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Sanierungsbeispiele: Hoken 4 Hoken 4 bauphase, Mitte des 19. Jh. Unser Anspruch »Das Haus mit den zwei Gesichtern« war immer der, das Haus wieder in seinen ur- sprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Durch Gerhardt Knauer erzählt: den Einsatz der alten Materialien wird eine »Es war Liebe auf den ersten Blick: Das Objekt Sanierung außerdem preiswerter. Eine histo - mach te einen jämmerlichen Eindruck, hatte aber rische Treppe muss nicht rausgerissen werden, etwas Außergewöhnliches – ein Haus mit ›zwei nur weil Stufen krumm sind.« Gesichtern‹.« Seit 2005 sind die Sanierungsarbeiten nun ab - geschlossen und Herr Knauer führt mittlerweile ein Geschäft für Inneneinrichtung im Erdge- schoss. Die weiteren Räume werden als Lager genutzt. Für interessierte Besucher nimmt er sich gern mal die Zeit und hat auch den ein oder an- deren Tipp für Sanierungsinteressierte parat:

»Wenn man Sanierung betreibt, fängt das Haus an, Geschichten zu erzählen. Man sollte niemals versuchen, aus einem

Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: alten Haus etwas Neues zu machen, Im Jahr 1996 erwarb die Familie Knauer das denn durch oberflächliche, schlechte besondere Gebäude mit der doppelten Ausrich- Sanierung kann mehr Schaden entste- Abb. links: tung – sowohl zum Hoken als auch zur Markt- hen, als in 500 Jahren zusammen.« Der Hausherr wirbt straße – und sanierte es mit großem Elan, Fleiß Kunden und Ausdauer. Selbst die Kinder – eine Tochter studiert Architektur – packten tatkräftig mit an. Alten Handwerkern wurde über die Schulter geschaut und dabei viel gelernt und auf das Haus übertragen. Außer den Fenstern und den Elektroarbeiten machten Knauers alles selbst.

»Es vergingen 7 Jahre und außer den Fenstern konnte von außen kein Baufortschritt erkannt werden. Bei einer zufälligen Begegnung mit un- serem Sanierungsträger vor dem Gebäude wur- de ich gefragt, wie lange man noch so einen hässlichen Anblick ertragen solle? Nach dem Be- treten des Gebäudes schlug die Stimmung aber sofort um: Unter 10 Schichten Farben und Tape- ten waren nicht nur intakte Wände zum Vor- schein gekommen, die einzelnen Räume hatten mittlerweile auch ihre alten Farbfassungen aus der Zeit des Jugendstils wieder erhalten. Kurze

Zeit später wurden dann die beiden Fassaden Radecke Rosi Foto: entsprechend der verschiedenen Bauepochen gefasst. Besonders die Fassade zum Hoken er- hielt eine große Aufmerksamkeit. Während Denkmalpfleger, Sanierungsträger und Bauamt der Stadt stolz waren, mussten sich viele Qued - linburger erst an den ›neuen alten‹ Anblick ge- wöhnen.«

Im Grunde wurde das Haus in vielen Bereichen lediglich auf seinen historischen Ursprung zu -

rückversetzt. Die »BauBeCon« beauftragte hier- Radecke Rosi Foto: für sogar eine Farbstudie für das Gebäude, die Abb. rechts oben: wertvolle Hinweise für die Farbgebung der Außergewöhnliches Außenfassade gab. Angebot im Geschäft

Abb. links unten: »Die farbliche Fassung der Fassade zum Hoken Die Treppe – Altes alt hin wurde an die Erbauungszeit, also den Ba- sein lassen rockbaustil, angepasst. Die Fassade zur Markt- Abb. rechts unten: straße erhielt ihre farbliche Fassung in Anleh- Der OB beim Fenster-

nung an die Farbbefunde aus der letzten Um- Radecke Rosi Foto: gespräch 57 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:21 Seite 6

Sanierungsbeispiele: Marktstraße 7 Marktstraße 7 tet. Ein Hausteil nach dem anderen wurde ange- »Das Quartier 7« gangen und nach und nach nicht nur instand gesetzt, sondern auch mit Nutzen gefüllt: Die Spinnstuben, im Rahmen einer Existenzförde - rung verwirklicht, waren dabei nur der Anfang. Um die Jahrtausendwende entstand das Kon - zept des »Quartier 7« als Sammelstätte für Kunst, Handwerk und Kultur. Heute befinden sich dort, neben der Filzmanufaktur, außerdem Werkstätten und Verkaufsflächen für Silber- schmuck, Modedesign und Keramik sowie eine Glasbläserei und die »Buchbar«. Dabei laden die Gewerke nicht nur zum Shoppen und Verweilen ein, sondern bieten dem Besucher mit diversen Workshop-Angeboten auch die Möglichkeit, das eigene Talent zu entdecken. Mit dem fortschrei - tenden Ausbau eines früheren Speichers ent- standen seit 2009 nach und nach weitere Räumlichkeiten für flexible Nutzungen, wie Tanz, Sport, Weiterbildung, Feiern sowie auch Theater- und Musikvorführungen. Bis etwa

Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: 2020/25 soll ein weiterer Seitenflügel ausgebaut Abb. links oben: Wie das Schicksal manchmal so spielt: Als Jan werden. Es bleibt also spannend zu beobachten, Marktstraße 7, Krüger und seine Familie sich 1996 auf die wie sich das »Quartier 7« weiterhin entwickeln Innenhof Suche nach geeigneten Räumlichkeiten für eine wird. Abb. unten: Filzmanufaktur machten, ging es lediglich um Atelier und Kunst- ein Mietverhältnis. Rund 400m² schwebten Es hat sich also ausgezahlt, dass Jan Krüger auf gewerbe ihnen vor, als sie zufällig in der Marktstraße 7 sein Bauchgefühl gehört hat: Mit viel Geduld auf den alten Bürgerhof aus dem 16. Jh. stießen. und Mühen ist es ihm und seinen Mitstreitern Teile des Grundstücks waren etwa bis zur Wende gelungen, dieses Mammutprojekt zu stemmen noch als Möbelverkauf genutzt worden, bevor und aus diesem sanierungsbedürftigen Objekt es lange Zeit leer stand. Für den Eigentümer kam einen lebendigen Hof zu gestalten. Obwohl sein nur ein Verkauf infrage und somit musste die Angebot Touristen wie auch Einheimische glei - Familie eine große Entscheidung treffen. Im chermaßen anspricht, so würde er sich doch Dezember 1996 war diese dann gefallen und wünschen, noch mehr Interessenten auf seinen Jan Krüger erwarb das Grundstück mit einer idyllischen Hof locken zu können. Auch der Gesamtfläche von 2.000m². Doch was macht Stadt käme dieser Umstand sehr zu man nun mit so viel Platz? Gute, ist das »Quartier 7« doch ein Ort, der die Attraktivität der Stadt zusätzlich unterstreicht. In den vergangenen 17 Jahren wurde die Hofan- lage Stück für Stück – wie bei einem Puzzle – saniert, ergänzt und liebevoll wiederhergerich - Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: 58 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:21 Seite 7

Sanierungsbeispiele: Neuendorf 21 Neuendorf 21 Die Familie Egging/Hensen hat den Schritt zum »Von der Ruine zum Traumhaus« eigensanierten Heim gewagt und genießt nun das Familienleben im 150m² großen Traumhaus. Am 11. Januar 1990 beschloss der »Runde Alle sind sich einig: Sie würden es jeder zeit Tisch« den Abrissstopp in der Quedlin- wieder tun. burgs. Mitglieder des Kuratoriums »Hilfswerk Quedlinburg« und andere Bürger kümmerten sich fortan um den Fortbestand der geretteten Gebäude. Trotz allem schien das Gebäude im Neuendorf 21, das seit 1987 ohne Dachziegel auskommen musste, dem endgültigen Verfall geweiht. Der desolate Dachstuhl musste de- montiert und auf der Decke des 2.OG ein Not- dach errichtet werden. Jahrelang fand sich für das vorerst gerettete Gebäude kein Eigentümer. Im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaß- nahme musste um 1995 schließlich doch noch das 2.OG rückgebaut und erneut ein wider- standsfähiges Notdach montiert werden. Statische Sicherungsmaßnahmen wurden not- wen dig, um das Gebäude zu stützen.

Weitere 10 Jahre sollten vergehen, bis mit Björn Egging und Annkatrin Hensen endlich passende Bauherren für das Grundstück gefun- den werden konnten. Bereits beim ersten Be- such verliebte sich das Paar in die Stadt und verlegte, u.a. auch aus beruflichen Gründen, umgehend ihren Wohnsitz nach Quedlinburg. Mit dem dritten Kind wurde es in der Mietswoh- nung jedoch schnell zu eng und so beschlossen Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: sie, ihrem »Nestbautrieb« nachzugeben und unter die Bausanierer zu gehen.

Mithilfe des »qbatur«-Planungsbüros wurden sie auch schnell fündig. Trotz eines »furchtbaren« Abb. links: ersten Eindrucks entschieden sich die Bauherren, Das Haus vor der das Haus vor einem Abriss zu bewahren und be- Sanierung gannen 2008 mit der Sanierung. Ihr Mut sollte Abb. rechts oben: belohnt werden: Von größeren Problemen, wie Nach der Sanierung Schwammbefall u.ä., blieb die Familie ver- schont. Auch das verloren geglaubte 2.OG Abb. rechts Mitte: Die Familie strahlt im konn te vollständig wiederhergestellt werden. neuen Zuhause Nachdem sie dann 2009 das Haus bezogen hat- ten, konnte die Sanierung schließlich 2010 für Abb. rechts unten:

Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Kinderspielplatz abge schlossen erklärt werden. Eines steht je- doch fest: Ohne Fördermittel wäre es nicht möglich gewesen. 59 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:21 Seite 8

Sanierungsbeispiele: Goldstraße 2 Goldstraße 2 »Mein Schlösschen«

Thomas Deutscher, ein Vertreter der Sanierer der ersten Stunde, berichtet: »Am 9. November 1989 hat alles angefangen: Wir waren im Neuendorf denkmalpflegerische Vorreiter bei der Rettung der bereits zum Abriss freigegebenen Gebäude. Als Steinmetz hatte ich schon frühzeitig größtes Interesse für Denkmale und alte Häuser entwickelt. Quedlinburg war für mich mit seiner ruinösen Bausubstanz ein Eldo- rado, sodass ich immer wieder neue Objekte entdeckte, die ich retten wollte.

Im Januar 1990 fand ich endlich unser Haus – mit Raumhöhen, die auch für einen Zweimeter- Mann ausreichend waren. Über den ›Runden Tisch‹ konnten wir das Grundstück erwerben. An der Fassade wurde ein Schild mit einer Kalligrafie platziert: ›wir bauen hier und werden hier wohnen‹

Der Zufall wollte es, dass ich beim Trampen von Radecke Rosi Foto: nach Quedlinburg Herrn Plate vom Sanierungsträger ›BauBeCon‹ stoppte. Während der kurzen Fahrt sprachen wir über die Förder- möglichkeiten unserer Maßnahme, in Verbin- dung mit der Erbringung einer exorbitant hohen Eigenleistung. Einige Tage später legten wir im Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

Hauses einzubringen. Das Fachwerk wurde wie - derhergestellt. Mein Vater errichtete die Elektro - anlage und half bei anderen Gewerken. Die Fenster erhielten einen ›grünen‹ Anstrich, der zu Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: den vielen Müllfahrzeugen hinter unserem Haus Abb. links: Sanierungsbüro die ersten Schritte zur Sanie - passte. Wo heute die Jugendherberge ist, war Fenster: Die Augen rung fest: die statisch konstruktive Instandset- 1990 nämlich noch der Betriebssitz der ›Stadt- des Hauses zung der Bauhülle mit Dach, Fenster und Haus- wirtschaft Quedlinburg‹.« Abb. rechts oben: tür sowie die Finanzierungsstrategie. Herr Prof. Thomas Deutscher, Dr. Kiesow, Vorsitzender der ›Deutschen Stiftung Doch nicht nur bei seiner Familie, die lange Zeit stolzer Besitzer Denkmalschutz‹, stellte Fördermittel zur Rettung auf einer Baustelle gewohnt hat – mit allen posi- Abb. rechts unten: unseres und weiterer gefährdeter Gebäude in tiven und negativen Aspekten – möchte sich Harmonische Quedlinburg bereit. Aus dem Programm ›Städte- Herr Deutscher bedanken, sondern auch bei der Hausfassade baulicher Denkmalschutz‹ wurden weitere För- Stadt, der Denkmalpflege und der »BauBeCon« dermittel bereitgestellt – für Bauherren wie für die stets kameradschaftliche Zusammenar- mich, mit kleinem Kreditrahmen, eine absolute beit. Damals wie heute unterstützt der gelernte Notwendigkeit. Steinmetz auch selbst tatkräftig Sanierer in Quedlinburg und ist stolz darauf, schon Vielen Die ganze Familie packte mit an, um unsere sehr den Schutz und den Umgang mit alter Bausub- hohe ›Muskelhypothek‹ in die Finanzierung des stanz nahegebracht zu haben. 60 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:21 Seite 9

Sanierungsbeispiele: Dovestraße 5 Dovestraße 5 »Die Rettung eines Sorgenkindes«

Das zweistöckige Fachwerkgebäude in der Dovestraße 5 stammt aus dem Jahre 1650 und stellt bedauerlicherweise eines der letzten Zeug- nisse des historischen Straßenzuges »Dove Straße«1 dar. Das Gebäude gehört, zusammen mit der Schmalen Straße und dem Ägidiikirch- hof, zu einem der Problemgebiete im Bereich Stadtsanierung. 1989 konnte die Nr. 5, gemein- sam mit einigen anderen Gebäuden, sprich -

wörtlich erst »in letzter Minute« vor dem Abb. oben: Flächenabriss in der nördlichen Altstadt gerettet Dovestraße 5: Alt und werden. Neu harmonieren Abb. Mitte: Nach 20-jährigem Leerstand, der seine deut- Hauszeile Dovestraße lichen Spuren an der Bausubstanz hinterlassen 5–8 gerettet hat, hat das Architektur-Büro »qbatur« das Abb. unten: Gebäude erworben und in einer ersten Siche - Lebenswerte Belich- tung rungsmaßnahme vor dem weiteren Verfall be- wahrt. In einem 2. Bauabschnitt wurde das Haus 1 Das Wort »Dove« schließlich von Renée und Claudia Röding stammt aus dem Mit- telniederdeutschen, übernommen und ab 2008 zur Wohnnutzung »dðf = taub, stumpf- ausgebaut. Für beide Bauabschnitte konnten sinnig«; aber auch Fördermittel aus dem Programm »Städte- nur: »stumpf«. Es verweist also auf baulicher Denkmalschutz« gewährt werden. den Charakter der Straße als Sackgasse. Gestalterisch weist das frühbarocke Haus noch Elemente aus der späten Renaissance auf: Eine Besonderheit stellt hier u.a. der niedrige Haus - eingang mit »Eselsrücken«, also einem profi - lierten Türsturz, dar. Ganz allgemein konnte, trotz starkem Verfall, ein großer Anteil der origi- nalen Bausubstanz erhalten und sorgsam restau- riert werden. Im Erdgeschoss konnte außerdem eine große wiederhergestellt werden. Eine hofseitige Verglasung, die Einfügung einer Ga- lerieebene mit Lärche-Brettstapeldecke sowie eine detailliert gestaltete Stahl-Spindeltreppe sind zusätzlich interessante, architektonische Ergänzungen zum historischen Bestand. genen Umfeld von Neubau, Verfall und Bau- Für die Heizungsanlage wurde eine Erdwärme - lücken ein wirklich einmaliges Haus für die pumpe in Verbindung mit einer Fußboden- und Zukunft bewahrt werden. Das steigert letztlich Wandheizung vorgesehen. nicht nur die Attraktivität der Umgebung, son- dern vor allem die Hoffnung darauf, auch für Mit Beendigung der Sanierung dieses Einzel - weitere »Sorgenkinder« dieses Gebietes sanie - denk mals im Jahr 2012 konnte in einem hetero- rungswillige Bauherren zu finden. 61 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 10

Sanierungsbeispiele: Schmale Straße 50 Schmale Straße 50 konnte sich vorstellen, dass hier einmal ein »Aus dem Haus kann man was Schönes gemütliches Eigenheim entstehen könnte. Doch machen.« die Herrmanns blieben bei ihrem Bauchgefühl: »Aus dem Haus kann man was Schönes Bereits seit 2000 bewohnten Rüdiger und Con- machen.« nie Herrmann eine schöne, kleine Quedlin- burger Wohnung unterhalb des Schlosses. Doch Schnell wurde klar, dass das Grundstück mit 2 als sich bereits der zweite Nachwuchs Gebäuden für die Herrmanns zu groß sein ankündigte, wuchs, wie bei vielen jungen Fami- würde, doch es gelang ihnen bald, Freunde für lien, der Wunsch nach einem Eigenheim. Lange ihr Projekt zu begeistern und so teilten sie das wurde überlegt und abgewogen: Platz sollte Objekt untereinander auf. Während sich die her, etwas »Eigenes«, doch ein Neubau »auf der Freunde der Nr.49 annahmen, kümmerten sich grünen Wiese« erschien nicht attraktiv genug. die Herrmanns um die Nr.50. Hand in Hand und Auch auf die zentrale Innenstadtlage, auf die mit viel Herzblut ging schließlich alles recht flott fußläufige Erreichbarkeit aller täglichen Anlauf- von der Hand. Die Liebe zum Objekt wurde für stellen, wollten die Herrmanns nicht mehr die Bauherren schlichtweg zum Selbstläufer. Sie verzichten. geben zu: Ab einem gewissen Punkt seien ihre Entscheidungen und Urteile »nicht mehr in je- Die Idee einer Fachwerksanierung wurde daher dem Punkt rational« gewesen. Doch das Ergeb- immer verlockender. Die Wahl, die die Familie nis entschädigt für alles: Bereits 2007 konnte die dann im Jahre 2005 traf, konnte allerdings nicht Familie ihr Heim beziehen. 2009 war dann auch jeder in ihrem Umfeld nachvollziehen: die Gartengestaltung abgeschlossen.

Natürlich können die Herrmanns heute nachvoll - ziehen, warum keiner ihrer Lieben Verständnis für ihr Projekt aufbringen konnte und doch sind es gerade diese scheinbar verlorenen Ruinen, die einer ganz besonderen Aufmerksamkeit und einer Extraportion Mut bedürfen. Die Herr- manns haben nicht aufgeben: Nun besitzen sie nicht nur etwas »Eigenes«, sondern konnten auch ein Stück Historie retten, das sie vermutlich noch um mindestens weitere 400 Jahre über- dauern wird. Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

Abb. links: Ein alter Kaufmannshof aus dem Jahre 1660, im Schmale Straße 49 Kern sogar wesentlich älter, sollte es sein: Mit und 50 seinem »Insel-Charakter« in der Schmalen Abb. rechts oben: Straße – hin zum Dippeplatz – schien die Lage Familienfoto im optimal, doch der Bau an sich konnte nur mit Wohnzimmer dem Begriff »Ruine« umschrieben werden. Nach Abb. rechts unten: über 10-jährigem Leerstand hatten nicht nur Galerie Wind und Wetter, sondern auch sinnloser Van- dalismus ihre Spuren hinterlassen. Auch die genaueren Kalkulationen, Beratungen mit Ar- chitekten, der Stadt und dem Sanierungsträger »BauBeCon« sowie Begehungen und Analysen Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: brachten nur noch mehr Probleme zum Vor- schein. Keiner der Verwandten und Bekannten 62 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 11

Sanierungsbeispiele: Breite Straße 11/12 Breite Straße 11/12 beseitigt werden und die Essiggasse ihren »Geschichte mal andersherum« zwischen zeitlich verlorenen Gassencharakter zurückgewinnen konnte, das Bauwerk bildet Abb. oben: Das Fachwerkhaus Breite Straße 12 befindet sich außerdem eine einmalige bauhistorische Gegen - Straßenzug Breite Straße im nördlichen Teil der Quedlinburger Altstadt überstellung: Hier wurde ein Zeitzeugnis ge - und bildete ursprünglich eine Einheit mit den schaffen, das späteren Generationen einen Abb. unten: Hausnummern 11 und 13. Durch dendrochro- Eindruck davon vermitteln könnte, wie sich das Auf kleinstem Raum: Licht, Luft, Sonne, nologische und gefügekundliche Untersu- Bauen im 21. Jh. weiterentwickelt hat. Grün chungen durch das Bauforschungsbüro »Högg« im Jahr 2005 konnte für die Breite Straße 12 und 13 ein hochmittelalterlicher Kernbau aus der Zeit um 1330 nachgewiesen werden. Dieser umfasste auch das in den 1960er Jahren abge- brochene und schließlich durch einen Notabriss entfernte Gebäude Nr.11. Während die Nr.13 bereits 2005/06 von einer Lehrerin übernommen und liebevoll saniert worden war, musste die Nr.12 noch eine ganze Weile ausharren. Eine erste Rohbausicherung erfolgte 2007/08 durch das Architekturbüro »qbatur«. Dabei wurde straßenseitig auch eine barocke Fassadenfas- sung freigelegt und durch die Restauratorin Maria Zedler aus Naumburg rekonstruiert. Ende 2009 erwarb dann das Ehepaar Buschmeier, aus der Nähe von Bielefeld, die Nr.12 und entschied sich bald auch dazu, die klaffende Lücke der Nr.11 schließen zu wollen. In einer 2. Bauphase 2011/12 wurde das Haus dann umfassend saniert und noch dazu um einen sehr mutigen Neubau ergänzt.

