den Abstürzen der beiden B737Max ohnehin schon ständig in Schieflage, verzeichnet für das Jahr 2020 bis heute bereits über 300 stor- nierte Bestellungen. Im März gingen gerade einmal 31 neue Bestellungen ein – acht davon sind für die US Navy und werden von Kritikern auch gerne als kaum verdeckte Subvention der US-Regierung an Boeing bezeichnet. Bei Airbus ist die Lage nicht besser. Im März lagen die Bestellungen bei gerade einmal 21 Stück – im Vorjahresmonat waren es noch 58 Stück.

Location, Location, Location … Neben der Nachfrageschwäche kämpfen die Hersteller noch mit einem ande- ren Problem, auf das bislang eigentlich nur Globalisierungsgegner hingewie- sen haben. Die Krise zeigt gerade eindrucksvoll, in welcher Abhängigkeit die globale Wirtschaft von einzelnen Ländern, insbesondere von China und den USA steht. China hat gehustet und die Welt ist verschnupft. Mal abgesehen von der wörtlichen Tragweite der Aussage zeigt sich gerade, wie viel Wahr- heit in diesem Satz steckt. Jahrelang galt es für grosse Hersteller aus prak-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 tisch allen Branchen als unumgänglich, die Produktionskette teilweise oder gleich ganz in China anzusiedeln. Das Land galt als wirtschaftlich stabil und eine repressive Regierung garantierte, dass Ärgernisse wie Arbeitnehmerfor- derungen gar nicht erst aufkamen. Darüber hinaus ist ein Land mit fast 1,4 Milliarden Einwohnern und einem in den letzten Jahren beständig zuneh- menden Wohlstand ein wahres Schlaraffenland für westliche Unternehmen. Die Regierung in Peking steuert dabei die Investitionen sehr geschickt. Wenn ein Unternehmen seinen Anteil am riesigen Absatzmarkt der Volksrepublik dauerhaft sichern will, sollte es tunlichst auch dort investieren und Arbeits- plätze schaffen. BMW fertigt in Shenyang deshalb jährlich etwa eine halbe Million Autos. Das iPhone von Apple wird fast komplett in China zusammen- geschraubt. In der Anfangszeit der Corona-Krise traf es zahlreiche Produkti- onsstandorte dann mit voller Wucht. Die Tesla-Fabrik in Shanghai zum Bei- spiel wurde für fast zwei Wochen geschlossen. Bei voller Auslastung könnte das einen Produktionsausfall von bis zu 10 000 Fahrzeugen bedeuten. Die Vernetzung der Flugzeughersteller mit China ist ähnlich umfangreich. Airbus etwa fertigt in seinem Werk in Tianjin fast zehn Prozent der weltwei- ten A320-Produktion, bald sollen auch A350 dort fertiggestellt werden. Die fast zweiwöchige Schliessung der Fabrik riss also ein gewaltiges Loch in die Produk-tionsbilanz. Boeing gilt in China schon lange als Big Player. Laut eigenen Angaben betra- gen die Investitionen des Herstellers in China knapp eine Milliarde Dollar pro Jahr. Bereits jetzt fliegen weltweit mehr als 10 000 Boeing-Flugzeuge, in denen chinesische Teile verbaut sind. Neben der Endfertigung sind die Flugzeugbauer aber auch in hohem Masse auf einzelne Bauteile aus China angewiesen. Die für die A350 verwendeten Komposit-Bauteile stammen fast ausschliesslich aus einem Joint Venture im chinesischen Harbin. Fehlen diese Teile, stottert daher in der Folge auch die Produktion an allen anderen Standorten.

Der Stoff, aus dem die Flugzeuge sind Das nächste Problem der globalen Wirtschaft ist ebenfalls «Made in China» – oder im Moment eben leider nicht. In China werden zahlreiche Rohstoffe in grossen Mengen gefördert. Sinkt dort die Förderung, fehlen wichtige Roh- stoffe auf dem Weltmarkt. Das gilt vor allem für Aluminium. China ist seit langem der weltgrösste Aluminiumproduzent mit einer jährlichen Produk- tion von zirka 33 Millionen Tonnen. Das zweitplatzierte Indien produziert zum Vergleich gerade einmal 3,7 Millionen Tonnen pro Jahr. China produ-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 ziert pro Jahr mehr Aluminium, als die anderen neun Staaten der Top Ten zusammen. Airbus bewegt sich bei der A350 zwar weg vom grossflächigen Einsatz von Aluminium. Das neueste Produkt besteht bereits zu mehr als 53 Prozent aus neuartigen Verbundwerkstoffen. Dennoch gehört Aluminium weiter zu den wichtigsten Materialien des Flugzeugbaus. Boeing setzt bei der 777X nach wie vor grösstenteils auf Aluminium als wichtigsten Werkstoff. Damit sind die Hersteller erneut stark von China abhängig, dieses Mal ganz am Beginn ihrer Wertschöpfungskette. Im Kampf um die begehrte Ressource haben sie zudem mächtige Kontrahenten, allen voran die Automobilhersteller. Deren Bedarf an Aluminium ist im Moment noch eher gering, da gerade die meis- ten Werke im Leerlauf fahren. Da aber zu erwarten ist, dass die grossen Autobauer in Deutschland und den USA kräftige staatliche Unterstützungen erhalten werden, dürfte ihr Rohstoffbedarf bald wieder steigen und damit auch der Aluminiumpreis. Viele Konzerne befürchten zudem, dass eine Verringerung der Ressourcen- förderung in China infolge des Covid-19-Ausbruchs zuallererst ausländische Abnehmer treffen könnte. Chinas Regierung könnte, da eine freie Marktwirt- schaft fehlt, die nötigen Rohstoffe und Produktionsmittel ganz einfach im Land behalten und erst mal die heimische Wirtschaft versorgen. Die Vor- machtstellung als grösster Spieler macht›s möglich. Auch um den Ausschluss von den chinesischen Rohstoffvorkommen zu vermeiden, liessen sich viele Konzerne in China nieder. Da ausländische Unternehmen nur als Joint Ven- ture mit chinesischen Firmen Standorte aufbauen dürfen, wäre der Zugang zu wichtigen Ressourcen immer noch gegeben, so zumindest die Hoffnung. In Zeiten, in denen ein irrational handelnder amerikanischer Präsident aber auch gerne mal einen handfesten Handelskrieg mit China anzettelt, wächst allerdings vielerorts die Sorge vor einer harten chinesischen Reaktion. Die ganze Welt ist von China abhängig, und die chinesische Regierung weiss das auch. Bei Apple wurde das Problem der Abhängigkeit bereits 2015 diskutiert. Damals wurde die Idee der Abkehr von China aber wieder verworfen. Nicht zuletzt deshalb, weil der Zugang zu günstigen, qualifizierten Arbeitskräften in China ebenso vorhanden ist wie der Zugang zu Rohstoffen in Hülle und Fülle. Seit Beginn der Streitigkeiten zwischen den USA und China versucht Apple jetzt wenigstens kleine Teile seiner Produktion aus China heraus in andere asiatische Länder zu verlegen. Das wirtschaftliche Zugpferd iPhone kommt allerdings weiterhin aus der Fabrik in Zhengzhou. Und damit haben

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 immerhin etwa 60 Prozent von Apples Gesamtumsatz, genauer gesagt etwa 142 Milliarden Dollar, ihren Ursprung in China.

Frachter zu Wasser und in der Luft China, so scheint es zumindest bislang, hat die grosse Welle der Infekti- onen mittlerweile hinter sich. In den Fabriken wird wieder produziert und auch das öffentliche Leben läuft langsam wieder an. Derweil stapeln sich in den chinesischen Häfen nach wie vor Tausende Schiffscontainer, die wäh- rend des Lockdowns nicht abgefertigt werden konnten. Gleichzeitig fehlen diese Container in den USA und Europa, wo bis vor wenigen Wochen noch mit voller Kraft Güter für den chinesischen Markt produziert wurden. Das bedeutet für den Wirtschaftskreislauf, dass einerseits chinesische Rohstoffe und Waren im Moment nur schwer nach Europa kommen, und andererseits europäische Firmen ihre Produkte nur schwer nach China exportieren kön- nen. Spätestens dann, wenn die Krise auch hier überwunden ist und die Pro- duktion wieder läuft, wird das zum Problem. Allein im Februar, so die Agen- tur Sea Intelligence, wurden über 270 000 Container wegen des Corona-Virus nicht von Asien nach Europa transportiert. Immerhin können die Airlines ein wenig davon profitieren. Durch den Wegbruch der Seetransporte stiegen die Kosten für Luftfracht massiv an. Anfang März kostete ein Kilogramm Luftfracht von Shanghai nach Europa noch durchschnittlich 2,32 Dollar, Ende April sind es nun bereits 8,93 Dollar. Obwohl die Preissteigerung der- zeit abzuflachen scheint, könnte die schrittweise Öffnung der Produktion in Europa die Preise wieder anheizen, weil die Vorräte erschöpft sind und dringend Nachschub aus China gebraucht wird. Auch für die SWISS und die Edelweiss bietet der Einbruch des Warenver- kehrs auf See eine Möglichkeit, wenigstens einen kleinen Beitrag zur Kosten- deckung zu leisten. Für die Weltwirtschaft ist all das aber ein Tropfen auf den heissen Stein, da die Ladekapazitäten der Frachtfliegerei einfach viel zu gering sind. Als Vergleich: Das weltgrösste Frachtflugzeug, die An-225, kann maximal 345 Tonnen Fracht transportieren, die Frachtversion der Boeing 777 kommt auf maximal 102 Tonnen. Ein modernes Containerschiff schafft etwa 150 000 Tonnen. War das Stichwort Deglobalisierung bisher eher ein verschwommener Traum von weit links, hat die Krise diesem Thema wieder Aufwind verschafft. Denn gerade zeigt sich, dass der Warenverkehr und die Verteilung der Produkti- onsmittel zwar oft kreuz und quer über den Erdball verteilt sind. Allerdings

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 verteilt sich das Geschehen nicht auf viele Teilnehmer, sondern zum aller- grössten Teil nur auf die Regionen Nordamerika, Europa und Asien. Ein freier Warentransport zwischen diesen Regionen und ein schier unerschöpfliches Produktionspotenzial vor allem in Asien und besonders in China galt bisher als das Mass aller Dinge. Nun entpuppt es sich als Nadelöhr, durch das sich die ganze Weltwirtschaft zwängen muss. Für internationale Konzerne gilt es einmal mehr, die Risiken vorsichtig abzuwägen. Eine Abkehr von China und eine Rückkehr zur Produktion in Europa oder in den USA beinhaltet viel mehr als nur höhere Lohnkosten. Jedes Unternehmen riskiert damit den Ausschluss vom chinesischen Markt an sich. Und selbst wenn in der aktuel- len Krise die Prognosen nach unten korrigiert werden müssen, bleibt dieser Markt höchst attraktiv. Boeing veröffentlichte 2019 eine Prognose über die zukünftige Marktentwicklung. Für China ging man dabei von einem Markt- volumen von 1,3 Billionen Dollar in den nächsten 20 Jahren aus. Das ist mit den Erwartungen für ganz Europa vergleichbar und fast so viel wie für Nord- und Südamerika zusammen. Diese Prognose dürfte zwar nun nicht mehr zu halten sein. Allerdings darf angenommen werden, dass sich an den Verhält- nissen wenig ändern dürfte: China ist und bleibt ein Schlüsselmarkt. Gerade für Flugzeugbauer ist das Verhältnis zu China also essenziell. Und die Runde der Anbieter ist klein. Sie wird von den zwei Branchengrö- ssen Boeing und Airbus dominiert und durch eine Handvoll kleiner Mitspie- ler wie etwa Embraer und Sukhoi ergänzt. Gleichzeitig drängt China mit dem Hersteller COMAC auf den Markt. Keiner der beiden grossen Anbieter kann es sich also leisten, im Rennen um den chinesischen Markt aufzugeben, da der andere sofort zuschlagen würde. Und um wirklich mitspielen zu dürfen, muss man eben weiter in China produzieren und investieren. Wie gesagt, wir erleben eindrücklich, wie verzahnt die Weltwirtschaft tat- sächlich ist und wie ein einziges, unvorhersehbares Ereignis all das ins Chaos stürzen kann. Eine Abkehr von China hin zu mehr Produktion in Europa und den USA ist eine Illusion – sie ist zu teuer und mit viel zu grossen Risiken behaftet. Zuerst wäre ein aufwendiger und teurer Aufbau neuer Infrastruktu- ren nötig. Die logistische Herausforderung wäre gigantisch. Darüber hinaus erforderte es einen riesigen Aufwand, an neuen Standorten auf die Schnelle das nötige Personal zu finden. All das würde enorme Kosten verursachen, die letztlich der Verbraucher tragen müsste. In einer freien Wirtschaftsord- nung kann man einzelnen Firmen ausserdem schlecht vorschreiben, wo sie zu produzieren haben. Die Globalisierung per Diktat umzukehren ist also unmöglich. Stattdessen scheint es, als drehe sich der Wind bei einigen Unter-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 nehmen in Folge der Krise. Die Unternehmensberatung EY befragte kürz- lich 145 Firmen in Deutschland. Etwa ein Drittel davon möchte wegen der Corona-Krise ihre Lieferketten umstellen. Vielleicht verlangsamt sich der Globalisierungsprozess gerade von selbst, weil die Krise zeigt, wie verletz- lich das global vernetzte System sein kann. Vielleicht macht er auch nur eine Pause. Dies dürfte nicht die letzte Pandemie gewesen sein und selbst eine weniger globalisierte Welt ist kein Garant dafür, dass zukünftige Krisen weniger einschneidend wirken. Daher bleibt zu hoffen, dass wir in Zukunft andere Mechanismen finden, um mit derartigen Krisen umgehen zu können. l

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Make CPDLC great again! In einigen europäischen Lufträumen bereits ein Muss, führten die Vereinigten Staaten erst im März 2020 flächendeckend die CPDLC- Technologie ein. Ein Rück- und Ausblick auf die bald zwanzigjähri- ge Geschichte der Datalink-Kommunikation.

Text: Kevin Fuchs, F/O B777

Ein schleppender Start Ihren Ursprung findet die Controller-Pilot-Datalink-Commu- nication Anfang der 2000er Jahre, als sie erstmals im Miami Air Route Traffic Control Center (ARTCC) eingesetzt wurde. Noch weit von den heutigen Möglichkeiten entfernt, wurden zu- nächst vier Services implementiert: Frequenzwechsel, Bestätigung der aktu- ellen Flughöhe, Bestätigung der Höhenmessereinstellung sowie ein Menü, über das vordefinierte Texte gesendet werden konnten. Einige Jahre später wurde eine Alternative zur regulären Kommu-nika- tion über VHF und HF vor allem auf dem Nordatlantik notwendig: Mit dem rapiden Anstieg der Überflüge war ein System erforderlich, das sowohl die Kapazitätssteigerung unterstützen als auch das gegenseitige Blockieren von Frequenzen ausschliessen konnte. Doch wer bedient CPDLC und wie funktioniert es?

Rege Nutzung im Schweizer Luftraum Als Anwendung des ATN (Aeronautical Telecommu-nications Network) ist der Datenaustausch via CPDLC heute bereits aus vielen Lufträumen nicht mehr weg-zudenken. Pascal Büsser, Air Traffic Controller bei der Schweizer Flugsicherung Sky- guide, verrät mir, dass unter den Kollegen, die den Upper Airspace (FL250- FL660) kontrollieren, der CPDLC-Service als zufriedenstellend wahrgenom- men wird. Allgemein habe man bei Skyguide in den letzten sechs Monaten einen regen Anstieg der Datalink-Kommunikation feststellen können, sodass sich mittlerweile rund 50 Prozent der Flüge ins System einloggen. «CPDLC bietet insbesondere Vorteile für den oberen Luftraum, im Approach- Sektor und Tower sind wir uns gewohnt, die Flugzeuge standardgemäss per Voice zu leiten», so Büsser weiter. Den Wunsch nach vermehrter Benutzung von CPDLC auch im unteren Luftraum ver-spüre man nicht. Im Gegen-teil: «Der Faktor Zeit ist bei uns ein zentrales Thema – jede Anweisung an die

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Piloten muss sofort umgesetzt werden.» Dies führe auch zu der Meldung Controller terminated CPDLC, die im Cockpit beim Wechsel auf die Arrival- Frequenz erscheint. Das Einloggen noch vor dem Start am Boden hingegen werde nicht als störend empfunden. CPDLC wird so ab dem Wechsel zu Swiss Radar ab Flight Level 130 aktiv. Interessant ist für mich vor allem zu erfahren, wer das CPDLC-System bedient: «Grundsätzlich ist der Radar Executive, also der Lotse, der auch mit den Piloten funkt, für die Bedienung des CPDLC zuständig. Simple Aufgaben, wie zum Beispiel die Übergabe an die nächste Leitstelle, können jedoch auch vom Radar Planner durchgeführt werden.»

