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FUSSBALL Requiem für eine Diva Der Stil Borussia Mönchengladbachs war einst wie geschaffen für linke Melancholiker: schön spielen statt bloßen Erfolg anstreben. Doch in Zeiten des globalisierten Fußballs sind ökonomische Underdogs und rechtschaffene Biedermänner out. Von Norbert Seitz ULLSTEIN BILDERDIENST ULLSTEIN Mönchengladbacher Meisterfeier 1971 mit Kapitän Netzer und Trainer Weisweiler: Von Klischees genährter Mythos

Seitz, 48, verantwortlicher Redakteur der zu machen? Oder , in Anzug und Einst bestand der Mythos Mönchen- politischen Kulturzeitschrift „Frankfurter Krawatte, in den Aufsichtsrat zu locken? gladbach aus ästhetischem Erfolgsvorbe- Hefte“, schrieb das Buch „Doppelpässe, Die verbleibenden Spiele bis Saison- halt, nonkonformistischem Netzer-Kult und Fußball & Politik“, Eichborn Verlag 1997. schluß versprechen keinen Abstiegskampf mittelständischer Krämermoral. Zum gu- pur à la Bochum, sondern nur noch ein ten Ruf der Borussia gehörte, wirtschaftlich bends nach dem Match am Bökel- bitteres Trostrundenkicken à la Uerdingen. am gesündesten zu sein und die beliebte- berg galt „Lovers Lane“ als Pflicht. Nach über 30jähriger ruhmreicher Zuge- ste deutsche Elf zu stellen. AEin Besuch in Netzers heiligen Hal- hörigkeit zur obersten Liga droht mit der Es grenzt schon an kontemplative Arro- len. So auch 1977, als wir aus Frankfurt Deklassierung ein Sturz ins Uferlose – vom ganz, wenn wir Borussenliebhaber nur kamen. Sein Ferrari steht vor der Tür. Er ist spielerischen Nonplusultra in den siebzi- einen ansehnlich oder torreich heraus- da.Von weitem erkennen wir an der hohen ger Jahren zur Paternostermannschaft des gespielten Erfolg als solchen akzeptie- Stirn Libero Hans-Jürgen Wittkamp. „Gott, Jahres 2000? ren wollten. Charisma war gefragt, das hat der ’ne häßliche Freundin“, mokiert Außeralltägliche und nicht die sich mein Begleiter. „Irrtum, das ist doch Routine, der Transpirationsalltag. .“ Schallendes Gelächter. Die Reputation lebte von diesem Borussia wurde schon immer mit einer Salon-Image, zunächst den Au- Frau verwechselt. Die „launische Diva“, genschmaus der Zuschauer und die „Jugendliebe“, die „Pechmarie“, die nicht den bloßen Erfolg anzu- „Primadonna vom Niederrhein“, Titel zu- streben.Aber immerhin gab es da hauf. Doch heute wäre sie nur noch als noch ein Alibi namens Berti, wel- Name für das nächste Unwetter passend. ches regelmäßig daran erinnern „Das ist ein toter Verein, in den zu inve- sollte, daß Fußball auch mit Ar- stieren sich nicht lohnt“, lautet die vernich- beit, Schweiß und Blut zu tun hat. tende Einschätzung von Bernd Hoffmann, Der Erfolgsstil der Elf vom Nie- Geschäftsführer von Ufa Sports. Genügt es derrhein war wie geschaffen für

da, mit einen Ehemaligen FIRO die Gemütslage von linken Me- aus besseren Tagen zum Oberbefehlshaber Borussen-Profis: „Das ist ein toter Verein“ lancholikern im Lande: schön