Anja und Norbert Buschmeier erzählen: »Aufgrund des schrecklichen Unglücks am Con- cordiasee im Juli 2009 kam der Erwerb eines Grundstücks am See nicht zustande. Wir muss - ten also umdenken. In Quedlinburg wurden wir beim Anblick des Grundstücks Breite Straße 11/12 aber schnell fündig – es war Liebe auf den ersten Blick. Nach ersten eigenen Entwür- fen, mit Unterstützung eines befreundeten Ar- chitekten, ergab die Kontaktaufnahme mit einem ortsansässigen Planungsbüro eine völlig neue Sichtweise hinsichtlich der Symbiose Alt- und Neubau. Viele Varianten wurden erarbeitet, diskutiert, verworfen, geändert – bis das heutige Ergebnis feststand. Wir haben unseren Traum also realisiert. An dieser Stelle möchten wir allen Handwerkerfirmen danken, die zum Gelingen unseres Bauvorhabens ihr hohes fachliches Kön- nen einbrachten.«

Mit Vollendung der Gartengestaltung im Jahre 2013 konnten die Buschmeiers ihr umfangrei- ches Gesamtvorhaben zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Mit der Kombination eines originalgetreu wiederhergestellten Altbaus (Nr.12) und einem, mit Flachdach und großen Fensterfronten, eher fachwerkuntypischen Neubau (Nr.11) zu einem Gesamtbauwerk ist den Buschmeiers tatsächlich eine höchst inte - ressante Symbiose aus alt und neu gelungen. Nicht nur, dass der seit ca.50 Jahren bestehende städtebauliche Missstand der fehlenden Raum - kante an der Ecke Breite Straße und Essiggasse 63 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 12

Sanierungsbeispiele: Breite Straße 37 / Bockstraße 5 / Pölkenstraße 29–31 Breite Str. 37 / Bockstraße 5 / Wenn man dann einmal von dem ›Sanierungs- Pölkenstraße 29–31 (Neustädter bazillus‹ infiziert ist, kann man die Jagd nach Kirchhof) weiteren interessanten Grundstücken natürlich »Vom ›Sanierungsbazillus‹ befallen« nicht lassen: Parallel zu den übrigen laufenden Modernisierungsmaßnahmen habe ich 1998 Dieter Baberski berichtet: dann den Adelshof Bockstraße 5 erworben. Als »Ich, gebürtiger Merseburger, kam wegen der ich in dem Gebäude im Dachgeschoss stand Liebe nach Quedlinburg und seit über 55 Jahren und vis-à-vis zum Schlossberg blickte, war sofort ist das nun meine Heimat. Schon sehr früh habe klar: Hier oben wird unser Wohnsitz entstehen. ich mich um ruinöse Objekte in der Altstadt be- Doch der zweite Gedanke war: ›Was wird bloß müht. Den ersten Kaufmannshof, Breite Stra - die Denkmalbehörde dazu sagen?‹ ße 37, habe ich bereits 1992–1994 umfassend modernisiert. Wichtig war für mich dabei, Leben Beim Sanierungsträger wurde mir schließlich ein in die Altstadt zu bringen. In dem Gebäudekom- Foto um 1900 gezeigt: Ein gewaltiges Zwerch- plex entstanden daher 10 Wohnungen und 2 haus, welches dann in den 70er Jahren abgeris- Gewerbeeinheiten. In die ehemalige Scheune sen wurde, zierte diesen Wohnturm. Dieses soll- kam das ›Kartoffelhaus‹. Seit der Eröffnung ist te selbstverständlich wiederhergestellt werden. die Gaststätte ein Renner für Einheimische und Es sollten aber noch 12 Jahre vergehen, bis wir Gäste. das Objekt angehen konnten. Es wurde immer schwieriger mit den Banken eine Finanzierung Abb. links: Dieter Baberski aufzustellen, obwohl schon damals alle unsere Objekte vermietet waren. Tatsächliche Renditen Abb. rechts oben: einzufahren ist aber nach wie vor kaum mög- Breite Straße 37 lich: Ein allumfassendes Problem der Region, das Abb. rechts unten: Vielen bekannt sein dürfte. Damals mussten wir Kartoffelhaus sogar während der Bauphase für ca.1,5 Jahre ein Notquartier in Blankenburg beziehen, um diese Durststrecke zu überbrücken.

Viele Kompromisse mussten von beiden Seiten – Genehmigungsbehörden und Bauherr – einge- gangen werden. Trotz langer Planungsphase traten weitere, größere Überraschungen auf: Ur- sprünglich sollten ca. 75% der Bausubstanz er- halten bleiben und ca. 25% sollten erneuert werden. Letztlich war es dann aber umgekehrt. Um jeden Balken wurde mit dem Holzgutachter Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

Zwei Jahre später konnte ich dann die Pölken- straße 29 bis 31 erwerben. Das waren beson- dere Grundstücke: Die Gebäude sind zwischen zwei Straßen sehr dicht eingezwängt. Mit meinem Planer habe ich dort einen begehbaren Innenhof im 1.OG geschaffen, der Zugang zu den eingebetteten Wohnungen sowie eine Aufenthaltsfläche schafft, sodass die Bewohner miteinander kommunizieren können. Da ich darüber hinaus nicht nur ein Fan von Kartoffeln bin, sondern auch die griechische Küche liebe, war bereits die gastronomische Richtung für den Gewerbebereich vorgegeben: Quedlinburg brauchte einen guten Griechen. Um die Neu - stadt weiter zu beleben, entstanden dort noch zwei weitere Läden.

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Sanierungsbeispiele: Breite Straße 37 / Bockstraße 5 / Pölkenstraße 29–31 Herrn Schicke gekämpft. Das Zwerchhaus konn - te aber tatsächlich nach alten Dokumentationen und Zeichnungen wieder herausgebildet wer- den. Mit Stolz kann ich heute behaupten: Wir sind hier im wahrscheinlich höchsten Ge bäu de der Stadt. Herr Plate vom Sanierungs träger ›BauBeCon‹ sagt immer – in Anlehnung an das berühmte Krantor in Danzig: Dies hier sei das Krantor der Bockstraße.

Durch meinen Beruf und als Unternehmer einer Malerfirma habe ich mir große Erfahrungen mit alter Bausubstanz aneignen können. Es lohnt sich, wenn man das Endergebnis sieht und jahrhundertealter Handwerkerarbeit wieder zu neuem Leben verhelfen und funktionell an die heutigen Bedürfnisse anpassen kann. Men- schen, die an einer Sanierung interessiert sind, empfehle ich, ihre Bausubstanz grundsätzlich von Fachleuten prüfen zu lassen. Auch eine Zusammenarbeit mit der Stadt, der Denkmal - pflege und der ›BauBeCon‹ kann ich nur jedem ans Herz legen. Vor allem Herrn Plate, ohne den die Stadt wohl nicht das wäre, was sie heute ist, möchte ich meinen Dank aussprechen. Das wichtigste aber, was künftige Sanierer beachten sollten, ist: Wenn es schwierig wird, nicht zu schnell aufzugeben. Es lohnt sich!«

Nicht nur im Rahmen seines Meisterbetriebs für Maler- und Bodenbelagsarbeiten, sondern auch als langjähriges Mitglied des Quedlinburger Stadt - rates hat sich Herr Baberski um die Belange der Stadt verdient gemacht. Gemeinsam mit seinem Sohn, Ralf Baberski, heckt er bereits neue Pläne aus: Neben einem, bereits in den 90ern erwor- benen, Grundstück auf dem Neustädter Kirch- hof, haben die beiden mittlerweile auch die Bockstraße 4 zu Sanierungs zwecken in ihren Be- sitz bringen können. Der »Sanierungsbazillus« scheint demnach nicht nur hartnäckig, sondern Abb. links: Bockstraße 5 vor der auch besonders ansteckend zu sein. Sanierung (Rückfront)

Abb. rechts oben: Pölkenstraße 29–31

Abb. rechts Mitte: Neustädter Kirchhof 22

Abb. rechts unten: Bockstraße 5 nach der Sanierung

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Sanierungsbeispiele: Klink 8 Klink 8 Fördermitteln, gab den Ausschlag ein zweites »Die Wiederholungstäter« Objekt, nunmehr als Familienprojekt – unter Einbeziehung der flüggen Kinder – in Angriff zu Nachdem der Familiensitz Altetopfstraße 7 nehmen. längst fertiggestellt war und sich die Familie Marthe nun endlich von allen Strapazen hätte Die folgenden drei Jahre waren wiederum von erholen können, juckte es den Quedlinburg- Bauthemen bestimmt. Die intensive Vorplanung Liebhabern schon wieder in den Fingern. Man wie auch die Bauausführung standen unter der entschied sich für die Hälfte eines noch wesent - Maxime, keinen weiteren Substanzverlust his- lich älteren Doppelhauses – eine bereits begon - torischer Bauteile zuzulassen. Vor Überraschun- nene Sanierungsmaßnahme, die jedoch seit 10 gen bei der Sanierung alter Häuser – wie Jahren stillstand und dabei einige Schätze ver- Schwamm, durchfaulten Deckenbalken und sta- borgen hielt. tischen Problemen – ist man aber auch bei guter Vorbereitung nicht gefeit. Dr. Frank Marthe erzählt: »Die Erfahrungen aus der ersten Sanierung Unter Einbeziehung der gewachsenen Struktur waren überwiegend positiv und so entschlossen des Gebäudes sollte eine moderne Wohnung wir uns 2007, nach einer zehnjährigen Pause, mit gehobener, individueller Ausstattung entste- noch einmal denkmalgerecht einen Bautorso mit hen, die mit einer Fläche von ca. 150m² unter- neuem Leben zu erfüllen. Und was für ein Torso: schiedlichen Ansprüchen und Lebenssituationen Klink 8, gemeinsam mit dem gleichzeitig flexibel gerecht werden kann. Sie bietet Lebens - sanierten Klink 9, ist ein ehemals aufwändiger raum, auch für eine Familie mit bis zu drei Kin - Fachwerkbau von 1406 (d)1 – über Resten eines dern. Wir freuen uns über den Einzug eines frühgotischen Sandsteingebäudes mit spitzbo- liebenswerten Ehepaares im Ruhestand, das sich gigem Türgewände sowie Objekten, die sogar aktiv in das Altstadtleben einbringt. Seit Herbst bis in die Zeit der Ottonen zurückreichen. Doch 2009 ist das Projekt ›Revitalisierung des Bau- zunächst war es einfach dieser unwiderstehliche denkmals Klink 8‹ demnach überaus erfolg reich Charme, der nach teilweiser Auskernung und abgeschlossen. achtjährigem Ruinendasein kleine Birken aus den Fenstern wachsen ließ. Mit beiden Objekten ist uns der Erhalt von Häusern gelungen, die zum Zeitpunkt des Allerdings haben wir nicht spontan gehandelt. Sanierungsbeginns Arme-Leute-Häuser waren. Wir hatten uns intensiv mit den umfangreichen Sie stellen einen wichtigen Beitrag zur Sozialto- Bauforschungsunterlagen beschäftigt, aus pografie der mittelalterlichen Stadt dar und sind denen hervorging, was für ein außergewöhn- unverzichtbare Zeitzeugen.« liches Bauwerk dieses Gebäude ist. Dieses Wis- sen, in Verbindung mit den bereitstehenden

Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Tipps für künftige Sanierer: • Planen Sie im Vorfeld viel Zeit ein! • Vertrauen Sie sich einem guten Architekten an! • Haben Sie keine Angst vor Behörden! • Arbeiten Sie eng mit dem Denkmal- schutz, der Bank, etc. zusammen! • Schauen Sie sich schon im Vorfeld fertige Sanierungsobjekte, z.B. am Tag des offenen Denkmals, an und sprechen Sie mit den Besitzern über ihre gemachten Erfahrungen! Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

Abb. links oben: Frühgotischer Bogen

Abb. links unten: Galerie

Abb. Mitte: Klink 7, Fassade

Abb. rechts: Altes Kellergewölbe Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

1 offizielle Abkürzung für »dendrochronologisch« – Altersbestim- mung der Gebäude anhand der Jahresringe des verbauten Holzes. 66 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 15

Sanierungsbeispiele: Reichenstraße 1c Reichenstraße 1c »Es muss nicht immer mittelalterlich sein«

Spricht man in Quedlinburg über Gebäude- sanierung, handelt es sich in der Regel um Ob- jekte, die mehr als »nur ein Jahrhundert« auf dem Buckel haben. Das Beispiel der Reichen- straße 1c zeigt allerdings, wie viele Epochen sich tatsächlich in der Stadt ineinanderfügen – Quedlinburg hat durchaus auch Industrieschick zu bieten.

Im Jahre 1895 erbaut, beherbergte das Gebäu- de lange Zeit die erste Autowerkstatt Quedlin- burgs und ist somit zwar einer der jüngsten, trotzdem aber bedeutenden Zeitzeugen der Stadtgeschichte. Um die Jahrhundertwende zählte das Grundstück noch zum Steinweg 21, ehe es später dann eine eigene Hausnummer bekam und der Reichenstraße zugeordnet wur - de. Nach längerem Leerstand seit der Wende nahm sich im Jahre 2009 Familie Plieske dem Industriebau an und verwandelte ihn, innerhalb von nur einem Jahr Sanierungszeit, in ein an- sehn liches Wohnloft:

Die rund 70 m² große Werkhalle wurde, zur besseren Raumaufteilung im Erdgeschoss, durch eine Backsteinwand in der Raummitte aufge - gliedert. Die Patina der recycelten Ziegelsteine verleiht dem Raum außerdem eine ganz beson- dere, ursprüngliche Atmosphäre. Direkt davor wurde eine viereinhalb Meter lange Stahltreppe montiert, die in etwas filigranerer Art der origi- nalen Industrietreppe entspricht, die zuvor an dieser Stelle das Erd- mit dem Obergeschoss ver- band. Letzteres erfuhr ebenfalls eine funktiona - lere Neuaufteilung in vier etwa gleich große Wohnräume. Bis hin zum Fußbodenbelag – an- thrazitfarbenem Linoleum in Anlehnung an den früheren Betonboden – zieht das Raumkonzept immer wieder Querverweise hin zur ursprüng- lichen Gebäudehistorie. Doch auch rein prak - ti sche Belange wurden berücksichtigt: Durch den Einbau einer Brennwerttherme mit Fußbo- denheizung sowie einer solaren Brauchwasser- erwärmung, in Kombination mit einer guten Wärme- dämmung der Gebäudehülle sowie dreifach verglasten Fenstern auf der Hofseite, ist das Industriegebäude heute besonders energiesparend.

Das Wort »historisch« ist also nicht immer nur mit dem Mittelalter gleichzusetzen. Quedlinburg Abb. oben: hat in seiner Jahrhunderte überspannenden Vor Sanierung Exis tenz ein wesentlich umfangreicheres Spek- Gewerbe trum an »Historie« gewonnen, als es ein erster Abb. Mitte und unten: Eindruck vermitteln kann. Es gibt also noch Nach der Sanierung Vieles zu entdecken. loftartiges Wohnen

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Sanierungsbeispiele: Reichenstraße 4 und 5 Reichenstraße 4 und 5 »Außen hui, innen pfui« – Ein nachbar- schaftliches Gemeinschaftswerk

In Quedlinburgs Idylle ist Vieles nicht so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Durch die Stra - ßenfassade ermutigt, öffnet man freudig das Tor zu dem ein oder anderen Sanierungsobjekt und realisiert erst dann, mit jedem weiteren Schritt ins Haus hinein, wie umfangreich der ruinöse Zustand tatsächlich ist. Wenn sie es nicht mit eigenen Augen gesehen haben, glauben selbst die erfahrenen Quedlinburger nicht, wie schlimm es tatsächlich um einige Objekte im Welterbe steht.

Da hilft letztendlich nur: Aufräumen und die noch rettbare Gebäudesubstanz sichern! Doch dazu braucht es Menschen, die sich dieser Ob- jekte annehmen.

Abb. links: In einem bisher wenig sanierten Quartier in der Bauherr entdeckt Quedlinburger Neustadt haben 2008 sogar zwei weitere Schäden Objekte fast zeitgleich neue Eigentümer bekom- Abb. rechts oben men: und Mitte: Die Reichenstraße Nr.4 wurde von den lang- Straßenfront und jährigen Quedlinburg-Liebhabern Heike und Hinterhofbebauung vor und während Stephan Prengel aus Sachsen erworben. Die der Sanierung unmittelbar anschließende Nr.5 fiel dem Qued - linburger Sascha Beck »rein zufällig« durch Abb. rechts unten: Richtfest und Besucher eine Zwangsversteigerung zu: »Eigentlich wollte der Baustelle zum ich nur mal mitbieten ...!«. Tag des offenen Denkmals 2010 Alle Beteiligten gingen davon aus, mit den nöti- gen Instandsetzungsarbeiten erst in einigen Jahren beginnen zu können. Ein erstes Sondie- rungsgespräch mit der »BauBeCon« ergab dann aber den glücklichen Umstand, dass, durch zeit - liche Umschichtungen anderer Projekte, kurzfris - tig doch noch freie Fördermittel für Sicherungs- konnte nur im Team wiederhergestellt werden. arbeiten bereitstanden. Alle Pläne wurden also Die Reichenstraße 4 ist nun schon seit 2012 fer- über den Haufen geworfen und die notwen- tiggestellt und bewohnt. Das größere Gebäude, digen Arbeiten konnten bereits 2009 beginnen. die Reichenstraße 5, soll dann zum Jahr 2015 fertiggestellt sein und anschließend, ge nau wie Von Anfang an stand fest: Die beiden Objekte die 4, fremd vermietet werden. konnten nur zusammen umfangreich instand gesetzt werden. Beide Gebäude stammen aus Somit konnte hier erreicht werden, was auch für dem 17./18.Jh. – die Nr.5 enthält sogar noch den Rest der Stadt gelten soll: Nicht nur von Teile eines Kernbaus von 1358 – und teilen sich außen, sondern auch von innen können die eine gemeinsame Giebelwand sowie diverse Gebäude den Erwartungen standhalten. Mögen Dachanschlüsse. Auch die ruinöse Hofbebauung ihnen noch viele folgen. 68 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 17

Sanierungsbeispiele: Steinweg 24 Steinweg 24 fortschritte. Dieses Sanierungsbeispiel zeigt deut - »Jugendlicher Übermut?« lich, dass die Liebe zum Detail und zur Denkmal- substanz an sich eine wesentliche Vor aussetzung Der Steinweg ist eine der meist befahrenen Stra - für eine gelungene Modernisie rungs maßnahme ßen der Innenstadt Quedlinburgs und wird als darstellt. Wohn- und Arbeitsstandort leider nicht wie an- dere Quartiere der Stadt angenommen. Durch Seit Abschluss der Sanierungsarbeiten im Jahre seine überdurchschnittlich großen Grundstücke 2009 sind mittlerweile 4 der 5 entstandenen hat der Straßenzug allerdings ungeahnte Quali - Wohnungen langfristig vermietet. Die Fünfte täten, die sonst in einer mittelalterlichen Stadt wurde noch bis 2013 von den Eigentümern, die eher selten sind: Platz. mittlerweile auch Eltern geworden sind, selbst als Heim genutzt. In den ersten Jahren betrieb Schon sehr früh hatten die Bauherren Norbert Herr Buchmann in einem der Seitenflügel außer- Buchmann und Daniela Gerth diesen Wert für dem ein Ladengeschäft für Inneneinrichtung sich erkannt und erwarben 2003 das Objekt und Dekorationsideen »Ambiente 23«, welches Steinweg 24: einen 300 Jahre alten Ackerbür - gerhof, der um 1900 im Jugendstil überformt worden war. 700m² Wohnfläche umfasst dieser Hof und das Paar hatte schnell den kühnen Plan gefasst, auf dieser Fläche 5 Wohnungen und ein Ladenlokal entstehen zu lassen.

Viele zweifelten daran, dass diese jungen Leute – beide waren damals gerade mal Mitte 20 – ihr Vorhaben tatsächlich umsetzen könnten, doch bereits in den ersten Gesprächen mit der Stadt- sanierung kristallisierte sich heraus, dass hier nicht nur zwei junge, sondern auch sehr enga- gierte Menschen angetreten waren, um das Ob- jekt nachhaltig zu modernisieren. In einem intensiv geführten Informationsgespräch legte Herr Buchmann dar, dass er bereits praktische

Kenntnisse bei der Sanierung der elterlichen Radecke Rosi Foto: Hof anlage in Meisdorf erworben hatte und eine Abb. oben: überproportional hohe Eigenleistung erbringen Steinweg 24 vor der wolle. Schließlich packte tatsächlich auch die Sanierung gesamte Familie mit an und war, direkt und in- Abb. Mitte: direkt, intensiv am Baugeschehen beteiligt. Sanierte Fassade

Das war auch notwendig, denn die umfangrei- Abb. unten: Endlich Ruhe che Liegenschaft besteht aus einem lang ge - streckten Hof, einem großen Vordergebäude mit zwei Seitenflügeln und einem grundstücksab- schließenden, scheunenartigen Querbau, der früher zu einem Lager und heute zu einer Woh- nung umfunktioniert wurde. Während der gesamten Sanierung wurde, trotz Problemen Radecke Rosi Foto: wie einem Hausschwammbefall, versucht, so sich auf die stilgetreue Einrichtung von Fach - viel wie möglich der Altbausubstanz zu erhalten. werk häusern spezialisiert hatte. Damit sollte Dabei nutzten die Bauherren auch das Angebot getestet werden, ob sich ein Laden, außerhalb des »Depots Historischer Baustoffe« der Stadt des Geschäftsbereiches von Quedlinburg lohnen Quedlinburg und verarbeiteten, neben histo- könnte. Leider musste dieses Experiment nach rischen Fliesen und Balkenteilen, auch eine 2–3 Jahren wieder aufgegeben werden. Seit Ladung 160 Jahre alter Dachziegel, sogenannter einigen Jahren hat nun ein Architekturbüro Harzgeröder Spaltklinker. diese Räumlichkeiten angemietet.