Der CPDLC-Gigant: North Atlantic Ocean Vor der Datalink-Kommunikation wurde im ozea-nischen Luftraum auf- grund der limitierten Reichweite von VHF primär HF genutzt. Denn die Erd- krümmung verhindert die Übermittlung der sich in einer Gerade ausbrei- tenden VHF-Funkwellen. HF hingegen nutzt die oberen Schichten unserer Atmosphäre zur Reflektion und leitet die Wellen von dort aus zur Erd- oberfläche zurück. Doch auch diese Technologie bringt Nachteile mit sich, wie die Einflüsse des Erdmagnetfeldes. Sie wir-ken sich negativ auf die Qualität aus. Auch das Problem zu vieler Sender auf derselben Fre- quenz ist hinlänglich bekannt. Mit der Implementierung von CPDLC im Jahr 2002 wurde auch die Möglichkeit von Missverständnissen zwischen Lotsen und Piloten reduziert. Das prominenteste Beispiel war gemäss eines Berichts der FAA von 2013 Flüge auf einer nicht freigegebenen Flug- höhe. Heutzutage nutzt mit knapp 90 Prozent die Mehrheit aller Flüge in der Shanwick Oceanic Control Area CPDLC. Der Name Shanwick ist ein historisch gewachsener Name, der sich aus zwei Teilen zusammensetzt. Einerseits aus dem ursprünglichen Shannon Aeradio, das 1936 als Boden- funkstelle für die Morse-Kommunikation mit Flugbooten, die den Atlan- tik überquerten, gegründet wurde. Und andererseits aus der schottischen Stadt Prestwick, dem Hauptsitz der heutigen Operation. Die Shanwick OCA ist mit bis zu 1500 täglichen Flügen die verkehrsreichste Nordatlantikre- gion. Daher wird jeden Vormittag im Operations Room des Prestwick Centre ein taktischer Verkehrsplan für die ozeanischen Lufträume erstellt, um den erwarteten Flugverkehr effizient zu bewältigen. Dabei wird der Fokus auf die südöstliche Ecke des Sektors gelegt, denn aus Zentraleuropa kommt zur Mittagszeit die grösste Welle. Hierbei werden die aufgegebenen Flugpläne

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 abgeglichen und bereits eine erste Sortierung der Flüge in unterschiedliche Flight Levels vorgenommen. Mittlerweile ist im NAT HLA ab Flight Level 350 CPDLC vorgeschrieben. Eine Rückkehr zu konventionellem HF-Funk würde einen enormen Kapazitätsverlust bedeuten. Die Kommunikation via Satellit ermöglicht Shanwick nicht nur eine grössere Übersicht und besseres Situati- onsbewusstsein, sondern erledigt auch kleinere Aufgaben voll autonom, wie den Transfer zur nächsten OCA. Bei Shanwick wird CPDLC vom Fluglotsen für alle Enroute Services selbst bedient. Für die Oceanic Clearance ist jedoch ein kleines, separates Team sogenannter Clearance Delivery Officers zustän- dig, die ebenfalls im Operations Room arbeiten. Wer Shanwick Radio per HF kontaktiert, spricht mit einem in Ballygirreen nahe Shannon stationierten HF Radio Operator, der die meisten Requests nach Prestwick übermittelt.

Born in the USA Die USA führten im ersten Quartal 2020 auch für ihre kontinentalen Lufträume flächendeckend CPDLC ein. Zum Vergleich: Das angrenzende Kanada vollzog diesen Schritt bereits im Sommer 2014. In dem von der FAA publizierten Handbuch zur Datalink-Kommunikation beruft man sich auf eine völlige Modernisierung und Revolution der Luftverkehrskontrolle: Die Möglichkeit, mehr Verkehr abzufertigen, Verspätungen abzubauen und Flugzeuge im Reiseflug sowohl sicherer als auch effizienter zu bedie- nen, sind nennenswerte Vorteile. Missverstände – wie zum Beispiel falsche Read-backs – können auf ein Minimum reduziert werden. Dank des einzi- gen Identifiers KUSA für alle inneramerikanischen Lufträume möchte man sicherstellen, dass nicht mehr als ein Logon pro Flug erfolgen muss. Bereits am Boden einzuloggen ist wie bisher an allen CPDLC-ausgerüsteten Towern erwünscht. Nach dem Take-off überprüft das System eigenständig, ob das Flugzeug auch für die Enroute-Technologie zertifiziert ist (Eintrag J4 im Feld 10 des ATC-Flugplans) und gibt es im positiven Fall an die Abflugleit- stelle weiter. Vergisst man, sich am Boden einzuloggen, kann man das im Flug noch nachholen.

Für die Zukunft unverzichtbar Folgt man Prognosen wie beispielsweise der des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums DLR von 2019, so können wir in den kommenden 20 Jahren mit einer Verdopplung des Passagieraufkommens in Europa rech- nen. Damit steigt auch die Anzahl durchgeführter Flüge. Das DLR rechnet für das Jahr 2040 mit rund 53 Millionen Flügen pro Jahr im deutschen

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Luftraum – 2016 waren es 35,5 Millionen. Ähnliche Prognosen machte das BAZL in einer bereits vor fünf Jahren veröffentlichten Studie: Von rund 760 000 IFR-Überflügen im Schweizer Luftraum erwartet man einen rasan- ten Sprung auf über 880 000 Überflüge im Jahr 2030. Daher können wir auch von einer weiteren Zunahme der Datalink-Kom- munikation via CPDLC in den nächsten Jahren ausgehen. Einige Luftfahrt- experten prognostizieren gar das Ende des Funkverkehrs per Voice. Aus meinem Gespräch mit Pascal Büsser erfahre ich, dass auch für den Datalink am Flughafen Zürich Modernisierungsmassnahmen bevorstehen: Die sogenannte PDC (pre-departure clearance) soll bei Erscheinen dieser «Rundschau» bereits eingeführt worden sein. Ist das System in der West- schweiz am Flughafen Genf schon seit Jahren verfügbar, so sind Piloten für das Einholen der Clearance in Kloten oftmals mit einer überlasteten Delivery-Frequenz konfrontiert. PDC soll nun Abhilfe und neue Kapazitä- ten schaffen. Bei entsprechender Aus- beziehungsweise Umrüstung der Flugzeuge steht dieser Technologie wenig im Wege. Geniessen wir also beim nächsten Flug einmal mehr die vollen Frequen- zen in der London TMA oder das Rauschen über HF für den SELCAL- Check auf dem Nordatlantik. Denn schon bald genug wird es in den Cock- pits mit «ATC COMM ESTABLISHED» still werden. l

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Patente der Natur – wie Bionik neue Flugzeuggenerationen beeinflusst Fliegen zu können wie die Vögel, ist ein uralter Menschheitstraum. Dass diese Metapher durchaus wörtlich zu nehmen ist, wird bei einem genaueren Blick auf moderne Flugzeugkonzepte schnell klar. Seit Anbeginn der Luftfahrt lässt sich der Mensch von der Natur inspirieren.

Text: Marcel Bazlen

Im Jahr 1889 veröffentlichte Otto Lilienthal sein Buch «Der Vogelflug als Grundlage der Fliegerkunst». Als Biomimetik-Wissenschaftler oder Analog- Bioniker hätte sich der Luftfahrtpionier wohl nicht bezeichnet. Doch rück- wirkend betrachtet wäre dies eine treffende Beschreibung seiner Tätigkeit gewesen. Denn die Bionik (auch Biomimetik oder Biomimikry genannt) ver- sucht Phänomene der Natur auf die Technik zu übertragen. Dabei liegt der Bionik die Annahme zugrunde, dass die belebte Natur durch evolutionäre Prozesse optimierte Strukturen und Prozesse entwickelt, von denen der Mensch lernen kann. Als Wissenschaftsdisziplin sucht die Bionik gezielt nach Strukturen in der Natur, die als technische Vorbilder von Bedeutung sein können. Die Bionik hat sich zwar erst in den letzten Jahrzehnten, insbe- sondere aufgrund neuer Produktionsprozesse und Methoden sowie verbes- serter Rechenleistungen, als Wissenschaftsdisziplin etabliert. Doch gerade die Luftfahrt hat seit ihrer ersten Stunde von Erkenntnissen aus der Natur gelernt und profitiert.

Vorbild seit der ersten Stunde Der Vogel war, ist und bleibt natürlich das prototypische Vorbild der Natur für die Luftfahrt. Der Flügel moderner Verkehrsflugzeuge ist dabei in viel- facher Form eine bionische Errungenschaft. Ende des neunzehnten Jahr- hunderts erkannte man die Bedeutung der gewölbten Flügelform für die Auftriebserzeugung. Damit war der Grundstein für den bis heute andauern- den Erfolg der Fliegerei gelegt. Doch nicht nur die Tragflächenform ist eine Errungenschaft der Natur. Bereits in den 1920er Jahren wurde der deutsche Aerodynamiker Gustav Lachmann auf eine Besonderheit des Vogelflügels aufmerksam. Ihm fiel auf, dass viele Vögel besonders im Bremsflug ihren Daumenfittich an der Vorderkante ihres Flügels nach vorne hin abspreizen. Dadurch verhindern sie, dass sich die Strömung vom Flügel ablöst. Diese

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Beobachtung veranlasste Lachmann zur Konstruktion der ersten Vorflügel, die heute in verschiedenen Ausführungen bei fast jedem Flugzeug zu finden sind. Ebenso ist das Prinzip der «Winglets» den verlängerten Handschwingen aus der Vogelwelt nachempfunden. So ziemlich alle weiteren Elemente eines modernen Flügels wie zum Beispiel Stör- und Landeklappen finden ebenso ihre Gegenstücke in den Gefiederpartien der Vögel.

Fortwährender Lernprozess Anhand heutiger Flugzeug- und Flügelkonstruktionen lässt sich also eini- ges über die Bedeutung der Bionik für den Flugzeugbau ableiten. Es ist dem Menschen durch die Beobachtung genialer Phänomene aus der Natur gelun- gen, jede Flugzeuggeneration energieeffizienter, sicherer und lärmschonen- der zu machen. Allerdings muss man weder Ornithologe noch Aerodynami- ker sein, um zu sehen, dass dieser Lernprozess noch nicht abgeschlossen ist. Im Vergleich zur Vogelwelt sind wir auch über 500 Jahre nach da Vincis Manuskript «Über den Vogelflug» noch regelrechte Flugamateure. Und zwar nicht nur in Bezug auf Agilität und Finesse, sondern ganz besonders auch im Hinblick auf die Energieeffizienz.

Der beste Lehrmeister Dieser Umstand ist in den Ingenieurbüros der grossen Flugzeughersteller hinreichend bekannt. Doch die Fortschritte hinsichtlich Rechenleistung und Produktionsprozessen machen es nun möglich, sich noch mehr als bisher an der Natur zu orientieren. In der Luftfahrtindustrie ist man deshalb über- zeugt davon, dass die Bionik einen grossen Anteil daran haben wird, einige der grössten Herausforderungen der modernen Luftfahrt zu lösen. In diver- sen spannenden Projekten wird versucht, Phänomene der Natur auf die Luft- fahrt zu übertragen. Denn gerade im Bereich der Energieeffizienz ist die Natur weiterhin der beste Lehrmeister. Ihre Strukturen und Prozesse sind dank ihrer langen, evolutionären Optimierung extrem energiesparend. Ver- schwendung ist der Natur fremd. Von wem also, wenn nicht von ihr, könnte man auf der Suche nach effizienteren Flugzeugentwürfen mehr lernen?

Bird of Prey – Raubvögel als Vorbild Wie solch ein Flugzeugdesign aussehen kann, konnte man im letzten Jahr auf der «Royal International Air Tattoo»-Flugschau im britischen Fairford bestaunen. Bei dem Regionalflugzeugkonzept «Bird of Prey» orientiert sich Airbus stärker an der Natur als je zuvor. Das Design ist dabei offensicht-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 lich gleich mehrfach von der effizienten Form und der Flügelmechanik eines Raubvogels inspiriert. So spiegelt die verschmolzene Flügel-Rumpf-Verbin- dung den aerodynamischen Bogen eines Adlers wider. Auch die markante Heckstruktur ist von der des Adlers inspiriert. Dieses «Split Tail»-Konzept verspricht eine feinere Flugsteuerung und reduziert den Luftwiderstand durch die Absenz eines konventionellen Seitenleitwerks. Diese Designstudie wird natürlich nie in Serie gebaut werden. Sie basiert jedoch auf realisti- schen, durchführbaren Ideen und Forschungsergebnissen aus den Bereichen Hybrid-Elektro-Antrieb, aktive Steuerungssysteme und Verbundstrukturen. Dabei soll die Bedeutung der Biomimetik für Airbus unterstrichen werden. Besonders interessant beim «Bird of Prey» sind die sogenannten «Split Wing- tips», die sich an den komplexen Flügelspitzen von Greifvögeln orientieren. Bei den Split Wingtips handelt es sich um individuell ansteuerbare Flügel- spitzen, die für eine aktive Flugsteuerung sorgen und dabei sowohl den Widerstand als auch den Lärm deutlich reduzieren sollen. Natürlich ist nicht davon auszugehen, dass wir in naher Zukunft gefiederte Jets am Himmel sehen werden. Jedoch spielen aktive Steuerungssysteme und adaptive Struk- turen auf der Suche nach effizienteren Verfahren eine wichtige Rolle. Denn nach wie vor hat der Vogel gegenüber einem modernen Flugzeug einen her- vorstechenden Vorteil – adaptive, dynamische Flügelstrukturen und Oberflä- chen. Daher hat der starre Flügel, wie wir ihn heute kennen, über kurz oder lang wohl ausgedient.

AlbatrossOne – flatternde Flügelspitzen Eine Version des adaptiven Flügels wird momentan in Form von «semi- aeroelastischen Winglets» an einem rund zwei Meter langen A321-Modell- flugzeug getestet. Ideen- und Namensgeber dieses Projekts ist der Albatros. Diese Vogelart besitzt lange, schmale Flügel. Ihre enorme Spannweite von fast vier Metern macht es ihr möglich, sehr energieeffizient und kräftescho- nend durch die Luft zu gleiten. Das Problem ist allerdings, dass sich diese Effizienz der Albatrosse nicht ohne Weiteres auf Flugzeuge anwenden lässt. Denn starre Flügel übertragen bei starken Böen oder Turbulenzen viel Last auf den Rumpf. Zusätzliche Spannweite wirkt hier wie ein Hebel. Das hat zur Folge, dass die Basis des Flügels bedeutend verstärkt werden muss, wodurch das Flugzeug schwerer wird. Wie geht also der Albatros, der über die grösste Spannweite im Tierreich verfügt, mit Böen und Turbulenzen um? Im Reiseflug hat der Albatros normalerweise seine Flügel an der Schulter arretiert. Dadurch kann er ohne muskuläre Anstrengung stundenlang durch

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 die Luft gleiten. Kommt er nun in turbulentere Zonen kann er seine Flügel schnell «entriegeln» und mit den Enden seiner riesigen Flügel flattern. Dies ermöglicht es ihm ohne Probleme Böen und Turbulenzen in den Griff zu bekommen. Mit dem AlbatrossOne-Demonstrator erforscht Airbus nun erstmals die Vorteile von freiflatternden Flügeln in realen Testflügen. Erkennt das System Turbulenzen, öffnet es blitzschnell ein Gelenk an den semi-aeroelastischen Winglets, die bis zu einem Drittel der Flügellänge aus- machen können, und entlastet so die Tragflächen. In kürzester Zeit richtet die Automatik die Flügelspitzen optimal zwischen maximaler Spannweite und minimaler Strukturbelastung aus. Durch die reduzierten Belastungen an der Flügelwurzel entstehen gleich mehrere Vorteile, die sich positiv auf die Energieeffizienz auswirken. Die «flatternden Flügelspitzen» ermöglichen es, die Tragflächen und den Rumpf von vornherein leichter zu konstruie- ren. Des Weiteren erlaubt das Prinzip die Konstruktion von längeren Flü- geln. Denn je länger der Flügel ist, desto geringer ist der Widerstand – bis zu einem bestimmten Optimum. Durch die längeren und leichteren Flügel versprechen sich die Ingenieure signifikante Treibstoffeinsparungen. Erste Tests haben gezeigt, dass der AlbatrossOne sowohl mit verriegelten als auch mit frei schwingenden Flügelenden stabil fliegt. In einem nächsten Schritt werden die beiden Modi nun kombiniert getestet und der Demonstrator wird Schritt für Schritt hochskaliert.