234 der spiegel 10/1999 spielend zwar erfolgreich zu sein, aber auch effektvoll zu scheitern; häufig genug von bösen Mächten um den gerechten Lohn gebracht zu werden; unter dem sta- tistischen Strich zwar nur die Nummer zwei, aber im Herzen der Fans die Num- mer eins zu sein, mit einem stets intakten Feindbild vor Augen – dem FC Bayern. Beim Netzer-Biographen Helmut Bötti- ger ist die Bewunderung längst in triefen- den Devianzkitsch umgeschlagen: „Diese langen Haare wollten mehr.“ Doch Hand aufs Herz: Sind die Fußball-68er mit ihren Netzer-Elogen nicht genauso nervig ge- worden wie die Generation der Frontsol- daten mit ihren Fritz-Walter-Hymnen? Auch der Gladbach-Mythos nährte sich von Klischees, etwa dem von der Torfabrik. Der Gegensatz – „Gladbach griff einfach an“ vs. „Bayern gewann aus Berechnung“ – will einem heute so krude erscheinen wie die konservative Wahlparole anno 1976 „Freiheit statt Sozialismus“.Tatsächlich pro- duzierten die Münchner durch Müllers gol- dene Mitte meist mehr Tore als die Borus- sen über ihre rasanten dänischen Flügel. Auch war „Querdenker“ Netzer in Wahr- heit kein Ekstatiker, sondern ein cooler Pragmatiker, der schon frühzeitig seinem Coach zu verstehen gab: „Wir können nicht 90 Minuten angreifen, da gehen wir vor die Hunde.“ Vergessen sei nicht: Die beste Borussia aller Zeiten spielte ohne Netzer – 1975 im letzten Weisweiler-Jahr – mit der in der bis dato kaum übertroffenen Sturmformation Simonsen/ Jensen/Heynckes. Der einstige Weltstar be- zeichnet sich heute selbstkritisch als „Pro- vinzkönig“, der im Grunde über die Gren- zen seines Gladbacher Modells nicht hin- auswollte. Ihren Sympathiebonus verdankten die Borussen auch ihrem unglücklichen Schei- tern im Europacup der Landesmeister – bei dem verlorenen Elfmeterschießen in Ever- ton (1970), der Büchsenwurf-Tragödie ge- gen Inter Mailand (1971) oder dem ver- schaukelten Duell gegen Real Madrid (1976), als ihnen zwei reguläre Tore nicht gewährt wurden. „Wie konntest du zulas- sen, daß ,Glück‘ nur selten uns hold war, sich unerträglich oft anderen zuwandte und somit unser ,Pech‘ draus wurde?“ jammert der inzwischen verstorbene Manager Hel- mut Grashoff in seinen Erinnerungen. Gegen diese Pose des Selbstmitleids sprach vor allem der Imagewandel unter dem Weisweiler-Nachfolger . Mit jenen Angsthasen, die 1977 im römi- schen Landesmeisterfinale zum wieder- holten Male am FC Liverpool gescheitert waren, mochte man kein Mitleid mehr ha- ben. Sie hätten die Welt des großen Fuß- balls erobern, endlich den europäischen Thron der Bayern erstürmen können. Doch Borussia sei oft zuviel „Diva“ und zuwe- nig „Circe“ gewesen, schreibt Grashoff. Eine ganze Epoche lang nährte sich Gladbachs Popularität am Image des öko-

der spiegel 10/1999 Sport nomischen Underdogs. „Mit dem Einkom- vielgerühmte Talentschuppen noch Roh- Cup-Teilnehmer, Pokalsieger (1995). Neue men auskommen“, lautete die rechtschaf- diamanten wie Lothar Matthäus, Uwe Blütenträume gediehen, Grashoff-Nach- fene Überlebensdevise des Managers Gras- Rahn oder Stefan Effenberg abwarf. Dazu folger Rolf Rüssmann entwickelte endlich hoff, der seine Philosophie von der „Foh- übernahm der langmähnige Friedensbe- wieder eine Vision, „dritte Kraft im Lande“ lenreife“ pflegte, jener Nachwuchsroman- wegte den nonkonformisti- zu werden – nach Dortmund und Bayern. tik von Talentspähern, die formidable Be- schen Part, freilich ohne Netzers Glamour. Gladbach, gestern noch ein nostalgisches gabungen zum Niederrhein lotsten. Aber Als ging, war Gladbach Auslaufmodell des rheinischen Kapita- jedesmal wurde er von Verkaufspanik ge- keine prominente Traineradresse mehr.As- lismus, schickte sich mit ehrgeizigen Sta- packt, wenn sich wieder mal einer seiner sistenztrainer folgte auf Assistenztrainer, dion-Neubauplänen an, im globalisierten Kometen in die Rubrik „Internationale ein Biedermann nach dem anderen. Erst- Kickergewerbe mitzumischen. Anders als Klasse“ der „Kicker“-Rangliste gespielt mals wurde über Borussia gefeixt. Die sein risikoscheuer Vorgänger wollte Rüss- hatte. Grashoffs Geld stank nicht. Klein, Mannschaft dümpelte zwischen Platz 6 und mann keine Stars mehr ohne Gegenwehr ziehen lassen, prozessierte sogar wegen des Wechsels von Heiko Herrlich zum Mei- ster Dortmund – und ging beim Poker um Effenbergs Vertragsverlängerung aufs Ganze. Er war es leid, pausenlos an die goldene Zeit erinnert werden, „nur einen wunderschönen Namen zu verwalten, auf dem dick nostalgischer Staub liegt“. Im September 1996 keimte für ein paar Stunden alte Borussenherrlichkeit wieder auf. Bei Arsenal London bot das siegreiche Team unter dem grandiosen Effenberg eine Gala im Uefa-Pokal. Wenige Tage danach wurde Meister Dortmund mit 5:1 am Bökel- berg abgefertigt. Doch die Sternstunden blieben Eintagsfliegen, vom Millionenpo- ker des Superstars Effenberg überschattet. Die kleine Borussia ging an ihrem Über- mut, wieder vorne mitmischen zu wollen, zugrunde. Als Effenbergs neue Spitzenga- ge – 5,5 Millionen jährlich – bekannt wur- de, gerieten Verein und Mannschaft ins