Mit wie viel Herzblut, Willen und Energie sich Trotz allem: Nicht nur, dass Norbert Buchmann die beiden damals ans Werk machten, kann und Daniela Gerth mit diesem tollen Sanie rungs- auch in der 3-teiligen MDR-Reportage (2005) ergebnis alle Zweifler verstummen ließen, durch »Hilfe, wir renovieren – von der Ruine zum ihre Geschäftsräume sowie vor allem durch ihre Eigenheim« nachvollzogen werden. Sie zeigt Teilnahme am »Advent in den Hö fen«, konnte den steinigen Weg, die unvorhergesehenen Hin- auch der Bekanntheitsgrad der Neustadt für Tou - dernisse und Unwegsamkeiten, eines Denkmal- risten wesentlich erhöht werden. Doch dies sollte sanierers, aber auch die hoffnungsvollen Bau- noch nicht ihr letzter Streich gewesen sein. 69 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 18

Sanierungsbeispiele: Steinweg 25 Steinweg 25 Der Vorbesitzer zeigte sich interessiert, wollte »Der Übermut hat Methode« den Hof aber nur im Ganzen verkaufen. So ent- schlossen sich die Bauherren 2004 das Nachbar- Das Objekt Steinweg 25, bebaut mit einem ba - grundstück, zusätzlich zum bestehenden rocken Fachwerkbau, war zu DDR-Zeiten noch Sanierungsobjekt, zu erwerben. als »SERO«1-Annahmestelle genutzt worden, im Volksmund auch »Lumpen-Winter« genannt, Während der Sanierungsarbeiten der Nr.24 hat- bevor es langsam dem Verfall übergeben wor- ten bereits Viele an den Bauherren gezweifelt, den war. Während der Sanierungsmaßnahmen doch angesichts der Tatsache, dass es sich bei der Bauherren Norbert Buchmann und der Nr.25 um ein mehr als doppelt so umfang- Daniela Gerth am Steinweg 24 wurde schnell reiches Objekt handelte, blieb weitestgehend deutlich, dass der Zustand des Gebäudes nicht nur noch Kopfschütteln zurück. Doch auch Herr nur Schäden an der Bausubstanz des eigenen Buchmann und Frau Gerth waren sich ihrer Sanierungsobjekts verursachte, sondern auch, enormen Aufgabe bewusst: Die Idee dahinter dass Teile der benachbarten Hofanlage für eine war, Miet-Interessenten zu finden, die einzelne Mitnut zung durchaus nicht ungeeignet wären. Bereiche des Hofes selbstständig zum eigenen Wohnraum ausbauen würden. Herr Buchmann wollte diesen potenziellen Bauherren selbstver- ständlich zur Seite stehen und deren Kosten mit der späteren Miete verrechnen. Das große Grundstück eignete sich tatsächlich sehr gut für eine Aufteilung des Objektes in Eigentumswoh- nungen. Es ist groß genug, um zusätzlich ausrei- chend Pkw-Stellplätze errichten zu können sowie eigene Gartenflächen für jede Partei zu ermöglichen – ideale Voraussetzungen also.

Daraufhin wurden im Rahmen einer Diplomar- beit diverse Planungsvarianten erarbeitet. Meh - rere Jahre in Folge wurden die Ergebnisse immer wieder zum »Tag des offenen Denkmals« einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt und gehofft, Interessenten und Investoren zu finden. Trotz großer Resonanz der Besucher und intensiver Bemühungen der Eigentümer konnte das Vor- haben aber letztlich so nicht in die Praxis umge- setzt werden. Herr Buchmann und Frau Gerth entschlossen sich also doch dazu, mit Unterstüt - zung der »Deutschen Stiftung Denkmalschutz«, die Liegenschaft selbst zu moderni sieren.

Ebenso wie beim ersten Objekt gingen sie auch hier wieder sehr gewissenhaft vor und nutzten die bereits gewonnen Erfahrungen in der Denk- malsanierung. Stück für Stück nahm auch dieses Projekt Formen an und so soll mit der Fertigstel- lung der Fassadengestaltung noch im Laufe des Jahres 2014 ein Abschluss der Arbeiten gefun- den werden. Die entstandenen Wohnungen sind bereits vermietet. Auch die mittlerweile 4- köpfige Familie Buchmann/Gerth hat ihren Lebensmittelpunkt bereits 2013 von der Nr.24 in die Nr.25 verlegt.

Ob dieses nun der letzte Streich der Bauherren war, bleibt abzuwarten. Gerüchte besagen, dass

Abb. oben: sie bereits mit dem Kauf der Nr.26 liebäugeln Hauseingang vor würden. Wie dem auch sei: In der Neustadt und der Sanierung gerade im Bereich des Steinwegs hat das Paar

Abb. Mitte: eine enorme Pionierarbeit geleistet. Man darf Fassade nach hoffen, dass sich Andere von so viel Mut inspi - der Sanierung rieren lassen und ihrem Beispiel folgen werden.

Abb. unten: Große Hoffläche 1 SERO = Sekundärrohstoffe 70 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 19

Sanierungsbeispiele: Konvent 27 Konvent 27 wir eine weitere Ausstellungsfläche geschaffen. »Es bleibt in der Familie« Der ›blaue Hof‹ ist außerdem seit Jahren Be- standteil des ›Advent in den Höfen‹ und Anker Bereits seit Ende der 90er Jahre kümmert sich für die Besucher der Neustadt. das Ehepaar Elisabeth und Ekkehard Franz, ge meinsam mit ihrer Tochter, liebevoll um die Es gibt trotz allem noch viel zu tun. Schwerpunk- raum greifende Hofanlage, die sich bereits seit te der nächsten Jahre werden wohl die Dächer mehreren Generationen im Familienbesitz befin - sein: Alte Häuser haben nun mal immer etwas det. 2007 haben sie dann ihren festen Wohnsitz Überraschendes auf Lager. Die Eindeckung mit auch nach Quedlinburg verlegt. Als Künstler- Betondachsteinen stammt beispielsweise noch familie führen die Nachfahren so einige Traditio- aus der DDR-Zeit. Unser Zimmermann zeigte nen des Urgroßvaters, Hermann Pasemann, fort. uns außerdem, dass der obere Teil des hohen Nordgiebels derart außer Lot geraten ist, dass Herr Ekkehard Franz erzählt: bei Sturm die Gefahr besteht, dass er auf die »Auf Antrag haben wir das Grundstück schließ- Straße stürzt – das wird wohl unsere nächste lich zurückbekommen – die Auseinandersetzung Baustelle sein.« mit der Erbengemeinschaft dauerte allerdings 10 Jahre. Den Ackerbürgerhof mit Braurecht, Die Familie Franz betreibt heute außerdem eine später eine Brauerei, hatte der Großvater Pase- Ferienwohnung im Konvent 27, die Besucher mann gekauft und seiner Tochter geschenkt. dazu einlädt, das Welterbe, in aller Ruhe, aus Bereits seit Mitte des 16.Jh. existiert dieses der Nähe zu betrachten. Grundstück in seiner heutigen Form.

Wir selbst waren als Familie in Thüringen gut verwurzelt gewesen, aber eine Betreuung dieser Liegenschaft von Wilmersdorf aus war nicht möglich. Wichtig ist es für uns, im Alter in einer funktionierenden Infrastruktur leben zu können. Wir haben das Schrumpfen in der ländlichen Re- gion in Thüringen miterlebt. Wir wussten nicht, was uns erwartet, als wir uns entschieden, den Familiensitz in Quedlinburg zu übernehmen und so war es letztlich eine Flucht nach vorn. Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Die Denkmalpfleger erlebten wir dabei als sehr aufmerksam – bis hin zur Türpflege. Die durch - gängige Betreuung durch Stadt, Denkmalpflege und ›BauBeCon‹ empfanden wir wirklich als sehr hilfreich und unterstützend. Der Denkmal - charakter und die alte Handwerkskunst sind in der ganzen Stadt überall spürbar, was für uns als Künstler besonders wichtig ist. Der Laden im Haus ist daher auch als Ausstellungsmöglichkeit für die eigenen Arbeiten gedacht und in der sta-

tisch gesicherten, gewaltigen Scheune haben Radecke Rosi Foto:

Abb. oben: Die Mieter fühlen sich wohl

Abb. Mitte: Künstlerwohnung

Abb. unten: Idyllische Hofatmosphäre Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: 71 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 20

Sanierungsbeispiele: Kaplanei 9 Kaplanei 9 lassen hatten, als sie tatsächlich nutzbringend »Ein hartes Stück Arbeit« waren, an einer Stelle im Haus wurde außerdem noch Echter Hausschwamm festgestellt. Die Frei- Manchmal kann es eine ganze Zeit dauern, bis legungsarbeiten zeigten dann, dass der kom- ein Haus den richtigen Besitzer findet: Die Ka- plette Westgiebel sowie weitere Teile im planei 9 diente über viele Jahre als einfaches Dach werk ausgewechselt werden mussten. Das Mietshaus. Der Voreigentümer hatte jahrelang benötigte Budget überstieg schnell jede Aus- nur partielle Instandhaltungsmaßnahmen zur gangskalkulation, sodass letztlich nur eine enge Zusammenarbeit mit der Stadtsanierung und den öffentlichen Fördermittelprogrammen die notwendigen, umfassenden Modernisierungs- maßnahmen möglich machten.

Doch das Paar ließ sich nicht unterkriegen und wurde dafür sogar mit der Entdeckung einer kleinen Überraschung belohnt: Zur Erneuerung einiger Teile der Fachwerkkonstruktion, insbe - sondere des zur Straße ausgerichteten Bereichs, musste die vormals klassizistische Putzfassade abgetragen werden. Unter dem Putz wurde wider Erwarten eine intakte und sehr zeigens - werte Fachwerkfassade freigelegt.

Abb. links oben: Während der Sanierung freigelegte Fachwerkfassade

Abb. links unten: Rückfront

Abb. rechts oben: Historische Fassade, rekonstruiert

Abb. rechts unten: Handwerkliches Meisterwerk

Aufrechterhaltung der Wohnnutzung durchge- führt, war jedoch nie tiefer in die Substanz des Gebäudes vorgedrungen. Aus finanziellen Grün- den musste er das Objekt dann veräußern. Die folgende Eigentümerin hatte jedoch auch kein Glück und musste, aus privaten Gründen, das Grundstück 2011 ebenfalls wieder abtreten. Zu einem mehr als moderaten Kaufpreis übergab In Abstimmung mit der Denkmalbehörde wurde sie das Haus schließlich einer jungen Quedlin- diese dann letztlich fachwerksichtig belassen. burger Familie. Darüber hinaus wurden auch Anlagen eines in den 30er Jahren rückgebauten Zwerchhauses Wie den meisten Sanierern war natürlich auch entdeckt, welches daraufhin vollständig wieder- Malte und Caroline Kienitz bewusst, auf was hergestellt werden konnte. für ein umfangreiches Abenteuer sie sich mit dem Erwerb einer solchen Immobilie einließen. Seit 2013 bewohnt die mittlerweile fünfköpfige Doch mit der Kaplanei 9 sollten sie noch so Familie Kienitz nun das Gebäude und erholt sich einige Überraschungen erleben. Erst nach und verdientermaßen von den Strapazen der Bauar- nach entdeckte das Paar, wie tiefgreifend doch beiten. Und doch wird es wohl nicht lange die Mängel ihres Traumhauses saßen. Nicht nur, dauern, bis die nächsten Arbeiten angegangen dass die jahrelangen Reparaturarbeiten mehr werden. Denn: Im historischen Fachwerk gibt es Schäden am konstruktiven Tragwerk hinter- immer was zu tun. 72 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:22 Seite 21

Sanierungsbeispiele: Damm 7 Damm 7 »Industrieschick Nr.2«

Auch im Damm 7 zeigt sich, dass Sanierung in Quedlinburg sich nicht nur auf Fachwerkbauten bezieht: Das Backsteingebäude wurde um 1900 als Konservenfabrik errichtet und ist Bestandteil einer größeren Hofanlage, die früher zur Pölken- straße 15 gehörte. Lange Zeit wurde das Gebäu- de lediglich als Lagerhaus genutzt. Zu DDR-Zeiten war die imposante Kelleranlage des Fabrikge- bäudes im Volksmund sogar nur als »Bananen- keller« bekannt.

Aufgrund des Umstandes, dass lediglich die Ge - bäudefläche, nicht aber die Hofanlage selbst, zum Verkauf stand, scheiterten jahrelang jeg - liche Bemühungen, einen Bauherrn für dieses Objekt zu finden. Bis sich schließlich das Ehepaar Dr. Olaf und Susanne Schaeper in den Back - steinkomplex verliebten und sich seiner annah- men.

Seit 2011 hat sich im Damm 7 bereits vieles verändert: Auf 210m² Wohnfläche entstanden attraktive Räumlichkeiten mit Loftcharakter. Durch die Größe des Baukörpers bestand die Möglichkeit, das Flachdach teilweise zurück- zubauen. So konnte eine großzügige, umbaute Terrasse integriert werden. Das Fabrikgebäude war außerdem das erste Objekt im Welterbege- biet, das mit einem Mini-Blockheizkraftwerk (BHKW) ausgestattet wurde.

Noch hat die Familie Schaeper ihre Sanierungsar- Abb. links: beiten am Haus nicht beendet. Loftatmosphäre Man darf also noch auf künftige Entwicklungen Abb. rechts oben: gespannt sein. Endlich in Nutzung – Straßenfassade

Abb. rechts Mitte: Dachterrasse

Abb. rechts unten: Eindrucksvolles Hausportal

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Sanierungsbeispiele: Hölle 10 Hölle 10 »Ein Pfarrer saniert die Hölle« – Die Leiden Vater und Sohn ist im Film deutlich anzuse- und Freuden eines Sanierungsbetroffenen hen, wie sehr sie darunter leiden, den Traum von einem Haus in Quedlinburg aufgeben zu Martin Michaelis, evangelischer Pfarrer, erzählt: müssen. »Unsere Familie kommt aus Thüringen und wir haben uns bewusst für Quedlinburg entschieden, um unseren Ruhestand in dieser historischen Fachwerkstadt zu verbringen und für unsere Familie einen zentralen Familiensitz zu schaffen. Wir wollen uns aktiv in das urbane Leben inner- halb der Altstadt einbringen und mitgestalten.«

Seit 2003 suchte die ganze Familie intensiv nach einem geeigneten Objekt und im April 2004 war die Entscheidung für den Kaufmannshof Word 4 gefallen. Der Tag nach dem Notartermin war allerdings ein Schock – blühender Echter Hausschwamm im Dachgeschoss, im Keller und im Seitenflügel. Der Kaufvertrag wur de auf- grund der sich dramatisch verändernden, er- »Wochen später setzten wir uns dann doch mit höhten Sanierungskosten rückabgewickelt. einem örtlichen Architekten zusammen. Noch im Laden hatte meine Frau, wenige Minuten »Uns ist erst in den folgenden Wochen bewusst nach dem Interview, die Erkenntnis, dass gar geworden, wie sehr wir uns bereits mit Quedlin- nicht alles perfekt und neumodisch saniert sein burg verbunden fühlten, besonders auch mit müsse und man mit Unfertigem, Altem auch diesem Gebäude. Wir nutzten die Herbstferien, gut leben könne. Sie hat dann selbst den Kon- um uns vor Ort mit der Frage zu beschäftigen takt zum Architekten geknüpft und gemeinsam und mögliche Lösungsansätze zu finden. Dabei entwickelten wir dann ein Sicherungskonzept. trafen wir mit einem Kamerateam des MDR Wie es im Leben aber so ist, kam es noch einmal zusammen, die eine vierteilige Serie ›Hilfe, wir anders als geplant – Word 4 wurde an den renovieren – von der Ruine zum Eigenheim‹ über zweiten Bieter veräußert. die Sanierung ruinöser Denkmalsubstanz in Qued linburg drehten. Sie machten uns mit ver- Unser damals 14-jähriger Sohn Lucian lag uns schiedenen Quedlinburger Protagonisten der weiter permanent in den Ohren, teils tränen- Bausanierung bekannt. Alle ermutigten uns, doch reich. Er suchte selber im Internet nach mög - das Wagnis mit dem Echten Hausschwamm lichen Objekten und überredete uns dann, das Abb. links oben: Echter Hausschwamm einzugehen, da dieser aggressive Holzzerstörer Haus Hölle 10 ›wenigstens anzusehen‹, gegebe- in Quedlinburg in fast jedem Gebäude anzutref- nenfalls um den Kauf auszuschließen. Ein Abb. links Mitte: fen sei. Wir sollten doch unseren Traum nicht kleiner Kindertrick, damit wir nachgeben und Word 4, das erste Objekt von einfach aufgeben.« hinfahren – mit weitreichendem Erfolg. Wir sind Fam. Michaelis gefahren. Meine Frau flüsterte mir bei der Auszug aus dem Interview mit dem MDR Besichtigung ins Ohr: ›Ich gebe es nicht gern zu, Abb. rechts: (2005) »Hilfe, wir renovieren – von der Hölle 10, Innenhof aber der Hof gefällt mir.‹ Lucian war begeistert, vor der Sanierung Ruine zum Eigenheim« vor einem Geschäft mir war es eigentlich zu viel, zu groß und nach für Raum ausstattung, Hohe Straße 27 einigen Erfahrungen aus Pfarrhaus- und Kir- chenbauaufgaben war mir schnell klar, wie groß Herr Michaelis: »Ich weiß nicht, ob Sie mit die Schäden und wie hoch der Aufwand sein uns den richtigen Interviewpartner haben, würden. denn wir haben drei Straßen von hier entfernt ein Objekt resigniert zurückgegeben. Der Doch: Gestärkt durch unsere Familie und die Ausbau dieses Ladens, unter Erhalt der his- Anziehungskraft der Welterbestadt wurden wir torischen Ausstattung, gefällt mir sehr und es 2005 schließlich Eigentümer der Hofanlage zeigt, wie mit Wenig Schönes und Gutes Hölle 101.« entsteht.« Daraufhin fragte der Redakteur: »Wenn Sie dies sehen, würden Endlich Bauen Sie es sich nicht doch noch einmal über- legen?« »Als ich einige Tage nach der Beurkundung Herr Michaelis: »Da fragen Sie am besten abends noch einmal allein dort war und mir meine Frau.« alles in Ruhe betrachtete, wurde mir dann doch Frau Michaelis: »Ich habe nach reiflicher etwas schlecht. Überlegung damit abgeschlossen. Das hier gefällt mir sehr, aber das heißt nicht, dass ich

das tun möchte.« 1 Wohnhaus ist dendrochronologisch auf 1410 datiert. 74 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 23

Sanierungsbeispiele: Hölle 10 Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Wir haben an den Gebäuden in Quedlinburg, Hausbock sowie andere unerwünschte Lebe - Abb. links: Einbringen von Hölle 10, so viel bauen müssen. Nicht weil wesen.« Hanfkalk als Dämm - früher grundsätzlich falsch gebaut wurde, son- material dern weil vorherige Nutzer Bauschäden zuge- Hanfkalk – Ein alter Baustoff mit erstma- Abb. rechts: lassen hatten – insbesondere durch Nässe von ligem Einsatz in Quedlinburg Reversible Farbände - oben und unten – und weil sie meinten, Fußbo- rung der Bohlenstube denbeläge und Zement seien schön bzw. beson- »Mir kam die Erinnerung an eines der früheren durch Hanfkalk ders haltbar. Das Fachwerk mit Ziegeln mittels Häuser, das ich gebaut hatte – das Haus meiner Gipsmörtel auszumauern, war dagegen sehr Eltern. Dort hatten wir in einem Neubau, einem klug, weil das sehr gut hält – immerhin genau Haus mit Holzwänden innen (10cm dick und mit drei Jahrhunderte. Lehm als Baustoff war eben- 15cm Schilfdämmung), ein Fachwerk (14cm) falls klug. Er hatte im Hauptgebäude schon vorgeblendet. Das Fachwerk hatten wir mit sechs Jahrhunderte gehalten. Beides war so Hanfkalk ausgefüllt. Das Rezept und den Hanf klug, dass wir es wiederholt haben. hatte uns ein Restaurator, Herr Heiko Schiller, aus Frankreich mitgebracht. Auch um die Wärmedämmung machten wir uns Einige Quellen behaupten, dass Hanfkalk bereits Gedanken. Die gab es natürlich schon in den beim Bau der Pyramiden Verwendung gefunden damaligen Zeiten, in denen jedes Stück Holz aus hätte. In Frankreich wird jedenfalls seit etwa 20 dem Wald herangeschafft werden musste. Jahren damit gebaut. Bauernhäuser in Sachsen und Thüringen hatten vor zweihundert Jahren fast immer eine Holz- Hanfkalk besteht aus 40 l Hanf, 8 l Sand, stube. Wir fanden das so nachahmenswert, dass 10 l ungelöschtem und 10 l gelöschtem Kalk wir eine solche Holzdämmung ebenfalls ein- sowie 20 l Wasser für eine (insgesamt) bauen wollten. Der Vertreter des Landesamtes 50–60 l Mischung. Das Ganze wird ungefähr für Denkmalpflege und Archäologie in Halle 5 bis 8 Minuten im Freifallmischer gemischt, hatte den Kontakt hergestellt zu einem Bauern- bis es eine zäh fließende Masse mit Luftein- haus in Moderwitz bei Neustadt an der Orla, das schlüssen ergibt. Diese ist nicht allzu schwer, gerade entwidmet und zum Abriss freigegeben also gut zu bewegen und zu verarbeiten, worden war – dendrochronologisch auf das Jahr aber eben sehr nass. 1796 datiert. Dessen Holzstube wurde somit 2009 nach Quedlinburg, in das Obergeschoss des Seitenflügels Hölle 10, transloziert. 212 Seit fünfzehn Jahren gab es im Haus meiner El- Jahre hatte sie überstanden, Vandalen, dem tern keinerlei Feuchtigkeitsprobleme – weder zu Hausbock und einem kaputten Dach getrotzt. trockene Luft noch den geringsten Schimmelbe- Nun stand die Frage im Raum, wie sie für die fall. Lediglich viele Spinnen waren anzutreffen, nächsten Jahrzehnte – oder besser Jahrhunderte aber das muss ja kein schlechtes Zeichen sein. – erhalten werden könnte. Auf chemische Be- Damit waren wir also wieder beim Hanfkalk. handlung wollten wir verzichten, wärmege- War dieses Produkt aus Frankreich für die dämmt sollte die Stube aber sein. Vorschläge Sanierung in der Denkmalpflege geeignet? Soll- bekamen wir genug: Mineralwolle, Zellulose ten wir dieses Material in den – stellenweise bis einblasen, diverse Schüttungen mineralischer zu 20cm dicken – Zwischenraum zwischen der Art oder voll biologisch. Wir konnten zwischen Holzinnenwand (15cm dick) und dem Fachwerk, zwei Problemen bzw. Gefahren wählen: mit senkrecht vermauerten Ziegelsteinen, füllen? Taupunkt oder potenzielle Nahrung für den Es gab Bedenken. 75 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 24

Sanierungsbeispiele: Hölle 10 Es würde eine Zeit dauern, bis das Wasser durch Mein Fazit ist also: Hanfkalk ist ein Baustoff, der Mauerwerk und Holzwände diffundiert wäre, denkmalpflegerischen Anforderungen bestens lange genug, um Holzschädlingen beste Lebens- gerecht wird. Er trägt zur langfristigen Erhaltung bedingungen zu bieten. Würden Hausschwamm der Gebäude bei und wird den heutigen Anfor- und Hausbock davon Gebrauch machen? Im- derungen an das Wohnklima und den Wärme- merhin würden wir in die Wände, den Fußbo- schutz gerecht. Seine Umweltbilanz ist insge- den und die Decke insgesamt 15 Kubikmeter samt positiv zu bewerten, weil es sich bei Hanf Hanfkalk verfüllen, also etwa 4000 Liter Wasser um einen schnell nachwachsenden Rohstoff eintragen. Uns wurde abgeraten. Wir haben es handelt, der keine Holzfasern enthält – also die Wälder schont. Kalk hat sich außerdem über Jahrhunderte hinweg bewährt und ist in gesundheitlicher Hinsicht völlig unbedenklich.