Follow the Leader Nicht weniger faszinierend als Raubvögel und Albatrosse sind Zugvögel. Auf ihren Reisen legen sie teilweise über zehntausend Kilometer ohne Zwi- schenstopp zurück. Besonders auffällig dabei ist die V-Formation, in der sich die Schwärme grosser Zugvögel fortbewegen. Sie hilft dabei, weite Flugstre- cken energieeffizient zu bewältigen. Dabei wird die Energieersparnis nicht nur durch den geringeren Luftwiderstand realisiert. Denn bis auf den ers- ten Vogel fliegen alle Teilnehmer der V-Formation im «gratis» Auftrieb der Wirbelschleppen des vorausfliegenden Vogels. In Fachkreisen wird dies als Wirbelschleppen-Energie-Rückgewinnung bezeichnet. Berechnungen haben ergeben, dass Zugvögel durch die V-Formation durchschnittlich zehn bis fünfzehn Prozent Energie einsparen. Eine zweistellige Energieeinsparnis und gratis Lift – da wird der findige Luftfahrtingenieur natürlich hellhörig. Unter dem Namen «fello’fly» forscht man deshalb nun bei Airbus, in Zusammenarbeit mit Flugsicherungen und Airlines, an der technischen und operationellen Machbarkeit der Wirbel-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 schleppen-Energie-Rückgewinnung für die Zivilluftfahrt – insbesondere für Langstreckenflüge. Denn genau wie Vögel, kreiert jedes Flugzeug Wir- belschleppen. Hierbei geht Energie verloren. Positioniert man nun ein Flug- zeug im Aufwind dieser Wirbelschleppen, liesse sich diese Energie durch das Folge-Flugzeug zurückgewinnen. Tests von Airbus haben gezeigt, dass sich durch diese Technik Kerosineinsparnisse von bis zu zehn Prozent realisieren lassen würden, ohne den Passagierkomfort zu beeinträchtigen. Das fello’fly Projekt beinhaltet auch die Entwicklung eines Pilotenassistenzsystems, das es ermöglicht, sicher und exakt die Position hinter dem «Leader-Flugzeug» zu halten. Noch in diesem Jahr sind Flugtests mit zwei A350 geplant. Bei Airbus scheint man von dem Konzept schon jetzt überzeugt zu sein, denn ein kontrollierter Entry-Into-Service ist für Mitte dieses Jahrzehnts geplant.

Der lautlose Jäger Nun sind energieeffizientere Technologien nicht die einzige Aufgabe, mit der sich die Luftfahrt konfrontiert sieht. Ebenso wird erwartet, dass Flug- zeuge von Generation zu Generation leiser werden. Auch hierfür hat die Natur Lösungen parat, für deren technische Nachahmung sich Flugzeugin- genieure interessieren. Das Geheimnis liegt auch hier in dynamischen Struk- turen. Beim «Quiet Aircraft Technology»-Projekt der NASA interessiert man sich diesbezüglich ganz besonders für die Eule. Die nachtaktiven Jäger haben den lautlosen Flug evolutionär perfektioniert. Geräusche entstehen im Flug normalerweise, wenn Luft über einen Flügel strömt. Drei verschiedene Strukturen im Flügeldesign der Eule ermöglichen es ihr, diese Geräusche zu unterdrücken: ein gezahnter Kamm aus steifen Federn an der Vorderkante, weiche Daunen an der Flügeloberseite und eine flexible Hinterkante. Genau wie bei Vögeln, entsteht auch bei Flugzeugen ein grosser Teil des aerodynamischen Lärms durch Luftverwirbelungen an der Flügelvorderkante. Der gezahnte Kamm der Eule zerlegt diese in kleinere Mikrowirbel und sorgt dafür, dass sich der Luftstrom weniger ablöst. Dies reduziert den Geräuschpegel, reicht jedoch noch nicht aus, um den Flug der Eule lautlos zu machen. So schwächen die samtartigen Daunen an der Flügeloberseite turbulente Fluktuationen weiter ab und wirken wie ein nach- träglicher Schalldämpfer. Ihre Beschaffenheit und Struktur schluckt Schall besser als alle anderen bekannten Schallschutzmaterialien. Der lautlose Flug wird schlussendlich durch die gefranste, flexible Kante am hinteren Ende des Flügels perfektioniert. Sie gleichen den Druck zwischen Ober- und Unter- seite aus, verhindern ein turbulentes Ablösen des Luftstroms und dämpfen

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 den Schall. Bei der NASA, Airbus und anderen arbeitet man nun also daran, diese Patente der Natur in die Luftfahrt zu übertragen. Von der Eule hat man gelernt, dass die dominanten Geräusche der Vorderkante besonders effektiv durch entsprechende Eigenschaften weiter hinten eliminiert werden können. Versuche, den Schallschutzeffekt mit künstlichen Materialien nachzuahmen, waren bereits erfolgreich. So lässt sich der Lärm zum Beispiel reduzieren, indem man die Wirkungsweise der gefransten, flexiblen Kante des Eulenflü- gels nachahmt. Möglich ist dies durch porenähnliche Öffnungen oder durch einfahrbare, elastische Ränder im Bereich der Flügelhinterkante. Auch die samtartigen Daunen sind Teil der Überlegungen. Netzartige Überzüge im Bereich der Flügel, oder zum Beispiel auch am Fahrwerk, können einen Teil des entstehenden Schalls absorbieren.

Vielversprechender Blickfang Vögel sind natürlich nicht die einzigen Lebewesen, von denen wir lernen können. Auch unter Wasser sind wahre Experten unterwegs. Seit einigen Jah- ren wird so zum Beispiel mit einer künstlichen Haihaut experimentiert, die den Luftwiderstand reduzieren soll. Im Februar dieses Jahres stellte Airbus auf der Singapur-Flugschau ausserdem den Flug-Demonstrator «Maveric» vor. Der Nurflügler besitzt die Form eines Mantarochens. Im Vergleich zu konventionellen Flugzeugen hat bei Nurflüglern der Rumpf einen deutlich grösseren Anteil am Auftrieb des Flugzeuges. Wegen ihres geringen Radar- schattens werden sie schon lange im Militär eingesetzt. Im Bereich der Passa- gierflugzeuge ist dieses Design jedoch erst seit kurzem ernsthaft im Kommen. Die breiten Flügel und das aerodynamische Design des Maveric versprechen eine Treibstoffersparnis von zwanzig Prozent gegenüber einem Flugzeug mit konventionellem Rumpf – bei gleicher Triebwerks-option. Dass der Nurflüg- ler mehr als ein Aufmerksamkeitsmagnet ist, beweist der enorme Aufwand, den Airbus für das zwei auf drei Meter grosse Testflugzeug betreibt. Ein Demonstrator ist weit mehr als ein Show-Flugzeug. Mit ihm lassen sich echte Flugdaten sammeln und somit aerodynamische Charakteristiken erforschen. Im Juni 2019 ist der Maveric zu seinem ersten Testflug aufgebrochen.

Bionische Zukunft Die Liste der naturinspirierten Projekte in der Luftfahrtbranche liesse sich noch lange weiterführen. Diese Fülle unterstreicht die Bedeutung, die der Bionik für die Konstruktion von nachhaltigeren Flugzeugen zugeschrieben wird. Wie Martin Aston, Senior Manager bei Airbus und mitverantwortlich

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 für die «Bird of Prey»-Studie, betont: «Wir wissen von unserer Arbeit am A350XWB, dass die Natur die besten Lehrstücke über Design liefert. Die Bio- nik macht uns diese zugänglich.» Dabei sind manche Projekte realistischer als andere. Einige werden für immer in den Schubladen verschwinden. Doch die einzigartige Innovationskraft der Luftfahrtbranche wird dafür sorgen, dass Naturphänomene auch zukünftig einen Beitrag zu einer grüneren Luft- fahrt leisten werden. Als Gustav Lachmann vor hundert Jahren am Daumen- fittich eines Vogelflügels herumforschte, war ihm sicher noch nicht bewusst, dass dies zu einer Konstruktion führen wird, die heute aus der Luftfahrt nicht mehr wegzudenken ist. l

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Take action A woman beside you on the street suddenly collapses. The house next-door is on fire. Or if worse comes to worst, you are about to skid off the runway during landing. What do you do?

Text: Hans Osvalds, Captain A330/340

You would probably say that it depends on the situa- tion, which is the truth – or at least part of the truth. Every one of us stands the risk of experiencing an unexpected intrusion into our day-to-day lives. What you do about it depends on the situation, but also on whether you are prepared – both physically and mentally. In most crisis situations there is no definite right or wrong way, and no perfect way – there is only the best we can do. The most important thing however is to do something. In almost every case, an imperfect plan is better than no plan, and action is better than inaction. In a crisis, your brain is quickly going to want to make some kind of deci- sions, and they are not always going to be the best ones or even good ones. The human brain takes up only two percent of our body weight but uses 20 percent of the body’s energy to power the communication between neurons. The reason is that in normal cases, as many as 10 000 synaptic inputs from thousands of other neurons converge on a typical neuron and are then inte- grated by the postsynaptic cell. The results of this integration, action poten- tials, are then transmitted down the axon to the thousands of cells to which the neuron is synaptically coupled. Stressful conditions will significantly increase the number of synapses and put a strain on this energy supply. Any disruption of this metabolic state, even a short one, can severely disrupt the brain’s cognitive functions. In order to get energy to the brain, the heart increases the blood flow so that it feeds the brain with more energy. If your heart rate soars above about 175 beats per minute, you are more likely to go into shutdown mode and not be able to think clearly or act. The good news is that there are steps you can take to be a better decision-maker in emergen- cies. Small things can help, for example a technique called «combat breath- ing» (inhale through your nose, hold, exhale through your mouth, hold) is known to reduce your heart rate by 20–30 beats per minute. Eating enough so that you have high energy levels instead of being tired keeps your brain in gear. There is science behind the way people react to stressful situations, and if we know the basics, we can use it to our advantage.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 In any situation, some things are most likely to be totally out of your con- trol: what kind of condition does the woman have, how large is the fire, how slippery is the runway? Some other things are however up to you. Being aware of how you might react can lower the brain’s metabolism rate and go a long way toward making a bad situation better. Science also tells us that people behave in high stress incidents in certain ways and how you react will be dependent mainly on what your pre-crisis stress level is. Controlling your emotions and stress level will help as you go through the decision-making process. During the decision-making process, your mind will most likely move through the 3D stages: n Denial n Deliberation n Decisive action

Knowing these stages – and preparing for them ahead of time – can help you to recognize and deal with what is going on around you more effectively.

Denial: This is not happening Have you ever heard gunfire in your neighborhood and blamed it on a fire- cracker? That is called denial and is perfectly normal since we do not want to believe that bad things are actually happening. This is known as social proof when we do not want to panic or look silly, so we often look at people around us for cues about what we should do (Is everyone else running and scream- ing, or are they sitting quietly in their chairs? Are others stopping to help?). Social proof is a psychological phenomenon that happens whenever people are unsure what to do. We assume that others around us know more about the situation, and so we do what they do, whether or not it is the right thing to do. We also assume that other people are responsible for acting, or that they have already done so, which makes it less likely for us to take responsi- bility when others are present. This is called diffusion of responsibility, and it means you are actually more likely to get help when you are with a single person than when in a large group of people. We are all preprogrammed to believing these things and therefore it is easy to deny that an emergency is really happening, or that we need to do something about it.

Deliberation: What are my options? Once you have recognized the emergency, you will begin to consider your

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 options. If you are smart, you will have already started this process before the emergency happens and the more you have prepared, the more options you will have to work with. One way of preparing for a crisis situation is called scripting and all it requires is a little imagination. Think about the possibilities ahead of time, pay attention to your surroundings and see what is available to you. Then it is time to run different scenarios in your head. How would you act in a certain crisis situation? How would a film about the situation look, showing your actions, and you as a hero? Everybody hates the idea that we have to practice for emergency events but it is this practice that helps you to understand what to do or how to react when you do not have much time. Not only can practice save your life, but if you know how to save yourself, emergency responders on the scene can use their time and effort to save others. You are one fewer person who needs assistance, and that saves lives.

Decisive action: It’s go time! You have registered that there is a problem and you have considered your options so what are you going to do next? The next step is of course to take decisive action, but before that you should calm yourself and shift your emo- tions. And if you do get mad, use that anger as energy.

To summarize n Stay fit – if you are fitter, you are likely to be more rational. n Do not wait to make a plan. If you depend on everyone else to take care of you, you are leaving out the most important person. n Know yourself, know your situation, and be prepared to save your own or someone else’s life.

Now is the time to put your plans into motion. Go to the exit, call for help, take cover, give CPR, make a go-around… whatever you have decided to do. l

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Kosmische Strahlung: Interview mit der Vereinigung Cockpit In der «Rundschau» 04/2019 haben wir über die Strahlenbelas- tung in unserem Beruf berichtet. In einem Interview mit Christian Dratwa von der Strahlenschutzgruppe der Vereinigung Cockpit stellen wir den Vergleich zu Deutschland an. In vielen Punkten ist die Lage in Deutschland ähnlich zu unserer, es gibt jedoch auch wichtige Unterschiede.

Text: Dominik Haug

«Rundschau»: In der Schweiz gilt der Grenzwert für die Effektive Dosis von 20 mSv pro Jahr für Angestellte in exponierten Berufen. Hierzu zählt auch die Luftfahrt. Ist dies in Deutschland auch der Fall? Chrsitian Dratwa: Der Grenzwert und der Fakt, dass Flugbesatzungen zu den exponierten Berufen zählen, sind in Deutschland genau gleich. Auch die speziellen Regelungen für schwangere Besatzungsmitglieder sind identisch.

Nach der Strahlenschutzverordnung in Deutschland muss die Strahlenbe- lastung generell minimiert werden. Bei der SWISS steht im OM A, dass ab sechs mSv der Arbeitgeber die Strahlenbelastung reduzieren muss, erst dann reduziert die SWISS die Belastung. Handelt die Lufthansa hier früher? Auch Lufthansa sieht hier keinen früheren Handlungsbedarf.

Die SWISS nimmt Standardwerte zur Berechnung der Belastung für ihre Mitarbeiter an. Ist das bei euch aus so? Der Grenzwert von sechs mSv pro Jahr wird nie erreicht, weil die Strahlen- dosis auch bei uns berechnet statt gemessen wird. Ausserdem wird zu dieser Berechnung noch ein Reduktionsfaktor benutzt (DDREF, Dose and Dose-Rate Effectiveness Factor), sodass die Dosis des fliegenden Personals um den Fak- tor zwei zu gering angegeben wird. Wir als AG Strahlen fordern schon seit längerem, auf die Anwendung des DDREF zu verzichten, bisher leider erfol- glos. Ebenso erfolglos ist die Forderung, die Berechnungen mit Messungen zu ersetzen.

Bei der SWISS wird in der Planung die Strahlenbelastung nicht für alle Mitarbeiter generell minimiert, so wie es das Gesetz vorsieht (Strahlen- schutzgesetz § 8). Es wäre aber prinzipiell möglich, die Belastung für alle

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 gleichmässig gering zu halten, unabhängig von der absoluten Belastung für den einzelnen Mitarbeiter. Wie sieht das in Deutschland aus? Auch die LH-Einsatzplanung arbeitet nicht nach Strahlenschutzgrundsätzen. Im CBT zum Strahlenschutz wird den Crews der Tipp gegeben, den Wech- sel auf ein Langstreckenmuster hinauszuzögern oder weniger strahlenbe- lastete Flüge zu wünschen (Kurz-strecke, Flüge nach Süden). Dies ist ziem- lich lächerlich. Da allerdings die Grenzwerte nicht erreicht werden, wird kein Handlungsbedarf erkannt. Durch das Strahlenschutzgesetz sind nun alle beteiligten Personen, auch die Einsatzplanung, zu einer Fachkunde verpfli- chtet. Ob dies eine Verbesserung bringen wird, bleibt abzuwarten.