SVEN SIMON SVEN Wanken. Borussia wurde nicht die erhoff- Borussen-Verteidiger Vogts, Bonhof (1976 gegen Bayern München): Ein Alibi namens Berti te Nummer drei, sondern Abstiegskandi- datin bis zum heutigen Tage. aber fein sollte Borussia bleiben – trotz al- Das fragile Kunstgebilde aus Mönchen- ler Meistertitel und Uefa-Pokale. gladbach galt in den siebziger Jahren als Der Mittelstandsmythos, mit kleiner fußballerisches Pendant zur Jugend- und Münze dauerhaft großen Fußball zelebrie- Poprevolte und der versprochenen Refor- ren zu wollen, gleichsam ein Gegenmodell men. In den Achtzigern war Gladbach nur zum großen Geld der Bayern zu schaffen, noch eine Nostalgiekiste aus den legen- war schon zu Gladbacher Glanzzeiten ein dären Kanzlertagen Willy Brandts. frommer Selbstbetrug. „Meister im Mini“ Seit Borussia in der Bundesliga-Vorrun- wurde die Elf wegen ihrer schwer zugäng- de zur Schießbude verkam, sind auch die lichen, unrentablen 34000-Zuschauer-Are- Anfeuerungsrufe der altlinken Freunde na verspottet. „Wir siegen uns arm“, la- verstummt. Die neulinken Erfolgsmen-

mentierte man in den Meisterjahren. A. RENTZ / BONGARTS schen wie Schröder, Fischer oder Lafon- Der Verein konnte mit seiner grundsoli- Clubchef Wilfried Jacobs, Berater Vogts taine sind längst keine verspielten Fans den Finanzbuchhaltermentalität ein grau- Paternostermannschaft des Jahres 2000? mehr von Liga-Underdogs, die alle Jubel- samer Spielverderber sein. Denn selten gab jahre mal den Bayern ein Bein stellen. es Borussentitel ohne Wermutstropfen in 15 herum. Jene Phase des grauen Mittel- Die linke Loser-Kultur ist out of the game. der Trophäe. Der denkwürdige Pokalfight maßes wird von Bewunderern der alten Zum Daumendrücken darf es schon ein gegen den 1. FC Köln (1973) wurde von Borussen auch gern als die Hans-Jörg- Spitzenverein wie Dortmund sein, der in- Netzers Weggang zu Real Madrid über- Criens-Phase abgetan, benannt nach einem ternational konkurrenzfähig ist, mit Millio- schattet, der strahlende Doppelerfolg in überschätzten Stürmer. Und als das Team nen jongliert und sein Großmachtstreben Meisterschaft und Uefa-Cup (1975) stand nach langjähriger Abstinenz mal wieder in mit Revierfolklore auszustaffieren versteht. im Zeichen von Weisweilers sensationel- einem DFB-Pokalendspiel (1992) stand und Zu viele Vorstandsfehden, Manager- ler Kündigung. Und nach dem letzten eu- gegen den Zweitligisten un- flops, Trainerpleiten und sportliche Nega- ropäischen Gewinn, dem Uefa-Cup-Sieg terlag, kannte das Hohngelächter bundes- tivserien haben die einst so große Anhän- über Roter Stern Belgrad (1979), verließ weit keine Grenzen. Gladbach als Lach- gerschar des Clubs vom Niederrhein fru- mit Allan Simonsen der letzte Hochkaräter nummer – ein neues bitteres Gefühl. striert. Zuwenig Aussicht besteht auf rasch den Bökelberg und wechselte nach Barce- Doch der Verein sollte noch eine Chan- wirksame Selbstheilungskräfte. lona – kein Titel ohne Aderlaß. ce bekommen, die verspielt zu haben bis Borussia war einst wunderbar. So wird’s Logisch, daß die Borussen in den Acht- heute vielen ein Rätsel geblieben ist. Un- nie wieder sein. Früher durfte Gladbach zigern fast nie mehr zu den Titelaspiranten ter der Ägide des an den Bökelberg zu- ruhig einmal verlieren. Es schadete dem zählten; es reichte immerhin noch einige rückgekehrten Stefan Effenberg war die Nimbus nicht. Heute müßte Gladbach erst Jahre zum oberen Tabellendrittel, weil der Mannschaft plötzlich wieder wer – Uefa- einmal wieder gewinnen. ™

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