Alles in allem haben wir in den letzten neun Jahren schon viel erreicht. Einige Bereiche, wie z.B. der Saal mit der Hausorgel sind fertig - gestellt. Wir werden aber noch einige Jahre mit großer Freude an unserer historischen Hofan- lage sanieren!« Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

Abb. links: dennoch, nach einem ausführlichen Austausch Bohlenstube mit dem Holzschutzgutachter Matthias Voigt Abb. rechts oben: aus Leipzig, gewagt.« Vielfältige Dachdeckung »Das Fachwerk außen bekam einige weiße Strei - Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Abb. rechts Mitte: fen von überschüssiger Kalkmilch und verfärbte Hölle 10 – Vorderhaus sich graugrün, was wir der Feuchtigkeit und und Seitenflügel dem Hanf zuschrieben. Auch nach einem Jahr Abb. rechts unten: änderte sich daran nichts. Erst im zweiten Jahr Saal mit Hausorgel begann sich das Mauerwerk außen wieder aufzuhellen und die relative Luftfeuchtigkeit in der Bohlenstube zu senken. Zwei Winter und zwei Sommer haben wir abgewartet, bis wir den Fußboden einbauen ließen. In beiden Som- mern hatten wir außerdem ein paar Probleme mit Schlupfwespen. Die Feuchtigkeit könnte sie wohl angelockt haben. Im Herbst fanden wir dann einige der Tiere, aber inzwischen war alles trocken. Am Hanfkalk hatten die Insekten also wenig Interesse.

Ermutigt von diesem Ergebnis haben wir dann im Vorraum zur Bohlenstube eine Wand mit Schaltafeln verschalt und dahinter mit Hanfkalk ausgefüllt. Bereits nach weniger als einem Tag konnten die Tafeln abgenommen werden. Das Ergebnis war interessant: Die frei stehende Wand war noch handwarm und gar nicht so nass wie befürchtet, denn der ungelöschte Kalk hatte einen Teil des Wassers gebunden. Nach einigen Tagen konnte sie mit einem Reinkalk - putz versehen werden, der sich mit der noch feuchten Hanfkalkwand bestens verband. Bei-

des härtete binnen Jahresfrist aus. Radecke Rosi Foto: 76 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 25

Sanierungsbeispiele: Steinbrücke 4, 5, 7 und 8 Steinbrücke 4, 5, 7 und 8 »Endlich eine Geschäftsmeile«

Dort, wo Menschen sich niederlassen, wollen sie sich auch versorgt und unterhalten wissen. Wie für viele kleine Städte, vor allem im Osten, war die Situation im Einzelhandel für Quedlinburg lange Zeit wenig Erfolg versprechend. Zwar war die Steinbrücke, mit direkter Mündung in den Marktplatz, schon immer prädestiniert für eine durchgehende Geschäftszeile, doch es fehlte an jeglicher Ausstrahlung. Der alte »DDR-Charme« war allgegenwärtig: In den unsanierten Gebäu- den wirkten viele Geschäfte unattraktiv. Weder Touristen noch Einheimische konnten sich davon angesprochen fühlen.

Die Auswertung eines Einzelhandelsgutachtens Radecke Rosi Foto: für die Stadt sollte Aufschluss darüber geben, siert diese jährlich mehrere Veranstaltungen und Abb. oben: wie es denn möglich wäre, Quedlinburg als Events, wie das »Einkaufen im Lichterschein« Der Garten im ersten Stock Einkaufsstadt zu etablieren. Doch: Intensivste oder das überaus erfolgreiche Mode-Event Bemühungen, neue, niveauvolle Geschäfte in »Trendvision«. Auch in die übrigen Veranstal- Abb. Mitte: die Steinbrücke zu locken, schlugen fehl. Einen tungen der Stadt, wie dem »Advent in den Parfümerie maßgeblichen Hinderungsgrund bildete u.a. das Höfen«, bringt sich die Werbegemeinschaft als Abb. unten: Gebäude der Steinbrücke 7: Um 1840 als zuverlässiger Partner ein und trägt so wesentlich Wohnbereich Bankgebäude errichtet, verursachte seine rund zur Stärkung der Altstadt als Einkaufsstadt bei. 20 m lange Straßenfassade eine Unterbrechung des Geschäftsbesatzes in der sonst gut besiedel- Doch damit soll es das noch nicht gewesen sein. ten Straßenzeile – ein »KO-Kriterium« für die Seit Ende 2013 werden nun auch an dem wenig geplante Aufwertung der Steinbrücke. attraktiven Wohn-und Geschäftshaus Stein- brücke 9 umfassende Modernisierungsmaß - Es folgten intensive Erörterungsgespräche mit nahmen vorgenommen. Im 1.Bauabschnitt allen Behörden, speziell mit den Vertretern des entstanden hier drei moderne Geschäfte, die die Denkmalschutzes. Dank wesentlicher Mitwir - neu erstrahlte Einkaufsmeile noch ein Stück weit kung des Vorsitzenden der »Deutschen Stiftung verlängern. Auch der unpassenden Gestaltung Denkmalschutz« und Ehrenbürger der Stadt der Lauffläche in der Fußgängerzone wurde Quedlinburg, Herrn Professor Dr. Kiesow, sowie durch die Stadtsanierung der Kampf angesagt. dem ICOMOS-Vertreter, Herrn Marano, konnte Seit dem Sommer 2014 erstrahlt dieser his- eine allseits akzeptierte Fassadengestaltung ent - torische Straßenabschnitt, durch eine an- wickelt und letztlich auch umgesetzt werden. sprech en de neue Pflasterung, in neuem Glanz. Von 2005 an wurden in diesem Zusammenhang nicht nur die Nr.7, sondern auch die Gebäude Steinbrücke 4, 5 und 8 über einen vierjährigen Zeitraum hinweg vollständig saniert: Die Laden- flächen wurden zum Hof hin erweitert. In einem ungenutzten Hofgebäude siedelte sich sogar eine weitere Handelsfirma an. Das Erdge schoss der Nr. 6 wurde neu gestaltet, die Fassade frisch gestrichen. Bis zum Abschluss der Sanierungen 2009 eröffneten dort bereits fünf neue Laden- geschäfte. Auch in den übrigen Gebäuden konn ten ebenfalls weitere Geschäfte etabliert Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: werden. Darüber hinaus entstand in der Stein- brücke 7 eine großzügige Dach terrasse für die zwei Wohnungen im 1.OG.

Maßgeblich federführend war in dieser Unter - nehmung die Familie Wiesenmüller, die in der Steinbrücke eine Parfümerie betreibt. Sie haben immer an ihrem Ziel festgehalten, die Straße zu einer Einkaufsmeile zu entwickeln. An vielen Projekten haben sie selbst aktiv oder beratend mitgewirkt, so auch an der Gründung der »Wer-

begemeinschaft Steinbrücke«. Seit 2008 organi - Radecke Rosi Foto: 77 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 26

Sanierungsbeispiele: Pölle 56 Pölle 56 »Das Haus bestimmt die Nutzung«

Das Haus in der Pölle 56 stellt wirklich ein ganz besonderes Schmuckstück dar: Nur 30m vom Marktplatz entfernt, entstand das Haus etwa Ende des 18.Jh. Teile der Bebauung, hin zum südlich unmittelbar angrenzenden Mühlgraben, werden sogar auf wesentlich älter geschätzt. Vom Volksmund wird dieser Bereich liebevoll »Klein Venedig« genannt. Die Pölle selbst war Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: zu früheren Zeiten bereits als »Gerbergasse« bekannt und beherbergte schon immer Hand - werk und Wohnen unter einem Dach. Doch all diese Vorzüge konnten nicht verhindern, dass auch an diesem Gebäude der Zahn der Zeit un - erbittlich zu nagen begonnen hatte. Über 15 Jahre hinweg versuchten Stadt und »BauBeCon« das ruinöse Gebäude an dieser städtebaulich so markanten Stelle zu retten. Nach gemeinsamer Absprache erwarb 2006 schließlich das Archi - tekturbüro »qbatur« das Gebäude, um, mit För-

dermitteln unterstützt, die bereits sehr marode Radecke Rosi Foto: Bausubstanz zu sichern und die Bauhülle wieder aufzubauen. Mit großen Erwartungen wurde tekt bereits seit vielen Jahren hobbymäßig mit das Objekt dann zum »Tag des offenen der Pflanzenfärberei beschäftigte, lag es gar Denkmals« vorgestellt. Über 300 Besucher nicht so fern, das Untergeschoss des Hauses zeigten sich von dem Gebäude beeindruckt und auch wieder als Manufaktur für das entspre - etliche signalisierten auch reales Kaufinteresse, chende Handwerk auszubauen. Durch die Er - trotzdem folgten zunächst nur Ernüchterung gän zung eines Onlineshops für seine erzeug ten und eine sorgenvolle Zeit des War tens und Produkte kann David Seidlitz das Handwerk Hoffens. mitt lerweile sogar hauptberuflich betreiben und Erst der gebürtige Quedlinburger David Seid - lädt Interessierte auch immer wieder gern dazu litz brachte die Verantwortlichen wieder zum ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu Aufatmen. Nach Studium und Familiengrün- sehen. dung in wollte er gern zurück in seine Heimatstadt und dort dem Nestbautrieb Das Haus in der Pölle 56 erstrahlt heute also nachkommen. Als er die Pölle 56 sah, befand nicht nur in neuem Glanze, sondern konnte, sich diese nur im frischen Rohbau: Keinerlei gemäß seiner alten Tradition, auch wieder mit Wände, nur die eingezogenen Geschossdecken Leben gefüllt werden. – allein mit viel Fantasie hätte man sich ein Abb. oben: gemütliches Heim vorstellen können. Doch für Auf dem Dach fühlen Herrn Seidlitz stand sehr schnell fest: dieses oder wir uns wohl keines. Genauso krumm und schief sollte es sein Abb. Mitte oben: und auch erhalten werden. Wohnbereich

Abb. Mitte unten: Im Februar 2007 erwarben die Eltern das Ge - Pflanzenfärberei bäu de und die Familie Seidlitz machte sich direkt an die Sanierung. Mit einem großen Anteil an Abb. unten: Feuerloch für den Eigenleistung und einigem Erfindungsreichtum Färbebottich stemmten sie nicht nur den Bau, sondern öffneten sich auch den interessierten Passanten, die aufgrund jener prominenten Lage immer Radecke Rosi Foto: wieder stehen blieben und neugierig nach- fragten. Besonders wichtig war es dem Bau- herrn auch, so viel wie möglich der ursprüng- lichen Substanz des Hauses zu erhalten. Auch in der Raumaufteilung folgten sie den alten Struk- turen, die das Haus ihnen vorgab.

Seit der Fertigstellung 2008 bewohnt die Familie nun die oberen beiden Etagen, welche außer- dem durch eine sonnige Dachterasse ergänzt

wurde. Da sich der studierte Landschaftsarchi - Radecke Rosi Foto: 78 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 27

Sanierungsbeispiele: Lange Gasse 26 Lange Gasse 26 »Ein Großprojekt – Reihenhäuser unter einem Dach«

Neben zahlreichen kleineren Wohnhäusern, die sich einzelne Bauherren zum Eigenheim aus- bauen, hat Quedlinburg durchaus auch das ein oder andere Großprojekt zu bieten, das für einen einzelnen Investor meist nicht tragbar ist. So auch das Gebäude der Langen Gasse 26: ein lang gestreckter Bau, der früher zur heutigen Langen Gasse 26a gehörte – dem »Vitzthum von Eckstedtscher Freihof«. Die gesamte Hofan- lage ging aus einem Edelhof des Mittelalters hervor und wurde Ende des 16.Jh. überbaut. Sein Name verweist auf den damaligen Stifts - hauptmann Christoph Vitzthum von Eckstedt. Radecke Rosi Foto: Das heutige Wohnhaus der Nr.26 selbst wurde tikal in drei Parteien, vergleichbar mit Reihen- hingegen etwa um 1800 auf dem gewaltigen häusern, aufzuteilen. Die repräsentative Lage und massiven Untergeschoss errichtet. Im Innern mit direkter Sicht zum Schlossberg überzeugte des Hofes befand sich ein aus alten Relikten von schnell zwei Bauherren, die Familien Fink und mehreren Vorgängerbauten zusammengefügtes, Olschewski, sodass 2007 zwei Hausteile ver - unattraktives Wohnhaus mit Scheune, Nebenge- äu ßert und Modernisierungsverträge abge- bäuden und Garagen. Der größte Teil der schlossen werden konnten. Um die Gebäude- Grundstücksfläche gehörte zu diesem Hof- hülle einheitlich errichten zu können, trat die grundstück, so dass für das städtebaulich be- »BauBeCon« zwischenzeitlich als dritter Bauherr deutendere Vorderhaus lediglich ein Hofraum auf. Nach rund einem Jahr war dann mit der Fa - mit einer Tiefe von ca. 1,80m bis 2,40m zur milie Kabisch aber ein passender Bauherr für Verfügung stand. den dritten Hausteil gefunden und die bereits in den Bau gesteckten Fördermittel wurden mit dem noch zu gewährenden Zuschuss verrechnet. Abb. links: Die durch die Bodenordnung geschaffenen Frei - Licht, Luft, Sonne – der Innenhof ist frei räume sollten diesmal einer Vielzahl von An- liegern im Quartier zugute kommen. So wurde Abb. rechts oben: eine Bruchteileigentümergemeinschaft mit den Nachbarhäuser erhalten Stellplätze übrigen angrenzenden Parteien der Grund- stücke Lange Gasse 25, Gildschaft 3 und 3a/b Abb. rechts unten: gegründet. Ursprünglich sollte im Hinblick auf Mächtiger Torbogen die »IBA Sachsen-Anhalt 2010« auf diesem In- nenhof eine modellhafte Gestaltung umgesetzt werden: Ein Grünplanungsbüro erarbeitete in Eine Vermarktung dieses großen Objektes war enger Abstimmung mit der Eigentümergemein- unter diesen Rahmenbedingungen kaum mög - schaft ein Freiflächenkonzept, das aber aus lich. Hinzu kam der katastrophale Zustand des Kostengründen leider nicht umsetzbar war und Gebäudekomplexes, der etwa seit der Wende in diesem Fall auch nicht durch Fördermittel größtenteils leer stand. Während das Innen- hätte abgefangen werden können. In Anleh- hofgebäude noch von einer Familie bewohnt nung an das Konzept ist aber trotz allem ein war, erinnerte der Rest des Geländes eher an sehr sonniger und zeigenswerter Hof mit hohem eine Müllhalde. Aus Mangel an Interessenten Wohnwert entstanden. entschied man sich, in Abstimmung mit der Stadt, 2001 dazu das Vorderhaus »von Privat« Aufgrund der Größe des Innenhofes wurde erst- für das Treuhandvermögen des Sanierungsträ- malig in der Altstadt von Quedlinburg auch ein gers zu erwerben. Da der Eigentümer des Hof- neues Heizungssystem mit Wärmepumpen über grundstückes jedoch keinen Kontakt zur Stadt Tiefenbohrungen (ca. 60 bis 75m) realisiert, das bzw. zur »BauBeCon« zuließ, konnte erst nach sich in den letzten harten Wintern bewähren Jahren über einen privaten Dritten, im Rahmen konnte. Die Reihenhäuser wurden 2008 und einer Bodenordnung, der Innenhof freigelegt 2009 fertiggestellt und sind seitdem auch be- und von den alten Bausünden befreit werden. wohnt. Bis 2015 sollen dann auch die letzten Maßnahmen, u.a. die Toranlage, abgeschlossen Die ursprüngliche Konzeption, das Gebäude zu sein. Damit wäre nach insgesamt fast fünfzehn- einem Mietobjekt umzubauen, hätte die alte jähriger Begleitung durch die »BauBeCon« auch Hausstruktur völlig zerstört und so wurde be - dieses städtebaulich besondere Großprojekt er- schlossen, den lang gestreckten Baukörper ver- folgreich abgeschlossen. 79 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 28

Sanierungsbeispiele: Lange Gasse 22 Lange Gasse 22 »Man muss auch mal ein Wagnis eingehen«

Unter den zahlreichen Sanierungsobjekten der Stadt gibt es auch immer wieder Fälle, die allen Verantwortlichen die Sorgenfalten auf die Stirn treiben. Das Hauptanliegen von Stadt und Sa - nierungsträger ist weniger das, die Objekte ein- fach nur an den Mann zu bringen, vielmehr wünscht man sich auch, dass die neuen Besitzer verantwortungsvoll mit jenem Stück Geschichte umgehen, das ihnen dort anvertraut wurde. Letztlich geht es um die Gesamterscheinung Quedlinburgs und den Erhalt wertvoller histo- mit diesem wertvollen Grundstück tatsächlich rischer Zeitzeugnisse. Die Angst hierbei bei - noch mal experimentiert werden? spielsweise an sogenannte »Immobiliensamm- ler« zu geraten, die die Häuser als Investition Bei Jörg Schymura folgten Stadt und »BauBe- erwerben, sie dann aber über Jahre hinweg Con« schließlich dem gemeinsamen Bauchge- verfallen lassen, ist groß und keineswegs unbe - fühl. Eine örtliche Bank finanzierte den Erwerb rechtigt. Da wird man auch gern mal etwas und schließlich auch die Modernisierung der zögerlich, wenn sich potenzielle Käufer nach Liegenschaft. Herr Schymura machte sein Ver- einem wertvollen Objekt erkundigen. sprechen wahr: Er – sowie viele Freunde und Unterstützer aus dem Handwerksbereich – ar- So geschehen in der Langen Gasse 22: Das beitete Tag und Nacht an seinem Haus in der traufständige, lang gestreckte Wohnhaus, Langen Gasse. Heute sind im Vorderhaus 6 welches um 1850 errichtet worden war, zeich- moderne Wohnungen und im Hofgebäude 2 net sich, neben seiner stattlichen Größe, vor weitere Wohnungen sowie das Büro der eige- allem durch seine Putzfassade mit edlem Form- nen Firma für Zimmerei und Maurerarbeiten Abb. links oben: stuck aus. Im Obergeschoss sind die Brüstungs- entstanden. Fassade vor felder unter den Fenstern mit filigranen Tier- der Sanierung kreis zeichen gestaltet – eine Besonderheit im An dieser Stelle hat es sich für die Stadt Qued - Abb. links Mitte: Welterbe. An diesem Objekt war zuvor bereits linburg tatsächlich gelohnt, ein Wagnis einzuge- Wohnen und Arbeiten ein Investor gescheitert, lange Zeit rottete es vor hen. Jörg Schymura und seine Firma sind bis im Haus sich hin und befand sich also in einem besorg - heute immer wieder auf den verschiedensten Abb . links unten: niserregenden Zustand. Sanierungsbaustellen der Stadt und Umgebung Hinterhaus – anzutreffen, wo er auch seine eigenen Erfah- Trockenlegung Bei den Bauarbeiten an der benachbarten Lan- rungen im historischen Bauen weitergeben kann. Abb. rechts oben: gen Gasse 23 fiel dem jungen Zimmermann Fassade nach Jörg Schymura das riesige Loch im Dach der Sanierung Nr. 22 auf und er konnte den jämmerlichen An- Abb. rechts unten: blick des Gebäudes kaum ertragen. Im August Toreinfahrt mit Zierrat 2003 kam er dann schließlich ins Sanierungs- büro und erkundigte sich, ob das Objekt denn zu erwerben wäre. Auf die Frage hin, wie er das Ganze denn finanzieren wolle, antwortete er nur: »Geld hab ich keins, aber Arbeiten kann ich Tag und Nacht.« – Man war zunächst skeptisch. Zwar hatten die Verantwortlichen seit der Wen- de bereits einige Erfahrungen mit den unter- schiedlichsten Charakteren im Bereich Sanierung gemacht. Darunter waren auch einige Beispiele von sehr engagierten Bauherren, die auch ohne großes Eigenkapital verbissen für ihre ruinösen Gebäude gekämpft und sie vorbildlich, im Sinne des Denkmalschutzes, modernisiert hatten. Meistens wurden Baumaterialien und der be- treuende Bauplaner über Fördermittel finanziert. Dabei handelte es sich jedoch eher um kleinere Fachwerkhäuser zur Eigennutzung. In diesem Fall war das anders. Außerdem hatte das rui - nöse Haus bereits genug gelitten und stand zu diesem Zeitpunkt zur Zwangsversteigerung. Sollte man es dort wirklich der Gefahr eines Er- werbs durch Spekulanten aussetzen oder sollte 80 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 29

Sanierungsbeispiele: Wassertorstraße 5 Wassertorstraße 5 »Auf ›Sand‹ gebaut«

Im Zuge der Gespräche um die marode Sand- stein-Substanz des Schlossberges bangten viele um den Erhalt des Quedlinburger Schlosses und der Stiftskirche. Nur wenige Außenstehende rea lisierten, dass dieses Problem auch viele der Fachwerkbauten am Fuße der Sandsteinbefesti- gung betraf.