Wir als AEROPERS versuchen unsere Mitglieder mit regelmässigen Beiträgen für das Thema zu sensibilisieren. Leider sind sich viele Mitglieder der Problematik nicht sehr bewusst. Was unternehmt ihr, um das Thema präsenter zu machen? Auch bei uns ist das Strahlenschutz-Bewusstsein leider sehr gering ausgeprägt. Zum einen durch die jahrelange Verharmlosung durch die Lufthansa und zum anderen, weil sich kaum jemand mit der Thematik auseinandersetzt und ausein- andersetzen will. Wir versuchen, dieses Bewusstsein etwas aufzubauen, auch durch regelmässige Beiträge in der «VC-Info». Weiterhin bieten wir einen E-Mail-Newsletter an, mit dem wir bei Ereignissen mit erhöhter Strah- lenbelastung – beispielsweise Solar Flares – aktuell informieren. Unsere Strahlenschutz-Policy ist auf der Website der Vereinigung Cockpit nachzu- lesen, diese Möglichkeit wir aber kaum genutzt.

Woher bezieht ihr eure Quellen zur aktuellen Strahlenbelastung? Unsere Quellen sind diverse Newsletter der NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) und deren SWPC (Space Weather Prediction Centre). Dazu noch ein EASA SpaceWeather Bulletin, mit Werten von AVIDOS (Aviation Dosimetry) beispielsweise.

Ich bin gerade dabei, mit einem eigenen Dosimeter diese Standardwerte zu überprüfen. Habt ihr auch schon mal eigene Messungen gemacht? Nein, weil leider die Schwierigkeit besteht, dass Lufthansa diese Werte nicht anerkennen würde. Unter Umständen könnten sogar wegen eines nicht für die Luftfahrt zugelassenen Gerätes Probleme entstehen. Das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) befürwortet die Berechnungsmethode stark und ist anderen Studien und Meinungen nicht zugänglich. Und das DLR ist einer der Hauptberatungsquellen der Lufthansa.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Bei einer stichprobenartigen Messung im Januar und Februar zeigt sich bisher, dass die Standardwerte recht gut zu stimmen scheinen. Allerdings betrifft dies bisher nur den Nordatlantik. Eine weitere Strahlenquelle ist die UV-Strahlung. Ich habe in der Recherche herausgefunden, dass bei Turbo- prop-Maschinen nicht die gesamte UV-Strahlung durch die Cockpitfenster herausgefiltert wird. Habt ihr Daten zu Airbus- und Boeing-Maschinen? Offi- zielle Informationen dazu sind schwierig zu finden. Auch bei Airbus- und Boeing-Flugzeugen ist eine gewisse UV-A-Durchläs- sigkeit gegeben. Manche Cockpitscheiben filtern viel UV-A-Strahlung heraus, manche weniger. Leider ist nicht bekannt, welche Scheibe wie viel herausfil- tert – auch bei der Lufthansa Technik nicht. Wir beschäftigen uns auch mit der UV-Strahlung, und es gibt einige Fälle von Keratosen oder Hautkrebs, die darauf zurückzuführen sein könnten. Allerdings besteht auch hier das Prob- lem, dass es zu wenige Fälle gibt und eine Anerkennung als Berufskrankheit sehr schwierig zu erreichen ist. Wir sind aber auch hier am Ball.

Laut SWISS Medical Services gibt es im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerung nur eine minimal erhöhte Anzahl an Hautkrebsfällen bei Piloten. Dies könnte aber auch am unterschiedlichen Lebenswandel liegen. Gibt es Daten, wie das bei euren Piloten aussieht? Die Lufthansa trifft in ihrem CBT die Aussage, dass in medizinischen Stu- dien keine erhöhte Zahl der Krebsfälle durch die Höhenstrahlung messbar ist. Uns liegen jedoch Studien mit anderen Aussagen vor. Viele Fälle werden nach Pensionierung von der Statistik nicht mehr erfasst, belastbare Zahlen sind also schwer zu bekommen. l

Die AG Strahlenschutz der Vereinigung Cockpit besteht aus sechs Mitgliedern, die sich alle zwei Monate zu einer Sitzung und einmal jährlich zu einer mehrtägigen Klausur treffen. Die Tätigkeit erfolgt ehrenamtlich und unentgeltlich. Die Themenbereiche umfassen den Schutz der Besatzungen vor ionisierender Strahlung und UV-Strahlung. Christian Dratwa ist A320-Kapitän bei der Lufthansa und seit ungefähr zwei Jahren in der AG. Er hat unter anderem an der European Space Wea- ther Week 2019 in Lüttich, Belgien, teilgenommen.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 «Go-ahead» – Ein Simulator-Training der besonderen Art Simulator-Training gehört in der Aviatik schon seit vielen Jahren zum Alltag. Inzwischen gibt es aber auch andere Branchen, die die Vorteile des Simulator-Trainings für sich entdeckt haben. Zu Besuch bei einer Firma, die sich der Simulation auf dem Gebiet der Medizin verschrieben hat.

Text: Gaby Plüss

Wir schreiben Frühling 2019. Ich habe einen Termin beim Arzt, der mich vor kurzem an meiner lädierten Schulter operiert hat. Da mich das Thema schon länger interessiert, frage ich ihn, ob in der Medizin heutzutage auch mit Simulatoren trainiert wird. Er bejaht mir diese Frage nicht nur, sondern offeriert mir im gleichen Atemzug, die Besichtigung eines solchen Simula- tors zu organisieren. Klar lasse ich mir eine solche Gelegenheit nicht entge- hen. Umso mehr, als dass er mir in Aussicht stellt, auch gleich selbst Hand anlegen zu dürfen. Im Gegensatz zu all meinen bisherigen Artikeln, wage ich mich mit diesem Text an ein Gebiet, von dem ich absolut keine Ahnung habe. Entsprechend fällt auch meine Vorbereitung um einiges umfangreicher aus, als ich es gewohnt bin. Um mich auf meinen Besuch bei der Firma VirtaMed in Schlie- ren bestmöglich einzustimmen, lese ich mich auf deren Homepage gründ- lich ins Thema «Simulatoren für Training und Ausbildung in der Medizin» ein. Zudem erstelle ich eine Liste mit Fragen, die ich vor Ort stellen möchte. Daneben recherchiere ich stundenlang im Internet. Dabei lande ich jedes Mal über kurz oder lang wieder bei VirtaMed. Dies führt mich zur Annahme, dass es sich bei dieser Firma vermutlich nicht bloss um ein Leichtgewicht auf dem Gebiet der medizinischen Simulation handelt. Leicht nervös warte ich im Sommer 2019 in Schlieren auf meinen Arzt. Er begleitet mich auf meiner Besichtigung und wird mir bei meinen eige- nen Gehversuchen hoffentlich ein wenig zur Seite stehen. Ferner wird er mir sicher auch die eine oder andere Frage auf meiner Liste beantworten kön- nen. Schliesslich ist er schon seit Jahrzehnten als international anerkannter orthopädischer Chirurg und Sportmediziner tätig und verfügt über einen entsprechenden Erfahrungsschatz. Martina Vitz, Head of Training and Education, begrüsst uns herzlich zu unserem Besuch. Sie wird uns durch den Nachmittag begleiten. Zuerst gibt

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 sie uns einen kurzen Überblick über die Firmengeschichte. 2007 aus einem ETH-Spin-off gegründet, ist die Firma heutzutage im Bereich Arthroskopie- Simulatoren weltweit führend. An den drei Standorten Schlieren, Tampa und Shanghai arbeiten rund 120 Mitarbeiter. Dabei decken sie sämtliche Bereiche selbst ab. Dazu gehören etwa Grundlagenforschung, Hard- und Softwareent- wicklung, Produktion und Simulator Assembly, Product Management, Mar- keting, Finance, Verkauf, Versand und Administration. Martina Vitz schätzt, dass weltweit zwischen 700 und 1000 ihrer Simulatoren im Einsatz sind. Leser, die sich detaillierter für die Firmengeschichte von VirtaMed interessie- ren, können einen Blick auf deren Homepage werfen. Die wichtigsten Meilen- steine sind in einer lesenswerten Timeline zusammengefasst.

Eine Plattform, diverse Anwendungsmöglichkeiten VirtaMed bietet Simulatoren für die Bereiche Orthopädie, Geburtshilfe und Gynäkologie, Laparoskopie und Urologie an. Die Plattform, auf der das jewei- lige Gerät aufbaut, ist dabei stets dieselbe. Da mein Arzt ein orthopädischer Chirurg ist, haben wir uns bei unserem Besuch auf die orthopädische Chir- urgie beschränkt. Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb auch nur auf dieses Gebiet. Am Arthroskopie-Simulator ArthroS lassen sich Eingriffe am Sprunggelenk, am Knie, an der Hüfte und an der Schulter trainieren. Ein Zusatz zum Knie- modul erlaubt es, die Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes zu schulen. Der Wechsel zwischen den einzelnen Modulen dauert dabei keine Minute. Gearbeitet wird mit angepassten Originalinstrumenten aus dem OP. Zum Ein- satz kommen unter anderem Arthroskop, Tasthaken, Fasszange, Punch und Shaver. Die Instrumente entsprechen in Funktionalität und Anwendungs- weise den Originalen. Dadurch kann sich der Trainee bereits am Simulator mit den Standardabläufen und den Routinehandgriffen von Operationen vertraut machen. Dies erleichtert den anschlies-senden Wechsel in den OP beträchtlich. Dank magnetischem Tracking ermöglicht der Simulator ein realistisches Tastgefühl und liefert haptisches Feedback. Hochrealistische HD-Grafiken lassen sich praktisch nicht von Originalaufnahmen unterscheiden. Zudem verfügt der Simulator über zusätzliche Hilfselemente wie Aussenansichten des Gelenks, farbige Hinweise und Schatteninstrumente. Diese zeigen den Trainees, wie sie verschiedene Aufgaben ausführen sollen – inklusive der Handhabung der Instrumente und der Durchführung der einzelnen Schritte. Falls nötig, zeigt der Simulator während der Übung auch Korrekturhinweise.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Wird etwa mit einem Instrument zu viel Druck ausgeübt oder zu viel Knorpel entfernt, erfolgt eine entsprechende Rückmeldung. Selbstverständlich kön- nen auch diverse Komplikationen eingebaut werden. So kann der Ausbildner zum Beispiel auf Knopfdruck eine Blutung im Gelenk simulieren, was sich – aviatisch gesprochen – durchaus mit einem CAT-3-Approach vergleichen lässt. Dank einer grossen Auswahl an Übungen lassen sich individuelle Lehrpläne erstellen. Während der einzelnen Übungen protokolliert der Simulator eine Vielzahl von Daten. Nach Abschluss der Übung ist so eine genaue Auswer- tung möglich. Diese zeigt zum Beispiel die für die Aufgabe benötigte Zeit, die Bewegungen sämtlicher Instrumente oder die mit der Kamera zurückgelegte Distanz auf. Für jede Übung sind Zielwerte definiert. Dadurch lässt sich die Performance der Trainees messen und der Lernfortschritt dokumentieren.

Basismodul Nebst den anatomischen Modellen gibt es auch ein Basismodul namens FAST (Fundamentals of Arthroscopic Surgery Training). Anstelle eines ana- tomischen Modells sieht der FAST für mich ein bisschen wie ein «quer hal- biertes, weisses Ei mit diversen schwarzen Punkten auf der Oberfläche» aus (siehe Bild). Bei den «schwarzen Punkten» handelt es sich um die Eingänge für die diversen Instrumente. Am FAST können Anfänger zu Beginn ihres Trainings die beidhändigen Basic Skills der arthroskopischen Chirurgie erlernen und trainieren. Diese beinhalten gleichzeitige Kameraführung, Orientierung im Gelenk, Instru- mentenbenutzung und optische Kontrolle am Bildschirm. Dabei kommen auch spielerische Methoden zum Einsatz. So kann man beispielsweise mit der Kamera virtuelle Sterne suchen und sie mittels Fasszange einsammeln und in einem Gefäss deponieren. Oder man schult seine Fähigkeiten, indem man eine Runde Tetris spielt. Im Gegensatz zu den anatomischen Modellen liefert der FAST jedoch kein haptisches Feedback. Er gibt während der Übung aber auch Rückmeldungen, ob zum Beispiel das Bild korrekt zentriert ist.

Zielpublikum Zielpublikum für ein Training an einem ArthroS sind in erster Linie ange- hende Fachärzte. Seit 2013 kommt der Simulator auch bei mündlichen Abschlussexamen für den Facharzttitel zum Einsatz. Dabei müssen die Kan- didaten ihre arthroskopischen Fähigkeiten während der Prüfung am Simula- tor unter Beweis stellen.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Daneben eignet sich der Simulator, je nach Thema, auch für gestandene Fachärzte, die ihre manuellen Fertigkeiten zwischen einzelnen Eingriffen zusätzlich trainieren möchten. So kann ein Hüftspezialist am Simulator etwa einen Zugang zum Gelenk beliebig oft legen. Beim Training an einer verstor- benen Person ist das hingegen nur ein einziges Mal möglich. Ebenfalls zum Zielpublikum gehören Industriekunden, die ein neues OP- Instrument auf den Markt bringen möchten. Deren Mitarbeiter müssen ein solches Instrument den Ärzten vorführen können, was eine entsprechende Schulung voraussetzt.

Simulator versus Patienten Das Training am Simulator lässt einen zeitweise fast vergessen, dass man es nicht mit einem echten Patienten zu tun hat. So können Trainees am Simu- lator nicht nur handwerkliche Fähigkeiten trainieren, sondern auch in strate- gischem Denken geschult werden. Manuell lernen sie beispielsweise, wie ein neues Kreuzband verankert wird oder wie sie defekten Knorpel entfernen. Strategisch gesehen lautet die entsprechende Fragestellung, wo das Kreuz- band verankert, respektive wie viel defekter Knorpel entfernt werden muss. Dennoch hat der Simulator Grenzen. Die menschliche Komponente lässt sich trotz modernster Technik nicht abbilden, obwohl sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Strategie hat. Stellt man einen schlanken, sportlichen Mittzwanziger einem übergewichtigen, kettenrauchenden End- sechziger gegenüber, ist die Strategie nicht die Gleiche, auch wenn beide mit dem selben Befund konfrontiert sind. Vergleichen lässt sich das etwa mit den Unterschieden, die wir zwischen einzelnen Fluggesellschaften immer wieder feststellen. Obwohl der gleiche Flugzeugtyp geflogen wird, kann das Speed Management im Endanflug recht unterschiedlich ausfallen. Um diese Feinheiten entsprechend zu berücksichtigen, braucht es Erfahrung aus dem Livebetrieb – je mehr desto besser.

CRM-Aspekte Der Simulator, den ich besuchen durfte, ist hauptsächlich für handwerkli- ches Einzeltraining ausgelegt. CRM-Aspekte stehen bei diesem Training nicht an erster Stelle. Trotzdem können sie ins Training einfliessen. So kann der Ausbildner zum Beispiel mittels Kommunikation, wie sie im OP stattfindet, den Teamaspekt in das Training einbauen. Dadurch kann sich der Trainee mit gewissen Abläufen bereits im Simulator so weit vertraut machen, dass er sie im OP ohne grosse Erklärungen ausführen und zum hoffentlich erfolg-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 reichen Ausgang einer Operation beitragen kann. Aviatisch gesprochen lässt sich das beispielsweise mit einem Missed Approach vergleichen. Wenn es dazu kommt, wissen alle Beteiligten ohne grosse Diskussionen, was zu tun ist. Die Handgriffe und Abläufe müssen sitzen, diskutieren und debriefen kann man nach erfolgreicher Landung. Daneben können Trainees auch zu zweit an einem Simulator trainieren. Während der eine das handwerkliche Training ausführt, kann der andere unterstützend zur Seite stehen und sich so am Resultat beteiligen. Trainie- ren mehrere Gruppen nebeneinander, kann das auf die Dynamik innerhalb der einzelnen Gruppen durchaus einen gewissen Einfluss haben. Dass sich die Medizin der Wichtigkeit von CRM inzwischen sehr wohl bewusst ist, beweist auch das Unispital Zürich. Dieses betreibt ein Simulati- onszentrum, das unter anderem spezielle Teamtrainings anbietet. Diese sind besonders auf die Bedürfnisse von Ad-hoc-Teams ausgerichtet, in denen die Mitglieder immer wieder in neuen Zusammensetzungen arbeiten. Dabei wird immer interprofessionell und je nach Lernzielen auch interdisziplinär trai- niert. Wer mehr dazu erfahren möchte, findet die entsprechenden Informa- tionen auf der Homepage des Simulationszentrums.