In der sich südlich an den Schlossberg schmie - gen den Wassertorstraße wird das besonders deutlich. Vor allem in der Nr. 5 durchzog jener Sandstein beinahe das gesamte Grundstück und stützte die darauf befindlichen Gebäude. Als Untersuchungen die Dringlichkeit einer Siche - rung dieses Bereichs aufzeigten, bemühte sich die Stadt um ein schnelles Handeln. Durch eine öffentliche Initiative unterstützt, wurden zu- Abb. oben: nächst der Seitenflügel sowie ein Hofgebäude Wassertorstraße 5 rückgebaut. Anschließend wurde die Basis des Grundstückes ausgemauert und betoniert und Abb. unten: Die Familie im somit wieder auf sichere Füße gestellt. Einen Grünen – Denkmal sonderlich schönen Anblick bot das Grundstück und Pflanze jedoch nicht.

Trotz allem verliebte sich 2004 das Ehepaar Siegrun und Urs Hähnel in das Objekt mit Hang lage. Der Wunsch nach einer Denkmal- sanierung reifte schon lange in den beiden und doch nahmen sie sich viel Zeit, um sich ihr künf - tiges Do mi zil auszuwählen.

Siegrun Hähnel: »Zum Tag des offenen Denkmals waren wir viel unterwegs und haben uns sehr viele Häuser angesehen. Eine ganze Menge Bekannte hatten bereits ihre Häuser saniert, sodass wir das Ge - schehen auch von Anfang an mit begleitet haben – vom Aufräumen bis zum fertigen Haus – und das war letztlich auch so ein Teil der Moti- vation. Wenn man sieht, was man aus so einem Haus machen kann und was es eigentlich auch für Schätze in sich birgt. Diese Entdeckungsreise

war faszinierend.« Radecke Rosi Foto:

Hähnels hatten sofort eine Vision und schließlich auch im Umfang an die Größe ihres Grund- sogar mehrere umsetzbare Szenarien für den stückes angepasst. Hof durchdacht als sie 2005 mit der Sanierung begannen. Zunächst wurden die rückgebauten Regelmäßig öffnen sie ihr Haus auch zum »Tag Gebäudeteile wieder rekonstruiert und neu des offenen Denkmals«. Ein besonderes High- errichtet. Während dieser Arbeiten entdeckten light ist es auch, wenn Familie Hähnel im Rah- die Bauherren dann Reste eines alten Brunnens, men des »lebendigen Adventskalenders« ihre von dessen Existenz zuvor niemand wusste und Haustür öffnet und die Geschichtenerzählerin in der anschließend von Archäologen fachgerecht der Halle beim lodernden Kaminfeuer Märchen freigelegt wurde. Um diesen einbinden zu kön- für die Kinder vorliest. Manchmal, wenn es nen, mussten Hähnels zwar erneut ein paar passt, geben sie auch ganz spontanen Besu - Pläne abwandeln, ließen sich aber nach wie vor chern gern Auskunft, wie ihr Haus einer Kata - nicht in ihrer Vision erschüttern. strophe entgangen ist.

Seit 2007 leben die Hähnels nun in ihrem ba- rocken Ackerbürgerhof aus dem 17.Jh. und haben sich, als mittlerweile 6-köpfige Familie, 81 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 30

Sanierungsbeispiele: Wassertorstraße 29/39 Wassertorstraße 29/30 »Eine Lücke wird geschlossen«

Durch Abriss der jeweiligen Nachbargebäude, Nr.29 und Nr.31 in den 80er Jahren, stand das Fachwerkgebäude in der Wassertorstraße 30 lange Zeit ganz allein und verlassen da. Um 1670 war es direkt unterhalb des Schlossberges, also an ganz besonderer Position, errichtet wor- den, doch durch seinen schlechten Zustand war das ursprüngliche Arme-Leute-Haus in seiner Statik schwer gefährdet.

Abb. links: Die Sanierung beginnt

Abb. rechts oben: Wassertorstraße 29/30

Abb. rechts Mitte: Wassertorstraße vor der Sanierung

Abb. rechts unten: Rückansicht

Doch nicht nur das: Bei der Sanierung wurde auch darauf geachtet, den alten Straßenverlauf wieder sichtbar zu machen. Die Häuser Nr. 29/30 liegen nämlich etwas zurückversetzt und etwas tiefer als der restliche Straßenzug der Wassertorstraße. Die heutige Grundstücksan- bindung ist hierfür mit einer neuen Stützmauer gesichert worden.

Das Wichtigste ist jedoch, dass die Kloppes durch das Schließen der Lücke in der Nr.29 eine Ende 2005 nahmen sich dann der Architekt neue, städtebauliche Anbindung an die Reihen- Hans-Peter Kloppe und seine Frau Brigitta bebauung der Wassertorstraße in Richtung aus Delmenhorst dem Haus an. Ursprünglich Osten schaffen konnten. Damit ist das Gebäude ging es nur darum, die Tochter, die in Quedlin- jetzt wieder – zumindest auf der einen Seite – burg im »Institut Julius Kühn« tätigt ist, zu un- an den Straßenverlauf angebunden. terstützen und abzusichern. Nach einigen Besuchen hatten sie sich jedoch selbst so sehr in die Stadt verliebt, dass sie auch etwas Bleiben- des hinterlassen wollten. Gerade seine reizvolle Lage an der Südseite des Schlossberges ließ die Wahl auf das Haus in der Wassertorstraße fallen. Schnell wurde entschieden, auch die benach- barte Baulücke, die Nr.29, mit in die Sanierung zu integrieren.

Innerhalb eines guten Jahres – 2007 bis 2008 – gelang es den Kloppes schließlich, nicht nur die Nr.30 denkmalgerecht zu sanieren, sondern auch mit der Bebauung der Nr.29 mit einem kleinen Neubau in Holzständerbauweise und deren Anschluss an die Nr.30 eine sehr gelun- gene Symbiose zwischen alt und neu zu erschaf- fen. In beiden Häusern wurden zusammen rund 140m² Wohnfläche geschaffen, die ausreichend Platz für die Tochter sowie auch eine weitere Einliegerwohnung zur Fremdvermietung bietet. 82 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 31

Sanierungsbeispiele: Münzenberg Münzenberg »Der Arzt und die kranke Stadt«

Für den in Lemgo (NRW) ansässigen Prof. Dr. Siegfried Behrens war seine Verbindung zu Quedlinburg ein reiner Zufall: 1994 schaute er sich im MDR-Fernsehen die Reportage »Quedlin- burg, die kranke Stadt im « an und erfuhr vom Verfall der wertvollen Bausubstanz. Er fühl- te sich direkt angesprochen und begriff sofort, dass Eile geboten war. Er unternahm daraufhin einen viertägigen Ausflug nach Quedlinburg und gelangte zu der Überzeugung, dass hier ein Beitrag zum Erhalt wertvoller Kulturdenkmäler geleistet werden müsse. In seiner Heimat hatte sich der Mediziner bereits mit dem Bereich des historischen Bauens beschäftigt und einige Er- fahrungen sammeln können. Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

Vor allem der Münzenberg hatte es Prof. Dr. Behrens angetan. Sowohl die historische Bedeu- tung der »Stadt in der Stadt«, als auch der wun- derbare Ausblick ließen ihn nicht mehr los und so entschied er sich, mit der Nr.53 ein kleines Stück Welterbe zu erstehen. Trotz einiger Quere- len, wie einem starken Insektenbefall und einem schlechten Holzgutachten, machte er sich enga - giert ans Werk. Man könnte meinen, dass er damit sehr gut ausgelastet gewesen sei, doch Prof. Dr. Behrens Interesse an der Stadt riss nicht

ab: Radecke Rosi Foto:

»Als Neubürger der Stadt Quedlinburg begann ich mich intensiv mit der Geschichte des Mün - zenberges zu beschäftigen. Fasziniert war ich dabei vor allem von den Resten der Kloster kir che St. Marien aus romanischer Zeit. Der Grund riss der ehemaligen Kirche war im Laufe der Jahr- hunderte durch Wohnhäuser überbaut worden und heute in einzelne Gewölbekeller aufge teilt, die 8 unterschiedlichen Eigentümern gehörten. Beim Abriss des Hauses Nr.15 wurde die frühere Südwand der Kirche mit dem ehemaligen Ma- rienportal freigelegt – so wurde die ursprüng- liche Gestalt wieder entdeckt.« Abb. oben: Prof. Dr. Behrens

Einmal Blut geleckt, waren Interesse und Enga - Abb. links oben: gement in Prof. Dr. Behrens geweckt und er be- Gewölbekeller St. Marien gann sich für den Erhalt der Klosterüberreste zu engagieren. Durch Häusertausch bzw. -kauf Abb. links Mitte: sowie durch Verhandlungen bezüglich der Freipräparierte Grabstelle auf dem Umverlagerung des Stauraumbedarfs aus den Münzenberg (Kopf - Kellern, gelang es ihm nach und nach den nischengrab) Grundriss der Marienkirche, in Teilen, der Öffent - Abb. rechts oben: lichkeit erlebbar zu machen. Gasse zum Marien- kloster »Gemeinsam mit meiner Frau haben wir die Abb. rechts unten: Häuser Münzenberg 4, 16, 17 und 59 als treu- Das Sandstein-Halb- händerische Stiftung bei der Deutschen Stiftung relief eines kirchlichen Denkmalschutz eingebracht. Mit dem Ziel, der Würdenträgers vom Eingangsbereich des Öffentlichkeit dieses einmalige Ensemble aus der Hauses Münzen- ottonischen Zeit erlebbar zu machen. Fast 500 berg 34, im Museum Jahre war dies nicht möglich gewesen. Heute ist zu bewundern hier ein Ort der Begegnung für Menschen ent- 83 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 32

Sanierungsbeispiele: Münzenberg standen, die sich für die Geschichte der Ottonen rend das Original bereits Mitte des vergan- interessieren.« genen Jahrhunderts in die Wipertikirche umver- legt worden war. Nach 14 Jahren intensiven Für die geschichtliche Einbindung in die Nach- Bemühens wird in diesem Jahr aktuell auch die barschaft ist außerdem ein Verein gegründet nördliche Apsis wiederhergestellt und kann worden, der verdeutlicht, dass auch dieses Pro- voraussicht lich 2015 ebenso der Öffentlichkeit jekt nur in umfangreicher Zusammenarbeit ge- zugänglich gemacht werden. stemmt werden konnte. Durch das heute bestehende Museum sind nicht nur 80% der Für seine Initiative und sein herausragendes Überreste der Marienkirche erschlossen, es kön- Engagement erhielt Prof. Dr. Siegfried Behrens nen dort auch Teile der durch Ausgrabungen u.a. 2006 den Denkmalpreis und 2008 den entdeckten Relikte, vor allem einige menschliche Romanikpreis des Landes Sachsen-Anhalt sowie Überreste aus ottonischer Zeit, bestaunt werden. 2010 die Ehrenbürgerschaft der Stadt Quedlin- An das Marienportal und seine ursprüngliche Po- burg. sition erinnert heute ein Wandgemälde, wäh-

Abb.: Standort des ehemaligen Marienportals als Putzzeichnung Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: 84 20-Jahre-UNESCO-Layout2-neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:23 Seite 33

Sanierungsbeispiele: Münzenberg 13/14/15 Münzenberg 13/14/15 Familie Kuntze hatte zuvor keinerlei Beziehung »Quedlinburg hat uns ausgesucht« zu Ostdeutschland oder gar der Stadt Quedlin- burg. Heute fahren sie so oft sie können in den Noch heute sind die Krefelder Doris und Bern- Harz, besuchen ihr kleines Refugium und stellen hard Kuntze sich sicher: Quedlinburg – Das sich vor, wie Kaiserin Theophanu wohl einst war Schicksal. Lange hatten sie sich nach Orten durch ihren Garten geschritten sein muss. und Städten mit besonderem historischen Flair um ge sehen und blieben meist nur enttäuscht zurück. Städte wie Rothenburg ob der Tauber beispielsweise empfanden sie als zu »über- saniert«. Der entscheidende Tipp kam schließ - lich vom Nachbarn: dem Bruder des Quedlinbur- ger Sanierers und Ehrenbürgers Prof. Dr. Sieg- fried Behrens. Bereits nach dem ersten Spontanbesuch stand fest, dass die Kuntzes in Quedlinburg nun end- lich einen passenden Ort für ihre Wochenend- flucht und ihren späteren Alterswohnsitz gefun- den haben. Recht kurzfristig erwarben sie die Münzenberger Grundstücke 13–15 und mach- ten sich 2003 mit viel Elan an die Sanierung der größtenteils ruinösen Bebauung aus dem 18. Jh. Nicht immer lief dabei alles nach Plan: Anfangs musste man sich in der fremden Stadt noch

orien tieren. Handwerker kannte man keine. Radecke Rosi Foto: Nach der Insolvenz ihres Bauunterneh mers stan - den sie dann plötzlich mit einem halb fertigen Objekt da und wussten zunächst nicht weiter. Mithilfe des Sanierungsträgers »BauBeCon« und dem Bauingenieur und Holzgutachter Detlef Schicke ging es jedoch schnell wieder voran. Trotz allem folgten noch einige Diskussionen, vor allem mit der Denkmalpflege, beispiels weise wegen eines Fensters, das aufgrund alter Farb- spuren nicht übermalt werden durfte. Obwohl Kuntzes die Notwendigkeit der histo - rischen Werterhaltung durchaus begriffen haben, empfanden sie diese Debatten doch als äußerst anstrengend und zeitraubend.

Mit der Fertigstellung ihres Hauses 2004 sind sie nun aber froh, all diese Strapazen auf sich ge - nommen zu haben. »Wer kann schon behaup- ten, dass er einen Toten im Keller hat?«, meint Radecke Rosi Foto: Bernhard Kuntze und spielt damit auf die Funde Abb. oben: eines Felsengrabes, der unter ihrem Haus gele- Sollten diese Beispiele Ihr Interesse Familie Kuntze unter geweckt haben, dann kommen Sie doch der ottonischen genen Überreste der historischen Marienkirche, Fensternische an. Das Gebäude der ebenfalls zum Grundstück vorbei und besuchen uns zum »Tag des gehörenden Nr.15 war bereits vor dem Kauf der offenen Denkmals« – an jedem 2. Sonn- Abb. unten: Tischkultur Kuntzes abgerissen und anschließend, in Ab- tag im September – direkt in den ge - stimmung mit der Denkmalpflege, nicht wieder nannten Objekten. Dort können Sie aufgebaut worden. Ursprünglich befand sich an Fortschritte und weitere Ausgestal - dieser Stelle mit dem Marientor der Hauptein- tungen bewundern und sich ganz un- gang zur Klosterkirche. Die Kuntzes haben kompliziert mit uns austauschen. heute an dieser Stelle eine Art Klostergarten Die Mitarbeiter der Stadtsanierung nachgebildet. Auch ein Bild der Marienkirche sowie auch die jeweiligen Bauherren markiert den historischen Wert dieses Platzes selbst geben gern Auskunft – ob über und ist selbstverständlich, als Teil des Münzen- praktische Herangehensweise oder per- bergmuseums, für Besucher zugänglich. sönliche Erfahrungen: Wer freundlich Darüber hinaus engagiert sich das Ehepaar fragt, bekommt stets eine Antwort. Kunt ze auch intensiv im Verein »Marienkloster«, u.a. durch ihre jährliche Teilnahme am »Denk - malfrühstück«, und fühlt sich mittlerweile als echte Wahl-Quedlinburger. 85 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:12 Seite 2

Klaus-Dieter Plate Das Programm »Sozialer Wohnungsbau für leer stehenden Wohnraum« im Welterbe Quedlinburg

Im August 1995 wurden in einer einmaligen konzertierten Aktion – unter Federführung des Bauministeriums und mit Vertretern des Landes- förderinstitutes, der Wohnbauförderstelle des Landkreises, der Stadt und der »BauBeCon« so- wie mit Vertretern der Bauherren – Fördermittel- be scheide i. H. v. ca.10 Mio.DM für mehr als 30 Objekte innerhalb von nur ca.5 Stunden erteilt. Seit der Wende hatte Quedlinburg schon so einige Momente der Freude und des Glücks für den Wiederaufbau der Altstadt erleben dürfen, aber dieser »Geldregen« – besser: »Geldsegen« – war einzigartig.

Durch diese enorme finanzielle Unterstützung wurden im Zeitraum 1995 bis 1997 innerhalb Von einer »Geisterstadt« zur qualitätsvollen der Altstadt an 53 Objekten umfassende Mo - Wohnstadt – Die Aktivierung leer stehen- dernisierungsmaßnahmen durchgeführt und den Wohnraums für 1.000 Einwohner mit 302 Wohnungen geschaffen. einem Bauvolumen i. H. v. 32 Mio. EUR, Damit konnte bis 1998/99 die Einwohnerzahl davon Fördermittel i. H. v. 13 Mio. EUR im Welterbe um weitere rund 1.000 Neubürger wachsen und die Altstadt etablierte sich zu Anlässlich des Festaktes zur feierlichen Übergabe einem attraktiven Wohnstandort. der Urkunde für das Welterbe Quedlinburgs, am 24. März 1995, überbrachte der damalige Minis- Nicht nur die folgenden Fotos sind Zeugen des terpräsident des Landes Sachsen-Anhalt, Dr. gewaltigen positiven Effekts, der durch dieses Rein hard Höppner, die freudige Botschaft, dass Programm ausgelöst wurde. Schauen Sie sich Bund und Land noch in diesem Jahr Städtebau- um in den Straßen Quedlinburgs – die Stadt hat fördermittel in einer Größenordnung von ein neues Gesicht bekommen. 17 Mio.DM bereitstellen würden. Aus dem Programm »Sozialer Wohnungsbau für leer- stehenden Wohnraum« stünden zusätzlich ca.15 Mio.DM bereit.

Die große Frage lautete: Wie können in kürzes - ter Zeit geeignete Bauherren gewonnen werden, um die bereitstehenden Fördermittel mit geeig - neten Modernisierungsprojekten zu untersetzen und gleichzeitig eine Initialzündung für die Alt- stadtsanierung zu erreichen? Abb. links (von oben nach unten): Word 1–3, Die Antwort war einfach und kompliziert zu- Steinweg 76, gleich: Nur mit sehr viel Engagement und Krea - Breite Straße 42 tivität! Nicht zuletzt den unermüdlichen An- Abb rechts Mitte: strengungen zweier Unterstützer dieser Aktion Wipertistraße 1 ist der überwältigende Erfolg zu verdanken:

Abb. rechts unten: Herrn Helmut Hohe, dem Geschäftsführer der Weberstraße 11 HBH-Finanzbetreuung, sowie auch dem Steuer- berater, Herrn Hans-Joachim Schramm. Durch ihre Kontakte wurden mehrere Treffen mit Inves - toren in Quedlinburg organisiert. Es gelang ihnen, eine hohe Begeisterungsfähigkeit für Quedlinburg zu erzielen. In vielen Fällen wurden sie selbst Eigentümer einer oder mehrerer Eigen- tumswohnungen und konnten somit eine Mo- dernisierung vieler größerer Gebäude ins Rollen bringen, die für einen Einzelnen zu kosteninten- siv geworden wäre. 86 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:12 Seite 3

Klaus-Dieter Plate Das Programm »Sozialer Wohnungsbau für leer stehenden Wohnraum«

Abb. links (von oben nach unten): Lange Gasse 3, 4, Steinweg 52, Steinweg 56, Steinweg 53

Abb. rechts (von oben nach unten): Schmale Straße 31–33, Marktstraße 3, Steinweg 46, Stieg 6

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Klaus-Dieter Plate Das Programm »Sozialer Wohnungsbau für leer stehenden Wohnraum«

Abb. links (von oben nach unten): Schmale Straße 17, Steinweg 88–89 Pölkenstraße 11 (links außen), Schillerstraße 1, Pölkenstraße 24

Abb. rechts (von oben nach unten): Steinbrücke 18, Pölkenstraße 17, Pölkenstraße 29, Pölle 29

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Klaus-Dieter Plate Das Programm »Sozialer Wohnungsbau für leer stehenden Wohnraum«

Abb. links (von oben nach unten): Neuendorf 17, Mauerstraße 15, Marschlinger Hof 8, Kaiserstraße 34

Abb. rechts (von oben nach unten): Pölkenstraße 31, Mühlenstraße 16, Mühlenstraße 17–18 (rechts außen), Konvent 2–3, Neustädter Kirch- hof 25 (rechts außen), Hinter der Mauer 1

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Klaus-Dieter Plate Das Programm »Sozialer Wohnungsbau für leer stehenden Wohnraum«

Abb. links oben: Weberstraße 3

Abb. links (von oben nach unten): Altetopfstraße 19 (links außen), Brechtstraße 2, Breite Straße 35, Hohe Straße 28, Breite Straße 14

Abb. rechts (von oben nach unten): Brechtstraße 7, Hinter der Mauer 5–6, Carl-Ritter-Straße 18, Breite Straße 18, Markt 9

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Klaus-Dieter Plate Neubau in Quedlinburg Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: arbeitung mehrerer relevanter Entwürfe erfolgte Abb. oben: Schaut man sich die Liegenschaftskarte der Alt- Pölkenstraße 51 stadt von Quedlinburg (s.Umschlag hinten) an, keine praktische Umsetzung. Die Zielstellung, dann erkennt man, trotz weitestgehender Ge- eine Stadtreparatur in der Altstadt Quedlinburgs schlossenheit der Straßenrandbebauung, eine auf einem hohen städtebaulichen Niveau durch - Vielzahl weißer Flecken. Die Rede ist hier von ca. zu führen, war vorerst gescheitert – trotz der 100 Grundstücken, deren Gebäude in den letz- noch bis 1998 zu 100 Prozent gewährten ten Jahr zehnten abgerissen worden sind. Dank steuerlichen Sonderabschreibung für Neubau - einiger Vorkämpfer in der Wendezeit konnte je- ten. Mit der Gildschaft 10, einem Wohn- und doch, durch den frühzeitig erwirkten Abriss- Geschäftshaus 1 und der Reichenstraße 16 (s.S. stopp, der geplante Flächenabriss weiterer 94) als Einfamilienhaus, konnten aber zumindest Quartiere in der nördlichen Altstadt verhindert zwei Baulücken, in Anlehnung an die Wettbe- werden. Die freigelegten Flächen sollten darauf - werbsentwürfe, geschlossen werden. hin wieder bebaut werden, um die aufgeris- Hinzu kommt, dass Neues Bauen in der Altstadt senen Wunden im Stadtgrundriss zu schließen. für viele Quedlinburger generell ein rotes Tuch Niemand hätte sich 1990 vorstellen können, darzustellen scheint. Bereits 1995 war in der Pöl- dass diese aufgerissenen Strukturen auch heute kenstraße 51 ein Neubau – ein moderner Fach- – nach über 20 Jahren Welterbe – noch immer werkbau mit Tonnendach – errichtet worden, deutlich im Stadtbild zu erkennen sind. der die Bevölkerung in zwei Lager spaltete. Während die jüngere Generation den Neubau Wettbewerb durchweg positiv beurteilte, waren die übrigen »1000 Jahre Bauen in Quedlinburg« Quedlinburger davon weniger begeistert. Wobei die sogenannte »kleine Schwester«, ein Ergän - Um Bauwillige für das innerstädtische Bauen zu zungsbau zu dem ruinösen schmalen Fachwerk - gewinnen, war 1995, mit Unterstützung der haus in der Kaiserstraße 5 (s.S. 92), durchaus Deutschen Stiftung Denkmalschutz, von der positive Resonanz bei der Bevölkerung erreichte Stadt Quedlinburg der Wettbewerb »1000 Jahre – obwohl das gleiche Konstruktionsprinzip mit Bauen in Quedlinburg« ausgeschrieben worden: technischem Fachwerk angewandt wurde. Letzt - Architekten aus vier Bundesländern reichten lich dürfte hier wohl die für Quedlinburg ty - damals für sechs der genannten Baulücken ins- pi schere Dachform für eine höhere Akzeptanz gesamt 105 Arbeiten ein. In den politischen gesorgt haben.

Gremien sowie auch in der Bevölkerung wurde 1 Entwurfsverfasser distanzierte sich schrift lich von der umgesetz ten monatelang rege diskutiert. Doch trotz der Über- Realisierung. 91 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:13 Seite 8

Klaus-Dieter Plate Neubau in Quedlinburg

»Im Rahmen der IBA 2010 (Anm. d. R.: s. S. 97) soll die gesamte Baulücke im historischen Stadtzentrum von Quedlinburg, in Form von fünf Reihenhäusern, geschlos sen werden. Unser gemeinsames Ziel ist es, einen innova- tiven Haustyp zu entwickeln, der eine zeit- gemäße Architektur und Wohnform darstellt und im Dialog mit dem historischen Umfeld steht. Höchste Flexibilität in Bezug auf die Nutzung der Wohnfläche und das Einbe- ziehen ökologischer Gesichtspunkte bildeten die Rahmenpara meter unserer Planung. Ähn- lich einer Raumskulptur bietet jedes Haus eine Abfolge von verschiedenen Raumgrößen und -qualitäten. Unterschiedlichen Nutzungen werden unterschiedliche Qualitäten wie Di- mension, Licht und Offenheit zugeordnet. Die historischen Fassaden der Nachbarhäuser sind unterschiedlich stark durch Ornamentik und handwerklich, künst lerische Gestaltungen Abb. links oben: Denn auch wenn etliche Bauten nicht den geprägt. Wir wollen diese Tradition fortsetzen Altetopfstraße 21 städte baulichen und architektonischen Anspruch und haben eine Künstlerin in unser Projekt Abb. links Mitte: einer Welterbestadt erreichen, fügen sich die einbezogen. Die Künstlerin Edeltraut Rath hat Schmale Straße 53 meisten errichteten Neubauten doch nahtlos in die Idee der ›Quedlinburger Tartans‹ für die und 54/55 die historische Bebauung ein. Sie ordnen sich Fassadengestaltung der Stadt häuser entwi- Abb. rechts: der Nachbarbebauung unter und stören nicht. ckelt: Horizontale und Vertikale – wesentliche Kaiserstraße 5 und 5a Im erweiterten Gebiet der Altstadt wurden so Gestaltungselemente der umliegenden Fach- bis heute über achtzig Neubauten errichtet. werkbauten – werden aufgegriffen und in eine neue, zeitgemäße Form übersetzt. Jedes Einer der ersten Neubauten nach der Wende Haus bekommt ein eigenes Karomuster, das war das Wohn- und Geschäftshaus, Altetopf - sich die Bauherren nach Entwürfen der Künst- straße 21, das von der Familie Schmalz errichtet lerin aussuchen. Jede Hausfassade, individuell worden war. Der Fachwerkbau war mit Schmuck- gestaltet, fügt sich mit den anderen Fassaden elementen in freier Anlehnung früherer Formen- zu einem großen Ganzen, den ›Quedlinburger sprache versehen worden. In den 90er Jahren ist Tartans‹, zusammen. (In Schottland steht der auch diese Bauweise von Fachleuten kritisch be- Tartan für Identifikation und Identität). E. Rath wertet worden. Doch aus heutiger Sicht zeigt bezieht sich auf ›das Farbspektrum der hellen man diesen Neubau durchaus mit Stolz. Heute Seite des Farbkreises‹. Durch die verwendeten dient er als eine Art Zeitzeugnis dafür – nach Farben, die in ihren Farbabstufungen wie Farb- einer jahrzehntelang von Materialnot geprägten lasuren erschei nen, wird die Transparenz, die Epoche in der DDR – unter den neuen Bedin - innen durch große, offene Räume und große g ungen nach der Wende endlich in der Lage Fensterfronten erreicht wird, unterstützt. gewesen zu sein, einen konstruktiven Holzbau Aufgrund der, für Quedlinburger Verhältnisse, zu errichten. zu hohen Baukosten, wurden bisher nur zwei Ge bäude realisiert. Die Stadt Quedlinburg Im Zentrum zu Hause – Stadthäuser Qued- führt derzeit ein Interessenbekundungsver- linburgs in der Schmalen Straße 54 bis 58 fahren für die Schließung der drei restlichen (Bericht von Andreas Schneider, Architekt, Bre- Grundstücke bis 2016 durch. men 2007): 92 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:13 Seite 9

Klaus-Dieter Plate Neubau in Quedlinburg Baulückenwettbewerb – MUT ZUR LÜCKE Trotz größtmöglicher Einbeziehung der Öffent - lichkeit und weiterer intensiver Bemühungen Im Jahr 2007 war dann durch die Architek- konnten für diese drei Baulücken bisher leider tenkammer Sachsen-Anhalt – in Abstimmung keine Bauherren gefunden werden. Ein Teilbe - und mit Unterstützung des Ministeriums für Lan- reich der Baulücke im Augustinern – das sehr desentwicklung und Verkehr – die Initiative MUT kleine Grundstück Augustinern 73 – steht für ZUR LÜCKE ins Leben gerufen worden. Drei eine Neubebauung mittlerweile nicht mehr zur Baulücken im Zentrum der UNESCO-Welterbe - Verfügung. In dem neu erstellten Blockkonzept stadt Quedlinburg waren dazu ausgewählt wor- wird die Baulücke Augustinern 71/72 allerdings den: Die Schmale Str. 15, der Augustinern noch für die innere Erschließung des Quartiers 71/72/73 sowie der Steinweg 39. freigehalten. Im Zuge dessen erarbeiteten 15 Architektur- büros aus Sachsen-Anhalt insgesamt 18 Steinbrücke 17, Carl-Ritter-Straße 1/2 Vorschläge für den Lückenschluss. Am 4. März 2009 waren dann die folgenden Preisträger Das Grundstück befindet sich im Hauptge - durch das Preisgericht, unter Vorsitz von Herrn schäftsbereich der historischen Innenstadt. Der Prof. Matthias Höhne, ermittelt worden: Gebäudekomplex war 1958 als Ersatzneubau errichtet worden. In diesem Zusammenhang war Augustinern 71–73 auch der historische, enge Durchlass (Stein- (Grafik: Bollmann.Architekt, Halle/) brücke / Word) zu einer breiten Straßeneinmün- dung aufgeweitet worden. Ursprünglich sollte das Wohn- und Geschäfts - haus umfassend modernisiert werden, doch während der Freilegungsarbeiten wurden wei - tere erhebliche Bauschäden sichtbar. Hinzu kamen gravierende statische Probleme des Bau - körpers, sodass sich der Bauherr – die Wohnungs- wirtschaftsgesellschaft mbH Quedlinburg – in Abstimmung mit den verantwortlichen Behör- den schließlich für den Rückbau und die Errich- tung eines Neubaus entschied. Die markante städtebauliche Ecksituation, mit Blickachsen zum Markt und zum Schlossberg, Steinweg 39 verlangte allen, an dem Planungsprozess (Grafik: ARC Architekturconzept, ) Beteiligten, einen besonders verantwortungs- vollen und sensiblen Umgang mit der neu zu errichtenden Baukubatur ab. Lichtdurchflutete, barrierearme Wohnungen mit Loggien sowie moderne Läden sollten entstehen. Heute vermittelt die Umsetzung einer lamel- lenartig strukturierten Vorhangfassade einen kompakten und geschlossenen Eindruck. Den Mietern der Wohnungen ermöglichen große Fensteröffnungen trotz allem eine unmittelbare Abb. rechts (von oben nach unten): Teilnahme am pulsierenden Altstadtleben. Der Die Baulücken barrierefreie Zugang zu den Wohnungen ist Augustinern 71–73, durch den Fahrstuhl gegeben und für jede der Steinweg 39, Schmale Str. 15 Wohnungen steht außerdem ein Stellplatz in der Schmale Straße 15 Tiefgarage zur Verfügung. (Grafik: Dietzsch & Weber Architekten, Durch die Installation eines Mini-Blockheizkraft - Halle /Saale) werks, im Zusammenspiel mit den vorgenom - menen Wärmedämmmaßnahmen, wurden darüber hinaus die Anforderungen an den Kli- maschutz vorbildlich umgesetzt. Der Gebäudekomplex kam damit beim Architek- turpreis 2013 in die engere Wahl und erhielt den Bauherrenpreis 2013/14.

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Klaus-Dieter Plate Neubau in Quedlinburg

Abb. oben: Was erwartet uns in den nächsten Jahren? Steinbrücke 17, Carl- Ritter-Straße 2/3 Im Denkmalpflegeplan (s.S.100) der Stadt Abb. rechts oben: Quedlinburg sind alle Ergebnisse der Erhebung Reichenstraße 16 vor dem Abbruch ... und Bewertung der Bausubstanz für die orts- bildprägenden Gebäude detailliert aufgeführt: Abb. rechts unten: Viele dieser Ge bäude weisen allerdings erhe- ... und nach Neu - bebauung bliche Bauschäden auf und sind zusätzlich mit einer unzureichenden Grundstückssituation – wie zu hoher Überbauungsgrad, schlechte Be- lichtungsverhältnisse, etc. – belastet. Ohne die Einleitung kostenintensiver Sofortmaß- nahmen für etliche der ruinösen Gebäude, muss in den nächsten Jahren, aus Gründen der öffent lichen Sicherheit, ein Rückbau von ca.50 Gebäuden in der Altstadt Quedlinburgs be- fürchtet werden.

Dem Welterbe droht eine neue Abrisswelle!

Um den unter Schutz stehenden, geschlossenen Stadtgrundriss weiter erhalten zu können, wären verstärkt Neubaumaßnahmen erforder- lich, die dann allerdings – sowohl städtebaulich als auch architektonisch – wesentlich höheren Ansprü chen als bisher gerecht werden müssten. Wirtschaftlich stärkere Städte, wie die Welterbe - städte und , können sich für die Errichtung von innerstädtischen Neubauten einen Gestaltungsbeirat leisten und sind somit in der Position, auch externen Fachverstand ein- holen zu können. Mit den Jahren hat sich in diesen Städten so eine qualitätsvolle Baukultur herausbilden können, die in Quedlinburg bisher nur auf einzelne Neubauten zutrifft. Mit dem steigenden Anteil an nötigen Neubebauungen im Welterbegebiet Quedlinburgs muss sich dieser prekären Situation allerdings schnellstens angenommen werden.

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Klaus-Dieter Plate Erschließungsmaßnahmen – Straßen- und Platzgestaltung als Förderung der touristischen Infrastruktur im Welterbe

Ein Schwerpunkt der Quedlinburger Stadtent - wicklung liegt, neben der denkmalgerechten Modernisierung der Altstadt, auch in der Ver- besserung der touristischen Infrastruktur. Vor allem der Bereich der »mobilen Touristen«, die mit dem Reisebus oder dem eigenen Pkw an- reisen, lag lange Zeit im Argen. Mit großer Un- terstützung durch das Wirtschaftsministerium des Landes Sachsen-Anhalt konnte dieses Prob- lem zu Beginn des neuen Jahrtausends endlich angegangen werden. Da sich Straßen und Plätze im kommunalen Eigentum, also im Verantwor- tungsbereich der Stadt, befinden, konnte eine zügige Umsetzung der Maßnahmen sicherge - stellt werden.

Stellvertretend für weitere Projekte sollen hier lediglich die drei größten Erschließungsmaßnah- men im Bereich Straßenbau und Platzgestaltung genannt werden. Alle konnten bereits bis 2010 in der Innenstadt realisiert werden:

1. Die Neugestaltung der Pölkenstraße, einschließlich des Mathildenbrunnens.

2. Der Ausbau des Marschlinger Hofs mit Abb. (3): einem Parkplatz für Busse, Caravan und Carl-Ritter-Platz vor Pkw sowie die Errichtung eines Infor- komplexer mationsgebäudes mit öffentlicher Neugestaltung Toilettenanlage.

3. Der Umbau der Altetopfstraße und der Carl-Ritter-Straße (Carl-Ritter-Platz).

Nicht nur für die Quedlinburger Bevölkerung konnte mit diesen Projekten ein Zeichen gesetzt werden, wie lebenswerte Räume in einer beeng - ten Altstadt geschaffen werden können, auch im touristischen Bereich, konkret auf die Steige - begehbar. Durch den Abriss der Gebäude Stein- rung der Tagesbesucher, haben sich alle drei brücke 15 und 16 um 1955 war dann auch die Maßnahmen äußerst positiv ausgewirkt. Letz - Voraussetzung für den Bau der Carl-Ritter-Straße teres Projekt soll hier etwas genauer vorgestellt gegeben, sodass eine durch gängige Befahrung werden. von Westen aus von der Altetopfstraße bis zur Steinbrücke möglich wurde. Die Neugestaltung des Carl-Ritter-Platzes Im Südosten grenzt der Grünbereich »Wordgar - Der Carl-Ritter-Platz liegt zwischen der Altstadt ten« an den Carl-Ritter-Platz. Auf historischen und dem Schlossberg Quedlinburgs – im west- Karten ist festzustellen, dass dieser ursprünglich lichen Bereich der historischen Innenstadt. Die über die heutige Carl-Ritter-Straße hinweg bis an ursprüngliche Nutzung dieses Bereiches als die frühere Word-Straßenbebauung reichte, die Wiese, Weide oder auch Garten diente als in ihrer damaligen Form ebenfalls nicht mehr Pufferfläche zwischen Altstadt und Schlossberg, exis tiert. Die Fassaden der südlich am Platz gele- die heute durch Natursteinmauern vom Platz genen Gebäude gehören zur Langen Gasse und abgegrenzt ist. sind daher Rückansichten.

Erst nach Abriss der ehemaligen Stadtmauern Vor seiner Sanierung war der Carl-Ritter-Platz und der Bebauung an der Wordgasse, in der ers- überwiegend mit Schottergestein, Asphaltflicken ten Hälfte des 20.Jh., ist der Platz überhaupt und Beton befestigt, wurde aber nahezu flä - 95 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:13 Seite 12

Klaus-Dieter Plate Erschließungsmaßnahmen Im Vordergrund sollte trotz allem nicht die best- mögliche Verkehrsführung stehen, sondern vielmehr die Sichtbarmachung der historischen Strukturen. Auf einen gradlinigen Anschluss des Carl-Ritter-Platzes an die Altetopfstraße wurde daher verzichtet. Die durch die ehemalige Be- bauung manifestierte Trennung der beiden Straßen ist durch eine Baumreihe mit Hecken - pflanzung wieder verdeutlicht worden. Um dem Platz den Charakter einer »Durchgangsstraße« zu nehmen, ist die Carl-Ritter-Straße nicht mehr gradlinig über den Platz geführt worden. Zwei Parkplatzfelder sind südlich und nördlich der Carl-Ritter-Straße angeordnet worden. Dort ent- standen Parkflächen für rund 100 Pkw. Für sechs Busse wurde eine straßenbegleitende gepflasterte Spur zum temporären Ein- und Aussteigen der Bustouristen angelegt. An- schließend sollen die Busse dann außerhalb der Innenstadt abgestellt werden.

Im Bereich des Wordgartens ist die Straße nahe - zu völlig aufgelöst und nur noch als schmales Band über die Begrünung geführt worden. Dadurch wurde der Wordgarten wieder bis an die Bebauung der Altstadt herangeholt. Angren- zend zur Word, an der Stelle der historischen Altstadtgrenze, ist, in Reminiszenz an die Stadt- mauer der Altstadt, eine Natursteinmauer in Sitzhöhe errichtet worden. Die Straße am Word erhält damit eine platzartige Aufweitung. Die eigentlichen Freiflächen sind – dem ursprüng - lichen Charakter entsprechend – als Rasen- flächen (4.500m²) angelegt worden. Weiterhin sind 25 Bäume, 300 Gehölze, 200 Stauden sowie 5.000 Heckenpflanzen gepflanzt worden. Es wurde eine grüne Oase mit Anbindung an den Wordgarten geschaffen.