Legale Aspekte Eines der Themen, das mich ebenfalls interessierte, war die Frage nach lega- len Aspekten in der Medizin. Genauer gesagt wollte ich wissen, ob es eine Aufsicht analog BAZL gibt und wie es mit Mindestfallzahlen pro Operateur aussieht. Schliesslich müssen wir Lotsen, nebst anderem, auch eine Mindest- zahl von Arbeitsstunden pro Kontrollsektor vorweisen, damit unsere Berech- tigungen nicht verfallen. Laut meinem Arzt existiert keine Aufsichtsbehörde für chirurgische Tätig- keiten. Aber es gibt eine Weiterbildungspflicht. Genauer gesagt muss der Nachweis von gewissen Weiterbildungspunkten gegenüber Fachverbänden und der Ärztekammer erbracht werden, um die Zulassung zu behalten. Fer- ner besteht im Kanton Zürich für gewisse Operationen eine Mindestzahl, die ein orthopädischer Chirurg vorweisen muss, damit er diese Eingriffe über- haupt vornehmen darf. Für das erstmalige Einsetzen einer Knie- oder einer Hüftprothese liegt diese bei 15 Operationen pro Jahr. Für den Austausch von solchen Prothesen beträgt die Mindestzahl 50 Eingriffe pro Jahr. Zudem muss ein angehender Facharzt auf dem Gebiet der orthopädischen Chirurgie eine Mindestanzahl von Operationen durchführen, bevor er den Facharztti- tel erlangen kann.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Eigene Gehversuche Wie eingangs erwähnt, durfte ich auch ein wenig Hand anlegen. Meine Versuche beschränkten sich dabei auf das Basismodul FAST. Ich war damit bereits bestens ausgelastet und teilweise auch ein wenig überfordert. Ich behaupte, sagen zu dürfen, dass ich ein gutes räumliches Vorstellungsver- mögen habe, ist dieses doch eine der Grundvoraussetzungen für meinen Beruf. Trotzdem empfand ich es als sehr anspruchsvoll, schon nur die ver- schiedenen Instrumente in die vorgegebenen Richtungen zu führen und dabei gleichzeitig die eine oder andere Aufgabe zu erfüllen. Als schwierig empfand ich speziell die Tatsache, dass man zwar mit den Händen arbei- tet, die Arbeit aber auf dem Bildschirm überwachen muss. Spass hatte ich dennoch eine ganze Menge, fühlte ich mich beim Einsammeln der virtuel- len Sterne zeitweise doch ein wenig in die gute alte Gameboyzeit zurück- versetzt.

Flächendeckendes Simulator-Training Flächendeckendes Simulator-Training gehört in der Aviatik schon seit vie- len Jahren zum Alltag. Die Vorteile liegen dabei klar auf der Hand. Auch nach über 25 Jahren profitiere ich immer noch vom Simulator-Training und den dazu gehörenden Debriefings. Dass sich angehende Fachärzte die nöti- gen Fertigkeiten heutzutage – zumindest teilweise – im Simulator aneignen können, bevor sie es mit echten Patienten zu tun bekommen, empfinde ich deshalb als sehr beruhigend. Damit verbessern sie nicht nur ihre persönli- chen Fähigkeiten, sondern tragen so auch einen nicht unerheblichen Anteil zur Verbesserung der Patientensicherheit bei. Trotzdem hat sich das Simulator-Training in der Medizin noch längst nicht flächendeckend durchgesetzt. Vor allem Weiterbildungen von gestandenen Fachärzten finden praktisch keine am Simulator statt. Dass dies aber durch- aus wünschenswert wäre, zeigt etwa ein Erfahrungsbericht eines Arztes an einer Klinik in Bonn. Darin schreibt er, dass er sich als erfahrener Anwender als nur bedingt geeignet für das Simulator-Training einschätzte. Er sei jedoch rasch eines Besseren belehrt worden und habe selbst als Fortgeschrittener das eine oder andere Aha-Erlebnis gehabt. Es bleibt zu hoffen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis das Simu- lator-Training auch in der Medizin weltweit zum Alltag gehört. Dass dies nicht schaden kann, beweist die Aviatik schon seit vielen Jahren. Wo, wenn nicht im Simulator, können wir auch einmal eingeschliffene Verhaltensmus- ter kritisch hinterfragen, unkonventionelle Lösungsansätze ausprobieren

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 und Grenzen ausloten oder sogar bewusst überschreiten, ohne gleich gravie- rende Konsequenzen befürchten zu müssen? [email protected] Während ich diese Zeilen verfasse, befinden wir uns mitten im Lockdown in der Woche vor Ostern. Eigentlich hätte ich an dieser Stelle gerne etwas über den Austausch mit Piloten von Chair Airlines geschrieben. Geplant war, dass Chair uns ab April Observerflüge anbietet und die Chair-Piloten uns als Observer auf eine Schicht begleiten. Leider hat uns das Corona-Virus einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Flüge sind absolute Mangelware, und Besucher dürfen wir bis auf Weiteres keine mehr empfangen. Doch selbst ohne Verbot wäre ein Besuch bei uns im Moment nicht sehr spannend. Als Folge des Lockdowns ist das Verkehrsvolumen um rund 90 Prozent eingebrochen, und wir sind – wie viele andere auch – von Kurzarbeit betroffen. Hätte ich im Januar prophezeit, dass wir vormittags um 11 Uhr bald ein leeres Radarbild sehen werden, wäre ich vermutlich für komplett verrückt erklärt worden. Doch genau dieses Bild hat sich mir Anfang April präsentiert. Total surreal und fast schon zum Weinen. Ebenfalls vorläufig dem Corona-Virus zum Opfer gefallen ist unser Stammtisch. Wann wir den Anlass fortsetzen können, steht momentan noch in den Sternen. Solange Abstandsregeln gelten, macht eine Durchführung keinen Sinn. Wir werden aber auf jeden Fall regelmässig via AEROPERS über den aktuellen Stand der Dinge informieren. Bis dahin bin ich selbstverständlich weiterhin per E-Mail erreichbar und freue mich über jegliche Zuschriften. l

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Rückspiegel In dieser Rubrik wird eine Auswahl von Kommentaren über Luftverkehr und Flughäfen präsentiert.

Text und Bilder: Thomas O. Koller, Vizepräsident Komitee «Weltoffenes Zürich»

Zentrale Bedeutung der Mobilität 10. März 2020 Die Krise rund um das Corona-Virus belegt, von welch zentraler Bedeutung die Mobilität für unsere Gesellschaft ist. Deren Einschränkung führt zu sozi- alen und wirtschaftlichen Erschütterungen ungeahnten Ausmasses. Die Krise zeigt schlaglichtartig, was geschieht, wenn wir das Rad der Zeit zurückdre- hen und das durch die globale Mobilität gewonnene gesellschaftliche, kultu- relle und ökonomische Potenzial «auf die Halde werfen». Unabhängig davon, wie sich die Krise um das Virus weiterentwickelt, müssen wir deshalb darü- ber nachdenken, wie wir den globalen Austausch von Ideen und Gütern, wie wir den unmittelbaren gesellschaftlichen Kontakt über alle Grenzen hinweg weiterhin garantieren können. Die Menschen vertrauen darauf: Denn glo- baler Austausch und weitgespannte kulturelle Kontakte sind unerlässliche Voraussetzungen für Prosperität und Wohlstand.

Sorge in der Zeit 23. März 2020 «Sorge in der Zeit, dann hast du in der Not.» Das gilt auch für die internatio- nale Anbindung der Schweiz. Dass wir in der aktuellen Krise auf Fluggesell- schaften abstützen können, die aus der Schweiz heraus operieren, erweist sich als extrem wertvoll. Die SWISS und ihre Schwestergesellschaft Edelweiss führen im Auftrag des Bundes Repatriierungs- und Frachtflüge durch. Wir sind sicher, dass alle, die irgendwo in der Welt «gestrandet» sind, das ebenso zu schätzen wissen wie ihre Angehörigen! Es ist sicher nicht falsch, wenn wir uns auch dann noch daran erinnern, wenn diese Krise überwunden ist.

Corona und die Kaffeeküche 30. März 2020 Homeoffice ist das Gebot der Stunde. Zahllose Besprechungen laufen über «Skype», «Zoom» und Konsorten. Das funktioniert auch ganz gut. Nur eines kann diese Art Kommunikation nicht: Nähe vermitteln, Emotionen transpor-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 tieren oder Zwischenmenschliches zulassen. Thomas von Waldkirch, einer der Väter des Zürcher Technoparks, hat einmal gesagt: «Der kreativste Ort im Technopark ist nicht das Labor, sondern die Kaffeeküche.» Das bringt es auf den Punkt. Der zwischenmenschliche Kontakt setzt eine besondere Energie frei. In der direkten Begegnung wächst Vertrauen, werden Kompro- misse geschmiedet und werden innovative Lösungen gefunden. Genau des- halb wird unsere Gesellschaft ohne die individuelle Mobilität auf Dauer nicht funktionieren. Weder kleinräumig noch international. Darum brauchen wir Luftverkehr – auch in der Zukunft. Stellen wir also sicher, dass die Schweizer Luftfahrt eine faire Chance erhält, diese existenzbedrohende Krise zu über- stehen.

Kuhhandel kontraproduktiv! 23. April 2020 Die Corona-Pandemie für einen Kuhhandel «Bürgschaftskredite gegen Ticketabgaben» zu missbrauchen, ist nicht zielführend. Zum Ersten: Die Ein- führung von Ticketabgaben unter ökologischem Vorwand und die gleich- zeitige Unterstützung der Schweizer Luftfahrt für die Bewältigung der Covid-19-Verwerfungen sind in sich widersprüchlich. Die eine Hand gibt, die andere nimmt sofort wieder. Das ist barer Unsinn. Zum Zweiten: Niemand sträubt sich gegen Massnahmen für eine umweltverträglichere Luftfahrt. Aber wenn, dann bitte so, dass es etwas bringt! Jeder innereuropäische Flug ist im Durchschnitt 50 Kilometer länger als er sein müsste. Der Grund: Der europäische Luftraum wird von 37 Flugverkehrsleitungen in 60 Kontrollzen- tren überwacht. Die Kosten dieser Zersplitterung: Vier Milliarden Euro pro Jahr und Umweltauswirkungen, die einfach zu vermeiden wären. Es braucht keine unnütze Flugticketabgabe. Es braucht bloss den politischen Willen, den europäischen Luftraum effizient zu bewirtschaften.

Kuckuckseier und Erpressungsversuche 5. Mai 2020 Ideologische Kuckuckseier im Luftfahrtgesetz und klimapolitische Erpres- sungsversuche – so operierten die Grünen in der Debatte um die «Dring- liche Änderung des Luftfahrtgesetzes angesichts der Covid-19-Krise». Mit Verlaub: Sie sind im «falschen Film». Zum Glück hat dies das Parlament auch so gesehen. Es ging und geht bei dieser Gesetzesanpassung nicht um das Klima, sondern darum, die existenzielle Bedrohung einer Schlüsselin- fra-struktur unseres Landes aufzufangen. Es geht darum, das vollständige

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Grounding der Schweizer Luftfahrt abzuwenden. Dass die Mobilität lang- fristig möglichst nachhaltig organisiert werden muss, daran zweifelt nie- mand, auch die Luftfahrt nicht. Im Gegenteil, gerade die Schweizer Airlines engagieren sich mit Milliardenbeträgen für topmodernes, umweltschonen- des Fluggerät. Und das nicht erst, seitdem die Grünen den Luftverkehr als politisches Thema entdeckt haben. l

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Zeitreise Ein Rückblick über wichtige, erheiternde oder auch banale Facts aus 100 Jahren Luftfahrtgeschichte. Von April bis Mai …

Text: Oliver Reist

… vor 65 Jahren Anfang der 1950er Jahre kehrten deutsche Raketenwissenschaftler zurück, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in die Sowjetunion verschleppt worden waren. Sie berichteten der CIA, dass in der Gegend des Kaspischen Meeres ein Raketentestgelände erbaut wurde. Um die Bedrohung einschätzen zu können, benötigte der US-Nachrichtendienst dringendst Luftaufnahmen und gelangte mit dieser Forderung an die US Air Force. Die amerikanische Luftwaffe hatte jedoch keine Flugzeuge, um unerkannt strategische Aufklä- rungsflüge durchzuführen. Seit zwei Jahren tobte der Stellvertreter-krieg der beiden Grossmächte in Korea. Spionageflüge über der Sowjetunion waren des- halb politisch äusserst delikat und mussten unbemerkt bleiben. Unter dem Projektnamen «Bald Eagle» wurden die Flugzeughersteller Bell, Fairchild und Martin Aircraft eingeladen, ein Konzept für ein Flugzeug zu entwerfen, das eine Höhe von 70 000 Fuss mit einer Nutzlast von 310 Kilogramm erreichen konnte. Bei der CIA ging man davon aus, dass die sowjetischen Radare Objekte auf dieser Höhe nicht erfassen konnten. Da es sich bei der Ausschreibung um einen eher kleineren Auftrag handelte, wurden die grossen Rüstungsfirmen nicht berücksichtigt. Einzig der Flugzeughersteller Lockheed konnte dank guten Verbindungen zum Pentagon einen Entwurf einreichen. Bis heute ver- fügt Lockheed über eine geheimnisumwitterte Entwicklungsabteilung (Lock- heed Advanced Development Programs), die unter dem Pseudonym «Skunk Works» bekannt ist. Erfolgreiche Projekte wie der P-80 Shooting Star oder der XF-104 Starfighter wurden dort unter der Führung des brillanten Konst- rukteurs Clarence «Kelly» Johnson innert kürzester Zeit realisiert. Unter der Bezeichnung CL-282 präsentierte Johnson innerhalb von wenigen Wochen einen einfachen wie genialen Entwurf. Er nahm den Starfighter als Grundlage und verdreifachte die Spannweite des Flügels. Da die Air Force auf die Ver- wendung eines anderen Triebwerks bestand, wurde der Lockheed-Entwurf abgelehnt. Johnson gab nicht auf und überzeugte die CIA von seinem Kon- zept. Lockheed erhielt den Auftrag unter der Bedingung, dass das von der Air Force favorisierte – und bezahlte – Pratt & Whitney J57-Triebwerk verwendet wurde. Die restlichen Entwicklungskosten übernahm die CIA. Der Zeitplan

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 war ambitiös. Johnson hatte versprochen, dass der erste Prototyp innerhalb von acht Monaten fliegen würde. Das Flugzeug erhielt die Bezeichnung U-2. Zur Verschleierung des Verwendungszwecks wurde anstatt des Buchstabens «R» für Reconnaissance der Buchstabe «U» für Utility verwendet. Eine «U-1» existierte bereits. Um das neue Triebwerk aufnehmen zu können, musste der Rumpf vergrössert werden. Dies bedeutete ein höheres Gewicht, das wiede- rum die maximale Flughöhe beeinflussen würde. Wo immer möglich musste Gewicht gespart werden. Auf einen Schleudersitz und auf eine absprengbare Kabinenhaube wurde verzichtet. Ein Notausstieg aus einer Höhe von 21 Kilo- metern war zu der damaligen Zeit undenkbar. Auch das Fahrwerk bot ein erhebliches Potenzial zu Gewichtseinsparung. Kurzfristig wurde sogar erwo- gen, den Prototypen nur mit Kufen auszurüsten. Schlussendlich erhielt die U-2 in der Rumpfmitte und im Heck ein einziehbares Doppelrad. Zum Starten wurden Stützräder am Flügel montiert, die abgeworfen werden konnten. Am 1. August 1955 begannen die ersten Rollversuche. Der Flügel erzeugte aller- dings mehr Auftrieb als erwartet und die U-2 hob bereits bei einer Geschwin- digkeit von 70 Knoten ab. Es gelang dem Testpiloten Tony LeVier, der bereits den Erstflug des Starfighters absolviert hatte, die U-2 halbwegs kontrolliert zu landen. Drei Tage später fand der offizielle Erstflug statt. Kurz vor 4 Uhr nachmittags war es so weit. Trotz des herannahenden Gewitters ent- schloss sich die Crew, den Testflug durchzuführen. LeVier äusserte sich enthusiastisch über den Flugfunk: «It flies like a baby buggy.» Doch die Pro- bleme begannen bei der Landung. Um keinen Strömungsabriss zu provozie- ren, erhielt LeVier die Anweisung, dass die U-2 zuerst mit dem Hauptfahr- werk aufsetzen müsse. Er folgte den Vorgaben des Konstrukteurs, obwohl er eine andere Meinung hatte: «It should be brought in to a two point landing just like any taildragger.» Beim ersten Landeversuch schwebte die U-2 fast über die ganze Piste, um nach einer Bodenberührung gleich wieder abzuhe- ben. Der zweite Versuch war nicht besser. Das Gewitter näherte sich wäh- renddessen bedrohlich dem Flugplatz. Erst der fünfte Versuch klappte. Bei hohem Anstellwinkel, kurz vor dem Strömungsabriss, setzte er mit allen Rädern gleichzeitig auf. Zehn Minuten Später ergoss sich dass Gewitter über den Flugplatz In den folgenden Monaten tastete sich die U-2 in neue Höhen vor. Das Trieb- werk reagierte sehr sensibel auf Schubänderungen. Ab einer Höhe von 45 000 Fuss kam es immer wieder zu Triebwerksausfällen. Probleme bereitete auch das Ölsystem. Über den Kompressor der Turbine gelangte Öl in die Klimaan- lage. Auf der Innenseite der Kabinenhaube bildete sich dabei ein Ölfilm. Um