Da der Carl-Ritter-Platz ursprünglich vom Verlauf Abb. oben: chen deckend als Parkplatz genutzt. Weder die des Mühlgrabens »zerschnitten« wurde, ist Luftbild Carl-Ritter- Struktur noch die Gestaltung des Platzes ent - dieser erst in den 30er Jahren nahezu über die Platz nach Neugestaltung sprachen der Historie und dem gewünschten Er- gesamte Länge des Platzes verrohrt worden und scheinungsbild Quedlinburgs – der Sanierungs- war lediglich noch über einen kurzen Abschnitt Abb. unten: jargon bezeichnet so etwas als einen »städte- erlebbar. Zur Aufwertung der Attraktivität des Bepflanzung des Platzes baulichen Missstand«. Platzes und vor allem zur Wiederherstellung der historischen Strukturen ist der Mühlgraben im Allerdings ist der Carl-Ritter-Platz durch seine Rahmen der Platzgestaltung dann wieder Nähe zur Innenstadt schon immer ein beliebter geöffnet worden. Anlaufpunkt für Pkw- und Bustouristen gewe- sen, die auf diese Weise wohl einen eher schlech - Im August 2003 war mit den ersten Bauarbeiten ten ersten Eindruck von der Welterbestadt begonnen worden. Die Fertigstellung der Er- gewannen. Es musste also eine Lösung gefun- schließungsmaßnahmen an dem bis dahin den werden: Ziel der im Jahr 1999 begonnenen größten innerstädtischen Projekt in Quedlinburg Planungen war es, den historischen Charakter – erfolgte im Juni 2005. Heute bietet der Carl-Rit- also die begrünte »Pufferzone« – wieder zu ter-Platz somit nicht nur allen Besuchern einen verdeutlichen und herauszuarbeiten. Da der adäquaten Empfang, er dient ihnen auch als Verkehrsraum »Carl-Ritter-Platz« jedoch für die Orientierungs- und Ausgangspunkt für einen weitere verkehrliche Entwicklung der Stadt Rundgang. Heute gestaltet er sich nicht mehr schon damals unverzichtbar war, wäre ein voll- als »Puffer«, dafür aber als wiederhergestelltes ständiger Rückbau nicht vertretbar gewesen. Verbindungsglied zwischen dem Schlossberg und der historischen Altstadt. Somit konzentrierte man sich auf seinen Charak- ter als »Begrüßungsort« für Besucher. 96 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:13 Seite 13

Julia Rippich »Stadtumbau Sachsen-Anhalt 2010« (IBA 2010)

Unter dem Leitmotiv »Neue Perspektiven für darstellt, um kommunale Haushalte durch die Städte im Umbruch« begründete das Land Sach- Bereitstellung und Unterhaltung von Infrastruk- sen-Anhalt, im Rahmen einer Internationalen tureinrichtungen nicht zu überfordern und Bauausstellung, die Initiative »Stadtumbau Sach- damit für jedermann attraktive Wohn- und Ar- sen-Anhalt 2010« (IBA 2010). Für 19 Teilnehmer - beitsbedingungen zu schaffen. Schrumpfungs- städte, darunter beispielsweise auch prozesse bedürfen schließlich genauso einer und Magdeburg, sollten individuelle Herange- sorgfältigen Planung wie Wachstumsprozesse. hensweisen entwickelt werden, wie die Städte mit den aktuellen Herausforderungen des de- Unter dem Credo »Weniger ist Zukunft« verfolg - mografischen Wandels und den damit verbun- ten die jeweiligen Teilnehmerstädte innerhalb denen wirtschaftlichen, ökologischen und der »IBA 2010« aber zunächst ihre eigene sozialen Problemen umgehen können. Es sollten Strategie, basierend auf den individuellen Rah- – gemeinsam mit Planern und Architekten sowie menbedingungen und Möglichkeiten. Die Schär- Bürgern und Vertretern aus Politik und Verwal- fung des eigenen Profils zur Gewinnung von tung – kreative Lösungen erarbeitet werden, wie Einwohnern und Investoren stand hier natürlich man, trotz rückläufiger Bevölkerungszahlen, im Vordergrund. Doch auch der regelmäßige Er- zunehmenden Leerstands und angespannter fahrungsaustausch zwischen den Teilnehmer - kommunaler Haushalte, die Städte auch für kommunen bildete einen wichtigen Bestandteil künf tige Generationen als lebendige und zu - und machte die Besonderheit der »IBA 2010« kunfts fähige Zentren der Regionen gestalten und aus. weiterentwickeln könnte.

Über eine Gesamtlaufzeit von 8 Jahren (2002 bis Quedlinburg bewarb sich erst 2006 für eine Teil- Abb. links: Begleitausstellung 2010) hinweg wurde dieses Projekt durch das nahme und stieß somit etwas verspätet zu den Land Sachsen-Anhalt begleitet, welches somit 19 ausgewählten Städten. Unter dem Motto Abb. rechts: auch die Rolle eines sogenannten »Labors für »Perspektive Weltkulturerbe« verfolgte die Stadt »Himmelstreppe« zur Internationalen die Stadt von morgen« einnahm. Denn jene das Ziel, die historische Innenstadt als Wohn- Bauausstellung 2010 Probleme, die es hierzulande zu bekämpfen gilt, und Arbeitsort an moderne Ansprüche anzu- treten auch in anderen Bundesländern sowie in passen, ohne die schützenswerte Bausubstanz in vielen westeuropäischen Staaten immer stärker ihrem Bestand zu gefährden, aber auch ohne zutage. Die IBA 2010 bemühte sich demnach, zum bloßen Museum degradiert zu werden. innerhalb des Versuchsfeldes Sachsen-Anhalt zu Denn nur ein lebendiges Zentrum, welches für verdeutlichen, dass eine geordnete Stadtent - Bewohner, Gewerbetreibende und Touristen wicklung eine notwendige Voraussetzung gleichermaßen attraktiv ist, kann dauerhaft dazu 97 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:13 Seite 14

Julia Rippich »Stadtumbau Sachsen-Anhalt« nen Denkmals« stattfindet, konnten bereits einige Verbindungen geknüpft und diverse Pro- jekte ins Leben gerufen werden. So entstand beispielsweise ein Film der Quedlinburger Bürger, die für ihre Stadt als Wohnort werben.

Für Touristen wurde in deutscher und englischer Sprache ein Audioguide erarbeitet, mit dessen ergänzender Hilfe die Stadt nun auch auf eigene Faust erkundet werden kann. Für ein zusätz - liches Interesse sorgte Quedlinburg durch seine Teilnahme am internationalen Wettbewerb »Dubai Award« und darf somit auch vermehrt auf ausländische Besucher hoffen.

Darüber hinaus wurde sowohl für die Bürger als auch die Besucher umfangreiches Informations- material erarbeitet. Zu verschiedenen Themen sind mittlerweile mehrere Studentenarbeiten entstanden. Die zahlreichen Einzelprojekte kön- nen hier leider nur angeschnitten werden, eines war jedoch immer wichtig: der vielfältige Er- fahrungsaustausch mit anderen Städten. Hier konnte die Stadt Quedlinburg durch ihre fast zwanzigjährige Erfahrung mit der Sanierung his- torischer Bausubstanz durchaus auch etwas zurückgeben: Ihre umfassende Kompetenz, die sich in zahlreichen modellhaften Sanierungen widerspiegelt, ist beinahe beispiellos und wird hoch geschätzt. Doch auch ihre umfangreiche Datenbasis zum Gebäudebestand sowie zur Analyse und Dokumentation von Bauschäden und verschiedensten Forschungsarbeiten ist von großem Wert.

Das IBA-Projekt in Quedlinburg trägt somit der Tatsache Rechnung, dass eine Vielzahl von pri- vaten baulichen und kulturellen Aktivitäten dazu beigetragen hat, die historische Kernstadt zu er- Abb. oben: beitragen, das Welterbegebiet für nachfolgende halten und zu beleben. Diese Initiativen sind – Informationsecke »Himmelstreppe« Generationen zu bewahren. Somit stellt die his- neben der öffentlichen Förderung und der torische Bausubstanz auch einen wesentlichen Förderung durch die »Deutsche Stiftung Abb. unten: Wirtschaftsfaktor Quedlinburgs dar, den es mit- Denkmalschutz« – das Rückgrat der Sicherung Workshop hilfe innovativer Lösungen in seinen Gebäuden und Weiterentwicklung des Welterbes. Der IBA- und Strukturen zu verbessern und zu stärken Beitrag der Stadt bestand also im Kern darin, gilt. dieses Engagement zu stärken und die Erfah - rungen, die Quedlinburg sammeln konnte, eben Dass dies nur gelingen kann, wenn man öffent- auch zu vermitteln. liche und private Akteure zusammenbringt und auch die Identifikation der Bewohner mit Die so gebildeten Aktionsplattformen gestat- »ihrem« Welterbe verbessert, war allen Beteilig - teten schließlich den direkten Einstieg in die Er- ten bewusst. So entstand im Rahmen der »IBA arbeitung des von der UNESCO geforderten 2010« beispielsweise eine Akteursdatenbank zur Managementplans zum Schutz und zur Erhal- Vernetzung der Vereine und Initiativen unter- tung des Welterbes und ermöglichen der Stadt einander, damit Interessen gebündelt und mög- Quedlinburg noch heute einen intensiven Aus- liche Synergieeffekte genutzt werden können. tausch zwischen Bürgerschaft, Stadtverwaltung, In der Zeit von 2008 bis 2010 fanden außerdem Kommunalpolitik und dem Denkmalschutz. fünf Bürgerforen zu verschiedensten Problem- stellungen statt, welche ihre Fortsetzung in min- destens 20 öffentlichen Veranstaltungen im Rahmen der Erarbeitung des Welterbema nage - mentplanes (WMP) fanden. Auch mithilfe des »Quedlinburger Denkmalfrühstücks«, welches seit 2007 immer am Vortag des »Tags des offe- 98 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:13 Seite 15

Der Welterbemanagementplan

Welterbemanagementplan (WMP) wissenschaftlicher Studien, Planungen und Gutachten zusammen. Der WMP erläutert, Die UNESCO schreibt welche baulichen und immateriellen Werte zum für jede Welterbestätte Welterbe gehören und benennt Gefährdungen die Erstellung eines wie auch Entwicklungschancen. Er definiert die Managementplans vor, Ziele und wichtige Maßnahmen zum Erhalt und der erläutert, wie der zur nachhaltigen Entwicklung des Welterbes für außergewöhnlich uni- heutige und künftige Generationen. verselle Wert erhalten Der WMP verpflichtet alle Akteure, seine Aus- werden kann. Der nun sagen zur Grundlage ihres Handelns zu machen. vorliegende Quedlin- Er ist richtungsweisend für Entscheidungen zur burger Welterbema- Stadtentwicklung und für vertiefende Planungs- nagementplan – kurz: konzepte auf kommunaler, regionaler und Lan- WMP – führt die desebene. Dabei ist der WMP kein starres Ergebnisse mehrerer Handlungsinstrument – er unterliegt einer ständigen Entwicklung und Fortschreibung.

Abb. oben: Die Säulen des WMP

Abb. unten: Übergabe des Welterbemanage - mentplanes an den Oberbürgermeister

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Der Welterbemanagementplan Denkmalpflegeplan Integriertes Stadtentwicklungskonzept (DPP) (ISEK)

Der Denkmalpflege- Mit dem »Integrierten plan – Teilprojekt des Stadtentwicklungs- UNESCO-Welterbe - konzept« formuliert managementplans – die Stadt Quedlinburg be steht aus dem ihre beabsichtigte Ent - Parzelleninventar und wicklung in den nächs - der denkmalpfle - ten rund 15 Jah ren. gerisch-städtebau - Wie lässt sich das lichen Ortsanalyse. Spannungsfeld zwi - Das Parzelleninventar schen einer ganz heit - ist eine Datenbank, lichen Stadtent wick- die für den Bestand lung und den Ansprü - der Gebäude im Welt - chen an eine Welt- erbegebiet Daten zur Baugeschichte und -struk- kultur erbestätte lösen? Wie kann sich Quedlin- tur, zum Zustand, zur Nutzung und zum Leer- burg auf den demografischen und wie auf den stand sowie zur städtebaulichen Qualität und Klimawandel einstellen? Wie lassen sich Stärken zum Denkmalstatus erfasst. Die Ortsanalyse der Stadt weiter profilieren und strukturelle beschreibt die naturräumlichen und historischen Schwächen abbauen? Auf Basis umfassender Entstehungsbedingungen der Stadt und stellt Stadtanalysen und unter Würdigung bereits for- den Forschungsstand zur Stadtgeschichte dar. mulierter sektoraler oder teilräumlicher Zielset- Ausgehend von der Bedeutung Quedlinburgs als zungen werden Leitbilder der Entwicklung Denkmal der Stadtbaukunst werden die land- aufgestellt und mit Handlungsfeldern untersetzt, schaftsräumliche Erlebbarkeit, die Ortsbauent - die der Stadt selbst eine Orientierung in ihrem wicklung, die Stadtbefestigung, die Ober- politischen und administrativen Handeln geben, flächen des öffentlichen Raums, die Gewässer- aber auch an privatwirtschaftliche, regionale und und Grünstruktur sowie die Dominanten und überregionale Akteure adressiert sind. die Sichtbeziehungen analysiert.

Sichtachsenanalyse Tourismuskonzept und Kulturleitlinien

Die Sichtachsenana - Die Erarbeitung des lyse ist Bestandteil des Welterbemanage - Denkmalpflegeplans, ment planes (WMP) für der im Rahmen des die UNESCO-Welter - Managementplans für bestadt Quedlinburg das Welterbe der Stadt verdeutlichte die Quedlinburg erarbeitet Notwendigkeit der wurde. Sie ergänzt die Ent wicklung von Kul- Aussagen des Parzel- turleitlinien und eines leninventars und der Tourismuskonzeptes. Ortsanalyse um die Diese wurden in einer Komponente der weit- separaten Broschüre gefassten landschafts - zum WMP vorgestellt. räumlichen Erlebbarkeit des unter Welterbe- Der erste Teil fasst die Kulturleitlinien Quedlin- schutz stehenden Stadtbereichs. Sie analysiert burgs und damit die Ziele und Handlungs- nicht nur die heutige Situation, sondern zieht schwerpunkte für die zukünftige Kulturarbeit auch Vergleiche mit historischen Darstellungen der Welterbestadt zusammen. Erste Handlungs - und untersucht die Wahrneh mung der Stadtsil- empfehlungen wurden bereits abgeleitet. Die houette von historisch wichtigen Verkehrswegen Kulturleitlinien sind von zentraler Bedeutung für und Aussichtspunkten ausgehend. Die Sichten den kulturgeprägten Tourismus in Quedlinburg auf die Stadt, die sich dem Betrachter während und spiegeln sich im anschließenden Touris- der Annäherung auf den neuen Verkehrswegen muskonzept wider. Das Konzept beinhaltet, bieten, werden ebenso beleuchtet wie solche, neben einer umfassenden Bestands-, Potenzial- die bereits in der Geschichte beim Ausbau des und Wettbewerbsanalyse, das touristische Leit- Wartensystems genutzt wurden. bild sowie ein umsetzungs orientiertes Hand - lungs programm zur touristischen Entwicklung Quedlinburgs.

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Thomas Bracht Die touristische Entwicklung Quedlinburgs seit 1990 Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

Die touristische Entwicklung in der Stadt Qued - Beherbergungsbetriebe mit einem akzeptablen Abb. oben: Leben auf dem linburg nach der politischen Wende 1989/90 ist Standard. Die Zahl der Übernachtungsgäste war Marktplatz der eine reine Erfolgsgeschichte. Kaum ein anderer entsprechend gering. So beschränkte sich der Altstadt Ort in den neuen Bundesländern kann 25 Jahre Besuch Quedlinburgs vorwiegend auf Tagesbe- nach dem Mauerfall eine solche Bilanz ziehen suche von Gruppen sowie historisch interessier - wie die Fachwerkstadt Quedlinburg. Verbunden ter Individualreisender. Bei Einführung der amt- ist die positive Entwicklung der Gästezahlen mit lichen Übernachtungsstatistik in Sachsen-Anhalt einem nahezu einmaligen Umfang der Sanie - im Jahre 1991 werden für Quedlinburg lediglich rung historischer Bausubstanz. Die UNESCO- zwei meldepflichtige Beherbergungsbetriebe (ab Welterbestadt Quedlinburg ist nicht zuletzt des- 9 Betten) ausgewiesen. halb heute eine anerkannte touristische Marke. Entwicklung in den 90er-Jahren Die Ausgangslage Eine erste größere Aufmerksamkeit nach der Besucher in den Jahren 1990ff brauchten viel Wende erlebte Quedlinburg mit der Rückfüh - Fantasie, um sich die wahre Schönheit der Stadt rung des Domschatzes 1993. Die Präsentation Quedlinburg in einem sanierten Zustand vor - des gestohlenen Schatzes in der Nationalgalerie stellen zu können. Die Innenstadt mit ihren über in Berlin und die anschließende Rückführung an 2.000 Fachwerkhäusern war wenig einladend. seinen ursprünglichen Platz in der Quedlinburger Ein Großteil der Häuser stand leer und war in Stiftskirche St. Servatii hatte der Stadt einen ers - einem verfallsbedrohten Zustand. ten Besucheransturm beschert. Mangels ausrei - chender Beherbergungskapazitäten waren auch Während die Nachbarstadt bereits diese vorwiegend Tagesbesucher. Zusätzliche frühzeitig als Erholungsort anerkannt worden Aufmerksamkeit brachte natürlich die Zuerken- war und mit ihren Hotels schon zu DDR-Zeiten nung des Weltkulturerbe-Titels durch die in den Katalogen des Deutschen Reisebüros UNESCO am 17. Dezember 1994. (BRD) buchbar war, gab es in Quedlinburg kaum 101 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:13 Seite 20

Thomas Bracht Die touristische Entwicklung Quedlinburgs seit 1990 Den größten Schub bei der Zahl der Übernach- tungen in Quedlinburg gab es in den 90er-Jah- ren erst mit einer deutlichen Kapazitätserwei - te rung bei Hotels und Pensionen. Mit dem Neu- bau vieler Betriebe im Jahr 1997 standen nun 18 meldepflichtige Betriebe mit zusammen 951 Betten zur Verfügung. Damit verdoppelte sich die Zahl der Übernachtungen binnen eines Jahres auf etwa 93.000.

Die saisonale Verteilung zeigte in den 90er-Jah - ren eine Hochsaison in den Monaten Mai/Juni sowie September/Oktober, eine Zwischensaison im April sowie den Sommermonaten Juli/Au- gust. Zwischen Mitte/Ende Oktober und etwa Mitte April waren in Quedlinburg, mit Aus- nahme der Tage um den Jahreswechsel, nur wenige Übernachtungsgäste in der Stadt. Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: Entwicklung zu Beginn der Jahrtausendwende

1999 ersetzte die Stadt Quedlinburg ihr bishe ri - ges Amt für Tourismus durch die neu gegrün- dete Quedlinburg-Tourismus-Marketing GmbH (QTM), mit dem Ziel, das touristische Marketing deutlich zu professionalisieren und auch kosten - günstiger für die Stadt zu gestalten. Dem folgte die Entwicklung eines neuen, modernen Corpo- rate Designs, welches mit Weiterentwickelungen noch heute gültig ist. Damit verbunden war auch die Fokussierung auf das Welterbe-Label.

Das Jahr 2000 steht für die bisher größte Marke- tingaktion: Mit großer finanzieller Unterstützung des Landes Sachsen-Anhalt und der organisato - rischen Hilfe durch den damaligen Harzer Ver - kehrsverband und die Stadt Quedlinburg organisierten die QTM GmbH und die Mitglieder Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: des Hotelstammtisches Quedlinburg die Präsen- tation der Sommerkataloge 2001 des deutschen Reiseveranstalters Neckermann. Gut 100 Reise- journalisten aus ganz Deutschland konnten die Stadt und den nahen Harz einige Tage lang ken- nenlernen. Nie wieder sind in so kurzer Zeit so viele Beiträge für Reiseseiten oder -sendungen über Quedlinburg erschienen. Zusätzlich unter- stützt durch die Landeskampagne »Ottonen- Jahr 2001« konnte Quedlinburg in 2001 die Zahl seiner Übernachtungen um fast 40% steigern. Mit einigen Schwankungen, aber ins- gesamt leicht steigend, ist auch bis 2008 weiter- hin eine, wenn auch verhalten, positive Tendenz festzustellen.

Grundsätzlich wird deutlich, dass der Tourismus ähnliche Fortschritte machte wie die städte- bauliche Sanierung. Ein klarer Zusammenhang

Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: zwischen der immer schöner werdenden Stadt und den stetig steigenden Gästezahlen wird of- Abb. oben: Abb. Mitte: Abb. unten: Vielfältige Darbietungen »Fête de la Musique« Sonderausstellung in der fensichtlich. zum Stadtfest am »Tag in der Word Lyonel-Feininger-Galerie des offenen Denkmals« Eine Sonderkonjunktur ist verbunden mit der auf der Rathaustreppe Qualifizierung der Angebote im Advent. Die Ent - 102 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:13 Seite 21

Thomas Bracht Die touristische Entwicklung Quedlinburgs seit 1990 wicklung des »Advent in den Höfen« und die Übernahme des Weihnachtsmarktes durch die QTM GmbH haben erhebliche positive Verände - rungen mit sich gebracht. Ergänzt um Ausstel- lungen und Konzerte ist so ein Adventsangebot entstanden, welches dazu geführt hat, das nicht nur den Dezember mittlerweile zu einem der übernachtungsstärksten Monate des Jahres wer- den ließ, sondern auch allen übrigen Gewerbe- treibenden der Stadt nach einer eher umsatz- schwachen Zeit sehr zugutekam.

Aufbruch in eine neue Zeit

Eine Studie der renommierten dwif-consulting GmbH ergab, dass 2010 der jährliche Brutto- umsatz des Tourismus in Quedlinburg bei ca. 57Mio.€ lag, Rund 1.800 Menschen in der Stadt lebten zu diesem Zeitpunkt vom Einkom- Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: men aus dem Tourismus. Für den Haushalt der Stadt bedeuteten die gestiegenen Umsätze, dass die Ausgaben für den Tourismus bereits fast voll- ständig durch die Einnahmen gedeckt werden konnten.

Auch bei der QTM gab es einige Verände - rungen, die zu einer neuen Qualität des Mar - ketings führten. Aus allgemeiner Werbung wurden Marketing und Verkauf. Die seit dem erhobenen Daten sind Ausdruck einer neuen Zusammenarbeit mit vielen Vermietern, der stark ausgeweiteten Zusammenarbeit mit Reiseveran - staltern sowie einer Fokussierung auf Märkte außerhalb der bisherigen Schwerpunktregionen.

Erstaunlich ist auch die weitere Entwicklung des Tourismus nach 2010. Die Zahl der Übernach- tungen ist innerhalb von nur drei Jahren um weitere rund 23% gestiegen. Diese Größenord- nung hat zu einem sehr starken Zuwachs bei der Auslastung der Beherbergungsbetriebe geführt. Abb. oben Die »Prinzen« Beispielsweise konnte im Bereich Hotel der Wert beim »Quedlinburger auf ca. 60% gesteigert und damit Auslastungs- Musiksommer« zahlen auf Großstadtniveau erreicht werden. Abb. Mitte: Verbunden ist diese positive Entwicklung auch Ausstellung mit einer deutlichen Saisonverlängerung. Das »Die ideale Frau« bisherige Sommerloch findet nicht mehr statt. im Schlossmuseum Die Hochsaison dauert nun von ca. Mitte April Abb. unten: bis Ende Oktober. Mit dem ebenfalls extrem Ausstellung zur starken Dezember verfügt Quedlinburg in - ersten deutschen promovierten Ärztin zwischen über sieben bis acht Monate mit einer Dorothea Christiana sehr guten Auslastung. Auch die restlichen Mo - Erxleben im na te haben inzwischen Übernachtungs zahlen, Klopstockhaus die in vielen Betrieben die Kosten decken.