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 die Frontscheibe zu reinigen, nahmen die Testpiloten jeweils ein Tuch mit, dass sie am Ende eines Stocks befestigten. Durch Änderungen an den Bleed Valves und am Öl-Filter konnten die Mängel etwas reduziert werden. Letzt- endlich brachte erst ein überarbeitetes Triebwerk (J57-P-31), das im Januar 1956 geliefert wurde, Abhilfe. Mit dem neuen Antrieb gelang es, eine Höhe von 73 800 Fuss zu erreichen. Der erste operationelle Spionageflug fand am 20. Juni 1956 statt. Vom amerikanischen Luftwaffenstützpunkt in Wiesbaden (BRD) flog die U-2 über die Tschechoslowakei, die DDR und über Polen. An Bord befanden sich drei Kameras. Durch die Überlagerung der Aufnahmen konnte ein stereografi- sches Bild erzeugt werden. Nach der Landung wurde der Film umgehend in die USA geflogen. Die Eastman Kodak Company entwickelte die Filme für die CIA an ihrem Firmensitz in New York. Erstmals seit dem Ende des Zwei- ten Weltkriegs erhielten die Nachrichtendienste aktuelle Luftaufnahmen der Ostblockstaaten. Zwei Wochen später, am US-Independence Day, wurde zum ersten Mal die Grenze zur UdSSR auf einer Höhe von 70 000 Fuss überflogen. Entgegen den Annahmen der CIA konnten die sowjetischen Radaranlagen die Flüge verfolgen. Trotzdem war die Flugabwehr machtlos. Der MiG-17-Ab- fangjäger erreicht eine maximale Höhe von 55 000 Fuss und einsatzbereite Boden-Luft-Raketen standen noch nicht zur Verfügung. Während den nächs- ten vier Jahren flog die U-2 unbehelligt über die UdSSR. Das änderte sich am 1. Mai 1960. Der CIA-Pilot Francis Gary Powers hob am frühen Morgen vom Flugplatz Peschawar im Norden Pakistans ab. Sein Ziel war die Nato- Basis Bodo in Norwegen. Nach anderthalb Stunden Flugzeit überquerte er die Grenze zur Sowjetunion und startete seine Spionagemission. Als er sich dem Ural näherte, wurde sein Flugzeug von einer heftigen Explosion erfasst. Dabei wurden Teile des Flügels abgerissen. Powers gab später zu Protokoll: «What was left of the plane started spinning, only upside down.» Als das Flugzeug tiefere Luftschichten erreichte, gelang es ihm die Kabinenhaube zu öffnen und sich mit dem Fallschirm zu retten. Insgesamt feuerte die Fliegerabwehr 14 neuentwickelte SA-2 Boden-Luft- Raketen auf die U-2 ab. Versehentlich wurde dabei auch ein eigener MiG- 19-Abfangjäger getroffen. Da die U-2 nicht in Bodo gelandet war, ging man in Washington schon bald davon aus, dass Powers beim Einsatz ums Leben gekommen ist. Möglicherweise hatte er sich aber auch im Falle einer Gefan- gennahme mit einer vergifteten Injektionsnadel umgebracht. Am 3. Mai pub- lizierte die NASA im Auftrag der CIA eine Pressemeldung über den Absturz eines ihrer Flugzeuge, das während eines Wetter-Erkundungsfluges in der

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Türkei vom Kurs abgekommen sei und schliesslich abgestürzt ist. Die U-2 war bis dahin weitgehend unbekannt. Da gleichzeitig in Los Angeles ein Luft- und Raumfahrtkongress stattfand, wurden die anwesenden Journalisten zur nahegelegenen Edwards Air Force Base gebracht. Um den Wettererkundungs- flug glaubhaft zu inszenieren, wurde dort eiligst eine U-2 mit fiktiven NASA- Markierungen versehen. Am nächsten Tag zierte das Foto des revolutionären Wetterbeobachtungsflugzeugs die Titelseiten der amerikanischen Zeitungen. Die Demaskierung der Cover-Story liess nicht lange auf sich warten. In einer impulsiven Rede enthüllte der sowjetische Machthaber Nikita Chru- schtschow die Wahrheit über den Spionageflug. Powers wurde drei Monate später in einem Schauprozess zu drei Jahren Gefängnis und sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Zwar wurde er 1962 in Berlin gegen einen sowje- tischen Spion ausgetauscht, aber eine triumphale Heimkehr gab es nicht. Hinter vorgehaltener Hand wurde ihm vorgeworfen, dass er die U-2 nicht zerstört und sich nicht umgebracht hatte. Die Aufklärungsflüge über der Sowjetunion wurden nach diesem Zwischen- fall eingestellt. 65 Jahre nach ihrem Erstflug sind weiterhin 32 U-2, davon fünf Doppelsitzer, für die US Air Force im Einsatz. Sie wurden mehrfach überarbeitet und mit neuen Sensoren ausgestattet. Eines hat sich seit dem Erstflug nicht verändert: Die U-2 bleibt eines der am schwierigsten zu landenden Flugzeuge. Um das Landen zu erleichtern, folgt der U-2 während dem Ausschweben ein PS-starkes Auto. Der Fahrer – auch ein U-2-Pilot – übermittelt dabei via Funk die Höhe über der Piste. l

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 On The Air…

Text: Zbigniew Bankowski

Local News … Der Gemeinderat von Lugano hat einem Kredit zur Rettung des Flugha- fens Lugano Agno zugestimmt. Das Parlament des Tessiner Hauptorts hat grünes Licht für eine finanzielle Hilfe von insgesamt 5,76 Millionen Franken gegeben. Diese Summe soll für die Rekapitalisierung der Lugano Airport SA sowie zur Deckung eines Teils der Verluste bis Ende dieses Jahres verwen- det werden. Zuvor hatte der Grosse Rat des Kantons Tessin eine Finanz- spritze von 3,84 Millionen Franken schon in Aussicht gestellt. Die deutsche Bedarfsfluggesellschaft Private Wings bewarb sich beim Bundesamt für Zivilluftfahrt um die Erlaubnis, die Inlandverbindungen Lugano–Genf und Lugano–Zürich mit einer im Tessin stationierten Dornier 328-100 mit 32 Plätzen zu bedienen. Da die Beförderung von Passagieren und Fracht zwi- schen zwei Destinationen im Inland aber gemäss dem Schweizer Luftfahrt- recht ausdrücklich schweizerischen Unternehmen vorbehalten ist, lehnte das BAZL das Begehren ab. Ende April ist leider die Betreiberfirma des Flughafens Lugano Agno in die ordentliche Liquidation gegangen. Der Flug- hafen selber soll jedoch nicht geschlossen werden, sondern wenn möglich in private Hände übergehen. Die virtuelle Berner Airline flyBair lieferte seit November dank einer Crowdfunding-Aktion eine wahre Erfolgsgeschichte mit der Einnahme von deutlich über einer Million Franken ab. Doch wurde die Frage aufgeworfen, wie die Flüge durchgeführt werden könnten. Prompt kündigte der erste vorgesehene Flugpartner German Airways Anfang Jahr den Deal mit fly- Bair auf, weil ihre fünf Flugzeuge an einen anderen Operator vermietet werden sollen und die Besatzungen für Sion nicht zertifiziert werden kön- nen. Anfang Februar konnte nun flyBair einen Vertrag für eine vorerst sechs Monate andauernde Flugkooperation mit Helvetic Airways unter- zeichnen. Alle flyBair-Flüge werden von Helvetic Airways durchgeführt und der Sommerflugplan solle fast unverändert bleiben. Zum Einsatz kommt ein Flugzeug des Typs Embraer E190-E1. Helvetic Airways wird die fly- Bair-Flüge als Vollcharter mit Helvetic-Flugnummer durchführen. Ab Juli bietet flyBair Flüge von Bern nach Jerez, Mallorca, Menorca, Olbia und Pre- veza sowie von Sion nach Palma de Mallorca an. Seit ihrem Markteintritt im Dezember 2019 und dank der Eröffnung der eigenen Buchungsplatt-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 form flybair.ch freut sich die Fluggesellschaft über grosses Interesse der Schweizer Bevölkerung.

World News … 2019 lief das Rennen um neue Aufträge und Auslieferungsrekorde zwi- schen den beiden Herstellern Airbus und Boeing ganz anders als sonst. Infolge des Groundings der B737MAX sieht es bei Boeing düster aus. Allerdings ist die Boeingkrise für Airbus kein Grund für übertriebenen Optimismus. Da die A320-Familie auf Jahre ausverkauft ist, kann man davon kaum profitieren. Man muss damit rechnen, dass die USA die 2019 erhöhten Zölle auf Airbus-Flugzeuge weiter erhöhen, und auch auf die in Alabama montierten Maschinen ausdehnen. Und die vereinbarten Milliardeneinkäufe der Chinesen in den USA dürften demnächst zu Hun- derten von Boeing-Bestellungen führen. Der gemeinsame Backlog hat sich erstmals seit langem nicht erhöht: 7482 Flugzeuge bei Airbus und 5406 bei Boeing. Airbus lieferte 863 Jets aus (gegenüber 800 im Vorjahr): 48 A220, 642 Flugzeuge der A320-Familie, 53 A330, 112 A350 und 8 A380. Geplant waren eigentlich noch mehr, aber nach der wohl überwundenen Neo-Trieb- werks-Problematik hakt es bei der A320-Familie in der Supply-Chain und weiterhin stehen grössere Mengen fast fertiger Flugzeuge vor allem in Fin- kenwerder herum. Offiziell wird gerne auf die unerwartete Komplexität beim A321ACF mit der neuen Türanordnung verwiesen, aber es parken auch diverse A320 und nicht nur A321. Boeing konnte nur 380 Flugzeuge an Kunden übergeben (gegenüber 806 im Vorjahr): 127 B737, 7 B747, 43 B767, 45 B777 und 158 B787. Bekanntlich stehen um die 400 neu gebaute B737MAX am Boden und warten auf die Re-Zertifizierung des Musters. Première grosse annulation de commande d‘avions depuis la crise du Covid-19. Avolon, la troisième société mondiale de location d‘avions pos- sédant dans son portefeuille 855 avions, a annulé une commande de 75 Boeing B737MAX qui devaient être livrés d‘ici à 2023, ainsi que quatre Air- bus A330neo qui devaient l‘être d‘ici à 2021. Avolon a néanmoins conservé une option sur seize autres B737MAX, mais a repoussé leurs livraisons à 2024 et au-delà. Le loueur d‘avions a par ailleurs reporté à 2027 la livraison de neuf Airbus A320neo, qui devaient être initialement livrés entre 2020 et 2021. Résultat, le carnet de commandes d‘Avolon sur la période 2020-2023 passe de 284 à 165 appareils. Cette annonce marque le point de départ d‘une période de fortes turbulences pour l‘industrie aéronautique. Avec l‘arrêt quasi-total du transport aérien pour deux ou trois mois et une reprise

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 qui s‘annonce longue et difficile, les compagnies aériennes jouent leur sur- vie. Les demandes d‘annulations ou de reports de livraisons se multiplient. Selon Alexandre de Juniac, directeur général de l‘association internationale du transport aérien (IATA), aucune compagnie aérienne ne va acheter d‘avi- ons au cours des six ou neufs prochains mois, soit jusqu‘à la fin de l‘an- née. S‘ajoutent aussi les risques de faillite de certaines compagnies ayant des commandes en cours, car les États ne pourront pas aider tous les trans- porteurs. Si cette perspective se vérifie, les constructeurs d‘avions seront privés des rentrées de cash assorties aux livraisons d‘avions, puisqu‘une bonne partie du prix des appareils est payée à ce moment-là. L‘absence de prise de commandes les privera également des prépaiements. Enfin, autre danger pour Airbus et Boeing, les faillites et la baisse de capacité de certai- nes compagnies vont augmenter le volume d‘avions d‘occasion qui feront concurrence aux avions neufs. Dassault Aviation made two Falcon jets available as part of the French military mission to contain the coronavirus COVID-19 epidemic, Opera- tion Resilience. They carried out their first mission, transporting medical personnel. The two business jets transported 26 doctors and medical staff back to Paris who had accompanied patients with coronavirus transferred by train to Brest, western France, in an effort to alleviate the pressure on hospitals of the capital city. The Falcon 900 and the Falcon 8X are configu- red to respectively accommodate 13 and 15 passengers. Too small to trans- port patients in intensive care, they will only be used to transport medical freight and medical personnel. Dassault put forward the capacity of its air- craft to land at small airports, in all weather and with-out requiring ground infrastructure, which allows for quick transportation of medical teams or equipment. It is not the sole plane maker to dedicate resources to the ongo- ing effort. Airbus set up an air bridge between Europe and China to bring protective facemasks and other medical equipment to be spread among France, Germany, the United Kingdom, and Spain. To carry out this mis- sion, the manufacturer allocated an A330-800, an A330 MRTT (Multi Role Tanker Transport), an A350-1000, an A400M and part of the Beluga fleet.

Crash News … Airbus and Rolls-Royce are investigating two incidents in which A350s experienced un-commanded in-flight engine shutdowns after drinks were spilled on cockpit controls. One case involved a Delta Air Lines A350-900 en route to Seoul, which diverted to Fairbanks (Alaska) after its right-hand

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Trent XWB engine shut down. Some 15 minutes before the event, a drink was spilled on the centre pedestal between the two pilot seats, primarily on the integrated control panel for engine start and electronic centralised air- craft monitor functions. The right-hand engine shut down and the crew was unable to restart it, so they diverted and landed safely in Fairbanks. The electronic engine control system had closed a high pressure shut-off valve after inconsistent output from the integrated control panel. The previous incident occurred on one of Asiana’s A350-900s, operating between Seoul and Singapore. About one hour after tea was spilled on the centre pedestal, the right-hand Trent engine shut down and after restart was unsuccessfully attempted, the aircraft diverted safely to Manila. Flight recorder analysis indicated a high-pressure shut-off valve closure command.

Short News … United Airlines bestellte 50 Airbus A321XLR zur Lieferung ab Ende 2024. Ab 2025 sollen sie primär auf dem Nordatlantik die B757-200 ablösen. Gleichzeitig verschob United zum wiederholten Mal die Lieferungen ihrer A350XWB, nun auf 2027. Das wäre 18 Jahre nach der ursprünglichen Bestel- lung. Zehn weitere A350XWB-900 gehen an Air France. Damit kann die Airline die letzten vier A340 vorzeitig ausmustern und auch die A380 bis 2022 ersetzen. Air France bestätigte auch ihre vor mehreren Monaten angekün- digte Bestellung über 60 A220-300 als A318 und A319 Ersatz. Auf der Singapore Air Show wurde ein Vorvertrag mit der Green Africa Airways aus Nigeria über 50 A220-300 zur Lieferung ab 2021 bekannt gegeben. Green Africa befindet sich schon seit einigen Jahren im Aufbau und hatte vorher einen Vorvertrag mit Boeing über 50 B737MAX plus 50 Optionen geschlossen. Kurz danach vereinbarte Green Africa mit der russi- schen GTLK Leasinggesellschaft die Miete von drei in Holland abgestellten werksneuen A220, die Redwings (Russia) nicht übernommen hat. Damit möchte man den Betrieb schon im August 2020 aufnehmen. Ende Dezember verbuchte Airbus einen Auftrag über 40 A330-900neo eines ungenannten Kunden. Man vermutet, sie sind für die grossen staat- lichen Airlines in China. Unerwartet stornierte die Lufthansa im Januar zwei A350XWB-900 (blei- ben noch 43). Nordic Aviation Capital bestätigte ihren angekündigten Auftrag über 20 A220, der als sechs A220-100 und 14 A220-300 konkretisiert wurde.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Aer Lingus übernimmt planmässig zwei werksneue Airbus A330-300, die vermutlich die letztgebauten A330ceo in PAX-Version sind. Ab jetzt wird nur noch die neue A330neo in Toulouse gebaut. Avianca Colombia reduzierte ihre ausstehende A320/A321-Bestellung um 20 Flugzeuge von 108 auf 88. Dabei werden auch die Liefertermine in die Zukunft verschoben und sollen jetzt zwischen 2025 und 2029 erfolgen. Die China Aircraft Leasing (CALC) bestellte 40 A321neo. In Summe sind es 252 Flugzeuge der A320-Familie für CALC, von denen laut Airbus-Anga- ben zum Zeitpunkt der neuen Order 87 ausgeliefert waren. CALC wandelte die Bestellung von acht der 50 B737MAX in zwei B787-9 um. Diese wurden bereits geliefert, und es handelt sich um zwei für Hainan produzierte Flug- zeuge, die nun bei Bamboo Airways (Vietnam) sind. Airbus hat in seinem Auftragsbuch etwas aufgeräumt und die offenen Auf- träge der Synergy Group aus Brasilien storniert. Es handelt sich um 62 A320neo, einen A330-200F und zehn A350XWB-900, die alle für Avianca Brasil vorgesehen waren. Aber die Airlines der Synergy Group, ausser der früheren Oceanair in Brasilien auch Avianca Argentina sowie Aeromar in Mexiko, sind ja mehr oder weniger an die Wand gefahren. Synergy scheint jedoch noch zu existieren, und man bietet aktuell für die Reste der indi- schen Jet Airways. Vier A330-300 und acht A350XWB-900 für Hong Kong Airlines wurden auch storniert, ebenso wie 15 A350XWB-900 für Hainan Airlines. Ebenfalls wurden die acht A321ceo für UTAir (Russia) und die zehn A220-300 für Braathens Regional (Schweden) storniert. Emirates hat über die auf der Dubai Air Show genannten Zahlen hinaus ihren Boeing B777X-Auftrag weiter reduziert, beziehungsweise einige Bestel- lungen in Optionen umgewandelt. Aus 150 B777X und vor Dubai noch offe- nen sechs B777-300ER sind jetzt 115 B777X geworden. Die amerikanische Trans State Holding stornierte ihre 2009 platzierte Bestellung von 50 Mitsubishi SpaceJet M90 inklusive weitere 50 Optio- nen. Da sich bekanntlich die Scope Clauses der US-Airlines (Regionaljets bis 76 Sitzen) nicht wie erwartet geändert haben, kann dieser Flugzeug- typ nicht für die US Legacy Carriers (American, Delta, United) betrieben werden. Wizz Air will als Joint Venture mit der Abu Dhabi Development Holding Company (ADDH) eine Wizz Air Abu Dhabi gründen, die bereits 2020 den Betrieb mit A321neo aufnehmen soll. Man will nicht nur nach Europa, sondern auch nach Indien und Afrika fliegen.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Azerbaijan Airlines hat grosse Pläne und will die Flotte sowie das Stre- ckennetz bis 2025 erheblich ausbauen. Es wird von weiteren acht B787, drei B777 und zehn A320neos berichtet. Ausserdem wurden vor einiger Zeit zehn B737MAX in Auftrag gegeben. Die erste ist schon produziert, aber man werde die B737MAX wegen der Probleme erst in fünf Jahren einflotten. l

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Text: Viktor Sturzenegger

Vom Holozän ins Quarantän Das Jahr 2020 wird sicher nachhaltig in die Geschichtsbücher aufgenom- men. Ich kann mich jedenfalls nicht an ein weltweites Ereignis während meines bisherigen Lebens erinnern, das allen Menschen auf diesem Plane- ten ähnliche Veränderungen ihrer Lebensweise aufbürdete wie das Virus, das vermutlich aus dem Wildtiermarkt in Wuhan kam. Meine Frau und ich befinden uns seit Mitte März faktisch in Isolation. Der Umstand, dass wir in unserer Wohnung einen gewissen Auslauf geniessen, Balkon und genü- gend Platz sind vorhanden, täuscht nicht über die Tatsache hinweg, dass diese Situation nicht frei gewählt ist. Und das sind wir uns spätestens seit meiner Pensionierung überhaupt nicht gewohnt. In weniger globalem Ausmass verändern auch einzelne Katastrophen ebenso nachhaltig das Leben der beteiligten Menschen.

… und die Erinnerung an SR111 In den Abendstunden des 2. Septembers 1998 stürzte eine MD-11 der Swissair mit 229 Menschen an Bord bei Peggy’s Cove in Nova Scotia mit brennendem Cockpit steuerlos ins Meer. Alle, die wir damals bei der Swiss- air arbeiteten, wissen noch, wo sie sich am frühen Morgen Schweizer Zeit des 3. September 1998 befunden haben. Kennen noch ihre ersten Gedan- ken, die bei der Benachrichtigung über die Tragödie auftauchten. Und ich bin heute noch fasziniert vom emotional berührenden Umgang der Prota- gonisten der Swissair mit diesem Ereignis. Ähnlich ergeht es offenbar Urs von Schroeder, der damals selbst im Kommunikationsbereich des Unter- nehmens engagiert war. Der Fokus seines neuen Buchs über das «Unglück von Halifax» liegt denn auch auf den Menschen, die von der Katastrophe direkt betroffen waren. Schon im ersten Teil der Geschichte erzählt der Autor aus der Sicht von Angehörigen der Passagiere, von Fischern und ihren Frauen in Neuschott- land, von Mitgliedern der Swissair-Crew, der Landesvertretung des Flug- Unternehmens und der Untersuchungsbehörde für Flugunfälle Kanadas, was sie in den Stunden vor dem Unglück beschäftigte. Dieser Anfang schliesst mit einer kurzen Beschreibung des Unfallhergangs ohne Effekt- hascherei.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 In der Folge zeichnet Urs von Schroeder detailgenau und immer aus der Sicht einzelner Betroffener den Aufbau der Suche nach Überleben- den, die Aktivitäten in Genf, Zürich, New York und Neuschottland. Die Betreuung der Angehörigen der Opfer durch Care-Teams der Swissair und des Codeshare-Partners Delta Airlines steht bald im Brennpunkt, und das Befinden der mit unglaublichen Szenen konfrontierten Angehörigen der Suchtrupps lässt niemanden beim Lesen unbeteiligt. Die Arbeit der Care- Teams und die Akribie der Aufarbeitung des Unfalls durch die Behörden- vertreter werden gewürdigt – einzelne Akteure dabei hervorgehoben. Urs von Schroeder gelingt es dabei, die Ereignisse aus persönlicher Sicht von Beteiligten aufzuzeichnen, ohne voyeuristisch oder anbiedernd zu werden. So entsteht ein Mosaik menschlicher Sonderleistungen und emphatischer Momente in einer für viele Menschen lebensverändernden Katastrophe. Das Buch ist eine wertvolle Ergänzung zu den bisher im Zusammenhang mit SR111 erschienenen Veröffentlichungen.

Urs von Schroeder: Im Strudel einer Katastrophe elfundzehn, Zürich 2020 ISBN 978-3-905769-58-6

Scheitern einer Emanzipation Früh dran war sie, die kürzlich Verstorbene. Nicht mit dem Sterben, aber mit ihrer Vorstellung zu leben, zu lieben und zu arbeiten. Und letztlich ist sie doch an den Konventionen aufgelaufen wie ein steuerloses Schiff auf Grund. Kristine Bilkau erzählt in ihrem Roman von einer Tochter, die den Nach- lass der Toten sichtet und dabei auf Briefe eines ihr unbekannten Mannes Namens Edgar stösst. Sie sind an ihre Mutter gerichtet, belegen mit alten Fotos eigene Erinnerungen, führen zu neuen Erkenntnissen und werfen auch neue Fragen auf. Daraus entsteht das Bild der jungen Antonia Weber in den Sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts, die den Zwängen einer kontrollierenden Mutter entfliehen will und dabei vom Aufbruch der neuen Zeit profitieren kann. Auf einem Bild jener Zeit trägt sie ihr Haar kurz, und das zitronen- gelbe Kleid steht ihr gut. Dabei stellt die Tochter sich lebhaft vor, wie es damals war – wer ihre Mutter eigentlich war. Im Durchforsten der Bücher, Briefe und Bilder ihrer Mutter entfaltet die Tochter in einer fabulierenden Nachempfindung ihres Lebens und Liebens

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 die Geschichte von Antonia Weber. Als Sekretärin mit Ambitionen ist sie im Büro eine geschätzte Arbeitskraft. An einer Bushaltestelle trifft sie einen jungen Mann, in den sie sich sofort verliebt. Er ist anders als die anderen, ruhiger, vorsichtiger und akzeptiert scheinbar ihren Wunsch nach Unab- hängigkeit. Als er die Möglichkeit erhält, für seine Arbeitgeber in Hong Kong eine Filiale zu gründen, scheut er selbst anfangs das Risiko. Antonia möchte aber sofort ausbrechen und sondiert schon eigene Arbeitsmög- lichkeiten in der chinesischen Grossstadt. So entschliesst sich Edgar doch für die Reise, bittet aber Antonia zu Hause zu warten, bis er sich eingerich- tet hätte. Worauf sie ihre eigenen Pläne hintanstellt. Edgars Briefe sind schon am Anfang ihrer Beziehung Ausdruck einer empfindsamen Seele. Doch die Fähigkeit sich zu entscheiden, die Antonia vielleicht in etwas vorschneller Art besitzt, geht ihm völlig ab. So schreibt er ihr nach längerer Zeit des Hinhaltens, er sende ihr mit dem nächsten Luftpostbrief die Tickets für den Flug nach Hong Kong. Doch dann plät- schert der briefliche Redefluss ins Leere und lässt die junge Frau, die sich von ihrem früheren Leben schon abgenabelt hat, um aufzubrechen in eine rosige Zukunft, allein zurück. Der Roman ist eine subtile Zeichnung der Stellung der Frau in unserer Gesellschaft in ihrer Entwicklung seit der Nachkriegszeit. Das Konventio- nelle, gegen das sich die «Generation Rock and Roll» auflehnte, dominiert die Geschlechterrollen – was eine echte Unabhängigkeit der Frau betrifft – zu Antonias Zeiten und bis heute. Eine einigermassen betrübliche Erkennt- nis aus einem sehr lesenswerten Buch.

Kristine Bilkau: Eine Liebe, in Gedanken. Luchterhand, München 2018 ISBN 978-3-630-87518-7

Im Schatten der Väter Frauengestalten beschäftigen auch Lukas Hartmann in seinen Stoffen von Zeit zu Zeit, und er spinnt deren Biografie dabei meist in eine roman- dienliche Konstellation mit historisch nicht zwingend verbrieften Neben- figuren. Ein Kunstmittel, dessen sich auch die Schöpfer von TV-Serien wie «Upstairs – Downstairs» oder «Downton Abbey» mit grossem Erfolg bedienen. So wird in Hartmanns Schilderung des Lebens der Lydia Welti-Escher ein Dienst- mädchen, Luise Gaugler, zur erzählenden Hauptfigur eines Beziehungsdramas,

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 das die Schweiz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigte. Im Mittelpunkt stehen die Tochter des konventionsfreien Unternehmers und Poli- tikers Alfred Escher und deren Ehemann Friedrich Emil Welti, Sohn eines legen- dären Bundesrats. Diese Ehe scheint vor allem dazu gedient zu haben, die zwei Väter in ihren entsprechenden Bemühungen um das Gotthard-Tunnel-Projekt zu vereinen und entsprang kaum romantischen Gefühlen. Hartmann zeigt dies aus der Sicht der Kammerzofe und ebnet damit dem Ausbruch der Gattin in eine Beziehung mit dem Jugendfreund des Gatten, dem Künstler Karl Stauffer, den Weg des Verständnisses der Lesenden. Zwar kommt der egomane Stauffer bei der Kammerzofe Luise nicht gut an – aber es zeigt sich, dass auch sie der laute Künstler nicht kalt lässt, er ihr in ihrer Naivität aber eher Angst einflösst. Einigermassen traurig ist die Geschichte schon – die Alleinerbin des beträchtli- chen Vermögens Alfred Eschers wird in ihrer Unabhängigkeit des Denkens und intellektuellen Kapazität vom schwachen Gatten anfangs zwar in ihrer Kultur- förderung gestützt. Doch der Übervater Bundesrat lässt kaum ein Interesse an der Schwiegertochter erkennen. Im Gegenteil zieht er rasch alle Hebel, lässt die untreue Ehefrau für verrückt erklären und den ungebührlichen Jugendfreund des Sohnes in Rom ins Gefängnis stecken, nachdem das Liebespaar dorthin geflüchtet ist. Die Stille der Isolation Lydias beeinträchtigt den Handlungsfluss des Romans etwas, gewährt aber im Ganzen einen differenzierten Einblick in grossbürgerliche Kreise Zürichs und der Schweiz im 19. Jahrhundert. Lukas Hartmann zeichnet eindrücklich das Bild einer starken Frau, die mangels gesellschaftlicher Unterstützung – ihrer eigenen und derjenigen ihres Geschlechts im Allgemeinen – letztlich in die Scheidung und den Verlust eines grossen Teils ihres Vermögens getrieben wird. Gerade in diesen Tagen, wo Zeit kein rares Gut ist, eine fein gearbeitete, lesbare Geschichte.

Lukas Hartmann: Ein Bild von Lydia. Diogenes, Zürich 2018 ISBN 978-3-257-07012-5

Glauben, Wissen, Sehen Lucy Barton ist eine puritanisch aufgewachsene Frau aus dem Mittleren Westen der USA. In Elizabeth Strouts Roman lässt sie ihr Leben vor dem Hintergrund eines längeren Krankenhausaufenthalts, der schon viele Jahre zurückliegt, Revue passieren.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Der monatelange Krankheitsaufenthalt im Spital erhält durch den über- raschenden Besuch von Lucys Mutter eine Wende. Die wortkarge Frau bringt ihre Tochter mit ihrer eigenen Art der unausgesprochenen Liebe, die sich im Gebrauch des Kosenamens erschöpft, ihres rigorosen Glau- bens und der Fähigkeit «Dinge zu sehen» wieder zu Kräften und Hoffnung. Im Gespräch zwischen den Beiden entfaltet sich die Biografie einer leicht zu verunsichernden Frau, die sich zum Schreiben berufen fühlt und doch nicht richtig an sich glauben kann. Lucy wächst in einem Dorf im ländlichen Illinois auf. Eine sonst schon abgelegene Situation wird bei ihr durch die Tatsache, dass ihre purita- nischen Eltern sich etwas ausserhalb der Dorfgemeinschaft eingerichtet haben und die Kinder in der Schule gehänselt werden, zur gefühlten Isola- tion. Die Mutter wird dabei als besonders streng und auch physisch stra- fend beschrieben. Berührend ist, dass das arme Mädchen einen Baum, der allein auf dem Feld steht, als ihren Freund bezeichnet. Anfangs wohnt die Familie noch in der Garage des Hauses eines Onkels. Mit spärlicher Heizung und nur einem Fenster. So beginnt Lucy nach der Schule in einem beheizten Klassenzimmer weiterzulernen, statt in die kalte Behausung der Familie zurückzukehren. Auch wird sie von einem Lehrer unterstützt, der sie schätzt und seiner Klasse die Geschichte der Ureinwohner Amerikas ohne Unterschlagung der Brutalität weisser Sied- ler näher bringt. Lucys Stunden im Warmen und das viele Lesen schlagen sich jedenfalls in guten Noten nieder. Sie erhält ein Stipendium für ein Studium an einem College ausserhalb Chicagos. Dort lernt sie erst einen eingebildeten «Künstler» kennen, Professor mit wenig Empathie. So etwas kann nicht von Dauer sein, also kommt William ins Bild. Laborstudent aus Maine, der möglichst weit entfernt von seiner anhänglichen verwit- weten Mutter im Mittleren Westen studiert, aber unbedingt an die Ost- küste zurückkehren will. Der blonde Deutschstämmige weckt allerdings während seines Besuchs bei Lucys Familie unliebsame Erinnerungen im cholerischen Vater. In der Folge bricht der Kontakt zur Familie ab, zumal William und Lucy nach New York ziehen. Die grosse Stadt ist wie die Erfüllung aller Wünsche der jungen Frau, die bald Mutter wird und ihr Schreiben, ganz im Einklang mit ihrem mangeln- den Selbstwertgefühl, eher wie ein Hobby betreibt. Die Begegnung mit einer Schriftstellerin fördert ihre Ambition allerdings, und so erscheint in einer Literaturzeitschrift bald eine Geschichte von ihr. Episodenhaft kommt das Leben von Lucy Barton daher, und am Ende ver-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 liert sich die Geschichte im Aufarbeiten der für sie wichtigen Beziehungen. Töchter, Mutter, Vater, William, von dem sie inzwischen geschieden ist, und ihr neuer Partner, ein Cellist in der Philharmonie, der gerne lacht und sogar isst, was sie kocht. Ihre Schwester fordert immer wieder Geld von der erfolgreichen Schriftstellerin ein und kauft dann damit Dinge, die Lucy nicht einleuchten. Das Leben eben. Der Roman fasziniert mich mit seiner Beschreibung der Menschen aus der Sicht von Lucy und ihrer Mutter, aber auch mit der Fähigkeit der Autorin, Gefühle der Minderwertigkeit, die sich aus der Herkunft und Beziehung zu Mitmenschen ableiten, für die Lesenden erlebbar zu machen. Dies schärft das Bewusstsein für die Sprache als Ausdrucksmittel der Seele durch den Geist. Ein Thema, das mich schon seit langem beschäftigt. Aber lassen Sie sich durch diesen Einwurf nicht verdriessen, es ist ein emphatisches, sehr lesbares Buch.