Auch der lange Zeit wenig gut funktionierende Einzelhandel hat neue Dimensionen erreicht. Angeregt durch große Investitionen eines Einzel- nen auf der Steinbrücke haben viele weitere Einzelhändler ebenfalls in neue Ladenausstat - tungen und auch Sortimente investiert. Heute ist festzustellen, dass zwar in einigen Teilen der Stadt noch Leerstand vorhanden ist, insgesamt

aber mehr Ladengeschäfte existieren als jemals Radecke Rosi Foto: 103 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:14 Seite 22

Thomas Bracht Die touristische Entwicklung Quedlinburgs seit 1990 zuvor. Entstanden sind diese Geschäfte meist dort, wo viele Besucher hinkommen.

Fazit

Der zwischen 2009 und 2012 erarbeitete Welt- erbemanagementplan (WMP) bildet eine ent - scheidende Grundlage für die weitere Arbeit sowie für zukünftige, potentielle Investoren. Das enthaltene Tourismuskonzept hat eine Reihe von Zielen gesetzt, die zum Teil bereits umgesetzt werden konnten: So gibt es beispielsweise er - heb liche Fortschritte bezüglich der Auslastung der Betriebe sowie beim touristischen Leitsys- tem; ebenso bei der Kommunikation zwischen verschiedenen Beteiligten im Rahmen der neu entstandenen großen Arbeitsgruppe Kultur/ Tourismus, unter Leitung des Fachbereiches 3 der Stadt. Foto: Rosi Radecke Rosi Foto:

Der rasanten Entwicklung des Tourismus in Qued - linburg konnten auch Großbaustellen, wie am und um den Markt oder auf dem Schlossberg, insgesamt nicht schaden. Im Gegenteil: Durch diese Investitionen gewinnt die Stadt weiter an Attraktivität. Diese hat inzwischen so weit zuge - nommen, dass nicht nur die Umsätze im Touris- mus nochmals gestiegen sind – auch der städ - tische Haushalt partizipiert davon. Jede Investition in ihre Verschönerung und die touristische Infra- struktur als auch in ihre steigende Attraktivität verbessert zunehmend die Einnahmesituation der UNESCO-Welterbestadt Quedlinburg.

Der lange kaum beachtete Einkaufsstandort Quedlinburg hat sich in einigen Branchen zum Marktführer im Landkreis Harz entwickelt, u.a. bei Damen-Oberbekleidung und Schuhen. Dabei orientieren sich viele Einzelhändler bzgl. Ange- Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: bot und Preisen vor allem an den Wünschen der Quedlinburg-Besucher. Viele inhabergeführte Geschäfte in Boutique-Größe bestimmen das bei Gästen sehr beliebte, weil nicht austauschbare, Angebot.

Auch im Bereich Gastronomie gibt es eine Ent - wicklung hin zu mehr Qualität: Eine individuelle Wohlfühlatmosphäre sowie die Tendenz zur Re- gionalität beim Angebot spielen eine immer größere Rolle. Allerdings hinkt das gastronomi- sche Angebot in Quedlinburg der Dynamik beim Einzelhandel noch etwas hinterher.

Insgesamt kann man feststellen, dass der Titel »UNESCO-Weltkulturerbe« heute eine starke positive Strahlkraft nach außen hat. Trotzdem muss betont werden, dass dieser allein nicht für die positive Entwicklung der Stadt verantwort - lich zeichnen kann. Vielmehr war es eine kaum für möglich gehaltene Investition in das Stadt- Foto: Rosi Radecke Rosi Foto: bild, der Aufbau nennenswerter Beherbergungs- Abb. oben: Abb. Mitte: Abb. unten: kapazitäten sowie eine Vielzahl an Faktoren und »Zauber der Bäume«, Barocksaal mit Blick Ausstellung zur ottonischen Zeit alljährliches Sommerfest zum Thronsaal im in der Westkrypta des Entscheidungen, inkl. der Professionalisierung im Brühlpark Schlossmuseum Schlossmuseums des Marketings, die der Stadt zum heutigen 104 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:14 Seite 23

Thomas Bracht Die touristische Entwicklung Quedlinburgs seit 1990 Glanz verholfen haben. Dennoch muss dieser auch weiterhin immer wieder mit spannenden Inhalten gefüllt werden. Denn nur ein perma- nent kommunizierter, spannender Inhalt kann das Interesse am UNESCO-Welterbe hochhalten. In Quedlinburg ist das die einzigartige Fachwerk- stadt mit einem einmaligen mittel alterlichen Stadtgrundriss sowie die mittel alterliche Erschei- nung der Stadt und die dazu gehörende otto- ni sche Geschichte, immer wieder ergänzt um Zusatzthemen wie »Romanik«, »Gartenträume«, »Saatzucht« oder »Das Zeitalter der Auf klä - rung«. So konnte sich die UNESCO-Welt erbe- stadt Qued linburg inzwischen zu einer vollwer- tigen touristischen Marke ent wickeln. Dies bestätigen nicht nur die Millionen von Besu -

chern, sondern auch anerkannte Touristiker Radecke Rosi Foto: und Marketingfachleute.

Auch in den kommenden Jahren wird Quedlin- burg wohl neue Besucherrekorde verzeichnen können. In neue Dimensionen könnte die Stadt aufsteigen, wenn es gelänge, die inzwischen knappen Beherbergungskapazitäten im Hotel- bereich deutlich zu erweitern und dabei auch weitere bekannte Hotelmarken nach Quedlin- burg zu holen. Nur so kann das dringend erfor- derliche Wachstum bei der Zahl ausländischer Gäste erreicht werden. Insgesamt hat die Stadt durchaus das Potential, nach Wernigerode, die eindeutige Nummer 2 im Tourismus zu werden, noch vor den Großstädten des Landes Sachsen- Anhalt.

Als »Weltstadt des Mittelalters und Erinnerungs - Radecke Rosi Foto: ort nationaler und internationaler Geschichte« Saisonale Verteilung der Übernachtungen

hat Quedlinburg nicht nur touristisch eine Per- 14% spektive, sondern auch als Wohnort. Das schon vorhandene Zuzugsplus könnte noch gestärkt 12% werden und letztendlich zu einer fortschreiten- 10% den Umkehr des Bevölkerungsrückganges in der Kernstadt führen. Der Tourismus wird dabei 8% sicher eine entscheidende Rolle spielen. 6% Quedlinburgs Zukunft liegt entscheidend 4% im Tourismus! 2000 2010 2013 2%

0% Jan Feb März April Mai Juni Juli Aug Sep Okt Nov Dez

Übernachtungen insgesamt Abb. oben: Der »Kaiserfrühling«, ein Stadtfest mit mittelalterlichen Aktionen rund um den Schlossberg und auf dem Marktplatz

Abb. Mitte: Kaiserfrühling am Schlossberg – Kaiser Otto I., anno 973

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Klaus-Dieter Plate Statistische Daten Ausgaben im Zeitraum von 1991 bis 2012

Die Kostenstruktur für die beiden Städtebau- deren Beauftragten, die Evaluierung von Satzun- förderprogramme, »Städtebaulicher Denkmal- gen, örtlichen Bauvorschriften, die Ge staltungs - schutz – Quedlinburg Altstadt« und »Städtebau- satzung, die Öffentlichkeitsarbeit und Verkehrs- liche Entwicklungs- und Sanierungsmaßnah- wertuntersuchungen werden diesem Bereich zu- men – Quedlinburg Innenstadt« wird in drei geordnet. Kostengruppen eingeteilt: 2. Ordnungsmaßnahmen 1. Maßnahmen der Vorbereitung ca. 46,8 Mio.€ ca. 18,1 Mio.€ Ein Schwerpunkt des Programms »Städtebau- Im Rahmen der vorbereitenden Untersuchung liche Sanierungs- und Entwicklungsmaßnah- nach §140 BauGB wurden die Grundlagen (Fest- men« bildet die Bodenordnung inkl. Grunder- stellung und Beseitigung der städtebau lichen werb, um das »Besondere Städtebaurecht«, z.B. und funktionellen Missstände) für die Ent- die Ausübung des Vorkaufsrechts im Sanie - wicklung der Gebiete für die nächsten Jahr - rungsgebiet, umzusetzen. Um städtebauliche zehnte unter Einbeziehung einer großen öffent - Missstände zu beheben, besteht die Möglich - lichen Beteiligung erarbeitet. Die förmliche Fest - keit, störende Betriebe in ein anderes Gebiet legung des Sanierungsgebietes und des Erhal- umzulagern und die Kosten teilweise zu erstat- tungsgebietes erfolgten durch Beschluss des ten. Durch die starke Überbauung der Grund- Stadtrates. Mit der Veröffentlichung in der Pres- stücke in der Altstadt ist das Freilegen von se wurden die Sanierungssatzung und die Erhal- Grundstücken ein weiteres Tätigkeitsfeld, um tungssatzung rechtskräftig. Alle Haushalte der die Wohnverhältnisse hinsichtlich Belichtung, Gebiete wurden durch die erste Sanierungs- Durchlüftung, Freiflächen, Anwohnerstellplätze, broschüre informiert. Für die nächsten Jahrzehn- etc. zu verbessern. Die Bausubstanz der te sind die globalen Ziele und Zwecke der Sanie- Nebengebäude ist meist in einem sehr schlech - rung festgeschrieben. Förderschwerpunkte wur- ten baulichen Zu stand, so dass die Gefahr des den definiert und in die tägliche sowie strate - Überwachsens des »Echten Hausschwamms« gische Stadtentwicklungspolitik der Stadt inte- auf die zu schützende Denkmalsubstanz besteht griert. Um den denkmalspezifischen Ansprüchen und dringender Handlungsbedarf zum Rückbau bei der Modernisierung der Gebäudesubstanz dieser Bausubstanz besteht. In diesem Zusam- im Flächendenkmal und Welterbegebiet gerecht menhang können umfangreiche Sicherungs- zu werden und eine schnelle Umsetzung der maßnahmen an der Bauhülle für private, Modernisierungen von Gebäuden in die Praxis profane und sakrale Bauten, Schulen, Stadt- zu garantieren, wurden hunderte Modernisie- mauern und -türme etc. erfolgen. Freilegung, rungsvoruntersuchungen in Auftrag gegeben. Ausgrabung und Sicherung von Bodenfunden Parallel dazu wurden vertiefende Gutachten sind möglich. beauftragt, wie: restauratorische Untersuch- Für ein urbanes Leben einer Altstadt ist die In- ungen, Farb-, Holzschutz-, bauklimatische Gut - frastruktur, wie Straßen, Wege, Plätze, Fuß- und achten sowie statische Untersuchungen und Radwege, Grünanlagen, Mühlgräben, Brücken, Baugrundgutachten. Ein Schwerpunkt bildet in Spiel- und Parkplätze (öffentliche und Anwoh - der Fachwerkstadt die Bauforschung mit den nerstellplätze) sowie Anlagen gegen Naturge- Teilgebieten Bau- und Hausgeschiche, Gefüge - walten (Stützmauern, Treppenanlagen und kunde, Archäologie, Dendrochronologie und Uferbefestigungen) lebensnotwendig. weitere naturwissenschaftliche Untersuchungen. Die Erörterung der beabsichtigten Sanierung 3. Baumaßnahmen nimmt einen weiteren großen Arbeitsumfang ca. 53,8 Mio.€ ein. Schwerpunkt bildet dabei die Einzelbera - tung und Betreuung von Sanierungsbetroffenen Maßnahmen an privaten, profanen, sakralen unter Einbeziehung der am Sanierungsprozess Bauten sowie Gemeinbedarfs- und Folgeeinrich- fachlich beteiligten Behörden (Landes amt für tungen sind im Rahmen der Städtebauförder - Denkmalpflege, Untere Denkmalschutzbehör de programme förderfähig. Schwerpunkt bilden und Sachgebiet Stadtentwicklung und -sanie - dabei die umfassenden Modernisierungen, rung der Stadtverwaltung). Städtebauliche Pla- damit die meist unter Denkmalschutz stehenden nungen, insbesondere der Rahmenplan mit den Gebäude eine nachhaltige Nutzung erhalten vertiefenden Blockkonzep ten, sichern die Um- und Neubürger in der Altstadt ihren Wohnsitz setzung des Sanierungspro zesses und nehmen. Besonders das Programm »Städtebau - garantieren ein urbanes Leben in der Altstadt. licher Denkmalschutz« ist auf den Erhalt von Die Vergütung von Sanierungsträgern und an- denkmalkonstituierenden Bauteilen ausgerich - 106 20-Jahre-UNESCO-Layout3neu-Dr_Layout 1 19.11.14 14:14 Seite 27

Klaus-Dieter Plate Statistische Daten tet. Die Aufarbeitung, Reparatur und Wieder- zungssysteme hat bei der Förderkulisse ebenfalls herstellung von Bauteilen, wie z.B. Fenstern und eine hohe Priorität. -läden, Toranlagen, Türen, Fachwerkfassaden, Dachwerken mit Altziegeln und Dachgauben, Im Programm »Städtebaulicher Denkmalschutz Sandsteinmauern und -sockeln; historischen Ein- – Quedlinburg Altstadt« wurden per 31. Dezem- friedungen, Bleiverglasungen, Deckenmalereien ber 2012 ca. 61,1 Mio.€ für private Maßnah- und Stuckelementen können gefördert werden. men bereitgestellt, das sind ca. 80 % der be - Der Einsatz ökologischer Baustoffe und Hei - willigten Fördermittel.

Einwohnerentwicklung in den Satzungsgebieten der Stadt

Ausgaben (Stichtag 31.12.2012)

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Wie geht es weiter? Abwarten und Tee trinken oder handeln und retten?

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Julia Rippich Ausblick, mögliche Szenarien

Julia Rippich Ausblick, mögliche Szenarien

Die »Fieberkurve« der verfügbaren waren die sehr großzügigen Zuwendungen aus Finanzmittel dem Sonderprogramm des Bundes »Investitio- nen in nationale Welterbestätten« (INUW) eine Liebe zur Stadt, Engagement und Begeisterung große, wenn auch leider zeitlich sehr stark be- allein genügen leider nicht, um eine Stadt wie grenzte Hilfe, die mit dem Haushaltsjahr 2014 Quedlinburg umfassend zu sanieren. Es bedarf ausläuft. Der von Prof. Dr. Kiesow (DSD) vor erheblicher finanzieller Mittel, damit diese Stadt Jahren ermittelte jährliche Finanzbedarf zum Er- aufs Neue in alter Schönheit erblühen kann. Die halt der Gebäude in Höhe von 6 Mio. € kann letzten zwei Jahrzehnte Stadtsanierung ver- mit den regulären Städtebauförderprogrammen halfen Quedlinburg zu neuem Glanz. Um die nicht mehr abgedeckt werden. große Aufgabe der Stadtsanierung mit Erfolg weiterführen zu können, sind jedoch auch in Nicht nur die Zuschüsse von Bund und Land Zukunft besonderes Engagement und finanzielle gehen seit Jahren zurück, auch die Bereitstellung Hilfen erforderlich. der notwendigen Eigenmittel zur Einwerbung von Fördermitteln der Stadt Quedlinburg berei- Der Wunsch nach kontinuierlicher finanzieller tet zunehmend Probleme. Große Unterstützung Unterstützung scheitert jedoch an der Realität. erfuhr die Stadt durch die Deutsche Stiftung Seit über 10 Jahren sind die finanziellen Zuwen- Denkmalschutz, die zeitweise den kompletten dungen aus der Städtebauförderung, die die kommunalen Eigenanteil aufgebracht hat. Seit Stadt Quedlinburg für den Erhalt ihres Welter- über 20 Jahren besteht die Zusammenarbeit mit begebietes erhält, stark rückläufig. Auch wenn der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Sie hilft Quedlinburg innerhalb des dem Land Sachsen- vor allem dort, wo öffentliche Mittel nicht Anhalt zur Verfügung stehenden Fördermit- ausreichend zur Verfügung stehen und finanziert telvolumens einen sehr hohen Anteil erhält, ihre Arbeit – auch in Quedlinburg – vor allem reichen diese Fördermittel nicht aus. Daher durch Spenden.

Abb. oben: Übersicht über bereit- stellbare Eigenmittel zur Einwerbung von Fördermitteln, verdeutlicht die enorme Unterstützung durch die Deutsche Stiftung Denkmal - schutz, die zeitweise den kompletten kom- munalen Eigenanteil aufgebracht hat

Abb. unten: Übersicht über die Gesamtbewilligungen in den Städtebau- förderprogrammen der Programmjahre 1991–2013

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Julia Rippich Ausblick, mögliche Szenarien

Abb. oben: Mittelfristiger Bedarf an öffentlichen Förder- mitteln für den Erhalt des Welterbegebietes (Quelle: BauBeCon Sanierungsträger GmbH)

Karte unten: Übersichtsplan über den gefährdeten Gebäudebestand, Erfassungsstand 2011

Im Rahmen des Denkmalpflegeplans, als Teil - Von 411 betroffenen Gebäuden im Welterbe- konzept des Welterbemanagementplans, wur - gebiet den flächendeckend für das Welterbegebiet • weisen 319 erhebliche Schäden auf, sämtliche Gebäude erfasst. • sind 90 teilzerstört / im Bestand extrem gefährdet und Im Nachfolgenden wird die Dramatik deutlich: • sind 2 notgesichert. Von 3.562 Gebäuden sind 411 in ihrem weite- ren Bestand gefährdet. Von diesen 411 Gebäuden wiederum sind • 288 ortsbildprägend und • 54 erhaltenswert.

Legende

Flurstücksgrenzen

Städtebaulicher Wert:

ortsbildprägend

erhaltenswert

ohne

Denkmalwert

unterlassene Instandhaltung

leichte Schäden

erhebliche Schäden

notgesichert

teilzerstört, Bestandsgefährdung

Nutzung:

Garage_Leerstand

Gemeinbedarf_Leerstand

Gewerbe_Leerstand

Lager_Leerstand

Wohnen_Leerstand

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Julia Rippich Ausblick, mögliche Szenarien

Ohne die notwendige Sanierung dieser Gebäude, werden In Gefahr sind Eckgebäude, ehemalige Abb. oben: Simulation der Folgen die Schäden – insbe sondere der Befall mit Echtem Haus - Speicher gebäude, einzelne Gebäude in des Verlustes histo - schwamm – auch auf bereits sanierte Nachbargebäude sonst geschlossenen Blockrändern und rischer Bausubstanz in übergreifen und alle bisherigen Anstrengungen schritt- teilweise ganze Stra ßenzüge. städtebaulich wichti- gen Bereichen, links weise zunichte machen! der aktuelle Zu stand, Es ist dringender Handlungsbedarf von daneben eine Foto - Nöten, um der Gefahr des Lochfraßes montage

entgegen zu wirken. Abb. unten: Blick von der Bock- straße Richtung Neustadt

Der Erhalt des Welterbes ist eine nationale Aufgabe!

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Ansprechpartner / Impressum

Ansprechpartner

Stadt Quedlinburg BauBeCon Sanierungsträger GmbH Markt 1 Geschäftsstelle Quedlinburg 06484 Quedlinburg Word 3 www.quedlinburg.de 06484 Quedlinburg Ansprechpartner: Klaus-Dieter Plate Fachbereich Bauen www.baubeconstadtsanierung.de Fachbereichsleiter: Thomas Malnati [email protected] [email protected] Tel.: 03946 / 779 366 Tel.: 03946 / 905 700 Landkreis Harz Sachgebiet Stadtentwicklung u. -sanierung, Dezernat IV, Bau- und Umweltverwaltung, UNESCO-Welterbe Abteilung Denkmalschutz Sachgebietsleiterin: Julia Rippich Untere Denkmalschutzbehörde [email protected] Friedrich-Ebert-Straße 42 Tel.: 03946 / 905 710 38820 Halberstadt Abteilungsleiter: Dr. Oliver Schlegel Welterbekoordinatorin: Katrin Kaltschmidt www.kreis-hz.de [email protected] [email protected] Tel.: 03946 / 905 712 Tel.: 03941 / 577 296

Depot Historische Baustoffe Magdeburger Straße 12a 06484 Quedlinburg Ansprechpartner: Horst Schöne [email protected] Tel.: 03946 / 905 552

Impressum

Herausgeber: Stadt Quedlinburg Oberbürgermeister Dr. Eberhard Brecht Markt 1 • 06484 Quedlinburg

Konzeption: Fachbereich Bauen BauBeCon Sanierungsträger GmbH

Redaktion / Lektorat: Julia Rippich, Anne Meurer Zweitautorenschaft / Korrektorat: Sarah Spindler

Fotos / Abbildungen (wenn nicht anders gekennzeichnet): © Stadt Quedlinburg

Gestaltung / Layout: © SIGNA Graphic Design Atelier Fischer, Quedlinburg

Herstellung: Grafisches Centrum Cuno, Calbe

Redaktionsschluss: 30.10.2014 112 Geltungsbereiche der Sanierungssatzung Gebäude aus dem Wasserfläche Welterbegebiet Grünfläche Liegenschaftskataster Pufferzone Sanierungsgebiet Welterbe Bestandsgefährdete Gebäude im historischen Stadtgrundriss (Stand 2012) Würden die rund 400 gefährdeten Objekte dem Verfall preisgegeben, käme das Welterbegebiet einem Schweizer Käse gleich und die dargestellten Gebäude würden nach und nach verschwinden. Auch Fördermittel muss man aber leider eine Tatsache: sich leisten können! Es ist zum Heulen, SACHSEN-ANHALT Stadt Quedlinburg

20 Jahre UNESCO-Welterbe • 2 Jahrzehnte Stadtsanierung UNESCO-Welterbe Quedlinburg Stiftskirche, Schloss und Altstadt