Elizabeth Strout: Die Unvollkommenheit der Liebe. btb Verlag bei Random House, München 2018 ISBN 978-3-442-71657-9

Die Tochter des Schriftstellers Und schon wieder geht es um Nachlass. Um den Tod eines Elternteils und die damit verbundenen Anstrengungen der Nachfahren. In diesem Buch ist es auch eine Tochter, die nach vielen Jahren in die Stadt ihrer Kindheit zurückkehrt, um ihren Vater zu beerdigen. Eine ambivalente Beziehung prägte die beiden, und in den letzten Jahren haben sie sich aus den Augen verloren. Also muss die Tochter sich mit den wenigen Hinterlassenschaften ihres immer mit minimalem Material belasteten Vaters in seiner kleinen Woh- nung beschäftigen. Selbst reist sie nur mit einem Rucksack an, ganz die Tramperin, die sie in ihrer rastlosen Art ihr Leben lang sein wird. Darin gleicht sie auch ihrem Vater, der zeitlebens Schriftsteller war, wenig geschrieben hat und seine Werke selbst nicht mehr lesen mochte. Bis auf das letzte, kleine Buch über das Verschwinden der Wolken, das Hannah, so heisst die Tochter, in seinem Nachttisch findet. Hannah trifft bei der Beerdigung des Vaters seinen Anwalt, in dessen Kanzlei sie schon als Schülerin gejobbt hat, und lässt sich – wie oft im Buch und ihrer Geschichte betrunken – wieder mit ihm ein. Ihre ehemalige Freundin Vivian riecht den Braten zwar, doch liegen ihre Interessen auf

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 einem See, der Hannahs Vater zum täglichen Schwimmen diente, und einer Zukunft in einem am Baggersee liegenden Gestüt, umgebaut zur Altersre- sidenz. Der Verflechtungen in diesem Ort von Hannahs Vergangenheit gibt es also viele – nicht zuletzt auch mit Vivians 16-jähriger Tochter Julia, die so sehr von Hannahs Vater angetan war, dass sie sich selbst als dessen Toch- ter wähnte. Und er fand in ihr vielleicht wirklich die Tochter, die er sich im letzten Aufbäumen des Alters und seiner Unterstützung für die jungen Umweltaktivisten, zu denen auch Julia gehört, gewünscht hat. Diese Geschichte ist eingebettet in eine apokalyptische Welt, die gezeich- net ist von Trockenheit und dem Versagen einer ganzen Generation, die Welt lebenswert zu gestalten und für die Nachfahren lebbar zu erhalten. John von Düffel (was für ein Name!) gelingt es in seinem Roman Verständ- nis zu fördern für die Wut der Ohnmächtigen, ohne allzu klischiert und moralistisch zu sein. Ein Spiegel an unserer Wand.

John von Düffel: Der brennende See. DuMont, Köln 2020 ISBN 978-3-8321-8122-2

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Text: Henry Lüscher

Rentner unter sich Eigentlich hatte Hansjörg Schneider (82) in einem Interview gesagt, das Buch «Kind der Aare» (2018) sei sein letztes gewesen. Aber kürzlich kor- rigierte er diese Aussage: Es sei ihm langweilig geworden im Alter, und plötzlich sei Komissär Hunkeler in seiner Schreibmaschine (!) wieder lebendig geworden. Und so habe er den bisher neun Hunkeler-Romanen einen zehnten hinterhergeschickt. Der pensionierte Komissär Hunkeler genniesst im Basler Kannenfeld- park seinen Sonntagskaffee und wird plötzlich auf eine Leiche aufmerk- sam. Soll er oder soll er nicht? Die Neugierde ist stärker, er will selber Hand anlegen und die Gründe für den Tod dieses stadtbekannten Kunst- kritikers herausfinden, der offenbar durch eine Pétanque-Kugel ins Jen- seits befördert worden ist. Hunkeler trifft sich mit Leuten aus der Kunst- und Kulturszene und versucht, ein Motiv zu finden. Natürlich kommt er dabei seinen ehemaligen Kollegen von der Basler Polizei immer wieder in die Quere und wirbelt da und dort Staub auf, gibt aber auch Tipps und Vermutungen weiter. Um der Polizei nicht allzu oft zu begegnen, pendelt er zwischen Basel und seinem Bauernhaus im Elsass hin und her. Der Autor beschreibt diese Fahr- ten oder die spannende Nachtwanderung sehr anschaulich, romantisch und wortreich. Der Autor geht mit uns durch die Schauplätze, schildert die Sze- nerie und charakterisiert die Personen plastisch und eindrücklich. Die Auflösung des Falles ist kein Paukenschlag, sondern ein leises Her- antasten an die verdächtige Person, ein Gespräch, Verständnis und Rat.

Hansjörg Schneider: Hunkeler in der Wildnis. Diogenes Verlag, Zürich 2020 ISBN 978-3-257-07097-2

Verschuldete Studenten In den USA können junge Leute ein staatliches Darlehen beziehen, das ihre Ausbildung finanziert. Das muss nach Ende des Studiums zurückge- zahlt werden. Die Juristenschule «Foggy Bottom» hat es auf diese lukrativen Ausbildungsbeiträge abgesehen, nimmt es aber mit der Qualität des Unter-

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 richts nicht so genau. Das Quartett Zola, Todd, Mark und Gordy ist im letz- ten Semester ihres Jura-Studiums, haben bereits massiv Schulden angehäuft und müssen feststellen, dass ihre lückenhafte Ausbildung und die Reputa- tion der privaten Uni kein Garant für eine der gut dotierten Stellen sind, mit denen die Schule in ihren Prospekten wirbt. Gordy, mit einer Persönlichkeitsstörung belastet, entdeckt Verbindungen zwischen einer Bank, der «Foggy Bottom», einem Financier und der staatli- chen Behörde zum Zweck, an die staatlichen Zuschüsse heranzukommen. Kurz bevor sich Gordy in die eisigen Fluten des Potomac River stürzt, klärt er seine drei Freunde über diese Konstellation auf. Sein Tod öffnet den dreien die Augen. Sie fragen sich, was sie noch an dieser Uni sollen und entschlie- ssen sich, das letzte Semester sausen zu lassen. Sie wollen Geld verdienen und geben sich als Anwälte aus. Sie suchen sich Verkehrsopfer aus, kassieren pro Fall 1000 Dollar und verteidigen die Leute vor den Richtern, meist erfolgreich. Niemand verlangt nach Anwaltspaten- ten, was sie ermutigt, auch lukrativere Fälle zu akquirieren. Aber da wird es brenzlig, sie fliegen auf und müssen sich wieder etwas Neuem zuwenden. Sie haben Glück, dass gerade eine Sammelklage gegen die oben erwähnte Bank gestartet wird, der sie sich mit erfundenen Mandanten anschliessen. Zolas Eltern und Bruder wurden verhaftet und in Ausschaffungshaft gesteckt. Illegale Einreise. Zola ist in den USA geboren, deshalb wird sie nicht behelligt. Sie kümmert sich juristisch und vermeintlich auch finanziell um das Wohlergehen ihrer Familie, wobei das Geld auf wundersame Weise in diversen Händen verschwindet. So fliegt sie nach Dakar und will vor Ort zum Rechten schauen. In Miami fallen die falschen Mandanten der Finanzaufsicht auf, natürlich genau in dem Moment, wo die Auszahlungen beginnen. Wie bei John Gris- ham üblich, können Todd und Mark gerade noch ihre zugewiesenen Zah- lungen auf die vorher zweckdienlich eingerichteten Konti auf den Bahamas überweisen, bevor die Behörden zuschlagen – und ins Leere greifen. Todd und Mark haben sich in die Karibik abgesetzt. Zola erhält ihren Anteil nach Dakar überwiesen und kann mit ihrer Familie ein gutes Leben finanzieren. Und wenn sie alles richtig angelegt haben, so leben sie noch heute gut von den Erträgen.

John Grisham: Forderung. Heyne Verlag, München 2019 ISBN 978-3-453-43970-2

Ende Artikel AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 Shooter’s Corner Makrofotografie: Die Faszination des Kleinen Während viele Piloten in diesen Tagen gezwungenermassen am Bo- den bleiben müssen, entfaltet die Natur ihre volle Pracht. Es lohnt sich deshalb, frische Energie in der Natur zu tanken und einmal etwas näher hinzuschauen. Die Welt des Kleinen bietet eine unge- ahnte Vielfalt an Motiven. Diese zu fotografieren ist zwar herausfor- dernd, aber sehr spannend.

Text: Dominique Wirz

Aus der Nähe betrachtet sehen Dinge nämlich oft anders aus. Vermeintlich Bekanntes erscheint in völlig anderem Licht. Makrofotografen rücken ihren Motiven besonders dicht auf den Leib. Sie zeigen Formen, Farben und Struk- turen, die dem oberflächlichen Betrachter verborgen bleiben. Makrofotogra- fie bedeutet daher auch, ständig Neues zu entdecken. Gerade das macht den Reiz dieses fotografischen Spezialbereichs aus. Die intensive Beschäftigung mit einem kleinen Motiv bündelt aber auch die Gedanken und lässt einen die Zeit und all die Sorgen um Corona vergessen. Die neuen Ansichten unserer Welt tun gut. So hat die Makrofotografie auf mich auch einen erholsamen oder gar meditativen Effekt. Die Entdeckungsreise in die Welt des Kleinen kann direkt vor der Haustüre, im Garten oder im Wald beginnen.

Technische Hilfsmittel Nah rangehen können wir grundsätzlich mit jeder Kamera, sei dies eine einfa- che Kompaktkamera, ein Smartphone oder eine Systemkamera (Spiegelreflex oder spiegellose). Systemkameras bieten aber wegen der Einstellmöglichkei- ten und der Wechselobjektive viel mehr Möglichkeiten für den ambitionierten Fotografen. Objektive haben aber bei der Schärfeeinstellung eine Naheinstell- grenze, über die hinaus wir nicht näher ans Motiv herangehen können. Mit folgenden Hilfsmitteln können wir diese Einschränkung überwinden: n Zwischenringe werden zwischen Objektiv und Kamera montiert. Sie ver- ringern die Naheinstellgrenze eines Objektivs. Da man so näher ans Motiv kommt, vergrössert sich auch der Abbildungsmassstab. Wegen ihres gerin- gen Gewichts sind sie ideal für unterwegs. n Konverter sind Zwischenringe mit optischen Elementen. Sie verlängern die Brennweite und damit den Abbildungsmassstab, eignen sich aber nur für Teleobjektive.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 n Vorsatz- oder Nahlinsen, die wie ein Filter aufgeschraubt werden, eignen sich nur als Behelf, da sie qualitativ oft nicht überzeugen können. n Makroobjektive decken den ganzen Massstabsbereich zwischen unendlich und dem Massstab 1:1 ab, was Aufnahmen in natürlicher Grösse ermög- licht. Sie erzeugen die schärfsten Bilder von allen genannten Varianten und sind handlich. Wer wirklich gerne Makro fotografiert, kommt daran nicht vorbei.

Herausforderungen Unabhängig davon, ob wir mit einem Makroobjektiv, mit hochwertigen Nah- linsen, Zwischenringen oder einem Balgengerät arbeiten – einige allgemeine Probleme der Fotografie werden grösser, je kleiner die Objekte werden. Je grösser der Abbildungsmassstab, umso … n … kleiner wird die Schärfentiefe. n … empfindlicher wird die Bildschärfe durch Bewegungen der Kamera oder des Objektes gestört. n … mehr Licht geht verloren durch den langen Auszug der Optik.

Für scharfe Bilder braucht es also entsprechend schnelle Verschlusszeiten, ein Stativ oder einen Anti-Schüttel-Mechanismus an der Kamera beziehungs- weise dem Objektiv.

Wichtigste Tipps Mit folgenden Tipps gelingt Ihnen der Einstieg in die Makrofotografie: n Weiches Licht bei bewölktem Himmel eignet sich oft besser, um die Fein- heiten des Kleinen zu zeigen. Wenn also die Sonne mal nicht scheint und manch eine Landschaft trostlos aussieht, so lohnt sich die Motivsuche im Kleinen erst recht. n Überlegen Sie sich vor der Aufnahme genau, welche Bildpartien in jedem Fall scharf abgebildet werden sollen. Wenn möglich sollte dann die Kamera so ausgerichtet werden, dass die gewünschte Schärfeebene parallel zur Sensorebene verläuft. n Ein Stativ wirkt im Nahbereich Wunder! Das Festlegen der Schärfe ist buch- stäblich Millimeterarbeit, die zusätzlich durch das erwähnte Verwack- lungsproblem im Nahbereich erschwert wird. Ein Stativ empfiehlt sich nicht nur bei unbewegten Objekten wie Pflanzen oder Steinen, sondern auch bei Kleintieren und Insekten. Nur so kann die Schärfe präzise festge- legt und das Bild in Ruhe komponiert werden.

AEROPERS  Rundschau 2 | 2020 n Achten Sie auf den Hintergrund. Dieser soll bezüglich Helligkeit und Farbe möglichst mit dem Motiv kontrastieren. Einen unruhigen Hin- tergrund können Sie mittels einer offenen Blende als unscharfe Fläche erscheinen lassen. Je weiter der Hintergrund entfernt ist, desto besser wird dies gelingen. Andererseits können Sie durch Abblenden die Struk- tur des Hintergrunds deutlich werden lassen und so im Bild zusätzliche Informationen über das Umfeld liefern. n Versuchen Sie mit natürlicher Beleuchtung zu fotografie- ren. So bleibt die Stimmung erhalten, und das Bildergebnis lässt sich viel besser abschätzen, als beim Einsatz von Blitzge- räten. Schatten können Sie bei Bedarf mittels eines Reflektors aufhellen. Mit diesem lenken Sie das Sonnenlicht um. Als Reflektor reicht schon ein weisser Karton. Alternativ können Sie mit einem lichtdurch- lässigen Material zwischen Sonne und Motiv dafür sorgen, dass gar nicht erst harte Schatten entstehen. Dafür eignet sich zum Beispiel Pergament- papier oder ein weisser Regenschirm. Ein solcher «Diffusor» lässt das Sonnenlicht «weicher» werden. n Bei grösseren Abbildungsmassstäben oder auch bei bewegten Motiven kann ein Blitz helfen. Der kamerainterne oder aufgesetzte Blitz eignet sich aber leider nicht dazu. Er würde einfach über das Motiv hinweg blitzen. Deswegen muss man den Blitz entfesselt einsetzen oder ein Makroblitz- gerät verwenden. Aber aufgepasst: Blitzlicht ist verhältnismässig hart und erzeugt entsprechend dunkle Schatten. Ausserdem fällt das Licht nach hin- ten rasch ab, was oft zu einem völlig schwarzen Hintergrund führt. Deswe- gen hat sich bei mir der Einsatz von mindestens zwei Blitzen bewährt: Ein Hauptblitz von oben, um das Sonnenlicht zu simulieren, und ein schwä- cherer Blitz von der Seite, um die Schatten aufzuhellen. Die Blitze können bei vielen Systemen drahtlos über die Master-Slave-Funktion der Kamera gesteuert und in ihrer Stärke dosiert werden.

Wer diese Tipps beherzigt oder sie zum Anlass nimmt, sich in dieser faszi- nierenden Thematik zu vertiefen, der wird mit etwas Geduld und Experimen- tierfreude bald tolle Fotos schiessen und sich an der Welt des Kleinen freuen.

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